Kultur im Widerstreit. Das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949–73 [1. ed.] 9783506795335, 9783657795338

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Kultur im Widerstreit. Das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949–73 [1. ed.]
 9783506795335, 9783657795338

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1 Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die Frankfurter Allgemeine
1.1 Eine kurze Geschichte des Zeitungsfeuilletons
1.2 Neunzehnhundertneunundvierzig
1.3 Das Erscheinungsbild
Kapitel 2 Hinter den Kulissen. Die Feuilletonredaktion
2.1 Karl Korn. Ein biographischer Streifzug
2.2 Personal und Personalpolitik
2.3 Redaktionsalltag
2.4 Selbstverständnis
Kapitel 3 Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit
3.1 Leben und Schreiben im NS-Staat
3.2 Die Redaktion und die Vergangenheit
3.3 Schreiben über die Vergangenheit
Kapitel 4 Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft
4.1 Kulturpessimismus und Krisenbefunde
4.2 Akklimatisierungsprozesse
4.3 Blicke nach Osten
Kapitel 5 Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik
5.1 Lust am Untergang? Literaturkritik
5.2 Eine Frage der Abstraktion
5.3 Alte und neue Töne
Kapitel 6 Aufwinde, Gegenwinde. „1968“
6.1 Stimmen zur Revolte
6.2 Viele Stimmen, schlechte Stimmung
6.3 Revolte? Reform!
Kapitel 7 Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse
7.1 Frankfurter Verhältnisse
7.2 Geschlecht und Biographie
7.3 Personalpolitik – Alltag – Identität
7.4 Eine Seite für „Die Frau“
Kapitel 8 Ausblick und Schlussbetrachtung
8.1 Kehrtwende? Das Feuilleton unter Joachim Fest (1973–93)
8.2 Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen
Periodika
Gedruckte Quellen und Literatur
Personenregister

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Kultur im Widerstreit

Medienakteure der Moderne Herausgegeben von Peter Hoeres Dominik Geppert Wissenschaftlicher Beirat Dr. Bernard Fulda (University of Cambridge), Prof. Dr. Thomas Maissen (DHI Paris), Prof. Dr. Claudia Weber (Universität Frankfurt/Oder)

Band 3

Roxanne Narz

Kultur im Widerstreit Das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949–73

Die Dissertation entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes „Ein Leitmedium für Politik und Kultur. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung von ihrer Gründung 1949 bis heute“ (Geschäftszeichen HO 5457/3-1). Umschlagabbildung: Die Fotografie zeigt den für das Feuilleton zuständigen Herausgeber Karl Korn in einer Redaktionskonferenz zu Beginn der 1970er Jahre. © Barbara Klemm

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. Zugl. Dissertation an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 2021. © 2023 Brill Schöningh, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISSN 2629-6314 ISBN 978-3-506-79533-5 (hardback) ISBN 978-3-657-79533-8 (e-book)

Meinen wunderbaren Eltern

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi 1

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die Frankfurter Allgemeine  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Eine kurze Geschichte des Zeitungsfeuilletons . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Neunzehnhundertneunundvierzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.3 Das Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2

Hinter den Kulissen. Die Feuilletonredaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1 Karl Korn. Ein biographischer Streifzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.2 Personal und Personalpolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3 Redaktionsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.4 Selbstverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

3

Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit . . . . . . . . . . . 69 3.1 Leben und Schreiben im NS-Staat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.2 Die Redaktion und die Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.3 Schreiben über die Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

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Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft . . . . 141 4.1 Kulturpessimismus und Krisenbefunde  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.2 Akklimatisierungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.3 Blicke nach Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

5

Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik . . . . . . . . 201 5.1 Lust am Untergang? Literaturkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5.2 Eine Frage der Abstraktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 5.3 Alte und neue Töne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

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Aufwinde, Gegenwinde. „1968“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 6.1 Stimmen zur Revolte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 6.2 Viele Stimmen, schlechte Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 6.3 Revolte? Reform! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

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Inhalt

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Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse . . . . . . . . 337 7.1 Frankfurter Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 7.2 Geschlecht und Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 7.3 Personalpolitik – Alltag – Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 7.4 Eine Seite für „Die Frau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

8

Ausblick und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 8.1 Kehrtwende? Das Feuilleton unter Joachim Fest (1973–93) . . . 398 8.2 Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Abbildungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

Personenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

Vorwort Als ich im März 2019 den Heimweg antrat, schwirrten mir die Worte Eduard Beaucamps noch durch den Kopf. Der ehemalige Kunstredakteur hatte mich höflich und zuvorkommend empfangen, um mir seine Geschichte der Zeitung zu erzählen. Wir sprachen an diesem Abend aber nicht nur über die Vergangenheit. Sollte die gedruckte Zeitung aussterben, so Beaucamp, werde eine ganze Kultur verschwinden. Literaturkritik könne man nicht twittern. Wer das Glück hat, sich über viele Jahre hinweg mit einer großen deutschen Tageszeitung beschäftigen zu dürfen, wird ihm recht geben. Auch die historische Analyse zeigt, wie wichtig sachlich fundierte und gut recherchierte Kritik für Prozesse der gesellschaftlichen Selbstverständigung ist. Das weiterzugeben, ist ein Anliegen dieses Buches, bei dem es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner im Wintersemester 2021/22 von der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg angenommenen Dissertation handelt. Dass es zustande gekommen ist, verdanke ich vielen Menschen. Großer Dank gebührt meinem Doktorvater Peter Hoeres, der seit unserer ersten Begegnung mehr Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten setzte, als ich es oft tat. Sein konstruktiver Pragmatismus, seine klaren Fragen und sein vorbehaltloses Wohlwollen haben meine Arbeit bereichert und mich immer wieder bestärkt. Auch meinem Zweitgutachter Matthias Stickler und meinen Mentoren Guido Fackler und Rainer Schmidt möchte ich für ihre Hilfestellungen herzlich danken. Wertvolle Ratschläge und Kritik äußerten darüber hinaus Patrick Bahners, Frank Bösch, Ute Daniel, Daniel Deckers, Rainer Hank, Thomas Maissen und Axel Schildt (†) als Gäste der vom Lehrstuhl für Neueste Geschichte veranstalteten Workshops zur Geschichte der FAZ. Mein aufrichtiger Dank gilt Eduard Beaucamp, Maria Frisé, Dieter Hildebrandt, Dietrich Ratzke und Günther Rühle (†), die mich auf eine wunderbar persönliche Weise in die Welt des Feuilletonjournalismus einführten. Erst der Austausch mit ihnen gab mir ein Gefühl dafür, was es in der alten Bundesrepublik bedeutete, zur schreibenden Zunft zu gehören. Für die Einsichtsund Zitationsgenehmigungen danke ich vor allem der Familie Korn, die mein Projekt von Anfang an sehr unterstützte, Lambert Alff, Susanne Alff-Petersen, Thomas Anz, Céline Bernadet, Angela Bohrer, Rolf Klaus Bongs, Ralf Breslau, David Dambitsch, Marcel Erné, Gabriele Ewenz, Jürgen Habermas, der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, Andrea Hipfinger, Esther-Julia Howell, Friederike Kasack, Jürgen Kaube, Sabine Frenzel und der FAZ, Joachim Kersten, Oliver Kleppel, Christoph König, Peter

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Vorwort

Konopatsch, Michael Krüger, Timea M. Kürti, Rainer Marten, Anna Mendelssohn, Wolfgang Mettmann, Stella Michaelis, Corinne und Laurence Minder, Helga Neumann, Dörthe Perlenfein und Nikola Herweg, Andreas Platthaus, Katharina Razumovsky, Renate Reifenberg, Annette Reschke und dem Verlag der Autoren, Andreas Rühle, Oliver Schwab-Felisch, Christiane Sturm, dem Suhrkamp Verlag, Martin Willems und Heinrich Thomas Wrede. In den wenigen Fällen, in denen es mir leider nicht gelungen ist, die Urheberrechtsinhaberinnen und -inhaber ausfindig zu machen, sollen etwaige Ansprüche selbstverständlich auch noch nachträglich abgegolten werden. Bei Barbara Klemm möchte ich mich aufrichtig dafür bedanken, dass ich eine ihrer ausdrucksstarken Fotografien als Titelbild verwenden durfte. Die Finanzierung meiner Arbeit verdanke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das von Peter Hoeres initiierte Projekt „Ein Leitmedium für Politik und Kultur. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung von ihrer Gründung 1949 bis heute“ förderte, und der FAZIT-Stiftung, die mir für den Abschluss der Dissertation ein großzügiges Stipendium bewilligte. Auch Dominik Geppert möchte ich für die Aufnahme der Arbeit in die schöne Reihe „Medienakteure der Moderne“ meinen Dank aussprechen. Meine Familie, meine Freundinnen und Freunde haben die Genese dieses Buches in allen Phasen aufmerksam begleitet und nie an seiner Fertigstellung gezweifelt. Meine Eltern, die auf manches verzichteten, um mir den langen Weg des Hochschulstudiums zu eröffnen, unterstützten mich in allen Lebenslagen und Entscheidungen bedingungslos. Für ihre Liebe und ihr Vertrauen kann ich ihnen und meinen Geschwistern nicht genug danken. Das gilt auch für meine Weggefährten Maximilian Kutzner und Frederic Schulz. Ich hätte auf diesem Weg keine bessere Begleitung haben können. Durch sie habe ich wahnsinnig viel gelernt; auch, dass ein Glas FaKo den Arbeitsalltag ungemein bereichern kann. Darüber hinaus möchte ich mich bei meinen liebevollen Freundinnen und unermüdlichen Korrekturleserinnen Rebecca Narz, Jasmin Schmitt, Vivien Vuzic, Melanie Wink und Christiane Zöckler für ihr beharrliches Interesse und die treue Freundschaft bedanken. Nichts davon ist selbstverständlich. Zuletzt gilt mein Dank Felix. Deine Leichtigkeit ist meine Basis. Nürnberg, im Sommer 2022

Einleitung Sieht man von den jüngsten zeithistorischen Forschungen zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ab, die einer wissenschaftlich interessierten Leserschaft lang verwehrte Einblicke in die Geschichte eines deutschen Leitmediums eröffnen, ergibt sich bei der täglichen Zeitungslektüre folgender Befund: Die Namen und Gesichter der FAZ-Gründungsgeneration werden vom Radar der Öffentlichkeit nicht mehr erfasst. Anders als manche Debatte, die nach wie vor mit der FAZ und ihrer über siebzigjährigen Geschichte verbunden wird,1 haben die Journalistinnen und Journalisten den Sprung in das kollektive Gedächtnis nicht geschafft. Dieser Lücke trotzt ein Ort in Hessen, der seit 1989 beharrlich an einen der frühen Hauptakteure erinnert. 50 Kilometer westlich von Frankfurt, am südlichen Rand des Rheingaus, liegt Eltville am Rhein. Wer den alten Leinpfad entlangwandert, der von der benachbarten Gemeinde Walluf nach Eltville führt, und auf der Höhe der Stadt den Blick über die Kurfürstliche Burg streifen lässt, wird fündig: An der Burgmauer prangt eine Gedenktafel, um an drei Herren zu  erinnern, die sich um den Erhalt des Rheinufers bei Eltville verdient gemacht haben.2 Unter ihnen ist einer der Gründungsherausgeber der FAZ, der Journalist Karl Korn, von 1949 bis 1973 verantwortlich für das Feuilleton. Dass Korns Name den Weg aus dem Impressum einer großen Tageszeitung an die Außenfassade der Burgmauer von Eltville fand, basiert auf einer Erfolgsgeschichte, die zunächst keine zu werden versprach. Sie begann in den ausgehenden 1950er Jahren, als das Land Hessen Pläne für eine Umgehungsstraße entwarf. Die Bundesstraße 42, die das Ballungsgebiet Rhein-Main mit Bonn verbindet, führte noch durch den mittelalterlichen Ortskern Eltvilles und war zunehmend überlastet. Um sie umzuleiten, wurden mehrere Szenarien entwickelt, von denen zwei die Oberhand gewannen: den Treidelpfad im Süden zu einer Schnellstraße auszubauen und Eltville vom Fluss abzutrennen oder auf Kosten des Reblandes eine Nordumgehung zu errichten. Die Entscheidung spaltete die Geister. Weil sie um ihre Anbauflächen bangten, sprachen sich viele Winzerinnen und Winzer für die Straßenführung am Rhein aus und wurden 1 Zu den großen Feuilletondebatten (Historikerstreit, „Fassbinder-Kontroverse“ u.  a.) unter den FAZ-Herausgebern Joachim Fest (1973–1993) und Frank Schirrmacher (1994–2014) vgl. Hoeres, Peter: Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ. München / Salzburg 2019, S. 317–355. 2 Eine Fotografie ist über die Plattform Wikimedia Commons abrufbar. Online unter: https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Gedenkplatte_Erich_Kapitzke_Karl_Korn_Edmund_ Gassner_Eltville_am_Rhein.jpg (16.3.2022).

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Einleitung

darin von den Verkehrsministerien in Wiesbaden und Bonn bestärkt. Gegenwehr leistete der „Verein zum Schutz der Eltviller-Wallufer-Rheinlandschaft“, der auf das historische Stadtbild und das als „Rheingauer Riviera“ bekannte Naherholungsgebiet am Fluss verwies. Prominente Unterstützung erhielt die Bürgerinitiative vom Deutschen Rat für Landespflege, von der Professorenschaft aus den Fachbereichen Landschaftsökologie, Städtebau und Landesplanung, von Naturschützerinnen und -schützern und, an entscheidender Stelle, von der Presse.3 Aus diesen Interessenlagen entspann sich in den 1960er und 1970er Jahren eine emotionale Debatte, die bald auch außerhalb des Rheingaus Aufmerksamkeit erregte. Dass „[e]ine hessische Lokalposse“4, so die Süddeutsche Zeitung (SZ), zum Gegenstand des öffentlichen Interesses wurde, ja dass sich Eltville zu einem Symbol für den an Bedeutung gewinnenden Umweltschutz entwickelte,5 war auch das Verdienst der FAZ. Ein Vierteljahrhundert lang machte sich Korn im Feuilleton der Zeitung zum Wortführer gegen die Zerstörung des Fluss- und Uferpanoramas von Eltville. Er verfasste Glossen und Essays, in denen er mit viel Pathos die einzigartige Natur- und Kulturlandschaft skizzierte und wachstumskritisch vor den Kosten bedingungslosen Fortschritts warnte. „Ein Stromufer“, schrieb er 1964, sei „so kostbar wie ein Rembrandt“6. In anderen Artikeln sprach er vom „geistigen Haushalt der Nation“7 oder ging die Verkehrsminister harsch an.8 In Eltville sah Korn einen von vielen „Fälle[n] von Substanzverlust“9. Er war es auch, der das Thema Umweltschutz auf 3 Vgl. Engels, Jens Ivo: Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950–1980. Paderborn u. a. 2006, S. 165– 167; Verein zur Erhaltung des Eltviller Stadtbildes und der Eltviller Rheinuferlandschaft e.  V. (Hg.): Der Fall Eltville. Eine Dokumentation zur jüngeren Geschichte des Rheingaus. Eltville 2014. Für einen Überblick vgl. außerdem Behr, Alfred: Fünfundzwanzig Jahre und noch immer kein Ende? Das Autobahnprojekt von Eltville, eine Zwischenbilanz, in: FAZ vom 11.9.1974, S. 7; Heptner, Bernd Erich: Der Rheingau atmet auf. Eltville – vorerst letzter Akt, in: FAZ vom 18.8.1989, S. 7; Bock, Oliver: Wie die kleine Riviera am Rhein gerettet wurde, in: FAZ vom 16.8.2014, Rhein-Main-Teil, S. 44. 4 Ihlau, Olaf: „In einem Tollhaus baut man nicht“. Der Streit um die Umgehungsstraße für das Rheingaustädtchen Eltville wird selbst das Kabinett beschäftigen, in: SZ vom 29.3.1971, S. 3. 5 Vgl. Kuenheim, Haug von: Proteste – nur Schall und Rauch?, in: Die Zeit vom 9.3.1973, S. 59. 6 Korn, Karl: Nur ein Stückchen Rhein? Appell, das Stromufer bei Eltville zu retten, in: FAZ vom 24.12.1964, BuZ, S. 5. 7 Korn, Karl: Das Patrimonium. Oder: Brauchen wir Geschichte?, in: FAZ vom 24.8.1965, S. 18. Vgl. auch ders.: Bravo, in: FAZ vom 14.4.1965, S. 28. 8 Vgl. u. a. K.K. (= Karl Korn): Köstliches Eltville, in: FAZ vom 12.1.1965, S. 18; ders.: Die am Rhein diktieren. Vierbahnige Autostraße am Ufer von Eltville?, in: FAZ vom 17.10.1966, S. 24. 9 Korn, Karl: Der Fall Eltville. Anmerkungen zu einem offenen Brief, in: FAZ vom 7.10.1970, S. 28.

Einleitung

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die Zeitungsagenda hob.  „Wir müßten wissen“, zitiert ihn das Protokoll der Redaktionskonferenz vom 27. April 1971, „was uns wichtiger sei, neue Industrie, neue Ballungsräume, neue Flughäfen oder der Schutz der Umwelt, und dann müßten wir sagen, in der letzteren stecke der höhere Wert“10. Umwelt, so Korn 1974, bedeute schließlich auch Geschichte und Traditionen, Mauern und Türme, kurz: Kultur.11 Die Frage, wie ökonomische und arbeitsmarktpolitische Interessen mit den Belangen des Landschaftsschutzes in Einklang gebracht werden können, hatte im Feuilleton seit Eltville Konjunktur.12 Und tatsächlich zeichnete sich nach jahrelangem politischen Für und Wider und mehreren Schlussworten13 Korns Mitte der 1970er Jahre ein Erfolg ab. SZ und Zeit hatten sich der Kritik an der Uferstraße Ende der 1960er Jahre angeschlossen und, unter Berufung auf das FAZ-Feuilleton,14 den Druck erhöht.15 1976 wurde der Planfeststellungsbeschluss für die Rheinufer-Linie aufgehoben. Korn, der von den Befürworterinnen und Befürwortern der Nordumgehung immer wieder als ausschlaggebende Schützenhilfe gewürdigt worden war,16 wurde zum Retter Eltvilles ernannt.17 „Karl Korn […] hat uns mit seinen vielen brillanten und ins Grundsätzliche gehenden Artikeln die geistige Ausrichtung gegeben“18, hieß es in der großen Anzeige des „Vereins zum Schutz der Eltviller-Wallufer-Rheinlandschaft“, die im Mai 1976 in der FAZ erschien. 10 Protokoll der Dienstagskonferenz vom 27.4.1971, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen  1.1.1970–31.12.1971. 11 Vgl. Korn, Karl: Was heißt eigentlich Umwelt? Dargetan an dem hessischen Musterfall: Eltville, in: FAZ vom 22.7.1974, S. 15. 12 Vgl. Sturm, Vilma: Die Herrlichkeit Erpel. Keine Alternative für die Trasse einer Bundesstraße?, in: FAZ vom 19.9.1966, S. 20; K.K. (= Karl Korn): Hände weg!, in: FAZ vom 19.10.1966, S. 24; Menck, Clara: Bald gras‘ ich (unter Beton) am Neckar, in: FAZ vom 14.2.1970, BuZ, S. 2. 13 Vgl. etwa K.K. (= Karl Korn): Schlußwort, in: FAZ vom 6.9.1968, S. 32. 14 Vgl. Hachmann, Horst: Todesurteil für eine Landschaft. Wider Demokratie und Vernunft, in: Die Zeit vom 27.9.1968, S.  47; Kuenheim, Haug von: Schwarze Fahnen. Die Rheinuferstraße ist die schlechteste Lösung, in: Die Zeit vom 23.10.1970, S. 19; ders.: Darum bleibt es am Rhein so schön, in: Die Zeit vom 2.4.1976, S. 55. 15 Vgl. Herles, Helmut: An einer Straße scheiden sich die Geister. Seit 20 Jahren zankt man in Eltville am Rhein um neue Trassenführung, in: SZ vom 7.3.1973, S. 36; ders.: Umdenken beim Umgehen einer Stadt. Der jahrelange Protest gegen einen Autobahnbau am Rheinufer von Eltville scheint nun zu wirken, in: SZ vom 26.8.1974, S. 3. 16 Vgl. den Leserbrief von Josefine Fellmer, in: FAZ vom 16.1.1965, S.  12; Leserbrief von Albrecht Prinz von Hohenzollern, in: FAZ vom 31.10.1966, S. 11; Brief von Josef Hölzer an Karl Korn vom 14.11.1966, in: FAZ-Archiv, Eltville I 1966–1968; Brief von Erich Kapitzke an Karl Korn vom 22.5.1967, in: ebd. 17 Vgl. Frisé, Maria: Meine schlesische Familie und ich. Erinnerungen. Berlin 2004, S. 302. 18 Anzeige „Eltville ist gerettet, wir danken!“ des Vereins zum Schutz der Eltville-Wallufer Rheinuferlandschaft e. V., in: FAZ vom 17.5.1976, S. 6.

xiv

Einleitung

„Der längste Streit, der jemals um einen Straßenbau tobte“19, war vorbei. 1989 wurde die Nordtrasse eröffnet, das Rheinufer blieb und Korns Name wanderte zum Dank auf die Burgmauer, wo er bis heute zu finden ist.20 Dass die Debatte um Eltville am Anfang dieser Arbeit steht, liegt nicht daran, dass Erfolgsgeschichten gerne gelesen werden. Sie dient vielmehr als Beispiel, um einige zentrale Gedanken über den Journalisten Korn, das frühe FAZFeuilleton und den Kulturjournalismus im vordigitalen Zeitalter zu skizzieren. So wird an der Diskussion um sieben Kilometer Bundesstraße deutlich, dass sich das Gewicht einer Debatte nicht zwangsläufig an ihrem Gegenstand bemisst. Debatten werden gemacht, sie leben von der Ausdauer und Heterogenität der Debattierenden, die untereinander wiederum Koalitionen und Netzwerke bilden können. In der Causa Eltville kam neben Korn, einigen FAZRedaktionsmitgliedern und Gastautoren auch der hessische Verkehrsminister zu Wort.21 Durch die gegenseitige Bezugnahme der Medien untereinander verlor das Thema auch über weite Strecken nicht an Dynamik. Darüber hinaus lassen sich über Eltville einige Rückschlüsse auf die feuilletonistische Kritik ziehen. Diese Kritik trug idealistische und moralisierende Züge, war wertkonservativ.22 Korn, der dem Rheingau als Ort seiner Kindheit auch ein Buch gewidmet hatte,23 argumentierte mit Werten, die der bürgerlichen, modernitätsskeptischen Heimat- und Naturschutzbewegung nahestanden.24 Zugleich war diese Kritik zweifellos modern. Korn war seiner „vorökologischen“ Zeit 19 MZ (= Monika Zimmermann): Eltville am Ende?, in: FAZ vom 21.1.1987, S. 23. 20 Vgl. Quermann, Renate: Die Retter: Erich Kapitzke – Dr. Karl Korn – Prof Dr. Edmund Gassner. Eine Gedenktafel am Rhein als Ehrung und Mahnung für die Nachwelt, in: Verein zur Erhaltung des Eltviller Stadtbildes und der Eltviller Rheinuferlandschaft e.  V. (Hg.): Der Fall Eltville. Eine Dokumentation zur jüngeren Geschichte des Rheingaus. Eltville 2014, S. 47–55, hier S. 47. 21 Vgl. den Leserbrief von Rudi Arndt, in: FAZ vom 18.5.1967, S. 6. Als Reaktion erschienen u. a. Korn, Karl: Eltville – ein Fall? Oder: Minister Arndts Vernunftlinie, in: FAZ vom 20.5.1967, S. 17–18; Leserbrief von Erich Kapitzke, in: FAZ vom 2.6.1967, S. 11. Aus der Redaktion und ihrem Umfeld vgl. E.B. (= Eduard Beaucamp): Umdenken, in: FAZ vom 20.2.1973, S. 24; Bornheim gen. Schilling, Werner: Das Eltviller Modell, in: FAZ vom 18.1.1975, BuZ, S. 1–2; Sternberger, Dolf: Zu Fuß am Fluß entlang, in: FAZ vom 18.1.1975, BuZ, S. 2. In den Leserbriefspalten erklangen bisweilen auch kritische Töne. Vgl. den Leserbrief von Helmut Witte, in: FAZ vom 22.10.1966, S. 13; Leserbrief von Maria Quitmann, in: FAZ vom 29.10.1966, S. 10. 22 Vgl. Payk, Marcus M.: Der Geist der Demokratie. Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn (= Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 23). München 2008, S. 138. 23 Vgl. Korn, Karl: Die Rheingauer Jahre. Frankfurt am Main 21993. Die erste Fassung wurde 1946 veröffentlicht. 24 Vgl. Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik (2006), S. 12.

Einleitung

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voraus, wenn er die Umwelt als gefährdete Lebensgrundlage beurteilte,25 Natur- und Kulturlandschaften gesetzlich zu schützen empfahl oder wie 1969 kapitalismuskritisch schrieb: Es gilt […] dem öffentlichen Bewußtsein einzuprägen: 1. Unsere Reserven sind aufs Ganze gesehen erschöpft. 2. Neue Erschließungen von Reserven der Natursubstanz müssen durch Kompensation ausgeglichen werden. 3. Jede neue Erschließung muß einem Gesamtplan unterworfen werden […]. Dies durch Instanzen, die über den partikularen Interessen stehen.26

Im Feuilleton der 1960er Jahre klangen also „Themen an, die schon bald auf den Fahnen einer sich links verstehenden Umweltopposition stehen sollten.“27 Das folgende Jahrzehnt markierte den Auftakt für die moderne Umweltschutzbewegung, in deren Folge sich Naturschutzorganisationen, Umweltverbände und 1980 auf Bundesebene „Die Grünen“ gründeten.28 Sie erreichte, was Korn noch als Zukunftsagenda formuliert hatte: „Im öffentlichen Bewußtsein muß der Gedanke Grund  fassen, daß die Erhaltung der Substanz eine moderne Parole ist“29. Und schließlich führt der „Fall Eltville“ anschaulich vor, dass Massenmedien die Realität nicht einfach abbilden. Indem sie auswählen, gewichten, kritisieren und mitunter provozieren, formen sie ihre Gegenwart mit. Durch das geschriebene Wort Einfluss zu nehmen, gehörte neben der Unterrichtung, Aufklärung und all den anderen Funktionen, die in ihrer Gewichtung von Zeitung zu Zeitung und von Ressort30 zu Ressort changierten, zum Anspruch der Arbeit im Feuilleton.31 Dieser Anspruch konnte in der Kritik an einem misslungenen Theaterstück ebenso zum Ausdruck kommen wie in kulturpolitischen Fragen. Anders als in der Zeit und SZ wurde die Debatte in der FAZ nämlich nicht im Politikteil, sondern über weite Strecken im Feuilleton geführt. Eltville markiert in diesem Punkt zugleich das Finale einer Entwicklung, an deren Ende ein 25 Vgl. Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik (2006), S. 21. 26 Korn, Karl: Supermädchen Loreley. Ein Brückenprojekt und ein Beitrag zur Sozialhygiene, in: FAZ vom 28.8.1969, S. 16. 27 Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik (2006), S. 208. 28 Vgl. Kupper, Patrick: Die „1970er Diagnose“. Grundsätzliche Überlegungen zu einem Wendepunkt der Umweltgeschichte, in: AfS 43 (2003), S. 325–348, hier S. 328. 29 Korn, Karl: Supermädchen Loreley. Ein Brückenprojekt und ein Beitrag zur Sozialhygiene, in: FAZ vom 28.8.1969, S. 16. 30 Die Begriffe Feuilleton und (Kultur-)Ressort werden synonym verwendet. Sie bezeichnen den Teil der gedruckten Zeitung, der kulturellen Inhalten vorbehalten ist, können aber auch den dahinterstehenden Redaktionsverband einschließen. Ist von der Redaktion die Rede, sind dagegen explizit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeint. 31 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 23.9.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398.

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FAZ-Feuilleton stand, das bis heute zu den meinungsprägenden Foren der Bundesrepublik zählt. Wie es dazu kam, wird Thema der Arbeit sein. Thema, Fragestellung und Prämissen Als die FAZ am 1. November 1949 zum ersten Mal die Schreibtische, Küchen und Bibliotheken der Bundesrepublik erreichte, war der westdeutsche Staat erst wenige Monate alt. Der verlorene Krieg und der Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ zeigten noch deutliche Spuren, die militärische, politische und moralische Niederlage war in der Städtelandschaft nach wie vor so gegenwärtig wie in den Köpfen der Überlebenden. Materielle und soziale Unsicherheiten, Ängste und Zweifel an der Tragfähigkeit des demokratischen Systems bestimmten die Mentalität bis in die 1950er Jahre hinein.32 Doch seit 1945 wurde wieder diskutiert. Das öffentliche Gespräch erlebte nach zwölf Jahren kultureller Stagnation eine Renaissance: In evangelischen und katholischen Akademien, losen Vereinigungen („Gruppe 47“) und lokalen Gesprächskreisen („Kölner Mittwochsgespräche“) wurden Gegenwartsdiagnosen angestellt und Prognosen abgegeben, Rede und Gegenrede geübt. Philosophen, Literaten und Künstler debattierten vor und mit ihrem Publikum über die Rolle des Geistes im „Wiederaufbau“ und die Kultur einer demokratischen Gesellschaft. Kultur, dieses Konglomerat aus Ideen, Werten und Überlieferungen, war nach der Diktatur und inmitten des Kalten Krieges ein verbindender, aber scheinbar unverfänglicher Gegenstand, um sich über das Wesen der zukünftigen Nation zu verständigen.33 Zu keiner anderen Zeit, schreibt der Historiker Axel Schildt, habe es „eine derart breite und massenmedial vermittelte gesellschafts- und kulturdiagnostische Diskussion als Dauerzustand gegeben“34. An der Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit, in der die großen kulturellen, sozialen und politischen Fragen der Nachkriegszeit, nun wieder mehrperspektivisch, verhandelt wurden, waren die Printmedien maßgeblich beteiligt. Neben dem „Kulturradio“35 und einer Vielzahl an kulturpolitischen 32 Vgl. Schildt, Axel: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er Jahre (=  Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 31). Hamburg 1995, S. 306. 33 Vgl. Jähner, Harald: Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945–1955. Berlin 32019, S. 337; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 100, 216. 34 Schildt, Axel: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre (= Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 4). München 1999, S. 1. 35 Zum Nachkriegsradio vgl. aus ideengeschichtlicher Perspektive Boll, Monika: Nachtprogramm. Intellektuelle Gründungsdebatten in der frühen Bundesrepublik (=  Kommunikationsgeschichte, Bd.  19). Münster 2004; dies.: Kulturradio. Ein Medium intellektueller Selbstverständigung in der frühen Bundesrepublik, in: Bösch, Frank /

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Zeitschriften36 war es vor allem das Feuilleton der auflagenstarken Presse, das Diskussionen aufgriff, sie über die eigenen Kanäle an eine breitere bürgerliche Öffentlichkeit37 vermittelte und neue Impulse setzte.38 Das Zeitungsfeuilleton bildete eine wichtige Nahtstelle zwischen Kultur, Kulturbetrieb und Öffentlichkeit. Hier wurden, möglichst unabhängig, Informationen und Meinungen zusammengetragen, aufbereitet, eingeordnet, gedeutet und kommentiert.39 Nach Provinzialismus, Zensur und Indoktrination bot es sich als Diskursraum ohne Einschränkung dar, verkörperte es Weltläufigkeit, Freiheit und Modernität. „Der Feuilletonist“, so der 1928 geborene Publizist Hermann Glaser, „war die Freiheitsstatue, die uns den Einzug ins gelobte Land geistiger Umwertung signalisierte“40. Das Feuilleton war, das suggeriert Glasers Rückschau, eine Einladung zur Überwindung alten Denkens. Unter den Medienakteuren der Nachkriegszeit nimmt das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen ohne Zweifel einen besonderen Stellenwert ein. Bis heute gilt die FAZ als „Leitmedium“, sprich als Blatt, „dem gesellschaftlich eine Art Leitfunktion zukommt, dem Einfluß auf die Gesellschaft und auf andere Medien beigemessen wird.“41 Manche Stimmen sprechen der Zeitung eine

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Frei, Norbert (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 5). Göttingen 2007, S. 121–144. Zur Zeitschriftenlandschaft der Nachkriegszeit vgl. Wilke, Jürgen: Leitmedien und Zielgruppenorgane, in: ders. (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 361). Bonn 1999, S. 302– 329, insbesondere S. 305–310. In Anlehnung an Christina von Hodenbergs Konzept der politischen Medienöffentlichkeit beschreibt der Begriff Öffentlichkeit die über das FAZ-Feuilleton und andere Medien vermittelte Kommunikation über Gegenstände und Fragen kultureller und kulturpolitischer Art. Vgl. Hodenberg, Christina von: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973 (= Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 12). Göttingen 2006, S. 7. Vgl. Boll: Kulturradio (2007), S. 144. Vgl. Haacke, Wilmont: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts, in: Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung 21 (1976), H. 3, S. 285–312, hier S. 287; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 11, 194; Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 12. Glaser, Hermann: Die Kultur-Boutique der Presse. Das Feuilleton – ein Ding mit Zukunft?, in: Die Zeit vom 16.8.1974, S. 13. Wilke: Leitmedien (1999), S.  302. Ob eine Zeitung als Leitmedium gilt, ist dem Kommunikationswissenschaftler zufolge von mehreren Kriterien abhängig. Ausschlaggebend sind eine hohe Auflagenzahl und Reichweite, eine Leserschaft, die sich aus gesellschaftlichen „Entscheidungsträgern und Angehörigen der Elite“ zusammensetzt, die „Zitierhäufigkeit in anderen Medien“, eine klare publizistische Absicht sowie die Fähigkeit, Themen zu setzen und zu framen. Ebd., S.  302–303. Vgl. darüber hinaus den neueren,

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„monopolistische Macht“42 zu, andere sagen ihr nach, dass das Land ohne sie ein anderes sei.43 Tatsache ist indes, dass die FAZ zu den wenigen Tageszeitungen mit überregionaler Ausstrahlung gehört. Schon 1955, nur sechs Jahre nach ihrer Gründung, unterhielt sie die größte Redaktion unter den deutschen Tageszeitungen.44 Ihre Leserschaft ist in weiten Teilen der politischen, wirtschaftlichen und intellektuellen Führungsschicht zuzurechnen,45 den „Deutungseliten“, wie der Historiker Marcus M. Payk für das Feuilleton feststellt.46 Von ihrer Reichweite und Resonanz im In- und Ausland – kein anderes Blatt werde in Frankreich so oft zitiert, ließ der Schriftsteller Joseph Breitbach Korn 1958 wissen – profitierte freilich auch das Feuilleton,47 dessen Stellenwert in intellektuellen Kreisen verschiedentlich hervorgehoben wurde.48 Die Quellen unterstreichen diesen Status auch für die junge Bundesrepublik. Für den Literaturbetrieb war das Ressort seit den frühen 1950er Jahren eine wichtige Orientierungsmarke. Ob und wie Neuerscheinungen im angeglieder­ ten Literaturblatt besprochen wurden, hatte nach Ansicht vieler Autorinnen und Autoren Einfluss auf die öffentliche Meinung.49 Auch bekannte Philoso­ phen wie Max Horkheimer und Theodor  W.  Adorno maßen dem Feuilleton große Wirkungskraft bei. Es sei ein Ort, so Adorno 1952, an dem ein Journalist wirklich etwas verändern könne.50 Entsprechend bemüht war man, das Ressort

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leicht ergänzten Aufsatz von ders.: Historische und intermediale Entwicklungen von Leitmedien. Journalistische Leitmedien in Konkurrenz zu anderen, in: Müller, Daniela / Ligensa, Annemone / Gendolla, Peter (Hg.): Leitmedien. Konzepte – Relevanz – Geschichte, Bd. 1 (= Medienumbrüche, Bd. 31). Bielefeld 2009, S. 29–52. Mohler, Armin: Vergangenheitsbewältigung ist Gegenwartsmanipulation. Am Beispiel des Falles Karl Korn, in: Criticon. Konservative Zeitschrift 34 (1976), S. 57–62, hier S. 60. Vgl. den Anreißer zu Burkhardt, Kai: Hinter den Artikeln. Entschlüsselungsreiz: 60 Jahre „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, in: Funkkorrespondenz 45 (2009), S. 3–18, hier S. 3. Vgl. Schildt, Axel: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Göttingen 2020, S. 148. Vgl. Wilke: Leitmedien (1999), S. 310. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 217. Vgl. den Brief von Joseph Breitbach an Karl Korn vom 15.1.1958, in: DLA Marbach, A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004. Vgl. Busche, Jürgen: Unsere Zeitung, in: Kursbuch  125 (1996), S.  37–44, hier S.  41, Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 146, 494 sowie aus der Presse etwa Cammann, Alexander: Der neue Chef, in: Die Zeit vom 4.12.2014, S. 59. Vgl. die Briefe von Erich Przywara an Reinhold Schneider vom 27.5.1954 und 23.7.1954, in: Przywara, Erich (Hg.): Briefwechsel Reinhold Schneider Erich Przywara. Zürich 1963, S. 67–72; Brief von Wolfgang Bächler an Robert Held vom 9.11.1964, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, WoB B 332. Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an die FAZ-Schriftleitung vom 25.6.1952, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113.

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als medialen Resonanzraum für sich einzunehmen.51 Bis in die Gegenwart wird die FAZ oft über ihren Politikteil wahrgenommen. Für viele Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Intellektuelle aber war es das Feuilleton, das sie zur Zeitung greifen ließ, weil es als erstklassig, freigeistig und unabhängig galt.52 So teilte die Lyrikerin Hilde Domin dem Ressortchef Hans SchwabFelisch 1960 mit, dass sie das Feuilleton – allerdings nur das Feuilleton – auch an schlechten Tagen stets aufmerksam lese.53 Selbst Kritiker attestierten ihm Gewicht und sammelten engagiert Zeitungsausschnitte.54 Als ein Student seinem Ärger über die Popmusikberichterstattung 1965 Luft machte, war in seinem Leserbrief zu lesen, „daß F.A.Z.-Urteile zum Maßstab anderer Urteile geworden sind. Das  F.A.Z.-lesebeflissene und kulturheischende deutsche Publikum scheint manchmal gar nicht mehr zu eigenem Urteil fähig: ein Film, zum Beispiel, ist erst dann gut, […] wenn die F.A.Z. eine entsprechend positive Kritik veröffentlicht hat. Wen die F.A.Z. verdammt – auf dem trampelt dann Kulturdeutschland herum.“55 Das Ziel der vorliegenden Dissertation kann es nicht sein, die Geschichte des Feuilletons mit all ihren Haupt- und Nebensträngen auszuerzählen. Viele Zweige dieser Geschichte, darunter der Reise-, Architektur- oder Bildjournalismus, gilt es auch weiterhin aus einer historischen Perspektive in den Blick zu nehmen. Sie wurden auf den folgenden Seiten ausgespart, weil sie keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprachen. Die Arbeit erzählt daher nicht die, sondern eine Mediengeschichte des FAZ-Feuilletons von der Gründung 1949 bis in das Jahr 1973. Anders als die meisten Qualifikationsarbeiten verzichtet sie auf einen streng chronologischen Zugriff und beschränkt sich darauf, fünf markante kulturgeschichtliche Themen und ihre Beobachtung, Prägung und Befundung durch das Feuilleton zu analysieren. Anhand des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (1), den politischen, 51

Vgl. den Brief von Max Horkheimer an Helene Rahms vom 26.9.1957, in: UBA Ffm, Na 1, 94 sowie allgemeiner Kernmayer, Hildegard / Jung, Simone: Feuilleton. Interdisziplinäre Annäherungen an ein journalistisch-literarisches Phänomen, in: dies. (Hg.): Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Literatur. Bielefeld 2017, S. 9–30, hier S. 18. 52 Vgl. Baier, Lothar: Kulturlandschaft mit Giftzwergen. Das Feuilleton der ‚Frankfurter Allgemeinen‘  – Geschichte und Gegenwart eines Mythos, in: Reus, Gunter: Ressort: Feuilleton. Kulturjournalismus für Massenmedien (=  Reihe praktischer Journalismus, Bd. 2). Konstanz 1995, S. 226–232, hier S. 226–227. 53 Vgl. den Brief von Hilde Domin an Hans Schwab-Felisch vom 16.3.1960, in: DLA Marbach, A:Domin, Hilde, HS.2007.0002. 54 Vgl. den Brief von Gustav Diehl an Alois Melichar vom 28.11.1959, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM B 105. 55 Leserbrief von Heinz Schilling, in: FAZ vom 23.9.1965, S. 10.

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kulturellen und lebensweltlichen Umbrüchen der Nachkriegszeit (2), der modernen Literatur, Kunst und Musik (3), der „68er“-Bewegung (4) und der Emanzipation (5) sollen sowohl die großen Linien der Berichterstattung als auch zentrale redaktionelle und strukturelle Veränderungen nachgezeichnet, Programm- und Institutionengeschichte verflochten werden. Beides ist ohnehin kaum voneinander zu trennen: Was in der Zeitung Aufsehen erregte, sorgte auch hinter den Kulissen für Bewegung. Die Auswahl ist das Ergebnis intensiven Quellen- und Lektürestudiums. Alle fünf Themen erzählen ein Stück deutsche Kulturgeschichte und spielen in der Zeitung, in der journalistischen Korrespondenz, in den Protokollen der Herausgeber- und Redaktionskonferenzen, in den autobiographischen Zeugnissen ehemaliger Redaktionsmitglieder und in den Zeitzeugengesprächen eine wiederkehrende Rolle. Die Häufigkeit, mit der sie in den Quellen und in der einschlägigen Forschungsliteratur auftauchen, macht sie ebenso zu zeithistorischen Schlüsselthemen wie ihre Anschlussfähigkeit: Sie weisen Schnittstellen auf, überlappen sich teilweise.56 Darüber hinaus wurden die Themen lange und kontrovers diskutiert, was ihre Analyse aus mehreren Gründen aufschlussreich macht. Erstens lassen sich an ihrem Beispiel zentrale Standpunkte herausarbeiten, die zu anderen in Beziehung gesetzt werden können. Aufgrund ihrer anhaltenden Präsenz bieten sie zweitens die Möglichkeit, die Konturen, Prozesshaftigkeit und Widersprüchlichkeit eines tiefgreifenden Wandels in der Geschichte der jungen Bundesrepublik abzubilden,57 der in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre einsetzte und 1973/74 weitgehend abgeschlossen war. Die „langen 1960er Jahre“ gelten in der Forschung als „Scharnierjahrzehnt“, „in dem die bereits im Wiederaufbau der 50er Jahre immer stärker mit modernen Elementen versetzte Gesellschaft […] in einem enormen Tempo die Nachkriegszeit […] hinter sich ließ und Züge einer kulturellen Moderne ausprägte, die unsere Gegenwart nach wie vor zu einem großen Teil bestimmt.“58  In dieser Transformationsphase, die oft mit einem Generationswechsel verbunden wird, veränderten sich die gesellschaftlichen Einstellungen und Werte hin zu mehr Partizipation, Pluralismus und Individualismus.59 Je nach Schwerpunkt und Perspektive, wird sie mit den Narrativen „Demokratisierung“, „Modernisierung“ (präziser für die 1950er Jahre: 56 Vgl. Kiessling, Friedrich: Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 1945–1972. Paderborn 2012, S. 127. 57 Vgl. ebd., S. 129. 58 Schildt, Axel / Siegfried, Detlef / Lammers, Karl Christian: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg 2000, S. 11–20, hier S. 13. 59 Vgl. Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik (2006), S. 18.

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„Modernisierung unter konservativen Auspizien“60), „Westernisierung“ oder „Liberalisierung“ überschrieben.61 Diese Leiterzählungen rahmen den Untersuchungszeitraum der Arbeit, deren Schluss mit dem Ende der „langen 1960er Jahre“ korrespondiert. Die „Strukturbrüche“ im folgenden Jahrzehnt, das Ende der Nachkriegsprosperität, Globalisierung, Digitalisierung und Neoliberalismus, leiteten um die Mitte der 1970er Jahre einen neuen Abschnitt der Zeitgeschichte ein.62 Die Dissertation deckt die Zeitspanne von 1949 bis 1973 ab, erstreckt sich also über das erste Vierteljahrhundert der Zeitungsgeschichte; formative fünfundzwanzig Jahre, in denen die FAZ zum Leitmedium und ihr Feuilleton zum einschlägigen Forum für Kulturkritik aufstiegen. Bestimmt wird dieser Zeitraum auch von der Herausgeberschaft Karl Korns, der bis zu seiner Pensionierung im November 1973 für das Feuilleton verantwortlich war. Dafür spricht nicht nur die gute Quellenlage. Angenommen wird zudem, dass mit Korns Ausscheiden eine Ära des FAZ-Feuilletonjournalismus zu Ende ging. Personalwechsel, neue Themen und ein anderes Klima sorgten dafür, dass der Übergang von Korn zu seinem Nachfolger Joachim Fest als Zäsur empfunden wurde.63 Der Medientheoretiker 60 Zuerst bei Klessmann, Christoph: Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker, in: GG 11 (1985), H. 4, S. 476–494, hier S. 485. 61 Vgl. Doering-Manteuffel, Anselm: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert. Göttingen 1999; Görtemaker, Manfred: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart. München 1999; Herbert, Ulrich: Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: ders. (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980 (=  Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 1). Göttingen 2002, S. 7–49; Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960. Bielefeld 2007; Schildt: Moderne Zeiten (1995); ders. / Sywottek, Arnold (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre. Bonn 21998; ders.: Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen, in: Bajohr, Frank u. a. (Hg.): Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Göttingen 2016, S. 15–26. Aus der Soziologie vgl. etwa Berger, Johannes: Was behauptet die Modernisierungstheorie wirklich – und was wird ihr bloß unterstellt?, in: Leviathan 24 (1996), H. 1, S. 45–62. 62 Vgl. dazu u. a. Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. Göttingen 32012, Reitmayer, Morten  / Schlemmer, Thomas (Hg.): Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom (= Zeitgeschichte im Gespräch, Bd. 17). München 2014 sowie jüngst aus globaler Perspektive Bösch, Frank: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann. München 2019. 63 Vgl. die Gespräche mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg und mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt.

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Harry Pross vertrat später sogar die Ansicht, dass mit dem Tod von Publizisten wie Korn, Walter Dirks (Frankfurter Hefte) oder Hans Paeschke (Merkur) ein ganzes Zeitalter vorübergegangen sei. Der Journalismus dieser „Gründergeneration“ habe sich durch eine gesunde „Distanz zu den Themen und das Engagement für den Dialog“ ausgezeichnet, durch „Diagnostik und Polarität“64, schrieb er 1991 in der Zeit. Die Dissertation orientiert sich an mehreren – basalen – Leitfragen, die erstmals ein mediengeschichtliches Panorama des frühen FAZ-Feuilletons entwerfen sollen. Am Beispiel der herausgegriffenen Themenfelder fragt sie erstens nach den Merkmalen und Spezifika des Ressorts. Welche Grundpositionen vertrat es und inwiefern lässt sich daraus eine Agenda ableiten? Welches Selbstverständnis, welche Motive lagen der redaktionellen Arbeit im Feuilleton zugrunde? Daran schließt sich zweitens die Frage nach seiner Rolle und Funktion innerhalb der FAZ, nach der „organisationalen Identität“65 an, die für die Redaktion aus noch darzustellenden Gründen eine größere Rolle spielte als für die Politik- und Wirtschaftsredaktion. Wo also kann das Feuilleton in der Binnenarchitektur der Zeitung verortet werden? Und was bedeutete diese Ordnung für die interne Dynamik? Der dritte Fragenkomplex dreht sich schließlich um die Bedeutungen und Funktionen des Feuilletons für die Nachkriegsöffentlichkeit. Es geht also um die Wechselbeziehungen zwischen der FAZ, dem Kulturbetrieb, der Wissenschaft und anderen Medien. Wie sahen diese Beziehungen aus? Wo fand Kooperation, wo Beeinflussung, wo Abgrenzung statt? In den Antworten liegen wichtige Bausteine für die wissenschaftliche Durchdringung von Leitmedien, ihren Funktionen und

64 Pross, Harry: Kultur haben! Ein Zeitschriftenreport, in: Die Zeit vom 8.11.1991, S. 52. Andere Stimmen bewerteten die Jahre 1973/74 als Umbruch, weil sich der Kulturjournalismus grundlegend in Frage zu stellen begonnen habe. Vgl. Zimmer, Dieter Eduard: Die eigene Sache. Warum der Feuilletonjournalismus sich selbst unter die Lupe nehmen sollte, in: Die Zeit vom 16.8.1974, S. 13. Ähnlich auch bei Glaser, Hermann: Die Kultur-Boutique der Presse. Das Feuilleton – ein Ding mit Zukunft?, in: Die Zeit vom 16.8.1974, S. 13. 65 Als „organisationale Identität” (englisch „organizational identity”) gilt in der Organisationstheorie „that which members believe to be central, enduring, and distinctive about their organization“, sprich „core values, organizational culture, mode of performance, and products.” Albert, Stuart / Whetten, David A.: Organizational Identity, in: Research in Organizational Behaviour 7 (1985), S. 263–295, hier S. 265. Während organisationale Identität die Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf eine Organisation widerspiegelt, beschreibt die Corporate Identity die durch die Führungsebene bestimmte und gesteuerte Unternehmensidentität. Vgl. Vogel, Kathrin: Corporate Style. Stil und Identität in der Unternehmenskommunikation (=  Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation, Bd. 17). Wiesbaden 2012, S. 109–111.

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Funktionsweisen, die mit Blick auf die bundesdeutschen Printmedien noch lange nicht abgeschlossen ist. Der Erfolg des FAZ-Feuilletons beruhte auf mehreren Eigenschaften, von denen die Dissertation eine besonders stark machen will: die Absicht, sich einzumischen. Als Aushandlungsfeld der gesellschaftlichen Selbstverständigung war das Feuilleton an den maßgeblichen öffentlichen Debatten der 1950er, 1960er und frühen 1970er Jahre beteiligt, sei es an der schwierigen Frage nach einem adäquaten Umgang mit dem Nationalsozialismus, den intellektuellen Reflexionen über „Massenkultur“ und Verwestlichung oder den hitzigen Diskussionen um die Kunst der Moderne, „1968“ und die Gleichstellung der Geschlechter. Dennoch wird der Begriff „Debattenfeuilleton“ in der Regel nur auf das FAZ-Feuilleton unter Joachim Fest (1973–1993) oder Frank Schirrmacher (1994–2014) angewandt und mit großen Kontroversen wie dem Historikerstreit verbunden.66 Er beschreibt ein post-literarisches, streitbares und politisches Zeitungsfeuilleton, das Diskussionen medial inszeniert.67 Anders als seinen Vorgängern wird dem Debattenfeuilleton die Eigenschaft zugeschrieben, „selbst Themen zu setzen und nicht einfach nur, wie noch im klassischen Rezensionsfeuilleton, […] auf die vom Kulturbetrieb vorgegebenen Themen zu reagieren.“68 Schirrmacher selbst gab 2006 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sogar an, Fest habe das eigentliche Feuilleton überhaupt erst erfunden, das es zuvor nur „unter dem Strich“ im Politikteil der Zeitung gegeben habe. Debatten seien bis dahin vor allem in Zeitschriften ausgetragen worden.69 Doch weder das debattierende noch das politische Feuilleton waren Erfindungen von Fest oder Schirrmacher. Schon das frühe FAZ-Feuilleton, so die zentrale Hypothese dieser Arbeit, war ein Ort der Rede und Gegenrede, ein Debattenort, an dem Themen und Ereignisse nicht nur vermittelt wurden, sondern auch entstanden.70 Der Titel „Kultur im Widerstreit“ greift diese Hypothese auf. Verstanden als beständige diskursive Auseinandersetzung mit konkurrierenden Meinungen, Ideen, Kräften und Entwürfen, bildet der 66 Vgl. Hachmeister, Lutz: Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik. München 2007, S.  183, 191–192; Lüddemann, Stefan: Kulturjournalismus. Medien, Themen, Praktiken (= Kunst- und Kulturmanagement). Wiesbaden 2015, S. 67. 67 Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 18–19; Bonfadelli, Heinz: Kulturberichterstattung im Wandel, in: ders. u.  a. (Hg.): Seismographische Funktion von Öffentlichkeit im Wandel (= Mediensymposium Luzern, Bd. 10). Wiesbaden 2008, S. 300–319, hier S. 300. 68 Lüddemann: Kulturjournalismus (2015), S. 67. 69 Vgl. das Interview von Dina Netz mit Frank Schirrmacher vom 12.9.2006, online unter: https://www.deutschlandfunk.de/schirrmacher-fest-hat-hitler-entdaemonisiert-100.html (25.3.2022). 70 Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 19.

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Widerstreit ein Leitmotiv, das alle Ebenen der Dissertation vom Selbstverständnis der Redaktion über die Zeitungsarchitektur bis zu den Inhalten und Debatten im Blatt berührt. Im Sinne der modernen Mediengeschichte tritt das Feuilleton also nicht als chronikartige Quelle für historische Entwicklungen auf, sondern als Medienakteur mit spezifischen Interessen und Logiken.71 Spätestens seit Niklas Luhmanns „Die Realität der Massenmedien“72 (1995) hat sich die These durchgesetzt, dass Massenmedien die Wirklichkeit nicht speichern und spiegelnd vermitteln, sondern konstituieren.73 Gesellschaftliche Prozesse werden in ihnen nicht abgebildet, sondern interpretiert und mitgeprägt.74 Das verweist auf die Medialität der Geschichte, hat aber auch Folgen für die Mediengeschichtsschreibung, also für den Zweig der Mediengeschichte, der sich traditionell mit der Historizität von Medien beschäftigt.75 Wenn Massenmedien keine seismographische Funktion erfüllen, wenn sie keinen isolierten Beobachtungsposten bekleiden, von dem aus sie reflexartig auf Impulse ihrer Umwelt reagieren, dann werden sie zu handlungsfähigen Akteuren mit eigenen Werten, Zielen

71 Vgl. Bösch, Frank / Vowinckel, Annette: Mediengeschichte, in: Bösch, Frank / Danyel, Jürgen (Hg.): Zeitgeschichte – Konzepte und Methoden. Göttingen 2012, S. 370–390, hier S. 375. Ähnlich auch Bösch, Frank: Zeitungen als historischer Gegenstand. Gesellschaftsgeschichtliche Zugänge, in: Kuchler, Christian / Städter, Benjamin (Hg.): Zeitungen von gestern für das Lernen von morgen? Historische Tagespresse im Geschichtsunterricht. Göttingen 2016, S. 15–30, hier S. 16. Anders etwa noch bei Ebel, Walter: Das Feuilleton einer Tageszeitung als Spiegel der kulturellen und politischen Verhältnisse einer Zeit. Dargestellt am Feuilleton der „Kölnischen Volkszeitung“ während des Krieges 1914–1918 (= Unveröffentlichte Inaugural-Dissertation). München 1953. 72 Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien (= Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften). Wiesbaden 52017. 73 Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Endlich Klartext. Medientheorie und Geschichte, in: Hacke, Jens / Pohlig, Matthias (Hg.): Theorie in der Geschichtswissenschaft. Einblicke in die Praxis des historischen Forschens (= Eigene und fremde Welten, Bd. 7). Frankfurt am Main 2009, S. 181–198, hier S. 183. 74 Vgl. Requate, Jörg: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: GG 25 (1999), H. 1, S. 5–32, hier S. 9. 75 Vgl. die gleichnamigen Aufsätze von Crivellari, Fabio / Sandl, Marcus: Die Medialität der Geschichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaften, in: HZ  277 (2003), S.  619–654; Crivellari, Fabio u. a.: Einleitung: Die Medialität der Geschichte und die Historizität der Medien, in: ders. u. a. (Hg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive (= Historische Kulturwissenschaft, Bd. 4). Konstanz 2004, S. 9–45.

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und Ressourcen, die sich selbst als Akteure verstehen und von anderen als solche wahrgenommen werden.76 Die Agenda-Setting-Theorie der kommunikationswissenschaftlichen Medienwirkungsforschung greift diese Prämisse auf.77 Sie basiert auf der Annahme, dass Massenmedien durch die Auswahl der Themen, die Häufigkeit und die Intensität, mit der bestimmte Themen (und andere nicht) behandelt werden, die Präsentation und den vorgegebenen Interpretationsrahmen mitentscheiden, was in der Öffentlichkeit als wichtig erachtet wird; dass die Medienagenda also starken Einfluss auf die Publikumsagenda hat.78 Die Dissertation kann die Wirkung der Feuilletonberichterstattung zwar nur in wenigen Fällen konkret bestimmen, weil dafür die entsprechenden Quellen fehlen. Sie kann ihr Augenmerk aber auf das vorgelagerte Agenda-Building richten.79 Warum wurde im Feuilleton wie über welche kulturell und gesellschaftlich relevanten Themen berichtet? Wie wurden Ereignisse und Narrative erschaffen?80 Diese Fragen lenken den Blick von den Medienwirkungen auf die Medieninhalte und -logiken, die Arbeitsweisen, die Akteurinnen und Akteure und auf die Spannungsfelder, in denen Medien agieren.81 Dass die modernen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts massenmedial durchdrungen sind, dass sich gesellschaftliche Teilsysteme wie die Politik an Medienlogiken ausgerichtet, sich medialisiert haben, steht außer Frage.82 76 Vgl. Reinemann, Carsten: Subjektiv rationale Akteure: Das Potenzial handlungstheoretischer Erklärungen für die Journalismusforschung, in: Hanitzsch, Thomas / Altmeppen, Klaus-Dieter  / Schlüter, Carsten (Hg.): Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden 2007, S. 47–67, hier S. 53. 77 Zur Grundlegung des Ansatzes vgl. Rössler, Patrick: The Agenda-Setting Function of Mass Media von Maxwell E. McCombs und Donald L. Shaw (1972), in: Potthoff, Matthias (Hg.): Schlüsselwerke der Medienwirkungsforschung. Wiesbaden 2016, S. 121–133. 78 Vgl. Bonfadelli: Kulturberichterstattung im Wandel (2008), S. 303–304; Gleich, Uli: Agenda Setting in der digitalen Medienwelt. Evolution eines Ansatzes der Medienwirkungsforschung, in: Media Perspektiven 3 (2019), S. 126–140, hier S. 126. Einen kompakten Überblick bietet Rössler, Patrick: Agenda-Setting, in: Weischenberg, Siegfried / Kleinsteuber, Hans  J. / Pörksen, Bernhard (Hg.): Handbuch Journalismus und Medien (= Praktischer Journalismus, Bd. 60). Konstanz 2005, S. 11–13. 79 Vgl. Raupp, Juliana / Vogelgesang, Jens: Medienresonanzanalyse. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Wiesbaden 2009, S. 50–51. 80 Vgl. Bösch, Frank: Mediengeschichte im 20. Jahrhundert. Neue Forschungen und Perspektiven, in: NPL 52 (2007), H. 3, S. 409–429, hier S. 429; Gleich: Agenda Setting in der digitalen Medienwelt (2019), S. 127. 81 Vgl. Requate: Öffentlichkeit und Medien (1999), S. 9. 82 Vgl. Bösch, Frank / Frei, Norbert: Die Ambivalenz der Medialisierung. Eine Einführung, in: dies. (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert (=  Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 5). Göttingen 2006, S. 7–23, hier S. 9; Daniel, Ute / Schildt, Axel: Einleitung, in: dies. (Hg.): Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts

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Die Entstehung und Ausdifferenzierung von Massenmedien und medialen Öffentlichkeiten gilt als zentraler Prozess vor allem der westlichen Moderne und hatte starke Auswirkungen auf ganze Gesellschaftsbereiche.83 Auch die FAZ bewegte sich nicht im luftleeren Raum. Aus den Beziehungen zu Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Wissenschaft ergaben sich Wechselwirkungen von unterschiedlicher Quantität und Qualität, die es zu beschreiben gilt (Interaktion, Kommunikation, Abhängigkeit, Konkurrenz). Dafür verzichtet die quellengeleitete, induktiv angelegte Dissertation auf große Journalismustheorien.84 Obwohl das Systemdenken gerade in den Sozialwissenschaften populär ist,85 erweist sich etwa die Systemtheorie nach Luhmann als kaum operationalisierbar, ohne mit ihrer Erkenntnislogik zu brechen oder die Theorie zur Metapher herabzusetzen. Anders als bei Luhmann, dessen Forschungen auf dem System-Umwelt-Paradigma beruhen,86 handelt diese Arbeit auch von Subjekten, von Meinungen, Geschmäckern, Geschlechtern und Lebenswegen.87 Stattdessen die „redaktionelle Gesamtleistung“ zu analysieren, würde

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(=  Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, Bd. 77). Köln / Weimar / Wien 2010, S. 9–32, hier S. 9. Als Massenmedien definieren Daniel und Schildt „Medien, die sich in massenhafter Verbreitung an ein disperses Publikum wenden“. Vgl. Meyen, Michael: Medialisierung, in: Medien & Kommunikationswissenschaft  57 (2009), H. 1, S. 23–38, hier S. 23–25. Eine Übersicht über die gängigen Journalismustheorien bieten Hanitzsch, Thomas  / Altmeppen, Klaus-Dieter (Hg.): Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden 2007 und Löffelholz, Martin (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden 22004. Der Kommunikationsforscher Manfred Rühl hat Ende der 1960er Jahre am Beispiel einer Nürnberger Zeitung erstmals einen empirischen Blick auf „Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System“ geworfen und die Funktionen der Redaktion für ihre Umwelt untersucht. Er betrachtet die Redaktionsmitglieder als Rollenträgerinnen und -träger, die Redaktion als Ort redaktionellen Handelns. Vgl. Rühl, Manfred: Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System (= Gesellschaft und Kommunikation, Bd. 1). Bielefeld 1969, S. 13–15, 37–38. Vgl. Löffelholz, Martin: Theorien des Journalismus. Eine historische, metatheoretische und synoptische Einführung, in: ders. (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden 22004, S. 17–63, hier S. 53. Vgl. Dovifat, Emil / Wilke, Jürgen: Zeitungslehre, Bd. 2: Redaktion, die Sparten, Verlag und Vertrieb, Wirtschaft und Technik, Sicherung der öffentlichen Aufgabe (= Sammlung Göschen, Bd. 2091). Berlin / New York 61976, S. 12; Hanitzsch, Thomas / Altmeppen, Klaus-Dieter / Schlüter, Carsten: Zur Einführung: Die Journalismustheorie und das Treffen der Generationen, in: dies. (Hg.): Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden 2007, S. 7–23, hier S. 9–10.

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bedeuten, „Varianten des ‚Qualitätsjournalismus‘ aus[zuklammern], die man nur an Subjekten, Personen, Individuen ausmachen kann.“88 Die Dissertation versteht sich als Beitrag zur Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts und ist als solcher weder system- noch akteurszentriert. Sie verfolgt einen integrativen Ansatz, der sowohl die Medieninhalte als auch die Redaktion, die institutionellen Kontexte, den „Apparat“, in den Blick nimmt,89 um die Rolle des Feuilletons in der Nachkriegsöffentlichkeit und die an das Ressort gekoppelten Bedeutungen zu erfassen.90 Wie komplex Massenmedien sind, hat der Kommunikationsforscher Siegfried Weischenberg am Modell einer Zwiebel skizziert. Wer sich mit Journalismus beschäftigt, sollte demnach nicht nur seine Akteure und die Medienaussagen berücksichtigen, sondern auch die gesellschaftlichen Institutionen und Mediensysteme.91 In einem anderen Kontext hat auch Wolfgang Donsbach das mediale Beziehungsgeflecht dargelegt. Der Kommunikationswissenschaftler ermittelte vier Faktoren, die auf die Entstehung von Medieninhalten einwirken.92 Neben der „SubjektSphäre“ (Aufgabenverständnis, Einstellungen, Publikumsvorstellung) führt er die „Professions-Sphäre“ (Ausbildung, Ethos, Rollenverständnis, Standards), die „Institutions-Sphäre“ (innere Pressefreiheit, Technik, Redaktionslinie) und die „Gesellschafts-Sphäre“ (Pressefreiheit, politische Kultur, Netzwerke) an.93 In konzeptioneller Anlehnung an diese Modelle gilt es auch auf den nächsten Seiten, „der Geschichte der Massenmedien in ihren jeweiligen historischen Kontexten nachzuspüren“94.

88 Hömberg, Walter: Journalismus – eine Kulturleistung? Die journalistische Persönlichkeit wird wiederentdeckt, in: Duchkowitsch, Wolfgang u. a. (Hg.): Journalistische Persönlichkeit. Fall und Aufstieg eines Phänomens. Köln 2009, S. 43–52, hier S. 46. 89 Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 25. 90 Vgl. Bösch / Frei: Die Ambivalenz der Medialisierung (2006), S. 15–16. 91 Vgl. Weischenberg, Siegfried: Journalistik. Medienkommunikation: Theorie und Praxis, Bd.  1: Mediensysteme  – Medienethik  – Medieninstitutionen. Wiesbaden 32004, S. 69–71. 92 Vgl. Donsbach, Wolfgang: Journalismusforschung in der Bundesrepublik: Offene Fragen trotz „Forschungsboom“, in: Wilke, Jürgen (Hg.): Zwischenbilanz der Journalistenausbildung (=  Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 14). München 1987, S. 105–142, hier S. 111. 93 Vgl. ebd., S. 113. 94 Daniel / Schildt: Einleitung (2010), S. 23.

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Forschung und Quellen Obwohl sich die Mediengeschichte seit der Jahrtausendwende als populäres Forschungsgebiet erweist,95 zählen archivgestützte Arbeiten zu den großen deutschen Tageszeitungen weiterhin zu den Raritäten der zeitgeschichtlichen Forschung.96 Dieser Befund galt viele Jahre lang auch für die FAZ, die zwar

95 Vgl. aus den Geschichtswissenschaften Behringer, Wolfgang / Havelka, Miloš / Reinholdt, Katharina (Hg.): Mediale Konstruktionen in der frühen Neuzeit (= Studien zur Mediengeschichte, Bd.  1). Affalterbach 2013; Bösch, Frank  / Borutta, Marcel (Hg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne. Frankfurt am Main 2006; Bösch, Frank / Frei, Norbert (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert (=  Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd.  5). Göttingen 2006; Bösch, Frank: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen. Frankfurt am Main 22019; Daniel, Ute  / Schildt, Axel (Hg.): Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, Bd.  77). Köln  / Weimar  / Wien 2010; Daniel, Ute: Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert. Hamburg 2018; Führer, Karl Christian: Medienmetropole Hamburg. Mediale Öffentlichkeiten 1930–1960 (= Forum Zeitgeschichte, Bd. 20). München  / Hamburg 2008; Hodenberg: Konsens und Krise (2006); Hoppe, Nicole: Bilder in der Tagespresse. Die „Saarbrücker Zeitung“ und die FAZ im Vergleich (1955– 2005) (= Studien zur Mediengeschichte, Bd. 2). Korb 2007; Lehn, Marcel vom: Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle? Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45–60) (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 206). Göttingen 2012; Lindenberger, Thomas (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen (= Zeithistorische Studien, Bd. 33). Köln / Weimar / Wien 2006. Eine junge Symbiose von Medien- und Intellektuellengeschichte erschien im letzten Jahr aus der Feder von Schildt: Medien-Intellektuelle (2020). Zur Mediengeschichte als zeitgeschichtliches Forschungsfeld vgl. Bösch / Vowinckel: Mediengeschichte (2012). 96 Bei den vorliegenden Monographien und Sammelbänden handelt es sich überwiegend um literaturwissenschaftliche Arbeiten, Eigenpublikationen und journalistische Darstellungen. Vgl. Harbou, Knud von: Als Deutschland seine Seele retten wollte. Die Süddeutsche Zeitung in den Gründerjahren nach 1945. München 2015; Janssen, Karl-Heinz / Kuenheim, Haug von  / Sommer, Theo: Die Zeit. Geschichte einer Wochenzeitung 1946 bis heute. München 2006; Magenau, Jörg: Die taz. Eine Zeitung als Lebensform. München 2007; Prüver, Christina: Willy Haas und das Feuilleton der Tageszeitung „Die Welt“ (=  Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft, Bd.  614). Würzburg 2007. Aus der Zeitgeschichtsforschung liegen nur Kruip, Gudrun: Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags. Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen (=  Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd.  3). München 1999, Payk: Der Geist der Demokratie (2008) sowie Schildt, Axel  / Haase, Christian (Hg.): DIE ZEIT und die Bonner Republik. Eine meinungsbildende Wochenzeitung zwischen Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 43). Göttingen 2008 vor. Zur Schweizer Neuen Zürcher Zeitung vgl. Maissen, Thomas: Die Geschichte der NZZ 1780–2005. Zürich 2005.

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in verschiedenen Fachdisziplinen als serielle Quelle herhalten musste,97 aber kaum je selbst zum Forschungsobjekt wurde. Bevor 2016 in Würzburg das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt „Geschichte eines Leitmediums. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung von ihrer Gründung 1949 bis zur Gegenwart“ unter der Leitung von Peter Hoeres begann, fiel der Forschungsstand zur Geschichte der FAZ mehr als unbefriedigend aus: Das überschaubare Forschungsinteresse, das vermutlich mit der schwierigen Quellenlage korrespondierte, richtete sich auf die Gründungsgeschichte und die Anfangsjahre der Zeitung.98 Einige Jahre später muss diese Einschätzung revidiert werden. Mittlerweile liegen zwei Dissertationen und eine Gesamtdarstellung vor, eine Geschichte des Politikteils wird folgen.99 Maximilian Kutzner hat in „Marktwirtschaft schreiben. Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1949 bis 1992“100 (2019) den Wirtschaftsteil in den Blick genommen und dabei vor allem die spannungsreichen Wechselbeziehungen zwischen dem Wirtschaftsressort und Wirtschaft, Wissenschaft und Politik herausgearbeitet. Kutzner konnte zeigen, dass die Zeitung das Bundeswirtschaftsministerium und Zweige der Industrie und Wissenschaft mit Erfolg 97

Den Quellenwert von Zeitungen stellte Wilhelm Mommsen schon 1951 heraus. Mommsen, Wilhelm: Die Zeitung als Quelle der modernen Geschichtswissenschaft, in: Ester, Karl d‘ / Remy, Ewald W. (Hg.): Der Journalist. Das Handbuch für den Publizisten, Bd. 1. Gießen / Berlin / München 1951, S. 103–110. 98 Vgl. Blasche, Siegfried: Die Gründungen der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947 e.V. und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1949). Vortrag am 20. Oktober 2004 in den Räumen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Online unter: https://www.wipog. de/veranstaltungen/vortragsmanuskripte/ (16.3.2022); Pufendorf, Astrid von: Otto Klepper (1888–1957). Deutscher Patriot und Weltbürger (=  Studien zur Zeitgeschichte, Bd.  54). München 1997; Siering, Friedemann: Zeitung für Deutschland. Die Gründergeneration der „Frankfurter Allgemeinen“, in: ders. / Hachmeister, Lutz (Hg.): Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945. München 2002, S. 35–86. 99 Die Dissertation von Frederic Schulz trägt den Titel „Am Webstuhl der Zeit – Das Politikressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1949 bis1982“. 100 Kutzner, Maximilian: Marktwirtschaft schreiben. Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949 bis 1992 (= Medienakteure der Moderne, Bd. 1). Tübingen 2019. Zuvor erschienen bereits ders.: Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und die Medialisierung der Wirtschaftspolitik in den 1950er Jahren, in: VSWG 101 (2014), H. 4, S. 488–499; ders.: Ludwig Erhard und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik  143 (2016), S.  31–37; ders.: Der Salamander Generaldirektor und das Frankfurter Weltblatt – Alex Haffner und die frühen Jahre der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in: Kornwestheimer Geschichtsblätter 26 (2016), S. 37–45; ders.: Vom „Fluch der Unterbelastung“ zur „Last der reifen Jahre“. Die Wertewandel-Debatte in der bundesdeutschen Presse zwischen 1950 und 1990, in: Dietz, Bernhard / Neuheiser, Jörg (Hg.): Wertewandel in der Wirtschaft und Arbeitswelt. Arbeit, Leistung und Führung in den 1970er und 1980er Jahren. Berlin / Boston 2017, S. 207–238.

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für die Bedeutung massenmedialer Öffentlichkeiten sensibilisierte.101 Seine quellengesättigte Studie macht außerdem deutlich, warum es sich lohnt, eine Geschichte der FAZ mehrperspektivisch anzugehen: weil Politik, Wirtschaft und das Feuilleton, drei Ressorts, die aus ganz unterschiedlichen Materien speisen, weitgehend autonom arbeiteten, mehr Eigenleben als Unternehmenskultur entwickelten. Dem ersten Wirtschaftsherausgeber hat sich Christina Schäfer in der Biographie „Erich Welter – Der Mann hinter der F.A.Z.“102 (2019)  angenommen. Ihre Dissertation betont die zentrale Rolle Welters für den Aufstieg der FAZ, indem sie die vielfältigen Netzwerke des ordoliberalen Journalisten und Wirtschaftswissenschaftlers herausstellt. Mit dem knapp sechshundertseitigen Opus „Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ“103 (2019) liegt außerdem erstmals die Geschichte einer überregionalen deutschen Tageszeitung und eine profunde Geschichte der FAZ aus der Feder eines Historikers vor, die bis an die Gegenwart heranreicht. Hoeres zeichnet in seinem Buch die großen Linien der Zeitungsgeschichte nach, bettet sie in das historische Panorama der alten Bundesrepublik ein und gelangt zu einer schillernden Gesamtschau auf siebzig Jahre Zeit- und Zeitungsgeschichte. Die großen FAZ-Paradigmen werden ebenso beleuchtet wie die zentralen Medienumbrüche und das institutionalisierte Konfliktpotential zwischen Politik, Wirtschaft und Feuilleton. Allen drei Studien ist gemein, dass sie sich nicht auf die Analyse der Berichterstattung beschränken, sondern auch das Personal und die Organisationsstrukturen hinter der Zeitung in den Blick nehmen. Sie bilden daher eine wichtige Grundlage der vorliegenden Arbeit, ohne die eine hinreichend kontextualisierte Geschichte des FAZ-Feuilletons kaum denkbar gewesen wäre. 101 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 317–318. 102 Schäfer, Christina: Erich Welter. Der Mann hinter der F.A.Z. Würzburg 2019. Online unter: https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/frontdoor/index/index/docId/19211 (26.3.2022). 103 Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019). 2015 lotete Hoeres erstmals die Potentiale einer FAZ-Geschichte aus, vgl. ders.: Geschichte eines Leitmediums für Wirtschaft, Politik und Public History. Medienhistorische Überlegungen zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in: gfh  8 (2015), H.  2, S.  14–27. Seitdem erschienen ders.: Neoliberalismus und Soziale Marktwirtschaft in der FAZ. Vom Ordoliberalismus bis zu den Reformen Thatchers und Reagans, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 29 (2017), S. 265–282; ders.: Die „Prawda der Bourgeoisie“. Die FAZ als neues konservatives Leitmedium?, in: Gallus, Alexander / Liebold, Sebastian  / Schale, Frank (Hg.): Vermessungen einer Intellectual History der frühen Bundesrepublik. Göttingen 2020, S.  351–369. Auch in ältere Studien fand die FAZ Eingang, vgl. ders.: Außenpolitik und Öffentlichkeit. Massenmedien, Meinungsforschung und Arkanpolitik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen von Erhard bis Brandt (= Studien zur Internationalen Geschichte, Bd. 32). München 2013; ders.: Von der „Tendenzwende“ zur „geistig-moralischen Wende“. Konstruktion und Kritik konservativer Signaturen in den 1970er und 1980er Jahren, in: VfZ 61 (2013), S. 93–119.

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Weitere Anknüpfungsmöglichkeiten bieten Publikationen aus der Feuilletonforschung.104 Bevor sich in den 1980er Jahren ein reges literaturwissenschaftliches Interesse begründete, war es vor allem die Zeitungs- und Publizistikwissenschaft, die sich mit der Geschichte des Feuilletons beschäftigte.105 Aus ihren Reihen stammen neben Arbeiten zur Frühgeschichte die lange als Grundlagenwerk geltende Überblicksdarstellung „Das deutsche Feuilleton. Ein Beitrag zur Zeitungskunde“106 (1931) von Hans Jessen und Ernst Meunier sowie Wilmont Haackes dreibändiges „Handbuch des Feuilletons“107 (1951–1953).108 Beide bieten neben einer großen Bibliographie eine nützliche Systematik, sind aber mit Vorbehalt zu genießen. Erstens sind sie in großen Teilen präskriptiv.109 Zweitens basiert Haackes Handbuch auf einer 1943 veröffentlichten Habilitationsschrift, die antisemitische und nationalsozialistische Passagen enthält. Für die Neuauflage wurden diese Abschnitte zwar verändert oder gestrichen, Episoden etwa der Feuilletongeschichte im „Dritten Reich“ blieben jedoch ausgespart oder wurden verfälscht.110 Drittens, und hierin unterscheidet sich die zeitungs- und literaturwissenschaftliche Feuilletonforschung 104 Für eine Übersicht über die Gegenstände, Methoden und Perspektiven der Feuilletonforschung vgl. die Berichte von Kauffmann, Kai: Zur derzeitigen Situation der Feuilleton-Forschung, in: ders. / Schütz, Erhard (Hg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin 2000, S. 10–24; Kernmayer, Hildegard / Reibnitz, Barbara von  / Schütz, Erhard: Perspektiven der Feuilletonforschung. Vorwort, in: ZfGerm NF 22 (2012), H. 3, S. 494–508. 105 Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 20. 106 Meunier, Ernst / Jessen, Hans: Das deutsche Feuilleton. Ein Beitrag zur Zeitungskunde (=  Zeitung und Zeit. Fortschritte der internationalen Zeitungsforschung, Bd.  2). Berlin 1931. 107 Haacke, Wilmont: Handbuch des Feuilletons, Bd.  1–3. Emsdetten 1951–1953. Vgl. auch ders.: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts (1976). 108 Als zwei von vielen Beispielen vgl. Ebel: Das Feuilleton (1953) und die Dissertationsschrift des späteren FAZ-Reiseredakteurs Wagner, Friedrich: Der Kulturteil der Breslauer Zeitungen von der Aufklärung bis zum Vormärz. Gesellschaft und Kunstleben der schlesischen Hauptstadt im Spiegel der Tagespresse (= Zeitung und Leben, Bd. 56). Würzburg 1938. Zum Feuilleton des 19. Jahrhunderts vgl. außerdem Vogt, Michael (Hg.): Georg Weerth und das Feuilleton der „Neuen Rheinischen Zeitung“. Kolloquium zum 175. Geburtstag am 14./15. Februar 1997 in Detmold (= Vormärz-Studien, Bd. 2). Bielefeld 1999. 109 Vgl. Schütz, Erhard: Unterm Strich. Über Grenzverläufe des klassischen Feuilletons, in: Kernmayer, Hildegard / Jung, Simone (Hg.): Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Literatur. Bielefeld 2017, S. 31–50, hier S. 32. 110 Vgl. Braun, Bettina: „Der neue Feuilletonist in Deutschland marschiert auf der Straße mit“. Die Konzeption einer ‚deutschen‘ Textgattung in der zeitungswissenschaftlichen Forschung Wilmont Haackes, in: Kernmayer, Hildegard / Jung, Simone (Hg.): Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Literatur. Bielefeld 2017, S. 79–104; Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 20.

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vom mediengeschichtlichen Ansatz dieser Arbeit, tritt das Feuilleton in erster Linie als Gattung auf. Als Zeitungsressort wird es dagegen eher stiefmütterlich behandelt.111 In der literaturwissenschaftlichen Feuilletonforschung, die bis in die jüngste Zeit grundlegende Aufsätze und Einführungen zum Begriff, zum Quellencharakter und zur Geschichte des Feuilletons hervorgebracht hat,112 war in der Vergangenheit vor allem das Weimarer Feuilleton Thema.113 Mit der Frankfurter Zeitung (FZ) hat sich die Germanistin Almut Todorow in mehreren Aufsätzen und in der Habilitationsschrift „Das Feuilleton der ‚Frankfurter Zeitung‘ in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung“114 (1996) beschäftigt. Anhand der Zeitungsjahrgänge 1919 und 1929, die in Kleinarbeit zusammengetragen wurden (das FZ-Archiv wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört)115, arbeitet sie die rhetorischen Strategien und das Selbstverständnis der Feuilletonredaktion heraus. Anders als viele Forschende vor und nach ihr, begreift sie „das Feuilleton als konstitutiven Teil

111 Zum Feuilletonbegriff vgl. das Kapitel „Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die Frankfurter Allgemeine“. 112 Vgl. Jäger, Georg: Das Zeitungsfeuilleton als literaturwissenschaftliche Quelle. Probleme und Perspektiven seiner Erschließung, in: Martens, Wolfgang (Hg.): Bibliographische Probleme im Zeichen eines erweiterten Literaturbegriffs. Zweites Kolloquium zur bibliographischen Lage in der germanistischen Literaturwissenschaft (=  Mitteilung der Kommission für Germanistische Forschung, Bd. 4). Weinheim 1988, S. 53–71; Kauffmann, Kai / Schütz, Erhard (Hg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin 2000; Kernmayer, Hildegard: Feuilleton. Eine medienhistorische Revision seiner Entstehungsgeschichte, in: ZfGerm, NF  28 (2018), H.  1, S.  131–136. Aus der Linguistik vgl. Speck, Sabine: Textsorten und Textsortenvarianten im Kulturteil der Tageszeitung ‚Der Tagesspiegel‘ und der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ (=  Berliner Sprachwissenschaftliche Studien, Bd. 31). Berlin 2016. 113 Vgl. Binert, Michael: Die eingebildete Metropole. Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik. Stuttgart 1992; Wildenhahn, Barbara: Feuilleton zwischen den Kriegen. Die Form der Kritik und ihre Theorie. München 2008. Der Kölnischen Zeitung im „Dritten Reich“ hat sich Oelze, Klaus-Dieter: Das Feuilleton der Kölnischen Zeitung im Dritten Reich (= Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 45). Frankfurt am Main u. a. 1990 angenommen. Vgl. außerdem aus den Kulturwissenschaften Rautenstrauch, Eike: Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik. Zur Kulturkritik in den Kurzessays von Joseph Roth, Bernard von Brentano und Siegfried Kracauer (= Mainzer Historische Kulturwissenschaften). Bielefeld 2016, S. 82–90. 114 Todorow, Almut: Das Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“ in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung (= Rhetorik-Forschungen, Bd. 8). Tübingen 1996. 115 Vgl. Stalder, Helmut: Siegfried Kracauer. Das journalistische Werk in der ‚Frankfurter Zeitung‘ 1921–1933. Würzburg 2003, S. 84.

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eines Massenmediums“116. Der Fokus bleibt gleichwohl ein sprach- und literaturwissenschaftlicher, ihr Ausgangspunkt die Frage nach den „inhaltlichen und organisatorischen Bedingungen“117 der Textproduktion. Für die Feuilletonforschung ist dieser Schwerpunkt symptomatisch. Die institutionellen Strukturen der betrachteten Medien bleiben in den meisten Studien ausgeklammert. Das Gros der Publikationen konzentriert sich auf herausragende Persönlichkeiten und deren Vermächtnis,118 auf einzelne Sparten und Genres,119 oder auf sprachwissenschaftliche Fragen.120 Ein besonderes Desiderat bildet die Geschichte des Feuilletons seit 1945. Weder die Germanistik noch die Geschichtswissenschaft hat sich ihr bislang systematisch angenommen. Sieht man von Hoeres‘ Gesamtdarstellung zur Geschichte der FAZ und einer noch zu diskutierenden Dissertationsschrift von Marcus M. Payk ab, gilt mit wenigen Einschränkungen nach wie vor, was Todorow bereits 1988 bemängelte: Es „fehlen […] notwendige Grundlagenkenntnisse über das Feuilleton, seine Geschichte und seine charakteristischen Ausprägungen, […] presse-historiographische Untersuchungen generell.“121 Neben den praxisnahen Handbüchern zum Feuilletonjournalismus aus den 1990er und 2000er Jahren,122 der ein oder anderen Publikation aus der Journalistik 116 Todorow, Almut: Das Feuilleton der Frankfurter Zeitung während der Weimarer Republik. Quellenerschließung als Grundlage qualitativer Medienforschung, in: Historical Research 21 (1996), H. 2, S. 143–147, hier S. 144. 117 Todorow, Almut: „Wollten die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen?“ Die Feuilletonkonzeption der Frankfurter Zeitung während der Weimarer Republik im redaktionellen Selbstverständnis, in: DVjs  62 (1988), H.  4, S.  697–740, hier S.  698. Vgl. außerdem dies.: Das Feuilleton im medialen Wandel der Tageszeitung im 20. Jahrhundert. Konzeptionelle und methodische Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlichen Feuilletonforschung, in: Kauffmann, Kai  / Schütz, Erhard (Hg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin 2000, S. 25–39. 118 Vgl. Später, Jörg: Siegfried Kracauer. Eine Biographie. Berlin 2016; Stalder: Siegfried Kracauer (2003). 119 Vgl. Enderle-Ristori, Michaela: Markt und intellektuelles Kräftefeld. Literaturkritik im Feuilleton von „Pariser Tageblatt“ und „Pariser Tageszeitung“ (1933–1940) (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 57). Tübingen 1997; Petersen, Günther: Feuilleton und öffentliche Meinung. Zur Theorie einer Literaturgattung im Kontext mit ihrem Resonanzfeld (= Studien zu Theorie und Praxis der Public Relations, Bd. 35). Wiesbaden 1992. 120 Vgl. Betz, Sabina: Textsortenwandel in Theaterkritiken – untersucht an der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung von 1950 bis 2010 (=  Würzburger elektronische sprachwissenschaftliche Arbeiten, Bd. 18). Würzburg 2017. 121 Todorow: „Wollten die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen?“ (1988), S. 699. 122 Vgl. Hess, Dieter: Kulturjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis. München / Leipzig 1992; Lüddemann: Kulturjournalismus (2015); Reus, Gunter: Ressort:

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und den Kulturwissenschaften, die meistens quantitativ und eher gegenwartsorientiert angelegt sind,123 und einer (journalistischen) Bestandsaufnahme124 zum Feuilleton im 21. Jahrhundert liegen bis heute nur zwei Studien zum Nachkriegsfeuilleton vor: Sabine Rollbergs schlanke Dissertation über das Feuilleton der Neuen Zeitung,125 die in Anbetracht der Quellenlage erstaunlich hypothesenfreudig ist, und Christina Prüvers literaturwissenschaftliche Arbeit „Willy Haas und das Feuilleton der Tageszeitung ‚Die Welt‘“126 (2007). Prüver, die dafür zahlreiche Zeitungsartikel, Korrespondenzen, Akten aus dem Unternehmensarchiv und Interviews ausgewertet hat, beschäftigt sich am Beispiel des emigrierten Publizisten Haas mit der Bedeutung des Welt-Feuilletons für die kulturelle Entwicklung nach 1945. Sie kommt zu einem nüchternen Fazit: Das Ressort habe zwar eine wichtige Informations- und Brückenfunktion erfüllt. Sein Beitrag zum geistigen „Wiederaufbau“ sei in Anbetracht der eingeschränkten Themenauswahl, des fehlenden Interesses an Debatten und der NS-Belastung (Haas freilich ausgenommen) ansonsten jedoch nicht besonders hoch einzuschätzen.127 Über das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen ist damit noch nichts gesagt, historische Vergleiche blieben bislang aus. Auch in den wenigen älteren Publikationen zur Geschichte der FAZ spielt das Kulturressort eine untergeordnete Rolle. Friedemann Siering, der sich in seinem 2002 erschienenen Aufsatz „Zeitung für Deutschland. Die Gründergeneration der ‚Frankfurter Allgemeinen‘“128 erstmals mit der NS-Vergangenheit der frühen FAZ beschäftigte, widmet sich zwar der Biographie Karl Korns, schenkt dem Feuilleton darüber Feuilleton. Kulturjournalismus für Massenmedien (=  Reihe praktischer Journalismus, Bd. 2). Konstanz 1995; Stegert, Gernot: Feuilleton für alle. Strategien im Kulturjournalismus der Presse (= Medien in Forschung und Unterricht, Bd. 48). Tübingen 1998. 123 Vgl. Madej, Adrian: Deutsche Identitätsdebatte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach der Wende 1989 mit besonderer Berücksichtigung des Feuilletons (= Dissertationes Inaugurales Selectae, Bd.  81). Dresden / Wroclaw 2016; Reus, Gunter / Harden, Lars: Politische „Kultur“. Eine Längsschnittanalyse des Zeitungsfeuilletons von 1983 bis 2003, in: Publizistik  50 (2005), S.  153–172; Theobalt, Cora Anna: Der geforderte Seismograph. Das Feuilleton als Orientierungsratgeber in den stürmischen Zeiten von Krisen und gesellschaftlichem Wandel (= Aktuell. Studien zum Journalismus, Bd. 16). Dortmund 2019. 124 Vgl. Steinfeld, Thomas (Hg.): Was vom Tage bleibt. Das Feuilleton und die Zukunft der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland. Frankfurt am Main 2004. 125 Vgl. Rollberg, Sabine: Von der Wiederauferstehung des deutschen Geistes. Eine Analyse des Feuilletons der Neuen Zeitung 1945–1949 (= Unveröffentlichte Inaugural-Dissertation). Freiburg 1981. 126 Prüver: Willy Haas (2007). 127 Vgl. ebd., S. 222–223. 128 Siering: Zeitung für Deutschland (2002).

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hinaus aber keine Aufmerksamkeit. Auch Rolf Martin Korda behandelt das Ressort in seinem Aufsatz „Für Bürgertum und Business“129 (1980) nur behutsam. Umso größer ist das Gewicht der doppelbiographischen Studie „Der Geist der Demokratie. Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik“130 (2008). Darin untersucht Marcus M. Payk die Dynamiken der intellektuellen politischen Kultur anhand der Lebenswege, Einstellungen und publizistischen Programme Karl Korns und Peter de Mendelssohns (Der Tagesspiegel, Die Welt).131 Payk unternimmt „eine Sondierung durch das Zeitalter der Ideologien, durch persönliche wie weltgeschichtliche Konflikte“132, um die Leiterzählungen über die alte Bundesrepublik auf den Prüfstand zu stellen.133 Er beschreibt dabei auch die formativen Jahre des FAZ-Feuilletons, die von Korns Einsatz für die literarische Avantgarde ebenso geprägt waren wie von kulturkritischen Vorbehalten gegenüber der modernen westlichen Zivilisation. Payks Ansatz ist akteurszentriert: Mediengeschichtliche Entwicklungen werden meist an Korns Person gekoppelt, dessen Veröffentlichungen und Korrespondenz die Quellengrundlage bilden. Das Feuilleton ist aus dieser Sicht vor allem Resonanzraum biographisch geprägter Ideengeschichte und Basis intellektueller Existenz.134 Payks Dissertation bildet eine wichtige Grundlage, weil sie Auskunft über den Journalisten Korn, die Etappen seines Werdegangs und die intellektuellen 129 Korda, Rolf Martin: Für Bürgertum und Business. Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, in: Thomas, Michael Wolf (Hg.): Porträts der deutschen Presse. Politik und Profit. Berlin 1980, S. 81–96. 130 Payk: Der Geist der Demokratie (2008). 131 Vgl. darüber hinaus Payk, Marcus M.: Der „Amerikakomplex“. „Massendemokratie“ und Kulturkritik am Beispiel von Karl Korn und dem Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in den fünfziger Jahren, in: ders.  / Bauerkämper, Arnd  / Jarausch, Konrad  H. (Hg.): Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970. Göttingen 2005, S.  190–217; ders.: Deutsche Visionen eines amerikanisierten Faust. Die Vereinigten Staaten im deutschen Feuilleton der 1950er Jahre, in: Vogt, Jochen / Stephan, Alexander (Hg.): Das Amerika der Autoren. Von Kafka bis 09/11. München 2006, S. 209–232; ders.: Opportunismus, Kritik und Selbstbehauptung. Der Journalist Karl Korn zwischen den dreißiger und den sechziger Jahren, in: Gallus, Alexander  / Schildt, Axel (Hg.): Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und 1930 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 48). Göttingen 2011, S. 147–163. 132 Gallus, Alexander: Vier Möglichkeiten, die Intellectual History der Bundesrepublik zu ergründen. Überlegungen zur Erschließung eines Forschungsfeldes, in: Bajohr, Frank u. a. (Hg.): Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Göttingen 2016, S. 287–300, hier S. 290. 133 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 359. 134 Vgl. Gallus: Vier Möglichkeiten, die Intellectual History der Bundesrepublik zu ergründen (2016), S. 295.

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Orientierungsprozesse nach 1945 gibt. Wichtige Ereignisse und Entwicklungen wie die Konflikte um Korns Tätigkeit im „Dritten Reich“, die auch von Hoeres und Schildt aufgearbeitet wurden,135 sind bekannt und erleichterten die Recherchen enorm. Das gilt auch für den Antagonismus zwischen Korn und Friedrich Sieburg oder die Auseinandersetzung mit umstrittenen Geistesgrößen wie Gottfried Benn, Ernst Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger.136 Nichtsdestotrotz ist die Geschichte des Feuilletons damit noch nicht auserzählt. Als Herausgeber nahm Korn zweifelsfrei eine besondere Stellung ein. Neben ihm gab es aber noch andere Akteurinnen und Akteure, deren Bedeutung bislang unterbelichtet blieb, neben den genannten Themen andere, die ausgespart wurden. So sind weder die Biographien der übrigen Redaktionsmitglieder noch ihr Umgang mit dem Nationalsozialismus erforscht. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Literatur-, Kunst- und Musikkritik steht ebenso aus wie ein Blick auf „1968“. Auch die Geschlechterverhältnisse und das medial vermittelte Frauenbild harren weiterhin der wissenschaftlichen Analyse. Eine mediengeschichtliche Rahmung des Feuilletons, die nicht nur weitere Personen, Themen und Quellen berücksichtigt, sondern zudem die spezifische Konstitution des Massenmediums FAZ in den Blick nimmt, verspricht also neue Einblicke in die Frühgeschichte des Ressorts. Dies scheint auch in Anbetracht des Umstandes, dass über die Zeitung nur wenige differenzierte Urteile kursieren, überfällig. Zeitungen werden oft als homogen wahrgenommen.137 Selbst die treuen Leserinnen und Leser arbeiten sich selten bis zur letzten Seite durch das Blatt und wissen wenig über die inneren Strukturen und Funktionsweisen. Während SZ und Zeit dem linksliberalen Medienspektrum zugeordnet werden, gilt die FAZ als „Forum der konservativen Politik“ oder „der deutschen Industrie“138. Sogar in den Selbstbeschreibungen wird die Zeitung bisweilen pauschal im rechtsliberal-konservativ-großbürgerlichen Spektrum verortet.139 Welches Profil einer Zeitung zugeschrieben wird, hängt also vor allem mit ihrer politischen und wirtschaftlichen Ausrichtung zusammen, nicht mit ihrem Kulturteil, der selten explizit erwähnt wird. Ist das doch der Fall, so 135 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  80–90; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 315–327; Schildt, Axel: Im Visier: Die NS-Vergangenheit westdeutscher Intellektueller. Die Enthüllungskampagne von Kurt Ziesel in der Ära Adenauer, in: VfZ 64 (2016), S. 37–68. 136 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 172–184; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 194–218, 348–350. 137 Vgl. Maissen: Die Geschichte der NZZ (2005), S. 9. 138 Anreißer zu Burkhardt: Hinter den Artikeln (2009), S.  3. Ähnlich auch Korda: Für Bürgertum und Business (1980), S. 81. 139 Vgl. Henkels, Walter: Die Lage war immer so ernst. Ein Chronist erinnert sich. Düsseldorf / Wien 21982, S. 244.

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wird das FAZ-Feuilleton in der Regel als linksliberales Kontrastprogramm und Korrektiv beschrieben.140 In Texten über Korn entsteht das Bild eines liberalen, gemäßigt linken Feuilletons,141 dessen Einfluss auf das „geistige“ Deutschland ebenso so hoch zu veranschlagen wäre wie der des Politikteils auf das politische. Auch diese dichotomischen Zuschreibungen sollen hinterfragt, das Verhältnis zwischen Politik, Wirtschaft und Feuilleton einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Journalistische Arbeit vollzieht sich zu einem beträchtlichen Teil über die Textproduktion. Journalistinnen und Journalisten schreiben, um die Seiten der nächsten Ausgabe zu füllen und die Leserschaft über das Gesehene, Gehörte oder Gelesene zu unterrichten. Sie schreiben, um mit ihrem Umfeld zu kommunizieren, Aufgaben zu delegieren, Informationen einzuholen und Konflikte auszutragen. Sie schreiben, um Diskussionspunkte, Entscheidungen oder strukturelle Einschnitte zu dokumentieren. Einige schreiben sogar dann noch, wenn sie von dieser Pflicht längst entbunden sind, um ihre Erinnerungen an das tägliche Schreiben festzuhalten. Diese vier Textkorpora, die Feuilletonberichterstattung, die Redaktions- und die private Korrespondenz, die Protokolle der Herausgeber- und Redaktionskonferenzen und die Erinnerungsliteratur, bilden die Quellengrundlage dieser Arbeit. Aus ihrer Verknüpfung ergeben sich nicht nur positive Synergieeffekte, sondern auch die Möglichkeit, einzelne Perspektiven zurechtzurücken. Während die Berichterstattung mit einem kostenpflichtigen Zugang jederzeit über das digitale Zeitungsarchiv abgerufen werden kann, handelt es sich bei der Korrespondenz um Archivgut. Ein Teil der überlieferten Korrespondenz liegt in den Nachlässen ehemaliger Journalistinnen und Journalisten, ein anderer in den Vor- und Nachlässen von Personen des öffentlichen Lebens aus dem Umfeld der FAZ, so im Nachlass Max Horkheimers und im Vorlass von Jürgen Habermas im Universitätsarchiv Frankfurt (UBA Ffm), im Nachlass von Jürgen Eggebrecht in der Münchner Monacensia, im Theodor  W.  Adorno Archiv in Frankfurt (TWAA) und im Heinrich-Böll-Archiv in Köln (HBA).142 Von den Herausgebern hat Welter mit Abstand die größte Sammlung an Redaktionskorrespondenz hinterlassen. 140 Vgl. Baier: Kulturlandschaft mit Giftzwergen (1995), S. 226–227; Korda: Für Bürgertum und Business (1980), S. 93–94. 141 Vgl. Kaiser, Joachim: Karl Korns Macht und Ruhm. Zum  75. Geburtstag eines großen Feuilletonisten, in: SZ vom 20.5.1983, S.  12; Rühle, Günther: Hüben und drüben. Karl Korn zum Achtzigsten, in: Die Zeit vom 20.5.1988, S. 62; Kaiser, Joachim: Eine KämpferNatur. Karl Korn starb 83jährig, in: SZ vom 12.8.1991, S. 25; Greiner, Ulrich: Voller Zorn und voller Liebe – Zum Tod von Karl Korn, in: Die Zeit vom 16.8.1991, S. 40. 142 Welche Archive besucht, welche Bestände und Quellen gesichtet wurden, geht aus der Aufstellung im Anhang der Arbeit hervor.

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Sein im Bundesarchiv Koblenz (BArch) verwahrter Nachlass umfasst zahlreiche Briefe, die neben dem Zeitungsgeschehen und den Belangen der Wirtschaftsredaktion auch das Feuilleton zum Inhalt haben.143 Welters Nachlass ist nicht nur dank seines enormen Umfangs von Bedeutung. Die darin enthaltene Korrespondenz zwischen Welter, Korn und den Mitgliedern der Feuilletonredaktion gibt darüber hinaus einzigartige Einblicke in die FAZ-Binnenstrukturen, die über andere Quellen nur schwer greifbar sind. Sie sind auch darum schwer greifbar, weil Korn seiner Nachwelt keinen Nachlass vermacht hat. Aus seinem Besitz stammt nur ein kleines Konvolut aus Briefen, Manuskripten und Zeitungsausschnitten, das im Deutschen Literaturarchiv (DLA) in Marbach liegt.144 Dort wird auch der Nachlass Sieburgs verwahrt, der an seinem Wohnsitz in Gärtringen sowohl mit dem Kollegium als auch mit Autorinnen und Autoren rege korrespondierte.145 Dass eine Geschichte des Feuilletons ohne Nachlass des verantwortlichen Herausgebers auskommen muss, ist ungünstig, aber kein Desaster. Denn erfreulicherweise kann diese Lücke durch mehrere Parallelüberlieferungen kompensiert werden. Ersatz bietet zum einen die Korrespondenz mit Ernst Niekisch aus dem Nachlass des Politikers und Schriftstellers im Bundesarchiv.146 Sie erstreckt sich von 1947 bis in die 1960er Jahre und gibt Aufschluss über Korns philosophisch-politische Gedankenwelt.147 Dank der freundlichen Genehmigung durch die Familie Korn wurde außerdem die Korrespondenz mit Margret Boveri erstmals gesichtet, die sich in ihrem Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin –  Preußischer Kulturbesitz (PSB) befindet. Sie umfasst mehr als fünfhundert Briefe aus vier Jahrzehnten und wurde von Korn noch zu Lebzeiten gesperrt.148 Der Briefwechsel ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert. Ungewöhnlich dicht und ohne große Unterbrechung erstreckt er sich über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten (1935 bis 1974) und deckt damit wesentliche Kapitel der Journalismusgeschichte im 20. Jahrhundert ab: von der gemeinsamen Volontärszeit am Berliner Tageblatt (BT), Korns Arbeit für Die Neue Rundschau 143 Vgl. den NL Erich Welter, BArch Koblenz, N 1314. 144 Vgl. die Bestände A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, H:Korn, Karl und Z:Korn, Karl ‚1908–1991‘. 145 Über seine Tätigkeit als Leiter des FAZ-Literaturblattes gibt vor allem das Konvolut A: Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ Aufschluss, das allein mehr als 1282 Handschriftendatensätze umfasst. 146 Vgl. den NL Ernst Niekisch, BArch Koblenz, N 1280. 147 Der Briefwechsel wurde bereits von Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 106–107 ausgewertet. 148 Vgl. den NL Margret Boveri 920, PSB Berlin. Zum Briefwechsel zwischen Korn und Boveri vgl. auch Narz, Roxanne: Es herrscht die Stickluft der Inquisition. Widerstand durch Mitarbeit: Das Feuilleton dieser Zeitung im Spiegel der Briefe seines ersten Herausgebers Karl Korn an Margret Boveri, in: FAZ vom 5.7.2018, S. 14.

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und das Reich und Boveris Anfänge bei der FZ über die Orientierungsphase in der Nachkriegszeit bis hin zu Korns Einstieg in die FAZ, für die auch Boveri schrieb. Beide gehörten in der Presselandschaft der 1950er und 1960er Jahre zur Grundausstattung und waren sich eng verbunden. Anders als Niekisch, mit dem Korn vor allem den geistigen Austausch suchte, war die vernetzte Boveri Vertraute, Kritikerin und Beraterin in einer Person. In schonungsloser Offenheit wandte sich Korn an seine Briefpartnerin, um Meinungen einzuholen, markante Ereignisse in der Medien- und Kulturbranche zu besprechen und dem Ärger über die Zeitung Luft zu machen. Boveri war dafür nicht nur deshalb eine ideale Ansprechperson, weil sie als Leserin und ständige Mitarbeiterin bestens mit ihr vertraut war, sondern auch, weil sie für Kritik überaus empfänglich war: Da ihr politisches Urteil nicht gefragt war, sah sich die Publizistin dazu verdammt, ihre Mitarbeit in der FAZ auf das Feuilleton zu beschränken.149 Im Unterschied zur täglichen Redaktionspost zeichnet sich die Korrespondenz also durch die Vertrautheit und Freimütigkeit der Briefpartner auch in inoffiziellen Angelegenheiten aus. Sie gewährt tiefe Einblicke in Korns Selbstverständnis, seine Konzeption von Feuilletonjournalismus und zeitungsinterne Konstellationen und Dynamiken. Daneben gilt es die autobiographischen Erinnerungen von Karl Heinz Bohrer, Maria Frisé, Helene Rahms und Vilma Sturm, den Austausch mit Eduard Beaucamp, Frisé, Günther Rühle, Dieter Hildebrandt und Dietrich Ratzke und die Korrespondenz des Feuilletonstabs zu berücksichtigen.150 Letztere befindet sich in den Nachlässen Hans Heinz Stuckenschmidts im Archiv der Akademie der Künste, Hans Schwab-Felischs im Rheinischen Literaturarchiv (RLA) und Hilde Spiels im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (LIT). Einen weiteren wichtigen Baustein bilden die Protokolle der Herausgeber- und Redaktionskonferenzen, die der DFG-Projektgruppe im alten Redaktionssitz in Frankfurt erstmals gebündelt vorgelegt wurden. Die Beschlussprotokolle der meist wöchentlich abgehaltenen Herausgebersitzungen und die ab den 1960er 149 Vgl. den Brief von Erich Welter an Margret Boveri vom 30.1.1956, in: PSB, NL Margret Boveri 556, Mappe 2; Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 23.6.1956, in: ebd., NL Margret Boveri 920, Mappe 2; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 27.8.1956, in: ebd., Mappe 5. 150 Vgl. Bohrer, Karl Heinz: Jetzt. Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie. Berlin 2017; Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004); Rahms, Helene: Die Clique. Journalistenleben in der Nachkriegszeit. Bern  / München  / Wien 1999; Sturm, Vilma: Barfuß auf Asphalt. Ein unordentlicher Lebenslauf. Köln 1981. Zum Quellencharakter journalistischer Autobiographien vgl. Wilke, Jürgen: Autobiografien als Mittel der Journalismusforschung. Quellenkritische und methodologische Überlegungen, in: ders.: Von der frühen Zeitung zur Medialisierung. Gesammelte Studien III (=  Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 62). Bremen 2011, S. 395–417.

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Jahren überlieferten Redaktionskonferenzprotokolle aus dem Archiv der FAZ bieten komprimierte Inhaltsangaben des Besprochenen und dokumentieren in reduzierter Komplexität dominante Themen und wichtige administrativpersonelle Zäsuren.151 Methodisches Vorgehen Die Geschichte einer Zeitung zu erforschen, gestaltet sich heute einfacher denn je, zumindest, was die technisch-methodische Seite eines solchen Forschungsvorhabens betrifft. Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, Medieninhalte systematisch zu sichten, ohne einzelne Ausgaben von Anfang bis Ende durchblättern oder aber größere Lücken in Kauf nehmen zu müssen. Neben dem Spiegel, der SZ und der Zeit hat auch die FAZ ein digitales Volltextarchiv, das fast alle der seit 1949 erschienenen Artikel samt der jeweiligen Zeitungsausgabe in der Originalansicht versammelt und durchsuchbar macht.152 Allein für das Feuilleton bedeutetet das im Untersuchungszeitraum von 1949 bis 1973: rund 57.000 Beiträge aus dem Tagesfeuilleton, 19.000 aus der Beilage „Bilder und Zeiten“ und weitere Tausende aus dem Reiseblatt, „Natur und Wissenschaft“ und den literarischen Sonderbeilagen. Um diese Datenmenge handhaben zu können, wurde die Recherche strukturiert und eingegrenzt. Sie orientierte sich an markanten Personen, Themen, Begriffen und Ereignissen (Debatten, Jahrestage, Neuerscheinungen, politische und kulturelle Zäsuren), die von Kapitel zu Kapitel variierten. Die Suchbegriffe leiteten sich aus dem Archivgut und der

151 Die Protokolle der Herausgeberkonferenzen wurden von den Vorsitzenden der Herausgeberkonferenz angefertigt und bei Einspruch nachträglich korrigiert. 152 Auch die digitale Volltext-Suche hat freilich Mängel. Da ausschließlich der redaktionelle Teil der FAZ retrodigitalisiert wurde, kann nicht auf alle Werbeanzeigen und Annoncen zurückgegriffen werden. Inwiefern Buchbesprechungen mit Verlagsanzeigen einhergingen, kann aus diesem Grund nicht abschließend geklärt werden. Auch die Sonderausgaben des FAZ-Literaturblattes zu Weihnachten und zur Frankfurter Buchmesse, die auf der Titelseite angekündigt wurden, stehen im Digitalarchiv größtenteils nicht zur Verfügung, bisweilen fehlt auch die Wochenendbeilage „Bilder und Zeiten“, so etwa in den Ausgaben vom 17. und 24. Juli 1965. Zu beachten gilt ferner, dass sich bei der Retrodigitalisierung kleine Fehler in den Textkorpus eingeschlichen haben, sodass Suchanfragen zum Teil ergebnislos bleiben. Sucht man etwa nach Jürgen Eggebrechts Gedichtband „Schwalbensturz“, wird man zunächst nicht fündig, weil das „c“ als „e“ übertragen und gespeichert wurde („Sehwalbensturz“). In diesen Fällen empfiehlt es sich, die Suche zu verändern, also nach den Autorinnen und Autoren zu suchen oder das Zeitfenster stark einzugrenzen. Rudolf Stöber hat in der Historischen Zeitschrift (HZ) außerdem darauf hingewiesen, dass das Archiv für die 1970er Jahre einen schweren Bug aufweist. Vgl. Stöber, Rudolf: Rezension zu Hoeres, Peter: Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ. Elsbethen 2019, in: HZ 311 (2020), S. 552–554, hier S. 554.

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einschlägigen Forschungsliteratur zur Kulturgeschichte153 der Bundesrepublik ab. Sie wurden im Verlauf der Recherche erweitert oder leicht modifiziert.154 Die Auswertung der auf diesem Weg zustande gekommenen Artikelauswahl wie der schriftlichen Quellen insgesamt speist sich aus dem klassischen Methodenarsenal der Geschichtswissenschaft und folgt der historischen Methode (Heuristik, Quellenkritik, hermeneutisch-interpretierende Analyse). Wo möglich und wichtig, wird die Berichterstattung punktuell dem Spiegel, der Zeit und SZ gegenübergestellt, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Im siebten Kapitel wurde das qualitative Verfahren probeweise durch ein quantitatives ergänzt. Bei der sogenannten „systematischen Zufallsauswahl“155 handelt es sich um ein gängiges Verfahren aus der empirischen Kommunikationsforschung, bei dem aus einer Grundgesamtheit (etwa alle Ausgaben des FAZ-Feuilletons) jedes „n-te“ Element gezogen wird (z. B. jede siebzehnte Ausgabe dieses Feuilletons). Die so zustande gekommene Teilmenge ergibt, so die Theorie, ein verkleinertes, aber strukturgleiches Abbild der Gesamtmenge und lässt – gepaart mit einer Inhaltsanalyse – längerfristige Schlüsse über die 153 Vgl. Agazzi, Elena / Schütz, Erhard (Hg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin  / Boston 2013; Benz, Wolfgang (Hg.): Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  4: Kultur. Frankfurt am Main 1989; Bollenbeck, Georg / Kaiser, Gerhard (Hg.): Die janusköpfigen 50er Jahre. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik III. Wiesbaden 2000; Faulstich, Werner (Hg.): Die Kultur der 50er Jahre (=  Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts). München 2002; ders. (Hg.): Die Kultur der 60er Jahre (= Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts). München 2003; ders. (Hg.): Die Kultur der 70er Jahre (= Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts). München 2004; Glaser, Hermann: Kleine Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945–1989. München  / Wien 1991; Hermand, Jost: Deutsche Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Darmstadt 2006; Hodenberg: Konsens und Krise (2006); Koch: Modernisierung als Amerikanisierung (2007); Schildt  / Sywottek: Modernisierung im Wiederaufbau (1993); Schildt: Moderne Zeiten (1995); Schildt / Siegfried / Lammers: Dynamische Zeiten (2000); Schildt, Axel / Siegfried, Detlef: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart. München 2009. 154 Ein Beispiel soll das Vorgehen veranschaulichen: Im Kapitel „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“ kamen u. a. die folgenden Suchbegriffe zur Anwendung: „Karl Korn“ (Kürzel „K.K.“), „Herbert Nette“ (Kürzel „Nt.“), „José Ortega  y Gasset“, „Wolfgang Koeppen“, „Helmut Schelsky“, „Johannes R. Becher“, „Bert* Brecht“, „Kinsey*“, „Massengesellschaft*“, „Vermassung*“, „Kulturindustrie“, „USA“, „Amerika*“, „Treibhaus“, „Kommerz*“, „Sex*“, „08/15“, „Jazz*“, „DDR“, „Mitteldeutschland*“, „Ostdeutschland*“, „kapitalis*“, „restaurat*“, „manage*“, „kleinbürger*“, „nuklear*“, „atom*“. 155 Zum Auswahlverfahren und den methodischen Grundbegriffen vgl. Brosius, HansBernd / Haas, Alexander / Koschel, Friederike: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. Wiesbaden 62012, S. 66–67; Raupp / Vogelgesang: Medienresonanzanalyse (2009), S. 137–149.

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Tendenzen in der Berichterstattung zu.156 Dieses Verfahren wurde anhand der FAZ-Frauenseite erprobt, für alle anderen Kapitel aber als unfruchtbar befunden. Um die Verteilung von Themen, Rubriken und Genres über einen langen Zeitraum beschreiben und vergleichen zu können, bieten sich Zufallsauswahl und Inhaltsanalyse zweifelsohne an.157 Gerade bei den Frauenseiten handelt es sich schließlich um exotische Produkte, die es in dieser Form seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gibt. Abgesehen davon, stehen Aufwand und Ertrag für die Mediengeschichte nicht im richtigen Verhältnis. Auch ein qualitativer Zugang legt offen, was quantitative Studien gerne belegen: dass sich das Feuilleton maßgeblich am institutionalisierten Kulturbetrieb orientierte und vor allem Referate und Kritiken enthielt.158 Die Dissertation folgt keiner strengen Chronologie. Anders als im Politikbetrieb, der durch Regierungs- und Amtszeiten zwangsläufig stärker vorstrukturiert ist, gibt es in der Kultur eher weiche Zäsuren, fließende Übergänge. Daher verfolgen die nächsten sieben Kapitel zwar eigene zeitliche Schwerpunkte, aus denen sich eine gewisse Gesamtchronologie ergibt, greifen jedoch stets vor und zurück. Bevor in den Kapiteln drei bis sieben die großen Themenblöcke abgehandelt werden, dienen die folgenden beiden Kapitel „Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die Frankfurter Allgemeine“ (I) und „Hinter den Kulissen. Die Feuilletonredaktion“ (II) als Einführung in die Chiffre FAZ. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte des Feuilletons, der Zeitungsgründung, den institutionellen Strukturen, Arbeitsweisen und dem Selbstverständnis der Feuilletonredaktion und bilden deshalb eine wichtige Basis für die späteren Ausführungen. Auf die einführenden Kapitel folgt schließlich der Hauptteil, beginnend mit den Kapiteln „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“ (III) und „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“ (IV), die sich schwerpunktmäßig über die 1950er Jahre erstrecken. Kapitel fünf und sechs – „Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik“ (V) und „Aufwinde, Gegenwinde. ‚1968‘“ (VI) – schließen daran an und erzählen die Geschichte des Feuilletons von den späten 1950er Jahren bis in die frühen 1970er Jahre. Bevor die Dissertation mit einem Ausblick auf die Ära Fest und einer Schlussbetrachtung endet, holt das vorletzte Kapitel „Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse“ (VII) noch einmal weiter aus und nimmt das Feuilleton aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive seit 1949 in den Blick. 156 Vgl. Brosius / Haas / Koschel: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung (2012), S. 59. 157 Vgl. etwa die Studie von Reus / Harden: Politische „Kultur“ (2005). 158 Vgl. Reus: Ressort (1995), S. 24–29.

Kapitel 1

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die Frankfurter Allgemeine Die Mediengeschichte eines Zeitungsressorts zu schreiben, das heißt bisweilen auch, die historiographische Lupe beiseitezulegen und den Blick schweifen zu lassen. Jede historische Standortbestimmung erfordert eine diachrone Perspektive, jede Geschichte eine Vorgeschichte. Dies gilt auch für den Feuilletonjournalismus nach 1945. Im folgenden einführenden Kapitel soll es deshalb darum gehen, die Sichtachse zu erweitern und das Ressort in der Medienlandschaft des 20. Jahrhunderts zu lokalisieren: Inwiefern basierte die Gestalt des FAZ-Feuilletons auf vorangegangenen mediengeschichtlichen Entwicklungen, inwiefern war sie ein Produkt sui generis? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestanden zwischen dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen auf der einen und seinen historischen Vorläufern und zeitgenössischen Konkurrenten auf der anderen Seite? Einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Zeitungsfeuilletons seit dem 18. Jahrhundert folgt der Versuch, das Feuilleton in der FAZ zu verorten, bevor abschließend das Ressort selbst und sein frühes Erscheinungsbild im Fokus stehen. 1.1

Eine kurze Geschichte des Zeitungsfeuilletons

So vielschichtig wie die Inhalte eines beliebigen Feuilletons ist der Begriff selbst. So bezeichnet er in der älteren Publizistik- und Zeitungswissenschaft wie auch in den Literaturwissenschaften in erster Linie eine bestimmte Textsorte, die so genannte „Kleine Form“. Gemeint ist eine heute kaum noch gebräuchliche Form der Kurzprosa oder, um eine eher normative Beschreibung zu zitieren, „die Kunst, die ganze Welt in einer Seifenblase oder in einem Wassertropfen zu spiegeln“1. Wenn vom Feuilletonismus gesprochen wird, ist zweitens ein spezifischer Schreibstil gemeint. Ein feuilletonistischer Text hat impressionistisch-essayistische Züge und zeichnet sich durch Subjektivität,

1 Krüger, Horst: Papier – welch edles Material. Ein Schriftsteller berichtet von seinen Erfahrungen mit dem Journalismus, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 27.10.1974, zitiert in Haacke: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts (1976), S. 303.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_002

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Kapitel 1

Humor, Leichtigkeit und eine bildhafte Sprache aus.2 Drittens bezeichnet der Begriff Feuilleton, französisch für „Blättchen“, einen fest abgesteckten Zeitungsteil, einen Publikationsort,3 der kulturellen und kulturpolitischen Inhalten vorbehalten ist. Während Gattung und Darstellungsform analytisch schwer greifbar und für den historiographischen Ansatz der Arbeit nebensächlich sind,4 lässt sich der Publikationsort relativ einfach bestimmen. Als die großen Pariser Tageszeitungen infolge der Französischen Revolution an Umfang gewannen, sahen sich einige Herausgeber veranlasst, einen Teil der Zeitungsstoffe auszulagern. Auf diese Weise entstand 1789 im Journal de Paris eine der Hauptausgabe beigegebene Beilage, die alles versammelte, was in Zeiten räumlicher Bedrängnis entbehrlich erschien: das Theaterprogramm, Gedichte, Rätsel, Leserbriefe und Annoncen. Sie trug den Titel „Feuilleton“. Eine Dekade später ergaben sich neue Optionen. Die Einführung moderner Druckerpressen erlaubte es, die statischen Presseformate variabler zu gestalten. Mehrere Zeitungen gingen infolge dieser medientechnischen Neuerung um 1800 dazu über, das Seitenformat ihrer Hauptstadtausgaben um ein Drittel zu verlängern. So entstand am unteren Seitenrand freier Raum. Etwa dort, wo die Titelseite zuvor geendet hatte, verlief nun ein horizontaler Strich, der den oberen, berichtenden Teil der Zeitung auch typographisch von jenem unteren trennte, der nun als Feuilleton bezeichnet wurde.5 Das „Feuilleton unter dem Strich“ war geboren und mit ihm Kritik, Information und Unterhaltung an vorderster Stelle.6 Im Gesamtkorpus blieb das Ressort durch die Platzierung „zu Füßen der Tagesneuigkeiten“7 zwar weiterhin recht isoliert, bei der Lektüre kam man aber nun kaum noch an ihm vorbei. Im Feuilleton war alles zu finden, was zuvor über die Zeitung verteilt oder ausgelagert worden war, und mehr. Seine thematisch-formale Unbestimmtheit versinnbildlichte nicht nur das Nebeneinander von Rätseln, Leserbriefen und Lyrik, sondern auch die Vielfalt literarisch-journalistischer Genres (Erzählungen, Aphorismen, Feuilletons, Plaudereien, Fabeln), um die das Feuilleton in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergänzt wurde.8 2 Vgl. Dovifat, Emil / Wilke, Jürgen: Zeitungslehre, Bd.  2: Redaktion, die Sparten, Verlag und Vertrieb, Wirtschaft und Technik, Sicherung der öffentlichen Aufgabe (=  Sammlung Göschen, Bd. 2091). Berlin / New York 61976, S. 73. 3 Vgl. Stalder: Siegfried Kracauer (2003), S. 71; Todorow: Das Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“ (1996), S. 46. 4 Freilich erschienen auch in der FAZ feuilletonistische Texte. Sie wurden in der Arbeit allerdings nicht gesondert berücksichtigt. 5 Vgl. Kernmayer: Feuilleton (2018), S. 132. 6 Vgl. Jäger: Das Zeitungsfeuilleton (1988), S. 59. 7 Haacke: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts (1976), S. 288. 8 Vgl. Stalder: Siegfried Kracauer (2003), S. 72.

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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Auch das Rezensionsfeuilleton, die kontinuierliche Literatur-, Theater-, Musik- und später auch Kunstkritik,9 begann sich in diesem Zeitraum zu etablieren. Das war vor allem dem Pariser Journal des Débats zu verdanken. Die Zeitung war für ihre Theatersparte bekannt, die sich in Anlehnung an die „Gelehrten Zeitschriften“ bald zum festen Bestandteil eines zunehmend ästhetisch orientierten Feuilletons entwickelte.10 Damit reagierten das Journal und andere Blätter auf die Verbürgerlichung des kulturellen Lebens, das sich seit dem 18. Jahrhundert von seiner sakralen, repräsentativen Funktion emanzipierte, und trieben diesen Prozess zugleich voran.11 Infolge der napoleonischen Besetzung des Heiligen Römischen Reiches wurde diese Neustrukturierung von einigen deutschsprachigen Blättern übernommen.12 Neben dem Nürnberger Correspondenten entschieden sich nach und nach auch andere für die Einrichtung eines Feuilletons und führten damit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die kulturellen, wissenschaftlichen und sonstigen Zeitungsinhalte mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten zusammen. Diesem deutsch-französischen Medientransfer war rechtsrheinisch ein langfristiger Erfolg beschieden: Während sich das Feuilleton weder in seinem Heimatland noch in der englischsprachigen Presse unter diesem Titel etablierte, ist es hierzulande nicht mehr wegzudenken.13 Politisch war es indes nur bedingt. Zwischen Vormärz und Deutscher Revolution (1830 bis 1848/49) wartete das Feuilleton zwar bisweilen mit politischen Inhalten auf, mit der Massenpresse entwickelte es sich jedoch zu einem eher unpolitischen Raum.14 Das hieß im Umkehrschluss freilich nicht, dass es keine politische Funktion haben konnte: Gerade im 19. Jahrhundert war das Ressort der ideale Ort, um „die kulturelle Einheit der ungefestigten Nation publizistisch zu untermauern“15. Neuen Aufschwung erhielt der Feuilletonjournalismus um die Mitte des Jahrhunderts. Mit dem „Zeitungsgründungsboom“16, der Professionalisierung des Journalismus und dem Scheitern der Revolution von 1848/49, in dessen 9 10 11 12 13

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Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 10–11. Vgl. Kernmayer: Feuilleton (2018), S. 133–135. Vgl. Tadday, Ulrich: Musikkritik – Historischer Teil – Musikkritik in Deutschland  – Das 18. Jahrhundert, in: Lütteken, Laurenz (Hg.): MGG Online. Kassel / Stuttgart / New York 2016 ff. Online unter: https://www.mgg-online.com/mgg/stable/51605 (16.3.2022). Vgl. Schütz: Unterm Strich (2017), S. 31. In der englischsprachigen und französischen Presse trägt der Kulturteil den Titel „Culture“. Ähnlich wie hierzulande gibt es spezielle Ressorts, Seiten und Beilagen etwa für die Literaturkritik, so The New York Times Book Review, The Times Literary Supplement oder Le Figaro Littéraire. Vgl. Stalder: Siegfried Kracauer (2003), S. 78. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 27. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 13.

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Kapitel 1

Folge sich das publizistische Schaffen in der politisch geprägten deutschen Presselandschaft stärker auf das kulturelle Feld verlagerte,17 richteten größere Zeitungen erstmals eigene Kulturredaktionen ein. Das ohnehin heterogene Feuilleton durchlief einen weiteren Ausdifferenzierungsprozess, der sich im Aufkommen des Korrespondenten- und Reisejournalismus sowie in der Einführung neuer Rubriken und Sparten widerspiegelte.18 Diese Neuerungen hatten vor allem ökonomische Gründe. Seit dem Vormarsch der überparteilichen und erschwinglichen Generalanzeigerpresse im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam der Werbung potentieller Leserinnen und Leser neue Bedeutung zu.19 Das Feuilleton hatte sich nicht nur zu einem populären Anzeigenort entwickelt,20 sondern auch zu einem Mittel der Leserbindung. Sinnbild dafür war der in Fortsetzungen gedruckte Feuilletonroman, der nach der Lektüre ausgeschnitten und gesammelt werden konnte.21 Der Roman schuf tägliche Kaufanreize – nirgendwo sonst war literarische Unterhaltung derart erschwinglich – und bildete für viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller zugleich eine wichtige Existenzgrundlage.22 Infolge dieses Brückenschlags zwischen dem Literatur- und Medienbetrieb gerieten im 19. Jahrhundert „große Teile der Literatur unter den Einfluß der Presse.“23 Diese Tendenz verstärkte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Durch den Zeitungsroman und andere literarische Genres, vor allem aber durch den Ausbau der Literaturkritik wurde das Feuilleton für den Literaturbetrieb zu einem zentralen

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22 23

Vgl. Schütz: Unterm Strich (2017), S. 33. Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 13. Vgl. Pürer, Heinz / Raabe, Johannes: Presse in Deutschland. Konstanz 32007, S. 67–68. Vgl. Kernmayer, Hildegard: Zur Frage: Was ist ein Feuilleton?, in: dies. / Jung, Simone (Hg.): Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Literatur. Bielefeld 2017, S. 51–66, hier S. 57–58. Vgl. Faulstich, Werner: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830–1900). Göttingen 2004, S. 35. Wahrenburg spricht sogar von einem „Siegeszug“ des Feuilletonromans, der „sich […] in einer Verdoppelung der Zeitungauflagen manifestierte.“ Wahrenburg, Fritz: Weerths Feuilletons in der Kölnischen Zeitung und ihr Kontext, in: Vogt, Michael (Hg.): Georg Weerth und das Feuilleton der „Neuen Rheinischen Zeitung“. Kolloquium zum 175. Geburtstag am 14./15. Februar 1997 in Detmold (= Vormärz-Studien, Bd. 2). Bielefeld 1999, S. 11–37, hier S. 15. Zur Geschichte des Feuilletonromans vgl. auch den Sammelband Neuschäfer, Hans-Jörg / Fritz-El Ahmad, Dorothee / Walter, Klaus-Peter (Hg.): Der französische Feuilletonroman. Die Entstehung der Serienliteratur im Medium der Tageszeitung (= Impulse der Forschung, Bd. 47). Darmstadt 1986. Vgl. Binert: Die eingebildete Metropole (1992), S. 15. Jäger, Georg: Medien, in: Berg, Christa (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870–1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. München 1991, S. 473–499, hier S. 479.

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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Barometer: Immer häufiger schien der verlegerische Erfolg an die Resonanz in einer renommierten Zeitung oder Zeitschrift geknüpft.24 Durch die Modernisierung der Presse, die mit der Reichsgründung und Hochindustrialisierung seit den 1870er Jahren erneut Auftrieb erhielt, erlebte das Feuilleton also eine Expansion. Die großen bürgerlichen Tageszeitungen wie die Vossische Zeitung, das BT und die FZ ergänzten ihr Feuilleton um die Jahrhundertwende mit Sonderseiten,25 um mit der werbefinanzierten, niedrigschwelligeren Massenpresse Schritt zu halten. In der FZ entstanden vor diesem Hintergrund seit 1904 ein Literaturblatt, „Das Technische Blatt“, die Beilagen „Reise, Städte, Landschaft“, „Für Hochschule und Jugend“ und eine Frauenseite.26 Das Feuilleton, das als Beilage begonnen hatte, fand jetzt, ein Jahrhundert später, zur Beilage zurück. Inhaltlich bot das Ressort häufig seichte Unterhaltung, die als Kontrast zur „Schwere des politischen Alltags“27 über dem Strich das Tor zu breiten Leserschichten bildete. Zugleich hatte sich das Feuilleton der seriösen, liberal-demokratischen Tagespresse zu einem wichtigen „Medium für Nachricht, Meinung und Auseinandersetzung mit dem Kulturleben“28 entwickelt. Als „intellektuelle Zeitschrift in der Zeitung“29 erlebte es in den 1920er Jahren seine Blütezeit. Das Feuilleton entwickelte sich zu einem intellektuellen Forum, über das Medien, Kultur und Wissenschaft mit einer bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit in den Dialog traten. Dass sich diese Kommunikation relativ unabhängig von Aktualitäts- und Bekenntniszwängen vollzog, verlieh dem Feuilletonjournalismus eine liberale Aura, die positiv auf die Zeitungen zurückwirken konnte.30 Seine Liberalität und Offenheit machten das Ressort mancherorts zu einer „aufklärerische[n] Gegenöffentlichkeit“, bisweilen auch zu einer „Gegenzeitung in der Zeitung“31. Auch die große inhaltliche und formale Bandbreite, die das Feuilleton bis in die Gegenwart charakterisiert, war maßgeblich ein Produkt der 1920er Jahre. Neben der bürgerlichen, weithin an historisch-ästhetischen Maßstäben orientierten „Hochkultur“ etablierten sich in diesem Jahrzehnt die Massenmedien Radio und Film; traditionelle Kulturinstitutionen wie das Theater hatten sich in den vorangegangenen Jahrzehnten weiter ausdifferenziert (Operette,

24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Todorow: Das Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“ (1996), S. 3. Vgl. Jäger: Medien (1991), S. 478–479. Vgl. Todorow: Das Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“ (1996), S. 70. Stalder: Siegfried Kracauer (2003), S. 78. Ebd., S. 77. Binert: Die eingebildete Metropole (1992), S. 14. Vgl. ebd., S. 17. Ebd., S. 16.

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Varieté etc.).32 Diese kultur- und medienhistorischen Neuerungen machten sich auch im Feuilleton bemerkbar, das außer den aktuellen Kulturnachrichten, Rezensionen und einigen unterhaltenden Elementen immer häufiger soziologische und gesellschaftskritische Beiträge zu den Fragen der Gegenwart enthielt.33 Der Wandel der Geschlechterverhältnisse, Veränderungen in der Arbeitswelt, soziale Probleme und die europäischen Urbanisierungsprozesse waren nun Thema.34 Angesehene Autoren wie Siegfried Kracauer, Alfred Döblin, Kurt Tucholsky, Joseph Roth und Walter Benjamin stellten ihre Federn in die Dienste des Feuilletons. Einige machten die „Kleine Form“, die von Sprachbildern lebende Textkunst, zum Genre der Wahl, andere erprobten das Interview oder die Reportage. Letztere bedeutete eine faktenorientierte, kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und hatte seit 1918 an Bedeutung gewonnen.35 Für Experimente stand jetzt mehr Platz zur Verfügung. Am Ende der 1920er Jahre erschien in der Morgen- und Abendausgabe des BT ein Feuilleton „unter dem Strich“, das sich über zwei bis drei Seiten erstreckte und durch Beilagen ergänzt wurde.36 Ähnlich sah es in der bis zu drei Mal täglich erscheinenden FZ aus, in der das Feuilleton zwischenzeitlich auf der prominenten Titelseite unterhalb des Politikteils Platz fand und oft auf der zweiten und dritten Seite fortgesetzt wurde. Damit nahm es etwa ein Fünftel des redaktionellen Raumes ein.37 Dieser Ausbau entsprach dem neuen Selbstverständnis, das vor allem das Feuilleton der FZ unter Benno Reifenberg verkörperte.38 Reifenberg betrachtete das Feuilleton nicht nur als selbstständigen Kommentar zur Politik,39 sondern auch als Mittel, um soziale Missstände anzuzeigen.40 „Gewiß genügt es weder uns noch der Zeit, unterhaltend mit Niveau zu sein“41, 32 33 34 35 36

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Vgl. Rautenstrauch: Berlin im Feuilleton (2016), S. 82–90. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 32. Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 15. Vgl. Schütz: Unterm Strich (2017), S. 47–48. Erweitert wurde das Feuilleton durch den „Moden-Spiegel“ mit „Kunst-Spiegel“, die Beilagen „Vom Kunstmarkt“, „Jede Woche Musik“ und „Haus Hof Garten“, die „Illustrierte Film-Zeitung“, den „Photo-Spiegel“ sowie das Reiseblatt. Vgl. dazu die vollständig digitalisierten Ausgaben des BT aus der Woche vom 13.–19.5.1929, online unter: http://zefys. staatsbibliothek-berlin.de/list/title/zdb/27646518/-/1929 (16.2.2022). Vgl. etwa das erste Morgenblatt der FZ vom 8.11.1932. Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 15. Vgl. Bussiek, Dagmar: Benno Reifenberg 1892–1970. Eine Biographie. Göttingen 2011, S. 158–159. Vgl. Schütz: Unterm Strich (2017), S. 49. Brief von Ernst Krenek an Friedrich T. Gubler vom 10.1.1931, in: Maurer Zenck, Claudia (Hg.): Der hoffnungslose Radikalismus der Mitte. Briefwechsel Ernst Krenek  – Friedrich T. Gubler 1928–1939. Wien / Köln 1989, S. 74–78, hier S. 74.

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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schrieb der Komponist Ernst Krenek 1931 an Reifenbergs Nachfolger Friedrich T. Gubler. Doch so sehr das Feuilleton in intellektuellen Kreisen geschätzt wurde, für andere blieb es ein Kuriosum. In der Medienhierarchie nahm es eine nachgeordnete Position ein. Besonders im Politikjournalismus wurde der Aufsteiger ob seines „weichen“ Charakters belächelt oder „als überflüssiger Luxus“42 bespöttelt. Immer wieder gab es hinter den Kulissen Konflikte zwischen den Politik- und Feuilletonredaktionen, die sich an den traditionellen Ressorthierarchien entzündeten.43 Aber auch aus anderen Ecken waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts feuilletonkritische Stimmen zu vernehmen, die sich über die Beliebigkeit und Oberflächlichkeit der Inhalte, die Ausrichtung an Massengeschmack, Marktlogiken und Konsumbedürfnissen echauffierten.44 Hermann Hesses Ausspruch vom „‚feuilletonistische[n] Zeitalter“45 war hierfür exemplarisch. Diese Kritik wurde nach 1933 unter anderen Vorzeichen fortgesetzt. Das Feuilleton repräsentierte, was die neuen Machthaber verabscheuten: „Massendemokratie“, Modernität, Avantgarde, Urbanität, Kommerz – und jüdische Kultur.46 Die rigide NS-Kultur- und Pressepolitik traf daher auch das Feuilleton, das in den 1930er Jahren einigen grundlegenden Veränderungen unterzogen wurde. Offene Kritik war im „Kulturpolitischen Teil“, wie das Feuilleton jetzt hieß, nicht länger erwünscht. Der 1936 in Kraft getretene „Erlaß zur Neuformung des deutschen Kulturlebens“ sollte der Kritik ein Ende bereiten: Beschreibung statt Kritik, Würdigung statt Wertung, Schriftleiterinnen und -schriftleiter statt Kritikerinnen und Kritiker.47 Die Einhaltung dieser und anderer Vorschriften war im Feuilleton zwar deutlich schwerer zu kontrollieren als im Politik- oder Handelsteil. Nichtsdestotrotz führten sie neben den Zeitungsverboten, die vor allem die liberale, demokratische Presse trafen, zwangsläufig zum Verschwinden des Weimarer Feuilletons. Nur sehr vereinzelt, etwa in der erst 1943 verbotenen FZ, wurde es in dezimierter, domestizierter Gestalt fortgeführt. 42 43 44 45 46 47

Haacke: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts (1976), S.  292. Vgl. dazu auch Troll, Thaddäus: Da lob ich mir den heitern Mann. Rezepte gegen Tücken des Lebens und Ärgernisse des Alltags. Zürich 1965, S. 170. Vgl. Haacke: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts (1976), S. 285; Lüddemann: Kulturjournalismus (2015), S. 66; Schütz: Unterm Strich (2017), S. 46. Vgl. Später: Siegfried Kracauer (2016), S.  161; Stalder: Siegfried Kracauer (2003), S. 78–81. Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften, Bd. 1. Berlin 1946, S. 23. Vgl. Braun: Der neue Feuilletonist (2017), S. 81; Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 17; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 33. Vgl. Linsen, Albrecht: Der Kulturteil der deutschen Wochenzeitung „Das Reich“ (= Unveröffentlichte Inaugural-Dissertation). München 1954, S. 73.

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Personell lebten die 1920er und frühen 1930er Jahre in der Wochenzeitung Das Reich wieder auf. Das stark bebilderte Feuilleton des 1940 gegründeten NS-Renommierblattes, das unter der Überschrift „Literatur / Kunst / Wissenschaft“ erschien und mindestens ein Drittel des Gesamtumfangs einnahm, konnte auf einen auserlesenen Kreis von erfahrenen Journalistinnen und Journalisten zurückgreifen. In allen anderen Punkten unterschied sich Das Reich allerdings von der bürgerlich-liberalen Weimarer Presse: Die Zeitung war das Produkt der paradoxen Bemühungen, die durch die eigene Hand monoton gewordene Presselandschaft wieder zu beleben;48 nicht durch offene Kritik, aber zumindest durch einigermaßen sachliche Information.49 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Einführung der Lizenzpresse blieb das Feuilleton Bestandteil der Tageszeitungen. Während Anzahl und Umfang der Beilagen vorerst überschaubar blieben – ihre Produktion war teuer, das Papier knapp –, wurde das tägliche Feuilleton ausgebaut. In vielen Zeitungen wanderte es von seinem traditionellen Platz „unter dem Strich“ erstmals auf eine eigene Seite.50 Der frei gewordene Feuilletonstreifen bot nun mitunter zusätzlichen Platz. In Anbetracht des geringen Gesamtumfangs der Zeitungen, der zunächst nur wenige Seiten betrug, erfuhr das Ressort also eine deutliche Aufwertung, wenngleich sein Umfang und seine Position bald wieder an internen (Dominanz des Politischen) und externen (Rentabilität) Faktoren ausgerichtet wurden.51 Diese quantitative Aufwertung war den nachkriegsspezifischen Lesebedürfnissen geschuldet. Die ersten Jahre nach 1945 prägte eine ausgesprochene Sehnsucht nach Kultur und Unterhaltung, die durch die nur langsam in Fahrt kommende Buchproduktion kaum gestillt werden konnte. Das Feuilleton, das zudem Schauplatz der ersten intellektuellen Debatten war, bot eine erschwingliche Alternative.52 Zum anderen ließen sich mit ihm kulturpolitische Interessen verfolgen: Kultur- und Presseerzeugnisse dienten den Westallliierten als Mittel der Reeducation- und Demokratisierungsbemühungen.53 Die Nachkriegszeit – das politische Interesse war in weiten 48 49 50 51 52 53

Vgl. Frei, Norbert / Schmitz, Johannes: Journalismus im Dritten Reich. München 42011, S. 109. Vgl. ebd., S. 112. Vgl. Harbou: Als Deutschland seine Seele retten wollte (2015), S. 109. Vgl. dazu auch Prüver: Willy Haas (2007), S. 63. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 100. Vgl. Gienow-Hecht, Jessica  C.E.: Transmission Impossible. American Journalism as Cultural Diplomacy in Postwar Germany 1945–1955 (=  Eisenhower Center Studies on War and Peace). Baton Rouge 1999, S. 65; Matz, Elisabeth: Die Zeitungen der US-Armee für die deutsche Bevölkerung (1944–1946) (=  Studien zur Publizistik, Bd.  12). Münster 1969, S. 91. Das galt auch für die von den Alliierten herausgegebenen Zeitschriften, vgl. Fischer, Bernhard / Dietzel, Thomas: Deutsche Literaturzeitschriften 1945–1970, in:

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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Teilen der Bevölkerung gering, die Zukunft ungewiss –54 verhalf dem Feuilletonjournalismus also zu einem gelungenen Comeback. Bald nach den letzten Kampfhandlungen auf deutschem Boden hatten inmitten der Trümmerlandschaften die ersten Lichtspielhäuser und Theater eröffnet, Galerien Stücke aus Privatbesitz gezeigt. Hörfunk-, Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen waren besetzt worden, um den „seelischen Heißhunger“55 nach geistiger Nahrung und Unterhaltung zu bedienen. Noch bevor Deutschland ein Grundgesetz erhielt, hatte sich unter alliierter Aufsicht ein provisorischer Kultur- und Medienbetrieb etabliert; freilich nicht, ohne viele Leerstellen zu beklagen. Auflagenstarke Lizenzzeitungen wie die im US-Sektor gegründete Neue Zeitung waren beliebt, auch oder gerade wegen ihres Feuilletons, das bekannte Schriftsteller wie Erich Kästner und Alfred Andersch leiteten.56 „Ich war Feuilletonchef der ‚Neuen Zeitung‘ für den Berliner Teil, und das war enorm. Man war bekannt, wie Alfred Kerr über Deutschland bekannt gewesen war“57, berichtete Friedrich Luft in einem Interview über den Status seiner Zunft. Philosophie, Geschichte, Theater, Tanz, Wissenschaft, Kunst, Literatur und Musik erstanden in den Zeitungssparten also wieder auf. Inhaltlich-thematisch und formal knüpfte das Feuilleton der Nachkriegsjahre an Vorkriegstraditionen an. So gestaltete es sich im Vergleich zu den Ressorts Politik und Wirtschaft heterogener und stilistisch diverser, orientierte sich – darin den Zeitschriften ähnlich – weniger am Tagesgeschehen, pflegte subjektivere Perspektiven und war intellektuell schwerer zugänglich. Nach wie vor waren dort häufiger abstrakte Reflexionen und einordnende Beiträge zu lesen als Nachrichten und rein informative Berichte.58 In mindestens einem Punkt unterschied sich das Feuilleton aber bald von seinen Vorläufern: Die feuilletonistische Kurzprosa, die das Ressort seit seinem Entstehen begleitet und geprägt hatte, verschwand seit den 1960er Jahren fast vollständig aus den Zeitungen. Das überregionale Zeitungsfeuilleton war vor allem ein Rezensionsfeuilleton, sein literarisches Profil trat in den Hintergrund.59 Trotz ihrer Popularität besaß die Presse freilich

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Deutsches Literaturarchiv Marbach am Necker (Hg.): Deutsche literarische Zeitschriften 1945–1970. Ein Repertorium, Bd. 1. München 1992, S. 9–18, hier S. 9. Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 314. Korn, Karl: Inter arma, in: FAZ vom 8.11.1956, S. 10. Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 79. Gienow-Hecht stellt fest, dass viele Leserinnen und Leser die Zeitung nur wegen ihres Feuilletons kauften, das auch in der Erinnerung lange präsent blieb. Vgl. Gienow-Hecht: Transmission Impossible (1999), S. 82, 175. Friedrich Luft in einem Interview, abgedruckt in Hermann, Ingo (Hg.): Friedrich Luft. Die Stimme der Kritik. Gespräch mit Hans Christoph Knebusch in der Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“. Göttingen 1991, S. 58. Vgl. Jäger: Das Zeitungsfeuilleton (1988), S. 57. Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 18.

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keine Monopolstellung. Kulturpolitische Zeitschriften wie Der Ruf, Merkur, Die Wandlung, Die Gegenwart oder die Frankfurter Hefte, die „die außerordentliche Nachfrage nach zeitdiagnostischen Angeboten bedienten“60, schossen bis zur Währungsreform 1948 wie Pilze aus dem Boden. In den folgenden Jahren sank ihre Auflage zwar drastisch, einige unter ihnen blieben gleichwohl präsent. Konkurrenz machte dem Feuilleton nun auch der Rundfunk, der im Nachkriegsalltag eine zentrale Stellung einnahm und sich weder um Anzeigen- noch um Auflagenzahlen bemühen musste.61 Vor allem die mit anspruchsvollen Vorträgen, Gesprächen und Essays über die philosophischen und literarischen Fragen der Zeit gefüllten Nachtprogramme wiesen inhaltlich und personell Schnittstellen zum Feuilleton auf.62 Als ein halbes Jahr nach der Verabschiedung des Grundgesetzes im Mai 1949 die FAZ erschien, war ihr Feuilleton also alles andere als allein auf weiter Flur. 1.2

Neunzehnhundertneunundvierzig

Zur FAZ-Gründungsgeschichte ist in jüngster Zeit viel publiziert worden.63 Die institutionellen Zusammenhänge wurden dabei ebenso ausgeleuchtet wie die Verbindungen zwischen den maßgeblich beteiligten Akteuren. Daher sei im Folgenden nur so viel gesagt: Die Zeitung ging aus Verhandlungen zwischen dem Mainzer Zeitungsverlag und der „Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947“ (WiPoG) hervor, einer überparteilichen Vereinigung deutscher Unternehmer, Politiker, Großlandwirte und Beamter. Beide Institutionen verfolgten mit dem Projekt unterschiedliche Ziele. Während die WiPoG in der Zeitung 60

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Reitmayer, Morten: Das politisch-literarische Feld um 1950 und 1930 – ein Vergleich, in: Schildt, Axel / Gallus, Alexander (Hg.): Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 48). Göttingen 2011, S. 70–91, hier S. 76. Vgl. Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 83. Zur Geschichte einzelner Rundfunkmedien in der Nachkriegszeit vgl. etwa die Veröffentlichungen von Katz, Klaus u. a.: Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Bd. 2: Der Sender: Weltweit nah dran 1956–1985. Köln 2006; Rüden, Peter von / Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks. Hamburg 2005. Vgl. Boll: Nachtprogramm (2004), S. 50–51; Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 87. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  13–36; Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 17–35; Schäfer: Erich Welter (2019), S. 170–216. Vgl. auch die lückenhafte Darstellung von Dombrowski, Erich / Kraus, Emil / Schramm, Karl: Wie es war. Mainzer Schicksalsjahre 1945–48. Mainz 1965, S. 64–66, die akteurszentrierte Schilderung von Pufendorf: Otto Klepper (1997), S.  248–281 und mit Schwerpunkt auf die NSVergangenheit Siering: Zeitung für Deutschland (2002).

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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ein Medium zur Popularisierung der sozialen Marktwirtschaft sah,64 versuchte sich der wirtschaftlich angeschlagene Verlag vor dem Konkurs zu retten. Erstere trieb zu diesem Zweck die monetären Mittel aus Industrie- und Unternehmenskreisen ein und verwaltete sie treuhänderisch, letzterer stellte sein größtes Produkt, die überregionale Hauptausgabe der Allgemeinen Zeitung mit Wirtschaftsblatt (AZ), und Teile ihres Redaktionsstabs zur Verfügung. In der alten Handelsmetropole Frankfurt riefen sie 1949 die FAZ GmbH ins Leben, besetzten die Leitungsebene der Verlagsgesellschaft und richteten einen Verwaltungsrat ein.65 Wenige Wochen nach der Aufhebung des alliierten Lizenzzwangs im September präsentierten sie als Frucht der Zusammenarbeit das erste Produkt: Am Dienstag, den 1. November 1949 erschien die Frankfurter Allgemeine, „Zeitung für Deutschland“, wie es im Untertitel hieß. Von Anfang an besaß die FAZ gegenüber anderen Zeitungen ein Alleinstellungsmerkmal: Sie hatte keinen Chefredakteur. Die redaktionelle Leitung lag in den Händen eines fünfköpfigen Herausgebergremiums, das die Geschicke der Zeitung in enger Koordination mit der Verlagsgeschäftsführung bestimmte.66 Während der Verlag unter seinem ersten Geschäftsführer Otto Klepper die wirtschaftlich-kommerzielle Seite des Zeitungsbetriebs im Blick behielt, sprich die Finanzen, den Vertrieb, das Anzeigengeschäft und die Personalangelegenheiten regelte, waren das Herausgebergremium und die Redaktion mit der inhaltlich-konzeptionellen Arbeit betraut. Der Förderkreis, in dem sich die Kapital stiftenden Unternehmer versammelten, traf regelmäßig mit beiden zusammen.67 Den Herausgebern oblag es auch, den politisch-ideellen Kurs der Zeitung zu bestimmen: „Die Herausgeber sind für die Gesamtlinie des Blattes verantwortlich und beschließen im Einvernehmen mit dem Verlag

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Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 24. 51 Prozent der Anteile an der FAZ GmbH gingen an die WiPoG und 49 Prozent an den Mainzer Zeitungsverlag. Die enge Zusammenarbeit war nicht von langer Dauer. 1951 schied die WiPoG als Gesellschafterin wegen politischen und persönlichen Konflikten mit den Herausgebern aus. Hauptanteilseignerin der FAZ GmbH wurde nun die Allgemeine Verlags GmbH. Schon im Mai 1950 hatte Korn über den stellvertretenden Vorsitzenden der WiPoG und FAZ-Geschäftsführer Otto Klepper berichtet: „Das Schlimmste aber ist unser Herr Minister, mit dem wir zur Zeit offenen Riesenkrach haben, sodass damit gerechnet werden kann, dass einer auf der Strecke bleibt, entweder dieser ‚Minister‘, ein subalterner kommissiger Fatzke mit autoritären Allüren oder wir sogenannten Herausgebertrauerlappen.“ Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.5.1950, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Kleppers Nachfolger wurde Werner G. Hoffmann, Inhaber der Zellstoff-Fabrik Mannheim, die zu den zentralen Geldgebern der FAZ zählte. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 181. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 28.

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über die Personalpolitik.“68 Zu den fünf Gründungsherausgebern gehörten Hans Baumgarten, Paul Sethe, Erich Welter, Karl Korn und Erich Dombrowski. Sie hatten alle in unterschiedlichen Funktionen für die Mainzer AZ gearbeitet und übernahmen nun die Zuständigkeit für die großen Ressorts: Welter für die Wirtschaft (und den Sport), Baumgarten und Sethe für die Politik und Korn, der Jüngste unter ihnen, für das Feuilleton. Dombrowski, der Chefredakteur in Mainz blieb, stand für die Belange jedes Ressorts zur Verfügung, betätigte sich aber in erster Linie im Politik- und im Lokalteil. Diese Konstellation änderte sich erst 1955, als Sethe die FAZ verließ, und seine Position vorerst unbesetzt blieb. Die singuläre Organisationsform der FAZ ist der maßgebliche Grund dafür, dass sich unter ihrem Dach in besonderem Maße spezifische Ressortidentitäten und der charakteristische Binnenpluralismus herausbildeten. Das hatte viele Vor-, aber auch einige Nachteile: Im Blatt führte die weitgehende Unabhängigkeit der einzelnen Ressorts und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einem ausgeprägten Meinungspluralismus, in der Redaktion bisweilen zur Eigenbrötlerei. Dieser Tendenz Einhalt zu gebieten und die FAZ zusammenhalten, gehörte ebenso zum Aufgabengebiet des Herausgebergremiums, wenn auch nur inoffiziell.69 Obwohl die Herausgeber formal gleichgeordnet waren, nahm der Wirtschaftsherausgeber eine herausragende Stellung ein. Nach außen hin trat er zwar nicht als solcher in Erscheinung, in der Praxis entpuppte sich Welter aber oft als Drahtzieher. Hinter den Zeitungskulissen agierte er eher als Manager mit engen Kontakten zur Geschäftsführung denn als Journalist mit Herausgeberpflichten und -rechten, auch wenn er sich das ungern bestätigen ließ.70 Als Korn ihn 1952 in einem Brief mit sarkastischem Unterton als „Chef des angesprochenen Direktoriums unserer Zeitung“71 bezeichnete, zeigte sich Welter pikiert: „Sie wissen wahrscheinlich, dass ich als Geistesarbeiter gegen das Wort ‚Chef‘ bin […]. Könnten wir kollegialer zusammenarbeiten als wir es tun? Ich darf doch hoffentlich diesen Ausdruck als Scherz auffassen?“72 68 69 70

71 72

Entwurf über die Aufgabe der Herausgeber und die Abhaltung von Redaktionskonferenzen (ausführliche Fassung) vom 7.8.1951, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. Vgl. das Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. Welter amtierte zwischen 1951 und 1954 als ständiger Vorsitzender der Herausgeberkonferenz. In dieser Funktion war er für den Verlag der zentrale Ansprechpartner in Abstimmungsfragen. Seit dem Frühjahr 1954 wechselte der Vorsitz jährlich. Vgl. die Aktennotiz über die Herausgebersitzung vom 31.3.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 20.11.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297. Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 24.11.1952, in: ebd.

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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Schon im Vorfeld der Zeitungsgründung hatte Welter eine zentrale Rolle gespielt. Als WiPoG-Mitglied mit Verbindungen in die Wirtschaft und Politik und als AZ-Berater bildete er das mittlere Glied zwischen den Gründungsinstitutionen. Der ehemalige Chefredakteur der Vossischen Zeitung, stellvertretende Chefredakteur der FZ und Mitbegründer der Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung (DZ) brachte einen reichen Erfahrungsschatz mit nach Frankfurt. Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber arbeitete er als Professor für Volkswirtschaftslehre und leitete seit 1951 das Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik. Welter war Nationalökonom mit Leib und Seele. Die meisten Zeitungen, die er in leitender Position begleitet hatte, waren Blätter mit ausgesprochen starkem Wirtschaftsteil. Das galt auch für die FZ, auf deren Tradition als liberales Handelsblatt er sich oft berief.73 In ihre Fußstapfen sollte die FAZ nun treten. Und das tat sie gewissermaßen: In einem von wirtschaftspolitischen Interessen geleiteten Zeitungsprojekt kam dem Wirtschaftsteil große Bedeutung zu. Zu Welters erklärten Zielen gehörte es, der Öffentlichkeit die Vorzüge einer ordoliberalen Nationalökonomie zu vermitteln, um der sozialen Marktwirtschaft und ihrem Fürsprecher im Bundesministerium für Wirtschaft, Ludwig Erhard, zur Akzeptanz zu verhelfen.74 Auch in der Außenwahrnehmung war die FAZ ein Wirtschaftsblatt, von der Kritik gerne zum Blatt aus der Wirtschaft für die Wirtschaft umgedeutet.75 Nachdem 1959 die FAZIT-Stiftung gegründet und Hauptgesellschafterin der FAZ GmbH geworden war, wurden die Vorwürfe zwar leiser. Doch bis in die Gegenwart schwankt die Rezeption der FAZ zwischen einem „Organ der Mächtigen und einem unabhängigen publizistischen Leitmedium“76. Nach dem Wirtschaftsressort, an das sich die wirtschaftspolitischen Hoffnungen der maßgeblichen Initiatoren knüpften, und dem stark besetzten Politikressort nahm das bis heute durch nur einen Herausgeber vertretene Feuilleton im Zeitungsgefüge einen Platz an dritter Stelle ein. Leise und unauffällig erschien es am 1. November  1949 im hinteren Teil der FAZ auf Seite acht mit einer Theater- und Lesungskritik, einer Erzählung, einem Gedicht, 73 74 75

76

Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 37–50. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 22, 24–26. Vgl. u. a. die Aufzeichnungen über die Herausgebersitzung vom 18.9.1952, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954 und die „Vorschau auf Lesermeinungen und Leserwünsche nach Durchsicht von 400 Fragebogen (Antworten auf die Fragen nach Umfang, ‚Wir vermissen …‘, ‚…3 Wünsche‘, ‚Wenn wir Herausgeber wären …‘) vom 11.1.1954, in: ebd. sowie das Enthüllungsbuch des Wirtschaftsschriftstellers Pritzkoleit, Kurt: Wem gehört Deutschland. Eine Chronik von Besitz und Macht. München / Wien / Basel 1957, S. 216–228, v. a. S. 228. Burkhardt: Hinter den Artikeln (2009), S. 5.

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Kulturnachrichten und -notizen. Eine programmatische Ankündigung, wie sie im Politik- und Wirtschaftsteil zu finden war, suchte man vergeblich.77 Der Eindruck, dass das Feuilleton in dieser Konstellation eine ergänzende Rolle übernahm, mochte nicht unbedingt täuschen. Schon in der Mainzer AZ war das Feuilleton Korn zufolge vor allem als Zierde und Verkaufsargument betrachtet worden.78 Das hatte auch wirtschaftliche Gründe. Mit der Währungsreform war der Kulturjournalismus mit „geschäftlichen Rentabilitätserwartungen“79 konfrontiert worden, die Einführung unterhaltender Elemente mitunter die Folge.80 Obgleich die FAZ vorerst auf Rätselecken verzichtete, war auch Korn überzeugt: Sein Ressort war ein Beiboot, dem es oblag, Schöngeistes und Unterhaltsames zu liefern.81 Verärgert klagte er während der Planungen zur FAZ-Pfingstausgabe 1951 über die Unverhältnismäßigkeiten in Frankfurt: „Obwohl wir hier Sethe und Welter aus der FZ […] im Hause haben, begegnete ich erstaunten Augen, als ich ‚eine Seite‘ [Feuilleton, Anm. d. Verf.] wollte. Der Journalismus ist inzwischen schon soviel weiter auf der fatalen schiefen Ebene, daß man schon gar nicht mehr verstanden wird, wenn man daran erinnert, daß es früher ein solches einmal gegeben hat“82. Korns Klage war kein Novum.83 Schon in der wegen ihres Feuilletons gerühmten FZ hatte sich die Redaktion um eine partnerschaftlichere Beziehung auf Augenhöhe bemüht und „mehr als limitierte Narrenfreiheit“ gefordert. Nicht grundlos hatte man dort die Beziehung zwischen der Kulturund der Politikredaktion mit dem Verhältnis der österreichisch-ungarischen Monarchie zu ihren territorialen Randgebieten verglichen, „wobei nur die Frage offenblieb, ob das Feuilleton eher ungarische oder galizische Provinz war.“84 Auch in Hamburg kämpfte Rudolf Walter Leonhardt, zwischen 1957 und 1973 Feuilletonchef der Zeit, noch viele Jahre später um die Aufwertung seines Feuilletons. Die Leserinnen und Leser des Kulturteils, so offenbar eines 77

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Vgl. die FAZ vom 1.11.1949, S. 8. Anders sah es im Politikteil aus, wo der viel zitierte Leitartikel aus der Feder Paul Sethes erschien. Vgl. o. A.: Zeitung für Deutschland, in: FAZ vom 1.11.1949, S. 1. Auch das Wirtschaftsressort brachte einen programmatischen Artikel, vgl. dazu Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 43. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 136. Ebd. Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 3.7.1949, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 2. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 17.5.1951, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. Vgl. Glotz, Peter: Buchkritik in deutschen Zeitungen (=  Schriften zur BuchmarktForschung, Bd. 14). Hamburg 1968, S. 150. Später: Siegfried Kracauer (2016), S. 160.

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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Tages die Erwiderung des Zeit-Verlegers Gerd Bucerius, seien eben „‚keine Lastwagen-Inserenten‘“85. Der Stellenwert des Feuilletons kam auch in seinem Umfang und seiner Platzierung zum Ausdruck. Bei einem täglichen Gesamtumfang der Zeitung von sechs bis vierzehn Seiten in der ersten Hälfte der 1950er Jahre standen dem Ressort nur eine Seite und die Spalten „unter dem Strich“ zur Verfügung, wo der Fortsetzungsroman erschien. Bis 1974 war das FAZ-Feuilleton kein eigenes Zeitungsbuch. Anders als der Politik- und der Wirtschaftsteil war es zersplittert, sodass sich die geneigte Leserschaft, wie es in einem Leserbrief hieß, täglich auf die Suche begeben musste.86 Im Vergleich zu anderen Printmedien räumte die FAZ dem Feuilleton nicht besonders wenig, aber auch nicht besonders viel Platz ein: Die Neue Zeitung erschien im November 1949 zwar in einem Umfang von nur acht Seiten, gestand dem Ressort „Feuilleton und Kunst“ aber ebenso wie die etwas umfangreichere Zeit eine Doppelseite zu.87 In der SZ gestaltete sich die Situation ähnlich wie in Frankfurt. Bei identischem Gesamtumfang beanspruchte das Feuilleton in der SZ zwei bis drei Seiten „unter dem Strich“.88 Lediglich in der Welt sah es noch düsterer aus. Dort erschien das einseitige Feuilleton bis 1954 sogar ohne eigenen Seitentitel.89 Die rigiden Sparmaßnahmen, die in der prekären Anfangszeit an der Tagesordnung waren, erforderten von der Redaktion größtmögliche Flexibilität. Durch die Platzierung von Anzeigen wurde der ohnehin spärliche Raum für Bilder und Texte – traditionell war das Feuilleton stärker illustriert und wartete mit längeren Textsorten auf als die anderen Ressorts – weiter verkürzt. Das konnte bedeuten, dass dem Ressort statt einer Seite nur ein Drittel des eigentlichen Platzes zur Verfügung stand.90 Zusätzliche Spalten in den Sonderausgaben konnten spontan gestrichen werden, wenn vor dem Umbruch weitere Inserate aufgegeben wurden.91 Anzeigen waren wichtig, um die Zeitung über 85 86 87 88 89 90 91

So die Worte von Gerd Bucerius, zitiert in: Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 167. Vgl. den Leserbrief von Wilhelm Michaelis, in: FAZ vom 29.3.1974, S. 11. In der Zeit waren Politik, Wirtschaft und das Feuilleton schon seit 1960 in getrennten Büchern untergebracht. Vgl. Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 193. Vgl. beispielhaft die Zeit vom 3.11.1949 und 10.11.1949 sowie die Neue Zeitung vom 1.11.1949 und 2.11.1949. Aus der Sekundärliteratur vgl. Rollberg: Von der Wiederauferstehung (1981), S. 36–42. Vgl. die SZ vom 2.11.1949 und 3.11.1949. Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 63. Vgl. die FAZ vom 1.7.1953, S. 8. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 17.5.1951, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  1; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 29.5.1951, in: ebd., Mappe 3; Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297.

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Kapitel 1

Wasser zu halten, also räumte man ihnen Vorrang ein. Noch in den 1960er Jahren hatte die Werbung Einfluss etwa auf die Länge des Fortsetzungsromans.92 Langfristig entpuppte sich das Feuilleton jedoch als schlechter Anzeigenort, nicht nur, weil die Kosten insbesondere für kleinere Verlage viel zu hoch ausfielen, sondern auch, weil die Feuilletonleserschaft für finanzkräftige Wirtschaftsunternehmen nicht die passende Zielgruppe bildete.93 Auch der Honoraretat war knapp bemessen. Obwohl die Auflage langsam, aber kontinuierlich stieg – 1952 lag sie im dritten Quartal bei 72.497 Exemplaren –,94 verfügte das Feuilleton im Herbst 1952 über ein monatliches Budget von nur 7000,- DM, die Kosten für die personal- und kostenintensive Beilage „Bilder und Zeiten“ eingeschlossen.95 Diese Sparpolitik führte nicht nur zu Beschwerden über ausbleibende Zahlungen, sondern wirkte sich auch auf die Suche nach geeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus. 1951 beklagte sich Korn bei Welter darüber, dass die anfallenden Arbeiten nicht mehr bewältigt werden könnten, „weil wir in der gesamten Bilder- und Feuilletonwelt verschrien sind wegen unserer schäbigen Honorare.“96 „Gestern kamen 45 DM für die ‚Malerin‘ von der Frankf. Allg., katastrophal!“97, ereiferte sich die Schriftstellerin Oda Schaefer 1951. Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren aber wichtig, um das Feuilleton und die erweiterte Wochenendausgabe mit Inhalten zu füllen; eine Aufgabe, die von der kleinen Redaktion nach der Einführung von „Bilder und Zeiten“ zu Beginn des Jahres 1952 nicht mehr geleistet werden konnte. Die Ausgangsbedingungen, unter denen die Redaktion 1949 ihre Arbeit aufnahm, fielen summa summarum also eher ungünstig aus. Was Anlass für Unmut bot, hielt letztlich aber auch etwas Positives bereit: Aus der untergeordneten Stellung des Ressorts erwuchsen Freiräume, die genutzt werden konnten. Differenzen und Spannungen zwischen den großen Ressorts existierten zwar auch in

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Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 16.11.1964, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1963–28.2.1965. Vgl. das Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. Die Zahlen können den Auflagenmeldungen der Informationsstelle zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) entnommen werden. Sie sind online abrufbar unter: https://www.ivw.de/print/archivbestände-zur-ivw-auflagenliste (16.2.2021). Vgl. den Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 25.10.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297 und den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 15.1.1952, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297. Brief von Oda Schaefer an Horst Lange vom 18.7.1951, in: Münchner Stadtbibliothek  / Monacensia, Ods B 449. In der FAZ war erschienen Schaefer, Oda: Schicksal in meiner Nähe, in: FAZ vom 16.6.1951, Für die Frau.

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der Anfangszeit, hatten in der Regel aber keine redaktionellen Konsequenzen.98 Zudem war das Feuilleton frei vom Verdacht der Abhängigkeit, frei von äußerem, etwa politischem Druck. An den Streitigkeiten mit dem Verlag und der WiPoG um die „Linie“ war es ebenso wenig beteiligt wie vom Vorwurf der Regierungstreue oder der Unternehmenshörigkeit betroffen. Im „Windschatten der Verlagspolitik“99 lebte es sich recht frei. Konkurrenz drohte dem Feuilleton zunächst vor allem aus Hamburg und München. Denn auch bei den ehemaligen Lizenzzeitungen Die Welt und Neue Zeitung, die sich schon etabliert hatten, als mit der FAZ der „Schlussstein des Wiederaufbaus der westdeutschen Medienlandschaft“100 gelegt wurde, handelte es sich um Tageszeitungen, die überregional ausstrahlten.101 Andere Zeitungen wie die FR oder die SZ („Münchner Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport“, wie es im Untertitel hieß) waren in den 1950er Jahren eher regional ausgerichtet.102 Die SZ, resümiert Schildt, habe neben der FAZ und der Welt zwar zu den wenigen Blättern gezählt, „die mit intellektuellen Beiträgen bildungsbürgerliche Diskurse […] entfachten“103, ihr Feuilleton habe im Unterschied zur FAZ jedoch „keine Avantgarde-Rolle“104 eingenommen. Vor allem das internationale Feuilleton der Neuen Zeitung genoss einen exzellenten Ruf.105 Für Korn, der nach der Einstellung der westdeutschen Ausgabe 1953 die Aufgabe hatte, ihre Leserschaft abzufangen, hatte sie Vorbildcharakter, auch weil sie dem Feuilleton viel Platz einräumte.106 Ihr zwei Jahre später folgendes Ende rückte die FAZ in unmittelbare Konkurrenz zur Welt, die mit Axel Springer seit 1953 einen starken Verleger hinter sich hatte.107 Auch die 1946 gegründete Welt hatte ein renommiertes, wenn auch konservativeres Feuilleton.108 Weil sie seit den späten 1940er Jahren an Auflagenschwund litt, war es populärer gestaltet und auf ein breiteres Publikum ausgerichtet. „Kurz, schnell und schmissig“109 habe der Leitsatz gelautet, erinnert sich die spätere 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109

Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 117–119. Glotz: Buchkritik (1968), S. 150. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 59. Vgl. Führer: Medienmetropole Hamburg (2008), S. 539. Vgl. Wilke: Leitmedien (1999), S. 312–313. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 146. Ebd., S. 145. Vgl. Jähner: Wolfszeit (2019), S. 315; Matz: Die Zeitungen der US-Armee (1969), S. 91; Prüver: Willy Haas (2007), S. 79. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 29.12.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/373. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 184–185. Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 143. Rahms: Die Clique (1999), S. 84. Vgl. dazu auch ebd., S. 78.

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Kapitel 1

FAZ-Redakteurin Helene Rahms. Die Abonnements sollten aufgestockt, alte Leserinnen und Leser zurückgewonnen werden. Intellektualität, Seriosität und Bildungsanspruch traten zugunsten von Service, Unterhaltung, Illustration und Reportage in den Hintergrund.110 Umso mehr ärgerte es Korn, dass Welter Gefallen am Welt-Feuilleton fand.111 1.3

Das Erscheinungsbild

Wirft die Zeitungsleserin von heute einen Blick in die ersten Exemplare der FAZ, so bietet sich ihr ein befremdliches Bild. Eingespannt zwischen Politik und Wirtschaft erwartet sie ein schlankes Feuilleton, das die Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts gründlich auf den Kopf zu stellen droht: dicht bedruckte, kaum illustrierte Blätter, verschachtelte „Kolonnen von Kleinartikeln“ und graue Monotonie statt großteilige Strukturen, farbliche Akzente und auflockernde Visualisierungsangebote; der Ressorttitel klein und unauffällig, nicht groß und selbstbewusst am Seitenkopf thronend. „Das Layout“, schrieb Todorow schon über die FZ, „setzt deutlich den lektüregewohnten, interessierten Leser voraus, der auch bereit ist, sich auf Lesen als Arbeit einzulassen“112. Das tägliche Feuilleton setzte sich zunächst aus einer Seite Feuilleton (Abb.  1) und dem Fortsetzungsroman zusammen. Beide Elemente waren getrennt voneinander in der FAZ untergebracht. Während das Feuilleton im hinteren Teil der Zeitung zu finden war, erschien der Fortsetzungsroman auf seinem traditionellen Platz „unter dem Strich“, also auf Seite drei oder vier, seit Oktober 1950 auf Seite zwei im politischen Teil. Stand an manchen Tagen mehr Platz zur Verfügung, wurde das Feuilleton durch eine weitere halbe Seite ergänzt. Daran änderte sich bis 1965 wenig. Auch in Sachen Layout und Typographie setzte man auf Stetigkeit. Es galten zwei Prinzipien: „Vermeidung von optischem Lärm“ und „Ruhe des Typographischen“113. Das garantierte zwar noch keine gute Lesbarkeit, machte die Zeitung aber unabhängiger von „graphische[n] Moden“114, von denen sich die FAZ ähnlich wenig versprach wie von aufsehenerregenden Aufmachern und skandalträchtigen Überschriften. Folglich hatte auch das fünfspaltige 110 Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 89. 111 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.11.1953, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3; Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 19.2.1953, in: BArch Koblenz, N 1314/411. 112 Todorow: Das Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“ (1996), S. 123–124. 113 R.H. (= Robert Held): Neu an diesem Blatt, in: FAZ vom 3.1.1966, S. 2. 114 FAZ: Neu an diesem Blatt, in: FAZ vom 1.3.1974, S. 1.

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Feuilleton ein schlichtes Erscheinungsbild, das abgesehen von kleineren Veränderungen in den 1950er Jahren kaum modifiziert wurde. Im Unterschied zum Politikteil, wo die Überschriften nach FZ-Tradition weiterhin in der Frakturschrift erschienen, führte das Feuilleton die nüchterne Antiqua. Eine Schnörkelschrift zu verwenden, was etwa die Zeit in den Ressortüberschriften tat, wäre kaum denkbar gewesen. Augenfällige Ähnlichkeiten bestanden dagegen zur Neuen Zeitung. Die äußerliche Orientierung an der Münchner Konkurrenz war derart frappierend, dass es einen Blick auf den Seitenkopf erfordert, um den entscheidenden Hinweis zu entdecken. Feste Prinzipien der Stoffanordnung gab es zunächst nicht. Im Feuilleton versammelte sich die traditionelle Bandbreite literarischer und journalistischer Genres. Erzählungen, Essays, Notizen und Nachrichten, Glossen, Gedichte, Kritiken, Kommentare, Aphorismen, Anekdoten und Portraits wurden bunt aneinandergereiht.115 In den 1960er Jahren kamen verstärkt Reportagen und in den 1980er Jahren Interviews hinzu, die bis dato als „Geschwätz“ verpönt waren.116 Der optischen Orientierung dienten nur wenige Anhaltspunkte: das obligatorische Bild (Fotografie, Zeichnung, Kunstreproduktion) in der oberen Seitenhälfte und die Kulturnachrichten, die auf Jubiläen, Veranstaltungen, Neugründungen und -besetzungen, Auszeichnungen und runde Geburtstage aufmerksam machten, in der unteren. Nachrichten und Notizen hatten eine nachgeordnete Bedeutung und wiesen dementsprechend einen kleineren Schriftgrad auf. Berichte und Meinungsartikel (Kommentare, Rezensionen, Glossen, Essays), die oft einen Untertitel führten, hoben sich damit äußerlich vom überschaubaren Nachrichtenteil ab. Abgesehen von der täglichen Glosse am oberen rechten Seitenrand, die 1961 als festes Element hinzukam, bildete sich eine klarere Strukturierung der Feuilletonstoffe erst Mitte der 1960er Jahre heraus. Während dem Tagesfeuilleton bis dahin ein stark begrenzter Raum zur Verfügung stand, schwoll der Kulturteil am Wochenende regelrecht an. Neben dem Feuilleton erschien das Literaturblatt und in vorerst unregelmäßigen Abständen eine Frauenbeilage. Zum 12. Januar 1952 folgte die Einführung der zunächst vier-, bald aber schon sechsseitigen – anzeigefreien – Samstagsbeilage „Bilder und Zeiten“, die schnell ein großer Erfolg wurde.117 Eine 115 Vgl. Binert: Die eingebildete Metropole (1992), S. 19. Für einen Überblick über die Textgenres im Feuilleton vgl. Haacke: Das Feuilleton des 20. Jahrhunderts (1976), S. 300–301. 116 Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 20.6.2017. 117 Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung vom 23.1.1952, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. Bis Juli 1952 erschien die Beilage auf vier Seiten.

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Kapitel 1

Tiefdruckbeilage auf satiniertem Papier herauszubringen, das war Welters Einfall gewesen.118 Um zu verhindern, dass andere Blätter von der bevorstehenden Neuerung erfuhren, sollten die Planungen im Vorjahr möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.119 Grund für die Geheimhaltung war aber wohl eher das knappe satinierte Papier als die mutmaßliche Innovation: Schon seit der Jahrhundertwende hatten die auflagenstarken Zeitungen ihre illustrierten Beilagen im Kupfertiefdruckverfahren produzieren lassen, einzelne Seiten auch auf satiniertem Papier. Das garantierte eine akzeptable Bildqualität, bedurfte wegen des aufwendigen Verfahrens aber eines frühen Drucktermins. Im Unterschied zum Rest der Zeitung waren die Beilagen daher zwangsläufig weniger tagesaktuell. An diese Tradition wurde nach 1945 verschiedentlich angeknüpft. Die FR führte spätestens seit 1950 eine illustrierte Wochenendbeilage, die den ähnlichen Titel „Zeit und Bild“ trug. Ebenfalls vor der FAZ hatte die Zeit Ende der 1940er eine Kupfertiefdruckbeilage eingeführt,120 die sie wegen der immensen Kosten jedoch 1961 wieder einstellte.121 Auch Korn meldete aus diesem Grund immer wieder Zweifel an der Tragfähigkeit der Beilage an.122 Vom täglichen Feuilleton unterschied sich die FAZ-Wochenendbeilage auf mehreren Ebenen. Sie war zwangsläufig weniger am Tagesgeschehen ausgerichtet und deutlich stärker illustriert. Sie bot Texte und Genres auf, die wegen ihres Umfangs nicht in das Wochenblatt passten, wo hauptsächlich Berichte und Rezensionen erschienen, und bediente einen deutlich weiteren Kulturbegriff (Gesellschaft, Freizeit, Arbeit). Und sie zeichnete sich durch eine stärkere Durchmischung der zu Wort kommenden Autorinnen und Autoren aus: Um „Bilder und Zeiten“ mit Beiträgen zu füllen, beteiligten sich auch Journalistinnen und Journalisten aus der Politik-, Lokal- und Wirtschaftsredaktion. Der Aufbau der Beilage gliederte sich nach folgendem Schema: Die erste Seite bestand aus einer Bilder-Text-Kombination und führte neben Illustrationen einen langen Artikel. Dabei handelte es sich meist um essayistische Reflexionen, Hintergrundberichte, Betrachtungen 118 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 16.9.1952, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 119 Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung vom 6.11.1951, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 120 Vgl. Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 96. 121 Stattdessen führte Die Zeit ein weiteres Ressort ein und taufte es „Modernes Leben“. Vgl. ebd., S. 194. 122 Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung vom 6.11.1951, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954.

Ortsbestimmung. Das Feuilleton und die FAZ

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von Alltagsgegenständen und Reportagen.123 Die Seite zwei, die „Zierde der Beilage“124, führte anfangs noch Erzählungen, von Zeit zu Zeit Gedichte, Vermischtes und später ebenfalls Reportagen. „Ereignisse und Gestalten“, so der Titel der dritten Seite, war dem Politikressort vorbehalten. Ihr folgten das samstägliche Feuilleton, das Literaturblatt und als Schlusslicht die Frauenseite. Durch die Einführung neuer Sonderseiten dehnte sich der Feuilletonkörper im Verlauf der 1950er Jahre aus. Damit reagierte die Zeitung mutmaßlich nicht nur auf die wachsenden Leserzahlen und den schillernden Zeitschriftenmarkt, sondern auch auf die steigenden Freizeitquoten und die „Reisewelle“. Seit Mitte April des Jahres 1953 erschien alle zwei Wochen donnerstags das doppelseitige Sonderblatt „Reise und Verkehr“, das neben Städte- und Landschaftsportraits, Reiseberichten, Karten und Illustrationen vor allem Tourismusanzeigen enthielt. Im September 1958 wurde es zu einem Reiseblatt erweitert, das erst zwei, dann drei und seit 1965 vier Seiten umfasste und im Vorfeld der Hauptreisezeit zwischen Februar und Juni zur wöchentlichen Erscheinungsweise wechselte. Die Zeit führte erst 1966 einen Reiseteil ein.125 Vor dem Hintergrund eines starken öffentlichen Interesses an den Naturwissenschaften wurden 1958 die Planungen für eine naturwissenschaftliche Sonderseite vorangetrieben. Sie erschien seit Dezember immer dienstags unter dem Titel „Natur und Wissenschaft“ und beschäftigte sich mit den neuesten Forschungstrends im naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Sektor,126 die zuvor eher sporadisch behandelt worden waren.127 Wissenschaftsdebatten und Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung sollten den Leserinnen und Lesern auf diesem Weg zugänglich gemacht werden.128 Dass es sich bei dem Ressort „Natur und Wissenschaft“ um ein absolutes Novum handelte, wie verschiedentlich 123 Vgl. etwa die Beiträge Morawe, Marianne: Unvergeßliche erste Tanzstunde, in: FAZ vom 2.2.1952, BuZ, S. 1; Schroers, Rolf: Am Sonntag: Fußball. Der Sport, der die Massen fasziniert, in: FAZ vom 9.2.1952, BuZ, S.  1; Kaufmann, Herbert: Afrika – französisch zivilisiert. Bericht aus Französisch-Aequatorial-Afrika, in: FAZ vom 2.8.1952, BuZ, S.  1; Sieburg, Friedrich: Auf dem Lande leben, in: FAZ vom 6.8.1960, BuZ, S. 1; Hauenstein, Fritz: Der Bauer auf dem Feld der Experimente. Fließband auf dem Acker, Elektronik im Stall, in: FAZ vom 6.8.1966, BuZ, S. 1. 124 Brief von Günther Rühle an Rolf Bongs vom 11.7.1967, in: RLA Düsseldorf, NL Rolf Bongs. 125 Vgl. Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 201–202. 126 Vgl. dazu schon früher die Aktennotiz zur Herausgebersitzung am 8.7.1953, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 127 Vgl. dpa: Gefäßerkrankungen. Ein Spezialistenkongreß in Darmstadt, in: FAZ vom 15.11.1955, S. 8; Sprado, K.: Zellulartherapie. Eine Tagung in Bad Homburg, in: FAZ vom 4.7.1956, S. 10. 128 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 29.8.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297.

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Kapitel 1

behauptet wurde,129 muss an dieser Stelle korrigiert werden. Tatsächlich gab es um 1960 neben der FAZ nur wenige Zeitungen, die regelmäßig aus den Naturwissenschaften berichteten.130 Neu war die Idee allerdings nicht: Mit „Natur und Wissenschaft“ knüpfte die FAZ offenbar an die kurzlebige Neue Zeitung an, die bis zu ihrer Einstellung eine gleichnamige Sonderseite führte.131 Was die FAZ im Unterschied zu anderen Tageszeitungen aussparte, waren etwa Garten-, Jugend- oder Modebeilagen.132

129 Vgl. Burkhardt: Hinter den Artikeln (2009), S. 5. 130 Vgl. Deutscher Journalisten-Verband (Hg.): Wer schreibt worüber? Journalisten Handbuch 1960. Wiesbaden 21960, S. 507–525. 131 Vgl. die Neue Zeitung vom 1.11.1950, S. 7. 132 Vgl. Deutscher Journalisten-Verband: Wer schreibt worüber? (1960), S. 507–525.

Abb. 1

Die erste Ausgabe des FAZ-Feuilletons vom 1. November 1949

Kapitel 2

Hinter den Kulissen. Die Feuilletonredaktion Nachdem im vorangegangenen Kapitel die historische Entwicklung des Feuilletons, seine Rolle in der jungen Zeitung und sein Erscheinungsbild beleuchtet wurden, soll nun ein Blick auf die Feuilletonredaktion und die Akteurinnen und Akteure hinter der Zeitung geworfen werden. Es sind Journalistinnen und Journalisten, die der Zeitung ein Gesicht geben. Wie und mit welcher Motivation sie agieren, welche Freiräume und Grenzen ihnen institutionell gesteckt werden und was sie miteinander verbindet, hat Einfluss auf das geschriebene Produkt. Es sind Journalistinnen und Journalisten, die den Geist einer Redaktion und ihre Außenwahrnehmung prägen. Das Gründungspersonal der Feuilletonredaktion soll auf den folgenden Seiten daher ebenso eingehend beleuchtet werden wie die Personalakquise, die tägliche Arbeitsorganisation und das, was gemeinhin als „Redaktionskultur“ beschrieben wird: die „von Rollen, Praktiken und Routinen“ geprägte „Kultur des Miteinanders“1. Was in Anbetracht der dürftigen Quellenlage zwangsläufig unterbelichtet bleiben muss, ist die Bedeutung der vielen Zuarbeiterinnen und Zuarbeiter, die am Entstehen der Zeitung maßgeblichen Anteil hatten. Das gilt nicht nur für die unabdingbaren „Sekretärdamen“2, diese „Geheimnisträgerinnen ersten Ranges“3, die Briefe aufsetzten, Kartotheken in Ordnung hielten, Bücher ein- und auspackten, in Abwesenheit der Ressortleiterinnen und -leiter den Geschäftsverkehr am Laufen hielten, Zwischenbescheide schrieben und das Telefon hüteten,4 sondern auch für den zwischen allen Ebenen rotierenden und vernetzenden Chef vom Dienst,5 das technische Personal für Satz und Mettage und das Hilfspersonal. Auch das Zeitungsarchiv, das über vier Jahrzehnte lang von Marianne Englert aufgebaut wurde und in seinem Umfang wohl einzigartig ist,6 bedürfte einer eingehenderen Betrachtung, bildet das 1 Weichert, Stephan / Kramp, Leif / Welker, Martin: Die Zeitungsmacher. Aufbruch in die digitale Moderne. Wiesbaden 2015, S. 60. 2 Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 3 Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. 4 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.1.1958, in: BArch Koblenz, N 1314/381. 5 Der Chef vom Dienst ist der oberste Chef der Archive, Hilfsdienste und Sekretariate. Auf diesen Feldern obliegt ihm die Gehaltshoheit. Für diesen Hinweis und die hilfreichen Einblicke in das „Backoffice“ ist dem ehemaligen Chef vom Dienst, Herrn Dietrich Ratzke, herzlich zu danken. 6 Vgl. auch FJGA (= Franz-Josef Gasterich): Marianne Englert 90, in: FAZ vom 15.3.2016, S. 4.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_003

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Kapitel 2

dort aufbewahrte Text- und Bildmaterial doch eine zentrale Grundlage der journalistischen Arbeit. 2.1

Karl Korn. Ein biographischer Streifzug

Eine der prägenden Figuren der Kulturpublizistik nach 1945, mit Sicherheit aber der prägendste Kopf des Frankfurter Feuilletons war Karl Korn. Ein knappes Vierteljahrhundert lang leitete er das Ressort in seiner Funktion als der für Kultur und Kulturpolitik verantwortliche Herausgeber und verlieh ihm in den ersten Jahren FAZ-Geschichte sein spezifisches Gepräge. Neben Welter stand Korn in der Zeitung für personelle Kontinuität; ein Charakteristikum, das auch die Feuilletonredaktion unter seiner Leitung prägen sollte. Am Beginn seiner wechselhaften Journalistenbiographie stand aber nicht Frankfurt, sondern Wiesbaden.7 Dort wurde Karl Johannes Robert Korn am 20. Mai 1908 als Sohn eines Volksschullehrers geboren. Nach seiner Kindheit und Jugend im Rheingau, dem kleinbürgerlich-sozialkatholischen, eher konservativen Milieu des Elternhauses und der Heimat weiterhin eng verbunden,8 legte er 1927 am humanistischen Gymnasium als Jahrgangsbester das Abitur ab und schrieb sich an der Universität Frankfurt für ein Studium der Philologie (Germanistik, Latein und Französisch) ein. Zu seinen Lehrern zählten neben den klassischen Philologen Walter F. Otto und Karl Reinhardt die Germanisten Max Kommerell und Franz Schultz. Korn besuchte auch Vorlesungen aus der Soziologie, Philosophie und Theologie wie die Veranstaltungen Karl Mannheims und Paul Tillichs, beide aus dem Umkreis des Instituts für Sozialforschung, mit dem er in den 1950er Jahren wieder in Kontakt stehen sollte. In Erinnerung aber blieb ihm vor allem der Mediävist Hans Naumann, bei dem er 1931 mit einer Studie über die hochmittelalterliche Standesethik promoviert wurde.9 Um seine akademische Ausbildung zu finanzieren, schrieb Korn Zeitungsartikel, die in der linkskatholischen Rhein-Mainischen Volkszeitung, im 7 Zum biographischen Werdegang vgl. ausführlich Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 34–56, den kurzen Artikel o. A.: Korn, Karl, in: Klötzer, Wolfgang (Hg.): Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd.  1 (=  Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, Bd. 19). Frankfurt am Main 1994, S. 417–418 und die zweiteilige Autobiographie von Korn, Karl: Lange Lehrzeit. Ein deutsches Leben. München 1979; ders.: Die Rheingauer Jahre (1993). 8 Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 16, 102–105; ders.: Die Rheingauer Jahre (1993), S. 162, 173–174, 179. 9 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 36–37. Die Dissertation „Studien über ‚Freude und Trûren‘ bei mittelhochdeutschen Dichtern. Beiträge zu einer Problemgeschichte“ erschien 1932 in Leipzig.

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Wiesbadener Tagblatt und in der FZ erschienen. Am Ende seines Studiums hatte er daher nicht nur eine fundierte geisteswissenschaftliche Ausbildung vorzuweisen, sondern auch erste journalistische Erfahrung. Nachdem er 1932 die Staatsprüfung für das höhere Lehramt abgelegt hatte, bewarb sich Korn um ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und zog nach Frankreich. In den kommenden zwei Jahren war er im südlichen Toulouse als Lecteur d’allemand an der Universität tätig und bekleidete einen Assistentenposten am Lycée de Garçons. Sein Aufenthalt, der eine lebenslange Begeisterung für das Nachbarland entfachte, nahm ein abruptes Ende, als Korn 1934 von offizieller Seite des Landes verwiesen wurde. Auslöser dafür waren diverse Zwischenfälle, die von den französischen Behörden argwöhnisch registriert wurden. Korn, der neben Verbindungen in das bündische Umfeld des Jungkonservatismus lose Beziehungen zum deutschen Vizekonsulat in Marseille unterhielt,10 hatte sich in der Öffentlichkeit zu brisanten deutschlandpolitischen Fragen – etwa zum „Polnischen Korridor“ – geäußert und war auf Veranstaltungen als „Anwalt deutscher, nicht notwendig aber nationalsozialistischer Interessen“11 aufgetreten.12 Nach Deutschland zurückgekehrt, entschied sich Korn für eine journalistische Laufbahn. Die Anbindung zur Universität hatte sich durch den Frankreichaufenthalt gelöst, der Bruch mit dem mittlerweile offen für den Nationalsozialismus eintretenden Doktorvater eine akademische Karriere in der Frankfurter Philologie versperrt. Eine Schullaufbahn kam aus wirtschaftlichen und politischen Gründen nicht mehr in Frage.13 Nach einer erfolglosen Bewerbung in der voll besetzten FZ trat Korn zum 1. September 1934 als Volontär in die Dienste des BT. Dort wurde er Mitglied der Feuilletonredaktion und übernahm die Leitung der renommierten, akademisch und international geprägten Wochenendbeilage „Geistiges Leben und Literatur der Zeit“. Fast zeitgleich mit ihm hatte der Chefredakteur Paul Scheffer Margret Boveri engagiert. Gemeinsam machten sie sich mit den Grundlagen des journalistischen Arbeitens vertraut.14 Was Korn trotz der bereits spürbar repressiven nationalsozialistischen Pressepolitik aber noch mehr genoss als das Handwerk selbst, waren die Flexibilität, Unvorhersehbarkeit und das intellektuelle Umfeld des Berufs. „Ich fühlte mich nach den ersten Wochen bereits als Journalist und genoß 10 11 12 13 14

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 38, 52–53. Ebd., S. 39. Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S.  177–180; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 38–39. Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 230–231. Zum schwierigen Verhältnis zwischen Korn und Naumann vgl. ebd., S. 116–130. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 41–42.

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Kapitel 2

die Weite des Horizonts, die Bewegungsfreiheit und das Abenteuerliche des Gewerbes in vollen Zügen. Ich erlebte, wie schillernd und verführerisch die tägliche professionelle Vermarktung des Worts sein kann“15, schrieb er rückblickend über seine Anfänge. Korns „Lehrjahre“ waren für seinen Werdegang nicht nur entscheidend, weil sie nach 1945 als Ausweis liberaler Gesinnung galten.16 In den Räumen des BT lernte er das Einmaleins des Berufes kennen und knüpfte Kontakte, auf die er in den 1950er Jahren aufbauen konnte, so etwa zu Heinrich Strobel, den er später zur Mitarbeit in der FAZ aufforderte.17 Auf Privatveranstaltungen erhielt er Zugang zu literarischen und verlegerischen Kreisen. Neben Wilhelm Emanuel Süskind, Ernst Rowohlt und Helmut Kindler machte er Bekanntschaft mit Reinhold Schneider, Ernst Wilhelm Eschmann, Elisabeth Langgässer und Rudolf Alexander Schröder.18 Prägend war die Berliner Zeit aber noch aus einem anderen Grund: Korn erlebte ein Feuilleton, das meinungsstark sein durfte und als solches auch von der Politikredaktion geschätzt wurde.19 Das intellektuelle Netzwerk um das Berliner Tageblatt war Korn nützlich, als er im April 1938 zur Neuen Rundschau wechselte. Grund für diese Entscheidung waren nicht nur Differenzen mit dem neuen Feuilletonleiter, sondern auch Veränderungen an der Blattspitze. Scheffer, dem Korn später ebenfalls ein Auskommen bei der FAZ anbot,20 hatte Deutschland nach Konflikten mit den NS-Behörden verlassen. Dass seine Position 1937 von Erich Schwarzer, Sturmführer in der Schutzstaffel (SS), übernommen wurde, machte Korn betroffen, schließlich hatte Scheffer die Vorstellung aufrechterhalten, sich auch unter erschwerten Bedingungen publizistische Freiräume bewahren zu können.21 Der Verlust beschäftigte Korn, bestätigte ihn aber vorerst in seiner Entscheidung, zu bleiben. An die zu dieser Zeit im Ausland tätige Boveri, zu der er inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte, schrieb er im Dezember 1936: „Da halte ich nur eins für sinnvoll: Sich so lange nicht auslooten zu lassen, 15 16 17 18 19 20 21

Korn: Lange Lehrzeit (1979), S.  231. Zu der Zeit am BT vgl. auch ders.: Journalistische Lehrjahre, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken  9 (1955), H.  86, S. 336–352. Vgl. den Brief von Karl Korn an Rudolf Alexander Schröder vom 25.10.1959, in: DLA Marbach, A:Schröder, Rudolf Alexander, HS.1999.0012. Vgl. das Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 23.1.1950, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1949/50. Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 221–224. Vgl. Korn: Journalistische Lehrjahre (1955), S. 343. Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 29.12.1954, in: DLA Marbach, A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 12.12.1936, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3.

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als es möglich ist. Mit dem Weglaufen stellen wir nach all dem faits accomplis doch nichts wieder her. – Wie denken Sie aus der Distanz dazu? Vielleicht, daß wir alle hier Knochenerweichung haben? Bien possible“22. Von Sympathie oder ideologischer Nähe zu den neuen Machthabern war in den überlieferten Briefen nichts zu spüren.23 Letztlich waren auch für Korn die Tage am BT gezählt. Im Sommer 1937 willigte er in das Angebot ein, Hauptschriftleiter (Chefredakteur) bei der renommierten Monatsschrift Die Neue Rundschau zu werden. Die von Peter Suhrkamp herausgegebene Zeitschrift – Suhrkamp amtierte seit 1936 als Geschäftsführer des S. Fischer Verlags – hatte sich in der Weimarer Republik für die moderne Literatur eingesetzt und fuhr Mitte der 1930er Jahre einen „vorsichtig oppositionellen Kurs“24. Unter Korns Leitung, die er neugierig übernahm (das Motiv der enttäuschten Erwartung sollte sich bald als biographisches Muster entpuppen), erfuhr sie eine stärkere Ausrichtung am Gegenwartsgeschehen. Die Nähe zum Politischen, so die nachträgliche Erklärung, war zu einer Art Auflage geworden.25 Immer häufiger enthielt die Rundschau nun Texte, deren Sprache und Tenor sich der offiziellen Linie annäherten.26 Die Spielräume waren enger, die Maßnahmen schärfer, die Konzessionen größer geworden. Gleichwohl ließ Korn es sich nicht nehmen, bisweilen Schriftstellerinnen und Schriftsteller um Beiträge zu bitten, die es im „Dritten Reich“ ungleich schwerer hatten als er. 1938 forderte er den christlichen Theologen Jochen Klepper, der wegen seiner jüdischen Frau Berufsverbot erhalten hatte und sich später das Leben nehmen sollte, zu einem Artikel für die Rundschau auf.27 Im folgenden Jahr begann der Zweite Weltkrieg. Der Ausbruch stimmte Korn pessimistisch: „Inter arma silent musae. Ich denke, daß ich in spätestens 2–3 Monaten eine Zierde der Kaserne und des Exerzierplatzes sein werde.“28 Seine Stellung in Berlin verhinderte dies vorerst.

22 23

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Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 12.12.1936, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. Da Boveri ihren umfangreichen Nachlass gezielt anlegte und bereits zu Lebzeiten an die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz übergab, ist freilich nicht auszuschließen, dass er nicht die gesamte Korrespondenz enthielt. Vor allem aus den 1930er und frühen 1940er Jahren sind relativ wenige Briefe von und an Korn überliefert. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 43. Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 262–263. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 43–44. Vgl. den Brief von Karl Korn an Jochen Klepper vom 17.5.1938, in: DLA Marbach, A:Klepper, Jochen, 77.3802. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 8.10.1939, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1.

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Kapitel 2

Im redaktionellen Schriftverkehr gab sich Korn gegenüber den außenpolitischen Entwicklungen weniger kritisch. Am  8. September, eine Woche nach dem deutschen Überfall auf Polen, bat er den Schriftsteller Gerhart Hauptmann um einen Artikel über Schlesien.29 Die heute größtenteils polnische Region gehörte seit Mitte des 18. Jahrhunderts zu Preußen und zu Österreich. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten beide Länder Teile Schlesiens an das wiedergegründete Polen und die Tschechoslowakei abtreten müssen. Insbesondere der Verlust des industriestarken Ostoberschlesiens hatte in der Weimarer Republik eine Welle nationaler Entrüstung ausgelöst. Die militärische Rückeroberung dieses Gebiets, die Erweiterung der Grenzen in östlicher Richtung, genoss zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entsprechend hohe Priorität.30 Zu diesem Anlass wollte Korn in der Rundschau einen Beitrag über die oberschlesische Provinz veröffentlichen und Hauptmann hatte sich zur Verfügung gestellt. Der gebürtige Schlesier war zwar weder Nationalsozialist auf ganzer Linie noch Parteimitglied. Er war der „Machtergreifung“ 1933 aber ebenso mit zustimmender Faszination begegnet wie den nationalsozialistischen Expansionsplänen, die 1938 mit dem „Anschluss“ Österreichs und dem Angriff auf Polen im Folgejahr in die Praxis überführt wurden.31 Korns Vorstellungen waren klar umrissen: Es sollte sich, wie er Hauptmann schrieb, nicht um eine politische, sondern um eine impressionistische Darstellung „Oberschlesiens oder auch Gesamtschlesiens handeln, auf das ja der Pole einen historisch gegründeten Anspruch erheben zu müssen glaubt.“32 Andernfalls könne er in einem literarischen Rückblick seine Reaktion auf den Versailler Vertrag thematisieren. Der 1920 in Kraft getretene Vertrag hatte eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Oberschlesiens festgelegt. Obwohl eine leichte Mehrheit für den Verbleib des Gebietes bei Deutschland gestimmt hatte, war es geteilt und größtenteils Polen zugesprochen worden.33 Die von Hauptmann nun einzunehmende Perspektive war vorgezeichnet: „Die reine Aussage über Ihre damalige Ablehnung und Verbitterung ist gegenwärtig von höchstem Wert“, so Korn. Alternativ bot er dem Schriftsteller an, stellvertretend für die schreibende Zunft den Krieg zu bejahen. Hauptmann könne „sagen, dass der gegenwärtige Krieg, ganz gleich mit wem er zu führen sein 29 30 31 32 33

Vgl. den Brief von Karl Korn an Gerhart Hauptmann vom 8.9.1939, in: PSB, GH Br NL A: Korn, Karl, 1. Vgl. Herzig, Arno: Geschichte Schlesiens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 2015, S. 87–89, 101–102. Vgl. Sprengel, Peter: Gerhart Hauptman. Bürgerlichkeit und großer Traum. München 2012, S. 669–674. Brief von Karl Korn an Gerhart Hauptmann vom 8.9.1939, in: PSB, GH Br NL A: Korn, Karl, 1. Vgl. Herzig: Geschichte Schlesiens (2015), S. 89–90.

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wird, insbesondere auch diejenigen aufruft, die die deutsche Kultur und den deutschen Geist tragen, und dass es darum gar keine Frage gibt, wo die deutschen Dichter stehen.“34 Der Brief zeigt Korns Bemühungen, sich auf der offiziellen Linie zu bewegen, ohne allzu verbindlich Farbe zu bekennen. Die nahegelegten Optionen enthielten zwar chauvinistische Deutungen und Zugeständnisse an die nationalsozialistische Propaganda. Vorstellungen wie die eines territorial vereinten deutschsprachigen Kulturraums waren aber nicht dezidiert nationalsozialistischer Natur. Korns Brief kann daher ebenso als Versuch gelesen werden, eine Stellungnahme zu brennenden politischen Fragen durch einen Rückzug in die feuilletonistische Sphäre, in Subjektivität und Historie abzumildern und das Ergebnis – in auffälligem Kontrast zu seiner späteren Praxis in der FAZ – im Vorfeld durch einen fest abgesteckten Deutungsrahmen zu kontrollieren. Korns Begeisterung wich bald der Ernüchterung. Mit Suhrkamp kam er persönlich gut aus, beruflich gestaltete sich ihre Beziehung aber schwierig. Wie Jahre später in den Konflikten mit Welter rieb sich Korn am dominanten Auftreten des Verlagsdirektors, dem er mit Aufmüpfigkeit und dem Habitus intellektueller Überlegenheit begegnete. Durch die enge Verbindung zwischen Zeitschrift und Verlag war der Bewegungsradius begrenzt, Rationalisierung und Auflagenschwund taten ihr Übriges.35 Im Herbst 1939 begann er, sich anderweitig umzusehen. Korn hatte die Hoffnung, über die nunmehr als Korrespondentin tätige Boveri doch noch einen Fuß in die FZ zu bekommen. „Eure Zeitung insgesamt ist schon immer die einzige gewesen“, schrieb er ihr im Dezember überschwänglich, „jetzt ist sie – der Himmel erlaube mir den folgenden Superlativ […] – die Einzigste!“36 Der Versuch scheiterte abermals: Im Literaturblatt waren keine Aufträge zu vergeben.37 1940 erhielt Korn das Angebot, Feuilletonleiter der neuen NS-Wochenzeitung Das Reich zu werden. Er nahm trotz Widerstand Suhrkamps, der Korn zufolge einen „weltanschaulichen Zusammenbruch“38 erlitt, an. Ihn lockten die Herausforderung, die Unabhängigkeit vom S. Fischer Verlag, die ihn zweifellos in andere Abhängigkeiten stürzte, und nicht zuletzt das hohe Gehalt, das seinen bisherigen Verdienst fast verdoppelte. Korn sehnte sich nach dem schnelllebigen 34 35 36 37 38

Brief von Karl Korn an Gerhart Hauptmann vom 8.9.1939, in: PSB, GH Br NL A: Korn, Karl, 1. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.12.1939, in: ebd., NL Margret Boveri  920, Mappe  1; Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 10.1.1939, in: ebd., Mappe 2. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.12.1939, in: ebd., Mappe 1. Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 22.9.1939, in: ebd., Mappe 2; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 8.10.1939, in: ebd., Mappe 1. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 25.4.1940, in: ebd.

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Zeitungsgeschäft, das Dynamik und Perspektive versprach.39 Im Reich fühlte er sich wohl. Im Frühjahr 1940 berichtete er an Boveri: „Es ist ein toller Betrieb – und er macht mir trotz aller Begleitumstände Spass.“40 Gemessen an den Bedingungen in einer Diktatur, genoss Das Reich verhältnismäßig große Freiheiten, das Feuilleton unter seinem ersten Leiter relative Liberalität.41 Freilich muss Korn um seine dortige Funktion gewusst haben: Er, der ehemalige Redakteur bürgerlich-liberaler Blätter, repräsentierte nun das Feuilleton eines nationalsozialistischen Blattes, das dem kritischen Ausland mittels Qualitätsjournalismus Aufgeschlossenheit und Toleranz vermitteln sollte. Für den Nationalsozialismus hegte er indes keine sonderlichen Sympathien. Korn war ein ambitionierter, am eigenen Fortkommen orientierter Journalist konservativer Prägung mit „humanistisch-abendländische[r] Affinität“42 ohne ausgeprägten Hang zum Ideologischen.43 Das spiegelte sich auch in seinen Texten wider, die mit Ausnahme seiner „Jud Süß“-Rezension eher unpolitisch ausfielen.44 Die meisten Veröffentlichungen, so das Resümee seines Biographen, waren feuilletonistischer Art und enthielten keine auffälligen Positionen,45 offenbarten allerdings eine deutliche Skepsis gegenüber populärkulturellen und westlich-demokratischen Phänomenen.46 Es war schließlich ein Zufall, der Korn schon ein halbes Jahr nach dem Neuanfang im Reich zum Verhängnis wurde. Nachdem er über die „Große Deutsche Kunstausstellung“ im Haus der Deutschen Kunst referiert hatte,47 erhielt er Schreibverbot. Ein Ölgemälde von Karl Truppe, das Hitler als Präsent für den Münchner Gauleiter auserkoren hatte, war zum Gegenstand seiner sanften Kritik geworden.48 Seine Beurlaubung und offizielle Entlassung im Winter 1940 belasteten Korn, der noch für kurze Zeit im Feuilleton unterkommen konnte,49 schwer. „Er lebte wie in Quarantäne“50, berichtet Helene Rahms, die ihren späteren Chef in 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

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Vgl. die Karte von Karl Korn an Margret Boveri o. D. und den Brief vom 25.4.1940, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 25.4.1940, in: ebd. Vgl. Frei / Schmitz: Journalismus im Dritten Reich (2011), S. 112; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 45. Payk: Der „Amerikakomplex“ (2005), S. 194. Vgl. dazu auch die Selbstdarstellung von Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 107, 191. Vgl. das folgende Kapitel „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 49. Vgl. ebd., S. 76. Vgl. Korn, Karl: Publikum im Haus der Deutschen Kunst, in: Das Reich vom 18.8.1940. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 46. Vgl. den Brief von Karl Korn an Franz Tumler vom 31.1.1941, in: DLA Marbach, A:Tumler, Franz, 92.4.815. Der mit „Heil Hitler!“ unterzeichnete Brief, in dem Korn Tumler um einen Beitrag für das Feuilleton bittet, wurde auf einem Briefbogen der Wochenzeitung abgetippt. Rahms: Die Clique (1999), S. 96.

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der Reich-Redaktion kennengelernt hatte. Erst als das Publikationsverbot im Herbst 1942 aufgehoben wurde, griff Korn unter anderem für die Kölnische Zeitung wieder zur Feder: „Ich bin also wieder flott. Für mich sehr wichtig.“51 Im April  1941 wurde Korn zum Wehrdienst eingezogen und nach einer Grundausbildung zum Oberkommando des Heeres nach Potsdam versetzt. Seine kurze militärische Laufbahn begann: Als „Sonderführer“ bei der Inspektion des Erziehungs- und Bildungswesens des Heeres war er für den Umbruch, Druck und Vertrieb von „Tornisterschriften“ verantwortlich. Die im Auftrag der Wehrmacht herausgegebenen Hefte wurden zu Informations- und Bildungszwecken an die inner- und außerhalb Europas stationierten Soldaten verschickt. Sie enthielten unter anderem Beiträge von den Chefideologen Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels, NS-Schriftstellergrößen wie Hans Grimm und dem faschistischen italienischen Ministerpräsidenten Benito Mussolini. Die Mehrheit war agitatorischer Natur.52 1944 musste Korn auch diese Stellung aufgeben. Er wurde als Infanterist nach Südwestdeutschland in Richtung Westfront abgeordnet und Ende des Jahres zum Gefreiten ernannt.53 Das Leben in der militärischen Männergesellschaft war Korn fremd. Er sah sich als Solitär unter unkultivierten Fremden, die der Propaganda der Reihe nach zum Opfer fielen. Wenige Monate, bevor er in einem französischen Kriegsgefangenenlager bei Brumath nahe Strasbourg interniert wurde,54 schrieb er an Boveri: Der Mensch, der wie unsereiner eigentl. primär aus dem Intellekt lebt, ist völlig anders als alle anderen Menschen – und fühlt sich wohl nirgends deplazierter als in Deutschland. Es gibt keinen größeren Irrtum als den zu glauben, man könne auf deutsche Männer mit Bildungsargumenten irgend einen [sic!] Eindruck machen. Am schlimmsten sind die hier zahlreichen schwäb. Bildungsspießer, die den Geist ‚ehren‘ und knebeln, indem sie ihm die Rolle eines gestickten Kissendeckchens fürs Sofa zubilligen. Habe vorgestern den Vortrag eines schwäb. Stud-Rats über Frédéric II. anhören müssen. Da wird dem Korn ob so viel angeborenen Lügens übel, speiübel. Wir leben eben ohne Publikum!55

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Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.10.1942, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Vgl. Bühler, Hans-Eugen / Bühler, Edelgard: Der Frontbuchhandel 1939–1945. Organisationen, Kompetenzen, Verlage, Bücher. Eine Dokumentation (= Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 3). Frankfurt am Main 2002, S. 184. Eine Tabelle mit den erschienenen Titeln findet sich auf den Seiten 185–189. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 47–48. Vgl. dazu auch den Erinnerungsbericht von Korn, Karl: Als ich Prisonnier de Guerre war. Aus einer nachgelassenen Erinnerung – Bericht über ein Lager im Jahr 1945, in: FAZ vom 17.8.1991, BuZ, S. 3. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 3.12.1944, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1.

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Kapitel 2

Nach der Entlassung im Herbst 1945 zurück in Berlin, nahm Korn seinen Beruf wieder auf. Er war als „Mitläufer“ eingestuft worden.56 Wie er Rudolf Alexander Schröder 1946 berichtete, war seine Biographie für integer befunden worden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass er keiner NS-Organisation angehört hatte und aus politischen Gründen aus dem Reich ausgeschieden war. Auch sein 1944 erschienenes Buch „In der Stille“57, eine Sammlung einiger Zeitungsund Zeitschriftenbeiträge, sei als Ausweis seiner Integrität akzeptiert worden.58 In den folgenden zwei Jahren arbeitete Korn als freier Journalist, lebte mehr schlecht als recht von Auftragsarbeiten, die er unter anderem für den Kurier und Tagesspiegel anfertigte.59 Die Nachkriegszeit empfand Korn als schwere Zeit des Ausharrens mit ungewissem Ziel. Alle Posten, die ihm angeboten wurden, lehnte er ab: eine Lektorenstelle im Minerva Verlag, den er zwischenzeitlich interimistisch leitete, die Chefredaktion im Limes Verlag und die der Kulturzeitschrift Der Ruf. Wie viele seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen plagten ihn Politikverdrossenheit und Orientierungslosigkeit. Weder wollte sich Korn politisch festlegen noch ideologische Kämpfe im Namen der Westmächte führen.60 Deren Deutschlandpolitik begegnete er mit Skepsis.61 Ähnlich wie Boveri hoffte auch er vor dem Hintergrund des aufziehenden Kalten Krieges auf einen „Dritten Weg“ zwischen Osten und Westen unter neutralen Vorzeichen.62 Neben seiner Liberalismusskepsis vertrat der überall „Piefkegeschmack“63 und restaurative Tendenzen witternde Korn antibürgerliche und antikapitalistische Positionen,64 die sowohl dem sozialkatholischen Milieu 56

57 58 59 60 61 62

63 64

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 89. Der Case Report in der Akte des Berlin Document Center enthält den Hinweis „No objection“ (keine Einwände). Vgl. den Case Report 1267 der Intelligence Section ISC Branch Berlin Detachment vom 17.12.1946, in: BArch Berlin-Lichterfelde, R 9361-V/145787. Korn, Karl: In der Stille. Gedanken und Betrachtungen. Berlin 1944. Vgl. den Brief von Karl Korn an Rudolf Alexander Schröder vom 21.1.1946, in: DLA Marbach, A:Schröder, Rudolf Alexander, HS.1999.0012. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.4.1948, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 14.12.1947, in: ebd. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 108. Vgl. ebd. S. 130; Schildt, Axel: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld. Intellektuelle Positionen am Ende der Weimarer und am Anfang der Bonner Republik, in: ders. / Gallus, Alexander (Hg.): Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 48). Göttingen 2011, S. 13–32, hier S. 26. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.9.1949, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 24.12.1948, in: ebd. Vgl. dazu auch Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 105.

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des Elternhauses als auch dem Scheitern des demokratischen Kapitalismus in der späten Weimarer Republik entsprungen waren. Vor allem gegenüber der amerikanischen Besatzungsmacht hatte Korn starke, kulturpessimistisch grundierte Vorbehalte, die es schon in den 1920er und 1930er Jahren im linken und rechten Spektrum der Weimarer Intellektuellen gegeben hatte. Sie verbanden ihn mit den antiwestlichen Affekten Margret Boveris oder Ernst Niekischs und traten in den Briefwechseln mit ihnen daher besonders stark hervor. Korns intellektuelle Faszination galt in der unmittelbaren Nachkriegszeit eher Karl Marx als Kurt Schumacher oder Konrad Adenauer (wobei er Letzteren 1949 aus angeblicher Alternativlosigkeit trotzdem wählte),65 realpolitisch lehnte er die Vorstellung eines deutschen Sozialismus und den östlichen Kollektivismus jedoch ab.66 Nach Monaten des Vagabundentums sehnte sich Korn, in diesem Punkt selbst sehr bürgerlich geprägt, nach einem geregelten Einkommen, Komfort und Häuslichkeit. Er verließ Berlin und zog 1947 zurück in Richtung Heimat. In Wiesbaden wollte er auf die Suche gehen, sich etwa um eine Außenstellung für den Kurier oder die Welt bemühen. Von einer Korrespondententätigkeit im Rhein-Main-Gebiet erhoffte er sich einen „Posten mit einiger freier Zeit für meine Liebhabereien“67: Kochen, Lesen, Gärtnern, Theater. Stattdessen nahm er ein Angebot Erich Welters an und wurde im Sommer 1948 Redakteur in dem zunächst noch von Hans Bütow geleiteten Feuilleton der Mainzer AZ.68 Welter hatte ihm abgeraten, nach der Währungsreform eine freie Korrespondentenstelle anzutreten. Zu instabil sei die Lage, zu groß die Abhängigkeit der Lizenzzeitungen.69 Im Frühjahr hatte er Korn außerdem von seiner Idee erzählt, zusammen mit Otto Klepper „eine grosse Superwochenzeitung“ gründen zu wollen. „Da soll ich Feuilleton machen. Fürchte nur, dazu bin ich zu rot. Das

65 66 67 68

69

Vgl. die Briefe von Karl Korn an Margret Boveri vom 26.12.1947 und 28.9.1949, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Vgl. dazu das Kapitel 4.3 „Blicke nach Osten“. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 16.6.1948, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. Über die Bekanntschaft zwischen Korn und Welter geben die gesichteten Quellen kaum Aufschluss. Aus einem Brief Korns geht nur hervor, dass er Welter durch seine Arbeit als Feuilletonchef des Reich aufgefallen war. Welter hatte ihn daraufhin für die FZ engagieren wollen. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 25.10.1959, in: FAZ-Archiv, Z. M-Z. Warum dieses Engagement platzte und wie sich die beiden kennenlernten, bleibt unklar. Denkbar wäre, dass der Kontakt über die auch mit Welter bekannte Boveri zustande kam. Vgl. die Briefe von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.4.1948 und 31.7.1948, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1.

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Kapitel 2

sind Bankiers diese Knaben, liberal und jovial und parteiisch westlich“70, ließ Korn Boveri im April 1948 über Welters Pläne wissen. Zunächst aber fing Korn bei der AZ an, für die er das Literaturblatt leitete, eher widerwillig die Frauenbeilage redigierte und die Kulturpolitik betreute.71 Bei allem Pessimismus („Geistig ist das alles Talmi“72) stimmte ihn der Neuanfang euphorisch. Korn genoss seine Freiheit. Interne Konflikte – „Kämpfe der F.Z. Richtung unter Sethe und Welter gegen die Generalanzeigerrichtung unter Dombrowski, ich sage Ihnen schönstes Berliner Geraufe!“73 – registrierte er mit Gelassenheit und Witz. Anders als später in Frankfurt, berührten sie ihn zu diesem Zeitpunkt nur peripher. Sein redaktionelles Umfeld, aus dem sich bald darauf große Teile der FAZ-Belegschaft zusammensetzten, beobachtete er mit gemischten Gefühlen. Wie er nach Berlin schrieb, sei Welter „menschlich ebenso nett wie geistig eine Enttäuschung“. Welter denke „so schlicht reaktionär wie irgend ein [sic!] an Warenhortung und Steuerhinterziehung reichgewordener Kaufmann“. Dombrowski sei gar „eine Katastrophe“, so auch der „spiessige Verlag“74, Sethe hingegen ein Gewinn: „Den Sethe liebe ich richtig. Er ist ein Mordstrumm von einem Mann und ein Mensch.“75 Korns Position in diesem Gefüge war schnell umrissen. Inmitten der rheinmainischen Provinz, zwischen Konformismus und Spießertum, schrieb er sich die Rolle des großstädtisch-draufgängerischen Querulanten zu. Insbesondere gegenüber der geschätzten, bewunderten und stets kritischen Boveri, der großen politischen Publizistin und Denkerin, war Korn bemüht, seine vermeintliche Sonderrolle zu betonen. „Uebrigens gelte ich in meiner Zeitung und auch sonst als rot. Meine Leidenschaft ist, in alle nur erreichbaren Diskussionen zu latschen und dort gewaltig das Maul aufzureissen“76, ließ er Ende des Jahres 1948 vermelden. Boveris Versuche, Korn für den Kurier zu gewinnen, verliefen ins Leere.77 Stattdessen freundete sich Korn mit der Vorstellung an, Mitherausgeber einer neuen überregionalen Zeitung zu werden. Die Pläne zur Gründung 70 71 72 73 74 75 76 77

Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.4.1948, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 24.12.1948, in: ebd.; Brief von Karl Korn an Ursula Kardorff vom 30.7.1948, in: IfZArch, ED 348–5–490. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 5.2.1950, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 31.7.1948, in: ebd. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 24.12.1948, in: ebd. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 31.7.1948, in: ebd. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 24.12.1948, in: ebd. Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 3.7.1949, in: ebd., Mappe 2; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 20.7.1949, in: ebd., Mappe 1.

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der FAZ schritten im Laufe des Jahres 1949 voran. Doch die anfängliche Finanzierung durch Wirtschaftskredite bereite Korn Unbehagen. Die unter Verschluss gehaltenen Verbindungen zur Textil-, Nahrungs-, Glas- und Gaswirtschaft (Salamander AG, Esso AG u. a.) suggerierten nicht gerade Unabhängigkeit.78 „Wir haben hier weder Zensur noch Überwachung“, schrieb Korn im Juli 1951 an seinen Bekannten Niekisch, als es um die Frage ging, ob und wie die FAZ von dessen Buch „Europäische Bilanz“ Kenntnis nehmen könnte. „Aber wir haben Auftraggeber in Gestalt der Leute, die unser monatliches Defizit decken. Das sind deutsche Industrielle, die natürlich in der von ihnen getragenen Zeitung nicht lesen wollen, dass ihre Weltstunde abgelaufen sei“79. Gleichwohl verhinderte diese Sorge nicht, dass Korns Name seit November das FAZ-Titelblatt zierte. Kurz nach dem Erscheinen berichtete er flapsig und unter offenkundigem Legitimationsdruck an Boveri: Dass ich mich zum „Herausgeber“ eines Kapitalistenblattes habe machen lassen, wissen Sie. Ich denk halt, dass es für uns Zwischengeneration unvermeidlich ist, bei Läden zu sein, die wir innerlich ablehnen. Die alte und längst zur zweiten Natur gewordene Funktion der Opposition von innen heraus lasse ich mir freilich nicht nehmen, und ich fühle mich frech und unternehmenslustig den alten Korn, der ich immer war.80

In der Rolle des unbequemen Nonkonformisten, die Korn vor allem in seinen Briefen an Boveri bisweilen hochspielte, fühlte er sich nach den ersten Monaten bestärkt. Entsprechende Bestätigungen aus dem Umfeld der Zeitung trafen daher auf offene Ohren, so etwa, als er hörte, dass ihn Walter Dirks vor den Gewerkschaften mit dem Argument verteidigt habe, Korn sei ja nicht die Frankfurter Allgemeine.81 Dieses Selbstverständnis wurde zum einen von der untergeordneten Stellung des Feuilletons unterstützt, die der jüngste FAZ-Herausgeber nicht still zu akzeptieren gedachte. Mehrere Zwischenfälle bekräftigten den Eindruck, dass das Ressort nicht als Instanz auf Augenhöhe wahrgenommen wurde. So ließ Welter 1954 ohne Rücksprache eine Rede des Theaterregisseurs Gustaf Gründgens drucken, nachdem im Feuilleton zuvor ein kritischer Bericht über ihn erschienen war. Welter stellte dem auf Korrektur drängenden Intendanten der Städtischen Bühnen Düsseldorf dafür eine ganze 78 79 80 81

Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 32. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 3.7.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/2 c. Zur Wirtschaftslage vgl. auch die Briefe von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.9.1949 und 5.2.1950, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 12.11.1949, in: ebd. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.8.1951, in: ebd., Mappe 3.

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Seite in der vom Feuilleton verantworteten Samstagsbeilage zur Verfügung.82 Auch der Ausbau des Redaktionsstabs – die Einführung von Sonderseiten und Beilagen hatte keine entsprechende personelle Erweiterung nach sich gezogen – ging nur schleppend voran und bedeutete für Korn ein erhebliches Maß an Mehrarbeit. Zum anderen eckte Korn wiederholt mit seinen Kollegen und der eingeschlagenen Blattlinie an. Die Einmischungen Welters und Baumgartens stimmten ihn genauso missmutig wie der „penetrante Unternehmerstandpunkt“83 im Blatt, die von Welter forcierte „Loyalität gegenüber den Institutionen und dem Führungspersonal der Bundesrepublik“84 oder die alten Geschichten über die FZ, die doch nur „stinkender Hochmut auf ein paar Artikelchen von fuffzehn Jahren“85 seien. Dass Korn noch einige Jahre zuvor unbedingt hatte Teil dieses Kosmos werden wollen, war vergessen. Neben Welter, der einige Ehemalige in der FAZ-Wirtschaftsredaktion versammelte, hatte auch Sethe für die FZ gearbeitet. Zu Sethe hatte Korn nach 1949 ein ambivalentes Verhältnis. Für den Politikjournalisten nationalkonservativer Prägung hatte er wenig übrig. „Dieses sentimentale Hinterhergelaufe, wenn irgendwo ein Mannstein [sic!] vor Gericht steht“86 (gemeint ist Erich von Manstein, den Korn für die deutschen Kriegsverbrecher anführt), irritierte ihn. Als Kollegen, Freund und hartnäckigen Kritiker der unbedingten Westintegration hingegen schätzte er ihn, wenngleich sich ihre Standpunkte im Detail deutlich voneinander unterschieden.87 Als der Politikherausgeber 1953/54 erwog, nach Washington zu gehen, prophezeite Korn, dass sich seine Stellung in der Zeitung sodann erheblich verschlechtern würde.88 Und tatsächlich befiel ihn nach Sethes Weggang 1955 ein Gefühl der Isolation, das auch der wenige Kilometer entfernte 82

83 84 85 86 87 88

Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.4.1954, in: BArch Koblenz, N 1314/514. Bei dem von Gründgens beanstandeten Artikel handelt es sich um U.B.H. (= Ursula Binder-Hagelstange): Das Theater und die moderne Kunst. Ein Vortrag von Gustaf Gründgens auf der „Bühlerhöhe“, in: FAZ vom 19.3.1954, S. 8. Die Referentin attestierte Gründgens darin unter anderem „das langweilige Habit eines echten Reaktionärs“. Die Reaktion erfolgte etwa zwei Wochen später durch Gründgens, Gustaf: Das Theater und die moderne Kunst, in: FAZ vom 3.4.1954, BuZ, S. 2. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 5.2.1950 in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 186. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 12.11.1949, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Ebd. Vgl. dazu den Abschnitt „Die Wehrfrage“ im Kapitel „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 11.1.1954, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3.

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Theodor  W.  Adorno bemerkte, als er festhielt, dass „das ganze Blatt sich in einer reaktionären Entwicklung befindet, in der Korn es recht schwer hat.“89 Die Aufbruchstimmung, die in Korns Briefen um 1948/49 durchgeklungen war, schlug in den frühen 1950er Jahren um. „Es ist ja grässlich, wie man seine Nerven in diesen sinnlosen Machtkämpfen verbraucht“90, klagte er 1950. Auch gesundheitlich machten sich Probleme bemerkbar. „Ich fühle selbst, wie ich kaputt bin“91, gestand Korn Welter im Folgejahr. Die Unstimmigkeiten mit den Kollegen und die starke Überlastung ließen ihn mit dem Gedanken spielen, die FAZ zu verlassen: „Ich denk schon oft, wenn ich was anderes wüsst, ich schmiss denen den Bettel hin.“92 Im Jahr des Sethe-Abschieds 1955 tat sich dazu eine geeignete Option auf. Josef Hermann Dufhues, der Vorsitzende des Verwaltungsrates im Westdeutschen Rundfunk, stellte Korn eine Intendantenstelle in Köln in Aussicht.93 Korn hatte sich auf den Posten zwar nicht beworben, durch ein vertrauliches Treffen aber seine potentielle Bereitschaft signalisiert. Die Verabredung blieb vage. Zunächst sollte Dufhues, wie Korn seinen Kollegen später beichtete, „unter strikter Wahrung des Geheimnisses das Terrain innerhalb der Kölner Rundfunkgremien sondieren“. Korn gab offen zu, geschmeichelt gewesen zu sein: „Dass ich selbst abwartend und interessiert reagiert habe, dürfte in Anbetracht der Bedeutung des Postens gleichfalls einleuchtend sein“94. Er ließ die Gelegenheit verstreichen. Aller Frustration zum Trotz sah sich Korn nicht imstande, seinem Ziehkind den Rücken zu kehren. Wie viele andere Episoden zeigen, sollte Korns Verhältnis zur FAZ schillernd bleiben. In der Geschichte der FAZ spielte Korn zweifellos nicht die Hauptrolle. Anders als Welter, den der Journalist Walter Henkels als „die Seele des Blattes“95 beschrieb, gehörte er weder zu den zentralen Ideengebern noch bemühte er sich nach 1949, seinen Einfluss über das Feuilleton hinaus zu vergrößern.96 89 90 91 92 93 94 95 96

Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 9.3.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1267. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.5.1950, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.5.1950, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 2.6.1955, in: ebd., Mappe 3. Brief von Karl Korn an Paul Sethe vom 9.5.1955, in: BArch Koblenz, N 1314/507. Henkels: Die Lage war immer so ernst (1982), S. 248. Das geht auch aus den Zeitzeugenberichten hervor, in denen als prägende Figuren der Anfangsjahre stets Erich Welter und Paul Sethe angeführt werden. Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Eva Jüngling vom 26.2.1995, in: FAZ-Archiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J.

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Korns Kontakte zur Geschäftsführung beschränkten sich auf das Mindestmaß, wirtschaftliche Gesichtspunkte interessierten ihn ebenso wenig wie die Räte, Gremien und Institutionen hinter der Zeitung. Eine Mitgliedschaft in der FAZIT-Stiftung, wie sie Welter, Jürgen Eick oder auch Friedrich Sieburg innehatten, lehnte er ab.97 Selbst auf seinem ureigenen Terrain bewegte er sich mit Zurückhaltung. Das Feuilleton machte er sich zunutze, Einladungen zu Rundfunkgesprächen, gesellschaftliche Events, öffentliche Auftritte und Reden betrachtete der „Party-Flüchtling“98 aber als Last und nahm im Laufe seiner FAZ-Karriere immer seltener an ihnen teil.99 „Als ‚Pensionär‘“, schrieb Korn 1980 an Heinrich Böll, „lebe ich noch isolierter als in unseren aktiven Frankfurter Jahren, die auch viel isolierter waren, als es nach außen scheinen mochte.“100 Für die Geschichte des FAZ-Feuilletons ist seine Bedeutung gleichwohl kaum zu überschätzen. In der Erinnerung ehemaliger Kolleginnen und Kollegen wird Korn als nahbarer Herausgeber beschrieben, im alltäglichen Umgang mehr handfester Journalist als Chef, mehr Lehrer als Intellektueller. In der Redaktion, so erinnert sich Maria Frisé, sei er meist präsent gewesen, sein Büro habe stets offen gestanden. Neben dem späteren Politikherausgeber Bruno Dechamps habe Korn in der Zeitung das Menschliche repräsentiert.101 Lebendigkeit und Witz werden ihm ebenso zugeschrieben wie eine „gelassene Verachtung der Alles- und Besserwisser“102 und ein starkes Temperament. Einmal entflammt, habe er sich passioniert für seine Ideen engagiert. „Niemand konnte so leidenschaftlich und mitreißend kämpfen“103, schreibt Frisé über ihre bisweilen schulmeisterliche Lehr- und Vaterfigur.104 Wegen seines Talents, seiner Urteilskraft und Professionalität, seiner weitläufigen Expertise und wohlwollenden Sensibilität wurde er in der Feuilletonredaktion und darüber hinaus respektiert und geschätzt.105 Bisweilen konnte seine Stimmung jedoch auch in Nervosität, Reizbarkeit und Jähzorn umschlagen. Wenn Korn schimpfend 97 98 99 100 101 102 103 104 105

Vgl. das Protokoll der Redaktionskonferenz vom 16.6.1970, in: BArch Koblenz, N 1426/26. Brief von Sabina Lietzmann an Hilde Spiel vom 3.11.1971, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/448. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 17.5.1953, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1; Brief von Karl Korn an Siegfried Unseld vom 5.3.1973, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 20.12.1980, in: HBA, Bestand Korres. Kreuzau 1004, Bl. 627. Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg. Henkels: Die Lage war immer so ernst (1982), S. 248. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 302. Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg. Vgl. J.K. (= Joachim Kaiser): Ein großer Publizist. Karl Korn zum 60. Geburtstag, in: SZ vom 20.5.1968, S. 12; Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 301–302; Gespräch

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und fluchend aus den Herausgeberkonferenzen kam, berichtet der ehemalige FAZ-Kunstredakteur Eduard Beaucamp, sei sein Kopf rot erhitzt gewesen, die buschigen Augenbrauen und die Stirn gekrümmt, „die tollen Augen rotierten in den Höhlen und blitzten wie Zeus“106. 2.2

Personal und Personalpolitik

Als Herausgeber war es Korns Aufgabe, die Augen und Ohren nach potentiellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offen zu halten und sie im Fall einer positiven Erstbeurteilung zu einem Einzelgespräch mit den Herausgebern nach Frankfurt einzuladen. Auf der Suche nach geeignetem Personal konnte Korn auf ein weit gespanntes Netz persönlicher Verbindungen zurückgreifen, die teilweise noch aus seiner Zeit am BT, bei der Rundschau und im Reich stammten, zum Teil aber auch auf Bekanntschaften aus der Berliner Vagabundenzeit zurückgingen. Was den engeren Redaktionsstab anbelangte, machte Korn davon aber nur wenig Gebrauch. Nur Rahms kannte er aus ihrer Zeit bei der NS-Wochenzeitung. Wie Korn und der spätere FAZ-Feuilletonleiter Hans Schwab-Felisch hatte auch sie in der Nachkriegszeit für den Berliner Kurier gearbeitet.107 Zu allen anderen Redaktionsmitgliedern bestanden keine nachweislichen biographischen Überschneidungen. Darin unterschied sich Korns Personalpolitik diametral von der Welters, der in der Wirtschaftsredaktion gezielt Ehemalige aus der FZ108 und der DZ um sich scharte. Entsprechend homogener gestaltete sich ihre Zusammensetzung.109 Anders sah es bei den freien Autorinnen und Autoren aus, die Korn zur gelegentlichen Mitarbeit aufforderte. In diesem Fall scheute er sich nicht, auf alte Verbindungen zurückzugreifen. So stammten seine Kontakte zu Reinhold Schneider, Elisabeth Langgässer und Ernst Wilhelm Eschmann aus den Tageblatt-Jahren.110 Franz

106 107 108

109 110

zwischen Marianne Englert und Liebhilt von Caprivi am 26.10.1994, in: FAZ-Archiv, F.A.Z Zeitzeugen A-J; Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Vgl. außerdem Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 218. Vgl. Lietzmann, Sabina: Der Redliche. Zum Tode von Hans Schwab-Felisch, in: FAZ vom 21.10.1989, S. 29; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 97; Rahms: Die Clique (1999), S. 96–97. Unter den Feuilletonredakteurinnen und -redakteuren befanden sich außer der ständigen Musikkritikerin Hildegard Weber keine ehemaligen FZ-Mitglieder. Viele waren in den 1930er Jahren emigriert (Siegfried Kracauer), manche waren in die Politik gewechselt (Benno Reifenberg), andere wiederum verstorben (Joseph Roth). Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 319. Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 221–226.

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Hrastnik, der in den 1950er Jahren über das Wiener Theater schrieb, kannte er aus der französischen Kriegsgefangenschaft.111 Skeptisch war Korn gegenüber Engagements, die aus privaten Beziehungen hervorgingen. Mit Ausnahme seiner Schwägerin Sabina Lietzmann, die zunächst als Referentin aus Berlin und nach 1959 als Politik- und Kulturkorrespondentin aus New York berichtete, pflegte Korn Berufliches und Privates zu trennen. Anfragen wie die seiner ehemaligen Lebensgefährtin und Kollegin im Reich Ilse Urbach beschied er negativ.112 An anderer Stelle konnten Beziehungen freilich von Vorteil sein. So notierte Welter nach einem Gespräch mit Korn über den Journalisten Albert Schulze Vellinghausen: „Das Engagement ist nicht nur wegen des Talents dieses Mannes, sondern auch wegen der besonderen gesellschaftlichen Stellung, die er einnimmt, für uns nützlich“113. Schulze Vellinghausen sollte zu einem der wichtigsten FAZFeuilletonreferenten werden und bis kurz vor seinem Tod 1967 für die Zeitung schreiben.114 Neben informellen Veranstaltungen und öffentlichen Events wie der Buchmesse, die Gelegenheit zur Vernetzung boten, spielten in der FAZ-Personalpolitik Hinweise und Empfehlungen eine Rolle. Statt standardisierter und bürokratisierter Bewerbungsverfahren waren es in den 1950er Jahren häufiger Bekanntschaften zu einzelnen Herausgebern, Ressortverantwortlichen oder zur Geschäftsführung („Steigbügelhalter“115), die in die Redaktion führten. Korn sprach zudem gelegentlich mit Benno Reifenberg über die Potentiale des Arbeitsmarkts. Reifenberg, seit 1945 Herausgeber der Gegenwart, vermittelte Anfragen weiter und diente als Anlaufstelle, wenn Bedarf an Fachpersonal bestand.116 Anders als in der Wirtschaftsredaktion, folgte die Personalpolitik im Feuilleton keinem festen Schema. Wo und bei wem man studiert, welche Vorlesungen man gehört hatte, konnte die Entscheidungsfindung zwar beeinflussen (die Bekanntschaft mit dem Dichter Rudolf Alexander Schröder diente Beaucamp 1966 als Eisbrecher)117, war jedoch nicht ausschlaggebend. 111 Vgl. Korn, Karl: Als ich Prisonnier de Guerre war. Aus einer nachgelassenen Erinnerung – Bericht über ein Lager im Jahr 1945, in: FAZ vom 17.8.1991, BuZ, S. 3. 112 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 113 Aktennotiz von Erich Welter über ein Gespräch mit Herrn Korn über das Engagement des Herrn Schulze Vellinghausen vom 8.5.1953, in: BArch Koblenz, N 1314/220. 114 Vgl. den Brief von Karl Korn an Anna Niekisch vom 25.5.1967, in: ebd., N 1280/1n. 115 Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 116 Vgl. den Brief von Karl Korn an Benno Reifenberg vom 4.6.1951, in: DLA Marbach, A:Reifenberg, Benno/Die Gegenwart, 79.9611; Brief von Benno Reifenberg an Karl Korn vom 26.4.1954, in: ebd., 79.8325. 117 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt.

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Das galt auch für akademische Titel: Zwischen 1949 und 1956 hatten zwar fünf der insgesamt elf Redaktionsmitglieder einen Doktortitel, allerdings nur sechs überhaupt einen Hochschulabschluss.118 Wie die Biographien von Hans Schwab-Felisch und Martin Ruppert zeigen, war ein abgeschlossenes Studium selbst für höhere Posten nicht zwingend nötig. Akademische Rückkopplungseffekte, wie sie aus dem Austausch zwischen der Wirtschaftsredaktion und dem Mainzer Institut für Wirtschaftspolitik hervorgingen,119 gab es im Feuilleton nicht. Die Kontakte in die Sozial- und Geisteswissenschaften waren verstreut und beschränkten sich in der Regel auf Verbindungen zu einzelnen Fachvertretern. Wichtiger als die Expertise auf einem bestimmten Fachgebiet war die Erfahrung. Während unter den freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch unerfahrene waren, setzte Korn in der Redaktion zunächst auf erprobtes Personal. Erst sein Nachfolger Fest zog in den 1970er und 1980er Jahren bevorzugt Nachwuchskräfte heran, die noch keine oder nur eine kurze journalistische Ausbildung genossen hatten, um sie nach den eigenen Vorstellungen auszubilden.120 Das spiegelte sich im Durchschnittsalter wider, das 1955 bei 40 Jahren lag. In den 1950er Jahren dominierte in der Feuilletonredaktion die Alterskohorte der „Wilhelminer“, also derjenigen, die noch im Kaiserreich (bis 1918) geboren worden waren. Bis 1959 belief sich die Zahl der nach dem Ersten Weltkrieg zur Welt gekommenen Redakteurinnen und Redakteure auf nur drei. In der Wirtschaftsredaktion hingegen, in der auch der Akademisierungsgrad höher ausfiel, war die Mehrheit der bis 1964 eingestellten Redakteure erst nach 1920 geboren worden.121 Neben der Berufserfahrung wurden in der Personalpolitik einige persönliche Eigenschaften und handwerkliche Fähigkeiten berücksichtigt. Journalistisch fähig zu sein, das hieß in der FAZ und im Feuilleton, über ein klares, kritisches Urteilsvermögen und einen weiten Horizont zu verfügen, breites Interesse mitzubringen und intelligent zu argumentieren. Es hieß auch, eine originelle Handschrift zu führen und das Handwerk des Redigierens zu beherrschen.122 118 Im Vergleich zu anderen Tageszeitungen scheint der Akademisierungsgrad dennoch recht hoch ausgefallen zu sein. Rühl kommt in seiner Studie über die Nürnberger Nachrichten zu dem Ergebnis, dass dort nur 17,5 Prozent der Redaktionsmitglieder über einen akademischen Abschluss verfügten. 37,5 Prozent hatten ein Studium begonnen, aber nicht abgeschlossen. Vgl. Rühl: Die Zeitungsredaktion (1969), S. 18. 119 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 47–48. 120 Vgl. Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 41. 121 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 54–55, 63. 122 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 15.1.1952, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  3; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 26.10.1966, in: FAZArchiv, H  1966–12/1968; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 27.11.1968, in:

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Letzteres war für die tägliche Arbeitsroutine gerade deshalb zentral, weil eine interne Ausbildung, die der Nachwuchs etwa in der FAZ-Wirtschaftsredaktion durchlief,123 im Feuilleton nicht existierte. Eine gewisse journalistische Vorbildung sollte also zum einen hohe Qualität gewährleisten und zum anderen sicherstellen, dass kein Redaktionsmitglied ein Dasein am Redigiertisch fristete.124 Zu den soft skills, die es idealerweise mitzubringen galt, zählten neben Loyalität, Höflichkeit und Leidenschaft für den Beruf Kollegialität, Beflissenheit, Diszipliniertheit, Selbstständigkeit und Anständigkeit.125 Doch zunächst war keine Stelle zu besetzen. Die frühe FAZFeuilletonredaktion setzte sich weitgehend aus dem Stab zusammen, der schon für die AZ verantwortlich gewesen war.126 Neben Korn waren das der ehemalige Volontär des AZ-Lokalteils Robert Held (*1922) und Martin Ruppert (*1915), der nun als Feuilletonchef im Impressum stand, zuständig für das operative Tagesgeschäft. Das hieß im Zweifel: erledigen, wofür der Herausgeber keine Zeit oder Neigung hatte.127 Ruppert hatte in den 1930er Jahren ein Studium der Rechts- und Zeitungswissenschaften in Gießen und Berlin aufgenommen und war 1946 als Vertreter des „Sozialen Volksbundes“ zum Neuen Mainzer Anzeiger – der späteren AZ – gestoßen.128 Held, laut Korn „klug, gebildet und modern in einem“129, hatte in Mainz Romanistik, Soziologie und Buchkunde studiert und pflegte vor allem zu Welter engen Kontakt, dem er in

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ebd.; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 8.12.1971, in: ebd., H 1.4.1971–31.3.1973; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 3.2.1971, in: ebd., H 1.1.1969–31.3.1971. Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 62. Vgl. die Aktennotiz zur Herausgeberkonferenz vom 17.2.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954; Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 302. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 19.8.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 2.3.1966, in: ebd., Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgebersitzungen 1964–66; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 26.3.1969, in: ebd., H 1.1.1969–31.3.1971; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 1.12.1971, in: ebd., H 1.4.1971–31.3.1973. Zu den biographischen Eckdaten vgl. die erste Ausgabe der Reihe Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.): Sie redigieren und schreiben die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland. Frankfurt am Main 1960. In den sogenannten „blauen Heften“ erschienen kurze Portraits der festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Redaktionsmitglieder. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Vgl. Pieroth, Stephan: Parteien und Presse in Rheinland-Pfalz 1945–1971. Ein Beitrag zur Mediengeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Mainzer SPD-Zeitung „Die Freiheit“ (=  Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 18). Mainz 1994, S. 211. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 15.1.1952, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3.

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Sachen Druck, Typographie und Vertrieb beratend zur Seite stand.130 Welter stellte ihn unter besonderen Schutz: Als Held 1953 für ein Jahr freigestellt wurde, um seine Dissertation fertigzustellen, wandte er sich an den Generalsekretär der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur und bat um Nachsicht für die organisatorischen Schwierigkeiten des Journalisten. Held, schrieb Welter an Helmuth Scheel, sei eine Nachwuchshoffnung und prädestiniert, „eine führende Rolle in der deutschen Publizistik zu übernehmen“131. In den über dreißig Jahren, die Held bei der FAZ verbrachte, beschäftigte er sich intensiv mit ihrer visuellen und graphischen Gestaltung. Die illustrierte Wochenendbeilage „Bilder und Zeiten“ fiel bis in die 1960er Jahre in seine Verantwortung. Darin waren mitunter Schwarzweißfotografien zu finden, die Held auf einer seiner vielen Reisen geschossen hatte. Held war es auch, der die Einrichtung des FAZ-Bildarchivs initiierte.132 Das Dreiergespann Korn, Held und Ruppert, das mit seiner Leidenschaft für romanische Sprachen, Kulturen und Frankreich eine lange Tradition begründen sollte,133 redigierte also in enger Zusammenarbeit das junge Feuilleton. Alle drei betätigten sich als Allround-Journalisten. An eine rein interessengeleitete Aufgabenverteilung war in Anbetracht der geringen Personalstärke vorerst nicht zu denken. Geschrieben wurde über Themen, die besetzt werden mussten.134 Vilma Sturm (*1912), die 1949 nach einer erfolgreichen Bewerbung die FAZFrauenseite und das Literaturblatt übernommen hatte, war wegen privater Unpässlichkeiten schon nach wenigen Wochen wieder ausgeschieden.135 Ersatz folgte 1950 mit Herbert Nette (*1902), vormals literarischer Leiter im Verlag Claassen & Würth. Nette, ein promovierter Jurist, der auch Germanistik und Geschichte studiert hatte, brachte neben seiner verlegerischen Erfahrung auch einige journalistische mit. Vor 1945 war er Redakteur am Darmstädter Tagblatt und an der Kölnischen Zeitung. In der FAZ übernahm er nun primär 130 Vgl. den Brief von Robert Held an Erich Welter vom 26.4.1954, in: BArch Koblenz, N 1314/514. 131 Brief von Erich Welter an Helmuth Scheel vom 19.7.1954, in: ebd. 132 Vgl. das Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. Zu Helds fotografischer Tätigkeit vgl. etwa die Illustrationen zu Held, Robert: In der Barbagia. Blutrache, Gastfreundschaft, Banditen, Prozessionen, in: FAZ vom 17.5.1952, BuZ, S. 1. 133 Vgl. Armbruster, Susanne: Eine Rose am Nachmittag. Martin Ruppert zum siebzigsten Geburtstag, in: Mainz. Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte  5 (1989), H. 2, S. 101–103; Oehrlein, Josef: Martin Ruppert. Zum Tod des Feuilletonisten, in: FAZ vom 3.7.1997, S. 36. Wie Korn hatte auch Held einige Zeit in Paris verbracht. Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), S. 21; Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 306. 134 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 103. 135 Vgl. dazu das siebte Kapitel der Arbeit „Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse“.

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die Verantwortung für das Literaturblatt, ging aber schon Ende des Jahres 1953 wieder und wurde Cheflektor im Eugen Diederichs Verlag.136 Ihm folgte Wolfgang Schwerbrock (*1919) von der DZ, der wie sein Vorgänger bei dem Zeitungswissenschaftler Emil Dovifat in Berlin ausgebildet worden war.137 Die schnelle Erweiterung des Kulturteils in der FAZ-Wochenendausgabe erforderte mehr Personal. Korn und drei Redakteure, das war zu wenig, um das tägliche Feuilleton zu bestücken, den Fortsetzungsroman auszuwählen und wöchentlich fünf Seiten Beilage zusammenzustellen. Als 1953 mit dem Ressort „Reise und Verkehr“ eine zusätzliche Seite hinzukommen sollte und Held beurlaubt wurde, intervenierte Korn. Die anfallende Arbeit, kritisierte er im Sommer 1953 in einer Herausgeberkonferenz, sei auch ohne Reiseseite kaum noch zu bewältigen.138 Korns Veto wirkte. Im selben Jahr wurden Helene Rahms (*1918) und Friedrich A. Wagner (*1914) eingestellt. Erstere übernahm für Held die Frauenseite, Letzterer die Reiseberichterstattung. Wie alle FAZFeuilletonredakteurinnen und -redakteure in den 1950er Jahren hatten Rahms und Wagner eine geisteswissenschaftliche Ausbildung – die bevorzugten Fächer waren Philologie, Germanistik, Geschichte, Zeitungswissenschaften und Philosophie – und bereits für mehrere Zeitungen gearbeitet: Rahms zuletzt für die Welt und Wagner für die Fuldaer Volkszeitung. Korns Versuch, mit Hansjakob Stehle außerdem einen Historiker anzuheuern, scheiterte indes.139 Stehle wurde 1955 Mitarbeiter der FAZ-Politikredaktion. Etwa drei Jahre später folgte weitere Unterstützung. Korn konnte den ehemaligen stellvertretenden Feuilletonchef der Neuen Zeitung als Ressortleiter gewinnen. Hans Schwab-Felisch (*1918) tauchte fortan neben Ruppert im Impressum auf. Schwab-Felisch, in der Redaktion als „Schwab“ bekannt, hatte nach einer Kaufmannslehre für einige Semester Geschichte, Soziologie und Philosophie in Berlin und Tübingen studiert und nach seiner Zeit bei der Neuen Zeitung als Lektor für Suhrkamp gearbeitet.140 Neben ihm stießen 1956 zwei weitere Journalisten zur Redaktion: Ernst Thomas (*1916) und Roland Hill

136 Vgl. S.-F. (= Hans Schwab-Felisch): Die Schule der Genauigkeit. Herbert Nette achtzig, in: FAZ vom 15.3.1982, S. 23; F.A.Z.: Herbert Nette. Zum Tode des Publizisten, in: FAZ vom 26.9.1994, S. 37. 137 Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), S. 47. 138 Vgl. die Aktennotiz zur Herausgebersitzung am 15.7.1953, in: FAZ-Archiv, Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgeberkonferenzen 12.12.1950–23.12.1959. 139 Vgl. die Aktennotiz von Erich Welter über ein Gespräch mit Karl Korn vom 25.11.1953, in: BArch Koblenz, N 1314/411. 140 Vgl. K.K. (= Karl Korn): Hans Schwab-Felisch 70, in: FAZ vom 2.11.1988, S. 4; Lietzmann, Sabina: Der Redliche. Zum Tode von Hans Schwab-Felisch, in: FAZ vom 21.10.1989, S. 29.

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(*1920). Die geplante Entlastung Korns war damit vorerst gewährleistet.141 Die Erweiterung der Redaktion bedeutete aber auch für die Redakteurinnen und Redakteure eine Verbesserung. Sie bot endlich die Möglichkeit, sich stärker zu spezialisieren; in der Organisationsforschung Ausdruck des Übergangs von der „Pionierphase“ zur „Differenzierungsphase“.142 Gleichwohl blieb es bei Neuzugängen weiter üblich, Zuständigkeiten nicht exakt festzulegen, sondern dem „Spiel der Kräfte“143 zu überlassen.144 Mit Thomas, einem studierten Dirigenten und Pianisten, der vom Darmstädter Echo kam, erhielt das Musikressort den ersten Redakteur.145 Die Musikkritik war bis dahin von den ständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern146 Fritz Brust, Hildegard Weber, Walther Friedländer und Walter Dirks bewerkstelligt worden. Ihr Kreis wurde 1956 um Andreas Graf Razumovsky erweitert,147 der von Adorno höchstpersönlich vermittelt worden war. Nach dem Ausscheiden von Friedländer und Dirks hatte sich dieser zunächst an den Musikwissenschaftler Josef Rufer gewandt, um ihn über die entstandene Vakanz zu unterrichten.148 Wie der Musiktheoretiker und Philosoph Adorno war auch Rufer ein Verfechter der Neuen Musik. Einige Monate später fragte Adorno bei seinem Bekannten Andreas Razumovsky an, der sich von Wien aus nach einer Tätigkeit in der Bundesrepublik umsah und sofort interessiert war. In der FAZ unterzukommen, schrieb Adorno im Sommer 1956 an ihn, habe oberste Priorität. Erst bei einer Absage solle man bei der Zeit anfragen. 141 Vgl. die Aktennotiz zur Herausgeberkonferenz am 17.2.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 142 Vgl. Glasl, Friedrich / Lievegoed, Bernard: Dynamische Unternehmensentwicklung. Grundlagen für nachhaltiges Change Management. Bern / Stuttgart 52011, S. 55–56. 143 Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 144 Vgl. den Brief von Sabina Lietzmann an Erich Welter vom 26.2.1968, in: BArch Koblenz, N 1314/450. 145 Vgl. Koch, Gerhard R.: Für die Moderne. Zum Tod des Musikkritikers und Organisators Ernst Thomas, in: FAZ vom 12.11.1997, S. 45. 146 Der zentrale Unterschied zwischen ständigen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestand in der Form ihrer Vergütung und vertraglichen Bindung. Freie Journalistinnen und Journalisten arbeiteten auf Honorarbasis, wurden also nach der Anzahl der eingereichten Artikel oder geschriebenen Zeilen bezahlt und waren nicht exklusiv für die FAZ tätig. Ständige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingegen erhielten von der Zeitung einen monatlichen Festbetrag, ein sogenanntes „Fixum“, das gegebenenfalls durch weitere Beiträge außerhalb des verabredeten Zuständigkeitsbereiches auf Zeilenhonorarbasis aufgestockt werden konnte. Ihre Verträge beinhalteten in der Regel eine Ausschließlichkeitsklausel, die sie zur alleinigen Mitarbeit in der FAZ verpflichtete. 147 Vgl. die Gehaltsaufstellung vom 29.8.1957, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Heraus­ gebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958. 148 Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 9.3.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1267.

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Anschließend rief Adorno Korn an und präsentierte ihm seinen Kandidaten. Als Korn sich eher verhalten zeigte, fuhr Razumovsky kurzfristig nach Frankfurt und stellte sich persönlich vor.149 Nach einigen Monaten des Ausharrens – Adorno setzte sich in der Zwischenzeit mit Nachdruck für Razumovsky ein, erkundigte sich wiederholt nach dem Stand der Dinge in diesem „schwerfällige[n] Verfahren“150 – erhielt er im Herbst eine Zusage. Erst hatten Korn und Thomas seine Arbeiten lesen wollen, die Geschäftsführung hatte ihr Einverständnis geben und der Bewerber eine Probe liefern müssen.151 Ein weiteres Novum brachte das Jahr 1956 auf dem Gebiet der Auslandsberichterstattung. In London wurde der erste feste Feuilletonkorrespondent152 installiert. Roland Hill besorgte von nun an die Berichterstattung aus der englischen Metropole, die zuvor der (ebenfalls emigrierte) Dramaturg Lutz Weltmann geliefert hatte. Zu den zentralen Voraussetzungen für einen solchen Posten gehörten gute Sprachkenntnisse und eine gewisse Vertrautheit mit dem jeweiligen Land. „In Großbritannien“, schrieb der Londoner Politikkorrespondent Heinz Höpfl 1956, „ist nahezu alles anders als anderswo.“153 London war die erste Stadt in einer Reihe von inner- und außereuropäischen Städten, die ab 1956 mit Kulturkorrespondentinnen und -korrespondenten besetzt wurden. Das entsprach dem Anspruch der FAZ, „ein Weltblatt zu sein“154. Bis dahin war die Berichterstattung fernab der Hauptredaktion aus finanziellen und organisatorischen Gründen in die Hände der ständigen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefallen. Lietzmann war seit 1949 für die Politik- und Kulturberichterstattung aus Berlin zuständig, Werner Bökenkamp ab 1954 für Paris, Hrastnik seit 1952 für Kunst und Theater in Wien, Albert Schulze Vellinghausen seit 1953 für die Kultur im Ruhrgebiet und Clara Menck für den Raum Stuttgart. Herwig Weber berichtete aus 149 Vgl. die Briefe von Theodor W. Adorno an Andreas Razumovsky vom 17.4.1956, 2.5.1956 und 9.6.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1189. 150 Brief von Theodor W. Adorno an Andreas Razumovsky vom 6.7.1956, in: ebd. 151 Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an Andreas Razumovsky vom 9.6.1956, in: ebd. 152 Kulturkorrespondentinnen und -korrespondenten waren Redaktionsmitglieder, „die nicht in der Zentrale, sondern an anderen Plätzen als Frankfurt […] für unsere Zeitung tätig sind“ und ausschließlich für die FAZ arbeiteten. Freie Korrespondentinnen und Korrespondenten wurden hingegen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder als Berichterstatterinnen und Berichterstatter bezeichnet. Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 28.8.1957, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955– 19.2.1958. Vgl. auch die Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 31.3.1954, in: ebd., Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 153 Brief von Heinz Höpfl an Erich Welter vom 26.2.1956, in: BArch Koblenz, N 1314/412. 154 Aktennotiz zur Herausgeberkonferenz vom 17.2.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954.

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München, Josef Schmitz van Vorst aus Rom und Lily Abegg, wie Weber und Schmitz van Vorst eigentlich Teil des Politikressorts, gelegentlich aus Tokio. Die Feuilletonredaktion erscheint vor diesem Hintergrund bis Mitte der 1950er Jahre klein und funktional wenig ausdifferenziert. Ein Blick auf andere Printmedien korrigiert dieses Bild ein Stück weit: Während sich die Zahl der FAZFeuilletonredakteurinnen und -redakteure zwischen 1949 und 1956 mehr als verdoppelte, blieb das Feuilleton der Zeit bis 1957 ein Einmannbetrieb. Der Löwenanteil der in der Zeit publizierten Beiträge stammte von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.155 Einige klassische Ressorts blieben aber auch in der FAZ ausgelagert und wurden bis in die frühen 1960er Jahre primär von externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedient. Das galt für die bildenden Künste, über die Doris Schmidt und Will Grohmann schrieben, das unter anderem von Wolfgang Drews betreute Theater und das kolumneartige „Tagebuch des Fernsehers“, das seit 1955 von Ernst Johann, Cheflektor im S. Fischer Verlag, verfasst wurde. 2.3

Redaktionsalltag

Für die meisten Redakteurinnen und Redakteure spielte sich der Arbeitsalltag nach dem 1. November 1949 weiter in Mainz ab, wo die neu gegründete FAZ aus finanziellen Gründen vorerst gedruckt wurde. Bis das Gros der Redaktion im Oktober 1950 nach Frankfurt übersiedelte, war sie auf der „Großen Bleiche“ in der zertrümmerten Mainzer Innenstadt, „einer surrealistischen Wüste“156, untergebracht. Enge und Lärm prägten den Alltag in dem schwer kriegsbeschädigten Verlagsgebäude. Im dritten Stock, wo sich die junge Redaktion zusammenfand, herrschte Trubel. Besucherinnen und Besucher kamen und gingen, räumlich abgetrennte Büros gab es nicht. Ob gewollt oder nicht, in Mainz herrschte eine Politik der offenen Tür. Die notdürftige Einrichtung glich auch vier Jahre nach Kriegsende einem Provisorium. Die Wände waren unverputzt, das zusammengewürfelte Mobiliar abgenutzt. Der ganzen Redaktion standen zunächst nur eine Sekretärin und eine Schreibmaschine zur Verfügung. In diesem Provisorium rückte sie eng zusammen. Alle arbeiteten unter den gleichen notdürftigen Bedingungen, die Hierarchien waren wenig ausgeprägt.157 Aus der räumlichen Bedrängnis erwuchs eine 155 Vgl. Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 158, 160. 156 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 31.7.1948, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. 157 Vgl. Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 216–217.

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familiäre Atmosphäre. Viele Redaktionsmitglieder waren alleinstehend oder hatten ihre Familien noch nicht nachgeholt. Die Redaktion als Ersatzfamilie: Gemeinsame Mittagessen waren im ersten Jahr ebenso an der Tagesordnung wie die abendlichen Treffen in der „Liedertafel“. Während die Wirtschaftsredaktion bei diesen Zusammenkünften nur selten Präsenz zeigte, war das Feuilleton fast vollständig versammelt.158 Korn und Ruppert zählten an diesen Abenden zu den Stammgästen des ehemaligen Vereinslokals, wo im Austausch mit der Politikredaktion diskutiert und das ein oder andere Glas rheinischen Weins getrunken wurde.159 Korn, der dem Alkoholgenuss einige Jahre später abschwören sollte, hatte schon an Weihnachten 1948 im schönsten Konjunktiv rapportiert: „Wenn ich nicht so grässlich söffe – wie nie in meinem Leben, Wein ist das halbe Leben! – dann müsste ich schon die DM für einen Volkswagen halb zusammenhaben.“160 Die in der „Liedertafel“ zusammenkommende Gruppe, erinnerte sich die Politikredakteurin Brigitte Beer, habe noch einige Jahre danach ein geheimnisvolles Band umgeben.161 Bis nach Berlin reichte die Rede von „den Schoppentrinkern der Liedertafel“162. Nachdem die Redaktion 1950 vollständig nach Frankfurt umgezogen war, veränderten sich die Arbeitsbedingungen und damit das Zusammenspiel der Ressorts. Die räumliche Enge blieb, die gemeinsamen Abende wurden rarer. Die Übergangssituation im kleinen Mainz war passé, die euphorische Aufbruchsstimmung abgeklungen. Feste wurden jetzt seltener veranstaltet, Alltag kehrte ein.163 Alltag, das hieß Arbeit, und viel Arbeit, ein 15-Stunden-Tag war in den 1950er Jahren keine Seltenheit, erforderte Fleiß und Disziplin.164 Dass es auf Drängen des Verlages an jeder Ecke zu sparen galt – nachts schlich der Direktor durch die Räume und knipste die Lampen aus –, stellte die Redaktion vor einige Herausforderungen.165 In manchen Monaten war das Geld so knapp, 158 Der Lokalteil war schon 1949 als erstes Ressort nach Frankfurt umgezogen. 159 Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Brigitte Beer am 15.11.1994, in: FAZArchiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J. 160 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 24.12.1948, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 161 Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Brigitte Beer am 15.11.1994, in: FAZArchiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J. 162 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 12.11.1949, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. In seinem Brief berichtet Korn, dass Eberhard Schulz, mit ihm durch die Mitarbeit im Reich und im Kurier bekannt, so einen Teil der FAZ bezeichne. 163 Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Brigitte Beer am 15.11.1994, in: FAZArchiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J. 164 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 169. 165 Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Liebhilt v. Caprivi am 26.10.1994, in: FAZ-Archiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J; Rahms: Die Clique (1999), S. 116.

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dass die Gehälter in Raten ausgezahlt wurden.166 Bei Welter beklagte sich Korn mehrfach über den „aufreibenden Kampf um Qualität mit unzureichenden Mitteln in wahren Nervenmühlen von Arbeitsräumen“. Vor allem die Räumlichkeiten der Feuilletonredaktion seien unzumutbar.167 Auch in Frankfurt herrschte Platzmangel. In dem mehrstöckigen Gebäude in der Börsenstraße hatte die FAZ nur das Erdgeschoss und zwei Etagen gemietet. Die doppelt belegten „Redaktionsstuben“ waren eng und dunkel.168 „Wir hörten den Paternoster rumpeln, hörten Schritte und Murmeln auf dem Flur, dem Lieblingsaufenthalt der diskutierenden Redakteure, und hörten das Seufzen der Boten, die sich gehetzt fühlten, denn sie mußten alle Manuskripte über zwei Straßen hinweg in das Gebäude der ‚Frankfurter Rundschau‘ tragen, wo unser Blatt im Lohndruck hergestellt wurde“169, schreibt Rahms über die chaotische Atmosphäre der Anfangsjahre, die sie gleichwohl in positiver Erinnerung behielt. Wie schon in der FZ waren die Ressorts seit dem Umzug in verschiedenen Räumlichkeiten untergebracht,170 später auf unterschiedlichen Stockwerken. Das Klima blieb davon nicht unberührt, die Interaktionsräume wurden knapper. Da die Redaktionen weitgehend autonom arbeiteten – „Ich weiß ja nicht, was das politische Ressort jeweils plant und veröffentlicht. Davon werde ich  genauso überrascht wie jeder gewöhnliche Leser auch“171, klärte Korn Niekisch 1956 auf –, waren die Redaktionskonferenzen die maßgebliche Plattform für den redaktionellen Austausch. In den Konferenzen wurden ab Mitte der 1950er Jahre dienstags die aktuellen Themen besprochen und die Zuständigkeiten verteilt.172 Traf die Redaktion in der „Großen Konferenz“ Entscheidungen von hoher Relevanz, wurden auch die Korrespondentinnen und Korrespondenten via „Informationsbrief“ benachrichtigt. Neben den sporadischen Treffen waren diese Informationsbriefe und die schriftliche Korrespondenz insgesamt wichtige Medien, um den Kontakt zum auswärtigen Redaktionsstab aufrechtzuerhalten und das Personal im In- und Ausland über geschäftliche und redaktionelle Entwicklungen zu informieren.173 Vor 166 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 99. 167 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297. 168 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 268; Rahms: Die Clique (1999), S. 104. 169 Rahms: Die Clique (1999), S. 106. 170 Vgl. Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 164. 171 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 17.4.1956, in: BArch Koblenz, N 1280/22c. 172 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 77. 173 Vgl. die Aktennotiz über die Herausgeber-Sitzung vom 11.4.1956, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958.

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allem Korns Korrespondenz offenbart ein ausgesprochenes Menschengespür. Den oft eigenwilligen, anspruchsvollen Kritikerinnen und Kritikern, die der spätere Leiter des FAZ-Literaturblattes Rolf Michaelis einmal als „Mimosen“ bezeichnete, „denen man in täglichen Briefen Pflästerchen auf die Wunden legen muß, aus denen der Eiter der Eitelkeit schwärend tropft“174, begegnete Korn mit Sensibilität und Fingerspitzengefühl. Kritik nahm er meist nachsichtig an, persönliche Befindlichkeiten ernst.175 Die Herausgeber selbst fanden sich zunächst unregelmäßig, später wöchentlich zu Herausgeberkonferenzen ein, um sich über Personalentscheidungen zu beraten und die großen Linien der Berichterstattung festzulegen. Teilnehmen konnten seit 1959 neben der Geschäftsführung auch die Mitglieder der FAZIT-Stiftung.176 Am Arkanprinzip wurde trotzdem festgehalten: Was sich in den Konferenzen abspielte, blieb dem Rest der Redaktion verschlossen.177 Abgesehen von den gelegentlichen Treffen im „Pressestübchen“ um die Ecke, Mittagessen in der „Freßgass“, dem jährlichen „Setzer-Abend“, auf dem die Redaktion und das technische Personal zusammentrafen,178 und den Konferenzen war der Austausch rar. Mit der wachsenden Redaktionsgröße und dem neuerlichen Umzug in das weiter außerhalb des Stadtkerns liegende Gallusviertel zu Beginn des Jahres 1962 wurde die Atmosphäre anonymer. Die Ressorts führten ein Eigenleben, ausgeprägte Binnenidentitäten entstanden.179 Gemeinsam blieb ihnen eine Aura der Professionalität im Inneren: Wie Karl Heinz Bohrer dem derzeitigen FAZ-Feuilletonherausgeber Jürgen Kaube im Interview beschrieb, waren seine Anfänge in Frankfurt von Erstaunen begleitet. Im Gegensatz zur „fast kinohaft journalistischen ‚Welt‘“180, wo schon mittags getrunken und großer Wert auf das richtige Image gelegt worden sei, habe die FAZ Ruhe und Ernsthaftigkeit ausgestrahlt. „FAZ-Redakteure sind keine Partylöwen“181, stellte auch der Politikredakteur Jürgen Busche fest. 174 Brief von Rolf Michaelis an Walter Boehlich vom 10.4.1968, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. 175 Vgl. etwa den Briefwechsel zwischen Karl Korn und Hans Heinz Stuckenschmidt, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 176 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 76–77. 177 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 123–124. 178 Vgl. ebd., S. 180–181; Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. 179 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  422; Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 77. 180 Karl Heinz Bohrer im Interview mit Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu: Der Literaturwissenschaftler im Gespräch mit Jürgen Kaube, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9, 11, hier S. 9. 181 Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 43.

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Nach den familiären Anfangsjahren entwickelte die Redaktion eine Kultur der Diskretion und Höflichkeit.182 Im Unterschied zu der von klaren Befehlsstrukturen geprägten Wirtschaftsredaktion existierten Hierarchien im Feuilleton höchstens auf dem Papier.183 Zuständigkeiten konnten schnell und relativ formlos wechseln, klare Rangordnungen gab es nicht.184 Die Abwesenheit fester  Organisationsstrukturen schuf ein gelöstes Arbeitsklima. Die Redaktionsmitglieder arbeiteten relativ unabhängig von Weisungen, ihre Freiräume waren groß.185 Weder Ruppert noch Schwab-Felisch oder der spätere Feuilletonchef Held hatten autoritäre Allüren.186 Auch Korn hielt sich zurück. Bisweilen rügte er seine Kolleginnen und Kollegen, wenn sie einen Text untergebracht hatten, der besonders provokant war oder eine allzu offenkundige politische Färbung erkennen ließ. Denn was am nächsten Tag im Feuilleton erscheinen würde, war Korn nicht unbedingt en detail bekannt: War ein Artikel zu Papier gebracht, wurde das Manuskript von einer Person der Wahl gegengelesen und in den Satz gegeben, ohne dass es vorher auf seinem Schreibtisch gelandet sein musste.187 Gelegentlich lehnte Korn Artikel ab, die ihm Ärger mit den Herausgebern oder der Geschäftsführung einzubringen drohten.188 Autorinnen und Autoren, deren politische Überzeugung sich erfahrungsgemäß nur schwerlich mit der FAZ in Einklang bringen ließ, bat er bisweilen im Vorfeld um Zurückhaltung. Lieber waren ihm Beiträge, die „ich im Feuilleton drucken kann, ohne Konkurrenzkrach von den lieben Ressortkollegen zu kriegen.“189 Sonst war Korn aber kein Verfechter von Regularien. Redaktionelle Vorschriften lehnte er ebenso ab wie eine „allzu aufdringliche Kommentierung“190 von Texten mit Interpretations182 Vgl. das Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. Auch Walter Henkels schreibt über eine „beschwingte Stimmung der Geistigkeit“ in Bonn. Henkels: Die Lage war immer so ernst (1982), S. 244. 183 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 79. 184 Vgl. Bohrer: Jetzt (2017), S. 18; Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. 185 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S.  306–309; Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu: Der Literaturwissenschaftler im Gespräch mit Jürgen Kaube, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9; Rahms: Die Clique (1999), S. 107–109. 186 Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 25.6.2017. 187 Vgl. den Aktenvermerk über die Herausgebersitzung (ohne Verlag) vom 13.7.1955, in: FAZArchiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958. 188 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 31.10.1952, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 189 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 5.2.1950, in: ebd., Mappe 1. 190 Aufzeichnungen über die Herausgebersitzung vom 18.9.1952, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954.

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spielraum. Anders als sein Brief an Hauptmann aus den 1930er Jahren suggeriert, war die Auswahl, Akzentuierung und Deutung eines Themas grundsätzlich frei.191 Ratschläge erteilte Korn gern, pochte aber auf Eigenständigkeit und Intuition.192 Korn ging zwar nicht so weit wie sein journalistischer Ziehvater Paul Scheffer und lud regelmäßig zu sich ein,193 bevorzugte aber einen offenen und kollegialen Umgang. Das vermittelte er auch nach außen. „Wenn Sie schon glauben, dass in diesem Hause Chefs es mit Personal zu tun haben, dann mögen Sie auch mich getrost zum Personal rechnen“194, schrieb er 1967 an den Literaturwissenschaftler Rainer Gruenter. In diesem Vertrauen auf die individuelle Urteilskraft lag ein wesentlicher Unterschied zu anderen Zeitungen. Anders als Korn soll der von 1952 bis 1965 amtierende Feuilletonchef der Welt Georg Ramseger im „barschen Ton des Weltkrieg-II-Offiziers“195 darauf bestanden haben, alle Texte selbst gegenzulesen.196 Auch in der Zeit wurden sämtliche Artikel vor der Veröffentlichung von allen Redaktionsmitgliedern geprüft. Anlass dieses aufwendigen Verfahrens war eine andere Philosophie: Während die FAZ ein Spezialistentum entwickelte, sobald es die äußeren Umstände erlaubten, versuchte die Zeit, aus Fachleuten Generalisten zu machen.197 Gewisse Pflichten galt es aber freilich auch in Frankfurt wahrzunehmen. Der redaktionelle Jahreszyklus umfasste neben feststehenden Großereignissen wie der Buchmesse oder den Filmfestspielen in Cannes runde Jubiläen und wiederkehrende Jahres-, Geburts- und Todestage. „Da haben wir jetzt vor uns den 60. Geburtstag von Jünger Ende März, den Schiller-Gedenkmonat Mai und haben Thomas Manns 80. Geburtstag im Juni“198, informierte Korn den Lyriker Gottfried Benn im März 1955. Diese Artikel wurden oft schon im Vorfeld angefertigt und bis zum Erscheinen im „Stehsatz“

191 192 193 194 195 196

197 198

Vgl. den Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 31.5.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 30.3.1967, in: BArch Koblenz, N 1314/400. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 42. Brief von Karl Korn an Rainer Gruenter vom 2.8.1967, in: DLA Marbach, A:Gruenter, Rainer, HS.1995.0014. Ähnlich auch der Brief von Rolf Michaelis an Günther Busch vom 17.1.1968, in: ebd., SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. O.A.: Drei statt Ramses, in: Der Spiegel 21/1965, S. 129–130. Vgl. Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu: Der Literaturwissenschaftler im Gespräch mit Jürgen Kaube, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. Vgl. Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 161. Brief von Karl Korn an Gottfried Benn vom 15.3.1955, in: DLA Marbach, A:Benn, Gottfried, 91.114.392/2.

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aufbewahrt.199 Die ereignisärmere „Sauregurkenzeit“200 im Spätsommer war ebenso Teil der Jahreschronologie wie die hohen Feiertage im Kirchenjahr, die es im Feuilleton eines „christliche[n] Blatt[es] ohne konfessionellen Charakter“201 zu berücksichtigen galt. Als Grundlage dieser und anderer Artikel dienten nicht nur die eigenen Recherchen, sondern auch das große hauseigene Archiv, das über viele Jahrzehnte von der Archivarin Marianne Englert betreut wurde und einen zentralen Wissensfundus bildete. Das Zeitungsarchiv konnte jederzeit konsultiert werden. Englert erstellte dann ein Konvolut aus Dokumenten, die die Einordnung und Rahmung eines Themas erleichterten.202 Ein regulärer Arbeitstag begann am späten Vormittag zwischen 10 und 11 Uhr und konnte bis in die Nacht reichen. Das galt vor allem für diejenigen, die Abendveranstaltungen wahrnahmen und anschließend in die Redaktion eilten, um ihre Kritiken und Berichte aus der unmittelbaren Erinnerung zu Papier zu bringen.203 Vor der Einführung des elektronischen Umbruchs in den 1980er Jahren mussten die Manuskripte bis zum Redaktionsschluss um 14 Uhr, später um 16.30 Uhr, fertiggestellt und korrigiert sein. Danach erfolgte der Umbruch, der von den Feuilletonchefs selbst erledigt wurde.204 Die Artikel wurden also im Bleisatz angelegt, die Text- und Bildelemente auf der Zeitungsseite disponiert, bevor die FAZ am frühen Abend in den Druck ging. Um die Mittagszeit hielt die Redaktion eine formlose Konferenz zur Koordination und Verständigung ab. Sie klärte, welche Stoffe die einzelnen Ressorts (Literatur, Kunst usw.) bringen würden, welche Themen Aufmerksamkeit verdienten und welche Ereignisse kommentiert werden müssten. Aufmacher, Bild und Glosse wurden festgelegt. Jede weitere Kommunikation fand beiläufig, über den ständigen Dialog statt.205 Große Konferenzen, zu denen auch die Korrespondentinnen und Korrespondenten anreisten, gab es nur selten.206

199 Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 20.6.2017. 200 Brief von Brigitte Jeremias an Eugen Skasa-Weiß vom 22.7.1968, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, ESW B 278. 201 Protokoll der Herausgebersitzung vom 31.10.1951, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 202 Vgl. das Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. 203 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 169. 204 Vgl. den Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 12.2.1958, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 205 Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 20.6.2017. 206 Vgl. die Einladung von Hans Schwab-Felisch an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 14.11.1957, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ.

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Im heterogenen Feuilleton, der Heimat debattierfreudiger Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, herrschte „mal hitziger, mal witziger“207 eine ausgeprägte Diskussionskultur. In einer Feuilletonredaktion werde „pausenlos gestritten, weil die nichts zu tun haben“208, spottete Jürgen Busche über seine Erfahrung zu Beginn der 1970er Jahre. Gleichwohl verband die Redaktion ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl.209 Von innen und von außen betrachtet, war das Feuilleton eine „Zeitung in der Zeitung“.210 Gemeinschaftsstiftende Rituale wie die „Blaue Stunde“, mittägliche Besuche im Restaurant Anagnostopopulis, Ausflüge in das Café Kranzler oder der Gang in die nahe gelegene Bücherstube, wo man auf Autorinnen und Autoren aus der „Gruppe 47“ treffen konnte, trugen ihr Übriges dazu bei.211 Die Erinnerung an diese Zeit wurden bis in die 1960er Jahre durch Verabredungen „mit dem alten Stamm“212 wachgehalten. 2.4

Selbstverständnis

Anders als im ordoliberal geprägten FAZ-Wirtschaftsressort, das sich einer „wirtschaftswissenschaftlich-philosophische[n] Denkschule“213 verschrieb, gab es im Feuilleton kein kohärentes Leitbild, an dem sich die Arbeit ausrichtete, keinen ständigen Input durch externe Ideengeber. Anders als in der Politikredaktion existierte keine politische „Linie“, die nach außen hochgehalten werden und im Inneren verbinden konnte. Im Gegenteil: Das heterogene Feuilleton, das durch Korns Führungsstil innere Liberalität genoss, pflegte einen starken Individualismus. Das hing auch mit dem Gegenstand und Wesen der feuilletonistischen Arbeit zusammen: Kunst und Kultur, in ihrer Freiheit seit 1919 verfassungsrechtlich geschützt, bieten im Vergleich zu „den großen

207 Rahms: Die Clique (1999), S. 181. 208 Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 43. 209 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 107. Rahms verwendet oft den Plural („wir“, „uns“), vgl. ebd., S. 127–128. 210 Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Liebhilt v. Caprivi am 26.10.1994, in: FAZ-Archiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J; Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu: Der Literaturwissenschaftler im Gespräch mit Jürgen Kaube, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. 211 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 107–108. 212 Brief von Friedrich A. Wagner an Hans Schwab-Felisch vom 2.9.1965, in: RLA Düsseldorf, NL Hans Schwab-Felisch. 213 Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 49.

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Blöcken der Realien“214 Raum für Pluralismus und Subjektivismus. Nach der Konzeption eines Feuilletons zu fragen, nach „dem ‚roten Faden‘“215, ist folglich ein schwieriges Unterfangen. Gemeinschaftsstiftender als eine publizistische Agenda war zweifellos die Zugehörigkeit zur FAZ. Die institutionelle Bindung an eine überregionale Zeitung bedeutete Exklusivität.216 Es war nicht das zunächst recht dürftige Gehalt, das die Journalistinnen und Journalisten zur Zeitung zog,217 sondern das Prestige.218 „Nein, man war nicht mehr einfach Journalistin. Ich war Vertreterin der FAZ“219, berichtet Rahms über das Gefühl der Erlesenheit, das sich nach dem Wechsel nach Frankfurt einstellte. Trotz der Unzulänglichkeiten, denen sich die Redaktion anfangs ausgesetzt sah, und den von Zeit zu Zeit aufkommenden Unstimmigkeiten mit der Politikund der Wirtschaftsredaktion sonnten sich auch die Feuilletonistinnen und Feuilletonisten im Glanz ihrer Zeitung, die ihnen auch deshalb zu Autorität verhalf, weil sie in der Öffentlichkeit in eine Traditionslinie zur berühmten FZ gestellt wurde.220 1954 erreichte die FAZ eine Auflage von mehr als 100.000 verkauften Exemplaren, 1959 knackte sie die 200.000-Marke.221 Nicht ohne zu kokettieren, berichtete Korn Boveri 1954: „Ich bin dauernd in der Gefahr, von diesem […] ‚Ruhm‘ aufgefressen zu werden. Ich sage Ihnen, es wird langsam zur Kunst, sich allein den hundertfältigen Aufforderungen zum Reden vor Gott und der Welt so zu entziehen, dass einem der Vorwurf des Versagens erspart bleibt.“222 Das Feuilleton wurde vielerorts gelobt.223 Schon wenige Jahre nach der Zeitungsgründung nahm es Einfluss darauf, worüber in intellektuellen Kreisen

214 Zimmer, Dieter  E.: Die eigene Sache. Warum der Feuilletonjournalismus sich selbst unter die Lupe nehmen sollte, in: Die Zeit vom 16.8.1974, S. 13. 215 Glaser, Hermann: Die Kultur-Boutique der Presse. Das Feuilleton – ein Ding mit Zukunft?, in: Die Zeit vom 16.8.1974, S. 13. 216 Vgl. den Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 9.4.1954, in: BArch Koblenz, N 1314/514. 217 Für einen Vertrag mit der FAZ wurde mitunter sogar eine schlechtere Bezahlung in Kauf genommen. Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 4.8.1968, in: ebd., N 1314/450. 218 Vgl. das Gespräch mit Dietrich Ratzke am 27.11.2019 in Würzburg. 219 Rahms: Die Clique (1999), S. 149. 220 Vgl. ebd., S. 127. 221 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.): Der Leser und die Zeitung. Frankfurt am Main 1975, S. 6. 222 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 18.12.1954, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 223 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 123; Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297.

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gesprochen wurde.224 Welches Gewicht dem geschriebenen Wort beigemessen wurde, war etwa daran zu erkennen, dass die Tourismusbranche nach einer schlechten Kritik Folgen für den Fremdenverkehr befürchtete und mit staatsanwaltlicher Unterdrückung drohte.225 Andere versuchten, die Redaktion für die eigenen Interessen zu gewinnen.226 Auch von der Presse wurde das Feuilleton aufmerksam beobachtet. Für die Zeit war es neben der Neuen Zeitung die einzige „ebenbürtige Konkurrenz“227. Das Welt-Feuilleton rückte in der öffentlichen Wahrnehmung seit der Übernahme durch Springer 1953 in den Schatten des Frankfurter Konkurrenten.228 Dass das FAZ-Feuilleton zum Kultur- und Geistesleben der alten Bundesrepublik gehörte, drückte sich auch in seinen Beziehungen aus. Die Redakteurinnen und Redakteure unterhielten Freundschaften zu Adorno und dem Designer Ferdinand Kramer, nahmen an Festen des Architekten Alois Giefer teil,229 trafen den Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich auf der Alm und Konrad Adenauer auf der Bühlerhöhe.230 Bei Gerhard Stroomann, dem mit Martin Heidegger befreundeten Chefarzt im Kurhaus und Sanatorium Bühlerhöhe im Schwarzwald, versammelten sich die großen Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, um sich neben überarbeiteten Journalistinnen und Journalisten von der „Managerkrankheit“ (heute „Burnout“) zu kurieren. Von 1949 bis 1957 veranstaltete Stroomann dort seine „Mittwochs-Abende“, eine gut besuchte Vortragsreihe zu den geistigen Fragen der Zeit, die auch auf Medieninteresse stieß. Die FAZ wurde eingeladen und berichtete.231 Dass die Redaktion ein enges Verhältnis zu den wichtigen Personen des öffentlichen Lebens unterhielt, wurde von der Geschäftsführung gefördert. Angesehene Intellektuelle wurden hofiert und umworben, indem 224 Vgl. den Brief von Carl Schmitt an Ernst Forsthoff vom 3.9.1953, in: Mußgnug, Dorothee / Mußgnug, Reinhard / Reinthal, Angela (Hg.): Briefwechsel Ernst Forsthoff Carl Schmitt (1926–1974). Berlin 2007, S. 97–98. 225 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 20.11.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297; Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 1.12.1952, in: ebd. 226 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 163–167. 227 Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 95. 228 Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 80–81. 229 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 153–154. 230 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 231 Zur Bühlerhöhe vgl. den Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 6.10.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297 und Sieburg, Friedrich: Unter den Tannen von Bühlerhöhe, in: FAZ vom 15.4.1957, S. 2. Als Referat erschien u. a. Nette, Herbert: Die Sprache ist das Haus des Seins. Ein Vortrag Martin Heideggers zum Gedenken an Max Kommerell, in: FAZ vom 11.10.1950, S. 6.

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man ihnen unaufgefordert Glückwunschschreiben und FAZ-Berichte über Person und Forschung übermittelte.232 Zum Umfeld des geistigen „Establishments“ zu gehören, verschaffte der Feuilletonredaktion ein Selbstbewusstsein, das dem der anderen Ressorts in nichts nachstand.233 Exklusivität forderte die FAZ im Gegenzug auch von ihren Angestellten, deren Namen und Texte ein wichtiges Marketingmittel waren.234 Es galt das Ausschließlichkeitsprinzip, wonach sich mit Ausnahme der freien alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertraglich verpflichteten, ausschließlich für die FAZ zu schreiben. Wer anderweitig publizieren, im Radio oder Fernsehen auftreten wollte, musste sich eine Genehmigung einholen.235 Genehmigungen wurden etwa erteilt, wenn der fragliche Text in einem Organ erscheinen sollte, dessen Reichweite sich mit der eigenen nicht überschnitt.236 Darüber hinaus sollte es sich bei den Beiträgen für die FAZ möglichst um Erstabdrucke handeln. Besonders gern gesehen waren Texte, die mit neuen Perspektiven und Argumenten aufwarteten oder „ein Stück geistiger Provokation“237 einschlossen, besonders ungern solche, die alte oder fremde Debatten aufwärmten.238 Die anspruchsvolle Leserschaft galt es nicht zu langweilen. Die FAZ-Leserinnen und Leser stammten größtenteils aus der finanzkräftigen Mittel- und Oberschicht, waren durchschnittlich 30 bis 50 Jahre alt und hatten eine hohe Schulbildung. Im Vergleich zu anderen Zeitungen hatten sie sogar den höchsten Bildungsstand.239 Führt man sich vor Augen, dass 1950 nur fünf Prozent der Bevölkerung über ein Abitur und Fremdsprachenkenntnisse verfügte, repräsentierten sie also keineswegs den gesellschaftlichen Querschnitt, sondern das „intellektuelle Segment in der Öffentlichkeit“240. Das spiegelte sich auch in der Themenwahl wider. So wurde das Klavier, ein klassisch 232 Vgl. den Brief der Frankfurter Allgemeine Zeitung  G.m.b.H.  an  Max Horkheimer vom 13.11.1953, in: UBA Ffm, Na  1, 94; Brief von Max Horkheimer an die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.11.1953, in: ebd.; Brief der FAZ-Direktion an Max Horkheimer vom 15.9.1955, in: ebd. 233 Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 25.6.2017. 234 So schon in der FZ, vgl. Stalder: Siegfried Kracauer (2003), S. 81. 235 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 430. 236 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 27.10.1950, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 237 Brief von Hans Schwab-Felisch an Hermann Kesten vom 8.10.1959, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, HK B 3304. 238 Vgl. den Brief von Robert Held an Rainer Gruenter vom 1.12.1964, in: DLA Marbach, A:Gruenter, Rainer, HS.1995.0014. 239 Vgl. FAZ: Der Leser und die Zeitung (1975), S. 18–19; Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 431; Pufendorf: Otto Klepper (1997), S. 259; Wilke: Leitmedien (1999), S. 311. 240 Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 24.

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bildungsbürgerlicher Gegenstand, zum Aufmacher der ersten Ausgabe von „Bilder und Zeiten“.241 Die Leserbriefe, die in der Redaktion eingingen, waren häufig von Bürgermeistern, Landräten, Architekten und Professoren unterzeichnet.242 Auch die komplexe Sprache der Kritiken offenbarte, dass sich das Feuilleton nicht an die breite „Masse“, sondern an eine Gruppe von Gleichgesinnten richtete.243 Umso markanter kam im Verhältnis zur eigenen Leserschaft das elitäre Selbstbild der FAZ zum Vorschein.244 Einige Feuilletonistinnen und Feuilletonisten hatten überraschend wenig für sie übrig. Mit dem Habitus intellektueller Überlegenheit stichelten sie „gegen den restaurativen bürgerlichen Geschmack“245 und waren froh, „ohne Konzession an den Geschmack des ‚Mannes auf der Straße‘“246 auszukommen. Korn fand für die „grässlichen Spiesserleser“ besonders scharfe Worte. Anfang der 1950er Jahre fluchte er: „Unsere Leser sind nämlich so westdeutsch spiessig, wohlhabend und kanaillenhaft ungenial – es ist nicht darzustellen. Die haben Coca Cola in den Adern und bestreiten ihren geistigen Haushalt mit Zeitschriften für die wohlanständige Nutte aus bürgerlichem Hause (Elegante Welt und wie der Scheissdreck heisst).“247 An anderer Stelle waren es „die stockblöden kleinbürgerlichen Leser“248, auf die der zu Publikumszugeständnissen gedrängte Herausgeber schimpfte, die er sich aber auch zunutze machte, um etwa die Ablehnung eines Textes zu begründen.249 Obwohl es die hohen Auflagenzahlen waren, die es erlaubten, auf boulevardjournalistische Elemente zu verzichten,250 spielten die Lesererwartungen in der journalistischen Arbeit eine

241 Vgl. Sturm, Vilma: Liebes, altes Klavier. Das Instrument, dem man die Treue brach, in: FAZ vom 12.1.1952, BuZ, S. 1. 242 Vgl. exemplarisch zum „Fall Eltville“ aus den 1960er und 1970er Jahren den Leserbrief von Hans Hirschmann, in: FAZ vom 21.1.1965, S. 9; Leserbrief von Hans Port, in: FAZ vom 22.10.1966, S. 13; Leserbrief von Gustav Bohnsack, in: FAZ vom 23.7.1970, S. 9; Leserbrief von Werner Schuphan, in: FAZ vom 22.10.1970, S. 12; Leserbrief von Walter Mühe, in: FAZ vom 14.2.1975, S. 6. 243 Vgl. Reus: Ressort (1995), S. 15. 244 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 199. 245 Rahms: Die Clique (1999), S. 114. 246 Ebd., S. 109. 247 Brief von Karl Korn an Margret Boveri o. D., in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 248 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.10.1951, in: ebd. 249 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.10.1951, in: ebd. 250 Vgl. Foppa, Daniel: Max Frisch und die NZZ. Zürich 2003, S. 33.

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eher nebensächliche Rolle.251 Dass über das Rezeptionsverhalten allgemein nur wenig bekannt war, war nur ein Grund dafür.252 Die mutmaßliche oder tatsächliche Publikumsferne des Feuilletons barg Konfliktpotential. In der FAZ herrschten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie ein gutes Feuilleton auszusehen habe. Während Erich Welter und sein Kollege aus der Wirtschaftsredaktion Jürgen Eick das traditionelle, von der „Nichtigkeit und Beliebigkeit der Anlässe, Leichtigkeit in der Auffassung, […] Geistesgegenwart, Witz und Aperçuhaftigkeit“253 geprägte Zeitungsfeuilleton bevorzugten und deshalb für seine Popularisierung plädierten,254 wollte Korn genau das nicht: geistreiche Unterhaltung mit kulturpädagogischem Auftrag. Als Eick 1951 vorschlug, „Bilder und Zeiten“ nach dem Vorbild der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und ihrer Samstagsbeilage „Das Wochenende“ zu gestalten, protestierte er. „Dann besorge man sich schmuddlige Geschichten über die schlechte Ehe der englischen Thronfolgerin oder die schönen Beine von Fräulein Piepstriegel oder sonst was, was reisst. Da mache ich nicht mit“255, schrieb Korn bestimmt an Welter. Die Meinungsverschiedenheiten über die Aufgaben eines Feuilletons berührten in der FAZ auch die Frage einer adäquaten Sprache. Nach FZ-Tradition legte die Zeitung eine hohe sprachliche Sensibilität an den Tag, die mit den wöchentlichen Sprachglossen („Hinweise auf Sprachsünden“256) seit 1957 regelmäßig den Weg in die Öffentlichkeit fand.257 Ein Jahrzehnt später waren bereits 832 Sprachglossen im Politikteil erschienen.258 Ihre Redaktion fiel in die Verantwortung des Politikherausgebers Nikolas Benckiser, angefertigt wurden sie von allen Ressorts. Sprachkritik um der Sprache willen, das war zwar auch dem Philologen Korn ein Anliegen, 251 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 199. Dass dies offenbar nach wie vor gilt, kann bei Trümper, Stefanie: Redaktionskultur in Deutschland am Fallbeispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Bild-Zeitung, in: Elsler, Monika (Hg.): Die Aneignung von Medienkultur. Rezipienten, politische Akteure und Medienakteure. Wiesbaden 2011, S. 173–192, hier S. 187 nachgelesen werden. 252 Vgl. Flitner, Christine: Frauen in der Literaturkritik. Gisela Elsner und Elfriede Jelinek im Feuilleton der  Bundesrepublik Deutschland (=  Frauen in der Literaturgeschichte, Bd. 3). Pfaffenweiler 1995, S. 15; Reus: Ressort (1995), S. 50. 253 Schütz: Unterm Strich (2017), S. 38. 254 Zur Kritik der FAZ-Wirtschaftsredakteure am Feuilleton vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 1.4.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/379. 255 Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: ebd., N 1314/297. 256 O.A.: Aus dem Redaktionsprogramm der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in: FAZ vom 28.9.1957, S. 3. 257 Vereinzelte Sprachglossen brachte die FAZ auch schon vor 1957. Als frühestes Beispiel über die Präposition „von“ und den richtigen Kasus vgl. Lerch, Eugen: Schlechtes Deutsch, in: FAZ vom 22.11.1949, S. 2. 258 Vgl. den Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 10.4.1967, in: BArch Koblenz, N 1314/400.

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Kapitel 2

der 1958 mit „Sprache in der verwalteten Welt“259 eine viel beachtete, kritische Studie zur Alltagssprache vorlegte. Auch Nette war sprachkundig, schrieb Bücher über die Sprachphilosophie.260 In der FAZ war es aber vor allem Welter, der sich um die Sprachpflege bemühte. Welters Liste der besser nicht zu verwendenden Begriffe war lang: Sie reichte von „Kapitalismus“, „nur dazu erfunden […], wahre Tatbestände zu verschleiern“261, über „Manager“, „da das Wort ja doch nur diffamierend gebraucht werde“262, wie Korn spöttelte,  bis hin zu den „Massenmedien“, die er für „eine das Volk zum Kollektiv niederwalzende Wortschöpfung“263 hielt. Viele der beanstandeten Wörter stammten aus der politischen und wirtschaftlichen Sphäre und waren im Feuilleton nicht zwangsläufig positiv besetzt. Sie nicht zu gebrauchen, war für Welter eine Frage „der intellektuellen Reinlichkeit“264, für Korn eine negative Analogie zu den Sprachregelungen im „Dritten Reich“.265 Das Feuilleton setzte sich jedenfalls getrost über sie hinweg. Trotz der Welterschen Mahnungen tauchte der Begriff „Manager*“ zwischen 1950 und 1959 322 Mal im Feuilleton auf. Bisweilen wurde er freilich als Berufsbezeichnung verwendet, mitunter war er aber auch eindeutig negativ konnotiert, etwa wenn vom „Zeitalter der Massen, der Manager und der Technik“266 die Rede war. Sprache war, das lässt sich am Beispiel FAZ darlegen, auch in den 1950er Jahren ein Politikum. Den Duktus des Feuilletons hielt Welter für überzogen. Statt für einen überschaubaren Expertenkreis zu schreiben, sollte sich das Feuilleton an die breite Masse interessierter Laien richten. Immer wieder mahnte der auf die ökonomische Entwicklung bedachte Welter zu mehr Verständlichkeit.267 Nachdem im Juli 1952 eine Kritik268 von 259 Korn, Karl: Sprache in der verwalteten Welt. Frankfurt am Main 1958. Auch im Feuilleton erschienen sprachkritische Artikel, vgl. etwa Kalow, Gert: Das UM geht um, in: 7.11.1956, S. 10. 260 Vgl. E.J. (= Ernst Johann): Herbert Nette. Zum 60. Geburtstag, in: FAZ vom 14.3.1962, S. 20. 261 Brief von Erich Welter an Margret Boveri vom 1.10.1951, in: PSB, NL Margret Boveri 556, Mappe 1. 262 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.8.1955, in: ebd. 263 Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 13.7.1966, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter 1.3.1965–31.8.1966. 264 Brief von Erich Welter an Margret Boveri vom 14.12.1951, in: PSB, NL Margret Boveri 556, Mappe 1. 265 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.8.1955, in: ebd., NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 266 Nette, Herbert: Film statt Buch, in: FAZ vom 21.2.1950, S. 5. 267 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297; Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 17.11.1955, in: ebd., N 1314/507. 268 Vgl. Pross, Harry: Soziologie contra Kulturprognose (=  Rezension zu Alfred Weber: „Prinzipien der Geschichts- und Kultursoziologie“. München 1951), in: FAZ vom 12.7.1952, BuZ, S. 3.

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Harry Pross zu Alfred Webers „Prinzipien der Geschichts- und Kultursoziologie“ erschienen war, wünschte er sich „eine Übersetzung ins Deutsche“. In der Rezension wimmele es von Fremdwörtern und „großspurige[r] Verschwommenheit“269. Im Nachgang einer Kritik270 Paul Schallücks zu Karl Kraus‘ „Die dritte Walpurgisnacht“ wies Welter Nette harsch zurecht. Die Besprechung richte sich, schrieb er im Januar 1953, nur an die zehntausend deutschen Intellektuellen. Das habe negative Auswirkungen auf das gesamte Blatt: Merken die Rezensenten unseres Literaturblattes nicht, dass sie die Resonanz ihrer Besprechungen und des Blattes durch den Wissenshochmut – Bildungshochmut kann man es ja nicht nennen – beeinträchtigen? […] Warum wollen wir unsere Leser, insbesondere die jungen und neuen Leser, und diejenigen, die nicht Philosophie und Literaturgeschichte studiert haben, immer wieder vor den Kopf stossen, indem wir ihnen zwischen den Zeilen zurufen: Was Ihr dummen Trottel, die Ihr nicht wißt, was wir wissen, warum greift Ihr zur FAZ? Was habt Ihr in ihrem exklusiven Leserkreis überhaupt zu schaffen, wenn Ihr nicht einmal in der Schule oder danach gelernt habt, wer Karl Kraus war.271

In Welters Augen war das Rezensionswesen eine einzige Barriere. Und tatsächlich stellten die Kritikerinnen und Kritiker hohe Anforderungen an ihre Leserschaft. Eine komplexe, assoziative (Fach-)Sprache und verschachtelte Satzstrukturen erschwerten die Feuilletonlektüre ebenso wie die Tatsache, dass die Autorinnen und Autoren oft fundiertes Wissen voraussetzten. Dabei galt im Grunde auch im Feuilleton die Regel, dass neben Ausdrücken aus der „Gossensprache“ auch Fachjargon und Fremdwörter zu vermeiden waren, um die Sprache möglichst klar zu halten.272 So bat Korn den jungen Jürgen Habermas im Januar 1955 präventiv, den angelernten Wissenschaftsjargon möglichst zurückzuhalten: Nur eines möchte ich von der Zeitung her bei ihnen erreichen, daß Sie die überkomplizierte philosophische Fachsprache nicht allzu sehr überwuchern lassen. Ich meine nicht so sehr Fremdworte, an denen sich der Leser übrigens, wenn sie zu anspruchsvoll sind, auch nun mal stört, sondern gewisse syntaktische Besonderheiten des philosophischen Seminars und der philosophischen internen Diskussionen. Sie werden mir gewiß zustimmen, wenn ich Ihnen sage, daß es keinen Zweck hat, Zeitungsleser zu überfordern, – einfach weil Publikationen, die den willigen und auch einigermaßen gebildeten, aber nicht 269 Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 14.7.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297. 270 Vgl. Schallück, Paul: Die Walpurgisnacht des Dritten Reiches (=  Rezension zu Karl Kraus: „Die dritte Walpurgisnacht“. München 1952), in: FAZ vom 3.1.1953, BuZ, S. 5. 271 Brief von Erich Welter an Herbert Nette vom 5.1.1953, in: BArch Koblenz, N 1314/411. 272 Vgl. den Aktenvermerk über die Herausgebersitzung vom 2.1.1963, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 2.1.1962–5.8.1963; E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 20.6.2017.

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Kapitel 2 speziell vorgebildeten Leser überfordern, beiseite gelegt und nicht gelesen werden.273

Bei allen Einwänden, die Korn persönlich gegenüber dem Durchschnittsleser anzumelden hatte, gehörte es zu seinen Pflichten als Herausgeber, die Anforderungen einer Tageszeitung im Blick zu behalten. Dann bat er sein Personal, zu Kürze, Prägnanz, Aktualität, Lebendigkeit, Spontanität und Verständlichkeit zurückzufinden.274 1963 erklärte er dem Politikwissenschaftler Dolf Sternberger, der ihm einen Aufsatz über Karl Jaspers geschickt hatte, warum er diesen im Feuilleton nicht ohne Weiteres drucken könne. Während sich eine Festschrift, in der Sternbergers Aufsatz später erscheinen sollte, an die „engere Fachkollegenschaft und die Kenner“ richte und sich aus diesem Grund „mehr Intensität, vielleicht auch mehr Intimität“ leisten könne, benötige eine tagesaktuelle Zeitung ein Portrait: „woher kommt der Mann, wie lebt er, wie denkt er, wie hat er die Situation der Zeit 1930 gesehen, welche Rolle hat er als Philosoph politisch gespielt? […] Wir brauchen, wenn Sie so wollen, eine Popularisierung oder – wenn Ihnen dieses Wort schlimm zu sein scheint – eine Übersetzung, eine Vermittlung“275. Korn als Herausgeber mit Herausgeberpflichten ausgenommen, zerbrach sich in der Feuilletonredaktion aber sonst niemand den Kopf darüber, ob das eigene Ressort als hochgestochen galt.276 Ernsthaftigkeit und intellektueller Anspruch gehörten für die Redakteurinnen und Redakteure ebenso zu einem guten Feuilleton wie das Prinzip „Nihil post festum“277 und die sachlich begründende Analyse. „Haupterfordernis einer Kritik: sie argumentiert“278, so Korn 1952. Gerade diese Eigenschaften waren es auch, die in der Leserschaft als spezifische Qualität empfunden wurden. So ließ Boveri Korn im Oktober 1952 von einer Bekannten wissen, die seinen Journalismus besonders wegen

273 Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 27.1.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. 274 Vgl. den Brief von Karl Korn an die Feuilletonredaktion vom 1.10.1959, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ; Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 10.11.1960, in: ebd. 275 Brief von Karl Korn an Dolf Sternberger vom 8.1.1963, in: DLA Marbach, A:Sternberger, Dolf, HS.1989.0010.05484. 276 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 150; Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 277 Brief von Günther Rühle an Hilde Spiel vom 20.8.1971, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/441. Vgl. auch den Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 27.1.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. 278 Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 20.11.1952, in: BArch Koblenz, N 1314/297.

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des „grossen Ernst[es]“279 schätze. Das traf auch auf die Schreibenden selbst zu. Wie der spätere Theaterredakteur Günther Rühle berichtet, habe das Feuilleton der FAZ für angehende Journalistinnen und Journalisten eine besondere Aura umgeben, „weil dort ernsthafte und anspruchsvolle Artikel erschienen, argumentierende Kritik betrieben wurde“280. Und Argumente, darin waren sich alle einig, sollten wirken. Es sei nicht Aufgabe der Zeitung, schrieb Welter 1958 an Korn, die Welt in ihrem Zustand zu rechtfertigen. Es sei ihre Aufgabe, sie zu verändern.281 In diesem Punkt war auch das Feuilleton auf ganzer Linie Leitmedium.282 Anders als einige Kulturzeitschriften wartete es zwar eher selten mit „programmatischen Stellungnahmen […] zur Aufgabe der Publizistik“283 auf. Unzweifelhaft nutzten die Redakteurinnen und Redakteure die ihnen anvertraute Plattform aber, um Personen, Themen und Standpunkte von öffentlichem Interesse publik zu machen,284 kulturelle Belange gegenüber politischen und wirtschaftlichen Interessen zu stärken und in ihrem Sinne zu wirken.285 Das Feuilleton diente nicht nur als kulturelle Chronik,286 sondern auch als Impulsgeber und Mittel, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf unterbelichtete Probleme zu lenken.287 So bot Korn dem Germanisten Richard Alewyn 1958 an, sich im Feuilleton für die Reform des Hochschulstudiums für angehende Lehrerinnen und Lehrer zu engagieren, nachdem er sich selbst in einem Leitartikel bereits für eine universitäre Ausbildung eingesetzt hatte.288 Wenn Alewyn auf den Artikel Bezug nehme, ein bisschen polemisiere und eine Debatte auslöse, könne „man auf dem Umweg über die Zeitung wenigstens 279 Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 27.10.1952, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 280 E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 20.6.2017. 281 Vgl. den Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 13.6.1958, in: BArch Koblenz, N 1314/381. 282 Im Unterschied zu Zielgruppenorganen zeichnen sich Leitmedien auch dadurch aus, dass sie Meinungen lenken wollen, ohne sich dabei an der Leserschaft zu orientieren. Vgl. Wilke: Leitmedien (1999), S. 305. 283 Reitmayer: Das politisch-literarische Feld (2011), S. 82. 284 Vgl. Korn, Karl: Ist die Zeitung politisch am Ende?, in: FAZ vom 9.10.1951, S. 1. 285 Vgl. den Brief von Otto Friedrich Regner an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 27.6.1961, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. Aus der Zeitung vgl. etwa K.K. (= Karl Korn): Epilog, in: FAZ vom 16.7.1970, S. 22. 286 So etwa bei Schulze Vellinghausen, Albert: Ein Herkules am Scheideweg … Tagung in Alsdorf, veranstaltet vom „Kulturkreis im Bundesverband der Industrie“, in: FAZ vom 13.6.1957, S. 12. 287 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 3.11.1947, in: BArch Koblenz, N 1280/21c; Rahms: Die Clique (1999), S. 109–111, 128–129, 146; Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 288 Vgl. Korn, Karl: Lehrer auf die Universität!, in: FAZ vom 15.7.1958, S. 1.

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Kapitel 2

etwas ausrichten“289. Dass derartige Ambitionen auch in Ernüchterung münden konnten, lag auf der Hand. „Wir könnten fröhlich sein“, war im Februar 1955 im Feuilleton zu lesen, „wenn wir das Gefühl haben könnten, mit unserm Wort irgend etwas an den großen Schicksalsdingen mitbestimmen zu können.“290 „Man meint, ich hätte Macht?“, klagte Korn 1954. „Ich habe einen Redakteursstuhl, weil ich arbeite wie ein Pferd.“291 Der Wunsch nach Macht und Einfluss gehörte ebenso zum Feuilletongeschäft wie der Zweifel an der eigenen Wirkungskraft.292 „Die Zeitung ist nur ihr eigenes Sprachrohr“293, das galt für alle Ressorts. Die journalistische Unabhängigkeit „von Regierung, Parteien und Interessen“294 bildete einen zentralen Pfeiler des FAZ-Leitbildes.295 Im Feuilleton gestaltete sich seine Umsetzung vergleichsweise einfach: „In keinem anderen Ressort einer Zeitung wird das, was man lesen oder dem Leser zum Lesen geben will, so sehr von der Redaktion gemacht wie im Feuilleton. Kein anderes Ressort kann so unabhängig seine Themen setzen, die Umfänge seiner Artikel bestimmen, die Akzente für seine Urteile auswählen.“296 Unabhängigkeit bedeutete für das Feuilleton aber nicht in erster Linie Unabhängigkeit von tagesaktuellen Zwängen, Institutionen und Interessenverbänden. Unabhängigkeit war immer auch eine Frage der inneren Souveränität, die von verschiedenen Seiten infrage gestellt zu werden drohte. Während Welter und Eick den engen Zuschnitt und die Borniertheit des Feuilletons bemängelten,297 sah die Politik bisweilen ihre Deutungshoheit untergraben. Von politischen Fragen sollte sich das

289 Brief von Karl Korn an Richard Alewyn vom 18.7.1958, in: DLA Marbach, A:Alewyn, Richard, 89.5.1037. 290 Korn, Karl: Surrogat der Freiheit / Kritisches Nachwort zu Fastnacht und Karneval, in: FAZ vom 24.2.1955, S. 8. 291 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 8.11.1954, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Mit solchen Aussagen stellte sich Korn in die Tradition der „feuilletonistischen Selbstkritik als Wirkungslosigkeits- und Affirmationskritik“. Schütz: Unterm Strich (2017), S. 43. 292 Vgl. dazu auch den Brief von Ernst Krenek an Friedrich T. Gubler vom 10.1.1931, in: Maurer Zenck: Der hoffnungslose Radikalismus der Mitte (1989), S. 74. 293 Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 22.4.1953, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 294 Dechamps, Bruno: Frankfurter Allgemeine Zeitung, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.): Chefredakteure. Publizisten oder Administratoren? Status, Kompetenz und kommunikative Funktion von Redaktionsleitern bei Tages- und Wochenzeitungen (= Journalismus. Schriftenreihe der Stiftervereinigung der Presse, NF, Bd. 11). Düsseldorf 1980, S. 91–110, hier S. 93. 295 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 62–66. 296 Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 42. 297 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.12.1951, in: BArch Koblenz, N 1314/297.

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Feuilleton möglichst fernhalten, selbst wenn es sich um Feuilletonistisches mit politischem Subtext handelte.298 Diesem Wunsch kam man nicht immer nach. Als nach der deutschen Erstaufführung von Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ im November 1952 in Frankfurt eine Diskussion über den ideologischen Hintergrund des Stückes und seinen umstrittenen Autor entbrannte, erwartete der FAZ-Verlagsdirektor Werner  G.  Hoffmann eine scharfe Kritik.299 Wie die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), die für eine Absetzung plädierte, weil ihr der „kommunistisch-utopische Unterton“300 missfiel und religiöse Gefühle verletzt würden,301 gehörte auch Hoffmann zu den entschiedenen Kritikern Brechts. In seinen Augen betrieb der in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ansässige Dramatiker anti-westliche Hetze und Klassenkampf.302 Was am 18. November  1952 schließlich im Feuilleton erschien, hatte mit einem Verriss jedoch wenig zu tun. „Man hat so viel vom bösen Brecht gehört“303, leitete Korn seine lobende Rezension ein. Es sei ihm eine Freude gewesen, schrieb er zwei Tage später an Boveri, „mich über die widerwärtige vorgefasste Propagandahetze lustig zu machen.“304 Was für Korn ein Feuilleton ausmachte, legte er im Februar 1954 in einem langen Artikel dar. Anlass waren die negativen Reaktionen in Teilen der Leserschaft auf ein kritisches Referat Schulze Vellinghausens über die Essener Wiederaufführung des Dramas „Der blaue Boll“ von Ernst Barlach.305 Erstens falle Kritik im Feuilleton immer persönlich und mehrstimmig aus, da Kultur „ein beständiger Prozeß der Verwandlungen“ sei. Statt ihn auf die Reproduktion kultureller Ereignisse zu reduzieren, müsse der Journalismus zweitens als Teil eines laufenden Diskurses begriffen werden: „Wie anders kann man das kommentierende Mitgehen der Kritiker verstehen als ein Teilnehmen an jenen unablässigen 298 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 18.12.1954, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  1. Vgl. dazu auch das sechste Kapitel der Arbeit „Aufwinde, Gegenwinde. ‚1968‘“. 299 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 117. 300 Ebd., S. 116. 301 Vgl. Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters, Bd. 5. Stuttgart / Weimar 2007, S. 232. 302 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 116–117. 303 Korn, Karl: „Alle Fragen offen“. Bertolt Brechts „Der kluge Mensch von Sezuan“ in Frankfurt, in: FAZ vom 18.11.1952, S. 8. Bei der Angabe des Titels muss der Redaktion ein Fehler unterlaufen sein. 304 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 20.11.1952, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 305 Vgl. Schulze Vellinghausen, Albert: Barlach-Renaissance? Gott behüte!, in: FAZ vom 17.12.1953, S. 8.

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Auseinandersetzungen der Sartre, Jünger, Camus, Guardini, Heidegger, Adorno […]!“ Die ständige Auseinandersetzung, die auch den Widerspruch zu dulden habe, sei schließlich „der Motor allen geistigen und künstlerischen Lebens“. Drittens müsse Kritik unabhängig „von einer weltanschaulichen Machtgruppe“306 stattfinden.307 Diesem Plädoyer für die Freiheit der Kritik und der Debatte folgend, war Korns Feuilletonbegriff ein weiter. Er beinhaltete „alle beobachtbaren und interpretationsbedürftigen Zeitphänomene“308, von der Literaturkritik über Warnungen vor dem „kommerziell fundierten Kulturbetrieb“309 bis zum Politischen im weitesten Sinne, kurz: „das Gesamtfeld des Geistes“310. Politik und Kultur, so Korn im November 1956 im FAZ-Feuilleton, seien ohnehin nicht voneinander zu trennen: Kultur […] ist als Phänomen ein Politikum ersten Ranges […], alle Geschichtsphilosophie […] ist hohe Politik – auch wenn in Kabinetten und UnoVersammlungen nichts davon gewußt und verstanden, geschweige denn verhandelt wird. Die heftigen Streite unter Städtebauern um sogenannte Wohnmaschinen oder Einzelheime, um Verkehrsdurchbrüche und neue Bühnenhäuser, der Kampf für und wider Sedlmayer, der Kampf um das Menschenbild und um den Sinn einer Moderne heute – das alles ist Politik. Die Intelligenz wird nicht erst durch Manifeste zur Atombombe oder zur kulturellen Freiheit politisch. Die Entscheidungen über eine Ordnung der Gesellschaft fallen oft in scheinbar zweitrangigen Kämpfen um das richtige Denkmal am richtigen Platz, um die richtigen Wohnsiedlungen, um die Geltung der Schule im öffentlichen Leben. […] Es gibt nirgends eine echte geistige Auseinandersetzung, die nicht politisch wäre.311

Korn maß dem kulturellen und geistigen Leben, maß folglich auch dem abwägenden, diskutierenden Feuilleton keine dekorative Funktion, sondern eine entscheidende politische Bedeutung bei, eine Verantwortung für die Gesellschaft und ihre Zukunft.312 „Kritik ist Lebenselixier“313, hielt das Protokoll über die Herausgeberkonferenz vom 26. August 1958 fest. 306 Korn, Karl: Barlach „eindeutig“? Ein Wort zur Aufgabe der Kritik, in: FAZ vom 2.2.1954, S. 6. 307 Vgl. dazu auch K.K. (= Karl Korn): Kritik der Kritik. Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, in: FAZ vom 20.5.1954, S. 10. 308 Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 232. 309 Korn, Karl: Inter arma, in: FAZ vom 8.11.1956, S. 10. 310 K.K. (= Karl Korn): Kritik der Kritik. Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, in: FAZ vom 20.5.1954, S. 10. 311 Korn, Karl: Inter arma, in: FAZ vom 8.11.1956, S. 10. 312 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 199–201. 313 Aktenvermerk über die Herausgebersitzung vom 26.8.1958, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgeber-Sitzungen, 1.4.1958–18.12.1961.

Kapitel 3

Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit Aller Anfang ist schwer. Was für die ersten Gehversuche der jungen deutschen Nachkriegsliteratur oder die umstrittene abstrakte Kunst galt, das galt auch für das Feuilleton. Die erste Hälfte der 1950er Jahre stand in Frankfurt unter dem Zeichen einer doppelten Ortsbestimmung: Das Ressort hatte nicht nur einen Platz in der dicht besiedelten Medienlandschaft Westdeutschlands zu besetzen, es hatte sich auch in der FAZ-Architektur, deren einzelne Glieder unter dem Dach der Gesamtzeitung bald spezifische Eigendynamiken entwickelten, zu verorten und zu behaupten. Als Orientierungsphase waren die 1950er Jahre von großer Bedeutung. Während sich das späte Zeitungsprojekt FAZ wirtschaftlich zu konsolidieren begann – Ende 1952 schrieb man erstmals schwarze Zahlen – und sich als Nachrichten- und Meinungsblatt auf dem Markt im In- und Ausland etablierte,1 entwickelte auch das Feuilleton ein publizistisches Profil. Trotz der geringen Personalstärke und der knappen Honorare, die mitunter Improvisationstalent erforderten, wurde dieser Prozess von wachsender Anerkennung begleitet: Schon bald galt das Feuilleton in intellektuellen Kreisen als wichtiges meinungsbildendes Forum und maßgebliche Informationsquelle.2 Medienhistorisch betrachtet, bescherten die 1950er Jahre der Zeitung und ihrem Feuilleton also einen überraschenden Aufstieg. Aus mentalitätsund gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive steht das Nachkriegsjahrzehnt aber noch für etwas anderes: einen Wendepunkt im Umgang mit der NSVergangenheit. Die zweite Hälfte der 1950er Jahre läutete demnach den Beginn der öffentlichen Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte ein. Mit dem Ulmer Einsatzgruppenprozess, der Einrichtung einer „Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg 1958 und dem EichmannProzess 1961 hielt die Vergangenheit Einzug in den öffentlichen Diskurs.3 1 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 34. 2 Das bezeugen auch die Anfragen nach der örtlichen Verfügbarkeit im Vorfeld von Urlaubsund Geschäftsreisen. Vgl. den Brief von Hermann Kesten an Hans Schwab-Felisch vom 8.7.1958, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, HK B 2311. 3 Vgl. Bösch, Frank: Journalisten als Historiker: Die Medialisierung der Zeitgeschichte nach 1945, in: Oswalt, Vadim / Pandel, Hans-Jürgen (Hg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart (= Forum Historisches Lernen). Schwalbach 2009, S. 47–62,

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_004

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Kapitel 3

Auch die FAZ verstärkte ihre Berichterstattung: „Deutschland und die Welt“ begleitete die juristische Verfolgung der Gräueltaten in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen.4 Auf den politischen Seiten „Ereignisse und Gestalten“ und „Dokumente der Zeit“ erschienen neben Berichten und Kommentaren zum Prozess gegen Adolf Eichmann ganzseitige Artikel und Reportagen, die sich mit der Diktatur und ihrer Nachgeschichte befassten. Und das Lokalblatt brachte an Jahres- und Gedenktagen Rückblicke auf die städtischen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung Frankfurts.5 Neben dem Politikressort war es aber vor allem das Feuilleton, das zurückblickte, die neue Präsenz des Vergangenen auf den Leinwänden und Bühnen der Republik einordnete, kommentierte und dabei auch eigene Narrative entwickelte. Wie war es derweil um die eigene Vergangenheit bestellt? Wenige Monate nach dem Ende des Krieges hatten die Westalliierten in ihren Besatzungszonen mit dem Aufbau eines Mediensystems begonnen, dessen strukturelles Fundament sich wesentlich von seinem totalitären Vorgänger unterschied. Während die populäre Metapher der „Stunde Null“ mit Blick auf die Struktur und Organisation der unter britischer, US-amerikanischer und französischer Ägide neu gestalteten Medienlandschaft durchaus ihre Berechtigung hat,6 gilt das in Bezug auf das Personal bekanntermaßen nur bedingt.7 Wie der Verwaltungs-,

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hier S. 52. Der verwendete Diskurs-Begriff ist nicht dem foucaultschen Verständnis entlehnt. Er bezeichnet schlicht den öffentlichen Austausch über einen bestimmten Gegenstand. Vgl. Stauff, Markus: Mediengeschichte und Diskursanalyse. Methodologische Variationen und Konfliktlinien, in: ÖZG 16 (2005), H. 4, S. 126–135, hier S. 127. Vgl. dazu Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  99–105. Im Feuilleton wurden die Auschwitz-Prozesse dagegen nur am Rande behandelt. Vgl. etwa Gennrich, Claus: Auschwitz 1964, in: FAZ vom 21.1.1964, S. 28. Vgl. aus dem Politikteil und den von der Politikredaktion verantworteten Beilagen Stehle, Hansjakob: Danzigs Steine reden wieder, in: FAZ vom 3.9.1960, BuZ, S.  3; Schwelien, Joachim: Verstimmte und verschonte. Wirkungen des Eichmann-Prozesses im Ausland, in: FAZ vom 22.7.1961, S. 2; Gillessen, Günther: Schuld und Sühne in politischen Prozessen. Eine juristische, moralische und theologische Erörterung in München, in: FAZ vom 23.11.1961, S. 6–7; Buchheim, Hans: Wo man sich nicht normal verhalten kann. Lebensbedingungen unter totalitärer Herrschaft, in: FAZ vom 13.12.1961, S.  9–10. Aus dem Lokalblatt vgl. u.  a. Arnsberg, Paul: Erst hochgeachtet und dann zu Tode gequält. Das Schicksal bekannter jüdischer Bürger von Frankfurt während des Dritten Reiches, in: FAZ vom 20.6.1963, S. 15; ders.: Vorspiel zur Endlösung. Vor 25 Jahren erreichte der Terror gegen die Juden in Frankfurt einen Höhepunkt, in: FAZ vom 9.11.1963, S. 53. Vgl. Frei / Schmitz: Journalismus im Dritten Reich (2011), S. 184. Vgl. Hodenberg, Christina von: Die Journalisten und der Aufbruch zur kritischen Öffentlichkeit, in: Herbert, Ulrich (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980 (= Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschaftsund Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 1). Göttingen 2002, S. 278–311, hier S.  280; Robrecht, Antje: „Diplomaten in Hemdsärmeln“? Auslandskorrespondenten als

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Wirtschafts-, Politik- und Kulturbetrieb war auch der Journalismus von starken personellen Kontinuitäten durchzogen. Von den hohen Pressefunktionären einmal abgesehen, konnte sich die Mehrheit der Journalistenschaft in den ersten Nachkriegsjahren rehabilitieren und fand spätestens mit dem Ende der Lizenzpflicht 1949 zurück in den Beruf. Die Redaktionen der neu gegründeten Rundfunkanstalten, Zeitschriften und Zeitungen prägte infolgedessen eine bizarre Zusammensetzung aus Berufsanfängerinnen und -anfängern, Wiedereingestiegenen und Dabeigebliebenen.8 Wie fast überall bildeten auch die Biographien des FAZ-Personals ein schillerndes Erfahrungspanorama ab. Es gab Frauen und Männer, die sich in den Dienst des NS-Regimes gestellt hatten, und solche, die emigriert waren. Einige waren aus Opportunismus Kompromisse eingegangen, andere hatten sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen.9 Um dieses von zahlreichen Grautönen durchzogene, zeittypische Nebeneinander von „Belasteten“10 und „Unbelasteten“ zu skizzieren, 8

9

10

Akteure in den deutsch-britischen Beziehungen 1945–1962 (=  Beiträge zur EnglandForschung, Bd. 63). Augsburg 2010, S. 36. Vgl. Siering: Zeitung für Deutschland (2002), S. 70. Für die Gesamtzeitung vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 70–80. Zu den Kontinuitäten im Pressewesen vgl. zudem Frei / Schmitz: Journalismus im Dritten Reich (2011), S. 181–196, Sonntag, Christian: Medienkarrieren. Biografische Studien über Hamburger Nachkriegsjournalisten 1946– 1949. München 2006 und, wenn auch stark vereinfachend, Köpf, Peter: Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse. Berlin 1995. Die Sammelbände Haase / Schildt: DIE ZEIT (2008), Hachmeister / Siering: Die Herren Journalisten (2002) und das Interview von Wiegrefe, Klaus: „Entnazifiziert war entnazifiziert“. Ex-Verlagsdirektor Hans Detlev Becker, 85, über ehemalige Nationalsozialisten im SPIEGEL, in: Der Spiegel 2/2007, S. 93 geben Aufschluss über die Verhältnisse bei Zeit, Spiegel und Co. Vgl. Krenzlin, Leonore: Emigranten im eigenen Land? Zum Umgang mit dem Ausdruck ‚Innere Emigration‘, in: dies. / Gołaszewski, Marcin / Kardach, Magdalena (Hg.): Zwischen Innerer Emigration und Exil. Deutschsprachige Schriftsteller 1933–1945 (= Schriften der Internationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft, Bd.  5). Berlin  / Boston 2016, S.  11–27, hier S. 18–19. Vgl. Hodenberg, Christina von: Zeitkritik in der ZEIT: Der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, in: Schildt, Axel / Haase, Christian (Hg.): DIE ZEIT und die Bonner Republik. Eine meinungsbildende Wochenzeitung zwischen Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 43). Göttingen 2008, S. 151–172, hier S. 154. In der neueren Forschung wird zwischen „formaler“ und „materialer Belastung“ unterschieden. Während sich eine Belastung formaler Art aus der NSDAP-Mitgliedschaft oder der Zugehörigkeit zu einer ihrer Untergliederungen ergibt, gestaltet sich die Frage nach der materialen Belastung, also nach der Mitwirkung an NS-Verbrechen und Unrechtshandlungen, schwieriger. Vgl. Creuzberger, Stefan / Geppert, Dominik: Das Erbe des NS-Staates als deutsch-deutsches Problem. Eine Einführung, in: dies. (Hg.): Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und ihre Behörden im geteilten Deutschland 1949–1972 (= Rhöndorfer Gespräche, Bd. 28). Paderborn 2018,

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Kapitel 3

gibt das Kapitel zunächst einen Überblick über die Werdegänge des Feuilletonstabs im „Dritten Reich“. Einige Fallbeispiele, deren Auswahl sich an der Dichte des überlieferten Quellenmaterials orientierte, sollen die Bandbreite der Lebenswege auch über die als Strukturierungshilfe in Anspruch genommenen Generationenmodelle hinaus veranschaulichen. Anschließend geht es um die Relevanz der Vorkriegsbiographien für das Zusammenspiel der Redaktion und die Personalpolitik sowie um den Umgang mit drohenden und tatsächlichen Enthüllungen, bevor im dritten und letzten Teil des Kapitels die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Blatt im Fokus steht. Wie positionierte sich das Feuilleton in den vergangenheitspolitischen Debatten der ersten Nachkriegsjahrzehnte und wo setzte es eigene Akzente? Wie veränderte sich der Blick auf die Vergangenheit im Laufe der Zeit? 3.1

Leben und Schreiben im NS-Staat

Ein Blick auf die Gesamtheit des Feuilletonpersonals im Untersuchungszeitraum macht deutlich, dass die Mehrheit im „Dritten Reich“ keinem Beruf nachgegangen war (61 Prozent). Dies trifft zum einen auf die größere Gruppe der in den 1930er und 1940er Jahren Geborenen zu (39 Prozent).11 Zu diesen Jahrgängen, die in überwiegender Zahl erst Mitte der 1960er Jahre zur FAZ kamen, gehörten neben den Literatur- und Kunstredakteuren Karl Heinz Bohrer (*1932), Rolf Michaelis (*1933), Dietrich Segebrecht (*1934), Eduard Beaucamp und Wilfried Wiegand (*1937) die Naturwissenschaftler Rainer Flöhl und Hans Zettler (*1938). Aus dem Reiseblatt waren ihnen Hans (*1938) und Brigitte Scherer (*1943) zuzurechnen, ferner die Feuilletonredakteure Johannes Roth (*1937), Bernhard Frank (*1939), Michael Schwarze und Ulrich Greiner (*1945) sowie die Korrespondentinnen und Korrespondenten Dieter Hildebrandt (*1932), Sibylle Wirsing (*1936) und Renate Schostack (*1938). Sie alle hatten das „Dritte Reich“, falls überhaupt, als Kinder erlebt, hatten vereinzelt die

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S. 7–15, hier S. 14. Auch Weise und Mentel weisen in ihrer Übersicht über die Forschung zur NS-Belastung in Ministerien und Behörden auf die „Komplexität [des Begriffes, Anm. d. Verf.] in ideologischer, rechtlich-materieller, formaler, zeitlicher und ortsgebundener Hinsicht“ hin. Als Alternative schlagen sie die offenere Formulierung „NS-Bezüge“ vor. Vgl. Weise, Niels / Mentel, Christian: Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus – Stand und Perspektiven der Forschung. München / Potsdam 2016, S. 11. Die folgenden Angaben beziehen sich ausschließlich auf die Mitglieder der Redaktion, das heißt auf Redakteurinnen und Redakteure, Korrespondentinnen und Korrespondenten, die zwischen 1949 und 1973 für das Feuilleton tätig waren. Ständige und freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten aufgrund ihrer Quantität nicht berücksichtigt werden. In Einzelfällen wurden ihre Biographien aber unter die Fallbeispiele aufgenommen.

Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit

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Schule besucht und den Krieg vor allem als Bombenkrieg erfahren. Altersbedingt waren sie weder wehrpflichtig noch berufstätig gewesen.12 Dies gilt zum anderen für eine Generation, die von der Geschichtswissenschaft als „Fünfundvierziger“13 bezeichnet wird. Dieser ex post entstandene Begriff beschreibt eine diskursiv konstruierte Erfahrungs- und Erzählgemeinschaft,14 deren Vertreterinnen und Vertreter ein bis zwei Dekaden früher, sprich zwischen 1920 und 1930, geboren wurden.15 Sie erlebten die Diktatur als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene und waren aufgrund ihrer Erziehung, Schulbildung oder Mitgliedschaft in den Nachwuchsorganisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ideologisch vorgeprägt. Das Ende des Krieges, darauf rekurriert die Bezeichnung, deuteten die „Fünfundvierziger“ retrospektiv als lebensverändernden Wendepunkt und Beginn einer zweiten Sozialisation.16 Anders als die älteren Jahrgänge galten sie nach 1945 als relativ unbelastet, weil sie mehrheitlich nicht berufstätig gewesen waren. Insbesondere den heranwachsenden Männern hatte der 1939 einsetzende Krieg vielfach einen Strich durch die Berufsplanungen gemacht. Sie waren stattdessen an die Front berufen worden. Aus den Reihen der Feuilletonredaktion können den „Fünfundvierzigern“ neun Frauen und Männer zugerechnet werden (22 Prozent), die mehrheitlich zwischen 1958 und 1964 zur Zeitung stießen. Fünf von ihnen waren als Wehrmachtsoldaten unmittelbar in das Kriegsgeschehen verwickelt worden. 12

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Zu den Kurzbiographien vgl. die entsprechenden Darstellungen in Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.): Sie redigieren und schreiben die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland. Frankfurt am Main 1964; dies.: Sie redigieren und schreiben die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland. Frankfurt am Main 1975. Unter diesen Begriff fallen in der neueren historischen Forschung keine konkreten Erfahrungen. Er entspricht vielmehr einem „Erinnerungs- und Kommunikationsmodus, der auf die soziale wie emotionale Situation der Nachkriegszeit verwies“. Zur Herausbildung und Funktion dieses Narratives vgl. Möckel, Benjamin: Erfahrungsbruch und Generationsbehauptung. Die „Kriegsjugendgeneration“ in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften (= Göttinger Studien zur Generationsforschung, Bd. 16). Göttingen 2014, hier S. 14. Vgl. Payk, Marcus M.: Balanceakt zwischen den Zeiten. Anmerkungen zur Generation der „Fünfundvierziger“, in: Indes 1 (2011), S. 24–30, hier S. 26. Der Zeitrahmen ist an Möckel: Erfahrungsbruch (2014), S.  19 angelehnt und deckt sich weitgehend mit den von Moses (1920/22–1930/32) und Hodenberg (1921–1932) vorgeschlagenen Begrenzungen. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 41; Moses, Anthony Dirk: German Intellectuals and the Nazi Past. Cambridge 2007, S. 9, 56. Möckel orientiert sich an der juristischen Definition von „Jugend“ im Sinne der Jugendamnestie. Teilweise wird die Zeitspanne auch weiter oder enger gefasst, vgl. Ahbe, Thomas: Deutsche Generationen nach 1945, in: APuZ 3 (2007), S. 38–46. Zum Generationenmodell vgl. Hodenberg: Zeitkritik in der ZEIT (2008), S. 154.

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Kapitel 3

Der Feuilletonleiter Robert Held (*1922), der Hamburger Korrespondent Klaus Wagner (*1923), der Theaterkritiker Günther Rühle (*1924) und der Literaturredakteur Helmut Scheffel (*1925) hatten in den 1930er Jahren das Gymnasium besucht und waren, zum Teil ohne Schulabschluss, zum Arbeits- und Militärdienst einberufen worden.17 Der Zweite Weltkrieg begann für sie auf den Kriegsschauplätzen Europas und endete, mit Ausnahme von Rühle und Scheffel, in Kriegsgefangenschaft. Ihre Biographien weisen idealtypische Generationenmerkmale auf: Totalitarismus, Kriegserlebnis und -niederlage bildeten Bausteine ihres gemeinsamen Erfahrungshorizontes. Dennoch bestanden auch unter diesen Jahrgängen große lebensweltliche, sprich soziale, regionale und geschlechtsspezifische Unterschiede.18 Die langjährige Redakteurin Maria Frisé (*1926) war als Tochter eines Landadligen in Niederschlesien aufgewachsen. Streng deutschnational erzogen, der Vater Kriegsveteran, Mitglied im „Stahlhelm“ und der Sturmabteilung (SA), hatte sich Frisé als Fähnleinführerin im Jungmädelbund betätigt. Nach ihrem Abitur hatte sie Arbeitsdienst abgeleistet, kurz vor dem Kriegsende geheiratet und war noch am selben Tag vor der Roten Armee geflohen.19 Der Wissenschaftsjournalist Carlo W. Nässig (*1923) hatte sich während des Wehrdienstes eine Behinderung zugezogen und die letzten Kriegsjahre ausschließlich im Hörsaal verbracht. Und der Londoner Korrespondent Roland Hill (*1920) war nach Großbritannien geflüchtet, während die jüngeren „Fünfundvierziger“, der Musikredakteur Friedrich Ferdinand Hommel (*1929) und der Literaturkritiker Peter W. Jansen (*1930), noch zur Schule gegangen waren.20 Das verbleibende letzte Drittel des Redaktionsstabs wurde vor 1920 geboren (39 Prozent). Damit gehörten die Redakteurinnen und Redakteure zu einer Alterskohorte, deren Biographien deutlich stärker nationalsozialistisch geprägt, vielfach auch belastet waren. Vor allem die zwischen 1900 und 1910 geborenen Angehörigen der „Kriegsjugendgeneration“ gelten als Träger der Diktatur, auch auf Führungsebene. Ihr Erfahrungshorizont war vom Ersten Weltkrieg geprägt, den sie als Ursache von Inflation, Hunger und bürgerkriegsähnlichen Zuständen erlebten. Die militärische Niederlage und die umkämpfte Friedensordnung von Versailles bildeten zentrale lebensgeschichtliche Bezugspunkte. Im Unterschied zu den „Fünfundvierzigern“ waren die „Wilhelminer“ 17

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Ehemalige Flakhelferinnen und Flakhelfer, die vor allem aus den Jahrgängen 1926 bis 1928/30 rekrutiert wurden, gab es in der Redaktion hingegen keine. Vgl. dazu Bude, Heinz: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der FlakhelferGeneration. Frankfurt am Main 1987. Vgl. Möckel: Erfahrungsbruch (2014), S. 13. Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 107, 143–166. Vgl. FAZ: Sie redigieren (1964); dies.: Sie redigieren (1975).

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im „Dritten Reich“ mehrheitlich berufstätig und bekleideten mitunter verantwortungsvolle Positionen.21 Das trifft auch auf ihre Vertreterinnen und Vertreter im Feuilleton zu. Von den 16 Journalistinnen und Journalisten aus den Jahrgängen 1893 bis 1919 waren in den 1930er und 1940er Jahren ausnahmslos alle einem Beruf nachgegangen. Die meisten waren publizistisch tätig, andere entdeckten das Schreiben erst später für sich: Der erste Feuilletonchef Martin Ruppert (*1915) hatte nach einem Volontariat beim Mainzer Anzeiger Zeitungswissenschaften studiert, der Musikredakteur Ernst Thomas (*1916) als Kapellmeister gearbeitet. Die Berliner Korrespondentin Sabina Lietzmann (*1919) war im Fach Geschichte promoviert worden, die Filmkritikerin Brigitte Jeremias (*1914) hatte sich schauspielerisch betätigt. Der Wissenschaftsredakteur Kurt Rudzinski (*1911) war als wissenschaftlicher Assistent und der Feuilletonleiter Otto Friedrich Regner (*1913) im Verlagswesen beschäftigt worden, während sich die Kunstkritikerin Eva Maria Demisch (*1915) mit Gelegenheitsarbeiten arrangiert hatte. Die Schreibenden unter ihnen blieben wie die meisten Publizistinnen und Publizisten nach 1933 mehrheitlich aktiv.22 Das Spektrum ihrer Arbeitgeber reichte von ehemals linksliberalen Blättern wie dem BT (Karl Korn, *1908) über bürgerlich-liberale oder katholisch-liberale Zeitungen im Stil der FZ (Friedrich Sieburg, *1893) oder der Kölnischen Zeitung (Vilma Sturm, *1912, Herbert Nette, *1902) bis hin zu nationalliberaleren Organen wie der Deutschen Allgemeinen Zeitung (Hans Schwab-Felisch, *1918). Einige arbeiteten für Parteimedien wie die Völkische Frauenzeitung (Wolfgang Schwerbrock, *1919) und Aushängeschilder à la Das Reich23 (Korn, Helene Rahms, *1918), andere für regionale und lokale Zeitungen wie das Darmstädter Tagblatt (Nette) und die Saale-Zeitung (Rahms, Werner Bökenkamp, *1912). So unterschiedlich wie die Zeitungen waren mutmaßlich die Motive hinter der aktiven oder passiven Integration in die zunehmend gleichgeschaltete Medienlandschaft. Neben 21 22 23

Vgl. Herbert, Ulrich: Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert, in: Reulecke, Jürgen (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 58). München 2003, S. 95–114, hier S. 100. Vgl. Robrecht: „Diplomaten in Hemdsärmeln“? (2010), S. 35; Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 23. Zum Reich vgl. Pieper, Ingrid: Das Reich (1940–1945), in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.): Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts (=  Publizistik-historische Beiträge, Bd.  3). Pullach bei München 1973, S.  421–430; Plank, Victoria: „Nationalsozialismus im Frack“ – Die neugeschaffene Wochenzeitung „Das Reich“, in: Studt, Christoph (Hg.): „Diener des Staates“ oder „Widerstand zwischen den Zeilen“? Die Rolle der Presse im „Dritten Reich“ (= Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli, Bd. 8). Berlin 2007, S.  131–141. Speziell zum Feuilleton vgl. Linsen: Der Kulturteil der deutschen Wochenzeitung „Das Reich“ (1954).

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Kapitel 3

Existenzängsten, Pflichtgefühl und Eitelkeit müssen auch Opportunismus, Karrierismus und Überzeugung eine Rolle gespielt haben. Letzteres mag vor allem für Parteimitglieder ausschlaggebend gewesen sein: Fast ein Drittel der vor 1920 geborenen Feuilletonredakteurinnen und -redakteure war Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Verbände und Gliederungen. Diese Alterskohorte war in der Feuilletonredaktion im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens tonangebend.24 Der Grad der individuellen Verstrickung in das nationalsozialistische Unrechtssystem fiel freilich unterschiedlich aus. Während Frauen wie die spätere Korrespondentin Sturm relativ unauffällig blieben (Sturm galt als katholisch),25 wurden andere Teil der Propagandamaschinerie. Bevor Friedrich  A.  Wagner das FAZ-Reiseblatt leitete, war er nicht nur NSDAP-Mitglied und Schriftleiter im Gauverlag NS-Schlesien, sondern auch Berichterstatter der Propagandakompanie (PK) 637 an der Ostfront. Die Propagandaeinheiten der Wehrmacht bildeten wichtige Elemente der Kriegsführung. Zu ihren Aufgaben gehörte

24

25

Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960); dies.: Sie redigieren (1964); dies.: Sie redigieren (1975). Zu den Vorkriegsbiographien vgl. darüber hinaus Armbruster: Eine Rose am Nachmittag (1989), S.  101–103; F.A.Z.: Wolfgang Schwerbrock. Ehemaliger  F.A.Z.-Redakteur gestorben, in: FAZ vom 26.6.1996, S. 37; K.K. (= Karl Korn): Otto Friedrich Regner, in: FAZ vom 7.1.1963, S. 18; ders.: Hans Schwab-Felisch 70, in: FAZ vom 2.11.1988, S. 4; Lietzmann, Sabina: Der Redliche. Zum Tode von Hans Schwab-Felisch, in: FAZ vom 21.10.1989, S. 29; Rahms, Helene: Zwischen den Zeilen. Mein Leben als Journalistin im Dritten Reich. Bern / München / Wien 1997; S.-F. (= Hans Schwab-Felisch): Die Schule der Genauigkeit. Herbert Nette achtzig, in: FAZ vom 15.3.1982, S.  23; Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981); Wiegand, Wilfried: Berlin am East River. Zum Tode von Sabina Lietzmann, in: FAZ vom 31.5.1995, S. 5. Zu den biographischen Eckdaten von Ernst Thomas vgl. die Anmeldung zum Landeskonservatorium der Musik zu Leipzig, in: Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig, Bibliothek/Archiv, A, I.2, 17228 sowie das Zeugnis der Reife, in: ebd., A, I.3, 17228. Vgl. den Brief des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (gez. von Kielpinski) an die Reichsschrifttumskammer vom 9.3.[1943], in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 9361-V/37481. Darin heißt es, sie sei „nur sehr wenig bekannt geworden […]. Für die Bewegung hat sie sich, soweit festgestellt wurde, noch nicht aktiv eingesetzt.“ Zuvor waren ihre 1940 in der katholischen Verlagsbuchhandlung Laumann erschienenen Erzählungen „Mädchen und Soldaten“ in die „Liste des für Jugendliche und Büchereien schädlichen Schrifttums“ eingereiht worden. Die Begründung: „Das Buch, das nach Titel und Einband als ein die Öffentlichkeit interessierendes Kriegsbuch in Erscheinung tritt, ist in Wahrheit eine propagandistisch wirksame konfessionelle Veröffentlichung. Der Text ist zeitfern und kitschig. Auf den Seiten 51/53 findet sich die eindeutige Begründung einer Desertation und deren Verkehrung ins Heldenhafte.“ Brief des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (gez. Ziegler) an den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer vom 6.11.1942, in: ebd.

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neben der Einsatzdokumentation die Implementierung von Feindbildern.26 1941 ließ Wagner den „Grafen Reischach“, Gründer der gleichnamigen parteinahen Nachrichtenagentur, wissen: „Ich bin schon ganz kribblig: dass die Komp. den Krieg nur nicht ohne mich anfängt.“27 Wenige Monate später war die PK 637 an den Massenmorden von Babij Jar beteiligt. Ihre Soldaten druckten die Maueranschläge, auf denen die jüdische Bevölkerung von Kiew aufgefordert wurde, sich zu versammeln.28 Wagner stieg zwei Jahre später zum Leutnant und „Wortfachführer“ im Kriegsberichterzug der Heeresgruppe Süd auf.29 Eine ähnliche Laufbahn hatte der Literaturredakteur Wolfgang Schwerbrock in der Jugendpropaganda eingeschlagen. Schwerbrock war Mitglied in der Hitlerjugend (HJ), schrieb für die Junge Welt und den Pimpf und veröffentlichte Jugendbücher im Völkischen Verlag. Seit 1936 war er als Stellenleiter und Sachbearbeiter in der HJ-Pressearbeit und im Presse- und Propagandaamt der Reichsjugendführung tätig. Bis er nach einem Unfall als kriegsuntauglich galt, wurde er in Russland als Berichterstatter der Waffen-SS eingesetzt.30 Wer im „Dritten Reich“ verlegerisch oder publizistisch wirkte, war indessen nicht zwangsläufig Nationalsozialistin oder Nationalsozialist. Bei allen Repressionen barg auch die journalistische Arbeit Spielräume, in deren Grenzen sich subtile Verweigerungs- und Widerstandsformen herausbilden konnten.31 Gleichwohl waren diese Grenzen eng gesteckt, Kritik, ob offen oder versteckt, 26

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Vgl. Uziel, Daniel: Propaganda, Kriegsberichterstattung und die Wehrmacht. Stellenwert und Funktion der Propagandatruppen im NS-Staat, in: Rother, Rainer / Prokasky, Judith (Hg.): Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges. München 2010, S. 13–36, hier S. 13, 22–23. Brief von Friedrich Wagner an Graf Reischach vom 31.3.1941, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 55/23973. Vgl. Hürter, Johannes: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. München 22007, S. 581. Zum Lebenslauf vgl. den Fragebogen der Prop.Komp.Breslau, eine Aktennotiz vom 25.11.1941 und den Brief von Friedrich Wagner an Hauptmann Stephan vom 20.5.1943, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 55/23973. Ob Wagner zu diesem Zeitpunkt in Kiew war, geht aus den Quellen nicht hervor. Zu den biographischen Eckdaten vgl. den Lebenslauf von Wolfgang Schwerbrock vom 4.12.1939, den Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrags für die Reichsschrifttumskammer vom 9.12.1939, den Brief von Wolfgang Schwerbrock an die Reichsschrifttumskammer vom 3.6.1940 und den Brief von Wolfgang Schwerbrock an Hanns Johst vom 9.2.1942, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 9361-V/36559. Zu den SS-Propagandakompanien vgl. auch Lehnhardt, Jochen: Die Waffen-SS: Geburt einer Legende. Himmlers Krieger in der NS-Propaganda (= Krieg in der Geschichte, Bd. 100). Paderborn 2015. Vgl. Kroll, Frank-Lothar: Intellektueller Widerstand im Dritten Reich. Möglichkeiten und Grenzen, in: ders. / Voss, Rüdiger von (Hg.): Schriftsteller und Widerstand. Facetten und Probleme der „Inneren Emigration“. Göttingen 2012, S. 13–44, hier S. 18–20.

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Kapitel 3

nicht vorgesehen. In einer Diktatur, die große Teile des Medienbetriebs gleichschalten ließ und ganze Berufsstände der staatlichen Kontrolle unterwarf, verlor die journalistische Arbeit ihren eigentlichen Auftrag.32 Insofern fiel dem Journalismus zwar keine unweigerlich protegierende, aber doch eine systemstabilisierende Rolle zu. Mehr als das, nämlich eine dezidiert propagandistische Funktion, hatten diejenigen inne, die den journalistischen Beruf für eine diplomatische oder kulturpolitische Karriere aufgaben und ihr Know-how, ihre Kontakte und Verbindungen in die Dienste des Auswärtigen Amtes stellten. Zwei von ihnen, Werner Bökenkamp und Friedrich Sieburg, seien im Folgenden eingehender betrachtet. Karrieren im „Dritten Reich“ Schon während seines Studiums hatte sich der spätere Pariser Kulturkorrespondent Werner Bökenkamp für die nationalsozialistische Bewegung engagiert. In Freiburg, wo der 1912 geborene Student im Eiltempo ein geisteswissenschaftliches Studium absolvierte, tat er sich als Fachschafts- und Kulturstellenleiter in der Hochschulgruppe des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes hervor.33 Nach der Promotion begann seine Berufslaufbahn Mitte der 1930er Jahre im „Amt Rosenberg“, Abteilung Schrifttumspflege. Dort leitete der gerade einmal Mitte Zwanzigjährige die Zeitschriften-Abteilung und wirkte an „namhaften Zeitungen und Zeitschriften“34 wie dem Völkischen Beobachter (VB) mit. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Parteimitglied.35 Als Abteilungsleiter trat Bökenkamp auch publizistisch in Erscheinung. 1937 veröffentlichte er in der Bücherkunde, dem zentralen Presseorgan des Amtes, einen Aufsatz „Über die literarische Halbwelt“. Ausstaffiert mit Elementen der „Blut-undBoden“-Ideologie, Bezügen zum Germanentum und NS-Vokabular erhob er den Umgang mit literarischem Kitsch zu einem Politikum. Bökenkamp kritisierte die Einfältigkeit kitschiger Literatur, die Austauschbarkeit ihrer Charaktere, ihren schlechten Stil und sprach ihr eine staatszersetzende

32 33 34 35

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 55. Zu den folgenden biographischen Eckdaten vgl. den Lebenslauf von Werner Bökenkamp vom 14.11.1940, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, NS 15/194. Ebd. Bökenkamp machte keine genaueren Angaben zu seiner Tätigkeit. Seine Mitgliedschaft geht aus der Korrespondenz zwischen Bökenkamp und dem NSDAPMitglied W. E. Baltz hervor, der Bökenkamp als „Parteigenosse“ anspricht. Vgl. den Brief von W.  E.  Baltz an Werner Bökenkamp vom 22.4.1938, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, NS 15/191.

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Wirkung zu. Da sich im Kitsch keine „staatsfeindliche Gesinnung […] nachweisen“36 lasse, sei er eine Nische für NS-kritische Verlage. Am Beispiel der „Gossenhauer und Parodien, […] die von den Feinden und von marxistischen Agenten“37 im Ersten Weltkrieg verbreitet worden seien und zum Verfall des Korpsgeistes geführt hätten, sei die Wirkung von Sprache und Literatur längst erwiesen. Bökenkamps Schlussplädoyer: Gegen kitschige Literatur müsse wie „gegen andere Schädlinge im Volk“38 mit „Härte in der Auslese des Schrifttums“39 vorgegangen werden. Drei Jahre später veröffentlichte Bökenkamp das Pamphlet „Frankreichs Universalismus, ein Feind des Volkstums“40 (1940). Die Schrift erschien im Verlag Junker und Dünnhaupt in der von Karl Epting41 betreuten Reihe „Frankreich gegen die Zivilisation“ und versuchte, den französischen Universalismus als „Gegner des wahren Volkstumsgedankens“42 zu enttarnen. Die im Zuge der Französischen Revolution verankerte Idee, dass spezifische nationale Werte wie Freiheit und Gleichheit universelle Gültigkeit besitzen, lehnte Bökenkamp ab. Seiner Auffassung nach hatte der universalistische Anspruch des westlichen Nachbarlandes schon im Ersten Weltkrieg und den „Friedensdiktate[n] von Versailles“43 gemündet. Eine Neuordnung Europas auf der Grundlage des „abendländische[n] Gedanke[ns]“44 sei demnach dringend geboten. Bökenkamp, der hier als Anwalt einer antiliberalen, von deutscher Hegemonie bestimmten Europakonzeption auftrat,45 plädierte für eine deutsch-französische Verständigung 36

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Bökenkamp, Werner: Über die literarische Halbwelt, in: Bücherkunde  4 (1937), H.  7, S.  387–392, hier S.  388. Die „literarische Halbwelt“ sei nach Bökenkamp von der „literarischen Unterwelt“ abzugrenzen, die „längst ausgehoben und verbrannt wurde“. Bökenkamp spielt damit wahrscheinlich auf die Bücherverbrennungen des Jahres 1933 und die staatlichen Maßnahmen zum Verbot missliebiger Autorinnen und Autoren an. Ebd., S. 390. Ebd., S. 389. Ebd., S. 392. Bökenkamp, Werner: Frankreichs Universalismus, ein Feind des Volkstums (= Frankreich gegen die Zivilisation, H. 2). Berlin 1940. Epting, zeitweise Direktor des DI in Paris, war Mitglied des von Otto Abetz geleiteten „Frankreich-Komitees“, das den Westfeldzug propagandistisch unterstützte. Vgl. Hausmann, Frank-Rutger: Das Deutsche Institut in Paris (1940–1944), in: Pariser Historische Studien 81 (2007), S. 123–136, hier S. 127. Die Reihe umfasst etwa 25 Titel und wurde unter dem Pseudonym Matthias Schwabe herausgegeben. Bökenkamp: Frankreichs Universalismus (1940), S. 8. Ebd., S. 61. Ebd., S. 72. Vgl. Schröder, Iris: Europa im Zeichen des Hakenkreuzes: Historiographische Perspektiven im Wandel. Ein Kommentar, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in

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unter asymmetrischen Vorzeichen innerhalb eines nationalsozialistisch bestimmten Europas.46 Nach dem gescheiterten Versuch, einen Lektoratsposten in Italien zu bekleiden – Bökenkamps Bewerbung wurde überraschend zurückgestellt, „bis er seinen Willen zur Mitarbeit in der Bewegung unter Beweis gestellt habe“47 – übernahm er 1941 die Leitung des Referats für Musik, Theater und Bildende Kunst am Deutschen Institut (DI) in Paris. Das DI war dem Auswärtigen Amt unterstellt und betrieb als zentrale Schnittstelle der intellektuellen Kollaboration Kulturpolitik auf völkisch-rassischer Grundlage.48 Seit 1939 war das kulturpolitische Engagement im Ausland erheblich intensiviert worden. Den europaweit angesiedelten Instituten fiel mit Kriegsbeginn die Aufgabe zu, der aggressiven Expansionspolitik eine kulturelle Grundlage zu geben, den Hegemonialanspruch des Regimes im Ausland breitenwirksam zu begründen.49 Als Referatsleiter war Bökenkamp für die Abwicklung künstlerischer Veranstaltungen zuständig, „soweit sie nicht von der Propagandaabteilung des Militärbefehlshabers ausgingen“50. Er zeichnete für Gastspiele und die Förderung deutschsprachiger Bühnenwerke in den Pariser Theatern verantwortlich, organisierte Konzerte und Ausstellungen.51 Seine Arbeit diente der Aufwertung von deutschen Kulturgütern im besetzten Frankreich; eine Tätigkeit, die nach Auffassung der deutschen Behörden umso wichtiger war, als sich

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Contemporary History  9 (2012), H.  3, S.  449–456, hier S.  449. Online unter: https://zeit historische-forschungen.de/3-2012/4696 (16.3.2022). Vgl. auch Geiger, Wolfgang: L’image de la France dans l’Allemagne nazie 1933–1945. Rennes 1999, S. 172–173. Brief des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (gez. Scurla) an den Stellvertreter des Führers – Stab – vom 8.6.1940, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, NS 15/194. Wie der Brief belegt, hatte sich Bökenkamp 1940 als Lektor in Italien beworben. Nachdem seine Bewerbung abgelehnt worden war, unternahm Herbert Scurla aus dem Ministerium einen zweiten Anlauf und sprach sich, offenbar ohne Erfolg, für eine Verwendung Bökenkamps aus. Sein Lebenslauf biete genug „Belege“ für seine Loyalität und Überzeugung. Weshalb Bedenken gegenüber Bökenkamps politischer Zuverlässigkeit bestanden, geht aus den Quellen nicht hervor. Vgl. Hausmann, Frank-Rutger: „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 169). Göttingen 2001, S. 24, 100; ders.: Das Deutsche Institut (2007), S. 126–127. Zum Aufgabenspektrum des Instituts vgl. auch den Arbeitsbericht des Deutschen Instituts Paris Mai 1942 bis Juli 1943, in: PA AA, RZ 507, R 64348. Vgl. Michels, Eckard: Das Deutsche Institut in Paris 1940–1944. Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches (= Studien zur modernen Geschichte, Bd. 46). Stuttgart 1993, S. 50–51. Tätigkeitsbericht des Deutschen Instituts Paris September 1940 bis April 1942, in: PA AA, RZ 507, R 64348. Vgl. den Arbeitsbericht des Deutschen Instituts Paris Mai 1942 bis Juli 1943, in: ebd.

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„der“ Franzose gegenüber „allem, was ihm von jenseits des Rheins geboten wird, vorsichtig, skeptisch oder sogar von vornherein ablehnend verhält“52. Nach einem kurzzeitigen Einsatz bei der Wehrmacht wurde Bökenkamp als „unabkömmlich“ gemustert und 1943 an eine Zweigstelle in Marseille versetzt. Zum Institutsleiter aufgestiegen, war er dort für die Geschäftsführung und kulturpolitische Ausrichtung zuständig, wurde aber schon im darauffolgenden Jahr für den Aufbau eines weiteren DI nach Lyon abgeordnet.53 Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Bökenkamp blieb, juristisch unbehelligt, in seiner französischen Wahlheimat, die ihm seit 1940 eine rasche Karriere beschert hatte. Seit 1954 berichtete er für die FAZ als ständiger Kulturreferent aus Frankreich, sieben Jahre später wurde er der erste Pariser Feuilletonkorrespondent der Zeitung. Neben Bökenkamp besaß auch Friedrich Sieburg, der von 1957 bis 1964 das FAZ-Literaturblatt leitete, zeit seines Lebens einen starken Bezug zu Frankreich. Als einziger Feuilletonist der FAZ vor der Jahrhundertwende geboren, hatte er als Offizier der Luftwaffe noch den Ersten Weltkrieg aus der Nähe erlebt. Sieburgs Karriere begann in Berlin, wo er nach dem Krieg, Studium und Promotion in Münster unter anderem Theater- und Filmkritiken für die linksintellektuelle Weltbühne schrieb. 1926 erhielt er den attraktiven Posten des Pariser Auslandskorrespondenten der FZ und avancierte zu einem der renommiertesten Journalisten der Zwischenkriegszeit.54 Er entwickelte außerdem eine rege publizistische Tätigkeit, die ihren ersten Höhepunkt in dem Bestseller „Gott in Frankreich?“55 (1929) fand.56 Diese historische Analyse, eine Laudatio auf die französische Lebensart, kombiniert mit scharfer Kritik am politischen „Wesen“ des Landes, exponierte den frankophilen Autor als binationalen Vermittler zwischen zwei Nationen, die er schon damals vor einen Antagonismus gestellt sah. Etwa zur gleichen Zeit begann Sieburg Verbindungen zu Hans Zehrer und der Monatsschrift Die Tat zu knüpfen, dem Organ des nationalrevolutionären „Tat-Kreises“.57 Die 1920er Jahre hatten ihn zum Skeptiker werden lassen: Bei Sieburg verknüpfte sich die Absage an das parlamentarische System Weimars mit einer anti-westlichen, Modernitätseifer, 52 53 54 55 56 57

Planung einer Vortragsfolge „Der Nachbar. Eine Reise durch Deutschland in Wort und Bild“, undatiert, in: PA AA, RZ 507, R 64348. Vgl. Kwaschik, Anne: Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder. Göttingen 2008, S. 162. Vgl. Fest, Joachim: Friedrich Sieburg. Ein Porträt ohne Anlaß, in: FAZ vom 19.7.1980, BuZ, S. 1. Sieburg, Friedrich: Gott in Frankreich? Ein Versuch. Frankfurt am Main 1929. Für eine Übersicht über das Gesamtwerk vgl. FAZ: Friedrich Sieburg 18. Mai 1893 – 19. Juli 1964, in: FAZ vom 27.10.1964, S. 22. Zu den radikalen politischen Stoßrichtungen der Zeitschriften Weltbühne und Tat vgl. Reitmayer: Das politisch-literarische Feld (2011), S. 75.

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Konformismus und „Massenkultur“ ablehnenden Kulturkritik, wie sie in modifizierter Form von vielen Intellektuellen nach 1945 wiederbelebt wurde.58 Seine Vision war die „einer geistesaristokratisch kommandierten, nach innen proletarisch-egalitär, nach außen imperial auftretenden Machtnation Deutschland“59. Sieburgs weiterer Werdegang weist starke Ambivalenzen auf. Im Frühjahr 1933 erschien im Frankfurter Societäts-Verlag mit „Es werde Deutschland“60 sein später umstrittenes Werk. Das Vaterland wurde nun zur Bezugsgröße, zum Heilmittel angesichts der Krisenhaftigkeit.61 Dieses metaphysisch angereicherte, von völkischem Gedankengut durchzogene „Plädoyer für eine nationale Erneuerung“62 wurde häufig als Bekenntnis zum Nationalsozialismus gelesen. Die Quellen eröffnen eine andere Sichtweise: Auf Veranlassung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) wurde das Buch 1936 beschlagnahmt und „wegen Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung“63 in die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ eingereiht.64 Ein Zufall, eine Werbeanzeige für Sieburgs Gesamtwerk, hatte den Geschäftsführer der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums (PPK) offenbar veranlasst, das Buch einer genaueren Überprüfung zu unterziehen.65 Karl Heinz Hederichs Empörung entfachte insbesondere ein Abschnitt, der Kritik am Rassenantisemitismus beinhaltete und der NS-Bewegung einen primitiven, geistlosen Charakter zusprach:

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Vgl. Krause, Tilman: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußstein. Friedrich Sieburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert. Berlin 1993, S. 32–33; Zimmermann, Harro: Friedrich Sieburg – Ästhet und Provokateur. Eine Biographie. Göttingen 2015, S.  168–169. Zur Kulturkritik der 1950er Jahre vgl. das vierte Kapitel „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“. Zimmermann: Friedrich Sieburg (2015), S. 182. Sieburg, Friedrich: Es werde Deutschland. Frankfurt am Main 1933. Vgl. Kersten, Joachim: Niemand hat Glück mit Deutschland.  33 Bausteine zu einem Portrait von Friedrich Sieburg, in: Ebbinghaus, Angelika / Roth, Karl Heinz (Hg.): Grenzgänge. Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts im Spiegel von Publizistik, Rechtsprechung und historischer Forschung. Lüneburg 1999, S. 51–93, hier S. 65. Nickel, Gunther: Antrag abgelehnt. Der Fall Sieburg: Warum die NS-Mitgliederkartei zweifelhaft ist, in: FAZ vom 21.1.2004, S. 33. Polizeifunk des Geheimen Staatspolizeiamtes an die Politische Polizei Preußens und der Länder vom 6.4.1936, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 58/967. Vgl. den Brief des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer an das Geheime Staatspolizeiamt vom 26.5.1936, in: ebd. Vgl. den Brief der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des N.S.  Schrifttums an die Geheime Staatspolizei vom 6.4.1936, in: ebd.

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Viele Elemente, die sich heute der nationalsozialistischen Parole bedienen, sind nichts weiter als freigelassene Sklaven […]. Sie huldigen dem für sie so bequemen Mißverständnis, daß die Nation eine Angelegenheit der Rasse sei. Zurück zur Herrschaft der Blutbande wünschen sich alle diejenigen, die das Nachdenken nicht lieben und daher das kümmerliche Abfallsprodukt der vergehenden liberalen Welt, den Antisemitismus übernehmen. Die Rassenlehre […] befreit ihre Anhänger von der Notwendigkeit, sich im Erlebnis der Zugehörigkeit zum Volke zusammenzufinden, da aller Zusammenhalt ja bereits gegeben ist und in einer pseudowissenschaftlichen […] Tatsache besteht, die nicht einmal im Reiche der Biologie ihren rechten Platz finden will.66

Auch aus ökonomischen Gründen versuchten Sieburg und sein Verleger umgehend, eine Aufhebung des Verbots zu erreichen. Es gebe kein anderes Buch, so der Autor im April  1936, „das dem Nationalsozialismus in England und Frankreich so stark genützt hat“67. Beide beteuerten gegenüber den Behörden – vergeblich – seine ideologische Kompatibilität.68 Ideologisch kompatibel war Sieburg tatsächlich nur sehr bedingt. Vom Antisemitismus hatte er sich früh distanziert. 1933 sagte er ein Referat vor der Belgischen Völkerbundsliga ab, da er offenbar fürchtete, zur „Judenfrage“ Stellung nehmen zu müssen.69 Obwohl er die Machtübernahme zunächst begrüßt habe, könne er „der Haltung der Regierung Hitler zu diesem Problem nicht ohne weiteres folgen“70. Ende des Jahres setzte sich Sieburg für seinen Kollegen Salomon Wolff ein, den FZ-Wirtschaftskorrespondenten, um ihn der Zeitung nach Inkrafttreten des 66 67 68

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Sieburg: Es werde Deutschland (1933), S. 274–275. Brief von Friedrich Sieburg an Wendelin Hecht vom 17.4.1936, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 58/967. Vgl. den Brief der Frankfurter Societäts-Druckerei an die Geheime Staatspolizei vom 18.4.1936, in: ebd. Dass Sieburg keineswegs als zuverlässiger Repräsentant der Bewegung galt, bestätigen auch andere Quellen. Auf eine Anfrage des Deutschen Volksbildungswerkes, ob er ein geeigneter Ansprechpartner in französischen Fragen sei, teilte die Hauptstelle Kulturpolitisches Archiv 1939 mit: „Sieburg ist zweifellos ein Schriftsteller von Rang, dessen Bücher sich vor allem durch eine genaue Kenntnis Frankreichs und des französischen Lebens auszeichnen. Sie gehen jedoch in ihrer Haltung von einer deutsch-französischen Verständigung aus, ja sie sind teilweise […] aus ursprünglicher Liebe zu Frankreich geschrieben. Es ist selbstverständlich, daß dieses Schrifttum in einer Zeit des Kriegszustandes zwischen Deutschland und Frankreich nicht herangezogen werden kann. Falls Sieburg als Sachkundiger […] eingesetzt werden soll, so ist in jedem Falle vorher die Vorlegung des Manuskriptes notwendig.“ Vgl. den Brief der Hauptstelle Kulturpolitisches Archiv an das Amt Deutsches Volksbildungswerk vom 7.12.1939, in: ebd., NS 15/29. Das geht aus dem Brief der Deutschen Gesandtschaft Brüssel (gez. Bräuer) an Herrn Forster vom 1.4.1933, in: PA AA, RAV Paris, 685A hervor. Brief von Herrn Forster an den Gesandtschaftsrat Bräuer vom 10.4.1933, in: ebd.

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Schriftleitergesetzes zu erhalten.71 Zu dieser Zeit verfügte er bereits über Verbindungen in das politisch-diplomatische Feld. Als Korrespondent, Frankreichkenner und Vorsitzender der „Vereinigung der Korrespondenten deutscher Zeitungen in Paris“ pflegte er enge Kontakte in die Politik und zur Deutschen Botschaft. In Frankreich stand er deshalb im Ruf, ein Regierungsspitzel zu sein.72 Die Gestalt dieser Beziehungen erschließt sich aus der Retrospektive tatsächlich kaum. So heißt es in einem Brief des Propagandaministeriums vom März 1934, Sieburg müsse vor einem bevorstehenden Einbruch gewarnt werden, „kompromittierende Dokumente Promi [Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Anm. d. Verf.] betreffend.“73 In persönlichen Konflikten waren ihm diese Beziehungen von großem Nutzen. 1936 leitete der Reichsverband der Deutschen Presse ein berufsgerichtliches Verfahren gegen Sieburg ein, weil seine Bücher „Es werde Deutschland“ und „Die rote Arktis“ (1932) trotz Verbots weiter vertrieben werden würden. In letzterem hatte der Schriftsteller zum Missfallen der Reichspressekammer (RPK) einen Vergleich zwischen den sowjetrussischen Bolschewisten und den deutschen Nationalisten angestellt. Während erstere „mit Menschenstimmen“ sprächen, werde „in Deutschland […] vorerst nur getrommelt“74, heißt es dort etwa. Der Reichsverband zog diese „Propaganda für den Bolschewismus“75 aus dem Verkehr. Sieburg wandte sich deshalb an Johannes von Welczeck. „Es darf nicht geschehen“, klagte er vor dem Botschafter, „dass ich in Frankreich als uneingeschränkter Verteidiger des neuen Deutschland und in Deutschland als das Gegenteil angegriffen werde“76. Zum Beweis der politischen Zuverlässigkeit verfasste von Welczeck ein Schreiben, aus dem Sieburgs Bedeutung für die Umsetzung der deutschen Pläne hervorging. Demnach sei dieser in der Lage, selbst kritischen Geistern „mit frischem Kampfgeist und unleugbarem Geschick den deutschen Standpunkt und das nationalsozialistische 71

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Sieburg ersuchte die Deutsche Botschaft mit Erfolg um eine Bescheinigung über die ideologische Zuverlässigkeit seines Kollegen. Wolff musste die Zeitung dennoch verlassen. Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Herrn Döhle vom 21.12.1933 und den Brief von Herrn Köster an das Auswärtige Amt Berlin vom 22.12.1933, in: PA AA, RAV Paris, 685A Vgl. Ray, Roland: Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1930–1942 (= Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 59). München 2000, S. 107. Brief des Propagandaministeriums an Herrn Dincklage vom 1.3.1934, in: PA AA, RAV Paris, 685A. Sieburg, Friedrich: Die rote Arktis. „Malygins“ empfindsame Reise. Frankfurt am Main 1932, S. 135. Brief des Reichsverbands der Deutschen Presse an Friedrich Sieburg vom 11.12.1936, in: PA AA, RAV Paris, 685A. Brief von Friedrich Sieburg an Graf von Welczeck vom 6.1.1937, in: ebd.

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Gedankengut […] nahe zu bringen“77. Das Verfahren wurde eingestellt, aber Sieburg eckte weiter an. Im darauffolgenden Jahr bat das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) die Botschaft um eine Stellungnahme.78 Dem waren „Beschwerden über das unwürdige Benehmen“ Sieburgs vorausgegangen. Dieser lasse „keine gesellschaftliche Veranstaltung vorbeigehen […], in der er nicht die Lauge seines Spottes über Deutschland ausgieße und durch eine Fülle hämischer und spitzer Bemerkungen sein Vaterland schädige.“79 Mit Kriegsbeginn kehrte Sieburg dem Journalismus den Rücken. Er wurde als Gesandtschafts- und später als Botschaftsrat in die Informationsabteilung des Auswärtigen Amts berufen.80 Für diesen Posten schien er trotz der wiederholten Kollisionen und fehlenden Erfahrung durchaus geeignet: Er war nicht nur ein bekannter, vernetzter Journalist mit exzellenten Sprachkenntnissen, sondern auch hoch gebildet und ein ausgesprochener Patriot.81 Sieburg selbst gab über seine Motive hinter der „Flucht“ in den diplomatischen Dienst rund zwanzig Jahre später an, die Vorstellung, stattdessen Kriegsartikel zu schreiben, sei für ihn unerträglich gewesen.82 Das Korsett war enger geworden. Für den Auslandskorrespondenten bedeutete der Kriegsbeginn eine Neuordnung des Spielfeldes. Dass Sieburg tatsächlich als Leitartikler für Das Reich vorgesehen gewesen sein soll, wie er nach 1945 verteidigend anführte,83 lässt sich heute weder belegen noch entkräften. Wahrscheinlicher ist, dass den Lebemann und Freund des gehobenen Lebensstils auch ein gewisses Geltungsbedürfnis und Repräsentationsfreude lockten.84

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Brief von Graf von Welczeck an den Reichsverband der Deutschen Presse, undatiert, in: PA AA, RAV Paris, 685A. Vgl. den Brief des Auswärtigen Amtes an die Deutsche Botschaft Paris vom 28.4.1937, in: ebd. Brief des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (gez. Berndt) an die Deutsche Botschaft in Paris vom 23.4.1937, in: ebd. Vgl. Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußstein (1993), S. 157. Zu den Eckdaten vgl. auch o. A.: Sieburg, Friedrich, in: Auswärtiges Amt – Historischer Dienst – (Hg.): Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 4. Paderborn u. a. 2012, S. 262. Vgl. dazu auch Ray: Annäherung an Frankreich (2000), S. 81. Vgl. Bienek, Horst: „Werkstattgespräch“ mit Friedrich Sieburg, in: Neue Deutsche Hefte. Beiträge zur europäischen Gegenwart 9 (1962), S. 80–94, hier S. 85. Vgl. Fest, Joachim: Friedrich Sieburg. Ein Porträt ohne Anlaß, in: FAZ vom 19.7.1980, BuZ, S. 1. Sieburgs Entscheidung als Ausdruck absoluter Enttäuschung eines für die binationale Verständigung eintretenden Journalisten zu interpretieren, wie dies Buddenbrock, Cecilia von: Friedrich Sieburg (1893–1964). Ein deutscher Journalist vor der Herausforderung

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Als Gesandtschaftsrat wurde Sieburg für die „Bearbeitung von Sonderaufgaben der Deutschen Botschaft in Brüssel“85 abgestellt. In dieser Funktion sichtete er Presseerzeugnisse, um aus ihnen Stimmungsbilder und Empfehlungen zur Einleitung von Propagandamaßnahmen abzuleiten.86 Im Sommer 1940 wurde er nach Frankreich beordert. Neben Otto Abetz, Friedrich Grimm, Rudolf Schleier, Ernst Achenbach und Karl Epting gehörte er zum „FrankreichKomitee“, das zu Propagandazwecken in die besetzten Gebiete entsandt wurde. Er sollte Kommunikationskanäle und Netzwerke etablieren, um kollaborationsbereite Kreise aufzudecken und an die deutsche Besatzungsmacht zu binden.87 Außerdem war Sieburg mit Sondermissionen betraut, die ihn etwa zur „Aufnahme von Verbindungen mit portugiesischen Persönlichkeiten“88 nach Lissabon führten. Im April  1941 reichte er sein Eintrittsgesuch bei der NSDAP ein. Ob er tatsächlich Parteimitglied wurde, ist bis heute unklar.89 Im gleichen Jahr hielt Sieburg unter dem Titel „France d’hier et de demain“ seine später oft zitierte Rede vor der „Groupe Collaboration“ über die Rolle Frankreichs im neu gestalteten Europa. Wenngleich sich Sieburg ganz und gar unpolitisch gab („Je viens de déclarer mon incompétence devant les choses

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eines Jahrhunderts. Frankfurt 2007, S. 189–193, hier S. 193 tut, greift vor dem Hintergrund seines ambivalenten Verhaltens zu kurz. Vertrag zwischen dem Auswärtigen Amt und Friedrich Sieburg vom 9.10.1939, in: PA AA, P 1, 14427. Vgl. Ray: Annäherung an Frankreich (2000), S. 294–295. Vgl. ebd., S. 284–285, 291; Zimmermann: Friedrich Sieburg (2015), S. 253, 256. O. A.: Sieburg (2012), S. 262. Um Sieburg kursierte eine kuriose Geschichte: 1941 suchte das britische Militär nach einem Gestapo-Spion namens „Biefurn“, der im Verdacht stand, eine „fünfte Kolonne“ in Portugal vorzubereiten. Auslöser war offenbar ein amerikanischer Zeitungsartikel, in dem der nicht identifizierbare „Biefurn“ als „einer der tüchtigsten unter den ausländischen Agenten der Gestapo“ bezeichnet worden war. Die Deutsche Botschaft in Portugal, selbst unwissend, ließ daraufhin Nachforschungen anstellen. Der Botschafter vermutete, dass es sich um einen Hörfehler handelte und mit „Biefurn“ Sieburg gemeint sei. Dieser leugnete auf Nachfrage eine Bekanntschaft mit oder eine Verbindung zu seiner Person. Vgl. die Telegramme (gez. Krauel) an das Auswärtige Amt vom 26.2.1941 und 10.3.1941, in: PA AA, RZ 214, R 101181; Telegramm (gez. Huene) an das Auswärtige Amt vom 3.3.1941, in: ebd.; „Abschrift Betr. Amerikanischen Bericht über die Tätigkeit der Gestapo in Portugal“, in: ebd.; Notiz von Friedrich Sieburg zu D II 954 vom 7.4.1941, in: ebd. Vgl. Zimmermann: Friedrich Sieburg (2015), S. 191, 266. Sieburg wurde zwar in der Mitgliederkartei geführt, in seinem Nachlass befindet sich jedoch auch ein Ablehnungsbescheid. Zu diesem widersprüchlichen Befund vgl. aus der Zeitung Nickel, Gunther: Antrag abgelehnt. Der Fall Sieburg: Warum die NS-Mitgliederkartei zweifelhaft ist, in: FAZ vom 21.1.2004, S. 33.

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politiques“90), war der Vortrag es keineswegs. Schon nach wenigen Sätzen bekannte sich der einstige FZ-Korrespondent vor den französischen Unterstützerinnen und Unterstützern des Vichy-Regimes als Nationalsozialist. Nicht Deutschland, sondern Frankreich habe seinen Charakter gefestigt und ihn zum Kämpfer erzogen: „C‘est ici, en votre douce France, que mon caractère s‘est durci. C’est la France qui s’est chargée de mon éducation de lutteur et de national-socialiste.”91 Dann holte Sieburg zur Verteidigung aus: Die Geschehnisse der jüngsten Zeit seien der Beginn einer universalen Entwicklung, die die Welt grundlegend verändern werde. Sie sei nicht erzwungen worden, sondern, glaubte man Sieburg, Teil eines unabwendbaren, quasi evolutionären Wandels, in dem Deutschland lediglich die ausführende Kraft spiele.92 Das französische Deutschlandbild beruhe demzufolge auf einem Missverständnis, habe Deutschland als Spiritus Rector der anstehenden Transformation doch selbst nur eine Rolle zu erfüllen. Dem Land falle nun einmal die Funktion des Starken, Mächtigen und Furchterregenden zu: „Je me suis bientôt rendu compte que l‘Allemagne était condamnée a être forte, puissante, redoutable”93. Die NSEroberungspolitik, so die unausgesprochene Schlussfolgerung, war als Mittel zu einem höheren Zweck entschuldbar. Schmeichelnd und tadelnd appellierte Sieburg gegen Ende seiner Rede an die Vernunft: „Je ne crois pas que la France soit incapable de supporter un changement. Je suis convaincu du contraire. Beaucoup parmi vous se rendent bien compte que celui qui se cramponne à son jardin perd son empire, que celui qui s’attache trop à sa cabane sera un jour sans espace vital.”94 Frankreich, so der rhetorisch versierte Redner, verkörpere eine einzigartige  Lebensweise, leide aber unter kleinbürgerlichem, provinziellem Denken. Anders als die Hegemonen der Vergangenheit wie Großbritannien, der Kapitalismus, der Völkerbund, der Kommunismus oder „les forces juives“95 konfrontiere Deutschland das Land erstmals mit diesen Schwächen und sei deshalb nicht sonderlich populär.96 Ehrlichkeit macht unbeliebt: Für das getrübte deutsch-französische Verhältnis führte Sieburg vermeintliche 90

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Sieburg, Friedrich: France d’hier et de demain (= Les conferences du groupe „Collaboration“). Paris o. J., S. 10. Eine Übersetzung ist in Schonauer, Franz: Deutsche Literatur im Dritten Reich. Versuch einer Darstellung in polemisch-didaktischer Absicht. Olten / Freiburg i. B. 1961, S. 168–175 erschienen. Sieburg: France d’hier (o. J.), S. 11. Vgl. ebd., S. 13–14. Ebd., S. 11. Ebd., S. 18. Ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 18.

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Lebensweisheiten ins Feld. Um Frankreich in der künftigen Volksgemeinschaft dennoch einen Logenplatz anbieten zu können – Sieburg bediente sich hier eines Leitmotivs der NS-Propaganda –97 sei diese Konfrontation geboten. Frankreich müsse lernen, seine Autonomie zugunsten der Gemeinschaft einzuschränken.98 Aus dem Frankreichexperten mit Hang zum Nationalismus und zur Metaphysik war ein lupenreiner Propagandist geworden, der sich nun auch offen antisemitischer Inhalte bediente. Sieburgs Hoffnung auf eine diplomatische Karriere, darauf, einen Beitrag zur Neugestaltung des europäischen Kontinents zu leisten, blieb unerfüllt.99 Auf eigenen Wunsch verließ er das Auswärtige Amt 1943, kehrte kurzzeitig zur FZ zurück und trat nach deren Verbot erneut in die Dienste der Botschaft ein. Bevor er vom französischen Militär aufgegriffen und interniert wurde, betreute er im Auftrag der Botschaft die geflüchteten Mitglieder der französischen Kollaborationsregierung im Schloss Sigmaringen.100 Über seine Haltung im „Dritten Reich“ wurde seither viel diskutiert. Doch wozu sich schon die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nicht imstande sahen, das gelang auch später kaum: Sieburgs ambivalente Persönlichkeit auf einen Nenner zu bringen.101 Der mit ihm bekannte Journalist Thilo Koch begnügte sich deshalb mit dem Hinweis: „Mit den Nazis kam er zwar literarisch nicht gut aus – wie auch?  –, aber er ließ sich so einsetzen (‚kulturpolitisch‘), daß es ihm auch unter Hitler recht gut erging.“102 Bei Sieburg reichten sich ideologische Nähe und skeptische Distanz, Anpassungsdruck und Nonkonformismus, Bekenntnis und Vorbehalt die Hand.103 Während der Intellektuelle mit Geringschätzung auf die geistige Substanz des Massenphänomens Nationalsozialismus herabblickte, zeigte sich der Visionär von dessen Erfolg fasziniert. Während der Mensch und Politiker Ausgrenzung und Gewalt ablehnte, sah der Karrierist neue Perspektiven.

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Vgl. Ray: Annäherung an Frankreich (2000), S. 287. Vgl. Sieburg: France d’hier (o. J.), S. 18–20. Vgl. Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußstein (1993), S. 159. Vgl. Deinet, Klaus: Friedrich Sieburg (1893–1964). Ein Leben zwischen Frankreich und Deutschland. Berlin 2014, S. 505–506. 101 Dass Sieburg allerlei Anlass für Spekulationen bot, zeigt auch die Literatur über seinen Werdegang im „Dritten Reich“. Viele Texte enthalten offenkundige Falschangaben, wie etwa die, dass er seit 1939 Mitarbeiter im Reich gewesen sei. 1939 gab es weder eine Zeitung, die unter diesem Titel erschien, noch gehörte Sieburg nach 1940 zu ihrer Redaktion. Vgl. Jasper, Willi: Hotel Lutetia. Ein deutsches Exil in Paris. München / Wien 1994, S. 309. 102 Koch, Thilo: Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist beabsichtigt. Begegnungen. Hamburg 1970, S. 229. 103 Vgl. Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußstein (1993), S. 115, 159.

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Rückzug, Verfolgung, Exil Anders als für Bökenkamp und Sieburg, die sich im „Dritten Reich“ erfolgreich integrierten, markierten die 1930er Jahre für die Vertreterinnen und Vertreter der „Inneren Emigration“104 einen starken Einschnitt. Unter diesen Sammelbegriff werden alle nicht emigrierten Publizistinnen und Publizisten gefasst, die gegenüber dem Nationalsozialismus eine distanzierte, kritische oder ablehnende Haltung vertraten und diese indirekt oder direkt zur Sprache brachten.105 Die Bezeichnung schließt freilich ein breites Spektrum verschiedener Positionen ein, die auf ebenso verschiedene Weise kommuniziert wurden. Während sich einige Publizistinnen und Publizisten aus dem Beruf und öffentlichen Leben zurückzogen, verliehen andere ihrem ideologischen Unbehagen Ausdruck, indem sie weiter publizierten und alternative Textstrategien entwickelten („verdeckte Schreibweise“106). Ersteren war aus dem weiteren Kreis des FAZ-Feuilletons der Theater- und Kunstkritiker Albert Schulze Vellinghausen (*1905) zuzurechnen, der von 1953 bis 1966 als Feuilletonreferent aus Nordrhein-Westfalen berichtete. Er hatte sich Anfang der 1930er Jahre in Köln niedergelassen und die „Bücherstube am Dom“ eröffnet, die ihm und seinen Vertrauten ein literarisches Refugium bot. Schulze Vellinghausen

104 Während die Wortkombination in den 1930er Jahren meist positiv konnotiert war – sie wurde von deutschen Emigrierten als Bezeichnung für die im Land verbliebenen Regimegegnerinnen und -gegner verwendet –, erfuhr sie in der Nachkriegszeit eine Umdeutung. Sie galt nicht nur als Entlastungs-Chiffre, sondern wurde auch benutzt, um die emigrierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu degradieren. Demnach wurde den Vertreterinnen und Vertretern der Inneren Emigration eine besondere Bedeutung zugemessen, da sie durch den Verbleib im Vaterland einer patriotischen Pflicht nachgekommen seien. Vgl. Krenzlin: Emigranten im eigenen Land? (2016), S. 17–19. 105 Vgl. ebd., S. 21. 106 Zu den Methoden des Zwischen-den-Zeilen-Schreibens, erläutert anhand exemplarischer Texte vgl. Ehrke-Rotermund, Heidrun  / Rotermund, Erwin: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ‚Verdeckten Schreibweise‘ im „Dritten Reich“. München 1999; Rotermund, Erwin: Formen und Rezeptionsprobleme der „Verdeckten Schreibweise“ im „Dritten Reich“ (1933–1945), in: Krenzlin, Leonore / Gołaszewski, Marcin / Kardach, Magdalena (Hg.): Zwischen Innerer Emigration und Exil. Deutschsprachige Schriftsteller 1933–1945 (=  Schriften der Internationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft, Bd.  5). Berlin  / Boston 2016, S.  29–47. Der Erfolg solcher Verhüllungsstrategien setzte freilich voraus, dass sie erstens dechiffriert werden konnten und zweitens von den Zensurinstanzen als solche unerkannt blieben. Ihre tatsächliche Wirkung darf folglich nicht überschätzt werden. Insbesondere das Feuilleton diente als Plattform, um in Unpolitisches auszuweichen und verdeckt zu widersprechen, da es im Vergleich zu den anderen Ressorts freier in der Auswahl der zu besprechenden Themen war. Vgl. Frei / Schmitz: Journalismus im Dritten Reich (2011), S. 122.

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schrieb zwar Erzählungen, Theaterstücke und Gedichte, gedachte sie aber unter den Bedingungen der Diktatur nicht zu veröffentlichen.107 Die im Land verbliebenen Publizistinnen und Publizisten erlebten den Ausbau eines umfassenden Überwachungs- und Verfolgungsapparates und die Gleichschaltung unmittelbar. Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (28. Februar 1933) setzte neben anderen Grundrechten die Meinungs- und Pressefreiheit außer Kraft. Das „Schriftleitergesetz“ (4. Oktober 1933) reglementierte den Zugang zu Presseberufen: Nur wer „arischer Abstammung“ war, durfte fortan noch journalistisch arbeiten und war nun Träger einer „öffentlichen Aufgabe“.108 Die im gleichen Jahr gegründete Reichskulturkammer (RKK) und ihre sieben Abteilungen konkurrierten mit den Staats- und Parteiinstitutionen wie der „Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ um die Kontrolle über den Kulturbetrieb. In der Medienlandschaft strebte der Staat durch Aufkäufe, Enteignungen und Neukonzentrationen von Verlagen ein Kommunikationsmonopol an.109 Von den großen bürgerlichen Zeitungen wurde aus strategischen Gründen vorerst nur die Vossische Zeitung verboten (31. März 1934). Erst einige Jahre später folgten das Ende des BT110 (31. Januar 1939) und der FZ111 (31. August  1943). Für die Journalistinnen und Journalisten änderten sich die Rahmenbedingungen jedoch nachhaltig: Wer kein Mitglied der RPK war, durfte nicht arbeiten. Und diejenigen, die in eine der obligatorischen Berufslisten eingetragen waren, sahen sich bald nicht nur mit Presseanweisungen und Sanktionsdrohungen konfrontiert, sondern auch mit neuen Gesichtern: Die Führungspositionen der

107 Vgl. Neite, Werner (Hg.): 50 Jahre Bücherstube am Dom 1931–1981. Köln 1981, S. 7, 12–13; Reding, Josef: Der Mensch im Revier. Essays. Köln 1988, S. 123; Scheid, Sabine: „Erlaubt ist nun alles  …“. Albert Schulze Vellinghausen (1905–1967), in: sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels  4 (1999), S.  46–47, hier S.  48–50. Später soll Schulze Vellinghausen als Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager den Insassen unbemerkt Hilfestellungen geleistet haben. Vgl. Reding: Der Mensch im Revier (1988), S. 123. 108 Vgl. Stöber, Rudolf: Presse im Nationalsozialismus, in: Heidenreich, Bernd  / Neitzel, Sönke (Hg.): Medien im Nationalsozialismus. Paderborn 2010, S. 275–294, hier S. 279–280. 109 Vgl. Rotermund: Formen und Rezeptionsprobleme (2016), S. 32. 110 Zum Berliner Tageblatt im „Dritten Reich“ vgl. Boveri, Margret: Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler. Olten / Freiburg i. B. 1965. 111 Zur Geschichte und Rolle der FZ in der Diktatur vgl. die unterschiedlichen Interpretationen von Gillessen, Günther: Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich. Berlin 1986 und Sösemann, Bernd: Journalismus im Griff der Diktatur. Die „Frankfurter Zeitung“ in der nationalsozialistischen Pressepolitik, in: Studt, Christoph (Hg.): „Diener des Staates“ oder „Widerstand zwischen den Zeilen“? Die Rolle der Presse im „Dritten Reich“ (= Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli, Bd. 8). Berlin 2007, S. 11–38.

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großen Verlags- und Pressehäuser wurden nach und nach mit nationalsozialistischen Pressefunktionären besetzt. Hans Heinz Stuckenschmidt (*1901), nach 1957 ständiger FAZ-Musikreferent in Berlin, erfuhr die pressepolitischen Entwicklungen der 1930er Jahre am eigenen Leib. In der Weimarer Republik hatte sich der studierte Komponist als Journalist einen Namen gemacht. Seine Artikel erschienen in der Weltbühne, der Musikzeitschrift Melos und im BT. Stuckenschmidt offenbarte sich darin als Verfechter der musikalischen, literarischen und künstlerischen Moderne,112 als Verehrer Arnold Schönbergs und der Zwölftonmusik, die im „Dritten Reich“ als „entartet“ und „kulturbolschewistisch“ geächtet war. Er gehörte außerdem zu einem oppositionellen Kreis von Intellektuellen, der gegen die Musikpolitik öffentlich Stellung bezog.113 Daher hatte es im VB und in der NSDAP-Gauzeitung Der Angriff immer wieder Anfeindungen gegeben.114 Als Stuckenschmidt 1934 die Uraufführung von Alban Bergs Oper „Lulu“ positiv besprach,115 war es so weit: Er wurde aus der Schriftleiterliste gestrichen. Seine „zersetzend[en]“ Kritiken, heißt es in der Begründung, seien „Beschimpfungen der Musik und des gesamten deutschen Musiklebens.“116 In der weiteren Berufsausübung verhindert, emigrierte er ein Jahr vor der Besetzung der tschechischen Hauptstadt nach Prag, wo er für das Prager Tagblatt und den Neuen Tag zu arbeiten begann. In der Person Konstantin von Neuraths, dem Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, hatte er einen Schutzherrn, der die nicht abbrechenden Angriffe aus Parteikreisen abzuwehren verstand. Als Neurath im Herbst 1941 beurlaubt wurde, drohte Stuckenschmidt ein Haftbefehl der Gauleitung. Um dem zu entgehen, meldete er sich zur Wehrmacht, für die er als Schreiber und Dolmetscher in Frankreich und Italien eingesetzt

112 Vgl. Koch, Gerhard  R.: Zeitzeuge und Vorkämpfer für ein Jahrhundert. Zum Tode von Hans Heinz Stuckenschmidt, in: FAZ vom 17.8.1988, S. 23. 113 Vgl. Stuckenschmidt, Hans Heinz: Zum Hören geboren. Ein Leben mit der Musik unserer Zeit. München 1979, S. 126, 137. 114 Vgl. Hans Heinz Stuckenschmidt im Gespräch mit Hans Bünte 20.–22. Juli 1982, in: Schnelting, Karl  B. (Hg.): Zeugen des Jahrhunderts. Porträts aus dem Musikerleben. Frankfurt am Main 1987, S.  9–48, hier S.  30; Stuckenschmidt: Zum Hören geboren (1979), S. 125. 115 Vgl. Stuckenschmidt, Hans Heinz: Alban Bergs „Lulu“-Suite, in: Berliner Zeitung am Mittag vom 1.12.1934, S. 4. 116 Mitteilung des Landesverbandes Berlin im Reichsverband der Deutschen Presse (i.  A.  Herr  Müller-Marquardt) an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 4.12.1934, in: Grünzweig, Werner / Niklew, Christiane (Hg.): Hans Heinz Stuckenschmidt. Der Deutsche im Konzertsaal (= Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts, Bd. 10). Hofheim 2010, S. 69.

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wurde, und kehrte nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1946 nach Berlin zurück.117 Für das Feuilleton berichteten in der Nachkriegszeit auch Journalistinnen und Journalisten, die in den 1930er Jahren aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen emigriert waren. Sie hatten sich in den Aufnahmeländern unter schweren Bedingungen neue Existenzen aufgebaut und bestenfalls beruflich und privat Wurzeln geschlagen. Alte Verbindungen zu den Herausgebern und Ressortleitern, Empfehlungen oder ihr journalistisches Renommee brachten sie in den 1950er Jahren in Verbindung mit der FAZ, für die sie aus der „Exilheimat“ berichteten. Einige Journalistinnen und Journalisten, die im Visier des NS-Verfolgungsapparates gestanden hatten, machten sich in der bundesdeutschen Medienlandschaft auf diese Weise einen Namen. Andere lehnten eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit in Deutschland grundsätzlich ab. Für die Zeitung war es freilich ein Zugewinn, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Herkunft mit Wohnsitz im europäischen und außereuropäischen Ausland zu engagieren: Sie waren nicht nur mit mindestens zwei politischen Systemen, Sprachen und Kulturen vertraut, sondern ersparten ihr überdies die aufwendige Organisation eines kostspieligen Umzugs. Die Zahl der FAZJournalistinnen und Journalisten mit Exilerfahrung blieb dennoch überschaubar: Aus dem erweiterten Redaktionskreis galt dies für Otto Zoff (*1890) und Hilde Spiel (*1911). Spiel berichtete nach 1963 jedoch nicht aus ihrem Zufluchtsland Großbritannien, sondern aus ihrer Heimat Österreich, in die sie Anfang der 1960er Jahre zurückkehrte.118 Als Otto Zoff 1957 ständiger FAZ-Kulturreferent in New York wurde, lebte er schon mehr als 15 Jahre in der US-Metropole. In Prag geboren und in Wien aufgewachsen, war er nach  seinem Studium und der anschließenden Promotion 1914 nach Berlin gezogen, um Lektor bei S. Fischer zu werden.119 Stattdessen engagierte ihn Otto Falckenberg als Dramaturg und Mitdirektor für die Münchner Kammerspiele. Bis seine Laufbahn zu Beginn der 1930er Jahre abrupt stockte, erlangte er als Regisseur, Dramaturg und freier Publizist

117 Vgl. Stuckenschmidt: Zum Hören geboren (1979), S. 165–176. 118 Zu Spiels Emigrationsgeschichte vgl. den Erinnerungsbericht Spiel, Hilde: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. München 1989 sowie WiesingerStock, Sandra: Hilde Spiel. Ein Leben ohne Heimat? (= Biographische Texte zur Kulturund Zeitgeschichte, Bd. 16). Wien 1996. 119 Zum biographischen Werdegang vgl. sowohl die Einleitung als auch die Darstellung des Lebensweges anhand fragmentarischer Quellenauszüge in Keller, Ulrike: Otto Zoffs dramatische Werke. Vom Theater zum Hörspiel. München u. a. 1988, S. 1–7, 252–392.

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einige Bekanntheit.120 Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme kam Zoffs Karriere zum Stillstand. Im Frühjahr 1933 wurde ein Spielverbot über seine Stücke verhängt, weil er als „jüdischer Mischling“ galt. Sein Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (RSK) wurde abgelehnt.121 Zoff verließ Berlin, zog nach Italien und später nach Südfrankreich. Sein großes Buchprojekt, die 1937 veröffentlichte Monographie „Die Hugenotten“122, landete auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ und durfte nicht mehr vertrieben werden.123 Im Antrag der RSK heißt es dazu: „Otto Zoff ist Jude und ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Behandlung des von Zoff gewählten Themas durch einen Juden das nationalsozialistische Kulturwollen gefährdet.“124 Ob die Behörden auch von seiner Verbindung zum Ehepaar Adam und Greta Kuckhoff aus dem Umkreis des deutschen Widerstands wussten, ist nicht bekannt.125 Wie die Kuckhoffs war auch Zoff in den 1930er Jahren Gast des von Arvid und Mildred Harnack geführten literarischpolitischen Salons, der ein (internationales) Forum für den Austausch zwischen Regimekritikerinnen und -kritikern bot.126 Neben anderen Literaturund Kulturschaffenden zählte er zur antifaschistischen Widerstandsgruppe um Adam Kuckhoff, die später als „Rote Kapelle“ in die Geschichte einging und Kuckhoff 1943 das Leben kostete.127 Zu diesem Zeitpunkt war Zoff allerdings 120 Eine Werkübersicht findet sich in Zoff, Liselotte / Pavel, Hans-Joachim (Hg.): Otto Zoff. Tagebücher aus der Emigration (1939–1944) (= Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Bd. 41). Heidelberg 1968, S. 279–281. 121 Vgl. den Briefwechsel zwischen der Reichsschrifttumskammer und dem DreiklangDreimasken Bühnen- und Musikverlag im November 1940, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 56–V/1181. 122 Nach der Veröffentlichung in den USA wurde „Die Hugenotten“ (1942) zu einem der meistübersetzten Werke der Emigration. Vgl. Bosch, Manfred: Zeit der schönen Not. Die Anfangsjahre des Südverlag in Konstanz 1945 bis 1952. Konstanz 2009, S. 225–226. 123 Vgl. den Briefwechsel zwischen dem Leipziger Kommissionsgeschäft F. Volckmar, der Reichsschrifttumskammer, dem Geheimen Staatspolizeiamt und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zwischen 1937 und 1938, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 56-V/1181. 124 Brief des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda vom 27.10.1937, in: ebd. 125 Vgl. den Brief von Otto Zoff an Greta Kuckhoff vom 1.8.1946, in: ebd., N 2506/260. 126 Vgl. Brysac, Shareen Blair: Mildred Harnack und die Rote Kapelle. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung. Bern 2003, S. 190–191, 218–221. 127 Vgl. Keller: Otto Zoffs dramatische Werke (1988), S. 282; Wiemers, Gerald: Vorwort, in: ders. (Hg.): Adam Kuckhoff. Eine Auswahl von Erzählungen, Gedichten, Briefen, Glossen und Aufsätzen. Berlin 1970, S. 5–36, hier S. 9. Zoff beteiligte sich u. a. an der Verteilung von Flugblättern, vgl. Zoff, Liselotte: Eine kleine Öffnung zum Licht, in: Edschmid, Ulrike (Hg.): Diesseits des Schreibtischs. Lebensgeschichten von Frauen schreibender Männer. Frankfurt am Main 1990, S. 149–187, hier S. 166.

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schon emigriert. Durch das Engagement von Thomas Mann bei der American Guild for Cultural Freedom erhielt seine Familie zu Beginn der 1940er Jahre ein Sondervisum für die USA, die sie 1941 erreichten. Im Sommer vor der Ausreise hatte er notiert: „Was auch immer in der Heimat geschieht, man sollte unter jeder Bedingung dortbleiben. Das schlechteste Regime ist besser als die Emigration“128. Die Furcht vor Einsamkeit und Isolation, Sprachbarrieren, Heimweh, Geldsorgen und Ungewissheit prägten Zoffs Gedankenwelt wie die vieler anderer Emigrantinnen und Emigranten.129 Nach 1945 intensivierte er seine Verbindungen nach Europa wieder, doch erst kurz vor seinem Tod 1963 zog es ihn dauerhaft nach Deutschland zurück. Aus dem engeren Feuilletonstab hatte nur Roland Hill (*1920), den ersten Londoner Kulturkorrespondenten, ein Emigrantenschicksal ereilt. Hill, zwischen 1956 und 1969 für die Kulturberichterstattung aus der britischen Hauptstadt zuständig, war als Kind einer jüdischen Familie in der Hamburger Oberschicht aufgewachsen.130 Im Frühjahr 1933, kurz nach der Machtübernahme, begann für ihn und seine Eltern eine Odyssee durch Europa. Einem kurzen Aufenthalt in Prag folgten einige Jahre in Wien, in denen Hill das Abitur machte und als freier Mitarbeiter für diverse Presseorgane arbeitete. Nach dem „Anschluss“ des Nachbarlandes flüchtete die Familie nach Mailand, im Sommer 1939 gelang dem erst Achtzehnjährigen im Alleingang die Überfahrt nach London. Dort erhielt er eine Assistenten-Stelle im Büro der NZZ und arbeitete für die vom Austrian Office herausgegebene Exilzeitschrift Free Austria. Wenige Monate nach der Ankunft waren aus Furcht vor einer staatszersetzenden Bewegung durch deutschsprachige Kriegsgefangene und Flüchtlinge landesweit lokale Gerichtshöfe eingerichtet worden.131 Auch Hill musste vor einem Tribunal des Innenministeriums erscheinen. Er wurde zunächst als zuverlässig eingestuft, im Zuge verschärfter Sicherheitsmaßnahmen im Mai 1940 aber schließlich doch interniert und nach Kanada zum Arbeitsdienst

128 Tagebucheintrag vom 26.8.1940, in: Zoff / Pavel: Otto Zoff (1968), S. 77. 129 Vgl. o.  A.: Anlässe, Rahmenbedingungen und lebensweltliche Aspekte. Einleitung, in: Krohn, Claus-Dieter u. a. (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration. Darmstadt 1998, S. 1–4, hier S. 3–4. 130 Für die folgende Darstellung vgl. die späte Autobiographie Hill, Roland: A Time Out of Joint. A Journey from Nazi Germany to Post-War Britain. London  / New York 2007. Die deutsche Übersetzung erschien 2009 unter dem Titel „Eine Zeit aus den Fugen. Erinnerungen eines deutsch-englischen Europäers“ bei Herder. 131 Vgl. Held, Renate: Kriegsgefangenschaft in Großbritannien. Deutsche Soldaten des Zweiten Weltkrieges in britischem Gewahrsam (=  Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 63). München 2008, S. 29–31.

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überstellt.132 Wie viele deutsche und österreichische Emigranten meldete er sich von dort zum Wehrdienst, anglisierte seinen bedeutungsschweren Familiennamen „Hess“ und wurde Soldat in der Nachrichten-Einheit der Highland Light Infantry. Als solcher erreichte er im Juni 1944 die Nordwestküste Frankreichs. Nach dem Kriegsende wurde Hill zum Presseoffizier befördert. Vor seiner Abreise war er in der britischen Besatzungszone an der Gründung der Neuen Westfälischen Zeitung beteiligt. Wie die Mehrheit der deutschen Journalistinnen und Journalisten, die nach Großbritannien emigriert waren, kehrte er nicht mehr längerfristig nach Deutschland zurück.133 Seine Großeltern waren in Theresienstadt verstorben, seine Tante war in Auschwitz ermordet worden. 3.2

Die Redaktion und die Vergangenheit

Journalistinnen und Journalisten, die im „Dritten Reich“ emigrieren mussten, waren in den bundesdeutschen Redaktionsbüros der 1950er Jahre eine Minderheit.134 Das trifft auch auf die FAZ-Feuilletonredaktion zu, die im ersten Jahrzehnt des Bestehens mehrheitlich aus Redakteurinnen und Redakteuren bestand, die ihrem Beruf im „Dritten Reich“ weiter nachgegangen waren.135 Da sie nur vereinzelt wegen einer Partei-, SA- oder SS-Mitgliedschaft belangt werden konnten, hatten sie ihre Arbeit nach dem Kriegsende und einer erfolgreichen Gesinnungsprüfung vor den alliierten Spruchkammern wieder aufnehmen können. Einige waren bei der AZ in Mainz untergekommen, andere hatten für die Stuttgarter DZ und für die Neue Zeitung gearbeitet. Eine Ausnahme war Sieburg, der bis 1948 mit einem Schreibverbot belegt, im Entnazifizierungsverfahren jedoch als „unbelastet“ eingestuft worden war.136 Berufsanfängerinnen und -anfänger gab es dagegen kaum. Außer Robert Held, der 1949 als Volontär übernommen wurde, und Klaus Wagner, seit 1958 Korrespondent in Hamburg, waren alle Mitglieder der frühen 132 Über seine Zeit im „Lager Douglas“ auf der Isle of Man berichtete er später auch für die FAZ, vgl. Hill, Roland: Wiedersehen mit der Insel Man, in: FAZ vom 31.3.1969, S. 24. 133 Vgl. Robrecht: „Diplomaten in Hemdsärmeln“? (2010), S. 23. 134 Vgl. Führer: Medienmetropole Hamburg (2008), S.  454–455; Sonntag: Medienkarrieren (2006), S. 274. 135 Das gilt ausschließlich für die 1950er Jahre. Durch den starken Personalzuwachs im darauffolgenden Jahrzehnt veränderte sich die Altersstruktur der Feuilletonredaktion grundlegend. Die Mehrheit der Redakteurinnen und Redakteure hatte nun keine Berufserfahrung im „Dritten Reich“ vorzuweisen. 136 Vgl. Deinet: Friedrich Sieburg (2014), S. 534.

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Feuilletonredaktion vor 1920 zur Welt gekommen. Mit Ausnahme von Otto Klepper und Babette Gross aus der FAZ-Geschäftsführung arbeiteten weder in der Hauptredaktion noch in den über die Republik verteilten Redaktionsräumen ehemalige Emigrantinnen und Emigranten. Da Redaktionsmitglieder mit Exilerfahrung nur in den ausländischen Redaktionsbüros anzutreffen waren, bestand eine für die Gesamtzeitung gültige räumliche Distanz zwischen den Vielen, die geblieben waren, und den Wenigen, die unfreiwillig hatten gehen müssen. Nur selten, etwa auf den großen Konferenzen, konnte es zu Begegnungen zwischen ihnen kommen. Sollte es dabei zu Konflikten gekommen sein, wurden sie nicht dokumentiert. Der Berufsalltag blieb von dieser vermeintlich konfliktträchtigen Konstellation also unberührt. Lediglich im Londoner FAZ-Büro prallten die Erfahrungswelten in direkter Nachbarschaft aufeinander: Neben Hill und dem Wirtschaftskorrespondenten Paul West, der wie Hill in den 1930er Jahren in die britische Hauptstadt geflüchtet war, arbeitete dort der politische Korrespondent Heinz Höpfl, seinerzeit ausgewiesener England-Experte des VB, NSDAP- und SA-Mitglied.137 Aber auch in London fand keine nachweisliche Auseinandersetzung statt. Wie fast überall, dominierte auch in der FAZ das Beschweigen,138 setzte die Reflexion der eigenen Berufsbiographie erst viele Jahre später ein.139 Impulse „von oben“, aus dem Herausgebergremium oder der Geschäftsführung, waren angesichts der Biographien Korns, Paul Sethes, Erich Welters, Werner  G.  Hoffmanns oder Viktor Muckels nicht zu erwarten.140 Noch in den späten 1960er Jahren, erinnert sich der 1966 angestellte Beaucamp, sei die Vergangenheit der Älteren zwar Gesprächsthema der Jüngeren gewesen, habe aber schon wegen des großen Alters- und Erfahrungsunterschiedes keinen Anlass zu generationenübergreifenden Diskussionen geboten.141 Wer 137 Höpfl war es auch, der Hill 1956 an die FAZ empfahl. Vgl. den Brief von Heinz Höpfl an Erich Welter vom 26.2.1956, in: BArch Koblenz, N 1314/412. 138 Vgl. Siering: Zeitung für Deutschland (2002), S. 70. So auch Höpfl in einem Interview mit Robrecht: „Diplomaten in Hemdsärmeln“? (2010), S. 44. 139 Erst gegen Ende der 1970er Jahre begannen einige FAZ-Journalistinnen und Journalisten durch autobiographische Reflexionen, ihre Vergangenheit einem breiteren Publikum bekannt zu machen, vgl. Stuckenschmidt: Zum Hören geboren (1979); Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981); Hensel, Georg: Glück gehabt. Szenen aus einem Leben. Frankfurt am Main / Leipzig 1995; Rahms: Zwischen den Zeilen (1997); Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004); Hill: A Time Out of Joint (2007). 140 Zu den Biographien der Genannten vgl. Siering: Zeitung für Deutschland (2002). Muckel war zunächst beratend in den Bereichen Vertrieb und Werbung tätig und trat später als Verlagsdirektor in die Geschäftsführung ein. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 32. 141 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt.

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in der Nachkriegszeit zur FAZ stieß, musste sich also zwangsläufig mit den gegebenen Strukturen arrangieren. Wer sich dazu außerstande sah, wählte andere Wege. Siegfried Kracauer etwa, der einstige Starfeuilletonist der FZ, entschied sich gegen eine publizistische Tätigkeit in der Bundesrepublik, weil er nicht „in einer Atmosphäre atmen (und moralisch zugrunde gehen)“ wolle, „in der das Ehrenwort Sieburgs  etwas gilt.“142 „Es ist wirklich unglaublich“, schrieb er 1960 auch über Korn, „dass ein Individuum mit der Vergangenheit Karl Korn’s [sic!] nun, als wäre nichts geschehen, unter den Redakteuren der ‚Frankfurter Allgemeinen‘ figurieren kann.“143 Auch in der FAZ-Personalpolitik spielte die Vergangenheit keine Rolle. Andernfalls wären entsprechende Vorbehalte in den Protokollen der Herausgeberkonferenzen überliefert. Es ist deshalb davon auszugehen, dass journalistischer Kompetenz und persönlichem Potential deutlich mehr Gewicht zugesprochen wurden als den „Altlasten“ aus längst vergangenen Zeiten,144 die auch in den Verlagspublikationen allenfalls angedeutet wurden.145 Zumindest in den weniger prominenten Fällen dürfte der Grad der Involviertheit zudem kaum bekannt gewesen sein. Gerade das Feuilleton gestaltete sich derart heterogen, dass Bekanntschaften aus der Vorkriegszeit eher eine Ausnahme waren. Ob die Augen aber nun wissentlich oder unwissentlich verschlossen wurden: Feststeht, dass keine Bemühungen unternommen wurden, um zu verhindern, dass zweifelhafte Namen die Seiten der FAZ zierten. Andernfalls wäre es kaum denkbar gewesen, dass sich der Kunsthistoriker Niels von Holst, Experte für die Kunst des Baltikums, ehemaliges Mitglied der SS und im „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“, 1953 im Feuilleton darüber beschwerte, „daß gegenwärtig in Darmstadt nicht nur eine Reihe glanzvoller Vertreter jener NS-Kunst von 1933 bis 1945 wieder aus der Versenkung auftauchen, sondern zum Teil sogar Werke 142 Brief von Siegfried Kracauer an Annemarie und Fritz Wahl vom 10.9.1950, in: DLA Marbach, A:Kracauer, Siegfried, 72.1879/5. Kracauer war nach 1933 nach Paris geflüchtet und 1941 nach New York übergesiedelt. Obwohl er den Versuch einer Wiederbelebung der FZ aus der Distanz beobachtete, blieben die Kontaktversuche des ehemaligen Feuilletonleiters Reifenberg erfolglos. 143 Brief von Siegfried Kracauer an Annemarie und Fritz Wahl vom 28.3.1960, in: ebd., 72.1879/21. 144 Vgl. Siering: Zeitung für Deutschland (2002) S. 54. Dafür spricht auch das Geständnis von Eugen Skasa-Weiß, der Nette 1951 mit seiner Arbeit für den Westdeutschen Beobachter konfrontierte. Vgl. den Brief von Eugen Skasa-Weiß an Herbert Nette vom 24.10.1951, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, ESW B 1167. 145 Dort finden sich in der Regel nur kurze Hinweise auf Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft. Einschneidende Fluchterfahrungen wurden durch Anspielungen wie „1941 in die Vereinigten Staaten“ verfälscht oder zumindest stark verkürzt dargestellt. Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), hier S. 62.

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zu sehen sind, die eigens für Hitlers Kunsttempel gemalt“146 wurden. Ebenso wenig wäre es denkbar gewesen, dass am selben Ort jener von Holst, der zwischen 1941 und 1944 am NS-Kunstraub in Osteuropa beteiligt war,147 noch 1990 gänzlich unbefangen über den „NS-Bildersturm“148 schrieb. Zumindest in einem überlieferten Fall lehnte Korn die Mitarbeit eines Publizisten jedoch nachweislich ab, der sich in kriegsverherrlichenden Büchern und im Rundfunk bekanntermaßen für das NS-Regime engagiert hatte. Der Schriftsteller Josef Magnus Wehner, der nach 1945 in Vergessenheit zu geraten drohte, suchte in den 1950er Jahren inständig nach öffentlicher Aufmerksamkeit.149 Da er von Korn unbeachtet blieb und im Feuilleton weitgehend ignoriert wurde, versuchte es Wehner durch ein Hintertürchen.150 Er wandte sich an den Leiter des FAZ-Literaturblattes, von dem er sich in Anbetracht der eigenen Biographie offenbar mehr Verständnis für die verzwickte Lage erhoffte. Larmoyant schrieb er im Oktober 1957 an Sieburg: Herr Korn hat sich bisher grundsätzlich geweigert, mich in der FAZ auch nur einmal zu Worte kommen zu lassen; die zehn Bücher, die ich nach 1945 improvisierte, wurden nicht beachtet, und es hilft mir wenig, dass ich mit 3000 Aufführungen meiner Mysterienstücke der meistgespielte Autor im Raume beider christlicher Kirchen bin. Nichts auch hilft mir meine Vertrautheit mit den Philosophien, Wissenschaften, Literaturen, Kulturen, Sprachen und Persönlichkeiten der geschichtlichen und aktuellen Welt  – ich gleiche dem Knecht, der seine Talente im Schweisstuch vergraben muss.151

146 Holst, Niels von: Zurück zur Natur? So nicht!, in: FAZ vom 31.3.1953, S. 4. 147 Vgl. Petropoulos, Jonathan: The Faustian Bargain. The Art World in Nazi Germany. London u. a. 2000, S. 204–209. Im Fall von Holst ist davon auszugehen, dass seine Vergangenheit auch in Zeitungskreisen nicht bekannt war: „[A]nd there is no evidence that he was ever exposed in the postwar period as an art plunderer“. Ebd., S. 209. Vgl. auch Hartung, Hannes: Kunstraub in Krieg und Verfolgung. Die Restitution der Beute- und Raubkunst im Kollisions- und Völkerrecht (=  Schriften zum Kulturgüterschutz). Berlin 2005, S. 33. 148 Holst, Niels von: Bilder am Pranger. Der NS-Bildersturm, in: FAZ vom 20.8.1990, S. 27. 149 Zu seiner Person vgl. Hohmann, Joachim  S.: „Pg. Wehner hat ein Interesse daran, als Nationalsozialist unbelastet dazustehen  …“ Leben und Werk des Kriegs- und Heimatdichters Josef Magnus Wehner. Fulda 1988. 150 Vgl. den Brief von Josef Magnus Wehner an Friedrich Sieburg vom 5.12.1957, in: Münchner Stadtbibliothek  / Monacensia, JMW  B  442. Abgesehen von einer Buchanzeige tauchte sein Name nur selten in den Kulturnachrichten und -notizen auf. Hier fand 1973, zwei Wochen nach dem Ausscheiden Korns, auch sein Tod Erwähnung. Vgl. die Kulturellen Nachrichten, in: FAZ vom 18.12.1973, S. 22. In der Zeit hingegen wurden seine Nachkriegswerke angezeigt und besprochen, vgl. schl.: Der schwarze Kaiser, in: Die Zeit vom 3.5.1951. 151 Brief von Josef Magnus Wehner an Friedrich Sieburg vom 17.10.1957, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JMW B 442.

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In seinem Antwortbrief dementierte der höfliche Sieburg den Vorwurf des politisch motivierten Boykotts, um sich anschließend elegant aus der Situation herauszulavieren: Er, Sieburg, sei nur ein einfacher Kritiker, dessen Einfluss sich auf die Literatur beschränke.152 Von einer derartigen Bescheidenheitsbekundung konnte Korn in den andauernden Machtkämpfen mit Sieburg nur träumen.153 Der verhinderte „Fall Bökenkamp“ Während potentielle freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese Weise problemlos abgespeist werden konnten, galt das im Fall belasteter Redaktionsmitglieder nur bedingt. Auch die FAZ drohte bisweilen von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Der Auslöser konnte ein  einfacher Zufall sein: Am  28. April  1959 fand in Trier die Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (DASD) statt, über deren Verläufe und Ergebnisse das Feuilleton seit 1950 regelmäßig berichtete. Eröffnet wurde die Tagung mit einem Vortrag Robert Minders zum Thema „Die deutsche Literatur in französischer Sicht“, in dem der französische Germanist für die Überwindung national verengter Perspektiven eintrat.154 Eine Woche später erschien der Tagungsbericht der FAZ, geschrieben von Werner Bökenkamp, der als Gastredner aufgetreten war.155 Bökenkamp, selbst studierter Germanist und Romanist, übte Kritik an Minders Referat und der französischen Germanistik – und zog damit die Aufmerksamkeit des Kritisierten auf sich. Einen Tag nach der Veröffentlichung beschwerte sich Minder bei Benno Reifenberg, seit 1959 FAZ-Herausgeber, über die verzerrte Wiedergabe des Referates durch einen „Ex-Nazi“156. Dass Bökenkamps kulturpolitische Aktivität in französischen Kreisen bekannt war, 152 Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Josef Magnus Wehner vom 6.11.1957, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JMW B 442. 153 Zum Verhältnis zwischen Korn und Sieburg vgl. den Abschnitt „Lust am Untergang? Literaturkritik“ im Kapitel „Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik“. 154 Zu den im Folgenden geschilderten Vorgängen vgl. Kwaschik: Auf der Suche (2008), S. 157–170, hier S. 160. 155 Vgl. Bökenkamp, Werner: Unbewältigte Tradition. Die Frühjahrstagung der Deutschen Akademie in Trier, in: FAZ vom 8.5.1959, S. 14. 156 Brief von Robert Minder an Benno Reifenberg vom 9.5.1959, in: DLA Marbach, A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘, 91.128.3000. Bökenkamp wurde in der Nachkriegszeit auch als Übersetzer des Schriftstellers Louis-Ferdinand Céline bekannt. Zu Céline, der in den 1930er Jahren wegen seiner antisemitischen Hetzschriften traurige Berühmtheit erlangte, und Bökenkamps Übersetzungen vgl. Wascher, Philipp: Louis-Ferdinand Céline und Deutschland. Rezeptionsgeschichte der Jahre 1932–1961 (=  Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Bd. 94). Berlin 2005, S. 177–233.

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war bereits auf der Tagung selbst zum Ausdruck gekommen. Während seines Vortrags hatten Minder und sein französischer Kollege Maurice Colleville demonstrativ den Raum verlassen.157 Auf dem späteren Empfang des französischen Botschafters war auch der Präsident der DASD, Hermann Kasack, informiert worden.158 Dass nun ausgerechnet dieser Journalist die Tagung in der FAZ besprach, war zweifelsohne kein geschickter Zug, konnte der Bericht vor diesem Hintergrund doch auch wie eine Abrechnung gelesen werden. Unterstützt von Colleville, informierte Minder Reifenberg und Kasack also nun auch brieflich über den Werdegang des Frankreichreferenten. Dieser sei Leiter des „nazistischen Kulturinstituts in Marseille“159 gewesen und habe mit unlauteren Methoden den Aufbau einer weiteren Zweigstelle in Lyon vorangetrieben. Wenige Jahre später halte „dieser Mann, der vorbehaltlos in den Dienst des Nationalsozialismus getreten ist“, wieder Reden, bekleide einen einflussreichen Posten und habe sich als Professor und als Lektor „in vielen amtlichen oder halbamtlichen Stellen eingenistet“160. Bökenkamps Erfolg war in Minders Augen symptomatisch für das ununterbrochene Fortwirken ehemaliger Nationalsozialisten.161 Reifenberg, der in Trier Sitzungsleiter gewesen war, reagierte auf die Vorwürfe allerdings zurückhaltend. Zunächst sei nachzuvollziehen, betonte er gegenüber Kasack, was es mit den Behauptungen auf sich habe. Da Bökenkamp der FAZ aus zuverlässigen Quellen empfohlen worden sei und die Referententätigkeit eine gewisse Zuneigung zu Frankreich voraussetze, handle es sich womöglich um ein Missverständnis. Reifenberg kündigte an, sich zunächst mit Korn besprechen zu wollen. Von diesem wisse er auch, „dass Herr Bökenkamp nicht minder sich von den Nationalsozialisten bedroht gefühlt und dann übrigens für seine Person Konsequenzen gezogen hat“162. In der Zwischenzeit könne die DASD der Sache nachgehen. Es sei letztlich schwer aufzuklären, „wie weit solche Aufträge ausgeführt werden mussten und wie weit dabei von den betreffenden und unglücklichen Personen eine innerliche Beteiligung im Sinne des Nationalsozialismus vorhanden gewesen 157 Vgl. den Brief von Robert Minder an Theodor  W.  Adorno vom 10.5.1959, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1019; Kwaschik: Auf der Suche (2008), S. 162. 158 Vgl. den Brief von Hermann Kasack an Benno Reifenberg vom 5.5.1959, in: DLA Marbach, A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘, 91.128.3101. 159 Brief von Robert Minder an Benno Reifenberg vom 9.5.1959, in: ebd. 160 Brief von Maurice Colleville an Hermann Kasack vom 12.5.1959, in: ebd., 91.128.3512. 161 Vgl. die Briefe von Robert Minder an Hermann Kasack vom 2.5.1959 und 4.5.1959, in: ebd., 91.128.1563. 162 Brief von Benno Reifenberg an Hermann Kasack vom 20.5.1959, in: ebd., 91.128.4055. Auf die vermeintlichen Konsequenzen geht Reifenberg im weiteren Text nicht näher ein.

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ist.“163 Zwischen Funktionsausübung und „wahre[r] Aktivität“164 wollte Reifenberg unterschieden wissen. Ohne die Anschuldigungen einer Prüfung unterzogen zu haben, legte der von Korn unterstützte Reifenberg seine schützende Hand über den Angeklagten. Ebenso wenig wie die FAZ fühlte sich aber auch die DASD für den Fall verantwortlich. Sie bat zwar darum, Bökenkamp künftig nicht mehr als Referenten für ihre Angelegenheiten heranzuziehen, legte den Fall aber offenbar ad acta.165 Damit waren die Gespräche beendet. Bökenkamp setzte seine Tätigkeit fort und erhielt 1961 eine feste FAZ-Korrespondentenstelle in Paris. Vor der deutschen Öffentlichkeit blieb der Fall verborgen, Minder und seine Kollegen aber vergaßen ihn nicht: Bis in die 1960er Jahre versuchten sie, Bökenkamps Status im Kulturleben der französischen Hauptstadt zu unterminieren und ihn von wichtigen Veranstaltungen fernzuhalten.166 Am Beispiel Bökenkamp lassen sich wichtige Einsichten über den Umgang mit problematischen Biographien gewinnen. Es zeigt erstens, dass die Werdegänge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in Gänze bekannt waren.167 Zweitens boten Einstellungsverfahren keinen Anlass, um etwaige Lücken durch Nachforschungen zu schließen. Dass Bökenkamps Engagement auf eine Empfehlung des emigrierten Dichters Richard Möring zurückging,168 war offenbar Indiz genug für seine moralische Unanfechtbarkeit. Schon als Paul Medina, der für den Politikteil aus Paris berichtete, der FAZ Mitte der 1950er Jahre ungefragt Informationen über Bökenkamp zukommen ließ, hatte Korn gegenüber Joseph Breitbach lediglich angekündigt, ihm in Zukunft die ein oder andere Rückfrage stellen zu wollen. „Unser Herr Medina medisierte über B. – doch dies ganz unter uns und ohne jede Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen B. und der Zeitung“169, schrieb er Ende 1955 an den deutsch-französischen Schriftsteller, der an der Vermittlung Bökenkamps ebenfalls beteiligt gewesen war. Und drittens: Wurde verschüttet Geglaubtes 163 Brief von Benno Reifenberg an Hermann Kasack vom 20.5.1959, in: DLA Marbach, A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘, 91.128.4055. Vgl. auch Kwaschik: Auf der Suche (2008), S. 165. 164 Brief von Benno Reifenberg an Hermann Kasack vom 8.5.1959, in: ebd. 165 Ende Mai schrieb Kasack an Reifenberg: „Wir haben auf der Präsidialsitzung uns gesagt, daß es nicht Aufgabe der Akademie sei, Herrn Bökenkamp nach seiner politischen Vergangenheit zu befragen.“ Brief von Hermann Kasack an Benno Reifenberg vom 29.5.1959, in: ebd., 91.128.3101. 166 Vgl. Kwaschik: Auf der Suche (2008), S. 164–165, 167–168. 167 Vgl. dazu auch das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. 168 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 4.1.1955, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 169 Brief von Karl Korn an Joseph Breitbach vom 7.12.1955, in: DLA Marbach, A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004.

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auf Umwegen schließlich doch bekannt, so scheute die FAZ Auseinandersetzungen. Stattdessen versuchten sie und die Akademie, sich gegenseitig die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass sich „mitten im auserlesenen Kreis der besten Geister Nachkriegsdeutschlands“ ein Mann aufhielt, der „an die düsteren Stunden der Besatzungszeit erinnerte“170. Unauffällig bleiben, Ruhe bewahren und Geschlossenheit vermitteln, lautete die FAZ-Devise im Umgang mit Angriffen von außen. Die Vergangenheit Bökenkamps, die kurzzeitig zum Politikum zu werden drohte, wurde auf diese Weise in Schweigen gehüllt, ein echter „Fall Bökenkamp“ verhindert. Ziesel-Affären Als die Zeitung im Frühjahr 1959 mit der Vergangenheit ihres Frankreichreferenten konfrontiert wurde, hatte sie an anderer Stelle mit einem deutlich gravierenderen Problem zu kämpfen: Der „Fall Korn“ war ins Rollen gekommen. Wie eine Reihe anderer Publizisten sah sich auch der Feuilletonherausgeber Ende der 1950er Jahre von der „Giftdrüse Ziesel“171 bedrängt. Der rechte österreichische Schriftsteller und Journalist Kurt Ziesel sah sich dazu berufen, die Öffentlichkeit über die Vergangenheit tonangebender Intellektueller in Kenntnis zu setzen.172 Zur Zielscheibe wurden Publizisten, die mit dem politischen Systemwechsel nach 1945 einen Sinneswandel vollzogen hatten, oder, um es in den Worten des rechten Publizisten Armin Mohler auszudrücken, die „‚politischen Huren‘ […], die bis zum 30. Januar 1933 100%ige Demokraten gewesen waren, bis zum Zusammenbruch von 1945 200%ige Nazis und seither 300%ige Neo-Demokraten“173. Ihnen warf Ziesel, im „Dritten Reich“ überzeugter Nationalsozialist und Antisemit, nach dem Krieg ein Vertreter der extremen Rechten, nicht nur Opportunismus und Verrat vor, sondern in Anbetracht der ausbleibenden Reflexion dieses Wandels auch Feigheit. Sein Argwohn richtete sich vor allem auf Personen, die im Kultur- und Medienbetrieb der Nachkriegszeit in wichtige Positionen aufgestiegen waren und dort linke oder liberale Standpunkte vertraten. Als Repräsentanten des wiedererwachenden Liberalismus verkörperten sie eine Bedrohung, da für den enttäuschten Literaten Ziesel in ihren Reihen kein Platz zu sein schien.174 170 Brief von Maurice Colleville an Hermann Kasack vom 12.5.1959, in: DLA Marbach, A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘, 91.128.3512. 171 Brief von Erich Welter an Friedrich Sieburg vom 25.11.1960, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich, HS.2004.0025.00097,2. 172 Vgl. den Aufsatz von Schildt: Im Visier (2016). 173 Übersicht über die Romane und Politischen Bücher Ziesels mit Kommentar zu seinem Werk, undatiert, in: DLA Marbach, A:Mohler, Armin 1967–1995, HS.1999.0001. 174 Vgl. Schildt: Im Visier (2016), S. 38–39, 41–43.

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Ziesels Kampagne hatte 1958 mit dem Erscheinen des Enthüllungsbuches „Das verlorene Gewissen“175 begonnen. In polemischer Absicht führte er darin Schriftsteller, Journalisten und Publizisten wie Rudolf Pechel, Josef MüllerMarein und Bruno E. Werner vor und klagte sie des politischen Konformismus an. Mit Karl Korn nahm er überdies einen besonders prominenten Stellvertreter der journalistischen Zunft ins Visier.176 Korn hatte sich in den 1950er Jahren einen Ruf „als ‚fortschrittlicher Konservativer‘ erworben“177 und sich zudem mit „bemerkenswerte[r] Offenheit und Courage“178 zur Vergangenheit geäußert. Ziesels Empörung kannte ob dieser Wandelbarkeit keine Grenze: Nachdem er Korns Biographie in den ersten Auflagen noch randständig behandelt hatte, widmete er ihm in der Dokumentation seines Aufklärungsfeldzuges „Die Geister scheiden sich“179 (1959) ein ganzes Kapitel. Er nutzte auch den im Eigenverlag veröffentlichten Europäischen Kulturdienst und seine Vorträge180 als Plattformen für seine Abrechnung. Korns Arbeit für Das Reich, seine Tätigkeit in der Wehrmachtsschulung und der späte Kriegseinsatz waren für Ziesel geradezu beispielhaft für die Scheinheiligkeit eines Journalisten, der sich nach 1945 unverfroren an den Tisch der Demokratie gesetzt hatte und von dort bekämpfe, was „er selbst einst im Dritten Reich gefördert hat.“181 Die Polemik richtete sich auch auf Korns Feuilleton, das „im Gegensatz zu der politischen Haltung des Blattes […] Nihilismus“182 und „Supramoderne“183 bewerbe, während er attackiert oder übersehen werde.184 In diesem Punkt traf Ziesel in Teilen der Leserschaft und in rechtsintellektuellen Kreisen auf 175 Ziesel, Kurt: Das verlorene Gewissen. Hinter den Kulissen der Presse, der Literatur und ihrer Machtträger von heute. München 21958. 176 Vgl. Schildt: Im Visier (2016), S. 48. 177 Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 316. 178 Ebd., S. 317. 179 Ziesel, Kurt: Die Geister scheiden sich. Dokumente zum Echo auf das Buch „Das verlorene Gewissen“. München 1959, insbesondere S. 191–194. 180 So 1960 vor der Münchner Studierendenschaft, vgl. Killer, Ferdinand: Auseinandersetzung mit Kurt Ziesel, in: Baubudenpoet. Eine literarische Zeitschrift 6 (1960), S. 133–141 und das Nachwort auf S. 142. Im Kulturdienst erschienen Ziesel, Kurt: Der aufgeschreckte Clan. Karl Korns Selbstentlarvung – die doppelte Moral der Hexenverfolger – Korns Beitrag im Kampf gegen die „Entartete Kunst“, in: Europäischer Kulturdienst. Der unabhängige Pressedienst für Literaturkritik und Kulturpolitik 9 (1960), H. 1/2, S. 15–24; ders.: Ein sehr ehrenwerter Handlanger des Antisemitismus. Der Fall Korn und die deutsche Justiz  – Das Ende der Meinungsfreiheit  – Gibt es zweierlei Recht in Deutschland?, in: Europäischer Kulturdienst. Der unabhängige Pressedienst für Literaturkritik und Kulturpolitik 9 (1960), H. 3/4, S. 3–9. 181 Ziesel: Das verlorene Gewissen (1958), S. 114. 182 Ziesel: Die Geister scheiden sich (1959), S. 191. 183 Ziesel: Der aufgeschreckte Clan (1960), S. 15. 184 Vgl. Ziesel: Das verlorene Gewissen (1958), S. 41. Ziesel bezog sich auf die negative Kritik zu seinem Roman „Und was bleibt ist der Mensch“ von Hahne, Heinrich: Siegfried im

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Zustimmung. „Ich habe mich schon immer gewundert, wie in diesem Blatt so heterogene Dinge, wie der in deutschem Sinne gehaltene Wirtschaftsteil, mit dem kulturbolschewistischen Feuilleton des Herrn Korn ‚koexistieren‘ können“185, hieß es in einer der vielen Zuschriften. Mohler wetterte noch Jahre später gegen den linksliberalen Anstrich des Ressorts und machte Korn zum „Hauptschuldige[n] am modernen Konformismus des FAZ-Feuilletons“186. Statt Ziesels Angriffe durch Passivität zu parieren und damit im Keim zu ersticken, wie es einige Monate später Sieburg gelingen sollte, konnte Korn die Vorwürfe nicht auf sich beruhen lassen. Insbesondere die Anklage, ein „‚Handlanger des Antisemitismus‘“187 gewesen zu sein, traf ihn zutiefst persönlich,188 zählte sich Korn doch zu denjenigen, „die ihrer ganzen Wesens- und Geistesart nach nie Nazis waren“189. „Wenn ich auch kein Held war“, schrieb er 1959, sein Verhalten im „Dritten Reich“ reflektierend an Niekisch, „so war ich auch kein Lump.“190 Auch an anderer Stelle entlastete er sich, indem er auf sein junges Alter und seine damit verbundene Hilflosigkeit verwies, oder eine akute Gefahrenlage heraufbeschwor, der zufolge er seinerzeit kurz vor der Einlieferung in ein Konzentrationslager gestanden habe.191 Beides schien Ausweis genug für seine eigene innere Widerstandshaltung.192 Ziesels Anschuldigungen

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Flugzeug (= Rezension zu Kurt Ziesel: „Und was bleibt ist der Mensch“. Stuttgart 1951), in: FAZ vom 6.9.1952, BuZ, S. 5. Zuschrift von J.O.  Plaßmann, in: Ziesel: Die Geister scheiden sich (1959), S.  61–62, hier S. 62. Mohler: Vergangenheitsbewältigung ist Gegenwartsmanipulation (1976), S. 60. Ziesel, Kurt: Das verlorene Gewissen. Hinter den Kulissen der Presse, der Literatur und ihrer Machtträger von heute. München 61960, S. 167. In der sechsten Auflage schaffte es der Vorwurf erstmals in das Buch, zuvor war er ausschließlich in Ziesels Zeitschrift formuliert worden. Vgl. ders.: Portrait eines Sittenrichters. Karl Korn als antisemitischer Propagandist – Strafanzeige wegen Falscheid, in: Europäischer Kulturdienst. Der unabhängige Pressedienst für Literaturkritik und Kulturpolitik 8 (1959), H. 8/9, S. 6–16, hier S. 8. Auch für den besorgten Welter, der stets das große Ganze im Blick behielt, handelte es sich bei Ziesels Handlanger-Vorwurf um den schlimmsten. Vgl. den Brief von Erich Welter an Werner G. Hoffmann vom 8.3.1960, in: FAZ-Archiv, Der Rechtsstreit Korn-Ziesel 1960. Brief von Karl Korn an Hans Paeschke vom 15.9.1955, in: DLA Marbach, D:Merkur, HS.NZ80.0003. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 25.11.1959, in: BArch Koblenz, N 1280/22c. Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 22.2.1960, in: ebd. Vgl. den Brief von Karl Korn an Hans Paeschke vom 28.1.1960, in: DLA Marbach, D:Merkur, HS.NZ80.0003. Wie die meisten seiner Zunft betrachtete sich auch Korn nicht wirklich als belastet. Vgl. Daldrup, Maria: „Vergangenheitsbewältigung“ und Demokratisierungsansätze im deutschen Journalisten-Verband, in: Kersting, Franz-Werner / Reulecke, Jürgen / Thamer, Hans-Ulrich (Hg.): Die Zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955–1975 (=  Nassauer Gespräche der Freiherr-vomStein-Gesellschaft, Bd. 8). Stuttgart 2010, S. 243–268, hier S. 254.

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brachten Korns Selbstbild also gehörig ins Wanken. Als sich die Angriffe auszuweiten begannen, entschied er sich daher, juristisch gegen Ziesels Verlag  J.F.  Lehmanns vorzugehen. Mit begrenztem Erfolg versuchte er im Juli 1959 vor dem Landgericht München, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Seiner Unterlassungsklage wurde jedoch nur teilweise stattgegeben. Auch im wichtigsten Punkt entschied das Gericht zu seinem Nachteil: Als „Handlanger des Antisemitismus“ durfte er weiterhin bezeichnet werden.193 Für Korn, der sich völlig missverstanden fühlte, glich das Urteil einer Katastrophe. Gegenüber Boveri äußerte er niedergeschlagen den Wunsch, endlich seine GestapoAkte zur Hand zu haben, um alle Welt vom Gegenteil überzeugen zu können.194 Und es kam noch schlimmer: Während Ziesels Enthüllungsbücher von den großen Tageszeitungen ignoriert worden waren, sorgte der Lehmanns-Verlag nun dafür, dass der Urteilsspruch seinen Weg in die Presse fand.195 In Umlauf gelangte zum Jahreswechsel 1959/60 aber noch etwas anderes. Nachdem Korn im Dezember 1959 anlässlich der Kölner Synagogenschändung „zur Wachsamkeit gegenüber rechtsradikalen Aktivitäten aufgerufen hatte“196, führte ihn die konkurrierende DZ in aller Öffentlichkeit vor. Sie bediente sich dazu seiner Rezension zu Veit Harlans Propagandafilm „Jud Süß“, die 1940 im Reich erschienen war und als Beweisstück auch dem Landgericht vorgelegen hatte.197 Es sei grotesk, so der Grundtenor der DZ-Glosse vom 30. Dezember, dass ein „moralische[r] Urheber“198 des Antisemitismus im „Dritten Reich“ nun die jüngsten antisemitischen Straftaten zu erhellen versuche. War Korn noch im Frühjahr 1958 der Auffassung gewesen, er habe abgesehen von seiner Zugehörigkeit zum Reich keinerlei „Kollaborationssünden“ zu verstecken, die „im Stile gewisser blamabler Dinge“199 zitiert werden könnten, wurde er nun eines Besseren belehrt. In seiner Besprechung hatte er nicht nur die künstlerische Qualität und historische Authentizität des Films hervorgehoben. Er hatte sich außerdem antisemitischen Gedankenguts bedient und, wenn 193 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  81; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 319; Schildt: Im Visier (2016), S. 59. 194 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 13.10.1959, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1 sowie den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.2.1961, in: ebd., Mappe 3. In dieser Akte, so vermutete Korn, müsste etwa die Affäre mit einer Jüdin verzeichnet sein. 195 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 25.10.1959, in: FAZ-Archiv, Z. M-Z. 196 Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 320. 197 Vgl. Schildt: Im Visier (2016), S. 60–61. Ziesel ließ die Rezension in der sechsten Auflage von Ziesel: Das verlorene Gewissen (1960), S. 175–177 abdrucken. 198 DZ: Moralische Urheber, in: DZ vom 30.12.1959, S. 1. 199 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 20.3.1958, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3.

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auch im Hinblick auf die Inszenierung, von „jüdische[r] Machtgier und […] jüdische[m] Haß“ gesprochen. „Man spürt und erkennt aus diesem Film“, so ein entscheidender Satz aus der von Joseph Goebbels reichsweit angeordneten Kritik, „daß das jüdische Problem in Deutschland innerlich bewältigt ist.“200 Diesmal setzte sich Korn in aller Öffentlichkeit zur Wehr. Zum Ärger des nicht konsultierten Welter schrieb er eine Stellungnahme und sandte sie an die DZ,201 wo sie kurz darauf zusammen mit einigen Leserbriefen unter der spöttischen Überschrift „Karl Korns verdeckter Widerstand“ erschien. Korn erinnerte in seiner Zuschrift an die schwierigen Bedingungen, unter denen Journalistinnen und Journalisten im „Dritten Reich“ hätten Stellung beziehen müssen, ohne Überzeugungen zu verraten. Die ausschnitthaft zitierten Passagen aus der „Jud Süß“-Kritik verfälschten ihre verdeckte Grundaussage, die nämlich darin bestanden habe, dass es keinen Anlass gebe, die Bevölkerung weiter gegen ihre jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aufzustacheln.202 Wie Korn auch gegenüber der Schriftstellerin Oda Schaefer bekundete, die für den Berufungsprozess am Oberlandesgericht (OLG) in München Anfang 1960 ein Entlastungsschreiben verfasste, sei seine Besprechung unter den damaligen Umständen der Versuch gewesen, „für die armen verfolgten Juden das damals praktisch Mögliche herauszuschlagen.“ Zum Verständnis nutzte Korn eine Parabel: Ein einzelner unbewaffneter Mann kommt des Wegs und wird unfreiwillig Zeuge folgenden Vorgangs: Eine Rotte brutaler, bewaffneter Kerle ist über einen armen, schwachen, verhungerten Menschen hergefallen und ist dabei, dem Armen die Kehle zuzudrücken. Der des Wegs kommt, ist erschreckt und sucht die brutalen Kerle von dem Wehrlosen abzulenken. Wie macht er das? Etwa  indem er sie beschimpft und ihnen ihre Untaten vorwirft? Das wäre dumm und führte nur dazu, daß beide erschlagen werden. So ruft der zufällige Zuschauer den Kerlen zu: ‚Lasst ihn doch! Ihr habt ihm doch schon alles abgenommen! Seht doch, wie armselig er ist! Bei dem ist doch nichts mehr zu holen!‘ So etwa wird der Augenzeuge im Augenblick der Not voller Angst versuchen, die brutalen Würger von ihrem Opfer abzulenken.203

200 Korn, Karl: Der Hofjude. Veit Harlans Film „Jud Süß“ im Ufa-Palast am Zoo, in: Das Reich vom 29.9.1940, S.  18. Eine vollständige Abschrift des Artikels findet sich bei Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 82–85. 201 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 5.2.1960, PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 202 Vgl. die Zuschrift von Karl Korn, in: DZ vom 8.1.1960, S. 5. Die Ereignisse wurden nun auch vom Spiegel aufgegriffen, vgl. o. A.: Schillernde Feder, in: Der Spiegel 4/1960, S. 33. 203 Brief von Karl Korn an Oda Schaefer vom 11.12.1959, in: Münchner Stadtbibliothek  / Monacensia, Ods B 180.

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Der eher fragwürdige Erklärungsversuch, den Korn auch an anderer Stelle vorbrachte,204 konnte Schaefer offenbar überzeugen. Im Januar 1960 schrieb sie einen Brief an Otto Friedrich Regner, zu diesem Zeitpunkt noch Feuilletonchef der mit der FAZ im Clinch liegenden DZ.205 Darin erklärte die mit Horst Lange verheiratete Lyrikerin, „dass Dr. Karl Korn niemals ein Nazi oder ein Antisemit war“ und unterstrich dessen Bedeutung für den Fortbestand des Literaturbetriebs: „Horst Lange verdankt Dr. Korn und seiner positiven Kritik (wie auch die Langgässer), dass er im Dritten Reich überhaupt gelesen wurde, und zwar von den richtigen Leuten.“206 Ende März fällte das OLG sein Urteil im Berufungsverfahren. Korns Mühen wurden belohnt: Er bekam in weiten Teilen Recht zugesprochen, die Entscheidung der ersten Instanz wurde in einigen Punkten aufgehoben. Demnach durfte Ziesel Korn nun weder als „NS-Erzieher“207 bezeichnen noch behaupten, er habe führende Positionen bekleidet. Zu Korns Enttäuschung war ihm aber weiter gestattet, ihn einen „Handlanger antisemitischer Äußerungen“ zu nennen.208 Weitere Schritte einzuleiten und „Ziesel öffentlich hinzurichten“209, wie es Welter und Korns Rechtsanwalt Alexander Besser zu tun gedachten, kam für Korn trotzdem nicht in Frage. „Ich bin zu der Einsicht gekommen“, erklärte er Boveri im Juni, „daß jede weiterführende publizistische od. juristische Tätigkeit in meiner Affäre nur den lauernden, mißgünstigen und selbstgerechten intellektuellen Genossen Gelegenheit gibt, mich moralisch immer mehr zu verdonnern“210. Was bedeutete die Ziesel-Affäre nun für Korn und die Zeitung? Die Öffentlichkeit, so viel steht fest, war zu Beginn der 1960er Jahre bestens über die Vergangenheit des FAZ-Mitherausgebers unterrichtet.211 Es hatte sich 204 Vgl. den Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 9.3.1960, in: HBA, Bestand Korres. 4052, Bl. 14. 205 Zum Konflikt zwischen FAZ und DZ vgl. Schäfer: Erich Welter (2019), S. 149–155. 206 Brief von Oda Schaefer an Otto Friedrich Regner vom 18.1.1960, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, Ods B 439. 207 Ziesel: Das verlorene Gewissen (1958), S. 166. 208 Vgl. das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Sachen Dr. Karl Korn gegen J.F. Lehmanns Verlag K.G. vom 23.3.1960, in: FAZ-Archiv, Prozeß Korn-Ziesel 1959/60. Vgl. auch Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 87–88. 209 Brief von Regina Korn an Margret Boveri vom 11.5.1960, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 210 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.6.1960, in: ebd., Mappe 3. Zur juristischen Auseinandersetzung vgl. auch das Urteil vom 12.10.1959, die Abschrift der Urteilsverkündung im Berufungsverfahren vom 23.3.1960, die Pressstimmen und Leserbriefe, in: DLA Marbach, A:Reifenberg, Benno/Frankfurter Allgemeine Zeitung/Personen/Korn, Karl, 79.6466. 211 In den 1990er Jahren machte der Journalist Otto Köhler noch einmal auf Korns Vergangenheit aufmerksam. Vgl. Köhler, Otto: Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Vergangenheit der Medienmacher. München 1995.

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gezeigt, dass Korn bei einigen Publizisten in Ungnade gefallen war, in weiten Teilen des Medien- und Kulturbetriebs aber großen Rückhalt genoss, wie die Entlastungsschreiben bezeugen.212 Auch in der Redaktion wurde er unterstützt. Welter hatte sich trotz des anfänglichen Ärgers hinter ihn gestellt und sogar für die mutmaßlich missinterpretierte „Jud Süß“-Rezension Verständnis gezeigt.213 Beaucamp berichtet außerdem von einer Sekretärin, die ihn und Bohrer nach einem späteren Gespräch über die Ziesel-Affäre zur Seite genommen und sie gewarnt habe, ein vorschnelles Urteil zu fällen. Sie habe persönlich bezeugen können, dass Korn Lebensmittelkarten für die versteckten Berliner „Schrebergartenjuden“ organisiert und Eva Maria Demisch, die jüdische Kunstredakteurin der FAZ, protegiert habe.214 Obwohl der Fall also einen relativ positiven Ausgang nahm, hinterließ er bei Korn tiefe Spuren. Die Auseinandersetzung mit dem zur Persona non grata gewordenen Ziesel hatte ihn Energie gekostet und so verunsichert, dass er bisweilen um seine Stellung fürchtete.215 Noch 1965 versprach er Boveri, dass der Prozess ihm „bis an mein Ende in den Knochen stecken“216 werde. Korns Betroffenheit war auch in seinem unmittelbaren Umfeld spürbar. Die Freude an der Arbeit, erinnert sich die vertretungsweise anwesende Frisé, war verloren gegangen.217 Zunehmend vergällt waren Korn auch Veranstaltungen, die er immer öfter mied. „Ich weiß aber nur zu gut“, schrieb er 1962 entschuldigend an Siegfried Unseld, der zu einer Suhrkamp-Lesung geladen hatte, „daß es bei solchen Gelegenheiten, bei denen viele Leute zusammenkommen, auch unkontrollierbare Momente gibt. Denen möchte ich ausweichen.“218 Auch die Zeitungen diagnostizierten seinen Rückzug. Zu Korns 60. Geburtstag bemerkte Joachim Kaiser 1968 in der SZ: „Ein endloser, unglückseliger Streit mit Kurt Ziesel, manche Schwierigkeiten wohl auch in der Zusammenarbeit mit selbstbewußten Zeitungskollegen scheinen auf den seelisch keineswegs robusten Karl Korn zeitweilig deprimierend gewirkt zu haben. […] Wenn die Glückwünsche […] Korn aus seiner Zurückhaltung gänzlich herausreißen 212 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 86–87. 213 Vgl. den Brief von Erich Welter an Werner G. Hoffmann vom 8.3.1960, in: FAZ-Archiv, Der Rechtsstreit Korn-Ziesel 1960. 214 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 215 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 13.10.1959, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 216 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 10.1.1965, in: ebd., Mappe 7. 217 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 303. Sein Biograph Payk spricht auch von „eine[m] deutlichen Autoritätsverlust“. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 341. 218 Brief von Karl Korn an Siegfried Unseld vom 6.9.1962, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002.

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könnten, dann wäre sein Geburtstag ein Fest für ihn und für die deutsche Leseöffentlichkeit.“219 Kaiser vernahm bei Korn leisere Töne. Auf seine Präsenz im Blatt wirkte sich die Ziesel-Affäre indes nicht aus: Mit etwa 970 Artikeln zwischen 1960 und 1969 erhöhte sich die Zahl der von Korn verfassten Texte im Vergleich zur vorangegangenen Dekade sogar um fast 30 Prozent.220 Obwohl auch Sieburgs Vergangenheit weithin bekannt war,221 war er vorerst verschont geblieben. In seinem Buch „Das verlorene Gewissen“ hatte ihn Ziesel sogar in Schutz genommen, in eine Reihe mit dem verehrten Hans Grimm gestellt und die Zurückweisung „eine[s] so bedeutenden Publizisten“ durch die DASD „unter Hinweis auf angebliche Sünden“222 angeprangert. Erst im Winter 1959 erreichte den Leiter des FAZ-Literaturblattes ein Brief, in dem sich Ziesel gönnerhaft rühmte, ihn bislang gedeckt zu haben. Das habe sich als falsch erwiesen. So habe er Zuschriften erhalten, in denen die Aufhellung seiner Biographie gefordert worden sei. Zudem habe Sieburg weder eine alte „unfeine Bemerkung“ korrigiert – Sieburg hatte Ziesel demnach in der Gegenwart als „fragwürdige Person“ bezeichnet – noch habe es die FAZ für nötig befunden, ihn literarisch zu würdigen. Im Zuge seiner Nachforschungen habe er sodann ein Buch entdeckt, das „150%ige Bekenntnisse zum Nationalsozialismus und zu Hitler“ enthalte. Heute aber sitze Sieburg auf seinem Thron in Frankfurt und nehme in den Diskussionen über die NS-Vergangenheit eine heuchlerische Haltung ein. Ziesel sah sich daher gezwungen, „meine Personalkenntnisse über die FAZ der Öffentlichkeit bekanntzugeben“223. Bei Sieburg erreichte er damit nichts. Wie dieser in einer privaten Stellungnahme notierte, stecke der Brief voller Unwahrheiten und Ungenauigkeiten. Die angeführte Broschüre sei keine Veröffentlichung im Verlag Bernard Grasset, sondern eine den „angeblichen Wortlaut“224 wiedergebende Druckversion

219 J.K. (= Joachim Kaiser): Ein großer Publizist. Karl Korn zum 60. Geburtstag, in: SZ vom 20.5.1968, S. 12. 220 Eine Recherche im Digitalarchiv zu den Stichworten „Karl Korn“ und „K.K.“ (Kürzel) ergab für den Zeitraum von 1950 bis 1959 749 Treffer. Strichproben in beiden Zeiträumen zeigen, dass unter den Treffern vereinzelt auch Artikel waren, die nicht aus Korns Feder stammten, sondern lediglich seinen Namen führten. 221 Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. 222 Ziesel: Das verlorene Gewissen (1958), S. 125. Zum Sieburg-Grimm-Vergleich vgl. ebd., S. 142. 223 Brief von Kurt Ziesel an Friedrich Sieburg vom 7.12.1959, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich, HS.2004.0025.100,1. 224 Brief von Friedrich Sieburg an Josef Magnus Wehner vom 4.10.1956, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JMW B 442.

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seiner Pariser Rede vor der „Groupe Collaboration“.225 Diese Rede sei schon Mitte der 1950er Jahre von Rudolf Pechel und Harry Pross verbreitet worden, als sie die DASD davon überzeugten, ihn wegen seiner zweifelhaften Biographie nicht zu ihrem Mitglied zu ernennen.226 „Ich bin nicht der Verfasser und habe durch nichts zu erkennen gegeben, daß meine Rede in dem Stenogramm korrekt wiedergegeben worden sei“227, schrieb Sieburg einige Jahre später – das Dokument war abermals Thema – beschwichtigend an Welter. Dieser machte sich das Netzwerk der Zeitung zunutze und beauftragte den Pariser Korrespondenten Joachim Schwelien damit, die besagte Broschüre zu finden – ohne Erfolg.228 Heute ist der mit einem Vorwort von Grasset eingeleitete Text „France d’hier et de demain“229, aus dem bereits zitiert wurde, in einigen Bibliotheken verfügbar. Wie Sieburg insistierte, handelt es sich dabei tatsächlich um eine gebundene, bei Félix Béroud erschienene Broschüre. Dass Sieburg sich  sogar vor dem vertrauten Erich Welter auf diese fehlerhaften Details in Ziesels Vorwürfen stützte, statt sich inhaltlich von dem Gesagten zu distanzieren, bestätigt jedoch den Eindruck, dass eine plausible Erklärung dafür so einfach nicht zu finden war. Sieburgs Missachtung veranlasste Ziesel, einen Schritt weiterzugehen. Unter dem Titel „Vom Hitler-Agenten zum Lolita-Agenten. Ein ungewöhnliches Portrait Friedrich Sieburgs – Das würdige Pendant zum ‚Handlanger des Antisemitismus‘“ veröffentlichte er 1960 im Europäischen Kulturdienst einen Artikel, in dem er fragmentarisch Ereignisse aus Sieburgs Werdegang herausgriff und anprangerte. Der Titel rekurrierte auf Vladimir Nabokovs 1959 in deutscher Übersetzung erschienenen Skandalroman „Lolita“, in dem es um die Liebe eines Mannes zu seiner zwölfjährigen Stieftochter geht. Sieburg hatte den Roman, den Ziesel fälschlicherweise als die „Erinnerungen eines

225 Vgl. die Stellungnahme Sieburgs „Zum Briefe des Kurt Ziesel an mich vom 7.12.1959“, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich, HS.2004.0025.00100,2. 226 Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Hermann Kasack vom 5.7.1956, in: ebd., A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘/ Sieburg, 91.128.4468; Brief von Friedrich Sieburg an Erich Welter vom 1.12.1960, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich, HS.2004.0025.37. Die Ablehnung fand auch in der Presse ein Echo. Vgl. Müller-Marein, Josef: Friedrich Sieburg und die Darmstädter, in: Die Zeit vom 9.8.1956, S. 4. 227 Brief von Friedrich Sieburg an Erich Welter vom 23.1.1962, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.00443,1–10. 228 Vgl. den Brief von Erich Welter an Joachim Schwelien vom 3.2.1960, in: BArch Koblenz, N 1314/485. 229 Sieburg: France d’hier (o. J.).

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Kinderschänders“230 beschrieb, wohlwollend besprochen.231 Inhaltlich hängte sich die Polemik vor allem an Sieburgs „flammende[m] Bekenntnis zum Nationalsozialismus“ auf, richtete sich aber ebenso gegen die FAZ, wo man als konvertierter Nationalsozialist „ja durchaus […] en famille“ sei. Auch Korn, den Ziesel diesmal sogar als „Handlanger der Judenverfolgung“232 titulierte, wurde diskreditiert. Sieburg aber ließ auch diese Anschuldigungen über sich ergehen. Gegenüber dem besorgten Welter beteuerte er, nichts unternehmen zu wollen.233 Welter war die Zurückhaltung Sieburgs ein Anliegen, hatte er doch erlebt, welche Steine nach einer Stellungnahme coram publico ins Rollen kommen konnten. Er forderte Transparenz, Kooperation und die Zusage, sich nicht von seinen Gefühlen leiten zu lassen.234 Nach der Negativerfahrung mit Korn versuchte Welter, die Kontrolle über das Geschehen in seiner Person zu bündeln. Ein Kommentar in der FAZ kam auch dann nicht in Frage, als Sieburg es sich einige Zeit später offenbar anders überlegt hatte.235 An den Auseinandersetzungen um Sieburgs Vergangenheit, die seit 1947 immer wieder an die Öffentlichkeit geriet,236 lässt sich ein veränderter Umgang mit drohenden Konflikten beobachten. Während in den 1950er Jahren enorme Recherchebemühungen in die Wege geleitet wurden,237 um sich auf potentielle

230 Ziesel, Kurt: Vom Hitler-Agenten zum Lolita-Agenten. Ein ungewöhnliches Portrait Friedrich Sieburgs  – Das würdige Pendant zum ‚Handlanger des Antisemitismus‘, in: Europäischer Kulturdienst. Der unabhängige Pressedienst für Literaturkritik und Kulturpolitik 9 (1960), H. 9/10, S. 5–10, hier S. 8. 231 Vgl. Sieburg, Friedrich: Nichts da, Leute! (= Rezension zu Wladimir Nabokov: „Lolita“. Hamburg 1959), in: FAZ vom 3.10.1959, BuZ, S. 5. 232 Ziesel: Vom Hitler-Agenten zum Lolita-Agenten (1960), S. 6. 233 Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Erich Welter vom 1.12.1960, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich, HS.2004.0025.37. 234 Vgl. dazu auch den Brief von Erich Welter an Friedrich Sieburg vom 18.1.1962, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.001154,1–37. 235 Vgl. den Brief von Erich Welter an Friedrich Sieburg vom 25.11.1960, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich, HS.2004.0025.00097,2; Brief von Erich Welter an Friedrich Sieburg vom 18.1.1962, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.001154,1–37. 236 Vgl. Stahl, Leo: Friedrich Sieburg, in: FR vom 9.9.1947, S.  2. Der Artikel wurde am 8. August 1947 erstmals in der New Yorker Wochenzeitung Aufbau veröffentlicht. Dort heißt es, dass Sieburgs Karriere „ihn von Rechts wegen auf die Anklagebank des Nürnberger Prozesses hätte führen müssen.“ Die Zeitschrift contra machte Sieburgs Vergangenheit 1960 sogar zum Schwerpunktthema der Ausgabe „Ist Friedrich Sieburg ein Nazi?“, vgl. Sass, Susanne  / Sass, Hans-Werner (Hg.): contra. Politisch-literarische Flugschrift  9 (1960), S. 69–80. 237 Auch im „Fall Korn“ ließ die FAZ seine Beiträge aus dem BT und Reich zusammentragen, um sich abzusichern. Vgl. die Textsammlungen, in: FAZ-Archiv, Artikel von Karl Korn 1936 bis 1940 und Stimmen nach dem Prozeß.

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Kontroversen vorzubereiten und zu verhüllen, was verhüllt werden konnte,238 legte die Zeitung in den 1960er Jahren mehr Gelassenheit an den Tag. Nachdem die Korn-Ziesel-Affäre recht unbeschadet überstanden war, verloren neuerliche Anfeindungen an Gewicht. So fand weder Franz Schonauers „Deutsche Literatur im Dritten Reich“239 noch Robert Neumanns240 Angriff auf Sieburg redaktionsintern Resonanz.241 Einige Jahre später bemerkte Welter über die Mitarbeit einiger FAZ-Journalistinnen und Journalisten am Reich sogar: „Nur Leute, die hinter dem Mond leben, denken noch das sei belastend.“242 Auch Sieburg trug die Anschuldigungen nach außen hin mit Fassung, begegnete ihnen sogar mit Arroganz. 1962 schrieb er an Besser: „Die Intensität der Verleumdungen hat ja in den letzten zwei Jahren eher zugenommen. Es würde sich lohnen, die Gründe dafür zu analysieren, aber die Langeweile, die diesem ganzen Komplex entströmt, ist für mich fast unüberwindlich.“243 Insgeheim belasteten ihn die Attacken aber durchaus. Sieburg war – darin ähnelte er Korn – larmoyant und witterte allenthalben Illoyalität.244 Zu seiner Biographie hatte er sich seit 1945 nur sporadisch geäußert. Wie die meisten Angehörigen seiner Generation hielt er sich bedeckt. Sprach er zu seltenen Gelegenheiten doch über sie, dann beschwichtigte, korrigierte, verfälschte er. So behauptete

238 Vgl. etwa zum „Fall Höpfl“ Hoeres: Zeitung für Deutschland, S. 76–78. 239 Schonauer: Deutsche Literatur (1961), S. 59–60, 168–175. 240 Neumann beklagte 1961 eine „Konspiration des Schweigens bezüglich der Kompromittierten des 3. Reiches“, nachdem seine Rezension zu Schonauers Buch von der Zeit abgelehnt worden war. Die Ablehnung ging auf Josef Müller-Marein zurück, der Neumanns Einschätzung über Sieburgs ideologische Nähe zum NS-Regime offenbar nicht teilte. Vgl. Neumann, Robert: Wo läuft die Grenze der Perfidie?, in: Stadler, Josef (Hg.): Robert Neumann. Mit eigener Feder. Aufsätze. Briefe. Nachlassmaterialien. Innsbruck / Wien / Bozen 2013, S. 277–283; Brief von Robert Neumann an Josef Müller-Marein vom 31.7.1961, in: ebd., S. 747–748. Die Zeit hatte zuvor auch einen Artikel von Günter Grass zurückgewiesen und kritisch über die Ablehnung Sieburgs durch die DASD berichtet. 241 Welter informierte lediglich Besser, vgl. den Brief von Erich Welter an Alexander Besser vom 2.11.1961, in: BArch Koblenz, N 1314/135. 242 Brief von Erich Welter an Heinz Stadlmann vom 20.6.1969, in: FAZ-Archiv, Korrespondenz Stadlmann. Stadlmann-Berichte aus den U.S.A. 1969/70. 243 Brief von Friedrich Sieburg an Alexander Besser vom 6.1.1962, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich, HS.NZ81.0002.00423. 244 Vgl. die Briefe von Friedrich Sieburg an Vilma Sturm vom 8.2.1961 und 2.3.1961, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/Kopien, x  71.130, den Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 14.11.1961, in: FAZ-Archiv, Persönliche Ablage Welter 1/1961–12/1968, Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 15.2.1962, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3 sowie Bienek: „Werkstattgespräch“ (1962), S.  85. Sich als Sündenbock präsentierend, sagte Sieburg im Interview mit Bienek, er „habe damals einen Kelch ausgeleert, der bis oben mit Dreck gefüllt war.“.

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er, „von 1939 bis 1950 toter als ein Toter gewesen“245 zu sein oder stritt ab, zu Propagandazwecken eingesetzt worden zu sein: „das sind alles Lügen.“ Er habe in Frankreich lediglich „wesenlose Tätigkeiten“246 verfolgt. Zu Korns Missfallen betonte Sieburg 1962 in einem Interview sogar sein damaliges Unvermögen, Artikel für Das Reich zu schreiben.247 Das erscheint nach heutigem Kenntnisstand besonders unaufrichtig, wollte Sieburg doch noch 1943 für das Wochenblatt aus Bern berichten.248 Nur in seiner Privatkorrespondenz ließ er sich gelegentlich zu größeren Eingeständnissen hinreißen. Er erwehrte sich zwar des Vorwurfs, „ein gefährlicher Nazi gewesen“ zu sein, bekannte sich aber als „Opportunist“249. 3.3

Schreiben über die Vergangenheit

Vor dem Hintergrund dieser personellen Verstrickungen und der Schlussstrichmentalität in der Personalpolitik mag die Intensität, mit der das Feuilleton über die NS-Vergangenheit berichtete, überraschen. Anders als im Wirtschaftsblatt, in dem das „Dritte Reich“ inhaltlich kaum präsent war,250 widmete sich das Feuilleton dem Thema auf verschiedenen Ebenen. Der Literatur- und Filmkritiker Peter  W.  Jansen setzte sich mit dem NS-Film und der Frage seiner Wiederaufführbarkeit auseinander.251 Der Historiker Wilhelm Alff, seit jeher in klarer Distanz zum Nationalsozialismus,252 schrieb umfangreiche Beiträge für die Beilage über die NS-Kunstpolitik und die Widerstandsgruppe 20. Juli.253 Dort erschienen ebenfalls die Erzählungen der deutsch-israelischen Schriftstellerin Jenny Aloni, die sich mit der Erfahrung von totalitärer Herrschaft 245 Brief von Friedrich Sieburg an Josef Magnus Wehner vom 6.11.1957, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JMW B 442. 246 Bienek: „Werkstattgespräch“ (1962), S. 85. 247 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 15.2.1962, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 248 Vgl. Deinet: Friedrich Sieburg (2014), S. 504–505. 249 Brief von Friedrich Sieburg an Vilma Sturm vom 8.2.1961, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Kopien x 71.130. 250 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 114. 251 Vgl. Jansen, Peter W.: Ein Volk, ein Film, ein Minister. Propaganda, Liebe und Kitsch auf der braunen Leinwand, in: FAZ vom 30.10.1965, BuZ, S. 2. 252 Zu Alff vgl. Wyrwa, Ulrich: Wilhelm Alff (1918–1992). Historiker im Zeitalter der Extreme, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft  63 (2011), S. 209–215, hier S. 209. 253 Vgl. Alff, Wilhelm: Die Angst vor der Dekadenz. Die nationalsozialistische Kunstpolitik (II), in: FAZ vom 23.11.1963, BuZ, S. 2; ders.: Vierundzwanzig Stunden die Wahrheit. 20. Juli 1944: Geist und Richtung des Widerstandes, in: FAZ vom 18.7.1964, BuZ, S. 1.

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in Kindheit und Jugend beschäftigen.254 Auch Rüdiger Altmann, der spätere Berater Ludwig Erhards, schrieb für „Bilder und Zeiten“ „Ueber eine Institution des Ausnahmezustandes“255: das Lager in historischer Perspektive. Während die eigene Biographie möglichst verdeckt blieb, übte sich auch Sieburg im Blatt nicht in Zurückhaltung. In seinen Leitartikeln plädierte er für die Erinnerung und Aufarbeitung der Vergangenheit auf demokratisch-rechtsstaatlicher Grundlage.256 Anders als es die geschichtswissenschaftliche Forschung lange nahegelegte, die den „stillschweigenden Konsens in der Wiederaufbau-Gesellschaft“257 erst im letzten Drittel der 1950er Jahre aufbrechen sah, setzte die Beschäftigung mit dem „Dritten Reich“ in der FAZ früher ein. Bereits im Sommer 1953 entwickelte sich eine vom Feuilleton initiierte vergangenheitspolitische Debatte, die in ihrer Bedeutung als frühe Auseinandersetzung zwischen der jungen Intellektuellengeneration und ihren akademischen Vorbildern kaum überschätzt werden kann. Korn war im Juli auf einen jungen Studenten der Philosophie aufmerksam geworden, der ihm einen beeindruckenden Aufsatz übermittelt hatte. Sein Name war Jürgen Habermas und er übte Kritik an der unkommentierten Neuauflage einer Vorlesung Martin Heideggers aus dem Jahr 1935, die kurz zuvor unter dem Titel „Einführung in die Metaphysik“ veröffentlicht worden war. Der Philosoph hatte darin von der „Wahrheit und inneren Größe dieser Bewegung“ gesprochen.258 Obwohl der Halbsatz in der nachfolgenden Klammer deutlich machen sollte, dass die „Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen“ gemeint sei – eine Ergänzung, die wahrscheinlich von Heidegger nachträglich hinzugefügt worden war, wie sich Jahre später herausstellte –259, war Habermas 254 Vgl. Aloni, Jenny: Begegnung, in: FAZ vom 16.7.1960, BuZ, S. 2; dies.: Synagoge und Dom. Deutsche Erinnerungen einer Israeli, in: FAZ vom 17.8.1963, BuZ, S. 2. 255 Altmann, Rüdiger: Lager und Lage. Ueber eine Institution des Ausnahmezustandes, in: FAZ vom 27.6.1953, BuZ, S. 1. 256 Vgl. Sieburg, Friedrich: Ach, die alten Geschichten!, in: FAZ vom 19.12.1957, S. 1; ders.: Die Entrüstung im Rechtsstaat, in: FAZ vom 14.5.1958, S. 1. 257 Schildt, Axel: „Schlafende Höllenhunde“. Reaktionen auf die antisemitische Schmierwelle 1959/60, in: Brämer, Andreas / Schüler-Springorum, Stefanie / Studemund-Halévy, Michael (Hg.): Aus den Quellen. Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte (= Studien zur jüdischen Geschichte, Bd. 10). Hamburg 2005, S. 313–321, hier S. 320. 258 Vgl. Morat, Daniel: Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920–1960 (= Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen, Bd. 24). Göttingen 2007, S. 311. 259 Vgl. den Brief von Rainer Marten an Jürgen Habermas vom 28.1.1988, in: UBA Ffm, Na 60, 547. Marten hatte für Heidegger in den 1950er Jahren Korrektur gelesen, darunter auch die „Einführung in die Metaphysik“. An Habermas schrieb er 1988: „[I]ch erinnere mich

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skeptisch. In seinem Artikel, der am 25. Juli 1953 unter dem Titel „Mit Heidegger gegen Heidegger denken“ im FAZ-Feuilleton erschien, ging er in die Offensive. Unter Berufung auf die „Wächterschaft der öffentlichen Kritik“ kritisierte er das „konstante Ausweichen“ führender Intellektueller vor der Vergangenheit. Das Geschehene aber lasse sich, so der Doktorand, nicht philosophisch, sondern nur moralisch begründen. Aus Furcht vor einer Rehabilitation der nationalsozialistischen Ideen durch das unbemerkte Fortwirken geistiger Kontinuitäten forderte er von Heidegger als Repräsentanten des intellektuellen Standes eine öffentliche Reflexion seiner Rolle im „Dritten Reich“: Hatten wir nicht acht Jahre Zeit seither, das Risiko der Auseinandersetzung mit dem, was war, was wir waren, einzugehen? Ist nicht seit je die vornehme Aufgabe der Besinnlichen, die verantwortliche Tat der Vergangenheit zu klären und das Wissen darum wach zu halten? – … Statt dessen betreibt die Masse, voran die Verantwortlichen von einst und jetzt, die fortgesetzte Rehabilitation. – … Statt dessen veröffentlicht Heidegger seine inzwischen achtzehn Jahre alt gewordenen Worte […], die zu alt geworden sind und gewiß nicht zu denen gehören, deren Verständnis uns noch bevorsteht.260

Wenige Wochen später antwortete die Zeit mit einem scharfen Beitrag Ernst Lewalters. In seinem Artikel „Wie liest man 1953 Sätze von 1935?“ warf der Journalist dem Studenten Infamie, „Verfolgungssucht“ und eine grobe Fehleinschätzung Heideggers vor. Habermas und das FAZ-Feuilleton folgten Adorno, der in Frankfurt „als Neo-Marxist die publizistische Verfolgung aller angeblichen ‚Faschisten‘“261 betreibe (Adorno war „der Student, der die Arbeit gegen Heidegger schrieb“ zu diesem Zeitpunkt noch „gänzlich unbekannt“262). Anders als behauptet, habe Heidegger den Nationalsozialismus lediglich als „Symptom für den tragischen Zusammenprall von Technik und Mensch“ verstanden. Als solches sei die Bewegung groß, „weil ihre Wirkung auf das ganze Abendland übergreift und es in den Untergang zu reißen droht“263, so der Zeit-Kritiker.

260 261 262 263

heute daran, bei Erscheinen des Werkes mich nicht an die Klammer erinnern zu können.“ Die betreffende Manuskriptseite fehlt bis heute. Habermas, Jürgen: Mit Heidegger gegen Heidegger denken. Zur Veröffentlichung von Vorlesungen aus dem Jahre 1935, in: FAZ vom 25.7.1953, BuZ, S. 4. Lewalter, Christian E. (= Ernst Lewalter): Wie liest man 1953 Sätze von 1935? Zu einem politischen Streit um Heideggers Metaphysik, in: Die Zeit vom 13.8.1953, S. 6. Brief von Theodor W. Adorno an Karl Korn vom 28.11.1953, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113. Lewalter, Christian E. (= Ernst Lewalter): Wie liest man 1953 Sätze von 1935? Zu einem politischen Streit um Heideggers Metaphysik, in: Die Zeit vom 13.8.1953, S. 6.

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Korn hatte zwar mit einem „gewaltigen Wirbel“264 gerechnet, zeigte sich über Lewalters „gehässige Attacke“265 jedoch überrascht. Aufgebracht fragte er bei Boveri an: „Finden Sie nicht eigentlich auch, daß das Gestapo-Methoden sind, wenn einer einem heutzutage – Absender ‚Zeit‘, Adressat ‚FAZ‘ – bescheinigt, man sei ein Neomarxist?“266 Korn war sich der Wirkung des Habermas‘schen Aufsatzes bewusst, hatte mit ihr kalkuliert. An einem rabiaten Schlagabtausch war ihm trotzdem nicht gelegen. Auch deshalb hatte er im Vorfeld einige Änderungen vornehmen lassen. Die schärfsten, sprachlich und sachlich offenbar missverständlichen Passagen hatte Habermas korrigieren, das Fazit streichen müssen. „Heidegger hat weder ‚verübt‘ noch ‚geholfen‘, er hat auch nicht ‚legitimiert‘“, belehrte Korn ihn Mitte Juli: „Er hat den technifizierten Massenmord nicht postuliert und nicht vorhergesehen. Was Sie da formulieren geht zu weit.“ Auch der erste Titel „Das faschistische Credo“ war geändert worden. Die Sache sei auch in dieser Form noch immer „ungeheuer hart“267. Zuletzt hatte er Habermas aufgefordert, mit vollem Namen zu zeichnen.268 Eine gute Debatte machte für Korn aus, dass sie mit starken, sachlich korrekten Argumenten unter zuordenbaren Opponenten ausgetragen wurde. Die Wendung, die der junge Diskurs nun mit Lewalters Artikel zu nehmen drohte, bedrückte ihn. Der Herausgeber fühlte sich attackiert, erinnerte ihn der Vorwurf, das Feuilleton urteile nach marxistischen Kriterien, doch an Vorhaltungen, denen er sich auch in der FAZ bisweilen ausgesetzt sah.269 Um dem jungen Habermas zur Seite zu springen, meldete er sich nun selbst zu Wort. Unter der Überschrift „Warum schweigt Heidegger?“270 forderte Korn den Philosophen am 14. August  1953 auf, zu der Debatte um seine Person Stellung zu nehmen. Habermas habe als „philosophisch ausgezeichnet vorgebildete[r] Vertreter einer Studentengeneration von heute“ gesprochen. Es sei ein trauriges Zeugnis, „daß der Ruf der Jugend nach Diskussion und offenem Geisteskampf als Verfolgungssucht verdächtigt wird“, schrieb Korn mit Verweis 264 Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 16.7.1953, in: UBA Ffm, Na 60, 1. 265 Brief von Karl Korn an Theodor W. Adorno vom 30.11.1953, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113. 266 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 7.10.1953, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. 267 Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 16.7.1953, in: UBA Ffm, Na 60, 1. 268 Provokante Artikel sollten, wenn es nach Korn ging, stets mit vollem Namen unterzeichnet werden. Vgl. das Telegramm von Karl Korn an Margret Boveri vom 27.9.1951, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 269 Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 8.10.1953, in: ebd., Mappe  2. Korn macht zu den Vorfällen keine konkreten Angaben. 270 Korn, Karl: Warum schweigt Heidegger? Antwort auf den Versuch einer Polemik, in: FAZ vom 14.8.1953, S. 6.

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auf die Zeit. Zwei Wochen später räumte das Feuilleton der „Notwendige[n] Diskussion über Heidegger“, wie es in der Überschrift hieß, zusätzlich eine ganze Zeitungsseite ein (Abb.  2), die es mit kontroversen Leserbriefen und einem Auszug aus Heideggers „Sein und Zeit“ füllte; für das FAZ-Feuilleton ein klassisches Mittel, um Debatten gebündelt darzustellen. Auch Habermas, der Lewalters Artikel hermeneutisch analysierte, kam ein zweites Mal zum Zug.271 Fast schon schien die Debatte ohne Gegenreaktion auszulaufen – die Zeit hatte nur einige Leserbriefe veröffentlicht –272, als sich Heidegger Ende September doch noch an die Öffentlichkeit wandte. In einem kurzen Brief an die Zeit bestätigte er die Lewalter‘sche Auslegung seines Textes, blieb Habermas aber die Antwort auf seine Fragen schuldig.273 Obwohl die Debatte auf den ersten Blick keine Früchte trug – ein echter Dialog der Kontrahenten kam nie zustande – bildete sie einen „Paukenschlag“274 für die öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Dabei ging es letztlich weniger um Schuldzuweisungen oder einen „verspäteten Entnazifizierungs-Prozeß“275. Die Kontroverse war vielmehr ein frühes Experiment, in dem die Grenzen des öffentlich Sagbaren ertastet und in der Folge erweitert wurden. In der Person Habermas bot sie einer jungen Intellektuellengeneration die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren Lehrmeistern,276 die sich erst in den 1960er Jahren in schärferer Form fortsetzen sollte.277 Das Feuilleton bildete im Sommer 1953 also das Forum für eine vergangenheitspolitische Debatte, die ihrer Zeit voraus war. Für Korn und das Feuilleton hielt sie im Ergebnis die Androhung einer Privatklage bereit,278 für

271 Leserbrief von Jürgen Habermas, in: FAZ vom 29.8.1953, BuZ, S. 4. 272 Vgl. die Leserbriefe von Rudolf Krämer-Badoni und Egon Vietta, in: Die Zeit vom 20.8.1953, S. 14. 273 Vgl. den Leserbrief von Martin Heidegger, in: Die Zeit vom 24.9.1953, S. 18. 274 Meyer, Thomas: Die innere Wahrheit und Größe dieser Bewegung, in: SZ vom 25.7.2003, S. 14. 275 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 14.10.1952, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 276 Zum akademischen Verhältnis von Habermas zu Heidegger u.  a. vgl. Moses: German Intellectuals (2007), S. 107–130. 277 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 209. 278 Korn fand Ende September ein Schreiben des Anwalts von Krämer-Badoni vor. Ob dieser mit einer Privatklage drohte, weil das Feuilleton seinen Leserbrief als „diffamierend“ bezeichnet hatte, ist unklar. Vgl. den Brief von Karl Korn an Josep Breitbach vom 1.10.1953, in: DLA Marbach, A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004 und den redaktionellen Kommentar zur „Notwendige[n] Diskussion über Heidegger“, in: FAZ vom 29.8.1953, BuZ, S. 4.

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den Staatsrechtler Carl Schmitt ein Mehr an Konsternation279 und für Habermas den „Beginn einer Karriere als öffentlicher Intellektueller“280. Aus der Vergangenheit lernen Stand mit der Habermas-Heidegger-Kontroverse vor allem die Frage nach geistigen Kontinuitäten im Raum, regte das Feuilleton auf anderen Ebenen zur Auseinandersetzung mit Diktatur und politischer Zäsur an. Das geschah in erster Linie über das Rezensionswesen: Im Literaturblatt wurden Neuerscheinungen fach-, populärwissenschaftlicher und dokumentarischer Art zur jüdischen Geschichte, zum Holocaust und zur „Vergangenheitsbewältigung“ besprochen.281 Auch weniger bekannte Werke wie die des britischen Historikers Gerald Reitlinger, die in der Bundesrepublik zunächst kaum rezipiert wurden, fanden hier Beachtung.282 Einige Rezensentinnen und Rezensenten sprachen dabei ein erstaunlich offenes Plädoyer für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus aus. So schrieb Korn bereits 1949 in einer Kritik zu Werner Stephans Goebbels-Biographie: „Jedenfalls ist es nur gesund und gut, wenn eine  verklemmte und verdrängte Vergangenheit aufgearbeitet wird. Weil wir vieles nicht oder nur teilweise oder verborgen wußten, muß das Normale durch Wissen hergestellt werden.“283 In aller 279 Vgl. den Brief von Carl Schmitt an Ernst Forsthoff vom 3.9.1953, in: Mußgnug / Mußgnug / Reinthal: Briefwechsel Ernst Forsthoff Carl Schmitt (2007), S. 97–98. 280 So die Kapitelüberschrift in Müller-Doohm, Stefan: Jürgen Habermas. Eine Biographie. Berlin 2014, S. 87. 281 Vgl. u. a. Behl, Carl Friedrich Wilhelm: Die Tragödie des deutschen Judentums (= Rezension zu Adolf Leschnitzer: Saul und David. Die Problematik der deutsch-jüdischen Lebensgemeinschaft. Heidelberg 1954), in: FAZ vom 7.1.1956, BuZ, S. 5; Stehle, Hansjakob: Die frühe Saat des Hasses. Zur Studie Eleonore Sterlings über Ursprünge des deutschen Antisemitismus (= Rezension zu Eleonore Sterling: „Er ist wie Du. – Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland 1815–1850. München 1956), in: FAZ vom 2.4.1957, S. 10; Boveri, Margret: Die Unfähigkeit zu trauern. Thesen über Deutschland (= Rezension zu Alexander Mitscherlich / Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Kollektives Verhalten in der deutschen Gesellschaft. München 1967), in: FAZ vom 16.12.1967, BuZ, S. 5. Darüber hinaus erschienen auch Vorabdrucke und Auszüge aus neuen Forschungsarbeiten und Quellensammlungen, so etwa das letzte Kapitel des erfolgreichen Bandes „Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933–1945“ von Walther Hofer, seinerzeit Professor für Geschichte an der Freien Universität Berlin. Vgl. Hofer, Walther: Als Hitler die Vergangenheit beschlagnahmte. Der Nationalsozialismus und die deutsche Geschichte, in: FAZ vom 6.7.1957, BuZ, S. 3. 282 Vgl. Stehle, Hansjakob: Die „Endlösung“ – Geschichtsforschung statt Tabu (= Sammelrezension zu Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945. Berlin-Dahlem 1956 u. a.), in: FAZ vom 16.3.1957, BuZ, S. 5. 283 Mit spöttischem Humor kritisierte Korn auch die den Text durchdringende Bewunderung gegenüber dem Portraitierten: „Stephan dürfte nicht allein mit der Meinung dastehen,

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Regel ging es zunächst aber nicht um selbstkritische Erinnerung, sondern um den belehrenden Charakter der Geschichte. Mehrfach wurde auf die politisch-historische „Ahnungslosigkeit“284 und „skandalöse Unwissenheit“ der Jüngeren verwiesen. Vielfach klang die Forderung an, diese Leerstelle in der politischen Bildung durch Forschung, intensive Lektüre und eine Reform der Lehrerausbildung zu schließen. Die NS-Vergangenheit und die im „Dritten Reich“ begangenen Verbrechen, so der zeittypische Tenor, verdienten einen Platz in den Geschichtsbüchern: „Unwissenheit – auch die Unwissenheit der Erwachsenen – muß durch Wissen ersetzt werden.“285 „Auschwitz“, die zeitgenössische Chiffre für den Holocaust,286 diente als Warnung, Mahnmal und anschauliches Lehrmaterial. Zeithistorische Forschungsinstitute oder Projekte wie die von Heinrich Böll und Paul Schallück ins Leben gerufene Bibliothek „Germania Judaica“ wurden unterstützt. In den späten 1950er Jahren wurde die Vergangenheit schließlich auch immer häufiger nach der Bedeutung für die Gegenwart befragt. Korn schrieb 1958 über die zuvor erschienenen Erinnerungen des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß im Feuilleton: Warum dies studieren nützlich sei, fragt man? Weil deutlich wird, wie bedroht unsere Lage nach wie vor ist. Es brauchen nur menschliche Kleinformate vom Schlage eines Höss, die ihre Inferiorität durch Disziplin kompensieren, mit den gewaltigen technischen Mitteln gekoppelt zu werden, und es bedarf dazu nur

daß der Leibhaftige im Spiel war, als er einen Goebbels auf die Bühne dieses Jahrhunderts schickte“. Korn, Karl: Das Rätsel um Goebbels (= Rezension zu Werner Stephan: „Joseph Goebbels. Dämon einer Diktatur“. Stuttgart 1949), in: FAZ vom 12.11.1949, S. 12. 284 Stehle, Hansjakob: Die „Endlösung“ – Geschichtsforschung statt Tabu (=  Sammelrezension zu Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945. Berlin-Dahlem 1956 u. a.), in: FAZ vom 16.3.1957, BuZ, S. 5. Vgl. darüber hinaus Hdt. (= Dieter Hildebrandt): Aufarbeitung der Vergangenheit. Eine Tagung der christlich-jüdischen Gesellschaften, in: FAZ vom 9.11.1959, S. 14. 285 V. St. (= Vilma Sturm): „Germania Judaica“, in: FAZ vom 3.6.1959, S. 17. 286 Dass dem so war, zeigt auch der Blick in das Digitalarchiv: Neben „Auschwitz“ tauchte in den 1950er Jahren nur der Begriff „Judenvernichtung“ als Synonym für die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden auf. Während „Auschwitz“ in 250 Artikeln Verwendung fand, fiel „Judenvernichtung“ allerdings nur acht Mal. Der Begriff „Holocaust“ wurde als Bezeichnung für „die Katastrophe dieses Genocids“ erstmals 1965 in einem Bericht der Wiener Korrespondentin Hilde Spiel über ihre Eindrücke aus Israel eingeführt. Seine Verwendung stieg vor allem seit den 1990er Jahren – mit einer Nennungsrate von 3541 gegenüber 944 im vorherigen Jahrzehnt – schlagartig an, ebenso die des seltener gebrauchten Synonyms „Shoah“ beziehungsweise „Schoah“ (287 Treffer gegenüber 57). Vgl. Spiel, Hilde: Im Staat des Als-Ob. Notizen aus Israel, in: FAZ vom 18.12.1971, BuZ, S. 2.

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Kapitel 3 noch einer Kriegs- oder Bürgerkriegslage – dann ist Auschwitz jederzeit wieder möglich.287

Auch bei Korn wurde „Auschwitz“ zur historischen Lektion, der Lagerkommandant zum grausamen Einzeltäter. Gleichwohl machte der Herausgeber den Nationalsozialismus nicht zum Fall für die Geschichtsbücher, sondern maß ihm hohe aktuelle, gesellschaftspolitische Relevanz bei. Während der Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden schon relativ früh benannt, seine Erforschung bestärkt wurde,288 blieben Fragen nach der Mitverantwortung für den Holocaust meistens ausgeklammert. Eine selbstkritische „Vergangenheitsbewältigung“ – ein Begriff, der in der FAZ fast ausnahmslos in Anführungszeichen gesetzt wurde und eher widerwillig Verwendung fand –289 deutete sich im Rezensionswesen der 1950er Jahre erst leise an, etwa wenn Korn über Curzio Malapartes umstrittenen Kriegsroman „Kaputt“ (1951) schrieb: „Wer über den Büchern Malapartes ins Schimpfen gerät, zeigt, daß er dem Problem nicht gewachsen ist, dem Problem, sein Teil als Deutscher an dem, was erst so kurz hinter uns liegt und nur allzu vergessen scheint, mitzutragen. Wir haben es, ob wir wollen oder nicht, mitzuverantworten, daß solche Bücher über uns Deutsche geschrieben wurden.“290 Häufiger durchzog die Berichterstattung aber ein Opfer-Narrativ, das die 287 Korn, Karl: Der Mensch, der Kommandant von Auschwitz war (= Rezension zu Martin Broszat: „Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen von Rudolf Höss“. Stuttgart 1958), in: FAZ vom 27.9.1958, BuZ, S.  5. Die im Spiegel erschienene Rezension machte sich Korns Worte zu eigen und zitierte sie abschließend. Vgl. o. A.: Der Vergaser, in: Der Spiegel 49/1958, S. 67–69. 288 Vgl. dazu auch Sontheimer, Kurt: Deutschlands Rückfall in die Barbarei (= Rezension zu Eva  G.  Reichmann: „Die Flucht in den Haß. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe“. Frankfurt am Main 1956), in: FAZ vom 30.11.1956, S. 21. Der Politikwissenschaftler und Historiker konstatierte in der überaus wohlwollenden Rezension ein Ungleichgewicht in der deutschen Forschung: Während der Widerstand als „das Wenige, das diese Jahre an Positivem für Deutschland“ bargen, relativ gut erforscht sei, werde über „das fraglos erschütterndste und grausamste Geschehen jener Zeit, die Judenverfolgung und -ausrottung“ weitgehend geschwiegen. Reichmann biete endlich Gelegenheit, „die vielbeschworene, aber in einer von Restaurationsideologien allzu bereitwillig zugedeckten ‚Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus‘“ zu reanimieren. 289 Vgl. Thimme, Ulrike: „Unmöglich! Niemals wieder!“. Gedanken zu einem Jugendbuch über den BDM (=  Rezension zu Esther Gallwitz: „Freiheit  35 oder Wir Mädel singen falsch“. Freiburg 1964), in: FAZ vom 10.4.1965, BuZ, S. 6; Boveri, Margret: Die Unfähigkeit zu trauern. Thesen über Deutschland (= Rezension zu Alexander Mitscherlich / Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Kollektives Verhalten in der deutschen Gesellschaft. München 1967), in: FAZ vom 16.12.1967, BuZ, S. 5. 290 Korn, Karl: Malaparte – zu den Akten? (= Rezension zu Curzlo Malaparte: „Kaputt“. Karlsruhe 1951), in: FAZ vom 4.8.1951, S. 10. Das italienische Original war bereits 1944 erschienen.

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Älteren zu einer „Generation von Mitlebenden und Mitleidenden“ und den eigentlich Leidtragenden dieser historischen „Katastrophe“291 machte. Die Verantwortung suchte man bei den wirklich Schuldigen.292 Auch sprachlich entstand so ein Geschichtsbild, das die Gesellschaft des „Dritten Reiches“ zur passiven Beobachterin eines naturkatastrophenähnlichen humanitären Desasters machte. Einen anderen Ausgangspunkt boten die darstellenden Künste. Dass sich die Leinwände und Bühnen in den 1950er Jahren für eine Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und den in seinem Namen begangenen Menschheitsverbrechen zu öffnen begannen, wurde in Frankfurt einhellig begrüßt – Versuche, dies zu unterbinden, strikt abgelehnt. Im April 1956 äußerte Korn im Feuilleton Kritik an der Bundesregierung, weil sie die Aufführung des französischen Dokumentarfilms „Nacht und Nebel“ (Original: Nuit et brouillard) auf den internationalen Filmfestspielen in Cannes verhindert hatte.293 Der französische Regisseur Alain Resnais hatte in seinem vorwiegend aus Archivaufnahmen aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern Auschwitz und Majdanek montierten Film als einer der ersten Filmschaffenden den Holocaust thematisiert; „eine wichtige Phase in der Bewußtwerdung des Unbegreiflichen“294 und freilich ein Kontrast zu der relativ unpolitischen, unterhaltungsorientierten Filmlandschaft in der Bundesrepublik.295 Der Film „Nacht und Nebel“ war in Cannes in der Kategorie „Kurzfilm“ nominiert, nach einer Intervention der deutschen Botschaft jedoch wieder aus der Vorschlagsliste gestrichen worden. Der Wettbewerb in Cannes, lautete die offizielle Begründung, sei nicht das passende Forum für einen Film, der nationale Gefühle verletzen und den Eindruck erwecken könne, dass es sich bei der Bundesrepublik um die Nachfolgerin des Hitler-Staates handle.296 Nicht nur in Frankreich löste die Absetzung des Films einen Skandal aus. Auch in der Bundesrepublik setzten sich Autorinnen und Autoren der „Gruppe  47“ und 291 Stehle, Hansjakob: Die „Endlösung“ – Geschichtsforschung statt Tabu (=  Sammelrezension zu Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945. Berlin-Dahlem 1956 u. a.), in: FAZ vom 16.3.1957, BuZ, S. 5. Zu diesem Narrativ vgl. auch Lehn: Westdeutsche und italienische Historiker (2012), S. 150–151. 292 Vgl. Behl, Carl Friedrich Wilhelm: Die Tragödie des deutschen Judentums (= Rezension zu Adolf Leschnitzer: Saul und David. Die Problematik der deutsch-jüdischen Lebensgemeinschaft. Heidelberg 1954), in: FAZ vom 7.1.1956, BuZ, S. 5. 293 Vgl. Korn, Karl: Nacht und Nebel. Etwas über Filmdiplomatie, in: FAZ vom 13.4.1956, S. 8. 294 Knaap, Ewout van der: Nacht und Nebel. Gedächtnis des Holocaust und internationale Wirkungsgeschichte. Göttingen 2008, S. 67. 295 Vgl. ebd., S. 68–69. 296 Vgl. Lindeperg, Sylvie: „Nacht und Nebel“. Ein Film in der Geschichte (=  Texte zum Dokumentarfilm, Bd. 14). Berlin 2010, S. 199.

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einige Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) zur Wehr. Korn, der sich seit 1949 als Filmkritiker hervortat, meldete sich als einer der ersten Publizisten zu Wort und brachte damit eine öffentliche Diskussion über die Darstellbarkeit der NS-Verbrechen ins Rollen, die Ende der 1970er Jahre mit dem Erscheinen der US-Serie „Holocaust“ (1978/79) wieder aufflammen sollte.297 Die Linie, die das Feuilleton in der Diskussion um „Nacht und Nebel“ verfolgte, hieß hinsehen. Unter Berufung auf die Pariser Tageszeitung Le Monde hatte Korn am 13. April  1956 zunächst die Empörungswelle in Frankreich kommentiert und von der bundesdeutschen Regierung eine klare Position in den „Kardinalfragen der Menschlichkeit“298 gefordert. „Nacht und Nebel“, so auch der Feuilletonleiter Ruppert im Mai 1956 aus Cannes, verspreche „nichts als die reine Wahrheit. Und die Wahrheit kann niemals provokatorisch sein.“299 Wie die ähnlich argumentierende SPD zählte auch das Feuilleton zu den maßgeblichen Unterstützern des Films. Während in anderen Teilen der Öffentlichkeit sein schlechter Einfluss auf das Bild Deutschlands in der Welt betont oder die fragwürdige Theorie aufgestellt wurde, die Deutschen würden zum Opfer der französischen Filmindustrie,300 war der Film aus der Perspektive des Feuilletons uneingeschränkt vorzeigbar. Einige Monate später, mittlerweile lag auch die deutsche Filmfassung vor, legte Korn noch einmal nach. Im Oktober 1956 betonte er den tendenzfreien, unpolitischen Charakter dieses filmischen „Meilensteins“, der durch seine authentischen Bildberichte „den Bannkreis des Darstellbaren durchbreche[n]“. Weil er dokumentarisch bezeuge, was mancherorts immer noch in Zweifel gezogen werde, sei er von pädagogischem und politischem Wert: „‚Nacht und Nebel‘ wird Bestien und Schinder nicht ändern. Aber er kann etwas anderes, überaus Nützliches vollbringen, wenn man ihn nur zeigte. Er wird so manchem noch immer Ahnungslosen die Augen öffnen und vielleicht dazu beitragen, daß man sich rechtzeitig vorsieht.“301 Der Appell des um die Stabilität der jungen Demokratie besorgten Korn zeigte im Chor mit den anderen kritischen Stimmen Wirkung: Der Film wurde noch im selben Jahr 297 Vgl. Corell, Catrin: Der Holocaust als Herausforderung für den Film. Formen des filmischen Umgangs mit der Shoah seit 1945 (= Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 20). Bielefeld 2009, S. 74. 298 Korn, Karl: Nacht und Nebel. Etwas über Filmdiplomatie, in: FAZ vom 13.4.1956, S. 8. 299 Ruppert, Martin: CinemaScotch in Black and White. Die dämonische Leinwand vom Festival in Cannes (II), in: FAZ vom 3.5.1956, S. 7. 300 Vgl. Knaap: Nacht und Nebel (2008), S. 74–75. 301 Korn, Karl: Emser Pastillen. Kleiner Filmquerschnitt von einer Stippvisite bei den Filmclubs, in: FAZ vom 16.10.1956, S. 10.

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außerhalb des regulären Programms in Cannes und auf den Berliner Filmfestspielen, bald auch in einigen Kinos, im Fernsehen, in Filmclubs und im Schulunterricht gezeigt.302 Auch die ersten Versuche, die Vergangenheit auf die Bühne zu bringen, wurden vom Feuilleton aufmerksam verfolgt. Als 1956 „Das Tagebuch der Anne Frank“ uraufgeführt wurde und mit 1650 Aufführungen in zehn Monaten zu einem der größten Theatererfolge der Nachkriegszeit avancierte,303 berichtete die FAZ aus mehreren Städten.304 Wie „Nacht und Nebel“ brachte auch das auf den Tagebucheinträgen des jüdischen Mädchens basierende Stück einen Teil der Vergangenheit ans Licht, der bis dahin erfolgreich aus dem öffentlichen Diskurs und den Geschichtsbüchern herausgehalten worden war. Während sich der Kulturbetrieb bis dahin auf die Soldaten- und Vertriebenenschicksale konzentriert hatte, erhielt die Verfolgung und Vernichtung von sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden erstmals ein Gesicht. Anne Frank, deren Schicksal der Öffentlichkeit durch die ein Jahr zuvor bei S. Fischer erschienene Taschenbuchausgabe des Tagebuchs bekannt war, entwickelte sich zum Sinnbild für die Judenverfolgung.305 Ihre Aufzeichnungen, deren erste Übersetzung dort vom Originaltext abwich, wo „die Feindschaft der Deutschen gegenüber den Juden erwähnt oder […] die deutsche Kultur mit der nationalsozialistischen identifiziert wird“306, boten einen biographischen Zugang zum Holocaust, der zwar erschütterte, in Anbetracht des dargestellten Einzelschicksals und der kindlichen Milde aber annehmbar war.307 Bereits kurz nach dem Erscheinen galt das Stück als erinnerungskulturelle Zäsur. Die Geschichte Franks, so Schulze Vellinghausen für die FAZ aus Düsseldorf, lege sich „wie ein Findling in den gedankenlosen Alltag“ und fordere außer dem Publikum 302 Vgl. Knaap: Nacht und Nebel (2008), S. 80–100. 303 Vgl. die Theater-Nachrichten, in: FAZ vom 5.10.1957, BuZ, S. 4. 304 So u. a. aus Karlsruhe G. K.: In Karlsruhe, in: FAZ vom 3.10.1956, S. 12, aus Hamburg K.W. (=  Klaus Wagner): In Hamburg, in: ebd., und aus Frankfurt Schwab-Felisch, Hans: Ergreifendes Mahnmal. Das Tagebuch der Anne Frank im Frankfurter Kleinen Haus, in: FAZ vom 21.1.1957, S. 10. 305 Vgl. Glasenapp, Gabriele von: Von der „Endlösung der Judenfrage“ zum Holocaust. Über den sprachlichen Umgang mit der deutschen Vergangenheit, in: Felder, Ekkehard (Hg.): Semantische Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften (= Linguistik – Impulse und Tendenzen). Berlin 2006, S. 127–156, hier S. 137–139. 306 SK (= Sven Kramer): Tagebuch der Anne Frank, in: Fischer, Torben / Lorenz, Matthias N. (Hg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 32015, S. 112–114, hier S. 113. 307 Vgl. Heimsath, Katja: „Trotz allem glaube ich an das Gute im Menschen“. Das Tagebuch der Anne Frank und seine Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland (= Hamburger Historische Forschungen, Bd. 5). Hamburg 2013, S. 174.

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auch die Kritikerinnen und Kritiker heraus. Dieses „Warnbild von höchster Authentizität“ zwinge zur Reflexion: „Im Lesen und Hören brechen (und das ist gut so) noch nicht  vernarbte Wunden auf, Erinnerungen an Scham und Ängste, die eine Urteilsfindung nach ästhetischen Maßstäben nahezu unmöglich machen“. Das Theater werde zum Requiem, der Saal zum Konfrontationsort: „Mit Recht war der Applaus verbeten. Wie könnte man ‚klatschen‘. Wo die Rechnung nicht einfach durch Beifall abgegolten werden mag … Noch nicht. Nein, niemals.“308 Die Unsicherheit, die das Sprechen über den Holocaust und seine künstlerische Verarbeitung in den 1950er Jahren begleitete,309 veranlasste einige Kritikerinnen und Kritiker, die Frage nach den ästhetischen Qualitäten gänzlich außen vor zu lassen.310 Andere verneinten, dass eine künstlerische Umsetzung überhaupt möglich sei. Aus München vermeldete der Theaterkritiker Wolfgang Drews im Oktober 1956, dass der Versuch, mit der Geschichte von Anne Frank das Undarstellbare auf die Bühne zu bringen, aus dem „erschütternde[n] Dokument“ Kunst zu machen, ob zu viel Theatralik gescheitert sei: „Ich protestiere“, lautete seine Absage an die Inszenierung: „‚Das Tagebuch‘ ist kein Anlaß für theatralische Wirkungen aus der Mottenkiste des Naturalismus, für fatale Regieeinfälle und komödiantische Knallereien. […] So fern dem Theater, wie es der Stoff ist, sollte die Aufführung sein.“311 Eine andere, politische Lesart bot der freie Mitarbeiter Gert Kalow. Er betrachtete das auch in der DDR aufgeführte Stück als „Element Wiedervereinigung, geistige Wiedervereinigung“. Zugleich benannte er in einer Klarheit, der sich kaum eine andere Rezension zu dieser Zeit bediente, die Defizite der deutschen Erinnerungskultur, als er von dem „dreizehnjährigen jüdischen Mädchen“ sprach, „das von uns (sagen wir nicht: ‚von den bösen Nazis‘, als dürften wir die Last auf eine nun schon historische Instanz abschieben, sagen wir: ‚von uns‘) im KZ Belsen ermordet

308 Schulze Vellinghausen, Albert: Ein Theaterereignis für ganz Deutschland. „Das Tagebuch der Anne Frank“ in Düsseldorf, in: FAZ vom 3.10.1956, S. 12. Zum Zäsurcharakter vgl. auch Schwab-Felisch, Hans: Ergreifendes Mahnmal. Das Tagebuch der Anne Frank im Frankfurter Kleinen Haus, in: FAZ vom 21.1.1957, S. 10. 309 Vgl. Kraus, Dorothea: Theater-Proteste. Zur Politisierung von Straße und Bühne in den 1960er Jahren (=  Historische Politikforschung, Bd.  9). Frankfurt am Main  / New York 2007, S.  74; MR (=  Maren Röger): Adorno-Diktum, in: Fischer, Torben  / Lorenz, Matthias N. (Hg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debattenund Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 32015, S. 41–42, hier S. 42. 310 Vgl. Grasshoff, Wilhelm: Appell an das Gewissen. „Korczak und die Kinder“ in Göttingen, in: FAZ vom 25.9.1958. 311 Drews, Wolfgang: „Anne Frank“ in München, in: FAZ vom 23.10.1956, S. 10.

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wurde“312. Dass Kalow Anne Frank als Opfer der NS-Vernichtungspolitik betrachtete und von gesellschaftlicher Verantwortung sprach, war vor allem vor dem Hintergrund, dass die aus den USA stammende Fassung des Theaterstückes ihren Tod aussparte, keineswegs zeittypisch.313 Eine Wiederholung verhindern Nach dieser Erinnerungswelle erhielt die Beschäftigung mit der Vergangenheit erst in den späten 1950er Jahren neue Impulse. Ein Thema, das in den Glossen, Berichten und Kritiken immer wieder angeklungen war, erlebte seit 1958 nicht nur in Politik und Wissenschaft, sondern auch in der Medienöffentlichkeit Konjunktur: die historische Bildung.314 Nun traten in der FAZ andere Namen in Erscheinung, darunter auch der Sieburgs. In seinem Leitartikel „Aufforderung zur Geschichte“, der im Mai 1959 auf der FAZ-Titelseite erschien, beschwor der Journalist eine historische Bildungskrise herauf. Auf eine Warnung des Direktoriums des Zentralrats der Juden Bezug nehmend, diagnostizierte er einen erheblichen Rückgang an historischem Wissen, ja gar eine Ablehnung der Geschichte, die weniger das Ergebnis von Verdrängungsprozessen als ein Produkt ihres Missbrauchs durch den Nationalsozialismus sei. Auch der amerikanischen Militärregierung gab Sieburg eine Mitschuld an den Verhältnissen: Durch deren Versuch, neue Geschichtsbilder zu etablieren, habe sie die Entfremdung der Gesellschaft von ihrer Vergangenheit gefördert. Technisierung und Wohlstand täten nun das Nötige, um das historische Bewusstsein weiter aufzuweichen.315 Sieburgs Leitartikel erntete bald darauf den Widerspruch des Sozialphilosophen und CDU-Bundestagsabgeordneten Franz Böhm, der von Zeit zu Zeit als Gastautor für den Wirtschaftsteil schrieb. Böhms Replik erschien einen Monat später im FAZ-Politikteil. Nicht Unwissen, so der Mitbegründer der ordoliberalen Freiburger Schule, sondern Falschwissen sei das wahre Problem. Leicht spöttisch reproduzierte er Sieburgs These – „Kaum hatten wir uns halbwegs an den rassebiologischen Aspekt gewöhnt, da mußten wir schon wieder auf humanitäre Machtverachtung und Antinationalismus umdenken. Was Wunder, wenn die dergestalt geimpften Karnickel laut aufschreien, sobald sie einen Laboratoriumspädagogen im weißen Kittel und mit gezückter historischer Kampferspritze entdecken!“ – und setzte ihr eine massive Kritik 312 Kalow, Gert: Lob eines Zimmerspiels, in: FAZ vom 28.12.1956, S. 10. 313 Vgl. Glasenapp: Von der „Endlösung der Judenfrage“ zum Holocaust (2006), S. 138. 314 Vgl. Bergmann, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949–1989 (= Schriftenreihe des Zentrums für Antisemitismusforschung, Bd. 4). Frankfurt / New York 1997, S. 229–235. 315 Vgl. Sieburg, Friedrich: Aufforderung zur Geschichte, in: FAZ vom 11.5.1959, S. 1.

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an der Erziehung und am Schulunterricht entgegen. Ignoranz, Scham und Verbitterung der Elterngeneration waren in Böhms Argumentation verantwortlich dafür, dass sich einige Legenden hartnäckig hielten („Hitler hat gehandelt und nicht bloß geschwätzt“). Dass viele junge Erwachsene „unter den Kellerbedingungen des Kaspar Hauser“316 aufwüchsen, sei einer zum Selbstschutz vorangetriebenen Verklärung geschuldet. In einem Punkt waren sich Sieburg und Böhm einig: Beiden war die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit mit Blick auf die Jugendlichen ein wichtiges Anliegen. Deren Notwendigkeit begründeten sie jedoch unterschiedlich. Während Sieburg ihren Bedeutungsverlust beklagte, warnte Böhm vor gefährlichen Umdeutungen und Verfälschungen. Auch der spätere Kulturkorrespondent Dieter Hildebrandt meldete sich kurz nach seinem Eintritt in die Politikredaktion mit einem Text zu Wort, der sich mit dem Verhältnis Heranwachsender zum „Dritten Reich“ beschäftigte und ebenfalls Defizite diagnostizierte. Böhm und Sieburg inhaltlich zusammenführend, bemängelte er die Wissenslücken und die Verharmlosungstendenzen in Teilen der Jugend. Schuld daran sei mitunter, so die dritte Hypothese, mit der Hildebrandt die vom Feuilleton noch Mitte der 1950er Jahre vertretene Konfrontationsstrategie indirekt hinterfragte, die mediale Verwertung der Geschichte nach 1945: Dokumentarische Filmbilder und andere Zeugnisse des Holocausts hätten eine Abwehrhaltung erzeugt und zur emotionalen Verhärtung geführt, seien sie doch in ihrer Grausamkeit kaum fassbar. Diese Abwehrhaltung, kombiniert mit Nicht-Wissen und Falschwissen, sei die Ursache dafür, dass antisemitische Tendenzen die historischen Brüche überdauerten. Hildebrandt forderte die Jugendlichen auf, sich von der Elterngeneration zu emanzipieren und den Antisemitismus zu überwinden.317 Alle drei rissen damit ein Thema an, das ein halbes Jahr später gesellschaftspolitische Relevanz erlangen sollte.318 Ende des Jahres 1959 beschmierten zwei rechtsextreme Jugendliche die Fassade der Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und antisemitischen Sprüchen wie „Deutsche fordern Juden raus [sic!]“.319 316 Böhm, Franz: Die Schule und das geschichtliche Wissen. Eine Erwiderung, in: FAZ vom 9.6.1959, S. 2. 317 Vgl. Hildebrandt, Dieter: Die Jugend und der Antisemitismus. Zwischen Erschütterung und Verstocktheit, in: FAZ vom 16.5.1959, BuZ, S. 3. 318 Dazu auch Dombrowski, Erich: Unerquickliche Abwässer, in: FAZ vom 1.6.1959, S.  1. Zur Kontinuität antisemitischer Tendenzen vgl. auch Me. (=  Ernst Otto Maetzke): Schmähung, in: FAZ vom 10.1.1959, S. 1. 319 Zur politischen Rezeptionsgeschichte der Schmierwelle vgl. Kiani, Shida: Zum politischen Umgang mit Antisemitismus in der Bundesrepublik. Die Schmierwelle im Winter 1959/60, in: Glienke, Stephan Alexander  / Paulmann, Volker  / Perels, Joachim (Hg.): Erfolgsgeschichte Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus. Göttingen 2008, S. 115–145.

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Sie setzten damit in der Bundesrepublik und einigen anderen Ländern eine Reihe antisemitischer Vorfälle in Gang, die zeigten, dass der lange tabuisierte, vor allem wirtschaftlich und kulturell motivierte Antisemitismus weiter „zum Vorrat politischer Einstellungen gehörte“320. Über die Landesgrenze hinaus entfachten die Ereignisse eine Diskussion über den Umgang mit der Vergangenheit, die auch Fragen der Bildung und Erziehung betraf. In der FAZ, in der immer wieder darüber gesprochen worden war, ob „dem Antisemitismus durch mutige Stellungnahme“321 begegnet werden könne, riefen die Vorfälle klare Statements hervor. Wenige Tage nach den Ereignissen erschien am 28. Dezember Korns Leitglosse auf Seite eins. Die Vorfälle in Nordrhein-Westfalen, so Korn, trieben einen Riss in unverheilte Wunden. Um zu „verhindern, daß im Gefolge solcher dummdreisten Übeltaten der langsame Prozeß der Heilung gestört wird“322, müssten die Täter mit der ganzen Härte des Rechtsstaates verfolgt und bestraft werden. Rund eine Woche danach meldete sich auch Jürgen Tern zu Wort, um vor einem zweckgeleiteten öffentlichen Umgang mit den Geschehnissen zu warnen. Tern wandte sich gegen die politische Sorge, die Ereignisse in Köln könnten ein schlechtes Licht auf die Bundesrepublik werfen. Dabei bediente sich der frisch ernannte politische Herausgeber medizinischer Sprachbilder, die an NS-Jargon erinnerten, und krempelte sie um: Es sei geboten, „die antisemitischen Infektionskeime aus dem Gesellschaftskörper auszuscheiden“. Freilich sei der eigentliche „Widersacher der deutschen Demokratie“323 in der Gefahr von links zu erblicken, so Tern abschließend auf klassisch politischer Linie. Für offenkundige ideologische Kontinuitäten, wie sie in der antisemitischen Schmierwelle zum Ausdruck kamen, fand die FAZ einstimmig klare Worte. Um sich selbst nicht „dem Verdacht des Antisemitismus auszusetzen“324, pflegte sie außerdem eine ausgeprägte Sprachkritik. Fingerspitzengefühl und Sensibilität waren vor allem dann gefragt, wenn es um Personen jüdischen Glaubens oder um semantische Verweise auf den Holocaust ging. Assoziative 320 Buschke, Heiko: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer (= Campus Forschung, Bd. 866). Frankfurt am Main / New York 2003, S. 55. 321 Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 30.9.1952, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. Vgl. darüber hinaus die Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 9.2.1953, in: ebd. 322 K.K. (= Karl Korn): Die Untat in Köln, in: FAZ vom 28.12.1959, S. 1. Daneben erschien ge.: Die Schändung der neuen Kölner Synagoge, in: ebd. 323 Tern, Jürgen: Die Infektion, in: FAZ vom 7.1.1960, S. 1. 324 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 29.9.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965.

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Ausdrücke wie die Rede von der „verbalen Gaskammer“325 – ein Begriffspaar, das der Wirtschaftsherausgeber Jürgen Eick 1970 verwendete, um die Belastung von Bundestagsabgeordneten zu veranschaulichen – oder Formulierungen wie „zwölf jüdische Hausbesitzer“326 wurden schnell zum Gegenstand ressortübergreifender Diskussionen.327 Weder durfte sich die Zeitung den Vorwurf der Bagatellisierung des Holocausts zuziehen noch sollten durch Sprachwendungen Stereotype bedient werden, die dem Antisemitismus Raum gaben.328 Der Sprache, das veranschaulichen die Überlegungen, wurde eine starke Wirkungskraft attestiert. Die Redaktion sah sich verpflichtet, einem Rückfall in alte Zustände unter keinen Umständen Vorschub zu leisten. Die Öffentlichkeit bildete ein regulierendes Moment, mit dem im Vorfeld kalkuliert wurde.329 Für ebenso wenig tolerierbar hielt man im Feuilleton unkritische militärgeschichtliche Literatur und unbelehrbare rechte Publizisten.330 Nachdem Herbert Böhme in seinen Klüter Blättern einen Aufsatz veröffentlicht hatte, in dem er Hitler offenbar mit Goethes Dr. Faust verglich, meldete sich im August  1956 Johannes Agnoli zu Wort, um diesen „Erguß eines hochgradig verdorben gebliebenen Gemüts“ im Feuilleton zu kommentieren. Der italienische Historiker kritisierte die Instrumentalisierung eines literarischen Symbols – „Was politische Blindheit war: ein Verlassenwordensein von allen guten Geistern wird zur tragischen und poetisch formulierbaren Verkettung deutschen Schicksals“ – und bezeichnete den ehemaligen NS-Lyriker unumwunden als Nationalsozialisten: „Böhme versucht in einem grandiosen Bild (eigentlich sollte man kolossal sagen, denn dies Wort ist Nationalsozialisten sympathischer) die deutsche Vergangenheit so zu schildern, wie sie noch nie geschildert und verstanden wurde: als ‚Begegnung‘ der deutschen Seele (gleich Gretchen) mit der faustischen (freilich ‚durch Mephisto beschatteten) Übergestalt‘ (sehr zu beachten: Übergestalt) Hitlers.“331 Dass die FAZ keinen Enthüllungsjournalismus betrieb, hieß also nicht, dass rechte Publizisten und (ehemalige) NS-Sympathisantinnen und 325 Eick, Jürgen: Wer wird Politiker?, in: FAZ vom 26.11.1970, S. 1. 326 W.E. (= Wilfried Ehrlich): SPD hat „volles Verständnis für die Besetzung“. Heute Gespräch der Haus- und Grundbesitzer mit Möller und Kampffmeyer, in: FAZ vom 24.9.1970, S. 26. 327 Vgl. die Protokolle der Tageskonferenzen vom 30.7.1970, 24.9.1970 und 26.11.1970, in: FAZArchiv, Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971. 328 Vgl. das Protokoll der Tageskonferenz vom 24.9.1970, in: ebd. 329 Dass die FAZ tatsächlich auch sprachlich seziert wurde, zeigen Leserbriefe wie der von Alfred Werner, in: FAZ vom 19.1.1959, S. 3. 330 Vgl. Korn, Karl: Vom „Erleben, das nicht untergeht“. Oder: Buchkameradschaft Scharnhorst, in: FAZ vom 26.1.1955, S. 8. 331 Agnoli, Johannes: Faust – Hitler – und das liebe Gretchen, in: FAZ vom 2.8.1956, S. 10.

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Sympathisanten unbehelligt blieben. In einem Nachruf auf den Schriftsteller Hans Grimm, einem Vordenker der NS-Expansionsideologie, kam Ernst Johann 1959 auf dessen Buch „Volk ohne Raum“ (1926) zu sprechen. War es sonst eher unüblich, mit Verstorbenen hart ins Gericht zu gehen, unterzog Johann das Buch und den Autor nun nachträglich einer Generalkritik. Mit der Beschreibung von Grimms Hauptfigur, die er als verblendet und kleinlich charakterisierte, schien Johann den Publizisten selbst zu meinen. Grimm habe den Untergang der alten Welt nie verkraftet: „Noch einmal England als Sieger aus einem Krieg gegen die Deutschen hervorgehen sehen zu müssen, das war zu viel für das Aufnahmevermögen von Hans Grimm. […] Jetzt überschlug er sich in Veröffentlichungen und Kommentaren zur Tagespolitik, die man an seinem Grabe am besten vergißt“332. Johanns Nachruf muss den Feuilletonchef zufriedengestellt haben, hatte Schwab-Felisch auf der Suche nach einem „Nekrologen“ für den alternden Grimm doch schon 1957 klargemacht, worauf es ankam: Ohne die schriftstellerische Bedeutung zu leugnen, sollte „sein törichter Trotz (Erzbischofschrift) nicht etwa schamhaft verschwiegen werden“333. Als der um den Nachruf ersuchte Schriftsteller Franz Tumler ihm den verabredeten Text schickte, wies Schwab-Felisch ihn nach einer Rücksprache mit Korn zurück: „Grimm nun auch noch als Widerstandskämpfer zu präsentieren, selbst wenn er diesen einen Goebbels-Brief geschrieben hat, das geht denn wohl doch haarscharf zu weit. Es ist wohl doch nötig, daß Du Dich […] etwas mit dieser verdorrten und verstockten Erzbischofs-Schrift befaßt, die es schwer macht, Grimms Haltung nach 1945 zu rechtfertigen.“334 Dass die Auseinandersetzung mit Verstorbenen nicht immer so kritisch ausfiel, brachte der Zeitung und ihrer Nachrufpraxis in den 1960er Jahren den Vorwurf der Beschönigung ein. Walter Boehlich, Cheflektor bei Suhrkamp, beschwerte sich wiederholt über Würdigungen, die er für ausweichend oder sogar verfälschend hielt: „Da stirbt Hans Zehrer. Krokodilstränen fließen um ihn. Man erfährt, daß er unter Hitler ein Berufsverbot hatte, aber man erfährt nicht, daß er zu den Totengräbern der Weimarer Republik gehört hat.“335 Korn, der für diese Kritik durchaus Verständnis hatte, konnte nur beteuern, von den

332 E.J. (= Ernst Johann): Hans Grimm, in: FAZ vom 29.9.1959, S. 14. 333 Brief von Hans Schwab-Felisch an Franz Tumler vom 29.1.1957, in: DLA Marbach, A:Tumler, Franz, 92.4.864. 334 Brief von Hans Schwab-Felisch an Franz Tumler vom 11.2.1957, in: ebd. 335 Brief von Walter Boehlich an Karl Korn vom 30.8.1966, in: ebd., SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. Für alle Zitate von Walter Boehlich gilt © Walter Boehlich / Autorenstiftung Frankfurt am Main.

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Veröffentlichungen der anderen Ressorts keine Kenntnis zu haben.336 Die als unkritisch empfundene Nachrufpraxis führte Boehlich vor allem darauf zurück, dass Belastete über Belastete schrieben. „Warum müssen denn so oft die Falschen über die Toten oder Jubilare schreiben“, klagte er im August 1967 und schlug vor, jüngere Autorinnen und Autoren zu akquirieren: „Erst Schramm über Ritter, was in der Tat eine ziemlich unziemliche Zumutung war, und dann Gehlen über Freyer. Dass der Freyer nie was mit Hitler gehabt habe, glauben doch nicht einmal die conservativsten Leser der FAZ. Das ging allenfalls in der WELT“337. Die Impulse für eine kritische Auseinandersetzung mit den Nachwehen der zwölfjährigen Diktatur kamen also nicht nur von den Redakteurinnen und Redakteuren selbst. Auch die Vertreter der Frankfurter Schule schalteten sich bisweilen über ihre Kontakte in die Berichterstattung ein. Max Horkheimer wies die ihm bekannte Helene Rahms 1957 auf eine Werbebroschüre über Ginseng-Kosmetikprodukte hin. Das Unternehmen „Roypan-Diätetik“ warb darin mit dem Argument, dass die Heilpflanze nach erfolgreichen Kaltwasserversuchen bereits von Heinrich Himmler zur Leistungsoptimierung der SS genutzt worden sei.338 In diesem Kontext wies Horkheimer auch auf das von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke herausgegebene Buch „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ hin, das 1947 als Dokumentensammlung zum Nürnberger Ärzteprozess erschienen,339 aber kaum rezipiert worden war. Kaum einen Monat später erschien im FAZ-Politikteil eine Glosse über die „Irrwege der Reklame“, in der Rahms den Zynismus der Werbeindustrie kritisierte. „Unausdenkbare Qualen, Mord von kältester Wollust“ würden missbraucht, um Produkte an die unkritische Rezipientenschaft zu bringen. Den „reklamemürbe[n], des Nachdenkens entwöhnte[n] und der Erinnerung kaum noch fähige[n] Konsumenten“340, hieß es konsumkritisch, werde Reklame vorgesetzt, die Gräueltaten den Anstrich des Legendären verleihe. Ohne das Unternehmen zu erwähnen, empörte sich Rahms über diese Umkehrung der Geschichte und verwies auf das empfohlene Buch. Als „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ knapp drei Jahre später eine Neuauflage erlebte, druckte die FAZ die Einleitung auf einer ganzen Seite. Die Veröffentlichung, lobte sie 1960 im redaktionellen Vorspann, sei ein Beitrag zur Aufarbeitung der 336 Vgl. den Brief von Karl Korn an Walter Boehlich vom 13.9.1966, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. 337 Brief von Walter Boehlich an Eva Maria Demisch vom 3.8.1967, in: ebd. 338 Vgl. den Brief von Max Horkheimer an Helene Rahms vom 26.9.1957, in: UBA Ffm, Na 1, 94. Die Broschüre sandte Horkheimer mit. 339 In der Erstausgabe erschien es unter dem Titel „Das Diktat der Menschenverachtung. Eine Dokumentation“. 340 H.R. (= Helene Rahms): Irrwege der Reklame, in: FAZ vom 17.10.1957, S. 2.

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Vergangenheit und Konfrontation mit der aufgeladenen Schuld: „Wir teilen seine Ueberzeugung, daß unsere Zukunft davon bestimmt wird, ob diese Chance wahrgenommen oder wiederum verpaßt wird“341. Mitscherlich wurde im Nachgang der Veröffentlichung bundesweit bekannt. Die Dokumentation erlebt bis heute reges Interesse.342 Auch zum Eichmann-Prozess äußerte sich Horkheimer. Über Korn vermittelte er der FAZ-Politikredaktion 1961 sein Anliegen. Er bat Korn, ihr nahezulegen, dass der Prozess in Jerusalem ein „Schauprozess“ sei und kritisierte Adenauers Sorge, dass die Republik in der Folge mit NS-Deutschland gleichgesetzt werden könnte.343 Er wies außerdem darauf hin, dass der Prozess mit größter Sensibilität behandelt werden müsse, da sich die deutsche Bevölkerung andernfalls neben Eichmann auf die Anklagebank gedrängt fühle.344 Ohne namentlich erwähnt werden zu wollen, erhoffte er sich, in diesem Sinne auf die Zeitung einwirken zu können. Zum Teil gelang das: Im Fall Eichmann waren die Herausgeber zwar anderer Meinung,345 Horkheimers Hinweis auf die Broschüre und Mitscherlich waren aber berücksichtigt worden. Berücksichtigt wurden auch die Einwände der Soziologen René König und Hellmuth Plessner, die die FAZ 1958 nutzten, um auf die NS-Biographien der Veranstalter des Internationalen Soziologenkongresses aufmerksam zu machen. Unterstützt wurden sie darin von Adorno, der für seine Beziehungen zur Zeitung bekannt war.346 Im Feuilleton erschien kurz darauf eine Meldung, die die rassenideologischen Publikationen des Soziologen Karl Valentin Müller aus den 1930er und 1940er Jahren auflistete,347 und Müller in einem Leserbrief zu einer Erwiderung veranlasste.348 341 Redaktioneller Kommentar zu Mitscherlich, Alexander: Nach dem Zwischenspiel vielfacher Fluchten. Aus der Einleitung zu dem Bericht „Medizin ohne Menschlichkeit“, in: FAZ vom 27.4.1960, S. 8. 342 Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Freimüller, Tobias: Wie eine Flaschenpost. Alexander Mitscherlichs Dokumentation des Nürnberger Ärzteprozesses, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 7 (2010), H. 1, S. 145–151. Online unter: ‚https:// zeithistorische-forschungen.de/1-2010/id%3D4474‘ (16.3.2022). 343 Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung vom 14.3.1961, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961. 344 Vgl. den Brief von Max Horkheimer an Karl Korn vom 12.4.1961, in: UBA Ffm, Na 1, 265. 345 Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung vom 14.3.1961, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961. 346 Vgl. den Brief von René König an Helmuth Plessner vom 31.7.1958, in: König, Mario / König, Oliver (Hg.): René König. Briefwechsel, Bd. 1 (= René König – Schriften – Ausgabe letzter Hand, Bd. 19). Opladen 2000, S. 272–275; Brief von René König an Theodor W. Adorno vom 31.7.1958, in: ebd., S. 501–502; Brief von Theodor W. Adorno an René König vom 1.8.1958, in: ebd., S. 502–503. 347 Vgl. F.A.Z.: Soziologen distanzieren sich, in: FAZ vom 5.8.1958, S. 10. 348 Vgl. den Leserbrief von Karl Valentin Müller, in: FAZ vom 16.8.1958, S. 11.

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Die Erinnerung neu justieren In den frühen 1960er Jahren erreichte die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine neue Reflexionsebene. Das hing auch mit einer merklichen Verjüngung der Redaktion zusammen: Immer öfter waren im Feuilleton nun die Namen von Journalistinnen und Journalisten zu lesen, die das „Dritte Reich“ nur als Kinder oder als Jugendliche erlebt hatten. Die bisweilen spürbare Unsicherheit, mit der seit 1945 über den Nationalsozialismus gesprochen worden war, war auch ihnen zu eigen, wurde aber offen thematisiert. Wie beschwerlich es etwa sein konnte, eine angemessene Sprache für das Sprechen über den Holocaust zu finden, thematisierte Dieter Hildebrandt 1966 in einem Essay. Anlass war eine Agenturnachricht, die das Berliner Büro der FAZ erreicht hatte und über die Einrichtung eines Forschungszentrums am Großen Wannsee informierte, wo der Holocaust  24 Jahre zuvor organisiert und koordiniert worden war. Hildebrandt reflektierte nun seine Probleme mit der Nachricht, in der er zahlreiche Fallstricke zu entdecken glaubte. So habe dort gestanden, dass es sich um eine Forschungseinrichtung handle, die „‚sich dem Nationalsozialismus und seinen Folgen widmen soll‘“. „Dem Nationalsozialismus und  seinen Folgen widmen?“ erwiderte Hildebrandt, schriftlich einen inneren Monolog imaginierend. Stehe „widmen“ nicht für „eine positive Haltung“? Auch die Formulierung, in besagtem Gebäude habe „‚1942 die Wannsee-Konferenz als Auftakt zur Vernichtung des europäischen Judentums‘“ stattgefunden, sorgte für Irritationen: „Im Namen der Barmherzigkeit: Auftakt! Auftakt zur Vernichtung? Auftakt zur Vernichtung des europäischen Judentums?“349 Aber welche Alternativen gab es überhaupt, um eineinhalb Jahrzehnte nach den Ereignissen in Berlin über den Holocaust zu sprechen? Durfte man sich, so Hildebrandt ausholend, einer Sprache bedienen, die Relikte des NS-Sprachgebrauchs aufweist? Müsse nicht etwas Neues geschaffen werden? Sein eigener Versuch, eine adäquate Sprache zu finden, scheiterte: Hildebrandt legte die Meldung ad acta und schrieb darüber seinen Essay. Eine neue Ausdrucksform zu finden, war auch der Anspruch des Dokumentarischen Theaters, das in den 1960er Jahren von den Theaterbühnen die Erinnerung an den Holocaust wachrief.350 1963 wurde auf der Freien Volksbühne Berlin „Der Stellvertreter“ uraufgeführt. Neben „Die Ermittlung“ (1965) von Peter Weiss zählte das als „christliches Trauerspiel“ angekündigte Stück zu den großen Theaterereignissen der Nachkriegszeit.351 In den Feuilletons entfachte es eine hitzige Debatte, in Teilen der internationalen Medienöffentlichkeit Entrüstung. Der Dramatiker Rolf Hochhuth formulierte darin die These, 349 Hildebrandt, Dieter: Schwierigkeiten beim Redigieren, in: FAZ vom 11.10.1966, S. 2. 350 Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 234. 351 Vgl. Kraus: Theater-Proteste (2007), S. 73.

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das damalige Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Pius XII., habe von der Deportation und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden gewusst und geschwiegen.352 Damit habe er sich am Holocaust mitschuldig gemacht. Hochhuth griff mit seinem Erstlingswerk nicht nur ein kaum erforschtes Thema – das Verhältnis der Kirche zum Nationalsozialismus – auf. Er stellte darüber hinaus die brisante, unbequeme Frage nach den individuellen Handlungsspielräumen, Verantwortung und Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen. Die FAZ brachte dem kontrovers diskutierten Stück viel Aufmerksamkeit entgegen. Zwei Tage nach der Uraufführung erschien am 22. März 1963 die erste Rezension von Dieter Hildebrandt, der zwar die Umsetzung kritisierte, aber das Talent und den Mut des „Suchers nach der Wahrheit, nach dem Sinn, nach Verantwortlichen“353 lobte. Wenige Tage später waren auf der Dokumentenseite „Die Gegenwart“ gleich mehrere Beiträge zu finden, die eine Vielzahl an Stimmen abbildeten. In einer mehrperspektivischen Zusammenschau erschien neben einer Erklärung des ehemaligen Privatsekretärs des Papstes, der Zweifel an den Quellen anmeldete, ein Interview mit dem Theologen Heinrich Grüber, der die Thesen Hochhuths teilweise unterstützte. Ein Auszug aus den „Historischen Streiflichtern“, eine der Druckausgabe beigegebene Materialsammlung zur Bekräftigung der Authentizität des Stückes, ergänzte die Perspektiven.354 Am 11. Mai schaltete sich Alff mit einem ganzseitigen Artikel auf der Seite „Ereignisse und Gestalten“ ein und warf Hochhuth Geschichtsfälschung vor.355 Dass die Kunst Anspruch auf die historische Wahrheit erhob,356 war dem Historiker nicht geheuer. Der Angegriffene antwortete mit einer Replik,357 viele Leserinnen und Leser meldeten sich zu Wort und verlagerten die Diskussion, an der sich auch fachfremde Wissenschaftler 352 Zur anhaltenden Diskussion über das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Nationalsozialismus vgl. Hummel, Karl-Joseph  / Kiessener, Michael (Hg.): Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten. Paderborn u. a. 22010. Das Vatikanische Geheimarchiv wurde 2020 für die Forschung geöffnet. 353 Hildebrandt, Dieter: Bruchstücke eines großen Zorns. Erwin Piscator inszeniert „Der Stellvertreter“ von Hochhuth, in: FAZ vom 22.2.1963, S. 28. 354 Vgl. Grüber, Heinrich: Entscheidend ist nur, was laut gesagt wurde, in: FAZ vom 27.3.1963, S. 11; Hochhuth, Rolf: Welchem Ziel diente das Konkordat? Auszug aus dem Anhang zu „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth, in: ebd., S.  12; Leiber, Robert: Der Papst und die Verfolgung der Juden, in: ebd., S. 11–12. Vgl. zudem aus der Literatur Kraus: Theater-Proteste (2007), S. 74. 355 Vgl. Alff, Wilhelm: Richtige Einzelheiten  – verfehltes Gesamtbild. Historische Anmerkungen zum „Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth, in: FAZ vom 11.5.1963, BuZ, S. 3. 356 Vgl. Kraus: Theater-Proteste (2007), S. 73. 357 Vgl. Hochhuth, Rolf: Ein Gesamtbild gibt es nicht. Antwort an Wilhelm Alff, in: FAZ vom 30.5.1963, S. 7.

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beteiligten, in die FAZ-Leserbriefspalten.358 Die Redaktion nahm sich aus der Diskussion zurück, sorgte aber für anhaltende öffentliche Präsenz, indem sie das Stück mosaikartig beleuchten ließ. Aus Hochhuths Stück, das zeigte, dass es in der Bundesrepublik großen Gesprächsbedarf gab, entwickelte sich 1963 eine Debatte, in deren Folge der Umgang mit dem Nationalsozialismus neu reflektiert wurde. „Es war zu erkennen“, so Hildebrandt am 29. März, „daß mit diesem streitbaren und umstrittenen Stück zum erstenmal an den Nerv gerührt wird, der anzeigt, wie schmerzhaft die sogenannte Bewältigung der Vergangenheit sein muß […]. Hier hat nicht einer oberflächliche Wiedergutmachung betrieben, sondern mit einem zornigen Gewissen ein Stück jener Vergangenheit zu analysieren versucht. Da hat einer die allegorische Unverbindlichkeit […] beiseite gelassen und Menschen, Orte, Vorgänge beim Namen genannt“359. Auch Sieburg maß dem „Stellvertreter“ historische Bedeutung bei. Obwohl er das Stück künstlerisch uninteressant fand, habe Hochhuth „eine furchtbare Krise ausgelöst, die lange nicht zu Ende ist und die sogenannten christlichen Parteien unseres Landes schwer treffen wird. Selten hat eine blassere Figur einen starken Erdstoss ausgelöst“360, schrieb er im April wenig begeistert an Korn. Die erste Hälfte der 1960er Jahre rief der Öffentlichkeit also nicht nur den Holocaust ins Gedächtnis  – in der FAZ stieg die Verwendung der Chiffre „Auschwitz“ von 250 Nennungen zwischen 1950 und 1959 auf 1667 in der folgenden Dekade an –, sondern bot auch Anlass, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. In seinem großen Aufsatz „Über die Aufarbeitung der Vergangenheit“ reflektierte Alff im Februar 1964 den veränderten Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte. Nicht mehr die kollektive Konfrontation stand nun im Mittelpunkt, sondern die persönliche, die individuelle: „Denn Reue und Scham muß der Mensch empfinden, der auf seine eigene Vergangenheit zurückblickend erfährt, daß er seine wahre Bestimmung verfehlt hat […], indem er im Kollektiv der Nation aufging, auf seiner Ohnmacht ihm gegenüber […]  bestand.“ Nicht die „Bewältigung“ der Vergangenheit, sondern ihre Aufarbeitung im Sinne eines nie abgeschlossenen Prozesses sei jetzt geboten: „Was

358 Vgl. den Leserbrief von Alexander Rüstow, in: FAZ vom 16.5.1963, S. 8; Leserbrief von Gerd Vielhaber, in: FAZ vom 30.5.1963, S. 7; Leserbrief von Georg Hook, in: FAZ vom 13.6.1963, S. 6. 359 Hildebrandt, Dieter: Wider die Unverbindlichkeit. Berliner Diskussion über Hochhuths „Stellvertreter“, in: FAZ vom 29.3.1963, S. 32. 360 Brief von Friedrich Sieburg an Karl Korn vom 22.4.1963, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.00215,1–11.

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hingegen ich erarbeite, aufarbeite, geht als Verwandeltes in mich ein. Es bleibt Gegenstand, wenn auch vergangener Erfahrung“361. *** Die vorangegangenen Beispiele haben deutlich gemacht, dass die NSVergangenheit im FAZ-Feuilleton zu keinem Zeitpunkt beschwiegen wurde. Seit 1949 gab es verschiedene Ansätze der Auseinandersetzung, die im Laufe der 1950er und 1960er Jahre in einer breiteren Beschäftigung mit der Geschichte mündeten. Einen Großteil der frühen Stoffe lieferte der Kultur- und Wissenschaftsbetrieb („Das Tagebuch der Anne Frank“, Forschungsliteratur). Andere Impulse, das zeigte die Habermas-Heidegger-Kontroverse, setzte die Redaktion selbst. Durch intensive Berichterstattung unterstützte das Feuilleton die Erinnerung und intervenierte, wenn sie blockiert („Nacht und Nebel“) oder in politischer Absicht umgedeutet zu werden drohte (Klüter Blätter). In den betrachteten Fällen reagierte das Ressort häufig entschlossener als sein mediales Umfeld, aus dem oft verzögerte oder nur einzelne Wortmeldungen zu vernehmen waren.362 Die Intensität, mit der die Aufarbeitung der NSVergangenheit begleitet und forciert wurde, war in Anbetracht des gegenläufigen gesellschaftlichen Konsenses – zwischen 1958 und 1965 sprach sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dafür aus, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen – und der ein oder anderen zweifelhaften Journalistenbiographie durchaus erstaunlich.363 Weder schwieg man sich in der Zeitung über das „Dritte Reich“ aus, noch wurde der Nationalsozialismus grundsätzlich dämonisiert, um ihn „aus der realen Geschichte zu verbannen“364. In der zweiten Hälfte der 1950er veränderte sich der Diskurs. Neue Stimmen mischten sich ein, andere Themen sorgten für eine Ausdifferenzierung der Berichterstattung und die Grenzen zwischen Kultur- und Politikberichterstattung verschwammen („Schmierwelle“). Die Defizite des Erinnerns wurden 361 Alff, Wilhelm: Über die Aufarbeitung der Vergangenheit, in: FAZ vom 22.2.1964, BuZ, S. 4. 362 Das lässt sich besonders am Beispiel von „Nacht und Nebel“ nachvollziehen. Die Zeit brachte dem Film und den Ereignissen rund um die verhinderte Aufführung in Cannes keine Beachtung entgegen, Spiegel und SZ veröffentlichten erst einige Wochen nach der FAZ einen Bericht. Vgl. o. A.: Nur noch Kirmes, in: Der Spiegel 18/1956, S. 50–51; Luft, Friedrich: Zerschlagenes Filmporzellan beim Festival. Hintergründe des Streits um den französischen Film „Nacht und Nebel“ und Käutners „Himmel ohne Sterne“, in: SZ vom 7.5.1956, S. 3. 363 Vgl. Schildt: „Schlafende Höllenhunde“ (2005), S. 319. 364 Ebd., S. 320.

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Kapitel 3

nun klarer benannt und mit Blick auf die Gegenwart problematisiert.365 Deutlich stärker als noch in den 1950er Jahren richtete sich der Blick in den 1960er Jahren auch auf die Frage nach der individuellen Verantwortung. Wie am Beispiel des „Stellvertreters“ grob skizziert, scheute die FAZ keine Mühen, den laufenden Diskussionen Raum zu geben, Debatten in der Zeitung auszutragen. Doch mit der Zunahme vergangenheitspolitischer Diskurse konnte bisweilen auch Verdrossenheit einhergehen. So klagte Günther Rühle rund um den zwanzigsten Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Mai 1965: „Wir sind in diesen Wochen so geschlagen mit Kriegserinnerungen, mit Gedächtnisartikeln, dass wir zeitweise meinen, unsere ganze Gegenwart und Zukunft würde von der Vergangenheit aufgezehrt. Diese fast zwanghafte Rückerinnerung wird schon zu einer Art Krampf, den wir nicht noch mehr verstärken wollen. Ich meine, wir brauchen neue Themen, um wieder frei zu werden.“366 Obwohl das Feuilleton früh an die Versäumnisse der „Vergangenheitsbewältigung“ erinnerte und damit gewissermaßen eine Kritik vorwegnahm, die seit den späten 1970er Jahren im Narrativ der „dunkle[n] Seite der Modernisierung“367 wieder auflebte, hatte auch das eigene Erinnern Defizite. So stand das Gedenken an das geschehene Unrecht und die nationalsozialistischen Opfer zu keinem Zeitpunkt im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Erst Ende der 1970er Jahre rückten die Opfer der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik deutschlandweit in den Fokus des öffentlichen Gedenkens.368 Im Feuilleton waren bis in die 1960er Jahre zeittypische Erzählmuster zu finden, die aus Auschwitz Lehrmaterial, aus den Verantwortlichen Einzeltäter, aus der Mehrheit unbeteiligte Opfer mit offenen „Wunden“ und aus dem Holocaust ein „Weltübel“ machten.369 Durch subtilere Strategien schuf man zudem 365 Vgl. auch Menck, Clara: Das schillernde Phänomen des Antisemitismus, in: FAZ vom 1.10.1957, S.  2; A.S.V. (=  Albert Schulze Vellinghausen): Vernichtung als Spiel? Sylvanus‘ „Korczak und die Kinder“, in: FAZ vom 7.11.1957, S. 12. 366 Brief von Günther Rühle an Rolf Bongs vom 6.5.1965, in: RLA Düsseldorf, NL Rolf Bongs. 367 Schmid, Harald: Von der „Vergangenheitsbewältigung“ zur „Erinnerungskultur“. Zum öffentlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus seit Ende der 1970er Jahre, in: Paul, Gerhard  / Schoßig, Bernhard (Hg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre (=  Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 10). Göttingen 2010, S. 171–202, hier S. 171. 368 Vgl. Schmid: Von der „Vergangenheitsbewältigung“ zur „Erinnerungskultur“ (2010), S. 172. 369 Vgl. Gassert, Philipp: Zwischen „Beschweigen“ und „Bewältigen“. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Ära Adenauer, in: Hochgeschwender, Michael (Hg.): Epoche im Widerspruch. Ideelle und kulturelle Umbrüche in der Adenauerzeit (= Rhöndorfer Gespräche, Bd. 25). Bonn 2011, S. 183–205, hier S. 196.

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Distanz: Indem das FAZ-Literaturblatt den Diskurs verwissenschaftliche, hob es die Berichterstattung auf eine sachliche Ebene; indem das Feuilleton ihn pädagogisierte, verschob es die  angesprochenen Probleme auf Eltern und Schulen. So waren die Jahre nach 1949 zwar keineswegs von „Tabu[s], Verschweigen und Verdrängen“370 geprägt, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bewegte sich aber in eingehegten Bahnen.371 Auch die kritische Reflexion des eigenen Berufsstandes blieb in den ersten Nachkriegsjahrzehnten aus, klang allenfalls an, wenn im Feuilleton etwa zu lesen war: „Der Geist selbst hat teil am geschichtlichen Prozeß, er befördert ihn, ist in ihn verwickelt und trägt die Schuld an den Katastrophen mit.“372 Die intensive Berichterstattung diente nicht als Auslöser für eine Konfrontation mit der eigenen Belastungsgeschichte,373 die Kritik an den geistigen führte nicht zur Kritik an den personellen Kontinuitäten im eigenen Umfeld. Offenheit und Diskussionsbereitschaft waren im Feuilleton nicht zwangsläufig eine Generationenfrage. Was den „Fünfundvierzigern“ von der Forschung bescheinigt wird, nämlich im Zuge ihres beruflichen Aufstiegs einen wichtigen Beitrag zur Entstehung einer demokratischen Öffentlichkeit geleistet zu haben,374 lässt sich ohne Zweifel auch von anderen Journalistinnen und Journalisten behaupten. Freilich waren es „Fünfundvierziger“ wie Dieter Hildebrandt, die sich in der Zeitung engagierten und das Schreiben über die Vergangenheit in den 1960er Jahren auf eine Metaebene hoben. Es waren „Fünfundvierziger“ wie Friedrich Ferdinand Hommel, die mit der unkritischen Einordnung großer Persönlichkeiten und ihrer Rolle im Nationalsozialismus nicht einverstanden waren,375 während Welter als Vertreter der „Kriegsjugendgeneration“ der Meinung war, „man sollte diese alten Entnazifizierungsgeschichten besser auf sich beruhen lassen“376. Eine dogmatische Orientierung an klassischen Generationenmodellen scheint dennoch kaum angebracht. Denn während sich einige ältere, zum Teil belastete Journalisten wie Werner 370 371 372 373

Gassert: Zwischen „Beschweigen“ und „Bewältigen“ (2011), S. 203. Vgl. ebd., S. 197. Korn, Karl: Inter arma, in: FAZ vom 8.11.1956, S. 10. Erst in den 1980er Jahren wurden auch in der eigenen Zunft verstärkt Rufe nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Journalismus im „Dritten Reich“ laut, vgl. Köhler, Otto: Schreibmaschinen-Täter. Journalisten im Dritten Reich und danach: eine vergessene Vergangenheit, eine unwillkommene Debatte, in: Die Zeit vom 15.1.1988, S. 33. Aus der Literatur vgl. Schildt: Im Visier (2016), S. 65. 374 Vgl. Hodenberg: Die Journalisten und der Aufbruch (2002), S. 309–311; Payk: Balanceakt (2011), S. 26. 375 Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 5.10.1966 und 26.10.1966, in: FAZArchiv, H 1966–12/1968. 376 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 5.10.1966, in: ebd.

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Bökenkamp mit Äußerungen zum „Dritten Reich“ bedeckt hielten (erst zu Beginn der 1970er Jahre erschienen einige Artikel zum Thema aus seiner Feder),377 kämpfte Korn seit 1949 gegen das Beschweigen an. Korn mahnte und wurde als Mahner registriert.378 Als er im Juni 1958 im Feuilleton erörterte, warum zu den Ereignissen, die im Ulmer Einsatzgruppenprozess ans Licht kamen, nach wie vor geschwiegen werde,379 richtete ihm die Jüdin Hilde Domin postalisch ihren Dank aus: „Ihr Brief an uns alle, in der heutigen Nummer der ‚F.A.Z.‘, ist das Sympathischste, das Ehrlichste, das Menschlichste, was seit Langem […] gesagt worden ist“380. Dass der zeitkritische Diskurs über die nationalsozialistische Vergangenheit vor allem von den „Fünfundvierzigern“ initiiert und wachgehalten wurde,381 ist also mit Blick auf die FAZ zu differenzieren. Korn machte das Feuilleton in den 1950er Jahren zu einem Ort für vergangenheitspolitische Debatten, an denen er sich selbst oft genug meinungsstark und initiativ beteiligte. Schließlich maß er dem Widerstreit eine maßgebliche stabilisierende Funktion für die Demokratie und den jungen Rechtsstaat zu, womöglich sah er in seinen Beiträgen sogar einen Akt der Wiedergutmachung für ein im „Dritten Reich“ versäumtes Engagement. In den 1960er Jahren, infolge der Ziesel-Affäre, ging diese Rolle allmählich auf andere, jüngere Redakteurinnen und Redakteure über. Das Feuilleton und die anderen Zeitungsteile bildeten die Kontroversen nun häufiger ressortübergreifend ab, stellten sich stärker als zuvor als öffentliche Plattform zur Verfügung, die unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven relativ ausgewogen Raum gab.

377 378 379 380

Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 78–79. Vgl. Edschmid, Kasimir: Tagebuch 1958–1960. München / Wien / Basel 1960, S. 344–345. Vgl. Korn, Karl: Warum dies Schweigen?, in: FAZ vom 26.6.1958, S. 14. Brief von Hilde Palm an Karl Korn vom 26.6.1958, in: DLA Marbach, A:Domin, Hilde, HS.2007.0002. 381 Vgl. Gassert: Zwischen „Beschweigen“ und „Bewältigen“ (2011), S. 203.

Abb. 2

„Notwendige Diskussion über Heidegger“ in der Beilage vom 29. August 1953

Kapitel 4

Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft Die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft und ihre Beobachter sahen sich nach 1945 freilich nicht nur mit der Vergangenheit konfrontiert. Auch die Gegenwart drängte nach Antworten. Nach der doppelten deutschen Staatsgründung im Jahr 1949 galt es westlich der von der Ostsee bis zum Dreiländereck verlaufenden innerdeutschen Grenze, das Verhältnis des postdiktatorischen Landes zur Demokratie und liberalen Wirtschaftsordnung westlicher Prägung zu bestimmen. In der Rückblende scheint es naheliegend, diesen Prozess der nationalen Selbstverständigung als lineare Erfolgsgeschichte zu betrachten.1 Aus dieser vereinfachten Perspektive verwandelte sich der von den Westalliierten besiegte und besetzte Unrechtsstaat mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes in einen Rechtsstaat und erlangte 1955 mit der Ratifizierung der Pariser Verträge, dem Beitritt zur Westeuropäischen Union (WEU) und zur North Atlantic Treaty Organization (NATO) eingeschränkte staatliche Souveränität. Außenpolitisch und militärisch integrierte sich die Bundesrepublik auf diesem Weg in ein Bündnis nordamerikanischer und westeuropäischer Staaten, das vor dem Hintergrund der Blockkonfrontation im Kalten Krieg Schutz und Sicherheit versprach und dem jungen Staat Zutritt zum internationalen Parkett verschaffte. Gesellschaftlich sorgte eine bis in die 1960er Jahre anhaltende Prosperitätsphase für einen Modernisierungsschub, der sich durch den Konsum-, Freizeit- und Mobilitätszuwachs ebenso bemerkbar machte wie durch eine Liberalisierung der Einstellungen und Werte.2 Was in dieser verkürzten Rückschau als konsequente Annäherung an die politische und wirtschaftliche Nachkriegsordnung mit ihren sozialen und kulturellen Implikationen erscheinen mag, verlief realiter nicht reibungslos. Wenige Jahre nach Krieg und Diktatur war die Beziehung der Westdeutschen zu Demokratie, Liberalismus und Kapitalismus, zur Moderne nach

1 Vgl. Schildt: Fünf Möglichkeiten (2016), S. 16–17. 2 Vgl. Bollenbeck, Georg / Kaiser, Gerhard: Einleitung, in: dies. (Hg.): Die janusköpfigen 50er Jahre. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik III. Wiesbaden 2000, S. 7–15, hier S. 7.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_005

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westlich-amerikanischem Vorbild, keine spontane Liebesheirat, die ausstehende Gesellschaftsreform kein Selbstläufer.3 Dass sich die über sicherheits- und außenpolitische Entscheidungen hinausgehende Demokratisierung Westdeutschlands als langfristiger Prozess des gesellschaftlichen Umdenkens darstellte, lag nicht allein darin begründet, dass das Scheitern der ersten Demokratie in vielen Köpfen noch überaus präsent war.4 Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts EMNID („Erforschung der öffentlichen Meinung, Marktforschung, Nachrichten, Informationen und Dienstleistungen“) aus dem Jahr 1953 ergab, waren selbst acht Jahre nach dem Ende des Krieges nur 53 Prozent der befragten Deutschen der Ansicht, dass die parlamentarische Demokratie die beste Regierungsform sei.5 Die Skepsis gegenüber den Ordnungsvorstellungen westlicher Provenienz resultierte auch nicht nur aus der Sorge, dass die von Adenauer forcierte Westbindung eine rasche Wiedervereinigung der beiden Teilstaaten verzögern oder verhindern könnte. In intellektuellen Kreisen bestanden darüber hinaus starke „antiwestliche[r] und antiamerikanische[r] Abwehrreflexe“6, die bei allen zivilisatorischen, sprich wissenschaftlich-technischen und politischen Zugeständnissen mit der Überzeugung der eigenen kulturellen, geistigen Überlegenheit einhergingen.7 Vor allem gegenüber den USA, die in den 1950er Jahren zum wichtigsten Bündnispartner avancierten, herrschten „in der konservativ geprägten Öffentlichkeit der Wiederaufbaujahre“8 große Vorbehalte. Diese Vorbehalte wirkten noch aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts nach und mischten sich nun mit der frischen Erinnerung an die Besatzungszeit, Entnazifizierung und „Umerziehung“. In der massiven Kritik an der „Massengesellschaft“ kamen sie ebenso zum Ausdruck 3 Vgl. Jarausch, Konrad  H.: Amerikanische Einflüsse und deutsche Einsichten. Kulturelle Aspekte der Demokratisierung Westdeutschlands, in: ders.  / Bauerkämper, Arnd  / Payk, Marcus  M. (Hg.): Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970. Göttingen 2005, S. 57–81, hier S. 61. 4 Vgl. Ullrich, Sebastian: Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 45). Göttingen 2009, S. 16–17. 5 Vgl. Wintgens, Benedikt: Treibhaus Bonn. Die politische Kulturgeschichte eines Romans (=  Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd.  178). Düsseldorf 2019, S. 22. Elf Prozent der Befragten sprachen sich demnach für eine Monarchie aus, acht Prozent für eine autoritäre Regierung und ein weiteres Viertel enthielt sich einer Antwort. 6 Bauerkämper, Arnd  / Jarausch, Konrad  H.  / Payk, Marcus  M.: Einleitung: Transatlantische Mittler und die kulturelle Demokratisierung Westdeutschlands, in: dies. (Hg.): Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970. Göttingen 2005, S. 11–37, hier S. 22. 7 Vgl. Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 28. 8 Schildt: Im Visier (2016), S. 38.

Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft

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wie in den Warnungen vor bedingungslosem Fortschrittsglauben und der Technisierung weiter Lebensbereiche.9 Weder das breite gesellschaftliche noch das intellektuelle Arrangement mit der Gegenwart erfolgte also von heute auf morgen. Es entsprach vielmehr einem komplexen, zum Teil widersprüchlichen Aneignungsprozess, in dessen Verlauf negative Einstellungen gegenüber dem modernen westlichen Gesellschaftsmodell zunehmend an Rückhalt verloren.10 In diesem Prozess kam den Zeitungen eine Doppelfunktion zu: Indem sie ihrer Leserschaft wechselnde Deutungsangebote präsentierten, boten sie Orientierung; indem sie ihr – europäisch gerahmte – Einblicke in die Welt jenseits des Atlantiks verschafften, agierten sie als Mittler im transatlantischen Kulturaustausch und als Beschleuniger der kulturellen Westbindung.11 Gerade das Feuilleton, das die Zeitverhältnisse mit einer speziellen kulturkritischen Diagnostik beleuchtete,12 entwickelte sich in den 1950er Jahren zu einem maßgeblichen Forum der Gegenwartsreflexion. Doch nicht nur in den Zeitungen selbst wurde um die großen Fragen gerungen. Die Suche nach Orientierung, das zeigt die Geschichte der FAZ, warf ihre Schatten bis in die Redaktion. Was sich den Feuilletonleserinnen und -lesern im Blatt als wiederkehrendes Schreckensszenario einer willfährigen Konsumgesellschaft und dystopisches Bild geistiger Verwahrlosung darbot, drückte sich im Hause FAZ in den Bemühungen des Feuilletonherausgebers Karl Korn aus, der feuilletonistischen – geistigen – Arbeit mehr Anerkennung zu verschaffen. Auch die äußerst kontrovers diskutierten Themen Westbindung und Wiederbewaffnung drangen bis in das Herz der Redaktion vor. Sie führten 1955 zum Ausscheiden des Politikherausgebers Paul Sethe; eine Wendung, die auch im Feuilleton spürbar war. Im folgenden Kapitel gilt es diesen Orientierungsprozessen bis in die frühen 1960er Jahre nachzuspüren. Wie deutete das Feuilleton die Gegenwartsgesellschaft und was verraten diese Deutungsversuche über das Selbstverständnis, den Anspruch und die Funktionen des Ressorts? Wie stand es zur Modernisierung der Lebenswelten, zum gesellschaftlichen Strukturwandel und zur „Verwestlichung“? Welche markanten Positionen lassen sich aus der öffentlichen Diskussion dieses Wandels ableiten? Und inwiefern wirkten die angerissenen Orientierungsprozesse auf die FAZ zurück? Wie stark der 9 10 11 12

Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 21. Vgl. Bauerkämper / Jarausch / Payk: Einleitung (2005), S. 11. Vgl. ebd., S. 25–26; Bollenbeck / Kaiser: Einleitung (2000), S. 9. Vgl. Maase, Kaspar: Massenkultur, Demokratie und verordnete Verwestlichung. Bundesdeutsche und amerikanische Kulturdiagnosen der 1950er Jahre, in: Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960. Bielefeld 2007, S. 277–318, hier S. 277–278.

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Kapitel 4

Zeitungsbetrieb mit dem Zeitgeschehen verwoben war und was das für die zeitungsinternen Dynamiken bedeutete, wird auch an seinem Verhältnis zum östlichen Teil des gespaltenen Landes deutlich. Dem Blick nach Westen – auf „Liberalismus, Kapitalismus, Individualismus, Demokratie und Föderalismus“ – schließt sich deshalb im letzten Teil des Kapitels ein Blick in Richtung Osten, auf „Marxismus, […] soziale Gerechtigkeit, Kollektivismus, Staatsplanung, Zentralismus“13, an. Während sich die Beziehungen zu ersterem im Laufe der 1950er Jahre festigten, traten die sinnbildlichen und bald auch faktischen Grenzen zur DDR und zu Osteuropa immer offener zutage. 4.1

Kulturpessimismus und Krisenbefunde

Nach den entbehrungsreichen ersten Nachkriegsjahren setzte in den 1950er Jahren eine Zeit des Aufschwungs und der „beispiellosen gesellschaftlichen Modernisierung“14 ein. Durch amerikanische Kredite („Marshall-Plan“), die Währungsreform im Juni 1948 und den exportsteigernden Koreakrieg seit 1950 schritt der Aufbau Westdeutschlands schnell voran. Waren die ersten Jahre noch „von […] langen Arbeitszeiten, räumlicher Enge des Wohnens und relativ bescheidenem Einkommen“15 gezeichnet, so verkürzte sich die Arbeitszeit im Verlauf des Jahrzehnts allmählich, die Wohnungsnot ging zurück, die allgemeine Kaufkraft stieg, Ost-Flüchtlinge und Vertriebene fanden nach und nach in Lohn und Brot.16 Das „Wirtschaftswunder“ befeuerte die allgemeine Konsumfreudigkeit, für die auf Plakaten und in den Medien die Werbetrommel gerührt wurde. Doch während sich die einen an den gut gefüllten Schaufenstern und einem vorerst bescheidenen Wohlstand erfreuten, weckte die neue Warenwelt an anderer Stelle Misstrauen. Vor allem aus konservativen und christlichen intellektuellen Kreisen ertönten Stimmen, die in Anbetracht des wachsenden Wohlstands einen Werteverfall der bürgerlich-„abendländischen“ Gesellschaft beklagten. Der Materialismus der als „Freizeitgesellschaft“ verhöhnten Bevölkerungsmehrheit gehörte zum heraufbeschworenen Bild „einer als oberflächlich, permissiv und kommerziell stereotypisierten Zivilisation westlicher Provenienz“17. Eine Krise zu durchleben, so Schildt über die in der

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Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 109. Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 15. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 351. Vgl. Schildt: Fünf Möglichkeiten (2016), S. 19. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 219.

Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft

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Nachkriegspublizistik vermittelte Atmosphäre, „war um 1950 wohl die vorherrschende Grundstimmung der öffentlichen Gegenwartsreflexion.“18 Der oft bemühte, pejorative Begriff „Massengesellschaft“ brachte diese Diagnosen auf den Punkt und diente zugleich als Mahnung: „Massen“, das hatte das „Dritte Reich“ gezeigt, waren manipulierbar. Neu waren indes weder die Wortschöpfung noch der um sie kreisende Diskurs. Seit dem frühen 20. Jahrhundert diente sie als Distinktionsbegriff, um die Bedeutung einer bürgerlichen, individuell-exklusiven Gesellschaftsordnung herauszustellen. Diese Ordnung schien seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die wachsende Arbeiter- und Angestelltenklasse, die Entstehung politischer Institutionen und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts („Massendemokratie“) ebenso bedroht wie durch das Aufkommen einer populären „Massenkultur“, die mit der bürgerlichen „Hochkultur“ kaum etwas gemein hatte.19 Vor allem in der Zwischenkriegszeit hatten Analysen zur „Massengesellschaft“ Konjunktur. Zu den bekanntesten gehört neben Siegfried Kracauers „Das Ornament der Masse“ (1927) und Karl Jaspers‘ „Die geistige Situation der Zeit“ (1931) die spanische soziologische Studie José Ortega y Gassets „Der Aufstand der Massen“ (1931). In der Bundesrepublik waren diese Schriften, die sich mal mehr, mal weniger normativ mit den bürgerlichen Zerfallserscheinungen befassen, eine beliebte Lektüre. Ähnlich wie Ernst Jünger galten die Autoren als geistige Autoritäten.20 Dass das Bild der „Massengesellschaft“ Anknüpfungsmöglichkeiten bot, spiegelt auch das FAZ-Digitalarchiv wider: Bis 1973 wurde der Begriff allein im Feuilleton 427 Mal verwendet.21 Während das instabile politische und wirtschaftliche System der ersten deutschen Demokratie als Negativfolie diente und Zweifel angesichts einer neuerlichen Synthese von Kapitalismus und Demokratie nährte,22 war die Erinnerung an das geistige und kulturelle Leben umso präsenter, waren die ideellen Bezüge stark.23 Zwischen Weimar und der Bundesrepublik bestand „ein 18 19 20 21

22 23

Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 324. Vgl. Maase, Kaspar: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970 (= Europäische Geschichte). Frankfurt am Main 1997, S. 16–20. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 137, 197–198. Eine Recherche über den Google Ngram Viewer bestätigt, dass der Begriff nach Kriegsende eine starke Konjunktur erlebte (zwischen 1945 und 1960 verzwanzigfachte sich seine Verwendung), sein Gebrauch aber seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zurückging – ein Indiz dafür, dass die „Massen“-Diskurse in der Bundesrepublik allmählich ausliefen. Dass der Begriff nach wie vor verwendet wird (2008 wurde er immerhin noch knapp sieben Mal häufiger verwendet als 1945), zeigt gleichwohl, dass er sich langfristig im Sprachgebrauch etablieren konnte. Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 34. Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 280.

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Kapitel 4

atmosphärischer Überhang von tradierten Auffassungen und Werten“24. Diese Nachbarschaft drückte sich zum Beispiel in der Wiederaufnahme der Thesen Jaspers‘ und Ortega y Gassets oder im Rückgriff auf die Existential- oder Lebensphilosophie Martin Heideggers aus.25 Wurde in den anbrechenden 1950er Jahren das düstere Bild „einer […] von Technik und innerer Leere, Triebhaftigkeit, Hysterie und Indolenz beherrschten Zivilisation“26 gezeichnet, knüpfte man damit in der Regel an alte Einwände gegen die Begleiterscheinungen der Moderne an. In einer als unübersichtlich wahrgenommenen Gegenwart versprach diese Rückbesinnung auf die 1920er und frühen 1930er Jahre, als deren Folge auch jungkonservative und nationalistische Ideen aufgewärmt wurden, Orientierung.27 Ähnliche Anziehungskraft besaß der 1946/47 von Hans Werner Richter in der kulturpolitischen Zeitschrift Der Ruf geprägte, von Walter Dirks aufgenommene Restaurationsbegriff.28 Auch im Begriff der (geistigen, kulturellen, bürgerlichen oder politischen) „Restauration“ bündelte sich ein diffuses intellektuelles Unbehagen an der als saturiert und materialistisch betrachteten Nachkriegsgesellschaft. Zugleich klang in ihm eine enttäuschte Erwartungshaltung durch: Für viele (Links-)Intellektuelle hatte das Jahr 1945 nicht die erhoffte revolutionäre Erneuerung gebracht. Statt mit einer geistesaristokratischen, sozialistisch inspirierten Demokratie, sahen sie sich mit „Weimarer Verhältnissen“, sprich mit vermeintlichen ökonomischen und (partei-)politischen Kontinuitäten und autoritären Strukturen konfrontiert.29 In den saloppen Worten von Korn, der sich beider Topoi gerne bediente, bedeutete das also, ohnmächtig registrieren zu müssen, „wie die Dinge sich genau so entwickeln wie es schon einmal war, nur noch viel grauenhafter“30. Vergleichbare zeitkritische Befunde waren folglich auch in den Medien zu finden. Kulturelle Krisenszenarien wurden nicht nur in den tiefsinnigen Nachtprogrammen im Rundfunk heraufbeschworen, sondern auch in den Zeitungsfeuilletons,

24 25 26 27 28 29 30

Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 215. Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 326. Payk: Opportunismus, Kritik und Selbstbehauptung (2011), S. 156. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 197. Zur Begriffsgeschichte vgl. Kiesel, Helmuth: Die Restauration des Restaurationsbegriffs im Intellektuellendiskurs der frühen Bundesrepublik, in: Dutt, Carsten (Hg.): Herausforderungen der Begriffsgeschichte. Heidelberg 2003, S. 173–193. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 195; Schildt: Fünf Möglichkeiten (2016), S. 17. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 12.2.1955, in: BArch Koblenz, N 1280/21c.

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wo sich kulturpessimistische Narrative bei Journalistinnen und Journalisten unterschiedlichster politischer Couleur großer Beliebtheit erfreuten.31 Von Massen, Konsum und Kulturverfall Wie seine Briefpartnerin Margret Boveri und viele andere Publizistinnen und Publizisten zählte auch Korn zu den Skeptikern der deutsch-deutschen Nachkriegsordnung. Seine Bedenken richteten sich zunächst auf das liberale Wirtschaftssystem – den freien Wettbewerb empfand er als ausbeuterisch –32 und die einsetzende „Wirtschaftswundermentalität“. In beidem erkannte er Symptome der Moderne. Seinem „modernitätsskeptische[n] Unbehagen“33 verlieh Korn nicht nur in der Presse Ausdruck, sondern auch in seiner 1953 erschienenen Streitschrift „Die Kulturfabrik“34. Darin zeichnete er das „Schreckbild einer hochdynamischen und gewinnorientierten ‚Kulturindustrie“35; ein |Begriff, der bereits 1947 von Theodor  W.  Adorno und Max Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ eingeführt worden war, um die Gleichförmigkeit, den Warencharakter und die herrschaftsstabilisierende Funktion der „Massenkultur“ in der Epoche des Spätkapitalismus zu beschreiben.36 Auch in Korns Korrespondenz war die fatale Entwicklung Westdeutschlands ein großes Thema. Hochmütig schimpfte er über die „Massen“, die den Konsum zur Weltanschauung erklärten,37 und beklagte den „miesen KleinbürgerGewerkschafts-Wochenend-Geschmack“38. „Die Wähler freilich“, schrieb er 1955 an Niekisch über die zwei Jahre zurückliegenden Bundestagswahlen, die den westintegrativen, marktwirtschaftlichen Kurs der Unionsparteien bestätigt hatten, „haben damals nicht die Stärke, sondern die fette Leberwurscht und die Konfektionskleidchen für die Frau gewählt.“39 Korns wiederholte Klagen entsprangen aber nicht etwa spezifischen wirtschaftspolitischen Interessen oder parteipolitischen Überzeugungen. Wie viele Intellektuelle ließ sich auch Korn nur schwer mit dem Parteienspektrum der 1950er Jahre in Deckung bringen.40 Sie waren vielmehr Ausdruck eines 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S.  219; Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 330; ders.: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 89. Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 9.8.1948, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 233. Korn, Karl: Die Kulturfabrik (= Die Weissen Hefte, Bd. 2). Wiesbaden 1953. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 234. Vgl. Braun, Michael: Die deutsche Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Köln / Weimar / Wien 2010, S. 40. Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 5.1.1953, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 11.9.1948, in: ebd. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 12.2.1955, in: ebd. Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 250.

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starken Skeptizismus, der seine gedankliche Nähe zu konservativen Milieus ebenso erklärt wie sein Engagement für eine im linksintellektuellen Spektrum beheimatete kulturelle Avantgarde.41 Wie sein Biograph Payk überzeugend darlegt, ging es ihm „in erster Linie um eine Restitution des Geistes als metapolitische Autorität und elitäre Deutungsmacht“42. Im „Massenzeitalter“, als das er seine Epoche 1957 in der FAZ charakterisierte,43 erschien ihm geistige Arbeit entbehrlicher als Schaufensterware.44 „Die Leute, die Geld haben“, schrieb Korn im Januar 1949 resigniert an den Chefredakteur der Zeitschrift Merkur Hans Paeschke, „pfeifen meist auf den Geist oder haben einfach keine Zeit und Konzentrationsfähigkeit mehr – und die andern sind und bleiben arme Schlucker und wollen Freiexemplare.“45 Wiederholt diagnostizierte er geistige Verfallserscheinungen, die er sowohl der Konjunktur als auch den Liberalisierungstendenzen zuschrieb.46 In dieser Verknüpfung von politischer Ordnung und kulturellem Niedergang zeigten sich mitunter „tiefeingelagerte Reserven gegenüber dem freiheitlichen Idealmodell der westlichen Demokratie“47, die auch für die Angehörigen jenes rechtskonservativen Intellektuellenmilieus bezeichnend waren, das „in den akademisch-bildungsbürgerlichen Kreisen vor 1933 den Ton“48 bestimmt hatte. Auf die Zeitdiagnostik der späten 1920er und frühen 1930er Jahre Bezug nehmend, ohne jedoch deren revolutionäres Pathos zu teilen,49 sah auch Korn einen tiefen Graben zwischen „intellektuellem Geist und geistloser Masse“50. Welche Rolle spielen Intellektuelle in einer durchrationalisierten Gesellschaft, deren Sehnsüchte sich auf den nächsten Italienurlaub richten?51 Welche Bedeutung gebührt der Kultur, wenn im Fernseher die „peinliche Oberflächlichkeit reinen Zirkusbetriebes“52 herrscht? Diese und andere Fragen waren für den Journalisten Korn nicht rein philosophischer Natur. Welchen Status eine 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S.  198–199. Zum Umgang mit der künstlerischen Moderne vgl. das nächste Kapitel „Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik“. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 199. Vgl. Korn, Karl: Wer diktiert den Publikumsgeschmack?, in: FAZ vom 6.11.1957, S. 12. Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 9.8.1948, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Brief von Karl Korn an Hans Paeschke vom 4.1.1949, in: DLA Marbach, D: Merkur, HS.NZ80.0003. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 233. Ebd., S. 235. Payk: Opportunismus, Kritik und Selbstbehauptung (2011), S. 151. Vgl. Schildt: „Massengesellschaft“ (2004), S. 203. Ebd., S. 208. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 219. p. chr. b.: Fernsehen ist gar nicht so schlimm, in: FAZ vom 18.2.1953, S. 8.

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Gesellschaft der geistigen Arbeit, sprich Kultur, Publizistik und Wissenschaft beimisst, war für ihn zwangsläufig auch eine existenzielle Frage. Sie stellte sich ihm nicht nur als Herausgeber der FAZ, sondern auch als Feuilletonist. Die kritisierten Verhältnisse – das unausgewogene Tauziehen zwischen Geist, Politik und Kommerz – spiegelten sich für ihn in den Konflikten zwischen seinem Ressort (Geist) und den Zeitungsverlagen (Kommerz) wider. Mehrfach beschwerte er sich über verlegerische Versuche, das Feuilleton zu marginalisieren oder am Unterhaltungssektor auszurichten.53 1948, zu dieser Zeit noch bei der AZ, schrieb er an Niekisch: „Sie machen sich keine Vorstellung von der Qual, die dieser Kampf mit den engherzigen und verstockt kleinbürgerlichen reaktionären Verlagsdirektoren bedeutet“54. Auch die in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre aufbrechenden Konflikte zwischen dem Feuilleton und der Politikredaktion ließen sich aus dieser Sicht als ungleicher Kampf zwischen „‚machtlosem Geist‘ und ‚geistloser Macht‘“55 deuten. Bekannte Wolfgang Schwerbrock im Feuilleton vom 11. Oktober 1954 noch, dass das Politische „mit seinem Für und Wider an diesem Ort nicht zur Debatte steht“56, entwickelte sich die Frage, ob sich das Feuilleton ein eigenes politisches Urteil erlauben dürfe, spätestens in den 1960er Jahren zum ständigen Konfliktthema.57 Krisenszenarien wurden dementsprechend auch im Feuilleton heraufbeschworen, das sich wie schon in den 1920er Jahren als geeignetes Forum für gesellschaftskritische Großinventuren entpuppte.58 Anlass bot Korn etwa das Buch des sozialistischen belgischen Theoretikers Hendrik de Man mit dem sprechenden Titel „Vermassung und Kulturverfall. Eine Diagnose unserer Zeit“ (1951). „An diesem Buch“, war im Feuilleton vom 22. März 1952 zu lesen, „kommt kein Mensch dieser Epoche vorbei, der Anspruch auf Einsicht, Verantwortung und Führung erhebt.“ Korns Anspruch an die feuilletonistische Arbeit war damit umrissen. Nach de Man zeichnete er ein Panorama der europäischen „Vermassungs“-Symptome, die von Werbung und Mode über die Mechanisierung von Arbeit und Freizeit bis hin zur Ökonomisierung der Kultur und neuen „Wogen des politischen Kollektivhasses“ reichten. Seine Schilderung 53

54 55 56 57 58

Zur Kritik an den verlegerischen Ambitionen im Allgemeinen und im Speziellen vgl. die Briefe von Karl Korn an Margret Boveri o. D. (vermutlich 1952) und 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 24.12.1948, in: ebd., Mappe 1. In Korns Brief aus dem Jahr 1967 heißt es etwa: „Soll mich einer die Verleger kennen lehren! Die quatschen von Idealen und Literatur und meinen Geld.“ Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 6.11.1948, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 195. Schwerbrock, Wolfgang: „Null-acht fünfzehn“. Zum Film nach Hans Hellmuth Kirsts Roman, in: FAZ vom 11.10.1954, S. 8. Vgl. das sechste Kapitel der Arbeit „Aufwinde, Gegenwinde. ‚1968‘“. Vgl. Kernmayer / Jung: Feuilleton (2017), S. 15.

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der Zeitsymptome verknüpfte Korn mit einer Liberalismuskritik. Demnach sei zu hinterfragen, ob „nicht das liberale Freiheitsprinzip längst in sein Gegenteil, nämlich in Massendemokratie und Diktatur, umgeschlagen“59 sei. Schon 1948 hatte er in einem Brief an Niekisch ironisch vom „Evangelium der Freiheit […], der Marktfreiheit und all der anderen Freiheiten“60 gesprochen. Pessimistisch wie er war, sah Korn keine „Möglichkeit, daß sich aus der Massenwelt selbst der Geist, der nach unserer Meinung heiliger Geist zu sein hatte, neu entfalten könne“61. Seinem Ärger über die Stellung des Geistes „im Zeitalter der Massendemokratie“ machte Korn kurze Zeit später auch in einem FAZ-Leitartikel Luft, der sich kritisch mit einer Rede des Bundeskanzlers auseinandersetzte. Konrad Adenauer hatte in der Universität Frankfurt über die Zukunft der schlecht vergüteten, wenig aussichtsreichen akademischen Berufe gesprochen und dabei angekündigt, so jedenfalls zitierte ihn der Text, „‚in Deutschland wieder eine Schicht von Gebildeten schaffen‘“ zu wollen. Für Korn, der sich mit dem bloßen Appell nicht zufriedengeben wollte, lag der Ursprung dieser Misere auf der Hand: Es war an der Zeit, das Wertesystem grundlegend zu überdenken und sich aus politischer Lethargie und Untätigkeit zu befreien. „Es müßte endlich einmal etwas geschehen!“62, lautete sein Aufruf an die Politik. Bis dahin genieße eben weiterhin die Wirtschaft und nicht die Schulen, Krankenhäuser und Bibliotheken, sprich das Sozial-, Kultur- und Bildungswesen, eine Vorrangstellung. Dass Korn dem feuilletonistischen Räsonnement gesellschaftspolitische Relevanz beimaß, offenbarten auch die inständigen Warnungen vor einem Rückfall in die Vergangenheit. Als er 1957 über eine Tagung der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau zum Thema „Publikumsgeschmack“ referierte, verknüpfte er seine Zeitkritik mit der Erinnerung an das „Dritte Reich“. Den Nationalsozialismus charakterisierte er, sich und seinesgleichen folglich freisprechend, als Erhebung von „geistig Heimat- und Besitzlosen“, die sich „mit der feingeistigen Exklusivität der hochgebildeten Weimarer Jahre“63 nicht identifizieren konnten. Die Schlagwörter „Masse“, Moderne und Totalitarismus 59 60 61 62 63

Korn, Karl: Kann die Kultur noch gerettet werden? (= Rezension zu Hendrik de Man: „Vermassung und Kulturverfall. Eine Diagnose unserer Zeit“. München 1951), in: FAZ vom 22.3.1952, S. 23. Brief Karl Korn an Ernst Niekisch vom 6.11.1948, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Korn, Karl: Kann die Kultur noch gerettet werden? (= Rezension zu Hendrik de Man: „Vermassung und Kulturverfall. Eine Diagnose unserer Zeit“. München 1951), in: FAZ vom 22.3.1952, S. 23. Korn, Karl: „Eine Schicht von Gebildeten schaffen“, in: FAZ vom 3.7.1952, S. 1. Korn, Karl: Wer diktiert den Publikumsgeschmack?, in: FAZ vom 6.11.1957, S. 12.

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zeittypisch miteinander verknüpfend,64 schlussfolgerte er, „daß man eine Massengesellschaft nicht sich selbst überlassen darf.“ In den evangelischen Begegnungsstätten sah er dafür ein Instrument. Dort werde „frei, gelegentlich sogar radikal diskutiert“ und über die Religion etwas Verbindendes geschaffen. Diskussion und Diskussionsbereitschaft bildeten für Korn einen denkbaren Weg aus der Krise, ein Instrument der Selbstverständigung, ein Präventionsmedium, ein Mittel gegen die „Ohnmacht des Geistes“65. In den Romanen eines Autors fand Korn seine Gedankenwelt verdichtet widergespiegelt: Wolfgang Koeppen. Der Nachkriegsschriftsteller rückte in den 1950er Jahren durch die Gegenwartsromane „Tauben im Gras“ (1951) und „Das Treibhaus“ (1953) in die Öffentlichkeit. Anders als die meisten Nachkriegsautorinnen und -autoren wandte er sich von den dominierenden Themen Kriegserfahrung und Nachkriegsalltag ab und entwarf „ein beängstigend präzises Bild der Gegenwartsgesellschaft“66. Für Korn glich Koeppen daher einem Propheten, seine Werke markierten literarische Zäsuren. „Ein Roman, der Epoche macht“, lautete der Titel seiner Kritik zu „Tauben im Gras“, die im Oktober 1951 im FAZ-Literaturblatt erschien und die charakteristische, bisweilen saloppe Handschrift des Herausgebers trug. Korn nutzte Koeppens scharfzüngiges Panorama einer bayerischen Stadtgesellschaft, um auszuteilen. Es hagelte Hiebe auf den „Nazischwindel“, die Nachkriegsordnung, die Besatzungspolitik („Gouvernantenatmosphäre“) und den politischen Journalismus („Koeppens Buch sagt über die politische Gesamtsituation in diesem Land zwischen Ost und West mehr aus als ganze Jahrgänge von Leitartikeln“). In „Tauben im Gras“ erblickte Korn den lang ersehnten Zeitroman. Endlich war ein Buch erschienen, das in „erregende[r] Modernität“67 schildere, was die Deutschen wirklich umtreibe: Existenzangst, Anonymität, Besatzung, Reeducation und die Folgen einer politischen und wirtschaftlichen „Restauration“. Nach diesem überschwänglichen Lobeslied stieß auch „Das Treibhaus“, Koeppens „Roman über den Deutschen Bundestag“68 auf Begeisterung. Neben Korn war auch der Leiter des Literaturblattes angetan, beide hatten das Manuskript gelesen. Herbert Nette, der als Journalist, Verleger und Lektor 64 65 66 67 68

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 102. Korn, Karl: Wer diktiert den Publikumsgeschmack?, in: FAZ vom 6.11.1957, S. 12. Vgl. auch ders.: Surrogat der Freiheit. Kritisches Nachwort zu Fastnacht und Karneval, in: FAZ vom 24.2.1955, S. 8. Veit, Lothar: Einsam in der Menge. Der Schriftsteller in Wolfgang Koeppens Nachkriegsromanen. Marburg 2002, S. 12. Korn, Karl: Ein Roman, der Epoche macht (= Rezension zu Wolfgang Koeppen: „Tauben im Gras“. Stuttgart 1951), in: FAZ vom 13.10.1951, S. 10. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 14.

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in einer Person ein passables Erfolgsbarometer für diskutable Romanentwürfe abgab, hatte sich nach der Lektüre bei Scherz & Goverts mit Erfolg für die Drucklegung engagiert.69 Nachdem „Das Treibhaus“ erschienen war, meldete sich Korn im Literaturblatt vom 7. November  1953 erneut zu Wort. Wieder fand er rühmende Worte für Koeppen,70 diesmal für dessen „scharfe Politik- und Gesellschaftssatire“71, die sich um den politischen und privaten Schiffbruch eines sozialdemokratischen Abgeordneten dreht und die Skizze des „restaurativen“ Zeitalters fortführt.72 Bei Korn traf das Buch aus mehreren Gründen ins Schwarze. Er las es nicht nur als willkommenes Bekenntnis gegen die bevorstehende Wiederbewaffnung, sondern auch als Geschichte eines Intellektuellen, der zugrunde geht,73 weil er „im deutschen Heute nicht zu Hause ist“. Bei Koeppen fanden Korns Lamenti über die untergeordnete Stellung des Geistes eine Heimat, noch dazu eine Originelle: Durch seine verflechtende Erzählweise breche Koeppen aus „der onkelhaften Gartenlaubenharmlosigkeit“ der Gegenwartsliteratur aus, „die heute noch in den Formschablonen des neunzehnten Jahrhunderts Wirklichkeit einfangen wolle[n].“74 In der Öffentlichkeit blieb Korn mit dieser Kritik jedoch weitgehend allein. Auch seine Fürsprache änderte nichts daran, dass die junge Republik den links und pazifistisch konnotierten Romanen Koeppens nur einen bescheidenen Erfolg zuteilwerden ließ.75 Die Mehrheit zeigte sich von der Montagetechnik des Autors, der aggressiven Sprache und provokanten Kritik am Bonner Parlamentarismus mindestens irritiert.76 Für Korn hingegen war literarische Kritik am politischen System durchaus vertretbar. Literatur sei autonom, dürfe politische Aussagen treffen und müsse gleichwohl an literarischen Maßstäben gemessen werden.77

69 70 71 72

73 74 75 76 77

Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 477–479. Vgl. Korn, Karl: Satire und Elegie deutscher Provinzialität (=  Rezension zu Wolfgang Koeppen: „Das Treibhaus“. Stuttgart 1953), in: FAZ vom 7.11.1953, BuZ, S. 5. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 128. Vgl. in kompakter Form Schütz, Erhard: Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus, in: ders. / Agazzi, Elena (Hg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin / Boston 2013, S. 575–578; Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 16. Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 129. Korn, Karl: Satire und Elegie deutscher Provinzialität (=  Rezension zu Wolfgang Koeppen: „Das Treibhaus“. Stuttgart 1953), in: FAZ vom 7.11.1953, BuZ, S. 5. Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 529. Vgl. Reich-Ranicki, Marcel: Der Fall Wolfgang Koeppen. Ein Lehrbeispiel dafür, wie man in Deutschland mit Talenten umgeht, in: Die Zeit vom 8.9.1961, S. 15. Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 480–481.

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Projektionsfeld USA Eine Mitverantwortung für die Krisenhaftigkeit der Gegenwart trugen auch die USA. Mit dieser Vorstellung war Korn nicht alleine. Die Vereinigten Staaten, Sinnbild des Westens und Inkarnation der modernen Massengesellschaft,78 waren ein „Projektionsraum deutscher Ängste und Erwartungen“79. Das hatte Tradition. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich die USA in West- und Mitteleuropa zu einer Referenz für die Zukunft des europäischen Kontinents entwickelt. Sie verkörperten eine Modernität, die der europäischen Moderne zumindest zivilisatorisch überlegen schien. Während der eigene Kontinent Geistigkeit, Innerlichkeit und Idealismus repräsentierte, standen die USA für technisch-materiellen Fortschritt und Wohlstand.80 Die transatlantischen Transfers und Adaptionen „von Waren, Werten und Lebensstilen“81, von der Forschung mit dem Begriff der „Amerikanisierung“82 belegt, waren seit dem frühen 20. Jahrhundert entsprechend vielfältig. Sichtbar wurden die Einflüsse aus den USA etwa in der Musik (Jazz), der Architektur (Städtebau), der städtischen Alltagskultur (Konsum) und der Industrie (Produktionsmethoden).83 Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte das europäisch-transatlantische Verhältnis eine neue Qualität. Das galt vor allem für die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland, das seit dem Frühjahr 1945 vom amerikanischen Militär besetzt wurde. Trotz der anhaltenden Kritik an der Deutschlandpolitik und den Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten setzte sich die Orientierung gen Westen nun in neuer Intensität fort.  Während sich das Großprojekt Gesellschaftsreform – die Demokratisierung einer autoritär geprägten Gesellschaft – über mehrere Jahrzehnte erstreckte, traten die kulturellen Einflüsse unmittelbarer zutage. Der Blick in die USA „als Vorbild einer hochentwickelten Industriegesellschaft, als Musterland der modernen Warenwelt, kulturellen Avantgarde und gesamtgesellschaftlich akzeptierten

78 79 80 81 82

83

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 218. Ebd., S. 220. Vgl. Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik. München 2011, S. 170. Ebd. „Amerikanisierung“ meint laut Doering-Manteuffel „die Anverwandlung von Gebräuchen, Verhaltensweisen, Bildern und Symbolen bis hin zu Manifestationen der Warenwelt und künstlerischer Artikulation“. Im Unterschied dazu beschreibt der stärker ideengeschichtlich orientierte Begriff „Westernisierung“ die starke Zirkulation westlicher Ideen und Werte nach 1945. Doering-Manteuffel, Anselm: Amerikanisierung und Westernisierung, Version 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte vom 19.8.2019. Online unter: https://docupedia.de/zg/Doering-Manteuffel_amerikanisierung_v2_de_2019 (16.3.2022). Vgl. ebd.

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Alltagskultur“84 äußerte sich in vielfachen Adaptionen des American Way of Life. Die „bündnispolitische Westbindung im Alltag“85 vollzog sich vor allem in der Jugendkultur über die Jukebox und den Rock ‚n‘ Roll, Taschenbücher, Kinounterhaltung und Comics, um nur einige bekanntere Beispiele zu nennen,86 und belebte auch „die traditionellen bürgerlichen Kulturdünkel gegenüber ‚Amerika‘“87. Für Korn verkörperten die USA eine von wissenschaftlichem, technischem Fortschritt geprägte Moderne, die langfristig auch Europa erreichen würde. Umso interessierter wandte sich auch das Feuilleton den Schattenseiten dieser amerikanischen Version einer modernen Gesellschaft zu.88 Stichproben aus dem FAZ-Digitalarchiv zu den Schlagwörtern „USA“ und „Amerika“ zeigen, dass der nordamerikanische Kontinent im Feuilleton der 1950er Jahre nicht nur für technische und medizinische Innovation stand, wie Artikel zu den Themen Kernenergie und Haushaltsführung zeigen,89 sondern auch mit negativen Eigenschaften wie Maßlosigkeit konnotiert war.90 In eine andere Kerbe schlug Boveri, als sie 1952 das erfolgreiche Erstlingswerk des amerikanischen Zukunftsforschers Robert Jungk „Die Zukunft hat schon begonnen“ besprach.91 Von diesem Sachbuch, das vor den Gefahren des ungehemmten Fortschritts, blindem Optimismus und einem Nuklearkrieg warnte, war Boveri beeindruckt. Neben der Bedrohung durch den politischen Totalitarismus, so wusste sie nach der Lektüre zu berichten, kündige sich im 20. Jahrhundert eine subtil daherkommende technisch-wirtschaftliche Totalität amerikanischen Ursprungs an: „Wenn in den gedachten totalitären Utopien der Mensch aus politischen Gründen gelenkt, uniformiert, ausgerichtet, unterworfen und verwandelt wird, 84 85 86 87 88 89

90 91

Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 38. Vgl. ebd. Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 107. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 269–270. Vgl. beispielhaft Sturm, Vilma: Die Tasse mit dem Pistolengriff. Zu einer Ausstellung im Stuttgarter Landesgewerbemuseum, in: FAZ vom 7.4.1951, S.  8; Droscha, Hellmut: Radioaktive Isotope. Schönstes Geschenk der modernen Atomforschung, in: FAZ vom 30.1.1954, BuZ, S. 1; Kütemeyer, Wilhelm: Die Schizophrenie unserer Welt. Geisteskrankheit und Gesellschaft, in: FAZ vom 28.8.1954, BuZ, S. 4; Ulrich, Key L.: Die Küche von morgen, in: FAZ vom 30.3.1957, BuZ, S. 6. Vgl. etwa Böttiger, Th.: Der dicke kleine Bacchus aus Amerika, in: FAZ vom 3.1.1953, BuZ, S. 2. Vgl. dazu Eberspächer, Achim: Das Projekt Futurologie. Über Zukunft und Fortschritt in der Bundesrepublik 1952–1982 (=  Geschichte der technischen Kultur, Bd.  2). Leiden u. a. 2019, S. 45–46.

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[…] so geschieht es in den modernen amerikanischen Produktionsprozessen fast unbemerkt und nebenher, als Anpassung an die Maschine“92. Auch bei Rolf Schroers fungierten die USA als Modell für die negativen Folgen der Modernisierung, zu denen der Publizist insbesondere die Verwirtschaftlichung der Kultur rechnete. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse kritisierte er 1951 im Feuilleton den Einzug demoskopischer Methoden – „moderner Statistik, Meinungsbefragung und Meinungslenkung“93 – in den Kulturbetrieb. Damit reihte er sich in eine bis in die 1960er Jahre anhaltende Debatte über die Vor- und Nachteile der Meinungsforschung ein, die ihren Ursprung in der starken Ausbreitung demoskopischer Erhebungen seit 1945 hatte. Schon kurz nach dem Kriegsende hatten die amerikanischen Behörden in ihrer Besatzungszone Befragungen durchgeführt, um sich ein Bild über die öffentliche Meinung zur NS-Vergangenheit und zur Westbindung zu machen.94 Nach diesem Vorbild begannen bald auch EMNID und das 1947 gegründete Institut für Demoskopie Allensbach damit, kostbares Wissen über das Mindset der Gesellschaft zusammenzutragen. In der öffentlichen Wahrnehmung war der Einsatz demoskopischer Methoden deshalb ein weiterer Ausdruck für die „Amerikanisierung“ – und in Schroers‘ negativer Lesart auch für die Normierung – Deutschlands.95 Von deren Folgen sah der Autor nun auch den Buchmarkt betroffen. Sichtbares Zeichen dafür sei, dass Verlage Bestsellererfolge feierten und Buchgestaltungsfragen mehr Aufmerksamkeit widmeten, um möglichst hohe Auflagen zu erzielen. Durch derartige Steuerungsmechanismen werde jedoch die eigentliche Intention eines Buches, „den Charakter, den Leser zu verwandeln“, unterbunden. Das war aus Schroers‘ dystopischer Sicht kein Zufall. In der Gesellschaft sei Verwandlung nicht gewollt, weil sie Unordnung stifte. Wo nach Funktionen gefragt werde, sei „Charakter, das Ungenormte“ nicht erwünscht: „Nun, wir leben in einer technischen Welt,

92 93 94

95

Boveri, Margret: Erfüllte Utopie (= Rezension zu Robert Jungk: „Die Zukunft hat schon begonnen“. Stuttgart / Hamburg 1952), in: FAZ vom 11.10.1952, BuZ, S. 5. Schroers, Rolf: Der deutsche Leser ist noch nicht genormt. Aus Anlass der Frankfurter Buchmesse, in: FAZ vom 14.9.1951, S. 6. Vgl. Hoeres, Peter: Aneignung und Abwehr der Demoskopie im intellektuellen Diskurs der frühen Bundesrepublik, in: Kersting, Franz-Werner / Reulecke, Jürgen / Thamer, Hans-Ulrich (Hg.): Die Zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955–1975 (=  Nassauer Gespräche der Freiherr-vomStein-Gesellschaft, Bd. 8). Stuttgart 2010, S. 69–84, hier S. 70. Vgl. ebd., S. 72.

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die nur ganz bestimmte Handgriffe und Fertigkeiten verlangt, einen Automatismus, über den wir uns keine Rechenschaft ablegen und ablegen dürfen“96. Die Ökonomisierung der Kultur monierten auch andere Autorinnen und Autoren. Im Februar 1954 erklang im Feuilleton starke Kritik an der Kommerzialisierung der bildenden Künste. Wie eine unbekannte Stimme mit dem Kürzel „L. P.“ aus den USA berichtete, herrsche auf der anderen Seite des Atlantiks ein regelrechter „Kunst-Boom“: „Wo man hinsieht, erscheint sogenannte Kunst als Dekoration von Gegenständen des täglichen Gebrauchs, und man schreckt vor nichts zurück.“ Entsetzt schilderte L. P. ein neues druckgraphisches Verfahren, das die Übertragung von Bildmotiven auf unterschiedliche Materialien ermögliche und auf diese Weise aus Kunst triviale Massenware mache. Auch die Idee von „Malen nach Zahlen“, 1954 als „neuartige[r] Malkasten mit numerierten [sic!] Malvorlagen“ in die Öffentlichkeit eingeführt, erntete journalistischen Spott, führe es doch wie jede kommerzialisierte Kunst zur „Verkitschung alter und moderner Meister“. Kunst war exklusiv und sollte es auch bleiben. Um dieses Postulat zu unterstreichen, schreckte man nicht vor drastischen Vergleichen zurück: „Es ist eine Art Seuche, eine Epidemie, die rasend um sich greift“97, hieß es in dem mit „Toulouse-Lautrec im Aschenbecher“ überschriebenen Text. Im Kontrast zu Mittel- und Westeuropa wurden die USA im Feuilleton der frühen 1950er Jahre oft als kulturlos charakterisiert. Selbst der deutschamerikanische Filmkritiker Ernst Jäger betonte 1950 in erster Linie die Unterschiede zwischen den USA und Europa. Während Erstere Innovation versprächen, aber nur eine „dünne[n] Oberschicht der kritischen Intelligenz“ hätten, so Jäger aus Hollywood über die amerikanische Unterhaltungsindustrie, verkörpere Europa Ursprünglichkeit, Beständigkeit und Bildungstradition. In den Vereinigten Staaten werde man unterhalten; das „Sodom und Gomorra der Mord- und Totschlagsunterhaltung“ sei jedoch nur ein aggressives Mittel zur „Füllung für die Gans, die Reklame heißt.“ Unterhaltung unterliege dort ökonomischen Zwängen, sei „warengebunden und kunstfern“. Eine Ausnahme machte er gegen Ende seines Beitrags zwar schon, führte dafür aber ausgerechnet den deutschstämmigen Frank Wismar an, „der beste europäische Tradition in das Fernsehwesen einschmuggelt“. Wismar sei „ein Columbus des Einfachen, Klaren, Menschlichen unter den Wolkenkratzerhyänen“, seine Filme „das Beste im amerikanischen Fernsehfilmwesen“98. Jägers Kritik war kein Einzelfall. Das neue Bildmedium Fernsehen, das in den 1960er Jahren 96 97 98

Schroers, Rolf: Der deutsche Leser ist noch nicht genormt. Aus Anlass der Frankfurter Buchmesse, in: FAZ vom 14.9.1951, S. 6. L. P.: Toulouse-Lautrec im Aschenbecher, in: FAZ vom 27.2.1954, S. 13. Jäger, Ernst: Amerikas „Lessing“ von heute, in: FAZ vom 22.3.1950, S. 9.

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zum Leitmedium der Bundesrepublik avancierte, stieß im Feuilleton grundsätzlich auf wenig Gegenliebe. Wie Adorno, der Helene Rahms 1956 ermuntern wollte, auf der Grundlage seiner Studien etwas über den „Antiintellektualismus“ des Fernsehens zu schreiben,99 kritisierte das Ressort die Banalität und Einfallslosigkeit des anfangs noch stark am Rundfunk orientierten Fernsehprogramms.100 In Sendungen wie „Aktenzeichen XY“, bemängelten Robert Held und Günther Rühle noch Ende der 1960er Jahre in der Redaktionskonferenz, werde „eine ‚Denunziationspsychose‘ gezüchtet“101, in Kriminalfilmen „die kriminelle Phantasie angeregt“102, wie Rahms zu wissen meinte. Noch dazu fürchtete man die am Medienhimmel aufziehende Konkurrenz, die das mühevoll herangezogene „Reservoir an Geistesarbeitern“103 mit unwahrscheinlich hohen Gehältern und Aufstiegschancen in die Fernsehanstalten locke. Doch am Fernsehen kam man freilich nicht vorbei. Distanz durfte bewahrt, der Anschluss – auch an die fernsehaffine Konkurrenz in Gestalt der Presse des Axel Springer Verlags – aber nicht verpasst werden.104 1953 beschlossen die FAZ-Herausgeber, das Fernsehprogramm vereinzelt zu untersuchen,105 1956 führten sie mit dem „Tagebuch des Fernsehers“ die erste feste FernsehRubrik ein. Das war im Vergleich zur Zeit, die erst Ende des Jahrzehnts, dann allerdings wöchentlich, eine erfolgreiche Kolumne einrichtete,106 zwar recht früh, aber auch nicht besonders innovativ. Die SZ hatte schon 1955 in der Rubrik „Deutsches Fernsehen“ begonnen, das Fernsehprogramm einer Analyse zu unterziehen.107 1969 richtete sie als erste deutsche Tageszeitung eine Medienseite ein.108 Das kolumneartige „Tagebuch des Fernsehers“, das von Ernst Johann (Kürzel E.J.) verfasst wurde, erschien etwa alle zwei Wochen im FAZ-Feuilleton und bot einen persönlichen, kritischen, oft auch humoristischen Kommentar 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108

Vgl. den Brief von Theodor  W.  Adorno an Helene Rahms vom 17.7.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1174. Vgl. p. chr. b.: Fernsehen ist gar nicht so schlimm, in: FAZ vom 18.2.1953, S. 8. Vgl. das Protokoll der Redaktionskonferenz vom 28.11.1968, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 14.1.1969, in: ebd. Vgl. den Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 2.1.1963, in: ebd., Herausgeber  2.1.1962–5.8.1963. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 22.4.1970, in: ebd., H 1.1.1969–31.3.1971. Zu dieser Ambivalenz vgl. das Protokoll der Redaktionskonferenz vom 22.1.1970, in: ebd., Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971. Aktennotiz zur Herausgebersitzung am 10.6.1953, in: ebd., Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. Vgl. Leonhardt, Rudolf Walter: Tausendundkein Momos, in: Die Zeit vom 22.2.1985, S. 63. Vgl. Morlock, Martin: Kullertränchen oder Das synthetische Gewissen, in: SZ vom 8.6.1955, S. 11. Vgl. Wilke: Leitmedien (1999), S. 312.

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über die Höhepunkte der vergangenen Fernseh-Wochen.109 Während sich Johann, hauptberuflich Cheflektor bei S. Fischer, das anspruchsvolle Fernsehprogramm vorknüpfte, widmete sich die freie Journalistin Christa Rotzoll in den 1960er Jahren scharfzüngig der leichten Kost, den Fernsehshows.110 Mit der steigenden Bedeutung des Fernsehens wechselte das „Tagebuch des Fernsehers“ zur häufigeren Erscheinungsweise: Ab 1961 erschien es wöchentlich, seit 1967 alle drei bis fünf Tage und in den 1970er Jahren fast täglich. 1970 führte die FAZ eine Programmvorschau ein, allerdings nicht im Feuilleton, sondern im Ressort „Deutschland und die Welt“. Ungeachtet dieser Bemühungen, dem Zeitgeist durch eine flächendeckendere Berücksichtigung des Fernsehens gerecht zu werden,111 fiel die Berichterstattung über das Bildmedium in den 1950er und 1960er Jahren recht selektiv aus. Gerade im Feuilleton war die Skepsis gegenüber publikumsorientierter Unterhaltung („Massenkultur“) deutlich spürbar. Damit war es freilich nicht allein. „Am Gegenstand des Fernsehens“, so Christina von Hodenberg über den intellektuellen Konsens der 1950er Jahre, „ließen sich wesentliche Aspekte kulturpessimistischer Moderneskepsis paradigmatisch bündeln: Die Mattscheibe eignete sich als Symbol für Massengeschmack, dämonische Züge neuer Techniken und entfremdete Freizeitgestaltung.“112 Mit diesen Einwänden begegnete man auch 109 Vgl. E.J. (= Ernst Johann): Tagebuch des Fernsehers, in: FAZ vom 6.1.1956, S. 8; ders.: Das Zehn-Tage-Spitzenprogramm. Tagebuch des Fernsehers, in: FAZ vom 15.8.1957, S. 8; ders.: Politische Nachdenklichkeiten. Tagebuch des Fernsehers, in: FAZ vom 8.2.1960, S. 16. 110 Vgl. Rotzoll, Christa: Von Tricks und Vorwänden. Revue der Fernseh-Schauen, in: FAZ vom 7.2.1963, S. 18; dies.: Schrecken des Charmes. Wohin rollst du, Fernseh-Schau?, in: FAZ vom 31.7.1963, S. 20. 111 Vgl. den Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 30.1.1963, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 2.1.1962–5.8.1963. 112 Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S.  33. Zur Spiegel-Fernsehkolumne vgl. Weingart, Brigitte: Fatales Wort in Gänsefüßchen. „Unterhaltung“ im Mediendiskurs der 50er Jahre, in: Schneider, Irmela / Spangenberg, Peter M. (Hg.): Medienkultur der 50er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 1. Wiesbaden 2002, S. 299–321, hier S. 315–316. Dem als „Kunstmittel“ betrachteten Film dagegen schenkte das FAZ-Feuilleton von Anfang an viel Aufmerksamkeit. Vgl. Krüger, Answald: Was fehlt dem deutschen Film?, in: FAZ vom 4.3.1950, S.  9. Korn, der erste Feuilletonchef Martin Ruppert und später auch Brigitte Jeremias waren begeisterte Filmkritikerinnen und -kritiker. Über die großen nationalen und internationalen Filmereignisse wie die Filmfestspiele in Cannes, die Internationalen Filmfestspiele in Venedig, die Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen und die Berliner Filmfestspiele wurde im Feuilleton, das seine Kritikerinnen und Kritiker zu diesen Anlässen oft für mehrere Tage entsandte, eingehend berichtet. Korn wurde 1955 als erster Deutscher in die Jury von Cannes gewählt, 1956 wurde er Mitglied der „Filmbewertungsstelle der Länder der Bundesrepublik Deutschland“. Seine Besprechungen sorgten oft für Furore und wurden über Frankfurt hinaus zum Gesprächsthema. Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 29.12.1954, in: DLA Marbach,

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anderen Formen der Unterhaltung. Davon, einer Schlagerparade, einem Illustriertenroman oder einer Quizsendung das Prädikat „Kultur“ zu verleihen, war das Feuilleton weit entfernt.113 Mit ähnlicher Skepsis blickte man in den 1950er Jahren auf andere Impulse, die vom amerikanischen auf den europäischen Kontinent überzugehen drohten: die von kommerziellen Interessen geleitete Sexualisierung der Gesellschaft, die sich vor allem in der Unterhaltungskultur bemerkbar machte.114 Themen wie Sexualität gehörten schon viele Jahre vor „1968“ zum Mediendiskurs,115 wenngleich sich die FAZ mit expliziten Benennungen des Phänomens zurückhielt. Der Begriff „Sex“ tauchte in den 1950er Jahren in erster Linie als Bestandteil der aus dem Amerikanischen übernommenen Wortschöpfung „sex appeal“ auf und wurde, falls vereinzelt doch verwendet, meist in Anführungszeichen gesetzt.116 Der philosophische „Eros“, der letztlich alles meinen konnte, war deutlich populärer.117 In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre etablierte sich der Begriff allmählich, durchsetzen konnte er sich aber erst in den 1960er Jahren, als seine Verwendung im Vergleich zum vorangegangenen Jahrzehnt fast um das Fünffache von 160 auf 775 Nennungen anstieg. In jeder FAZ war er nun im Durchschnitt mindestens zwei Mal vertreten. Doch nicht allein sprachlich hoben sich die Sexualitätsdiskurse der 1950er Jahre von denen späterer Dekaden ab, als sogar ein FAZ-Korrespondent wie der aus Paris berichtende Bökenkamp einen Sexshop betrat, um das Publikum und seine Kaufentscheidungen für die Zeitung zu skizzieren.118 In den 1950er Jahren blieb man

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A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 7.2.1955, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. Zur Filmkritik vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 190–192; Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 237–242. Vgl. Korn, Karl: Wohlstand und Kulturkritik, in: FAZ vom 8.10.1960, BuZ, S. 4. Vgl. Eder, Franz  X.: Die lange Geschichte der „Sexuellen Revolution“ in Westdeutschland (1950er bis 1980er Jahre), in: Bänziger, Peter-Paul u. a. (Hg.): Sexuelle Revolution? Zur Geschichte der Sexualität im deutschsprachigen Raum seit den 1960er Jahren (=  1800  |  2000. Kulturgeschichten der Moderne). Bielefeld 2015, S.  25–59, hier S.  26; Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 358. Zur Kommerzialisierungskritik am Beispiel von „Sexualfilmen“ vgl. H.R. (= Helene Rahms): „Aufklärung“, in: FAZ vom 9.3.1953, S. 6. Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 7, 10–11. So etwa bei Drews, Wolfgang: Shakespeare gut! – Rothe gut? In den Münchner Kammerspielen, in: FAZ vom 6.1.1950, S. 5; Lietzmann, Sabina: Der Triumph des kleinen Mannes. Eine Bilanz der Berliner Filmfestspiele, in: FAZ vom 22.6.1951, S. 6; Korn, Karl: Mensch und Form unserer Zeit. Die Ausstellung der diesjährigen Ruhrfestspiele, in: FAZ vom 8.7.1952, S. 8. Zur Zerstörung des Eros durch den sogenannten „Pansexualismus“ vgl. Korn, Karl: Heilige Nüchternheit, in: FAZ vom 16.3.1951, S. 6. Vgl. Bökenkamp, Werner: Pornographie und Sexualität in Frankreich. Die öffentliche Moral ist im „Land der Liebe“ immer noch streng, in: FAZ vom 17.2.1971, S. 28.

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lieber auf Distanz zu einem Themengebiet, über das sich offenkundig nicht ganz freimütig philosophieren ließ. Distanz blieb vor allem dann mühelos gewahrt, wenn es um Fragen der Wissenschaft und Forschung ging. Das Ressort „Natur und Wissenschaft“, wo am 3. Mai 1968 in einem Beitrag über Sterilisation erstmals der Begriff „Kondom“ fiel,119 war dafür prädestiniert, schließlich fiel die Sexualforschung seit dem späten 19. Jahrhundert in den Zuständigkeitsbereich der medizinischen, biologischen und psychiatrischen Forschung.120 Bevor das Ressort 1958 eingeführt wurde, brachte auch das Tagesfeuilleton von Zeit zu Zeit Artikel etwa über die im Wiederaufbau begriffene deutsche Sexualforschung, die ihre erste institutionelle Heimat unter Hans Giese in Frankfurt fand.121 „Die Sexualwissenschaften sind fraglos so notwendig, wie sie anrüchig sind“, schrieb der freie Mitarbeiter Paul Lüth122 im April 1950 unter dem vielsagenden Titel „Das Böse nicht verkennen“ über die erste sexualwissenschaftliche Fachtagung in Frankfurt nach 1945.123 Sich mit der menschlichen Sexualität zu beschäftigen, so war einleitend zu lesen, sei wichtig, weil die Sexualwissenschaft Erkenntnisse für die Kriminalistik, Rechtsprechung und Medizin liefern könne. Zweifel meldete Lüth, der zwischen den Zeilen mokant auf die Homosexualität des Organisators Giese anspielte, hingegen an den Motiven hinter der Forschung an. Sexualforschung gehe demnach häufig von Forschenden mit abweichenden sexuellen Präferenzen aus, die die „sexualwissenschaftlichen Bestrebungen auf Tendenzen festlegen [möchten], die mit ihnen primär nichts zu tun haben.“124 Die Sexualwissenschaften waren für Lüth, der sein stark normatives Urteil nicht

119 Vgl. N. W.: Unfruchtbarkeit durch Antikörper. Sterilität durch Immunisierung noch keine Methode zur Geburtenkontrolle, in: FAZ vom 3.5.1967, S. 37. 120 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 140. 121 Vgl. Sigusch, Volkmar: Geschichte der Sexualwissenschaft. Frankfurt am Main  / New York 2008, S. 391. 122 Bei dem Tagungsreferenten Paul Lüth handelt es sich wahrscheinlich um den Kopf des rechten, streng antikommunistischen und 1953 verbotenen „Bundes deutscher Jugend“ (BDJ), der sich später als Landarzt und Medizinsoziologe betätigte. Lüth schrieb seit 1950 medizinische Beiträge und Rezensionen für das FAZ-Feuilleton, bis 1952 Ermittlungen gegen ihn und den „Technischen Dienst“ des BDJ, einer paramilitärischen Geheimorganisation, eingeleitet wurden. Neben der Zeit versuchte auch der FAZ-Politikteil die brisanten Enthüllungen über die antidemokratischen Tendenzen in der jungen Bundesrepublik zu bagatellisieren. Vgl. Gussone, Clemens: Reden über Rechtsradikalismus. Nicht-staatliche Perspektiven zwischen Sicherheit und Freiheit (1951–1989). Göttingen 2020, S. S. 72–73. 123 Vgl. Sigusch: Geschichte der Sexualwissenschaft (2008), S. 393. 124 Lüth, Paul: Das Böse nicht verkennen. Erste sexualwissenschaftliche Arbeitstagung in Frankfurt, in: FAZ vom 18.4.1950, S. 7.

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zurückhielt, vor allem eine Wissenschaft des Andersartigen, Abweichenden, Perversen.125 Die Sexualitätsdiskurse der 1950er Jahre, an denen sich auch die Kirchen beteiligten, standen auch in der FAZ unter moralpädagogischen Prämissen. Die Ehe war der institutionelle Rahmen, in dem sich die Sexualität zwischen Mann und Frau abspielen sollte. Ihre Auflösung – bis 1950 waren die Scheidungsraten stark angestiegen –126 kam „eine[r] Gefährdung der sozialen Ordnung“ gleich, wie Nette 1952 in einem Referat über die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung schrieb. Durch die „Schaffung sexuell neutraler Räume durch Sport und Beruf“ sei der „Abbau des Erotischen“127 bereits im Gange. Sexuelle Normen und gesellschaftliche Ordnung wurden stets zusammengedacht.128 Im Feuilleton sorgte man sich aber nicht nur um die Erosion der ehelichen Beziehungen, sondern auch um „die sexuelle Not der heutigen Jugend“129. Die Nachkriegszeit, so Leo Nitschmann im Herbst 1952 unter Berufung auf soziologische Studien, habe eine „übermäßige Steigerung der sexuellen Neugier und verderbliche Einflüsse für die psychische Entwicklung“130 der Heranwachsenden zur Folge. Auch Korn, der seine Kritik zu dem US-Film „Blackboard Jungle“ nutzte, um erneut mit der Reeducation abzurechnen, diagnostizierte 1955 eine „Verwahrlosung der halbwüchsigen Jugend“ durch die moderne Zivilisation. „Anarchie, Terror, Sadismus“ würden „durch die erotischen Hinter- und Untergründe erst verständlich“131. „Indessen, was da heute an den Wänden der Kioske, in den Auslagen der Zeitungsstände paradiert und sich vor dem Blick jedes Passanten ausbreitet, das ist keine reine Freude“, befand auch Nette im März 1950. Ähnlich wie 125 Dass Homosexualität in den 1950er Jahren als abnormal galt, belegen auch andere Texte. So heißt es in einem Artikel über die Kunstfreiheit in Frankreich vom 10. Dezember 1949: „Immer wieder seit den Tagen des dritten Napoleon ist die Grenze zwischen Kunst und Anstößigem nach der einen Seite verschoben worden. Die Homosexualität (um nur ein Beispiel zu nennen, das auf jeden Fall weniger pikant als abstoßend wirken muß), […] diese Perversion kann den Bürger von heute nicht mehr schrecken.“ ld.: Soll die Kunst „anständig“ sein?, in: FAZ vom 10.12.1949, S. 9. Vgl. auch S.-F. (= Hans Schwab-Felisch): Ein überflüssiger Film. „Anders als du und ich“, in: FAZ vom 6.11.1957, S. 12. 126 Vgl. Schildt, Axel: Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 80). München 2007, S. 6. 127 Nt. (= Herbert Nette): Sexualität und Sozialordnung, in: FAZ vom 31.7.1952, S. 4. 128 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 7. 129 Falkenberg, Hans-Geert: „Primanerinnen“. Ein neuer Göttinger Film, in: FAZ vom 15.12.1951, S. 17. 130 Nitschmann, Leo: Ist die heutige Jugend haltlos? Eine Studie zur Soziologie der deutschen Nachkriegsjugend, in: FAZ vom 17.10.1952, S. 6. 131 Korn, Karl: Ein entlarvender Film. „Blackboard Jungle“ in deutscher Synchronisation, in: FAZ vom 29.10.1955, S. 20.

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in den etwa zeitgleich aufkommenden Diskussionen um die Importware Comic, stellte der Literaturredakteur einen kausalen Wirkungszusammenhang zwischen der Lektüre von „Schmuddelwaren“, jugendlicher Verdorbenheit und Gewalttätigkeit her. Die Gefahren seien vor allem für das weibliche Geschlecht enorm: „Nimmt man hinzu […], daß im Unbewußten jeder Frau und jedes Mädchens der Wunsch nach erotischer Macht lebt, so kann man sich ausdenken, welche Folgen es für die seelische Entwicklung junger Menschen hat, wenn sie unter der unwägbaren, ständigen Einwirkung so sensationeller und lüsterner Leitbilder aufwachsen.“132 Staatliche Kontrolle oder verbindliche Normen, wie sie in der „Schmutz und Schund“-Debatte um 1950 vielfach gefordert wurden,133 unterstützte das FAZ-Feuilleton indessen ebenso wenig wie die von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft vorgegebene Geschlechtertrennung bei der Aufführung von sogenannten „Sexualfilmen“.134 Mit den „Kinsey-Reports“, die 1954 und 1955 in deutscher Sprache erschienen, erhielt das Thema neuen Auftrieb. Spätestens mit diesen beiden Veröffentlichungen, die in den USA und in der Bundesrepublik einen Skandal auslösten, wurde Sex zu einem öffentlich verhandelbaren Thema.135 Der amerikanische Zoologe Alfred C. Kinsey, Gründer des Institute for Sex Research an der Universität von Indiana, hatte sich erstmals auf breiter empirischer Basis mit dem menschlichen Sexualverhalten beschäftigt. Die Ergebnisse des auf Interviews und Fragebögen basierenden Forschungsprojektes veröffentlichte er in zwei Bänden: „Sexual Behaviour of the Male“ (1948) und „Sexual Behaviour of the Female“ (1953). Allen voran die kirchlichen Meinungsführer waren ob dieses Vorstoßes und Verstoßes gegen die Sexualmoral entsetzt. Kinseys Forschungen zeigten, dass es in der Bevölkerung der größten westlichen Demokratie zweifellos unterschiedliche sexuelle Vorlieben gab und dass vorehelicher Sex, Homosexualität und Masturbation alles andere als Ausnahmeerscheinungen waren. Kinsey, der auch die vorherrschenden Rollenbilder in Frage stellte, forderte außerdem eine rechtliche und gesellschaftliche Liberalisierung der Sexualität,

132 Nette, Herbert: Kunst, Kiosk und Staatsanwalt. Zur Frage eines Gesetzes gegen Schund und Schmutz, in: FAZ vom 24.3.1950, S. 8. 133 Vgl. Blaschitz, Edith: Der „Kampf gegen Schmutz und Schund“. Film, Gesellschaft und die Konstruktion nationaler Identität in Österreich (1946–1970) (= Österreichische Kulturforschung, Bd. 16). Wien / Berlin 2014, S. 9. 134 Vgl. K.K. (= Karl Korn): Eva und der Frauenarzt. Ein sogenannter Sexualfilm, in: FAZ vom 2.4.1951, S. 4. 135 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 11.

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schließlich hatte er die Unterscheidung zwischen „natürlichen“ und „unnatürlichen“ Sexualpraktiken ad absurdum geführt.136 Anders als einige große Zeitschriften spielte die FAZ bei der Popularisierung der „Kinsey Reports“ keine zentrale Rolle.137 Die amerikanischen Originale waren nur mit kurzen Meldungen bedacht worden,138 eine eingehende Auseinandersetzung mit den Thesen erfolgte erst nach der deutschen Übersetzung. Der Spiegel hatte 1950 das erste Portrait Kinseys gebracht,139 die SZ im September 1953 eine Reportage140 und einen satirischen Kommentar „Für und Wider“ veröffentlicht. Gerade letztere zeigte, dass das Thema Sexualität in der jungen Bundesrepublik auch als „Feld der kulturellen Abrechnung mit den Amerikanern“141 diente. Mit reichlich Spott auf den Lippen zeichnete Erich Kuby in der SZ das Bild eines prüden Kontinents mit „überaus merkwürdige[r] Moral, oder wie man das nennen soll“, das erst Zahlen und eine Statistik benötige, bevor es über „diese Seite des natürlichen Lebens“ spreche. Wie viele andere Publizisten war auch Kuby überzeugt, dass Kinseys zweifelhafte Forschungen wenn überhaupt amerikanische Verhaltensweisen abbildeten.142 Sein Fazit lautete daher, „daß eine hochtechnisierte Zivilisation im Verein mit puritanischer Moral und Verlogenheit, sowie Langeweile […] ein ganz bestimmtes Verhalten in sexueller Hinsicht bewirkt. Es unterscheidet sich von dem glücklicherer Völker vor allem darin, daß Eros dabei nicht mitwirkt.“143 In der FAZ, die im Juni 1954 „Das sexuelle Verhalten der Frau“ besprechen ließ, war man positiver gestimmt, obgleich der „Kinsey-Report“ auch hier als etwas spezifisch Amerikanisches gelesen wurde. Erich  R.  Keilpflug würdigte ihn als mutigen Schritt und „gewaltige Leistung“. Es handle sich, schrieb er in der Beilage vom 26. Juni, um eine „gewissenhaft und objektiv aufgestellte[n] Statistik“, die wichtiges, sachlich aufbereitetes Universalwissen zur Verfügung stelle. Kinseys Forschungen seien vom „Eiswind des reinen Denkens“ geprägt 136 Vgl. Reinecke, Christiane: Statistiken der Liebe oder: Dr. Kinsey fragt die Frauen. Umfrageforschung und ihre mediale Vermarktung in transnationaler Perspektive, in: Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung 21 (2011), H. 4, S. 29–44, hier S. 33; Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 142–143. 137 Vgl. Eder: Die lange Geschichte der „Sexuellen Revolution“ (2015), S. 31. 138 UP: Lockerung der Anschauungen, in: FAZ vom 22.8.1953, S. 4; o. A.: Der neue KinseyReport, in: FAZ vom 31.8.1953, S. 8; UP: Ein Anti-Kinsey, in: FAZ vom 8.1.1954, S. 8. 139 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 180. 140 O. A.: Doktor Kinsey hat nichts mehr zu lachen. Amerikas erzürnte Frauen wenden sich geschlossen gegen den Sexualforscher und sein neuestes Werk, in: SZ vom 29./30.9.1953, S. 3. 141 Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 169. 142 Vgl. Eder: Die lange Geschichte der „Sexuellen Revolution“ (2015), S. 37. 143 Eky (= Erich Kuby): Für und Wider. Kinseys Spatzen, in: SZ vom 29./30.9.1953, S. 18.

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und deshalb vorbildlich. Keilpflug maß ihnen in erster Linie anthropologischmedizinischen Nutzen bei, sah in den Ergebnissen aber auch eine Bestätigung der christlichen Morallehre. Die Statistiken bekräftigten in seinen Augen die triebhemmende, regulierende Kraft der Ehe.144 Im Februar 1955 folgte am selben Ort die Kritik zum ersten Band „Das sexuelle Verhalten des Mannes“. Der Offenbacher Arzt Hermann Frühauf attestierte Kinsey, „eine geistige Revolution in Gang gesetzt“145 zu haben, konnte daran aber nichts Positives finden. Wie viele Kritikerinnen und Kritiker Kinseys bemängelte er die empirische Basis seiner Studien und erhob Zweifel am Zusammenspiel von Demoskopie und Sexualforschung.146 Die Statistik zählte, das war anders als bei Keilpflug deutlich herauszulesen, noch nicht zu den Standards der Wissenserzeugung.147 Frühauf beließ es nicht bei einem wissenschaftlichen Urteil. Im Unterschied zu seinem Vorgänger missbilligte er den Versuch, „durch eine Art demokratischen Verfahrens das Moralgesetz umzustoßen“ und kritisierte das Menschenbild. Die Sexualforschung nach Kinsey degradiere den Menschen zum biologischen Wesen, wichtige Elemente der Sexualität wie die Liebe, Mutter- und Vaterschaft oder der Zeugungsprozess würden von ihr getrennt. Frühauf sah darin einen Angriff auf den „Sittenkodex“ und rief zum Protest auf.148 Offenkundig sorgten Kinseys Realitäten, die in konservativen Kreisen zum Inbegriff der krisenhaften Moderne wurden,149 auch in der FAZ für nachhaltige Irritation. Bevor die Enttabuisierung der Sexualität in den 1960er Jahren zum Ausweis fortschrittlichen demokratischen Denkens wurde,150 waren mit ihrer Regulierung der Schutz und Bestand der gesellschaftlichen Ordnung verknüpft. Näher als Kinsey stand das Feuilleton dem deutschen Soziologen Helmut Schelsky, der zu den bekanntesten Vertretern einer konservativen Sozialphilosophie zählte.151 Schelsky veröffentlichte 1955 mit seiner „Soziologie der Sexualität“ nicht nur eine Replik auf Kinsey, sondern auch das erste Buch in deutscher Sprache, das das Thema Sexualität kulturell und gesellschaftlich 144 Vgl. Keilpflug, Erich R.: Unsere Tabus und der Kinsey Report, in: FAZ vom 26.6.1954, BuZ, S. 4. 145 Frühauf, Hermann: Der Kinsey-Report über das Sexualleben des Menschen, in: FAZ vom 26.2.1955, BuZ, S. 4. 146 Vgl. Reinecke: Statistiken der Liebe (2011), S. 34. 147 Vgl. ebd., S. 30–31. 148 Vgl. Frühauf, Hermann: Der Kinsey-Report über das Sexualleben des Menschen, in: FAZ vom 26.2.1955, BuZ, S. 4. 149 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 153. 150 Vgl. ebd., S. 279. 151 Vgl. ebd., S. 223.

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kontextualisierte.152 Schelsky kritisierte sowohl die biologische Verengung von Sexualität durch Kinsey als auch die Popularisierung seiner Forschungen in der Öffentlichkeit, die er wegen ihres demoralisierenden Charakters für bedenklich hielt.153 Dass eine Gesellschaft sexualmoralische Werte und Normen habe, war in Schelskys Augen für ihre Stabilität unerlässlich.154 Korn, der sich noch 1971 über eine vermeintlich frivole, humoristische Glosse des Wirtschaftsredakteurs Jürgen Jeske über Herrenunterwäsche beschwerte,155 war von der „Soziologie der Sexualität“ angetan. Im Feuilleton lobte er das Werk im Dezember 1955 als „eine Arbeit aus modernem wissenschaftlichen Geiste“156. Die Wehrfrage Während die kulturelle Westorientierung vor allem deshalb besorgniserregend schien, weil man um die kulturelle Substanz des Landes und die eigene Stellung in einer homogenisierten „Massengesellschaft“ fürchtete, weckte die politische Westbindung andere Sorgen. Mit Beginn des Kalten Krieges 1947, der zwei Jahre später folgenden deutschen Staatsgründung und dem Ausbruch des Koreakrieges 1950 waren von alliierter Seite Überlegungen angestellt worden, mit einem weithin demokratisierten, langfristig an die Westmächte angegliederten Westdeutschland ein Bollwerk gegen die Sowjetunion zu errichten.157 Dazu bedurfte es jedoch nicht nur weltanschaulicher Überzeugungsarbeit, sondern auch der Wiederbewaffnung eines Landes, das erst wenige Jahre zuvor auf den Schlachtfeldern Europas bekämpft worden war. Waren die Vorbehalte gegenüber der politischen Westintegration anfangs schon nicht unerheblich – auch Korn hatte in seiner Korrespondenz für eine europäische Existenz „zwischen den Kolossen“158 votiert, um die „Möglichkeit der spontanen freien Entscheidung 152 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 226. 153 Vgl. Liebeknecht, Moritz: Wissen über Sex. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung im Spannungsfeld westdeutscher Wandlungsprozesse. Göttingen 2020, S. 119. 154 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 226. 155 Vgl. das Protokoll der Tageskonferenz vom 1.3.1971 in: FAZ-Archiv, Protokolle der Tageskonferenzen bis 1.10.1971. Bei dem beanstandeten Artikel handelte es sich um J.J. (= Jürgen Jeske): Die Unaussprechlichen, in: FAZ vom 27.2.1971, S. 17. 156 Korn, Karl: Rowohlts deutsche Enzyklopädie (= Rezension zu Helmut Schelsky: „Soziologie der Sexualität“. Hamburg 1955), in: FAZ vom 3.12.1955, BuZ, S. 5. 157 Vgl. Rupieper, Hermann-Josef: Peacemaking with Germany. Grundlinien amerikanischer Demokratisierungspolitik 1945–1954, in: Bauerkämper, Arnd / Jarausch, Konrad H. / Payk, Marcus M. (Hg.): Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970. Göttingen 2005, S. 41–56, hier S. 51. 158 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 22.4.1948, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Schon Ende des Jahres 1947 hatte Korn von seiner Hoffnung berichtet, „dass die Westlichen es nicht zu einem Weststaat kommen lassen und dass die Östlichen der Versuchung

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und des Gesprächs“159 zu erhalten –, so waren es die Einwände gegen eine Remilitarisierung Deutschlands im Rahmen des westlichen Bündnissystems umso mehr.160 Bis heute gilt die Wiederbewaffnung als „eine[r] der größten Streitfragen in der Geschichte der Bundesrepublik“161. Dass sie von der Bevölkerungsmehrheit zunächst mit großer Skepsis begleitet wurde, hatte mehrere Gründe. Zum einen war die Erinnerung an den wenige Jahre zurückliegenden Krieg noch nicht ganz verblasst und zum anderen fürchtete man im Fall einer militärischen Aufrüstung nicht nur, in einen atomaren Schlagabtausch zwischen den Supermächten verwickelt zu werden, sondern auch eine Verfestigung der deutschen Teilung.162 Die Frage, ob Westdeutschland nur zehn Jahre nach dem Ende des letzten Krieges mit Waffen und militärischem Personal ausgestattet werden sollte, berührte aber noch etwas Tieferliegendes: Zweifel an der Tragfähigkeit und Stabilität der jungen deutschen Demokratie.163 In puncto Westbindung und Wiederbewaffnung war auch die FAZ gespalten. Paul Sethe, bis 1955 verantwortlich für den Politikteil der Zeitung, war einer außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Annäherung an Westeuropa und die Vereinigten Staaten nicht grundsätzlich abgeneigt. Wie weite Teile der Redaktion betrachtete er die USA als „Vorbild und (…) Schutzmacht der Freiheit“164. Oberstes Gebot aber, und hierin unterschied sich Sethe von vielen Kollegen, war für ihn eine rasche, friedliche Wiedervereinigung, der es unbedingt Vorrang einzuräumen galt. Dafür hätte Sethe auch in Kauf genommen, dass sich die Bundesrepublik zur Neutralität verpflichtet, also auf eine militärische Integration in das Westbündnis verzichtet. In einer offensiven Außenpolitik der Westintegration, wie sie von Adenauer zur Wiedererlangung staatlicher Souveränität verfolgt und nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit dem Beitritt zur WEU und NATO und mit der Gründung der Bundeswehr 1955 realisiert wurde, sah Sethe eine Barriere für die Wiedervereinigung in naher Zukunft. In Abweichung zu den Herausgeberkollegen Erich Dombrowski und Hans Baumgarten, die Adenauers Kurs unterstützten, machte er sich für die Berücksichtigung der sowjetischen Perspektive,

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widerstehen, Konsequenzen zu ziehen“. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 25.12.1947, in: ebd. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 25.12.1947, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 321–322. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 15. Vgl. ebd., S. 31. Vgl. Jarausch: Amerikanische Einflüsse (2005), S. 57–58; Lüdeker, Gerhard: Zwischen Schwank und Drama. Emotionslenkung, Erinnerungsarbeit und Gesellschaftskritik in der Filmtrilogie 08/15, in: Augenblick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 54/55 (2012), S. 106–119, hier S. 106. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 111.

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für Offenheit und Gesprächsbereitschaft stark.165 Damit stieß er nicht nur in Teilen des Herausgebergremiums und im Förderkreis auf Gegenwind, sondern auch beim Bundeskanzler selbst.166 Blieb Sethe in der Politikredaktion mit seiner Kritik an der unbedingten Westintegration allein, so fand er in Korn eine Art Gleichgesinnten. Auch Korn, den Ängste vor einem weiteren Krieg umtrieben,167 war der Ansicht, „dass wir die Wiederherstellung unserer Einheit als unser erstes Problem zu betrachten und zu lösen haben“. Sei dieses Ziel erreicht, ließ er Niekisch im Oktober 1951 wissen, wolle er gerne „in Freiheit und unter den Verhältnissen eines Rechtsstaats“168 leben. Bis dahin sei die restlose Bindung an den Westen jedoch zu verhindern. In der SPD, die gegen einen deutschen Wehrbeitrag opponierte, sah er dazu ebenso eine Chance wie in seinem Feuilleton, wo er die Wiederbewaffnung 1953 als „das große politische Trauer- und Satyrspiel“169 der Zeit bezeichnete.170 Eine Gelegenheit, entsprechende subtile politische Signale zu senden und dabei enorme Außenwerbung zu betreiben,171 boten die Umfragen in der Weihnachts- oder Neujahrausgabe, mit denen Korn programmatisch an die Traditionen des BT anknüpfte.172 1951 wollte er unter anderem von Max Frisch, Ernst Jünger, José Ortega y Gasset und Jean-Paul Sartre wissen: „Sind die Deutschen Westeuropäer?“173 Antworten kamen auch von Boveri, deren Beitrag Korn noch entschärfen musste – Boveri hatte die Deutschen als „‚Gefangene ihrer Regime‘“174 bezeichnet –, von Ernst Robert Curtius, Karl Buchheim und Alfred Weber. Neben Boveri, die sich empörte, weil Korns Umfrage den „Eisernen Vorhang“ zum Ist-Zustand erkläre,175 kam 165 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 113–114. 166 Vgl. ebd., S. 117, 121–122. 167 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 12.2.1955, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Das spiegelte sich auch in Korns Jünger-Rezeption wider. Dessen Essay „Der Waldgang“ (1951) las der Herausgeber „geradezu enthusiastisch“, da Jünger antizipiere, „woran jeder heimlich denkt: Krieg, Angst, usw.“ Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.11.1951, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  3. Mit seinen Zweifeln an der Stabilität des Friedens war Korn nicht allein. Zu den Unsicherheitsparametern vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 308. 168 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 1.10.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 169 Korn, Karl: Satire und Elegie deutscher Provinzialität (=  Rezension zu Wolfgang Koeppen: „Das Treibhaus“. Stuttgart 1953), in: FAZ vom 7.11.1953, BuZ, S. 5. 170 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 24.2.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 171 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 158. 172 Vgl. Korn: Lange Lehrzeit (1979), S. 214. 173 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 14.11.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 174 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 14.12.1951, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 175 Vgl. Boveri, Margret: Land der Spaltungen, in: FAZ vom 24.12.1951, S. 16.

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im Feuilleton vom 24. Dezember auch Korns Briefpartner aus Ost-Berlin zu Wort, der seine Hoffnung auf einen neutralen „Dritten Weg“ kundtat. Niekisch, der im „Dritten Reich“ als nationalrevolutionärer Konservativer Widerstand geleistet hatte, sich nach 1945 am DDR-Aufbau beteiligte und Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) wurde,176 unterstrich die Brückenfunktion Deutschlands und warnte vor einem Beschluss, der das Land abhängig und die Wiedervereinigung unmöglich machen würde: „Eine Entscheidung Deutschlands für den Westen schlösse den endgültigen Verzicht auf den deutschen Osten in sich ein.“177 Anders, nämlich christlich, argumentierte der pazifistische Schriftsteller Reinhold Schneider, dessen Erklärung gegen die Wiederbewaffnung und den strikten Antikommunismus des Westens das Feuilleton erst wenige Wochen zuvor gedruckt hatte.178 Für Korn persönlich bot das Comeback des Kriegsfilms, konkreter: Hans Hellmut Kirsts Roman-Trilogie „08/15“, die 1954/55 in einer dreiteiligen Verfilmung von Paul Mey zum Kassenschlager wurde, Anlass zu einem politischen Statement. Obwohl Buch und Film in der überregionalen Presse als Produkte der Massenunterhaltung galten („im besten Falle ein geschickter Reißer“179, kommentierte die Zeit), genoss vor allem der erste Teil „Die abenteuerliche Revolte des Gefreiten Asch“ Aufmerksamkeit.180 Der Film, der im Herbst 1954 in die Lichtspielhäuser kam und nach der kontrovers diskutierten Buchvorlage zu Schlangen an den Kinokassen führte, berührte immerhin ein hochaktuelles Thema: Parallel zu seinem Erscheinen wurde in London über den Beitritt zur 176 Vgl. Morat: Von der Tat zur Gelassenheit (2007), S. 383–385. 177 Niekisch, Ernst: Land der Mitte, in: FAZ vom 24.12.1951, S.  16. Während Niekisch im Politikteil ausgeklammert wurde, wurden seine Bücher im Literaturblatt wohlwollend besprochen. Erklärend hieß es in einer Kritik zur „Europäischen Bilanz“ 1951: „Es wäre nur dumm, wenn man das Buch im Westen ignorierte. Natürlich ist Niekisch Marxist, aber einer, mit dem man diskutieren kann, ein Mann, der die Faszination der bürgerlichen Leistung anerkennt, der zugibt, daß wir alle davon zehren.“ Hennig, Wolfgang: Kühle Köpfe nötig (=  Rezension zu Ernst Niekisch: „Europäische Bilanz“. Potsdam  / Rütten  / Loening 1951), in: FAZ vom 11.9.1951, S. 6. Vgl. auch ders.: Der Marsch in den Hades der Geschichte (= Rezension zu Ernst Niekisch: „Das Reich der niederen Dämonen“. Hamburg 1953), in: FAZ vom 21.11.1953, BuZ, S. 5. Korn selbst dienten die Kritiken, die ihm, wie er zu betonen pflegte, im Vorfeld stets einiges Kopfzerbrechen bereiteten, immer wieder als Ausweis seiner Liberalität und Unabhängigkeit, vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 3.8.1953, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 178 Vgl. Schneider, Reinhold: In Freiheit und Verantwortung. Eine Erklärung Reinhold Schneiders, in: FAZ vom 7.12.1951, S. 6. 179 Hühnerfeld, Paul: Ist 08/15 unser Schicksal?, in: Die Zeit vom 14.10.1954, S. 2. 180 Zur öffentlichen Resonanz des Films vgl. den Bericht von mm. (= Marianne Morawe): Diskussion über den Kasernenhof. Leidenschaftliche Debatten um den Film 08/15, in: FAZ vom 22.10.1954, S. 6.

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NATO entschieden.181 „08/15“ spielt kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in einer Kaserne. In Anlehnung an die Kasernenhofkomödien der 1920er Jahre portraitiert der Film auf satirisch-humoristische Weise den von Drill, Erniedrigung und Schikanen geprägten Alltag der Wehrmachtsoldaten.182 Bis in die Gegenwart gehen die Meinungen über die Mey’schen Filme auseinander. Während ihnen von einer Seite ein kritischer Unterton zugeschrieben wird,183 gelten sie an anderer Stelle als „anekdotenhafte Militärkomödien“184, die allenfalls sanfte Kritik am militärischen System, dafür aber eine umso ersichtlichere Apologetik des „einfachen Soldaten“ anklingen lassen. „[D]ie Wirkung scheint“, so Boveri schon Ende des Jahres 1954, „höchst verschieden zu sein.“185 Die Meinungen über den ersten Teil der Trilogie waren gespalten. Während Gunter Groll den Film in der SZ als wichtiges Plädoyer für eine Reform des Militärs betrachtete – „Aber er hat doch wenigstens gesagt, auf welche Weise, wenn wieder marschiert werden muß, auf keinen Fall marschiert werden sollte“186 –, war man in der FAZ anderer Ansicht. Als kritische Vorhut brachte das Feuilleton am 11. Oktober eine Kritik von Wolfgang Schwerbrock. Der Literaturredakteur, der noch etwa zehn Jahre zuvor als Kriegsberichterstatter der Waffen-SS in Russland stationiert gewesen war,187 bemängelte die Oberflächlichkeit des Films, der das „Wie?“ und „Warum?“ ausspare. Sein Ausweichen auf eine groteske, humoristische Ebene überspiele die Ernsthaftigkeit des Themas, verharmlose den Krieg und trenne die Vergangenheit von der Gegenwart ab.188 Rund drei Wochen später folgte ein „Nachwort“ Korns. Der Herausgeber fand noch kritischere Worte für „08/15“, dessen pädagogischen Wert er vehement abstritt.189 Darin stimmte er mit dem Zeit-Feuilletonleiter Paul Hühnerfeld überein: „Ist es schon problematisch genug“, war dort am 181 Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 461. 182 Vgl. Stiglegger, Marcus: „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ Thesen zum deutschen Kriegsfilm der 1950er Jahre, in: Westemeier, Jens (Hg.): „So war der deutsche Landser …“ Das populäre Bild der Wehrmacht (= Krieg in der Geschichte, Bd. 101). Paderborn 2019, S. 139– 154, hier S. 145. 183 Vgl. Lüdeker: Zwischen Schwank und Drama (2012), S. 107–108. 184 Stiglegger: „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ (2019), S. 146. 185 Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 29.12.1954, in: DLA Marbach, A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006. 186 Groll, Gunter: Barsch, aber mit Bravour. „Null-Acht Fünfzehn“, in: SZ vom 2./3.10.1954, S. 18. 187 Zu Schwerbrocks Kurzbiographie vgl. das Kapitel „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“. 188 Vgl. Schwerbrock, Wolfgang: „Null-acht fünfzehn“. Zum Film nach Hans Hellmuth Kirsts Roman, in: FAZ vom 11.10.1954, S. 8. 189 Vgl. Korn, Karl: Ordnung? Gehorchen? Ein Nachwort zu 08/15, in: FAZ vom 3.11.1954, S. 12.

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14. Oktober zu lesen, „18- und 19jährige zur Verteidigung eines Staates zu bestellen, den sie nicht einmal wählen durften – da sie ja das Wahlrecht noch nicht haben – so soll man ihnen wenigstens sagen, was sie erwartet und was man von ihnen erwartet.“190 Korn ging noch weiter. Verpackt als Antwort auf den Brief eines Oberstufenschülers, der in der Redaktion eingegangen war und auf die im Film ironisch unterlaufene militärische Ordnung pochte, warf er den Filmemachern Manipulation vor: „Da gibt man vor einen Film gegen den Kommiß zu drehen, nutzt Stimmungen des Widerwillens und des ‚Nie wieder‘ aus und liefert, verpackt in Scheinsatire und Scheinanklage, eine von oben bis unten verlogene Militärhumoreske“. „08/15“ warte mit idealisierten Bildern und Unwahrheiten auf, täusche das naive Publikum, das sich auf die Schenkel klopfe, statt das dargebotene Unrecht zu bedauern. „Das Schlimmste an dem Film und seiner verteufelten Wirkung ist aber“, so der Journalist, „daß er die ehemalige Wehrmacht nicht ernst nimmt. […] [D]er Film selbst macht aus der stampfenden und fürchterlichen Maschine Wehrmacht eine Gaudi von lauter Idioten.“191 In einer Zeit, die den Mythos „saubere Wehrmacht“ pflegte,192 war das eine überraschende Kritik. Doch damit nicht genug: In Korns Augen war die Existenzberechtigung moderner Heere in toto zu hinterfragen. Die militärische Führung sei „innerlich fragwürdig geworden […], die ehedem führende Schicht der Gesellschaft innerlich ausgehöhlt“. „Der Film  08/15 ist ein Skandal“, schloss er am Ende, „weil er hinter scheinbarer Kritik und mittels dieser Scheinkritik als Alibi den Ernst der Probleme moderner Massenheere und ihres viel beredeten ‚inneren Gefüges‘ wegschiebt.“193 Teil zwei und drei der Trilogie fanden in der FAZ keine Beachtung mehr; Korns Filmbesprechung aber wurde über Frankfurt hinaus zum Gesprächsgegenstand.194 Auch privat hielt Korn seinen Unmut nicht zurück. „Da hat ein Volk das absolute Nichts erlebt und hat nichts erlebt, nichts, gar nichts. Das Ausmass der nächsten weltgeschichtlichen Belehrung kann man daran ablesen“195, schrieb er im November 1954 erregt an Niekisch. Anlass für seinen Ärger war nicht nur 190 Hühnerfeld, Paul: Ist 08/15 unser Schicksal?, in: Die Zeit vom 14.10.1954, S. 2. Hühnerfeld und Korn hatten auch eine ähnliche Meinung zu Koeppen, vgl. ders.: Ein Hamlet in Bonn, in: Die Zeit vom 5.11.1953, S. 6. 191 Korn, Karl: Ordnung? Gehorchen? Ein Nachwort zu 08/15, in: FAZ vom 3.11.1954, S. 12. 192 Vgl. Schreiner, Florian J.: „Die besten Soldaten der Welt!“ Die Idealisierung der Wehrmacht aus Sicht der historischen Mythosforschung, in: Westemeier, Jens (Hg.): „So war der deutsche Landser …“ Das populäre Bild der Wehrmacht (= Krieg in der Geschichte, Bd. 101). Paderborn 2019, S. 27–39, hier S. 35–36. 193 Korn, Karl: Ordnung? Gehorchen? Ein Nachwort zu 08/15, in: FAZ vom 3.11.1954, S. 12. 194 Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 29.12.1954, in: DLA Marbach, A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006. 195 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 8.11.1954, in: BArch Koblenz, N 1280/21c.

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der große Erfolg des Filmstreifens, sondern auch eine daran anschließende Kontroverse mit Sethe. Obwohl die Herausgeber in ihrer reservierten, kritischen Haltung zur Westintegration übereinstimmten und Sethe Korns journalistische Anerkennung dafür genoss, dass er „so mutig und unabhängig schreibt“196, gingen ihre Ansichten im Einzelnen auseinander. Während Sethe die Wiederbewaffnung ablehnte, weil sie die Wiedervereinigung aufzuschieben drohte,197 wies Korn sie prinzipiell zurück.198 Daher hatte sich Sethe der Kritik zu „08/15“ offenbar nicht anschließen können: „Aber wenn selbst ein Mann wie Sethe so sentimental romantische Vorstellungen hat, dass er mir Vorhaltungen wegen meines Artikels zu dem Militärfilm […] macht, was soll man dann von dem Pöbel erwarten?“199, schrieb Korn im selben Brief vom 8. November. Auch an anderer Stelle ließ er seiner Frustration freien Lauf. „Als ich neulich in einem Artikel zu dem Barras-Film ‚08/15‘ meine Kritik an der ‚Wehrfrage‘ (was für ein blödes Wort!) anbrachte, protestierte Sethe (…) wegen Abweichung von der ‚Linie‘. Die scheint also jetzt Remilitarisierung zu heißen …“200, unterrichtete er Boveri Ende des Jahres über die neuesten Konflikte im Hause FAZ. Divergenzen traten auch in einem anderen Fall zutage. Zu Beginn des Jahres 1955, gerade war in Frankfurt mit der Paulskirchenbewegung eine bundesweite Protestaktion gegen die Wiederbewaffnung gegründet worden,201 hielt Korn einen Text von Habermas in der Hand, der sich mit dem Protest gegen die bevorstehende Wiederaufrüstung befasste. Der Artikel, der offenbar starke Sympathien erkennen ließ, fand Korns Zustimmung. Wie er Habermas mitteilte, habe seine „Apologie des ‚Ohne mich‘ […] mir einen ähnlich starken Eindruck gemacht wie damals der Heidegger-Aufsatz.“202 Da Korn ihn wegen seines politischen Gehaltes nicht im Feuilleton drucken konnte, versprach er, Rücksprache mit Sethe zu halten. Korn zeigte sich vorsichtig optimistisch – auch, weil der Text erst einmal verstanden werden müsse. War Korn sonst für seine Verständlichkeits-Plädoyers bekannt (auch Habermas hatte er wegen eines anderen Beitrags erst kurz zuvor gebeten, die Fachsprache nicht Überhand nehmen zu lassen),203 hielt er sie diesmal für einen Trumpf: „Übrigens ist 196 197 198 199 200

Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 26.3.1952, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 113. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 191. Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 8.11.1954, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 18.12.1954, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 201 Vgl. Yos, Roman: Der junge Habermas. Eine ideengeschichtliche Untersuchung seines frühen Denkens 1952–1962. Berlin 2019, S. 223. 202 Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 9.2.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. 203 Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 27.1.1955, in: ebd.

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in diesem Falle die nicht ganz zeitungsgerechte, schwierige und theoretischabstrakte Diktion ein Vorteil. Dieser Stil nämlich schirmt Sie gegen Krethi und Plethi ab.“204 Zum Abdruck kam es trotzdem nicht. Sethes Politikredaktion lehnte den Aufsatz ab und Habermas weigerte sich, ihn so umzuschreiben, „dass der ganze Topos ‚Ohne mich‘ unter den Tisch fällt und nur in zarter akademischer Verkleidung wieder zum Vorschein kommt“205, wie die Alternative lautete.206 Er schickte seinen Text stattdessen an „die Süddeutsche – im allgemeinen ja sowieso ‚mutiger‘ als die FAZ –“207, gedruckt wurde er aber im Mai 1955 in der Deutschen Studentenzeitung.208 Trotzdem war es für Korn ein erheblicher Einschnitt, als Sethe die Zeitung wenige Monate später verließ. Die Herausgeber waren seit ihrer Mainzer Zeit befreundet. Korns Heirat im Jahr 1949 und die familiären Verpflichtungen auf der einen und Sethes „Schwärmerei von Preussen und den Generälen“209 auf der anderen Seite hatten ihre Beziehung zu Beginn der 1950er Jahre zwar abkühlen lassen, ihr aber keinen endgültigen Abbruch getan. Umso enttäuschter war Korn, als er im Herbst 1955 von einer Reise zurückbeordert wurde und sich damit konfrontiert sah, dass Welter, Baumgarten und Dombrowski „ein übereiltes Sethesches Rücktrittsangebot (ein böser taktischer Fehler) mit Freuden annahmen. Ich stand allein da, Sethes Partei zu ergreifen und wurde überstimmt.“210 Der schwelende Konflikt zwischen Baumgarten und Sethe hatte am 14. September in einer Herausgeberkonferenz gemündet,211 nach der Sethe zurückgetreten war. Korn bedauerte den Abschied nicht nur aus persönlichen Gründen. Sethe war seine Brücke in die Politik gewesen. Er hatte Korn, der sich auf seinem Feld bisweilen eingeengt fühlte,212 eine politische Meinung zugestanden und den Austausch mit ihm gesucht. Korn wiederum hatte diese Möglichkeit gerne wahrgenommen, sah er in ihr doch eine Chance, auch im Feuilleton (politische) Zeitkritik zu üben. Die Jahre 1955/56 waren für Korn eine Zäsur. Mit Jürgen Tern, der nun die Verantwortung für das Politikressort übernahm und vier Jahre später zum 204 205 206 207 208 209

Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 9.2.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. Brief von Jürgen Habermas an Hans-Joachim Sperr vom 14.2.1955, in: ebd. Vgl. die Briefe von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 14.2.1955 und 21.2.1955, in: ebd. Brief von Jürgen Habermas an Hans-Joachim Sperr vom 14.2.1955, in: ebd. Vgl. Yos: Der junge Habermas (2019), S. 225. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 5.2.1950, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 1. 210 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 15.1.1956, in: BArch Koblenz, N 1280/22c. 211 Korn berichtete im August, dass Sethe „immer mehr Druck“ aushalten müsse, während Baumgarten „immer mehr Oberwasser“ gewinne. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.8.1955, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 212 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 12.2.1955, in: BArch Koblenz, N 1280/21c.

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Herausgeber ernannt wurde, veränderte sich das Spielfeld. Wie Korn verschiedentlich beklagte, schrieb er nun weniger Leitartikel und wurde bei kulturpolitischen Fragen nicht mehr so oft konsultiert.213 Was ihm aber am meisten zusetzte, war das veränderte Klima. Sethe hatte für ihn „die Freiheit der Meinung und der Atmosphäre im Blatt garantiert“. Nun sei er „allein mit mittelmäßigen Konformisten“ und „ahne schon den Tag voraus“, schrieb er mit gebührender Übertreibung an Niekisch, „an dem ich mich wieder wegen Collaboration werde zu rechtfertigen haben.“214 Sich Sethe anzuschließen, kam für Korn trotzdem nicht in Frage: „Wir können aber ein Werk, das wir schließlich in fünf Jahren und mit voller Kraft aufgebaut haben, […] nicht einfach verlassen.“215 Korn blieb nicht der Einzige, der Sethes Weggang als herben Verlust betrachtete. Auch Außenstehende wie Niekisch klagten über die „Selbstentwertung eines großen Blattes“216 und attestierten der FAZ ein offiziöses Profil.217 Tatsächlich fand das Politikressort in Sachen Westbindung nach 1955 zu einer klaren Linie. Die FAZ entwickelte sich „endgültig zur Zeitung der Westbindung“, auf deren Seiten „nur sehr abwägend und zurückhaltend Ratschläge und Kritik Richtung Westen“218 erklangen. Auch im Feuilleton wurde es stiller. Nachdem Korn im Februar 1955 in einem Essay zur Fastnachtszeit noch gestichelt hatte, „daß die mentale Trunkenheit der Massen unsrer Bundesregierung in den Tagen vor den neuen Lesungen der Wiederbewaffnungsgesetze im Bundestag vermutlich sehr zupaß gekommen ist“219, drang in den nächsten Jahren allenfalls vereinzelt Kritik an der – nun auch nicht mehr abwendbaren – Wiederbewaffnung durch. So befand die Kulturreferentin Sabina Lietzmann 1957 in einer Kritik zum Programm des Berliner Kabaretttheaters „Stachelschweine“, dass es gute Gründe gebe, die Wiederbewaffnung „für ein politisches und psychologisches Unglück“220 zu halten. Als sich die Herausgeber und die Politikredaktion 1958 für die drei Jahre zuvor begonnene Stationierung atomarer Waffen in der Bundesrepublik 213 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 25.11.1959, in: BArch Koblenz, N 1280/22c. Ein Blick in das Digitalarchiv bestätigt Korns These, wonach die Zahl seiner Leitartikel in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zurückging. 214 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 15.1.1956, in: ebd. 215 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 14.10.1955, in: ebd., N 1280/21c. 216 Brief von Ernst Niekisch an Karl Korn vom 1.2.1956, in: ebd. 217 Vgl. den Brief von Ernst Niekisch an Karl Korn vom 10.7.1958, in: ebd. 218 Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 130. Vgl. auch S. 125–127. 219 Korn, Karl: Surrogat der Freiheit. Kritisches Nachwort zu Fastnacht und Karneval, in: FAZ vom 24.2.1955, S. 8. 220 Lietzmann, Sabina: Keine Wucht in der Rankestraße. Neues Stachelschwein-Programm „Die Wucht am Rhein“, in: FAZ vom 4.1.1957, S. 8.

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Kapitel 4

aussprachen, drückte Korn zwar seine Ablehnung aus, überließ es aber der Politik, die Linie zu bestimmen.221 4.2

Akklimatisierungsprozesse

Neben den schillernden Krisenbefunden erklangen freilich auch versöhnlichere Töne. Im weiteren Verlauf der 1950er Jahre nahm die Zahl der Beiträge im Feuilleton, deren Inhalt und Ton auf ein Arrangement mit dem Status quo schließen ließen, zu. Das hing unter anderem mit dem Ausbau der Redaktion zusammen, der zu generationellen Verschiebungen und zu einer Ausdifferenzierung der kulturkritischen Diskurse in der FAZ führte. So stellte Hans Schwab-Felisch, der neue Feuilletonleiter neben Ruppert, nach einem Besuch der Buchmesse 1956 zwar kulturpessimistisch fest, „daß große Literatur und bedeutende Dichtung in unseren Jahren nur ein schmales Rinnsal ergeben“, sah die Dominanz der Unterhaltungsliteratur aber pragmatisch: „Humus“ sei wichtig, „damit Gutes entstehen kann“222. Die Überproduktion schaffe in kleineren Verlagshäusern oft erst die finanzielle Grundlage für teure Klassiker-Ausgaben, Bildbände und wissenschaftliche Standardwerke. Mit ähnlichem Pragmatismus begegnete man im selben Jahr auch den oft kritisch beäugten Taschenbüchern.223 Taschenbücher, schrieb der 1954 eingestellte Schwerbrock in einem Rückblick auf die meistverkauften Bücher des Jahres 1955 im Feuilleton, seien eine Chance, die kursierende Groschenliteratur durch anspruchsvolle Literatur zu ersetzen.224 Aber auch diejenigen, die zu Beginn der 1950er Jahre lautstarke Bedenken angemeldet hatten, wurden nun etwas milder.225 Die gesamtgesellschaftlich beobachtbare, schrittweise Akzeptanz der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ordnung, gepaart mit der sukzessiven Aufgabe antiwestlicher Vorbehalte,226 hatte mehrere Gründe und 221 Vgl. den Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 1.4.1958, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961. 222 Schwab-Felisch, Hans: Der große Markt der Bücher. Ein Rundgang durch die Frankfurter Buchmesse, in: FAZ vom 24.9.1956, S. 14. 223 Vgl. Oels, David: Rowohlts Rotationsroutine. Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre. Essen 2013, S. 189. 224 Vgl. Schwerbrock, Wolfgang: Magie und Verhängnis der hohen Auflagen. Taschenbuch, Buchgemeinschaft, Werkbücherei. Die meistverlangten Titel 1955, in: FAZ vom 26.1.1956, S. 8. 225 Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 342. 226 Vgl. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019); Frese, Matthias / Paulus, Julia: Geschwindigkeiten und Faktoren des Wandels – die 1960er Jahre

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machte sich auch im Feuilleton bemerkbar, wo selbst Korn die Taschenbuchproduktion schließlich für unterstützenswert hielt, sofern sie „auf dem Bildungsstand gehalten wird, den sie in summa bei uns hat.“227 Wie ein wachsender Teil der Gesellschaft, der die materiellen Sorgen, sozialen Unsicherheiten und die Ängste der ersten Nachkriegsjahre allmählich hinter sich ließ,228 hatte auch die Redaktion nach den prekären Anfangsjahren kaum mehr Grund zur Klage. Die Zeitung hatte sich konsolidiert, die Redaktion war ausgebaut worden und die Meinungs- und Pressefreiheit hatte etwaige Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Demokratie beseitigt. Mit dem Aufschwung, den das Land seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre erlebte, verloren modernitätsskeptische Diagnosen, die noch wenige Jahre zuvor „der existenziell-krisenhaften Gestimmtheit zahlreicher Intellektueller“229 entsprochen hatten, an Plausibilität und Zugkraft. Modernekritik wurde unmodern.230 Korn gab sich im Feuilleton zwar weiterhin „nonkonformistisch, und nach wie vor kulturkritisch!“, hielt an seinem „Ressentiment gegen gewisse Untersuchungen, Statistiken und Deutungen der pluralistischen Konsumentengesellschaft“231 fest. Aber auch Korn war nicht weltfremd. In einem Brief an Habermas räumte er 1955 ein, dass die „Vermassungs-Diskussionen immer hoffnungsloser steril werden“232. Acht Jahre später zog er in der FAZ die Bilanz, dass die Kulturkritik gescheitert sei: „Was mit Ortegas ‚Aufstand der Massen‘ verheißungsvoll begonnen hatte und vor zehn Jahren ein neues oder auch das Königsfach der Kritiker zu werden versprach, genießt heute kaum mehr Ansehen“233, war am 28. Juni 1963 im Feuilleton zu lesen. Der Ton hatte sich geändert. Allem Einspruch zum Trotz war die Bundesrepublik auf dem Weg, sich zu einer modernen, westlichen „Wohlstandsgesellschaft“ zu entwickeln. Nach der Enttäuschung war nun also (kritische) Akzeptanz gefragt. Erleichtert wurde diese Wendung nicht nur durch die besseren Rahmenbedingungen oder den Umstand, dass die Kulturkritik selbst zu einer Mode und damit unattraktiv geworden war,234 sondern auch durch die Sozialforschung. Neben

227 228 229 230 231 232 233 234

in der Bundesrepublik, in: dies. / Teppe, Karl (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik (= Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 44). Paderborn 2003, S. 1–23, hier S. 2. Korn, Karl: Der Ladenpreis – und die Folgen. Das Buch auf der Wildbahn der Konkurrenz, in: FAZ vom 22.8.1962, S. 20. Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 306, 322. Payk: Opportunismus, Kritik und Selbstbehauptung (2011), S. 158. Vgl. ebd.; Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 15. Korn, Karl: Kultur 1959, Stichproben aus einer Bilanz, in: FAZ vom 31.12.1959, S. 26. Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 9.2.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. Korn, Karl: Schluß mit der Kulturkritik?, in: FAZ vom 28.6.1963, S. 32. Vgl. Korn, Karl: Wohlstand und Kulturkritik, in: FAZ vom 8.10.1960, BuZ, S. 4.

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den nach wie vor vertretenen, aber zunehmend veralteten kulturkritischen Argumenten tauchten seit Mitte der 1950er Jahre immer häufiger Betrachtungen zur „nachdrücklich veränderten sozialen Wirklichkeit“235 auf, die Akzeptanz, Beherrschung und Gelassenheit vermittelten.236 Neue Sachlichkeit Dass die Geistes- und Sozialwissenschaften in der Zeitung breite Beachtung erfuhren, war zunächst nichts Neues. So unterhielt die FAZ-Politikredaktion unter Paul Sethe, der selbst im Fach Geschichte promoviert worden war, enge Verbindungen zu Gerhard Ritter.237 Ritter, dessen Renommee und Expertise als Autor der FAZ eine enorme Außenwerbung bedeuteten,238 zählte neben Hans Rothfels zu den wichtigsten Historikern für den Wiederaufbau der deutschen Geschichtswissenschaften nach 1945.239 Ritter schrieb lange Beiträge etwa über Otto von Bismarck, den deutschen Militarismus oder den Widerstand im „Dritten Reich“, die im Politikteil oder auf der politischen Seite „Ereignisse und Gestalten“ erschienen.240 Obwohl das Feuilleton mit Sabina Lietzmann ebenfalls über eine promovierte Historikern verfügte, waren historiographische Betrachtungen dort eher selten vertreten.241 Geschichte war bis in die 1970er Jahre vor allem eine Sache des Politikressorts, was auch daran gelegen haben mochte, dass das konservativ geprägte Fach in den ersten Nachkriegsjahrzehnten selbst stark politikzentriert war.242 Auch die öffentlichkeitswirksamen großen Fachdebatten wie die „Fischer-Kontroverse“ über den Kriegsausbruch 1914 fanden in den 1960er Jahren ohne Beteiligung des FAZ-Feuilletons statt.243 235 236 237 238 239

240 241 242 243

W. Fö.: Verlegenheiten der Soziologie, in: FAZ vom 23.10.1950, S. 6. Vgl. Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 16. Vgl. Lehn: Westdeutsche und italienische Historiker (2012), S. 118–119. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 43. Vgl. Eckel, Jan: Ambivalente Übergänge. Die Geisteswissenschaften in Deutschland 1950 und 1930, in: Schildt, Axel / Gallus, Alexander (Hg.): Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 48). Göttingen 2011, S. 294–311, hier S. 304. Vgl. Ritter, Gerhard: Bismarck in liberaler Sicht, in: FAZ vom 29.7.1950, S.  2; ders.: Der deutsche Militarismus, in: FAZ vom 27.3.1954, BuZ, S. 4; ders.: Goerdelers Pläne für Deutschland. Zum Gedenken des 20. Juli 1944, in: FAZ vom17.7.1954, BuZ, S. 3. Vgl. etwa Schnabel, Franz: Eine Paradoxie des 19. Jahrhunderts, in: FAZ vom 17.12.1957, S. 6. Vgl. Eckel: Ambivalente Übergänge (2011), S. 308. Zur Fischer-Kontroverse vgl. etwa Freund, Michael: Bethmann-Hollweg, der Hitler des Jahres 1914? Zu einer Spätfrucht des Jahres 1914 in der Geschichtswissenschaft, in: FAZ vom 28.3.1964, BuZ, S. 3; B.R. (= Benno Reifenberg): Stichtag der großen Zeitenwende. Zur Situation vom 1. August 1914, in: FAZ vom 1.8.1964, S. 2.

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Das tat sich mit Blick auf die Geisteswissenschaften eher referierend hervor, berichtete über den Deutschen Historiker- und Germanistentag, kommentierte Forschungsprojekte und -tätigkeiten etwa der Max-Planck-Gesellschaft oder rezensierte die neuesten philosophischen Fachbücher.244 Was für das Politikressort die Geschichtswissenschaften waren, war für das Feuilleton die Soziologie. Bereits Ende des Jahres 1954 hatte der Feuilleton- und Reiseredakteur Friedrich A. Wagner den freien Mitarbeiter Habermas auf die Bedeutung soziologischer Gegenwarts- und Technikanalysen hingewiesen.245 Knapp ein Jahrzehnt später erklärte Korn: „Das wichtigste Arsenal kulturkritischer Analysen und Urteile stellen heute Soziologie, Sozialpsychologie und Psychoanalyse dar“246. Die im Wiederaufbau begriffene Soziologie, die zunächst maßgeblich durch das Triumvirat aus Arnold Gehlen, Hans Freyer und Helmut Schelsky vertreten wurde, erfuhr folglich große Aufmerksamkeit. Die Sozialwissenschaftler und -philosophen der Leipziger Schule, alle drei ehemalige „konservative Revolutionäre“ und mit Korn persönlich bekannt,247 waren beliebte Gäste des Feuilletons. Ihre Publikationen wurden besprochen, ihre Reden und Beiträge gedruckt.248 Noch 1977 war Korn der Meinung, dass Gehlen „der einzige, wirklich starke konservative Denker“249 sei. Korn, der sein 244 Vgl. Baethgen, Friedrich: Eine internationale Bibliographie, in: FAZ vom 24.2.1950, S. 5; Korn, Karl: Holzwege des Denkens (= Rezension zu Martin Heidegger: „Holzwege“. Frankfurt am Main 1950), in: FAZ vom 8.4.1950, S.  19; Höpfl, Heinz: Gegenwartsnahe Geschichtsforschung, in: FAZ vom 17.9.1951, S. 4; Hennecke, Hans: Deutsche Literaturwissenschaft – heute, in: FAZ vom 12.2.955, BuZ, S. 2; Stehle, Hansjakob: Auch die Freiheit hat ihre Geschichte. Notizen beim Deutschen Historikertag, in: FAZ vom 28.9.1956, S.  12; Schreiber, Georg: Die Bibliotheca Hertziana. Die Max-Planck-Gesellschaft in Rom, in: FAZ vom 13.6.1957, S. 12. 245 Vgl. den Brief von Friedrich A. Wagner an Jürgen Habermas vom 12.11.1954, in: UBA Ffm, Na 60, 1. 246 Korn, Karl: Schluß mit der Kulturkritik?, in: FAZ vom 28.6.1963, S. 32. 247 Vgl. Reitmayer: Das politisch-literarische Feld (2011), S. 78. Korn traf Gehlen, Freyer und Schelsky bisweilen auf privaten Diskussionsveranstaltungen, vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 9.3.1953, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 248 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S.  275–276. Aus der Zeitung vgl. Bense, Max: Natur und Stellung des Menschen (= Rezension zu Arnold Gehlen: „Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt“. Bonn 1950), in: FAZ vom 3.3.1951, S. 17; Neumeister, Heddy: Igelstellung: Familie (= Rezension zu Helmut Schelsky: „Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart“. Dortmund 1953), in: FAZ vom 13.6.1953, BuZ, S.  5; Friedländer, Walther: Thesen zum Problem der Macht. Ein Vortrag Professor Arnold Gehlens in der Frankfurter Universität, in: FAZ vom 14.12.1953, S. 8; Schelsky, Helmut: Das Recht auf die Freizeit der anderen oder: Die gestützte Kultur, in: FAZ vom 31.3.1956, BuZ, S. 3. 249 Brief von Karl Korn an Joseph Breitbach vom 24.1.1977, in: DLA Marbach, A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004.

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Ressort „für Fragestellungen und Einsichten aus den modernen, empirisch orientierten Sozialwissenschaften“250 öffnete, leitete damit seit Mitte der 1950er Jahre eine Akademisierung des Feuilletons ein, die zur Folge hatte, dass die schwarzmalerische Gegenwartskritik ihre tonangebende Stellung verlor.251 Die breite öffentliche Rezeption der Sozialwissenschaften korrespondierte mit einem starken Orientierungsbedürfnis, auf das auch das Feuilleton zu reagieren versuchte. Die Sozialforschung wies nicht nur thematisch viele Schnittstellen auf (Familie, Wertewandel, Konsum, Jugend), sondern bot zudem eine „fundierte Alternative zu einer rabulistischen Zeitkritik“252. So ließ sich Schelskys Paraphrasierung der „Massengesellschaft“ – der Soziologe sprach stattdessen von einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ – recht mühelos adaptieren.253 Mit diesem populären Gesellschaftsmodell beschrieb Schelsky die (mittlerweile widerlegte) Einebnung sozialer Unterschiede nach 1945. Demnach habe sich der Lebensstil unterschiedlicher Bevölkerungsteile durch Wohlstand und Massenproduktion stark angeglichen.254 Der Professor war es auch, der im April 1955 im Feuilleton den Restaurationsbegriff sezierte. In seinem Essay „Über das Restaurative in unserer Zeit“255 erteilte Schelsky der Restaurationsthese eine sachliche Absage und wies auf die Unabwendbarkeit des Wandels hin.256 Schon darin lag ein zentraler Unterschied zu der oft moralisierenden Kulturkritik, die das Feuilleton der frühen 1950er Jahre so oft durchzogen hatte: in der nüchtern vorgetragenen, pragmatischen Anerkennung der Gegenwart.257 Obwohl Schelsky und seine Kollegen den gesellschaftlichen Umwälzungen und ihren soziokulturellen Folgen ebenfalls kritisch begegneten, hatten sie sich mit der Wirklichkeit arrangiert und „zu einer Haltung gelassen-heroischen Aushaltens“258 gefunden. 250 251 252 253

254

255 256 257 258

Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 275. Vgl. ebd., S. 282. Ebd., S. 275. Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S.  352; ders.: Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik (2007), S. 88–89. Auch Korn übernahm das Adjektiv in seinen Sprachgebrauch, vgl. den Brief von Karl Korn an Rudolf Alexander Schröder vom 15.11.1957, in: DLA Marbach, A:Schröder, Rudolf Alexander, HS.1999.0012. Vgl. Schäfer, Gerhard: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft – Strategien der Soziologie in den 50er Jahren, in: Bollenbeck, Georg / Kaiser, Gerhard (Hg.): Die janusköpfigen 50er Jahre. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik III. Wiesbaden 2000, S. 115–142, hier S. 120. Schelsky, Helmut: Über das Restaurative in unserer Zeit, in: FAZ vom 9.4.1955, BuZ, S. 1–2. Vgl. Kiesel: Die Restauration des Restaurationsbegriffs (2003), S. 179–180. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 275. Schäfer: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft (2000), S. 199.

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Die Auseinandersetzung mit den Vertretern eines modernen Konservatismus führte auch im Feuilleton zur Entschärfung der Kritik.259 Unterstützt durch die Verjüngung der Redaktion, setzte sich ein kritisch-sachlicher Umgang mit den Begleiterscheinungen der Modernisierungs-, Demokratisierungsund Verwestlichungsprozesse durch. Kulturpessimistische Positionen lebten dagegen unter den Philosophen und Sozialwissenschaftlern der Frankfurter Schule rund um das 1951 gegründete Institut für Sozialforschung fort, zu denen die Redaktion ebenso Kontakt hatte.260 Berührungspunkte mit der Frankfurter Schule ergaben sich etwa in der Kapitalismus- und Konsumkritik.261 Vor allem für Korn boten Adornos Auslassungen zur mächtigen, manipulativen „Kulturindustrie“, die der Philosoph ihm selbst empfahl,262 immer wieder publizistische Anknüpfungsmöglichkeiten.263 Kunde von „drüben“ Auch das Amerikabild veränderte sich. Neben den antiamerikanischen Ressentiments waren im Feuilleton auch differenziertere Urteile über die USA und das, was sie repräsentierten, zu lesen. Ihre Zahl nahm im Laufe der 1950er Jahre zu. Je größer der Wissensvorrat wurde, je enger die kulturellen Beziehungen etwa durch die seit den späten 1940er Jahren gegründeten Amerikahäuser, den 259 Vgl. Maase: Massenkultur (2007), S. 301; Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 346–349, 424; Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 224. 260 Vgl. Albrecht, Clemens: Die Massenmedien und die Frankfurter Schule, in: ders. u. a. (Hg.): Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Frankfurt am Main / New York 1999, S. 203–246, hier S. 224–225. Das Feuilleton berichtete über die wissenschaftlichen Tätigkeiten Horkheimers und Adornos und engagierte sie als Gastautoren. Vgl. Fr.: Die Bildungsaufgaben in der Gegenwart. Ein Vortrag Professor Max Horkheimers vor den Gewerkschaftlern, in: FAZ vom 11.1.1954, S. 6; Friedländer, Walther: Mit heilsam bösem Blick (= Rezension zu Theodor W. Adorno: „Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft“. Berlin / Frankfurt am Main 1955), in: FAZ vom 9.7.1955, BuZ, S. 5; Adorno, Theodor W.: Der Schlagerhörer, in: FAZ vom 18.10.1956, S. 12; ders.: Bibliographische Grillen, in: FAZ vom 16.10.1959, S. 26; Horkheimer, Max: Einsicht in die Gegenwart. Friedrich Pollock zum 70. Geburtstag, in: FAZ vom 22.5.1964, S. 28. Vor allem Adornos musiksoziologische Arbeiten wurden in den 1950er Jahren breit rezipiert. 261 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 278. 262 Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an Karl Korn vom 26.10.1955, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113. 263 Vgl. Korn, Karl: Die Gentlemen-Clochards. Oder: Was der Film aus dem Protest der Jugend macht, in: FAZ vom 29.9.1959, S.  14. Zu Korn und Adorno vgl. auch Taheri, Hamed / Schwarz, Michael: Eine Séance im Hause Unseld. Beckett, Adorno Korn: Der Versuch, das Endspiel zu verstehen, hatte am 27. Februar 1961 ein geselliges Nachspiel in der Frankfurter Klettenbergstraße, in: FAZ vom 10.8.2021, S. 11.

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„Kongress für kulturelle Freiheit“ oder das Aspen-Institut,264 desto unschärfer wurden die Gegensätze. Während einerseits an den Unterschieden zwischen der Bundesrepublik, Europa und den USA, zwischen Kultur und Zivilisation, Tiefe und Oberflächlichkeit, festgehalten wurde, waren andererseits immer mehr Stimmen zu vernehmen, die dieses dogmatische Muster aufbrachen.265 Statt von einer linearen Gefährdung war dann von „einer gemeinsamen, beide Nationen gleichermaßen betreffenden Bedrohung“ die Rede, „was eine durchaus originäre Konstellation transatlantischer Verbundenheit kreierte.“266 So sprach der freie Mitarbeiter Franz Norbert Mennemeier in seiner Rezension des Buches „Achtundvierzigmal Amerika“ von Raymond Cartier 1954 über „das gemeinsame westliche Schicksal“ und resümierte, dass das alte Europa „längst nicht mehr die Befugnis hat, dem vermeintlichen amerikanischen Materialismus gegenüber auf seinen ‚Geist‘ zu pochen. Amerika […] besitzt heute Europas geistige, wirtschaftliche und politische Probleme.“267 Zu diesem Wandel mochte auch die Einsicht beigetragen haben, dass es sich bei der Kritik an der Massengesellschaft nicht um ein spezifisch deutsches Narrativ handelte. Zwar wurde in den USA traditionell nicht zwischen bürgerlicher „Hochkultur“ und populärer „Massenkultur“ unterschieden.268 Internationale Soziologen wie David Riesman machten mit ihren Forschungen zur „Entfremdung in der anonymen, bürokratisierten, vermachteten und Konformität fordernden Gesellschaft“269 aber doch deutlich, dass die amerikanischen Intellektuellen mit ähnlichen Fragen konfrontiert waren.270 So wies Wilfried Berghahn 1957 in einer Kritik zu Riesmans Bestseller „The Lonely Crowd“ (1950) auf die Allgemeingültigkeit der darin enthaltenen Thesen hin. „[D]ie Stunde der Konsumgesellschaft“, so Berghahn, klopfe auch an Europas Tore. „Der außengeleitete Verhaltenstyp“, der seiner „volkswirtschaftlichen Pflicht“ zum Konsum nachgehe, sei auch „in einer Gesellschaft wie der unsrigen“271 bereits bestimmend. Daran, dass das Bild der USA nuancierter wurde, trugen auch die Korrespondentinnen und Korrespondenten einen Anteil, die die deutsche Öffentlichkeit 264 265 266 267 268 269 270 271

Vgl. Jarausch: Amerikanische Einflüsse (2005), S. 72–73. Vgl. Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 100–101. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 265. Mennemeier, Franz Norbert: Amerika hat sich europäisiert (= Rezension zu Raymond Cartier: „Achtundvierzigmal Amerika“. München 1954), in: FAZ vom 28.8.1954, BuZ, S. 5. Vgl. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Maase: Massenkultur (2007), S. 283. Vgl. ebd., S. 279. Berghahn, Wilfried: Die ängstliche Masse (=  Rezension zu David Riesman  / Reuel Denney  / Nathan Glazer: „Die einsame Masse“. Darmstadt  / Berlin 1956), in: FAZ vom 5.1.1957, BuZ, S. 5.

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seit 1949 mit Ländern der Erde vertraut machten, die sie mit den eigenen Augen nie gesehen hatte. So erschienen im Feuilleton Berichte und Reportagen etwa über das amerikanische Bildungssystem oder die Esskultur, die weitgehend sachlich ausfielen und neben den bekannten Unterschieden Gemeinsamkeiten herausarbeiteten.272 Nachdem das Korrespondentennetz ausgebaut worden war, verfügte auch das Feuilleton in einigen Städten über feste Korrespondentinnen und Korrespondenten sowie über eine Vielzahl an freien und ständigen Referentinnen und Referenten.273 Roland Hill übernahm 1956 die Berichterstattung aus London, Werner Bökenkamp und Sabina Lietzmann berichteten seit 1961 aus Paris und New York. Die priorisierte Berichterstattung aus den Ländern der Westmächte war damit vorerst abgesichert. Neben Lietzmann, die 1995 in der Zeitung als unvoreingenommene „Mittlerin zwischen Amerika und Deutschland“274 gewürdigt wurde, dem ständigen Referenten Otto Zoff, der seit 1957 über die Literatur-, Theater- und Musikszene referierte, und einigen freien Mitarbeitern wie dem in New York lebenden Hans Sahl waren es von Zeit zu Zeit die Redakteurinnen und Redakteure selbst, die zu Reisen über den Atlantik aufbrachen. Korn unternahm 1957 im Auftrag der FAZ eine mehrwöchige Reise durch die USA, über die er mehrere Essays und Reportagen schrieb.275 Wagner bereiste 1965 Mexiko und die Südstaaten, Kurt Rudzinski machte sich im selben Jahr mit der neuesten Satellitentechnik vertraut und Friedrich Hommel flog 1966 anlässlich eines Musikfestivals nach Kansas City.276 Das große Korrespondentennetz, die Präsenz in den wichtigsten Städten der Welt, wurde zum Markenzeichen und Alleinstellungsmerkmal der FAZ.277 In den ausgehenden 1950er Jahren lebten immerhin fünf Prozent der Leserschaft 272 Vgl. S.L. (= Sabina Lietzmann): Amerikanisch essen, in: FAZ vom 3.3.1951, S. 18; Wackwitz, Christian M.: Wie studiert man in den Vereinigten Staaten? Das College als Mittelpunkt im Erziehungssystem, in: FAZ vom 9.5.1953, BuZ, S. 1. 273 Während die Feuilletonkorrespondentinnen und -korrespondenten aus New York berichteten, war der erste politische Korrespondent Jan Reifenberg ab 1954 in Washington tätig. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 34. 274 Wiegand, Wilfried: Berlin am East River. Zum Tode von Sabina Lietzmann, in: FAZ vom 31.5.1995, S. 5. 275 Vgl. Korn, Karl: Faust ging nach Amerika, in: FAZ vom 1.6.1957, BuZ, S.  1–2; ders.: Tochter der Revolution. Eine Louisiana-Legende, in: FAZ vom 8.6.1957, BuZ, S. 2; ders.: Megalopolis. Leben und Wohnen am laufenden Band, in: FAZ vom 15.6.1957, BuZ, S.  1. Darin verzichtete Korn zwar auf die klassischen Negativschablonen, konnte eine latente Modernitäts- und Liberalismusskepsis aber nicht verbergen. Vgl. Payk: Der „Amerikakomplex“ (2005), S. 215. 276 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung am 17.2.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965; Protokoll über die Herausgeberkonferenz vom 12.5.1965, in: ebd.; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 11.5.1966, in: ebd., H 1966–12/1968. 277 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 45.

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im Ausland,278 1960 wurden täglich 12000 Exemplare der Zeitung außerhalb der Bundesrepublik vertrieben.279 Neben den eigenen Berichten von „drüben“ waren es auch die Erfahrungen anderer Autorinnen und Autoren, die im Feuilleton analysiert wurden. Material gab es genug: Infolge des verstärkten Reiseverkehrs zwischen Europa und den USA, der vor allem auf die amerikanischen Reorientation-Strategien zurückging, war auf dem Buchmarkt in den frühen 1950er Jahre ein enormer Anstieg an amerikakundlicher Literatur zu verzeichnen.280 Diese Literatur wurde im Feuilleton und im Literaturblatt beworben, wenn sie den Rezensentinnen und Rezensenten kritisch, aber sachlich und vorurteilsfrei erschien.281 So riet die spätere Stuttgarter Feuilletonreferentin Clara Menck 1952, Bruno E. Werners Buch „Kannst du Europa vergessen?“ zu lesen, „wenn man sich selber dabei ertappt, ‚nun endlich‘ eine sogenannte feste Meinung über Amerika zu haben.“282 Viele Vergleiche hinkten, weil es kein Äquivalent gebe. Auch der Übersetzer Hermann Stresau, der im April 1953 den Sammelband „Amis unter sich“ besprach, hielt diesen für eine „Reise zur Behebung seiner Vorurteile“. Wie Menck stellte er die Andersartigkeit der US-Gesellschaft heraus, kritisierte aber den „abwertenden Unterton […] bei denjenigen Deutschen nämlich, die meinen, ein Vergleich zwischen uns und den Amerikanern müsse am Ende doch zuungunsten der letzteren ausfallen, weil – nun weil sie eben Amis sind.“283 Ähnlich äußerte sich Mennemeier, als er 1954 die „Kleine Geschichte der Vereinigten Staaten“ von Werner Richter rezensierte und dessen „Dienste für ein besseres Amerikaverständnis“284 lobte. Die „kulturelle[n] Dünkel gegenüber den USA“285 gerieten im eigenen Blatt unter Beschuss. Vergleichsweise wenig ressentimentbehaftet war auch die Feuilletonberichterstattung über die Künste, die bisweilen als Mittel des transatlantischen

278 Vgl. den „Zehn-Jahres-Plan zum Ausbau der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von 1958, in: BArch Koblenz, N 1314/379. 279 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 63. 280 Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 408. 281 Vgl. Rahms, Helene: Optimistischer Bericht von drüben (= Rezension zu Peter von Zahn: „Fremde Freunde. Bericht aus der neuen Welt“. Hamburg 1953), in: FAZ vom 6.2.1954, S. 31. 282 Andersen, Paula (= Clara Menck): USA – ungeschminkt (= Rezension zu Bruno E. Werner: „Kannst du Europa vergessen?“ Stuttgart 1952), in: FAZ vom 15.11.1952, BuZ, S. 5. 283 Stresau, Hermann: Amerikaner, wie sie bei sich zu Hause sind (= Rezension zu Kurt von Gleichen: „Amis unter sich“. Wiesbaden 1952), in: FAZ vom 25.4.1953, BuZ, S. 5. 284 Mennemeier, Franz Norbert: Aufstieg zur Weltmacht (= Rezension zu Werner Richter: „Kleine Geschichte der Vereinigten Staaten“. Frankfurt am Main 1954), in: FAZ vom 25.9.1954, BuZ, S. 5. 285 Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 415.

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intellektuellen Dialogs betrachtet wurden.286 Dass die Vereinigten Staaten auch die Heimat ernstzunehmender Künste waren, hatte spätestens die documenta II gezeigt, die 1959 in Kassel stattfand und ihren Gästen eine Vielzahl US-amerikanischer Kunstwerke präsentierte.287 In der Musik war es der Jazz, der die Kritikerinnen und Kritiker des FAZ-Feuilletons aufhorchen ließ. Der freie Journalist und Schriftsteller Jan Herchenröder monierte 1953 seine fehlende Wertschätzung in der Bundesrepublik. Jazz sei entgegen der allgemeinen Auffassung nicht nur Unterhaltungsmusik; eine These, die prominent von Adorno vertreten wurde.288 Er sei die „reinste, elementarste Musik wie – auf europäische Art – die unserer Alten: Bach, Buxtehude, Schütz und Händel.“ Auch der weniger atmosphärische und gefühlsbetonte, technischere und abstraktere moderne Jazz, so Herchenröder, müsse „als Kunstform unserer Zeit“289, akzeptiert werden. Der Musikredakteur Ernst Thomas wies dem Jazz 1958 sogar eine pädagogische Funktion zu. Vor allem der traditionelle schwarze Jazz, hieß es in seinem Essay zum Deutschen Jazz-Festival vom 28. Mai, sei ein Erweckungserlebnis, bringe die jungen Menschen zur Musik.290 Auch Richard Hey bezeichnete den amerikanischen Jazz im Frühjahr 1950 als „musikalische Offenbarung im sterilen Kunstbetrieb unserer Tage“, hielt den Grundgedanken allerdings für einen europäischen: „Schließlich brachten die Neger mit ihr eine alte europäische Kunst wieder nach Europa, die wir seit den Zeiten Bachs gründlich verschlampen ließen: Die Kunst der Improvisation.“291 Auch unter der „Flut von Übersetzungen anspruchsvoller amerikanischer Fachliteratur und Belletristik“292, die der deutschen Öffentlichkeit nach 1945 das Bild einer amerikanischen Kulturnation vermitteln sollten,293 waren einige Titel, die auf positive Resonanz stießen. Bekannte Dramatiker und Lyriker 286 Vgl. d.s. (= Doris Schmidt): Kunst aus den USA. Die große Ausstellung in Frankfurt, in: FAZ vom 14.11.1955, S. 10. 287 Vgl. Jürgens-Kirchhoff, Annegret: Rehabilitierung und Rekonstruktion der modernen Kunst. Die ersten documenta-Ausstellungen 1955, 1959 und 1964, in: Hochgeschwender, Michael (Hg.): Epoche im Widerspruch. Ideelle und kulturelle Umbrüche in der Adenauerzeit (= Rhöndorfer Gespräche, Bd. 25). Bonn 2011, S. 282–302, hier S. 294. Zur positiven Rezeption amerikanischer Kunst vgl. Schulze Vellinghausen, Albert: Atlantische Erneuerung  / Kunst aus den Vereinigten Staaten in Brüssel und Basel, in: FAZ vom 16.5.1958, S. 7; Flemming, Hans Theodor: Jackson Pollock – der Erztachist. Zur ersten Ausstellung seines Werkes in Deutschland, in: FAZ vom 12.8.1958, S. 10. 288 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 78. 289 Herchenröder, Jan: Jazz, in: FAZ vom 21.8.1953, S. 8. 290 Vgl. Thomas, Ernst: I like Jazz. Gedanken zum Deutschen Jazz-Festival, in: FAZ vom 28.5.1958, S. 12. 291 Hey, Richard: Jazz ist Musik, in: FAZ vom 18.4.1950, S. 7. 292 Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 401. 293 Vgl. ebd., S. 404.

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wie Thornton Wilder oder der amerikanische Brite  T.S.  Eliot wurden auch in Frankfurt geschätzt, galten als Vorbilder für die eigene literarische Entwicklung. „[D]er unerhört lebensvolle amerikanische Sprachgeist“ habe, so Mennemeier 1954 im FAZ-Feuilleton, „gerade im lyrischen Feld eine überwältigende Fülle von Talenten und genialen Begabungen hervorgebracht“294. Das galt auch für die moderne amerikanische Epik, zu deren bekanntesten Vertretern Ernest Hemingway zählte. Ging es nach dem Feuilletonleiter Ruppert, bildete der für seinen erzählerischen Realismus und seine lapidare Sprache bekannte Hemingway die „Spitze der Avantgardisten jenseits des Ozeans“295. Wie 1954 in der FAZ zu lesen war, gehörte Hemingway neben William Faulkner und Thomas Wolfe zum „Triumvirat großer amerikanischer Epiker unserer Tage“296. Auch Korn war der modernen, vor allem der jungen modernen Literatur zugewandt, deren epische Technik er bewunderte.297 1963 ließ er das Erstlingswerk des jungen amerikanischen Schriftstellers Reynolds Price „Ein langes glückliches Leben“ als Fortsetzungsroman drucken.298 Besonders beeindruckte ihn Norman Mailer. Dessen Erfolgsroman „Die Nackten und die Toten“ über den amerikanisch-japanischen Pazifikkrieg, aus dem die Redaktion im April  1950 eine Leseprobe druckte,299 hatte er kurz zuvor selbst besprochen. In der Kritik vom 3. April wies Korn der Kriegserfahrung eine verbindende Funktion zwischen Europa und den USA zu, stellte Mailers Kriegsschilderungen in die Tradition des verehrten Jünger und zählte das Buch „zum Bedeutendsten […], was es seit langem in moderner Literatur gegeben hat – trotz Hemingway, Faulkner, Sartre, Brecht.“300 Bezeichnenderweise war es aber vor allem Mailers offene Kritik an den USA, am Pazifikkrieg und am Krieg generell, die Korns Beifall fand. Das war, wie auch andere Beiträge zeigen, nicht ungewöhnlich. So lobte der politische Korrespondent Peter Grubbe, der bis 1951 auch die Feuilletonberichterstattung aus London verantwortete, 1950 die Freimütigkeit der Auseinandersetzung 294 Mennemeier, Franz Norbert: Dichterische Landschaft des 20. Jahrhunderts. Amerikanische Lyrik – kurz vorgestellt (= Rezension zu Julius Bab: „Amerikas neue Lyrik. Ausgewählte Nachdichtungen“. Bad Nauheim 1953), in: FAZ vom 7.8.1954, BuZ, S. 5. 295 MR. (= Martin Ruppert): Kultivierte Brutalität (= Rezension zu Ernest Hemingway: „40 Stories“. Hamburg 1950), in: FAZ vom 10.3.1951, S. 12. 296 Kraushaar, Richard: Rachezug der Kinder (=  Rezension zu William Faulkner: „Die Unbesiegten“. Stuttgart 1954), in: FAZ vom 18.12.1954, BuZ, S. 5. 297 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 1.10.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 298 Vgl. F.A.Z: Unser neuer Roman. Reynolds Price: Ein langes glückliches Leben, in: FAZ vom 12.2.1963, S. 2. 299 Vgl. Mailer, Norman: Whisky und Mayonnaise, in: FAZ vom 5.4.1950, S. 8. 300 Korn, Karl: Der Krieg verwandelt auch die Amerikaner (= Rezension zu Norman Mailer: „Die Nackten und die Toten“. Berlin 1950), in: FAZ vom 3.4.1950, S. 8.

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Hollywoods mit der schlechten sozialen Stellung der schwarzen Bevölkerung. Amerikanische Filme stellten in aller Offenheit dar, wozu „Dummheit, Haß und Vorurteil“301 fähig seien.302 Auch die Verfilmung des Romans „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck, die 1953 in den Kinos zu sehen war, wurde dafür gelobt, die Missstände offen auf- und anzugreifen. „Der europäische Betrachter ist dabei wieder überrascht davon, wie schonungslos die Anklage ist, wie scharf ein bösartiger und kranker Zustand im sozialen Gefüge anvisiert wird“, hieß es in der Kritik von Friedrich A. Wagner 1954. „Solche Form der Selbstkritik – man wünschte sie sich bei uns und anderswo in gleichem Maße!“303 In gleichem Maße sehnte sich der Dramaturg Answald Krüger in einem Gastbeitrag vom 4. März 1950 auch nach einer Stärkung der deutschen Filmindustrie. Am Beispiel der USA und Frankreichs skizzierte er die Chancen, die eine starke Filmindustrie Schriftstellerinnen und Schriftstellern gerade in Krisenzeiten böte. Weil es eine solche nicht gebe, könne der Nachwuchs nicht gefördert, könnten kleinere Produktionen nicht umgesetzt werden. Um aufzuholen, was in anderen westlichen Ländern „die Summe der Arbeit von 15 Jahren darstellt“304, um Deutschland wettbewerbsfähig zu machen, müsse viel Geld fließen. Dazu konnte ein Blick in Richtung USA nicht schaden.305 Positives förderte mitunter auch der Blick auf die Geschlechterverhältnisse zutage. Einige Journalistinnen lobten das amerikanische Frauenbild, das eine partnerschaftlichere Beziehung zwischen Männern und Frauen suggerierte. Wie die Lokalredakteurin Marianne Morawe 1950 auf der Frauenseite über die Haushaltsbewältigung der modernen amerikanischen Frau berichtete, sei die Doppelbelastung, der viele Frauen hierzulande ausgesetzt seien, in den USA deutlich einfacher zu bewältigen. Das liege zum einen an der effizienteren Arbeitsplanung und an der Küchentechnik, zum anderen aber auch an der Unterstützung durch den Mann. „Drüben“, so Morawe, „sind Männer mit Küchenschürzen keinesfalls Witzblattoriginale.“306

301 Grubbe, Peter: Hollywood dreht Negerfilme, in: FAZ vom 3.3.1950, S. 5. 302 Grubbe, dessen eigentlicher Name Claus Peter Volkmann lautete, war 1941/42 Kreishauptmann in Ost-Galizien, zuständig für die Ghettoisierung und Deportation der jüdischen Bevölkerung. Nach dem Kriegsende wechselte er das politische Lager. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 76–77. 303 Wa (= Friedrich A. Wagner): Soziale Anklage. John Steinbecks „Früchte des Zorns“, in: FAZ vom 15.3.1954, S. 8. 304 Krüger, Answald: Was fehlt dem deutschen Film?, in: FAZ vom 4.3.1950, S. 9. 305 Vgl. auch Sperr, Hans-Joachim: Kann das industrielle Serienprodukt schön sein? Probleme der Geschmacksbildung im industriellen Zeitalter, in: FAZ vom 19.1.1952, S. 11. 306 Morawe, Marianne: Kilometermärsche in der Küche, in: FAZ vom 21.10.1950, S. 11.

186 4.3

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Blicke nach Osten

Bei aller Kritik gab es in der bundesdeutschen Öffentlichkeit letztlich kaum Zweifel daran, dass man als westliches orientiertes Land letztlich auf der richtigen, überlegenen Seite stand.307 Das hatte im Kalten Krieg nicht nur sicherheitspolitische, sondern auch ideologische Gründe, bildete der in der politischen Kultur schon vor 1945 tief verankerte Antikommunismus doch eine wichtige Brücke zwischen der Bonner Republik und der westlichen Wertegemeinschaft, die ihn ihrerseits als propagandistisches Mittel in dem sich zuspitzenden Systemkonflikt mit der Sowjetunion gezielt einzusetzen verstand.308 Selbst Korn, der in der Redaktion unzweifelhaft zu den lautesten Kritikern der Westbindung zählte, ließ erstaunliche Milde walten, sobald die Alternative Sozialismus und Diktatur hieß. In seinen Briefen an Niekisch hob er mehrfach hervor, wie groß die Bewegungs-, Rede- und Pressefreiheit im Vergleich zur Ostzone sei. Korn pries diese Freiheiten als wichtige Grundlagen geistiger Schaffenskraft. „Wir haben hier die Leute“, schrieb er Niekisch 1951, „die die sogenannte freie Marktwirtschaft in aeternum zu exerzieren gedenken. Für die wenigen den Luxus, für die andern das knappe Leben, das oft graue Not ist! Aber ich muss doch sagen, dass wir halt mehr viel mehr Freiheit haben, vor allem wir ‚Geistigen‘“. Zugleich bekundete Korn Fassungslosigkeit „über die Verfolgung sogenannten ‚Formalismus‘ und westlicher Dekadenzliteratur und -wissenschaft“309, die ihn an das „Dritte Reich“ erinnerte. Zwei Jahre später machte er seinen Standpunkt noch deutlicher. Zu Beginn des Jahres 1953 widersprach er Niekischs Westkritik entschieden, als er schrieb: „Ich verstehe Sie nicht, wenn Sie Rechtsstaat und Freiheit nur, ich betone nur, als Vorwände für Konzernhyänen und Ausbeuter sehen. Ich kann mir nicht helfen, Freiheit ist für mich (…) eine trotzdem höchst reale Sache.“310 Die an ihn herangetragenen Berichte über die Zustände im Osten, Zensur, staatliche Kontrolle und Mangelwirtschaft, schienen Korns Kritik am Westen verblassen zu lassen, denn schon 1951 gebrauchte er Redewendungen wie „wir Westdeutschen“311, unterschied 307 Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 309–310. 308 Vgl. Creuzberger, Stefan  / Hoffmann, Dierk: Antikommunismus und politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Einleitende Vorbemerkungen, in: dies. (Hg.): „Geistige Gefahr“ und „Immunisierung der Gesellschaft“. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer). München 2014, S. 1–13, hier S. 4; Jarausch: Amerikanische Einflüsse (2005), S. 72–73. 309 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 15.5.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 310 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 5.1.1953, in: ebd. 311 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 24.2.1951, in: ebd.

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zwischen „euch“ und „uns“312 und sah im (Kunst-)Markt, das jedoch erst 1963, „unsere Chance der Freiheit“313. Was für die Staatsbildungsprozesse nach 1949 galt, war also auch bei ihm zu beobachten: „Die propagierte Überlegenheit des eigenen Systems in Abgrenzung zum jeweils anderen Teil stärkte die Identität der jungen Staatswesen und trug damit zu deren Stabilisierung und Legitimierung bei.“314 Während sich die Berichterstattung aus den westlichen Ländern der Welt dank des ausgedehnten Korrespondentennetzes relativ einfach gestaltete, war die journalistische Arbeit in der DDR und den Ostblockstaaten ungleich schwieriger.315 Vor allem in den „heißen“ Phasen des Kalten Krieges war es nur wenigen Journalistinnen und Journalisten gestattet, hinter den Eisernen Vorhang zu reisen.316 Die wenigen Korrespondentinnen und Korrespondenten, die in den 1950er Jahren für die FAZ aus der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten berichteten, gehörten zur Politikredaktion, schrieben aber gelegentlich auch für das Feuilleton.317 Hugo V. Seib verfasste 1955 als erster westdeutscher Journalist Reisereportagen aus Moskau und Leningrad (Sankt Petersburg). Ein Jahr später sandte die Zeitung Hermann Pörzgen nach Moskau, der dort 1960 eine ständige Akkreditierung erhielt. Hansjakob Stehle berichtete seit 1957 aus Warschau, Andreas Razumovsky von 1965 bis 1967 aus Prag.318 In der DDR bekam die Zeitung keine Akkreditierung. Seit 1952 konnten Journalistinnen und Journalisten zwar mit einem Tagesvisum einreisen, vor Ort war ihr Bewegungsradius jedoch stark eingeschränkt.319 Es waren deshalb vor allem die Korrespondentinnen und Korrespondenten aus West-Berlin, dem „Dreh- und Angelpunkt des Ost-West-Konflikts“320, die sich privat Zutritt in den Osten der geteilten Stadt verschafften, um sich ein möglichst autonomes 312 313 314 315 316 317

318 319 320

Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 15.5.1951, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. K.K. (= Karl Korn): Schizophrenie, in: FAZ vom 8.2.1963, S. 28. Creuzberger / Hoffmann: Antikommunismus (2014), S. 1. Über Passprobleme und das Scheitern einer Warschau-Reise berichtete Stuckenschmidt in einem Brief an Karl Korn vom 12.9.1963, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-StuckenschmidtArchiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 131. Vgl. etwa Seib, Hugo V.: Heute in Moskau. Vom Lebensstandard der sowjetischen Bevölkerung, in: FAZ vom 19.3.1955, BuZ, S. 1; Pörzgen, Hermann: Die Russen sehen Bilder von Picasso, in: FAZ vom 7.6.1956, S. 10; ders.: Erlebnis in Warschau, in: FAZ vom 27.6.1956, S. 12; Stehle, Hansjakob: Kommunisten, die an Freiheit glauben, in: FAZ vom 31.3.1958, S. 14. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 133–135. Vgl. dazu auch den Zeitungsbericht von Schwerbrock, Wolfgang: „In erster Linie für pädagogische Zwecke“. Eindrücke von der Leipziger Buchmesse, in: FAZ vom 15.9.1958, S. 12. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019).

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Bild von der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lage zu machen.321 „Ihre kritische Tätigkeit“, heißt es in einem Brief von Korn an den Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt vom 23. Juli 1957, „betrifft ständig den Platz Berlin (West und Ost), sowie die sowjetisch besetzte Zone (Leipzig und Dresden).“322 Für das Feuilleton berichtete Sabina Lietzmann zwischen 1949 und 1960 aus „der ‚Frontstadt‘“323, gefolgt und ergänzt durch Dieter Hildebrandt, Rolf Michaelis und eine Reihe ständiger und freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.324 Zur Informationsbeschaffung griffen die Journalistinnen und Journalisten auf eigene Kontakte zurück, studierten einschlägige Medien wie das Zentralorgan der SED Neues Deutschland, in dem wichtige Erlasse und Reden etwa von den Parteitagen veröffentlicht wurden, hörten den Berliner Rundfunk oder fertigten Übersetzungen aus russischen Zeitschriften wie der Kunstzeitschrift Iskusstvo an.325 Die DDR-Berichterstattung richtete sich im Feuilleton der „Zeitung für Deutschland“ weniger an markanten Ereignissen aus als im Politik- und Wirtschaftsteil. Man schrieb über architektonische, städtebauliche Pläne nach dem Vorbild Moskaus, berichtete über Rechtsbrüche und Massenentlassungen aus Theater- und Opernhäusern oder den Alltag in Ost-Berlin, filterte die wichtigsten Beiträge aus den Ost-Printmedien und analysierte die tendenziöse Literatur im Vorweihnachtsgeschäft.326 Jährlich erschienen Referate über die Leipziger Buchmesse, zu der die Redaktion eigene Mitarbeiterinnen und

321 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 136. 322 Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 23.7.1957, in: AdK Berlin, HansHeinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 323 Rühle, Günther: Brecht – oder: Was soll man tun? Zu einer Diskussion in Westdeutschland, in: FAZ vom 6.9.1961, S. 24. 324 Vgl. Forsting, Helene: Gespräch an der Mauer, in: FAZ vom 28.12.1961, S.  20. Auch andere Redaktionsmitglieder schrieben gelegentlich über die DDR, vgl. Wa (=  Friedrich A. Wagner): In Wittenberg und Jena, in: FAZ vom 6.10.1961, S. 32. 325 Vgl. Hildebrandt, Dieter: Was Kunst ist, bestimmt die Partei, in: FAZ vom 1.4.1963, S. 20; Gampert, Ingeborg: Halb Mensch und halb schon Roboter. Der gerügte Ernst Neiswestnij und die Sowjetkunst im technischen Zeitalter, in: FAZ vom 5.4.1963, S. 32; hdt. (= Dieter Hildebrandt): „Das Fortschrittliche“. Ulbrichts Schlußrede, in: FAZ vom 5.4.1963, S. 32. 326 Vgl. S.L. (= Sabina Lietzmann): Die Stadt als Fabrik und Hotel. Architektur und Städtebau der Sowjetzone, in: FAZ vom 24.12.1951, S. 18; dies.: „Fortschrittliches“, in: FAZ vom 18.3.1952, S.  6; JBW: Hintergründe der Ost-Berliner Theaterkrise, in: FAZ vom 3.9.1952, S.  6; E.J. (=  Ernst Johann): Literatur auf der Staatsgaleere oder: Die Weihnachtsbücher der Sowjetzone, in: FAZ vom 2.12.1953, S.  10; Lietzmann, Sabina: Berlins Wege nach dem Westen. Tatbestände, Sorgen und Wünsche, in: FAZ vom 14.5.1960, BuZ, S. 1; Hildebrandt, Dieter: Sommer in Ost-Berlin, in: FAZ vom 1.9.1962, BuZ, S. 1.

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Mitarbeiter entsandte.327 Politische Ereignisse und Zäsuren wie der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 oder die Aufstände in Polen und Ungarn drei Jahre später wurden dagegen zunächst im Politikteil kommentiert, bevor nach einigen Wochen gegebenenfalls ein Artikel im Feuilleton folgte.328 Gerade in Diktaturen lassen sich Politik und Kultur aber freilich schwer voneinander trennen, was man zu betonen auch im Feuilleton nicht müde wurde. Dass die Kultur vom Wohlwollen der Staatsmacht abhing und dass diese Verzahnung nicht nur die Kunstfreiheit, sondern die Kunst an sich bedrohe, wurde ebenso gerne hervorgehoben wie die Willkürlichkeit von kulturpolitischen Maßnahmen.329 „Die Wirkung des Buches auf das Leben ist […] der eigentliche Haupt- und Daseinszweck der Literatur. Unter den besonderen Bedingungen des Sowjetzonenregimes bedeutet das die totale Politisierung der Literatur, die zum Erziehungsmittel […] des Staates wird“330, schrieb Lietzmann 1956 über die Voraussetzungen, unter denen auf dem Schriftstellerkongress in Ost-Berlin über Literatur gesprochen worden sei. „Echte“ Kultur fand folglich kaum statt. Nach einer ganzen Dekade, so Lietzmann im Oktober 1959 in ihrer Bestandsaufnahme zum zehnjährigen Bestehen der DDR, gebe es mit Ausnahme des Brecht’schen Theaters kein Werk von Rang, das über die Grenzen hinaus Anklang gefunden hätte. Künstlerinnen und Künstler mit Potential resignierten oder verharrten in einer Zelle, unterdrückt vom ästhetischen Kunstdiktat, verfolgt von staatlichen Institutionen und den Medien. Kunst müsse frei sein, andernfalls könne sie nicht existieren.331 Während es bis in die frühen 1950er Jahre noch die ein oder andere Schnittstelle zwischen dem ost- und dem westdeutschen Kulturbetrieb gegeben hatte (Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus beiden Teilen versammelten sich etwa im PEN-Zentrum Deutschland), entwickelten sich die Bundesrepublik und die DDR in den folgenden Jahren weiter auseinander, der kulturelle

327 Vgl. etwa Schwerbrock, Wolfgang: Furcht und Elend an der Börse der Bücher. Notiert im Buchzentrum der Leipziger Herbstmesse, in: FAZ vom 5.9.1957, S. 12; ders.: „In erster Linie für pädagogische Zwecke“. Eindrücke von der Leipziger Buchmesse, in: FAZ vom 15.9.1958, S. 12. 328 Vgl. Bökenkamp, Werner: Verwirrung bei der französischen „Intelligenzia“, in: FAZ vom 19.11.1956, S. 10; o. A.: Ein Appell für die Freiheit, in: FAZ vom 3.12.1956, S. 12. 329 Vgl. KA.: Verglühter Todesplanet, in: FAZ vom 2.2.1959, S. 12; Hildebrandt, Dieter: Was Kunst ist, bestimmt die Partei, in: FAZ vom 1.4.1963, S. 20. 330 Lietzmann, Sabina: Die Musen und der Funktionär. Bilanz des Ost-Berliner Schriftstellerkongresses, in: FAZ vom 17.1.1956, S. 10. 331 Vgl. Lietzmann, Sabina: Pegasus an der Kandare. Zehn Jahre Kunst im Sowjetzonenstaat, in: FAZ vom 3.10.1959, BuZ, S. 4.

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Austausch wurde rar.332 Erstere öffnete sich für die moderne Literatur, Kunst und Musik nach westlichem Vorbild, letztere orientierte sich an der Sowjetunion und dem Ideal des sozialistischen Realismus. Unter der Devise „Kunst aus dem Volk für das Volk“, die nach der Bitterfelder Konferenz im April 1959 kulturpolitisch umgesetzt werden sollte, stellte die DDR die Künste in den Dienst der marxistisch-leninistischen Staatsdoktrin. Strenge inhaltliche, thematische und ästhetische Vorgaben sollten die Einheit des sozialistischen Staates künstlerisch untermauern.333 Politische Weichenstellungen und Ereignisse wie der Tod Josef Stalins im März 1953, der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) im Februar 1956 und das an ihn anknüpfende widerspruchsreiche „Tauwetter“ unter dem bis 1964 amtierenden Regierungs- und Parteichef Nikita Chruschtschow hatten folglich starken Einfluss auf den kulturpolitischen Kurs und das kulturelle Klima in den Ostblockstaaten. Auf Phasen „der kulturellen Scheinliberalität“334 wie 1953 („Neuer Kurs“) und 1956 folgten Perioden restriktiver Reglementierung und strafrechtlicher Verfolgung. Auch im Feuilleton boten politische Einschnitte also immer wieder Anlass, das Verhältnis zum Osten, seiner Kultur und -politik zu reflektieren.335 So rief die Abriegelung der Sektorengrenze nach West-Berlin am 13. August 1961, der auch als kulturelle Demarkationslinie vermarktete Mauerbau, in der Öffentlichkeit abermals Diskussionen über Bertolt Brecht auf den Plan. Der 1956 verstorbene Dramatiker war nach seiner Emigration in Ost-Berlin untergekommen und hatte dort mit dem „Berliner Ensemble“ ein eigenes Theater geführt. Als bekennender Sozialist hatte Brecht wiederholt seine Unterstützung für das SED-Regime bekundet,336 weshalb er im Westen immer wieder boykottiert wurde.337 Auch nach dem Mauerbau wurden Brechts Stücke in vielen Häusern 332 Vgl. Barner, Wilfried: Kommerz und Experiment: Literarisches Leben im Westen, in: ders. (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München 22006, S. 163–171, hier S. 166; Gillen, Eckhart: Feindliche Brüder? Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst 1945–1990. Berlin 2009, S. 90. 333 Vgl. Bollenbeck / Kaiser: Einleitung (2000), S. 9; Rothmann, Kurt: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. Stuttgart 202014, S. 312–313. 334 Schwab-Felisch, Hans: Einige Aspekte der SED-Kulturoffensive, in: FAZ vom 12.4.1958, BuZ, S. 4. 335 Vgl. Korn, Karl: Vor dem Umschwung? Die gemaßregelte Literatur, in: FAZ vom 24.7.1957, S.  12; Hildebrandt, Dieter: Mit Stacheldraht geschmückt. Zur kulturpolitischen Situation in Berlin nach dem 13. August, in: FAZ vom 31.8.1961, S.  14; Korn, Karl: Die Literatur und die Mauer. Zur internationalen Buchmesse 1961 in Frankfurt, in: FAZ vom 17.10.1961, S. 20. 336 Zum Verhältnis zwischen Brecht und dem SED-Regime vgl. etwa Glahn, Philip: Bertolt Brecht (= Critical Lives). London 2014, S. 189–205. 337 Vgl. Rothmann: Kleine Geschichte (2014), S. 314.

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vom Spielplan genommen, was den Theaterkritiker Günther Rühle in der FAZ vom 6. September zu einem Kommentar über den „Automatismus zwischen Politik und Kunst“ bewog. Die ambivalente Rezeption Brechts habe viel mit der Vergangenheit zu tun, so Rühle, schließlich sei er es gewesen, der „von Ost-Berlin aus zum erstenmal nach 1950 einer deutschen Kunstübung wieder die Aufmerksamkeit der Welt verschafft“ habe. Kritisch beleuchtete Rühle die staatliche Instrumentalisierung der Künste in der DDR, forderte aber, dass sich die westliche Rezeption dem politischen Primat nicht unterwerfen dürfe. Mit Absetzungen erreiche man, was die DDR-Staatsführung bezwecke, nämlich Brecht zu vereinnahmen. Statt die Parteiinterpretationen seiner Kunst zu übernehmen, müsse sich der Westen auf das Werk und dessen menschliche Substanz besinnen, das künstlerische Schaffen „aus den marxistischen Bindungen lösen“. Zwischen dem Politikum und dem Künstler Brecht wollte Rühle unterschieden wissen: Wie auch immer es sei, stünden wir vor dem Faktum, Brecht sei bis zu seinem Tode ein tätiges Mitglied der Ulbricht-Partei gewesen, ein Hymniker auf Stalin, und hätte doch gleichzeitig die Veränderung der Kunst in diesem Jahrzehnt so sichtbar gemacht, wie er es tat, wir könnten ebensowenig an ihm vorbeigehen, wie das Theater der zwanziger Jahre an dem (längst wieder erstickten) Theater der russischen Revolution vorüberging. Die Wahrheiten der Kunst sind Wahrheiten der Zeit, gleich, ob sie von den sozialen Haltungen her gefärbt sind oder nicht.338

Ähnlich äußerte sich auch Menck, die zwei Tage zuvor eine der wenigen westdeutschen Brecht-Aufführungen seit dem Berliner Mauerbau rezensiert hatte. Wie der Regisseur Peter Palitzsch, der Brechts „Prozeß der Jeanne d’Arc zu Rouen 1431“ im Herbst 1961 in Ulm aufführte, war auch sie der Ansicht, dass man Brecht nicht sozialistisch lesen dürfe: „Es läßt sich gegen das Stück manches sagen“, schrieb sie in ihrer Kritik, „aber nicht, daß es kommunistisch sei – oder man müßte den Kommunismus mit allen Richtungen verwechseln, die Weltgeschichte ganz oder überwiegend unter dem Gesichtspunkt des Kampfes von arm gegen reich, von Volk gegen Adel und so weiter ansehen.“339 Der ursprüngliche Stoff sei so allgemeiner Natur, dass er zweifellos aufgeführt werden könne. Korn, der den verehrten Dramatiker schon in den 1950er Jahren

338 Rühle, Günther: Brecht – oder: Was soll man tun? Zu einer Diskussion in Westdeutschland, in: FAZ vom 6.9.1961, S. 24. 339 Menck, Clara: Johanna die Partisanin. Zur Ulmer Brecht-Aufführung, in: FAZ vom 4.9.1961, S. 20.

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verteidigt hatte,340 wies einige Wochen später auf die Gefahr hin, Brecht zu schmähen, weil man ihn posthum verantwortlich mache: Er sei „nicht nur ein Dialektiker, sondern auch ein dramatischer Dichter von solcher Kraft, daß sein Einfluß in einer ‚freien Welt‘ nur um so stärker wird, wenn man ihn nicht diskutiert und ihn zu unterdrücken sucht.“341 Nach diesem Muster verfuhr das Feuilleton auch in anderen Fällen. Trotz Aufführungsverbot erschien 1952 eine kurze Kritik zu Wolfgang Staudtes Film „Der Untertan“ (1951), nachdem der „Heidelberger Filmklub“ den Film außer der Reihe gezeigt hatte.342 Besondere Aufmerksamkeit erfuhren Personen und -gruppen, die aus dem engen ideologischen und künstlerischen Korsett auszubrechen versuchten, Institutionen und Programme, die es sich erlaubten, „den philiströspropagandistischen Abklatsch der Wirklichkeit nicht als alleinige Norm gelten zu lassen, sondern auch Werke vorzustellen, die nicht ‚linientreu‘ sind“343, wie es im FAZ-Feuilleton vom 8. November 1961 hieß.344 Künstler wie den russischen Lyriker Jewgeni Alexandrowitsch Jewtuschenko, der sich an der Grenze des Geduldeten bewegte, unbequeme Publizisten wie den Chefredakteur der relativ liberalen, gesamtdeutsch ausgerichteten Zeitschrift „Sinn und Form“ Peter Huchel, den Lyriker Günter Kunert, den Leipziger Literaturprofessor Hans Mayer und den Philosophen Wolfgang Harich, die sich an der „Befreiung der Künste vom Diktat der Partei“345 beteiligten und deshalb in das Fadenkreuz der Partei gerieten, bedachte das Feuilleton mit Interesse und Wohlwollen.346 Gezielt, so erinnert sich der FAZ-Kunstredakteur Eduard Beaucamp, 340 Vgl. Korn, Karl: Der Krieg, wie er ist. Brechts „Mutter Courage“ in der Darmstädter Inszenierung, in: FAZ vom 1.2.1950, S. 5; ders.: „Alle Fragen offen“. Bertolt Brechts „Der kluge [sic!] Mensch von Sezuan“ in Frankfurt, in: FAZ vom 18.11.1952, S. 8. 341 Korn, Karl: Der Verrat des Galileo Galilei. Bert-Brecht-Inszenierung im Frankfurter Großen Haus, in: FAZ vom 26.10.1961, S. 16. 342 Vgl. K. F. J.: Der Filmklub Heidelberg zeigt Staudte, in: FAZ vom 13.2.1952, S. 6. Nach der offiziellen Aufführungserlaubnis folgte eine positive Kritik von K.K. (= Karl Korn): Der Film vom „Untertan“, in: FAZ vom 25.3.1957, S. 10. 343 Hildebrandt, Dieter: Zwischen Experiment und Partei. Zu einer Ausstellung junger Maler aus der Zone, in: FAZ vom 8.11.1961, S. 24. 344 Vgl. Balluseck, Lothar von: Dichter im Dienst. Der sozialistische Realismus, in: FAZ vom 7.12.1955, S.  14; Lietzmann, Sabina: Bewußtseinsknüller und Berufstätige. „Kein Platz für milde Satire“ in der Ost-Berliner „Distel“, in: FAZ vom 2.12.1958, S. 14. 345 Lietzmann, Sabina: Schreckensgespenst Petöfi-Kreis in Ost-Berlin. Die Künstler der Sowjetzone sind unruhig geworden, in: FAZ vom 3.12.1956, S. 12. 346 Vgl. Lietzmann, Sabina: Comeback der Musenhüter. Wird Johannes R. Becher schweigend zusehen?, in: FAZ vom 29.7.1957, S.  10; Pzg. (=  Hermann Poerzgen): Die falsche Glocke geläutet. Eine Rüge für den jungen russischen Lyriker Jewtuschenko, in: FAZ vom 10.10.1961, S.  20; Hill, Roland: Lucky Jim aus Moskau. Besuch des sowjetischen Schriftstellers Jewtuschenko, in: FAZ vom 4.6.1962, S. 20; Wagner, Klaus: Großer Junge

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informierten die Korrespondentinnen und Korrespondenten die Redaktion über bedrohte Kulturschaffende, verfolgte Journalistinnen und Journalisten und rebellierende Intellektuelle. Ihre Positionen sollten an die Öffentlichkeit gebracht, die Betroffenen durch anhaltende Präsenz protegiert werden.347 Zu diesem Zweck kamen bisweilen auch DDR-Bürger wie der geflüchtete Gerhard Zwerenz zu Wort, der 1959 über die unrechtmäßige Inhaftierung seines Kollegen Erich Loest berichtete und zu grenzübergreifender Solidarität aufrief. Wie andere, vor allem jüngere Intellektuelle war auch der Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes Loest überzeugter Sozialist, hatte aber nach dem Aufstand vom 17. Juni Kritik an der SED-Führung geübt.348 Hoffnung auf Wandel und Reformen verkörperte auch der 1955 in Budapest gegründete „Petöfi-Kreis“, ein offener Diskussionszirkel, der literarische Freiheit und politische Unabhängigkeit forderte.349 Die Werke des oppositionellreformerischen Forums wurden in der DDR nicht übersetzt, der Kreis 1956 aufgelöst, weil er zu den Wegbereitern des ungarischen Volksaufstandes gehörte. Das Feuilleton berichtete über die intellektuellen Unruhen in OstBerlin, führte in das literarische Werk des verhafteten Petöfi-Mitglieds Tibor Déry ein und druckte ein Gedicht des ungarischen Freiheitskämpfers Sándor (Alexander) Petöfi.350 Zehn Jahre später, als es in der Tschechoslowakei unter dem reformorientierten Generalsekretär der Kommunistischen Partei Alexander Dubček brodelte, unterstützte es rund um den „Prager Frühling“ aufbegehrende Intellektuelle wie den Prager Dramaturgen und späteren Präsidenten der Tschechischen Republik Václav Havel.351 Als dieser nach der Niederschlagung

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Jewtuschenko. Ein Gespräch mit dem sowjetischen Lyriker in Hamburg, in: FAZ vom 11.1.1963, S. 28; hdt. (= Dieter Hildebrandt): Angriffe auf Hacks und Huchel. Ulbricht pocht auf den sozialistischen Realismus / Parteitag in Ost-Berlin, in: FAZ vom 22.1.1963, S. 18; ders.: Was Kunst ist, bestimmt die Partei. Professor Hagers Moralpredigt an die Künstler der Zone, in: FAZ vom 1.4.1963, S. 20. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Vgl. Zwerenz, Gerhard: Der „freie Atem“ in Leipzig. Zum Fall Erich Loest, in: FAZ vom 2.4.1959, S. 12. Vgl. Braun, Matthias: Petöfi-Kreise grenzüberschreitend? Die internationalen Kontakte der intellektuellen Dissidenz, in: Engelmann, Roger  / Großbölting, Thomas  / Wentker, Hermann (Hg.): Kommunismus in der Krise. Die Entstalinisierung 1956 und die Folgen. Göttingen 2008, S. 371–389, hier S. 371–372. Vgl. Lietzmann, Sabina: Schreckensgespenst Petöfi-Kreis in Ost-Berlin. Die Künstler der Sowjetzone sind unruhig geworden, in: FAZ vom 3.12.1956, S. 12; Petöfi, Alexander: Nur ein Gedanke quält mich, in: FAZ vom 30.1.1957, S. 10; Nagel, Ivan: An der Frontlinie der geistigen Freiheit. Tibor Déry – ein großer, fast unbekannter Schriftsteller, in: FAZ vom 7.6.1957, S. 12. Vgl. ASV (=  Albert Schulze Vellinghausen): Das Bochumer „Gartenfest“, in: FAZ vom 31.3.1965, S.  2; Razumovsky, Andreas: Die Prager vor der Tür. Über das Theaterleben

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kurzzeitig verschwand, druckte das Ressort seine satirischen, gesellschaftskritischen Typogramme.352 Besonders markant zeichnete sich der als Kulturkampf ausgetragene Systemkonflikt in den bildenden Künsten ab: „Wie feindliche Brüder waren die Künste im geteilten Deutschland Jahrzehnte lang negativ aufeinander fixiert.“353 Die moderne, abstrakte Kunst, die, wie mittlerweile bekannt, vom amerikanischen Auslandsgeheimdienst gefördert wurde,354 galt im Osten als formalistisch, dekadent und bürgerlich. Die volkstümliche, gegenständliche Kunst des Ostens, die sich der „Realität in ihrer sozialistischen Perspektive“355 verpflichten und erzieherisch wirken sollte, wurde im Westen als primitiv, pervertiert, unfrei und, darin an die NS-Zeit erinnernd,356 parteilich abgestempelt.357 Das FAZFeuilleton, das zu den lautesten Befürwortern der modernen Kunst gehörte, das die Persönlichkeit, den schöpferischen Geist, die künstlerische Freiheit hochhielt, konnte dem sozialistischen Realismus, den Zuversicht ausstrahlenden Alltags-, Bauern- und Arbeitermotiven und der am Klassizismus orientierten Ästhetik, folglich wenig abgewinnen.358 Umso stärker goutierte es Abweichungen und Ausnahmen wie den russischen Bildhauer Ernst Neiswestny, „der nicht nur unter den russischen Jüngern moderner Kunst, sondern auch bei Kunstkennern der westlichen Hemisphäre als die bedeutendste Persönlichkeit und stärkste Begabung der sowjetischen Avantgarde gilt“, wie die Slawistin Ingeborg Gampert im April 1963 in der FAZ berichtete. Neiswestny hatte sich 1962 auf einer Kunstausstellung in der Moskauer Manege eine hitzige Debatte mit Chruschtschow geliefert, weil dieser die dort präsentierten Werke der jungen Abstrakten etwa als „degeneriert“ bezeichnet hatte. Künstler wie Neiswestny machten im Westen deutlich, so Gampert, dass die neue russische Avantgarde kein „von der Partei verhätscheltes Enfant terrible [sei], dessen Eskapaden

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in der tschechoslowakischen Hauptstadt, in: FAZ vom 28.4.1965, S. 28; ders.: Eine Figur namens Hájek, in: FAZ vom 28.12.1967, S.  24; Michaelis, Rolf: Haecksel von Havel. Deutsche Erstaufführung in Berlin, in: FAZ vom 18.11.1968, S.  22; V.  M.: Protest in Prag. Vaclav Havel gegen Behörden, in: FAZ vom 15.1.1976, S. 17. Vgl. das Typogramm „Konstruktive Satire“ von Václav Havel, in: FAZ vom 6.9.1968, S. 32. Gillen: Feindliche Brüder? (2009), S. 10. Vgl. Bollenbeck, Georg: Die fünfziger Jahre und die Künste: Kontinuität und Diskontinuität, in: ders.  / Kaiser, Gerhard (Hg.): Die janusköpfigen 50er Jahre. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik III. Wiesbaden 2000, S. 190–213, hier S. 205. Gillen: Feindliche Brüder? (2009), S. 146. Vgl. Theunissen, Gert  H.: Kunst im deutschen Zwielicht. Zu den Gründen einiger Irrtümer seit 1945, in: FAZ vom 27.2.1954, S. 13. Vgl. Bollenbeck: Die fünfziger Jahre (2000), S. 205; Gillen: Feindliche Brüder? (2009), S. 119. Vgl. Gillen: Feindliche Brüder? (2009), S. 164.

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man hinnimmt, um Liberalisierungstendenzen glaubhaft zu machen, oder planmäßig großgezogener Nachwuchs, der dem stagnierenden Realismus wieder auf die Beine helfen soll. […] Es sind Menschen, die sich in erster Linie ihrem Gewissen […] verantwortlich wissen, das erstaunlich hellhörig ist und Konflikte nicht scheut.“359 Um seine Bedeutung zu unterstreichen, druckte das Feuilleton zwei großformatige Fotografien des Schweizer Dokumentarfotografen Jean Mohr, die zwei Skulpturen Neiswestnys zeigen.360 Die antitotalitäre, mitunter moralisierende Kritik an der Befangenheit und Eintönigkeit des kulturellen Lebens in der DDR korrespondierte mit dem feuilletonistischen Anspruch, genauer hinzusehen. Seit den 1960er Jahren berichtete das Ressort in neuer Intensität aus der DDR und den Ostblockstaaten, besonders über Werke, denen ein künstlerischer Eigenwert zugestanden wurde. Dann erschienen positive Ausstellungskritiken,361 dann konnte die Satire des OstBerliner Kabarett-Theaters „Distel“ sogar als das Beste gelobt werden, was in Deutschland zu sehen ist.362 Sofern die betrachteten Intellektuellen und Kulturschaffenden keine Parteimitglieder waren und keine offiziellen Ämter bekleideten,363 galt es ihre Werke möglichst immanent zu betrachten. Auch ein überzeugter Kommunist konnte schließlich ein guter Künstler sein.364 Dass die Kultur der DDR per se Staatskultur war, wurde vom Feuilleton auf diese Weise ad absurdum geführt. Freilich blieb aber auch das Kulturressort – zumindest subtil – oft nationalen, westlichen Wahrnehmungsmustern verhaftet: Als künstlerisch wertvoll galten wie im Fall Brecht künstlerische Leistungen, die zum gesamtdeutschen historischen Kulturgut gehörten, und solche, die sich den eigenen, zunehmend westlich orientierten Vorstellungen von Kunst, den Idealen von Individualismus, Fortschritt und Freiheit, öffneten.365 359 Gampert, Ingeborg: Halb Mensch und halb schon Roboter. Der gerügte Ernst Neiswestnij und die Sowjetkunst im technischen Zeitalter, in: FAZ vom 5.4.1963, S. 32. 360 Vgl. die Aufnahmen von Jean Mohr zu Gampert, Ingeborg: Halb Mensch und halb schon Roboter. Der gerügte Ernst Neiswestnij und die Sowjetkunst im technischen Zeitalter, in: FAZ vom 5.4.1963, S. 32. 361 Vgl. Lietzmann, Sabina: Menzel, der Zeichner. Ausstellung in der Ost-Berliner Nationalgalerie, in: FAZ vom 13.8.1955, S. 10. 362 Vgl. Lietzmann, Sabina: Bewußtseinsknüller und Berufstätige. „Kein Platz für milde Satire“ in der Ost-Berliner „Distel“, in: FAZ vom 2.12.1958, S. 14. 363 Vgl. Rühle, Günther: Brecht – oder: Was soll man tun? Zu einer Diskussion in Westdeutschland, in: FAZ vom 6.9.1961, S. 24. 364 Vgl. Brandt, Sabine: Ein neuer Anfang? „Die Aula“ von Hermann Kant – Erster Versuch konsequenter  Entstalinisierung in der Literatur der „DDR“ (=  Rezension zu Hermann Kant: „Die Aula“. München 1966), in: FAZ vom 19.2.1955, BuZ, S. 5. 365 Eine große Ausnahme (und Gegenmaßnahme) bildete Beaucamps Engagement für die „Leipziger Schule“ seit den frühen 1970er Jahren, das im folgenden Kapitel behandelt wird.

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Dem strikten Antikommunismus, den die „Kalten Krieger“ im Politikteil pflegten, schloss sich die Feuilletonredaktion nicht an. Auch die Sprachregelungen, die seit dem Amtsantritt des Sethe-Nachfolgers Jürgen Tern im Jahr 1960 galten, stießen bei einigen Redaktionsmitgliedern auf Ablehnung.366 Um zu unterstreichen, dass man die DDR nicht als souveränen Staat anerkannte, setzte man sie in der FAZ (und nicht nur dort, sondern etwa auch in Schulbüchern)367 in Anführungszeichen. Im Feuilleton, wo neben dem Begriff „DDR“ (1332 Treffer) auch die Bezeichnungen „Sowjetzone“ (992), „Mitteldeutschland“ (299), „Ostzone“ (201) und „Ostdeutschland“ (96) gebräuchlich waren,368 wurde diese Regel nicht konsequent umgesetzt. Obwohl die Anführungszeichen nun deutlich häufiger zum Einsatz kamen als in den Jahren zuvor, gab es zum Missfallen Terns, der darin einen Fall von Illoyalität erblickte,369 immer wieder Ausnahmen.370 Die Verschärfung des Klimas seit der Neubesetzung des Herausgebergremiums, die sich auch in Mahnungen an das Feuilleton ausdrückte,371 führte zu Verstimmungen. Boveri, die triumphierte, wenn die DDR einmal ohne Gänsefüßchen erschien,372 und die Korrespondentin Vilma Sturm waren sich in ihrer Ablehnung der politischen Haltung der Zeitung in der deutschen Frage einig. Wenige Monate nach dem Mauerbau hatte Boveri, die als ständige Mitarbeiterin für das Feuilleton schrieb, in der Zeit ihre Sicht auf den Ost-West-Konflikt dargelegt. In ihrem Beitrag vom 9. Februar 1962 entwarf sie das Bild einer immateriellen, von beiden Seiten propagandistisch erzeugten Mauer, kritisierte den westlichen Habitus geistiger Überlegenheit,

366 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.1.1970, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  3; Brief von Dieter Hildebrandt an die Verfasserin vom 7.8.2017. Das machte sich auch in der Feuilletonberichterstattung bemerkbar, etwa wenn Filmproduktionen dafür gelobt wurden, auf Schwarz-Weiß-Zeichnungen zu verzichten. Vgl. K.K. (= Karl Korn): Der Käutner-Film „Himmel ohne Sterne“, in: FAZ vom 20.2.1956, S. 10. 367 Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 142. 368 Die Recherche im FAZ-Digitalarchiv deckte den Untersuchungszeitraum vom 1. November  1949 bis zum 30. November 1973 ab und schloss auch die Wochenendbeilage ein. 369 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 3.8.1965, zur Verfügung gestellt von Dieter Hildebrandt. 370 Vgl. Korn, Karl: Fernsehen – Gottheit oder Fetisch der Massenvernunft? Bericht von einem Münchner Kulturkongreß, in: FAZ vom 30.11.1962, S. 28; Brandt, Sabine: Die Sorgen und die Macht. Nach der zweiten literarischen Konferenz in Bitterfeld, in: FAZ vom 14.5.1964, S.  20; Hildebrandt, Dieter: Fortschaffung eines Narren. Über die Schwierigkeit, in Leipzig Satire zu machen, in: FAZ vom 18.9.1964, S. 32. 371 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 23.9.1964, in: FAZ-Archiv, Herausgeber  1.4.1963–12/1965. 372 Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 3.11.1964, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 4.

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die Abschottung und die selbstverschuldete Unaufgeklärtheit des Westens.373 Sturm, die ihn gelesen hatte und über die Worte aus dem Mund einer FAZAutorin überrascht war, schrieb Boveri daraufhin einen bestätigenden Brief. Schon länger, so Sturm am 9. Februar, sei sie mit der Politikberichterstattung der FAZ nicht einverstanden, als Feuilletonistin aber „politisch zum Schweigen verurteilt“. Sie gestand, durch ihre Tätigkeit jede Selbstachtung zu verlieren: „Ich kann doch nur jedem Menschen abraten, die FAZ zu lesen“374. Sturm, die kurz darauf vorschlug, andere „Oppositionelle“ in der Redaktion ausfindig zu machen, „um uns dann u. wann einmal ‚Geschlossen‘ ins Felde zu führen“375, griff damit einer Entwicklung vor, die das Verhältnis zwischen der Politik- und der Feuilletonredaktion in den 1960er Jahren noch mehrfach belasten sollte. *** Nach der doppelten deutschen Staatsgründung, die im Westen des geteilten Landes eine Kanzlerdemokratie, im Osten eine sozialistische Diktatur begründete, herrschte in den 1950er Jahren viel Gesprächsbedarf. Demokratie, Westbindung und Wiederbewaffnung, der wirtschaftliche Aufschwung und die lebensweltlichen Umbrüche warfen Fragen auf. „Worauf können wir hoffen?“ wollte die FAZ 1953 in ihrer Weihnachtsumfrage wissen.376 Hoffnung gab es zunächst nicht besonders viel: Die Gegenwartsdiagnosen waren von zeittypischen moderneskeptischen, kulturkritischen Argumenten durchzogen,377 die starke Traditionslinien zwischen der Weimarer Republik beziehungsweise der konservativen Kritik an Weimar und der Bundesrepublik offenbarten. Im FAZ-Feuilleton, das als aufklärerischer „Sachverwalter öffentlicher und gesellschaftlicher Interessen“378 mit Frühwarnfunktion auftrat, wurde die Nachkriegsgesellschaft als einförmig, saturiert und geistlos kritisiert. Diese Kritik war Ausdruck des nonkonformistischen Selbstverständnisses in Teilen der Redaktion, das sich mit dem Nimbus intellektueller und medialer Autorität auf die Suprematie des Politischen und Wirtschaftlichen gegenüber kulturellen, 373 374 375 376

Vgl. Boveri, Margret: Mauern, die wir selber bauen, in: Die Zeit vom 9.2.1962, S. 8. Brief von Vilma Sturm an Margret Boveri vom 9.2.1962, in: PSB, NL Margret Boveri 1521. Brief von Vilma Sturm an Margret Boveri vom 5.3.1962, in: ebd. Vgl. FAZ: Worauf können wir hoffen? / Eine Umfrage, in: FAZ vom 24.12.1953, RheinMain-Teil, S. 3–4. 377 Vgl. Bühner, Björn: Kulturkritik und Nachkriegszeit. Zur Funktionalisierung bildungsbürgerlicher Semantik in den politisch-kulturellen Zeitschriften 1945–1949 (= Probleme der Dichtung. Studien zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 49). Heidelberg 2014, S. 14; Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 38; Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 315–316. 378 Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 240.

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geistigen und sozialen Fragen – auch in der Zeitung – richtete. Wirksame Gegenmittel sah man, darin bekannten elitären Denkmustern sowohl aus dem rechts- als auch aus dem linksintellektuellen Milieu folgend, in freien und geistreichen Diskussionen, in einem ausgeprägten Individualismus und in der Kultur. Kultur, oder das, was in einem bürgerlich geprägten Sinne darunter verstanden wurde („Hochkultur“), galt als Korrektiv,379 während die Unterhaltung als Teil der populären Kultur im Oberflächlichen, Kommerziellen und Trivialen verortet blieb. Die neue Fülle an Unterhaltungsangeboten wurde den USA zugeschoben, die als Repräsentanten der zivilisatorischen Moderne ein Aushandlungsfeld etwa für Fragen der Geschlechterordnung und Sexualität bildeten (Kinsey-Reports).380 In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre begannen diese Perspektiven allmählich aufzuweichen. Der „Niedergang der Kulturkritik“, der im Feuilleton der 1960er Jahre reflektiert und für richtig befunden wurde, da sie nun als überholt und unzeitgemäß galt, vollzog sich parallel zur politischen Stabilisierung und wirtschaftlichen Konsolidierung der jungen Bundesrepublik. Der Aufstieg der empirischen Sozialwissenschaften, die auf der Suche nach Öffentlichkeit auch im Feuilleton eine Plattform fanden,381 trug sein Übriges dazu bei, dass der Zivilisationspessimismus in der an Umfang und Auflage gewinnenden FAZ zunehmend anachronistisch wirkte.382 Die späten 1950er Jahre, die den Auftakt für eine beschleunigte Demokratisierung und Liberalisierung markierten,383 bedeuteten daher das weitgehende Ende dieser Form der Kulturkritik, wenngleich vor allem die Kommerzialisierungs- und Konsumkritik weiterhin zum feuilletonistischen Repertoire gehörte.384 Themen wie die NS-Vergangenheit 379 Vgl. dazu auch das nächste Kapitel „Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik“. 380 Vgl. Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam (2011), S. 7. 381 Vgl. Gallus, Alexander: Schillernder Schelsky. Zur Einführung, in: ders. (Hg.): Helmut Schelsky – der politische Anti-Soziologe. Eine Neurezeption. Göttingen 2013, S. 7–16, hier S. 10. 382 Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 271. 383 Vgl. ebd., S. 353. 384 So sprach sich Korn 1962 vehement gegen eine Aufhebung der Buchpreisbindung aus. Erhard, zu dieser Zeit Bundeswirtschaftsminister, hatte im Zuge einer Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgeschlagen, die freie Preisbildung auf alle Markenartikel auszuweiten und folglich auch die Verlagserzeugnisse den Marktgesetzen zu unterwerfen. Kultur, so Korn daraufhin im Feuilleton, müsse frei von wirtschaftlichen Zwängen sein. Bücher waren für ihn keine Waren, sondern Kulturgüter, die es zu schützen galt. Vgl. Korn, Karl: Der Ladenpreis – und die Folgen. Das Buch auf der Wildbahn der Konkurrenz, in: FAZ vom 22.8.1962, S. 20 und als weitere Beispiele Rühle, Günther: Die Welt nicht nur des Bazon Brock. Ein Schauspiel aus der Konsumwelt bei der

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rückten nun stärker auf die Agenda, neben die geistigen Autoritäten der 1920er Jahre traten neue Köpfe und im Feuilleton kam eine neue Generation zu Wort, der diese Art von Krisenrhetorik unbekannt war.385 Korns Stimme war nunmehr eine, wenn auch gewichtige, unter vielen. Auch das Amerikabild bekam ausgewogenere Züge. Kulturelle Vorbehalte blieben, aber die Gemeinsamkeiten gewannen an Kontur. Gerade vor der Folie DDR ließ sich eine positive Konnotation westlicher Werte erkennen, denen vor allem mit Blick auf Kunst und Kultur eine existentielle Funktion zugeschrieben wurde.386 Die zweite Hälfte der 1950er Jahre sorgte auch hinter den Kulissen der Zeitung für Veränderung. Das hing nicht nur mit der personellen Erweiterung der Feuilletonredaktion zusammen, sondern auch mit dem Ausscheiden des Politikherausgebers Paul Sethe; eine Wendung, die die Position des Feuilletons in der Zeitungsarchitektur erheblich schwächte. Wenngleich tages- und parteipolitische Ereignisse in seinen Spalten kaum Widerhall fanden,387 konnte und wollte man politische Fragen dort nicht gänzlich aussparen („08/15“, „Das Treibhaus“). Das galt vor allem dann, wenn sie Kulturelles im weitesten Sinne betrafen. Kultur, das zeigen die vorangegangenen Beispiele, erwies sich auch nach 1945 als „Diskursraum der politischen Debatte“388; Kritik, war im Juni 1963 im Feuilleton zu lesen, könne eben „nicht an den gesellschaftlichen Hintergründen und den tragenden wirtschaftlichen Ursachen vorübergehen.“389 Folglich gestattete sich auch das Feuilleton von Zeit zu Zeit ein eigenes politisches Urteil, was – solange Sethe der Politikredaktion vorstand – zwar nicht immer gutgeheißen, aber weitgehend akzeptiert wurde, zumal die vertretenen politischen Positionen feuilletonistisch ummantelt wurden. Während sich weite Teile der westdeutschen Öffentlichkeit nach anfänglichen Zweifeln für eine politische, militärische und wirtschaftliche Westintegration aussprachen und sich unter den Intellektuellen eine zeittypische „Trennung von Realpolitik und

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Experimenta I, in: FAZ vom 7.6.1966, S. 13; Grn. (= Ulrich Greiner): Einen Streifen voraus, in: FAZ vom 7.7.1971, S. 32. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 355. Vgl. Korn, Karl: Der Freiheit eine Gasse, in: FAZ vom 3.7.1950, S.  1; Schulze Vellinghausen, Albert: Totalität der gegenwärtigen Kunst, in: FAZ vom 30.8.1955, S. 10; Lietzmann, Sabina: Lieber kitschig als dekadent. Die Berliner Kulturkonferenz der Sozialistischen Einheitspartei hat auf scharfen Kurs geschaltet, in: FAZ vom 28.10.1957, S. 12. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 215. Zimmermann: Friedrich Sieburg (2015), S. 116. Korn, Karl: Schluß mit der Kulturkritik?, in: FAZ vom 28.6.1963, S. 32.

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Gesinnung“390 durchsetzte,391 wich das FAZ-Feuilleton mit seiner Kritik an der Wiederbewaffnung und der Förderung eigenwilliger Schriftsteller wie Koeppen zumindest in der ersten Hälfte der 1950er Jahre von diesem Konsens ab. Doch obwohl in der Nachkriegsöffentlichkeit viele kontroverse Themen verhandelt wurden, machte sich das Feuilleton in politischen Angelegenheiten nicht zum Debattenort. Die Journalistinnen und Journalisten analysierten und kritisierten, mischten sich ein, empörten sich, trugen durch Umfragen Meinungsbilder zusammen, machten Orientierungsangebote und begleiteten den Wandel der bundesdeutschen Gesellschaft damit aktiv. Umstrittene Entscheidungen auf der politischen Bühne, die traditionell im Politikteil der Zeitungen diskutiert wurden, stellte das Feuilleton in seinen Spalten aber (noch) nicht offen zur Diskussion, politische Positionen konfrontierte es nicht mit Gegenpositionen. Die Rezension, das prägende Genre im FAZ-Feuilleton der 1950er Jahre, bot zwar mitunter Anlass zu längeren kritischen Reflexionen, war aber kein Ausgangspunkt für einen politischen Schlagabtausch.

390 Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 27. 391 Vgl. Schildt, Axel: Zur so genannten Amerikanisierung in der frühen Bundesrepublik – einige Differenzierungen, in: Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960. Bielefeld 2007, S.  23–44, hier S. 29–30; ders.: Medien-Intellektuelle (2020), S. 149.

Kapitel 5

Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre hatte sich die FAZ in der bundesdeutschen Medienlandschaft zweifelsfrei etabliert. Aufsehenerregende Zwischenfälle wie der „Fall Sethe“ hatten weder hinter den Kulissen langfristig Schaden verursacht noch die Außenwahrnehmung nachhaltig beeinflusst. Der Leserstamm im In- und Ausland war gesichert, das Anzeigengeschäft florierte und die Auflage stieg kontinuierlich: Zwischen 1950 und 1958 vervierfachte sich die tägliche Druckauflage von knapp 52.000 auf rund 223.000 Exemplare.1 Von der Einstellung der Neuen Zeitung hatte die FAZ ebenso profitiert wie von der Übernahme der Welt durch Springer, in deren Folge das Hamburger Blatt unter einem nicht unerheblichen Auflagen- und Autorenschwund litt.2 „Eine Konkurrenz ist nicht mehr zu befürchten“3, hieß es 1958 selbstsicher im „ZehnJahres-Plan zum Ausbau der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das wirtschaftliche Fundament war gesichert. In Anbetracht der günstigen Lage galt es nun, der Zeitung durch ein weiteres Standbein endgültig zur Unabhängigkeit zu verhelfen. Das geschah 1959: Am 12. April des Jahres ging die Allgemeine Verlagsgesellschaft mbH in der FAZIT-Stiftung auf, die jetzt 51 Prozent der Anteile an der Zeitung trug.4 Geleitet wurde die gemeinnützige Stiftung durch ein Kuratorium aus mehreren Gesellschaftern, zu denen neben Erich Welter und Friedrich Sieburg auch die alten Förderer Alex Haffner und Max  H.  Schmid sowie der Ökonom Alexander Rüstow gehörten. Auch in puncto Personal standen in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre einige große Veränderungen an. 1959 wurde der vierköpfige Herausgeberkreis um den ehemaligen Herausgeber der Gegenwart, Benno Reifenberg, ergänzt, ein Jahr später kam – eine entscheidende Wendung für die innerredaktionellen 1 Vgl. die Auflagenmeldungen der IVW Q3/1950, S.  24 und Q3/1958, S.  56. Berücksichtigt wurden die Auflagen zwischen Montag und Samstag. 2 Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 82. 3 Zehn-Jahres-Plan zum Ausbau der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1958), in: BArch Koblenz, N 1314/379. 4 Weitere Anteile lagen bei der Frankfurter Societäts-Druckerei, beim Mainzer Musikverlag B. Schott’s Söhne, bei den Verlegern Adolf und Eberhard Fraund und zu kleinen, nicht gewinnberechtigten Teilen bei den Herausgebern selbst. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 62.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_006

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Kapitel 5

Dynamiken – Jürgen Tern für das Politikressort hinzu. Auf die pensionierten FAZ-Gründungsherausgeber Erich Dombrowski und Hans Baumgarten folgte 1963 der jüngere Jürgen Eick als zweiter Wirtschaftsherausgeber neben Welter. Das neu aufgestellte Herausgebergremium tagte nun in einem deutlich größeren Neubau in der Hellerhofstraße, in das die Redaktion 1962 umgezogen war. Neben der Herausgeberrunde hatte auch das Feuilleton eine Reihe von Neuzugängen zu verzeichnen. Größere Umbrüche gab es an der Spitze des Literaturblattes, das 1957 in die Verantwortung Sieburgs überging, und im Wissenschaftsjournalismus. Dem Befund, „daß die rein geisteswissenschaftliche Zusammensetzung der Redaktion den Anforderungen […] nicht mehr gerecht werden kann“, begegnete die Zeitung 1958 mit der Einstellung eines Wissenschaftsredakteurs. Wenige Monate vor dem Erscheinen der wöchentlichen Sonderseite „Natur und Wissenschaft“ wurde die Feuilletonredaktion durch den Chemiker Kurt Rudzinski ergänzt. Waren zuvor „bei der Behandlung technischer Fragen haarsträubende Fehler und Mißverständnisse“5 aufgetreten, erhoffte man sich mit diesem Schritt eine deutliche Professionalisierung der naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Berichterstattung. Rudzinski machte sich in den folgenden Jahren vor allem auf dem Gebiet der Atomtechnik einen Namen, die in den 1960er Jahren als zukunftsträchtige Schlüsseltechnologie galt. Sein (wenig erfolgreicher) Einsatz gegen die Anwendung von Natriumkühlungstechnologien für Brutreaktoren erfuhr in politischen und Fachkreisen ein großes Echo.6 Die Feuilletonredaktion war nun insgesamt stärker ausdifferenziert, sodass die Aufgabenverteilung besser als noch zu Beginn der 1950er Jahre an persönlichen Präferenzen und Fähigkeiten ausgerichtet werden konnte. Die Ressortleitung wurde 1956 erstmals doppelt besetzt. Der Journalist Hans Schwab-Felisch, zuvor stellvertretender Feuilletonleiter der Neuen Zeitung in Berlin und Lektor bei Suhrkamp, wurde neben dem Gründungsmitglied Martin Ruppert Chef des Feuilletons. Obgleich er bereits vier Jahre später kündigen und durch den Feuilletonleiter der konkurrierenden Stuttgarter Deutschen Zeitung, Otto Friedrich Regner, ersetzt werden sollte, hinterließ er in der Literatur-, Theater- und Filmkritik der späten 1950er Jahre seine Spuren. Mit SchwabFelisch trat ein Journalist in die Dienste des Feuilletons, der dezidiert westlich und liberal eingestellt und im Politik- und Kulturbetrieb außerordentlich gut vernetzt war.7 Er stand der „Gruppe 47“ nahe und war Mitglied des von Hans 5 Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 29.1.1958, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958. 6 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 65. 7 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 140.

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Werner Richter gegründeten und geleiteten „Grünwalder Kreises“, einer Art politischen Flanke des literarischen Zirkels. Der SPD-nahe, linksintellektuelle Kreis, zu dem so unterschiedliche Schriftsteller, Publizisten und Historiker wie Alfred Andersch, Erich Kuby und Ernst Nolte zählten, verfolgte eine antifaschistische Programmatik und hatte sich den Kampf gegen rechtsextreme, nationalistische und völkische Tendenzen auf die Fahnen geschrieben.8 Weil er auch „den intransigenten […] Antikommunismus der Regierung Adenauer“9 zurückwies, wurde er in der Öffentlichkeit bisweilen selbst als kommunistisch eingestuft.10 Das war vermutlich auch der Grund dafür, warum sich der Verlag und die FAZ-Herausgeber 1957/58 gegen den Eintritt Schwab-Felischs in den Vorstand des „Grünwalder Kreises“ aussprachen, befürchteten sie doch, dass sein Engagement „Mißverständnisse über die Haltung der Zeitung hervorrufen“11 könnte. Schwab-Felisch, ein ausgesprochener Kritiker der (Kultur-) Politik Adenauers und darin in einigen Punkten Sethe verwandt,12 setzte sich über den Beschluss hinweg.13 Der Journalist, dessen Vater, der Kommunist und Widerstandskämpfer Alexander Schwab, im „Dritten Reich“ verurteilt worden und im Zuchthaus umgekommen war,14 war es auch, der im Feuilleton mit einer neuen Offenheit über die NS-Vergangenheiten im Medien- und Kulturbetrieb sprach. So skizzierte er zu Beginn des Jahres 1958 in einem Nachruf auf den Journalisten und Schriftsteller Paul Fechter wie selbstverständlich nicht nur dessen literarische 8

9 10 11 12 13 14

Vgl. Geppert, Dominik: Alternativen zum Adenauerstaat. Der Grünwalder Kreis und der Gründungskonsens der Bundesrepublik, in: Hochgeschwender, Michael (Hg.): Epoche im Widerspruch. Ideelle und kulturelle Umbrüche der Adenauerzeit (=  Rhöndorfer Gespräche, Bd. 25). Bonn 2011, S. 141–152; ders.: Hans Werner Richter, die Gruppe 47 und die „Stunde Null“, in: Schildt, Axel / Gallus, Alexander (Hg.): Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 48). Göttingen 2011, S. 203–220, hier S. 220. Heesch, Johannes: Der Grünwalder Kreis, in: Schwan, Gesine u. a. (Hg.): Demokratische politische Identität. Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich. Wiesbaden 2006, S. 35–69, hier S. 35. Vgl. Heesch: Der Grünwalder Kreis (2006), S. 36. Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 23.4.1958, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961. Vgl. Haas, Olaf: Nachwort. Journalismus gegen die Denkfaulheit, in: ders. (Hg.): Hans Schwab-Felisch. Leidenschaft und Augenmaß. Deutsche Paradoxien. München  / Wien 1993, S. 307–356, hier S. 337. Vgl. die Aktennotiz über eine Besprechung mit Herrn Direktor Hoffmann und Herrn Dr. Muckel am 8.1.1958, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955– 19.2.1958. Vgl. o.  A.: Schwab, Alexander, in: Weber, Hermann  / Herbst, Andreas (Hg.): Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Berlin 22008, S. 851.

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Kapitel 5

Qualitäten, sondern auch seine früheren Sympathien für Hans Grimm, „‚Blut und Boden‘ und nationalistische[s] Gehabe“15. Schwab-Felisch trug seit 1956 maßgeblich dazu bei, dass sich die vergeistigte, schwarzmalerische Kulturkritik der frühen 1950er Jahre sukzessive in eine pragmatischere, nüchternere, bisweilen politischere Variante von Gesellschaftskritik verwandelte.16 In seinen oft mit Humor gespickten Glossen mokierte er sich über politische KunstUrteile, tadelte das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ als rückständig und übte Kritik an der Hochkonjunktur von Kriegsfilmen, die er mehrheitlich als Produkte einer abzulehnenden Kommerzialisierung und Idealisierung des Kriegsgeschehens betrachtete.17 Schwab-Felisch und sein Nachfolger Regner, der schon 1963 überraschend verstarb, stießen zudem einige organisatorische und strukturelle Neuerungen an. Ersterer sorgte dafür, dass die Redaktion bereits im Vorfeld bekannter oder erwartbarer Ereignisse mit Gedenkartikeln und Nachrufen ausgestattet war,18 Letzterer engagierte sich für eine grundlegende Überarbeitung des Feuilletons, das sich in den 1960er Jahren ein Stück weit vom Rezensionsfeuilleton löste, um anderen Elementen mehr Raum zu geben.19 Im Januar 1960 rückte das Feuilleton auf die populäre letzte Seite der Zeitung und im Sommer 1961 führte die Redaktion eine tägliche Glosse ein.20 Schwab-Felisch war nicht der einzige Neuzugang im Feuilleton, der „ein kritisches und im weitesten Sinne nonkonformistisches Fluidum mitbrachte[n]“21. Auch Vilma Sturm, die 1959 nach fast zehnjähriger Mitarbeit zur Kölner Feuilletonkorrespondentin ernannt wurde, war politisch aktiv, etwa als Mitinitiatorin der „Politischen Nachtgebete“, einer Reihe ökumenischer 15

16 17 18 19 20 21

F.A.Z.: Der Berliner aus Elbing, in: FAZ vom 13.1.1958, S. 12. Dass es sich dabei um SchwabFelisch handelt, ist dem Leserbriefkommentar von Hans Schwab-Felisch, in: FAZ vom 23.1.1958, S.  2 zu entnehmen. Sehr kritisch zu Fechter hatte sich zuvor auch Johann, Ernst: Ins Schwätzen geraten (=  Rezension zu Paul Fechter: „Menschen auf meinen Wegen. Begegnungen gestern und heute“. Gütersloh 1955), in: FAZ vom 3.3.1956, BuZ, S. 5 geäußert. Vgl. dazu auch Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 348. Vgl. S.-F. (= Hans Schwab-Felisch): „Aussagewert“, in: FAZ vom 5.4.1957, S.  6; ders.: „Mädels“ und die Bomben. „Blitzmädels an die Front“, in: FAZ vom 9.9.1958, S. 14; ders.: Schizophrenie, in: FAZ vom 15.12.1959, S. 18. Vgl. den Brief von Hans Schwab-Felisch an Franz Tumler, undatiert, in: DLA Marbach, A:Tumler, Franz, 92.4.864; Brief von Hans Schwab-Felisch an Franz Tumler vom 29.1.1957, in: ebd. Vgl. den Brief von Otto Friedrich Regner an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 10.10.1960, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. Vgl. den Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 8.5.1963, in: ebd.; K.K. (= Karl Korn): Glossarium, in: FAZ vom 19.6.1961, S. 24. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 348.

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Gottesdienste, die Ende der 1960er Jahre aktuelle politische Themen und die christliche Liturgie zusammenführten.22 Die linkskatholische Publizistin, die sich in Köln und Umgebung als Referentin für den Umwelt- und Friedensschutz engagierte, nahm an den pazifistischen „Ostermärschen“ und später an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teil, bewegte sich in regierungskritischen Kreisen.23 Die Politikberichterstattung ihrer Zeitung, deren Haltung zur DDR und zum Algerienkrieg sie als kompromisslos kritisierte, stimmte sie entsprechend unzufrieden. Schwab-Felisch und Sturm zogen wegen ihrer gesellschaftspolitischen Ambitionen in Teilen des Herausgebergremiums Kritik auf sich.24 Vor allem für Journalisten älteren Jahrgangs wie Welter, der sich mit den anbrechenden gesellschaftlichen Veränderungen schwertat,25 verkörperten sie offenbar jenen „Wandel des geistigen Klimas“26, der in der Geschichte der Bundesrepublik bekanntermaßen den Beginn einer beschleunigten Liberalisierung und Demokratisierung einleitete.27 Dieser Wandel ging seit 1957/58 mit wachsendem politischen Interesse und der Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit einher und führte dazu, dass die Reformbedürftigkeit der Bundesrepublik etwa im Hinblick auf den defizitären Umgang mit der NS-Vergangenheit, die Bildungspolitik, den Städtebau oder die Meinungs- und Pressefreiheit offener diskutiert wurde.28 Folgt man der Historikerin Christina von Hodenberg, so drückte er sich im politischen Fernseh- und Zeitschriftenjournalismus in der Absage an die „Staats-, Autoritäts- und Konsensorientierung“29 der 1940er und 1950er Jahre und in einem Mehr an Kritik und -fähigkeit aus. Die Ausbildung dieses veränderten

22 23 24 25 26 27 28

29

Vgl. Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 262–64. Vgl. den Brief von Vilma Sturm an Margret Boveri vom 6.5.1962, in: PSB, NL Margret Boveri 1521; Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 239, 241. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 348 sowie beispielhaft aus den Quellen den Brief von Erich Welter an Robert Held vom 27.10.1962, in: BArch Koblenz, N 1314/417. Vgl. den Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 17.11.1962, in: ebd., N 1314/418. Siegfried, Detlef: Die frühen 1960er Jahre als „zweite Gründung“ der Bundesrepublik, in: Reulecke, Jürgen (Hg.): 50 Jahre danach – 50 Jahre davor. Der Meißnertag von 1963 und seine Folgen. Göttingen 2015, S. 27–40, hier S. 32. Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 353. Vgl. Schildt, Axel: Materieller Wohlstand – pragmatische Politik – kulturelle Umbrüche. Die 60er Jahre in der Bundesrepublik, in: ders.  / Siegfried, Detlef  / Lammers, Karl Christian (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg 2000, S. 21–53, hier S. 36–40. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 305.

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Kapitel 5

journalistischen Selbstverständnisses wird mit einer neuen Generation von Schreibenden, den „Fünfundvierzigern“, verknüpft.30 Auf das FAZ-Feuilleton lässt sich diese These nur bedingt übertragen. Das liegt zum einen in den unterschiedlichen Funktionen, Arbeitsweisen und Gegenstandsbereichen des politischen und des Feuilletonjournalismus begründet, die es zweifelhaft erscheinen lassen, überhaupt von einer Ära des Konsensjournalismus für Letzteren zu sprechen. Konsensorientiert, das wurde im letzten Kapitel deutlich, war das Feuilleton dem Selbstverständnis nach kaum, wenngleich sich auch die feuilletonistische Kritik der 1950er Jahre in eingehegten Bahnen bewegte und an (geistigen) Autoritäten orientierte. Zum anderen war sozial- und gesellschaftskritisches Engagement an keine bestimmte Generation geknüpft. Weder Sturm (*1912) noch Schwab-Felisch (*1918), um bei den vorangegangenen Beispielen zu bleiben, zählten nach dem klassischen Generationenmodell zu den „Fünfundvierzigern“. Den 1960 von der Frankfurter Neuen Presse kommenden Theaterredakteur Günther Rühle (*1924), den Hamburger Korrespondenten Klaus Wagner (*1923) und einzelne Jüngere wie den Berlin-Korrespondenten Dieter Hildebrandt (*1932) ausgenommen, waren alle Journalistinnen und Journalisten, die zwischen 1957 und 1963 zur Feuilletonredaktion stießen, noch vor oder unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geboren worden. Schon wegen ihrer geringen Anzahl konnten die „Fünfundvierziger“ um 1960 also kaum Deutungshoheit erlangen.31 Erst nach 1964 verjüngte sich das Generationenprofil merklich. Nach und nach stiegen nun auch jüngere Redaktionsmitglieder in leitende Positionen auf. Von der Dynamisierung und Politisierung der bundesdeutschen Medien­ landschaft war das Feuilleton deshalb aber nicht weniger betroffen. Gerade an den wachsenden Konflikten mit der Politikredaktion zeigte sich, dass gesamtgesellschaftlich beobachtbare Entwicklungen die Zeitungen nicht aussparten. Spürbar wurden sie nicht nur im Herzen der FAZ, sondern auch an den traditionellen Sujets des Feuilletonjournalismus selbst. Literatur, Kunst und Musik hatten sich nach 1945 als „Schauplätze der geistigen Orientierung“32 erwiesen und waren folglich auch Austragungsorte für intellektuelle Richtungskämpfe.33 Bekanntes und Unbekanntes, Eigenes und Fremdes, Tradition und Moderne, tonale und atonale Musik, gegenständliche 30 31 32 33

Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 245–292. Zu den Generationenmodellen vgl. das dritte Kapitel der Arbeit „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“. Anders bei Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 346. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 29. Vgl. Jähner: Wolfszeit (2019), S. 347–348.

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und abstrakte Kunst, Giebel- und Flachdach: In der deutschen „Kulturnation“, eine Selbstzuschreibung, die es in Anbetracht des politischen und menschlichen Versagens im „Dritten Reich“ unbedingt aufrechtzuerhalten galt,34 geriet die öffentliche Verständigung über die kulturelle Visitenkarte des Landes zu einer bedeutungsschwangeren Auseinandersetzung über seine Gegenwart und Zukunft, die über rein ästhetische Fragen weit hinausging.35 Während einige Stimmen auf Rückbesinnung pochten und vor den Folgen eines formalästhetischen Kunstideals warnten, sahen andere in den progressiven Ideen der nach 1933 unterdrückten künstlerischen Moderne die Chance auf einen, mal mehr und mal weniger radikal gedachten, Neuanfang. Nachdem es im letzten Kapitel um die politischen, wirtschaftlichen und lebensweltlichen Modernisierungsprozesse und ihre soziokulturellen Folgen ging, stehen in diesem also die Auf- und Umbrüche in der Literatur, in der bildenden Kunst und in der Musik im Fokus. Diese Umbrüche, die erstere zweifelsohne reflektierten,36 und die mit ihnen verbundenen Debatten sollen auf den folgenden Seiten in groben Zügen skizziert werden. Neben den Grundpositionen, die es wie immer herauszuarbeiten gilt, um das redaktionelle und publizistische Profil des Feuilletons zu erfassen, sollen auch grundlegende Fragen zum Rezensionswesen, nach den Querverbindungen zum Kulturbetrieb und der Unabhängigkeit beantwortet werden, die auf die Funktionen des Ressorts für seine Umwelt verweisen. 5.1

Lust am Untergang? Literaturkritik

Seit den Anfängen des Zeitungsfeuilletons im ausgehenden 18. Jahrhundert spielte die Literatur für das Feuilleton, spielte das Feuilleton für die Literatur eine herausragende Rolle. Rezensentinnen und Rezensenten waren seither am literarischen Produktionsprozess beteiligt.37 Schon in den ersten Lizenzzeitungen, die nur wenige Wochen nach dem Kriegsende 1945 entstanden, nahm das Feuilleton seine literaturvermittelnde Tätigkeit wieder auf, traten Zeitungen als Umschlagplätze vor allem für schöngeistige Literatur, die Belletristik, 34 35 36 37

Auch Korn bezeichnete „die deutsche Sprache Goethes“ 1954 als „unser letztes Kapital“. Brief von Karl Korn an Hermann Kasack vom 3.8.1954, in: DLA Marbach, A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘, 91.128.3836. Vgl. Jähner: Wolfszeit (2019), S. 334, 338; Rahms: Die Clique (1999), S. 76–77. Vgl. Becker, Sabina: Zum Verhältnis von gesellschaftlicher Moderne und ästhetischer Modernität 1900–1933, in: Literaturstraße. Chinesisch-deutsches Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur 9 (2008), S. 151–161, hier S. 153. Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 132.

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Kapitel 5

in Erscheinung.38 Das traf auch auf die vier Jahre später gegründete FAZ zu, die der „Börsenverein des Deutschen Buchhandels“ 1970 zur buchfreundlichsten Tageszeitung kürte.39 Überregionale Zeitungen wie die FAZ stifteten Orientierung auf dem stetig wachsenden Buchmarkt und stimulierten die öffentlichen Diskussionen,40 indem sie ihrer Leserschaft eine gefilterte Kollektion der literarischen Vor- und Nachkriegsproduktion präsentierten und die getroffene Auswahl kritisch begutachteten. Darüber hinaus stellten sie sich, auch darin traditionell, als Publikationsorte zur Verfügung. Neben Kurzprosa, Gedichten und Essays, die unregelmäßig im Feuilleton und in der Beilage erschienen, offerierte die FAZ mit dem Fortsetzungsroman täglich ein Stück Literatur. Was heute Streaming-Dienste leisten, die von Woche zu Woche neue Episoden der beliebtesten Serien abrufbar machen, bot die FAZ mit der nächsten Folge des angekündigten Romans. Seine Planung wurde folglich nicht dem Zufall überlassen. Die einige Wochen im Voraus getroffene Auswahl übernahm Korn nach Rücksprache mit einem weiteren Redaktionsmitglied zunächst persönlich. In den 1960er Jahren übergab er die Gemeinschaftsaufgabe an Maria Frisé.41 Wie schon in der Redaktion des FZ-Feuilletons, wo über den Roman abgestimmt worden war,42 sollte es sich um Erst- und Vorabdrucke aus Büchern handeln, die noch nicht oder gerade erst erschienen waren.43 Ein oder mehrere Kapitel eines vielversprechenden Buches in serieller Fortsetzung auf den Seiten einer viel gelesenen Zeitung unterzubringen, konnte sich für einen Verlag offenbar lohnen. Schon in den frühen 1950er Jahren wandten sich die großen Verlage – in den 1950er Jahren kam Rowohlt eine zentrale Bedeutung zu (rororo-Taschenbücher), in den 1960er Jahren Suhrkamp (edition suhrkamp) –44 mit Manuskripten und Druckfahnen an 38 39

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44

Vgl. Foppa: Max Frisch (2003), S. 32; Glotz: Buchkritik (1968), S. 176–169. In der FAZ wurden damals jährlich etwa eineinhalb tausend Bücher besprochen. Vgl. FAZ: Der Leser und die Zeitung (1975), S. 38. Noch in den 1980er Jahren rezensierte die Zeitung mit Abstand die meisten Bücher, gefolgt von der SZ, vgl. Flitner: Frauen in der Literaturkritik (1995), S. 16. Zu den verschiedenen Funktionen der Literaturkritik vgl. Anz, Thomas: Theorien und Analysen zur Literaturkritik und zur Wertung, in: ders. / Baasner, Rainer (Hg.): Literaturkritik. Geschichte – Theorie – Praxis. München 2004, S. 194–219, hier S. 195–196. Vgl. den Brief von Maria Frisé an Rolf Bongs vom 24.4.1975, in: RLA Düsseldorf, NL Rolf Bongs; Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. Vgl. den Brief von Hermann Kesten an Benno Reifenberg vom 27.1.1960, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, HK B 2184. Vgl. das Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 23.1.1950, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter  –, Herausgeberangelegenheiten 1949/50; Brief von Benno Reifenberg an Siegfried Unseld vom 16.7.1959, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. Vgl. Oels: Rowohlts Rotationsroutine (2013), S. 14.

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die Feuilletonredaktion, um ihr literarische Stoffe für die Spalten „unter dem Strich“ auf Seite zwei anzubieten, wo bis zur Blattreform 1966 der Fortsetzungsroman erschien. Daran waren in der Regel nicht nur monetäre Absichten geknüpft (für herausragende Texte offerierte die als knauserig geltende FAZ Anfang der 1970er Jahre immerhin bis zu 25.000 DM)45. Das Feedback diente zudem als eine Art Erfolgsbarometer.46 Um neuen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zum Durchbruch zu verhelfen oder alte Federn zu reanimieren, erschien der Weg über die Zeitung vielversprechend. So erblickte Peter Suhrkamp 1953 im Vorabdruck der „Fälschungen“ von Hermann Kasack die Möglichkeit, das hartnäckige „Eis wieder aufzutauen“47, das sich nach dem letzten Romanerfolg um den Autor gebildet hatte. Für den Kopf des 1950 gegründeten Suhrkamp Verlags, dessen Karriere mit Namen wie Walter Benjamin, Max Frisch, Bertolt Brecht, Wolfgang Koeppen, Theodor W. Adorno, Martin Walser, Samuel Beckett, T.S.  Eliot und Marcel Proust begann,48 war es wichtig, dem jungen Verlagsprogramm ein öffentliches Gesicht zu geben. Zwanzig Jahre später war es die Redaktion selbst, die selbstbewusst um den knapp achtzigjährigen Ernst Jünger warb, indem sie prophezeite, dass der „Vorabdruck in einer Zeitung mit immerhin 300 000 Auflage wie ein reinigendes Gewitter wirken könnte. Gewisse Kreise und Leute wären einfach wieder gezwungen, Ernst Jünger zur Kenntnis zu nehmen.“49 Bei Erfolg ergab sich aus dieser Kooperation eine klassische Win-winSituation: Der Verlag, der das ausschließliche Nutzungsrecht behielt, der FAZ aber ein Erstabdrucksrecht erteilte,50 verschaffte sich und seinen Autorinnen und Autoren Öffentlichkeit und das Feuilleton, das Geschmack und literarische Kompetenz unter Beweis gestellt hatte, konnte sich fortan als deren Entdecker und Förderer rühmen. Im besten Fall zog die Redaktion mit dem Fortsetzungsroman zudem neue Leserinnen und Leser an Land. Denn zweifelsohne waren die Beziehungen zwischen dem Medien- und Literaturbetrieb auch 45 46 47

48 49 50

Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Jünger vom 20.11.1972, in: DLA Marbach, A:Jünger, Ernst, HS.1994.0009. Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. Brief von Peter Suhrkamp an Herbert Nette vom 24.9.1953, in: DLA Marbach, SUA: Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU. 2010.0002. Der Roman erschien zwischen dem 22. September und dem 3. November 1953 in der FAZ. Vgl. Suhrkamp Verlag (Hg.): Die fünfziger Jahre. Ein Suhrkamp Lesebuch. Frankfurt am Main 1990. Brief von Karl Korn an Ernst Jünger vom 20.11.1972, in: DLA Marbach, A:Jünger, Ernst, HS.1994.009. Vgl. den Brief von Karl Korn an Walter Boehlich vom 17.12.1962, in: ebd., SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002.

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von ökonomischen Gedanken geprägt. Verlage warben in den Zeitungen mit Anzeigen und die Zeitungen vergaben ihrerseits Prämien in Form von Büchern. Als die FAZ-Geschäftsführung 1951 Bücher im Wert von 100.000,DM anschaffte, wurde der Löwenanteil der Summe einfach verrechnet: Die FAZ erhielt die bestellte Ware, mit der sie künftig zum Abonnement beglückwünschte, und die Verlage konnten im Gegenzug Buchinserate schalten.51 Das zentrale Forum der Literaturkritik, oder präziser: der journalistischen Kritik an belletristischen und wissenschaftlichen Texten (Biographien, Romane, Dramen, Lyrik, Essays, Aufsatzsammlungen, Kataloge, Editionen u. a.), bildete das FAZ-Literaturblatt. Das Literaturblatt war Teil der Beilage „Bilder und Zeiten“, erschien also wöchentlich mit der Samstagsausgabe, und führte vorwiegend (kürzere) Buchanzeigen, (längere) Rezensionen und bisweilen Notizen. Wie im Rundfunk, aus Platzmangel allerdings ohne ähnlich ausführliche Zitate,52 beinhalteten die Rezensionen neben den bibliographischen Informationen in der Regel eine Inhaltsangabe, eine Einordnung in das Gesamtwerk, eine Interpretation und Bewertung. Welche Wertmaßstäbe ihnen (nicht nur in der FAZ) im Einzelnen zugrunde gelegt wurden, blieb jedoch meist verborgen, weshalb in den 1960er Jahren die Forderung nach mehr Transparenz in der Literaturkritik erklang.53 Bevor Sieburg das Literaturblatt übernahm und das Ressort infolgedessen weitgehend aus dem allgemeinen Redaktionsbetrieb herausgelöst und der Aufsicht des Herausgebers entzogen wurde,54 arbeiteten die Redakteurinnen und Redakteure eng zusammen. Das hatte auch arbeitspraktische Gründe, schließlich war es zunächst nur ein Redaktionsmitglied, das für literarische Belange zuständig zeichnete. Auf das kurze Gastspiel von Vilma Sturm folgte 1950 Herbert Nette und nach dessen Ausscheiden vier Jahre später der Herausgeber selbst,55 unterstützt durch den zusätzlich angestellten Literaturredakteur Wolfgang Schwerbrock und mehrere freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter bis 1958 auch der spätere SZ-Kritiker Joachim 51 52 53 54 55

Vgl. das Protokoll über die Herausgeberkonferenz vom 14.2.1951, in: FAZ-Archiv, Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgeberkonferenzen 12.12.1950–23.12.1959. Vgl. Scheffler, Ingrid: Schriftsteller und Literatur im NWDR Köln (1945–1955). Personen – Stoffe – Darbietungsformen (= Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 40). Potsdam 2005, S. 163. Vgl. Barner, Wilfried: Vom Schriftsteller-Engagement zur Kultur-Revolte: Literarisches Leben im Westen, in: ders. (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München 22006, S. 341–367, hier S. 352. Vgl. das Protokoll einer Aussprache, die zwischen der Feuilletonredaktion der FAZ und Herrn Joachim C. Fest am 30. Mai 1973 vom Vormittag bis zum späten Nachmittag stattfand, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen 4.1.1972–19.12.1974. Vgl. die Aktennotiz über die Herausgeberkonferenz am 16.12.1953, in: ebd., Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954.

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Kaiser.56 Literaturberichterstattung und -kritik im weiteren Sinne fanden aber auch im täglichen Feuilleton statt, wo Vorträge gedruckt, Lesungen referiert, Literatinnen und Literaten portraitiert, Tagungen reflektiert und bisweilen auch Bücher rezensiert wurden.57 Welche Titel es in das Literaturblatt schafften, war eine Frage des individuellen Interesses und der literarischen Bedeutung, die einem neuen Buch von der Redaktion beigemessen wurde. Jährlich im Frühjahr und im Herbst, vor der Eröffnung der zyklusbestimmenden Buchmesse in Frankfurt und rechtzeitig zum Oster- und Weihnachtsgeschäft, wandten sich die Verlage an das Literaturblatt, um über die Neuerscheinungen der Saison zu informieren.58 Aus den Katalogen und Einsendungen, die etwa von C.H.Beck, Georg  D.W.  Callwey, Claassen, S.  Fischer, Herder, W.  Kohlhammer, Kiepenheuer & Witsch, Kurt Desch, Rowohlt und Suhrkamp kamen, fertigte die Redaktion kurze Übersichten an, die seit 1954 zwei Mal jährlich im Feuilleton erschienen und einen großen Teil des Rezensionsprogramms für die kommenden Monate vorwegnahmen. Zwischen Februar und März informierte das Feuilleton so über die Frühjahrsproduktion der Verlage, zwischen Juli und September über die Herbstproduktion.59 Neben den Direktkontakten60 zu einzelnen Autorinnen und Autoren bildete die Verlagspost die Grundlage für die Auswahl der zu besprechenden Neuerscheinungen, die sodann zur Delegation an die Literaturblattredaktion oder unmittelbar an bestimmte

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Vgl. exemplarisch Kaiser, Joachim: Paraphrase ohne Phantasie (= Rezension zu Jonas Lesser: „Thomas Mann in der Epoche seiner Vollendung“. München 1952), in: FAZ vom 27.3.1953, S. 7; ders.: Zehn Jahre „Gruppe 47“, in: FAZ vom 2.10.1957, S. 13. Vgl. Schwerbrock, Wolfgang: Magie und Verhängnis der hohen Auflagen. Taschenbuch, Buchgemeinschaft, Werkbücherei  / Die meistverlangten Titel 1955, in: FAZ vom 26.1.1956, S.  8; Gatter, Ludwig: Neunzehn Verleger regen sich. Eine Tagung und eine Pressekonferenz, in: FAZ vom 28.5.1956, S. 10; S.-F. (= Hans Schwab-Felisch): Bei Gottfried Benn zu Gast, in: FAZ vom 10.7.1956, S. 6. Vgl. den Brief von Siegfried Unseld an Karl Korn vom 12.9.1957, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv/03 Lektorate, SU.2010.002. Vgl. beispielhaft o. A.: Aus der Frühjahrsproduktion der deutschen Verlage, in: FAZ vom 6.3.1954, BuZ, S. 2; o. A.: Aus der Frühjahrsproduktion der deutschen Verlage (II), in: FAZ vom 25.3.1954, S. 8; o. A.: Aus der Herbstproduktion der deutschen Verlage 1956 (V), in: FAZ vom 4.9.1956, S.  8. Seit 1961 erschien die Bibliographie unter der leicht gekürzten Überschrift „Aus der Frühjahrsproduktion der Verlage“. Im Laufe der 1960er Jahre wurde sie immer umfangreicher, sodass sie bisweilen in 16 Serien gedruckt werden musste. Vgl. den Brief von Jürgen Eggebrecht an Karl Korn vom 16.7.1956, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JE B 257. Der Lyriker machte Korn in seinem Brief auf einen neuen Gedichtband aufmerksam.

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Kritikerinnen und Kritiker verschickt wurden.61 Andere serviceorientierte Rubriken gab es in den 1950er Jahren nicht. Darin unterschied sich die FAZ etwa zur Zeit, die mit ihrem „Seller-Teller“ schon in den 1950er Jahren eine Art Bestseller-Liste über die meistverkauften Bücher veröffentlichte.62 Was schließlich von wem besprochen wurde, hing sowohl mit persönlichen Interessen zusammen als auch mit der Qualifikation. Insbesondere für die in den 1960er Jahren an Bedeutung gewinnende Sach- und Fachliteratur – „die Tendenz ist weiter steigend: Information statt Poesie“63, informierte Karl Heinz Bohrer 1969 – waren Rezensentinnen und Rezensenten gefragt, die sich durch die „volle Beherrschung der Materie“64 auszeichneten. Um sich nicht dem Verdacht „uralter Gevatternschaft“65 auszusetzen, setzte die Redaktion zudem eine gewisse Distanz zum Gegenstand voraus. Das bedeutete etwa, dass ein freier Mitarbeiter, der als Autor bei Suhrkamp unter Vertrag stand, nicht über Suhrkamp-Produktionen schrieb, an denen er mitgewirkt hatte, oder dass ein ehemaliger Suhrkamp-Lektor nicht als Kritiker für junge Suhrkamp-Literatur in Erscheinung trat.66 Größtmögliche Unabhängigkeit galt es auch mit Blick auf die Publikationen aus dem Kollegium und dem redaktionellen Umfeld zu vermitteln. „Kontinuierliche, wenn auch nur gelegentliche Mitarbeiter der F.A.Z. lasse ich aus guten Gründen im Literaturblatt nicht positiv oder negativ vorkommen. […] Es muß in solchen Fällen bei totaler Enthaltsamkeit bleiben“67, ließ Bohrer den Literaturwissenschaftler Ralph-Rainer Wuthenow 1973 wissen. Da sich einige Redakteurinnen und Redakteure nebenberuflich schriftstellerisch und übersetzerisch betätigten, sah sich die Zeitung vor einen Interessenkonflikt gestellt: Hatte die Öffentlichkeit kein Anrecht, über Publikationen aus dem eigenen Kreis informiert zu werden? Oder setzte man 61

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Vgl. den Brief von Karl Korn an Peter Suhrkamp vom 7.11.1951, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002; Brief von Rolf Michaelis an Walter Boehlich vom 4.8.1964, in: ebd., SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. Vgl. Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 160. Brief von Karl Heinz Bohrer an Erich Welter vom 19.6.1969, in: FAZ-Literaturarchiv,  H.D. Zimmermann, Wapnewski, E. Welter, B. v. Wiese, Wuthenow, Helm. Winter. Brief von Karl Korn an Jürgen Habermas vom 27.1.1955, in: UBA Ffm, Na 60, 1. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 20.1.1954, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3. Vgl. den Brief von Hans Schwab-Felisch an Hans Erich Nossack vom 11.9.1956, in: DLA Marbach, D:Nossack, Hans Erich, HS.NZ78.0004; Brief von Rolf Michaelis an Urs Widmer vom 10.4.1968, in: ebd., SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. Brief von Karl Heinz Bohrer an Ralph-Rainer Wuthenow vom 26.2.1973, in: FAZLiteraturarchiv, H.D. Zimmermann, Wapnewski, E. Welter, B. v. Wiese, Wuthenow, Helm. Winter.

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sich dem Verdacht der Klüngelei aus, wenn sich Kolleginnen und Kollegen gegenseitig rezensierten? Auf Anraten Welters entstand Ende der 1950er Jahre die Regel, dass Bücher und Übersetzungen von Redaktionsmitgliedern zwar mit bibliographischen Hinweisen und Bild angezeigt, aber nicht kommentiert werden sollten.68 Korns Gegenvorschlag, dass zumindest die wichtigen Bücher – das waren demnach solche, die in der Diskussion standen –, wenn nicht rezensiert, so doch breit referiert werden sollten, blieb ein Vorschlag.69 Zuvor hatte es diesbezüglich keine genauen Richtlinien gegeben. Daher hatte es passieren können, dass sich der gelegentliche Mitarbeiter Max Bense 1954 im Politikteil mit Korns „Kulturfabrik“ auseinandersetzte,70 dass Korn dem Buch der mit ihm befreundeten Margret Boveri „Der Verrat im 20. Jahrhundert“ 1956 fast eine ganze Seite widmete,71 und der Moskau-Korrespondent Hermann Pörzgen eine Sammlung seiner eigenen FAZ-Beiträge 1958 einfach selbst besprach.72 Freilich gab es auch in den 1960er Jahren Fälle, in denen sich die Redaktion über das Diktum hinwegsetzte. Sieburg etwa scheute sich nicht, die Publikationen seines ständigen Mitarbeiters Günter Blöcker selbst zu besprechen und als Meisterwerke zu loben.73 Bisweilen hatten aber auch 68

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Vgl. den Brief von Erich Welter an Hans Baumgarten, Erich Dombrowski und Karl Korn vom 3.9.1958, in: BArch Koblenz, N 1314/381; Aktenvermerk über die Herausgebersitzung vom 21.1.1959, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter  –, Protokolle der Herausgebersitzungen  1.4.1958–18.12.1961; Brief von Rolf Michaelis an Hilde Spiel vom 19.8.1965, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/149; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 22.3.1967, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. Vgl. die „Bemerkungen zu Herrn Welters Brief betr. die Besprechung von Büchern, die Redakteure geschrieben haben“ von Karl Korn vom 15.9.1958, in: BArch Koblenz, N 1314/381. Vgl. Bense, Max: Die Kulturfabrik, in: FAZ vom 4.2.1954, S. 2. Vgl. Korn, Karl: Für und gegen die Nation. Zu Margret Boveris Buch „Der Verrat im XX. Jahrhundert“, in: FAZ vom 1.9.1956, BuZ, S. 4. Boveri hatte verhindern wollen, dass Tern, der den Politikherausgeber Baumgarten im Sommer vertrat, ihr Buch besprach. Da es die Rubrik „Politische Bücher“ noch nicht gab, konnte sich Korn der Sache annehmen, wenngleich ihm bewusst war, welchen Eindruck das erwecken könnte. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.8.1956, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 5; Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 24.8.1956, in: ebd.; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 28.8.1956, in: ebd. Vgl. F.A.Z.: Aus dem Alltag des Sowjetbürgers (=  Rezension zu Hermann Pörzgen: „So lebt man in Moskau“. München 1958), in: FAZ vom 31.5.1958, BuZ, S. 5. Dass sich Pörzgen des FAZ-Kürzels bediente, geht aus den „Bemerkungen zu Herrn Welters Brief betr. die Besprechung von Büchern, die Redakteure geschrieben haben“ von Karl Korn vom 15.9.1958, in: BArch Koblenz, N 1314/381 hervor. Vgl. etwa Sieburg, Friedrich: Freiheit in der Literaturkritik (=  Rezension zu Günter Blöcker: „Kritisches Lesebuch. Literatur unserer Zeit in Probe und Bericht“. Hamburg 1962), in: FAZ vom 1.12.1962, BuZ, S. 5.

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die Verlage oder ihre Autorinnen und Autoren konkrete Vorstellungen davon, wem eine Rezension anzuvertrauen waren. Hermann Kesten, in den 1950er Jahren bei Kiepenheuer & Witsch und Kindler unter Vertrag, führte eine Rezensentenliste,74 Boveri gab Empfehlungen.75 Auch der Kölner Verleger Joseph Caspar Witsch, der die Medienrezeption seines Programms genau verfolgte,76 versuchte die Vergabe in seinem Sinne zu steuern.77 Von Erfolg gekrönt waren diese Beeinflussungsversuche in den bekannten Fällen aber eher selten.78 Gerade bei potentiell streitbaren oder schwer durchsetzbaren Publikationen erhofften sich die Verlage öffentliche Unterstützung und scheuten dafür keine Schmeicheleinheit. Suhrkamp, zu dem das Feuilleton in den 1950er Jahren enge Kontakte pflegte,79 ließ Nette 1953 wissen, dass der erste Band der vollständigen Übersetzung von Marcel Prousts Zyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vorlag, und bat ihn um Beistand. Da er irrtümlicherweise befürchtete, dass sich das Buch in der Bundesrepublik schwertun werde, sandte Suhrkamp zur Einordnung gleich mehrere Broschüren und ein Essay mit.80 Das Feuilleton zeigte das Buch einen Monat später an, brachte aber erst im Januar 1954, zwei Monate nach der Süddeutschen,81 eine anerkennende Kritik.82 Siegfried Unseld, der Peter Suhrkamp als Verlagschef bald darauf beerbte, wandte sich 1957 an Korn, um ihn um die Besprechung der neuen Romane von Max Frisch und Martin Walser zu bitten. Da sich von katholischer Seite vor allem gegen Walsers Erstling „Ehen in Philippsburg“ (1957) „eine heftige Opposition, 74 75 76 77 78 79 80 81 82

Brief von Hermann Kesten an Hans Schwab-Felisch vom 14.12.1959, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, HK B 3181. Vgl. den Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 8.10.1953, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 2. Vgl. Boge, Birgit: Die Anfänge von Kiepenheuer & Witsch. Joseph Caspar Witsch und die Etablierung des Verlags (1948–1959) (= Buchwissenschaftliche Beiträge, Bd. 78). Wiesbaden 2009, S. 13. Vgl. ebd., S. 170–171. Vgl. ebd., S. 255; Brief von Friedrich Sieburg an Herrn Heine-Geldern vom 18.11.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/200. Vgl. den Brief von Karl Korn an Peter Suhrkamp vom 7.11.1951, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. Vgl. den Brief von Peter Suhrkamp an Herbert Nette vom 24.9.1953, in: ebd. Vgl. Hartung, Rudolf: Marcel Proust erscheint wieder in Deutschland (= Rezension zu Marcel Proust: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Frankfurt am Main 1953), in: SZ vom 7.11.1953, S. 20. Vgl. F.A.Z.: Marcel Prousts Hauptwerk, in: FAZ vom 27.10.1953, S. 8; Schulze Vellinghausen, Albert: Zeit ohne Alter und Verfall. Zur Neuausgabe von Marcel Proust (= Rezension zu Marcel Proust: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, Bd. 1. Frankfurt am Main 1953), in: FAZ vom 9.1.1954, BuZ, S. 5.

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Empörung, geradezu Widerstand“ anbahne, möge der Herausgeber und anerkannte Kritiker doch bitte selbst das Wort ergreifen. „Dies werden Autor und Verlag überleben“, schrieb Unseld bauchpinselnd, „doch kommt natürlich alles darauf an, daß bei Ihnen ein profundes Wort gesagt wird“83. Korn, der ein gutes, fast freundschaftliches Verhältnis sowohl zu Unseld als auch zur jungen deutschen Literatur hatte,84 kam dieser Bitte vier Wochen später nach.85 In anderen Fällen lehnte er eine Besprechung ab oder delegierte sie an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.86 Die Beziehung zwischen der Zeitung und dem Literaturbetrieb war also von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägt. Beide Seiten profitierten voneinander. Die FAZ stellte dem Literaturbetrieb ihre Reichweite und ihren potentiellen Einfluss zur Verfügung. Dass sie Einfluss darauf hatte, ob Bücher im Zwischenund Sortimentsbuchhandel florierten oder den Laden hüteten, dass ihr Feuilleton ein wichtiger Verstärker literarischer Ambitionen war, wurde zumindest angenommen.87 Das äußerte sich unter anderem darin, dass Verlage positive Kritiken aufhoben, in Eigenpublikationen vervielfältigten und als Qualitätsbelege an die Buchhandlungen versandten.88 Prägnante Formulierungen aus Korns Kritiken zierten die Werbeinserate von Suhrkamp, Rowohlt, Kindler und Kiepenheuer & Witsch.89 Im Gegenzug lieferten die Autorinnen und Autoren der Zeitung literarische Stoffe für das Tagesgeschäft, verliehen ihr bei Erfolg 83 84

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Brief von Siegfried Unseld an Karl Korn vom 12.9.1957, in: DLA Marbach, SUA: Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv/03 Lektorate, SU.2010.0002. Korn und Unseld lernten sich 1952 kennen, seit 1953 schrieb der deutlich jüngere Unseld Rezensionen für das Feuilleton. Wie Unseld Korns Frau Regina nach dessen Tod mitteilte, hatte ihm Korn die Welt der Literatur eröffnet. Vgl. den Brief von Siegfried Unseld an Regina Korn vom 15.8.1991, in: ebd., SUA:Suhrkamp/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. Vgl. Korn, Karl: Satirischer Gesellschaftsroman (= Rezension zu Martin Walser: „Ehen in Philippsburg“. Frankfurt am Main 1957), in: FAZ vom 5.10.1957, BuZ, S. 5. Vgl. den Brief von Jürgen Eggebrecht an Karl Korn vom 16.7.1956, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JE B 257, in dem Eggebrecht Korn um die Besprechung seines neuen Lyrikbandes bat. Rezensiert wurde er dann allerdings von Heselhaus, Clemens: Falter, Schwalben und Windhühner (=  Sammelrezension zu Jürgen Eggebrecht: „Schwalbensturz. Gedichte“. Frankfurt am Main 1956 u. a.), in: FAZ vom 17.11.1956, BuZ, S. 5. Vgl. den Brief von Hilde Domin an Benno Reifenberg vom 10.2.1960, in: DLA Marbach, A:Domin, Hilde, HS.2007.0002; Brief von Rolf Bongs an Günther Rühle vom 16.8.1967, in: RLA Düsseldorf, NL Rolf Bongs; Brief von Theodor W. Adorno an Reinhard Oehlschlägel vom 10.9.1968, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113. Vgl. Boge: Die Anfänge von Kiepenheuer & Witsch (2009), S. 163–164; Brief von Siegfried Unseld an Karl Korn vom 21.6.1971, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/01 Verlagsleitung/ Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. Vgl. beispielhaft die Suhrkamp-Anzeige in der SZ vom 28.11.1953, S.  40, die RowohltAnzeige in der SZ vom 9.12.1964, S. 37 oder die Kiepenheuer & Witsch-Anzeige in der SZ vom 17.11.1966, BEI10.

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einen Teil des Renommees und dienten ihrerseits als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für journalistische Interessen. So forderte Korn Hermann Kasack, den Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (DASD), 1954 auf, „zu den barbarischen Projekten der Reform unserer Orthographie“90 Stellung zu nehmen und stellte ihm dafür die FAZ zur Verfügung.91 Kontakte und Verbindungen zum Literaturbetrieb, die in der Feuilletonredaktion zweifellos bestanden, kamen auf mehreren Wegen zustande. Frankfurt, die „heimliche Hauptstadt der Intellektuellen“92, war nicht nur Sitz der FAZ, der FR, der Gegenwart oder der Frankfurter Hefte, beherbergte nicht nur die Goethe-Universität und das Institut für Sozialforschung, sondern auch S. Fischer, Suhrkamp und die Frankfurter Buchmesse. Auf der Buchmesse trafen seit 1949 jährlich Journalistinnen und Journalisten, Autorinnen, Autoren und Verlage aufeinander. Es gebe keinen anderen Ort in der Bundesrepublik, so Schwab-Felisch 1956 über das Messeereignis, „an dem mehr interessante Köpfe auf einmal versammelt sind, keinen Ort, an dem in allen Sparten, die mit dem Buch zu tun haben, leichter und  besser Kontakte hergestellt werden können“93. Die Buchmesse, zu deren Anlass die Zeitung große Sonderausgaben ihres Literaturblattes in den Druck gab, wurde außerdem von einem Rahmenprogramm begleitet. So nutzte Unseld den Anlass, um zum traditionsgewordenen Kritikerempfang – damals noch „Autorenstunde“ – in sein Heim im Frankfurter Westend einzuladen und die neuen Gesichter von Suhrkamp zu präsentieren.94 Da sich viele Redaktionsmitglieder auch schriftstellerisch betätigten, gehörten einige den großen literarischen Vereinigungen wie der in Darmstadt residierenden DASD oder dem Autorenverband Poets, Essayists and Novelists (P.E.N.) an. Eine Mitgliedschaft im 1949 gegründeten P.E.N.-Zentrum Deutschland, zu dem neben Maria Frisé, Sabina Lietzmann, Rolf Michaelis, Günther Rühle und Vilma Sturm die freien und ständigen Mitarbeiter Wilhelm Alff, Walter Dirks und Hans Heinz Stuckenschmidt gehörten, setzte „die Veröffentlichung gewichtiger Literaturwerke in deutscher Sprache“95 voraus. Schwab90 91 92 93 94 95

Brief von Karl Korn an Hermann Kasack vom 3.8.1954, in: DLA Marbach, A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘, 91.128.3836. Vgl. den Brief von Hermann Kasack an Karl Korn vom 6.8.1954, in: ebd., 91.128.2882. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 105. Schwab-Felisch, Hans: Der große Markt der Bücher. Ein Rundgang durch die Frankfurter Buchmesse, in: FAZ vom 24.9.1956, S. 14. Vgl. den Brief von Siegfried Unseld an Wolfgang Schwerbrock vom 14.9.1959, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland (Hg.): P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. München 1988, S. 236.

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Felisch war zeitweilig Generalsekretär des deutschen P.E.N., Ernst Johann dessen Schatzmeister. Die Wiener Korrespondentin Hilde Spiel amtierte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre als Generalsekretärin des österreichischen P.E.N. und Korn selbst gehörte seit 1964 neben Spiel und dem Referenten Otto Zoff zur DASD, die die literarische Nachkriegsszene vor allem durch ihre großen Tagungen und die Verleihung des Georg-Büchner-Preises maßgeblich prägte.96 Zuvor war er bisweilen als Diskussionsteilnehmer zu den Tagungen eingeladen worden, was in Zeiten eines nur wenig ausdifferenzierten Feuilletons zu bizarren Überschneidungen führte. In Korns Bericht über die Frühjahrstagung der DASD 1954 war dann zum Beispiel zu lesen: „Korn dagegen sagte, daß es keine für alle Fälle anwendbare These gebe, nach der die Autorenschaft allemal kritische Fähigkeit und kritische Leidenschaft einschließe.“97 Wie überall, so galt es nach 1945 auch in der Literatur, an brauchbare Traditionsbestände anzuknüpfen und neue Wege zu beschreiten. Nach Jahren der eingeschränkten Buchproduktion begann der Buchmarkt in den frühen 1950er Jahren zu florieren. Was auf die Bühnen und Leinwände der jungen Bundesrepublik zutraf, auf denen (vorwiegend ältere) deutsche und (neuere) amerikanische, französische und britische Stücke und Filme liefen, war auch in der Literatur zu beobachten: Neben den wiederaufgelegten Klassikern von Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin und Heinrich Heine bis zu den moderneren von Hermann Hesse, Thomas Mann, Franz Kafka, Alfred Döblin, Robert Musil und Gottfried Benn, den vereinzelten Werken der „Inneren Emigration“ und der randständigen Exilliteratur98 war es vor allem Unterhaltungs- und ausländische Literatur, die Absatz fand.99 Darunter fielen etwa die Amerikaner Ernest Hemingway, John Steinbeck und William Faulkner, die Franzosen Eugène Ionesco und Antoine de Saint-Exupéry, der in Frankreich lebende Samuel Beckett oder die Existentialisten Jean-Paul Sartre und Jean Anouilh.100 Zu den wichtigsten epischen Genres gehörte außer dem Hörspiel, dem Essay und der Skizze die aus den USA kommende Kurzgeschichte, 96 97

Vgl. Braun: Die deutsche Gegenwartsliteratur (2010), S. 50. K.K. (=  Karl Korn): Kritik der Kritik. Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, in: FAZ vom 20.5.1954, S. 10. 98 Zum problematischen Umgang mit Emigration und Exilliteratur am Beispiel der FAZPolemik gegen Thomas Mann vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 93–94. 99 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 272–278; Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 77, 83. 100 Zu Letzteren vgl. Grosse Kracht, Klaus: „Der feigste aller Mörder ist einer, der bereut“. Jean-Paul Sartre und die deutsche Zusammenbruchgesellschaft, in: Schildt, Axel (Hg.): Von draussen. Ausländische intellektuelle Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 55). Göttingen 2016, S. 89–104.

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der sich etwa Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Ilse Aichinger und Hans Bender bedienten.101 Auch die deutschsprachige Lyrik, vertreten durch Peter Rühmkorf, Gottfried Benn, Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Günter Eich und andere, erlebte eine Renaissance, bevor sie Ende der 1950er Jahre wieder in den Hintergrund trat.102 Doch nicht überall rief die Fülle an Gattungen, Genres, Epochen und Strömungen Begeisterung hervor. „Resignation ist doch so ziemlich allgemein“103, lautete eine Diagnose, die am 16. November 1954 in einer Sonderausgabe des FAZ-Literaturblattes zu lesen war. Mehrfach wurde mit Blick auf die deutsche Gegenwartsliteratur eine literarische Krise heraufbeschworen: Im Vergleich zur Vorkriegszeit, hieß es dann, sei die Literatur von geringerer Qualität, lebe von Erinnerungen an bessere Zeiten.104 Tatsächlich war der Literaturbetrieb in den 1950er Jahren personell und thematisch stark von den 1920er und 1930er Jahren geprägt,105 was auf dem Feld der anspruchsvollen Literatur in der Dominanz der klassischen Moderne (Marcel Proust, James Joyce, T.S. Eliot, Thomas Mann, Ernst Jünger, Gottfried Benn, Hugo von Hofmannsthal) zum Ausdruck kam.106 Eine junge deutsche Literatur war zwar im Entstehen begriffen, hatte ihren Durchbruch aber erst Ende der 1950er Jahre durch Werke wie Günter Grass‘ „Blechtrommel“, Bölls „Billard um halb zehn“ und Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob“ (alle 1959).107 Umso lauter war der Applaus in der FAZ, wenn neue literarische Talente ihr Debüt feierten, die sich von der oft eskapistischen, Innerlichkeit, Religiosität und Naturverbundenheit vermittelnden Gegenwartsliteratur der älteren Generationen abzugrenzen versuchten.108 Die Autorinnen und Autoren der sogenannten „Kahlschlag-“ oder „Trümmerliteratur“, die sich der alltäglichen 101 Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 71. 102 Vgl. Hinderer, Walter: Arbeit an der Gegenwart. Zur deutschen Literatur nach 1945. Würzburg 1994, S. 12–13. 103 Korn, Karl: Ein Mann, der sich selbst sucht (= Rezension zu Max Frisch: „Stiller“. Frankfurt am Main 1954), in: FAZ vom 16.11.1954, Erweitertes Literaturblatt, S. 1. 104 Vgl. –a–: Bestandsaufnahme, in: FAZ vom 26.1.1951, S. 6. 105 Vgl. Kyora, Sabine: „Swing, Film, Hemingway, Politik: Stinkt mich an.“ Die Neupositionierung der westdeutschen Literatur zwischen 1945 und 1960, in: Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960. Bielefeld 2007, S. 45–62, hier S. 46. 106 Vgl. Pfohlmann, Oliver: Literaturkritik in der Bundesrepublik, in: Anz, Thomas  / Baasner, Rainer (Hg.): Literaturkritik. Geschichte  – Theorie  – Praxis. München 2004, S. 160–191, hier S. 160–161. 107 Vgl. Barner: Kommerz und Experiment (2006), S. 170–171. 108 Vgl. Rothmann: Kleine Geschichte (2014), S. 290–291; Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 74–75.

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Not nach dem Kriegsende, der Kriegserfahrung und -heimkehr zuwandten, hatten es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem Pathos, dem Geist und der Sprache des Nationalsozialismus zu brechen. In ihren Texten, die einen radikalen Neuanfang versprachen,109 stilistisch-literarisch aber durchaus an den Realismus der Zwischenkriegszeit, Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus wie auch an Vorbilder aus der modernen europäischen und amerikanischen Literatur anknüpften,110 zeichneten Schriftsteller wie Wolfgang Borchert, Heinrich Böll, Alfred Andersch, Wolfgang Koeppen, Siegfried Lenz und Martin Walser ein möglichst realistisches Bild der Nachkriegszeit. Einer „zeitfernen und traumverlorenen Bekenntnisliteratur schöner Seelen“, einem Ästhetizismus, setzten sie „einen einfachen, klaren und präzisen Realismus“111 entgegen, der bald auch experimentellere Formen annahm. Einige von ihnen versammelten sich seit 1947 in der von Hans Werner Richter und Andersch gegründeten „Gruppe  47“, einer anfangs noch losen, stilistisch heterogenen Schriftstellervereinigung, deren Mitglieder sich auf Einladung Richters zwei Mal jährlich trafen, um sich gegenseitig aus ihren Texten vorzulesen und sie zu diskutieren.112 Die „Gruppe 47“ sollte die deutsche Gegenwartsliteratur bis in die 1960er Jahre maßgeblich prägen. Die junge deutschsprachige Nachkriegsliteratur, die sich der Ergründung der Wirklichkeit mittels einer neuen Ästhetik und Sprache verschrieben hatte,113 wurde im FAZ-Feuilleton mit Wohlwollen begleitet.114 „Ich bin wirklich frappiert von so viel verlegerischem Mut und von so viel grosser Initiative“115, schrieb Korn 1951 enthusiastisch an Suhrkamp, bei dem viele jüngere Autorinnen und Autoren, auch aus dem Umkreis der „Gruppe 47“, unter Vertrag standen. Einzelne fanden in der FAZ eine gewichtige Förderin: Noch bevor Heinrich Böll zu einem der bekanntesten Erzähler der Bundesrepublik avancierte, war sein Name vielfach auf den Seiten des Feuilletons zu finden, das ihm schließlich, so die schon oft formulierte These, „zum großen Durchbruch“116 verhalf.117 109 110 111 112 113 114 115 116 117

Vgl. Rothmann: Kleine Geschichte (2014), S. 296. Vgl. Kyora: „Swing, Film, Hemingway, Politik: Stinkt mich an.“ (2007), S. 51. Rothmann: Kleine Geschichte (2014), S. 293. Vgl. Geppert: Hans Werner Richter (2011), S. 203. Vgl. Becker: Zum Verhältnis von gesellschaftlicher Moderne und ästhetischer Modernität (2008) S. 155. Zur Rezeption von Wolfgang Koeppen vgl. das vierte Kapitel der Arbeit „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“. Brief von Karl Korn an Peter Suhrkamp vom 7.11.1951, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. Brief von Nino Erné an Karl Korn vom 4.1.1973, in: RLA Düsseldorf, NL Nino Erné. Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 302.

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Die Redaktion druckte seine frühen Erzählungen wie „Aschermittwoch“118 und „Skizze“119 (1951) und ließ Böll als Rezensent im Literaturblatt zu Wort kommen.120 Dort wurde im Januar 1950 auch seine Kurzgeschichtensammlung „Wanderer, kommst du nach Spa  …“ als literarische Errungenschaft gefeiert. Der fünfundzwanzigjährige Kritiker Franz Norbert Mennemeier lobte den sieben Jahre älteren Schriftsteller ausgiebig für seine sprachlich-stilistische Bescheidenheit, mit der er den Nerv der Zeit treffe: Heinrich Böll gehört nicht zu den verwickelt geistreichen highbrow-Autoren von gestern, denen, die mit dem Leser spielen wie die Katze mit der Maus. Er hat das volle Bewußtsein der aus dem Schoß unserer Zeit geborenen, jungen Generation. Aber er hat dieses Bewußtsein auf eine natürliche, unverstellte Art; er protzt nicht avantgardistisch damit vor sozusagen kleinen, hinter dem Geist der Zeit möglicherweise etwas zurückgebliebenen Leuten121.

Mennemeier würdigte Böll als Vertreter einer unbelasteten, neuen Gegenwartsliteratur, die mit dem literarischen Intellektualismus breche und unmittelbar zur Gesellschaft spreche. Nach dieser Rezension, die den eigentlichen Auftakt einer intensiven Böll-Rezeption im Feuilleton markierte, wurden auch Korn und Nette auf den Schriftsteller aufmerksam. Sie forderten Böll gleich mehrfach auf, von Zeit zu Zeit eine (unveröffentlichte)122 Erzählung, „eine gute, moderne Geschichte“123 zu schicken und ermunterten ihn, an der Zeitung mitzuwirken.124 Vor allem Korn war daran gelegen, Böll zu fördern und zu formen. Während er bei erfahrenen Rezensentinnen und Rezensenten auf prophylaktische Kommentare verzichtete, gab er dem jungen Autor Tipps und Hinweise für die zu rezensierenden Werke.125 118 Böll, Heinrich: Aschermittwoch, in: FAZ vom 7.2.1951, S. 6. 119 Böll, Heinrich: Skizze, in: FAZ vom 17.8.1951, S. 4. 120 Vgl. Böll, Heinrich: Die Menschen hassen – die Menschheit lieben (=  Rezension zu Robert Neumann: „Die Puppen von Poshansk“. München 1952), in: FAZ vom 3.5.1952, BuZ, S. 3; ders.: Betrogene Betrüger (= Rezension zu Robert Neumann: „Die Insel der Circe“. München 1952), in: FAZ vom 10.5.1952, BuZ, S. 3. 121 Mennemeier, Franz Norbert: Zielstrebige Geschichten (= Rezension zu Heinrich Böll: „Wanderer, kommst du nach Spa …“. Opladen 1950), in: FAZ vom 13.1.1950, S. 10. 122 Als Böll ein bekannter Schriftsteller war, druckte das Feuilleton mit Böll, Heinrich: Der tote Indianer in der Duke Street, in: FAZ vom 31.3.1956, BuZ, S. 2 auch eine veröffentlichte Erzählung. Vgl. den Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 2.3.1956, in: HBA, Bestand Korres. 4030, Bl. 125. 123 Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 9.12.1952, in: ebd., Bestand Korres. 4015, Bl. 32. 124 Vgl. den Brief von Herbert Nette an Heinrich Böll vom 9.1.1951, in: ebd., Bestand Korres. 4008, Bl. 3; Brief von Herbert Nette an Heinrich Böll vom 15.2.1951, in: ebd., Bl. 32. 125 Vgl. den Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 19.9.1952, in: ebd., Bestand Korres. 4014, Bl. 39.

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Auch für seinen ersten Roman „Wo warst du, Adam?“ (1951) wurde Böll im Literaturblatt gelobt. Böll greife die „Zeichen der Zeit“126 auf, so der Rezensent Nette, schreibe ungeschönt, melancholisch über die menschliche Existenz und habe als Romanautor großes Potential. Korn, der ebenso großen Gefallen an dem „ungewöhnlich nette[n], anständige[n] und bescheidene[n] Kerl“127 gefunden hatte, schlug Böll wenig später für die Ehrengabe des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie vor, die ihm 1953 verliehen wurde,128 und erwarb die Erzählung „Das Brot der frühen Jahre“ (1955) und Bölls Roman „Billard um halbzehn“ (1959) in Fortsetzungen für das FAZ-Feuilleton. Auch den Roman „Haus ohne Hüter“ (1954) hatte Korn dafür in Erwägung gezogen, sah sich wegen der offenherzig beschriebenen „sexuellen und erotischen Verwirrungen und Nöte“ zu einem Abdruck aber letztlich doch nicht in der Lage: „So, wie’s bei Ihnen steht, geht es nicht, in der Zeitung meine ich.“129 Korns Vorschlag, das Manuskript für eine Zeitungsfassung leicht zu überarbeiten, ließ sich schließlich nicht umsetzen. „Ärgern Sie sich bitte nicht“, schrieb er im Juli 1954 entschuldigend an Böll, „daß ich jetzt anfange, die quasi Unmöglichkeit zu merken, den Roman für Tageszeitungsfortsetzungsleser in eine unangreifbare Form zu bringen“130. Ähnlich verhielt es sich bei „Ansichten eines Clowns“ (1963) knapp zehn Jahre später. Nachdem Korn Bölls Manuskript von Kiepenheuer & Witsch erhalten hatte, entschied er sich gegen einen Abdruck. Bölls kritisches, „bisweilen satirisch verfremdetes Porträt des rheinisch-katholischen bürgerlichen Milieus“131 sei missverständlich, stecke voller Bitterkeit, entbehre Demut und Versöhnlichkeit.132 In allen anderen Fällen war Korn aber ein ausgesprochener Unterstützer Bölls. Noch Anfang der 1970er Jahre, im Klima des „roten“ Jahrzehnts, protestierte er gegen einen Textentwurf des FAZ-Politikredakteurs Ernst-Otto Maetzke, bei dem es sich laut Korn um „eine glatte Infamie gegen Böll“ aus der Feder eines „Literaturbanausen“133 handelte. Maetzke hatte Böll darin offenbar 126 Nette, Herbert: Panorama des Krieges (= Rezension zu Hans Werner Richter: „Sie fielen aus Gottes Hand“. München 1951 und Heinrich Böll: „Wo warst du, Adam?“ Opladen 1951), in: FAZ vom 10.11.1951, S. 16. 127 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 4.1.1955, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3. 128 Vgl. den Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 15.10.1953, in: HBA, Bestand Korres. 4020, Bl. 124. 129 Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 5.7.1954, in: ebd., Bestand Korres. 4024, Bl. 8–9. 130 Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 18.7.1954, in: ebd., Bl. 44. 131 Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 229. 132 Vgl. den Brief von Karl Korn an Heinrich Böll vom 24.4.1963, in: HBA, Bestand Korres. 4093, Bl. 41–42. 133 Brief von Karl Korn an Nikolas Benckiser vom 18.5.1972, in: BArch Koblenz, N 1314/319.

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der geistigen Brandstiftung bezichtigt, indem er seine Erzählung „Ende einer Dienstfahrt“ (1966), in der ein Geländewagen der Bundeswehr angezündet wird, in Beziehung zum Attentat der Roten Armee Fraktion (RAF) auf das Auto des Richters Wolfgang Buddenberg Mitte Mai 1972 setzte.134 In dem am 26. Mai veröffentlichen Beitrag „Leitfadenwissen für Bombenleger“135 war der entsprechende Absatz nicht mehr enthalten. Auch der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, der sich in seinen Büchern mit der menschlichen Existenz, Fragen der Identität und Schuld auseinandersetzte, stieß als Prosaist auf rege Resonanz,136 weil er „der landläufigen Vorstellung von der Literatur als etwas, was neben der Zeit herlaufe“137, entgegentrat. Während ihm die NZZ in seiner Heimat mit Skepsis begegnete, einige der Frühwerke wegen der antibürgerlichen Kritik an der Gesellschaft, der Presse und am Blockdenken des Kalten Krieges schlicht überging,138 kam Frisch in der FAZ gut an. Sein 1950 bei Suhrkamp erschienenes Erstlingswerk „Tagebuch 1946–1949“ wurde im Literaturblatt vom 11. November als neuartiger Wirklichkeitsroman gelobt, der die Entbehrungen der Nachkriegszeit, die „Maskerade vor und in restaurierten Fassaden“ und „die zuweilen verbitterte Enttäuschung von der ausgebliebenen Wandlung“ präzise erfasse. Frisch, der mit dem Buch eine der wenigen deutschsprachigen Gegenwartsdiagnosen liefere, so der freie Kritiker Hans-Geert Falkenberg, erinnere an „die stete Gefahr des Unmenschen in uns selbst“139. Auch sein Erfolgsroman „Stiller“ (1954), der seit dem 15. November als Fortsetzungsroman erschien,140 wurde im Feuilleton überaus positiv aufgenommen. Korn, der ihn im Literaturblatt besprach, lobte die Ironie und Intelligenz dieses unpathetischen Werkes. Die Suche des Protagonisten nach Identität und seine Konfrontation mit der Vergangenheit 134 Vgl. den Brief von Ernst-Otto Maetzke an Karl Korn vom 19.5.1972, in: BArch Koblenz, N 1314/319. 135 Maetzke, Ernst-Otto: Leitfadenwissen für Bombenleger. Gegenwärtige linke GewaltLiteratur in drei Stufen, in: FAZ vom 26.5.1972, S. 2. 136 Als Dramatiker erfuhr Frisch eine ambivalentere Bewertung, vgl. etwa H.  J.: „Graf Oederland“. Uraufführung in Zürich, in: FAZ vom 16.2.1951, S.  6; Franzen, Erich: Don Juan in der Schlinge. Max Frischs Don-Juan-Drama in Zürich uraufgeführt, in: FAZ vom 9.5.1953, S. 2; K.K. (= Karl Korn): Don Juans Reinfall. Max Frischs Komödie im Frankfurter „Intimen Theater“, in: FAZ vom 27.12.1954, S. 8. 137 Schwerbrock, Wolfgang: Die Literatur und ihre Resonanz. Ein Preis für Max Frisch, eine Satire und eine Dichtertagung in Darmstadt, in: FAZ vom 10.11.1958, S. 12. 138 Vgl. Foppa: Max Frisch (2003), S. 113, 138. 139 Falkenberg, Hans-Geert: Diagnose der Zeit (=  Rezension zu Max Frisch: „Tagebuch 1946–1949“. Frankfurt am Main 1950), in: FAZ vom 11.11.1950, S. 16. 140 Vgl. die Ankündigung o.  A.: Unser neuer Roman: Max Frisch: „Stiller“, in: FAZ vom 11.11.1954, S. 8.

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stünden stellvertretend für die Nachkriegsgesellschaft und zeigten die „Selbstentfremdung des modernen Menschen mit sich selbst“. Die Kühnheit Frischs, die „Bereitschaft der Bourgeoisie zum Faschismus“ zu thematisieren, lasse mit Spannung erwarten, „wie gewisse Gralshüter abendländischer Couleur auf solche Stellen reagieren werden.“141 Im Unterschied zu Frischs Rezeption in der NZZ, deren Kritik stark von ästhetischen Fragen geprägt war,142 wurde der Schriftsteller und Moralist in der FAZ auch als „Frager, Empörer und Warner“143 gewürdigt. Während die Verleihung des renommierten Georg-Büchner-Preises an Frisch 1958 in der NZZ in einem Satz abgehandelt wurde,144 druckte die FAZ seine zu diesem Anlass gehaltene Rede, veröffentlichte ein Kurzportrait und berichtete über die anschließende DASD-Tagung, die die Verleihung zum Thema hatte.145 Frisch, für den dieser Preis zugleich den Durchbruch in Deutschland markierte,146 sprach in seiner Rede über schriftstellerisches Engagement, das er im Zeitalter verhärteter Ideologien für unerlässlich hielt. In der „Wahrhaftigkeit der Darstellung“147, im literarischen Realismus, sah er dazu ein geeignetes Mittel. Dass junge, moderne Autoren wie Frisch, Böll oder der wie dieser zur „Gruppe 47“ gehörende Siegfried Lenz148 im Feuilleton gefördert wurden und sich ältere Schriftstellerinnen bisweilen unverstanden fühlten,149 bedeutete nicht, dass sich das Ressort allein der Gegenwartsliteratur verschrieben hätte. Neben den Vertreterinnen und Vertretern der klassischen Moderne – Musils „Mann ohne Eigenschaften“ lobte Korn 1953 als „so gescheit und hoch aktuell und von der Substanz her souverän und weltmännisch, dass ich nichts in der

141 Korn, Karl: Ein Mann, der sich selbst sucht (= Rezension zu Max Frisch: „Stiller“. Frankfurt am Main 1954), in: FAZ vom 16.11.1954, Erweitertes Literaturblatt, S. 1. 142 Vgl. Foppa: Max Frisch (2003), S. 147. 143 Schwab-Felisch, Hans: Max Frisch. Ausgezeichnet mit dem Büchner-Preis, in: FAZ vom 8.11.1958, S. 2. 144 Vgl. Foppa: Max Frisch (2003), S. 173. 145 Vgl. Schwab-Felisch, Hans: Max Frisch. Ausgezeichnet mit dem Büchner-Preis, in: FAZ vom 8.11.1958, S. 2; Schwerbrock, Wolfgang: Die Literatur und ihre Resonanz. Ein Preis für Max Frisch, eine Satire und eine Dichtertagung in Darmstadt, in: FAZ vom 10.11.1958, S. 12; Frisch, Max: Das Engagement des Schriftstellers heute, in: FAZ vom 14.11.1958, S. 8. 146 Vgl. Foppa: Max Frisch (2003), S. 153. 147 Frisch, Max: Das Engagement des Schriftstellers heute, in: FAZ vom 14.11.1958, S. 8. 148 Vgl. Lenz, Siegfried: Ballade in Prosa, in: FAZ vom 2.12.1949, S. 5; ders.: Jugend aus dem Kanister, in: FAZ vom 10.4.1951, S.  6; Korn, Karl: Vom Terror gehetzt (=  Rezension zu Siegfried Lenz: „Es waren Habichte in der Luft“. Hamburg 1951), in: FAZ vom 21.4.1951, S. 16; Lenz, Siegfried: So leicht fängt man keine Katze, in: FAZ vom 19.6.1952, BuZ, S. 2. 149 Vgl. den Brief von Elisabeth Langgässer an Karl Korn vom 3.12.1949, in: DLA Marbach, A:Langgässer, Elisabeth, 70.3220/1.

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neueren Literatur ihm an die Seite zu stellen weiss“150 – schätzte man auch bekannte, konservative Autoren wie Ernst Jünger,151 den Korn im ersten Nachkriegsjahrzehnt als Offenbarung empfand.152 Katholischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern mit christlichen Positionen wie Gertrud von Le Fort, Luise Rinser, Elisabeth Langgässer, Werner Bergengruen und Reinhold Schneider, die von Zeit zu Zeit im Feuilleton publizierten, nahm sich etwa die ebenfalls katholische Vilma Sturm an.153 Eugen Skasa-Weiß und Ernst Wilhelm Eschmann, die die FAZ in den 1950er Jahren mit feuilletonistischen Erzählstoffen wie kleinen Prosastücken, Lyrik und Aphorismen belieferten,154 waren ebenso wenig publizistische Newcomer wie Rolf Bongs, dessen Gedichte und Erzählungen bis in die 1970er Jahre im Feuilleton erschienen. Bongs, der es

150 Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 3.8.1953, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. Vgl. außerdem Frisé, Adolf: Robert Musil / Zu seinem 10. Todestag am 15. April, in: FAZ vom 12.4.1952, S. 11; Mennemeier, Franz Norbert: Ein großer deutscher Epochenroman (= Rezension zu Robert Musil: „Der Mann ohne Eigenschaften“. Hamburg 1952), in: FAZ vom 30.5.1953, BuZ, S. 5. Die Zeitung druckte außerdem ein Kapitel aus „Der Mann ohne Eigenschaften“, vgl. Musil, Robert: Ein geniales Rennpferd, in: FAZ vom 6.8.1953, S. 10. 151 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  179–180. Jüngers Bücher wurden im Feuilleton besprochen, zum Teil auch auszugsweise abgedruckt, vgl. Nebel, Gerhard: Ernst Jüngers große Rechenschaft (= Rezension zu Ernst Jünger: „Strahlungen“. Tübingen 1949), in: FAZ vom 12.11.1949, S.  12; Jünger, Ernst: Im Kabinett des Antiquars, in: FAZ vom 18.11.1949, S. 5; Nette, Herbert: Wir müssen uns zurechtfinden (= Rezension zu Ernst Jünger: „Über die Linie“. Frankfurt am Main 1950; Romano Guardini: „Das Ende der Neuzeit“. Basel 1950), in: FAZ vom 23.12.1950, S. 16. 152 Vgl. die Briefe von Karl Korn an Margret Boveri vom 7.10.1947 und 22.5.1950, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Zu Beginn der 1950er Jahre wurde sein Verhältnis zu Jünger kritischer, vgl. etwa Korn, Karl: Der Sprung ins Wunderbare. Zu Ernst Jüngers neuem Buch „Heliopolis“, in: FAZ vom 24.12.1949, S. 5. 153 Vgl. u.  a. Mennemeier, Franz Norbert: Ein neuer Kohlhaas – mißlungen (=  Rezension zu Werner Bergengruen „Das Feuerzeichen“. München 1949), in: FAZ vom 4.2.1950, S. 10; Langgässer, Elisabeth: Liebeserklärung an einen Typ, in: FAZ vom 8.4.1950, S. 17; Bergengruen, Werner: Kindheit am Wasser, in: FAZ vom 15.6.1950, S. 7; Korn, Karl: Elisabeth Langgässers letztes Werk (=  Rezension zu Elisabeth Langgässer: „Märkische Argonautenfahrt“. Hamburg 1950), in: FAZ vom 18.11.1950, S.  16; Sturm, Vilma: Eine Frau unserer Tage (= Rezension zu Luise Rinser: „Mitte des Lebens“. Frankfurt am Main 1950), in: FAZ vom 24.3.1951, S. 11; dies.: Kirche und Reich. Gertrud von Le Fort zum 75. Geburtstag, in: FAZ vom 10.10.1951, S.  6; Schneider, Reinhold: Auferstehung, in: FAZ vom 9.4.1955, S. 1; Sturm, Vilma: Weibliche Lebenskunde (= Rezension zu Luise Rinser: „Abenteuer der Tugend“. Frankfurt am Main 1957), in: FAZ vom 18.1.1958, BuZ, S. 5. 154 Vgl. Skasa-Weiss, Eugen: Das Wörterbuch der kleinen Ingenting, in: FAZ vom 16.7.1951, S. 4; ders.: Zigarrenkiste voller Babys, in: FAZ vom 26.1.1952, BuZ, S. 1; Eschmann, Ernst Wilhelm: „Wolken“, in: FAZ vom 3.8.1953, S. 6; ders.: In unseren kleinen Wohnungen, in: FAZ vom 29.1.1955, BuZ, S. 6; ders.: Aufzeichnungen, in: FAZ vom 8.3.1960, S. 16.

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als Düsseldorfer Lokalautor zu einiger Bekanntheit gebracht hatte,155 stand für Kontinuität und Tradition, auch im Erzählerischen.156 Gerade für Solitäre wie ihn, die sich literarisch nur schwer einordnen ließen, war es wichtig, in den überregionalen Printmedien wahrgenommen, besser noch positiv besprochen zu werden.157 Doch während lyrische Texte und Erzählungen zu Beginn der 1950er Jahre noch sehr gefragt waren, veränderten sich die Lesebedürfnisse im Verlauf der folgenden Jahre. Auch Jürgen Eggebrecht, der die Abteilung „Kulturelles Wort“ im Norddeutschen Rundfunk (NDR) leitete und das FAZFeuilleton mit seiner von Stadt-, Natur- und Tierbeschreibungen geprägten Lyrik versorgte,158 erhielt in den 1960er Jahren immer häufiger Absagen.159 „Deine Gedichte sind schön, aber zu versponnen, zu sehr verkapselt, für den Zeitungsabdruck zu schwer, zu konzentriert, zu gut“160, ließ Korn ihn bereits 1957 wissen. Der Publikumswiderstand sei bei anspruchsvoller Lyrik mittlerweile ebenso hoch wie vormals gegenüber moderner Kunst, so 1962 Korns Begründung, warum die Redaktion keine weiteren Gedichte annehmen könne.161 Auch Bongs sah sich nun, da der nach wie vor enge redaktionelle Raum häufiger mit Genres wie der Reportage bespielt wurde, oft mit Zurückweisungen konfrontiert.162 Eine einschneidende Veränderung erfuhr die Literaturkritik durch das Engagement Friedrich Sieburgs. Der Journalist und Publizist, der seit 1949 die Halbmonatsschrift Die Gegenwart mit herausgab, stieß 1956/57 auf Initiative Welters zur FAZ. Die beiden Journalisten hatten sich in den 1930er Jahren über 155 Vgl. Rajewska-Perzyńska, Agnieszka: Rolf Bongs als ein untypischer Vertreter der „Inneren Emigration“ – sein Werdegang nach 1945, in: Pelka, Artur / Tigges, Stefan (Hg.): Das Drama nach dem Drama. Verwandlungen dramatischer Formen in Deutschland seit 1945. Bielefeld 2011, S. 55–67, hier S. 55. 156 Vgl. Bongs, Rolf: Eine Fußspur in Taranowka, in: FAZ vom 27.10.1956, BuZ, S.  2; ders.: Fallende Schatten, in: FAZ vom 20.3.1958, S.  8; ders.: Querschnittfragen, in: FAZ vom 29.12.1965, S. 20. 157 Vgl. den Brief von Rolf Bongs an Günther Rühle vom 16.8.1967, in: RLA Düsseldorf, NL Rolf Bongs. 158 Vgl. Welle, Florian: „In der Zukunft war ich schon“. Leben für die Literatur. Jürgen Eggebrecht 1898–1982 (=  edition monacensia). München 2010, S.  12. In der FAZ erschienen etwa Eggebrecht, Jürgen: Zwei sind eine Macht, in: FAZ vom 1.9.1951, S. 15; ders.: Der Pferdeknecht, in: FAZ vom 2.2.1954, S. 6; ders.: Die Schauspielschule, in: FAZ vom 28.6.1966, S. 20. 159 Vgl. die Briefe von Maria Frisé an Jürgen Eggebrecht vom 6.12.1968 und 15.4.1969, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JE B 126. 160 Brief von Karl Korn an Jürgen Eggebrecht vom 29.10.1957, in: ebd. 161 Vgl. den Brief von Karl Korn an Jürgen Eggebrecht vom 26.3.1962, in: ebd. 162 Vgl. die Briefe von Günther Rühle an Rolf Bongs vom 11.7.1967 und 6.3.1968, in: RLA Düsseldorf, NL Rolf Bongs.

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die FZ kennengelernt und standen seitdem in engem Kontakt. Welter hatte den sieben Jahre älteren Sieburg bei seinen Plänen, die FZ wiederzugründen, von Anfang an einbezogen.163 Nachdem klar geworden war, dass Herbert Nette die Leitung des FAZ-Literaturblattes Ende des Jahres 1953 auf eigenen Wunsch niederlegen würde, hatte er einen ersten Anlauf unternommen, um Sieburg zu engagieren. Neben dessen Renommee mochte dabei auch der Wunsch mitgespielt haben, mit ihm eine Art Gegengewicht zu dem in künstlerischen Fragen weit liberaleren, freimütigeren Korn aufzubauen.164 Doch an Korn, der sich weigerte, den Bedingungen nachzugeben, die Sieburg an sein Engagement bei der FAZ geknüpft hatte, scheiterten die Verhandlungen im Herbst 1953 vorerst. Dass Sieburg das Literaturressort von seinem Wohnsitz im badenwürttembergischen Gärtringen aus leiten wollte, hielt Korn für impraktikabel. Allem Drängen zum Trotz legte er sein Veto ein.165 Drei Jahre später waren Korns Vorbehalte zwar nicht verflogen, aber der fortwährende Druck durch Welter und die anhaltend hohe Arbeitsbelastung ließen ihn schließlich einlenken.166 Zum 1. Oktober 1956 wurde Sieburg ständiger Mitarbeiter der FAZ, im folgenden Jahr übernahm er, vierundsechzigjährig, das Literaturblatt,167 nachdem er Korn versichert hatte, an seiner Idee, die Literaturseite nur noch vierzehntägig herauszubringen und einen literarischen Leitartikel einzuführen, nicht weiter festzuhalten.168 Korn war nicht begeistert. Schon bei ihrem ersten Treffen in Frankfurt sah er seine Zweifel bestätigt, nachdem Sieburg offenbar signalisiert hatte, „daß literarische Kritiken von ihm immer an der Spitze des Literaturblattes placiert werden müßten.“169 Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen. Sieburgs Sonderstellung war Korn ein Dorn im Auge. Der neue Kollege lebte weiterhin in Gärtringen und zeigte sich nur alle zwei Wochen dienstags in der Redaktion, 163 Vgl. den Brief von Erich Welter an Friedrich Sieburg vom 2.9.1945, in: BArch Koblenz, N 1314/47. 164 Vgl. die E-Mail von Günther Rühle vom 20.6.2017. 165 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 17.12.1953, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  3; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 22.8.1956, in: ebd., Mappe 5; Aktennotiz über die Herausgeberkonferenz am 16.12.1953, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. 166 Vgl. den Brief von Karl Korn an Joseph Breitbach vom 10.1.1958, in: DLA Marbach, A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004. 167 Vgl. den Brief von Karl Korn an Benno Reifenberg vom 11.12.1956, in: ebd., A:Reifenberg, Benno/Frankfurter Zeitung: Neugründung, 79.6730. 168 Vgl. die Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 26.6.1957, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955 bis 19.2.1958. 169 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 18.10.1956, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1.

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wenn er mit dem Flugzeug von Stuttgart angereist kam.170 Er hatte darüber hinaus einen unmittelbaren, freundschaftlichen Draht zu Welter, dessen uneingeschränkte Unterstützung und Anerkennung er genoss, und betätigte sich rege als Leitartikler, was Korns Position zusätzlich zu schwächen drohte. Noch dazu beschäftigte Sieburg Mitarbeiter, die bei Korn in Ungnade gefallen waren. Rudolf Krämer-Badoni, der schon früher als freier Autor und Kritiker für die FAZ geschrieben hatte, bis er Korn und Habermas 1953 in der Zeit angriff,171 kam seit 1958 wieder mit Rezensionen im Literaturblatt zu Wort.172 Erst als er in seinem 1962 erschienenen Roman „Bewegliche Ziele“ mit der spöttisch karikierten Figur des Kurt Kanzel nach Meinung der Herausgeber auf Korn abhob,173 erübrigte sich jede weitere Mitarbeit.174 Hinzu kam schließlich, dass es sich bei Sieburg um einen emotionalen, fein besaiteten und eitlen Zeitgenossen handelte, der unter Stimmungsschwankungen litt und Wertschätzung suchte.175 Für seinen schwierigen Charakter war der Journalist weithin bekannt: Als der einstige FZ-Korrespondent Paul Bourdin in den ausgehenden 1940er Jahren versuchte, Sieburg für die Welt zu engagieren, scheiterte das Vorhaben am Widerstand der Redaktion.176 Auch in der Gegenwart hatte es Probleme mit dem dominanten Sieburg gegeben, der Entscheidungen im Alleingang getroffen hatte, obwohl er kaum präsent gewesen war.177 In der FAZ schlugen sich diese Konflikte in zähen Briefwechseln und Gesprächen nieder. Wiederholt bekundete Sieburg Zweifel daran, dass in der Feuilletonredaktion Interesse an ihm bestehe.178 Im zweiten Jahr seiner Tätigkeit meinte er sogar, seine Arbeit aus Gründen der Illoyalität und des Vertrauensverlustes aufgeben zu müssen, weil Korn einen kritischen Leserbrief von Hans Magnus Enzensberger zu einem seiner Artikel

170 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 172. 171 Zur Habermas-Heidegger-Kontroverse vgl. das dritte Kapitel „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“. 172 Vgl. Krämer-Badoni, Rudolf: Machiavelli – und unsere Zeit? (= Rezension zu Marcel Brion: „Machiavelli und seine Zeit“. Düsseldorf 1957), in: FAZ vom 31.5.1958, BuZ, S.  5; ders.: Rollt die rote Welle zurück? (= Rezension zu Jürgen Rühle: „Literatur und Revolution. Die Schriftsteller und der Kommunismus“. Köln 1960), in: FAZ vom 7.1.1961, BuZ, S. 5. 173 Vgl. o. A.: Krämer-Badoni. Stiche im Gemüt, in: Der Spiegel 50/1962, S. 99. 174 Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 6.8.1962, in: BArch Koblenz, N 1314/418; Aktennotiz von Erich Welter (für Fräulein Graefe) vom 25.10.1962, in: ebd.; Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 17.11.1962, in: ebd. 175 Vgl. Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 207. 176 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 81–82. 177 Vgl. Deinet: Friedrich Sieburg (2014), S. 590–591. 178 Vgl. die Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 28.5.1957, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955 bis 19.2.1958.

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kommentarlos gedruckt hatte.179 „So sehr ihm die Arbeit in […] der FAZ ans Herz gewachsen sei“, vermerkte das Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 1. April 1958, „er wünsche doch nicht, daß nur ihretwegen sein Leben mit ziemlicher Gewißheit ein vorzeitiges Ende nehme.“180 Doch die Reibungen zwischen Korn und Sieburg entzündeten sich nicht nur an arbeitspraktischen Belangen oder gegenseitiger Antipathie. Sie betrafen auch die Gestalt des Literaturblattes, das zuvor von Korn redigiert worden war und unter Sieburgs Ägide literarischer, belletristischer werden sollte.181 DDRLiteratur und zeitgeschichtliche Publikationen etwa wollte Sieburg aus seinem Ressort weitgehend heraushalten,182 was vermutlich mit zur Folge hatte, dass im August  1957 im Politikressort die Rubrik „Politische Bücher“ eingeführt wurde.183 Sieburg, der im Literaturblatt wöchentlich mit einer längeren Kritik an prominenter Stelle vertreten war, baute einen neuen festen Mitarbeiterkreis auf, den er nur gelegentlich zu erweitern gedachte.184 Zu ihm gehörten neben seinem Assistenten und Sprachrohr in der Redaktion Wolfgang Schwerbrock vor allem Günter Blöcker, Krämer-Badoni, Wilhelm Alff, Hans Egon Holthusen, Sturm, Clara Menck, Friedrich A. Wagner, Helene Henze und Werner Helwig. Diesen Kreis betrachtete Sieburg, der sich wie Blöcker „von einem tiefen Graben umgeben fühl[te], der mich von dem meisten trennt, was um mich herum geschieht“185, zugleich als eine Runde aus Gleichgesinnten.186 Die Programmatik änderte sich. „Also, ich bin in einer schrecklichen Situation: das F.A.Z.  Literaturblatt wird fortan nicht mehr nur von Karl Korn, 179 Vgl. den Leserbrief von H.M.  Enzensberger, in: FAZ vom 25.3.1958, S.  8 anlässlich des Artikels von Sieburg, Friedrich: Landesgrenze  – Geistesgrenze (=  Rezension zu Hans Peter Johannsen: „Deutsche und dänische Dichter der Gegenwart. Zwölf Darstellungen und zwölf ausgewählte Texte“. Heide / Holst 1957), in: FAZ vom 15.2.1958, BuZ, S. 5. 180 Vgl. den Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 1.4.1958, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961. 181 Vgl. den Brief von Karl Korn an Joseph Breitbach vom 10.1.1958, in: DLA Marbach, A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004; Brief von Karl Korn an Josef Pieper vom 5.8.1959, in: ebd., A:Pieper, Josef, HS.1991.0003.01135. 182 Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Karl Korn vom 11.11.1962, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, 79.1.215/10; Deinet: Friedrich Sieburg (2014), S.  595; Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 294. 183 Vorerst handelte es sich bei den dort versammelten Texten um Buchanzeigen, vgl. hst.: Politische Bücher, in: FAZ vom 24.8.1957, S. 4. 184 Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Bernward Vesper-Triangel vom 20.3.1963, in: DLA Marbach, A:Vesper, Bernward, 9.12.448. 185 Brief von Günter Blöcker an Friedrich Sieburg vom 20.8.1963, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.00535/63. 186 Vgl. dazu auch den Brief von Wilhelm Alff an Friedrich Sieburg vom 7.1.1964, in: ebd., HS.NZ79.0001.00478/19.

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sondern – erschrecken Sie nicht, Lieber! – auch von Friedrich Sieburg mitbestimmt“187, beschied Schwerbrock eine Anfrage des Journalisten Nino Erné im Juli 1957 abschlägig. Er werde alles tun, um Ernés Texte künftig im Feuilleton unterzubringen. Sieburg, der Literatur durchaus als Zeitsymptom betrachtete und sich, anders als es die damals tonangebende werkimmanente Kritik suggerierte, nicht scheute, Literaturkritik als intellektuelle Zeitkritik auszuüben,188 hatte indessen seine Probleme mit der zeitgenössischen Literatur. „Unter Brüdern“, schrieb er Ende des Jahres 1960 in einem beißend ironischen Rückblick auf die 1950er Jahre, „viel Großes ist in den verflossenen zehn Jahren auf dem Gebiet der Literatur deutscher Sprache nicht geleistet worden.“189 Sieburg, der die schöne Erzählung, den ausgeklügelten Stil und formvollendeten Genuss schätzte, für den Takt, Sitte und Anstand auch in der Kritik wichtige Argumente waren,190 dem die klassische Moderne als Maßstab und Gottfried Benn, Ernst Jünger, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann und Heinrich Heine als die großen Meister galten,191 empfand den Bruch mit Tradition und Vergangenheit, den die junge Gegenwartsliteratur anstrebte, als Frevel. Insbesondere aus der „Gruppe  47“, die mit Johnson, Walser, Grass und Peter Rühmkorf um 1960 „eine fast hegemoniale Stellung im westdeutschen Literaturbetrieb“192 einnahm, bevor sie sich am Ende des Jahrzehnts auflöste, zog Sieburg dafür einigen Missmut auf sich. Schon bevor Sieburg das FAZ-Literaturblatt übernahm, war sein Verhältnis zur zeitgenössischen Literatur und zur „Gruppe 47“ angespannt, machte er Letztere doch für die geistige und literarische Misere nach 1945 mitverantwortlich.193 Der „als führende Stimme des konservativen Feuilletons“194 bekannte Journalist war einzelnen Autoren wie Heinrich Böll und Alfred Andersch 187 Brief von Wolfgang Schwerbrock an Nino Erné vom 18.7.1957, in: RLA Düsseldorf, NL Nino Erné. 188 Vgl. Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußstein (1993), S. 220. 189 Sieburg, Friedrich: Im Anblick einer Schafherde, in: FAZ vom 31.12.1960, BuZ, S. 1. 190 Vgl. Sieburg, Friedrich: Toter Elefant auf einem Handkarren (=  Rezension zu Martin Walser: „Halbzeit“. Frankfurt am Main 1960), in: FAZ vom 3.12.1960, BuZ, S. 5. 191 Vgl. beispielhaft Sieburg, Friedrich: Im Anblick einer Schafherde, in: FAZ vom 31.12.1960, BuZ, S.  1 sowie aus der Literatur Lorenz, Otto: Die Öffentlichkeit der Literatur. Fallstudien zu Produktionskontexten und Publikationsstrategien: Wolfgang Koeppen – Peter Handke – Horst-Eberhard Richter (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 66). Tübingen 1998, S. 111; Sieg, Christian: Die ‚engagierte Literatur‘ und die Religion. Politische Autorschaft im literarischen Feld zwischen 1945 und 1990 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 146). Berlin / Boston 2017, S. 83. 192 Geppert: Hans Werner Richter (2011), S. 217. 193 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 291. 194 Ebd., S. 292.

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zwar durchaus gewogen,195 hielt den Großteil der Gegenwartsliteratur jedoch höchstens für durchschnittlich. Ihm missfiel nicht nur die Kollektivbildung als solche, sondern auch die kartellähnliche Dominanz, die er der Gruppe im Medien- und Literaturbetrieb zuschrieb,196 und die seiner Auffassung nach nur daraus resultierte, dass sich ihre Mitglieder gegenseitig mit „albernen Lobhudeleien“197 anpriesen. Außenseiter wie Arno Schmidt lobte Sieburg indes für ihre Unabhängigkeit: Schmidt sei „weitaus erträglicher als diese aalglatten Schwätzer, die heute in der Literatur mitreden“198, so der Journalist 1964 im Literaturblatt. Das Verhältnis zwischen Sieburg und der „Gruppe 47“ verschlechterte sich mit der Politisierung des Literaturbetriebs Anfang der 1960er Jahre. Hatten sich die Treffen der „Gruppe  47“ in den 1950er Jahren noch weitgehend auf das Vorlesen der Manuskripte und die anschließende werkbasierte Kritik beschränkt, entwickelte sie nun das Selbstverständnis einer oppositionellen Avantgarde,199 machte aus ihren Begegnungen Großveranstaltungen und trat im Wahlkampf zum Teil offen für die SPD ein.200 Das konnte Sieburg, der einem auf  künstlerische Autonomie und Ästhetik bedachten, von politischen und gesellschaftlichen Problemen abgewandten Sprachartisten wie Benn vor einer sozial und politisch engagierten Literatur mit obligatorischem Gegenwartsbezug deutlich den Vorzug gab,201 nicht gefallen. Immer wieder hob er zwischen den Zeilen auf den miserablen Zustand der zeitgenössischen deutschen Literatur ab.202 195 Vgl. Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußstein (1993), S. 237–238; Sieburg, Friedrich: Ein überzeugter Erzähler (=  Rezension zu Alfred Andersch: „Ein Liebhaber des Halbschattens. Drei Erzählungen“. Olten 1963), in: FAZ vom 10.8.1963, BuZ, S. 5. Auch Siegfried Lenz wurde wegen seines erzählerischen Talents gewürdigt, vgl. ders.: Der junge Mann und das Meer (= Rezension zu Siegfried Lenz: „Jäger des Spotts. Geschichten aus dieser Zeit“. Hamburg 1958), in: FAZ vom 14.6.1958, BuZ, S. 5. 196 Vgl. Barner: Kommerz und Experiment (2006), S.  169. Aus der Berichterstattung vgl. z.  B.  Sieburg, Friedrich: Eine ungeheure Ahnung (=  Rezension zu Alfred Andersch: „Sansibar oder Der letzte Grund“. Olten / Freiburg i. B. 1957), in: FAZ vom 5.10.1957, BuZ, S. 5; ders.: Die neue Emigration, in: FAZ vom 6.8.1959, S. 2. 197 Sieburg, Friedrich: Leviathan und Undine (=  Rezension zu Arno Schmidt: „Fouqué und einige seiner Zeitgenossen. Biographischer Versuch“. Karlsruhe 1958), in: FAZ vom 22.11.1958, BuZ, S. 5. Sieburg rief damit Widerspruch von Andersch hervor, vgl. den Leserbrief von Alfred Andersch, in: FAZ vom 10.12.1958, S. 9. 198 Sieburg, Friedrich: Et alors? So what? Na, und? (= Rezension zu Arno Schmidt: „Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk und Wirkung Karl Mays“. Karlsruhe 1963), in: FAZ vom 11.1.1964, BuZ, S. 5. 199 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 537. 200 Vgl. ebd., S. 551–552; Schildt: Materieller Wohlstand (2000), S. 41–42. 201 Vgl. Pfohlmann: Literaturkritik in der Bundesrepublik (2004), S.  160; Schildt  / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 163. 202 Vgl. Sbg. (= Friedrich Sieburg): Betrug, in: FAZ vom 8.4.1963, S. 20.

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Spätestens seit seinem Verriss von Walsers Roman „Halbzeit“203 (1960) war Sieburg, der sich nach 1945 um eine Wiederbelebung des kompromittierten Konservatismus als Grundlage für Demokratie, Parlamentarismus und Freiheit bemühte,204 im Umfeld der „Gruppe 47“ „als konservativ-ästhetizistischer Apologet der Kanzlerdemokratie“205 verrufen. Als Dank schickte man ihm im Winter 1960/61 täglich einen Gartenzwerg per Post nach Hause. Sieburg, den das angeblich nicht störte, weil er „lieber zerbrochene Gartenzwerge empfange als manche Bände jüngster Lyrik“206, wie es in einem Statement vom 11. Januar im FAZ-Feuilleton hieß, ließ mit einem Gegenschlag nicht lange auf sich warten. Einige Wochen vor der Bundestagswahl 1961 kommentierte er im Politikteil den von Walser herausgegebenen Sammelband „Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?“, in dem eine Reihe bekannter deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, darunter Grass und Rühmkorf, für die SPD warben, weil sie in ihr – verglichen mit der CDU – das geringere Übel sahen. Sieburg beschrieb die dort versammelten Beiträge in der FAZ vom 28. August als grob fehlerhaft. Die von „politischen Wirrköpfen und gekränkten Leberwürsten“ artikulierte Regierungskritik sei über die Maßen dramatisierend, ihr Plädoyer für die notdürftige Alternative nicht nachvollziehbar. Nach diesem intellektuellen Unterfangen, „zur politischen Wirklichkeit der Bundesrepublik etwas beizutragen“, bleibe nun nur noch „die totale Hoffnungslosigkeit“207. Ende des Jahres 1962 erreichte der Konflikt mit der „Gruppe 47“ seinen Höhepunkt, nachdem der Literaturkritiker und FAZ-Rezensent Günter Blöcker im Oktober einen Artikel in der Zeit veröffentlicht hatte, in dem er – auf Anfrage – seine Vorbehalte gegenüber der Schriftstellervereinigung darlegte.208 Blöcker attestierte ihr einen Ordenscharakter und warf der Gruppe unmenschliche, undemokratische Strukturen und Verfahrensweisen vor. „Der Schriftsteller als der große einzelne, der durch sein Wort Gemeinschaft stiftet“209, war Blöckers Ideal. Sieburg legte einige Wochen später nach, als er Blöckers „Kritisches Lesebuch“ für das FAZ-Literaturblatt besprach und ihn in diesem Zuge als 203 Vgl. Sieburg, Friedrich: Toter Elefant auf einem Handkarren (=  Rezension zu Martin Walser: „Halbzeit“. Frankfurt am Main 1960), in: FAZ vom 3.12.1960, BuZ, S. 5. 204 Vgl. Steber, Martina: Konservatismus in Legitimationsnöten. Westdeutsche Suchbewegungen in den 1950er und frühen 1960er Jahren, in: Gallus, Alexander  / Liebold, Sebastian / Schale, Frank (Hg.): Vermessungen einer Intellectual History der frühen Bundesrepublik. Göttingen 2020, S. 128–146, hier S. 141. 205 Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 349. 206 Sieburg, Friedrich: Unternehmen Gartenzwerg, in: FAZ vom 11.1.1961, S. 24. 207 Sieburg, Friedrich: Die Alternative, in: FAZ vom 23.8.1961, S. 2. 208 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 174. 209 Blöcker, Günter: Die Gruppe  47 und ich. Der deutsche Stammtisch ist als „PoetenKongregation“ wiederauferstanden, in: Die Zeit vom 26.10.1962, S. 12.

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eine der wenigen menschlichen und unabhängigen Stimmen charakterisierte, die im „Sprechchor“ der uniformen Literaturlandschaft noch zu vernehmen seien. Blöcker sei eine Ausnahmeerscheinung, weil er an die Autonomie der Literatur, ihre Ganzheitlichkeit und sinnstiftende Funktion glaube.210 Das zog die Aufmerksamkeit des Zeit-Feuilletonchefs Rudolf Walter Leonhardt auf sich, der sich eine Woche später mit einem Beitrag zu Wort meldete, in dem er fragte: „Ist die deutsche Literaturkritik ein Sprechchor?“. Wie der Rundfunk, so pflegte auch die Zeit ein gutes Verhältnis zur „Gruppe  47“.211 Leonhardts Erwiderung vom 7. Dezember sparte folglich nicht mit Kritik an Sieburg, dessen undifferenzierte, polemische Pauschalurteile keiner Überprüfung standhielten. Sieburg flüchte sich in vage Formulierungen und blende anklagend aus, dass unter den mutmaßlichen Königsmachern der Gegenwartsliteratur auch die eigene Zeitung, namentlich sein Kollege Karl Korn, gewesen sei.212 Das war Sieburg, der sich in der Zeitung gerade aus diesem Grund oft abgekapselt fühlte, freilich bekannt.213 Das Feuilleton unter Korn und SchwabFelisch, der sich schon seit seiner Zeit bei der Neuen Zeitung für die junge deutsche Literatur engagierte,214 hatte sich nach 1957 zu einem literarischen Gegenentwurf zu Sieburgs Literaturblatt entwickelt. Lektoren wie Franz Schonauer vom Luchterhand Verlag wandten sich direkt an Korn, wenn es die Druckfahnen zu Grass‘ Roman „Katz und Maus“ (1961) zu verteilen galt.215 Verlage wie Suhrkamp und Kiepenheuer & Witsch, bei denen viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem Umfeld der „Gruppe 47“ unter Vertrag standen,216 hatten zu Korn ein deutlich besseres Verhältnis als zu Sieburg, in dessen Literaturblatt ihr Programm nicht mehr den alten Anklang fand.217 „Als er [Korn, Anm. d. Verf.] die Literaturkritik in seiner Zeitung bestimmte, wurde sie mit Fairness und mit Kultur ausgeübt. Viele der Autoren, die damals neu 210 Vgl. Sieburg, Friedrich: Freiheit in der Literaturkritik (= Rezension zu Günter Blöcker: „Kritisches Lesebuch. Literatur unserer Zeit in Probe und Bericht“. Hamburg 1962), in: FAZ vom 1.12.1962, BuZ, S. 5. 211 Vgl. Boll: Kulturradio (2007), S. 130; Janssen / Kuenheim / Sommer: Die Zeit (2006), S. 153, 164–165. 212 Vgl. Leonhardt, Rudolf Walter: Ist die deutsche Literaturkritik ein Sprechchor?, in: Die Zeit vom 7.12.1962, S. 9. 213 Vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 14.11.1961, in: FAZ-Archiv, Persönliche Ablage Welter 1/1961–12/1968; Aktenvermerk über die Herausgebersitzung am 16.1.1963, in: ebd., Herausgeber 2.1.1962–5.8.1963. 214 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 543. 215 Vgl. den Brief von Karl Korn an Friedrich Sieburg vom 10.8.1961, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.00808, 1–35. 216 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 543. 217 Vgl. Boge: Die Anfänge von Kiepenheuer & Witsch (2009), S. 328.

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begannen, haben ihm viel zu verdanken. Ich bin überzeugt, daß das alles einmal aufgezeichnet und in die Literaturgeschichte eingehen wird“218, schrieb Unseld Korns Frau Regina nach dessen Tod. Obwohl sich die Journalisten in mancher Hinsicht zweifellos ähnelten – beide waren ausgesprochene Individualisten und teilten einige Modernisierungsvorbehalte, beide waren auf ihre je eigene Weise konservativ und liberal, beide mochten Jünger, aber nicht Ernst von Salomon –219, waren sie doch gänzlich verschieden. Während Korn bei aller Kritik davon überzeugt war, dass die Bundesrepublik kulturell manches anzubieten habe, sah Sieburg statt Sinn für das Gefällige und Gültige vor allem Aggressivität, Chaos und Hässlichkeit. Insbesondere die Literatur, schrieb er im April 1961 an Korn, wirke „gegen das, was man das kulturelle deutsche Potential nennen könnte“220. Wo Sieburg die „Lust am Untergang“221 umtrieb, so der Titel seiner 1954 erschienenen Essaysammlung, blickte Korn hoffnungsvoll auf eine potentielle Erneuerung durch Kultur. Dass sich Korn in der Zeitung „als Sonderreferent für progressistische Literatur“222 betätigte, wie Sieburg 1961 feststellte, und Sieburg wiederum vehement an der von Korn aufgebauten „Linie“ rüttelte,223 wie Korn drei Jahre später befand, prägte auch die Außenwahrnehmung. Während Sieburg Muff verkörperte, erschien Korn gerade den Jüngeren modern.224 Letzterer zeigte sich deshalb geradezu besorgt. Mehrfach wandte er sich an Welter, um ihn darüber aufzuklären, dass das Literaturblatt in Zeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs und des aufblühenden literarischen Lebens (1963 wurden in der FAZ, Zeit, SZ und Welt doppelt so viele Bücher besprochen wie 1950)225 zunehmend unzeitgemäß und antiquiert wirkte.226 Korn befürchtete, künftig nicht mehr mit Konkurrenzzeitungen wie der unter Intellektuellen immer 218 Brief von Siegfried Unseld an Regina Korn vom 15.8.1991, in: DLA Marbach, SUA: Suhrkamp/01 Verlagsleitung/Allgemeine Korrespondenz, SU.2010.0002. 219 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 375, 388–389. 220 Brief von Friedrich Sieburg an Karl Korn vom 20.4.1961, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich, HS.NZ81.0002.00435/1. 221 Sieburg, Friedrich: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene. Hamburg 1954. 222 Brief von Friedrich Sieburg an Karl Korn vom 10.8.1961, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich, HS.NZ81.0002.00435/2. 223 Vgl. den Brief von Karl Korn an Joseph Breitbach vom 28.10.1964, in: ebd., A:Breitbach, Joseph, HS.NZ86.0004. 224 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 225 Vgl. Pfohlmann: Literaturkritik in der Bundesrepublik (2004), S. 166–167. In der FAZ stieg die Zahl der besprochenen Bücher in diesem Zeitraum von 392 auf 811. 226 Vgl. ebd., S. 164; Manuskript der Sendung „Auf ein Wort“ von Gert H. Theunissen mit dem Titel „Die FAZ und das Erbe des Faschismus“; in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/ Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.01117/2.

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beliebter werdenden Zeit Schritt halten zu können,227 die Anfang der 1960er Jahre stärker mit Gegenpositionen zu arbeiten begann.228 Bei Welter traf Korn damit allerdings auf taube Ohren: 1959 hatte dieser gegenüber Baumgarten verlauten lassen, dass es allmählich zum Skandal werde, „wie Schwab-Felisch und der ganz unter seinem Einfluß stehende Korn bei jeder Gelegenheit unsere Atomtodhelden anpreisen, die im übrigen skrupellos über die FAZ herziehen, wo sie nur können.“229 Tatsächlich hatte sich die FAZ „um 1960 mit ihrem Feuilleton als führende Tageszeitung für das breite bildungsbürgerliche Publikum durchgesetzt, wurde  allerdings von linken Intellektuellen nicht annähernd so respektiert wie die Frankfurter Zeitung in den 1920er Jahren.“230 Erst als Sieburg die Leitung des Ressorts 1964 aus gesundheitlichen Gründen an Rolf Michaelis von der Stuttgarter Zeitung übergab, legten sich die Spannungen zwischen Feuilleton und Literaturblatt. An „Korns pessimistisch-resignierter Gestimmtheit“231 änderte sich zu diesem Zeitpunkt freilich nur noch wenig. 5.2

Eine Frage der Abstraktion

Was die „Gruppe  47“ in den 1950er Jahren im Literaturbetrieb verkörperte, war für die bildenden Künste die moderne Kunst: ein Symbol des Aufbruchs, ein Zeichen des Neuanfangs. Nachdem sich in den ersten Nachkriegsjahren unter alliierter Aufsicht ein lebendiger, aber eher provisorischer Ausstellungsbetrieb entwickelt hatte, wurden in den 1950er Jahren die ersten internationalen Kunstausstellungen auf deutschem Boden abgehalten. Überregionale Vereinigungen wie der 1903 ins Leben gerufene „Deutsche Künstlerbund“ fanden sich in neuen Konstellationen zusammen, Museen und Galerien entwickelten nach der behelfsmäßigen Übergangszeit  eigene Sammlungs- und Ausstellungsprofile. 1955 öffnete die Kasseler documenta erstmals ihre Tore. Die Institutionalisierung der Kulturlandschaft seit 1949 machte auch in den bildenden Künsten deutlich, worauf die Zeichen der Zeit wiesen: Nach ihrer zwölfjährigen Verbannung im „Dritten Reich“ eroberten sich moderne Malereien, Graphiken und Plastiken in den wiedereröffneten Kunststätten einen prominenten Platz. Moderne Kunst, das war zum einen die Kunst der klassischen Moderne, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa und in 227 228 229 230 231

Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 8.4.1963, in: BArch Koblenz, N 1314/420. Vgl. Pfohlmann: Literaturkritik in der Bundesrepublik (2004), S. 164–165. Brief von Erich Welter an Hans Baumgarten vom 19.10.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/373. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 683. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 351.

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einigen außereuropäischen Ländern in unterschiedlichen Spielarten herausgebildet hatte (Expressionismus, Surrealismus, Kubismus, Fauvismus, Neue Sachlichkeit, Futurismus). Das ästhetisierende Schönheitsideal und das Objektivitätsgebot der vorangegangenen Jahrhunderte abwerfend, bediente sich die Kunst der klassischen Moderne einer subjektiveren, experimentelleren, oft abstrakteren Farb- und Formensprache. Zu ihren Vertreterinnen und Vertretern gehören etwa Ernst Wilhelm Nay, Willi Baumeister, Max Ackermann, Pablo Picasso, Henri Matisse, August Macke, Paula Modersohn-Becker, Franz Marc, Oskar Kokoschka, Emy Roeder, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Marc Chagall. An die Stelle der naturalistischen Abbildung traten vermehrt Zeichen, Farben und Formen. Da die moderne Kunst im Nationalsozialismus als „entartet“ galt – die 1937 in München eröffnete Ausstellung „Entartete Kunst“ ließ an der Rigorosität der Kunstpolitik keine Zweifel – konnten die meisten modernen Künstlerinnen und Künstler nach 1933 nicht ausstellen, viele waren zur Emigration gezwungen. Mit ihrem Verschwinden wurde zugleich die Anbindung des Landes an die europäische künstlerische Avantgarde gekappt.232 Als Kunst der Moderne oder moderne Kunst werden zum anderen Kunstwerke bezeichnet, die zwischen den 1940er und 1970er Jahren entstanden und oft auf einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Kunst der klassischen Moderne beruhten. In der Bundesrepublik knüpfte die moderne, zunehmend abstrakter werdende Kunst der Nachkriegszeit dort an, wo der Nationalsozialismus 1933 einen Bruch hinterlassen hatte,233 und war von amerikanischen und französischen Einflüssen geprägt. Mit der Art informel, schon dem Begriff nach gedacht als „eine Befreiung von restriktiven und etablierten Kompositionskriterien“234, dem Tachismus, der Art brut, dem Action Painting und abstrakten Expressionismus entstanden mehrere Stilrichtungen, die in den 1950er und 1960er Jahren durch ältere und jüngere Künstlerinnen und Künstler wie Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay, Rupprecht Geiger, Hans Hartung, Brigitte Matschinsky-Denninghoff, Theodor Werner, Jean Dubuffet, 232 Vgl. Spies, Christian: „Hört auf zu malen“. Zäsuren in der Malerei in den 1950er Jahren, in: Kersting, Franz-Werner  / Reulecke, Jürgen  / Thamer, Hans-Ulrich (Hg.): Die Zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955–1975 (=  Nassauer Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Bd.  8). Stuttgart 2010, S. 225–242, hier S. 232. 233 Vgl. Damus, Martin: Moderne Kunst in Westdeutschland 1945–1959. Versuche, Vergangenheit und Gegenwart rückwärtsgewandt zu bewältigen und die Moderne in Harmonie zu vollenden, in: Breuer, Gerda (Hg.): Die Zähmung der Avantgarde. Zur Rezeption der Moderne in den 50er Jahren (= Wuppertaler Gespräche, Bd. 1). Basel / Frankfurt am Main 1997, S. 25–41, hier S. 25. 234 Spies: „Hört auf zu malen“ (2010), S. 234.

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Kapitel 5

Joan Mitchell, Mark Rothko und Jackson Pollock vertreten wurden.235 In der frühen Bundesrepublik organisierten sich die jüngeren Abstrakten unter ihnen seit den ausgehenden 1940er Jahren in Künstlergruppen wie dem „jungen westen“ in Recklinghausen, „Zen 49“ in München, der Frankfurter „Quadriga“ und der „Gruppe 53“ in Düsseldorf.236 In der konsequenten Gegenstandslosigkeit sahen sie „eine Befreiung des Bildes von den verkrusteten Konventionen einer etablierten Werkästhetik“237. Der rasante Aufstieg der abstrakten Kunst, der sich nach 1945 in vielen westlichen Ländern beobachten ließ, war nicht bloß eine Frage der Ästhetik oder des Geschmacks. Im Gegenteil, in der Bundesrepublik sorgte die Abstraktion zunächst für regelrechte Irritation und stieß bei vielen Betrachterinnen und Betrachtern auf Skepsis oder gar Ablehnung.238 Das hatte freilich mit den Sehgewohnheiten zu tun: Anders als in der Weimarer Republik, war die internationale moderne Kunst vielen Deutschen kaum mehr bekannt.239 Die deutschen Augen, schrieb Helene Rahms in ihrer Autobiographie über den schwierigen Umgang mit moderner Architektur in den 1950er Jahren, sehnten sich nicht nach funktionalen Bauweisen, sondern „nach gegliederten Fassaden, spitzen Dächern, historischen Stilen“240. Auch die documenta, neben der Mailänder Triennale und der Biennale in Venedig das wohl größte internationale Forum für moderne Kunst, zeigte in ihrer ersten Ausstellung 1955 zwar eine Retrospektive der europäischen modernen Kunst der ersten Jahrhunderthälfte, nahm aber erst auf der documenta II die Gegenwartskunst (nun auch aus den USA) in den Blick und verhalf der Abstraktion so zum Durchbruch.241 Für die modernen Künstlerinnen und Künstler bot die Anknüpfung an die Avantgarde der 1910er und 1920er Jahre indes wichtige Orientierung, versprach gerade die Abstraktion nach dem „Dritten Reich“ größtmögliche Autonomie. Dem jungen 235 Vgl. Autsch, Sabiene: „Die Welt schmeisst mit Farben“ – Abstraktion und Amerikanisierung auf der Documenta  2 (1959), in: Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960. Bielefeld 2007, S. 233–254, hier S. 233–234. 236 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 269. 237 Spies: „Hört auf zu malen“ (2010), S. 234. 238 Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 88–89. 239 Vgl. Bollenbeck: Die fünfziger Jahre (2000), S. 204. 240 Rahms: Die Clique (1999), S. 145. 241 Vgl. Jürgens-Kirchhoff: Rehabilitierung und Rekonstruktion (2011), S.  284–285, 291–292; Kimpel, Harald: Phantom der documenta: Will Grohmann im „Museum der 100 Tage“, in: Rudert, Konstanze (Hg.): Zwischen Intuition und Gewissheit. Will Grohmann und die Rezeption der Moderne in Deutschland und Europa 1918–1968. Dresden 2013, S. 114–120, hier S. 116.

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Staat gab die Rehabilitierung der verfemten Künstlerinnen und Künstler die Möglichkeit, sich von der Vergangenheit zu distanzieren und Anschluss an die internationalen Entwicklungen zu finden.242 Von den USA ideell und finanziell massiv gefördert,243 entwickelte sich die abstrakte Kunst in den 1950er Jahren zum Symbol westlicher Freiheit, Demokratie und Modernität, zu einem agitatorisch verwertbaren Gegenpol nicht nur zum Nationalsozialismus, sondern auch zum sozialistischen Realismus in der DDR.244 Diese symbolischen Zuschreibungen an die nationalen ästhetischen „Programme“ bargen großen gesellschaftlichen Zündstoff, rührten sie doch an der elementaren Frage nach der eigenen kulturellen Identität.245 Das betraf nicht nur den Ost-West-Konflikt. Mehrere Debatten der 1950er Jahre zeugen von der ungemeinen Streitbarkeit der modernen Kunst auch in der Bundesrepublik, darunter an prominenter Stelle das an die Ausstellung der Neuen Darmstädter Sezession zum „Menschenbild in unserer Zeit“246 anknüpfende „Darmstädter Gespräch“ des Jahres 1950 und der Schlagabtausch zwischen dem (figurativen) Maler Karl Hofer und dem Kunstkritiker Will Grohmann im Monat etwa fünf Jahre später.247 Die bildenden Künste hatten einen öffentlichen Resonanzraum, der heute kaum vorstellbar ist, die Kunstkritik entsprechend Einfluss und Geltung.248 Kunst polarisierte, und das nicht nur in Fachkreisen, weil sie als Bühne für Diskussionen um allgemeinverbindliche 242 Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 87. Aus der FAZ-Berichterstattung vgl. Rüdiger, Horst: Romantisch oder abstrakt?, in: FAZ vom 2.6.1951, S. 6; N.v.H. (= Niels von Holst): Abkehr vom Bauhausstil? „Die Frau als Schöpferin“ in der Mannheimer Kunsthalle, in: FAZ vom 21.1.1953, S. 10. 243 Vgl. Jähner: Wolfszeit (2019), S. 343. 244 Vgl. Autsch: „Die Welt schmeisst mit Farben“ (2007), S. 247; Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 89. 245 Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert: „Westkunst“ versus „Ostkunst“. Geltungskünste und die Flucht aus der geschichtlichen Kontinuität im geteilten Deutschland, in: ders. / Panzer, Gerhard / Völz, Franziska (Hg.): Beziehungsanalysen. Bildende Künste in Westdeutschland nach 1945. Akteure, Institutionen, Ausstellungen und Kontexte (= Kunst und Gesellschaft). Wiesbaden 2015, S. 15–41, hier S. 25. 246 Dazu aus dem Feuilleton Nette, Herbert: Das Darmstädter Gespräch. Über die Möglichkeiten und Gefahren der modernen Kunst, in: FAZ vom 19.7.1950, S. 6. 247 Zum Streitgespräch zwischen Hofer und Grohmann vgl. den kurzen Aufsatz von Gillen, Eckhart: Kunst zwischen kosmischen Harmonien und Zerrissenheit. Anmerkungen zum Streit zwischen Will Grohmann und Karl Hofer um die Nachkriegsmoderne, in: Rudert, Konstanze (Hg.): Zwischen Intuition und Gewissheit. Will Grohmann und die Rezeption der Moderne in Deutschland und Europa 1918–1968. Dresden 2013, S. 62–71. 248 Vgl. Lüddemann, Stefan: Kunstkritik als Kommunikation. Vom Richteramt zur Evaluationsagentur. Wiesbaden 2004, S. 21.

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Werte diente.249 Es habe nach der Zäsur des Jahres 1933 nicht ausbleiben können, schrieb der freie Journalist Gert  H.  Theunissen im Februar 1954 – nicht ganz unvoreingenommen – im FAZ-Feuilleton, „daß in der breitesten Öffent­lichkeit die moderne Kunst […] in einem Maße diskutiert wurde, das einerseits wieder einmal bewies, wie tief doch Maler und Bildhauer in den bei uns viel weniger gesellschaftlich als weltanschaulich geführten Geisteshaushalt eingreifen können, und andererseits dartat, unter welchen Gefühlsausbrüchen es abgelehnt wurde, Tatsachen und Daten einer weltweiten geistigen Entwicklung und Bewußtseinsveränderung anzuerkennen, deren Bedeutung nun dem leiblichen Auge sichtbar wurde.“250 Dabei war die deutsche Nachkriegskunst per se zunächst unpolitisch und sollte es, als Konsequenz aus der Geschichte, auch bleiben. Politisch-historische Bezüge waren in ihr selten zu finden.251 Selbst die sozialkritische Kunst der 1920er Jahre blieb im Ausstellungsbetrieb weitgehend außen vor,252 stattdessen wurden die Autonomie der Kunst und die Individualität der Kunstschaffenden betont.253 Das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen gehörte von Anfang an zu den maßgeblichen Unterstützern der modernen Kunst. Das kam etwa in der Berichterstattung über die erste und zweite documenta zum Ausdruck, die wie die späteren Ausstellungen im und um das Kasseler Museum Fridericianum intensiv begleitet und gerade in den ersten Jahren überaus gelobt wurden.254 In mehreren großen Berichten und der anschließenden Kritik wurden die documenta-Ausstellungen 1955 und 1959 als die großartigsten Kunstschauen der zweiten Jahrhunderthälfte gewürdigt.255 Kunst galt als wichtiges Medium der internationalen (westlichen) Verständigung: „Die Welt zu zeigen, wie sie sich (außerhalb der kommunistischen Länder und eines Teiles ihrer Satelliten) mehr und mehr, nicht forciert, das heißt, ohne ‚Druck‘, in wunderbarer Freiwilligkeit zu einem globalen ‚Gespräch‘ entscheidet, […] das erscheint, nicht zuletzt ‚egoistisch‘ gesehen (im Hinblick auf unsere bundesdeutsche Diät), von 249 Vgl. Glozer, Lazlo: Fortune des Kritikers im Resonanzraum der Kunst, in: Rudert, Konstanze (Hg.): Zwischen Intuition und Gewissheit. Will Grohmann und die Rezeption der Moderne in Deutschland und Europa 1918–1968. Dresden 2013, S. 12–20, hier S. 20. 250 Theunissen, Gert H.: Kunst im deutschen Zwielicht. Zu den Gründen einiger Irrtümer seit 1945, in: FAZ vom 27.2.1954, S. 13. 251 Vgl. Gillen: Kunst zwischen kosmischen Harmonien (2013), S. 68–69. 252 Vgl. Gillen: Feindliche Brüder? (2011), S. 288. 253 Vgl. Bollenbeck: Die fünfziger Jahre (2000), S. 204. 254 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 186–187. 255 Vgl. d. s. (= Doris Schmidt): Noch eine Woche „Documenta“. Die Ausstellung in Kassel, in: FAZ vom 19.9.1955, S. 11; Schwab-Felisch, Hans: Was die Kunst alles vermag, in: FAZ vom 13.7.1959, S. 4.

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wahrhaft hervorragender Wichtigkeit“256, war 1959 in einem Referat von Albert Schulze Vellinghausen zu lesen.257 Neben den Textbeiträgen, die anlässlich des damals noch alle vier Jahre abgehaltenen Spektakels zwischen Juni und September im Feuilleton erschienen, brachte das Ressort Schwarzweißfotografien, die einen visuellen Eindruck des künstlerisch Dargebotenen vermitteln sollten. Anders als die in hohen Auflagen reproduzierte und vergleichsweise erschwingliche Literatur, war (und ist) Kunst für weite Teile der Bevölkerung schwerer greif- und sichtbar. Wollte man die Öffentlichkeit trotzdem an ihr teilhaben lassen, sie womöglich sogar zur Kunstbetrachtung erziehen, musste man sie zeigen.258 Also setzte die sonst mit Bildern eher sparsam verfahrende FAZ im Feuilleton auf starke visuelle Unterstützung und lichtete allein im Juli 1955 etwa die Skulptur „König und Königin“ des abstrakten englischen Bildhauers Henry Moore, den „Harlekin“ von Picasso und das Gemälde „Fünfzehnergruppe“ von Oskar Schlemmer ab. Die FAZ verschaffte ihren Leserinnen und Lesern auch einen Einblick in den Skulpturensaal der documenta.259 1959 hingegen standen nicht die Objekte, sondern Mensch-Kunst-Kompositionen im Mittelpunkt. Vier Jahre nach der documenta I zeigten die Fotografien bevorzugt das räumliche und soziale Setting der Kunst, die Bilder fielen nun szenischer aus und schafften es als Aufmacher auf die erste Seite der Wochenendbeilage.260 Das hieß im Umkehrschluss zwar nicht, dass sich das Feuilleton ausschließlich der modernen Kunst verpflichtet fühlte. So druckte es in den 1950er Jahren

256 Schulze Vellinghausen, Albert: Olympia der Kunst. Zur „documenta II  – Kunst nach 1945“ in Kassel, in: FAZ vom 25.7.1959, BuZ, S. 1–2. Zur documenta II vgl. auch ders.: Der deutsche Beitrag. „documenta II“ aus der Ferne gesehen, in: FAZ vom 20.8.1959, S. 12. 257 Darin klangen auch erstmals leise kritische Töne etwa über die Dominanz der großen Galerien an. Kritisch zur Ökonomisierung der Kunst äußerte sich zudem Frenzel, Christian Otto: Immer höhere Preise für moderne Kunst. Die ersten beiden Frühjahrsauktionen bei Hauswedell, in: FAZ vom 9.5.1958, S. 14. 258 Vgl. Lüddemann: Kunstkritik als Kommunikation (2004), S. 1–2. 259 Vgl. die Aufnahme von Rüth zu d.  s. (=  Doris Schmidt): Die „Documenta“ in Kassel eröffnet. Große Internationale Ausstellung der Kunst des XX. Jahrhunderts, in: FAZ vom 18.7.1955, S.  9 und die Fotografien von Helga Fietz zum Referat von Schmidt, Doris: „Documenta“ – Bilanz des Jahrhunderts. Fünfzig Jahre abendländische Kunst, ausgestellt in Kassel, in: FAZ vom 26.7.1955, S. 8 und zu Haftmann, Werner: Über das moderne Bild. Rede, gehalten zur Eröffnung der Ausstellung „Documenta, Kunst des XX. Jahrhunderts“, in: FAZ vom 30.7.1955, BuZ, S. 4. 260 Vgl. die Aufnahmen des Redaktionsfotografen Wolfgang Haut zu Schulze Vellinghausen, Albert: Olympia der Kunst. Zur „documenta II – Kunst nach 1945“ in Kassel, in: FAZ vom 25.7.1959, BuZ, S. 1–2.

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auch die Öl-Landschaften und Portraits des Malers Anton Leidl,261 brachte Referate über die naturalistische, romantische und fernöstliche Kunst der Neuzeit und kritisierte allzu dogmatische Perspektiven auf die Künste.262 Die Bundesrepublik, schrieb der gelegentliche Mitarbeiter Theunissen 1954, laufe der Kunstentwicklung hinterher, ohne sie je einzuholen. Sie vermarkte als avantgardistisch, was es auf internationaler Ebene schon länger nicht mehr sei, irrtümlicherweise nämlich alles, was im „Dritten Reich“ als „entartet“ galt.263 Theunissen, der in dem Essay „Kunst im deutschen Zwielicht“ die wichtigen Begriffe und Entwicklungen der letzten Jahrzehnte reflektierte, stellte „Modernität“ als Maßstab der Kunst in Frage und warnte davor, nur noch im Zwei-Klassen-System aus gegenständlicher und nicht-gegenständlicher Kunst zu denken. Kunst sei autonom, gerade die Abstraktion verkörpere mit Recht „unantastbare Freiheit“. Zu dieser Freiheit gehöre jedoch auch, dass man „jederzeit zum Gegenstand zurückkehren kann.“264 Ähnlich verteidigte auch Korn die absolute künstlerische Freiheit, als der abstrakte Maler Willi Baumeister 1950 gegen die Ernennung des Kunstkritikers Wilhelm Hausenstein zum deutschen Generalkonsul in Paris protestierte, weil Hausenstein die zeitgenössische Kunst nicht verstehe.265 Die grundsätzliche Ausrichtung blieb gleichwohl offenkundig. Noch bevor die Feuilletonredaktion mit Eva Maria Demisch 1963 ihre erste Kunstredakteurin erhielt, bemühte man sich inständig darum, der modernen Kunst unter die Arme zu greifen. Die promovierte Kunsthistorikerin und spätere SZ-Redakteurin Doris Schmidt berichtete zwischen 1949 und 1961 zunächst als ständige, dann als freie Mitarbeiterin über die documenta I, Kunstvereine, 261 Vgl. u. a. Leidl, Anton: Auf Juist, Oel, 1950, in: FAZ vom 3.7.1951, S. 4; ders.: Münsterzell auf der Reichenau, Oel, 1950, in: FAZ vom 4.7.1950, S. 8; ders: Salzburg, Oel, 1951, in: FAZ vom 2.7.1952, S. 8. 262 Vgl. d. s. (= Doris Schmidt): Thoma und die Frankfurter. Zu einer Ausstellung im Städelschen Kunstinstitut, in: FAZ vom 2.11.1949, S. 5; Körber, Dieter: Europäische Kunst vom 14.–18. Jahrhundert im Landesmuseum Hannover, in: FAZ vom 13.2.1951, S.  6; Holst, Niels von: Große Kunst auf Wanderschaft. Wiener Kunstschätze in Innsbruck, in: FAZ vom 12.8.1952, S. 4; Pée, Herbert: Ulmer Kunst um 1500, in: FAZ vom 14.9.1954, S. 8; d. s. (= Doris Schmidt): Der Sohn des Kaisers malt. Chinesische Malerei des 17. Jahrhunderts, in: FAZ vom 9.9.1957, S. 10. 263 Vgl. Theunissen, Gert  H.: Kunst im deutschen Zwielicht  / Zu den Gründen einiger Irrtümer seit 1945, in: FAZ vom 27.2.1954, S.  13. Tatsächlich zeigte die documenta I in erster Linie Werke der sogenannten „entarteten“ Kunst. Vgl. Jürgens-Kirchhoff: Rehabilitierung und Rekonstruktion (2011), S. 283. 264 Theunissen, Gert H.: Kunst im deutschen Zwielicht / Zu den Gründen einiger Irrtümer seit 1945, in: FAZ vom 27.2.1954, S. 13. 265 Vgl. K.K. (= Karl Korn): Die „offizielle“ Richtung, in: FAZ vom 11.5.1950, S. 8.

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Museen, Galerien und die Max-Beckmann-Gesellschaft.266 In den frühen 1950er Jahren, als die staatlichen Museen nur wenig Kunst aus dem 20. Jahrhundert vorzuweisen hatten, begleitete Schmidt die private „zimmergalerie franck“, die der Versicherungsangestellte Klaus Franck seit 1949 als Raum für junge zeitgenössische, abstrakte Kunst neben wöchentlichen Diskussionen in seiner Frankfurter Zweizimmerwohnung betrieb.267 Auch die Privatsammlung moderner, mehrheitlich abstrakter Kunst des Darmstädter Kunstsammlers Karl Ströher, einer Sammlung „mit Verantwortung vor der Zukunft“268, so Schmidt im Juni 1954, fand in der FAZ durch sie starke Resonanz. Während sich Schmidt auf den hessischen und bayerischen Raum konzentrierte, berichtete der für das Ruhgebiet zuständige Schulze Vellinghausen über die Kunst des Westens, von Zeit zu Zeit auch über Ausstellungen in den Niederlanden und der Schweiz.269 Schulze Vellinghausen, „ein Kind der Ruhr-Aristokratie“270, war ein ausgesprochener Kunstfreund. Mitte der 1960er Jahre wandelte der kunstsammelnde Journalist seinen Landsitz bei Dortmund, das „Gut Kley“, in ein privates Museum für moderne Kunst um, das zu einem populären Treffpunkt für Kunstschaffende und -interessierte aller Art wurde.271 Schulze Vellinghausen, der seine journalistischen Fühler in alle Richtungen ausstreckte, der die Ruhrfestspiele mit initiierte und Berater für die documenta war, betrachtete sich als Sprachrohr der jungen Generation.272 Wie er 1958 in einer Retrospektive auf die Kunst der Nachkriegszeit im Feuilleton schrieb, gehöre es zu den Aufgaben eines Kritikers, zu entdecken und zu vermitteln. Der seiner Zeit ein Stück vorauseilende Kritiker sei ein „Mittler zwischen der Produktion, 266 Vgl. Schmidt, Doris: Gipfel der Subjektivität / Tachisten im Frankfurter Kunstverein, in: FAZ vom 24.4.1956, S. 8; dies.: Abstrakter Materialismus? Zu einer Frankfurter Ausstellung von Bernhard Schultze, in: FAZ vom 8.1.1958, S. 10; dies.: Auf den Spuren des Genies. Die Tagung der Beckmann-Gesellschaft, in: FAZ vom 25.6.1958, S. 11. 267 Vgl. d. s. (= Doris Schmidt): Zimmerausstellungen im November in Frankfurt, in: FAZ vom 5.11.1951, S. 3; dies.: Hans Steinbrenner in der „zimmergalerie franck“, in: FAZ vom 26.8.1952, S. 6. 268 Schmidt, Doris: Die Sammlung Ströher / Im Landesmuseum Darmstadt, in: FAZ vom 18.6.1954, S. 10. 269 Vgl. Schulze Vellinghausen, Albert: Läßt sich das Denken porträtieren? Zu einer Porträtausstellung im Rijksmuseum, Amsterdam, in: FAZ vom 1.11.1952, BuZ, S. 4; ders.: Ein großes Haus, nun es sich öffnet  … Kunstausstellung in Villa Hügel, in: FAZ vom 15.5.1953, S. 8; ders.: Praeludium-Einstimmung-Antwort … Das Krefelder Museum zeigte die Neue Rheinische Sezession, in: FAZ vom 22.3.1955, S. 10. 270 Rossmann, Andreas: ASV. Zum Hundertsten von Albert Schulze Vellinghausen, in: FAZ vom 30.5.2005, S. 39. 271 Vgl. Scheid: „Erlaubt ist nun alles …“ (1999), S. 48–49. 272 Vgl. Rossmann, Andreas: Unter Rauch und Ruß. NRW feiert die Künstlergruppe „junger westen“, in: FAZ vom 23.5.2017, S. 11.

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die immer davonzulaufen scheint, und dem Publikum, das sein gutes Recht in der Beharrung sieht“. Es sei seine erste Pflicht, „junge, nachstrebende Kräfte aus dem Dunkel des Anonymen ans Licht der Publizität zu ziehen“, auch wenn es ihm nicht leicht von der Hand gehe, „von primären Vorlieben abzusehen und den nötigen idealen ‚common sens‘ [sic!] jederzeit parat zu haben.“273 Zu den Kräften, die Schulze Vellinghausen in seinen amüsant-assoziativen, fast belletristisch anmutenden Beiträgen im Feuilleton ans Licht zog, gehörte die abstrakte Künstlergruppe „junger westen“ in und um Recklinghausen.274 Der „junge westen“, ließ er im Herbst 1954 enthusiastisch verlauten, „durchdringt mit bravouröser, manchmal auch ungebärdiger Kraft ganze Säle.“275 Als der Journalist 1967 starb, war in der Zeitung zu lesen: „Er hat, vom Elan oft hingerissen, allem, was moderne Kunst ist, die Bahn in diesem Lande frei gemacht wie kaum ein anderer.“276 Neben Schmidt, Schulze Vellinghausen, dem Kunsthistoriker Hans Voss277 und einer ganzen Reihe freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für das Feuilleton über die Kunstwelt im Inland berichteten, konnte die Redaktion auf Referentinnen und Referenten im Ausland zurückgreifen. Dazu zählten etwa der ständige Theater-, Literatur- und Kunstkritiker Lutz Weltmann, der bis 1956 überblicksartige, meist nüchtern gehaltene Referate über Ausstellungen in London übermittelte, und der Kunsthistoriker Fritz Neugass in New York, der sich seit 1964 vor allem mit dem amerikanischen Kunstmarkt beschäftigte. Trotz der Entfernung behielten Weltmann und Neugass die deutsche Perspektive bei: Wo wird welche Kunst aus der Bundesrepublik gezeigt? Ist die

273 Schulze Vellinghausen, Albert: Bluff oder Wirklichkeit? Zehn Jahre „junger westen“, in: FAZ vom 5.12.1958, S. 18. 274 Vgl. Schulze Vellinghausen, Albert: Unsere „Jungen“  – Versuch einer Bilanz. „Deutscher Künstlerbund“ Düsseldorf  / „junger westen“ Recklinghausen, in: FAZ vom 19.5.1956, BuZ, S.  4; ders.: Konrad-von-Soest-Preis für Emil Schumacher, in: FAZ vom 18.9.1956, S. 10. 275 Schulze Vellinghausen, Albert: Die große, westfälische Heerschau / Ausstellung im Landesmuseum Münster, in: FAZ vom 12.10.1954, S. 8. 276 Korn, Karl: Albert Schulze Vellinghausen, in: FAZ vom 24.5.1967, S. 24. 277 Voss schrieb für die Zeitung mehr als zwei Jahrzehnte lang über die Kunst im Rhein-MainGebiet und rezensierte kunstwissenschaftliche Neuerscheinungen. Vgl. Voss, Hans: Ein Maler der Romantik (=  Rezension zu Peter Nathan: „Friedrich Wasmann  – Sein Leben und sein Werk“. München 1958), in: FAZ vom 7.6.1958, BuZ, S. 5; ders.: Tachismus in Frankfurt. Eine Ausstellung im Historischen Museum, in: FAZ vom 21.10.1959, S. 18; ders.: Fragen an Bilder. Gerd Gaisers Einführung in moderne Malerei (=  Rezension zu Gerd Gaiser: „Moderne Malerei. Von Cézanne bis zur Gegenwart“. München / Ahrbeck 1963), in: FAZ vom 11.4.1964, BuZ, S. 5.

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Auswahl repräsentativ? Welchen Stand hat die deutsche Kunst im Ausland?278 Bei aller Internationalität blieb Deutschland die Grundeinheit.279 Die lauteste Stimme der Moderne aber war Will Grohmann, ein „hochangesehener Kunstgelehrter“280, wie Karl Ströher schrieb, „eine Jahrhundertfigur“281, wenn es nach Laszlo Glozer ging, „eine Schlüsselfigur der europäischen Kunstszene“282. Der 1887 geborene Grohmann war ein bekannter Kurator, Sammler und Kritiker für moderne Kunst. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte er sich als solcher für Wassily Kandinsky283 und Paul Klee engagiert und enge Beziehungen zur expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ um Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff, zur „Dresdner Sezession Gruppe 1919“, zum Bauhaus und zum Dadaisten und Surrealisten Max Ernst gepflegt. Nach 1945 baute Grohmann auf dieses Netzwerk auf: Er unterhielt Kontakte zu Baumeister, Winter, Nay und Hartung, wirkte an der „Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung 1946“ in Dresden, der documenta I und den Biennalen in Venedig, Sao Paulo und Paris mit und schrieb Bücher über Baumeister, Klee und Max Ackermann.284 Zudem war er seit 1956 ständiger Kunstkritiker im FAZ-Feuilleton, das sich durch Mitarbeiter wie ihn mit dem Kunst- und Ausstellungsbetrieb vernetzte. Ähnliche Schnittstellen gab es in der Zeit, die neben dem documenta-Leiter Werner Haftmann ebenfalls viele Kunsthistoriker beschäftigte.285 278 Vgl. Weltmann, Lutz: Theater und bildende Kunst in London, in: FAZ vom 22.3.1952, S. 11; ders.: Gerhard Marcks in London, in: FAZ vom 9.8.1954, S. 6; ders.: Schrecken und Schönheit  / Londoner Kunstbetrachtungen um die Jahreswende, in: FAZ vom 5.1.1955, S.  10; Neugass, Fritz: Gegen Kunstfälschungen. Eine Aktion in Amerika, in: FAZ vom 25.1.1965, S. 20; ders.: Amerika entdeckt die deutsche Kunst. Ein Bericht über die neueste Entwicklung, in: FAZ vom 4.3.1965, S. 24. 279 Vgl. Gribenski, Michel: National, international, supranational. Will Grohmann und Europa, in: Rudert, Konstanze (Hg.): Zwischen Intuition und Gewissheit. Will Grohmann und die Rezeption der Moderne in Deutschland und Europa 1918–1968. Dresden 2013, S. 34–39, hier S. 35. 280 Ströher, Karl: Entwurf einer Autobiographie, in: Sauerländer, Katrin (Hg.): Karl Ströher. Eine Sammlergeschichte. Frankfurt am Main 2005, S. 15–24, hier S. 19. 281 Glozer: Fortune des Kritikers (2013), S. 12. 282 Fischer, Hartwig / Rudert, Konstanze: Kunst und Erkenntnis. Will Grohmann als Forschungsgegenstand, in: Rudert, Konstanze (Hg.): Zwischen Intuition und Gewissheit. Will Grohmann und die Rezeption der Moderne in Deutschland und Europa 1918–1968. Dresden 2013, S. 8–10, hier S. 8. 283 Zum Verhältnis zwischen Grohmann und Kandinsky vgl. Wörwag, Barbara (Hg.): Wassily Kandinsky. Briefe an Will Grohmann 1923–1943. München 2015. 284 Vgl. Fischer / Rudert: Kunst und Erkenntnis (2013) S. 8; Glozer: Fortune des Kritikers (2013), S. 18. 285 Vgl. Fitzke, Kirsten: Auf dem Weg zur documenta. Die Wochenzeitung DIE ZEIT und ihr Autor Werner Haftmann spiegeln und gestalten Positionen bildender Kunst

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Die unübersehbare Förderung, die die moderne Kunst im Feuilleton erfuhr, schätzten vor allem die jüngeren Leserinnen und Leser, die darin ein Zeichen von Modernität, Fortschritt und Aufbruch sahen. Studenten wie er, so erinnert sich Beaucamp, hätten die Zeitung in den 1950er und 1960er Jahren vor allem wegen ihres Feuilletons und ihrer Kunstkritik gelesen. Anders als in der Universitätslehre, die mit Wilhelm Lehmbruck und dem frühen 20. Jahrhundert endete, habe man sich dort auch über die Gegenwartskunst informieren können. Die FAZ sei in dieser Hinsicht ein „Primärorgan“ gewesen.286 Dass diese Meinung nicht überall geteilt wurde – eine Umfrage ergab 1953/54 sogar, dass sich die FAZ-Leserinnen und Leser „[w]eniger bzw. keine moderne Kunst“287 wünschten – war Korn bekannt.288 In einem Brief an den Mitarbeiter Hans Sahl, der Anfang der 1950er Jahre gelegentlich über den New Yorker Kunst- und Theaterbetrieb schrieb, skizzierte er 1950 die kontinentalen Unterschiede in der Rezeption von moderner Kunst: „Hier liegen die Dinge anders“, erklärte er. „Wir haben es vielfach mit einem Publikum zu tun, in dessen Köpfen noch die böse Vokabel ‚Entartete Kunst‘ spukt. […] Die Quintessenz ist, daß ich jederzeit dankbar bin für Nachrichten und Berichte. Was wir brauchen, ist Unterrichtung.“289 Dass sich die intensive Beschäftigung mit der modernen Kunst den Leserbedürfnissen weitgehend widersetzte, war also nur ein weiterer Grund, an ihr festzuhalten. Nach der repressiven NS-Kunstpolitik sah Korn im Feuilleton ein Bildungsinstrument, ein Korrektiv, das in Sachen Kunst vor allem Information bieten müsse: „Es gibt gewisse Fragen“, schrieb er 1951 erneut an Sahl, „in denen das durch die bekannten Umstände desorientierte deutsche Publikum nun selbst Positionen beziehen, Argumente suchen und vorbringen will. Es ist uns also mehr gedient, wenn Sie, um es einmal ganz praktisch auszudrücken, den Hauptakzent auf’s Referieren legen. […] Am besten ist die Zusammenfassung des Wichtigsten mit der bloßen Nennung des weniger Wichtigen, aber Symptomatischen.“290

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in Westdeutschland, in: Panzer, Gerhard  / Völz, Franziska  / Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.): Beziehungsanalysen. Bildende Künste in Westdeutschland nach 1945. Akteure, Institutionen, Ausstellungen und Kontexte (= Kunst und Gesellschaft). Wiesbaden 2015, S. 151–171, hier S. 152–153. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Vorschau auf Lesermeinungen und Leserwünsche nach Durchsicht von 400 Fragebögen vom 11.1.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter  –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954. Es ist nicht bekannt, an wen die Fragebögen verschickt wurden. Vgl. K.K. (= Karl Korn): Kulturkonsum, in: FAZ vom 25.8.1950, S. 1. Brief von Karl Korn an Hans Sahl vom 22.1.1950, in: DLA Marbach, A:Sahl, Hans, HS.1989.0009. Brief von Karl Korn an Hans Sahl vom 28.11.1951, in: ebd.

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Korn verfolgte darum zunächst einen sanften Ansatz. Im November 1949, einige Tage, nachdem die erste FAZ erschienen war, setzte er sich am Beispiel des deutschen Surrealisten Mac Zimmermann und dessen „Selbstbildnis 48“ mit dem zeitgenössischen Kunstbegriff und dem Umgang mit moderner Kunst auseinander. Er räumte ein, dass es sich bei Zimmermanns Werk, das zur Visualisierung groß abgebildet wurde, nicht um „Kunst im hergebrachten Sinne“ handle; nicht um Kunst, die im ästhetischen Sinn als „schön“ zu bewerten sei: „Es ist ein Bogen Papier, auf den ein Herr Zimmermann etwas aufgezeichnet hat. Weiter nichts.“ Zugleich versuchte Korn, der die Ablehnung moderner Künstler wie Zimmermann historisch begründete, sie damit ad absurdum zu führen. Man müsse sich den Traumwelten öffnen, dürfe sich nicht mit „verklebten Augen“ und alten Maßstäben gegen seine Visionen sperren: „Man muß ein solches Bild mitzuträumen versuchen. Es ist doch gleichgültig, ob man das Kunst nennt oder wie immer.“291 Doch die moderne Kunst blieb ein Streitthema. Mit welchen Vorbehalten ihr, auch in Intellektuellenkreisen, begegnet, mit welchem Enthusiasmus sie auf der anderen Seite verteidigt wurde, zeigt die Diskussion um den 1948 erschienenen Bestseller „Verlust der Mitte“. Der österreichisch-deutsche Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, dessen Zivilisations- und Modernekritik durchaus Parallelen zu Korns aufwies, im Unterschied zu dieser aber weder auf den eigenständigen Wert der Kunst noch auf ihre erneuernde Kraft pochte,292 entwarf darin das Bild eines „aus dem Gleichgewicht geworfenen ‚entfremdeten‘ Menschen der ‚Massengesellschaft‘“293, der durch den Niedergang der „abendländischen“, christlich geprägten Gemeinschaft seit dem 18. Jahrhundert seine religiösen Bindungen und Leitwerte, seine „Mitte“, verloren habe. Dieser „Verlust der Mitte“ drückte sich Sedlmayr zufolge auch im zeitgenössischen Kunstbetrieb aus, wo die Abwesenheit integraler Menschenbilder in Ästhetizismus, Beliebigkeit, Chaos und Destruktion münde.294 Die moderne Kunst markierte aus dieser Sicht den neuesten Tiefpunkt einer mit der Französischen Revolution einsetzenden Verlustgeschichte.295 Im FAZ-Feuilleton fand die Diskussion um Sedlmayr, die während der „Darmstädter Gespräche“ 1950 ihren 291 292 293 294

Korn, Karl: Ein ärgerliches Bild?, in: FAZ vom 11.11.1949, S. 5. Vgl. Lüddemann: Kunstkritik als Kommunikation (2004), S. 41. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 332. Vgl. Eckel: Ambivalente Übergänge (2011), S.  303; Hofmann, Werner: Im Banne des Abgrunds. Der ‚Verlust der Mitte‘ und der Exorzismus der Moderne: Über den Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, in: Breuer, Gerda (Hg.): Die Zähmung der Avantgarde. Zur Rezeption der Moderne in den 50er Jahren (=  Wuppertaler Gespräche, Bd.  1). Basel  / Frankfurt am Main 1997, S. 43–54, hier S. 43; Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 172. 295 Vgl. Spies: „Hört auf zu malen“ (2010), S. 233.

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ersten Höhepunkt erreicht hatte,296 ein verspätetes Echo. Bevor es dort 1956 zu einer nachträglichen Auseinandersetzung kam, war die Kritik am „Verlust der Mitte“, die im Literaturblatt vom 19. November 1949 veröffentlicht worden war, recht sanft ausgefallen. Der Münchner Kunsthistoriker Fritz Nemitz tadelte Sedlmayr darin zwar für seine methodische Schwächen, die einseitige Argumentation, veraltete Maßstäbe und Realitätsferne – die Säkularisierung und die Isolierung des Menschen seien nun einmal „geschichtsnotwendige Vorgänge“297 –, zeigte sich mit der Diagnose aber zumindest in Teilen einverstanden. In den nächsten Jahren fand Sedlmayr im FAZ-Feuilleton nur sporadisch Erwähnung, die Einschätzung seiner Thesen fiel gemischt aus.298 Doch dabei wollte es Korn, der Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ im Feuilleton vom 3. Dezember 1955 als skandalös bezeichnete, weil es sich dabei um ein unwissenschaftliches Pamphlet, eine Polemik im wissenschaftlichen Gewand handle,299 offensichtlich nicht belassen. Den Drang nach Eindeutigkeit, den Korn wahrscheinlich auch aus Sedlmayrs Publikationen herauslas, interpretierte er als ein tiefenpsychologisches Überbleibsel aus der NS-Zeit.300 In Sedlmayr sah er einen reaktionären Zeitgenossen, der im Westen propagiere, was in der DDR längst praktiziert werde.301 Etwa ein Jahr nach dem Erscheinen des Nachfolgewerkes „Die Revolution der modernen Kunst“ (1955) erschien in der Samstagsbeilage vom 30. März 1956 ein (nicht minder polemischer) Artikel des Würzburger Kunsthistorikers Emil Kieser, der sich mit der neuen Offensive Sedlmayrs gegen die Funktionslosigkeit der als formalistisch kritisierten

296 Vgl. dazu Gutbrod, Philipp: Baumeister versus Sedlmayr. Die Kontroverse um Kunst und Religion im ersten Darmstädter Gespräch, in: Fitzke, Kirsten / Pataki, Zita Ágota (Hg.): Kritische Wege zur Moderne. Festschrift für Dietrich Schubert. Stuttgart 2012, S. 43–67. 297 Nemitz, Fritz: Im Schatten von Morgen? Ein Buch zur Zeitkritik (= Rezension zu Hans Sedlmayr: „Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symbole der Zeit“. Salzburg 1948), in: FAZ vom 19.11.1949, S. 11. Der angegebene Untertitel ist falsch (s. o.). 298 Vgl. Borris,  H. (=  Herbert): Die Kathedrale. Vortrag von Professor Sedlmayr, in: FAZ vom 7.2.1950, S. 5; Nette, Herbert: Das Darmstädter Gespräch. Über die Möglichkeiten und Gefahren der modernen Kunst, in: FAZ vom 19.7.1950, S.  6; Schrade, Hubert: Ist die moderne Kunst atheistisch?, in: FAZ vom 22.12.1950, S.  4; Holst, Niels von: Das himmlische Jerusalem (= Rezension zu Hans Sedlmayr: „Die Entstehung der Kathedrale“. Zürich 1950), in: FAZ vom 23.12.1950, S. 16. 299 Vgl. Korn, Karl: Rowohlts deutsche Enzyklopädie (=  Rezension zu Helmut Schelsky: „Soziologie der Sexualität“. Hamburg 1955), in: FAZ vom 3.12.1955, BuZ, S. 5. 300 Vgl. dazu Korn, Karl: Barlach „eindeutig“? Ein Wort zur Aufgabe der Kritik, in: FAZ vom 2.2.1954, S. 6. 301 Vgl. den Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch vom 17.4.1956, in: BArch Koblenz, N 1280/22c.

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zeitgenössischen Kunst, Musik und Literatur beschäftigte.302 Kieser warf seinem Kollegen darin nicht nur einen großen „Mangel an Objektivität“, „eine perfide Art des Zitierens“ und „banale und billige Argumentierungen“ vor, sondern griff das ehemalige NSDAP-Mitglied auch wegen seiner NSVergangenheit an, die seine „Idiosynkrasie gegen alles Schwebende und Offene, gegen Selbstbestimmung und Freiheit“303 erkläre. Neben dem Artikel erschien eine „Teilansicht des Plastiksaals in der ‚documenta‘ Kassel, mit Arbeiten von Hans Mettel und Mobiles von Calder“.304 Rund zwei Wochen später veröffentlichte die Zeitung auf einer Extraseite eine Reihe von Leserzuschriften. Unter der Überschrift „Mitte verloren. Großer Leserdisput zur Kontroverse Kieser–Sedlmayr“ waren dort am 17. April 1956 in erster Linie kritische Stimmen zu finden, die den unsachlichen und persönlichen Ton des Kieser-Artikels bemängelten. In den Zuschriften wurde der Ruf nach einer Gegendarstellung laut.305 Der blieb allerdings unerfüllt: Korn liebäugelte zwar mit einer weiteren Kritik, nachdem Adorno reges Interesse an der „große[n] Kontroverse“306 bekundet und ihm eine Analyse des Musikwissenschaftlers Josef Rufer zugesandt hatte, die Sedlmayr zu widerlegen versuchte.307 Er entschied sich jedoch gegen eine Fortsetzung der Debatte, weil er nach dem „Leseraufstand“ auch intern Gegenwind bekommen hatte.308 Das wiederholte sich etwa drei Jahre später, als Welter Korn für den einseitigen Kurs des Feuilletons maßregelte,309 nachdem dieser das Verhältnis zur Moderne in einer Glosse zur Generationenfrage erklärt und sich über die nörgeligen Alten mokiert hatte.310 Während diese Debatte eine Leserdebatte blieb, wurde die anhaltende Diskussion über die moderne Kunst im Frühjahr 1957 mit anderen Beteiligten 302 Vgl. Hermand, Jost: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945– 1965. München 1986, S. 492. 303 Kieser, Emil: Hans Sedlmayrs Kampf um Rom, in: FAZ vom 31.3.1956, BuZ, S. 4. 304 Vgl. die Fotografie „Teilansicht des Plastiksaals in der ‚documenta‘ Kassel, mit Arbeiten von Hans Mettel und Mobiles von Calder“ von Günther Becker, in: FAZ vom 3.12.1955, BuZ, S. 5. 305 Vgl. den Leserbrief von Fritz Bauer, in: FAZ vom 17.4.1956, S. 10; Leserbrief von Eberhard Freiherr Löw von und zu Steinfurth, in: ebd.; Leserbrief von Emil Bardey, in: ebd.; Leserbrief von Friedrich Roland Ploeger, in: ebd. 306 Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 17.4.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1267. 307 Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an Karl Korn vom 20.4.1956, in: ebd., Ve_113_Frankfurter Allgemeine Zeitung. 308 Vgl. den Brief von Karl Korn an Theodor W. Adorno vom 1.8.1956, in: ebd. 309 Vgl. den Entwurf eines Briefes von Erich Welter an Karl Korn vom 7.9.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/373. 310 Vgl. K.K. (= Karl Korn): Kunstschreck, in: FAZ vom 27.8.1959, S. 14.

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fortgeführt. Ende April warf der ehemalige FZ-Journalist und Leiter des Nachtprogramms im Nordwestdeutschen Rundfunk, Carl Linfert, dem Kunsthistoriker Hans Weigert im FAZ-Feuilleton vor, sich im Kampf gegen die moderne Kunst nationalsozialistischer Argumente zu bedienen.311 Diesmal erschien nicht nur eine Seite mit zustimmenden und ablehnenden Leserstimmen (erneut wurde die Kunstkritik der Zeitung als rufschädigend und einseitig kritisiert),312 sondern auch eine Erwiderung des Attackierten, der zu einem Rundumschlag gegen die gegenstandslose Kunst ausholte. Die Gegenwartskunst, so der Autor von „Die Kunst am Ende der Neuzeit“ (1956), sei bedroht durch die absolute Freiheit, die Rationalisierung und den Verlust „abendländischer“ Werte. Gefangen in einer Diktatur der Moderne, leiste sie keinen Dienst am Menschen mehr.313 Weigerts Stellungnahme blieb nicht für sich stehen: Neben einem weiteren Beitrag Linferts314 druckte das Feuilleton einen Auszug aus Weigerts „Geschichte der Deutschen Kunst“ (1942), der „einzig zweifelsfrei nationalsozialistische[n] Geschichte der deutschen Kunst“315. Darin hatte Weigert die Kunst der 1920er Jahre als „Wahnsinn“ und „zersetzend“ diffamiert und für diesen Zustand die jüdische Bevölkerung verantwortlich gemacht.316 Scharfe Auseinandersetzungen wie diese wurden freilich nicht nur im FAZFeuilleton ausgetragen. Auch im Monat lieferte sich Grohmann Mitte der 1950er Jahre eine hitzige Debatte mit dem konservativen Musikwissenschaftler Alois Melichar, die von Verweisen auf den Nationalsozialismus und gegenseitigen Anklagen durchzogen war.317 In diesen Debatten taten sich große Gräben zwischen den Debattierenden auf, die deutlich machten, dass die moderne Kunst zu einem Symbol geworden war, das je nach Haltung und Perspektive mit verschiedenen Bedeutungen versehen wurde.318 Dass für diejenigen, die ihr mit Skepsis oder Ablehnung begegneten, auch die FAZ zu einer Zielscheibe wurde, zeigt das Beispiel Hans Münch. Der Münchner Landschaftsmaler, der in den späten 1950er Jahren mit besagtem Melichar korrespondierte, war 311 Vgl. Linfert, Carl: Grobe Stimme von „hoher Warte“. Aus Anlaß eines Buches von Hans Weigert, in: FAZ vom 27.4.1957, BuZ, S. 4. 312 Vgl. den Leserbrief von Hermann Goetz, in: FAZ vom 28.5.1957, S. 7; Leserbrief von Herrn Fuchs, in: ebd. 313 Vgl. Weigert, Hans: Noch einmal: „Die Kunst am Ende der Neuzeit“. Eine Erwiderung von Hans Weigert, in: FAZ vom 28.5.1957, S. 7. 314 Vgl. Linfert, Carl: Zu Weigerts Aufforderung, in: FAZ vom 28.5.1957, S. 7. 315 Müller, Marcus: Geschichte – Kunst – Nation (= Studia Linguistica Germanica, Bd. 90). Berlin 2007, S. 40. 316 Vgl. Weigert, Hans: Über moderne Kunst, in: FAZ vom 28.5.1957, S. 7. 317 Vgl. Gillen: Kunst zwischen kosmischen Harmonien (2013), S. 63–64. 318 Vgl. Autsch: „Die Welt schmeisst mit Farben“ (2007), S. 236.

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verstimmt, weil er mit seiner Kunst und seinem -begriff auf wenig Resonanz stieß. Die öffentliche Aufmerksamkeit richtete sich im Verlauf der 1950er Jahre immer stärker auf die abstrakte Kunst, deren Preise durch die mediale Protektion und durch museale und private Ankäufe stetig stiegen.319 Für sein Außenseitertum machte Münch eine „Clique“ von Gegenstandslosen verantwortlich,320 die sich „des publizistischen Machtapparates“321 bedienten, um sich langfristig eine Monopolstellung zu sichern. Folglich stünden für Künstler wie ihn keine Ausstellungsflächen mehr zur Verfügung, bleibe ihnen der Zutritt zu den Podien verwehrt.322 Angeführt wurde diese Clique, wenn es nach Münch ging, vom FAZFeuilleton. Dort wurden nicht nur die Bücher des von ihm verehrten Melichar nicht rezensiert,323 dort war überdies ein Artikel des Kritikers Egon Vietta erschienen,324 den die Baden-Badener „Gesellschaft der Freunde Junger Kunst“ zum Leidwesen Münchs, der dessen Tenor nicht teilte, an ihre Mitglieder verteilte. Münch schrieb daraufhin eine Replik, die er mit der Bitte um Abdruck an Korn schickte. Als Korn seine Bitte abschlug,325 überlegte Münch, was er gegen diese Entscheidung in der Hand hatte (die NS-Biographien spielten auch in seinen Erwägungen eine Rolle).326 Er entschied sich, der Zeitung einen Streich zu spielen: Über den Verlag lancierte er für fast 3000,- DM eine Anzeige im Großformat mit der Überschrift „Der Denkfehler der Gegenstandslosen Kunst“, die mit einem Hinweis auf die „Ausführl. Beweisführung in Buchform“ endete.327 Münch, der die Redaktion auf diesem Weg umgangen hatte und sich nun als gewiefter Sieger wähnte, reproduzierte darin die bekannten Thesen über die Willkürlichkeit und den Ästhetizismus der modernen Kunst, die keine allgemeinverbindlichen Ordnungen und Werte kenne, und sprach sich für eine 319 Vgl. Rehberg: „Westkunst“ versus „Ostkunst“ (2015), S. 25. 320 Vgl. den Brief von Hans Münch an Karl Korn vom 12.12.1958, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM B 504. 321 Brief von Hans Münch an Otto Schrag vom 12.12.1958, in: ebd. 322 Vgl. den Brief von Hans Münch an Alois Melichar vom 27.2.1959, in: ebd. 323 Vgl. den Brief von Hans Münch an Alois Melichar vom 7.1.1959, in: ebd.; Brief von Hans Münch an Franz Roh vom September 1959, in: ebd. 324 Dabei handelt es sich vermutlich um den Ausstellungsbericht Vietta, Egon: Rückkehr der Phantasie. Collagen von René Hinds in Baden-Baden, in: FAZ vom 28.11.1958, S. 18. 325 Vgl. den Brief von Hans Münch an Alois Melichar vom 27.2.1959, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM B 504. Auch Georg Ramseger, der Feuilletonchef der Zeit, lehnte den Artikel ab, den Münch zusammen mit einem Protestschreiben gegen die FAZ an die Redaktion geschickt hatte. Vgl. den Brief von Georg Ramseger an Hans Münch vom 25.3.1959, in: ebd. 326 Vgl. den Brief von Hans Münch an Alois Melichar vom 16.6.1959, in: ebd. 327 Vgl. den Brief von Hans Münch an Alois Melichar vom 20.1.1960, in: ebd.

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einheitliche Grammatik, künstlerische Gesetze und Freiheit durch Ordnung aus.328 Die „Aufklärungskampagne“, die mit einem Artikel im Industriekurier begonnen und es bis in die FAZ geschafft hatte, blieb gleichwohl folgenlos. Die Anzeige eröffnete Münch zwar die Möglichkeit, „mitten in der abstrakten Abstraktenburg (FAZ) unsere Fahne einen Zug lang flattern zu lassen“329 und regte den Verkauf seiner Broschüre an.330 Die Durchsetzung der Abstraktion verhinderte sie freilich nicht. Nachdem sich die abstrakte Kunst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre endgültig durchgesetzt hatte, waren die 1960er Jahre vom Versuch geprägt, neue künstlerische Ausdrucksformen zu entwickeln. Der Dualismus aus Gegenständlichkeit und Abstraktion sollte einem neuen Pluralismus weichen, Kunst offener gestaltet werden und sich vom Anspruch, „höhere“ Kunst zu sein, lösen. Während sich die documenta II 1959 noch zur abstrakten Gegenwartskunst bekannt hatte, nahm die Kunst im dritten Durchlauf 1964 deutlich performativere Züge an. Klang, Licht und Bewegung, Montage, Collage und das Fernsehen als neues Massenmedium gewannen an Bedeutung. Die PopArt und der neo-dadaistische Fluxus hielten Einzug in die Kunstlandschaft und fanden in der Bundesrepublik vor allem in der Kunstakademie Düsseldorf eine institutionelle Heimat.331 (Aktions-)Künstler wie Joseph Beuys und Wolf Vostell repräsentierten eine Kunst, die sich nicht mehr länger von ihren sozialen und gesellschaftlichen Kontexten abkapseln, nicht länger autonom sein wollte, die durch Provokationen Aufmerksamkeit erregte und sich seit Mitte der 1960er Jahre stark politisierte.332 Die Abstraktion nahm zwar weiterhin einen großen Stellenwert ein, geriet aber auch in die Kritik. Neben ihrer historischen und politischen Unverbindlichkeit wurde ihre vermeintliche Alternativlosigkeit bemängelt,333 schließlich hatte es neben ihr auch in den

328 Anzeige „Der Denkfehler der Gegenstandslosen Kunst / Hans Münch. Es fehlt vor allem an ‚Freiheit der Gestaltung‘“, in: FAZ vom 10.12.1959, S. 6. 329 Brief von Hans Münch an Alois Melichar vom 11.2.1960, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM B 504. 330 Vgl. die Briefe von Hans Münch an Alois Melichar vom 8.9.1959 und 20.1.1960, in: ebd. 331 Vgl. Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 238–239. 332 Vgl. Manske, Hans-Joachim: „Das Lachen der Beatles gilt mehr als die Anerkennung von Marcel Duchamp“ – Zur Bildenden Kunst der 60er Jahre in Deutschland, in: Schildt, Axel  / Siegfried, Detlef  / Lammers, Karl Christian (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (=  Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg 2000, S. 768–807, hier S. 771; Schildt: Moderne Zeiten (1995), S. 240. 333 Vgl. Spies: „Hört auf zu malen“ (2010), S. 241.

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1950er Jahren andere, freilich weniger beachtete Formen der bildenden Kunst gegeben.334 Dass die moderne Kunst stagniere, dass sie erschöpft sei und sich zu sehr an Marktlogiken orientiere, fand auch Eduard Beaucamp, der 1966 als Kunstredakteur im Feuilleton eingestellt wurde.335 Beaucamp interessierte sich für die Kunst des 19. Jahrhunderts und der DDR, in der er bald eine Alternative zur dominanten Abstraktion sah.336 Mit diesem Interesse war er in den 1960er Jahren relativ allein: Der Kalte Krieg hatte eine sachliche Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst des Ostens in der Bundesrepublik bis dahin weitgehend verhindert. Während die abstrakte Kunst als „Weltsprache“ galt, wurde die realistische Kunst der DDR – und mit ihr oft der Realismus überhaupt – als sozialistische Staats-, Propaganda- und Auftragskunst abgewertet.337 Dabei hatten sich in den 1960er Jahren auch in der DDR künstlerische Ausdrucksformen entwickelt, „die sich von der parteilichen Lesart des Sozialistischen Realismus“338, der engen stalinistischen Kunstdoktrin emanzipierten.339 Beaucamp, der den westlichen Blick auf die Kunst der DDR als ideologisiert, dogmatisch und undifferenziert empfand,340 entwickelte ein besonderes Interesse für die sogenannte „Leipziger Schule“, als deren Entdecker er bis heute gilt.341 Die Mitglieder dieser heterogenen Künstlergruppe, allen voran Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer, die an der Hochschule für Grafik und Buchkunst tätig waren, lernte er 1968 während eines

334 Vgl. Rehberg: „Westkunst“ versus „Ostkunst“ (2015), S. 29. Beuys, der stets mit unterschiedlichen Materialien arbeitete, bediente sich für eine Installation auch einiger Ausgaben der FAZ, die er zu Päckchen schnürte. Vgl. die Teil-Installation „Szene aus der Hirschjagd“ (1961) im „Block Beuys“ im Landesmuseum Darmstadt, abgebildet unter: https://www.hlmd.de/ museum/kunst-und-kulturgeschichte/block-beuys.html (23.12.2020). 335 Vgl. Bormuth, Matthias: „Ich siedle über.“ Eduard Beaucamp im Gespräch, in: ders.  / Hüttel, Richard / Triegel, Michael (Hg.): Eduard Beaucamp. Im Spiegel der Geschichte. Die Leipziger Schule der Malerei. Göttingen 2017, S. 35–69, hier S. 56. Aus der FAZ vgl. etwa Beaucamp, Eduard: Das Dilemma der Avantgarde, in: FAZ vom 24.11.1973, BuZ, S. 1–2. 336 Vgl. Lüddemann: Kunstkritik als Kommunikation (2004), S. 40. 337 Vgl. Jürgens-Kirchhoff: Rehabilitierung und Rekonstruktion (2011), S. 283–284, 292. 338 Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 239. 339 Vgl. Manske: „Das Lachen der Beatles gilt mehr als die Anerkennung von Marcel Duchamp“ (2000), S. 770. 340 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 341 Vgl. Michalski, Annika: „Ich, Tübke“ – Die Festigung der eigenen Künstlerrolle von 1959 bis 1973, in: dies. / Beaucamp, Eduard (Hg.): Werner Tübke. Mein Herz empfindet optisch. Aus den Tagebüchern, Skizzen und Notizen. Göttingen 2017, S. 193–200, hier S. 197.

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Messe-Besuchs im Auftrag der FAZ kennen.342 Die „Leipziger Schule“ hatte in der DDR zunächst keinen leichten Stand: Tübke etwa malte zwar realistisch, reicherte seine Kunstwerke aber mit surrealistischen Elementen, (historischen) Sinnbildern und Metaphern an. Für sich und für seine Kunst beanspruchte er einen Grad an Individualismus, der ihn immer wieder in Konflikt mit der SED geraten ließ.343 Beaucamp reizte die spezielle Ikonographie dieser Künstler, mit der sie das offizielle sozialistische Weltbild künstlerisch unterwanderten, reizten die technischen und handwerklichen Fähigkeiten, mit denen sie selbst unter den Bedingungen einer Diktatur Kunst entstehen ließen.344 Über mehrere Jahrzehnte hinweg setzte er sich in der Zeitung für die Anerkennung der „Leipziger Schule“ ein und erschloss der Kunst aus der DDR auf diesem Weg ein westliches Publikum.345 Dass er sich trotz dieses  Engagements zu keinem Zeitpunkt dem Verdacht aussetzte, ideologische Sympathien für den sozialistischen Nachbarn zu hegen, lag daran, dass er es im Namen der FAZ tat.346

342 Vgl. Hüttel, Richard: Kunstkritik als Charakterologie. Eduard Beaucamp beschreibt die Leipziger Schule, in: ders. / Bormuth, Matthias / Triegel, Michael (Hg.): Eduard Beaucamp. Im Spiegel der Geschichte. Die Leipziger Schule der Malerei. Göttingen 2017, S. 20–26, hier S. 20. 343 Vgl. Gillen: Feindliche Brüder? (2009), S. 157, 341. 344 Vgl. Beaucamp, Eduard: Der deutsche Bilderstreit – zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, in: Mix, York-Gothart (Hg.): Kunstfreiheit und Zensur in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin / Boston 2014, S. 279–295, hier S. 283. 345 In seinem ersten Bericht über die Leipziger Kunstlandschaft sprach Beaucamp von „einem neuen phantastischen Realismus, der von wenigen, hochbegabten und bis zur Krankhaftigkeit sensiblen Künstlern vertreten wird. Sie ziehen sich in altmeisterliche Stile (von Dürer, Breughel bis zu den Manieristen) zurück, die für sie nicht nur ein Vorwand zur virtuosen formalen Entfaltung sind, sondern auch ein vielschichtiges Medium für Anspielungen, hintergründige Reflexionen und Erfahrungen bieten.“ Beaucamp, Eduard: Auf der Suche nach Bildern. Kunst in einer sozialistischen Stadt / Bericht aus Leipzig, in: FAZ vom 13.4.1968, BuZ, S. 2. Später erschienen etwa ders.: Ankunft über einen Umweg. Die Ausstellung der Bilder Werner Tübkes in Mailand, in: FAZ vom 17.9.1971, S. 32; ders.: Neue Kunst-Szene DDR. Leipziger Eindrücke: Eine veränderte Wirklichkeit in den Bildern einer jungen Künstlergeneration, in: FAZ vom 25.3.1972, BuZ, S. 2; ders.: Kunsthandel in der DDR? Exportbemühungen und ein Vorschlag zur inneren Reform, in: FAZ vom 28.3.1972, S.  24; ders.: Das Individuum und die Zukunft. Kunst in der DDR: Neue Formen der Vermittlung, in: FAZ vom 3.4.1974, S. 21. 346 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt.

Schauplatz Kultur. Moderne Literatur, Kunst und Musik

5.3

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Alte und neue Töne

Auch die Musiklandschaft bewegten in den 1950er und 1960er Jahren Fragen nach der adäquaten künstlerischen Ausdrucksform, dem Stil der Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Musik, einer der ältesten, „zugleich sinnlichsten und geistigsten“347 und daher schwierigsten Gegenstände des Feuilletons,348 fand in der FAZ ein kritisches Zuhause. Das galt vor allem für die klassische, ernste Musik („E-Musik“), die im Unterschied zur populären Unterhaltungsmusik („U-Musik“) eingehend behandelt und diskutiert wurde. Bevor es FAZ-Redakteure wie Edo Reents oder Jan Wiele gab, die sich schwerpunktmäßig mit Popmusik beschäftigten, stieß sie im Feuilleton nicht nur auf mäßiges Interesse, sondern zunächst auch auf unverhohlene Ablehnung. Vor allem der deutsche Schlager, der neben der Volksmusik, der Operette und der Marschmusik das Hörfunk-Programm der 1950er und 1960er Jahre dominierte,349 galt als Modell „musikalischen Kunsthonigs“350. Seine Texte und Melodien, die eine eskapistische Kunstwelt fernab der moderner werdenden Lebenswelten erschufen, wurden als trivial, bieder, monoton, geschmacklos und bisweilen sogar als unmoralisch beschrieben. Die Schlagerindustrie galt als absatzorientiertes, ausbeuterisches Gewerbe, in dessen Auftrag sich Figuren wie der „Disc Jockey“ wissentlich auf die „schwache[n] Stelle im Herzen der Masse“351 stürzten. Der massenhaft verbreitete Schlager, die leichte Musik, darin war man sich einig, war das Gegenteil von Kunst, vor allem, wenn er auf Schallplatte daherkam.352 Diese, schrieb der ständige Musikkritiker Andreas Razumovsky zum „Tag der Schallplatte“ 1959, biete eine „Sintflut musikalischen Unrats, der von den gleichen Plattenfirmen mit einem ungeheuerlichen Aufwand an Vergnügungspropaganda […] pausenlos ins Volk gespült wird“. Die

347 Friedländer, Walter: Problematische Einführung in Schönbergs Musik, in: FAZ vom 2.4.1952, S. 8. 348 Vgl. Krause, Daniel: Marginalien zur Musikkritik. Ein Bericht mit Ergänzungen. München 2012, S. 6. Das mag auch eine Erklärung dafür sein, dass viele Musikkritikerinnen und -kritiker – im Unterschied etwa zur bildenden Kunst – ausgebildete Musikerinnen und Musiker waren. 349 Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 108. 350 p. chr. b.: Geschäfte mit dem Nichts, in: FAZ vom 9.1.1951, S. 2. 351 Wagner, Friedrich A.: Herr Schallplattenjockei!, in: FAZ vom 30.12.1960, S. 24. 352 Vgl. p. chr. B.: Im Rhythmus des Schlafes, in: FAZ vom 5.7.1950, S. 9; ders.: Von A bis Z, in: FAZ vom 7.3.1952, S. 2; Paula Andersen (= Clara Menck): Von allen Dächern zu pfeifen. Neue Schlager von Heymann-Gilbert in „Kiki“, in: FAZ vom 9.6.1954, S. 8; A. B.: Musik in der Bluse, in: FAZ vom 29.1.1960, S. 16; Hasselblatt, Dieter: Eiskalter Jubel. Schlager als Verpackungsmaterial, in: FAZ vom 19.5.1962, BuZ, S. 4.

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Kapitel 5

meisten Schallplatten seien nichts als warenförmige „Un-Musik“353 und der musikalischen Bildung abträglich. Etwas sanfter, aber ähnlich herabsetzend fielen die feuilletonistischen Urteile zur Pop- und Rockmusik aus,354 die über die alten und neuen Distributionsmedien Radio, Film und Fernsehen verbreitet und vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehört wurde.355 Hatte sich eine eigenständige Jugendkultur in den 1950er Jahren erst im Ansatz herausbilden können, so markierten die 1960er Jahre den Durchbruch einer jugendlichen Massenkultur, die sich maßgeblich auch über die Musik definierte.356 Die zunehmend englischsprachige, Freiheit und Unabhängigkeit verkörpernde Beat- und Rockmusik erlebte zum Leidwesen vieler Kritikerinnen und Kritiker einen raschen Aufstieg.357 Während die Rock’n’Roll-Ikone der 1950er Jahre, Elvis Presley, vom FAZ-Feuilleton noch ignoriert worden war, konnte man sich in Anbetracht der „landesweiten Mistkäferplage“ in Gestalt der Beatles im darauffolgenden Jahrzehnt offenbar nicht mehr länger in Schweigen hüllen. „Musik oder Veitstanz?“358, fragte der Londoner Korrespondent Roland Hill in makabrer Anspielung auf die Nervenkrankheit Chorea Huntington 1964 höhnisch. Der Schriftsteller Richard Huelsenbeck berichtete aus New York über den „ungehobelten, platten, ungeistigen Wahnsinn“359, den die „Halbstarken“-Band auslöse, indem sie Jugendlichen suggeriere, dass man es auch ohne Leistung weit bringen könne. Der US-Sänger und Gitarrist Jimi Hendrix galt zwar als technisch versiertes Improvisationstalent, seine Texte wurden 353 Razumovsky, Andreas: „Kulturträger“ aus Kunststoff. Zum „Tag der Schallplatte“ in Frankfurt, in: FAZ vom 17.8.1959, S. 14. 354 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 241–243. Wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, kann der Jazz davon weitgehend ausgenommen werden. Mit Ausnahme von Adorno, der als gelegentlicher Musikkritiker auch gegen die Jazz-Musik wetterte, fiel ihre Beurteilung in der FAZ recht positiv aus. Vgl. das vierte Kapitel „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“. Adorno verlieh seinem Ärger über den Jazz nicht nur in seiner Korrespondenz Ausdruck, in der er die Gemeinde der „in ungeheuerlichen Mengen ausgespieene[n] Massenmusik“ als „Mimosen“ bezeichnete, sondern auch in der FAZ, die 1956 einen Auszug aus seinem musiksoziologischen Buch „Dissonanzen“ druckte. Brief von Theodor W. Adorno an Frau von Monteton vom 9.11.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113; Adorno, Theodor W.: Der Schlagerhörer, in: FAZ vom 18.10.1956, S. 12. 355 Vgl. Riethmüller, Albrecht: Deutsche Leitkultur Musik und neues Leitbild USA in der frühen Bundesrepublik, in: Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960. Bielefeld 2007, S. 215–232, hier S. 219. 356 Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 115. 357 Vgl. ebd., S. 267–269. 358 Hill, Roland: Musik oder Veitstanz? Der Pop-Kult in England, in: FAZ vom 3.1.1964, S. 5. 359 Huelsenbeck, Richard: Die Invasion der Beatles, in: FAZ vom 26.2.1964, S. 20.

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jedoch als klischeeartig, seine Darbietungen als inszeniert, seine Lautstärke als „akustische Folter“360 beschrieben. Noch schlechter kamen die Rolling Stones weg. Korn, der im September 1965 in einer Glosse bewies, dass er in puncto Rockmusik nicht gerade auf der Höhe der Zeit war, glossierte die „Rollenden Steine“ als eine Gruppe von „jungen Männern, die die Haare länger tragen als Mädchen und eine erbärmlich einfallslose primitive Musik zum besten geben.“ „Wie ist es möglich“, fragte er befremdet, „daß fünf lächerlich unmännlich gekleidete und behaarte Wesen Tausende junger Menschen zu frenetischem Hüftwippen und Kopfnicken bringen?“361 Auch die Politisierung der Rock- und Popmusik in den 1960er Jahren stieß im FAZ-Feuilleton auf Unbehagen. Der Musikbetrieb und das Publikum verstünden nicht, hieß es im Oktober 1968 in einem Referat des Musikwissenschaftlers Ulrich Olshausen über das bis dahin größte Festival für Rock-, Pop-, Folk- und Undergroundmusik, die „Essener Songtage“, „daß die Musik als irrationalste aller Künste nur in sehr geringem Maß imstande ist, als Träger tagespolitischer Relevanz zu fungieren. Wann werden diese Leute begreifen, daß die totale politische Funktionierung der Musik, das Verbot, nur zu beschreiben und zu reflektieren, ihrer Abschaffung gleichkommt! Wann werden sie merken, daß sie nicht singen, sondern Politik machen müssen, wenn sie Politik machen wollen!“362 Die Verschmelzung von Politik und Kunst wurde nur selten goutiert, so etwa im Fall der gediegenen Folk-Band Peter, Paul und Mary,363 die ein intellektuelles Segment der sich ausdifferenzierenden Pop-Musik vertrat.364 Erst in den 1970er Jahren veränderte sich diese Haltung gegenüber der Unterhaltungsmusik nachhaltig. Der Ton wurde nun sachlicher,

360 Olshausen, Ulrich: Modenschau in der Folterkammer. Das neue Pop-Idol Jimi Hendrix in Deutschland, in: FAZ vom 20.1.1969, S. 2. Deutlich positiver fiel hingegen das Urteil über Janis Joplin aus, vgl. ders.: Superhypermost. Das neue Pop-Idol Janis Joplin in Deutschland, in: FAZ vom 15.4.1969, S. 24. 361 K.K. (= Karl Korn): Rollende Steine, in: FAZ vom 14.9.1965, S. 20. Korns Artikel rief mehrere Leserinnen und Leser auf den Plan, die sich gegen die negative Darstellung wehrten. Vgl. etwa den Leserbrief von P.J. Raue, in: FAZ vom 23.9.1965, S. 10 und den Leserbrief von Heinz Schilling, in: ebd. 362 Olshausen, Ulrich: Zur Revolution auf dem Kamm geblasen. Mißverhältnis von Quantität und Qualität bei den Essener Song-Tagen, in: FAZ vom 2.10.1968, S. 24. 363 Vgl. Olshausen, Ulrich: Folklore für Fortgeschrittene. Ein Lob auf die Musik von „Peter, Paul and Mary“, in: FAZ vom 9.9.1966, S. 32. Vgl. auch Sandner, Wolfgang: Eine Hoffnung für die Pop-Musik. Steve Winwoods „Traffic“ erstmals in Deutschland, in: FAZ vom 10.2.1971, S. 28. 364 Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 268–269.

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die Größen der Pop- und Rockmusik wurden ernster genommen und als legitimer Ausdruck ihrer Zeit betrachtet.365 Anders sah es in der klassischen Musik aus. Barock, Klassik, Romantik und Neue Musik, denen man in der Zeitung traditionell mit dem möglichst aktuellen Referat, der Rezension und dem musikalischen Essay begegnete,366 waren für die FAZ ein Heimspiel. Während die Unterhaltungsmusik häufig von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern behandelt wurde, waren in der sogenannten „Kunstmusik“ ausschließlich die eigenen Expertinnen und Experten am Werk, was sich auch im routinierten Umgang mit spezifischem Fachvokabular ausdrückte.367 Jürgen Eick, der FAZ-Wirtschaftsherausgeber, warf dem Musikressort deshalb Elitismus und Blasiertheit vor.368 Die ersten ständigen Musikkritikerinnen und -kritiker waren der promovierte „Musikus alter Schule“369 und Wagner-Verehrer Fritz Brust und die ehemalige FZJournalistin und studierte Musikerin Hildegard Weber.370 Ihr Kreis wurde 1955 um Walther Friedländer, einen Experten für zeitgenössische Musik,371 und den bekannten katholischen Publizisten und Mitherausgeber der „Frankfurter Hefte“, Walter Dirks, ergänzt. Beide beendeten ihre Tätigkeit für die FAZ bereits nach einigen Monaten wieder. Zum 1. März 1956 folgte Ernst Thomas, Sprössling einer Darmstädter Musikfamilie, der zuvor am Leipziger Konservatorium und am Salzburger Mozarteum studiert, als Kapellmeister gearbeitet und für das Darmstädter Echo geschrieben hatte. Er wurde der erste Musikredakteur der FAZ.372 Andreas Graf Razumovsky und Hans Heinz Stuckenschmidt gehörten als ständige Musikkritiker seit 1956/1957 ebenfalls in das engere Umfeld des erstaunlich breit aufgestellten Musikressorts. Stuckenschmidt, der sich in seinen früheren Lebensjahren als Komponist und Dirigent betätigt hatte, dann

365 Vgl. Sandner, Wolfgang: Rock, Blues und kein Ende. Die Konzert-Tournee der Rolling Stones, in: FAZ vom 7.10.1970, S. 28; W.W. (= Wilfried Wiegand): Westküsten-Musik. Zum Tode Jim Morrisons, in: FAZ vom 14.7.1971, S. 28. 366 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 242–243. 367 Vgl. dazu auch Fuhrmann, Wolfgang: Vom Nutzen und Nachteil der Musikkritik, in: Lamprecht, Wolfgang (Hg.): Weißbuch Kulturjournalismus. Wien 2012, S.  191–198, hier S. 195. 368 Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 7.2.1969, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter 1.12.1967–31.10.1970. 369 H.W. (= Hildegard Weber): Dr. Fritz Brust, in: FAZ vom 15.2.1963, S. 24. 370 Vgl. G.R.K. (= Gerhard R. Koch): Klarer Klang. Zum Tode von Hildegard Weber, in: FAZ vom 27.4.1991, S. 25. 371 Vgl. o. A.: Walther Friedländer, in: FAZ vom 3.12.1957, S. 12. 372 Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), S. 53; Koch, Gerhard R.: Für die Moderne. Zum Tod des Musikkritikers und Organisators Ernst Thomas, in: FAZ vom 12.11.1997, S. 45.

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aber in den Journalismus gewechselt war,373 berichtete für die Zeitung aus Berlin und hätte – wenn es nach Korn gegangen wäre – 1955 das Musikressort übernehmen sollen. Weil er weder seine Professorentätigkeit aufgeben noch mit Friedländer zusammenarbeiten wollte, beließ er es bei der ständigen Mitarbeit.374 Bis in die 1980er Jahre war Stuckenschmidt im Feuilleton zuständig „für Musikkritik, Aufsätze zur Musik-Situation und gelegentlich auch kulturpolitische Bemerkungen zur gegenwärtigen Lage des Musiklebens in und außerhalb Deutschlands“375, kurz „die Musik auf Podium und Bühne“376. Als Kritiker mit großer Expertise wurde Stuckenschmidt in der Feuilletonredaktion äußerst geschätzt. Als temperamentvolle, eitle Persönlichkeit brachte er ihr aber auch einige Arbeit ein. Der Kritiker mit der „aristokratische[n] Attitüde“377, wie Adorno ihn 1967 bezeichnete, konnte sehr ungehalten werden, wenn seine Manuskripte zu spät gedruckt, korrigiert oder gekürzt wurden. „Er hat allen Ernstes Manuskripte von mir bearbeitet, d. h. gutes Deutsch durch schlechtes ersetzt“378, beschwerte er sich 1976 bei der Wien-Korrespondentin Hilde Spiel über die redaktionellen Eingriffe in seine Texte. Empörung machte sich breit, wenn die Redaktion einen Auftrag anderweitig vergab, den Stuckenschmidt ursprünglich hatte übernehmen wollen, schließlich war er der Meinung, „die FAZ-Leser hätten einen Anspruch darauf, zu wissen, wie ich das Buch beurteile.“379 „‚Selbstverständlich‘ scheint mir“, schrieb er im Januar 1961 an den Feuilletonchef Otto Friedrich Regner, „daß einem lebenden Komponisten die Chance gegeben wird, von mir besprochen zu werden; für

373 Zu Stuckenschmidts Biographie vgl. das dritte Kapitel der Arbeit „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“. 374 Vgl. den Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Karl Korn vom 19.1.1955, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. Friedländer, damals noch freier Musikkritiker, hatte einige Jahre zuvor für die FAZ über einen Vortrag Stuckenschmidts im Frankfurter Amerikahaus berichtet, in dem sich Stuckenschmidt mit Schönberg auseinandersetzte. Friedländer kritisierte den Referenten dafür, Handbuchwissen reproduziert und sich nicht genug für Schönberg eingesetzt zu haben. Vgl. Friedländer, Walter: Problematische Einführung in Schönbergs Musik, in: FAZ vom 2.4.1952, S. 8. 375 Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 23.7.1957, in: AdK Berlin, HansHeinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 376 Brief von Otto Friedrich Regner an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 2.11.1960, in: ebd. 377 Brief von Theodor W. Adorno an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 23.8.1967, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1508. 378 Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Hilde Spiel vom 27.11.1976, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/644. 379 Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Theodor W. Adorno vom 22.2.1969, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1508.

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eine Zeitung wünschenswert, daß diese Begegnung in ihr stattfindet.“380 Wurde ein Text von ihm gedruckt, so war es für Stuckenschmidt selbstverständlich, dass die FAZ keine weiteren Beiträge zum Thema brachte, die eine andere Meinung durchscheinen ließen.381 Zu den wichtigsten Gepflogenheiten gehörte für ihn auch der richtige Ton. „Ich habe mich mit dem Faktum abzufinden“, schrieb er 1961 enttäuscht über den neuen Ressortleiter Regner an Korn, „daß die FAZ einen Feuilletonchef bekommen hat, der fast in jedem Brief die Form behutsamer Hochachtung verletzt, die sonst im Umgang mit mir üblich ist.“382 Korn, an den Stuckenschmidt seine Beschwerden bisweilen ebenso weiterzuleiten pflegte wie an Welter und Sieburg, was Ersterem nun gar nicht gefallen konnte,383 nahm seine Redaktion stets in Schutz, antwortete aber ausführlich, geduldig und beschwichtigend.384 Der mehrfach mit Kündigung drohende Stuckenschmidt war für die FAZ wichtig, also bemühte man sich um ihn, räumte ihm sogar Sonderrechte ein.385 Wurden seine Manuskripte nicht innerhalb von acht Tagen nach Erhalt gedruckt, durfte er sie der Stuttgarter Zeitung anbieten.386 Als Thomas seine Stellung als leitender FAZ-Musikredakteur 1962 aufgab und Razumovsky seine Aufgaben vorerst übernehmen sollte, den Stuckenschmidt in Sachen Neue Musik für fachlich, technisch und sprachlich nicht kompetent hielt,387 stellte er die Zeitung vor die Wahl: Entweder Korn sichere ihm vertraglich „die Rechte eines Chefkritikers“388 zu oder er, Stuckenschmidt, werde die FAZ verlassen. Korn gestattete ihm im Anschluss daran immerhin, „sechsmal im Jahr die Vorwahl unter den großen musikalischen Ereignissen“389 treffen zu können.

380 Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Otto Friedrich Regner vom 7.1.1961, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 381 Vgl. den Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Ernst Thomas vom 7.4.1959, in: ebd. 382 Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Karl Korn vom 27.1.1961, in: ebd. 383 Vgl. den Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 10.11.1960, in: ebd.; Brief von Otto Friedrich Regner an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 14.11.1960, in: ebd. 384 Vgl. die Briefe von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 12.2.1958 und 10.11.1960, in: ebd. 385 Vgl. den Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Karl Korn vom 2.2.1963, in: ebd. 386 Vgl. den Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Karl Korn vom 25.2.1958 und den Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 11.3.1958, in: ebd. 387 Vgl. das „Gedächtnisprotokoll meiner Besprechung mit Herrn Dr. Karl Korn“, undatiert, in: ebd.; Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Theodor W. Adorno vom 31.7.1967, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1508. 388 „Gedächtnisprotokoll meiner Besprechung mit Herrn Dr. Karl Korn“, undatiert, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 389 Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 3.1.1963, in: ebd.

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Razumovsky ging für die Zeitung, das allerdings erst 1965, nach Prag.390 Journalistische Arbeit, das zeigen diese Episoden eindringlich, beschränkte sich nicht auf Konzertbesuche. Darüber hinaus verfügte die FAZ-Musikredaktion über ein weit gespanntes Netz von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zu denen neben dem Musikwissenschaftler Rudolf Stephan auch der mit Stuckenschmidt befreundete Theodor  W.  Adorno gehörte.391 Stuckenschmidt und Adorno, dessen musikphilosophische und -soziologische Arbeiten im Feuilleton positiv besprochen wurden,392 hatten sich im Berlin der 1920er Jahre kennengelernt, beide waren schon damals Verfechter der seinerzeit noch jungen Neuen Musik.393 Adorno las die FAZ und war deshalb meistens gut über die Zeitung informiert.394 Als Philosoph, Soziologe und Musiktheoretiker interessierte er sich von Haus aus vor allem für die Wissenschafts- und Musikberichterstattung, schrieb bisweilen auch eigene Beiträge für das Feuilleton,395 nachdem ihn Korn 1953 dazu aufgefordert hatte.396 Es lag ihm besonders am Herzen, „dass der musikalische Geist in Deutschland in verantwortlichem Sinne fortschrittlich sich bildet. Die Kritik an den immer noch fortwesenden Rudimenten der musikalischen Jugendbewegung und die Forderung nach strengen sachlichen Masstäben scheint mir dabei von der größten Wichtigkeit.“397 Dass ihm die Musik ein persönliches Anliegen war, bezeugen auch Adornos Versuche, die Besetzung der Musikredaktion zu beeinflussen.398 So schilderte er dem 390 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  189. Stuckenschmidt führte die Entscheidung auf seine Intervention zurück, vgl. den Brief von Hans Heinz Stuckenschmidt an Theodor W. Adorno vom 31.8.1967, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1508. 391 Stephan schrieb 1957 etwa einen langen Beitrag für die Beilage über das Hören Neuer Musik. Vgl. Stephan, Rudolf: Warum ist die Neue Musik so schwer verständlich?, in: FAZ vom 26.1.1957, BuZ, S. 1–2. 392 Vgl. Friedländer, Walther: Fortschritt und Restauration in der Neuen Musik (= Rezension zu Theodor W. Adorno: „Philosophie der Neuen Musik“. Tübingen 1949), in: FAZ vom 28.10.1950, S. 16. 393 Vgl. die Briefe von Hans Heinz Stuckenschmidt an Theodor W. Adorno vom 8.8.1949 und 10.9.1963, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1508. 394 Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an die FAZ-Schriftleitung vom 25.6.1952, in: ebd., Ve_113_Frankfurter Allgemeine Zeitung. 395 Vgl. Adorno, Theodor  W.: Max Horkheimer  / Zum sechzigsten Geburtstag, in: FAZ vom 12.2.1955, S. 2; ders.: Wozzeck in Partitur, in: FAZ vom 18.4.1956, S. 12. Das Feuilleton druckte auch einige seiner Reden, vgl. ders.: Rede über Alban Bergs Lulu, in: FAZ vom 19.1.1960, S. 16. 396 Vgl. den Brief von Karl Korn an Theodor W. Adorno vom 30.11.1953, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113. 397 Brief von Theodor W. Adorno an die Schriftleitung vom 25.6.1952, in: ebd. 398 Vgl. das zweite Kapitel der Arbeit „Hinter den Kulissen. Die Feuilletonredaktion“.

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Musiktheoretiker und Schönberg-Schüler Josef Rufer 1956 die Bedingungen für eine Fühlungnahme. Erfahrung spiele eine große Rolle, ebenso profunde Fachkenntnis, Vielseitigkeit und Unvoreingenommenheit. Ein Kritiker der FAZ sollte sich keiner Schule verpflichtet fühlen. Später aber, nach der erfolgreichen Übernahme, dürfte es keine Schwierigkeiten bereiten, „wenn Sie die Wahrheit sagen, die nun einmal darin besteht, daß die Musik, die heute zählt, aus der Schönberg-Schule kommt.“399 Am besten wäre es, so Adornos Ratschlag, zunächst das Gespräch zu suchen. Korn sei „ein ungemein fähiger, aufgeschlossener, fortschrittlicher und anständiger Mensch, fürchtet aber das, was ihm, als Nichtmusiker, Einseitigkeit dünkt“400. In der musikalischen Jahreschronik der Zeitung spielten vor allem die großen Musikfestspiele eine zentrale Rolle, deren Eröffnung, Wiedergründung und Ausbau seit den ausgehenden 1940er Jahren die allmähliche Konsolidierung des Musiklebens verkörperte.401 „In den Terminkalender habe ich nun für Sie notiert: April Mailand Mai Prag Juni Paris August Weikersheim […] Oktober Warschau“402, bestätigte Thomas Stuckenschmidt Anfang 1959 die für ihn reservierten Termine. Konzerte, Festivals und Musikereignisse verschiedenen Zuschnitts, von den großen Festspielen in Bayreuth und Salzburg über die Donaueschinger Musiktage und die Wiener Festwochen bis hin zum Maggio Musicale Fiorentino in Florenz, fanden in der Zeitung ein starkes Echo.403 Das Feuilleton sah sich in der Chronistenpflicht und berichtete intensiv über die Ereignisse und Überraschungen der Saison. Die Festspielreferate und -kritiken, die in der Mehrzahl zwischen Frühjahr und Herbst erschienen, waren detailliert und orientierten sich dicht am Material. Außermusikalische Aspekte spielten in ihnen eine untergeordnete Rolle,404 eine Verknüpfung von Musik- und Gesellschaftskritik war selbst in den hochpolitischen 1960er Jahren unerwünscht.405 Wie in den meisten Blättern, die ihren Kunstbetrachtungen in den 1950er Jahren einen werkimmanenten Interpretationsansatz zugrunde 399 Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 9.3.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1267. 400 Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 15.3.1956, in: ebd. 401 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 264. 402 Brief von Ernst Thomas an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 27.2.1959, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 403 Vgl. das Blatt „Besetzung der Festivals während des Sommer“ vom 8.5.1962, in: ebd., 1962–1963. 404 Vgl. Thomas, Ernst: Mehr als nur Neues. Chronik von den Donaueschinger Musiktagen 1960, in: FAZ vom 19.10.1960, S. 24. 405 Vgl. das Beschlussprotokoll der Herausgebersitzung vom 26.11.1969, in: FAZ-Archiv, H 1.1.1969–31.3.1971.

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legten,406 sah auch das Gros der FAZ-Musikkritikerinnen und -kritiker von einer aufdringlichen politischen, psychologischen oder soziologischen Deutung ihrer Sujets ab. Musik nur als Produkt gesellschaftlicher Bedingtheit zu betrachten, sei anmaßend, so Stuckenschmidt in dem 1957 veröffentlichten Essayband „Glanz und Elend der Musikkritik“.407 Ein Jahrzehnt später, auf dem Höhepunkt der Studentenproteste, war er weiterhin überzeugt: Die Auseinandersetzung mit den zahllosen Aspekten einer pluralistischen Gesellschaft ist eine wichtige und ungemein reizvolle Aufgabe der Soziologie. Aber wenn die Kulturspezialisten sich ihr verschreiben, tritt notwendig das Urteil über künstlerische, und ganz besonders über musikalische Phänomene hinter die soziologische Deutung zurück. Ja, die Rückbeziehung eines Kunstphänomens auf die gesellschaftliche Lage, in der es entstanden ist, führt unabwendbar zur Vernichtung der Kriterien.408

Echte Musikkritik, so Stuckenschmidt weiter, sei vielmehr „die Beurteilung eines produktiven oder reproduktiven Tatbestandes mit rein musikalischen Kriterien auf Grund von Wissen, Erfahrung und Vergleich, getragen von dem Mut zum Bekenntnis einer subjektiven Meinung.“409 Das hieß freilich nicht, dass die Hintergründe und Settings der musikalischen Großereignisse in der FAZ unkommentiert blieben. In den frühen 1950er Jahren boten die opulenten Musikfestivals ein auffälliges Kontrastprogramm zu den omnipräsenten Eindrücken von Zerstörung und Armut. Der vor allem über die Garderobe zur Schau getragene Wohlstand, die Toilette, und der Glanz der historischen Festspielorte wurden folglich ebenso wenig unter den Tisch gekehrt wie die Internationalität der finanzkräftigen Gäste,410 die nicht immer auf Sympathie stießen. Dünkelhaft berichtete Razumovsky Adorno im August 1956 über die Salzburger Festspiele: „Salzburg selbst war grässlich, wie Du Dir vorstellen kannst: der grosse Kunstjahrmarkt für ‚Jedermann‘, d.  h. für Portiere aller Grossstädte von München bis Chicago. In der  Premiere soll so einer (Just

406 Vgl. Krause: Marginalien zur Musikkritik (2012), S. 36. 407 Vgl. Stuckenschmidt, Hans Heinz: Glanz und Elend der Musikkritik. Der Verfall des musikalischen Geschmacks (= Hesses kleine Bücherei, Bd. 1). Berlin-Halensee / Wunsiedel 1957, S. 10. 408 Stuckenschmidt, Hans Heinz: Was ist Musikkritik?, in: Hamm, Peter (Hg.): Kritik – von wem / für wen / wie. Eine Selbstdarstellung deutscher Kritiker (= Reihe Hanser, Bd. 12). München 21969, S. 79–86, hier S. 85. 409 Ebd., S. 86. 410 Vgl. Sturm, Vilma: Saison in Salzburg, in: FAZ vom 18.8.1950, S. 8; Weber, Hildegard: Salzburger Festspiel-Mosaik, in: FAZ vom 17.8.1953, S. 6.

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bought the ticket) gesagt haben, zur Gattin, den Programmzettel studierend ‚Oh look, and the music is by Mozart‘.“411 Dabei gehörten Festspielbesuche auch für die Journalistinnen und Journalisten zu den Höhepunkten im Kalenderjahr. Premieren und Uraufführungen von Opern, Symphonie- und Kammerkonzerten, die oft im Rahmen größerer Festivals stattfanden, boten eine Gelegenheit, um sich in der Öffentlichkeit zu profilieren.412 Seit 1950 berichtete die FAZ von den Salzburger Festspielen, die im Sommer mit einem Großaufgebot an Opern, Konzerten und Schauspielen – einer „Repräsentation großer dichterischer und musikalischer Kunstwerke der Tradition durch vorbildliche Aufführungen“413 – aufwarteten. Salzburg, resümierte Friedländer im August  1955, biete „nach wie vor das Bewährte: Mozart und Strauss in der Oper […] und alle anderen geläufigen Komponistennamen in den Konzerten“414, ab und an ergänzt durch ein neues Stück oder Ballett. Das klassische Repertoire der Festspiele, ihre eher traditionelle Ausrichtung wurde im Feuilleton durchaus geschätzt. Zugleich warnte man seit Mitte der 1950er Jahre immer häufiger vor kultureller Stagnation: „[N]ur der Kontakt mit den schöpferischen Kräften der Gegenwart verbürgt“, so Ernst Thomas im August 1957, „daß auch die Pflege des Repertoires nicht erstarrt, sondern von neuen Impulsen belebt wird“415. Was Mozart für Salzburg ist, bedeutet Richard Wagner für Bayreuth. Seit den 1870er Jahren halten die Bayreuther Festspiele im Opernhaus auf dem Grünen Hügel das Erbe des romantischen Komponisten wach. Neben dem Festpublikum, das sich aus der wohlhabenden Bürgerschaft, Teilen des alten 411 Brief von Andreas Razumovsky an Theodor W. Adorno vom 31.8.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1189. 412 Vgl. den Brief von Hilde Spiel an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 23.11.1976, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/643. 413 Friedländer, Walther: Festspielkomponist Mozart. „Entführung“ und „Zauberflöte“ in Salzburg, in: FAZ vom 19.8.1955, S. 8. Aus Salzburg vgl. darüber hinaus Brust, Fritz: Salzburger Festspiele 1950. Eröffnung mit „Don Giovanni“ in italienischem Urtext, in: FAZ vom 1.8.1950, S. 7; ders.: Salzburg als Podium der Moderne. Eröffnung des internationalen Musikfestes, in: FAZ vom 26.6.1952, S. 6. 414 Friedländer, Walther: Festspielkomponist Mozart. „Entführung“ und „Zauberflöte“ in Salzburg, in: FAZ vom 19.8.1955, S. 8. 415 Thomas, Ernst: Versäumte Chancen in Salzburg. „Zeitgenössische“ Musik bei den Festspielen, in: FAZ vom 16.8.1957, S. 10. Subtil kritisch waren auch Brust, Fritz: Hüter des Hortes. Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele, in: FAZ vom 31.7.1951, S. 3; Thomas, Ernst: Bayreuth – im Symbolismus verstrickt. Die Festspiele mit den „Meistersingern von Nürnberg“ eröffnet, in: FAZ vom 26.7.1956, S. 10; ders.: Versäumte Chancen in Salzburg. „Zeitgenössische“ Musik bei den Festspielen, in: FAZ vom 16.8.1957, S. 10; Weber, Hildegard: Die „Meistersinger“ wandeln sich. Zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele, in: FAZ vom 25.7.1960, S. 20.

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Adels und Kulturreisenden zusammensetzte,416 war seit der Wiedereröffnung der Festspiele im Jahr 1951 auch die FAZ zugegen, wenn Wagner von seinen Enkeln entmythologisiert, modernisiert und neu inszeniert wurde;417 eine „Revolution des musikalischen Theaters“418, wie Friedländer im Unterschied zu vielen ausgemachten Wagner-Getreuen 1955 positiv befand.419 An mehreren Tagen erschienen im Feuilleton lange Artikel aus Bayreuth, das auch deshalb ein Ereignis war, weil Wagners „Parsifal“, „Der Ring des Nibelungen“ oder „Die Meistersinger von Nürnberg“ nach Jahren der kulturellen Isolation wieder tausende ausländische Gäste in die Heimat großer, wenn auch umstrittener Musiker lockten.420 Das klassische Musikleben der 1950er und 1960er Jahre zeichnete sich – wie schon in den 1920er und frühen 1930er Jahren – durch „ein Défilé der Stile, Ideen und Techniken“421, durch eine Dichotomie von Tradition und Moderne aus.422 Während das breitere Publikum weiterhin die kanonischen Klassiker des 18. und die modernen Klassiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bevorzugte, gab es eine Reihe von Kritikerinnen und Kritikern, die sich in den Nachtprogrammen des Hörfunks, in Zeitschriften und Zeitungen um 416 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 265. 417 Vgl. ebd., S. 264. 418 Friedländer, Walther: Festspielkomponist Mozart. „Entführung“ und „Zauberflöte“ in Salzburg, in: FAZ vom 19.8.1955, S. 8. 419 Vgl. Riethmüller: Deutsche Leitkultur Musik (2007), S. 217. 420 Vgl. u.  a. Brust, Fritz: Hüter des Hortes. Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele, in: FAZ vom 31.7.1951, S. 3; Thomas, Ernst: Bayreuth – im Symbolismus verstrickt. Die Festspiele mit den „Meistersingern von Nürnberg“ eröffnet, in: FAZ vom 26.7.1956, S. 10; Stuckenschmidt, H. H.: Der Auftakt: „Tristan und Isolde“ – ohne Wunder. Die Premiere der Bayreuther Festspiele 1957, in: FAZ vom 25.7.1957, S. 12. Der Antisemitismus Wagners spielte in der Musikkritik entweder keine Rolle oder wurde vom künstlerischen Schaffen getrennt. So schrieb Stuckenschmidt: „Daß Wagners Ästhetik, die sich in eine Weltanschauung ausweitete, Gefahren enthält, wissen wir. Doch Kunstwerke sind dauerhafter als Weltanschauungen. Und gerade heute, da man Wagner neuerlich politisieren will, sollte man zwischen seinem Werk und den Ideen, die es zeitweise ins Schlepptau genommen hatte, besser unterscheiden. Ich glaube nicht, daß es weise ist, Wagner zu verbieten, weil er an der Inhumanität des Judenhasses teilhatte. Man kann einen längst Gestorbenen nicht durch Boykott bestrafen. Vor allem, weil sein musikdramatisches Werk überhaupt keine antisemitischen Züge trägt.“ Im nächsten Absatz heißt es weiter: „Daß ein Volk wie das jüdische nach der nazistischen Mordorgie mit äußerster Empfindlichkeit gegen die Urheber des  kriminellen Antisemitismus reagiert, ist nur zu begreiflich. Aber den historischen Epidemien des Verbrechens begegnet man nicht durch Unterdrückung von Kunst.“ Stuckenschmidt, H. H.: Wagner, seine Sänger und seine Feinde. Ein Nachwort zu den Bayreuther Festspielen, in: FAZ vom 5.8.1966, S. 24. 421 Stuckenschmidt, Hans Heinz: Tradition und Aufruhr, in: FAZ vom 31.12.1960, BuZ, S. 2. 422 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 264.

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die experimentellen Klänge der als Avantgarde auftretenden Neuen Musik bemühten.423 Die Neue Musik war in den 1910er und 1920er Jahren entstanden und wurde von internationalen Komponisten wie Arnold Schönberg, Igor Strawinsky und Paul Hindemith vertreten. Mittels einer „radikalen Materialordnung“424 in den Kompositionen wurden Höhe, Dauer, Stärke und Tempo der Töne einer rationalen, fast mathematischen Ordnung unterworfen.425 Das Ergebnis war eine atonale Form der Musik, die bewusst mit den gewohnten Harmonien, Rhythmen und Klangfarben brach, eher den Verstand als die Sinne ansprach.426 Ihre bekannteste Spielart ist die sogenannte Zwölftonmusik der Wiener Schule um Schönberg, Alban Berg und Anton Webern, ein kompositorisches Verfahren, das in den 1950er und 1960er Jahren durch Komponisten wie Karl Heinz Stockhausen, Mauricio Kagel, Hans Werner Henze, György Ligeti und John Cage modifiziert und zur seriellen, postseriellen und elektronischen Musik weiterentwickelt wurde.427 Während die Neue Musik vielerorts für akustische Irritation sorgte,428 fand sie im FAZ-Feuilleton einen großen Fürstreiter. Man könne sich „weder auf die klassische noch auf die romantische Musik beschränken […]. Der Auftrieb zu Neuem liegt tief begründet im Menschen“429, so Brust 1950. Folglich referierte das Feuilleton nicht nur über die „Tage für Neue Musik“ des Hessischen Rundfunks, die „Donaueschinger Musiktage“ und die „Internationale Gesellschaft für Neue Musik“, sondern auch über das Musikfest der Biennale in Venedig und die Biennale zeitgenössischer Musik in Zagreb.430 Überzeugt davon, dass es sich bei der Neuen Musik ähnlich wie bei der abstrakten Kunst um die „Weltsprache der Avantgarde“431 handle, betrachteten sich Kritiker wie Stuckenschmidt als fortschrittliche „Pionier[e], Wegbereiter eines neuen Stils 423 424 425 426 427 428 429 430

431

Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 171. Stuckenschmidt, Hans Heinz: Tradition und Aufruhr, in: FAZ vom 31.12.1960, BuZ, S. 2. Vgl. Thomas, Ernst: Strawinsky in Donaueschingen, in: FAZ vom 26.10.1957, BuZ, S. 1–2. Vgl. Danuser, Hermann: Neue Musik, in: Lütteken, Laurenz (Hg.): MGG Online. Kassel / Stuttgart / New York 2016 ff. Online unter: https://www.mgg-online.com/mgg/stable/13767 (16.3.2022); Krause: Marginalien zur Musikkritik (2012), S. 19. Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 238. Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 266–267. Brust, Fritz: Protest nach zwei Seiten. „Musik der jungen Generation“ in Darmstadt, in: FAZ vom 30.8.1950, S. 8. Vgl. Brust, Fritz: Oslo im Blickpunkt der Moderne. Eröffnung des Festes der Internationalen Gesellschaft  für Neue Musik, in: FAZ vom 1.6.1953, S.  6; Stuckenschmidt, H.H.: Strawinskys „Treni“ auf der Biennale. Venedigs Musikfest zwischen Tradition und Erneuerung, in: FAZ vom 30.9.1958, S.  12; ders.: Zwischen Schostakowitsch und Cage. Zagrebs Biennale zeitgenössischer Musik, in: FAZ vom 4.6.1963, S. 24. Stuckenschmidt, Hans Heinz: Tradition und Aufruhr, in: FAZ vom 31.12.1960, BuZ, S. 2.

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neuer künstlerischer Möglichkeiten“432, wohlwissend, dass sie mit diesem Engagement einen „Kampf gegen die Majorität“433 aufnahmen. Das erste Festival für Neue Musik waren die „Donaueschinger Musiktage für zeitgenössische Tonkunst“,434 die jedes Jahr im Herbst stattfanden und einen Überblick über die Tendenzen der Gegenwartsmusik boten. Das baden-württembergische Festival, das häufig Uraufführungen zeigte, galt als „Brennspiegel moderner Musik“435 und wurde entsprechend aufmerksam begleitet. Vor Kritik schreckte man bei aller Begeisterung freilich nicht zurück. Ein Stück, das die technisch-formalen Voraussetzungen erfüllte, war nicht alles. Innovative Klänge, „Substanz“ wollte man hören, Neuerungen und Experimente sollten nicht nur um ihrer selbst willen stattfinden.436 War letzteres der Fall, dann konnte die Kritik bisweilen sehr scharf ausfallen. So bezeichnete Brust den französischen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez 1951 als „Totengräber“, bei dessen Musik „sich uns das Bild einer Kloake auf[drängt], aus der stinkende Blasen aufquellen und mit Fortissimo zerplatzen.“437 Friedländer charakterisierte ein Stück des Griechen Iannis Xénakis 1955 als „aneinandergereihte Entwarnungsheultöne der Luftschutzsirenen schrecklichen Andenkens.“438 Andere, wie der aus Frankreich stammende Komponist Jean-Louis Martinet, wurden wegen ihrer Musik „von visionärer Größe und technischer Meisterschaft“439 gerühmt, einen Personenkult pflegte das Ressort aber nie. Ein anderes Highlight für die „Neutöner“ waren die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“, die im benachbarten Darmstadt, dem „Mekka der musikalischen Avantgarde“440, stattfanden. Die seit 1946 vom Kranichsteiner Musikinstitut (später Internationales Musikinstitut) veranstalteten Kurse waren „pointiert avantgardistisch“441 und avancierten in den 1950er Jahren zur 432 433 434 435 436 437 438 439 440 441

Stuckenschmidt: Glanz und Elend (1957), S. 29. Ebd., S. 30. Vgl. Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 171. Brust, Fritz: Exzeß der Zersetzung und auferstehendes Leben. Die Donaueschinger Musiktage, in: FAZ vom 10.10.1951, S. 6. Vgl. Friedländer, Walther: Experiment oder Manier? Die siebenten Internationalen Ferienkurse für neue Musik, in: FAZ vom 25.7.1952, S. 6; Brust, Fritz: Die Donaueschinger Musiktage 1954, in: FAZ vom 20.10.1954, S. 8. Brust, Fritz: Exzeß der Zersetzung und auferstehendes Leben. Die Donaueschinger Musiktage, in: FAZ vom 10.10.1951, S. 6. Friedländer, Walther: Die Donaueschinger Musiktage 1955, in: FAZ vom 4.11.1955, S. 12. Brust, Fritz: Die Donaueschinger Musiktage für zeitgenössische Tonkunst, in: FAZ vom 15.10.1952, S. 6. Koch, Gerhard R.: Für die Moderne. Zum Tod des Musikkritikers und Organisators Ernst Thomas, in: FAZ vom 12.11.1997, S. 45. Brief von Theodor  W.  Adorno an Karl Korn vom 25.5.1954, in: TWAA, Frankfurt am Main, Ve_113.

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zentralen Institution für die Entwicklung der zeitgenössischen Musik.442 Vor allem jüngeren Komponistinnen und Komponisten bot Darmstadt ein Forum, bestehend aus Kompositions- und Interpretationsseminaren, Vorträgen und Konzerten. Gerade nach den Erfahrungen im „Dritten Reich“, in dem die atonale Musik unterbunden, die jüdischen Musikerinnen und Musiker verfolgt worden und vielfach emigriert waren, schrieb das Feuilleton den Ferienkursen eine wichtige musikerzieherische Funktion zu.443 Mit Ernst Thomas (ab 1962) und Friedrich Ferdinand Hommel (ab 1981) verlor die FAZ sodann auch gleich zwei Musikressortleiter infolge an die „Ferienkurse“, die fortan als Direktoren des Musikinstituts in Darmstadt tätig wurden.444 Nicht überall wurde dieses Engagement für gut befunden. Der neoklassizistische Komponist, Dirigent und Schriftsteller Alois Melichar wetterte in den 1950er Jahren nicht nur gegen die moderne Kunst, sondern auch gegen die Neue und Zwölftonmusik,445 in deren vehementer Förderung durch einzelne Printmedien er eine neue Diktatur der Atonalität heraufziehen sah.446 Darin fühlte er sich dadurch bestätigt, dass die großen Zeitungen, darunter die „FAZisten“447, über seine Veröffentlichungen wie „Musik in der Zwangsjacke“ (1958) oder „Schönberg und die Folgen“ (1960) hinwegzusehen pflegten.448 Lediglich in der Zeit, deren Feuilleton bis 1955 von dem konservativen Musikkritiker und Komponisten Walter Abendroth geleitet wurde, wurden Melichars Streitschriften sogar positiv rezensiert.449 Abendroth, der die Neue Musik 442 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 416. 443 Vgl. Brust, Fritz: Protest nach zwei Seiten. „Musik der jungen Generation“ in Darmstadt, in: FAZ vom 30.8.1950, S. 8. 444 Vgl. Reissfelder, David / Meyer, Andreas: Darmstadt, 20. und 21. Jahrhundert, Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik, in: Lütteken, Laurenz (Hg.): MGG Online. Kassel  / Stuttgart  / New York 2016 ff. Online unter: https://www.mgg-online.com/mgg/ stable/52499 (16.3.2022). 445 Vgl. Jancik, Hans: Melichar, Alois, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 14f. Online unter: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116873167.html#ndbcontent (16.3.2022). 446 Vgl. Rothkamm, Jörg: „Terror der Avantgarde“ oder „vorwärtsweisend zu Schönberg?“ Kontinuitäten und Brüche in der fachgeschichtlichen Rezeption der Neuen Musik in Deutschland 1945 bis 1955/60, in: ders. / Schipperges, Thomas (Hg.): Musikwissenschaft und Vergangenheitspolitik. Forschung und Lehre im frühen Nachkriegsdeutschland. München 2015, S. 27–59, hier S. 31–32. 447 Brief von Gustav Diehl an Alois Melichar vom 11.2.1961, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM B 105. Diehl bezieht sich hier auf eine Wortprägung Melichars. 448 Vgl. den Brief von Gustav Diehl an Alois Melichar vom 27.3.1960, in: ebd. Abgesehen von einer Buchanzeige wurde Melichar auch von der SZ ignoriert. Darum wiesen seine Anhänger in den Leserbriefspalten auf seine Veröffentlichungen hin. Vgl. den Leserbrief von Rudolf Schlichter, in: SZ vom 25.11.1954, S. 7. 449 Vgl. A-th (= Walter Abendroth): Hecht im Karpfenteich (= Rezension zu Alois Melichar: „Die unteilbare Musik“. Wien / London 1952), in: Die Zeit vom 25.9.1952, S. 13.

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schon vor 1945 kritisiert hatte und dabei nicht vor antisemitischen Tönen zurückgeschreckt war,450 wertete sie als politisches Instrument ab und erklärte ihre Institutionen zu „Propagandaveranstaltungen“451. Korn dagegen waren die Bücher zwar bekannt, für ihn war Melichar aber nur „ein Nazi-Musikkritiker, der jetzt wieder den Kopf vorstreckt und […] Verleumdungen publiziert.“452 Tatsächlich war Melichar noch einige Jahre später damit beschäftigt, Korn und Stuckenschmidt für ihre journalistischen Beiträge aus den 1930er und 1940er Jahren anzuschwärzen.453 Vor allem Letzterer, der die Musikavantgarde seit den 1920er Jahren unterstützte,454 galt in dem um Melichar versammelten Kreis aus anti-modernistischen Bach-, Mozart-, Reger- und Wagner-Verehrern als Persona non grata.455 Für sie war die Musik Weberns, Schönbergs, Bergs und Carl Orffs „eine Sünde gegen den Geist aller echten abendländischen Musik“. Neben der Abstraktion galt die Zwölftonmusik als „Auflösung ins völlig formlose Chaos“456. Auch die Musik provozierte in den 1950er Jahren also Fragen der weltanschaulichen Haltung,457 Adorno sprach sogar von „künstlerische[r] Parteizugehörigkeit“458. „Für unseren Stand“, schrieb Friedländer 1954 an ihn, „gibt es ja leider auch nur die Entscheidung zwischen Freund und Feind“459. Anders als die abstrakte Kunst, die sich am Ende der 1950er Jahre in vielen westlichen Ländern zur dominanten Kunstform entwickelt hatte, konnte sich die Neue Musik jedoch nie flächendeckend durchsetzen. Ihre Klänge blieben den meisten Ohren auch dann fremd, als sie sich in den 1960er Jahren von

450 Vgl. Geiger, Friedrich: „Can be employed”: Walter Abendroth im Musikleben der Bundesrepublik, in: Riethmüller, Albrecht (Hg.): Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust. Stuttgart 2006, S. 131–142. 451 Abendroth, Walter: Die Krise der Neuen Musik. Eine Polemik zur höchst notwendigen Aufklärung eines vertrackten Sachverhaltes, in: Die Zeit vom 13.11.1958, S. 5. Die Zeitung druckte wenige Wochen später als Gegenposition Fortner, Wolfgang: Ein wahrlich vertrackter Sachverhalt. Die sogenannte Krise der Neuen Musik, in: Die Zeit vom 18.12.1958, S. 5. 452 Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 5.1.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/373. 453 Vgl. den Brief von Alois Melichar an Unbekannt vom 20.12.1966, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM D 17. 454 Vgl. Krause: Marginalien zur Musikkritik (2012), S. 16. 455 Vgl. die Briefe von Gustav Diehl an Alois Melichar vom 11.2.1961 und 19.6.1961, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, AM B 105. 456 Brief von Gustav Diehl an Alois Melichar vom 28.11.1959, in: ebd. 457 Vgl. den Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 13.3.1956, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1267. 458 Brief von Theodor W. Adorno an Josef Rufer vom 15.3.1956, in: ebd. 459 Brief von Walther Friedländer an Theodor W. Adorno vom 20.5.1954, in: ebd., Ve_113.

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Kapitel 5

der strengen kompositorischen Ordnung löste und experimenteller wurde,460 bevor sich die Dichotomie zwischen „alter“ und Neuer Musik in den 1970er Jahren langsam auflöste und in der neuen Unübersichtlichkeit des postmodernen Zeitalters mündete.461 *** Die späten 1950er und frühen 1960er Jahre waren für die Zeitung eine Zeit des Wachstums, der Ausdifferenzierung, Professionalisierung und vorsichtigen Modernisierung. Die Feuilletonredaktion und das Korrespondentennetz wurden ausgebaut und im täglichen Blatt war ein leichter Rückgang der klassischen Feuilletonstoffe (Lyrik, Rezensionen) zugunsten anderer Textsorten (Glosse) zu beobachten. Indem es mit Fachexpertise auswählte, bewertete und publizierte, hatte sich das FAZ-Feuilleton seit 1949 zu einem wichtigen Baustein im künstlerischen Produktions- und Distributionsprozess entwickelt. Je nach Perspektive, galt es als einflussreicher Fürsprecher oder als mächtiger Gegenspieler im Widerstreit der Meinungen, der bis in die 1960er Jahre um die künstlerische Moderne tobte. Moderne Literatur, bildende Kunst, Musik – und freilich auch das Theater, das im nächsten Kapitel Thema sein wird – wurden in der Nachkriegsöffentlichkeit kontrovers und vehement diskutiert. Den traditionellen Kultursparten, denen das Feuilleton von Haus aus viel Raum gab, wurde große Bedeutung für den gesellschaftlichen Gestaltungsprozess nach 1945 zugeschrieben. In den Werken der klassischen, westlich geprägten Moderne und den Neu-Interpretationen dieses kulturellen Erbes in der Nachkriegszeit sah man ein probates Mittel gegen die oft diagnostizierte Mittelmäßigkeit (vgl. das vorangegangene Kapitel „Gegenwartsdiagnosen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft“), die Hoffnung auf einen Neubeginn und die Chance, als „Kulturnation“ unter anderen Vorzeichen zurückzukehren. Über Kunst und Kultur wurde also bei Weitem nicht nur Ästhetisches verhandelt. Weder verschrieb sich die feuilletonistische Kritik einem veralteten Ästhetizismus noch sprach sie dem künstlerischen Werk zeitkritische Diagnosefähigkeiten ab. Grenzen zog man freilich dort, wo Publizisten wie Hans Sedlmayr Kunst als „Ausdruck 460 Vgl. Faulstich, Werner: Das Versagen der Avantgarde als Bastion der Hochkultur. Zum Wertewandel bei E-Musik und Bildenden Künsten, in: ders. (Hg.): Die Kultur der sechziger Jahre (=  Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts). München 2003, S.  61–74, hier S. 63. 461 Vgl. Glaser: Kleine Kulturgeschichte (1991), S. 416 und Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 171.

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von Weltbildern“462 interpretierten oder politisches Engagement sie zweckentfremdete. Künstlerische Autonomie und Individualität wurden im Feuilleton auch dann noch spartenübergreifend bekräftigt, als „1968“ am Horizont aufzog und der traditionelle Kulturbegriff aufgelöst zu werden drohte. In einer Zeit, die personell und in Fragen des Geschmacks noch stark von den Vorkriegsjahren geprägt war, förderte das Feuilleton neue, oft junge Talente, deren künstlerisches Schaffen einen Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit markierte und, zumindest in der Literatur, von einer kritischen Sicht auf die Gegenwart geprägt war. Dahinter verbarg sich ein selbst auferlegter gesellschaftlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag, der gerade auf dem Gebiet der bildenden Kunst und Musik bewusst am Publikumsgeschmack vorbeiging und Widerspruch provozierte. Das offene Engagement für die künstlerische Moderne, das zeigen die Auseinandersetzungen um die abstrakte Malerei, zog in der Zeitung bis in die frühen 1960er Jahre emotionsgeladene Debatten nach sich, an der neben Fachvertretern auch die Zeitungsleserinnen und -leser beteiligt waren. Gerade die Diskussionen um die moderne Kunst entpuppten sich aus dieser Sicht auch als eine Art Stellvertreterdebatte für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Eine ausschweifende Rezension oder ein längeres Nachwort reichten in diesem Fall nicht aus, um zu sagen, was nach Meinung der Feuilletonredaktion gesagt werden musste. Also druckte man umfangreiche Textanalysen und Kommentare oder stellte, wie schon in der Habermas-Heidegger-Kontroverse (vgl. das dritte Kapitel „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“), mehrteilige Zeitungsseiten zusammen (Abb. 2), auf denen verschiedene Positionen und Blickwinkel vertreten waren. Aber auch diese Debatten, die meist recht kurzlebig waren und in anderen Medien nicht aufgegriffen wurden, hatten Grenzen. Gegendarstellungen, die im Feuilleton nicht immer zu finden waren, wurden entsprechend gerahmt, um sie zu entkräften und die eigene Position umso markanter hervortreten zu lassen; regte sich großer Widerstand in der Gesamtredaktion oder unter der Leserschaft, sah man bisweilen von weiteren Diskussionsbeiträgen ab. Anders als die abstrakte Kunst und die atonale Musik provozierte und polarisierte die Gegenwartsliteratur auch hinter den Kulissen des Feuilletons, wo seit dem Engagement Friedrich Sieburgs ein Machtkampf zwischen Literaturblatt und Feuilleton ausgetragen wurde. Der nicht nur aus rein literarischen Fragen resultierende Dissens zwischen ihm und Korn verhinderte zunächst, dass das Feuilleton in der Umbruchszeit zwischen den späten 1950er und frühen 1960er Jahren ein klares Profil entwickelte. Während Korn und sein 462 Eduard Beaucamp im Interview mit Bormuth: „Ich siedle über.“ (2017), S. 44.

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Stab das „Sicheinlassen auf gesellschaftspolitische Spannungen der Gegenwart“463 eines Alfred Andersch oder eines Wolfgang Koeppen mehrheitlich begrüßten, liebäugelte das Literaturblatt, darin der Welt ähnlich,464 mit den großen etablierten Erzählerinnen und Erzählern. Dieser persönliche Konflikt, der zugleich ein Konflikt zwischen Tradition und Moderne war, sorgte für einen gewissen Meinungspluralismus im Blatt. Langfristig konnte er die Entwicklung des FAZ-Feuilletons zum maßgeblichen Forum der ästhetischen Moderne aber nicht aufhalten, die sich seit der Einstellung der Neuen Zeitung Mitte der 1950er Jahre abgezeichnet hatte.465 Die gesellschaftlichen Polarisierungstendenzen, die sich in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren bemerkbar machten, waren in der FAZ seit den späten 1950er Jahren bereits spürbar.

463 Barner, Wilfried: Zwischen dem „Wendejahr“ und dem „Durchbruch“: Westliche Erzählprosa in den fünfziger Jahren, in: ders. (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München 22006, S. 172–193, hier S. 173. 464 Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S. 222–223. 465 Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 141.

Kapitel 6

Aufwinde, Gegenwinde. „1968“ Die zweite Hälfte der 1960er Jahre stand in Frankfurt und an vielen anderen Orten der Welt im Zeichen eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, dem sich auch die FAZ – so sehr sich das einige Redaktionsmitglieder wünschten – nicht entziehen konnte. Auf den ersten Blick jedoch schien alles in gewohnten Bahnen zu verlaufen: Für den ausgeschiedenen Mitherausgeber Benno Reifenberg kam 1966 Ersatz. Das aus Karl Korn, Erich Welter, Jürgen Eick und Jürgen Tern bestehende Herausgebergremium wurde um Nikolas Benckiser und Bruno Dechamps ergänzt. Dass das politische Buch nun von drei Herausgebern vertreten wurde, entsprach seiner exponierten Stellung. Auch die von langer Hand geplante Blattreform, die vor allem dem Platzmangel des Feuilletons Abhilfe verschaffen sollte,1 wurde in Angriff genommen. Der zu diesem Zweck gegründete Reformausschuss unter Welter – das Feuilleton vertrat der zugleich als Berater der Herausgeberkonferenz amtierende, 1962 zum Chef des Feuilletons ernannte Robert Held – nahm 1965 seine Arbeit auf. Das Ressort, dem im Vergleich zu vielen anderen Zeitungen ein nach wie vor stark begrenzter redaktioneller Raum zur Verfügung stand,2 wurde in zwei Schritten erweitert. Seit Mitte des Jahres erschienen unregelmäßig Sonderseiten, die unter den wechselnden Titeln „Schauspiele“, „Musik und Tanz“ und „Die schönen Künste“ Berichte und Kritiken aus dem traditionell feuilletonistischen Gegenstandsbereich enthielten. Während das Feuilleton nun besser lavieren konnte, waren die Kolleginnen und Kollegen aus der Politik über diese Neuerung weniger begeistert: Sie waren über den auf ihre Kosten erfolgten Ausbau des Feuilletons nicht informiert worden.3 Im Januar 1966 folgte die große Layoutreform. Mit Ausnahme der Wochenendbeilage erschien die FAZ nun sechsspaltig, verabschiedete sich im Nachrichtenteil von der antiquiert wirkenden „Fetten Gotisch“ in den Überschriften und setzte die Wirtschaft an den Anfang des zweiten Buches. Größere Zeilenabstände und Weißräume sorgten für mehr Übersichtlichkeit. Der bis dahin im Politikteil platzierte Roman wechselte auf die Seite vor dem Feuilleton, dem 1 Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 7.10.1964 und 13.1.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965. 2 Vgl. den Brief von Karl Korn an Hans Heinz Stuckenschmidt vom 8.5.1963, in: AdK Berlin, Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ. 3 Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 12.5.1965 und 16.6.1965, in: FAZArchiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_007

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Kapitel 6

weiterhin die letzte Zeitungsseite vorbehalten war (Abb. 4). Der Streifen „unter dem Strich“ bot nun zusätzlichen Platz, der mit Aktuellem aus dem Kulturund Geistesleben gefüllt wurde. Ergänzend zum Literaturblatt und zu den literarischen Sonderbeilagen wurde das „Büchertagebuch“ eingeführt.4 Die neue Rubrik war neben dem Fortsetzungsroman zu finden und brachte täglich bis zu drei kurze Kritiken aus den Genres Belletristik und Sachbuch, darunter „ausländische Literatur, soweit sie Aussicht auf Übersetzung ins Deutsche hat“5. Die Idee, der Leserschaft mit diesem Service zur raschen Orientierung auf dem wachsenden Buchmarkt zu verhelfen,6 ging auf Rolf Michaelis (*1930) zurück und war kurz nach seiner Übernahme des Literaturblattes 1964 in Absprache mit Welter entwickelt worden. Michaelis war es auch, der den zwischen der Buchmesse und Weihnachten entworfenen Sonderbeilagen zu einer regelmäßigen Erscheinungsweise verhalf und sie in der Post-Sieburg-Ära modernisierte.7 Korn hielt sich, wie bei allen Fragen graphisch-technischer Natur, auch aus diesen Planungen gerne heraus.8 Obwohl es diesen Eindruck ausdrücklich zu vermeiden galt,9 reagierte die FAZ mit dem „Büchertagebuch“ auf ihre unmittelbare Konkurrenz. Nachdem die Welt 1964 mit ihrer Beilage „Die Welt der Literatur“ neue quantitative Maßstäbe in der Literaturkritik gesetzt hatte und die anderen großen Printmedien nachgezogen waren, hatte Michaelis konsterniert festgestellt, dass die FAZ nunmehr die letzte überregionale Zeitung sei, die „wöchentlich nur eine Seite für Rezensionen zur Verfügung stellen kann.“10 Seine Klage war bei Welter, der sich von überzeugenden Innovationen schnell begeistern ließ, auf offene Ohren gestoßen. Michaelis wurde nicht enttäuscht: Kaum ein anderes Blatt brachte nun täglich so viele Buchkritiken wie die FAZ.11 Die Blattreform, in deren Zuge die traditionell aufgemachte FAZ behutsam an zeitgemäße Gestaltungsnormen herangeführt wurde, hielt für das Feuilleton also nur Positives bereit: Das Ressort legte an Umfang zu und seine einzelnen Bausteine 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. die Chronik über typographische Veränderungen der FAZ vom 14.1.1974, in: FAZArchiv, 1968. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 4.8.1965, in: ebd., Herausgeber  1.4.1963–12/1965. Vgl. R.H. (= Robert Held): Neu an diesem Blatt, in: FAZ vom 3.1.1966, S. 2. Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 16.11.1964, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1963–28.2.1965. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 22.1.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398. Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 26.10.1964, in: ebd., N 1314/278. Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 15.6.1964, in: ebd. Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 31.8.1967, in: ebd., N 1314/400.

Aufwinde, Gegenwinde. „1968“

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rückten zusammen. Damit war man dem längerfristigen Ziel, die Feuilletonberichterstattung auszubauen und zu aktualisieren,12 nähergekommen und Korn, der in eindrücklichen Bildern wiederholt über die Beengtheit des Feuilletons geklagt hatte („Wir sind ein Ressort im Prokrustes-Bett“13), war vorerst besänftigt. In seiner Lesart war die Blattreform in erster Linie ein Erfolg für das bislang vernachlässigte Feuilleton. Sie illustriere, so auch Held am 3. Januar 1966 in der FAZ, das Gewicht des Feuilletons in einer Zeit „des neu aufblühenden kulturellen Lebens“14. Die Erweiterung schlug sich zwangsläufig im Redaktionsgefüge nieder. Allein die tägliche Bestückung des „Büchertagebuchs“ erforderte einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand, der von Michaelis und seiner unzählige Überstunden anhäufenden Sekretärin Frau Dölling nicht zu bewältigen war. Schon bevor die Zeitung den 1964 für Schwerbrock eingestellten Literaturredakteur Peter  W.  Jansen (*1930) 1966 an den Rundfunk verlieren sollte, der mehr Führungspositionen in Aussicht stellte, bessere Gehälter zahlte und Nebentätigkeiten gestattete,15 hatte das Literaturblatt zwischen Korrespondenzen und Telefonaten, Durchsichten und Korrekturen, Satz und Umbruch den personellen Notstand ausgerufen.16 Zwei Jahre später wurden Michaelis‘ Rufe erhört. Auf den ausgeschiedenen Jansen folgten 1966 gleich drei Redakteure, die sich nach und nach in der Literaturkritik einrichteten: Karl Heinz Bohrer (*1932), Helmut Scheffel (*1925) und Dietrich Segebrecht (*1934). Bohrer, der Michaelis zwei Jahre später als Chef des Literaturblattes nachfolgte, war auf Korns Initiative aus Hamburg abgeworben worden. Er hatte die Welt, in der er sich wegen politischer Divergenzen und starrer Strukturen nicht mehr wohlfühlte, bereitwillig verlassen.17 Der Romanist Scheffel war zuvor als Übersetzer tätig gewesen und hatte auf dem Gebiet der modernen französischen Gegenwartsliteratur einige Bekanntheit erlangt. Der jüngste unter den Neuzugängen kam, einigen Bedenken ob des konservativen Charakters der Zeitung zum

12 13 14 15 16 17

Vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 1.4.1959, in: BArch Koblenz, N 1314/379. Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 5.5.1965, in: ebd., N 1314/398. R.H. (= Robert Held): Neu an diesem Blatt, in: FAZ vom 3.1.1966, S. 2. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 25.11.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398. Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 26.10.1964, in: ebd., N 1314/278. Vgl. Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9 sowie die Notiz von Erich Welter über ein Gespräch mit Herrn Bohrer am 16.4.1968, in: FAZ-Archiv, 1968.

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Kapitel 6

Trotz,18 über Michaelis zur FAZ. Segebrecht war diplomierter Bibliothekar und hatte zuvor für die Fachzeitschrift „Bücherei und Bildung“ gearbeitet.19 Auch im Kunstressort standen 1966 Veränderungen an. Als Unterstützung für die schwer erkrankte Redakteurin Eva Maria Demisch, die ihrer Krankheit drei Jahre später erliegen sollte, wurde Eduard Beaucamp (*1937) eingestellt; eine personalpolitische Maßnahme, die Demisch als taktlos empfunden haben soll.20 Neben Beaucamp, der von Haus aus eigentlich Germanist war, engagierte man drei Jahre später den studierten Kunsthistoriker Wilfried Wiegand (*1937), vormals Welt und Spiegel. Wiegand, der sich der Fotografie und dem Film zuwandte, hatte sich für den freien Korrespondentenposten in London beworben, war von Korn wegen seines breiten Interessenfeldes aber schließlich für die Zentralredaktion engagiert worden.21 Auch die anderen Ressorts bekamen Zuwachs. Mit der Lektorin Renate Schostack (*1938) erhielt das Tagesfeuilleton 1969 ein neues Gesicht. „Bilder und Zeiten“ wurde 1967 mit der langjährigen Mitarbeiterin Maria Frisé (*1926) besetzt und im Jahr darauf durch Johannes Roth (*1937) von der Nürnberger Zeitung ergänzt. Bernhard Frank (*1939), der nach einer Schauspielausbildung zur Regie und anschließend zum Journalismus gewechselt war, arbeitete seit 1966 ebenfalls für die Beilage und das Reiseblatt. Im Ressort „Natur und Wissenschaft“ löste der Biochemiker Rainer Flöhl (*1938) 1967 Carlo W. Nässig (*1923) ab, der 1964 als Wissenschaftsredakteur zur FAZ gekommen war und nun stellvertretender Chef vom Dienst wurde. Im Reiseblatt fand sich 1969 Brigitte Scherer vom Darmstädter Echo ein. Die Redaktion wurde seit Mitte der 1960er Jahre also stark vergrößert: Zwischen 1964 und 1973 wuchs sie um knapp 35 Prozent auf 27 Mitglieder an (Abb. 3).22 Im Vergleich zur Lokalpresse – Rühl berichtet in seiner 1969 erschienenen Studie über die Nürnberger Nachrichten (NN), die immerhin eine Auflage von 250.000 Exemplaren hatten, über ein vierköpfiges Feuilleton –23 war das eine enorme Größe. 18 19 20 21 22

23

Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 20.10.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber  1.4.1963–12/1965. Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 4.8.1965 und 19.8.1965, in: ebd. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 27.11.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/ 1968. Das der Graphik (Abb.  3) und den statistischen Angaben zugrunde gelegte Datenmaterial stammt aus diversen Primärquellen, die im Verlauf der Arbeit gesichtet und ausgewertet wurden, darunter Protokolle der Herausgeber- und Redaktionskonferenzen, Korrespondenzen, Nachrufe, Würdigungen und Eigenpublikationen der Zeitung. Zu den biographischen Eckdaten vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.): Sie redigieren und schreiben die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland. Frankfurt am Main 1967; FAZ: Sie redigieren (1975). Vgl. Rühl: Die Zeitungsredaktion (1969), S. 70.

Aufwinde, Gegenwinde. „1968“

Abb. 3

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Personalstärke der FAZ-Feuilletonredaktion 1949–1973

Mit dem Personalausbau veränderte sich nach 1965 auch die generationelle Struktur. Zwar blieb die Zahl der vor 1920 Geborenen relativ stabil und auch die „Fünfundvierziger“ waren weiterhin in überschaubarer Zahl vertreten. Ergänzt wurde die Redaktion aber nun durch eine jüngere Alterskohorte von Journalistinnen und Journalisten, die in den 1930er und frühen 1940er Jahren geboren worden waren. 1973 machte diese Gruppe bereits 36 Prozent des Redaktionsstabs aus. Die „alte“ Garde geriet zunehmend in die Unterzahl und verlor im Laufe der 1960er und 1970er Jahre ihre Positionen allmählich an die nachrückende Generation. Der These von Hodenbergs, wonach die Führungspositionen in der FAZ noch Ende der 1960er Jahre in den Händen der vor 1914 Geborenen lagen,24 kann mit Blick auf das Feuilleton also nicht zugestimmt werden. Abgesehen von Korn und Rudzinski, dem Leiter von „Natur und Wissenschaft“, waren alle leitenden Posten mit jüngeren Journalistinnen und Journalisten besetzt. Die Verjüngung drückte sich nicht nur in Zahlen aus. Sie kam im siebten Stock, wo neben dem Feuilleton die Lokalredaktion residierte, auch in der Raumaufteilung zum Ausdruck. Während bewährte Journalistinnen und Journalisten in Einzelbüros untergebracht waren, fanden sich im Zimmer 725 mit Segebrecht, Bohrer und Scheffel gleich drei Neuzugänge wieder.25 Als Neuling saß man in der „Jugendkammer“, erinnert sich Beaucamp.26 Jung zu sein, das bedeutete auch, ungeschriebene Hausregeln in Frage zu stellen: „Es mag Sie überraschen“, schrieb Michaelis 1968 an den 24 25 26

Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 250. Vgl. den Raumplan aus dem Jahr 1969, in: BArch Koblenz, N 1314/311. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt.

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Kapitel 6

dreiunddreißig Jahre älteren Welter, „aber ich habe das Gefühl, ich sollte Ihnen doch sagen, daß unter den jüngeren Redakteuren […] ohne Scheu von Geld, Einkommen und finanziellen Sorgen gesprochen wird. […] Allerdings weiß ich, daß es in der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ als unfein gilt, über derlei Dinge zu sprechen.“27 Im persönlichen Umgang zeichneten sich leise Veränderungen ab. Kritik, auch an Höhergestellten, wurde nun offener formuliert, Konflikte mit Autoritäten wurden seltener gescheut.28 Einigen älteren Kolleginnen und Kollegen bereiteten diese Beobachtungen offenbar Unbehagen, schließlich hatten sie immer häufiger Universitätsabsolventinnen und -absolventen mit wenig journalistischer Erfahrung vor sich sitzen.29 Diese generationellen Vorbehalte richteten sich, auch aus anderen Gründen, in erster Linie auf das Feuilleton. Was schon in den 1950er Jahren Anlass zur Kritik gegeben hatte, war auch ein Jahrzehnt später nicht vom Tisch. Welter und Eick kritisierten die „langen Riemen“30, die Publikumsabgewandtheit, Aktualitätsferne und Strenge des Feuilletons.31 „Der Zeitung fehlen“, so Eick Ende des Jahres 1964, „Entspannungselemente, Besinnlichkeit, Heiterkeit, Witz. […] Vor allem aber gibt sich das Feuilleton mit einem Bierernst, der gar nicht nötig ist.“ Nostalgisch gedachte er den großen Weimarer Stilisten wie Kurt Tucholsky, Alfred Kerr und Alfred Polgar, dem klassischen Feuilleton der Bonmots und gepflegten Unterhaltung. Im eigenen Haus sah er diese Vorbilder in Vergessenheit geraten. Stattdessen pflegten gerade die Jüngeren eine „säurisch ätzende, alles runterreissende Schreibweise“32. Welter stimmte zu. Bei allem äußerlichen Modernisierungseifer wünschte auch er sich mehr Feuilletonismus, Esprit und Kontrastprogramm, bekam aber nur ein „monotone[s] sechsteilige[s] Kellergeschoß“33 serviert. Verteidigend berief sich Korn auf sein Personal: „Je jünger sie sind, umso verständnisloser sind sie für ‚leichte Ware‘“34. Damit lag er nicht falsch. Statt mit Geist und Witz über Alltagsbeobachtungen zu sinnieren, erprobte das Feuilleton jüngere Genres wie das

27 28 29 30 31 32 33 34

Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 4.8.1968, in: BArch Koblenz, N 1314/450. Vgl. den Brief von Karl Heinz Bohrer an Erich Welter vom 22.1.1970, in: ebd., N 1314/316. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt; Brief von Sabina Lietzmann an Hilde Spiel vom 18.5.1970, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/389. Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 16.11.1964, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1963–28.2.1965. Vgl. das Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 16.8.1967, in: ebd., H 1966–12/1968. Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 16.11.1964, in: ebd., Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1963–28.2.1965. Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 23.2.1966, in: BArch Koblenz, N 1314/448. Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 28.2.1966, in: ebd.

Aufwinde, Gegenwinde. „1968“

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Interview35 oder die Reportage und führte neue Rubriken wie „Gestalter und Gestalten der Bühne“ oder Hildebrandts „Leute, Leute“, eine Portraitreihe über die Berliner Stadtgesellschaft, ein.36 Der Feuilletonjournalismus veränderte sich und mit ihm der Legitimationsdruck, dem sich die Redaktion in den 1960er Jahren ausgesetzt sah. Das hatte tiefere Gründe als die stilistischen und formellen Defizite, die Eick und Welter von Zeit zu Zeit bemängelten: Das FAZ-Feuilleton drohte auf fremdes Terrain vorzudringen. Zwar hatte das Ressort auch in den 1950er Jahren mit sozialund gesellschaftskritischen Artikeln aufgewartet, die bisweilen eine politische Meinung enthielten. Als politisch ambitioniert wäre es deshalb aber wohl nicht bezeichnet worden. Das änderte sich in den 1960er Jahren. Von den Umbrüchen auf der politischen Bühne – 1963 endete die Ära Adenauer, 1966 schlossen sich SPD und CDU erstmals zu einer Großen Koalition zusammen, 1969 wurde mit Willy Brandt ein Sozialdemokrat Bundeskanzler –, der Politisierung der Gesellschaft und der „Ausweitung des Politikbegriffs über Fragen der Staatstätigkeit hinaus“37 blieb die FAZ nicht unberührt. Gesprächsstoffe und Sprache luden sich hinter den Kulissen politisch auf, politische Klassifizierungen wurden zu beliebten Fremd- und Selbstbezeichnungen.38 Ein Blick in das Digitalarchiv bestätigt diesen Eindruck auch für die gedruckte Zeitung: Während das Adjektiv „links“ zwischen 1950 und 1959 4.386 Mal 35

36

37 38

Zu den ersten Interviews, die im Feuilleton erschienen, zählten o. A.: Der Weg Bayreuths muß ein Weg nach vorn sein. Ein letztes Gespräch mit dem Regisseur und Festspielleiter Wieland Wagner, in: FAZ vom 18.10.1966, S. 20 (Nachdruck der Nürnberger Zeitung); o. A.: Mit Delvaux im „Nachtzug“. Werner Helwig unterhält sich mit dem surrealistischen Maler, in: FAZ vom 11.11.1966, S. 32; Wiegand, Wilfried: Schwierigkeiten mit einem Autor. Ein Versuch, Graham Greene zu interviewen, in: FAZ vom 23.5.1970, BuZ, S. 4. Korn wies aber stets darauf hin, Interviews möglichst in Erzählungen einzubetten und nicht zu viel wörtliche Rede zu benutzen, vgl. den Brief von Karl Korn an Hilde Spiel vom 14.5.1969, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/344. Hildebrandt portraitierte in dreizehn Folgen u. a. den späteren RAF-Anwalt Horst Mahler, die Literaturwissenschaftlerin Hildegard Brenner, den Tafeldecker Walter Minuth, den Kiosk-Besitzer Ernst Braune, den Requisitenmeister Paul Schwedler, den Berliner Bürgermeister Klaus Schütz, den Großhändler Jürgen Sailer, die Mutter von Fritz Teufel und den Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Vgl. etwa Hildebrandt, Dieter: Interview mit einem Namensvetter. Satirische Jahreswende für die „Bunzreplik“: Dieter Hildebrandt, in: FAZ vom 28.12.1967, S. 24. Schildt: Auf neuem und doch scheinbar vertrautem Feld (2011), S. 32. Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 6.5.1964 und 4.8.1965, in: FAZArchiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 26.1.1966, in: ebd., H 1966–12/1968; Beschlussprotokoll der Herausgebersitzung vom 8.10.1969, in: ebd., H 1.1.1969–31.3.1971. Während in den Konferenzen meistens mit den Begriffen „links“ und „rechts“ hantiert wurde, fällt in den Zeitzeugengesprächen heute eher die Zuschreibung „linksliberal“. Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 25.6.2017.

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verwendet wurde, stieg sein Gebrauch in den 1960er Jahren um mehr als das Zweifache auf 10.350 Verwendungen an. In der Feuilletonredaktion machten sich die Politisierungstendenzen im Kunst- und Kulturbetrieb etwa darin bemerkbar, dass mitunter nicht mehr einfach zu bestimmen war, ob ein Buch nun im Feuilleton oder im Politikteil zu besprechen war. Wie Michaelis dem Lektor der „edition suhrkamp“ Günther Busch 1968 mitteilte, bewegten sich vor allem die Veröffentlichungen bei Suhrkamp „oft haarscharf an der Grenze […], die das Literaturblatt und das ‚Büchertagebuch‘ von dem Ressort ‚Politische Bücher‘ scheidet“39. Die FAZ-Politikredaktion, die dem Verlag Hans Magnus Enzensbergers Aufsatz „Journalismus als Eiertanz“ (1962) weiter nachtrage,40 verfolge aufmerksam, „welche Grenzverletzungen sich das böse Literaturblatt schon wieder zuschulden kommen läßt. Dann gibt es endlose Schreibereien oder altgermanische Wortgefechte in den Konferenzen und ich stehe oft etwas verlegen da, weil ich zwar die Rezension gründlich gelesen habe, aber das Buch selbst nicht kenne.“41 Politischer im weitesten Sinne wurde das Feuilleton zudem durch die Journalistinnen und Journalisten, die seit Mitte der 1960er Jahre in die Hellerhofstraße einzogen. Einige von ihnen betrachteten sich als politisch, andere fanden zumindest Gefallen an der gesellschaftlichen Dynamik, die vor allem mit „1968“ verbunden war.42 Das drückte sich etwa bei Karl Heinz Bohrer in dem Gefühl aus, „auf einer ungeheuren Höhe des Bewusstseins zu leben, in einer enormen, politisch relevanten Ereigniszeit, in der alles, was man entschied oder jedenfalls beredete, Folgen hatte.“43 Korn registrierte diese Veränderungen früh und akzeptierte sie. Der klassische Feuilletonjournalismus sei kaum noch praktikabel, berichtete er 1966 an Boveri, „weil die 30–40-jährigen heutigen Feuilletonisten einfach nicht mehr das apolitische Feuilleton wollen – noch können. Die gehen lieber, als daß sie sich beugen“44. Sieburg hatte 1963 über Peter W. Jansen notiert, dass dieser „eine unbestreitbar kritische Gabe“ besitze, die mit der Neurose einhergehe, „die Objekte seiner Kritik in einen grossen, 39 40 41 42 43 44

Brief von Rolf Michaelis an Günther Busch vom 17.1.1968, in: DLA Marbach, SUA: Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.002. Zu Enzensbergers Angriff auf die FAZ vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 193–195. Brief von Rolf Michaelis an Günther Busch vom 17.1.1968, in: DLA Marbach, SUA: Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.002. Vgl. Bohrer: Jetzt (2017), S. 31. Karl Heinz Bohrer im Interview mit Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.1.1966, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 7.

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möglichst gesellschaft [sic!] bestimmten Zusammenhang einzuordnen“ und einen „stark modisch geprägten Jargon“45 zu benutzen. Ein neuer Journalistentyp war gefragt, ließ auch Held 1968 selbstbewusst verlauten, der „nicht nur auf passive – was in der Feuilletonarbeit nicht mehr genügt –, sondern auf aktive Weise“46 politisch sei. Das stieß vor allem bei Tern als einem der für den Politikteil verantwortlichen Herausgeber auf wenig Anklang. Dass die Schnittstellen zwischen dem Politik- und Feuilletonjournalismus größer wurden, war die eine Sache. Die andere war, dass sich die Ressorts gerade in politischen Fragen nicht immer einig waren. Während sich Welter um die „Intellektualisierung des Feuilletons“47 sorgte, machte es sich Tern zur Aufgabe, einen weiteren „‚Linksdrall‘“48 des Feuilletons zu verhindern. Für den um Ausgleich bemühten Feuilletonchef Held, der sich vor Tern wiederholt für sein Ressort zu verantworten hatte,49 war das eine große Belastung. Den Gegenwind aus Politik und Wirtschaft bekam auch Korn zu spüren, der als Sprachrohr der (jüngeren) Redakteurinnen und Redakteure vermittelnd in die aufbrechenden Konflikte einzugreifen und seinem Ressort Freiräume zu erspielen versuchte.50 Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte er sich bei Welter darüber beschwert, dass Neuerungsimpulse aus dem Feuilleton von vornherein unterdrückt würden.51 Nach mehreren konfliktreichen Zwischenfällen, etwa anlässlich der vermeintlichen „Kollektivdiffamierung der Intellektuellen“52 durch einen Leitartikel des Bonner Korrespondenten Alfred Rapp,53 wandte er sich Ende 1965 in einem langen Brief an Welter und Tern, um sie auf einige Missstände hinzuweisen. Er sei sich darüber im Klaren, erklärte er zunächst beschwichtigend, „daß auf der Seite unserer ‚Literaten‘ manche unausgegorene Jugendlichkeit mitspricht“. Dennoch könne er die permanenten Zurechtweisungen der bei allem „Mangel an realer Erprobung und […] Erfahrung“ 45 46 47 48 49 50 51 52 53

Aktennotiz von Friedrich Sieburg, Betr. Peter Wilhelm Jansen, vom 22.4.1963, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ. Brief von Robert Held an Erich Welter vom 10.10.1968, in: BArch Koblenz, N 1314/345. Brief von Erich Welter an Robert Held vom 18.12.1968, in: ebd., N 1314/450. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 4.8.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber  1.4.1963–12/1965. Vgl. den Brief von Robert Held an Erich Welter vom 30.9.1966, in: BArch Koblenz, N 1314/448. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 26.12.1968, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 13.8.1962, in: BArch Koblenz, N 1314/418. Brief von Karl Korn an Jürgen Tern und Erich Welter vom 10.12.1965, in: ebd., N 1314/398. Vgl. Rapp, Alfred: Der Kult des Dagegen, in: FAZ vom 8.12.1965, S. 1. Zu den Konflikten zwischen Feuilleton- und Politikredaktion vgl. auch das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 22.9.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965.

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doch talentierten Feuilletonredakteurinnen und -redakteure nicht gutheißen, bestünde doch die Gefahr, dass eine Reihe von Kündigungen ausgesprochen werde: Vielleicht machen wir in unserem Hause etwas falsch. Wir geben unseren jungen Literaten oder Intellektuellen einigen Grund zur Unzufriedenheit. Es scheint mir nicht gut, dass den Kollegen des Ressorts Feuilleton von Zeit zu Zeit bescheinigt wird, sie seien politische Nullen. […] Dass es heute […] zur Definition des jungen literarischen oder sonstwie musischen Kritikers, Redakteurs oder Schriftstellers gehört, dass er politisch sei, steht ausser allem Zweifel – ob uns das passt oder nicht, die Herren fügen sich nicht; sie sind schwierig.54

Korn, der in seinem Brief diplomatisch den Plural beibehielt, versuchte Welter und Tern für die Akzeptanz des neuen Status quo zu gewinnen. Dazu gehörte in seinen Augen die Einsicht, „dass auch die Feuilletonisten gelegentlich entschiedener und leidenschaftlicher politisch denken als mancher, der ein brauchbarer Hilfsarbeiter ist.“ „Ich plädiere“, so sein eindringliches Postulat, „für mehr Bewegungsfreiheit der Literaten.“ Weiter kritisierte Korn die einseitigen Kommunikationsstrukturen im Haus. Während das Feuilleton ständig zum Gegenstand hausinterner Kritik werde, schweige die Feuilletonredaktion ihrerseits oft über inakzeptable Texte aus den anderen Ressorts. Korn bat darum, dem Feuilleton mit der gleichen Toleranz zu begegnen. Er insistierte, „man sollte den Feuilleton-Kollegen nicht kontinuierlich bescheinigen, dass sie Zeitungsbürger minderen Rechts und minderen Gewichts seien“55, und knüpfte damit an eine alte Forderung aus den 1920er Jahren an.56 Die Beschwerde über die „Daumenschrauben“57 aus dem neunten Stock zeigte Wirkung. Einige Tage später diskutierten die Herausgeber, wie es gelingen könne, „dass einerseits in Meinungsäußerungen des Feuilletons nicht bewusst oder unbewusst gegen die Linie der Zeitung verstoßen werde, andererseits die Feuilleton-Redakteure nicht das Gefühl behalten, sie könnten mit ihren Ansichten nicht zum Zuge kommen“. Wieder sprach sich Korn dafür aus, „die Feuilletonredakteure mit in die politische Verantwortung“ zu nehmen, anstatt den Eindruck zu erwecken, „als säßen einige politische Redakteure nur da, um nach Abweichungen im

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Brief von Karl Korn an Jürgen Tern und Erich Welter vom 10.12.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398. Ebd. Vgl. Später: Siegfried Kracauer (2016), S. 161. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.1.1966, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 7.

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Feuilleton zu suchen.“58 Einen Monat später regte Welter einen Austausch zwischen den Jungredakteurinnen und -redakteuren des Politikteils und des Feuilletons an. „Wir müssen“, schrieb er im Januar 1966 an Rolf Michaelis, „unbedingt die Mauer zwischen Politik und Feuilleton durchbrechen.“59 Der ressortübergreifende Dialog, eine nur selten praktizierte Methode der Konfliktlösung, fand daraufhin statt und wurde positiv aufgenommen. Sowohl Michaelis als auch der aus Berlin angereiste Dieter Hildebrandt bedankten sich bei Welter für die Initiative und das Mentorat.60 „Daß gestritten wurde, daß gestritten werden konnte, das war der Sache nur dienlich“61, so Michaelis. Vorübergehend waren die Fronten geglättet. Konflikte häuften sich aber nicht nur zwischen der Politik- und Feuilletonredaktion. Auch die Debatten im Herausgebergremium spitzten sich zu, bekamen eine neue Schärfe.62 Dazu brauchte es keinen gravierenden Anlass. Nachdem Korn im Feuilleton vom 13. November 1965 den Nationalökonomen Hans Ritschl positiv erwähnt hatte, erhielt er zehn Tage später Post von Welter, der in seinem Krankenbett offenbar einige ältere Ausgaben der FAZ gesichtet hatte.63 Ritschl, „dieser unbelehrbare Schwärmer für den Staat“, schrieb der gereizte, ordoliberale Welter, mache sich seit Jahren für die Planwirtschaft stark. Durch seine „Hymne auf Ritschl“ habe Korn einen Volkswirtschaftler „der untersten Etage“ gepriesen und überdies den Kurs des Wirtschaftsblattes verletzt. „Wenn jetzt die FAZ, und zwar nicht ein Neuling oder Outsider, sondern ein Gründungs-Herausgeber diesen Scharlatan entdeckt und preist, dann frage ich mich“, so die drastischen Worte Welters, „ob es nicht besser gewesen wäre, wir hätten die FAZ ungegründet gelassen“64. Korn seinerseits reagierte mit Unverständnis. Wie er Welter mitteilte, habe er für Ritschl, der zu dem von ihm besprochenen Sammelband einen Beitrag über „Die Stellung der Technik in den modernen Wirtschaftsordnungen“ beigesteuert hatte, nichts als spontanes Interesse gehabt.65 Tatsächlich dürfte es für den überrascht wirkenden Korn wenig überraschend gewesen sein, dass Welter über die Hervorhebung des 58 59 60 61 62 63 64 65

Auszug aus dem Protokoll über die Herausgeberkonferenz vom 15.12.1965, in: FAZ-Archiv, 1960–1965. Brief von Erich Welter an Rolf Michaelis vom 12.1.1966, in: BArch Koblenz, N 1314/448. Vgl. den Brief von Dieter Hildebrandt an Erich Welter vom 4.2.1966, in: ebd. Brief von Rolf Michaelis an Erich Welter vom 2.2.1966, in: ebd. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  3. Zum Konflikt zwischen Welter und Dechamps vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 198–200. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.1.1966, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 7. Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 23.11.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398. Vgl. den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 25.11.1965, in: ebd.

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Ritschl’schen Textes als „wichtigen Beitrag“ ebenso verärgert sein würde wie über die darin enthaltene Idee, den „technische[n] Fortschritt […] durch ein System planmäßiger Investitionslenkung“66 einzugrenzen. Korn spielte den Ball indes zurück und verband seine Antwort abermals mit einem Plädoyer für Liberalität: Aber in unserem Wirtschaftsblatt wird über Bildungs- und Geschmacksfragen sehr viel nicht nur geschrieben, sondern entschieden, was mir auch nicht immer richtig und zweckmässig zu sein scheint. […] Wenn Sie so schwerwiegende Bemerkungen […] an die Erwähnung des Herrn Ritschl anflechten, dann muss ich meinerseits sagen, dass ich mir unter einem der zehn führenden Weltblätter etwas mehr als ein Einbahnstraßensystem vorstelle. […] Kann es denn nun aber wirklich nicht in einem Blatt mit diesem Anspruch die Möglichkeit geben, dass man unbefangen Probleme, ja sogar Krisen siebt und verschiedene Meinungen über die Ursachen reproduziert?67

Die Angelegenheit war für Korn symptomatisch und schien ihn weiter zu beschäftigen. „Mein Verhältnis zu Welter“, schrieb er im Januar 1966 an die vertraute Boveri, „ist auf einem bisher nicht erreichten Tief. Ich halte das für irreparabel und habe auch keinen guten Willen mehr, das zu ändern. Die FAZ ist ein deutschnationales Blatt und tief antiliberal.“68 Welters dogmatisch ordoliberaler Kurs stieß bei Korn auf Unverständnis, erntete bisweilen sogar bösen Spott. Einige Wochen, nachdem sich die Koalition aus SPD und CDU/ CSU unter Kurt Georg Kiesinger gebildet hatte und die Bundesrepublik ihre erste kleinere Wirtschaftskrise erlebte, schrieb Korn an Boveri über den ihr gut bekannten Welter: Welter ist so hoffnungslos gegen die Regierung Kiesinger und treuester Anhänger des Genies Erhard. Unsere Debatten sind deshalb so unerträglich steril, weil Welter, mächtiger denn je, wenn auch gesundheitlich nicht mehr so straff, stur und brutal den liberalen Wirtschaftskurs zu halten befiehlt. Die haben tatsächlich nicht begriffen, dass die freie Markwirtschaft uns in die Krise gebracht hat. Wenn Sie mich fragen, ob ich die wirklich für so dumm halte, dann muss ich

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Korn, Karl: Technik heißt unser Schicksal. Ein Sammelband mit zwanzig „Stellungnahmen zur geschichtlichen Situation“ (= Rezension zu Hans Freyer / Johannes Papalekas / Georg Weippert: „Technik im technischen Zeitalter. Stellungnahmen zur geschichtlichen Situation“. Düsseldorf 1965), in: FAZ vom 13.11.1965, BuZ, S. 5. Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 25.11.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.1.1966, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 7.

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sagen: Ja, ja, ja. Denn die Eitelkeit nicht zugeben zu wollen, dass man sich geirrt hat, ist ja auch Dummheit und nicht einmal die entschuldbarste.69

Was für den einen Engstirnigkeit und Starrsinn waren, war für den anderen mangelndes Durchsetzungsvermögen. In Welters Augen fehlte Korn jegliche Führungsqualität. Er fürchtete sogar, Korns antiautoritäres Auftreten, diese „Abart von ‚Laisser faire‘“70, könne langfristig die Stellung der Herausgeber unterminieren. Daher ließ er es sich nicht nehmen, den 1967 zum Koordinator der Redaktionskonferenzen ernannten Korn im Vorfeld auf Tabu-Themen hinzuweisen oder in Sitzungen einzugreifen, was selbst bei Eick auf Kritik stieß.71 Dabei war Korn durchaus bemüht, sein Ressort einigermaßen auf Kurs zu halten. Als der ehemalige Ressortchef Hans Schwab-Felisch ihm 1965 eine Glosse übermittelte, in der er sich darüber mokierte, dass Ludwig Erhard den Besuch der englischen Königin Elisabeth II. in Deutschland im Stern ausbreiten lassen habe, um CDU-Wahlwerbung zu machen, wies Korn sie zurück. „[E]ine so gravierende politische Äusserung, die über die Frage des politischen Geschmacks und meinetwegen Stils hinausgeht, kann man sinnvoll nicht ohne Information des politischen Ressorts einfach ins Blatt bugsieren“72, lautete seine Absage. 1969 appellierte er an die ständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Feuilletons, in ihren Glossen nicht nur Missstände zu behandeln, sondern auch das Aperçu zu pflegen.73 Freilich war das Zeitungsgeschehen in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nicht nur von Unstimmigkeiten beherrscht. Auf Konflikte folgten Momente und Phasen des Einvernehmens. Immer offensichtlicher wurde aber, dass kaum noch ein echter Konsens zu erzielen war. Auch in der Hellerhofstraße zeichnete sich eine stärkere Polarisierung ab, die es erschwerte, eine gemeinsame Sprache zu finden.74 Das Zeitungsband, das sich bis dahin als recht stabil erwiesen hatte, bekam im Laufe der 1960er Jahre kleine Risse. Das war nicht zuletzt auf den charakteristischen Binnenpluralismus 69 70 71 72 73 74

Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3. Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 12.11.1969, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 28.11.1967, in: ebd., Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1966–30.11.1967. Brief von Karl Korn an Hans Schwab-Felisch vom 25.5.1965, in: RLA Düsseldorf, NL Hans Schwab-Felisch. Vgl. den Brief von Karl Korn an die ständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 23.1.1969, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/335. Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 8.11.1966, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter  1.9.1966–30.11.1967; Brief von Alfred Rapp an Erich Welter vom 28.9.1966, in: ebd.

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zurückzuführen: Die mit ihm verbundenen „Ressort-Egoismen“75 hemmten die Entwicklung einer gemeinsamen Kommunikationskultur und bereiteten den Nährboden dafür, dass die „68er“-Revolte auch in Frankfurt erhebliche Zugkraft entfalten konnte. 6.1

Stimmen zur Revolte

Ostern 1968. Einen Tag nach dem Attentat auf den Führer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) Rudi Dutschke formierte sich rund 500 Kilometer südwestlich von Berlin Protest. Unweit der Hellerhofstraße versammelten sich mehrere tausend Demonstrierende vor der Frankfurter Societäts-Druckerei, um die Auslieferung der Bild-Zeitung zu vereiteln.76 Der Protest richtete sich zum wiederholten Male gegen den Springer-Verlag. Den Kern der Anklage bildete diesmal aber nicht allein die Kritik am Springerschen Meinungsmonopol, sondern weit mehr: Dem Hamburger Medienimperium wurde eine Mitschuld an den Ereignissen am Berliner Kurfürstendamm zugesprochen. Die Springer-Presse habe, so der Vorwurf der Protestierenden, durch ihre Hetzkampagnen gegen die außerparlamentarische Opposition (APO) das Fundament für eine neue Eskalationsstufe staatlich-polizeilicher Gewalt bereitet.77 In der Mainzer Landstraße und an vielen anderen Orten der Bundesrepublik herrschte an diesem Wochenende große Unruhe. Zwischen Karfreitag und Ostermontag lieferten sich Polizei und Protestgemeinde mehrere gewaltsame Auseinandersetzungen. Es war nicht das erste Mal, dass Frankfurt als Protesthochburg in Erscheinung trat. Neben Berlin bildete die Stadt ein Epizentrum der „68er“-Bewegung. Seit Mitte der 1960er Jahre hatte es dort Aufmärsche, Kundgebungen, „Go-ins“, „Sit-ins“ und „Teach-ins“ gegeben, um gegen die atomare Aufrüstung und den Vietnamkrieg, alte Hochschulstrukturen, Pressekonzentration und die Notstandsgesetze zu opponieren. In der Mainmetropole schien sich „1968“ räumlich zu verdichten: Die am Institut für Sozialforschung unter Beteiligung von Horkheimer und Adorno begründete Kritische Theorie diente Teilen der „68er“-Bewegung als philosophisches Fundament. Das Theater am Turm (TaT) war ein Zentrum des kulturellen Aufbruchs, der Avantgarde. Suhrkamp druckte 75 76 77

Protokoll über die Herausgebersitzung vom 16.6.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963–12/1965. Neben der FAZ, der Frankfurter Neuen Presse und der Abendpost/Nachtausgabe wurde in der Societäts-Druckerei auch die Frankfurter Ausgabe der Bild-Zeitung gedruckt. Zur Genese der Kritik an Springer vgl. Staadt, Jochen / Voigt, Tobias / Wolle, Stefan: Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner. Göttingen 2009.

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progressive Literatur (edition suhrkamp) und wurde auf dem Höhepunkt der Proteste selbst zum Objekt einer Palastrevolution. Auch die Delegiertenversammlung des SDS tagte mehrmals in der Stadt, die zugleich Sitz des SDSBundesvorstandes war (hier spielte sich 1968 auch der berühmt gewordene „Tomatenwurf“ ab, der als Initialzündung der Neuen Frauenbewegung gilt).78 Die FAZ, die an Ostern 1968 mit zwei verhinderten Ausgaben und einem kleinen Sachschaden davonkam,79 befand sich also gleich im doppelten Sinne mitten im Geschehen. Zum einen rückte sie durch ihren Standort in unmittelbare Nähe zum Protestgeschehen und hatte aufgrund ihres Korrespondentennetzes einen direkten Draht zu den Entwicklungen in Berlin, London, Paris und den USA. Die globale Dimension der Revolte trat in ihr augenscheinlich hervor. Zum anderen war sie von den Rückwirkungen der Ereignisse unmittelbar betroffen. „1968“, diese „ungeheuer aufregende[n] Hochzeit des politischintellektuellen Frankfurts“80, berührte die FAZ in ihrem inneren Gefüge. Die Chiffre „1968“ beschreibt eine von unterschiedlichen sozialen Gruppen, Organisationen und Verbänden (SDS, Studierende, Schülerschaft, Neue Linke, Gewerkschaften) getragene außerparlamentarische Revolte, mit der unterschiedliche Ziele verbunden waren (Selbstverwaltung, Liberalisierung der Lebensstile, Umsturz der kapitalistischen Ordnung, Aufarbeitung des NS u. a.).81 Mit Blick auf die Bundesrepublik gilt „1968“ als Sammelbegriff für eine vorwiegend jugendlich-studentische, antiautoritäre Protestbewegung, die zwischen 1967 und 1969 ihren Höhepunkt erreichte. Auf diesem Gipfel des Protests kulminierten einige Transformationsprozesse der „langen“ 1960er Jahre: Die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile, die sich seit den späten 1950er Jahren andeutete, erhielt durch die Politisierung auf den Straßen

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Vgl. Kittel, Manfred: Marsch durch die Institutionen? Politik und Kultur in Frankfurt nach 1968 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 86). München 2011, hier v. a. S. 3–6. Nachdem die Studentin und Vertreterin des Aktionsrates zur Befreiung der Frau Helke Sanders in ihrer Rede auf der Delegiertenversammlung des SDS im September 1968 dazu aufgerufen hatte, die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in der APO auf die politische Agenda zu setzen, dieser Impuls aber von den überwiegend männlichen Anwesenden ignoriert worden war, warf die Studentin Sigrid Rüger mit Tomaten und traf dabei Hans-Jürgen Krahl. Vgl. die Notiz „Ergebnis der Oster-Demonstrationen für die FAZ“ vom 9.12.1969, in: FAZ-Archiv, 1968. Karl Heinz Bohrer im Interview mit Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. Zu ihrem globalen Charakter vgl. Frei, Norbert: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München 2008.

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ebenso neue Impulse wie das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft.82 Die Zeitgeschichte hat sich dieser Ära seit dem 40-jährigen Jubiläum 2008 intensiv angenommen.83 Auch die Beziehungen zwischen der Protestbewegung, den Massenmedien und dem Kulturbetrieb haben durch die sozial- und kulturgeschichtliche Erweiterung des Forschungsfeldes Beachtung erfahren.84 Die Einflüsse der „Ideen von 1968“ auf den Journalismus wurden einträglich ausgelotet,85 sodass „1968“ als Medienereignis und Verstärker eines „Wandel[s] der westdeutschen Massenmedien“86 mittlerweile als gut erforscht gelten kann. Woran es allerdings weiterhin mangelt, sind quellengesättigte Studien, die das Verhältnis zwischen der Protestbewegung und einzelnen Leitmedien in den Blick nehmen. Dies erscheint umso wichtiger, als dass recht undifferenzierte Pauschalurteile über diese Beziehung kursieren. So ordnet der Politologe und Zeitzeuge Wolfgang Kraushaar die FAZ neben der Bild-Zeitung, der Berliner Zeitung, der Welt, dem Münchner Merkur und Christ und Welt in die den Protest missbilligende „Gruppe der Angreifer“87 ein. Kraushaar folgt damit einem Wahrnehmungsmuster des linksintellektuellen Milieus, für das die FAZ in den

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Vgl. Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß (2002), S. 12; Hodenberg, Christina von / Siegfried, Detlef: Reform und Revolte. 1968 und die langen sechziger Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik, in: dies. (Hg.): Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik. Göttingen 2006, S. 7–14, hier S. 12; Siegfried, Detlef: „1968“ – eine Kulturrevolution?, in: Sozial.Geschichte Online 2 (2010), S. 12–36, hier S. 15. Für einen Überblick über die neueren Forschungstrends und -ergebnisse vgl. den Bericht von Gassert, Philipp: Das kurze „1968“ zwischen Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur: Neuere Forschungen zur Protestgeschichte der 1960er-Jahre, in: H-Soz-Kult, 30.4.2010. Online unter: https://www.hsozkult.de/literaturereview/id/ forschungsberichte-1131 (19.1.2021); Zu den Historisierungsetappen in der Geschichtswissenschaft vgl. Gilcher-Holtey, Ingrid: „1968“ – Eine versäumte Kontroverse?, in: Sabrow, Martin / Jessen, Ralph / Große Kracht, Klaus (Hg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945. München 2003, S. 58–73. Vgl. Kellerhoff, Sven Felix: 1968 und die Medien, in: Vogel, Bernhard / Kutsch, Matthias (Hg.): 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift. Freiburg i. B. 2008. S. 86–110; Kraus: Theater-Proteste (2007); Kraushaar, Wolfgang: 1968 und die Massenmedien, in: AfS  41 (2001), S.  317–347. Zur Kulturgeschichte der Revolte vgl. die jüngere Synthese von Siegfried, Detlef: 1968. Protest, Revolte, Gegenkultur. Stuttgart 2018. Vgl. Hodenberg, Christina von: Der Kampf um die Redaktionen. „1968“ und der Wandel der westdeutschen Massenmedien, in: dies.  / Siegfried, Detlef (Hg.): Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik. Göttingen 2006, S. 139–163, hier S. 144; dies.: Konsens und Krise (2006), S. 361–439. Ebd., S. 157. Kraushaar: 1968 und die Massenmedien (2001), S. 331.

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1960er Jahren zum „Inbegriff des politisch Bösen“88 wurde, und zeigt damit abermals, wie stark die Zeitung über ihren Politikjournalismus definiert wird. Andere Stimmen behaupten, die FAZ habe sich überhaupt nicht entschieden positioniert.89 Die „68er“-Bewegung, ihre Genese und Entwicklung, ihre Forderungen und Effekte wurden von der FAZ aufmerksam begleitet. Neben dem Politikteil war es vor allem das Feuilleton, das über die Ereignisse auf den Straßen, in den Hörsälen und Theatern berichtete, die Lage der Universitäten und das Verhalten des SDS kommentierte, das Protestvokabular sezierte und die ersten Versuche einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ereignissen einzuordnen begann.90 Schon bald zeigte sich, wie schwer es werden würde, in der Bewertung der Revolte einen redaktionsübergreifenden Konsens zu finden. Welters Wunsch, „zu einer klaren Vorstellung zu kommen über das, was man wolle, und diese Vorstellung auch gegenüber anderen und schwankenden Meinungen kräftig zu vertreten“91, erwies sich als kaum umsetzbar. Nur in einem Punkt war man sich in weiten Teilen der FAZ einig: in der Ablehnung des von der marxistischen Ideologie inspirierten Gedankenguts des SDS und dessen Hoffnung auf einen revolutionären Umsturz.92 Vor einer Radikalisierung der „68er“-Bewegung im Sinne des SDS galt es die Öffentlichkeit durch systematische, aufklärerische Berichterstattung zu warnen. Vor allem Welter sah die FAZ als Orientierungsmedium in verantwortlicher Position.93 Doch obwohl die Mehrheit der FAZ keine Sympathien für den SDS hegte, wurde sein Bedrohungspotential unterschiedlich eingeschätzt.94 88 89 90

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Bohrer: Jetzt (2017), S. 17. Vgl. dazu auch Rahms: Die Clique (1999), S. 182. Vgl. Burkhardt: Hinter den Artikeln (2009), S. 9. Vgl. beispielhaft Bohrer, Karl Heinz: Die linke Minderheit. Theorie und Praxis der Rebellen von Berlin, in: FAZ vom 23.6.1967, S. 32; Bökenkamp, Werner: Aus dem Wörterbuch der studentischen Revolution, in: FAZ vom 6.7.1968, BuZ, S. 2; Kalow, Gert: Rasche Reaktionen. Bücher zur Studentenrevolte – Eine kurze Übersicht (= Sammelrezension zu Jean-Jaques Servan-Schreiber: „Frankreich steht auf“. Hamburg 1968 u. a.), in: FAZ vom 25.3.1969, S. 15L. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 25.10.1967, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. Sehr ähnlich auch die Einschätzung der NZZ, vgl. Maissen: Die Geschichte der NZZ (2005), S. 185–189. Vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 12.11.1969, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Professor Welter  1.12.1967–31.10.1970 sowie Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 187, 203. Das galt auch für die Soziologie, in deren Reihen Welter „geistige Ziehväter des SDS“ ausmachte. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 17.4.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966– 12/1968. Der Wirtschaftskorrespondent in Brüssel, Hans Herbert Götz, begründete die Lektüre der Texte von Herbert Marcuse mit den Worten: „Seit Adolf HITLER lese ich die Bücher derjenigen, von denen ich glaube, sie stiften Unheil.“ Brief von Hans

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Einige Redaktionsmitglieder fürchteten, dass sich die radikale Vorhut der Opposition, die „Terroristen“95 und „Attentäter“96, durchsetzen würden und fühlten sich in die frühen 1930er Jahre zurückversetzt. Für Welter waren „diese revolutionären Gruppen“ sogar „gefährlicher als die Nazis in der Zeit vor der Machtübernahme.“97 Die Diskussionen erinnerten ihn an Konferenzen in der FZ: „Auch damals sei gesagt worden, man solle doch die Minderheiten sich ruhig austoben lassen. Das werde sich schon totlaufen.“98 Bei Welter diente die NS-Vergangenheit als Mahnmal, ihre Wiederholbarkeit als Argument für einen rigorosen Umgang mit den Feinden der Demokratie. Auch der FAZWirtschaftsredakteur Ernst Günter Vetter stellte 1968 fest, „[d]ie Terminologie der radikalen Gruppen erinnere ihn fatal an gewisse Dinge vor 1945, von denen er angenommen hatte, sie würden sich nie wiederholen.“99 Im Feuilleton sah man den Ereignissen insgesamt deutlich gelassener entgegen. Die feuilletonistische Kritik richtete sich in erster Linie auf die mangelnde Kohärenz und Praktikabilität der Protestforderungen. Den Vorstellungen der prominenten „68er“ wurde keine rosige Zukunft bescheinigt: „Es gibt keine Chance für eine revolutionäre Praxis in Westdeutschland. Ihre Vorgefechte sind wie eine arabische Fantasia. Sie stellen etwas vor, das es in Wirklichkeit nicht gibt. Was es gibt, ist nur die Theorie“100, schrieb Bohrer im November  1967 nach Gesprächen mit Rudi Dutschke und Wolfgang Lefèvre über den Realitätssinn des SDS und dessen unausgereifte politische Zielsetzung im Feuilleton.101 Andere warfen dem Studentenbund Einseitigkeit und ideologische Erstarrtheit vor. In einem kulturhistorischen Essay über die Straße als Medium bemerkte Hildebrandt 1968, „ein Sprechchor des SDS“ sei ähnlich „differenziert wie eine Schlagzeile in der BILD-Zeitung“102. Statt Herbert Götz an Erich Welter vom 26.6.1968, in: ebd., Eick Korrespondenz Professor Welter 1.12.1967–31.10.1970. 95 Brief von Erich Welter an Nikolas Benckiser, Bruno Dechamps, Jürgen Tern und Heinz Stadlmann vom 15.4.1968, in: FAZ-Archiv, 1968. 96 Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 29.4.1968, in: ebd., Persönliche Ablage Welter 1/1961–12/1968. 97 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 27.9.1967, in: ebd., H 1966–12/1968. 98 Protokoll der Dienstagskonferenz vom 27.2.1968, in: ebd., Redaktionskonferenz 1968–1969. 99 Protokoll der Dienstagskonferenz vom 2.1.1968, in: ebd. 100 Bohrer, Karl Heinz: Aufklärung mit Gewalt? Rebellen-Theorie ohne Praxis, in: FAZ vom 3.11.1967, S. 38. 101 Vgl. auch wenige Wochen zuvor Bohrer, Karl Heinz: Die Rebellion dauert an. Berliner Studentenführer und Publizisten im Gespräch  – Die drei elementaren Fragen, in: FAZ vom 17.10.1967, S. 28. 102 Hildebrandt, Dieter: Die Straße als Massenmedium. Notizen zu einer Formel von Peter Weiss, in: FAZ vom 22.2.1968, S. 18.

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aber eine dezidiert ablehnende Haltung gegenüber den Ereignissen einzunehmen, übte sich das Ressort im Beobachten und Erklären. Es präsentierte sich der Öffentlichkeit nicht als Einheit – dazu fielen die Stimmen zu unterschiedlich aus –, verfolgte aber eine andere Herangehensweise als die anderen Ressorts. Während der Politik- und der Wirtschaftsteil staatliche Autorität, Recht und Ordnung anführten, sich als Stimme der Vernunft betrachteten,103 argumentierte das Feuilleton oft „von unten“. Die politische Bewusstseinsbildung wurde begrüßt.104 Man distanzierte sich zwar von der Ideenwelt des SDS, brachte für die Proteste aber prinzipiell Verständnis auf. Die meisten Beteiligten gingen demnach nicht grundlos auf die Straße und würden von der Polizei oft unangemessen hart behandelt.105 Das erklärte Ziel war nun, „die große Gruppe der Gemäßigten aus dem Sog dieser Anarchisten-Bewegung herauszubekommen“106. Grundlage dieser Einschätzung waren neben den Diskussionen im engeren Redaktionskreis auch die eigenen Erfahrungen: Einzelne Redakteurinnen und Redakteure hatten sich unter die Menge gemischt und „vom Kollektivrausch anstecken“107 lassen. Auch Korn, der sich zu den Protesten sonst relativ bedeckt hielt, zeigte durchaus Empathie. „1968“ war für ihn in erster Linie ein Generationenkonflikt. Es sei „die vaterlose Gesellschaft, die eine intellektuelle Jugend zu Rebellen macht“, schrieb er 1968 in Anlehnung an Alexander Mitscherlichs 1963 erschienene sozialpsychologische Studie „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ in einer Glosse im Feuilleton. Die Unsichtbarkeit der biologischen Väter mache neue intellektuelle Vorbilder und eine intergenerationelle Verständigung erforderlich. Dass Korn im Unterschied zu einigen seiner Kollegen nicht von Terroristen, sondern von „Radauhelden“108 sprach, veranlasste Welter ein Jahr später zu dem Befund, dass „jetzt auch Korn die Sprache des SDS“109 spreche. Während Korn sich im Blatt mit klaren Statements zurückhielt, ließen andere deutliche Sympathien für die „68er“-Bewegung – oder

103 Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 25.2.1969, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 104 Vgl. das Protokoll der Tageskonferenz vom 8.7.1971, in: ebd., Redaktionskonferenzen  1.1.1970–31.12.1971. 105 Vgl. die Protokolle der Dienstagskonferenzen vom 9.4.1968 und 23.4.1968, in: ebd., Redaktionskonferenz 1968–1969. 106 Protokoll der Dienstagskonferenz vom 14.1.1969, in: ebd. 107 Rahms: Die Clique (1999), S. 185. Vgl. dazu auch Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 293. 108 K.K. (= Karl Korn): Väter, in: FAZ vom 16.2.1968, S. 28. 109 Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 20.2.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/450.

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für Teile von ihr –110 durchklingen. So kritisierte Gert Kalow, Redakteur beim Hessischen Rundfunk, im März 1969 den Hochmut, mit dem man in Publizistik und Wissenschaft auf die Jugendlichen blicke: von oben nach unten, von alt auf jung. Im Literaturblatt empfahl er die Lektüre des „erfreulich offen und völlig ressentimentfrei“111 für Hochschulreformen eintretenden Stuttgarter Hochschuldirektors Fritz Leonhardt. Auf besondere Weise gaben sich Kritik und Sympathie bei Bohrer die Hand. Der wahlweise als „Enfant terrible“112 oder als „Feuerkopf“113 charakterisierte Bohrer übernahm im April  1968 die Leitung des Literaturblattes, nachdem Michaelis nach Berlin gewechselt war, um selbst mehr schreiben zu können.114 Bohrer war von Enzensberger, Günter Grass und Peter Weiss ebenso begeistert wie von Robert Musil und Walter Benjamin, dem US-amerikanischen Schriftsteller William Faulkner und den französischen Existentialisten. In der FAZ und über sie hinaus avancierte der promovierte Germanist zum Experten für den literarischen Surrealismus, vor allem für den Dichter und Schriftsteller André Breton.115 Wie schon Michaelis, verabschiedete sich auch Bohrer von der „schöngeistig orientierten klassischen Literaturkritik“116, die das Literaturressort unter Sieburg noch geprägt hatte. Bohrer richtete seine Literaturkritik aber auch nicht zeittypisch sozialhistorisch oder ideologiekritisch aus, sondern erhob „das Irrationale, die Erscheinung, die Phantasie, die Plötzlichkeit, das Außeralltägliche“117 zu den zentralen Kategorien, machte Sprache, Semantik, Form und Ästhetik

110 Helene Rahms, verantwortlich für die Frauenseite, kommentierte 1968 sarkastisch die männliche Kritik an den Protesten: „Wo immer Studentinnen in einem Trupp aufgeregter Studenten mitmarschieren, mitdemonstrieren, kommt diesem oder jenem deutschen Manne sein Schiller hoch. ‚Da werden Weiber zu Hyänen‘, – wenn er sonst nichts Klassisches kennt, das kennt er.“ H.R. (= Helene Rahms): „Entfesselt“, in: FAZ vom 27.4.1968, BuZ, S. 6. 111 Kalow, Gert: Rasche Reaktionen. Bücher zur Studentenrevolte – Eine kurze Übersicht (= Sammelrezension zu Jean-Jaques Servan-Schreiber: „Frankreich steht auf“. Hamburg 1968 u. a.), in: FAZ vom 25.3.1969, S. 15L. 112 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 25.3.1968, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 113 Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 312. 114 Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Walter Boehlich vom 10.4.1968, in: DLA Marbach, SUA:Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. 115 Vgl. Bohrer, Karl Heinz: Ästhetik und Politik. Eine Erinnerung an drei Jahrzehnte des Merkur, in: Merkur  65 (2011), H.  751, S.  1091–1103, hier S.  1103; Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. 116 Bohrer: Jetzt (2017), S. 20. 117 Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 218.

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zu diagnostischen Instrumenten.118 Literaturkritik und soziales oder gesellschaftspolitisches Engagement pflegte er zu trennen. Mit dieser Absage an die Funktionalisierung von Kunst und Kultur stand er in FAZ-Tradition, unterschied sich aber von der Auffassung vieler „68er“.119 Bohrer also wurde 1967 damit beauftragt, mehr über die Proteste in der ehemaligen Hauptstadt in Erfahrung zu bringen. Die Mehrheit der Aufständischen, berichtete er im Juni aus dem westlichen Teil Berlins, mache Gebrauch von ihrem Recht, zu protestieren. Nicht zu unterschätzen seien indes die „eigentlichen Linken“ mit ihrer „taktischen Versiertheit und durchweg hohen Intelligenz“, die planten, „bis zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt die demokratischen Spielregeln zu unterlaufen“120. Bohrer hegte zwar einige Bewunderung für die Rädelsführer und ihr „Versprechen eines Umsturzes“121, erteilte dieser „linke[n] Minderheit“122, wie der Titel seines Berichts vom 23. Juni 1967 lautete, realpolitisch aber eine klare Absage. Eine Solidarisierung der Protestglieder, die Verschmelzung von radikaler Spitze und breiter Masse, galt es zu verhindern. Mit der marxistischen Weltsicht und ihren zeitgenössischen Adaptionen konnte sich Bohrer nicht identifizieren.123 Die Aufbruchsstimmung faszinierte ihn, die politische Vision behagte ihm nicht. Das galt auch für die „Sprache in Fertigteilen“, die Pauschalurteile und das Kalkül des SDS, der „spektakuläre Zwischenfälle“124 geradezu herbeisehne, wie es in einem der Beiträge über „Die Grenze des Protests“ vom 4. Juni 1968 heißt. Für den SDS, so Bohrer 1967, sei Politik immer despotisch.125 Um die weltanschauliche Durchdringung der „68er“-Bewegung mit den radikalen Ideen des SDS zu verhindern, forderte er einen Wandel des öffentlichen Umgangs mit den oft kriminalisierten Protestierenden. Statt sie zu stigmatisieren, sollten

118 Vgl. Bohrer: Ästhetik und Politik (2011), S. 1091. 119 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 219–220. 120 Bohrer, Karl Heinz: Die linke Minderheit. Theorie und Praxis der Rebellen von Berlin, in: FAZ vom 23.6.1967, S. 32. 121 Bohrer: Jetzt (2017), S. 13. 122 Bohrer, Karl Heinz: Die linke Minderheit. Theorie und Praxis der Rebellen von Berlin, in: FAZ vom 23.6.1967, S. 32. Im linksintellektuellen Milieu stieß der Text nach eigenen Angaben auf große Zustimmung, vgl. ders.: Jetzt (2017), S. 14; Brief von Peter Szondi an Karl Heinz Bohrer vom 10.7.1967, in: DLA Marbach, A:Szondi, Peter, 88.9.120/4. 123 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 206. 124 Bohrer, Karl Heinz: Die Grenze des Protests. Jürgen Habermas diskutiert mit dem SDS in Frankfurt, in: FAZ vom 4.6.1968, S. 20. 125 Vgl. Bohrer, Karl Heinz: Aufklärung mit Gewalt? Rebellen-Theorie ohne Praxis, in: FAZ vom 3.11.1967, S. 38.

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ihre Forderungen ernst genommen werden.126 Das also war Feuilletonlinie: Kritische Nähe zu den gemäßigten und reformorientieren, klare Distanz zu den radikalen Kräften, die das demokratisch-rechtsstaatliche Fundament der jungen Bundesrepublik zu sprengen drohten, gepaart mit einer immer wieder durchscheinenden Lust am Versprechen des Aufbruchs. Anders als die Politik- und die Wirtschaftsredaktion, deren Mitglieder mehrheitlich eine mal verhaltenere, mal offensivere Skepsis gegenüber der APO verband, nahm das Feuilleton also eine vermittelnde Position ein.127 Diese Haltung korrespondierte mit einem analytischen Zugang, der sich bisweilen mit subtilen Sympathiebekundungen mischte, jedoch stets, wie in der FAZ üblich, bei „Totalitarismus, Gewalt und Radikalität“128 Halt machte. Der allgemeine Reformbedarf wurde ebenso wenig in Frage gestellt wie die Notwendigkeit, ihn zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses zu machen. Wer Diskussionen wünsche, so der 1967 als Feuilletonkorrespondent für Nordrhein-Westfalen zur Zeitung zurückgekehrte Schwab-Felisch im Juni 1968, dürfe „den Protest, die Revolte – oder exakter: den Basiskonflikt“129 nicht verurteilen. Aufruhr an den Universitäten Neben der Notstandsgesetzgebung, dem Vietnamkrieg und der antiquierten elterlichen Sexualmoral richteten sich die Proteste auch auf die Bildungspolitik. Die seit den späten 1950er Jahren geführte Hochschulreformdebatte, die angesichts der beschworenen Universitätskrise vielerorts in Umbaumaßnahmen und Umstrukturierungen gemündet hatte, rückte durch „1968“ wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bildung galt als Schlüssel der gesellschaftlichen Modernisierung, Reformpläne und Gesetzesentwürfe waren daher umkämpft.130 Nun mischte auch die APO mit: Seit Mitte der 1960er Jahre entwickelten sich die Universitäten zum Gegenstand und zum Schauplatz der Revolte.131 Von dort aus wurde der Ruf nach einer umfassenden Demokratisierung des Bildungswesens laut. Die alten Organisations- und 126 Vgl. Bohrer, Karl Heinz: Die Rebellion dauert an. Berliner Studentenführer und Publizisten im Gespräch – Die drei elementaren Fragen, in: FAZ vom 17.10.1967, S. 28. 127 Der Anspruch, erklären zu wollen, Motive zu finden, äußerte sich etwa im redaktionellen Vorwort zu Guérin, Daniel: „Der Schrecken des Staates“. Aus dem Arsenal anarchistischer Motive, in: FAZ vom 8.11.1967, S. 28. 128 Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 207. 129 Schwab-Felisch, Hans: Student und Staat. Eine Diskussion in Düsseldorf, in: FAZ vom 21.6.1968, S. 32. 130 Vgl. Etzemüller, Thomas: 1968 – Ein Riss in der Geschichte? Gesellschaftlicher Umbruch und 68er-Bewegungen in Westdeutschland und Schweden. Konstanz 2005, S. 97–98. 131 Vgl. Rohstock, Anne: Nur ein Nebenschauplatz. Zur Bedeutung der „68er“Protestbewegung für die westdeutsche Hochschulpolitik, in: Wengst, Udo (Hg.): Reform

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Verwaltungsstrukturen wurden als Ausdruck der autoritären „Ordinarienherrschaft“ abgelehnt. Die weitreichenden Kompetenzen der Lehrstuhlinhaber in Fragen der akademischen Selbstverwaltung sollten eingeschränkt und studentische Mitbestimmung verfassungsrechtlich verankert werden. Auch die Orientierung der Wissenschaft an den Gesetzen der Marktwirtschaft galt es im Zuge einer groß angelegten Hochschulreform zu verhindern.132 In der FAZ wurden Hochschul- und Bildungsfragen vor allem im Politikteil und im Feuilleton behandelt. In der Berichterstattung äußerte sich diese Überschneidung in einem pluralistischen Diskurs. Einzelne Redakteurinnen und Redakteure ausgenommen, zeigte sich das Politikressort gegenüber den studentischen Reformvorschlägen mehrheitlich skeptisch,133 während ihnen das Feuilleton nüchtern oder wohlwollend begegnete. „Die jungen Leute hätten den Eindruck“, erklärte der Theaterkritiker Günther Rühle im Mai 1968 vor der versammelten Redaktion zum Hintergrund der Universitätsrevolte, „man wolle sie für eine Gesellschaft ‚fit‘ machen, die ihnen im Grunde zuwider sei“. Die Studierenden seien von der Sorge um Fremdbestimmung getrieben, auf die durch Chancengleichheit und einen stärkeren Aktualitätsbezug in der Lehre reagiert werden müsse.134 Die Notwendigkeit zur Erneuerung des Bildungssystems stand nicht zur Diskussion. Das bot 1968, und Revolte. Politischer und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik vor und nach 1968 (= Zeitgeschichte im Gespräch, Bd. 12). München 2011, S. 45–59, hier S. 53. 132 Zum Themenkomplex Hochschulreform und -revolte vgl. Rohstock, Anne: Von der „Ordinarienuniversität“ zur „Revolutionszentrale“? Hochschulreform und Hochschulrevolte in Bayern und Hessen 1957–1976. München 2010. 133 Vgl. exemplarisch die Beiträge von Gillessen, Günther: Maßarbeit vor Ort, in: FAZ vom 28.2.1969, S. 1 und Kuhn, Hans Wolfgang: Reform statt Anpassung. Über die Gründe der Studentenrevolte gegen die Universitätstradition, in: FAZ vom 2.3.1968, BuZ, S.  2. Die Politikredaktion trat in dieser Frage freilich nicht geschlossen auf. Auch in der neunten Etage wurden vereinzelt Stimmen laut, die eine Reform des Hochschulwesens befürworteten, oder gar wie Dechamps befanden: „Es sei doch langweilig, wenn alle Studenten nur studieren würden.“ Protokoll der Politischen Konferenz vom 20.6.1967, in: FAZ-Archiv, Akten der Redaktion, Protokolle der Politischen Konferenzen 1956 bis 1970. Dazu auch Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 211–213. 134 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 7.5.1968, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. Das Bild der Fremdbestimmung nutzte auch Gillessen, um sich ironisch von den Forderungen der Studierenden zu distanzieren. In seinem Referat über eine Podiumsdiskussion in der Universität Frankfurt schrieb er im November 1968: „Die meisten studieren noch immer, weil sie es selbst wollen, und nicht weil sie sich gezwungen sehen, Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Aber wer weiß, so fragt sich mancher, nachdem ihn der Argwohn erfaßt hat, ob er überhaupt Herr seiner Wünsche ist, ob sie ihm nicht von der stillen Gewalt der Institutionen eingeflößt worden sind, ohne daß er es bemerkte? In der Verfremdung ist nichts mehr vertrauenswürdig.“ Gillessen, Günther: Bitte noch ein Ei. Diskussion in neuem Stil, in: FAZ vom 23.11.1968, BuZ, S. 3.

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auf dem Höhepunkt der Proteste, einigen Konfliktstoff. Im Juli erschien im Feuilleton ein Artikel des Frankreichkorrespondenten Werner Bökenkamp, der sich mit den französischen Plänen zur Föderalisierung der Hochschulen beschäftigte. Darin bescheinigte Bökenkamp der Universitätsrevolte erste Erfolge („Das Bewußtsein, daß Reformen unumgänglich sind, ist selbst in konservative Igelstellungen eingedrungen“) und wägte die Vor- und Nachteile einer Dezentralisierung in einer deutsch-französischen Gegenüberstellung ab. In Frankreich seien bislang alle relevanten Entscheidungen in Paris getroffen worden, wohingegen in Deutschland „der Ordinarius eifersüchtig über seinen Amtsbereich wachte und darin schaltete, das heißt, auf seine eigenen pädagogischen Methoden pochte und die Laufbahn seiner Assistenten, seiner Doktoranden selbstherrlich […] lenkte.“135 Umgehend erhielt er Post. Verärgert beschwerte sich Welter: „Es ist zwar große Mode in Deutschland, auf den Ordinarien herumzuhacken, zu denen man noch vor ein paar Jahren viel zu ehrfürchtig aufgesehen hat. Mich […] berührt diese neueste Verfemungsseuche peinlich“136. Welter nahm auch Anstoß an Bökenkamps Darstellung der Polizei. Ihm sei bislang nicht bekannt gewesen, brüskierte er sich in dem Brief vom 19. Juli 1968 sarkastisch, „dass alle brutal sind“137. Weil das polizeiliche Vorgehen im kritisierten Text keine Wertung erfahren hatte,138 wehrte sich Bökenkamp zwar gegen diesen Vorwurf, wies aber zugleich auf Übergriffe hin, die das, „was im Rahmen der polizeilichen Aufgabe, die Ordnung wiederherzustellen, als gerechtfertigt erscheinen könnte“139, tatsächlich überschritten hätten. Die Debatte kam nicht zum ersten Mal auf den Tisch. Schon 1967 hatte der Politikredakteur Maetzke bemängelt, dass in Teilen der FAZ aus Ordnungshütern Faschisten würden.140 Auch Welter hatte nach einer Glosse der Feuilletonredakteurin Helene Rahms im Jahr darauf festgestellt, dass es in diesem Ressort offenbar üblich sei, „sich zunächst einmal himmelweit von der Polizei zu distanzieren“141. Diese Beschwerden veranlassten Korn 1968 zu 135 Bökenkamp, Werner: Was folgt auf den Pariser Mai? Die Lage der Universitäten: Pläne, Versprechungen und ein großes Vakuum, in: FAZ vom 12.7.1968, S. 32. 136 Brief von Erich Welter an Werner Bökenkamp vom 19.7.1968, in: BArch Koblenz, N 1314/510. 137 Ebd. 138 In einem kurz zuvor erschienenen Bericht über die Schließung der Universität Paris dagegen hatte Bökenkamp die Polizei für die Unruhen mitverantwortlich gemacht. Vgl. bkp. (= Werner Bökenkamp): Sorbonne geschlossen, in: FAZ vom 6.5.1968, S. 2. 139 Brief von Werner Bökenkamp an Erich Welter vom 20.8.1968, in: BArch Koblenz, N 1314/510. 140 Vgl. das Protokoll der Politischen Konferenz vom 20.6.1967, in: FAZ-Archiv, Akten der Redaktion, Protokolle der Politischen Konferenzen 1956 bis 1970. 141 Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 29.4.1968, in: ebd., Persönliche Ablage Welter 1/1961–12/1968. Die Kritik betraf die Glosse H.R. (= Helene Rahms): „Entfesselt“, in: FAZ vom 27.4.1968, BuZ, S. 6.

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der Feststellung: „Wehe dem, der nicht immer für die Polizei und gegen die Mitbestimmung ist!“142 Auch Korn wurde starker Sympathien für den Aufruhr verdächtigt. Fragen wie „Bedeutet der letzte Satz, daß Sie die politisch nicht aktiven Schüler als sozusagen nicht auf der Höhe der Zeit befindlich ansehen?“143 oder „Wo unterliegt die Jugend einem Zwang des Konformismus?“144 gingen nicht selten an seine Adresse. Welter war in Sorge: besorgt um die Zukunft des Landes und besorgt um die Zukunft der Zeitung, die er von außen und innen bedroht wähnte. Im Laufe des Jahres 1968 kam man in hochschulpolitischen Fragen daher vom bewährten Konzept ab. Um „in die Behandlung dieser Stoffe ein Element der Verläßlichkeit hineinzubringen“145, wurde der Bonner Politikkorrespondent Günther Gillessen zum 1. Oktober 1968 nach Frankfurt zurückberufen. In Gillessens Person sollte sich die Bearbeitung von Hochschulfragen von nun an bündeln. Seine Ernennung zum Referenten für „Hochschul- und Studentenpolitik“ bedeutete ein Bruch mit den Gepflogenheiten. Die FAZ pflegte zwar ein ausgeprägtes Spezialistentum, einzelne Themenfelder waren aber bislang nie zentral koordiniert worden. Dass ihm zudem gestattet wurde, „alles zu sehen, was über Hochschulpolitik künftig im Blatt erscheinen wird“, und im Ausnahmefall sogar „gegen die spezielle Meinung eines Herausgebers handeln zu können“146, war ein Novum. Obwohl die Herausgeber betonten, dass Gillessen keine Monopolstellung genieße,147 mündete die Argwohn suggerierende Rückholaktion in einer merklichen Abkühlung des Redaktionsklimas. Korn, der sich für die Entscheidung nicht mitverantwortlich fühlte,148 fand für seinen Ärger deutliche Worte. An Boveri schrieb er im Dezember: „Gillessen, den die Besten (Bohrer!) einfach verachten, ist aus Bonn als eine Art Kommissar für das Hochschulwesen nach Frankfurt geheißen worden. Es herrscht die Stickluft der Inquisition!“149 Korns scharfer Vergleich war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Aus der Sorge, dass Feuilleton könne sich zu weit von der Blattlinie entfernen, waren schon vor der Ankunft Gillessens 142 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 26.12.1968, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1. 143 Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 2.8.1968, in: BArch Koblenz, N 1314/450. 144 Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 20.2.1969, in: ebd. 145 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 10.7.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. 146 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 14.8.1968, in: ebd. 147 Vgl. das Protokoll der Redaktionskonferenz vom 19.9.1968, in: ebd., Redaktionskonferenz 1968–1969. 148 Ob Korn in der entscheidenden Herausgebersitzung konsultiert wurde, geht aus den Quellen nicht hervor. 149 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 26.12.1968, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 1.

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Einschränkungen diskutiert worden. Bohrer etwa sollte (hochschul-)politische Fragen aussparen, „bis er einigermaßen zur Linie der Zeitung gefunden habe“150. Gillessens hochschulpolitische Haltung schlug sich schon bald im Blatt nieder. Seine Beiträge standen nicht selten in starkem Kontrast zu dem, was noch wenige Monate zuvor im FAZ-Feuilleton erschienen war. Gillessen warnte vor einer marxistischen Unterwanderung der Universitäten, plädierte für ein neues Ordnungs- und Disziplinargesetz und wandte sich gegen die studentische Mitbestimmung, explizit auch gegen die Mehrbeteiligung in Hochschulgremien in Form einer Viertel- oder Drittelparität.151 In seinem Leitartikel „Die Universität als Tollhaus“ distanzierte er sich im April 1969 von den studentischen Forderungen: „Die Ungleichheit zwischen Lehrenden und Lernenden ist für jede Schule, auch die Hochschule, grundlegend, konstitutiv und durch keinen logischen Trick zu überspringen.“ Weiter schrieb er: „So ist denn die Forderung nach tatsächlicher Mitentscheidung studentischer Vertreter in Universitätsorganisationen nichts als Humbug.“152 Rühle dagegen hatte noch im Sommer des vorherigen Jahres mit kritischer Sympathie über den Transfer des antiautoritären studentischen Protestes auf die Schulen berichtet.153 Die Schulreform „von oben“ sei an der Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Schülerschaft gescheitert, war seinem Referat zum Kongress des „Aktionszentrums unabhängiger sozialistischer Schüler“ 1968 zu entnehmen: „Deswegen ist der Widerspruch von unten so ernst zu nehmen. Deswegen kann man den Antrieb der Schüler ‚die Lehrer mit Praxis‘ zu versorgen, nicht so beiseiterücken, wie es die Angst vor der Veränderung gern möchte.“ Rühle empfahl, die Forderungen der Schülerschaft in Kooperation mit den Lehrenden in umsetzbare Bahnen zu lenken. Noch immer seien die Schulen von der „Verproletarisierungsangst der Studienräte und längst widerlegte[r] Schemata bürgerlicher Bildungsbewertung“154 beherrscht. 150 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 15.7.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. 151 Vgl. Gillessen, Günther: Bitte noch ein Ei. Diskussion in neuem Stil, in: FAZ vom 23.11.1968, BuZ, S. 3; ders.: Die Universität als Tollhaus, in: FAZ vom 14.4.1969, S. 1; ders.: Die Unterwanderung einer Fakultät. Beobachtungen aus Instituten der Freien Universität Berlin, in: FAZ vom 15.12.1969, S. 2. 152 Gillessen, Günther: Die Universität als Tollhaus, in: FAZ vom 14.4.1969, S. 1. 153 Vgl. Rühle, Günther: Die Revolte der Schüler, in: FAZ vom 18.5.1968, BuZ, S. 1. Vgl. ausführlicher Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 211–213. Zur „68er“-Schülerbewegung vgl. auch Gass-Bolm, Torsten: Revolution im Klassenzimmer? Die Schülerbewegung 1967–1970 und der Wandel der deutschen Schule, in: Hodenberg, Christina von / Siegfried, Detlef (Hg.): Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik. Göttingen 2006, S. 113–138. 154 Rühle, Günther: Schüler von links. Kongreß in Frankfurt: Schwierigkeiten der Schülerrevolte, in: FAZ vom 6.6.1968, S. 22.

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Ein solcher Dissens beschränkte sich nicht auf die Berichterstattung. Nachdem Gillessens Artikel veröffentlicht worden war, zeigte sich die Feuilletonredaktion entsetzt. Gillessens radikale Absage an eine Demokratisierung der Universitäten war nicht zur Diskussion gestellt worden, obwohl sich die Hochschulreform auch hinter den Kulissen der Zeitung zu einem zentralen Thema entwickelt hatte.155 Der Musikredakteur Friedrich Hommel suchte daraufhin das Vier-Augen-Gespräch und bat Welter, das Thema umgehend auf die Agenda der Redaktionskonferenz zu setzen: Ich empfinde nach wie vor das Verfahren, das zur Veröffentlichung des Leitartikels geführt hat, gerade im Hinblick auf seinen Inhalt als so brüskierend und unkollegial, daß ich gerne wüßte, ob hier irgendeine Aussicht auf Annäherung der Standpunkte besteht. Ich frage das besonders im Hinblick darauf, daß ich mich nicht mehr moralisch berechtigt fühlen würde, meinen Musikmitarbeitern mit Strenge jene Verpflichtung zur loyalen und kollegialen Rücksichtnahme auf ernstzunehmende und zu tolerierende mitmenschliche Ansichten aufzuerlegen, die durch den Gillessen’schen Leitartikel mit höherer Billigung außer Kraft gesetzt zu sein scheint. Überlegungen dieser Art möchte ich zur unentbehrlichen Hygiene am Arbeitsplatz rechnen, ohne die mir das Zeitungsmachen nicht mehr wert schiene.156

In Hommels Augen brach die Veröffentlichung des Artikels mit den ungeschriebenen Standards des journalistischen Arbeitens, die er sich im Zuge seiner Einstellung im Jahr 1964 sogar noch vertraglich hatte zusichern lassen. Demnach waren die „Rechte des Ressortleiters […] durch das Gebot kollegialer Rücksichtnahme“157 beschränkt. Durch Gillessens Beitrag sah Hommel zudem das Gebot der Unabhängigkeit und die innere Pressefreiheit beeinträchtigt. Da Inhalt und Ton keinerlei Interpretationsspielraum zuließen, habe Gillessen mit Einverständnis der zuständigen Herausgeber die künftige Linie in hochschulpolitischen Fragen vorgegeben und dabei in Kauf genommen, dass die Meinungen anderer Kolleginnen und Kollegen verletzt würden: Ich gerate ja jetzt in die Lage, u.U. restriktive Eingriffe in die Berichte meiner Mitarbeiter vornehmen zu müssen in Fällen, wo ich deren Grundeinstellung selbst nur teilen kann. Von meinen Mitarbeitern [im Musikressort, Anm. d. Verf.] ist der Gillessen’sche Leitartikel ausnahmslos mit Befremden aufgenommen worden

155 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 7.5.1968, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. 156 Brief von Friedrich Ferdinand Hommel an Erich Welter vom 18.4.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. 157 Ebd.

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Kapitel 6 und über seinen, jeden einzelnen Rezensenten bindenden Charakter herrscht noch weitgehend Unklarheit.158

Die hitzige Diskussion in der Redaktionskonferenz am 22. April 1969, zu der auch einige aufgebrachte Korrespondenten angereist kamen,159 lief bald auf Substanzielles hinaus. Sie machte deutlich, dass Hommel und andere Kollegen aus der Feuilletonredaktion, die sich zu Wort meldeten, ein deutlich weiteres Demokratieverständnis hatten als einige Herren aus der Politik. Ihr Demokratiebegriff richtete sich nicht in erster Linie auf politische Institutionen, sondern schloss auch Lebensformen als Mikroebene der politischen Kultur mit ein (was die Politik, ohne dass dies am 22. April Thema gewesen wäre, zum Gegenstandsbereich des Feuilletons erhob). Schulen und Universitäten hatten demzufolge Modellcharakter.160 Für Gillessen hingegen, der noch 1970 vorsch­ lug, das Literaturblatt möge die Politikredaktion konsultieren, falls ein Beitrag ihr Terrain berühre,161 zählte es nicht zum Leistungsspektrum einer Bildungsstätte, zur Demokratie zu erziehen. Auch in der Bundeswehr, so der eher fragwürdige Vergleich, sei die Staatsbürgerkunde nur eine Zusatzleistung.162 Während das Feuilleton in weiten Teilen Verständnis für die studentischen Forderungen nach Transparenz und Mitbestimmung aufbrachte, sah Gillessen darin die Gefahr eines sich ausbreitenden Partizipationsvirus. Das hieß schlimmstenfalls auch auf die FAZ selbst: Der Leitartikel hatte für Unruhe gesorgt und angestaute Unzufriedenheiten aufgedeckt. Erst wenige Monate zuvor waren bei Suhrkamp die Lektoren auf die Barrikaden gegangen, jetzt klang auch in der FAZ der Wunsch nach einer Diskussionskultur auf Augenhöhe an. Einen Aufruhr galt es unbedingt zu verhindern: „[I]m Zeichen einer auf die Redaktion übertragenen ‚Mitbestimmung‘, die in manchen Vorstel­lungen sich einem ‚Rätesystem‘ annähere“, so Jürgen Tern in der Heraus­geberkonferenz vom 23. April 1969, dürfe es „nicht zu einer Führungslosigkeit kommen“. Klar sei, „daß gegenüber eventuellen Vorgängen, die mit denen mancher Buchverlage zu vergleichen wären, keine Kompromisse möglich sind.“163 158 Brief von Friedrich Ferdinand Hommel an Erich Welter vom 18.4.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. 159 Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Peter Szondi vom 17.4.1969, in: DLA Marbach, A:Szondi, Peter, 88.9.612/12. 160 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 22.4.1969, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. 161 Vgl. das Protokoll der Tageskonferenz vom 26.10.1970, in: ebd., Redaktionskonferenz  1.1.1970–31.12.1971. 162 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 22.4.1969, in: ebd., Redaktionskonferenz 1968–1969. 163 Beschlußprotokoll der Herausgebersitzung vom 23.4.1969, in: ebd., Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgebersitzungen 1967–1969.

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„Dieser Krieg ist unser Krieg“ Schon bevor es wegen hochschulpolitischer Unstimmigkeiten hinter den Kulissen zu rumoren begann, hatten interne Auseinandersetzungen um die Blattlinie im Frühjahr 1968 zu personellen Umstrukturierungen geführt. Der Berliner Kulturkorrespondent Dieter Hildebrandt verließ die Zeitung. Auf seinen Platz rückte Michaelis, bis dahin verantwortlich für das Literaturblatt, das nun von Bohrer übernommen wurde. Hildebrandts Ausscheiden war das Ergebnis eines längerfristigen Entfremdungsprozesses, der 1968 seinen Höhepunkt erreichte. Als Hildebrandt zehn Jahre zuvor zur Zeitung gekommen war, hatte er für Welter zu den jungen Hoffnungsträgern gehört. Sie unterhielten einen Briefkontakt, der auch dann nicht abriss, als Hildebrandt 1961 gegen den Wunsch Welters in das Berliner Büro der FAZ wechselte.164 Dort war er fortan für das Feuilleton und die Reportageberichterstattung zuständig, sein Verhältnis zu Korn war jedoch distanziert. Hildebrandt hatte den Eindruck, Korn habe ihn, den Nachfolger seiner Schwägerin Sabina Lietzmann, noch aus der Distanz einschüchtern wollen.165 Korn zweifelte zwar ebenso wenig wie Welter an der fachlichen Kompetenz des Korrespondenten, beklagte sich aber über dessen als Provokation empfundene Versuche, politisch Brisantes im Feuilleton unterzubringen. Schon im Dezember 1965 hatte er einen Beitrag Hildebrandts über den Kabarettisten Wolfgang Neuss aus diesem Grund kritisiert. Neuss hatte in Berlin ein satirisches Pamphlet verteilen lassen, das zur „Unterstützung der amerikanischen Politik für Hitler in Vietnam“ aufrief (der südvietnamesische General Nguyễn Cao Kỳ hatte Hitler als Vorbild bezeichnet).166 Er nahm damit an einigen Berliner Zeitungen Anstoß, die zu einer Geldspende für die Hinterbliebenen der in Vietnam gefallenen amerikanischen Soldaten aufgerufen hatten. Die Spenden waren unter anderem für Nachbildungen der Berliner Freiheitsglocke gedacht, ein Symbol für die deutsche moralische Unterstützung und Anteilnahme.167 In Hildebrandts Artikel über die Neuss’sche Kritik waren laut Korn nun einige inakzeptable Verlautbarungen des Satirikers enthalten.168 Wie er Welter und Tern mitteilte, habe er Rühle nur schwer davon 164 Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung am 4.11.1959, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgeber-Sitzungen 1.4.1958–18.12.1961. 165 Vgl. den Brief von Dieter Hildebrandt an die Verfasserin vom 7.8.2017. 166 Vgl. Hoeres: Außenpolitik und Öffentlichkeit (2013), S. 192. 167 Vgl. o. A.: Paukenschlag und Bumerang. Literaten streiten um Vietnam – Boykott gegen Neuss, in: Die Zeit vom 10.12.1965, S. 8; o. A.: Vietnam-Proteste. Wasser in den Augen, in: Der Spiegel 52/1965, S. 33. 168 Veröffentlicht wurde Hildebrandt, Dieter: Kerzengerade im Advent. Kleine Vorweihnachts-Meldung aus Berlin, in: FAZ vom 9.12.1965, S. 28. In diesem Bericht übte Hildebrandt bereits leise Kritik am US-Engagement in Vietnam („die Freiheit, in deren Namen in Vietnam soviel Grauenhaftes passiert“).

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abbringen können, ihn in der übermittelten Form erscheinen zu lassen. Der Vorfall sei beispielhaft für Hildebrandts unkollegiale Versuche, dem Ressort „Kuckuckseier“ unterzujubeln.169 Was Korn in seinem Brief zur Sprache brachte, betraf aber nur auf den ersten Blick inhaltliche Unstimmigkeiten oder die Kommunikation zwischen Frankfurt und Berlin. Freilich, zwischen ihm und Hildebrandt bestanden offenbar keine großen Sympathien. Korns ungewöhnlicher Einwand – ungewöhnlich, weil er politisch argumentierte – hatte aber mutmaßlich ebenso viel mit seiner eigenen Situation zu tun. Nach mehreren Zwischenfällen dieser Art sah sich der Herausgeber durch Hildebrandt in die bekannte Lage gedrängt, Beiträge ablehnen, korrigieren oder nachträglich legitimieren zu müssen, deren Tenor offenkundig von der Blattlinie abwich. FAZ-Blattlinie, das hieß in Sachen Vietnamkrieg: Unterstützung des militärischen US-Engagements in Südostasien um der deutsch-amerikanischen Beziehungen Willen.170 Redakteurinnen und Redakteure, die im Feuilleton eine andere Meinung vertraten, zerrten an den Kräften des alternden Korn und brachten ihn gegenüber den anderen Herausgebern in eine schwierige Situation. Der seit Mitte der 1950er Jahre wütende Vietnamkrieg sorgte also schon einige Jahre vor dem finalen Bruch zwischen Hildebrandt und der Zeitung für Ärger. Zwei Jahre später verschlechterte sich das Verhältnis. Nach der ungenehmigten Produktion einer Fernsehsendung stellten die Herausgeber Hildebrandt 1967 zur Rede. In diesem Gespräch wurde deutlich, dass Hildebrandt unzufrieden war, unzufrieden mit seinem Vertrag, der ihn wie üblich zur Ausschließlichkeit gegenüber der FAZ verpflichtete. Bei seinem Besuch in Frankfurt erklärte er, dass er diese Klausel finanziell für unzumutbar halte und forderte eine Vertragsänderung, die es ihm erlauben würde, als freier Mitarbeiter mit Nebeneinkünften für die Zeitung zu arbeiten.171 Andernfalls befürchte er, „mit Bedauern die Konsequenzen ziehen“172 zu müssen. Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt. Welter teilte ihm mit, man könne „nicht auf einen mitverantwortlichen Feuilletonredakteur in Berlin verzichten“173. Hildebrandt könne bleiben, wenn er den Vertragsbedingungen erneut zustimme. Obwohl der Abschied damit aufgeschoben wurde, wie die Herausgeber vorausahnten, sollte er der Zeitung erhalten bleiben.174 Dass Hildebrandts Unmut 169 Vgl. den Brief von Karl Korn an Jürgen Tern und Erich Welter vom 10.12.1965, in: FAZArchiv, Eick Korrespondenz Professor Welter 1.3.1965–31.8.1966. 170 Vgl. das Protokoll über die Besprechung bei Herrn Korn am 13.3.1968, in: ebd., H 1966–12/1968. 171 Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 7.6.1967 und 14.6.1967, in: ebd. 172 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 7.6.1967, in: ebd. 173 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 14.6.1967, in: ebd. 174 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 21.6.1967, in: ebd.

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auch mit der politischen Stoßrichtung der FAZ zusammenhing, konnten die Herausgeber nur mutmaßen. Der mit Linksintellektuellen wie Peter Szondi, Jacob Taubes, Peter Wapnewski und Eberhard Lämmert aus dem Umkreis der Freien Universität befreundete Journalist empfand die FAZ zunehmend als reaktionär.175 Neun Monate später kam es zum Bruch. Die Tet-Offensive, in deren Folge Sinn und Zweck der militärischen Präsenz in Vietnam weltweit öffentlich in Frage gestellt worden und Tausende auf die Straße gegangen waren, hatte Hildebrandt zu einer Stellungnahme veranlasst. Er sandte seinen als Leitartikel vorgesehenen Text nach Frankfurt, man schickte ihn zurück. Er übermittelte ihn abermals, und erhielt ihn erneut zurück. Was waren die Gründe? In dem Beitrag, einem pointierten Essay, das am 5. April 1968 in unveränderter Form in der Zeit erschien, verwandelte Hildebrandt die politische Vietnam-Frage in eine moralische und rief mit der Anapher „Dieser Krieg ist unser Krieg“ zur sofortigen Beendigung des Vietnamkriegs auf. Seine mediale Omnipräsenz und seine Fortsetzung auf den Straßen der Bundesrepublik, schrieb er in schnörkelloser Sprache, mache aus den Deutschen Zeuginnen und Zeugen in einem Stellvertreterkrieg gegen die Vernunft. Daher stelle er die Gewissensfrage: Könne im Wissen um die brutalen Opfer noch länger geschwiegen werden? Erlaube die Paradoxie dieses Krieges, in dem zur Erreichung eines fraglichen Friedensziels menschenverachtende Methoden zum Einsatz kämen, weiterhin Passivität? Hildebrandt appellierte an die Bundesregierung, aus ihrer Unmündigkeit gegenüber den USA herauszutreten und ihre Neutralität aufzugeben.176 Rund fünfzig Jahre später mutet dieser Artikel, für den damaligen Journalisten der wichtigste von allen,177 nicht provokativer an als andere Anti-Kriegsartikel. „Dieser Krieg“ war der zugespitzte Meinungsartikel eines Feuilletonjournalisten und geübten Leitartiklers, der sich weder an militärischen noch an politischen Gesichtspunkten abarbeitete. Auch inhaltlich war das Essay kein Novum: Seit Beginn des Jahres 1968 waren auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit immer mehr Stimmen laut geworden, die sich für ein Ende des Krieges stark machten. Umfragen ergaben, dass die Mehrheit der Deutschen seine Fortsetzung ablehnte.178 Zudem war Hildebrandt mitnichten ein „68er“: Am 5. Juni 1967, drei Tage nach dem tödlichen Schuss auf Ohnesorg, hatte er die Proteste im FAZ-Politikteil vehement kritisiert. Die Protestierenden, so der 175 176 177 178

Vgl. den Brief von Dieter Hildebrandt an die Verfasserin vom 7.8.2017. Vgl. Hildebrandt, Dieter: Dieser Krieg, in: Die Zeit vom 5.4.1968, S. 17. Dieter Hildebrandt in einem Brief an die Verfasserin vom 29.8.2017. Vgl. Becker, Kurt: Gescheitert in Vietnam. Die USA müssen den Kurs ändern, in: Die Zeit vom 9.2.1968, S.  1; o.  A.: „Diesen Krieg kann niemand gewinnen“. Ergebnisse einer SPIEGEL-Umfrage über Vietnam, in: Der Spiegel 10/1968, S. 30–31.

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Leitartikel, müssten lernen, „sich mit Argumenten und nicht mit Steinen zu bewaffnen.“ Sie sollten erkennen, „daß Gewalt nicht erst mit Schüssen anfängt, sondern mit Steinwürfen und Stöcken, […] daß politische Demonstrationen das dümmste und vergeblichste Mittel politischer Betätigung sind.“179 Was war also der Grund für den Eklat, den auch Boveri witterte, als sie am 5. April 1968 die Zeit aufschlug und an Korn schrieb: „Donnerwetter, muß es da einen Stunk gegeben haben!“180 Die Veröffentlichung war aus mehreren Gründen gescheitert. Zum einen sprach seine geringe „politische Substanz“181 gegen die Verwendung des Textes als Leitartikel, wie es in einer klärenden Hausmitteilung an die FAZKorrespondentinnen und Korrespondenten vom 10. April 1968 hieß. Das war für Welter neben der feuilletonistischen Note der entscheidende Punkt. Die Ablehnung war in seinen Augen aber auch eine erzieherische Maßnahme: „Wenn man auch nur entfernt in Erwägung zöge, den Artikel in retuschierter Form zu veröffentlichen, dann wäre der Damm gebrochen“, ließ er Tern am 11. März wissen. „Übermorgen würde uns Herr Hildebrandt einen GriechenlandArtikel präsentieren mit dem Titel: Dieser Widerstand ist unser Widerstand.“182 Zum anderen ging der Artikel nicht mit der Zeitungslinie konform. Hildebrandts Kritik an der Vietnampolitik der Regierung und ihrem wichtigsten Bündnispartner wurde zurückgewiesen. Tern bevorzugte politische, keine humanitären Argumente, Zurückhaltung statt moralischer Entrüstung. Er plädierte für einen moderaten Kurs, um das Verhältnis zu den USA nicht zu gefährden.183 Als es im Herausgebergremium um die Publikation des Artikels ging, hielt er es daher für nötig, noch einmal daran zu erinnern, dass der Kurs der FAZ noch immer maßgeblich von der Politikredaktion bestimmt werde.184 Und dort hatte man, die spätere Diktion unbewusst umkehrend, schon 1966 festgehalten, dass es 179 Hildebrandt, Dieter: Ohnesorg und Mozart, in: FAZ vom 5.6.1967, S.  1. Der Artikel provozierte starke Reaktionen, vgl. den Leserbrief von Joachim Vieregge, in: FAZ vom 8.6.1967, S. 9; Leserbrief von Bernd Moeller, in: ebd.; Leserbrief von Berthold Lipka, in: FAZ vom 13.6.1967, S. 6. 180 Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 4.4.1968, in: DLA Marbach, A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006. 181 Hausmitteilung an die Korrespondenten der F.A.Z. Nr. 8 vom 10.4.1968, in: BArch Koblenz, N 1320/20. 182 Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 11.3.1968, in: FAZ-Archiv, Persönliche Ablage Welter 1/1961–12/1968. 183 Vgl. das Protokoll über die Besprechung bei Herrn Korn am 13.3.1968, in: ebd., H 1966–12/1968. 184 Vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 11.3.1968, in: ebd., Persönliche Ablage Welter  1/1961–12/1968. Welter hielt diesen Hinweis für missverständlich: „Die Linie zu bestimmen, obliegt den Herausgebern.“

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sich beim Vietnamkrieg eben „nicht um unseren Krieg handele“185. Nach der Ablehnung aus Frankfurt reichte Hildebrandt seine Kündigung ein, die im gegenseitigen Einverständnis eine direkte Auflösung des Arbeitsvertrags zur Folge hatte, und bot dem Zeit-Feuilletonchef Rudolf Walter Leonhardt den Artikel an.186 Leonhardt ließ ihn wenige Tage später drucken, versah ihn aber noch mit einem provokanten Vorwort, das an die Adresse der FAZ ging. Darin war am 5. April 1968 zu lesen: „Der hier folgende Leitartikel ist der Grund dafür, daß Hildebrandt jetzt die FAZ verläßt: die Frankfurter Redaktion weigerte sich, ihn zu drucken“187. Die Herausgeber fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Da sie vermuteten, dass Hildebrandt den Artikel schon vor seiner Kündigung eingereicht hatte, empfanden sie sein Vorgehen als höchst illoyal. In erster Linie aber richtete sich ihre Empörung auf die Zeit.188 Die Zeit nutze die Gunst der Stunde, so auch Bohrer, um sich als „‚Hort der Liberalität‘ in der Bundesrepublik“189 zu gebärden. An einer Debatte war die FAZ zwar nicht interessiert – Interna galt es nicht vor Publikum zu diskutieren  –, doch auch ohne Schlagabtausch zwischen den Zeitungen provozierte der Fall öffentliche Reaktionen. Der Westdeutsche Rundfunk widmete den Ereignissen am 4. April einige Minuten seines „Kritischen Tagebuchs“, in dem der verantwortliche Redakteur Hans-Götz Oxenius den Fall Hildebrandt zum Musterfall für die Verfasstheit des Feuilletons erhob: Noch immer bewege sich das Ressort „in einem intellektuellen Ghetto“190, 185 Protokoll der Politischen Konferenz vom 13.9.1966, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Politischen Konferenzen 1956 bis 1970. 186 Vgl. den Brief von Dieter Hildebrandt an die Verfasserin vom 29.8.2017. 187 Vorwort zu Hildebrandt, Dieter: Dieser Krieg, in: Die Zeit vom 5.4.1968, S. 17. 188 Vgl. die Hausmitteilung an die Korrespondenten der F.A.Z. Nr. 8 vom 10.4.1968, in: BArch Koblenz, N 1320/20. 189 Protokoll der Redaktionskonferenz vom 4.4.1968, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. Der Artikel wurde 2014 über die Social-Media-Kanäle erneut beworben, diesmal allerdings von der FAZ: Der damalige Volontär Jonas Jansen machte am 16. September via Twitter auf ihn aufmerksam. Die Zeit reagierte prompt, verlinkte den Beitrag auf ihrer Facebook-Seite und kommentierte: „Wegen dieses Artikels zum Thema ‚Krieg‘ verließ der Journalist Dieter Hildebrandt 1968 die FAZ: Die Zeitung hatte es abgelehnt, den Text zu drucken. Die ZEIT druckte ihn dann, und wir bringen ihn aus gegebenem Anlass jetzt noch einmal.“ Auf Jansen, der in den Kommentarspalten auf seinen Tweet hinwies – „Gut möglich, dass ZEIT ONLINE aber über ‚die FAZ‘ auf den Artikel aufmerksam geworden ist“ –, wurde erst nachträglich verwiesen. Vgl. die Beiträge unter der URL: https://twitter.com/vierzueinser/status/511890605027254272?fbclid=IwAR0gLE2khMxTHT 8kzshQkoAckSXRkIMLL3bpHFH2W7CjTA2BVe2TM2IMz9w; https://www.facebook.com/ zeitonline/posts/wegen-dieses-artikels-zum-thema-krieg-verließ-der-journalist-dieterhildebrandt-/10152728239564429/ (12.2.2021). 190 Manuskript zur Sendung das „Kritische Tagebuch“ von Hans-Götz Oxenius vom 4.4.1968, in: FAZ-Archiv, Der Fall Dieter Hildebrandt 1968.

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noch immer werde ihm keine politische Urteilsbildung zugetraut. Auch einige FAZ-Leserinnen und Leser bekundeten ihre Solidarität und hoben Hildebrandts Haltung gegenüber der als unmenschlich und einseitig beurteilten Berichterstattung des Militärredakteurs Adelbert Weinstein positiv hervor.191 Das war auch der Eindruck im Feuilleton. Noch im April 1971 regte Bohrer bei Welter ein Gespräch über die Vietnamberichterstattung an und drückte sein Befremden über „die expressionistische Kriegslyrik“192 Weinsteins aus, die keinerlei Gegenstimmen finde. Moralische Fragen blieben weiterhin ungestellt, Feuilletonbeiträge würden blockiert, obgleich „dieser Krieg jenseits einer – wie auch immer – diskutierbaren humanen Grenze liegt“. Er sei nicht gewillt, schrieb Bohrer am 4. Mai an Welter, „die oft gehörten ironischen Hinweise, wir im Feuilleton hätten es immer mit der Moral und verständen nichts von der Politik, zu akzeptieren.“193 Weinstein, dem Bohrers Vorwürfe unterbreitet worden waren, reagierte süffisant: „Meine Reaktion: ‚Niedriger hängen.‘“194 Während Bohrer hinter den Kulissen agierte, griff die Kölner Korrespondentin Vilma Sturm zu anderen Mitteln. Sie protestierte auf den Straßen und vor den Kirchen Kölns für ein sofortiges Ende des Krieges.195 Ein anderer Kritikpunkt, der im Frühjahr 1968 anklang, richtete sich auf den redaktionellen Umgang mit dem Hildebrandt‘schen Essay. In einigen Leserbriefen wurde seine Ablehnung als Paradebeispiel für die eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit aufgeführt. In dieser Lesart praktizierte die FAZ Methoden, gegen die andere auf die Straße gingen. Für manche Abonnentinnen und Abonnenten war das Anlass genug für eine Kündigung, andere wiesen die Redaktion darauf hin, dass sie die FAZ nur wegen des Feuilletons weiter bezögen.196 Auch in den eigenen Reihen wurde Hildebrandts

191 Vgl. den Brief von Alfons Biermann an die FAZ vom 5.4.1968, in: FAZ-Archiv, Der Fall Dieter Hildebrandt 1968; Brief von Thomas Landsberg an die Redaktion der FAZ vom 6.4.1968, in: ebd.; Brief von Walter J. Schön an die Herausgeber der FAZ vom 16.4.1968, in: ebd.; Brief von Sabine Klamroth an die Redaktion der FAZ vom 17.4.1968, in: ebd.; Brief von Ulrich Schwarz an die FAZ vom 4.5.1968, in: ebd. 192 Brief von Karl Heinz Bohrer an Erich Welter vom 27.4.1971, in: ebd., Protokolle der Tageskonferenzen bis 1.10.1971. 193 Brief von Karl Heinz Bohrer an Erich Welter vom 4.5.1971, in: BArch Koblenz, N 1314/426. 194 Brief von Adelbert Weinstein an Erich Welter vom 27.4.1971, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Tageskonferenzen bis 1.10.1971. 195 Vgl. Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 256–262. 196 Vgl. den Brief von Gerald Just an Karl Korn vom 22.4.1968, in: FAZ-Archiv, Der Fall Dieter Hildebrandt 1968; Brief von Klaus Isenhofer an die FAZ vom 23.4.1968, in: ebd.; Brief von Hartmut Bennewitz an die FAZ vom 26.4.1968, in: ebd.

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Ausscheiden als schlechtes Omen bewertet.197 Lietzmann schrieb im Mai 1968 an die mit ihr befreundete Wiener Korrespondentin Hilde Spiel: „Ich finde das ja auch einen ganz bösen Verlust für das Blatt, und ich war wieder ganz angeekelt von dem Unvermögen unserer Zeitung, so etwas nicht überbrücken zu können und ihn nicht zu halten. Da zeigt sich doch wieder, wie sehr es bei uns an einem überlegenen oder auch nur praktisch denkenden Geist fehlt. […] Bloss Hochmut und Selbstgerechtigkeit“198. Hildebrandt war über sein Ausscheiden weniger verbittert. Gegenüber Spiel beteuerte er, „durchaus nicht in weinerlicher Stimmung“ zu sein. Er fühle sich „herrlich frei, im reinen mit mir selbst.“199 Auch mit seinem Nachfolger war Hildebrandt einverstanden. Ob mit Michaelis allerdings ein weniger eigensinniger Journalist auf seinen Posten nachrückte, durfte bald bezweifelt werden. Schon im Dezember ließ Welter in einer Herausgeberkonferenz diskutieren, „ob wir in dieser Zeitung eigentlich für den Marxismus seien“200. Anlass war eine Glosse über die Verleihung des Gerhart-Hauptmann-Preises an den Dramaturgen Hartmut Lange durch die Freie Volksbühne Berlin. Wie am 10. Dezember im Feuilleton zu lesen war, war die Preisverleihung still und heimlich in die Bar des Hilton Hotels verlegt worden, um einen Zwischenfall wie im Vorjahr zu verhindern (1967 hatte der Schriftsteller Peter Handke seine Laudatio genutzt, um den Freispruch des Ohnesorg-Mörders Heinz Kurras zu kritisieren, obwohl er „den Scheck einstecken und Dankeschön hätte sagen sollen“201, wie Michaelis glossierte). Für dieses satzungswidrige Versteckspiel fand Michaelis nun kritische Worte, die er mit einer Generalkritik an der Volksbühne verknüpfte. Lange dagegen, den bekennenden Marxisten, der das Prozedere allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz zur Sprache gebracht hatte, lobte er für seinen Mut und sein dramaturgisches Talent.202

197 Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Hilde Spiel vom 24.4.1968, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/296; Brief von Dieter Hildebrandt an Hilde Spiel vom 10.5.1968, in: ebd., 15/B 312; Briefe von Margret Boveri an Karl Korn vom 4.4.1968 und 16.5.1968, in: DLA Marbach, A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006. 198 Brief von Sabina Lietzmann an Hilde Spiel vom 31.5.1968, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/298. 199 Brief von Dieter Hildebrandt an Hilde Spiel vom 10.5.1968, in: ebd., 15/B 312. 200 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 11.12.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. 201 R.M. (= Rolf Michaelis): Krach am Kamin, in: FAZ vom 10.12.1968, S. 22. 202 Vgl. ebd.

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Experimentierfeld Theater Da „1968“ auch eine kulturelle oder, präziser, gegenkulturelle Bewegung war,203 da „das Fieber rebellischer Gefühle“204 auch auf den Kulturbetrieb übergriff, beschäftigte sich das Feuilleton freilich auch unter diesen Gesichtspunkten mit den Protesten. Unter dem Titel „Kultur 68 – ein Happening?“ blickte es Ende Dezember 1968 auf das Protestjahr und seine Niederschläge in Kunst, Literatur, Fernsehen, Wissenschaft, Theater, Religion, Film, Mode, Architektur, Sprache und Sport zurück. Die Politisierung der Kultur – der „Ausbruch bildender Künstler in die Wirklichkeit“, wie es hieß – erntete im Blatt aber vor allem Spott. Szenische Kunstformen wie das „Happening“, über die Künstler wie Joseph Beuys die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft zu erneuern versuchten, wurden als destruktiv und anarchistisch bezeichnet, die Vereinnahmung von Kunst im Protest missbilligt: „Musik wirkt meditativ als Musik, nicht als Meditation“. Kunst durfte kritisch sein, aber niemals Mittel zum Zweck. Kritik erklang auch an der Vermarktung und Kommerzialisierung des Protests. Die Eigenliterarisierung der Protagonisten wurde als kapitalistisch stigmatisiert, so auch die „Ars multiplicata“, eine Ausstellung im „kollektivistische[n] Deckmäntelchen, unter dem die sozialistisch-empfindsamen Kunstwächter aber bald den Pferdefuß von Management und lanciertem Massengeschäft hervorzerrten“. Der Revolte wurde wiederum eine kurze Halbwertszeit prophezeit: „1968“ finde nicht nahe an der Gesellschaft statt, sei zu intellektuell, gebärde sich als „Underground-Bewegung […], obwohl sie im Oberbau stattfindet“205. Der Individualismus ihrer Spitze, so die weitsichtige Prognose, werde zur Zersplitterung oder zur Re-Etablierung der bekämpften Strukturen führen. „Versucht wird: Die Aufhebung des bloßen Schauwerts. Theater wird zu Folgerungen getrieben“206, heißt es im gleichen Rückblick unter dem Stichwort „Theater“. Die Politisierung des Theaters erreichte um 1968 eine neue Qualität. Sie vollzog sich nicht nur auf den Bühnen selbst, wo neue Stücke und Inszenierungen eine politisierende und emanzipatorische Wirkung auf das Theaterpublikum versprachen, sondern auch hinter den Kulissen. Das Theater wurde zum doppelten Protestfeld. Ein kurzer Rückblick: Befeuert durch eine 203 Vgl. Siegfried, Detlef: Furor und Wissenschaft. Vierzig Jahre nach „1968“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), H. 1, S. 130–141, hier S.  135. Online unter: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2008/id=4710 (16.3.2022) sowie grundlegend Marwick, Arthur: The Sixties. Cultural Revolution in Britain, France, Italy and the United States, c. 1958–1974. Oxford 1998. 204 Rahms: Die Clique (1999), S. 181. 205 O. A.: Kultur 68 – ein Happening? Fakten, Vorgänge, Tendenzen, Akzente, in: FAZ vom 31.12.1968, S. 32. 206 Ebd.

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neue Intendantengeneration verzeichneten die Spielpläne seit den frühen 1960er Jahren immer öfter gesellschaftskritische Stücke. Die bürgerlichen, humanistischen Klassiker des traditionellen Literatur- und Bildungstheaters, „das poetische Schauspiel“207, traten in den Hintergrund oder wurden auf ihren Nutzen für die Gegenwart befragt und aktualisiert. Neben das werktreue Stück trat der gesellschafts- und sozialkritische Kommentar und setzte neue performative Reize. Das Theater wurde politisch. Dafür standen vor allem die an Bertolt Brechts und Erwin Piscators „Episches Theater“ angelehnten Dokumentarstücke mit politischem Anspruch, die im etablierten Publikum für Furore sorgten und an den Bühnen in der Mainmetropole ein frühes Zuhause fanden.208 Auch räumlich veränderte sich das Theater. Die Grenzen zwischen Bühne und Publikum wurden aufgeweicht, das Publikum „aus der wohlgefälligen Anschauung der gezeigten Sachverhalte“209 herausgelöst. Jenseits des Berufstheaters, auf den Studentenbühnen und im Straßentheater, löste sich der institutionelle Bezug sogar vollständig auf.210 Auf diesen Nährboden traf „1968“. Die Begegnung zwischen neuer Dramaturgie und Protestbewegung ließ die Debatte um den Standort des Theaters neu aufleben. Mit einer Oberflächenpolitur wollte sich der radikale Kern der Opposition nicht zufriedengeben, erblickte er in der Reorganisation der etablierten Kulturinstitutionen doch eine zentrale Voraussetzung für die anstehende politische Transformation.211 Den Kunstcharakter des Theaters galt es ebenso abzulegen wie seine Exklusivität. Theater hatte funktionalistisch zu sein, eine agitatorische Funktion zu erfüllen.212 Seit den Protesten gegen die Notstandsgesetzgebung dienten einige große Häuser als Aktionsforen. 1968 und 1969 kam es in mehreren Städten zu Besetzungen und Störungsaktionen. Nach der Aufführung des antiimperialistischen Dokumentarstücks „Viet Nam Diskurs“ von Peter Weiss in München und Berlin 1968/69 wurde das Publikum aufgefordert, den Vietcong mit einer Geldspende zu unterstützen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler platzierten sich an den Ausgängen, um die Kollekte entgegenzunehmen. Der Autor und das Ensemble hatten sich 207 Rothmann: Kleine Geschichte (2014), S. 318. 208 Zur Entwicklung des Berufstheaters vgl. Kraus: Theater-Proteste (2007), S. 38–103. 209 Rühle, Günther: Deutsches Theater: Zukunft und Antiquität, in: FAZ vom 18.12.1968, S. 24. 210 Vgl. Kraus: Theater-Proteste (2007), S. 349. 211 Vgl. Gilcher-Holtey, Ingrid: 1968 – War da was?, in: Wengst, Udo (Hg.): Reform und Revolte. Politischer und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik vor und nach 1968 (= Zeitgeschichte im Gespräch, Bd. 12). München 2011, S. 103–120, hier S. 117. 212 Vgl. Gilcher-Holtey, Ingrid  / Kraus, Dorothea  / Schössler, Franziska: Einleitung, in: dies. (Hg.): Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation (= Historische Politikforschung, Bd. 8). Frankfurt am Main 2006, S. 7–18, hier S. 7.

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mit den Protesten gegen den Krieg solidarisiert. Im Frankfurter Schauspielhaus ertönten während der Uraufführung des Stücks Schlachtrufe aus dem Publikum („Ho, Ho, Ho-Chi-Minh!“), in den Pausen wurden Vietcong-Fahnen verteilt.213 Der Theaterkritiker Rühle hatte sich in den 1960er Jahren intensiv mit der „Theaterkrise“, dem Hin- und Hergerissensein zwischen Kunst- und politischem Gegenwartstheater, beschäftigt.214 Seit seinen Anfängen bei der FAZ 1960 tat er sich als Sprachrohr eines modernen Theaters hervor, beklagte seine Antiquiertheit und sprach sich für einen bühnenästhetischen Wandel entlang neuer Inhalte aus. Was Rühle forderte, war ein eigenständiges, progressives Theater, das sich neuer Darstellungsmodi und -techniken zu bedienen und vom Primat der literarischen Vorlage ebenso zu lösen habe wie von äußeren Produktionszwängen (z. B. Abonnements).215 Von neuen, experimentellen Spielarten des Theaters wie Handkes antibürgerlicher „Publikumsbeschimpfung“ (1966), das durch sein Spiel mit der Sprache mit den tradierten Wahrnehmungsschemata brach, war er entsprechend angetan.216 Auch der Nachfolger „Kaspar“ (1968) erntete Rühles –  nie unkritischen  – Beifall.217 Auch Rühle begeisterte die Aufbruchstimmung der späten 1960er Jahre. „Wir haben lange kein Stück, lange keinen solchen Abend auf dem Theater gehabt, der so voll steckt von Anfängen“218, schrieb er nach der Uraufführung des „Kaspar“. Rühles Beifall galt auch dem politischen Gegenwartstheater, das in den frühen 1960er Jahren maßgeblich durch den Altregisseur Erwin Piscator (wieder)begründet worden war. Piscator, den die Vision eines „eingreifenden, 213 Vgl. Mü.: Jugendliche Besucher verteilten Vietcong-Fahnen, in: FAZ vom 21.3.1968, S. 21; rmc. (=  Rüdiger Moniac): Theater als Alibi für liberale Demokratie? Nach der Uraufführung von Peter Weiss‘ „Vietnam-Diskurs“ Diskussion um Schauspiel, in: FAZ vom 22.3.1968, Rhein-Main-Teil,  S.  39; Rühle, Günther: Der lange Feldzug des Peter Weiss. „Vietnam-Diskurs“-Uraufführung im Frankfurter Schauspielhaus, in: FAZ vom 22.3.1968, S.  32; Michaelis, Rolf: Vereinstheater. Der „Vietnam-Diskurs“ in Berlin, in: FAZ vom 16.1.1969, S. 2. 214 Vgl. Rühle, Günther: Die Dramaturgen, das Theater und die Zukunft. Nach den „Dramaturgischen Tagen“ in Rotterdam, in: FAZ vom 16.10.1968, S. 24. 215 Vgl. Rühle, Günther: Deutsches Theater: Zukunft und Antiquität, in: FAZ vom 18.12.1968, S. 24. 216 Vgl. Rühle, Günther: Allerlei Absprünge. Handkes „Publikumsbeschimpfung“ auf der Experimenta, in: FAZ vom 11.6.1966, S. 13. 217 Vgl. Rühle, Günther: Der Jasager und die Einsager. Das erste große Stück von Peter Handke im TAT (Frankfurt), in: FAZ vom 13.5.1968, S. 20. 218 Ebd. Seine späteren Kritiken zu Handke fielen deutlich kritischer aus. Rühle kritisierte den geringen Erkenntniswert der Stücke und die Abnutzungserscheinungen des Materials. Vgl. Rühle, Günther: Irritationen – nackt und stumm. Neues von Handke/Peymann auf dem Frankfurter Theater (TAT), in: FAZ vom 3.2.1969, S. 22.

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mitdiskutierenden, die Zuschauerräume in Parlamente umwandelnden Theater[s]“219 umtrieb, führte seit 1962 als Intendant der Volksbühne Schriftsteller wie Rolf Hochhuth, Hainer Kipphardt und Peter Weiss auf. Ihre Dokumentarstücke waren Ausdruck einer neuen Dramatik, die die Gegenwart über das Theater aufzuklären beanspruchte. Rühle setzte sich für die Anerkennung des dokumentarischen Theaters als Kunstform und für die Ausbildung genregerechter Kritikermaßstäbe ein. Der statische Kulturbegriff hatte in seinen Augen ausgedient.220 Der Theaterkritiker stellte den Wert klassischer Texte und Produktionen zwar nicht in Frage, wandte sich aber gegen ein rein ästhetisches Kunstideal und die Überbetonung von kultureller Bedeutung.221 Wie auch in hochschulpolitischen Fragen nahm Rühle eine vermittelnde Position zwischen klassischem und modernem Kunstverständnis ein. Es gehöre zur „Pflicht der Zeitung, die Leser über neue Versuche zu informieren, die Entwicklung durchsichtig zu machen“222, so seine Überzeugung. Dem radikalen Theaterbegriff in Teilen der APO, dem „stupide[n] Agitationstheater“223, konnte Rühle hingegen nichts abgewinnen. Die Auflösung des Kunsttheaters und die Priorisierung des Stoffes, seine Ideologisierung und zwanghafte Aktualisierung lehnte er ab. Politische, engagierte Kunst galt es zu akzeptieren, nicht aber ihre Instrumentalisierung im Protest: „Wo die Aktion beginnt, ist Theater zu Ende, wie theatralisch die Aktion auch immer sein mag.“224 Für aufmerksamkeitsheischende Störaktionen im Theaterbetrieb hatte Rühle ebenso wenig übrig wie für ein radikal politisches Theater. Über den „Viet Nam Diskurs“ schrieb er im Frühjahr 1968: „Nie geriet er [Peter Weiss, Anm. d. Verf.] mit einem Stück […] mehr in Parteilichkeit. Das ist kein unbedingter Vorwurf. Der Krieg in Vietnam macht parteilich.“ Doch zugleich relativierte er: „Wer gegen den Krieg in Vietnam ist, braucht nicht Ho Tschi Minh zu huldigen, braucht keine rote Fahne zu schwenken […]. Wer ist heute noch

219 Rühle, Günther: Piscator kommt in neues Licht. Ein Theatermann in der Diskussion: Der Piscator-Kongreß in der Berliner Akademie, in: FAZ vom 18.10.1971, S. 22. 220 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 16.12.1969, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. 221 Vgl. Rühle, Günther: Das Publikum und die Angst. Probleme des Theaters, in: FAZ vom 23.10.1969, S. 24. 222 Protokoll der Dienstagskonferenz vom 21.10.1969, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. 223 Rühle, Günther: Die Dramaturgen, das Theater und die Zukunft. Nach den „Dramaturgischen Tagen“ in Rotterdam, in: FAZ vom 16.10.1968, S. 24. 224 Rühle, Günther: Deutsches Theater: Zukunft und Antiquität, in: FAZ vom 18.12.1968, S. 24.

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für Kolonialismus? Wer für Knechtung?“225 Trotz seiner aufgeschlossenen, letztlich aber gemäßigten Haltung eckte Rühle in der FAZ an. Immer wieder wurden Klagen über die Theaterberichterstattung laut, weil diese gegen die Blattlinie verstoße.226 Präventiv hatte Tern deshalb im März 1968 vorgeschlagen, dem Rezensenten des Weissschen Theaterstücks „einen Herren der politischen Redaktion hinzuzugesellen“, was Korn als „Entmündigung der Feuilletonredakteure“227 einstufte und ablehnte. Den Spannungen lagen unterschiedliche Vorstellungen vom Theater zugrunde. Welter, der auch in puncto Theaterkritik als Hauptkläger auftrat, verteidigte das alte, das klassische Theater. Progressive Stücke und Inszenierungen waren für ihn das Produkt einer unkritischen Anpassung an den Zeitgeist und ohne künstlerische Qualität.228 Schon 1966 hatte er vor Korn klargestellt: Eine Ihrer Pointen ist immer wieder, die Ansichten hätten sich gewandelt. Aber ist das ein Grund, mitzulaufen und sich anzupassen? Ich denke, wir sollten uns mit aller Macht diesem Zug der Zeit entgegenstemmen. Sie sind in Sorge, man könnte von der alten Tante FAZ sprechen. Ich habe davor überhaupt keine Angst. Denn wenn die Leute so blöd sind, Verzicht auf Schamlosigkeit mit Prüderie zu verwechseln, dann ist ihnen nicht zu helfen.229

Mit Blick auf die FAZ-Leserschaft bekräftigte Welter die Notwendigkeit, „ostentativ gegen den Strom“ zu schwimmen, „statt sich von ihm treiben zu lassen.“ Anlass für seine Kritik war schon damals die Theaterberichterstattung, über die sich nun, ein Charakteristikum der 1960er Jahre, eine politische Aussage treffen, die politische Linie antasten ließ. „Ich verstehe“, schrieb Welter 1966 abschließend an Korn, „daß unsere Theaterkritiker […] etwas abgestumpft sind, aber keinesfalls dürfen wir es ihnen überlassen, in dieser wichtigen Frage die Linie der Zeitung zu  bestimmen.“230 Was für Rühle ein Anfang war, war für Welter das Ende. Den Herausgeber quälte die auch in Teilen des Theaterpublikums kursierende Vorstellung, „eine Kultur werde zerstört, in der man

225 Rühle, Günther: Der lange Feldzug des Peter Weiss. „Vietnam-Diskurs“-Uraufführung im Frankfurter Schauspielhaus, in: FAZ vom 22.3.1968, S. 32. 226 Vgl. das Beschlußprotokoll der Herausgebersitzung vom 20.8.1969, in: FAZ-Archiv, H 1.1.1969–31.3.1971. 227 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 20.3.1968, in: ebd., H 1966–12/1968. 228 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 16.12.1969, in: ebd., Redaktionskonferenz 1968–1969. 229 Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 2.5.1966, in: ebd., Eick Korrespondenz Welter 1.3.1965–31.8.1966. 230 Ebd.

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doch noch lebt“231. Während Rühle von Korn protegiert wurde, waren sich Welter und Tern einig: Ein weiterer Feuilletonist war als politisch unzuverlässig einzustufen.232 Einen ähnlichen Eindruck hatte offenbar der FAZ-Wirtschaftsredakteur Max Kruk, der einige Jahre später in eine kleine, freundlich verlaufende Kontroverse mit Hilde Spiel geriet. Kruk war nicht der erste Leser, der mit Spiels Berichten aus dem österreichischen Theaterleben nicht konform ging. Immer wieder meldeten sich Leserinnen und Leser zu Wort, die die Vorliebe der Referentin, das Wiener Theater als antiquiert, langweilig und zu publikumsorientiert erscheinen zu lassen,233 nicht teilten.234 Als Spiel Ende August 1973 von den Salzburger Festspielen und Giorgio Strehlers Stück „Das Spiel der Mächtigen“ berichtete – er brachte mit dem umstrittenen Schauspiel das Königsdrama „Heinrich VI“ von William Shakespeare zur Wiederaufführung – erreichte sie ein Brief von Kruk, in der FAZ zuständig für die Unternehmensberichterstattung. Kruk, der bei der Aufführung in der Salzburger Felsenreitschule selbst zugegen war, zeigte sich von Spiels Referat irritiert. Spiel hatte sich in ihrer Kritik vom 27. August über die Publikumsreaktionen auf die Revolutionsszenen mokiert, über die „leicht verschreckbare[n] Bildungsbürger, die jede Revolution auf der Bühne, auch wenn sie mißlingt, sogleich ängstlich nach ihren Brieftaschen greifen läßt.“235 „Verzeihen Sie, gnädige Frau“, schrieb Kruk noch am selben Tag nach Wien, „diese Menschen haben nicht nach ihren Brieftaschen gegriffen, sondern nach ihren Köpfen, um festzustellen, ob die noch dran sind.“236 Kruk, der Strehler Gewaltverherrlichung unterstellte, hatte diesen Eindruck schon einige Tage zuvor im FAZ-Wirtschaftsblatt kundgetan, für das er seit 1972 unter dem Pseudonym Tobias Lampe die satirische Rubrik „Brief an einen Ahnungslosen“ schrieb.237 Normalerweise beschäftigte sie sich mit unternehmenswirtschaftlichen Fragen, diesmal aber kommentierte Kruk die Inszenierung des Volksaufstands in Strehlers Adaption des Dramas. Er kritisierte die Verfälschung der Vorlage, die aus einem Volksaufstand eine 231 Rühle, Günther: Das Publikum und die Angst. Probleme des Theaters, in: FAZ vom 23.10.1969, S. 24. 232 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 31.7.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/ 1968. 233 Vgl. Spiel, Hilde: „Ganz falsch, aber sehr gut“. Zur Situation des Theaters in Wien, in: FAZ vom 9.1.1973, S. 18. 234 Vgl. den Brief von Karl Brichta an die Herausgeber vom 11.1.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/498. 235 Spiel, Hilde: Noch einmal Strehler. Die Kampagne gegen den Regisseur und seine zweite Salzburger Inszenierung, in: FAZ vom 27.8.1973, S. 18. 236 Brief von Max Kruk an Hilde Spiel vom 27.8.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/532. 237 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 86.

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proletarische Revolution mache, und ihre Brutalität. Ihn habe der Eindruck beschlichen, Strehler habe mit dem Stück auch die anwesende Wirtschaftsprominenz als Verkörperung des angeprangerten kapitalistischen Systems adressiert. Letztlich sei es aber doch diese Prominenz, die viel Geld in die Theaterproduktionen fließen lasse, „um sich ein Spiel über ‚das Töten, das Tötenlassen und das Getötetwerden‘ vorsetzen zu lassen“238. Ermutigt von der Reformpolitik der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt, die mit ihrem Leitsatz „Mehr Demokratie wagen“ auf mehr gesellschaftliche Teilhabe zielte, übertrugen sich einige Leitideen der „68er“-Bewegung seit den späten 1960er Jahren auf die Theaterproduktion. Nach den Schulen und Universitäten erklang nun auch an den Spielstätten die Forderung nach einer Demokratisierung des Betriebs. Von den Darstellerinnen und Darstellern bis hin zum technischen Personal forderten die Belegschaften eine stärkere Beteiligung an der organisatorischen und künstlerischen Leitung (Besetzung der Stücke, Gestaltung der Spielpläne, Personalfragen). Das Theater, bislang Forum und Reflexionsebene des Protests, wurde zum Experimentierfeld.239 In einigen Häusern entstanden zu Beginn der 1970er Jahre Mitbestimmungsmodelle, die bei aller Verschiedenheit im Detail die Einführung von antiautoritären Arbeits-, Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen und den Abbau betriebsinterner Hierarchien beabsichtigten. Zu den populärsten Maßnahmen zählten die Einrichtung von kollektiven Leitungsgremien und die Gründung von Theaterräten.240 In Frankfurt war es der Kulturdezernent und SPD-Stadtrat Hilmar Hoffmann, der seit seinem Amtsantritt im Herbst 1970 an einer solchen Reform der städtischen Theaterlandschaft arbeitete. Durch seine Förderung entwickelte sich aus dem TaT zu Beginn der 1970er Jahre ein kollektiv geführtes „Mitbestimmungstheater“ mit weitreichenden Mitspracherechten und einer einheitlichen Gage für das Ensemble.241 Der Versuch hatte Pioniercharakter, war aber längerfristig ebenso wenig von Erfolg gekrönt wie in anderen Städten.242 238 Lampe, Tobias (= Max Kruk): In Salzburg rollen die Köpfe. Brief an einen Ahnungslosen, in: FAZ vom 23.8.1973, S. 15. 239 Vgl. Kraus, Dorothea: Zwischen Selbst- und Mitbestimmung: Demokratisierungskonzepte im westdeutschen Theater der frühen siebziger Jahre, in: dies. / Gilcher-Holtey, Ingrid  / Schößler, Franziska (Hg.): Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation (= Historische Politikforschung, Bd. 8). Frankfurt am Main 2006, S. 125–152, hier S. 135. 240 Vgl. Kraus: Theater-Proteste (2007), S. 14, 347. 241 Vgl. Kraus: Zwischen Selbst- und Mitbestimmung (2006), S. 127. 242 Vgl. Göpfert, Claus-Jürgen: Der Kulturpolitiker. Hilmar Hoffmann, Leben und Werk. Frankfurt am Main 2015, S. 152–156, 160.

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Schon in seiner Einführungsrede, die am 1. Dezember auf der FAZDokumentenseite „Die Gegenwart“ erschien,243 hatte der von der CDU bald zum linken Kontrahenten stilisierte Hoffmann seine kulturpolitischen Ambitionen deutlich gemacht.244 Seine Politik zielte auf die integrative Öffnung des Kulturbetriebs, kulturelle Bildung und Teilhabe; für Welter nur „ein Beispiel für verantwortungslose Versprechungen, für ‚ein Füllhorn von Illusionismen‘“245. Auch im Politikteil war man von Hoffmanns Ansatz nicht gerade angetan. Als die CDU bei den Kommunalwahlen im März 1977 eine absolute Mehrheit erreichte und die Frage aufkam, ob Hoffmann im Amt bleiben oder zurücktreten würde, war die Stoßrichtung klar. Während Maetzke in einer Leitglosse offen gegen den Politiker stichelte,246 klangen bei Friedrich Karl Fromme subtilere Töne an: „In Frankfurt schreit vieles nach Wechsel und Wandel“247, hieß es am 22. März im Politikteil.248 Auch Marcel Reich-Ranicki, der 1974 das Literaturblatt übernommen hatte, hielt seine Meinung nicht zurück und bezeichnete die Städtischen Bühnen in einer Konferenz als „eine so schädliche Institution, daß sogar ihre Nichtexistenz vorzuziehen wäre.“249 Das ging deutlich an die Adresse von Hoffmann. Im Theaterressort war man anderer Meinung. Einen Tag nach dem Erscheinen von Maetzkes Glosse blickte Rühle im Feuilleton recht positiv auf die bisherige Amtszeit zurück. „Daß die Stadt in den letzten Jahren ‚menschlicher‘ wurde, daß sie ihren Ruf aus den fünfziger Jahren, eine ‚amusische Stadt‘ zu sein, glücklich verloren hat, ist dieser Arbeit zu verdanken“, war am 24. März in der FAZ zu lesen. „Auch in der CDU wird man erkennen, daß viele Prinzipien der ‚neuen Kulturpolitik‘ eben Prinzipien der Kulturpolitik sind und nicht einer Partei allein angehören“250, so Rühle. Hatte sich das Feuilleton schon einer Demokratisierung der Bildungsstätten nicht grundsätzlich entgegengestellt, so tat es dies ebenso wenig in puncto Schauspiel. In den 1960er Jahren wurde der Reformbedarf des deutschen Theaters verschiedentlich thematisiert. Reformansätze, die als Nachwehen aus der „68er“-Bewegung hervorgegangen waren, wurden unter kritischen 243 Vgl. Hoffmann, Hilmar: Gegen Musentempelkodex. Schwerpunkte künftiger Kulturpolitik, in: FAZ vom 1.12.1970, S. 9–10. 244 Vgl. Göpfert: Der Kulturpolitiker (2015), S. 152. 245 Protokoll der Tageskonferenz vom 16.11.1970, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen  1.1.1970–31.12.1971. 246 Vgl. Me. (= Ernst-Otto Maetzke): Menetekel am Main, in: FAZ vom 23.3.1977, S. 1. 247 Fromme, Friedrich Karl: Frankfurts neuer Mann, in: FAZ vom 22.3.1977, S. 10. 248 Vgl. Göpfert: Der Kulturpolitiker (2015), S. 202. 249 Protokoll der Redaktionskonferenz vom 24.3.1977, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen  1.1.1975–31.12.1977. 250 g. r. (= Günther Rühle): Wie weiter in Frankfurt? Zur städtischen Kulturpolitik, in: FAZ vom 24.3.1977, S. 21.

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Gesichtspunkten,251 prinzipiell aber wohlwollend begleitet. Schwab-Felisch etwa äußerte sich Ende 1969 – im Ton nüchtern, in der Sache positiv – zu den Reformplänen an den Düsseldorfer Kammerspielen, wo wie in vielen anderen Häusern unterschiedliche Methoden der kollektiven Zusammenarbeit diskutiert wurden.252 Rühle ging einen Schritt weiter. Im FAZ-Stadtblatt vom 5. November 1969 rechnete er das im Entstehen begriffene „Frankfurter Modell“ – vorgesehen war die Einrichtung eines dreiköpfigen Schauspieldirektoriums, das maßgebliche Entscheidungen gemeinsam mit der Generalintendanz zu treffen hatte – zu den Entwürfen mit Zukunft und bezeichnete es als potentiellen Lösungsansatz für die Theaterkrise.253 Das ging an Welter nicht unbemerkt vorbei. Eine Woche später schrieb er an Eick, Rühle habe die Mahnung, die Zeitung „nicht mehr […] für das rote Rätesystem im Theater zu engagieren“254, erneut missachtet. Noch ein Jahr später war das Thema nicht vom Tisch. Nicht ohne auch die Probleme zu benennen,255 berichtete Rühle weiterhin über die kursierenden Mitbestimmungskonzepte. In der Modifikation von Verantwortungsstrukturen erblickte er bei aller grundsätzlichen Sympathie keine Universallösung. Zu einem neuen Entwurf für Frankfurt bemerkte er 1971: „Mitbestimmung kann ein Theater auch lähmen. Mitbestimmung allein garantiert noch nicht, worauf es im Theater ankommt: künstlerische Qualität und Wirksamkeit ihrer Inhalte.“256 Nichtsdestotrotz vermerkte das Protokoll der Herausgeberkonferenz am folgenden Tag, Rühle verteidige „im Widerspruch gegen die Linie des Blattes das Rätesystem im Theater“257. Mitbestimmung bedeutete in dieser Lesart nicht Reform, sondern Umsturz. Mehrfach wurde darüber beraten, wie mit Rühle, dem laut Korn „wichtigste[n] Mann im Feuilleton“258, zu verfahren sei. Es blieb bei der Hoffnung, „Herrn Rühle mit seinen politischen Meinungen und Eskapaden wieder zu integrieren.“259 251 Vgl. Rohde, Gerhard: Einübung ins Kollektiv. Faßbinders „Bettleroper“ im Frankfurter Theater am Turm, in: FAZ vom 15.1.1971, S. 2. 252 Vgl. Schwab-Felisch, Hans: Team oder nicht? Zu den Reformplänen der Düsseldorfer Kammerspiele, in: FAZ vom 4.11.1969, S. 2. 253 Vgl. g. r. (= Günther Rühle): Noch nicht aufgegeben, in: FAZ vom 5.11.1969, S. 40. 254 Brief von Erich Welter an Jürgen Eick vom 12.11.1969, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 255 Vgl. g.  r. (=  Günther Rühle): Direktorium für das TAT. Eine kleine Frankfurter „Schaubühne“, in: FAZ vom 18.1.1971, S. 20. 256 g. r. (= Günther Rühle): Palitzsch geht ans Frankfurter Theater. Arbeit an einem zweiten „Frankfurter Modell“, in: FAZ vom 23.2.1971, S. 20. 257 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 24.2.1971, in: FAZ-Archiv, H 1.1.1969–31.3.1971. 258 Brief von Karl Korn an Jürgen Tern und Erich Welter vom 10.12.1965, in: BArch Koblenz, N 1314/398. 259 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 31.7.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968.

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Von „Super-Mädchen“ und „Glamour-Girls“ Wie die Entwicklungen und Ereignisse um „1968“ zu bewerten waren, blieb nicht die einzige umstrittene Frage. Auch die Frage, was zum Gegenstand der Berichterstattung erhoben wurde, sorgte Ende der 1960er Jahre für Konfliktstoff. Der Comic, ein altes Stiefkind des Feuilletons, hatte sich neben anderen Kunstformen zum Ausdrucksmedium der „68er“ entwickelt. Graphikerinnen und Graphiker, die sich an der Schnittstelle zwischen Protest- und Kunstszene bewegten, nutzten ihn als Medium der Mobilisierung.260 Zwei der umstrittensten Bücher schafften es 1968 überraschend in das Literaturblatt der FAZ: „Super-Mädchen“ und „Glamour-Girl“, die Hauptwerke von Alfred von Meysenbug. Das bot nicht nur großes Konfliktpotential. Es zeugte auch von einem veränderten Umgang mit dem einst stigmatisierten Medium. In der Öffentlichkeit waren Comics lange als minderwertige Massenprodukte gehandelt worden. In den 1950er Jahren, dem ersten Jahrzehnt ihrer massenhaften Verbreitung, hatten sie dem Feuilleton Anlass geboten, sich in kulturpessimistischen Tönen über die sprachliche und kulturelle Degeneration der Jugend zu echauffieren. Comics, schrieb der Übersetzer Harold Theile 1951 im FAZ-Feuilleton, seien Produkte für Minderbemittelte, ein „banausisches Quiproquo für die pervertierte, entsonnte Vernunft“261. Auf der Frauenseite wurde vehement an die Verantwortung der Erziehenden appelliert. Unter dem Titel „Das Mordrezept im Groschenheft“ beschrieb Carl Bertram Hommen dort 1954 die Gefahren des Comic-Konsums. Auf medizinische Studien und ärztliche Meinungen verweisend, konstruierte er eine zeittypische Kausalkette von der Lektüre zu Brutalisierung, Verrohung und Gewalttätigkeit.262 Noch 1962 sprach der Germanist Hans Halbey im Feuilleton von einer „Seuche“263, während er die heute umstrittenen Bilderbuch-Klassiker wie den „Struwwelpeter“ als bedenkenlos einstufte. Erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde das Urteil differenzierter, die Auseinandersetzung mit dem Bild- und Textmedium umfangreicher. Der Comic war zum Gegenstand von Wissenschaft und Kunst geworden. Erste Monographien zu seiner Geschichte und Ästhetik waren erschienen, Pop Art und andere „Grenzüberschreitungen zwischen Hoch- und Popkultur“264 hatten ihn salonfähig gemacht. Die Erzählung vom Comic als Gefahrenherd 260 Vgl. Dolle-Weinkauff, Bernd: Pop, Protest und Politik: Die Comics der 68er, in: Forschung Frankfurt 2 (2008), S. 38–45, hier S. 41. 261 Theile, Harold: Im Anfang war das Bild, in: FAZ vom 23.11.1951, S. 4. 262 Vgl. C.B. (=  Carl Bertram Hommen): Das Mordrezept im Groschenheft, in: FAZ vom 18.9.1954, BuZ, S. 6. 263 Halbey, Hans: Märchenbuch oder Comic-Heft?, in: FAZ vom 2.6.1962, BuZ, S. 6. 264 Schildt / Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte (2009), S. 302.

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wurde nun in Blitzgeschwindigkeit historisiert. In einer 1966 veröffentlichten Kritik zu Alfred Clemens Baumgärtners „Die Welt der Comics“ (1965) lobte der Rezensent den Autor dafür, dass er sich „nicht wie Hunderte besorgter Pädagogen vor ihm in die Ideologie von Schmutz und Schund“ verwickeln lasse, „nicht in das Lamento ein[falle], daß die Strips die Lehrmeister des modernen Analphabetismus seien und das Menschentum gefährdeten“265. Günther Rühle bemerkte im gleichen Jahr, dass allmählich deutlich werde, „was die Jugend an den Comics gegen alle Kulturverfallstrompeter so fasziniert hat; nämlich der neue Stil der Generation, der in den angeblich so öden Zeichnungen steckt.“266 Dass sich der Ton wandelte, hieß nicht, dass Comics plötzlich als eigene Kunstform anerkannt wurden. In der Zeitung blieben sie weiterhin ein Produkt der Unterhaltungsindustrie.267 Von einer pauschalen Abwertung war man aber abgekommen. Nun war es Zeit, das Verhältnis zum Comic einer nüchternen Überprüfung zu unterziehen. 1967 meldete sich in der Samstagsbeilage ein Urgestein der empirischen Kulturwissenschaften zu Wort und machte sich für die Aufwertung von Bildmedien stark. Hermann Bausinger sprach in seinem Artikel vom 18. November von der „Überschätzung des Buches gegenüber anderen Medien der Information, der Belehrung, der Unterhaltung“. Es herrschten immer noch große Ressentiments „gegenüber den Formen bildlicher Vermittlung“268. Der Aufstieg des Comics vom „Abfalleimer am Wege zur Kultur“269 zum Bild-Text-Medium mit spezifischen Qualitäten erreichte in den 1970er Jahren eine neue Stufe. Im FAZ-Feuilleton machte er sich durch zwei Veränderungen bemerkbar: Während der frühe Comic-Diskurs unter pädagogischen Gesichtspunkten primär auf der Frauenseite stattgefunden hatte, verlagerte er sich mit zunehmender Akzeptanz des Mediums in das Tagesfeuilleton, das

265 Gross, Johannes F.: Übermensch / Untermensch. Die Welt der Comics (= Rezension zu Alfred Clemens Baumgärtner: „Die Welt der Comics“. Frankfurt am Main 1966), in: FAZ vom 28.2.1966, S. 19. 266 Rühle, Günther: Die Verschönerung der Frauen. Nach der Interstoff in Frankfurt, in: FAZ vom 29.11.1966, S. 20. 267 Vgl. Spies, Werner: Auf den Strip gekommen. Comics im Louvre, in: FAZ vom 13.6.1967, S. 18. 268 Bausinger, Hermann: Domestiziertes Abenteuer. Bemerkungen zur Situation des Kinder- und Jugendbuches, in: FAZ vom 18.11.1967, S. BuZ, S. 4. 269 Segebrecht, Dietrich: Den Comics eine Gasse. „Zok roarr wumm“ oder: Zwei Bücher und einiges Weitere zu einer anhaltenden Diskussion (= Rezension zu Günter Metken: „Comics“. Frankfurt am Main 1970; Karl Riha: „‚Zok roarr wumm‘. Zur Geschichte der Comic-Literatur“. Steinbach 1970), in: FAZ vom 10.11.1970, S. 22.

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Literaturblatt und das „Büchertagebuch“.270 Darüber hinaus wurden die Besprechungen nicht mehr ausgelagert, sondern immer öfter von den eigenen Redakteurinnen und Redakteuren verfasst. Impulse dafür kamen sowohl aus der „68er“-Bewegung als auch aus der Comic-Ausstellung der Berliner Akademie der Künste zur Jahreswende 1969/70.271 Was dem Comic zuvor abgesprochen oder gar negativ angelastet worden war, wurde nun positiv herausgekehrt: sein pädagogischer Mehrwert, seine Daseinsberechtigung als Hilfsmittel für Lernende und Lehrende.272 „Ich sage: Den Comics eine Gasse!“273, schrieb Dietrich Segebrecht 1970 im FAZ-Feuilleton. Zwei Jahre später attestierte Wilfried Wiegand den Klassikern des Genres sogar eine große künstlerische Bedeutung.274 In einem Zeitraum von zwanzig Jahren hatte sich ihre Bewertung im Feuilleton grundlegend gewandelt. In der FAZGesamtredaktion gingen die Meinungen, wie die Diskussionen um Alfred von Meysenbug zeigen, nach wie vor weit auseinander. Meysenbug, der während seines Studiums am Frankfurter Institut für Sozialforschung bereits einige Bildbeiträge in der Studentenzeitung Diskus veröffentlicht hatte, gelang mit seinen Comics „Glamour-Girl“ und „Super-Mädchen“ 1968 der zeichnerische Durchbruch. Darin griff der Adorno-Schüler zentrale Thesen der Protestbewegung auf und verarbeitete sie künstlerisch. Er verzichtete dabei auf die klassische Panel-Struktur und arbeitete stattdessen mit Collagen im Pop-Art-Stil, die er mit Passagen aus einem Verkaufsratgeber anreicherte. Im Spiel mit Schablonen und Stereotypen stellte Meysenbug Kommerzialisierung, Konsumorientierung und Reklame als Abfallprodukte des Spätkapitalismus

270 Vgl. etwa Raschke, Ulrich: Superschwein. Comics von Bettina Anrich-Wölfel (= Rezension zu Bettina Anrich-Wölfel: „Superschwein  – eine Geschichte in Bildern“. Mülheim 1972), in: FAZ vom 29.11.1972, S. 31. 271 Vgl. Schwender, Clemens / Grahl, Doreen: Bildergeschichten zwischen Anfeindung, Anerkennung und Missachtung. Die Darstellungsform Comics aus Sicht der historischen Kommunikationsforschung, in: Geise, Stephanie (Hg.): Historische Perspektiven auf den Iconic Turn. Die Entwicklung der öffentlichen visuellen Kommunikation. Köln 2016, S. 232–255, hier S. 241. 272 Vgl. Raschke, Ulrich: Für die Lateinstunde. „Plautus in Comics“, in: FAZ vom 28.10.1971, S. 23. 273 Segebrecht, Dietrich: Den Comics eine Gasse. „Zok roarr wumm“ oder: Zwei Bücher und einiges Weitere zu einer anhaltenden Diskussion (= Rezension zu Günter Metken: „Comics“. Frankfurt am Main 1970, Karl Riha: „‚Zok roarr wumm‘. Zur Geschichte der Comic-Literatur“. Steinbach 1970), in: FAZ vom 10.11.1970, S. 22. Vgl. auch ders.: Plädoyer für die Comics, in: Buch und Bibliothek 23 (1971), S. 256–264. 274 Vgl. W.W. (= Wilfried Wiegand): Der kleine Niemand. Ein Klassiker der Comics (= Rezension zu Winsor McCay: „Little Nemo“. Darmstadt 1972), in: FAZ vom 29.11.1972, S. 32.

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an den Pranger.275 Aus seiner Verkäuferin Jolly Boom, einer „‚Sklavin‘ des modernen Konsumtempels Warenhaus“276, wird im „Super-Mädchen“ eine autonome Prostituierte, die sich nach der Entdeckung ihrer eigenen Sexualität selbst zur Ware macht.277 Das „Glamour Girl“, die Prostituierte Carla Lilly, wird nach einer Protestaktion des „Aktionsrates zur Befreiung der Frauen“ zur Aktivistin.278 Durch Meysenbugs Erzählungen zogen sich nicht nur kapitalismuskritische Thesen. Auch mit Sexualität und Freizügigkeit, ebenfalls Themen der „68er“, spielte er offen. Seine plakativen Zeichnungen durchzieht eine pornographische Ästhetik: Nackte Haut, Nahaufnahmen des Geschlechtsaktes und Frauen in lasziven Posen gehören ebenso zur Grundausstattung seiner Bücher wie textliche Persiflagen auf die rigide Sexualmoral.279 In der überregionalen Presse wurde Meysenbug nur am Rande wahrgenommen. Der Spiegel brachte 1968 lediglich eine kurze, kritische Doppelrezension („soziologische Modelle von vorgestern“280), die Zeit enthielt sich eines Kommentars. Neben der SZ, die Meysenbugs Comicbücher als Zeitvertrieb empfahl, „da sie so unverschämt offen in ihrer Aktualität und damit so zeichenhaft typisch für diese zweite Hälfte unseres Jahrzehnts sind“281, war es die FAZ, die ihnen eingehendere Beachtung schenkte. Am 18. Januar 1969 erschien im Literaturblatt eine Rezension des Kunsttheoretikers Bazon Brock, der sich zunächst soziologisch mit der Materialität von Büchern beschäftigte, um dann ihre gesellschaftlichen Aneignungsmechanismen konsumkritisch zu beleuchten. In den Comics sah der zur linken Frankfurter Kulturszene gehörende Rezensent eine wichtige Gegenentwicklung. Ihre Lektüre habe das Potential zur Bewusstwerdung, zur Konfrontation mit den eigenen Denk- und Verhaltensweisen:

275 Vgl. Dolle-Weinkauff: Pop, Protest und Politik: (2008), S. 39, 44–45; Kronthaler, Helmut: Porno, Pop und Politik. Alfred von Meysenbug als Comic-Revoluzzer, in: Deutsche Comicforschung 5 (2009), S. 119–125, hier S. 119. 276 Kronthaler Porno, Pop und Politik (2009), S. 121. 277 Vgl. Meysenbug, Alfred von: Super-Mädchen. Das Ende der Verkäuferin Jolly Boom (= Streit-Zeit-Bilder, Bd. 1). Frankfurt am Main 1968. 278 Vgl. Meysenbug, Alfred von: Glamour-Girl. Glamourös gezeichnet und getextet (= StreitZeit-Bücher, Bd. 2). Frankfurt am Main 1968. 279 Vgl. Meysenbug: Super-Mädchen (1968). 280 O. A.: Gestiefelter Mythos (= Sammelrezension zu Guy Peelaert: „Pravda“. Bremen 1968; Alfred von Meysenbug: „Super-Mädchen“ und „Glamour Girl“. Frankfurt am Main 1968), in: Der Spiegel 52/1968, S. 145–146. 281 Längsfeld, Wolfgang: Pravda, Jolly Boom und andere Supermädchen (= Rezension zu Guy Peellaert: „Pravda“. Bremen 1967), in: SZ vom 19.3.1969, S. 6.

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Meysenbug will die Usurpation des Comic vom Zeitvertreib zur Zeitbestimmung erreichen. Der kommentierende Text beschreibt die Verlaufsformen heutiger Sozialisationsversuche. Super-Mädchen ist Verkäuferin, die langsam begreift, daß sie dabei immer nur sich selber verkauft. […] Glamour Girl liegt und lebt auf der Straße, bis sie begreift, daß nur der politische Zusammenschluß mit anderen ein Organisationsprinzip ihres Lebens sein kann. Als Verkäuferin ist man Hure, aber als Hure hat man die Chance, sich seiner Lage bewußt zu werden.282

Neben Brocks Rezension erschien das Titelbild des „Super-Mädchens“. Anders als der Spiegel, der das bunte Cover ebenfalls veröffentlicht hatte, war in der FAZ jedoch nur die amerikanische Einstellung zu sehen: Dort, wo auf dem Original die entblößte Brust der Protagonistin zu sehen ist, wurde das Cover abgeschnitten. Dem „68er“ Meysenbug zu öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen, das hatte man sich geleistet. Eine halbnackte Frau mit offener Hose zu zeigen, das dagegen war nicht denkbar. Ein halbes Jahr später war Meysenbug erneut Thema. Anlass war ein Rechtsstreit zwischen dem Heine Verlag, der die Comics veröffentlicht hatte, und dem Econ Verlag. Letzterer beschuldigte Meysenbug der Urheberrechtsverletzung, da er Absätze aus dem Ratgeber „Leichter, schneller, mehr verkaufen“ (1968) übernommen habe. Nun ergriff Bohrer in der FAZ Partei für den Zeichner. In einem Artikel, der von Hanno Kühnert, dem Politikredakteur mit liberalem Ruf, gegengelesen, und von Korn mit einem neutralen Vorspann versehen worden war,283 widersprach er den Vorwürfen entschieden. Meysenbug habe die übernommenen Passagen ausreichend entfremdet und kritisch rezipiert. Dies seien „Techniken der modernen Kunst und Literatur“284, die der Kunstfreiheit unterlägen. Noch dazu sei die Werbe- und Konsumsprache so wenig individuell, dass von einem Plagiat nicht die Rede sein könne. Beides –  die Rezension im Feuilleton und Bohrers Parteinahme für Meysenbug – erregten in der Redaktion Missmut. Das hing vermutlich auch mit der Person des Autors zusammen, der in Frankfurt nicht zuallererst für seine künstlerischen Leistungen bekannt war. Meysenbug gehörte zur sogenannten „Lederjackenfraktion“ des SDS, war Teil des radikalen, anarchistischen Flügels und hatte Kontakte zu den späteren RAF-Mitgliedern Andreas Baader und 282 Brock, Bazon: Bücher zum Anfassen. Alfred von Meysenbugs Comic-Strips „Glamour Girl“ und „Super-Mädchen“ (= Rezension zu Alfred von Meysenbug: „Glamour-Girl“ und „Super-Mädchen“. Frankfurt am Main 1968), in: FAZ vom 18.1.1969, BuZ, S. 5. 283 Vgl. den Brief von Robert Held an Erich Welter vom 17.7.1969, in: BArch Koblenz, N  1314/452; Brief von Rolf Michaelis an Peter Szondi vom 11.1.1971, in: DLA Marbach, A:Szondi, Peter, 88.9.612/16. 284 Bohrer, Karl Heinz: Das Supermädchen vor dem Kadi. Oder: Was ist ein Plagiat?, in: FAZ vom 16.7.1969, S. 28.

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Gudrun Ensslin.285 Auf der Frankfurter Buchmesse („Springermesse“) war er 1968 nach Randalen festgenommen worden.286 Kein Wunder, dass Meysenbug, der einige Monate später mit seiner Kamera das „Bussenattentat“ auf Adorno einfing,287 kein Gast war, dem man gerne eine Plattform bot. Schlimmer aber war zumindest für Eick, dass sich Bohrer mit seiner „ausgesprochen polemisch engagierte[n] Parteinahme“288 in ein Rechtsverfahren einschaltete. Während sich Eick über Bohrer ärgerte, war sein Artikel für andere nur ein weiteres Symptom für die Irrungen und Wirrungen eines aus dem Ruder laufenden Feuilletons. So monierte der Philologe Otto Saame in einem Leserbrief im Juli 1969, dass Meysenbugs Werke voller Karl Marx und Herbert Marcuse, Vulgarität und SDS-Propaganda steckten. „Oft man hat man den Eindruck“, so Saames abschließendes Urteil, „die F.A.Z. fördert im Feuilleton unkritisch Bestrebungen, gegen die sie im politischen und wirtschaftlichen Teil zu Felde zieht“289. Für Korn hielt Bohrers Engagement aus anderen Gründen Ärger bereit. „Bohrer weiß genau“, berichtete er Anfang August  1969 nach Berlin, „wie schwer er mir das Leben mit Artikeln für das Machwerk des Meysenbug (Supermädchen) macht. Ich kann dann den Bohrer bei Welter und Tern nur fein rauspauken und dieser Streß (u. a.) macht mich krank …“290 Auch Held sah sich erneut zwischen den Stühlen sitzen. Er verfasste einen Brief an Bohrer, in dem er sich mit untypischer Vehemenz gegen eine Berücksichtigung der Meysenbug-Werke in der Zeitung aussprach, weil es sich bei ihnen um pubertäre Pornographie „mit angeblich gesellschaftskritischen Motiven“ handle. Held, der für die Inhalte des Feuilletons mitverantwortlich war, offenbarte Bohrer, dass sein Engagement für den Zeichner „einem gewissen common sense der Redaktion“291 zuwiderlaufe und drohte zurückzutreten, falls er in Zukunft nicht kooperiere. Doch Welter, der den Entwurf vorab zu Gesicht bekam, riet ihm ab. „Ich sage Ihnen noch einmal“, schrieb er am 8. August an Held, „erstens ärgert man sich nicht und ist auch nicht wütend, und zweitens wenn man es ist, lässt man es sich nicht anmerken und sagt es nicht. Dies ist 285 Vgl. Kronthaler: Porno, Pop und Politik (2009), S. 120. 286 Vgl. Schröder, Jörg: Schröder erzählt: Sauna Luxemburg, Bd. 7. Fuchstal-Leeder 1991, S. 34. 287 Vgl. Stelzer, Tanja: Die Zumutung des Fleisches, in: Der Tagesspiegel vom 6.12.2003, S. 3. 288 Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 17.7.1969, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 289 Leserbrief von Otto Saame, in: FAZ vom 25.7.1969, S. 12. 290 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 6.8.1969, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3. 291 Brief von Robert Held an Karl Heinz Bohrer vom 14.7.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. Dass der Brief nicht abgeschickt wurde, geht aus dem Brief von Robert Held an Erich Welter vom 17.7.1969, in: ebd. hervor.

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eine alte Lebensregel.“292 Das war freilich eine Regel, deren Befolgung auch Welter oft schwerzufallen schien. Aus welchen Gründen auch immer, Bohrer bot immer wieder Anlass zur Diskussion.293 Er sei eine Schlüsselfigur gewesen, die sich zugleich jeder politischen Einordnung entzogen habe, erinnert sich Beaucamp.294 Doch ähnlich wie im Fall Rühle war man sich auch bei Bohrer einig, dass er „mit den Mitteln intensiver, beständiger Aussprachen fürs Blatt erhalten werden soll“295. In der Hoffnung, dass dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt sei, griff man zu erstaunlichen Methoden und erhöhte seinen monatlichen Salär um 200,- DM.296 6.2

Viele Stimmen, schlechte Stimmung

Wo die einen produktiven Aufbruch sahen, sich von der gesellschaftlichen Dynamik einnehmen ließen oder sogar „billigende[n] Freude an der Revolution“297 entwickelten, sahen die anderen Verfall. Wo Erstere einen neuen Zeitgeist begrüßten, beklagten Letztere verlorene Traditionen. In ein und derselben Zeitung spiegelten sich damit zwei zentrale Deutungsdiskurse der „68er“Revolte wider. Aus Sicht des Feuilletons hatte man mit Politik und Wirtschaft erzkonservative, ja reaktionäre Gegenspieler, die durch ihre undifferenzierte Berichterstattung praktizierten, wogegen man selbst Stellung bezog. Folglich gab man sich intellektuell überlegen und verzichtete auf eingehendere Absprachen.298 Aus der Perspektive von Politik und Wirtschaft hatte man es hingegen mit „APO-Jargon und Soziologie-Assistenten-Stil“299, mit Marxisten und „Umstürzlern“300 zu tun, die von Politik nichts verstanden.301 Beide Blickwinkel wie auch die Beobachtung, dass sich zwischen den Ressorts eine Schere 292 Brief von Erich Welter an Robert Held vom 8.8.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. 293 Vgl. die Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 17.4.1968 und 10.7.1968, in: FAZArchiv, H 1966–12/1968. 294 Eduard Beaucamp in einem Gespräch mit der Verfasserin am 29.3.2019 in Frankfurt. 295 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 15.7.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. 296 Vgl. ebd. 297 Brief von Sabina Lietzmann an Hilde Spiel vom 13.6.1970, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/394. 298 Vgl. Bohrer: Jetzt (2017), S. 16, 62; Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. 299 Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 8.9.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. 300 Brief von Erich Welter an Karl Korn und Robert Held vom 19.8.1968, in: ebd., N 1314/450. 301 Vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 29.4.1968, in: FAZ-Archiv, Persönliche Ablage Welter  1/1961–12/1968; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 31.7.1968, in: ebd., H 1966–12/1968.

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auftat, kamen auch in den Leserbriefen zum Ausdruck. Manche Stimmen unterstellten dem Feuilleton einen „Kampf gegen das literarische ‚Establishment‘“302. Andere sprachen von Marxismus.303 Diese Einschätzung entsprach weder den realen Gegebenheiten –  wie die meisten Medien verfolgte das Feuilleton die „68er“ „mit kritischer Sympathie“ und „hielt die von dort vorangetriebene Politisierung der Berichterstattung ebenso für überwiegend sinnvoll wie die interne ‚Demokratisierung‘ redaktioneller Strukturen“304  – noch dem Selbstbild der Redaktion. Einige Redakteurinnen und Redakteure mochten sich im politischen Spektrum zwar eher links verortet haben, begrüßten etwa den Machtwechsel in Bonn nach der Bundestagswahl im September  1969 tendenziell.305 Das war aber nicht zwangsläufig ein parteipolitisches oder ein streng ideologisches Bekenntnis im marxistischen oder sozialistischen Sinne.306 Parteimitgliedschaften wie Frisés kurzes Intermezzo bei der SPD noch vor ihrer Zeit bei der FAZ waren im Feuilleton eine Seltenheit.307 „Links“ zu sein, war vielmehr eine diffuse Selbstbeschreibung, die sich im Hause FAZ vor allem dadurch auszeichnete, dass man sich von konservativen und dezidiert marktwirtschaftlichen Positionen abgrenzte und für Liberalität, Offenheit und Diskussionsfreudigkeit gegenüber neuen Entwicklungen und Experimenten eintrat. Als Folie für die eigene politische Verortung diente die Zeitung selbst.308 Aber auch das galt freilich nicht für alle. Auch in der Feuilletonredaktion gab es Journalistinnen und Journalisten, die sich als unpolitisch betrachteten, und solche wie Eduard Beaucamp, die sich in der heterogenen Gruppe eher den „Konservativen“ als den „Fortschrittlichen“ zurechneten.309

302 In dem von Welter zitierten Brief hieß es außerdem, das Feuilleton propagiere „die ‚Jungen‘“ und lasse „die ‚alten Künstler‘ nicht gelten“. Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 8.9.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. 303 Vgl. den Brief von Günther Jedelhauser an die FAZ-Herausgeber, undatiert, in: DLA Marbach, A:Andersch, Alfred/Efraim. 304 Hodenberg: Der Kampf um die Redaktionen (2006), S. 157. 305 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 7.10.1969, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969. 306 Vgl. Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9; Rahms: Die Clique (1999), S. 126–127; E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 4.3.2019. 307 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 297–298. 308 Vgl. die E-Mails von Günther Rühle vom 20.6.2017, 25.6.2017 und 4.3.2019; Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 und 29.3.2019 in Bad Homburg; Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 309 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt.

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In anderen Leserbriefen war es der Politikteil, dem Undifferenziertheit, Staatshörigkeit und Demagogie vorgehalten wurden.310 Dieser Eindruck veranlasste auch einige prominentere Leserinnen und Leser zu harscher Kritik. Walter Boehlich etwa, (noch) Cheflektor bei Suhrkamp, stellte der FAZ ein schlechtes Zeugnis aus. Die Zeitung, schrieb er kurz nach den Osterdemonstrationen am 17. April 1968 an Michaelis, beschreite „den Trampelpfad der Reaktion“. Boehlich warf dem Politikteil Elitismus vor, bezichtigte ihn, sich nicht seriös mit den Ursachen der Proteste auseinanderzusetzen, und sprach der FAZ eine Mitverantwortung für die Ereignisse zu: „Daß die Studenten erstens die Demokratie für funktionsunfähig (in einem progressiven Sinne) halten und daß sie zweitens die Konsequenzen daraus gezogen haben, ist Mitschuld der FAZ, die […] den Quietismus und die Starrheit des Systems (abgesehen vom Feuilleton) immer und immer gepredigt hat. Es ist ein Skandal, wieviel Energie eine solche Zeitung aufbringen kann, um einen Generalintendanten loszuwerden, ohne je Energie aufzubringen, das zu verhindern, was die Demokratie zerstört.“311 Ähnlich sah das Günter Grass, der sich seit Mitte der 1960er Jahre offen für die SPD und Brandt engagierte.312 In einem Brief an Korn, der zur Weiterleitung vorgesehen war, unterzog er die Zeitung 1970 einer Generalkritik. Die FAZ, die er immer als eine „konservativ aufgeklärte Zeitung, regierungsloyal aus forciert staatserhaltenden Gründen“, betrachtet habe, zeichne sich seit der Bildung der sozialliberalen Koalition durch Befangenheit aus. Darin gleiche sie nicht nur dem Hause Springer, vielmehr schade ihre vom „Obstruktionsstil der CDU und CSU“313 beherrschte Berichterstattung dem parlamentarisch-demokratischen System. Grass kündigte an, der Zeitung vorerst keine weiteren Beiträge aus seiner Feder zur Verfügung zu stellen.

310 Einige Leserinnen und Leser verglichen den Politikteil sogar mit der Bild, vgl. etwa den Brief von Wolf-Dieter Donecker an die FAZ vom 19.4.1968, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Jürgen Tern –, Leserzuschriften 1968 bis 1970; Brief von A. Warnke an die FAZ vom 20.4.1968, in: ebd. 311 Brief von Walter Boehlich an Rolf Michaelis vom 17.4.1968, in: DLA Marbach, SUA: Suhrkamp/03 Lektorate, SU.2010.0002. 312 Vgl. Øhrgaard, Per: „ich bin nicht zu herrn willy brandt gefahren“ – Zum politischen Engagement der Schriftsteller in der Bundesrepublik am Beginn der 60er Jahre, in: Schildt, Axel / Siegfried, Detlef / Lammers, Karl Christian (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (=  Hamburger Beiträge zur Sozialund Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg 2000, S. 719–733, hier S. 721–722. 313 Brief von Günter Grass an Karl Korn vom 15.10.1970, in: FAZ-Archiv, Materialien zur Geschichte der Zeitung bis 1979.

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Während im Herausgebergremium überlegt wurde, wie mit diesem Schreiben umzugehen sei,314 korrespondierte Grass mit Michaelis. Der BerlinKorrespondent, der über den Inhalt des Briefes vorab informiert war, hielt ihn für eine Chance. Mit den Vorwürfen verband er die Hoffnung, es werde endlich eine konstruktive Diskussion geben.315 Er war nicht der einzige, dem der Schriftsteller offenbar aus der Seele sprach. Wie Michaelis Grass nach einem Besuch in der Hauptredaktion berichtete, habe der von Grass‘ Vorwurf der „linksliberale[n] Ahnungslosigkeit im Feuilleton“316 persönlich getroffene Korn mit Bohrer und Rühle über den Brief gesprochen. Beide schlössen sich der Kritik zwar an, hätten jedoch Zweifel an der Methode: „Die Kollegen im Feuilleton fürchten, Ihre Bemerkung über die ‚linksliberale Ahnungslosigkeit‘ der Feuilletonisten sei Wasser auf die Mühlen der ‚Redaktion‘ und erschwere die Arbeit […]. Sie wünschten sich von Ihnen einen ‚Brief an die Herausgeber‘, der dann publiziert werden müßte.“ Andere hätten ihm nahegelegt, Grass möge „ein anderes Forum suchen und ‚von außen‘ eine Diskussion […] erzwingen“. Diese Idee hielt Michaelis wiederum für weniger geeignet, da eine solche Konfrontation wie im „Fall Enzensberger“ auch zur „Solidarität unter den Redakteuren verschiedenster Couleur“317 führen könne. Dass man sich beobachtete, nicht mehr recht vertraute und gegenseitig Ahnungslosigkeit unterstellte, war Ausdruck der verhärteten Fronten. „1968“ schuf eine Atmosphäre der Anspannung, in der sich die Voraussetzungen für einen ressortübergreifenden Dialog zum Schlechteren entwickelten. Für die einzelnen Ressorts mag diese Entwicklung identitätsstiftend gewesen sein – für die Zeitung war sie es nicht. Das Tagesgeschäft verlief zwar weiterhin reibungslos. Politik, Wirtschaft und Feuilleton, jedes Ressort eine Zeitung für sich, zogen sich jedoch zunehmend in ihre Stockwerke zurück. In der stark gewachsenen Redaktion wurde „1968“ zum Kommunikationsproblem. „Offene Dialoge mit der politischen Redaktion in dieser Situation einer sich immer mehr zuspitzenden Akkumulation von Gegensätzlichkeiten gab es nicht. Man 314 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 21.10.1970 und 2.12.1970, in: FAZArchiv, H 1.1.1969–31.3.1971. 315 Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Günter Grass vom 19.11.1970, in: AdK Berlin, GünterGrass-Archiv, Grass_6210. Michaelis hatte offenbar auch den an der Berliner Freien Universität lehrenden Literaturwissenschaftler Peter Szondi beauftragt, sich an die Herausgeber zu wenden. Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an Peter Szondi vom 27.5.1969, in: DLA Marbach, A:Szondi, Peter. 88.9.612/13. 316 Brief von Günter Grass an Karl Korn vom 15.10.1970, in: FAZ-Archiv, Materialien zur Geschichte der Zeitung bis 1979. 317 Brief von Rolf Michaelis an Günter Grass vom 19.11.1970, in: AdK Berlin, Günter-GrassArchiv, Grass_6210.

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hat in der großen Konferenz darüber kaum diskutiert“318, erinnert sich Bohrer, der in den späten 1960er Jahren stellvertretend für die Feuilletonredaktion über die unterentwickelten Kommunikationsstrukturen geklagt hatte. Wie Eick Welter 1968 berichtete, fühlte sich Bohrer „in einem Ghetto eingesperrt, da durch die saubere Trennung der Redaktion auf verschiedenen Stockwerken kein Gespräch zustande käme. Er werde bei einem Besuch in einem anderen Ressort immer wie ein Fremder behandelt.“319 Den mangelnden Austausch, der oft eher indirekt via Hörensagen verlief,320 kritisierte auch Held, als er sich im August 1969 besorgt an Welter wandte: Bei uns herrscht die splendid isolation der Ressorts allmählich vor. Einst war die Tageskonferenz eine Konferenz der gesamten Redaktion, dann zogen sich die Wirtschaftler aus den Montags- und Dienstagskonferenzen zurück, selbst der einzige Delegierte dieses Ressorts bleibt gelegentlich aus, und ich habe Mühe die Feuilletonisten, Rühle und Wagner ausgenommen, dorthin zu bewegen.321

Held schlug vor, Tabu-Themen aufzugreifen und die FAZ einer ausgewogenen, kritischen Analyse zu unterziehen, die auch den Politikteil einzuschließen habe.322 Hommel tat es ihm rund acht Monate später gleich. Auch er verfasste einen Brief an Welter, der nach wie vor eine wichtige Schnittstelle bildete, und kritisierte die Kommunikation im Hause FAZ. Um zu einem „humaneren modus vivendi“323 zurückzufinden, so Hommels Vorschlag, sollten die Herausgeber vermittelnd eingreifen. Beide Versuche verhallten. Obwohl die Herausgeber die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten ebenfalls bemängelten,324 war ein gemeinschaftliches Eingreifen in Anbetracht der Verhältnisse im eigenen Kreis offenbar nicht denkbar. Zudem schienen die vorgebrachten Probleme in erster Linie das Feuilleton zu betreffen, während das Problembewusstsein 318 Karl Heinz Bohrer im Interview mit Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 9. 319 Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 17.7.1968, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 320 Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 7.2.1969, in: ebd. 321 Brief von Robert Held an Erich Welter vom 16.8.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/452. 322 Vgl. ebd. 323 Brief von Friedrich Ferdinand Hommel an Erich Welter vom 25.4.1969, in: ebd. 324 Vgl. den Auszug aus dem Protokoll über die Herausgeberkonferenz vom 15.12.1965, in: FAZ-Archiv, 1960–1965; Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 20.11.1967, in: BArch Koblenz, N 1314/400; Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 17.7.1968, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970; Beschlußprotokoll der Herausgebersitzung vom 23.4.1969, in: ebd., Akten der Geschäftsführung –  Werner  G.  Hoffmann  –, Herausgebersitzungen 1967–1969.

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in der Wirtschaftsredaktion wesentlich geringer ausgeprägt war.325 Wie stark die späten 1960er und frühen 1970er Jahre in Teilen der Redaktion von Krisengefühlen bestimmt waren, verdeutlichen auch Korns Briefe. Dessen Beziehung zu Welter hatte sich derart verschlechtert, dass er zum Ende des Jahres 1970 zwar die üblichen Wünsche übermittelte, es aber nicht fertigbrachte, „uns beiden weiterhin gute Zusammenarbeit zu wünschen“326. Für Korn waren die Jahre vor seiner Pensionierung zu einer Belastungsprobe geworden, der er sich nicht mehr länger auszusetzen imstande sah.327 Boveris Glückwünsche anlässlich seines 60. Geburtstags am 20. Mai 1968 – Boveri sprach in der FAZ vom Feuilleton als einem „‚Dritten Ort‘“328 und bescheinigte Korn persönlich, „innerhalb der Welter-Tern’schen FAZ ein Reservat geschaffen [zu] haben für die politisch und geistig nicht konformen Geister“329 – änderten daran wenig. „1968“ machte angestaute Unzufriedenheiten transparent und führte in Teilen der Feuilletonredaktion zu erheblichen Identifikationsproblemen. Grund dafür war vor allem der von Journalisten wie Ernst-Otto Maetzke und Karl Friedrich Fromme verkörperte politische Kurs. Die als kompromisslos empfundene Stoßrichtung der FAZ bot einigen Feuilletonistinnen und Feuilletonisten Anlass, ihre Anstellung grundlegend zu überdenken.330 So gestand Spiel Adorno im Juni 1968, sie „habe selbst oft Bedenken, ob man das noch mitmachen kann, wenn auch nur im Feuilleton. Vorläufig geht es eben grade noch, immer dicht an der Grenze.“331 Adorno selbst hatte eine Artikelanfrage ausgeschlagen, weil zwischen ihm, Welter und Tern „heftige Divergenzen“ bestünden. „Anderes als über rein ästhetische Dinge, bei Korn“, schrieb er entschuldigend, „muß ich mir unter dem gegenwärtigen Regime und bei der gegenwärtigen Richtung der FAZ versagen“332. Auch die mit Grass befreundete New Yorker FAZ-Korrespondentin Sabina Lietzmann stellte 1968 fest: „Wir sinken immer tiefer in die schlimmste Reaktionärs-Unterwelt ab, 325 Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 17.7.1968, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 326 Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 23.12.1970, in: BArch Koblenz, N 1314/495. 327 Vgl. den Brief von Karl Korn an Alfred Andersch vom 21.8.1967, in: DLA Marbach, A:Andersch, Alfred/Efraim; Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 27.11.1967, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 328 Boveri, Margret: Karl Korn wird sechzig, in: FAZ vom 18.5.1968, BuZ, S. 4. 329 Brief von Margret Boveri an Karl Korn vom 16.5.1968, in: DLA Marbach, A:Korn, Karl ‚1908–1991‘, HS.2011.0019.00006. 330 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 8.5.1968, in: FAZ-Archiv, H  1966–12/ 1968. 331 Brief von Hilde Spiel an Theodor  W.  Adorno vom 30.6.1968, in: TWAA, Frankfurt am Main, Br_1485. 332 Brief von Theodor W. Adorno an Hilde Spiel vom 18.6.1968 in: ebd.

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und auch ein gelegentlicher Bohrer […] oder überhaupt die matt geballte Faust im Feuilleton nützt da nichts.“333 Vor ein ähnliches Dilemma sah sich Sturm gestellt, die mit einem inneren Widerspruch kämpfte, der sich aus der Arbeit für die FAZ auf der einen und ihrem Engagement in linkskatholischreformerischen Vereinigungen wie dem „Bensberger Kreis“ auf der anderen Seite ergab. Es sei schwer gewesen, schrieb sie später, „die harte antikommunistische Tendenz, die Nähe zur CDU, die Gänsefüßchen für die DDR zu verkraften“. Sie habe mitunter „nahezu panische Angst vor dem Leitartikel“334 gehabt. Dass es trotz allem zu keiner Kündigungswelle kam, hing mit dem Status und dem Renommee zusammen, das die FAZ in der Medienlandschaft umgab. Die große überregionale Zeitung mit internationaler Reichweite zu verlassen, das war zwar eine vage Idee, aber keine echte Option, „denn die Institution lieh uns ja ihr Ansehen, ihre Bedeutung, ihren Namen. Dank der Institution konnten wir sicher sein, daß unsere Mitteilungen in der Öffentlichkeit aufmerksam bedacht, daß unsere Anstöße aufgefangen, unsere Alarmrufe gehört wurden.“335 6.3

Revolte? Reform!

Obwohl „1968“ die Zeitung also merklich in Aufregung versetzte, zogen die Erschütterungen weder große Personalwechsel noch einen unmittelbaren Aufruhr nach sich.336 Das sah in einigen Zeitungen und Verlagen anders aus. Dort, wo die innerbetrieblichen Hierarchien von einem Verleger oder einem Chefredakteur mit weitreichenden Rechten und Weisungsbefugnissen angeführt wurden, setzte die Revolte Impulse für den ein oder anderen Reformansatz.337 So entstanden 1969 und 1970 mancherorts Reformbewegungen, „die sich die 333 Brief von Sabina Lietzmann an Hilde Spiel vom 31.5.1968, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/298. 334 Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 241. 335 Ebd., S. 243. 336 Lediglich im Fall Dietrich Segebrecht gibt es Hinweise darauf, dass sein Ausscheiden auch politische Gründe hatte. Segebrecht verließ das Blatt, nachdem er im August 1969 eine Rezension des Theaterkritikers Klaus Völker veröffentlicht hatte, „in welcher der Rezensent dem Autor zum Vorwurf macht, daß er seinen Stoff nicht als klassenkämpferisches Agitationsdrama geschrieben habe“. Da dieser Fauxpas „eindeutig einen Mangel an politischem Verständnis“ zum Ausdruck bringe, kam man in Korns Abwesenheit im Herausgebergremium zu dem Entschluss, „daß man sich von diesem Redakteur wohl wird trennen müssen.“ Beschlußprotokoll der Herausgebersitzung vom 20.8.1969, in: FAZArchiv, H 1.1.1969–31.3.1971. 337 Vgl. Hodenberg: Der Kampf um die Redaktionen (2006), S. 150.

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Demokratisierung der Medien von innen durch ‚Redaktionsstatute‘ auf die Fahnen geschrieben hatte[n].“338 Ähnlich wie in den Theaterbetrieben sahen diese Statute rechtsverbindliche Partizipationsmöglichkeiten, Unabhängigkeit für das schreibende Personal, die Gründung von Redaktionsräten oder die Einführung von Berichterstattungsrichtlinien vor.339 Bei Suhrkamp zum Beispiel erhoben sich im Herbst 1968 neun Lektorinnen und Lektoren gegen Siegfried Unseld und forderten eine neue Verfassung, sprich paritätische Mitbestimmung in der Programmgestaltung und Werbung, im Vertrieb und in der Personalpolitik. Als nach dem Einspruch der konsultierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller klar wurde, dass die alten Entscheidungsstrukturen erhalten bleiben würden, verließen einige von ihnen, darunter Boehlich, den Verlag.340 Mehr Erfolg hatten die Redakteurinnen und Redakteure des Stern. Dem im Mai 1969 erlassenen Redaktionsstatut zufolge durfte fortan ein Redaktionsbeirat mit zwei Dritteln seiner Stimmen die Berufung oder die Entlassung eines Chefredakteurs verhindern. Für andere Personalentscheidungen erhielt der Beirat ein Vetorecht.341 Auch im Spiegel bildeten sich Anfang der 1970er Jahre Aktionsgruppen, die nach innerbetrieblicher Mitbestimmung riefen. Im März 1971 wurde ein Redaktionsrat eingerichtet, der bei wichtigen Entscheidungen vom Herausgeber und vom Chefredakteur konsultiert werden sollte. Drei Jahre später folgte ein ungewöhnlicher weiterer Schritt: Rudolf Augstein übertrug die Hälfte der Vermögensanteile des Spiegel an eine Gesellschaft, die ausschließlich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestand. Das war zwar keine klassische Mitbestimmung, womöglich sogar ein Mittel, um Forderungen dieser Art niederzuhalten, bedeutete aber Teilhabe am Kapital und an den Entscheidungsgremien.342 Wenngleich eine grundlegende Reform des Systems in den 1970er Jahre ausblieb,343 hielten mit der „68er“-Bewegung in einigen Häusern also zumindest auf dem Papier „mehr Kollegialität und flachere Hierarchien“344 Einzug. In der Hellerhofstraße hingegen, wo die Revolte zwar für einige Unruhe gesorgt, 338 Hodenberg: Der Kampf um die Redaktionen (2006), S. 153. 339 Vgl. ebd., S. 154. 340 Vgl. Cröger, Klaus: Walter Boehlich vs. Siegfried Unseld? Der „Aufstand der Lektoren“ im Suhrkamp Verlag, in: Peitsch, Helmut / Thein, Helen (Hg.): Walter Boehlich. Kritiker. Berlin 2011, S. 229–249, hier S. 232–233. 341 Vgl. Kraushaar: 1968 und die Massenmedien (2001), S. 345. 342 Vgl. ebd., S. 344–345. Zum Spiegel vgl. auch den Erfahrungsbericht von Zeuner, Bodo: Veto gegen Augstein. Der Kampf der „Spiegel“-Redaktion um Mitbestimmung (= Standpunkt. Analysen, Dokumente, Pamphlete). Hamburg 1972. 343 Vgl. Hodenberg: Der Kampf um die Redaktionen (2006), S. 157. 344 Ebd., S. 156.

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aber keinen Ruf nach einer Transformation der etablierten Entscheidungsstrukturen ausgelöst hatte, war erst ein Schlüsselereignis erforderlich, um einige Redakteurinnen und Redakteure auf die Barrikaden zu treiben. Obwohl Welter bereits im Frühjahr 1969 einen Machtverlust diagnostiziert und einen Aufstand befürchtet hatte,345 brauchte es in der FAZ zuletzt doch einen stärkeren Impuls. Der folgte im Sommer 1970: Tern war, wie viele Redaktionsmitglieder erst einer entsprechenden Meldung in der Welt entnehmen konnten, entlassen worden, ohne dass alle Herausgeber oder die Redaktion darüber informiert worden waren.346 Einer der drei Geschäftsführer, Werner G. Hoffmann, hatte zusammen mit Erich Welter die Initiative ergriffen und Jürgen Tern im Mai übermittelt, dass er zu gehen habe. Vorher hatten sie sich das Einverständnis von Korn, Eick und dem Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung besorgt, die beiden anderen Herausgeber Dechamps und Benckiser waren jedoch übergangen worden. Dafür gab es persönliche und politische Gründe.347 Tern, der noch in den ausgehenden 1960er Jahren ein ausgesprochener Kritiker der sozialliberalen Regierung war, hatte im Verlauf des Jahres 1970 eine abrupte Kehrtwende vollzogen und sich in der FAZ unerwartet für Brandts Regierung, die Neue Ostpolitik und die Anerkennung der DDR eingesetzt.348 Das rein juristisch korrekte Vorgehen –  Hoffmann und Welter hatten immerhin eine Mehrheitsentscheidung zustande gebracht  – stieß sowohl bei den Übergangenen als auch in der Redaktion auf heftige Kritik.349 Das hing weniger mit Terns eigenwilliger Persönlichkeit zusammen als mit der als überaus unkollegial empfundenen Methode seiner Absetzung. Die publizistische Wende des Herausgebers hatte seine Sympathiewerte im Feuilleton zwar tendenziell gesteigert.350 Doch dass Tern die Politik für das Politikressort zu reservieren versucht hatte, war ihm nie besonders hoch angerechnet worden.351 Korn hegte 345 Vgl. den Brief von Erich Welter an Jürgen Tern vom 8.5.1969, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Jürgen Tern –, Glückwünsche zum 60. Geburtstag. 346 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 253. 347 Korn ließ Boveri schon im September 1969 von Spannungen zwischen Welter und Tern wissen. Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 30.9.1969, in: PSB, NL Margret Boveri 920, Mappe 3. 348 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 249–252. 349 Vgl. ebd., S. 252–253. 350 Vgl. den Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 20.3.1970, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe  1; Brief von Brigitte Jeremias an Jürgen Tern vom 6.6.1970, in: FAZArchiv, Jürgen Tern. Briefe, die Jürgen Tern nach seinem Ausscheiden aus der F.A.Z. aus der Redaktion und von ehemaligen F.A.Z.-Redakteuren erreichen. 351 Vgl. den Brief von Vilma Sturm an Margret Boveri vom 18.10.1966, in: PSB, NL Margret Boveri 1521. Sturm sprach in diesem Brief von der „Diktatur Tern“.

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sogar eine starke Abneigung gegen seinen Kollegen. Mit Verbitterung skizzierte er ihn 1966 als „Kleinbürger mit Mephistotücke“ und schrieb verdrossen nach Berlin: „Die FAZ ist so wie Tern und Welter zusammen. So was hat in der Bundesrepublik Erfolg.“352 Mit der wachsenden Anspannung war Korns Unvermögen, sich neben Tern und dem nicht minder dominanten Welter zu behaupten, immer offenkundiger geworden. Beide kamen dem larmoyanten Korn zufolge immer nur dann auf einen gemeinsamen Nenner, wenn sie „gegen Korn wegen Linksabweichung“353 paktierten. Zwischen Terns „sadistische[r] Hauspolitik“354 und Welters „Tyrannen- und Willkürregiment“355 sah er sich derart erdrückt, dass er Boveri im September 1969 gestand: Ich bin diesen Sommer weniger in als ausser der Zeitung gewesen. Der Gedanke der Rückkehr lässt mich schaudern. Ich habe davor richtig Angst. […] Es ist für einen Menschen, der noch einigermassen den Anspruch auf Selbstachtung stellt, kaum mehr erträglich, wohl auch eine Ursache meiner Dauerkrankheitsdisposition (psychosomatisch?). Abgesehen von der politischen Sterilität und völligen Richtungslosigkeit (nicht einmal mehr konsequent reaktionär), wirkt sich die Direktionslosigkeit auf alle Mitarbeiter aus. […] Ob Sie mir das glauben oder nicht, ich fürchte mich vor diesen Sitzungen und vor dem Redaktionsdienst, verliere natürlich auch bei meiner Mannschaft immer mehr an Einfluss weil die Kerle ja wittern, dass da was nicht stimmt.356

Ende März 1970, etwa zwei Monate vor der Entlassung Terns, schien sich die Lage in Frankfurt weiter zuzuspitzen: „In der FAZ wird es immer schlimmer“, schrieb Korn am 20. März in einem weiteren Brief an Boveri. „Tern geht raffiniert aufs Ganze. […] Er ist ein entsetzlicher Autokrat. Ich sehne mich nur nach einem: aufzuhören.“357 Hinter Korns Votum gegen Tern verbarg sich also aller Wahrscheinlichkeit nach ein höchst persönliches, eigennütziges Motiv: die Hoffnung, dieser beklemmenden Situation ein Ende zu bereiten.358 Trotzdem stand der Rest der Feuilletonredaktion im Sommer 1970 hinter Tern. Wie viele andere FAZ-Redaktionsmitglieder waren auch sie über die 352 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.1.1966, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 7. 353 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 30.9.1969, in: ebd., Mappe 3. 354 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 1.1.1966, in: ebd., Mappe 7. 355 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 6.8.1969, in: ebd., Mappe 3. 356 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 30.9.1969, in: ebd. 357 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 20.3.1970, in: ebd. Mappe 1. 358 In der außerordentlichen Redaktionskonferenz vom 1. Juni führte Korn als Motiv hinter Terns Kündigung eine Krise im Herausgebergremium, Starrsinn und Eigenwilligkeit an. „Herr Tern habe die Zeitung und alle Mitglieder der Zeitung als Instrumente und Marionetten seiner politischen Konzeption angesehen.“ Protokoll der Redaktionskonferenz vom 1.6.1970, in: BArch Koblenz, N 1426/26 (Version Jürgen Jeske).

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im Alleingang erfolgte, unkommentierte Kündigung entsetzt.359 Der „Hausstreich“, so Rühle am 9. Juni in einem Brief an Tern, habe „viel, wenn nicht alles, von dem zerbrochen, was man einmal ‚Geist des Hauses’ nennen wollte.“ Er versicherte ihm, dass es „zu der Blitz-Aktion nur […] einen gemeinsamen Zorn“360 gegeben habe.361 Nun, da auch die innere Pressefreiheit gefährdet schien, konnte der Wunsch nach Transparenz und Diskussion nicht länger unerhört bleiben. Obwohl sich manche Herausgeber schwertaten – Welter war weiterhin überzeugt, dass es sich bei der Verfassung der FAZ um „die beste aller Welten“ handle und es deshalb nur gut sei, „wenn überhaupt nichts geändert werde“362 –, galt es wieder Ruhe in die Hellerhofstraße zu bringen. In den Wochen nach Terns Ausscheiden wurde also diskutiert. In mehreren außerordentlichen Konferenzen, zu denen auch die Korrespondentinnen und Korrespondenten anreisten, stand die Zukunft der Zeitung zur Diskussion. Tonangebend waren neben der betroffenen Politikredaktion auch einige Feuilletonistinnen und Feuilletonisten. Rühle forderte in der Redaktionskonferenz vom 1. Juni, „man müsse nicht nur die Gesprächsebene funktionsfähig machen und die Atmosphäre der Einschüchterung abschaffen. Es gehöre mehr dazu. Es gehöre dazu die vollständige Information der Redakteure über die Lage und Entwicklung der Zeitung.“ Bohrer kritisierte die Entscheidungsstrukturen in der FAZ als „selbstherrlich und oligarchisch“363. Noch im selben Monat wurde die Einrichtung einer täglichen Redaktionskonferenz beschlossen, die zwischen Montag und Donnerstag die Kommunikationsprobleme überbrücken sollte.364 Eine Verhandlungskommission wurde gegründet, die mit den verbliebenen Herausgebern eine präzisierte und ergänzte Fassung der Herausgeberverträge auf den Weg brachte. Das Feuilleton wurde in dieser Kommission von Rühle vertreten.365 359 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 360 Brief von Günther Rühle an Jürgen Tern vom 9.6.1970, in: FAZ-Archiv, Jürgen Tern. Briefe, die Jürgen Tern nach seinem Ausscheiden aus der F.A.Z. aus der Redaktion und von ehemaligen F.A.Z.-Redakteuren erreichen. 361 Vgl. auch den Brief von Brigitte Jeremias an Jürgen Tern vom 6.6.1970, in: ebd.; Brief von Sabina Lietzmann an Jürgen Tern vom 22.6.1970, in: ebd.; Brief von Rolf Michaelis an Jürgen Tern vom 24.6.1970, in: ebd. 362 Protokoll über die Herausgebersitzung vom 8.7.1970, in: ebd., H 1.1.1969–31.3.1971. Vgl. auch das Beschlußprotokoll der Herausgebersitzung vom 25.3.1970, in: ebd. 363 Protokoll der Redaktionskonferenz vom 1.6.1970, in: BArch Koblenz, N 1426/26 (Version Jürgen Jeske). 364 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 25.5.1971, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971. 365 Vgl. die Notiz von Erich Welter vom 18.6.1970, in: ebd., Akten der Herausgeber –  Erich Welter –, Die Vertrauensleute 1970–1980.

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Die Ergebnisse – eine „Weiterentwicklung der bestehenden F.A.Z.Verfassung“366, kein Redaktionsstatut, wie es ausdrücklich hieß – wurden im Winter präsentiert. Die Herausgeberverträge enthielten nun den konkretisierten Leitsatz, „daß die Frankfurter Allgemeine Zeitung in voller Unabhängigkeit von Regierungen, Parteien und Interessentengruppen auf freiheitlich-staatsbürgerlicher Grundlage zu führen ist, und zwar im Sinne der Verwirklichung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie sie Kernbestand des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 ist.“ Im dritten Punkt des Vertragsstücks hieß es außerdem: „Herausgeber und Redakteure können nur eingestellt und entlassen werden, wenn die Herausgeber in der Herausgeberversammlung mit Mehrheit zustimmen; abwesende Herausgeber sind vor der Entscheidung zu hören.“367 Eine andere Vereinbarung legte fest, dass ab April 1971 ein Gremium aus sieben gewählten Vertrauensleuten zusammentreten sollte, das es bei wichtigen personalpolitischen Beschlüssen als beratende Instanz zu konsultierten galt.368 Der anfangs geforderte Redaktionsausschuss mit Veto-Recht hatte es nicht über die ersten Wochen der Erregung hinaus geschafft.369 Welter hatte dem Entwurf an der entsprechenden Stelle handschriftlich ein „niemals“ hinzugefügt.370 Auch in der FAZ änderte sich an den etablierten Strukturen also letztlich nur wenig. Schon im Frühjahr 1971 stellte man in der Hellerhofstraße eine gewisse „Konferenzmüdigkeit“371 fest und beschloss in der Folge, die Tageskonferenzen auf zwei Tage pro Woche zu reduzieren.372 Doch auch diese Entscheidung wurde bald wieder kritisiert. Im nächsten Jahr brachte Frisé die altbekannte Klage vor, „daß die notwendige Kritik sich in den einzelnen 366 Brief von Bruno Dechamps an die Redaktion vom 28.12.1970, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Die Vertrauensleute 1970–1980. Auch die Bezeichnung „Große Konferenz“ galt es zu vermeiden, um nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich bei der Tageskonferenz um „eine Art Parlament“. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 21.1.1971, in: ebd., H 1.1.1969–31.3.1971. 367 Herausgebervertrag vom 18.12.1970, in: ebd., Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Die Vertrauensleute 1970–1980. 368 Vgl. die Vereinbarung vom 18.12.1971, in: ebd.; Protokoll der außerordentlichen Redaktionskonferenz vom 21.12.1970, in: ebd., Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971. 369 Vgl. den Brief von Sabina Lietzmann an Hilde Spiel vom 13.6.1970, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/394; Protokoll der Redaktionskonferenz vom 16.6.1970, in: BArch Koblenz, N 1426/26; Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 256–257. 370 Vgl. die Protokollzusammenfassung der Verhandlungen zwischen Herausgebern und Kommission am 9. Juli und 22. September 1970 vom 8.12.1970, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Die Vertrauensleute 1970–1980. 371 Protokoll der Tageskonferenz vom 12.5.1971, in: ebd., Redaktionskonferenzen 1.1.1970– 31.12.1971. 372 Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 25.5.1971, in: ebd.

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Stockwerken anstaut“373. Rühle stellte 1971 fest, dass gerade der Kontakt mit den Korrespondentinnen und Korrespondenten über die Distanz weiterhin schwierig sei.374 Und obwohl nun etwas mehr Ruhe einkehrte – zu viel Ruhe mitunter, wenn es nach Bohrer ging –375, änderten sich auch die internen Dynamiken kaum. Das „rote“ Feuilleton blieb weiter im Visier der Wirtschaftsherausgeber,376 Korn und Welter gerieten wie gewohnt aneinander.377 *** Die zweite Hälfte der 1960er Jahre sorgte in der FAZ, die sich zu einer selbstbewussten Zeitung mit polarisierender Außenwirkung entwickelt hatte, für Bewegung. Die Redaktion wurde massiv ausgebaut und das an manchen Tagen mehr als hundert Seiten umfassende Blatt wurde behutsam modernisiert: Die Zeitung erschien in veränderter Optik, öffnete sich für neue Darstellungsformen und reagierte, wenn auch deutlich zögerlicher als die Konkurrenz, mit leserfreundlicheren Rubriken auf den diagnostizierten Bedarf an Aktualität und Kürze. Das Feuilleton, das mit der Blattreform mehr Platz und eine geschlossenere Gestalt erhalten hatte, bekam stärkeres Gewicht. Mehrere jüngere Neuzugänge brachten seit Mitte der 1960er Jahre durch neue Sprachund Schreibgewohnheiten, Ehrgeiz und Selbstsicherheit – auch in politischen Fragen – frischen Wind in die Redaktion. Zu „1968“ hatten diese und andere Redakteurinnen und Redakteure des Feuilletons eine andere Meinung als viele Mitglieder der Politik- und der Wirtschaftsredaktion. Während es letzteren darum ging, in der Öffentlichkeit gegenzusteuern, hatten erstere den Eindruck, an einem wichtigen Ereignis teilzuhaben. Die Feuilletonredaktion, die sich nicht nur von ihren Schreibtischen aus eingehend mit der Protestbewegung beschäftigte, war mit einigen ihrer Forderungen durchaus einverstanden. Für den Ruf nach Chancengleichheit, Transparenz, Mitbestimmung, Diskussion und individueller Freiheit – nach gesellschaftlicher Demokratisierung und Liberalisierung – zeigte sie Empathie und Verständnis und bewegte sich damit

373 Brief von Maria Frisé an Erich Welter vom 12.10.1972, in: BArch Koblenz, N 1314/318. 374 Vgl. den Brief von Günther Rühle an Hilde Spiel vom 20.8.1971, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/441. 375 Vgl. die Aktennotiz von Erich Welter über ein Gespräch mit Karl Heinz Bohrer am 24.1.1973, in: BArch Koblenz, N 1314/511. 376 Vgl. den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 1.10.1970, in: FAZ-Archiv, Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 377 Vgl. etwa den Brief von Karl Korn an Erich Welter vom 27.2.1973, in: BArch Koblenz, N 1314/512; Brief von Erich Welter an Karl Korn vom 15.3.1973, in: ebd.

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Kapitel 6

eher auf der Linie des Spiegel als auf der konservativerer Printmedien.378 Das Feuilleton befürwortete ein Ende des Vietnamkriegs, kritisierte staatliche Akteure und machte im öffentlichen Umgang mit der NS-Geschichte große Defizite aus (vgl. das dritte Kapitel „Rückblicke. Die nationalsozialistische Vergangenheit“). Auch die Konsum- und Kommerzialisierungskritik, eine Konstante seit 1949, war in den 1960er Jahren anschlussfähig. Die Grenzen der Sympathie lagen freilich dort, wo zu Gewalt und zum Umsturz aufgerufen wurde. Dem revolutionären Gedankengut des SDS erteilte das Ressort eine klare Absage. Eine andere wurde überschritten, wenn Kunst und Kultur, deren Autonomie man seit jeher verteidigte,379 für ein politisches Programm, eine Ideologie oder den Effekt vereinnahmt und damit relativiert wurden. An einer Auflösung des etablierten Kulturbegriffs und der traditionellen Kulturinstitutionen konnte dem Feuilleton als Bastion der „Hochkultur“ nicht gelegen sein. Es galt zu „entfilzen“, nicht zu zerstören.380 Trotzdem rückte das FAZ-Feuilleton, wenn es nach Welter, Eick und Tern ging, gefährlich nah an die Aufständischen heran. Die Sorgen und Ängste, die in Teilen der Hellerhofstraße mit „1968“ verbunden wurden, übertrugen sich auf die Zeitungsarchitektur und mündeten wiederholt in Reglementierungsversuchen. Binnenpluralismus als Leitidee: in beständigen Zeiten akzeptiert, in unruhigen möglichst unterbunden.381 Das Feuilleton befand sich in einer doppelten Drucksituation. Weil sich die Schnittmengen, und folglich auch die Reibungsflächen, zwischen dem Politikressort und dem an Umfang gewinnenden Feuilleton durch die Ausweitung des Politischen auf die politische Kultur erhöht hatten, wurde das Ressort zeitungsintern genau beobachtet. Die Deutungshoheit des Politikteils schien durch das neu aufgestellte, liberalere und politisch weiter links stehende Feuilleton bedroht. Die andauernden Kompetenzstreitigkeiten hatte zur Folge, dass vereinzelte Redakteure wie Hildebrandt und Michaelis die Zeitung früher oder später verließen. Verstärkt durch die Entlassung Terns, erklangen darüber hinaus auch in der FAZ-Redaktion ressortübergreifende Forderungen nach einer Reform der Kommunikationsstrukturen, nach mehr Partizipation und Transparenz. „1968“ verschärfte bestehende Unzufriedenheiten, deckte bereits schwelende Konflikte auf und weckte (kurzfristige) Reformimpulse; nicht nur bei den 378 Vgl. Schletter, Christian: Grabgesang der Demokratie. Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von 1965 bis 1985. Göttingen 2015, S. 137–138. 379 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 219–220. 380 Vgl. G. J.: Entfilzung, in: FAZ vom 8.2.1968, S. 18. 381 Ähnlich bereits in der FZ, vgl. Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 205.

Aufwinde, Gegenwinde. „1968“

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„68ern“, die in der Regel den Jahrgängen 1938 bis 1950 zugeordnet werden und zumindest in der Feuilletonredaktion kaum vertreten waren.382 Gerade das Feuilleton, in dem von Haus aus viel besprochen, diskutiert und erklärt wurde, entwickelte großen Gesprächsbedarf. Dieser Konflikt war in der FAZ vermutlich stärker ausgeprägt als in anderen, homogeneren Blättern wie der Zeit, die sich schon in den Diskussionen über die „Gruppe 47“ um 1960 als linksliberaler Gegenentwurf zur FAZ präsentiert hatte. Druck kam folglich auch von außen: Mit der Verschiebung des intellektuellen Feldes hatte sich die FAZ für einige maßgebliche Intellektuelle neben der Welt zu der konservativen, sprich ungenießbaren, Zeitung entwickelt. Korn, der sich immer öfter zurückzog, war mit dieser Situation zunehmend überfordert: „Die FAZ ist eine Hölle und die meisten merken es nicht einmal!“383, schrieb er im August 1969 an Boveri. Doch letztlich hielt die zweite Hälfte der 1960er Jahre gerade für sein Ressort auch etwas Positives bereit: die Stabilisierung und Konsolidierung eines veränderten Profils.

382 Vgl. Wienhaus, Andrea: Bildungswege zu „1968“. Eine Kollektivbiographie des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Bielefeld 2014, S. 40–41. 383 Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 6.8.1969, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3.

Abb. 4

Das Feuilleton vom 3. Januar 1966 im neuen optischen Gewand

Kapitel 7

Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse Die Chiffre „1968“ steht in der Geschichte der Bundesrepublik nicht nur für eine studentische Protestwelle. Sie markiert auch den Auftakt für eine Reihe neuer sozialer Bewegungen, die sich im Gefolge der reformerischen Aufbruchstimmung in den ausgehenden 1960er und 1970er Jahren formierten. Neben der Umwelt- und der späteren Friedensbewegung, deren Vertreterinnen und Vertreter für den Natur- und Umweltschutz, die militärische Abrüstung und den internationalen Frieden eintraten,1 ging aus der „68er“-Bewegung auch die sogenannte „Neue Frauenbewegung“ hervor. Wie ihre bürgerlichen Vorgängerinnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert schrieben sich die Repräsentantinnen dieser vor allem in Westeuropa und in den USA aufkommenden Bewegung den Kampf um Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahnen.2 Während die erste Welle der Frauenbewegung noch um Basisrechte wie das Frauenwahlrecht, das Recht auf Bildung und Berufsausübung gerungen hatte, stellte die bundesdeutsche Frauenbewegung der 1970er Jahre die berufliche und private Gleichstellung von Frauen und Männern, Unabhängigkeit und körperliche Selbstbestimmung in den Mittelpunkt des Protests.3 Um ihre politischen Ziele in die breite Öffentlichkeit zu tragen, unterhielt sie wie alle größeren Protestbewegungen ein ambivalentes Verhältnis zur Medienwelt. Einerseits bestanden zwischen der Neuen Frauenbewegung und der Presse wechselseitig nützliche Beziehungen, wie das Beispiel der „Wir haben abgetrieben!“-Kampagne im

1 Zur Geschichte der sozialen Bewegungen vgl. Roth, Roland  / Rucht, Dieter (Hg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Frankfurt am Main  / New York 2008. Speziell zur Umweltbewegung vgl. Brüggemeier, Franz-Josef / Engels, Jens Ivo (Hg.): Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 4). Frankfurt am Main / New York 2005. 2 Vgl. Zellmer, Elisabeth: Töchter der Revolte? Frauenbewegung und Feminismus der 1970er Jahre in München (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 85). München 2011, S. 6. 3 Vgl. Flicker, Eva: Der Diskurs „Frauenbewegung“ in den Medien, in: Dorer, Johanna  / Geiger, Brigitte / Köpl, Regina (Hg.): Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung (= Medien – Kultur – Kommunikation). Wiesbaden 2008, S. 124–139, hier S. 125.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_008

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Kapitel 7

Stern vom 6. Juni 1971 zeigt.4 Andererseits richtete sich ihre Gesellschaftskritik auch auf das Mediensystem selbst. Noch Ende der 1970er Jahre lag der Anteil von Journalistinnen in der Bundesrepublik gerade einmal bei 20 Prozent.5 1971 hatte die erste Frau, die Fernsehjournalistin Wibke Bruhns, in der Nachrichtensendung „heute“ im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) die Nachrichten präsentieren dürfen.6 Dieses Missverhältnis war, wie ein Rückblick in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt, historisch gewachsen. In dem Grundlagenwerk „Die Zeitung“ (1930) schrieb der Zeitungswissenschaftler Otto Groth, damals FZKorrespondent in München, über die Journalistin: „Frauen gibt es nur wenige am rein politischen und Handelsteil, einige betätigen sich in der lokalen Berichterstattung […]. Aber die Frauen sind sogar trotz der großen Zahl der Schriftstellerinnen auch im Feuilleton […] nicht häufig. Und man könnte doch meinen, daß ihnen diese Tätigkeit bei ihrem Subjektivismus und ihrer Fähigkeit zu plaudern naheliege.“7 Obwohl sich die Zahl der Journalistinnen langsam erhöhte, lag der Frauenanteil im Zeitschriften- und Zeitungsjournalismus Anfang der 1930er Jahre bei nur fünf Prozent.8 Journalistinnen bildeten eine Minderheit, wurden häufig als freie Mitarbeiterinnen beschäftigt und schlechter vergütet. Vor allem in den „harten“ informationsbetonten und prestigeträchtigen Ressorts Politik und Wirtschaft und im Sportteil waren sie Ausnahmeerscheinungen,9 denen der Zugang zu den Redaktionen in der Regel verwehrt blieb. So beschäftigte etwa die FZ zwar eine Handvoll Korrespondentinnen (Heddy Neumeister, Lily Abegg, Margret Boveri u.  a.), besetzte aber erst nach 1940 einige der nunmehr kriegsverwaisten Redaktionsposten 4 Vgl. Flicker: Der Diskurs „Frauenbewegung“ in den Medien (2008), S. 124; Schmincke, Imke: Die Neue Frauenbewegung in den Medien, in: Dorer, Johanna u. a. (Hg.): Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikationsund Medienforschung. Wiesbaden 2020, S. 1–11, hier S. 7. 5 Vgl. Klaus, Elisabeth: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus (= Medien- und Geschlechterforschung, Bd. 7). Wien 22005, S. 154. 6 Vgl. ebd., S. 151. 7 Groth, Otto: Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik), Bd. 4. Mannheim / Berlin / Leipzig 1930, S. 73. Groth widmete der „Frau im Journalismus“ überraschenderweise ein eigenes Unterkapitel. 8 Vgl. Kinnebrock, Susanne: Frauen und Männer im Journalismus. Eine historische Betrachtung, in: Thiele, Martina (Hg.): Konkurrenz der Wirklichkeiten. Wilfried Scharf zum 60. Geburtstag. Göttingen 2005, S. 101–132, hier S. 118–119. Die Zahl setzt sich aus dem Verhältnis von Frauen und Männern im Reichsverband der Deutschen Presse zwischen 1925 und 1933 und in der Rubrik „Mitgliederbewegungen“ der Fachzeitschrift Deutsche Presse zusammen. Da nicht alle schreibenden Frauen organisiert waren, könnte ihre Zahl auch höher ausgefallen sein. 9 Vgl. ebd., S. 117–119.

Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse

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mit Journalistinnen.10 Auch andernorts zog der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine vorübergehend gesteigerte Sichtbarkeit von Frauen nach sich. Sogar in der NS-Wochenzeitung Das Reich arbeiteten mit Elisabeth Noelle, Christa Rotzoll und Helene Rahms allein drei Redakteurinnen für das Ressort Innenpolitik.11 Im Feuilleton gestalteten sich die Geschlechterverhältnisse etwas ausgewogener. Das hing mit dem Status des Ressorts zusammen: Obwohl der Feuilletonjournalismus in den 1920er Jahren eine Blütezeit erlebte und das Feuilleton in vielen Zeitungen an Umfang gewann, rangierte es in der Medienhierarchie an nachgeordneter Stelle.12 Folglich waren auch die Berufsbarrieren etwas durchlässiger. Zudem hatte das Ressort neben seiner analytisch-reflektierenden eine unterhaltende Funktion, die der mit Stereotypen wie Subjektivität, Geschwätzigkeit und Emotionalität verbundenen weiblichen „Natur“ verwandter schien als der mit Nüchternheit, Distanz und Objektivität assoziierte politische Nachrichtendienst.13 Zwischen „weichem“ Feuilletonjournalismus und einer vermeintlich femininen Wesensart wurde also ein Zusammenhang konstruiert,14 der mit einer latenten bis offenkundigen Aberkennung journalistischer Kernkompetenzen gegenüber Frauen einherging.15

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Vgl. Bussiek, Dagmar: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“. Die „Frankfurter Zeitung“ und die Rolle der Frau im Nationalsozialismus, in: dies. / Göbel, Simona (Hg.): Kultur, Politik und Öffentlichkeit. Festschrift für Jens Flemming (= Kasseler Personalschriften, Bd. 7). Kassel 2009, S. 339–354, hier S. 351–352; Gillessen: Auf verlorenem Posten (1986), S. 32. Eine Auflistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwischen 1933 und 1943 findet sich in Reifenberg, Benno u. a. (Hg.): Die Gegenwart (Sonderheft: Ein Jahrhundert Frankfurter Zeitung begründet von Leopold Sonnemann). Frankfurt 1956, S. 56–57. Nach Noelles Entlassung bot Paul Sethe ihr im Frühjahr 1943 eine Stelle als Schriftleiterin bei der FZ an. Sie wurde die erste Frau, die während der Redaktionskonferenzen am Herrentisch Platz nehmen durfte. Vgl. Bussiek: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“ (2009), S. 352. Zur Widersprüchlichkeit zwischen NS-Programmatik und Praxis vgl. ebd., S. 339–341. Vgl. die Mainzer Dissertationsschrift von Rautenstrauch: Berlin im Feuilleton (2016), S. 97. Ähnlich noch Mitte der 1950er Jahre bei Gehrke, Martha Maria: Die Frau als Journalistin, in: Oppens, Edith u.  a. (Hg.): Die Frau in unserer Zeit. Ihre Wandlung und Leistung. Oldenburg / Hamburg 1954, S. 278–285, hier S. 283. Gehrke, selbst Journalistin, führt etwa „Einfühlungsvermögen“, „Anpassungsfähigkeit“, „Liebenswürdigkeit“ und die „Fähigkeit plastischer Darstellung des Gegenständlichen wie der begleitenden emotionellen Momente“ als Eigenschaften an, die Frauen für die journalistische Arbeit besonders qualifizierten. Diese Fähigkeiten seien zumindest „für einen großen Teil des Aufgabenkreises der Zeitung“ geeignet. Vgl. Schütz: Unterm Strich (2017), S. 35–36. Vgl. Klaus, Elisabeth: Aufstieg zwischen Nähkränzchen und Männerkloster: Geschlechterkonstruktionen im Journalismus, in: Dorer, Johanna / Geiger, Brigitte (Hg.): Feministische

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Kapitel 7

Klassische Sprungbretter für den Einstieg in den Journalismus bildeten neben dem Lokalteil die Frauensparten und -seiten, die sich seit dem frühen 20. Jahrhundert zum festen Bestandteil vieler Zeitungen entwickelten. Auch bei dem eingangs zitierten Otto Groth heißt es: „In der Hauptsache wirken sie als Leiterinnen von Hauswirtschafts-, Frauen-, Kinder- und Modebeilagen, auf den Gebieten der Frauenbewegung, sozialen Fürsorge usw.“16 Auf diesen Sonderseiten waren Journalistinnen in der Tat überrepräsentiert. So wurde die Modeberichterstattung für die Frauenbeilage der FZ ausschließlich von Kulturreferentinnen besorgt.17 Die Leitung der kleinen Redaktion, die organisatorisch zum Feuilleton gehörte, lag nichtsdestotrotz in männlicher Hand: Von 1934 bis 1943 fiel sie in den Zuständigkeitsbereich des Kunstkritikers Wilhelm Hausenstein, der mit der Grafikerin und Assistentin Martha Bertina die einzige feste Mitarbeiterin und eine der wenigen Frauen am Ort beschäftigte.18 In anderen Zeitungen war es Journalistinnen in diesen verhältnismäßig barrierefreien Nischen der „Frauenöffentlichkeit“19 bisweilen sogar möglich, in leitende Positionen aufzusteigen. Das entsprach der als natürlich empfundenen Arbeitsteilung und führte meist ohnehin nicht weit: Im männlich dominierten Mediensystem mit Geringschätzung betrachtet, taten sich von dort aus nur selten große Karrierewege auf.20 In der weiblichen Ratgeberliteratur wurde dieses Betätigungsfeld entsprechend beworben. Auf die Frage, welche Perspektiven es für Mädchen und Frauen in einer Redaktion gibt, schrieb die Journalistin Klara Trost in ihrem 1923 erschienenen Wegweiser durch den journalistischen Beruf: „Fast alle Frauenbeilagen der größeren Zeitungen sind in Händen von verantwortlichen Frauen, und da darf ich zu meiner Freude gestehen: fast durchweg sind sie da besser aufgehoben als in Männerhänden, […] hier k[önnen] sie aufs beste

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Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Wiesbaden 2002, S. 170–190, hier S. 173. Groth: Die Zeitung (1930), S. 73. Die Modeberichterstattung übernahmen in den 1920er und 1930er Jahren die Referentinnen Marietta Riederer, Helen Hessel und Käthe von Porada. Vgl. Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 148; Hummerich, Helga: Wahrheit zwischen den Zeilen. Erinnerungen an Benno Reifenberg und die Frankfurter Zeitung (= Herderbücherei, Bd. 1098). Freiburg i. B. 1984, S. 19. Vgl. Bertschik, Martina: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770–1945). Köln / Weimar / Wien 2005, S. 182. Todorow, Almut: Frauen im Journalismus der Weimarer Republik, in: IASL  16 (1991), H. 2, S. 84–103, hier S. 94. Vgl. Requate, Jörg: Der Journalist, in: Frevert, Ute  / Haupt, Heinz-Gerhard (Hg.): Der Mensch des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1999, S. 138–162, hier S. 152–153.

Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse

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leiten, bilden und vor allem helfen und nützlich sein.“21 Auch bei Trost kommt also die Vorstellung eines spezifisch weiblichen Journalismus zum Ausdruck. Stereotype Geschlechterrollen reproduzierend, wies sie der schreibenden Frau eine soziale, pädagogische und beratende Funktion zu, die das Idealbild des informierend, aufklärerisch und meinungsbildend wirkenden Journalisten kontrastiert. Trotz der Expansion des Pressewesens, mit der neben einer Erweiterung des Themenspektrums und des Adressatenkreises eine behutsame soziale Öffnung des Berufsfeldes einherging, war das journalistische Kerngeschäft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterhin Männern vorbehalten. Insbesondere der Politikjournalismus blieb mit wenigen Ausnahmen exklusiv männlich besetzt.22 Die schrittweise Zunahme der weiblichen Erwerbsarbeit, die sich in den 1930er Jahren fortsetzte und im Kriegsverlauf neue Dimensionen erreichte,23 korrespondierte demnach nicht zwangsläufig mit ihrer gesteigerten Wertschätzung. Statische Rollenbilder, die die Beteiligung von Frauen an der Entwicklung journalistischer Werte, Maßstäbe und Arbeitsweisen bis dahin verhindert hatten,24 blieben auch nach 1945 präsent. Seit der Einführung der Lizenzpresse konnten Frauen, die im besten Fall durch eine Ausbildung oder ein Studium qualifiziert und unbelastet waren, durchaus journalistisch tätig werden. Trotz des demographischen Ungleichgewichts waren die Zeitungsredaktionen aber weiterhin mehrheitlich mit Journalisten gefüllt, die Arbeit nach wie vor von einer themenspezifischen Segmentierung geprägt.25 21 22

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Trost, Klara: Frauenarbeit in Zeitung und Buchhandel (= Am Scheidewege. Berufsbilder, Bd. 87). Berlin 1923, S. 34. Vgl. Kinnebrock: Frauen und Männer im Journalismus (2005), S.  111; Requate: Der Journalist (1999), S.  152; Seethaler, Josef  / Oggolder, Christian: Frauen in der Wiener Tagespresse der Ersten Republik. Ein Beitrag zur Entwicklung des tagesaktuellen Journalismus, in: medien&zeit. Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart  24 (2009), H. 3, S. 4–16, hier S. 5. Schmid kam bei der Auswertung von Schriftleiterlisten aus dem November  1944 zum Ergebnis, dass der Frauenanteil unter den uneingeschränkt zugelassenen Schriftleiterinnen und Schriftleitern (Berufsliste A) in der Endphase des Krieges neun Prozent, unter den Schriftleiterinnen und Schriftleitern in Ausbildung (Berufsliste C) mit 59 Prozent sogar mehr als die Hälfte betrug. Vgl. Schmid, Sigrun: Journalisten der frühen Nachkriegszeit. Eine kollektive Biographie am Beispiel von Rheinland-Pfalz (= Medien in Geschichte und Gegenwart, Bd. 16). Köln / Weimar / Wien 2000, S. 208–209. Vgl. Klaus: Aufstieg zwischen Nähkränzchen und Männerkloster (2002), S. 174. Im Rahmen ihrer Kollektivbiographie errechnete Schmid einen Frauenanteil von fünf Prozent in der rheinland-pfälzischen Lizenzpresse. Vgl. Schmid: Journalisten der frühen Nachkriegszeit (2000), S. 207. Christian Sonntag kommt in seiner Studie über den Hamburger Nachkriegsjournalismus zum Ergebnis, dass sich unter den 308 verzeichneten

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Kapitel 7

Ob das auch für die FAZ galt, soll im folgenden Kapitel eingehend diskutiert werden. Damit beschreitet die Arbeit Neuland, denn obwohl sich das hierarchisch organisierte, männliche Berufsfeld für eine geschlechterhistorische Perspektive geradezu anbietet,26 hat die Analysekategorie „Geschlecht“27 in die Mediengeschichte bislang kaum Eingang gefunden. Eine Berufsgeschichte der Rundfunk-, Fernseh- und Zeitungsredakteurin steht ebenso aus wie die Mediengeschichte einzelner Leitmedien unter Berücksichtigung geschlechtergeschichtlicher Aspekte. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Geschichtswissenschaft nur wenige Beiträge zum Frauenbild der Massenmedien und zur Geschichte des weiblichen Journalismus hervorgebracht.28 Auch von der Zeitgeschichte blieb das Thema trotz seiner steigenden medialen Präsenz – das ZDF machte die Frauendebatte im Journalismus 2017 etwa zum Kern der Serie „Zarah – Wilde Jahre“ – weitgehend unbeachtet.29 Anders sieht es in den Kommunikations- und Medienwissenschaften und der Soziologie aus, aus deren Reihen seit den 1980er Jahren einige Arbeiten hervorgingen, die sich dem weiten Thema „Frauen und Medien“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern. Methodisch bedienen sich diese empirischen Untersuchungen meist

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Journalistinnen und Journalisten  29 Frauen befanden, was einem höheren Anteil von rund neun Prozent entspricht. Bis auf eine Ausnahme wurden alle führenden Positionen (Chefredaktion, Ressortleitung) von Männern bekleidet. Vgl. Sonntag: Medienkarrieren (2006), S. 277–278. Vgl. Joch Robinson, Gertrude: Geschlechterforschung im Bereich der Medien: Kanadische Erkenntnisse, in: Jarren, Otfried / Kopper, Gerd G. / Toepser-Ziegert, Gabriele (Hg.): Zeitung. Medium mit Vergangenheit und Zukunft. Eine Bestandsaufnahme. München 2000, S.  163–178, hier S.  165–166; Opitz-Belakhal, Claudia: Geschlechtergeschichte (= Historische Einführungen, Bd. 8). Frankfurt am Main 2010, S. 74. Vgl. Hagemann, Karen / Quataert, Jean H.: Einführung: Geschichte und Geschlechter. Geschichtsschreibung und akademische Kultur in Westdeutschland und den USA im Vergleich, in: dies. (Hg.): Geschichte und Geschlechter. Revisionen der neueren deutschen Geschichte (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 57). Frankfurt am Main 2008, S. 11–63, hier S. 15. Zur FZ vgl. Bussiek: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“ (2009). Auch in Jörg Requates Berufsgeschichte werden Journalistinnen stiefmütterlich behandelt, was freilich auch dem Sachverhalt geschuldet ist. In seiner kollektivbiographischen Studie zum sozialen Profil des Berufsfeldes, deren empirische Basis ein Sample von 781 Biographien bildet, tauchen sie nur am Rande auf. Der Historiker konnte nur drei Frauen verzeichnen. Vgl. Requate, Jörg: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 109). Göttingen 1995. Von Hodenberg skizziert zwar das Sozial- und Berufsprofil von Journalistinnen und Journalisten, um die Bedeutung des Geschlechts für den journalistischen Habitus hervorzuheben. Die geschlechtergeschichtliche Perspektive nimmt im Gesamtwerk aber nur wenig Raum ein. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 236–244.

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quantitativer Verfahren, um die Stellung von Journalistinnen innerhalb des Berufszweigs, mediale Leitbilder oder einzelne Medienangebote für Frauen zu analysieren.30 Aber auch hier gibt es weiterhin Leerstellen: Die 1985 von Petra Röttel erhobene Forderung nach einer systematischen Erforschung der Frauenberichterstattung in historischer Perspektive wurde bis heute nicht eingelöst.31 Um diesem markanten Desiderat etwas entgegenzusetzen, soll das FAZFeuilleton im Folgenden durch die Folie Geschlecht betrachtet werden. In Anlehnung an die US-amerikanischen Historikerinnen Karen Hagemann und Jean  H.  Quataert lässt sich Geschlecht als „sozial und kulturell bestimmtes, relationales und kontextspezifisches, das heißt sich stetig wandelndes Wissen über die wahrgenommenen sexuellen Differenzen“ konzeptualisieren. Geschlecht ist demnach nicht nur eine biologische Kategorie, sondern „ein konstitutives Element sozialer Beziehungen“, ein „Mittel, um Macht- und Herrschaftsbeziehungen zu formen“32. Nach einem Überblick über die Geschlechterverhältnisse in der Feuilletonredaktion – anders als es die Rede von den „Herren des Feuilletons“33 suggeriert, gab es dort auch Frauen – und einer kollektivbiographischen Skizze soll es deshalb um die Frage gehen, ob und inwiefern Weiblichkeit und Männlichkeit Einfluss auf die Personalpolitik, interne Hierarchien, den Arbeitsalltag und das journalistische Selbstverständnis hatten. Im zweiten Teil des Kapitels steht schließlich die gedruckte Zeitung im Mittelpunkt. Die bis Mitte der 1970er Jahre erscheinende FAZ-Frauenseite mit dem blassen Titel „Die Frau“ soll inhaltlich ausgeleuchtet, das medial vermittelte Frauenbild 30

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Auffällig ist auch in diesen Wissenschaftszweigen, dass fast alle Studien von Frauen stammen. Aus den Kommunikationswissenschaften vgl. Kinnebrock: Frauen und Männer im Journalismus (2005); Klaus: Aufstieg zwischen Nähkränzchen und Männerkloster (2002); dies.: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005); dies.  / Wischermann, Ulla: Journalistinnen. Eine Geschichte in Biographien und Texten 1848–1990 (= Journalismus: Theorie und Praxis, Bd. 18). Wien / Berlin / Münster 2013; Neverla, Irene / Kanzleiter, Gerda: Journalistinnen. Frauen in einem Männerberuf. Frankfurt am Main / New York 1984. Zur Situation in Österreich vgl. Seethaler / Oggolder: Frauen in der Wiener Tagespresse (2009); Jentzsch, Daniela / Schilcher, Gaby: Ein Leben ohne Lobby? Journalistinnen in Österreich, in: Fabris, Hans-Heinz  / Hausjell, Fritz (Hg.): Die Vierte Macht. Zur Geschichte und Kultur des Journalismus in Österreich seit 1945 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 53). Wien 1991, S. 217–240. Vgl. Röttel, Petra: Frauenseiten in Tageszeitungen – Getto oder Chance?, in: Schmerl, Christiane (Hg.): In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien. Köln / Wien 21989, S. 119–141, hier S. 141. Hagemann / Quataert: Einführung (2008), S. 15–16. So zu finden in der Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 23.4.1958, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter  –, Protokolle der Herausgebersitzungen  1.4.1958– 18.12.1961.

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Kapitel 7

untersucht werden. Wie kommentierte das Ressort geschlechterpolitische Debatten wie das 1957 beschlossene „Gleichberechtigungsgesetz“, wie die rund zehn Jahre später aufkommende Neue Frauenbewegung? Und was bedeutet das für die Geschichte des FAZ-Feuilletons? 7.1

Frankfurter Verhältnisse

Als gegen Ende des Jahres 1949 die ersten Ausgaben der FAZ über die Ladentische gingen, war die Feuilletonredaktion mehr als überschaubar. Neben Karl Korn als dem zuständigen Herausgeber gehörten ihr lediglich die Redakteure Martin Ruppert und Robert Held an. Vilma Sturm, die ursprünglich für die Frauenseite und das Literaturblatt engagiert worden war, hatte die Zeitung schon nach wenigen Wochen wieder verlassen. So blieb das Feuilleton in den ersten Jahren eine reine Männerrunde, bis die nunmehr fünfköpfige Redaktion im April 1953 durch die Journalistin Helene Rahms ergänzt wurde. Rahms sollte vorerst die einzige bleiben: Sturm, die 1959 als Feuilletonkorrespondentin zur FAZ zurückkehrte, und Sabina Lietzmann, die im selben Jahr eine Festanstellung erhielt, berichteten jeweils aus Köln und Berlin. Erst zu Beginn der 1960er Jahre begann sich das Blatt langsam zu wenden: Unter den 26 Neuzugängen, die die expandierende Redaktion zwischen 1962 und 1973 verzeichnete, waren mit Brigitte Jeremias, Eva Maria Demisch, Maria Frisé, Brigitte Scherer, Renate Schostack und Sibylle Wirsing immerhin sechs Redakteurinnen. Fast jedes vierte Redaktionsmitglied, das in diesem Zeitraum hinzukam, war weiblich. Diese Entwicklung lässt sich auch statistisch beschreiben.34 Wie aus der graphischen Darstellung hervorgeht (Abb. 5), betrug der Frauenanteil in der Feuilletonredaktion im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens nur rund zehn Prozent; die Graphen klaffen dementsprechend weit auseinander. Von einer starken weiblichen Präsenz, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit manche Berufszweige gekennzeichnet hatte, war in den 1950er Jahren nicht mehr viel zu spüren. Die Zurückdrängung erwerbstätiger Frauen in die häusliche Sphäre – ein Charakteristikum der konservativen Frauen- und Familienpolitik in der „Ära Adenauer“ –,35 spiegelt sich sinnbildlich in der Graphik wider. Erst am 34 35

In die Statistik wurden wie immer nur Redaktionsmitglieder aufgenommen. Ständige oder freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieben unberücksichtigt. Vgl. Rühl, Klaus-Jörg: Verordnete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945–1963). München 1994, S. 13–14.

Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse

Abb. 5

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Geschlechterverhältnisse in der Feuilletonredaktion 1949–73

Ende der 1950er Jahre veränderte sich das Geschlechterverhältnis, der Frauenanteil nahm zu. Zwischen 1959 und 1973 lag er bei 26 Prozent; die Graphen nähern sich sichtbar an. Höhepunkte dieses Aufwärtstrends markieren die Jahre 1963, 1969 und 1970 mit einem Frauenanteil von 30 bis 31 Prozent. Auf den Jahresdurchschnitt heruntergerechnet, lag das Verhältnis von Frauen zu Männern in der FAZ-Feuilletonredaktion bei 20 zu 80 Prozent. Es teilten sich demnach, so zumindest die Theorie, stets eine Journalistin und vier Journalisten ein Büro. Eine ähnliche Sprache sprechen die absoluten Zahlen. Von den insgesamt 42 Redakteurinnen und Redakteuren, die im Zeitraum von 1949 bis 1973 zur Feuilletonredaktion gehörten, waren neun weiblich. Fast die Hälfte von ihnen arbeitete außerhalb von Frankfurt im In- und Ausland: Sturm in Köln, Lietzmann in New York, Renate Schostack in London und Sibylle Wirsing in Berlin. Als Korrespondentinnen bekleideten diese Journalistinnen renommierte Posten, die neben einem großem Bewegungsspielraum eine starke Arbeitsbelastung und einen gewissen Konkurrenzdruck mit sich brachten.36 Zwischen 1949 und 1973 waren die begehrten Korrespondentenstellen von vier Journalistinnen und fünf Journalisten besetzt. Unter den 32 36

Vgl. Robrecht: „Diplomaten in Hemdsärmeln“? (2010), S. 20. In Robrechts Studie finden Journalistinnen keine Erwähnung, da die von ihr ausgewählten deutschen und britischen Printmedien im Untersuchungszeitraum keine Journalistinnen nach Berlin / Bonn oder nach London entsandten.

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Kapitel 7

Redaktionsmitgliedern in der Frankfurter Hauptredaktion waren hingegen nur fünf Redakteurinnen, namentlich Rahms, Frisé, Jeremias, Demisch und Scherer. Am ausgewogensten gestaltete sich das Verhältnis unter den ständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.37 Wie schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, fiel der Frauenanteil auch in der FAZ-Feuilletonredaktion deutlich höher aus als in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. In der Politikredaktion betrug er zwischen 1960 und 1975 knapp neun Prozent.38 Für die Wirtschaftsredaktion arbeitete mit Christa von Braunschweig bis in die 1970er Jahre hinein nur eine Redakteurin.39 Von Braunschweig zeichnete zwischen 1966 und 1970 unter anderem für Verbraucherfragen, Fernsehsendungen und „Tagungen und Veranstaltungen mit etwas weiblicher Note“40 verantwortlich. Unter den freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gab es zwar mehrere Journalistinnen. Helma Huffschmid berichtete etwa aus Düsseldorf über die Kohle-, Stahl- und Energiebranche, später auch über den nordrhein-westfälischen Landtag. Ihre frühen Texte unterzeichnete sie allerdings mit dem Kürzel ihres Mannes, der ebenfalls für die FAZ tätig war.41 Nur im Lokalteil fiel der Frauenanteil mit rund 18 Prozent ähnlich hoch aus.42 Diese horizontale Geschlechtersegregation war zeittypisch: Noch in den

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38

39 40 41

42

In ihren Reihen betrug der Frauenanteil in manchen Jahren bis zu 50 Prozent. Der Frauenanteil unter den freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ohne Festhonorar konnte aufgrund ihrer Quantität und der damit verbundenen Lückenhaftigkeit des Datenmaterials nicht ermittelt werden. Von Hodenberg geht in ihrer Habilitationsschrift von einem grundsätzlich höheren Frauenanteil unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ohne Festanstellung aus. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 230. Diese Einschätzung kann mit Blick auf die hohe Journalistinnenquote unter den ständig Beschäftigten geteilt werden. Diese Angaben wurden der Reihe „Sie redigieren und schreiben“ entnommen. Sie bilden allerdings nur Richtwerte, da in die FAZ-Publikationen vereinzelt Journalistinnen und Journalisten aufgenommen wurden, die keinen Redakteursstatus hatten. Berücksichtigt wurden die „Mitglieder der Zentralredaktion“ und die unter „Korrespondentennetz / Redaktionsbüros“ angeführten Personen einschließlich „Deutschland und die Welt“ und der Herausgeber. Von den 93 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern waren demnach nur 8 weiblich. Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), S. 64–66; dies.: Sie redigieren (1964), S. 80–83; dies.: Sie redigieren (1975), S. 101–105. Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 68. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 22.9.1966, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. Vgl. Lehmann, Annette: Helma Huffschmid. „Und wenn ich dann über Hähnchenproduktion schrieb oder so was, dafür wollte er seinen guten Namen nicht hergeben“, in: Klaus, Lissi u. a. (Hg.): Medienfrauen der ersten Stunde. „Wir waren ja die Trümmerfrauen in diesem Beruf“. Zürich / Dortmund 1993, S. 37–55, hier S. 42–43. Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), S. 64–66; dies.: Sie redigieren (1964), S. 80–83; dies.: Sie redigieren (1975), S. 101–105.

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1980er Jahren waren Journalistinnen mehrheitlich in politikfernen, weniger am Tagesgeschehen orientierten Ressorts beschäftigt.43 Soweit anhand der dürftigen Informationslage ermittelbar, gestalteten sich die Geschlechterverhältnisse in anderen Zeitungen ähnlich.44 Die FAZ spiegelte also in etwa den Status quo wider: Nach einer Schätzung Christina von Hodenbergs lag der Frauenanteil im Zeitungs- und Zeitschriftenwesen gegen Ende der 1960er Jahre bei circa 15 Prozent, wobei im Zeitschriftensektor deutlich mehr Frauen beschäftigt wurden als in Tageszeitungen.45 Noch in den späten 1970er Jahren war in den bundesdeutschen Tageszeitungen nur jedes siebte Redaktionsmitglied weiblich, 1993/94 jedes dritte bis vierte.46 In Einzelfällen war die Lage sogar noch schwieriger. So beschäftigte die Schweizer NZZ bis in die 1960er Jahre hinein nur zwei Redakteurinnen.47 Auch das FAZ-Feuilleton hob sich nicht besonders von anderen Feuilletonredaktionen ab, wenngleich die Ressortspitzen im Unterschied zur Welt oder Welt am Sonntag, wo Ursula Knief zwischen 1953 und 1955 parallel das Frauen- und Politikressort leitete,48 mehrheitlich von Journalisten besetzt blieben. Das frühe Welt-Feuilleton war zunächst ebenfalls männlich geprägt. Selbst unter den ständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befand sich bis 1949 allem Anschein nach nur die spätere FAZ-Korrespondentin Hilde Spiel. Als das Feuilleton 1950 um Ilse Urbach erweitert wurde, ereignete sich allerdings etwas Ungewöhnliches: Urbach übernahm zugleich für zwei Jahre deren Leitung. Neben ihr waren in den 1950er Jahren auch Rahms und Heilwig

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47 48

Vgl. Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S. 164. Leider liegen weder zur FAZ noch zu anderen Zeitungen statistische Angaben über das Frauen- und Männerverhältnis vor, in denen zugleich nach Ressortzugehörigkeit, Position und Anstellungsverhältnis differenziert wird. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 230. Vgl. Sitter, Carmen: ‚Die eine Hälfte vergißt man(n) leicht!‘ Zur Situation von Journalistinnen in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des 20. Jahrhunderts (=  Frauen, Gesellschaft, Kritik, Bd.  31). Pfaffenweiler 1998, S.  345. In der DDR dagegen ergab eine Umfrage aus dem Jahr 1969, dass auf drei Redakteure im Durchschnitt eine Redakteurin folgte. Vgl. Klaus / Wischermann: Journalistinnen (2013), S. 302–303. Zur Situation von Frauen in den öffentlich-rechtlichen Medien vgl. den Bericht der EnqueteKommission Frau und Gesellschaft gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 1977 (= Drucksache 8/4461 vom 29.8.1980), S. 19–23. Online unter: http://dipbt. bundestag.de/doc/btd/08/044/0804461.pdf (11.2.2021). Vgl. Maissen: Die Geschichte der NZZ (2005), S. 191. Vgl. Knief, Ursula: Die erste deutsche Sonntagszeitung, in: Abteilung Information im Verlagshaus Die Welt (Hg.): Die ersten Jahre. Erinnerungen aus den Anfängen eines Zeitungshauses (= Beiträge zur Geschichte des Verlagshauses Die Welt). Hamburg 1962, S. 208–222, hier S. 208.

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von der Mehden für das Welt-Feuilleton tätig.49 In München sah die Situation anders aus. In der SZ arbeiteten seit den späten 1940er Jahren mit Franziska Violet und Ursula von Kardorff zwei Journalistinnen für das Tagesfeuilleton. Andere wie Anneliese Schuller, Ellen Momm und Barbara Bondy betreuten die Mode- und Frauenseite, das Ressort „Gesellschaft und Familie“ oder arbeiteten wie Luiselotte Enderle für die „SZ im Bild“. Elly Staegmeyr, eine der wenigen weiblichen Ausnahmefiguren auf diesem Feld und in hoher Position, leitete seit 1950 den Handelsteil.50 Trotz der relativ starken Präsenz von Journalistinnen gab es auch im Feuilleton Geschlechterhierarchien. Bis heute amtierte weder für den Kultur- noch für den Politik-, Wirtschafts- oder den Lokalteil eine Herausgeberin. Die FAZ dürfte damit fast die letzte große Tageszeitung sein, die nach wie vor ausschließlich von Männern geführt wird. Selbst in den bis vor wenigen Jahren exklusiv männlich besetzten Chefetagen der Welt und der SZ sitzen mittlerweile Journalistinnen.51 In der Zeit hatte mit Marion Dönhoff bereits in den 1950er Jahren eine Frau die politische Leitung und (zunächst stellvertretende) Chefredaktion übernommen.52 Für die Gesamtaufstellung der Redaktion hatte diese Besetzung allerdings keine Bedeutung: „Die Gräfin“, adelig, promoviert und vernetzt, war keine Feministin. Gezielt weiblichen Nachwuchs 49

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51 52

Vgl. Prüver: Willy Haas (2007), S.  55–56, 75–77. Zur späteren Zusammensetzung der Redaktion liegen keine Informationen vor. Sonntag stuft die frühe Welt-Redaktion als die weiblichste unter den Hamburger Zeitungen ein. Für den Zeitraum von 1946 bis 1949 errechnete er einen Frauenanteil von 14 Prozent, berücksichtigte dabei allerdings auch Volontärinnen und Mitarbeiterinnen ohne Redakteursstatus. Die frühe Zeit-Belegschaft habe dagegen nur zu acht Prozent aus Journalistinnen bestanden. Vgl. Sonntag: Medienkarrieren (2006), S. 98, 115. Für die SZ arbeiteten außerdem Gertrud von Borch-Kaltenegger als Wien-Korrespondentin und Doris Schmidt im Bereich bildende Kunst, wobei nicht bekannt ist, in welchem Arbeitsverhältnis sie standen. Zu den SZ-Journalistinnen vgl. Harbou: Als Deutschland seine Seele retten wollte (2015), S. 219–220, 379–380. Vgl. etwa Staun, Harald: Die lieben Kollegen, in: FAZ vom 3.2.2019, S. 39 und SZ: Neues SZ-Führungsteam. Kurt Kister verlässt die Chefredaktion nach 15 Jahren, in: SZ vom 18.3.2020, S. 27. Zu Dönhoff vgl. Laszlo, Anne: Marion Gräfin Dönhoff. La „comtesse rouge“ du journalisme allemand. Paris 2014; Harpprecht, Klaus: Die Gräfin Marion Dönhoff. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg 2008; Kuenheim, Haug von: Marion Dönhoff. Reinbek bei Hamburg 1999. Nach ihrer kurzzeitigen Trennung von der Zeit im Herbst 1954 hatte sich Dönhoff offenbar auch bei der FAZ um eine Anstellung bemüht. Die Herausgeber sahen aber „keine geeignete Verwendungsmöglichkeit, die den mit ihrer Einstellung zweifellos verbundenen hohen finanziellen Aufwand rechtfertigen würde.“ Aktenvermerk über die Herausgeberkonferenz am 6.10.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954.

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heranzuziehen, lag ihr fern.53 Auch andere Leitungspositionen wurden im FAZ-Feuilleton lieber an Journalisten vergeben.54 Obwohl die Redakteurinnen mehr Dienstjahre aufzuweisen hatten – ihre Fluktuation war mit einer durchschnittlichen Beschäftigungsdauer von 24 Jahren deutlich niedriger als die ihrer Kollegen mit 16 – übernahmen sie selten die Leitung eines Ressorts.55 Das Feuilleton war also von einer vertikalen Geschlechtersegregation geprägt. Mit Ausnahme von Helene Rahms, die seit 1953 für die FAZ-Frauenseite verantwortlich war, und Maria Frisé, die seit den ausgehenden 1960er Jahren „Bilder und Zeiten“ betreute, standen das Tagesfeuilleton, das Literaturblatt, das Reiseblatt und die Wissenschaftsbeilage stets unter der Obhut von Journalisten. Erst 2008, fast 60 Jahre nach der Zeitungsgründung, fand der Name einer Journalistin Eingang in das Impressum. Felicitas von Lovenberg übernahm als erste (und vorerst einzige) Frau die Leitung des Literaturblattes. Neuerungen gab es in jüngster Zeit auch an anderer Stelle: Seit dem 1. Juni 2021 wird das Feuilleton von Sandra Kegel geleitet, die zusammen mit Hannes Hintermeier schon 2019 die Ressortverantwortung übernommen hatte.56 Ob den Journalistinnen der Aufstieg aus strukturellen Gründen verwehrt blieb oder ob sie tatsächlich weniger karriereorientiert waren,57 lässt sich aus der Retrospektive nicht abschließend feststellen. Die Quellen zeigen jedoch deutlich, dass in der Beurteilung von Männern und Frauen verschiedene Maßstäbe angelegt wurden. Während erstere etwa durch ihre „handfeste Art“ oder „eine männliche starke Figur“58 bestachen und damit für leitende Funktionen womöglich besser gewappnet schienen, gehörten Fleiß, Vielseitigkeit, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Stetigkeit zu den positiv konnotierten 53 54

55

56 57 58

Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 243. Dazu auch Gehrke: Die Frau als Journalistin (1954), S.  283–284 über die „große[n] Zeitungen und Zeitschriften, die zwar Frauen als Mitarbeiterinnen nicht entbehren können, sie aber als redaktionelle Kolleginnen auf leitenden Posten strikt ablehnen“ und Tritz, Maria: Die berufstätige Frau, in: Oppens, Edith u.  a. (Hg.): Die Frau in unserer Zeit. Ihre Wandlung und Leistung. Oldenburg / Hamburg 1954, S. 109–142, hier S. 132–133. Tritz, Referentin für Frauenerwerbsarbeit im Bundesarbeitsministerium, schrieb hierzu: „Man billigt zwar in Einzelfällen die Ausnahme zu, unterstreicht aber gleichzeitig die anders lautende Regel, es sei der Frau nicht gemäß, große Verantwortung zu tragen, an exponierter Stelle zu stehen.“ Vgl. Jentzsch / Schilcher: Ein Leben ohne Lobby? (1991), S.  230. Auch weniger Flexibilität, etwa aufgrund zusätzlicher häuslicher Verpflichtungen, ein stärkeres Bedürfnis nach Sicherheit und schlechtere Chancen auf eine berufliche Besserstellung sind als Gründe dafür freilich denkbar. O. A.: Neues aus der Redaktion, in: FAZ vom 21.1.2020, S. 4. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 239–240, 243. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 19.8.1965, in: FAZ-Archiv, Herausgeber 1.4.1963– 12/1965.

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weiblichen Eigenschaften.59 Unterschiede bestanden auch in der Entlohnung. Wie eine tabellarische Aufstellung aus dem Jahr 1957 zeigt, wurde in Gehaltsfragen nicht nur zwischen den Ressorts differenziert. Die Feuilletonredaktion schnitt grundsätzlich schlecht ab: Mit 1225,- DM im Mittel verdienten die Redakteurinnen und Redakteure rund zweihundert Mark weniger als der Durchschnitt (1439,- DM). Erhielten die Spitzenverdiener aus der Politik- und Wirtschaftsredaktion wie Jürgen Tern, Josef Schmitz van Vorst oder Jürgen Eick Summen zwischen 2500,- und 3000,- DM, bezog die Mehrheit der im Feuilleton Beschäftigten Gehälter unter dem Mittelwert. Noch dürftiger fielen die Gehälter der Journalistinnen aus, wenngleich auch hier Unterschiede in der Ressortzugehörigkeit bestanden. Das Durchschnittsgehalt der FAZ-Redakteurinnen lag redaktionsweit mit 1130,- DM deutlich unter dem durchschnittlichen Einkommen der Männer mit 1470,- DM. Die Journalistinnen verdienten also rund 300 DM oder 23 Prozent weniger als die Journalisten. Lokalredakteurinnen wie Marianne Morawe und Anita Zimmermann markierten mit einem Gehalt zwischen 900,- und 1000,- DM das untere Ende der Gehaltskette, Politikredakteurinnen wie Brigitte Beer und Heddy Neumeister mit 1200,- bis 1450,DM ihre Spitze. Rahms rangierte mit 1100,- DM im Mittelfeld. Damit lag sie im Feuilleton zwar unter dem Durchschnitt, Journalisten auf ähnlichen Posten verdienten aber ähnlich viel: Ernst Thomas, zuständig für das Musikressort, erhielt dasselbe Gehalt und Friedrich A. Wagner, verantwortlich für das Reiseblatt, wurde mit 1200,- DM vergütet. Nur die Feuilletonleiter Hans SchwabFelisch und Martin Ruppert sowie ihr späterer Nachfolger Robert Held bezogen höhere Gehälter. Der London-Korrespondent Roland Hill und der Literaturredakteur Wolfgang Schwerbrock wurden neben einigen Lokal-, Nachrichtenund Wirtschaftsjournalisten schlechter vergütet.60 Während in der Feuilletonredaktion also eher dezente Unterschiede in der Entlohnung bestanden – die Spanne reichte vom Höchstverdiener SchwabFelisch (1600,- DM) bis zum Niedrigverdiener Schwerbrock (1000,-) – wurde in der Politik stärker differenziert. Zwischen dem Höchstverdiener Jürgen Tern (3000,- DM) und dem Niedrigverdiener Otto Diepholz (900,-) lag immerhin das Monatsgehalt eines Adelbert Weinstein (2000,-). Das galt auch für Journalistinnen und Journalisten. Im Mittel verdienten die Politikredakteurinnen

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60

Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Vilma Sturm vom 17.10.1960, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Kopien, x  71.130; Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 2.2.1966 und 17.10.1968, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968; K.K. (= Karl Korn): In memoriam E.M.D., in: FAZ vom 22.9.1969, S. 24. Vgl. die Gehaltsaufstellung vom 28.8.1957, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958. Die angegebenen Zahlen beziehen sich auf die monatlichen Bezüge inklusive Gehaltserhöhung.

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1325,- DM. Damit lagen sie nicht nur unter dem FAZ-Durchschnittseinkommen, sondern auch unter dem der politischen Redaktion (1595,- DM).61 Inwiefern sich diese nach Ressorts und Geschlecht differenzierende Gehaltspolitik in den darauffolgenden Jahren veränderte, ist nicht bekannt. Einiges spricht dagegen: Obwohl es Mitte der 1960er Jahre Bemühungen gab, die Gehaltspolitik stärker am Leistungsprinzip auszurichten,62 verdiente Frisé offenbar nur 1000,- Mark, als sie 1968 nach langjähriger Mitarbeit übernommen wurde.63 Die Korrespondentin Hilde Spiel reichte noch 1976 bei Joachim Fest Beschwerde ein, weil sie vernommen hatte, dass die Wiener Politik- und Wirtschaftskorrespondenten besser verdienten als sie.64 7.2

Geschlecht und Biographie

Die neun Journalistinnen, die in der Ära Korn als Redakteurinnen und Korrespondentinnen für das FAZ-Feuilleton arbeiteten, stammten überwiegend aus dem bildungsbürgerlichen Milieu. Wie die der meisten Journalisten waren ihre Väter Theologen und Pfarrer, Lehrer, Ärzte, Ingenieure oder Publizisten. Nur vereinzelt kamen sie aus Unternehmer- und Angestelltenfamilien oder aus Arbeiter- und landwirtschaftlichen Haushalten.65 Mit Ausnahme von Eva Maria Demisch erlangten alle Frauen die Hochschulreife. Sieben begannen ein Studium (78 Prozent) und mindestens drei erreichten nachweislich auch einen Abschluss (33 Prozent).66 Ihre bevorzugten Studiengänge waren Germanistik, Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte. Nur eine Journalistin entschied sich für das berufsbezogenere Studium der Zeitungswissenschaften. Zur historischen Einordnung: 1960 besuchten nur 25 Prozent der 14-jährigen Mädchen eine Realschule oder das Gymnasium. Das Abitur als höchstes schulisches Ausbildungsziel lag deutlich über dem weiblichen Bildungsstandard der Zeit. Auch an den Universitäten waren Frauen folglich seltener vertreten als Männer. Unter den Studierenden war 1960 nur fast 61 62 63 64 65 66

Vgl. die Gehaltsaufstellung vom 28.8.1957, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 9.2.1966, in: ebd., H 1966–12/1968. Vgl. Frisé, Maria: Zehn von 152. Als Frau in einer Männerdomäne: Erinnerungen an sechzig Jahre Arbeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in: FAZ vom 2.11.2019, S. B19. Vgl. den Brief von Hilde Spiel an Joachim Fest vom 5.1.1976, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/606. Ähnlich auch bei Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S.  231; Requate: Der Journalist (1999), S. 152. Da das Datenmaterial stellenweise lückenhaft ist, kommt die Ausprägung „unbekannt“ in der Erhebung relativ häufig vor. Die folgenden Angaben können daher nur Tendenzen widerspiegeln.

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jede vierte Person weiblich.67 Die Feuilletonredakteurinnen hatten also, auch ohne akademischen Abschluss, ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau.68 Auch unter den Redakteuren hatten fast alle ein Abitur (91 Prozent). Ebenso viele hatten studiert und ihr Studium in mindestens drei Viertel der Fälle abgeschlossen. Damit besaßen also 77 Prozent der Journalisten gegenüber 33 Prozent der Journalistinnen einen akademischen Abschluss. Zu den beliebten Fächern zählten, in fast identischer Abfolge, Germanistik, Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte. Aber auch Französisch, Musik und -wissenschaften, Zeitungswissenschaften, Buchkunde und die Naturwissenschaften waren mehrmals vertreten. Während auf das Studium bei allen Journalistinnen die Promotion folgte, traf dies auf 78 Prozent der Journalisten zu. Der Anteil der Promovierten fiel unter den Frauen mit 33 Prozent dennoch geringer aus als unter den Männern mit 55 Prozent. Fast die Hälfte der Redakteurinnen (44 Prozent) begann ihre journalistische Laufbahn mit einem klassischen Redaktionsvolontariat.69 Bei Eintritt in die FAZ, die selbst keine Volontärinnen und Volontäre ausbildete,70 wiesen ausnahmslos alle Schreiberfahrung auf: Eine Journalistin hatte als stellvertretende Chefredakteurin gearbeitet, knapp jede zweite als Redakteurin, etwa bei der Kölnischen Zeitung, dem Darmstädter Echo oder für den Tagesspiegel, alle anderen als freie Mitarbeiterinnen. Für manche Frauen war der Beginn ihrer journalistischen Karriere eine zweite berufliche Sozialisation. Sie hatten zuvor haupt- oder nebenberuflich als Schauspielerin, Dramaturgin, Übersetzerin, Lektorin, Lehrerin, Sekretärin oder im Verlagswesen gearbeitet und sich erst relativ spät für einen Quereinstieg entschieden. Darin bestand ein wesentlicher 67 68

69 70

Vgl. Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit (= edition suhrkamp 1284, NF 284). Frankfurt am Main 1986, S. 261. Das ergab auch eine Befragung von 32 österreichischen Zeitungsjournalistinnen aus dem Jahr 1965. Demnach hatten 62,5 Prozent der Befragten eine Universität besucht und 40,5 Prozent einen Abschluss gemacht. Vgl. Jentzsch / Schilcher: Ein Leben ohne Lobby? (1991), S. 226. Ähnlich auch die Auswertung bei Sitter: ‚Die eine Hälfte vergißt man(n) leicht!‘ (1998), S. 502–504. Nur Robert Held und Adelbert Weinstein waren 1949 als Volontäre übernommen und fertig ausgebildet worden. In den 1960er Jahren wurde zwar über die Einführung eines Redaktionsvolontariats diskutiert, man entschied sich aber schließlich dagegen, weil Kosten und Nutzen nicht im richtigen Verhältnis stünden. Seit Mitte der 1960er Jahre bot die FAZ Kurzvolontariate in den Semesterferien an. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 3.8.1960, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter  –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 14.2.1961, in: ebd.; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 23.3.1966, in: ebd., Akten der Geschäftsführung –  Werner  G.  Hoffmann  –, Herausgebersitzungen 1964–1966.

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Unterschied zu den männlichen Erwerbsbiographien: Obwohl nur jeder dritte Redakteur ein Volontariat durchlief, verfügten sie über breitere journalistische Erfahrungen. Mehr als zwei Drittel von ihnen hatten vor ihrer Zeit bei der FAZ bei der AZ, der Neuen Zeitung, der Stuttgarter Zeitung oder dem Mittag feste Redaktionsstellen bekleidet, einige auch leitende Posten besetzt. Diejenigen, die aus anderen Berufsfeldern kamen, waren vorwiegend in den Fachgebieten Lektorat und Übersetzung, Verlag und Buchhandel tätig gewesen. Laut einer zu Beginn der 1980er Jahre durchgeführten Studie waren 63 Prozent der befragten Rundfunk- und Tageszeitungsredakteurinnen, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgingen, unverheiratet. 47 Prozent lebten allein und zwei Drittel waren kinderlos.71 Christina von Hodenberg führt eine ähnliche Erhebung aus dem Jahr 1971 an, wonach zwei Drittel aller Journalistinnen, aber nur jeder zehnte Journalist alleinstehend war.72 Zwischen weiblicher Erwerbsarbeit, Eheschließung und Familiengründung wurde infolgedessen ein begründeter Zusammenhang hergestellt. Die FAZ-Feuilletonredaktion bestätigt dieses Bild jedoch eher nicht. Die meisten Redakteurinnen waren verheiratet und hatten ein bis drei Kinder. Im Unterschied zur Mehrheit der bundesdeutschen Ehefrauen – 1961 lag die Erwerbsquote verheirateter Frauen bei 36,5 Prozent  –73 übten sie neben ihrer Funktion als Haus-, Ehefrau und Mutter eine außerhäusliche Tätigkeit aus, die oft mehr als die heute übliche Wochenarbeitszeit in Anspruch nahm und mit unregelmäßigen Arbeitszeiten verbunden war. Heddy Neumeister hatte schon 1935 in der FZ darauf hingewiesen, dass „der Journalismus, namentlich für die Frau, ein harter Beruf“74 sei. Ihre Doppelbelastung war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass die Journalistinnen trotz des relativ hohen Altersdurchschnitts von 39 Jahren bei Eintritt in die Redaktion verhältnismäßig wenig Berufserfahrung hatten.75 Diese strukturelle Schieflage blieb über den gesamten Untersuchungszeitraum bestehen: In den 1970er Jahren scheiterten die Versuche Frisés, Halbtagsarbeit für Mütter mit Kleinkindern zu etablieren, an den „Herren in den oberen Etagen“, die „für solche frauen- und familienfreundlichen Änderungen nicht zu gewinnen“76 waren. Ein anschauliches Beispiel für eine solche Erwerbsbiographie bietet die Journalistin Vilma Sturm, die 1949 als Redakteurin für die Frauenseite und das Literaturressort eingestellt wurde. Wegen Doppelbelastung, Verunsicherung 71 72 73 74 75 76

Vgl. Neverla / Kanzleiter: Journalistinnen (1984), S. 161, 180. Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 240. Vgl. Frevert: Frauen-Geschichte (1986), S. 256. Neumeister, Heddy: Die Journalistin, in: FZ vom 29.9.1935, Die Frau, S. 2–4, hier S. 4. Seit dem Ende der 1960er Jahre ist ein Rückgang des Eintrittsalters zu verzeichnen. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 318.

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und Überforderung verwandelte die alleinerziehende Mutter ihr Arbeitsverhältnis schon kurz nach ihrem Engagement in das einer freien Mitarbeiterin. Um die anfallenden inner- und außerhäuslichen Aufgaben bewältigen zu können, nahm sie den Verlust des regelmäßigen Einkommens und beruflichen Prestiges in Kauf. In ihrer Autobiographie „Barfuß auf Asphalt“ (1981) berichtet sie über das kurze Zwischenspiel im Feuilleton: „Zwei Tage mit Christiane, in denen wir einen Kindergarten erprobten, genügten, um mich zu überzeugen, daß das nicht gehen würde“77. Eine Dekade später kehrte Sturm, mittlerweile im 47. Lebensjahr, als Kölner Feuilletonkorrespondentin zur FAZ zurück. Doch noch 1962 schrieb sie an Friedrich Sieburg über die andauernden Schwierigkeiten, Beruf, Erziehung und Haushalt gleichermaßen gerecht zu werden: Ach, mein Freund, aber nun ist es ja ein Kreuz, daß ich all diese wichtigen Dinge nicht treiben kann wie ein Gelehrter in der Stube, sondern zwischen einkaufen, kochen, heizen, telefonieren, Korrespondenz führen  … Neben Rahners theologischen Schriften liegen die Prospekte für Ölöfen […], neben der ‚Soziologie des Friedens‘ die Strümpfe, die zur Laufmaschen Reparatur weggebracht werden müssen.78

Helene Rahms, Mutter von drei Kindern, der Ehemann später Kriegsheimkehrer, beschreibt in ihrem autobiographischen Buch „Die Clique“ (1999) ähnliche Herausforderungen. Als verantwortliche Redakteurin für die FAZFrauenseite machte sie die Probleme erwerbstätiger Frauen und Mütter auch zum Thema ihrer Arbeit. Wie Sturm kritisierte auch sie das Desinteresse der Kollegen für die Nöte berufstätiger Frauen und die fehlende staatliche Unterstützung: Wie alle männlichen Kollegen umsorgt und von Alltagsplakkereien [sic!] freigehalten wurden, malte ich mir aus. Neidvoll und verzweifelt. Würde es ewig so weitergehen? Für mich und andere Frauen, die sich in ähnlicher Doppelrolle abmühten? Ganztagsschulen gab es nach wie vor nicht, Kindergärten, die Rücksicht auf berufstätige Mütter nahmen, auch nicht. Von Aufstiegschancen in anspruchsvollen Berufen und politischen Karrieren ganz zu schweigen.79

Mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren bei Eintritt in die FAZ waren die Feuilletonredakteure zwar nicht wesentlich jünger als ihre Kolleginnen. Unter ihnen waren aber weitaus mehr Journalisten, die ihre Karriere bereits vor dem 77 78 79

Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 219. Brief von Vilma Sturm an Friedrich Sieburg vom 25.11.1962, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Literaturressort FAZ, HS.NZ79.0001.01109. Rahms: Die Clique (1999), S. 171–172.

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30. Lebensjahr begonnen hatten. Diejenigen, die erst im fortgeschrittenen Alter zur Zeitung stießen, übten ihren Beruf – mit vereinzelter Unterbrechung im „Dritten Reich“ – in der Regel seit vielen Jahren aus. In den männlichen Erwerbsbiographien nahm dieser also eine deutlich größere Rolle ein als in der weiblichen Normalbiographie.80 Die meisten Redakteure hatten vor ihrer Zeit in Frankfurt schon verschiedene Stationen auf der Karriereleiter durchschritten und dabei ausgedehnte Netzwerke und karrierefördernde Infrastrukturen aufgebaut. Neben den Unterschieden in der Ausbildung und Qualifikation, die ein leichtes Bildungsgefälle zeigen,81 und den lebensweltlichen Differenzen trennten die Geschlechter also auch Erfahrungswerte. Parallelen können hingegen im Hinblick auf ihre Herkunft, Schulbildung und die Wahl der Studienfächer herausgestellt werden. 7.3

Personalpolitik – Alltag – Identität

Als sich die promovierte Journalistin und Publizistin Margret Boveri Ende der 1930er Jahre bei der FZ um eine Anstellung als Auslandskorrespondentin bemühte, traf sie auf Widerstand. Obwohl es in der Redaktion des bürgerlichen Traditionsblattes durchaus Frauen gab – die meisten arbeiteten als Sekretärinnen, einige als Korrespondentinnen – wurde Boveri, seinerzeit eine bekannte „Rarität“ in der Presselandschaft,82 mehrmals vertröstet.83 Schließlich wurde ihr mitgeteilt, „‚daß es für eine Zeitung vom Rang der Frankfurter nicht möglich sei, sich durch eine Frau, zum Beispiel an einem Posten wie Washington, vertreten zu lassen‘“84. Stattdessen unternahm die Journalistin eine Orient-Reise; eine von mehreren „Bewährungsproben“ im Auftrag der Zeitung. 1939, ein Jahr nach ihrem letzten Versuch, in die FZ aufgenommen zu werden, wurde Boveri endlich die ersehnte Stelle als Politikkorrespondentin angeboten. Sie ging für die Zeitung nach Stockholm und bald darauf nach New York. Bei ihrem ersten Besuch in Frankfurt hatte Benno Reifenberg die Rahmenbedingungen eines Engagements abgesteckt: Auch als fest angestellte Korrespondentin würde es ihr bei vorübergehendem Aufenthalt in der 80 81 82 83 84

Vgl. dazu auch Frevert: Frauen-Geschichte (1986), S. 263. Ähnlich auch bei Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 238. Vgl. Rotzoll, Christa: Frauen und Zeiten. Porträts. Stuttgart 21987, S. 99. Zum „Fall Boveri“ vgl. Bussiek: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“ (2009), S.  350–351; Görtemaker, Heike B.: Ein deutsches Leben. Die Geschichte der Margret Boveri 1900– 1975. München 2005, S. 107–112; Todorow: Frauen im Journalismus (1991), S. 85–86. So die erinnerten Worte von Wendelin Hecht, frei zitiert in Boveri, Margret: Verzweigungen. Eine Autobiographie. München / Zürich 21978, S. 319.

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Hauptredaktion nicht gestattet sein, an den Konferenzen teilzunehmen. Dieses Privileg sei der Herrenrunde vorbehalten, die Aufnahme von Damen ausgeschlossen.85 Dieses Beispiel zeigt, mit welchen Hürden selbst anerkannte Journalistinnen im Zeitungsjournalismus konfrontiert waren. Sich trotz „Weiberfeindschaft“86 in einem „Männerstaat“87 durchzusetzen, erforderte neben Anpassungsvermögen und Kompromissbereitschaft ausgesprochene Beharrlichkeit. Wie sah das zehn bis zwanzig Jahre später in der FAZ aus? Die Antwort ist schon deshalb nicht leicht, weil Praktiken des Doing Gender88 eine alltags- und mentalitätsgeschichtliche Ebene berühren, die über die Quellen nur schwer greifbar ist. Anders als in den autobiographischen Zeugnissen der Journalistinnen spielt die soziale Beschaffenheit der Redaktion in den Ego-Dokumenten und der Korrespondenz von Journalisten meist keine Rolle. Während Weiblichkeit und Männlichkeit als alltagsrelevante Kategorien in den Memoiren ehemaliger FAZ-Redakteurinnen thematisiert und problematisiert werden, bleiben sie in der männlichen Erinnerung außen vor. So berichtete der Theaterkritiker und spätere Feuilletonchef Günther Rühle auf Nachfrage nur, seine Kolleginnen als gleichberechtigt betrachtet und behandelt zu haben. Differenzen und Konflikte habe es nicht gegeben.89 In der Wahrnehmung der Geschlechter gab es also offenbar geschlechtsspezifische Unterschiede, die die verschiedenen Positionen von Frauen und Männern im Mediensystem reflektierten: Die Existenz und Bedeutung geschlechtsgebundener Denk- und Verhaltensweisen wurde nur dann verbalisiert, wenn sie als Hürde empfunden wurde. Anders als ihre männlichen Kollegen mussten die Journalistinnen in einem Umfeld Fuß fassen, das ihnen noch oft mit spürbarer Skepsis begegnete und den Zugang zu manchen Positionen erschwerte oder sogar verwehrte.

85 86 87 88

89

Vgl. Boveri: Verzweigungen (1978), S. 311. Gillessen: Auf verlorenem Posten (1986), S. 386. Hummerich: Wahrheit zwischen den Zeilen (1984), S. 67. Über den Nutzen der Kategorie Geschlecht für die Geschichtswissenschaft schon 1986 Scott, Joan W.: Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: AHR 91 (1986), H. 5, S. 1053–1075, hier S. 1067. Dort heißt es: „gender is a constitutive element of social relationships based on perceived differences between the sexes, and gender is a primary way of signifying relationships of power”. Der Ansatz des Doing Gender nimmt die sozialen Interaktionen und performativen Praxen in den Blick, über die im Alltag Geschlechterdifferenzen hergestellt werden. Vgl. dazu auch Opitz, Claudia: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte (=  Historische Einführungen, Bd. 10). Tübingen 2005, S. 73–76. Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 25.6.2017. Auch bei Bohrer: Jetzt (2017) spielen Geschlechterfragen keine Rolle.

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Dass sich die Geschlechtergeschichte des FAZ-Feuilletons in erster Linie als Frauengeschichte präsentiert, ist also vor allem der Quellenlage geschuldet. Am prinzipiellen Ausschluss von Frauen, der in der FZ bis 1939/40 zur „tradierte[n] Lehre des Hauses“90 gehört hatte, wurde in der FAZ freilich nicht mehr festgehalten. Trotzdem wurden in Teilen der Zeitung fast ausschließlich Männer beschäftigt. Das lag zum einen daran, dass die Politik- und die Wirtschaftsredaktion auf einen kleineren Pool an Hochschulabsolventinnen zurückgreifen konnten. In den 1950er Jahren nahmen zwei Fünftel aller Studentinnen ein geisteswissenschaftliches Studium auf.91 Die Nachfrage dürfte im Feuilleton entsprechend höher ausgefallen sein.92 Zum anderen gab es Vorbehalte gegenüber dem „anderen Geschlecht“, die das Jahr 1945 überdauert hatten. Sie entsprangen der tradierten Idee, dass sich die Präsenz von Frauen benachteiligend auf das Betriebsklima auswirke. Tatsächlich kam es bisweilen vor, dass aus beruflichen Beziehungen intime Verhältnisse hervorgingen. Damit daraus keine Abhängigkeiten oder Zwistigkeiten erwuchsen, war die „Zusammenarbeit von Ehepaaren in ein und demselben Ressort“93 untersagt. Diese Maxime galt ebenfalls für Geschwister und wurde auch in anderen Blättern verfolgt.94 So musste Susanne Czapski, Politikredakteurin bei der Welt, nach ihrer Heirat mit Gert von Paczensky widerwillig in die Feuilletonredaktion wechseln.95 Nur in Ausnahmefällen ließ sich die ungeschriebene Regel umgehen. Das galt etwa für das Ehepaar Christian am Ende und Angela Nacken, die für den FAZ-Politikteil aus Berlin berichteten. Nach der Scheidung hatte die Zeitung allerdings ein Problem: Da Nackens Wohnung als Redaktionsbüro hergehalten hatte, mussten neue Büroräume gefunden werden.96 In der Wirtschaftsredaktion führten diese Bedenken gegen Frauen in der Redaktion so weit, dass die 1966 eingestellte Christa von Braunschweig kein 90 91

92 93 94 95 96

Gillessen: Auf verlorenem Posten (1986), S. 386. Vgl. Hagemann, Karen: Gleichberechtigt? Frauen in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History  13 (2016), H. 1, S. 108–135, hier S. 115. Online unter: https://zeithistorische-forschungen.de/12016/5333 (16.3.2022). Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 243. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 11.7.1962, in: FAZ-Archiv, Herausgeber  2.1.1962–5.8.1963. Vgl. die Aktennotiz über eine Besprechung mit Herrn Direktor Hoffmann und Herrn Dr. Muckel am 8.1.1958, in: ebd., Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958. Vgl. Paczensky, Susanne von: Bescheidene Luftschlösser. Journalistische Randnotizen aus einem halben Jahrhundert (= Die Frau in der Gesellschaft). Frankfurt am Main 1997, S. 57. Vgl. das Protokoll der Herausgebersitzung vom 13.5.1959, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961.

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Büro erhielt. Sie sollte auf Wunsch Eicks „aus der Redaktionsmaschinerie herausgehalten werden“. Ähnlich reagierten die Herausgeber auf eine Anfrage der freien Mitarbeiterin Key  L.  Ulrich, die die FAZ im selben Jahr um eine Intensivierung ihrer Verbindung ersuchte. Da sie „das tägliche Arbeitsgetriebe nur aufhalten“97 würde, so das Protokoll der Herausgebersitzung vom 22. September  1966, kam eine Übernahme als Korrespondentin nicht in Frage. Vor allem Jürgen Tern hatte eine starke Aversion gegen Frauen, aus der er keinen Hehl machte. Obwohl die meisten Herausgeber Mitte der 1960er Jahre befanden, dass die Journalistin Gabriele Venzky gut in die Politikredaktion passen würde,98 war er der Ansicht, dass „ein weibliches Wesen von solcher Ausstrahlungskraft“ nur Unheil bringen könne. „Eine politische Redaktion“, zitiert ihn das Protokoll der Herausgebersitzung vom 28. Dezember 1966, „sei immer ein Männerverein; es störe ein weibliches Wesen von solcher Art bei der  Bemühung, ihr den rechten Korpsgeist einzupflanzen.“99 Tern meldete Zweifel an Venzkys Kompetenz an und prognostizierte, dass in Anwesenheit einer attraktiven Frau keine Kritik mehr geübt werden könne, ohne das männliche Ehrgefühl zu verletzen. Journalistinnen seien ein unnötiges Risiko, brauchten eine Sonderbehandlung und stifteten Verwirrung. Ein politische Urteilsbildung sei bei einem emotionalen Wesen wie dem weiblichen ohnehin nicht zu erwarten. Er sprach sich folglich gegen die Anstellung aus und forderte für den Fall, dass er überstimmt werde, Venzkys Entsendung nach Berlin;100 laut Korn ein „groteskes Satyrspiel“101, dem die Herausgeber aber schließlich zustimmten.102 Terns Misogynie beschränkte sich nicht auf die politische Redaktion.103 Zwei Jahre später, Maria Frisé war gerade als Feuilletonredakteurin eingestellt worden, beharrte er als einziger Herausgeber auf einer persönlichen Visite, obwohl die Journalistin nach vielen Jahren der freien Mitarbeit und mehreren 97 98 99 100 101 102

103

Protokoll über die Herausgebersitzung vom 22.9.1966, in: FAZ-Archiv, H 1966–12/1968. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 25.8.1965, in: ebd., Herausgeber  1.4.1963–12/1965. Protokoll über die Herausgebersitzung vom 28.12.1966, in: ebd., H 1966–12/1968. Vgl. ebd. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 28.12.1966, in: FAZ-Archiv, H 1966– 12/1968. Anders als vorgesehen, blieb Venzky letzten Endes doch in Frankfurt. Sie verließ die FAZ 1972, nachdem sie der Aufforderung, einen Posten in Bukarest oder Prag zu besetzen, nicht entsprechen wollte. Zur Personalie Venzky vgl. Schulz, Frederic: Am Webstuhl der Zeit (Dissertation in Vorbereitung). Vgl. das Gespräch zwischen Marianne Englert und Brigitte Beer am 15.11.1994, in: FAZArchiv, F.A.Z. Zeitzeugen A-J.

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Urlaubsvertretungen bereits bekannt war. Als Frisé das Büro betrat, so berichtet sie in „Meine schlesische Familie und ich“ (2004), habe Tern desinteressiert in einem Ordner mit ihren FAZ-Artikeln geblättert. Dann habe er sich erkundigt, warum sie sich nicht lieber als Hilfskraft ihres schreibenden Mannes verdient machen wolle.104 Für Tern war die Mutter von drei Kindern, die ohne Berufsausbildung und Universitätsabschluss zur FAZ gekommen war, nicht mehr als eine „schreibende Hausfrau“105. Im Unterschied zum ersten Politikherausgeber Paul Sethe brachte er den Journalistinnen unverhüllte Geringschätzung entgegen.106 In anderen Teilen der Redaktion waren die Vorbehalte weniger stark ausgeprägt, aber vorhanden. Der starke Personalzuwachs in den 1960er Jahren ließ etwa Günther Gillessen und Robert Held ein weibliches Übergewicht befürchten.107 Dieses vermeintliche Schreckensszenario, das Frank Schirrmacher vierzig Jahre später unter dem Begriff „Männerdämmerung“108 heraufbeschwor, hatte mit der Realität freilich nur wenig zu tun: In der Politik- und in der Wirtschaftsredaktion lebte das „Herrenclub-Modell“109 noch lange fort. Im Feuilleton verfocht Korn, der seinem Kollegen Tern ein „gestörtes Verhältnis zur Weiblichkeit“110 attestierte, eine relativ offene, liberale Personalpolitik; dem Medienforscher Josef Seethaler zufolge ein Kennzeichen linksliberaler Milieus.111 Anfang der 1950er Jahre setzte er trotz herrschender Zweifel – „‚Sie kennen doch die alte Leier: Frauen verwirren, beunruhigen, sind nicht sachlich, stiften Eifersucht …‘“112 – das Engagement der ersten Feuilletonredakteurin durch: Rahms übernahm die Verantwortung für die Frauenseite. Obwohl die Positionen an der Redaktionsspitze, mit denen größere Verantwortung und eine 104 105 106 107 108 109 110 111 112

Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 299. Ebd. Vgl. Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 218. Vgl. die Aktennotiz über die Herausgebersitzung am 6.3.1963, in: FAZ-Archiv, Herausgeber  2.1.1962–5.8.1963; Protokoll der Tageskonferenz vom 17.2.1971, in: ebd., Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971. Schirrmacher, Frank: Männerdämmerung. Wer uns denkt: Frauen übernehmen die Bewußtseinsindustrie, in: FAZ vom 1.7.2003, S. 33. Hachmeister, Lutz: Einleitung. Das Problem des Elite-Journalismus, in: ders. / Siering, Friedemann (Hg.): Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945. München 2002, S. 7–34, hier S. 25. Brief von Karl Korn an Margret Boveri vom 19.1.1967, in: PSB, NL Margret Boveri  920, Mappe 3. Vgl. Seethaler / Oggolder: Frauen in der Wiener Tagespresse (2009), S. 8. Demnach wirkt „sich eine linke bzw. linksliberale redaktionelle Linie […] begünstigend auf die Teilhabe von Frauen an journalistischer Macht“ aus. Ebd., S. 16. So Korn über die Vorbehalte in der Herausgeberrunde, frei zitiert von Rahms: Die Clique (1999), S. 102.

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bessere Besoldung einhergingen, mehrheitlich von Männern bekleidet wurden, empfanden die Feuilletonistinnen ihre Redaktion als frauenfreundlich. Korn habe Journalistinnen gefördert und sei bemüht gewesen, strukturelle Hürden abzubauen.113 Um in die Redaktion aufgenommen zu werden, waren ein konsistenter Ausbildungsweg, ein Abitur oder eine akademische Vorbildung nicht zwangsläufig nötig. So hatten weder Frisé noch Demisch eine Universität besucht. Letztere hatte 1958 als Sekretärin im Feuilleton begonnen und bekam wegen ihrer Expertise eine Stelle als Kunstredakteurin angeboten.114 Auch Frisé war Autodidaktin. Sie war von Rahms an die FAZ vermittelt worden, wurde 1968 Redakteurin und übernahm alsbald die Zuständigkeit für die Beilage.115 „Wie wird man Journalist?“, fragte die Zeit-Journalistin Nina Grunenberg 1967 im einführenden Kapitel ihres Portraits des deutschen Journalistenstandes: „Es gibt bestimmte Erfolgsvoraussetzungen, aber kein Rezept.“116 Auf die FAZFeuilletonredaktion traf dieser Befund zweifellos zu. Sich in eine routinierte Männergesellschaft zu integrieren, war für die ersten Redakteurinnen dennoch kein leichtes Unterfangen. Während ihre Kollegen nach Feierabend oder am Wochenende kleinere Ausflüge unternahmen und feucht-fröhliche Zusammentreffen organisierten, mussten sie häufig den Heimweg antreten, um ihren Pflichten in Haushalt und Familie nachzukommen.117 Eines dieser Rituale nach getaner Arbeit war die „Blaue Stunde“, über die Rahms berichtet: „Pünktlich um 16.00 Uhr, nach dem Umbruch saßen die Feuilletonisten rund um eine extra große volle Kognakflasche, die bald leer und durch eine neue ersetzt war, während die Kalauer grober, die Stimmen lauter wurden, Männerstimmen, die zusammenwuchsen zu einem einzigen, auf- und abschwellenden Gesumm und Gebrumm“118. Das Klima sei an diesen Abenden von Schnaps- und Zigarettendunst, heftigen Diskussionen 113 Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg; Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 301. Das machte aus Korn freilich keinen Feministen. Als er Ernst Niekisch um 1947 erklärte, warum er Berlin verlassen hatte, führte er unter anderem an: „Sie wissen, daß ich unverheiratet bin. Drum hängt das ganze, Zeit und Nerven raubende Sorgen um Einkäufe, Wohnung, Wäsche, Kleidung, Marken u.s.w. an mir. Es war unerträglich geworden. Ich wurde fahrig und fand einfach nicht mehr die Ruhe und Konzentration zu geistiger Arbeit. […] Hier kann ich diese ebenso lästigen wie notwendigen Dinge meiner Schwester überlassen.“ Brief von Karl Korn an Ernst Niekisch, undatiert, in: BArch Koblenz, N 1280/21c. 114 Vgl. K.K. (= Karl Korn): In memoriam E.M.D., in: FAZ vom 22.9.1969, S. 24. 115 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 287, 307. 116 Grunenberg, Nina: Die Journalisten. Bilder aus der deutschen Presse. Hamburg 1967, S. 16. 117 Vgl. Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 218. 118 Rahms: Die Clique (1999), S. 102.

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und Herrenwitzen bestimmt gewesen. Anders als in der von männerbündischen Vergemeinschaftungsformen geprägten FAZ-Wirtschaftsredaktion wurden allerdings auch Frauen akzeptiert,119 sodass selbst Heddy Neumeister aus der Politikredaktion dazukam, vor Rahms die „älteste und bisher einzige Frau in der Redaktion, ein Faktotum“120. In den Zeitungsredaktionen waren Journalistinnen Ausnahmeerscheinun­ gen. Das mochte für die als selbstbewusst geltenden FAZ-Korrespondentinnen fernab des „nicht immer frauenfreundlichen Betrieb[s]“121 keine zentrale Rolle gespielt haben.122 Unter den Redakteurinnen in der Hauptredaktion löste ihre minoritäre Stellung neben den akademisch gebildeteren, berufserfahreneren Journalisten indes Befangenheit aus. „Stattliche Gestalten. Groß, breitschultrig, mit gewölbter Brust. Mächtige Häupter. Energische Querfalten auf der Stirn.  Geflickte Cordhosen, Lederflekken [sic!] auf den Ellbogen. Schlechte Zähne, lückenhaft. Bei einem ragten sie vor wie Eberzähne. Mein Gott“123, so beschrieb Rahms rückblickend ihr erstes Bild von den Herausgebern. Vor allem Welter hinterließ bei der unsicheren Redakteurin Eindruck.124 Der primus inter pares mit dem „dunklen Hornbrillenblick“125 blieb ihr nach dem ersten Besuch in Frankfurt in bildlicher Erinnerung. Eine vergleichbare Innen- und Außenansicht bieten die Erinnerungen Vilma Sturms. „Besonders der gewaltige Paul Sethe, der mittags im Korridor auf und ab wanderte, in Gedanken seinen Leitartikel entwerfend, flößte mir Furcht ein“126, schrieb sie zwanzig Jahre nach ihrer Zeit in der Börsenstraße über ihre damaligen Eindrücke. Neben Sethes „grimmige[r] Übermacht“127 empfand sie auch Korn als bedrohlich: Schwer war es zudem mit Karl Korn und seiner vulkanischen Beschaffenheit – nie wußte man, was er im nächsten Augenblick ausspucken würde, Wohlwollen oder Zorn. So sehr ich seine Feder schätzte, sein Urteil, seine Präsenz bei allen Erscheinungen des kulturellen Lebens – ich war froh, wenn sein Platz im Büro leer blieb, seine einschüchternde Stimme nicht laut wurde.128 119 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S.  103. Zu den männerbündisch geprägten Umgangsformen in der Wirtschaftsredaktion vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 68, 81. 120 Rahms: Die Clique (1999), S. 102. 121 Frisé, Maria: Zehn von 152. Als Frau in einer Männerdomäne: Erinnerungen an sechzig Jahre Arbeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in: FAZ vom 2.11.2019, S. B19. 122 Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. 123 Rahms: Die Clique (1999), S. 98. 124 Vgl. ebd., S. 150. 125 Ebd., S. 99. 126 Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 217. 127 Ebd., S. 218. 128 Ebd.

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Zweifel an der persönlichen Eignung und fachlichen Qualifikation, die Abwesenheit von Identifikationsfiguren und ein selbstbewusster männlicher Habitus führten bei den Redakteurinnen zu Verunsicherung und Inferioritätsgefühlen. Vor allem Sturm fiel es in diesem Umfeld schwer, eine weibliche journalistische Identität auszubilden.129 Mehrfach berichtet sie in ihrer Autobiographie von der Befürchtung, dem Beruf nicht gewachsen zu sein: „[I]ch konnte nicht einmal die Schriftgrade auseinanderhalten! Zudem: wie wenig wußte ich über die Zeitströmungen – Blumen, Steine und Kinder waren mir ja wichtiger gewesen.“130 1960 vertraute sie sich, noch als Kölner Korrespondentin von Selbstzweifeln geplagt, dem ihr väterlich verbundenen Sieburg an.131 Die Sorge der selbstkritischen Journalistin, dass man sie in Frankfurt kaum wahrnehme, versuchte Sieburg mit dem Verweis auf die Ressortmentalität zu beschwichtigen: Machen Sie sich nicht die geringsten Sorgen, diese Redaktion ist gescheit genug, zu wissen, was sie an Ihnen hat. […] Wo Sie Gleichgültigkeit zu sehen glauben, da haben Sie lediglich mit Menschen zu tun, bei denen es zur Herzlichkeit nicht reicht. Aber den Wert Ihrer Mitarbeit kennen sie genau. […] Mir scheint, Sie haben sich mit ihrer persönlichen Unauffälligkeit und Lautlosigkeit in der doch notorisch besten deutschen Zeitung einen ganz schönen Platz errungen. Nur bei uns haben Sie jungen Journalistinnen zum Vorbild werden können.132

Auch die ständige Musikkritikerin Hildegard Weber pflegte einen passivzurückhaltenden Umgang mit den Kollegen. Als Sieburg ihr Mitte der 1960er Jahre höflich vorwarf, dass sie seinem Literaturblatt keine Aufmerksamkeit widme, erwiderte sie entschuldigend: „Was meine scheinbare Interessenlosigkeit […] betrifft, so habe ich, da bisher keine Aufforderung von Ihnen vorlag, gewisse Hemmungen gehabt, mich hierfür zu ‚offerieren‘. In diesem Punkt werde ich wohl nie eine richtige Journalistin werden.“133 Gegen diese Unsicherheiten kämpften einige Journalistinnen an. Nach Terns Affront hatte sich Frisé vorgenommen, die Zweifel der Kollegen endgültig auszuräumen. Schauplatz für dieses Unternehmen wurden die 129 Vgl. Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S.  177– 178, 183. 130 Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 216–217. 131 Vgl. den Brief von Friedrich Sieburg an Vilma Sturm vom 19.9.1960, in: DLA Marbach, A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.01109. 132 Brief von Friedrich Sieburg an Vilma Sturm vom 17.10.1960, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/ Kopien, x 71.130. 133 Brief von Hildegard Weber an Friedrich Sieburg vom 9.1.1964, in: ebd., A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ, HS.NZ79.0001.01149.

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Redaktionskonferenzen; für sie ein Ereignis, an dem Geschlechterordnungen performativ inszeniert wurden.134 Die teilnehmenden Frauen seien nicht nur zahlenmäßig unterrepräsentiert gewesen, sondern hätten im Vergleich zu den weit selbstbestimmter auftretenden Herren auch weniger verbale Präsenz gezeigt.135 Um Themen auf die Agenda der Konferenzen zu heben, bat Frisé ausgewählte Kollegen um Unterstützung, setzte sich direkt vor den Herausgeber-Tisch und versuchte, sich mindestens einmal zu melden.136 Dass ihr das gelang, belegen die Protokolle: Frisé zeigte durch stetige Anwesenheit und viele Diskussionsbeiträge, auch zu politischen Fragen, Präsenz.137 Sie selbst empfand indes Ernüchterung. Ihre symbolischen Akte seien oft übergangen, ihre Kritik als unpassend abgetan worden.138 Journalistinnen, das bestätigt auch Eduard Beaucamp, hatten es als Intellektuelle schwer.139 7.4

Eine Seite für „Die Frau“

Wie drückten sich diese Verhältnisse in der gedruckten Zeitung aus? Gab es eine spezielle Arbeitsteilung, die „als Modus und Medium der Geschlechterkonstruktion“140 funktionierte? Traditionelle Rollenvorstellungen kamen im Feuilleton in zwei Sachgebieten zum Ausdruck. Das galt zum einen für das Ressort „Natur und Wissenschaft“, das durchgehend mit Journalisten besetzt war, darunter in verantwortlicher Position Kurt Rudzinski und die Redakteure Carlo W. Nässig, Rainer Flöhl und Hans Zettler. 1974 stieß mit Beatrice FladSchnorrenberg die erste Redakteurin und studierte Naturwissenschaftlerin 134 Vgl. Kemper, Claudia / Heinsohn, Kirsten: Geschlechtergeschichte, in: Bösch, Frank / Danyel, Jürgen (Hg.): Zeitgeschichte – Konzepte und Methoden. Göttingen 2012, S. 329– 351, hier S. 335. 135 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 300. Zur Kommunikationskultur in Medienbetrieben vgl. Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S. 177. 136 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 300. 137 Vgl. u. a. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 7.10.1969, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenz 1968–1969; Protokoll der Redaktionskonferenz vom 20.4.1970, in: ebd., Redaktionskonferenzen  1.1.1970–31.12.1971; Protokoll der Dienstagskonferenz vom 31.8.1971, in: ebd.; Protokoll der Tageskonferenz vom 21.12.1972, in: ebd., Redaktionskonferenzen 4.1.1972–19.12.1974. Zum Engagement Frisés vgl. auch den Brief von Jürgen Eick an Erich Welter vom 1.10.1970, in: ebd., Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970. 138 Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. 139 Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. 140 Wetterer, Angelika: Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion. „Gender at Work“ in theoretischer und historischer Perspektive (=  Theorie und Methode, Bd.  19). Köln 22017, S. 9.

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dazu. Das betraf zum anderen die FAZ-Frauenseite, die nach der tradierten Meinung, die Leserinnen ließen sich am besten durch ihr eigenes Geschlecht ansprechen,141 fast ausnahmslos von Journalistinnen gestaltet wurde. Ihre Betreuung lag in den Händen von Helene Rahms. In auffälligem Kontrast zum Rest der Zeitung waren es neben ihr Redakteurinnen, Korrespondentinnen und freie Mitarbeiterinnen, die für die Frauenseite schrieben. Über  80 Prozent der gesichteten Beiträge stammen von Autorinnen.142 Unter ihnen waren sowohl haupt- und nebenberufliche Journalistinnen als auch Frauen, die in ihrer Freizeit schrieben; eine Melange, die in anderen Ressorts undenkbar war. Die Personalpolitik der verantwortlichen Redakteurin war eher unkonventionell: Rahms rekrutierte ihre Autorinnen auch ad hoc auf der Presseschau eines Schuhinstituts.143 Aus der engeren Feuilletonredaktion brachte sich in erster Linie Frisé ein, die sich zur Fachfrau für Familiäres, Soziales und Psychologisches entwickelte.144 Schon vor ihrer Einstellung hatte sie Rahms, die das Themenfeld Familie, Bildung und Soziales zusammen mit den Politikund Lokalredakteurinnen Heddy Neumeister, Brigitte Beer, Marianne Morawe, Anita Zimmermann und Ellen Ludin bestritt,145 vertreten. Der soziale Fokus war ein ressortübergreifender Berührungspunkt der weiblichen Arbeit. Auf diesem Gebiet galten die Journalistinnen als unersetzbar.146 Beiträge aus männlicher Feder waren dagegen rar und stammten meist von Gastautoren. Ob das Ressort zu wenig Prestige genoss oder ob die Journalisten schlicht keinen lebensweltlichen Bezug zu den behandelten Themen hatten, ist unklar. Ihr Desinteresse an der Frauenseite, das sich auch in ihrer sporadischen Erwähnung in den Quellen widerspiegelt,147 sorgte unter den Journalistinnen jedenfalls für Missmut. 1972 schrieb die Journalistin Christa Rotzoll in einer Glosse auf der Frauenseite über das „Fachgebiet“ Geschlecht: 141 Vgl. Klaus: Aufstieg zwischen Nähkränzchen und Männerkloster (2002), S. 174. 142 Zur Datengrundlage vgl. die weiteren Ausführungen auf den folgenden Seiten. Weil viele Beiträge unter Pseudonym veröffentlicht oder mit unbekannten Kürzeln versehen wurden, könnte der Männeranteil auch etwas höher ausgefallen sein. 143 Vgl. Horstmann, Irmgard / Horstmann-Neun, Regina: Flüchtig wie ein Tag. Neunzig Jahre Leben. Leipzig 2012, S. 327. 144 Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 293–295. 145 Vgl. FAZ: Sie redigieren (1960), S. 64–65; dies.: Sie redigieren (1964), S. 80–81. 146 Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 31.8.1966, in: FAZ-Archiv, H  1966– 12/1968; Brief von Erich Welter an Heinz Stadlmann vom 30.7.1969, in: ebd., Korrespondenz Stadlmann, Stadlmann-Berichte aus U.S.A. 1969/70; Protokoll der Dienstagskonferenz vom 14.9.1971, in: ebd., Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971. 147 Den Konferenzprotokollen zufolge war die Frauenseite in der FAZ nur selten Gesprächsthema. Vgl. etwa das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 9.2.1966, in: ebd., H 1966–12/1968.

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Nein, eigentlich ist das Geschlecht kein Fachgebiet. […] Aber ein weiblicher Mensch, der für Zeitungen schreibt, muß tüchtig aufpassen, um nicht immer nur und nicht immer wieder als Fachkraft hinzugebeten zu werden, als Fachkraft für Frauenprobleme. Wer sich nicht forsch widersetzt, […] der kriegt mit den Jahren eine recht fatale Handbibliothek zusammen: Welt der Frau, Back- und Verführungskünste, Weiberkram. Eben, beim Umräumen dieser Lehrbücher, fiel uns ins Auge, wie sich das Angebot langsam und dann immer schneller geändert hat, ein eher tröstlicher Eindruck […]. Ein Fachgebiet, vollständig neu möbliert, kaum wiederzuerkennen, aber leider immer noch: ein Fachgebiet.148

Eine Fotografie von Barbara Klemm, die zwei Jahre später in der Wochenendbeilage erschien, brachte das Dilemma – unwissentlich – auf den Punkt. Zu sehen ist eine weibliche Marmorstatue, die ihren Körper hüftabwärts entblößt. Zu ihrer Linken im Hintergrund werden drei Männer Zeugen dieses erotischen Aktes. Offenbar tiefenentspannt sitzen sie auf ihren Stühlen, die Beine übereinandergeschlagen, die Köpfe zur Seite geneigt, – und schlafen.149 Auf anderen Feldern gestalteten sich die Geschlechterverhältnisse ausgewogener. Von den Naturwissenschaften und der Frauenseite einmal abgesehen, gab es im Feuilleton kein Ressort, das Frauen oder Männern vorbehalten war. Die These, wonach die meisten Frauen nach 1945 in Randbereichen tätig waren, Nischensparten mit geringem Status besetzten und überhaupt erst über solche den Einstieg in die Medienbranche fanden,150 muss im Hinblick auf die FAZFeuilletonredaktion also differenziert werden. Zwar wurden „weiche“ Themen auch in Frankfurt fast ausschließlich von Journalistinnen bedient. Anders als zum Beispiel in der Stuttgarter Zeitung oder den Stuttgarter Nachrichten,151 waren hier aber nicht alle Feuilletonistinnen für „weiche“ Themen verantwortlich. Auch in den Ressorts Kunst, Architektur, Film, in der Samstags- und Reisebeilage und auf wichtigen Posten im In- und Ausland waren sie vertreten. Das Konzept Frauenseite war nicht neu. Bereits um 1900 waren in einigen Tageszeitungen Seiten für die Leserin eingeführt worden, um auch Frauen zum Zeitungskauf zu animieren.152 Die weibliche Lebenswelt, die sich auf 148 C.R. (= Christa Rotzoll): Ein Fachgebiet, in: FAZ vom 22.1.1972, BuZ, S. 6. 149 Vgl. die Fotografie von Barbara Klemm, in: FAZ vom 15.6.1974, BuZ, S. 6. 150 Vgl. Hodenberg: Konsens und Krise (2006), S. 237–238. Demnach gelangten acht von 18 Journalistinnen über geschlechtertypische Stationen, das heißt über Frauenseiten, Frauenzeitschriften oder den Frauen- und Jugendfunk, in den Mediensektor. Im FAZFeuilleton galt das nur für Rahms und Frisé. 151 Vgl. Godbersen, Alexa: Felicitas Kapteina: „Ich hätte kein moralisches Risiko auf mich genommen, das hätte ich nie getan.“, in: Klaus, Lissi u. a. (Hg.): Medienfrauen der ersten Stunde. „Wir waren ja die Trümmerfrauen in diesem Beruf“. Zürich  / Dortmund 1993, S. 56–80, hier S. 67. 152 Vgl. Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S. 250.

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diesen Seiten meistens auf Familie, Mode, Gesundheit, Rezepte und Kosmetik beschränkte, hatte in der Presse bis dato kaum ein Echo gefunden. Durch den Boom des Presse- und Illustriertenmarktes, die steigende Bedeutung von Anzeigenwerbung und die Brisanz der „Frauenfrage“ hatte das Format in den 1920er Jahren Konjunktur. Zahlreiche Printmedien erweiterten ihr Themenspektrum nun regelmäßig um Seiten und Rubriken für die Frau.153 Zugleich öffneten sich die Redaktionen erstmals für schreibende Frauen. Die Frauenberichterstattung entwickelte sich zu einem – wenn auch überschaubaren – Einfallstor in den journalistischen Beruf.154 Auch in der FZ erhoffte man sich durch eine Erweiterung des Leserkreises auf die Ehefrauen und Töchter der bürgerlichen Leserschaft einen wirtschaftlichen Aufschwung.155 Die Beilage „Für die Frau. Blätter der Frankfurter Zeitung für Mode und Gesellschaft“ erschien erstmals im März 1926 mit der Sonntagsausgabe der FZ. Sie war ursprünglich als monatliche Zugabe im Kleinformat konzipiert worden, wurde aber schon bald zweiwöchentlich zum integralen Bestandteil der Zeitung. „Für die Frau“ umfasste zwei bis acht Seiten und wurde wie die spätere FAZ-Wochenendbeilage „Bilder und Zeiten“ im Kupfertiefdruckverfahren auf satiniertem Papier hergestellt. Durch ihre Haptik und die großen Illustrationen hob sich ihr Erscheinungsbild deutlich vom Rest der Zeitung ab. Inhaltlich war die Beilage eine Melange aus erweitertem Feuilleton mit literarisch-künstlerischem Schwerpunkt und moderner Frauenzeitschrift, aus belehrend-aufklärerischen Beiträgen und Texten mit Unterhaltungswert. Literatur- und kunstgeschichtliche Essays, historische Briefwechsel, Rezensionen und Portraits populärer Frauen mischten sich mit Magazinelementen wie langen Modereportagen.156 Der hohe Stellenwert von Literatur und Kunst 153 Vgl. Klaus / Wischermann: Journalistinnen (2013), S. 182–183. 154 Vgl. Requate: Journalismus als Beruf (1995), S. 150, 156. 155 Vgl. Bussiek: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“ (2009), S. 346; Lethmair, Thea: Die Frauenbeilage der „Frankfurter Zeitung“. Ihre Struktur  – ihre geistigen Grundlagen (=  Unveröffentlichte Inaugural-Dissertation). München 1956, S. 22. Die zeitungswissenschaftliche Dissertation enthält wichtige Informationen über die Struktur, die thematische Bandbreite und das Erscheinungsbild der FZ-Frauenbeilage. Gleichwohl gelingt es Lethmair nicht, kritische Distanz zu wahren. Höchst subjektiv gefärbte Quellen werden relativ unkritisch in die Argumentation übernommen, um die Beilage als das Nonplusultra journalistischer Schöpfung vor dem Vergessen zu bewahren. 156 Vgl. Bussiek: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“ (2009), S. 345–346; Lethmair: Die Frauenbeilage der „Frankfurter Zeitung“ (1956), S. 87. Auch die Frauenseite der Kölnischen Zeitung (ebenfalls „Die Frau“) besaß in weiten Teilen den Charakter eines feuilletonistischliterarischen Blattes. Unter der Regie einer Redakteurin schrieben hier vor allem Journalistinnen, Zielgruppe waren die Frauen gehobener sozialer Milieus. Vgl. Oelze: Das Feuilleton der Kölnischen Zeitung (1990), S. 249–251.

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in diesem „Feuilleton für die Frau“ und seine historische Ausrichtung waren ungewöhnlich, die weitgehende Absenz politischer Stoffe hingegen zeittypisch.157 Über die Rolle und Stellung der Frau, ein seit dem Aufkommen der Frauenbewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch öffentlich diskutiertes Thema, wurde nur punktuell  verhandelt. Die FZ nahm in dieser Frage eine klare Haltung ein. Während sie das Postulat der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung nach einer Förderung der Bildungs- und Berufsausbildungschancen unterstützte, lehnte sie die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen (außer in Form einer kurzfristigen Notlösung) ab. Das in der FZ vor allem von männlicher Hand gezeichnete Ideal blieb das der gebildeten, aber unpolitischen bürgerlichen Ehefrau, Mutter und Haushaltsvorsteherin.158 Nach dem Kriegsende und der Neuordnung des Pressewesens blieben die Frauenseiten ein fester Bestandteil der Tageszeitungen. Sie hatten sich als Nischenressorts durchgesetzt und analog zum Frauen- und Familienfunk zur Ausdifferenzierung der Medieninhalte beigetragen.159 Themen wie Partnerschaft, Familie und Erziehung fanden erst mit ihnen einen Weg in die Zeitungen. Noch 1989 hatten zwei Drittel der Zeitungen eine Frauenseite oder -beilage,160 die alle unter ähnlichen Titeln erschienen.161 Das galt auch 157 Vgl. Gillessen: Auf verlorenem Posten (1986), S. 360–361; Lethmair: Die Frauenbeilage der „Frankfurter Zeitung“ (1956), S. 116–117. 158 Vgl. Bussiek: „Das Ethos reiner Fraulichkeit“ (2009), S.  344, 348. Zum Verhältnis zur weiblichen Erwerbsarbeit vgl. auch Todorow: Frauen im Journalismus (1991), S.  100. Zu den regelmäßigen Autorinnen und Autoren vgl. Lethmair: Die Frauenbeilage der „Frankfurter Zeitung“ (1956), S. 80. 159 Die meisten Hörfunkanstalten besaßen einen Frauen- oder Familienfunk. Vgl. dazu Braun, Annegret: Frauenalltag und Emanzipation. Der Frauenfunk des Bayerischen Rundfunks in kulturwissenschaftlicher Perspektive (1945–1968) (=  Münchner Beiträge zur Volkskunde, Bd. 34). Münster u. a. 2005; dies.: Exemplarische Studie: Eine Fundgrube für Alltagsgeschichte. Der Frauenfunk des Bayerischen Rundfunks, in: Behmer, Markus / Bernard, Birgit / Hasselbring, Bettina (Hg.): Das Gedächtnis des Rundfunks. Die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender und ihre Bedeutung für die Forschung. Wiesbaden 2014, S. 285–291; Walb, Lore: Lehrstück: Frauenrolle. Aspekte einer Frauenfunkgeschichte zwischen 1945 und 1979, in: Schmerl, Christiane (Hg.): In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien. Köln / Wien 21989, S. 215–248. Zum Weimarer Frauenfunk vgl. Dinghaus, Angela: Frauenfunk und Jungmädchenstunde. Ein Beitrag zur Programmgeschichte des Weimarer Rundfunks. Hannover 2002. 160 Vgl. Röttel: Frauenseiten in Tageszeitungen (1989), S. 122. Etwa zehn Jahre später waren es laut FAZ nur noch 14 Prozent, vgl. jew.: Zeitungen nehmen Abschied von der Frauenseite, in: FAZ vom 16.11.1998, S. 34. 161 Vgl. Deutscher Journalisten-Verband: Wer schreibt worüber? (1960), S.  509–512. Das Handbuch gab an, dass 208 Tageszeitungen eine Frauenbeilage führten, darunter auch regionale wie der Weser-Kurier („Die Stimme der Frau“), die Saarbrücker Zeitung („Die Frau und ihre Welt“), die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine („Die Frau von heute“)

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für große Blätter wie die SZ, die neben ihrer Frauenseite ein Modeblatt veröffentlichte.162 Die FR verfügte mit „Frau und Gesellschaft“ und „Freizeit und Familie“ gleich über zwei Produkte dieses Segments.163 Die Frauenseite der FAZ erschien am 5. November 1949. Die Zeitung enthielt an diesem Tag eine mehrseitige Beilage mit der Überschrift „Die Frau“164. Diese Beilage hatte einen Umfang von zwei bis vier Seiten und erschien zunächst unregelmäßig, bis Korn die Einrichtung einer festen Seite vorschlug, auf der neben Filmbildern und -nachrichten „praktische Modetips, Frankfurter Frauendinge u.Ä.“165 erscheinen sollten. Mit „Bilder und Zeiten“ wurde die Idee Anfang des Jahres 1952 umgesetzt. „Die Frau“ erschien nun jeden Samstag auf der letzten Seite der neuen Beilage und zeichnete sich, deren Stil entsprechend, durch ein fünfspaltiges Layout und große Fotografien und Zeichnungen neben drei bis vier Textbeiträgen aus. Zu Beginn der 1950er Jahre zierte die Seite am unteren Ende Anzeigenwerbung. Die beworbene Produktpalette, ein zentraler Zielgruppenindikator, zielte auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Bedürfnisse der wohlhabenden bürgerlichen Frau. Sie reichte von den Angeboten lokaler Einrichtungs- und Bekleidungsgeschäfte über die Offerten von Spirituosenherstellern (Champagner und Sekt) bis hin zur Warenwelt von Kosmetika, Seidenwäsche und Nähgarn.166 „Die Frau, die sich hier angesprochen fühlte“, schrieb die Historikerin Dagmar Bussiek schon über die Frauenseite der FZ, „lebte  meilenweit entfernt von den müden Fabrikproletarierinnen und den sorgenden Müttern mit ihren rauen, verarbeiteten Händen“167. In den 1960er Jahren erhielt das kleinteilige Layout der Frauenseite eine klarere Struktur, die Zahl der Beiträge wurde reduziert, ihr Umfang erweitert.

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und die Braunschweiger Zeitung („Für die Frau“). Vgl. Kuhnhenne, Michaela: Frauenleitbilder und Bildung in der westdeutschen Nachkriegszeit. Analyse am Beispiel der Region Bremen (=  Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung, Bd.  9). Wiesbaden 2005, S.  169–178 und ohne wissenschaftlichen Apparat Molter-Klein, Annette: Die Frau und ihre Welt. Das Bild der saarländischen Frau im Spiegel der Saarbrücker Zeitung (= Beiträge zur Regionalgeschichte, Bd. 20). St. Ingbert 1996 und Röttel: Frauenseiten in Tageszeitungen (1989), S. 119–141. Zur SZ-Modeseite vgl. Matthiesen, Sigrun: Weiberkram. Wie der Kulturjournalismus mit der Mode umgeht (=  Journalistik. Forschungsimpulse für die Praxis). Wiesbaden 2000. Vgl. Stegert: Feuilleton für alle (1998), S. 97. Zwischen Weihnachten 1949 und 1958 erschien die Seite unter dem Titel „Für die Frau“, anschließend wieder unter ihrer ursprünglichen Bezeichnung. Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 13.3.1950, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberangelegenheiten 1949/50. Vgl. die FAZ vom 4.3.1950, Für die Frau, S. 3; FAZ vom 18.11.1950, Für die Frau; FAZ vom 28.4.1951, Für die Frau. Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 193.

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Nachdem sich Sturm aus der FAZ zurückgezogen hatte und der vorübergehend in Beschlag genommene Robert Held beurlaubt worden war, war es Helene Rahms, die sich der Frauenseite 1953 annahm. Obwohl sie das nur ungern tat – sie hatte zuvor das Pendant der Welt betreut und das Blatt nach Streitigkeiten um die inhaltliche Ausrichtung verlassen („‚Frauenseiten können nicht primitiv genug sein‘“168, so der Erinnerung nach der Chefredakteur) –, hatte sie der Bedingung, bei ihrer Einstellung die FAZ-Frauenseite zu übernehmen, nachgegeben.169 Das Modell fand Rahms indessen überholt: „Schon der Name! Lächerlich, diskriminierend“170, schrieb sie später in ihrer Autobiographie. „Frauenfragen“ seien gesamtgesellschaftlich relevant, müssten integriert, nicht eingehegt werden.171 Immerhin gestattete es ihr das Desinteresse „des Herrenclubs“172, unabhängig zu arbeiten und Themen auf die Agenda zu setzen, deren Nachrichtenwert in anderen Teilen der FAZ womöglich infrage gestellt worden wäre. Folgt man Rahms‘ Schilderungen, erschienen auf der Frauenseite immer wieder Beiträge, „über die sich die konservativen Politiker im Hause ärgerten, die Feuilletonisten dagegen amüsierten.“173 Beschwerden, berichtet Frisé, gab es trotz der Einwände jedoch nicht.174 Die Frauenseite genoss überregionales Ansehen und war vor allem unter den Leserinnen, die Mitte der 1950er Jahre immerhin ein Drittel der FAZ-Leserschaft stellten,175 sehr beliebt.176 Mehrfach wurde aus ihren Reihen Kritik daran laut, dass über die Frauenseite hinaus „zu wenig erscheint, was speziell die Frauen anspricht“177. 168 169 170 171 172 173 174 175 176

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Frei zitiert von Rahms: Die Clique (1999), S. 85. Vgl. ebd., S. 109. Ebd. Vgl. das Protokoll der Tageskonferenz vom 14.9.1970, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen  1.1.1970–14.9.1970. Dechamps: Frankfurter Allgemeine Zeitung (1980), S. 98. Rahms: Die Clique (1999), S. 172. Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 294. Dies schien auch in anderen Häusern der Fall gewesen zu sein, vgl. Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S. 251; Röttel: Frauenseiten in Tageszeitungen (1989), S. 123. Dieser Anteil erhöhte sich bis Mitte der 1970er Jahre nur leicht auf 39 Prozent. Vgl. FAZ: Der Leser und die Zeitung (1975), S. 19. Vgl. die Vorschau auf Lesermeinungen und -wünsche vom 11.1.1954, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber –  Erich Welter  –, Herausgeberkonferenzen  1.1.1951–24.12.1954; Notizen für den Vortrag von Herrn Dr. Gillessen vom 2.5.1962, in: ebd., Akten der Geschäftsführung, Materialien zur Geschichte der Zeitung bis 1979; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 9.3.1966, in: ebd., Akten der Geschäftsführung –  Werner  G.  Hoffmann  –, Herausgebersitzungen 1964–1966; Hartung, Hans Rudolf: Sind Sie Rheinländer? Erinnerungen 1956 bis 1985. Köln 2001, S. 185; Rahms: Die Clique (1999), S. 120–121. Aktenvermerk über die Herausgebersitzung vom 24.9.1958, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961.

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Um ihr Themenprofil zu bestimmen, beschreitet die Arbeit sozialwissenschaftliche Pfade. Im Rahmen einer Inhaltsanalyse wurden alle Texte gesichtet und dokumentiert, die im Zeitraum von 1949 bis 1975 in der jeweils ersten Maiund Novemberausgabe178 der FAZ-Wochenendbeilage erschienen sind.179 Das so zustande gekommene Sample von 52 Ausgaben „Die Frau“ umfasst 180 Zeitungsartikel, die in 17 verschiedene Kategorien unterteilt und, wo zu einer dichten Beschreibung des Frauenbildes nötig, durch weitere Zeitungsartikel ergänzt wurden.180 Das Ergebnis der Analyse (Abb. 6) zeigt eine Seite, die vor allem eines war: vielseitig. Auffällig ist neben ihrer literarischen Ausrichtung – 16,67 Prozent der ausgewerteten Beiträge waren Erzählungen, Novellen, Kurzgeschichten, Märchen, Anekdoten, Aphorismen und Feuilletons  –181, dass traditionelle „Frauenthemen“ zwar durchaus vertreten, aber nicht dominant waren. Sie finden sich gehäuft in den Rubriken „Kindheit und Erziehung“ (10 Prozent) und „Mode und Textilien“ (9,44 Prozent). Erstere richtete sich an die Mutter als Erziehungsinstanz, Sorgende und Versorgende und umfasst Essays über schulische und soziale Probleme, Erziehungsratschläge und Berichte über die neuesten soziologischen, psychologischen 178 Bei den Monaten Mai und November handelt es sich um Monate ohne feststehende Großereignisse, die Einfluss auf die Themenstreuung nehmen und in der Folge ein verzerrtes Bild liefern könnten. Jeweils zu Beginn des Jahres und im Herbst fanden die großen internationalen Modenschauen statt, die in den darauffolgenden Wochen eine Intensivierung der Modeberichterstattung nach sich zogen. 179 Für den Zeitraum vor der Einführung von „Bilder und Zeiten“ im Januar 1952 wurde die Frauenbeilage in der FAZ-Wochenendausgabe berücksichtigt. Die quantitative Analyse deckt die Zeitspanne von der Erstausgabe „Die Frau“ im November 1949 bis zur ersten Novemberausgabe des Jahres 1975 ab. Zu diesem Zeitpunkt erschien die Seite schon nicht mehr unter ihrem eigentlichen Titel (zuletzt am 17. März 1973). Um die Veränderung nach 1973 zu erfassen, wurden die Ausgaben der Jahre 1973, 1974 und 1975 trotzdem in das Sample aufgenommen. 180 Im Folgenden werden nur die Analysekategorien beschrieben, die mindestens fünf Prozent der Berichterstattung abdecken. Alle anderen werden ausschließlich tabellarisch aufgeführt (Abb. 6). 181 Vgl. Fierz-Herzberg, Tiny: Die Welt durchs Glas betrachtet. Wenn man sich zum Brillenkauf entschließt, in: FAZ vom 3.11.1956, BuZ, S. 6; N. H.: Geburtstagsklingeln, in: FAZ vom 3.5.1969, BuZ, S. 6; L. S.: Provinz steckt an, in: FAZ vom 4.5.1974, BuZ, S. 6. Im Unterschied zum Feuilleton und Literaturblatt stammten die Texte meist von unbekannten Autorinnen und Autoren und zeichneten sich durch Alltagsnähe, Subjektivität und Einfachheit aus. Der für die Zeitschriftenleserinnen festgestellte Bedarf an leichter Unterhaltung schlug sich auch auf der Frauenseite nieder. Vgl. Schnellhas, Diana: Weibliche Lebensentwürfe. Frauenzeitschriften der 1950er und 1960er Jahre, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 58 (2010), S. 52–57, hier S. 53.

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und pädagogischen Studien. Ihre beratend-pädagogische Funktion kam auch in einer direkten, persönlichen Ansprache zum Ausdruck.182 In der zweiten Rubrik kreist alles um das Thema Mode. Berichte über die Muster, Formen und Stoffe der Saison sind hier ebenso zu finden wie Portraits großer Modedesignerinnen und -designer oder Essays über die Einflüsse aus den Modemetropolen Europas.183 Modephänomene standen in der Regel nicht einfach für sich, sondern wurden in kulturgeschichtliche Zusammenhänge eingeordnet, Mode zugleich als Ware und Kulturgut betrachtet.184 Illustriert wurden sie zum Beginn der Saison durch Fotografien und die detailgetreuen Zeichnungen der Modegraphikerin Regina May.185 Während in den 1950er Jahren bevorzugt Frauen mittleren Alters elegant inszeniert wurden (New Look), ging im nächsten Jahrzehnt mit einem stärker an der jugendlichen Konsumentin orientierten Ideal eine Verjüngung der Modelle und Kollektionen einher.186 Zugleich nahm die Modefotografie und -berichterstattung in dieser Dekade deutlich ab: Nach 1968 erschienen keine Artikel mehr, die der Rubrik „Mode und Textilien“ zugeordnet werden konnten; ein starkes Indiz für eine inhaltliche Neuausrichtung der Frauenseite. Das traditionelle Spektrum von Frauenseiten und Frauenzeitschriften repräsentieren neben Mode- und Erziehungsfragen die Themenrubriken „Wohnen und Design“ (2,22 Prozent), „Körperpflege und Gesundheit“ (2,22 Prozent), „Naturkunde und Botanik“ (1,67 Prozent).187 Dass sie zusammengenommen nur ein gutes Viertel der gesichteten Beiträge abdecken, macht deutlich, dass man in 182 Vgl. Türck, Doris: Schmieren – erlaubt, in: FAZ vom 7.11.1953, BuZ, S. 6; Hennig, Wilfried: Hausarbeiten, Quälspiel für Eltern und Kinder, in: FAZ vom 8.11.1958, BuZ, S. 6; Frisé, Maria: Schkola Nr. 24 in Leningrad. Die musterhaft braven Zöglinge einer sowjetischen Spezialschule, in: FAZ vom 7.11.1964, BuZ, S.  6; Hille, Christel: Das Heimkind Albert. Weinerlich und auf Ordnung gedrillt. Erfahrungen einer Pflegemutter mit einem Dreijährigen, in: FAZ vom 5.5.1972, BuZ, S. 6. 183 Vgl. Holland, Dorrit: Beziehungen und Gegensätze, in: FAZ vom 4.11.1950, Für die Frau; Ulrich, Key: Viele Stoffe, viele Namen und verwirrte Kundinnen, in: FAZ vom 4.5.1957, BuZ, S. 6; Ziegel, Dorothea: Das amerikanisierte Dirndl, in: FAZ vom 3.5.1958, BuZ, S. 6; Varenius, Suzanne: Pelzmoden und Modepelze, in: FAZ vom 4.11.1967, BuZ, S. 6. 184 Vgl. Matthiesen: Weiberkram (2000), S. 116. 185 Vgl. Riederer, Marietta: Wie Mode Mode wird (= Heyne Sachbuch, Bd. 23). München 1962, S. 159. 186 Vgl. Rasche, Adelheid (Hg.): Sixties Fashion. Modefotografie und -illustration. Köln 2010, S. 16. 187 Vgl. Sieg, Hilde: Der Walnußbaum, in: FAZ vom 5.11.1949, Die Frau; Odette: Denk’ an deine Haare, Eva …, in: FAZ vom 4.11.1950, Für die Frau; Dr. med. Cn. (= Wolfgang Cyran): Die Frau und das Wetter, in: FAZ vom 3.11.1951, Für die Frau; Kahlberg, Lieselotte: „Goldene

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Frankfurt anders aufgestellt sein wollte.188 Schon die FZ hatte mit ihrer Frauenseite „elitärere Ziele […] als die bereits auf dem Markt befindlichen Frauenmagazine“189 verfolgt. So hielt das Protokoll der Herausgeberkonferenz vom 10. Juni 1959 fest, dass die Frauenseite unter keinen Umständen „ins ZeitschriftenFahrwasser geraten“190 sollte. Wer also auf der Suche nach Kochrezepten, Klatsch und Tratsch, Diät- und Haushaltstipps oder spiritueller Erneuerung war, wurde enttäuscht. Während auf den Frauenseiten in der Lokalpresse die „drei redaktionellen ‚K‘s‘“191 – Kleider, Küche, Kinder – dominierten, traf man in der FAZ auch auf ein Reiseblatt en miniature, erfasst unter „Internationales“ (5,56 Prozent),192 oder auf ein Portrait (7,78 Prozent). Portraits erschienen zu runden Geburts- und Todestagen bekannter Persönlichkeiten, galten aber auch Frauen, die ungewöhnlichen Berufen nachgingen, andere Lebensmodelle verfolgten oder außerordentliche, mitunter aber unerkannte Leistungen erbrachten.193 Das Themenprofil der Frauenseite unterschied sich also von anderen Print- und Presseprodukten für die Leserin, die sich wie in den NN hauptsächlich mit Fragen der Wohnungsgestaltung und Botanik, Mode und Kosmetik, Küche, Ehe und Erziehung beschäftigten und sich in erster Linie an die moderne Hausfrau als Konsumentin richteten.194

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Äpfel“, in: FAZ vom 7.11.1953, BuZ, S. 6; Menck, Clara: Kleiner Sermon über die Fußbank, in: FAZ vom 2.11.1957, BuZ, S. 6. Vgl. Cornelissen, Waltraud: Traditionelle Rollenmuster – Frauen- und Männerbilder in den westdeutschen Medien, in: Helwig, Gisela / Nickel, Hildegard Maria (Hg.): Frauen in Deutschland 1945–1992 (=  Studien zur Geschichte und Politik, Bd.  318). Bonn 1993, S. 53–69, hier S. 60. Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 192. Protokoll der Herausgebersitzung vom 10.6.1959, in: FAZ-Archiv, Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958–18.12.1961. Molter-Klein: Die Frau und ihre Welt (1996), S. 17. Vgl. Britzen, Angela von: Makart in Virginia. Wie Familien mit ‚Background‘ leben, in: FAZ vom 6.11.1954, BuZ, S.  6; Schaarschmidt, Irmtraud: Puppen in Japan. Weihgeschenke, Talismane und Spielzeug aus Ton, Holz und Papiermaché, in: FAZ vom 7.5.1960, BuZ, S. 6; Rossinelli, Carmen: Im Museum der Mahlzeit. Spanische Geschichte vom Küchenfenster aus gesehen, in: FAZ vom 7.5.1966, BuZ, S. 6. Vgl. Landré, Berta: Beruf: Märchenerzählerin. Zum  60. Geburtstag Lisa Tetzners, in: FAZ vom 6.11.1954, BuZ, S.  6; Schroers, Maria Brigitte: Der Knick in der Karriere. Porträt einer Provinzschauspielerin, in: FAZ vom 2.11.1963, BuZ, S. 6; Ulrich, Key L.: Die Parlamentarierin: Ilse Elsner, in: FAZ vom 7.5.1966, BuZ, S. 6. Vgl. Rühl: Die Zeitungsredaktion (1969), S. 83.

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Abb. 6

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Themenprofil der FAZ-Frauenseite 1949–75

Viele Artikel, etwa aus den Rubriken „Kindheit und Erziehung“ (s. o.) und „Ehe und Familie“ (7,22 Prozent), adressierten die verheiratete Frau.195 Das war vor allem in den 1950er Jahren der Fall, als die patriarchalisch organisierte Kernfamilie, „eine wunderbare, monogame Ehe mit Kindern (nicht zu vielen)“196, von Politikern wie dem CDU-Familienminister Franz-Josef Wuermeling und den Kirchen zum moralischen Anker erhoben wurde. Ehe, Partnerschaft und Familienleben waren folglich beliebte Sujets. Die Ehe galt als Ideal einer – freilich heterosexuellen – Beziehung, sie galt es zu pflegen und zu erhalten.197 Ehebruch war verpönt, hohe Scheidungsraten wie 1949/50 suggerierten eine 195 Vgl. Rougement, Denis de: Über die Scheidung, in: FAZ vom 5.11.1949, Für die Frau, S. 1; Rotzoll, Christa: Wir gehorchen uns. Ein unverbindliches Ehe-Exempel, in: FAZ vom 30.4.1954, BuZ, S. 6; Schönhausen, Valeri: In vierundzwanzig Stunden geschieden. Aber auch die Heiratsbüros in Mexiko bieten Schnellverfahren an, in: FAZ vom 4.5.1968, BuZ, S. 6; E.N. (= Emmy Neddermann): Entthrontes „Oberhaupt“, in: FAZ vom 2.5.1970, BuZ, S. 6. 196 Herzog, Dagmar: Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. München 2005, S. 146. 197 Vgl. Burger, Elisabeth: Die Stunde der Mütter, in: FAZ vom 15.7.1950, Für die Frau; Textor, Jane: Über die Schwelle der Haustür. Die internationale Frauentagung in Bad Reichenhall, in: FAZ vom 7.10.1950, Für die Frau; Morawe, Marianne: Eine Vertrauensstelle für Verlobte und Eheleute. Versöhnungsversuche vor dem Sühnetermin, in: ebd.

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Irritation der gesellschaftlichen Ordnung.198 In diesem Punkt entsprach die FAZ-Frauenseite, die 1951 sogar ein „Ehe-ABC“ führte,199 dem Geist ihrer Zeit. Außereheliche Beziehungen oder Kinderlosigkeit blieben hingegen weitgehend ausgeklammert. Erst in den 1970er Jahren erschienen auf der Frauenseite auch Artikel, die sich mit der Alternative beschäftigten: der Entscheidung gegen die Mutterrolle.200 Ausnahmen gab es freilich auch früher. Als Bayern 1956 eine Verordnung erließ, die Paare, „die durch fortgesetztes häusliches Zusammenleben in außerehelicher Geschlechtsverbindung erhebliches öffentliches Ärgernis erregen“, mit einer Geld- oder einer kurzen Haftstrafe bestrafen sollte, meldete sich auf der Frauenseite Grete Schüddekopf zu Wort. Die freie Mitarbeiterin stufte den Erlass als Produkt mittelalterlicher Rechtsprechung ein und stellte seine Anwendbarkeit sarkastisch in Frage: „Aber wie“, schrieb sie im November, „wenn nun wirklich die ‚Geschlechtsverbindung‘ augenfällig wird? Wirft man da die werdende Mutter vierzehn Tage in den Turm oder den Herrn Papa? Oder nimmt man vielleicht doch lieber nur die 150 Mark? […] Fragen über Fragen … die heilige Hermandad in Bayern wird sie zu klären und zu lösen wissen, und sie kann dabei des heiteren Interesses der ‚ausländischen‘ Öffentlichkeit gewiß sein!“201 Vor dem Hintergrund einer von materiellen und emotionalen Belastungen geprägten Nachkriegszeit versprachen Eheschließung und Familiengründung Ordnung und Struktur.202 Offen blieb indessen, was passierte, wenn diese Ordnung zerrüttet war. Dann hatten vor allem Frauen, die nicht berufstätig waren, ein Problem. Denn nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), das auch den ehelichen Güterstand regelt, hatten sie im Scheidungsfall keinerlei Anspruch auf das während der Ehe erwirtschaftete Vermögen, ganz gleich, ob sie den Haushalt geführt und Kinder erzogen oder im Familienbetrieb gearbeitet hatten. Die in die Ehe eingebrachten Güter waren mit der Eheschließung in die Verwaltung des Ehemannes übergegangen.203 Das und andere Bestimmungen des Ehe- und Familienrechts brachten Frauen, die nicht klassisch erwerbstätig 198 Vgl. C.  H.: Neueste Entwicklung der Ehescheidungen, in: FAZ vom 25.3.1950, Für die Frau, S. 1. 199 Vgl. Ryssel, F.H. (= Fritz Heinrich Ryssel): Aus einem Ehe-ABC, in: FAZ vom 16.10.1951, Für die Frau. 200 Vgl. Rahms, Helene: Die große Weigerung. Von der Unbeliebtheit der „Mutterrolle“ in der jüngeren Generation, in: FAZ vom 22.12.1973, BuZ, S. 6. 201 Schüddekopf, Grete: Öffentliches Ärgernis, in: FAZ vom 3.11.1956, BuZ, S. 6. 202 Vgl. Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 41. 203 Vgl. Rotino, Sophie: Der gesetzliche Güterstand im europäischen Vergleich. Arbeitspapier für die Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Berlin 2017, S.  3–4. Online unter: https://www.gleichstellungsbericht. de/de/article/53.arbeitspapiere.html (16.3.2022).

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waren, in starke psychische und wirtschaftliche Abhängigkeit, schlimmstenfalls in existentielle Nöte. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“204, heißt es in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes, das die Gleichstellung der Geschlechter gesetzlich festlegt. Doch der Gleichberechtigungsgrundsatz war in den 1950er Jahren viel mehr als heute das Postulat von Politikerinnen, Frauenverbänden und -organisationen und kein wirklicher Befund. Die eheund familienrechtlichen Paragraphen des BGB, das in weiten Teilen auf eine Fassung um 1900 zurückging, hatten mit Gleichberechtigung wenig gemein. Im BGB war die Stellung des Mannes als Familienoberhaupt und zentrale Entscheidungsinstanz in allen Angelegenheiten des familiären und ehelichen Lebens gesetzlich verankert. Das hieß konkret: Der Mann konnte über den Wohnsitz der Familie entscheiden, war der Namensträger und gesetzliche Vertreter der Kinder. Er bestimmte, welche Schule seine Kinder besuchten und welchen Ausbildungsweg sie einschlugen. Er wählte, ob seine Frau einen Beruf ausübte und konnte ihr Arbeitsverhältnis, falls er es sich anders überlegte, auch wieder kündigen.205 Mit dem Erlass des Grundgesetzes im Mai 1949 setzte sich der Bundestag folglich zugleich zum Ziel, bis zum Frühjahr des Jahres 1953 alle Paragraphen des BGB, die dem Gleichberechtigungsgrundsatz widersprachen, zu überarbeiten. Diese Reform des Ehe- und Familienrechts, die schließlich bis 1957 verschleppt wurde, wurde in Politik und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Sie erntete auch auf der FAZ-Frauenseite große Aufmerksamkeit, wo man keinen Zweifel daran ließ, dass eine juristische Reform dringend war.206 „Diese Abhängigkeit der Ehefrau“, schrieb die Mitarbeitern Tilde Krawielicki im Februar 1952 in einem langen Artikel, „ist nicht mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung vereinbar.“207 „Und wir wissen nicht einmal“, so die Lokalredakteurin Morawe Ende 1950, „ob es klug ist, ausführlich auch noch schriftlich zu fixieren, welche Macht laut Bürgerlichem Gesetzbuch den Männern bis heute über die Frauen gegeben ist.“208 Gleichberechtigung, war im September  1951 in einem Beitrag von Hilde Hermann zu lesen, sei ein internationales Problem: „Es ist offensichtlich nicht nur von deutschen Frauen erfunden worden, um 204 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel  3, (2). Online unter: https:// www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html (16.3.2022). 205 Vgl. Rühl: Verordnete Unterordnung (1994), S. 203–204. 206 Vgl. Morawe, Marianne: Das Mitbestimmungsrecht der Frau, in: FAZ vom 10.3.1951, Für die Frau. 207 Krawielicki, Tilde: Kommt die Gleichberechtigung? Die Probleme der Familienrechtsreform, in: FAZ vom 23.2.1952, BuZ, S. 4. 208 mm. (= Marianne Morawe): Rechte für den Mann, Pflichten für die Frau? Änderungsvorschläge für ein neues Ehegesetz, in: FAZ vom 11.11.1950, Für die Frau.

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deutsche Männer zu ärgern; es liegt vielmehr […] auf einer Ebene, die alle kleinlichen nationalen Grenzen hinter sich gelassen hat.“209 Die rechtliche Benachteiligung von Frauen und ihre sozialen Folgen wurden oft thematisiert. „Die Frau“ klärte auf und diskutierte Alternativen, so etwa die Einführung der Errungenschaftsgemeinschaft, eines ehelichen Güterstandes, der auch Frauen, die keinem Beruf nachgehen, während der Ehe einen Anspruch auf die Hälfte des hinzugewonnenen Vermögens einräumt.210 Diese und andere „Relikte der Entmündigung“211 sollten durch permanenten öffentlichen Druck weichen. Nach vielen Verhandlungen war es 1957 endlich so weit. Im Mai verabschiedete der Bundestag das sogenannte „Gleichberechtigungsgesetz“ („Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“), das ein Jahr später, zum 1. Juli 1958, in Kraft trat. Das Gesetz war ein historischer Erfolg für die deutsche Frauenpolitik: Es erklärte die Gütertrennung mit Zugewinngemeinschaft zum normalen Güterstand, was zumindest rechtlich eine Aufwertung der häuslichen Arbeit und eine wirtschaftliche Absicherung der Frau im Scheidungsfall bedeutete, sofern sie keine „Schuld“ an der Scheidung trug (Verschuldungsprinzip). Das Alleinentscheidungsrecht des Mannes wurde aufgehoben. Der „Stichentscheid“, der dem Ehemann bei Meinungsverschiedenheiten in erzieherischen Fragen weiter das letzte Wort erteilt hatte, wurde 1959 für verfassungswidrig erklärt.212 Auf der FAZ-Frauenseite, deren Leiterin diesen Durchbruch selbstbewusst der Arbeit ihres Ressorts zuschrieb,213 hatte Rahms die Gegenargumente bereits im Vorfeld spöttisch zu entkräften versucht. Der Mann dürfe im Zweifel entscheiden, weil er eine Schutzfunktion habe? „Wie denn?“, fragte sie in ihrer Glosse vom 25. Juli. „Steht er, keulenbewaffnet, vorm Höhleneingang, indes 209 Herrmann, Hilde: Wie steht es mit der Gleichberechtigung?, in: FAZ vom 29.9.1951, Für die Frau. 210 Vgl. o.  A.: Frau Meier, geb. Allensdorf, in: FAZ vom 29.1.1951, Für die Frau; Mielke, Manfred: Das Recht auf gemeinsam Erworbenes. Güterrecht oder Errungenschaftsgemeinschaft? Urteile und Ansichten zum Eherecht, in: FAZ vom 7.11.1953, BuZ, S. 6. 211 H.R. (= Helene Rahms): Frauenleben von A bis Z  / Eine einzigartige Enzyklopädie (= Rezension zu Gustav Keckeis: „Das Lexikon der Frau“. Zürich 1953/54), in: FAZ vom 25.9.1954, BuZ, S. 6. 212 Vgl. Pitzschke, Angela: Gegen den politischen Trend. Der Beitrag der SPD-Frauen zur Durchsetzung des Gleichberechtigungsgebots des Grundgesetzes in den 1950er Jahren, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 58 (2010), S. 24–31, hier S. 28; Rahden, Till van: Demokratie und väterliche Autorität. Das Karlsruher „Stichentscheid“Urteil von 1959 in der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2005), H. 2, S. 160–179, hier S. 160–163. Online unter: https://zeithistorische-forschungen.de/2-2005/4645 (16.3.2022). 213 Vgl. Rahms: Die Clique (1999), S. 109–110.

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wir mit der Brut am Herdfeuer kauern? […] Reißt er unsere Droschke vor dem Abgrund zurück, schirmt er unser Haus vor  Feuersbrunst und Wassersnot?“ „Er wird uns nicht nur schützen, der Mann“, hieß es gegen Schluss, „sondern am Ende gar verteidigen. Wenn er dann gegen Atomkanonen ins Feld zieht, bleiben wir fein still zu Haus, wiegen unsere Kindlein und singen Eia-Popeia. Auf daß die naturgegebene, gottgewollte Ordnung samt Schutzfunktion und Stichentscheid erhalten bleibe.“214 Doch so wenig, wie das Gleichberechtigungsgesetz der Gesellschaft die Überwindung der klassischen Rollenmodelle bescherte, so wenig war der Einsatz für „die rechtliche Normierung von Macht und Herrschaft im Verhältnis der Geschlechter“215 in der FAZ Teil einer feministischen Kampfansage. Bei allem öffentlichen Engagement für die sozialrechtliche Besserstellung der Frau war man in den 1950er Jahren weiterhin davon überzeugt, dass sich die Geschlechter in ihren Wesensarten derart voneinander unterschieden, dass ihre „Gleichmacherei“ nur Unheil bringen würde.216 Unstrittig war, dass sich die „natürlichen“ Unterschiede –  der Frau wurden etwa Geduld, Einfühlsamkeit, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit, Eifer und Fingerspitzengefühl zugeschrieben  –217 „selbst bei absoluter Gleichberechtigung niemals verwischen lassen“218. Ursula von Kardorff, Feuilletonredakteurin der SZ und gelegentlich Autorin für die FAZ, sah in der Neuordnung der Geschlechterverhältnisse sogar Nachteile. „Denn was haben wir schließlich erreicht:“, schrieb sie im August 1953 in einem Essay für die Frauenseite, „als stahlhelmbewehrter Luftschutzwart auf brennenden Dächern stehen, als weiblicher Leutnant das MG bedienen, als schuldig geschiedene Ehefrau – dem Mann den Unterhalt zahlen.“ Der Preis dafür sei hoch. Selbst ein Mann mit Umgangsformen werde für eine Frau, die „dank zäh-kalten Ehrgeizes“ eine Anstellung an seiner statt erlangt habe, nicht aufstehen. Das könne nicht nur den Frauen nicht gefallen, sondern sei vor allem für den ritterlich veranlagten Mann eine Belastung. Kardorff appellierte daher an die Leserinnen: „Sagt doch hin und wieder: Gott sind Sie klug! Es kostet euch wenig, und seid ihr nicht eigentlich glücklicher, wenn der Mann der Überlegene ist? Kurzum, gebt den Männern wenigstens 214 H.R. (= Helene Rahms): Schutzbedürftig, in: FAZ vom 25.7.1959, BuZ, S. 6. 215 Rahden: Demokratie und väterliche Autorität (2005), S. 163–164. 216 Vgl. Krawielicki, Tilde: Kommt die Gleichberechtigung? Die Probleme der Familienrechtsreform in: FAZ vom 23.2.1952, BuZ, S. 4. 217 Vgl. H. B.: Die Restauratorin, in: FAZ vom 5.11.1949, Für die Frau; Sudheimer, Hellmuth: Frauenberufe in Ostasien, in: ebd.; Beer, Brigitte: Die Krankenschwester, in: FAZ vom 5.5.1951, Für die Frau. 218 mm. (= Marianne Morawe): Rechte für den Mann, Pflichten für die Frau? Änderungsvorschläge für ein neues Ehegesetz, in: FAZ vom 11.11.1950, Für die Frau.

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die Möglichkeit, ihre ritterlichen Instinkte hin und wieder anzubringen, ehe sie ganz verkümmern. […] Laßt sie die Trambahn zahlen, es sind nur 25 Pfennig, ehe ihr gleichberechtigt in die Tasche greift.“ Rückbesinnung auf die Weiblichkeit, das war Kardorffs Rezept für eine gesunde Beziehung zwischen den Geschlechtern. „Drum – habt Grazie, Anmut, Charme. Seid manchmal ein bißchen schüchtern, hilflos, zögernd. Sprecht leise, laßt eure Wimpern flattern, seid nicht zu sachlich, zu forsch, zu laut. Errötet! Lächelt!“219 Veranlagungen und naturrechtliche Bestimmungen dienten in den 1950er Jahren auch als Argumente, um den Platz der Frau in der Familie zu begründen. Eine öffentliche oder gar politische Betätigung galt nicht immer,220 aber doch häufig als überflüssig. Die weibliche Stärke, so Käte Landgrebe 1950, sei die unermüdliche Liebe. Frauen müssten keine Ämter bekleiden, um zu wirken. Sie sollten mitreden können, aber „jede an ihrer Stelle und im Bereich ihres Berufes und ihres Könnens.“ Die politische Schulung in Parteien und Frauenverbänden böte die „Gefahr der Zersplitterung und Mißverständnisse mancher Dinge und Begriffe.“221 Der Vorstellung, dass Frauen sich ganz und gar emanzipieren könnten, begegnete man eher skeptisch. „Wir werden in den kommenden Jahren (geb’s Gott!) keine neue Emanzipation erleben, wir werden uns aber nach dem Gegebenen einrichten müssen“222, lautete der pragmatische, aber kaum emanzipatorisch zu nennende Ansatz, der schon in der ersten Ausgabe der Frauenseite zu finden war. Radikalere Frauenrechtlerinnen wie die britischen Suffragetten galten im Rückblick mitunter als fanatisch und auch der Blick in die USA förderte nicht nur Positives zu Tage.223 Eine radikale Emanzipation wie dort, schrieb Ingeborg Meyer-Sickendiek 1952, sei „für uns keine ideale Lösung. Die Bemühung der Frau, in der krassen Abkehr vom Mann ihre Rechte zu sichern und drastisch zu vertreten, […] hat in der materialistischen Ausdeutung der westlichen Welt sogar etwas Abstoßendes, zutiefst Beängstigendes.“ Die Geschichte zeige, dass es keine Emanzipation brauche, um Einfluss zu nehmen: „Im Gegensatz zur modernen Emanzipation, die sich ihre Rechte erzwingt und aus der natürlichen Zweipoligkeit der Geschlechter ausscheidet, indem sie den Mann übergeht, haben die großen Frauen mit dem Mann gehandelt, sich in ihm erfüllt und an ihm gesteigert.“ Es sei daher an der Frau, „zu entscheiden, ob das mit femininen Vorzeichen 219 Kardorff, Ursula von: Müssen Männer so sein?, in: FAZ vom 29.8.1953, BuZ, S. 6. 220 Vgl. Flesch-Thebesius, Marlies: Die Frau nach dem zweiten Weltkrieg. Im Lichte der Statistik, in: FAZ vom 8.9.1951, Für die Frau. 221 Landgrebe, Käte: Sollen Frauen politisieren?, in: FAZ vom 2.12.1950, Für die Frau. 222 Stromberg, Kyra: Ist Haushalt ein Beruf?, in: FAZ vom 5.11.1949, Für die Frau. 223 Vgl. Stein, Claudia: Paragraphen, die geändert werden sollen. Die Bedeutung der Familienrechtsreform, in: FAZ vom 19.7.1952, BuZ, S. 4.

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erfüllte Jahrhundert in eingleisiger und unfruchtbarer Emanzipation erstarren wird oder in einer Blüte wiedererwachter weiblicher Geltung gipfelt.“224 Fast feindselig fiel ein Urteil zur Emanzipation aus, das der spätere Direktor der Katholischen Akademie in Trier, Jürgen Wichmann, 1951 fällte. An einem Drei-Generationen-Modell diagnostizierte er eine Schieflage des weiblichen Selbstverständnisses. Während er die frühen emanzipatorischen Erfolge (Wahlrecht, Zugang zu den Universitäten u. a.) als fortschrittlich würdigte, sah Wichmann bereits im Frauentyp der 1920er und 1930er Jahre eine unabhängige Frau mit Hang zum Seitensprung, die sich „unter dem Gequäke der aufkommenden Jazzmusik“ am „großartigen Erbe ihrer Mutter“225 verging. Der Gipfel des moralischen Verfalls aber war für ihn die berufstätige, ledige Frau der 1950er Jahre, die Lehrstellen und Arbeitsplätze stehle, um letztlich doch zu heiraten. Wie viele Männer, die den Platz der Frau noch 1964 mehrheitlich zu Hause verorteten,226 sah auch Wichmann in der weiblichen Erwerbsstätigkeit eine Art deviantes Verhalten. Die Frage, ob Frauen einen Beruf ergreifen oder Heim und Kind hüten sollten, wurde auch an anderer Stelle aufgeworfen. Einige Beiträge, etwa aus der Rubrik „Bildung und Berufswelt“ (8,33 Prozent), stellten Frauenberufe vor und beschäftigten sich mit arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten der weiblichen Erwerbstätigkeit,227 andere behandelten die strukturellen Probleme, mit denen verheiratete Frauen und Mütter in ihrer „Doppelrolle“ konfrontiert waren, weil eine entlastende staatliche Infrastruktur an allen Ecken fehlte.228 Obwohl die Erwerbstätigenquote im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegszeit in den 1950er Jahren zunächst rückläufig war,229 waren 1950 immerhin 26,4 und 1961 36,5 Prozent der verheirateten Frauen berufstätig.230 Jede zweite 224 Meyer-Sickendiek, Ingeborg: Ist das feminine Jahrhundert angebrochen? Neue Geltung der Frau, in: FAZ vom 27.9.1952, BuZ, S. 6. 225 Wichmann, Jürgen: Noras Enkelin, in: FAZ vom 9.6.1951, Für die Frau. 226 Vgl. Frevert, Ute: Umbruch der Geschlechterverhältnisse? Die 60er Jahre als geschlechterpolitischer Experimentierraum, in: Schildt, Axel  / Siegfried, Detlef  / Lammers, Karl Christian (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg 2000, S. 642–660, hier S. 657. 227 Vgl. Beer, Brigitte: Die Krankenschwester, in: FAZ vom 5.5.1951, Für die Frau; Krawielicki, Tilde: Staatsbürgerkunde für Frauen, in: FAZ vom 1.5.1953, BuZ, S.  6; Fuchs, Anke: Wenn einer älteren Frau gekündigt wird … Müde, krank, überflüssig / Vier Beispiele aus dem Arbeitsrecht, in: FAZ vom 6.5.1967, BuZ, S. 6. 228 Vgl. Krawielicki, Tilde: Sorgen und Probleme der erwerbstätigen Ehefrau, in: FAZ vom 22.3.1952, BuZ, S. 4. 229 Vgl. Cornelissen: Traditionelle Rollenmuster (1993), S. 53. 230 Vgl. Frevert: Umbruch der Geschlechterverhältnisse? (2000), S. 643–644.

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Frau, die einen Haushalt mit mehreren Personen führte, ging laut einer EMNID-Studie aus dem Jahr 1951 mindestens auf Stundenbasis einer anderen Tätigkeit nach.231 Das entsprach freilich nicht dem Leitbild der „Ära Adenauer“, das sich an der „Hausfrauenehe“ orientierte. Bis zur Reform des Ehe- und Familienrechts 1977 sah das BGB eine klare Aufgabenverteilung vor. Der Ehefrau war die Berufsausübung demnach nur gestattet, wenn sie ihren familiären und ehelichen Pflichten weiterhin nachkommen konnte. Im Normalfall gab sie ihren Beruf spätestens mit der Geburt des ersten Kindes auf.232 Diese Vorstellungswelt prägte in den 1950er Jahren auch die Frauenseite. An erster Stelle war die Frau die „Mutter ihrer Kinder und Schützerin der Ehe und des Heimes“233. Das sei die „natürliche Rangfolge ihrer Pflichten“234. Sei sie trotzdem zur außerhäuslichen Arbeit genötigt, so bestünde die Gefahr, dass ihr für ihre häuslichen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben keine Kraft mehr bleibe, so Elisabeth Burger 1950.235 Gleichwohl gab es schlüssige Gründe, warum Frauen erwerbstätig wurden: die zeitsparende Technisierung des Haushalts, der Wunsch nach höheren Lebensstandards oder finanzielle Engpässe.236 Bisweilen galt der Beruf auch als Ersatz für die eigentliche Berufung.237 War eine Frau aus einem dieser Gründe berufstätig, dann sollte sie ihre Beschäftigung frei wählen können, für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten und von ihrem Ehemann entlastet werden.238 Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf galt es zu gewährleisten, auch wenn dieses Ziel noch lange nicht erreicht war: „Alle Frauen im Berufsleben wissen,“ konstatierte Morawe 1951, „daß diese Gleichberechtigung […] noch auf dem Papier steht“239. Im Jahr zuvor hatte die Lokalredakteurin auf der Frauenseite mit Verdruss festgestellt: „Die kameradschaftliche Auffassung amerikanischer Ehen, die den Mann im gleichen Maße

231 Vgl. o. A.: Jede zweite deutsche Hausfrau ist berufstätig, in: FAZ vom 4.8.1951, Für die Frau. 232 Vgl. Herzog: Die Politisierung der Lust (2005), S. 147; Rahden: Demokratie und väterliche Autorität (2005), S. 162. 233 Burger, Elisabeth: Die Stunde der Mütter, in: FAZ vom 15.7.1950, Für die Frau. 234 Krawielicki, Tilde: Sorgen und Probleme der erwerbstätigen Ehefrau, in: FAZ vom 22.3.1952, BuZ, S. 4. 235 Vgl. Burger, Elisabeth: Die Stunde der Mütter, in: FAZ vom 15.7.1950, Für die Frau. 236 Vgl. etwa Andersen, Paula (= Clara Menck): Wofür arbeiten Frauen? / Das Gespenst der Emanzipation – und die Wirklichkeit, in: FAZ vom 6.2.1954, BuZ, S. 6. 237 Vgl. v. W.: Hilfreiche Hände, in: FAZ vom 24.12.1949, Für die Frau; Nowak, Edith: Gleicher Lohn für Mann und Weib?, in: FAZ vom 18.11.1950, Für die Frau. 238 Vgl. Nowak, Edith: Gleicher Lohn für Mann und Weib?, in: FAZ vom 18.11.1950, Für die Frau; Wieck, H.-G.: Gleicher Lohn für die Frauen?, in: FAZ vom 1.12.1951, Für die Frau. 239 Morawe, Marianne: Das Mitbestimmungsrecht der Frau, in: FAZ vom 10.3.1951, Für die Frau.

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an Haushaltsarbeit beteiligt, wenn beide Partner berufstätig sind, hat sich gegen die deutsche Vorstellung vom dienenden Weibe noch nicht durchgesetzt.“240 Die gängige Vorstellung, „dass Frauen ihren Beitrag zum Unterhalt der Ehe und Familie primär durch Hausarbeit, Männer dagegen durch außerhäusliche Berufstätigkeit zu leisten hatten“241, schlug sich in den 1950er Jahren also auch auf der FAZ-Frauenseite nieder. Gleichzeitig setzten sich die Journalistinnen und Journalisten, wo nötig, für die Akzeptanz der weiblichen Erwerbstätigkeit ein und kritisierten die strukturelle Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und ihre Überlastung im häuslichen Bereich. Diese Kritik wurde in den 1960er Jahren lauter, das Bild der berufstätigen Ehefrau und Mutter normalisierte sich.242 1957 hatte Brigitte Beer die deutschen Geschlechterverhältnisse mit den schwedischen verglichen und befunden: „Man hat sich auf eine Devise geeinigt, die wohl auch bei uns annehmbar wäre: Redet den berufstätigen Müttern kein schlechtes Gewissen ein, helft ihnen lieber, ihre doppelte Arbeit zu bewältigen.“243 Das Vorbild Schweden biete zur Unterstützung erwerbstätiger Frauen staatliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten und Nachmittagsbetreuungsangebote für Schulkinder an, die Haushaltsführung sei modern und einfach. Die 1960er Jahre brachten in der Bundesrepublik einige Neuerungen. Infolge des Arbeitskräftemangels führten manche Betriebe Teilzeitarbeit ein, was Frauen mit Familie die Möglichkeit gab, sich stärker außerhäuslich zu betätigen. Das Konzept war gesellschaftlich weitgehend akzeptiert,244 obgleich die weibliche Erwerbstätigkeit laut einer Umfrage des Godesberger Instituts für angewandte Sozialwissenschaft, über die die FAZ 1965 berichtete, für einen Großteil der Bevölkerung weiterhin als anormal galt.245 Das sogenannte 240 Morawe, Marianne: Warum sind Hauswirtschaftsberufe nicht gefragt?, in: FAZ vom 14.10.1950, Für die Frau. 241 Rahden: Demokratie und väterliche Autorität (2005), S. 163. 242 Vgl. Ulrich, Key  L.: Nicht nur alleinstehende Frauen wollen arbeiten. Die bundesdeutsche Enquête braucht Zeit / Der amerikanische Report und seine Folgen, in: FAZ vom 10.7.1965, BuZ, S. 6. 243 Beer, Brigitte: Berufstätige Mütter ohne schlechtes Gewissen. Probleme der Emanzipation in Schweden, in: FAZ vom 9.11.1957, BuZ, S. 6. 244 Vgl. Correll, Lena: Anrufungen zur Mutterschaft. Eine wissenssoziologische Untersuchung von Kinderlosigkeit (= Arbeit – Demokratie – Geschlecht, Bd. 13). Münster 2010, S. 121; Oertzen, Christine von: Teilzeitarbeit und die Lust am Zuverdienen. Geschlechterpolitik und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland 1948–1969 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 132). Göttingen 1999, S. 12, 32. 245 Vgl. Thimme, Ulrike: Arbeitskraft, Konsumentin und „Gute Hausfrau“? Moderne Ansprüche, konservative Ideale. Eine Umfrage zum Thema „Frau und Beruf“, in: FAZ vom 26.6.1965, BuZ, S. 6.

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„Drei-Phasen-Modell“ sah vor, dass Frauen vor der Geburt ihres ersten Kindes eine Ausbildung durchliefen und einige Jahre arbeiteten, sich anschließend der Familie widmeten und nach der Erziehung wieder in den Beruf zurückkehrten.246 Auf der FAZ-Frauenseite begrüßte man den sukzessiven Zerfall des Hausfrauenbildes, konstatierte aber zugleich eine starke Überforderung durch die Vielzahl von Rollenbildern und Anforderungen, die an Frauen herangetragen würden. Während die Männer nach wie vor das Ernährerund Hausfrauenmodell präferierten, bevorzuge die Familie die berufstätige Frau, um ihre materiellen Bedürfnisse zu stillen.247 Um beides erfüllen zu können, müsse der Staat aktiver werden. Noch immer litten verheiratete Frauen, weil sie nicht sozialversichert seien, noch immer seien sie steuerrechtlich benachteiligt und gesundheitspolitisch schlecht betreut. An flexiblen Betreuungsangeboten für Kinder fehle es ebenso wie an öffentlichen Verkehrsmitteln und Fortbildungsmöglichkeiten.248 Der Aufwind, der die bundesdeutsche Gesellschaft seit den späten 1950er Jahren erreichte und der neben einer Pluralisierung der Lebensstile eine stärkere Präsenz von Frauen in höheren Bildungsinstitutionen und einen Rückgang der Geburtenzahlen nach sich zog, war also auch in der Zeitung spürbar.249 Statt erzieherischen Fragen wurden nun vermehrt sozial- und bildungspolitische Missstände erörtert.250 Artikel etwa aus der Rubrik „Selbstverständnis und Rolle der Frau“ (8,33 Prozent)251, die noch zu Beginn der 246 Vgl. Gerhard, Ute: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789. München 2009, S. 109. 247 Vgl. Thimme, Ulrike: Arbeitskraft, Konsumentin und „Gute Hausfrau“? Moderne Ansprüche, konservative Ideale. Eine Umfrage zum Thema „Frau und Beruf“, in: FAZ vom 26.6.1965, BuZ, S. 6. 248 Vgl. K.L.U. (= Key L. Ulrich): Die Frau von Bonn. Familienmutter, Arbeitskraft, Neutrum: Fazit einer Enquête, in: FAZ vom 29.10.1966, BuZ, S. 6; Mundzeck, Heike: Die „Gattin“ wird noch teurer. Hausfrauenrente, Berufsförderung und „Babyjahr“, Aspekte eines Reformprogramms zugunsten der Frauen, in: FAZ vom 30.10.1971, BuZ, S. 6. 249 Vgl. Rölli-Alkemper, Lukas: Familie im Wiederaufbau. Katholizismus und bürgerliches Familienideal in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1965 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 89). Paderborn u. a. 2000, S. 24. 250 Vgl. Landmann, K.L.: Die jungen Lehrerinnen und der alte Trott. Pläne, Notlösungen, Mittelpunkt- oder Nestschule  – eine Kaffeeszene wird zum Tribunal, in: FAZ vom 3.4.1965, BuZ, S. 6; Michaely, Petra: Kinder, über die es Akten gibt. Besuchstag in einem Heim für „Erziehungsschwierige“ – Veraltete Gebäude, zu niedrige Pflegesätze, zu wenig Fürsorger, in: FAZ vom 24.9.1966, BuZ, S. 6; Bauschinger, Sigrid: Den Armen ein Vorsprung. Erziehung im Kindergarten, damit sie in der Schule mitkommen, in: FAZ vom 7.1.1967, BuZ, S. 6. 251 Vgl. Kuberzig, Kurt: Lieben Männer kluge Frauen?, in: FAZ vom 20.5.1950, Für die Frau; Grauerholz, Gisela: Porträt einer Trottelfrau, in: FAZ vom 7.11.1959, BuZ, S. 6; Bode, G.:

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1950er Jahre vor Stereotypen gestrotzt und die Emanzipation als „männermordende Diskussion“252 belächelt hatten, fielen nun kritischer aus. Die folgsame Frau galt als Schreckbild, das Klischee von der weiblichen Wesensart als obsolet.253 Die gebildete und berufstätige Frau mit ihren Chancen und Rechten war es, um die man sich nun bemühte. „Was Frau Rahms will“, notierte sich Welter nach einem Gespräch mit der Ressortleiterin im Juli 1969, sei „die Unterbewertung der Frauenarbeit und Mißstände im Ablauf und in der Ausgestaltung der Arbeit zu brandmarken“254. Dieses Gebot wurde im folgenden Jahrzehnt zum gängigen Narrativ, Berufstätigkeit zu einer der Familie gleichgestellten Lebensform.255 „Die schon körperlich durch ihre Bekleidung eingeengte, aus der Vormundschaft der Eltern in die des Ehemannes entlassene ‚Gattin‘, der die Erfüllung häuslicher Pflichten Lebensinhalt war, ist in unseren Augen ein bemitleidenswertes Geschöpf. Kaum vorzustellen, daß eine junge Frau heute sich noch […] auf diese Rolle reduzieren ließe“256, so Rahms 1974 in der Beilage. War die Gleichstellung in den 1950er Jahren in vielen Bereichen als erreicht betrachtet worden, sah man sich nun weiterhin vor immense Herausforderungen gestellt: „Der Beruf ist mehr als bezahlte Arbeit, er bedeutet Selbstständigkeit, Anerkennung, Kontakte, Sicherheit, ein Stück eigenes Leben“, war 1985 bei Frisé zu lesen. „Wahlfreiheit, Chancengleichheit, Gleichberechtigung? Theoretisch sind die Bedingungen dafür geschaffen, theoretisch ist viel möglich. Die Praxis sieht anders aus.“257 Mit Theorie und Praxis der Gleichberechtigung im 20. Jahrhundert beschäftigte sich auch die feministische Literatur. Literatur spielte auf der Frauenseite eine wichtige Rolle. Zum einen war sie ein Publikationsort für Erzählungen und Kurzprosa und zum anderen bildete das Ressort eine Art Literaturblatt für „Frauenliteratur“. Bei immerhin 9,44 Prozent der über die Inhaltsanalyse erfassten Texte handelt es sich um Rezensionen. Neben Kinderbüchern wurden Sammelbände und Forschungsarbeiten aus den Sozial-, Politik- und

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Marion will keine Lady sein. Viktorianische Rosenmuster und der Protest der „Teddy Girls“, in: FAZ vom 5.11.1960, BuZ, S. 6. C. E. K.: Der heiße Brei, in FAZ vom 3.11.1951, Für die Frau. Vgl. Grauerholz, Gisela: Porträt einer Trottelfrau, in: FAZ vom 7.11.1959, BuZ, S.  6; Redaktioneller Kommentar zu Friedan, Betty: Beruf: Hausfrau. Untersuchung eines überholten Leitbildes, in: FAZ vom 29.1.1966, BuZ, S. 6. Aktennotiz von Erich Welter über ein Gespräch mit Helene Rahms vom 17.7.1969, in: BArch Koblenz, N 1314/454. Vgl. Frevert: Umbruch der Geschlechterverhältnisse? (2000), S. 645–646. H.R. (= Helene Rahms): Zwischenbilanz, in: FAZ vom 24.8.1974, BuZ, S. 6. Frisé, Maria: Die stille Revolution oder Frauen sind keine Mängelwesen. Zwischen Familie und Beruf – Vom weiblichen Lebenszusammenhang, in: FAZ vom 16.2.1985, BuZ, S. 1.

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Sexualwissenschaften rezensiert, Biographien, Romane und Zeitschriften diskutiert.258 Auf der Frauenseite, im Literaturblatt und Feuilleton wurden außerdem die Schlüsselwerke der feministischen Literatur besprochen, darunter Iris von Rotens „Frauen im Laufgitter“ (1958), Betty Friedans „Der Weiblichkeitswahn oder Die Selbstbefreiung der Frau“ (1966), „Der weibliche Eunuch“ (1971) von Germaine Greer oder Kate Millets „Sexus und Herrschaft“ (1971).259 Besonders breit wurden die Arbeiten Simone de Beauvoirs rezensiert,260 deren Hauptwerk „Le Deuxième Sexe“ 1949 in zwei Bänden erschien. Zwei Jahre später folgte die deutsche Erstausgabe bei Rowohlt mit dem Titel „Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau“ (1951). In diesem Beitrag zur feministischen Theorie skizziert Beauvoir die Rolle der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft systematisch aus historischer, biologischer, theologischer, philosophischer und psychoanalytischer Perspektive. Ihre provokative These: Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern seien nicht biologisch, sondern sozial bedingt („On ne naît pas femme, on le devient“261). Das Konzept Gender – Geschlecht als gesellschaftliches Konstrukt – war geboren.262 Beauvoir zufolge sollte sich die Frau als historisch unterlegenes Geschlecht von den gesellschaftlichen, 258 Vgl. Fromm, Therese: Aufruhr der Damen. Zu  V.  Sackville-West: „Erloschenes Feuer“ (= Rezension zu Victoria Mary Sackville-West: „Erloschenes Feuer“. Hamburg 1948), in: FAZ vom 5.11.1949, Die Frau; Sturm, Vilma: Bircher-Benners Mustervolk (= Rezension zu Ralph Bircher-Benner: „Hunsa, das Volk, das keine Krankheit kennt“. Bern / Stuttgart 1952), in: FAZ vom 1.5.1953, BuZ, S. 6. Film, Theater, Ausstellungen und Konzerte waren hingegen eher selten Gegenstand der Betrachtung. Vgl. Fierz-Herzberg, Tiny: Schlußakt nur für Eingeweihte, in: FAZ vom 2.5.1959, BuZ, S. 6. 259 Vgl. Menck, Clara: Die „hehre frouh“ und ihr Widerspiel. Zu Iris von Rotens Buch „Frauen im Laufgitter“ (= Rezension zu Iris von Roten: „Frauen im Laufgitter“. Bern 1958), in: FAZ vom 14.3.1959, BuZ, S. 6; Gerstein, Hannelore: Das Problem ohne Namen. Betty Friedan „Der Weiblichkeitswahn“ (=  Rezension zu Betty Friedan: „Der Weiblichkeitswahn“. Reinbek bei Hamburg 1966), in: FAZ vom 28.4.1966, S. 31; Brackert, Gisela: Sexus und Herrschaft. Kate Millets Buch über „Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft“ (= Rezension zu Kate Millet: „Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft“. München 1971), in: FAZ vom 12.10.1971, S. 16L; Strauss, Anne-Ruth: „Hast noch ’nen langen Weg vor dir, Baby“. Germaine Greer: „Der weibliche Eunuch – Aufruf zur Befreiung der Frau“ (= Rezension zu Germaine Greer: „Der weibliche Eunuch. Aufruf zur Befreiung der Frau“. Frankfurt 1971), in: FAZ vom 21.3.1972, S. 10L. 260 Vgl. Naumann, Hans: Roman der heimatlosen Linken, in: FAZ vom 26.11.1955, BuZ, S.  5; Menck, Clara: Der anti-bürgerliche Affekt, in: FAZ vom 24.3.1962, BuZ, S.  5; Neddermann, Emmy: Die Mär vom friedlichen Lebensabend, in: FAZ vom 18.4.1970, BuZ, S. 6; Boveri, Margret: Das Alter, seine Schwermut und seine Erkenntnis. Simone de Beauvoirs enzyklopädisches Pamphlet, in: FAZ vom 24.6.1972, BuZ, S. 5. 261 Beauvoir, Simone de: Le deuxième sexe, Bd. 2: L’expérience vécue. Paris 1949, S. 13. 262 Vgl. Galster, Ingrid: Relire Beauvoir. Das Andere Geschlecht sechzig Jahre später, in: Freiburger GeschlechterStudien 24 (2010), S. 109–128, hier S. 12.

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sprich männlichen Determinanten ihres Schicksals befreien. Wirtschaftliche und sexuelle Unabhängigkeit, Geburtenkontrolle, Lösung von klassischen Rollenmustern, Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebens, lauteten die Forderungen der Existenzialistin. In Frankreich erregte das essayistische Opus großes Aufsehen. Die Idee von der Gleichheit der Geschlechter polarisierte. Intellektuelle jedes politischen Lagers empörten sich über Beauvoirs Thesen und Bekenntnisse, die Presse diskutierte die gebrochenen Tabus und die katholische Kirche setzte das Buch auf den Index.263 In der deutschen Öffentlichkeit fiel die Reaktion vergleichsweise verhalten aus. In den überregionalen Feuilletons wurde Beauvoirs Buch zwar vereinzelt besprochen, eine anhaltende Debatte entwickelte sich daraus aber nicht. Einige Medien schenkten ihm gar keine Beachtung oder reduzierten es wie der Spiegel im Jahr 1949 auf die spöttische Formel: „‚Heiraten ist dummes Zeug‘, lautet die Quintessenz dessen, was Simone de Beauvoir in ihrem letzten Buch ‚Das zweite Geschlecht‘ [sic!] zu sagen hat.“264 Beauvoir fand in weiten Teilen der Medienlandschaft weiterhin vor allem als Lebensgefährtin JeanPaul Sartres Beachtung.265 Erst mit der Neuen Frauenbewegung, der sie sich in den 1970er Jahren in Frankreich anschloss, hielt das Buch in der Bundesrepublik (wie auch in Frankreich) Einzug in den akademischen Diskurs. Weder hier noch dort hatte es zuvor einen breiten feministischen Resonanzboden gegeben.266 Auf der FAZ-Frauenseite wurde „Das andere Geschlecht“ gleich zweimal rezensiert: kurz nach dem Erscheinen der Taschenbuchausgabe von der Feuilletonreferentin Clara Menck und wenige Monate später von dem freien Mitarbeiter Harold Theile. Obwohl die Kritiken am gleichen Ort erschienen, stimmten sie in ihrem Urteil keineswegs überein. Menck begegnete dem Werk im Oktober 1951 nüchtern-distanziert, fand aber auch wohlwollende Worte und würdigte Beauvoirs Verdienst, die seit Jahrhunderten schwelende Geschlechterfrage öffentlich gemacht zu haben. Die Analyse besitze allgemeingültigen Charakter, sie sei „richtig, notwendig und anerkennenswert“. Kritik 263 Vgl. Beese, Sophie: Das (zweite) andere Geschlecht  – der Diskurs „Frau“ im Wandel. Simone de Beauvoirs Le deuxième sexe in deutscher Erst- und Neuübersetzung. Berlin 2015, S. 72. 264 O. A.: Die große Sartreuse. Heiraten ist Unsinn, in: Der Spiegel 46/1949, S. 32–33, hier S. 32. Besprochen wurde in diesem Fall allerdings eine Theateraufführung, die auf Beauvoirs Stück „Die unnützen Mäuler“ basierte. 265 Vgl. Konnertz, Ursula: Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, in: Löw, Martina / Mathes, Bettina (Hg.): Schlüsselwerke der Geschlechterforschung. Wiesbaden 2005, S. 26–58, hier S. 51. 266 Vgl. Beese: Das (zweite) andere Geschlecht (2015), S. 72–73.

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entzündete sich indes an der Idee des egalitären Feminismus. Es gebe schließlich, so die Journalistin, Zusammenhänge zwischen Biologie und Geist, die in der Erfahrung von Sexualität und Mutterschaft lägen. Die Gefahr der „Selbstentfremdung“ durch Mutterschaft sah Menck nicht. Beauvoir erkenne nicht, „daß man mit körperlichen oder seelischen Leiden vielleicht bestimmte Dinge notwendig erkaufen muß, daß sie einem sogar bestimmte Erfahrungen vermitteln“267. Die weibliche Gefühlswelt, nach Beauvoir eine Barriere auf dem Weg zur Freiheit, sei kein Nach-, sondern ein Vorteil. Wie die Vertreterinnen des sogenannten „Differenzfeminismus“ sah Menck in Beauvoirs Ansatz, die Überwindung der Geschlechterhierarchien zu fordern, den Mann aber als Maßstab dieser Veränderung beizubehalten, einen logischen Bruch,268 der die Emanzipationsidee verfehle: Nie zuvor seien dem Mann „auf so komplizierte Weise […] so glühende und neidvolle Lobeshymnen gesungen worden.“269 Harold Theile stellte die Leistung Beauvoirs einige Monate später vehement in Frage. Mit klassischen Geschlechterzuschreibungen hantierend, verteidigte er Anfang des Jahres 1952 den traditionellen Geschlechterdualismus. Der Mann habe Verstand, die Frau Vernunft. Er handle organisatorisch, sie organisch: „Der Mann ist tun, die Frau ist Sein: Sein und Dulden in der Gegenwart, um der Kontinuität willen“. Gleichberechtigung im Sinne Theiles bedeutete, die Existenz der Geschlechter als Gegenpole anzuerkennen. Er ging aber noch weiter und äußerte Zweifel an der emanzipatorischen Idee generell, die er als eine von vielen Gegenwartsneurosen abwertete. Auch seine Kritik entzündete sich vor allem an Beauvoirs Mutterschaftsbild. Was die Philosophin – zum Schaden der Gesellschaft – wolle, sei die künstliche weibliche Metamorphose. Wo Menck die Verbindung von biologischem und sozialem Geschlecht stark machte, bediente sich Theile theologischer Argumente. Beauvoirs Ideen konterkarierten in seinen Augen die biblische Schöpfungslehre: „Jedes Ding ist, was es ist, kann kein anderes sein, und der Mensch, der gegen seine Wahrheit lebt, erkrankt“270. Mit dieser Überzeugung stand der Journalist der existenzialistischen Lehre diametral entgegen. Einen ganz anderen Eindruck hinterließ Beauvoir offenbar bei Korn. Ohne explizit auf „Das andere Geschlecht“ Bezug zu nehmen, schrieb er 1955 im Feuilleton:

267 Andersen, Paula (= Clara Menck): Sind Weiber Menschen?, in: FAZ vom 27.10.1951, Für die Frau. 268 Vgl. Beese: Das (zweite) andere Geschlecht (2015), S. 74–75. 269 Andersen, Paula (= Clara Menck): Sind Weiber Menschen?, in: FAZ vom 27.10.1951, Für die Frau. 270 Theile, Harold: Vermännlichung, in: FAZ vom 19.1.1952, BuZ, S. 4.

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Es ist die Gesellschaft, die den männlichen und den weiblichen Typus standardisiert. Nicht in allen Sozialformen sind die Rollen des Mannes und der Frau in unserem europäisch-abendländischen Sinne festgelegt. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß dem biologischen ein konstanter, gleichsam vorkultureller, seelisch geistiger und sogar metaphysischer Wesensunterschied zwischen Männlich und Weiblich entspräche. Die Typisierungen von Männlich und Weiblich sind sozialer Natur, sind menschliche Einrichtungen und wechseln je nach dem Gesamtcharakter der Kulturen.271

Während in der FAZ also insgesamt eher verhaltene Töne anklangen,272 fiel das Urteil der Zeit deutlich positiver aus. Die Wochenzeitung meldete sich im November 1951 ebenfalls mit einer weiblichen und einer männlichen Stimme zu Wort. Die Journalistin Martha Maria Gehrke würdigte Beauvoir für die schonungslose Darstellung der weiblichen Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt und in der Rechtsprechung.273 Lukas Redlich legte das Buch vor allem den Lesern ans Herz. Trotz der emanzipatorischen Errungenschaften –  die „Männer von heute“ akzeptierten, dass Frauen prinzipiell die gleichen Chancen zustünden wie ihnen  – stehe die Transformation des „System[s] der unverbrüchlichen Solidarität der Männer“274 noch bevor. Ein Konsens zwischen der FAZ und der Zeit zeichnete sich nur in einem Punkt ab: Beide Zeitungen warnten vor den Gefahren eines radikalen Feminismus, mit dem sich womöglich ein neues System von Ungleichheit etabliere. Auch in den folgenden Jahren fand „Das andere Geschlecht“ in der FAZ Beachtung. Während im Feuilleton eine sachliche Lesart dominierte, diente das Buch andernorts als spöttisch-ironischer Aufhänger. In einer 1953 erschienenen Glosse über den Aufstieg von Frauen im US-Bankenwesen bediente sich der Politikredakteur Hermann Ruelius des Werks, um sich über die drohende Dominanz von Frauen in der Bankenbranche zu mokieren. „Selbst Simone de Beauvoir kann beruhigt sein“, war am 9. Juni im Politikteil zu lesen, „das andere Geschlecht läßt die männliche Gleichberechtigung mehr und mehr zu einem 271 Korn, Karl: Rowohlts deutsche Enzyklopädie (= Rezension zu Helmut Schelsky: „Soziologie der Sexualität“. Hamburg 1955), in: FAZ vom 3.12.1955, BuZ, S. 5. 272 Während bei Menck oder Frisé neben ideologischer Skepsis und Stilkritik Bewunderung für das Gesamtwerk durchdrang, blieben Rezensentinnen wie Boveri skeptisch und sprachen ihr eine eigenständige Forschungsleistung ab. Vgl. Menck, Clara: Vielleicht ein Versprechen. Zum sechzigsten Geburtstag von Simone de Beauvoir, in: FAZ vom 9.1.1968, S.  18; Boveri, Margret: Das Alter, seine Schwermut und seine Erkenntnis. Simone de Beauvoirs enzyklopädisches Pamphlet, in: FAZ vom 24.6.1972, BuZ, S.  5; Frisé, Maria: Radikale Existenz. Zum Tode von Simone de Beauvoir, in: FAZ vom 16.4.1986, S. 25. 273 Vgl. Gehrke, Martha Maria: Sind Frauen das andere Geschlecht?, in: Die Zeit vom 8.11.1951, S. 10. 274 Redlich, Lukas: Es geht die Männer an, in: Die Zeit vom 8.11.1951, S. 11.

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verwegenen Wunschtraum werden“. Das weibliche Geschlecht zeichnete Ruelius als herrisch, konsumorientiert und verschwenderisch. „Die familiäre Finanzdiktatur der sanften Hand mit ihren Taschengelddarlehen“ stimme bedenklich, wenn sie nun auch noch das öffentliche Leben erobere. Bald brächten Männer „die Summen, die sie zu Hause retten wollen, zu Geldinstituten, die ebenfalls unter weiblicher Kontrolle stehen“. Mit Geringschätzung konstatierte er, dass Frauen bereits in vielen Banken „dem angeborenen Geschäft des Kassierens“275 nachgingen. Im Herbst 1959 kam Beauvoir schließlich selbst zu Wort. Etwa einen Monat nach der Veröffentlichung im amerikanischen Männermagazin Esquire erschien in der Wochenendbeilage das Essay „Brigitte Bardot and the Lolita Syndrome“ in deutscher Übersetzung, in dem Beauvoir Bardots Frauenfigur analysierte. Die Schauspielerin, die in den 1950er Jahren vor allem in den USA zur Film- und Sex-Ikone wurde, verkörpere eine Erotik zwischen „Kind-Frau“ und „femme fatale“. Anders als die meisten weiblichen Stars repräsentiere sie nicht Kunst, sondern Natur, weshalb Frankreich sie zu einem Symbol der Unmoral erhoben habe. Diese Ablehnung entspringe einem geheimnisumwobenen Weiblichkeitsideal, das in den USA schon lange überholt sei. Vor allem die von Bardot verkörperte sexuelle Selbstbestimmung markiere einen überfälligen Tabubruch.276 In den Leserbriefspalten erfuhr das Essay vor allem negative Resonanz. Neben Zweifeln an der schauspielerischen Leistung Bardots wurde Kritik an den „Verheerungen, nicht zuletzt auf dem Gebiete des guten Geschmacks“277 und am „bedenkenlosen Exhibitionismus“278 laut. Wieder einmal zeigte sich, dass die FAZ-Leserschaft mitunter deutlich wertkonservativere Positionen vertrat als die Zeitungsmacherinnen und -macher selbst.279 In der Bewertung feministischer Prosa zeichneten sich in den 1950er und 1960er Jahren starke Unterschiede ab, die ihrerseits nur bedingt eine Frage des Geschlechts waren. Tendenziell gingen Rezensenten mit Feministinnen wie de Beauvoir oder Shulamith Firestone zwar strenger ins Gericht als ihre Kolleginnen, in deren Besprechungen bei aller Kritik oft auch Sympathien

275 Rs. (= Hermann Ruelius): Jetzt die Banken, in: FAZ vom 9.6.1953, S. 2. 276 Vgl. Beauvoir, Simone de: Brigitte Bardot – ein Symptom, in: FAZ vom 12.9.1959, BuZ, S. 1. 277 Leserbrief von Edith Bodenstab, in: FAZ vom 24.9.1959, S. 6. 278 Leserbrief von Reinhard Wilke, in: ebd. 279 Auch Frisé berichtet von protestierenden Leserinnen, die „sich als ‚Nur-Hausfrauen‘ […] diffamiert fühlten“ und von Lesern, die „die ‚natürliche Ordnung‘ priesen“. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 294.

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durchklangen.280 Gleichwohl gab es auch Journalistinnen, die den feministischen Ideen wenig abgewinnen konnten,281 und Rezensenten taten sich erst in den 1970er Jahren vermehrt hervor.282 Im Umgang mit feministischer Literatur verkörperte die FAZ alles andere als Einheitlichkeit. So konnte es passieren, dass Betty Friedans „The Feminine Mystique“ (1964) zunächst gelobt und später als praxisfern dekonstruiert wurde.283 So war es möglich, dass die „kulturrevolutionäre Sprengkraft“284 Kate Millets honoriert, eine Zeitschrift wie Alice Schwarzers 1977 gegründete Emma aber verrissen wurde, weil sie „die verwirrten Gemüter der Frauen noch mit neuem aufrührerischem Gedankengut“ belaste. Für Männer, war dann bei Michael Schwarze im Feuilleton zu lesen, sei nur eine Rubrik begrüßenswert: „[S]ie heißt ‚Selbst ist die Frau‘. […] Das darf man einen konstruktiven Beitrag nennen, und der Mann darf mit Fug 280 In seiner vergleichenden Studie zum Rezensionswesen der SZ und FAZ stellt Günter Häntzschel anhand von Stichproben aus den Jahren 1950, 1955 und 1960 fest, dass die SZ in ihrer Einschätzung weiblicher (nicht zwangsläufig feministischer) Literatur deutlich strenger war als die FAZ. Vgl. Häntzschel, Günter: Die Rezeption weiblicher Autoren in der Frankfurter Allgemeine Zeitung und in der Süddeutschen Zeitung, in: ders. (Hg.): Neue Perspektiven der deutschen Buchkultur in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ein Symposium (= Buchwissenschaftliche Forschungen, Bd. 3). Wiesbaden 2003, S. 103–118, hier S. 117. 281 Vgl. Sturm, Vilma: Die Männer sind verrückt? Christiane van Briessen: „Der Männlichkeitswahn“ (= Rezension zu Christiane van Briessen: „Der Männlichkeitswahn“. BergischGladbach 1971), in: FAZ vom 21.3.1972, S. 10L. Vgl. aus der Sekundärliteratur Häntzschel: Die Rezeption weiblicher Autoren (2003), S. 110. 282 Vgl. Heinrichs, Hans-Jürgen: Alles aus der Wundertüte. Shulamith Firestone: „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ (=  Rezension zu Shulamith Firestone: „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“. Frankfurt am Main 1975), in: FAZ vom 28.10.1975, S. 21; Kirchner, Gerhard: Lieber Rollschuhe als einen Ferrari. Romane der amerikanischen Frauenbewegung (= Doppelrezension zu Kate Millett: „Sita“. Köln 1978; Rita Mae Brown: „Rubinroter Dschungel“. Reinbek 1978), in: FAZ vom 17.10.1978, S. 8L; Zeller, Michael: Die Geschichte von Mann und Frau muß neu anfangen. Neue Prosa über die Geschlechterrollen, in: FAZ vom 27.5.1978, BuZ, S. 5. 283 Vgl. Loesch, Maria von (=  Maria Frisé): Die kindliche, ewig lächelnde Hausmutter. Tüchtig am Herd und unbefangen in der Liebe: das Idol amerikanischer Werbepsychologen (=  Doppelrezension zu Betty Friedan: „The Feminine Mystique“. New York 1964; Alva Myrdal / Viola Klein: „Die Doppelrolle der Frau in Familie und Beruf“. Köln 1960), in: FAZ vom 15.8.1964, BuZ, S. 6. Während Frisé das Buch positiv würdigte, da es Perspektiven zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie biete, versuchte die freie Mitarbeiterin Irmgard Horstmann, deren praktische Umsetzbarkeit zu widerlegen. Vgl. Horstmann, Irmgard: Der Ausbruch. Ein Versuch, mit Betty Friedans Forderungen Ernst zu machen, in: FAZ vom 30.9.1967, BuZ, S. 6. 284 Brackert, Gisela: Sexus und Herrschaft. Kate Millets Buch über „Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft“ (= Rezension zu Kate Millet: „Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft“. München 1971), in: FAZ vom 12.10.1971, S. 16 L.

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und Recht hoffen, daß er künftig seine ‚Sportschau‘ in Ruhe zu Ende schauen kann“285. Die Neue Frauenbewegung, in deren Folge die literarische Produktion von und über Frauen deutlich zunahm,286 fand auf der FAZ-Frauenseite hingegen eher sporadisch Beachtung. Von den USA ausgehend, hatte sich im Gefolge der „68er“-Bewegung auch in der Bundesrepublik eine Frauenbewegung gegründet,287 die die Öffentlichkeit für die Gräben „zwischen Verfassungsauftrag und Wirklichkeit“288 zu sensibilisieren versuchte.289 Ihre Anhängerinnen organisierten sich in Frauengruppen und -verbänden und forderten eine gerechtere Aufgabenverteilung in Haushalts- und Erziehungsangelegenheiten, Freiheit in der Wahl der Lebensformen und die Abschaffung des Abtreibungsverbotes (Paragraph 218).290 Anders als ihre Vorgängerinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten sie nicht nach Gleichberechtigung innerhalb des bestehendes Systems, sondern drängten auf dessen ganzheitliche Veränderung.291 Auf der Frauenseite wurde weder über den Gründungsakt der Bewegung berichtet – der symbolische Tomatenwurf gegen die männliche Agenda der „68er“ wurde ebenso ausgespart wie die Gründung des „Aktionsrates zur Befreiung der Frau“ – noch über ihre Ziele. Abgesehen von vereinzelten Beiträgen zu den antiautoritären „Kinderläden“,292 die seit den späten 1960er Jahren in mehreren Städten zur Unterstützung berufstätiger Frauen gegründet wurden,293 waren die Bezüge zur Neuen Frauenbewegung eher lose. Auch ihre großen Themen fanden sich nicht zwangsläufig auf der 285 ze (= Michael Schwarze): Emma, in: FAZ vom 2.2.1977, S. 23. 286 Vgl. Rothmann: Kleine Geschichte (2014), S. 361. 287 Zur US-Frauenbewegung vgl. Lietzmann, Sabina: Sturmangriff auf alle Puppenhäuser. Die zweite Revolution der Frauen: Amerikas Feministen wollen zu Ende führen, was die Suffragetten begannen, in: FAZ vom 18.7.1970, BuZ, S. 6. 288 Gerhard: Frauenbewegung und Feminismus (2009), S. 108. 289 Einzelne Fraueninitiativen hatten sich schon in den ersten Nachkriegsjahren gegründet. Sie bestanden in erster Linie aus Vertreterinnen der älteren Frauenbewegung, die sich schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Frauenrechte eingesetzt hatte. Vgl. Gerhard, Ute: „Fern von jedem Suffragettentum“. Frauenpolitik in Deutschland nach 1945, eine Bewegung der Frauen?, in: Bandhauer-Schöffmann, Irene  / Duchen, Claire (Hg.): Nach dem Krieg. Frauenleben und Geschlechterkonstruktionen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg (= Forum Frauengeschichte, Bd. 23). Herbolzheim 2000, S. 175– 200, hier S. 178. 290 Vgl. Klaus / Wischermann: Journalistinnen (2013), S. 301. 291 Vgl. Gerhard: Frauenbewegung und Feminismus (2009), S. 110. 292 Vgl. Giachi, Arianna: Autoritär  – antiautoritär. Die Praxis in den Kindergärten ist meistens ein Kompromiß, in: FAZ vom 13.1.1973, BuZ, S. 6. 293 Vgl. Herzog: Die Politisierung der Lust (2005), S. 198.

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Frauenseite wieder. Sexualität und Schwangerschaft spielten dort kaum eine Rolle. Fragen der Geburtenkontrolle, Verhütung und Abtreibung wurden vor allem im Ressort „Natur und Wissenschaft“ diskutiert, die Debatte um die Reform des Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch in Leitartikeln, im Politikteil und auf der Seite „Die Gegenwart“ ausgetragen.294 Trotz der im Detail auseinandergehenden Meinungen, ob nun eine Fristen- oder eine Indikationslösung die bessere Reglung sei,295 vertrat die FAZ in dieser Debatte einen klaren Standpunkt: Sie trat für eine liberalisierende Reform des Paragraphen und eine strikte Trennung zwischen Gesetzgebung und christlicher Ethik ein, gekoppelt mit sozialpolitischen Maßnahmen.296 Auch die Kampagne „Ich habe abgetrieben“, die 1971 mit der Unterschrift von 374 teilweise prominenten Frauen im Stern begann, traf bei aller Kritik an der Methode insofern auf Wohlwollen, als dass sie als Zündfunken für eine nötige Reform und als wichtiges politisierendes Moment betrachtet wurde.297 Die FAZ-Frauenseite blieb von der Neuen Frauenbewegung freilich nicht unberührt. Seit Beginn der 1970er Jahre entwickelte sich die Seite stärker zu einem Ressort für Vermischtes mit Hauptaugenmerk auf sozialen und gesellschaftspolitischen Themen, die oft in Form von ganzseitigen Reportagen und Portraits behandelt wurden. Artikel mit klarer Zielgruppe waren schon in den 1960er Jahren seltener geworden, ab 1973 verschwanden sie nahezu 294 Auf der Frauenseite erschienen lediglich vereinzelte Glossen und ein Beitrag zu versicherungs- und sozialpolitischen Fragen. Vgl. H.R. (= Helene Rahms): Naturwunder, in: FAZ vom 25.3.1967, BuZ, S. 6; Mundzeck, Heike: Mehr Beratung und praktische Hilfe. Was Politiker zugunsten der Frauen planen, in: FAZ vom 29.9.1973, BuZ, S. 6. 295 Vgl. das Protokoll der Tageskonferenz vom 22.7.1971, in: FAZ-Archiv, Protokolle der Tageskonferenzen bis 1.10.1971. 296 Vor allem der Politikredakteur Hanno Kühnert trat in seinen Leitartikeln für eine Reform des Paragraphen ein. 1970 plädierte er für die Straffreiheit von Abtreibungen, sofern von einem Gynäkologen bewilligt. Kühnert machte auch die Frauenperspektive stark: „Bisher machten Männer die Dogmen, verursachten Männer die Nöte der Frauen mit, drängten häufig Männer zur Abtreibung – und es waren Männer, die Frauen wegen Abtreibung bestraften. Einer freiheitlichen Gesellschaft stünde es gut an, damit Schluß zu machen.“ Kühnert, Hanno: Abgebrochene Schwangerschaften, in: FAZ vom 18.4.1970, S. 1. Dass die Debatte um den Paragraphen 218 vor allem von Männern geführt wurde, wurde auch auf der Frauenseite kritisiert, vgl. –ms (= Helene Rahms): Überholt, in: FAZ vom 5.8.1972, BuZ, S. 6. Vgl. zudem Winters, Peter Jochen: Kampf dem Abtreibungselend – aber wie? Das Lebensrecht der Ungeborenen, die Not der Frauen und ein fragwürdiger Paragraph, in: FAZ vom 18.6.1971, Die Gegenwart; ders.: Paragraph 218, in: FAZ vom 5.6.1972, S. 2. 297 Vgl. Brackert, Gisela: Emanzipationskonzept. „Frauen gegen den  §218“ (=  Rezension zu Schwarzer, Alice: „Frauen gegen den  §218. 18 Protokolle, aufgezeichnet von Alice Schwarzer“. Frankfurt am Main 1971), in: FAZ vom 2.2.1972, S. 31.

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vollständig.298 Die Bestandsaufnahmen wurden kritischer, die frauenpolitischen Forderungen prägnanter, der Ton spröder.299 Welter bat Rahms 1971 deshalb, mehr Heiterkeit walten zu lassen und das Thema Emanzipation nicht überzustrapazieren.300 Die Frauenreferate in den Gewerkschaften und Ministerien seien unproduktiv, klagte Angelika Grunenberg 1970 auf der Frauenseite, Politikerinnen und Diplomatinnen machten männliche Politik.301 Zahlen und Rechte seien wichtig, aber nicht ausschlaggebend,302 das Denken entscheide. Altes Denken, eine bessere sozialstaatliche Infrastruktur und eine gerechtere Arbeitsteilung im Haushalt verhinderten nach wie vor, dass Frauen frei entscheiden könnten. „Wir brauchen ein Modell, das die Rollen von Mann und Frau nicht nur neu verteilt, sondern, statt Gegensätze und Unterschiede zu betonen, den Blick auf die Gemeinsamkeiten lenkt“303, lautete das Plädoyer. Gemeinsamkeiten statt Unterschiede hatte auch Rahms im Sinn. „Was also wäre noch zu fordern?“, fragte sie 1974 in einer „Zwischenbilanz“. Frauen hätten zwar Rechte, aber keine Gelegenheit, sie auszuschöpfen. Die weibliche Freiheit sei in der männlich strukturierten Arbeitswelt eine Scheinfreiheit, an deren Abschaffung kein Interesse bestünde. Um wirkliche Gleichberechtigung zu erzielen, müssten Fraueninteressen zu Männerinteressen werden.304 Obwohl die Neue Frauenbewegung „die Gesellschaft wahrscheinlich tiefer verändert[e] als alle anderen postrevolutionären Ansätze der letzten fünfzig Jahre“305, wie Frisé 1979 in einem Rückblick auf das erste Jahrzehnt Frauenbewegung anerkennend schrieb, blieb also nach wie vor viel zu tun.

298 Dieser Befund deckt sich mit Röttel: Frauenseiten in Tageszeitungen (1989), S. 128–129. 299 Ähnlich auch die Ergebnisse von Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S. 251; Klaus / Wischermann: Journalistinnen (2013), S. 303. 300 Vgl. den Brief von Erich Welter an Helene Rahms vom 9.11.1971, in: BArch Koblenz, N 1314/312. 301 Vgl. Grunenberg, Angelika: Eine Frau im Ministersessel ist noch kein Fortschritt. Irrwege der Emanzipation, in: FAZ vom 15.8.1970, BuZ, S. 6. 302 Auch Rahms äußerte sich mehrfach kritisch zu einer „Frauenquote“, vgl. H.R. (= Helene Rahms): Lieber eine Minderheit, in: FAZ vom 16.9.1961, BuZ, S. 6; dies.: Gruppenbild mit Dame, in: FAZ vom 9.12.1972, BuZ, S. 6. 303 Grunenberg, Angelika: Eine Frau im Ministersessel ist noch kein Fortschritt. Irrwege der Emanzipation, in: FAZ vom 15.8.1970, BuZ, S. 6. 304 Vgl. H.R. (= Helene Rahms): Zwischenbilanz, in: FAZ vom 24.8.1974, BuZ, S. 6. Vgl. auch dies.: Beharrliche Logik, in: FAZ vom 7.12.1974, BuZ, S. 6. 305 Frisé, Maria: Die bessere, die weibliche Welt. Wie sich die Neue Frauenbewegung verändert und was sie erreicht hat, in: FAZ vom 6.1.1979, BuZ, S. 1.

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*** Die geschlechtergeschichtliche Perspektive auf das Feuilleton hat gezeigt, dass sich Geschlechterordnungen und -vorstellungen in der Zeitung auf verschiedenen Ebenen manifestierten. Das gilt zum einen für das soziale Gefüge der FAZ, die wie die meisten Medienhäuser vor und nach 1945 von einer horizontalen Geschlechtersegregation geprägt war: Im Vergleich zu Politik und Wirtschaft fiel der Frauenanteil in der Feuilletonredaktion deutlich höher aus. Gleichwohl waren Journalistinnen auch dort stark unterrepräsentiert und bekleideten mit Ausnahme der Frauenseite und der Samstagsbeilage keine hohen Positionen. Ihre geringe Zahl erschwerte es ihnen, in der Zeitung eine selbstbewusste weibliche Berufsidentität zu entwickeln. Im Feuilleton, wo männerbündische Strukturen kaum ausgeprägt waren, fiel dieser Prozess immerhin etwas leichter. Diese und andere Erfahrungen fanden ihren Weg in die Zeitung: Die Frauenseite, die bis in die 1970er Jahre eine Mischung aus leichter Unterhaltung und anspruchsvoller Sozialkritik bot, war das einzige Ressort, in dem überwiegend Frauen für Frauen schrieben. Sie hob sich durch ihr soziales Profil, ihre Themen und ihre starke Unabhängigkeit vom tagesaktuellen Geschehen von allen anderen Teilen der Zeitung ab.306 „Die Frau“ schuf im „Zeitalter der Frauenemanzipation“307 eine Frauenöffentlichkeit, in der die lange als Privatsache behandelten Sorgen, Wünsche und Probleme von Frauen –  Ehefrauen, Hausfrauen, berufstätigen Frauen, verlassenen Frauen  –308 sowohl in ihrer biographisch-persönlichen als auch in ihrer strukturell-institutionellen Dimension benannt und diskutiert309 wurden. In diesem Punkt unterschied sich die Frauenseite sowohl von anderen ihrer Art als auch von den Zeitungen an sich, in deren Berichterstattung die realpolitischen Belange von Frauen eine untergeordnete Rolle spielten.310 306 Im letzten Punkt unterschied sich die FAZ-Frauenseite von anderen. Auf der Frauenseite der Welt am Sonntag etwa hatte die Nachricht, die „sachliche Information in hübscher Verpackung“ Vorrang. Knief: Die erste deutsche Sonntagszeitung (1962), S. 217. 307 Sturm, Vilma: Auch die Frauen kommen nicht zurück. Konsequente Betrachtung zur Frauenfrage, in: FAZ vom 29.9.1950, S. 7. 308 Bis in die frühen 1950er Jahre spielten die Probleme verwitweter oder verlassener Frauen auf der Frauenseite eine große Rolle. Vgl. L.  W.: Die verlassenen Frauen, in: FAZ vom 20.5.1950, Für die Frau; Flesch-Thebesius, Marlies: Die Frau nach dem zweiten Weltkrieg. Im Lichte der Statistik, in: FAZ vom 8.9.1951, Für die Frau; Huber, Hanne: Mütter allein / Ratgeber in Briefform, in: FAZ vom 16.6.1956, BuZ, S. 6. 309 Die Frauenseite hatte ihre eigenen Leserbriefspalten. 310 Vgl. Schmerl, Christiane: Die öffentliche Inszenierung der Geschlechtscharaktere – Berichterstattung über Frauen und Männer in der deutschen Presse, in: dies. (Hg.): In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien. Köln / Wien 21989, S. 7–52, hier S. 51.

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Einen markanten Schwerpunkt der FAZ-Frauenseite bildeten die Themen Recht und Sozialpolitik. Die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern, die Modernisierung des Ehe- und Familienrechts und die institutionelle Entlastung von Müttern waren vielen Journalistinnen ein Anliegen. Journalisten hingegen hielten sich aus diesen Diskursen, die in den 1950er Jahren unter dem Stichwort „Gleichberechtigung“, in den 1960er und 1970er Jahren unter dem Überbegriff „Emanzipation“ liefen,311 eher heraus. Mit ihrem Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter vor dem Gesetz führte die Frauenseite ein Anliegen der bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung fort, die sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für eine adäquate Ausbildung, die Option auf Berufstätigkeit und das Frauenwahlrecht eingesetzt hatte.312 Diese Forderungen waren schon in den Weimarer Zeitungen verhandelt worden, dort aber noch häufig auf starken Widerstand gestoßen.313 Auch in der FAZ hielt sich das „Leitbild der unterschiedlichen Geschlechtercharaktere und der […] geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung“314, das das bürgerliche Familienleben über viele Jahrzehnte geprägt hatte, in den 1950er Jahren noch recht hartnäckig. Von einem „Primat des Hausfrauen-Berufs“315 wie in der FZ konnte jedoch schon bald keine Rede mehr sein. Mitte der 1950er Jahre begann der Wertekanon aufzubrechen und die sonst beharrlich betonten Geschlechterunterschiede nivellierten sich. Die Frauenseite blieb ein Sammelpunkt für verschiedene Perspektiven und Meinungen, verabschiedete sich aber von ihrem mütterlich-häuslichen Leitbild. Das war letztlich eine folgerichtige Entwicklung, schließlich verkörperten viele Redakteurinnen, die zu Beginn der 1960er Jahre zur FAZ stießen, als berufstätige Mütter doch selbst den Typus der modernen, selbstständigen Frau. Diese Frau mit ihren sozialen, arbeitsrechtlichen und ökonomischen Chancen und Problemen stand seit den 1960er Jahren – schon vor dem Aufkommen der Neuen Frauenbewegung – im Mittelpunkt des Interesses. Dieses Interesse intensivierte und politisierte sich infolge

311 Eine Recherche im FAZ-Digitalarchiv ergab, dass der Begriff „Gleichberechtigung*“ zwischen 1950 und 1959 1577 Mal verwendet wurde, mehr als in den folgenden Jahrzehnten. Der Gebrauch des Begriffs „Emanzipation*“ nahm in den 1960er Jahren dagegen zu. Er stieg von 252 Verwendungen zwischen 1950 und 1959 auf 672 in den 1960er und 2182 in den 1970er Jahren an. 312 Vgl. Gerhard: „Fern von jedem Suffragettentum“ (2000), S. 182. 313 Vgl. Todorow: Frauen im Journalismus (1991), S. 100. 314 Bussiek: Benno Reifenberg (2011), S. 191. 315 Ebd., S. 194.

Frauen fragen. Geschlechterverhalten und -verhältnisse

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der Protestwelle in den 1970er Jahren zwar, entwickelte sich aber zu keinem Zeitpunkt zu einer radikalen feministischen Agenda. Frauen sollten gleichberechtigt in allen Bereichen mitwirken und frei entscheiden können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten sie Schulter an Schulter mit den Männern zusammenarbeiten, anstatt sie zum Feindbild zu erklären, so der Konsens. An der sozialen Zusammensetzung der FAZ änderte sich in den 1970er Jahren trotz Frauenbewegung nur wenig. Die politische Redaktion öffnete sich nur sehr zögerlich und die Wirtschaftsredaktion erhielt erst in den 1980er Jahren weiblichen Zuwachs.316 Auch in der Feuilletonredaktion, die Ende des Jahres 1973 von Joachim Fest übernommen wurde, gab es diesbezüglich keinen Umbruch, womöglich war der Frauenanteil sogar leicht rückläufig.317 Was sich aber in Teilen der Redaktion änderte, war der Ton. Dafür war vor allem ein Neuzugang verantwortlich: Marcel Reich-Ranicki. Der neue Chef des Literaturblattes sprach seine Kolleginnen mit „Liebchen“ oder „Liebste“ an und pflegte auch sonst einige rüde Umgangsformen.318 Als er Hilde Spiel 1975 zu einem Nachruf gratulierte, den sie offenbar nicht hatte übernehmen wollen, war in seinem Brief zu lesen: „Ihr Neumann-Nachruf war von allen, die ich gelesen habe, der weitaus beste. Ich freue mich, daß ich Sie zu dieser Arbeit sanft gezwungen habe. Sie gehören offenbar zu den Damen, die vergewaltigt werden wollen. Mir soll es recht sein.“319 Die Frauenseite, die seit November 1974 einmal monatlich durch die neue Seite „Musik auf Schallplatten“ ersetzt wurde, schaffte man unterdessen ab. Wie Helene Rahms, die „im Gettodasein einer solchen Seite das Gegenteil von Emanzipation witterte“320, hielt auch Fest wenig von diesem Konzept. Der neue Herausgeber wollte die dort aufgegriffenen Themen stärker über die Gesamtberichterstattung auffangen.321 Das entsprach dem Zeitgeist: 316 Vgl. Kutzner: Marktwirtschaft schreiben (2019), S. 68; Schulz, Frederic: Am Webstuhl der Zeit (Dissertation in Vorbereitung). 317 Die „Blauen Bücher“ führen unter den 35 Redakteurinnen und Redakteuren des Feuilletons im Jahr 1988 nur noch sechs Frauen (17,4 Prozent). Vgl. FAZ: Sie redigieren (1988), S. 131–132. 318 Vgl. den Brief von Marcel Reich-Ranicki an Hilde Spiel vom 16.7.1976, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/631; Frisé, Maria: Zehn von 152. Als Frau in einer Männerdomäne: Erinnerungen an sechzig Jahre Arbeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in: FAZ vom 2.11.2019, S. B19. 319 Brief von Marcel Reich-Ranicki an Hilde Spiel vom 9.1.1975, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/586. 320 Wiegand, Wilfried: Liebevolle Genauigkeit. Leidenschaftlich und unbestechlich: Zum Tode von Helene Rahms, in: FAZ vom 16.1.1999, S. 41. 321 Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg.

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Mit dem Aufkommen der Frauenbewegung war die Forderung laut geworden, die Frauenseiten aufzulösen.322 Einzelne Gegenstimmen, die nicht zu Unrecht eine Vernachlässigung ihrer Themenwelt befürchteten, konnten daran nichts ändern.323

322 Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S.  417; Kaiser, Ulrike: „Sie werden an uns vorbeigeschrieben  …“ Leserinnenkritik an Tageszeitungen, in: Schmerl, Christiane (Hg.): In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien. Köln / Wien 21989, S. 77–100, hier S. 96; Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (2005), S.  250; Molter-Klein: Die Frau und ihre Welt (1996), S. 15. Die taz dagegen führte 1981 eine Frauenseite ein, um die Frauenberichterstattung zu verstärken. Die Schwerpunkte der bis 1990 drei bis vier Mal wöchentlich erscheinenden Seite waren feministische Politik, weibliches Selbstverständnis und Frauenbewegung. Vgl. Hentschel, Birgitta: Frauenberichterstattung – Frauenseite: Anspruch und Realität in der ‚Tageszeitung‘ (TAZ), in: Schmerl, Christiane (Hg.): In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien. Köln / Wien 21989, S. 191–214, hier S. 191–192. 323 Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg.

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Ausblick und Schlussbetrachtung „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, informierte Korn am 28. November 1973 die FAZ-Feuilletonkorrespondentinnen und -korrespondenten, „am 30. November scheide ich aus der Herausgeberschaft aus. Ich bleibe als Mitarbeiter und gelegentlicher Ratgeber im Redaktionsverband, vielleicht auch als altes Stück aus den sagenhaften Gründerjahren dieser Zeitung.“ Er sei gefragt worden, heißt es in seinem Schreiben weiter, warum er die FAZ wie ein Beamter mit 65 Jahren verlasse. „Ich meine, da es nach so langer Zeit genug war. Was man im Geschäftsleben Entlastung nennt, sollte jetzt dem langjährigen Schreibtischjournalisten Korn zuteil werden. Ich bin überzeugt, daß der Wechsel allen bekommen wird, und bitte Sie, meinem Nachfolger Joachim Fest Ihr Vertrauen zu geben und Ihr Können zur Verfügung zu stellen. […] Ich werde jetzt einer der Ihren. Darauf freue ich mich.“1 Zum 1. Dezember trat also Fest in die Fußstapfen Korns, der nach einem Vierteljahrhundert bei der FAZ in den ersehnten Ruhestand trat, nachdem er in den Jahren zuvor krankheitsbedingt schon nicht mehr konstant anwesend gewesen war.2 Fest, der die Herausgeberrunde um Erich Welter, Jürgen Eick, Nikolas Benckiser, Bruno Dechamps und den 1971 für Jürgen Tern berufenen Fritz Ullrich Fack ergänzte, brachte den ehemaligen Zeit-Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki mit nach Frankfurt, der nun anstelle des nach London verschobenen Karl Heinz Bohrer das Literaturblatt übernahm. Aber auch sonst gab es einige Neuerungen. Die Literatur- und Filmkritik hatte 1970 Zuwachs durch Ulrich Greiner erhalten, „Natur und Wissenschaft“ war 1971 um Hans Zettler und das Reiseblatt 1973 um Hans Scherer erweitert worden. 1972 hatte Jürgen Busche dem Feuilleton ein kurzes Gastspiel gegeben, im darauffolgenden Jahr war Michael Schwarze hinzugekommen, Rolf Michaelis zur Zeit gewechselt. Seinen Berliner Posten bekleidete nun Sibylle Wirsing, Tochter des Journalisten Giselher Wirsing. Zum  1. September  1974 ersetzte der Theaterkritiker Günther Rühle den zum ständigen Berater der Herausgeberkonferenz und Chefkorrespondenten ernannten Robert Held 1 Brief von Karl Korn an die Korrespondentinnen und Korrespondenten des FAZ-Feuilletons vom 28.11.1973, in: RLA Düsseldorf, NL Hans Schwab-Felisch. 2 Vgl. den Brief von Günther Rühle an Hilde Spiel vom 27.8.1971, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/443.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657795338_009

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als Feuilletonleiter. Die Feuilletonredaktion wuchs und veränderte sich: Helene Rahms und Friedrich  A.  Wagner, die letzten Angehörigen der FAZGründungsgeneration, schieden Ende der 1970er Jahre altersbedingt aus der Feuilletonredaktion aus. 8.1

Kehrtwende? Das Feuilleton unter Joachim Fest (1973–93)

Trotz Korns Appell, Milde gegenüber dem neuen Mann an der Spitze des Feuilletons walten zu lassen, gestaltete sich der Herausgeberwechsel schwierig. Schon bevor Korn von Fest abgelöst wurde, waren in der Redaktion Zweifel angemeldet worden, ob man in der Geschäftsführung und im Herausgebergremium mit dem „Panorama“-Moderator und Abteilungsleiter für Zeitgeschehen im Norddeutschen Rundfunk die richtige Entscheidung getroffen hatte.3 Das lag nicht nur daran, dass Korns Stelle ebenso hätte intern besetzt werden können, oder dass Fest in Teilen der Feuilletonredaktion als konservativ galt.4 Grund dafür war vor allem eine personalpolitische Weichenstellung, die Fest im Vorfeld an seine Anstellung geknüpft hatte, ohne dass dies rechtzeitig bekannt gemacht oder zur Diskussion gestellt worden wäre. Anders als es die Herausgeber angekündigt hatten,5 musste Bohrer seine Stellung als Leiter des Literaturblattes aufgeben, weil Fest Reich-Ranicki6 auf diesem Posten sehen wollte. Korn hatte in den Herausgebersitzungen im März 1973 zwar Vorbehalte gegenüber voreiligen Umstrukturierungen angemeldet und versucht, die bisherige Aufstellung seiner Redaktion zu verteidigen, setzte sich so kurz vor seiner Pensionierung aber auch nicht mehr entschieden zur Wehr.7 Bohrer, der zu dieser Zeit im Urlaub war, wurde schließlich nur noch vor vollendete Tatsachen gestellt und im Feuilleton, wo die Tern-Affäre noch 3 Vgl. den Brief o. A. an Erich Welter vom 13.6.1973, in: BArch Koblenz, N 1314/511. Vermutlich stammt der Brief von Welters Sekretärin Franziska Eisenbarth. 4 Vgl. das Protokoll von Erich Welter zum „Gespräch mit Herrn Dr. S. am 16. Januar 1973 in Berlin“, in: FAZ-Archiv, Welter Korrespondenz mit Prof. Schneider –  privat  – 1970–77; Hachmeister: Nervöse Zone (2007), S. 193. 5 Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an die FAZ-Herausgeber vom 8.5.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/514. 6 Zur Person Marcel Reich-Ranicki vgl. u.  a. Anz, Thomas: Marcel Reich-Ranicki. München 2004, Hage, Volker / Schreiber, Mathias: Marcel Reich-Ranicki. Köln 2018, Wittstock, Uwe: Marcel Reich-Ranicki. Die Biographie. München 2015 sowie die Autobiographie ReichRanicki, Marcel: Mein Leben. Stuttgart 1999. 7 Vgl. das Protokoll der außerordentlichen Herausgebersitzung am 6.3.1973, in: FAZ-Archiv, H 1.4.1971–31.3.1973; Protokolle über die Herausgebersitzungen vom 21.3.1973 und 30.3.1973, in: ebd.

Ausblick und Schlussbetrachtung

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nachwirkte, brodelte es erneut.8 Michaelis, der die FAZ einige Wochen später verließ, um das Literaturblatt der Zeit zu übernehmen,9 machte seinem Ärger im Mai 1973 Luft. In einem Brief an die Herausgeber kritisierte er ihr Verhalten als unterwürfig und die Informationspolitik des Hauses als weiterhin unkollegial.10 Stellvertretend für viele Redaktionsmitglieder –  nicht nur aus dem Feuilleton –,11 verwies er außerdem auf den Bruch mit der Redaktionsvereinbarung, die bei wichtigen Personalentscheidungen die Konsultation der Vertrauensleute vorsah. „Die Spannungen sind dadurch bis zu einem solchen Grad eskaliert, daß vertrauensvolle und erfolgreiche Arbeit […] kaum noch gewährleistet scheint“12, so sein Schreiben vom 8. Mai. „Fest,“ schrieb auch Maria Frisé wenige Tage später an die Wiener Korrespondentin Hilde Spiel, „ich kann mir nicht vorstellen, wie wir nach diesem Start mit ihm auskommen sollen.“13 Auch im Umfeld der Redaktion rief Bohrers unfeine Versetzung – er ging 1974 für die FAZ nach London  – Kritik hervor. Mehrere Intellektuelle hoben in Briefen an die Herausgeber die Bedeutung des Literaturblattes hervor und protestierten gegen seine Absetzung.14 Jürgen Habermas etwa bekräftigte im Mai, Bohrer habe „das Literaturblatt zu einem Forum gemacht, auf dem die Ausschläge literarischer und allgemeinerer intellektueller Entwicklungen registriert, oft erst sichtbar gemacht worden sind.“15 Dass Fest auf Reich-Ranicki bestand, hing nicht nur mit ihrer Freundschaft, sondern auch mit der bisherigen Gestalt des Literaturblattes zusammen. Wie Bohrer Spiel berichtete, war Fest der Meinung, die Behandlung literarischer Fragen sei in der FAZ in der seit Sieburg bekannten Form „zu literarischesoterisch, zu ästhetisch, zu intellektuell“16. Reich-Ranicki dagegen, eine

8 9 10 11 12 13 14 15 16

Vgl. den Brief von Karl Heinz Bohrer an Hilde Spiel vom 17.5.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/520. Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 3.7.1973, in: FAZ-Archiv, Redaktions­ konferenzen 4.1.1972–19.12.1974. Vgl. den Brief von Rolf Michaelis an die FAZ-Herausgeber vom 8.5.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/514. Vgl. das Protokoll der Dienstagskonferenz vom 22.5.1973, in: FAZ-Archiv, Redaktions­ konferenzen 4.1.1972–19.12.1974. Brief von Rolf Michaelis an die FAZ-Herausgeber vom 8.5.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/514. Brief von Maria Frisé an Hilde Spiel vom 16.5.1973, in: ebd., 15/B 2140 a/519. Ähnlich auch der Brief von Hilde Spiel an Karl Heinz Bohrer vom 29.5.1973, in: ebd., 15/B 2140a/522. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 263–264. Brief von Jürgen Habermas an die FAZ-Herausgeber vom 14.5.1973, in: UBA Ffm, Na 60, 19. Brief von Karl Heinz Bohrer an Hilde Spiel vom 17.5.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/520.

400

Kapitel 8

Gallionsfigur für die „Publikumswende der Literaturkritik“17 seit den 1960er Jahren, betrachtete die Literaturkritik als gesellschaftliche Aufgabe.18 Seine Rezensionen waren verständlich und klar, oft aber auch polemisch und rabiat.19 Ersteres erwartete er auch von seinen Kritikerinnen und Kritikern. „Möchten Sie gelegentlich etwas für die FAZ schreiben? Sind Sie bereit […], leicht und temperamentvoll und so ungermanistisch wie möglich zu schreiben?“20, fragte er im November 1973 bei dem Literaturwissenschaftler Gerhard Schulz an. Reich-Ranicki, der sich auch für die Literaturberichterstattung im Tagesfeuilleton zuständig fühlte,21 scheute keine Themen. „Wir meinen: nichts Menschliches darf die Literatur aussparen“22, schrieb er 1978 an den Theologen Ernst Kleßmann über seinen Literaturbegriff. Der neue Literaturchef hatte andere Vorbilder als sein Vorgänger, der von Robert Musil, James Joyce und Walter Benjamin geprägt war. Sein Maßstab waren die großen Klassiker von Goethe, Schiller und Fontane bis Thomas Mann.23 Er hob die Exil- und die DDR-Literatur verstärkt ins Blatt,24 förderte und popularisierte mit der Rubrik „Frankfurter Anthologie“ die deutschsprachige Lyrik,25 besaß darüber hinaus aber kein festes ästhetisches Programm.26 Wie immer, wenn sich an der Spitze eines Ressorts Umbrüche ereigneten, verschwanden auch mit Reich-Ranicki alte Federn, Urteile und Interpretationen, neue kamen hinzu.27 Bei Autorinnen und Autoren, die schon für Korn, Sieburg, Michaelis oder Bohrer gearbeitet hatten, sorgte der dominante Reich-Ranicki mitunter für Irritation. So schreckte 17 18 19 20 21 22 23

24 25 26 27

Braun: Die deutsche Gegenwartsliteratur (2010), S. 58. Vgl. Lorenz: Die Öffentlichkeit der Literatur (1998), S. 59. Vgl. Braun: Die deutsche Gegenwartsliteratur (2010), S. 58. Brief von Marcel Reich-Ranicki an Gerhard Schulz vom 7.11.1973, in: FAZ-Literaturarchiv,  G. Schulz, Schwab-Felisch. Vgl. ebd. und das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg. Brief von Marcel Reich-Ranicki an Ernst Kleßmann vom 20.2.1978, in: FAZ-Literaturarchiv, Klessmann, Koeppen, Krolow, H. Krüger, Krolow, Kunert. Vgl. Bohrer, Karl Heinz: Unser Erzieher. Marcel Reich-Ranicki als zivilisatorischer Faktor: in der Literatur und mehr noch in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, in: FAZ vom 2.6.2020, S. 11; Kaube, Jürgen: Die Ungeheuerlichkeit des täglichen Erlebens. Frankfurt als geistige Lebensform, die Lust am Frivolen und die Revolte von 1968 sowie das Ungenügen am Leben als Déjà-vu: Der Literaturwissenschaftler im Gespräch mit Jürgen Kaube, in: FAZ vom 8.3.2017, S. 11. Vgl. Platthaus, Andreas: Wunschlos kritisch. Marcel Reich-Ranicki als Literaturchef, in: FAZ vom 2.6.2020, S. 11. Vgl. den Brief von Marcel Reich-Ranicki an Benno von Wiese vom 23.4.1974, in: FAZ-Literaturarchiv, H.D. Zimmermann, Wapnewski, E. Welter, B. v. Wiese, Wuthenow, Helm. Winter. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 272. Vgl. den Brief von Jürgen Eggebrecht an Karl Korn vom 8.3.1977, in: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, JE B 126; Flitner: Frauen in der Literaturkritik (1995), S. 72.

Ausblick und Schlussbetrachtung

401

er nicht davor zurück, Manuskripte ohne Rücksprache zu verändern, um seine Vorstellung von guter, meinungsbetonter Literaturkritik durchzusetzen.28 Auch der Umgangston änderte sich. Anders als der ausgesprochen höfliche Sieburg setzte Reich-Ranicki,29 der auch in der Redaktion nicht unbedingt für eine auf Kooperation und Konsensfindung zielende Zusammenarbeit bekannt war,30 in seiner Korrespondenz auf feste Termine und explizite Instruktionen, die er in direktem, mitunter harschem Ton vortrug.31 Nicht nur die Literaturkritik, die Reich-Ranicki in den 1970er und 1980er Jahren „zu einer weithin beachteten Institution in der Bundesrepublik machte“32, änderte sich mit Fest. Die seit 1972, also schon vor dem Herausgeberwechsel vorbereitete (zweite) Blattreform trat zum 1. März 1974 in Kraft und verbesserte die Stellung des Feuilletons abermals, das nun neben dem Politikund Wirtschaftsteil zum dritten Buch der FAZ – zu einem echten „Kulturteil“ – wurde. Damit ging wenige Monate nach Korns Abschied in Erfüllung, worauf er seit 1949 hingearbeitet hatte. Das Feuilleton war mit seinen drei bis vier Seiten täglich nun deutlich umfangreicher, auch im Vergleich zu anderen Blättern,33 sodass die Inhalte stärker strukturiert und das Ressort insgesamt leserfreundlicher gestaltet werden konnte. In der Rubrik „Tagebuch“ erschienen seit der Blattreform Kurzrezensionen aus Film und Fernsehen und die Kulturnachrichten wanderten gebündelt auf die dritte Seite.34 Die letzte Seite, wo auch ein Wetterbericht zu finden war, blieb täglich dem aktuellen Fernsehprogramm vorbehalten.35 Ende des Jahres 1974 wurde eine eigene Seite für Schallplattenkritik eingeführt, drei Jahre später das Ressort „Kunstmarkt“. Die lange als „Massenkultur“ verpönte und anschließend nur randständig behandelte Populärkultur, die sogenannte „Trivialkunst“ und die populären Medien wurden seit den 1970er Jahren regelmäßiger berücksichtigt.36 Soziales, Kurzgeschichten und Reportagen traten dafür in den Hintergrund.37 Fest machte 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. den Brief von Heinrich Böll an Karl Korn vom 1.6.1981, in: HBA, Bestand Korres. 14, Bl. 106–108. Vgl. dazu auch Sturm: Barfuß auf Asphalt (1981), S. 237. Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg. Vgl. Platthaus, Andreas: Wunschlos kritisch. Marcel Reich-Ranicki als Literaturchef, in: FAZ vom 2.6.2020, S. 11. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 353. Vgl. Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 40. Vgl. o. A.: Neu an diesem Blatt, in: FAZ vom 1.3.1974, S. 1; F.A.Z.: Ein neues Feuilleton, in: ebd., S. 23. Vgl. die FAZ vom 1.3.1974, S. 30. Vgl. den Brief von Günther Rühle an die FAZ-Feuilletonredaktion vom 6.9.1979, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/694. Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 29.3.2019 in Bad Homburg.

402

Kapitel 8

aus dem intellektuellen, häufig akademischen Feuilleton Korns ein nicht minder ambitioniertes, aber servicebetonteres Feuilleton, das sich auch international für ein breiteres Publikum öffnen sollte.38 Vieles, was er systematisch in Angriff nahm, war zuvor zwar schon thematisiert oder anberaumt worden. Ausstellungskritiken etwa erschienen seit Beginn der 1970er Jahre mit den entsprechenden Öffnungszeiten.39 Der Ausbau der Fernsehkritik und die Anreicherung der Zeitung mit Elementen für die (intelligente) Unterhaltung galten schon vorher als unerlässlich.40 Doch Fest war es letztlich, der den von Korn mit wenig Überzeugung angebahnten Wandel vom analytischen zum „kulinarischen“ Feuilleton programmatisch anging und beschleunigte.41 Nach dem holprigen Start gewöhnten sich die meisten Redakteurinnen und Redakteure an die neue Situation.42 Während sich Frisé mit dem Abschied weiterhin schwertat,43 empfand Beaucamp die Zeit unter Fest sogar als die beste.44 Ähnlich wie bei Korn, der seiner Redaktion große Freiräume eingeräumt hatte,45 gestaltete sich die Arbeit auch unter dem neuen Herausgeber weitgehend frei. Anders als sein Vorgänger bestand der häufig abwesende Fest allerdings auf mehr Struktur.46 Die Redaktion hielt nun eine feste Mittagskonferenz ab,47 wurde stärker hierarchisiert (Reich-Ranicki war Fest ab 1977 direkt unterstellt, um Konflikte mit dem Feuilletonleiter Rühle zu vermeiden, 38

39 40 41 42 43 44 45 46 47

Vgl. das Protokoll einer Aussprache, die zwischen der Feuilletonredaktion der FAZ und Herrn Joachim C. Fest am 30. Mai 1973 vom Vormittag bis zum späten Nachmittag stattfand, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen 4.1.1972–19.12.1974; Brief von Günther Rühle an die FAZ-Feuilletonredaktion vom 26.4.1974, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140/564; Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 264. Vgl. den Brief von Anneliese Ruppel an Hilde Spiel vom 2.2.1971, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140a/419. Vgl. das Protokoll über die Herausgebersitzung vom 24.1.1973, in: FAZ-Archiv, H 1.4.1971– 31.3.1973; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 7.2.1973, in: ebd.; Protokoll über die Herausgebersitzung vom 3.10.1973, in: ebd., H 1.4.1973–31.3.1975. Vgl. das Protokoll einer Aussprache, die zwischen der Feuilletonredaktion der FAZ und Herrn Joachim C. Fest am 30. Mai 1973 vom Vormittag bis zum späten Nachmittag stattfand, in: ebd., Redaktionskonferenzen 4.1.1972–19.12.1974. Vgl. den Brief von Erich Welter an Ernst Schneider vom 6.12.1973, in: ebd., Welter Korrespondenz mit Prof. Schneider – privat – 1970–77. Vgl. Frisé: Meine schlesische Familie und ich (2004), S. 312. Auch Rühle haderte mit Fest, der aus Korns linksliberalem ein konservatives Feuilleton gemacht habe. Vgl. die E-Mail von Günther Rühle an die Verfasserin vom 25.6.2017. Vgl. das Gespräch mit Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Frankfurt. Vgl. den Brief von Günther Rühle an die FAZ-Feuilletonredaktion vom 29.10.1973, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140 a/542. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 270. Vgl. den Brief von Günther Rühle an die FAZ-Feuilletonredaktion vom 20.2.1974, in: LIT, NL Hilde Spiel, 15/B 2140/557.

Ausblick und Schlussbetrachtung

403

und tauchte seit August  1979 als Literaturchef im Impressum auf)48 und professionalisierte sich. Gab es Unstimmigkeiten zwischen den Herausgebern, so ließ der autoritärer und distanzierter auftretende Fest davon nichts durchsickern.49 Auseinandersetzungen mit der Wirtschafts- oder Politikredaktion, die nach wie vor von Zeit zu Zeit aufkamen,50 löste der ruhige, aber durchsetzungsfähige Herausgeber selbstsicher im Sinne seines Ressorts, dessen Anliegen er zu verteidigen wusste.51 Der schriftliche Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das zeigen auch die Briefe Reich-Ranickis, beschränkte sich nun meist auf Fachliches.52 Unter der Ägide des Historikers erhielten auch die Geistes- und vor allem die Geschichtswissenschaften einen prominenten Platz in der FAZ. Seit 1985 hatte das Feuilleton mit der Seite „Geisteswissenschaften“ dafür ein eigenes Forum, das von Henning Ritter verantwortet wurde und wöchentlich über die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse aus der Forschung informierte. Philosophie und Geschichte, die traditionellen Geisteswissenschaften, stießen Soziologie, Politologie und Psychoanalyse vom Thron.53 Fest und die etappenweise neu aufgestellte Feuilletonredaktion machten das Ressort in den 1980er Jahren zudem zum Schauplatz einiger großer (historischer) Debatten, darunter etwa die „Fassbinder-Kontroverse“54 und an prominenter Stelle der Historikerstreit 1986/87.55 Sie zeigten, mit welchem Selbstvertrauen die Zeitung nun auch in geschichtspolitischen Fragen ausgestattet war.56 Letzterer war eine 48 49

50 51 52 53 54 55

56

Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 267; FAZ vom 1.8.1979, S. 4. Vgl. das Gespräch mit Maria Frisé am 24.6.2017 in Bad Homburg. Von Journalisten der „alten Garde“ wie Schwab-Felisch wurde diese Distanz mitunter als Kälte interpretiert. Vgl. den Brief von Hans Schwab-Felisch an Karl Korn vom 1.12.1988, in: RLA Düsseldorf, NL Hans Schwab-Felisch. Vgl. etwa zum „Fall Filbinger“ Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 274–280. Vgl. die Gespräche mit Maria Frisé und Eduard Beaucamp am 29.3.2019 in Bad Homburg und Frankfurt. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 266. Vgl. Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 39–40. Vgl. dazu Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 317–320. Andere Debatten wie die „Filbinger-Kontroverse“ 1978 fanden zwar mit Beteiligung Fests statt, wurden aber im Politikteil ausgetragen. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 274–280, v. a. S. 278–279. Für einen Überblick über zeitgeschichtliche Debatten in den Printmedien seit den 1960er Jahren vgl. Ullrich, Volker: Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Zur Präsentation von Geschichte in den Printmedien, in: Horn, Sabine / Sauer, Michael (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen. Göttingen 2009, S. 177–185. Vgl. Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 264, 343; Jessen, Jens: Das Feuilleton: Fortschreitende Politisierung, in: Haller, Michael (Hg.): Die Kultur der Medien. Untersuchungen zum Rollen- und Funktionswandel des Kulturjournalismus in der Mediengesellschaft

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weniger fachwissenschaftlich als öffentlich geführte Debatte über den Stellenwert des Holocausts in der deutschen Erinnerungskultur, an der neben Vertretern der historischen Zunft Journalisten und Publizisten unterschiedlicher Profession und politischer Couleur beteiligt waren.57 Ausgelöst wurde sie durch Ernst Noltes Gastbeitrag „Vergangenheit, die nicht vergehen will“58 im FAZ-Feuilleton vom 6. Juni 1986, in dem der Philosoph und Historiker einen kausalen Zusammenhang zwischen Bolschewismus und stalinistischem Terror auf der einen und Nationalsozialismus und Holocaust auf der anderen Seite herzustellen versuchte.59 Nolte rührte damit an der heiklen Frage nach der Singularität und Vergleichbarkeit des Holocausts.60 Zusammen mit  einigen anderen Historikern, darunter auch der für die FAZ tätige Michael Stürmer, zog er in der Folge den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus auf sich. Habermas, der bis in die 1960er Jahre ein gutes Verhältnis zur FAZ-Feuilletonredaktion unterhalten hatte, beschuldigte ihn in der Zeit vom 11. Juli,61 die NS-Verbrechen zu relativieren,62 und beschwor damit über mehrere Monate hinweg eine Debatte herauf, die die Intellektuellen spaltete. Die FAZ erwies sich in ihr als konservativeres Podium, während Zeit, Spiegel und FR linksliberalere Positionen vertraten.63 Fest, der das Feuilleton bis in die frühen 1990er Jahre personell und thematisch stark ausweitete, gab dem Ressort also eine eigene Prägung. Er machte es nicht nur zu einem wichtigen Mitstreiter um die historische Deutungsmacht und treibenden Faktor für die Medialisierung und Popularisierung der

57

58 59 60 61 62 63

(=  Medien. Forschung und Wissenschaft, Bd.  1). Münster  / Hamburg  / London 2002, S. 29–40, hier S. 30. Zu den politischen und kulturellen Voraussetzungen, zum Verlauf und Ergebnis der Debatte vgl. übersichtlich und kompakt Grosse Kracht, Klaus: Debatte: Der Historikerstreit, Version  1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte vom 11.1.2010. Online unter: https:// docupedia.de/zg/Historikerstreit (16.3.2022). Vgl. darüber hinaus aus jüngerer Zeit u. a. Dworok, Gerrit: „Historikerstreit“ und Nationswerdung. Ursprünge und Deutung eines bundesrepublikanischen Konflikts. Köln / Weimar / Wien 2015; Kailitz, Steffen (Hg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Der „Historikerstreit“ und die deutsche Geschichtspolitik. Wiesbaden 2008; Kronenberg, Volker (Hg.): Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik. Der „Historikerstreit“ – 20 Jahre danach. Wiesbaden 2008. Nolte, Ernst: Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte, in: FAZ vom 6.6.1986, S. 25. Vgl. Grosse Kracht: Debatte (2010). Vgl. Ullrich: Zeitgeschichte als Streitgeschichte (2009), S. 181. Vgl. Habermas, Jürgen: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, in: Die Zeit vom 11.7.1986, S. 40. Vgl. Grosse Kracht: Debatte (2010); Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 323. Vgl. Grosse Kracht: Debatte (2010); Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 324, 335.

Ausblick und Schlussbetrachtung

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Geschichtswissenschaft, sondern verschaffte ihm zudem neue Selbstsicherheit, mit der das Feuilleton fortan auch in (vergangenheits-)politischen Fragen auftrat.64 Damit erweiterte Fest das von Korn gegossene Fundament nachhaltig. Sein Nachfolger Frank Schirrmacher baute darauf wiederum auf und schuf ein abermals expandierendes, experimentelles und nun alle bekannten Grenzen hinter sich lassendes Feuilleton, das sich vor allem in den Themenfeldern Naturwissenschaft, Digitalisierung und Demographie zu einem einflussreichen Agenda-Setter entwickeln sollte.65 8.2

Fazit

„Ich wage die These: die Entität des Feuilletons garantiert uns die Essenz von Kultur; ohne das feuilletonistische Dasein würden die kulturellen Einrichtungen, die kulturpolitischen Bemühungen, würde das Wesen von Kultur […] austrocknen“66, schrieb Hermann Glaser 1974 in einem Essay für die Zeit. Auch diese Studie über die FAZ hat gezeigt, dass das Zeitungsfeuilleton in der Nachkriegsöffentlichkeit eine wichtige Rolle spielte. Auf der Suche nach kultureller nationaler Identität besaß die in seinen Spalten formulierte Kritik einen beachtlichen Resonanzraum. Ihr haftete nach dem Ende der NS-Herrschaft eine Aura der Liberalität an, die das Feuilleton zu einem geeigneten Ort machte, um den ständigen öffentlichen Widerstreit über kulturelle, kulturpolitische, gesellschaftliche und soziale Fragen wieder aufzunehmen. Aus der Sparte für Vermischtes, die sich im 19. Jahrhundert in der Presselandschaft etabliert hatte, war eine kritische Instanz von gesellschaftlicher Bedeutung geworden, die die Herausbildung eines demokratisch-pluralistischen Selbstverständnisses maßgeblich förderte. Kritik ist schließlich streitbar, verlangt Argumente, um nicht den Vorwurf der Willkür auf sich zu ziehen, fordert zur Gegenrede auf.67 Mit der Modernisierung, Ausdifferenzierung und Professionalisierung des Journalismus hatte sich das Feuilleton im 20. Jahrhundert zu einem Ressort entwickelt, das weit mehr als Unterhaltungs- und Kontrastprogramm bot.

64 65 66 67

Vgl. Busche: Unsere Zeitung (1996), S. 44; Hachmeister: Nervöse Zone (2007), S. 191. Vgl. Hachmeister: Nervöse Zone (2007), S.  195; Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 344–345. Glaser, Hermann: Die Kultur-Boutique der Presse. Das Feuilleton  – ein Ding mit Zukunft?, in: Die Zeit vom 16.8.1974, S. 13. Vgl. Boll: Kulturradio (2007), S. 143–144; Daldrup: „Vergangenheitsbewältigung“ (2010), S. 243–244.

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Kapitel 8

Was es bot, variierte allerdings von Blatt zu Blatt. Im FAZ-Feuilleton herrschte ein ausgewählter Kulturbegriff vor, der filterte, was als beachtenswert galt und was nicht. Vor allem das Tagesfeuilleton mit seinem breiten Referatsund Rezensionsangebot war einem bildungsbürgerlichen, anspruchsvollen Kulturprogramm verpflichtet.68 Dass die Qualität mit der „Masse“ sinkt, wurde weithin angenommen, also konzentrierte man sich auf die schönen Künste („Hochkultur“) und ließ die Kunst-, Musik-, Literatur- und Theaterkritiken oft sehr fachlich ausfallen. Gegenüber der Alltags- und Populärkultur öffnete sich das Feuilleton nur sehr zögerlich, mutmaßlich zögerlicher als andere Printmedien, wenngleich diese These durch weitere Forschungsarbeiten zur Mediengeschichte noch eingehender überprüft werden sollte. Bevor Popmusik und Comics seit den 1970er Jahren flächendeckender behandelt wurden, waren sie nur selten Thema und wurden vor allem in den 1950er Jahren häufig unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet. Der bürgerliche Kulturbegriff war bereits aufgeweicht, als das FAZ-Feuilleton auf diesen Pluralisierungsprozess reagierte.69 Der Anspruch war, den Anspruch hochzuhalten: Es ging nicht darum, möglichst vielen Menschen einen niedrigschwelligen Zugang zur Kultur anzubieten, sondern um ernsthafte, tiefgehende Analysen für eine Gruppe von „Eingeweihten“,70 eine exklusive Teilöffentlichkeit mit hohem Bildungsgrad. Das Feuilleton der FAZ war, das unterstrich auch seine komplexe Sprache, ein intellektuelles Feuilleton, das im Unterschied etwa zur Zeit wenig service- und publikumsorientiert war. Der entschleunigte und recht unbürokratische Journalismus des vordigitalen Zeitalters, der von intensiver Lektüre, fachlicher Vertiefung und gedanklicher Präzision lebte, erlaubte ein hohes Maß an Intellektualität.71 Doch schon das junge Feuilleton wollte mehr als ein Kulturfahrplan sein. Bei aller inneren Heterogenität und Veränderung vertrat es einige charakteristische Positionen, die es der Nachkriegsöffentlichkeit zu vermitteln galt. An erster Stelle stand das Gebot der geistigen und künstlerischen Freiheit. Die Unabhängigkeit des schöpferischen Geistes sollte unter allen Umständen gewahrt werden. Um sich entfalten zu können, so der Konsens im FAZ-Feuilleton, hatte dieser Geist frei zu sein von kommerziellen Interessen, Ideologien, staatlicher Kontrolle 68 69

70 71

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 272. Vgl. Maase, Kaspar: „Gemeinkultur“. Zur Durchsetzung nachbürgerlicher Kulturverhältnisse in Westdeutschland 1945 bis 1970, in: Bollenbeck, Georg / Kaiser, Gerhard (Hg.): Die janusköpfigen 50er Jahre. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik III. Wiesbaden 2000, S. 170–189, hier S. 171–172; Schildt: Zur so genannten Amerikanisierung (2007), S. 39. Vgl. Reus: Ressort (1995), S. 15. Vgl. Spies, Werner: Mein Glück. Erinnerungen. München 2012, S. 456, 483.

Ausblick und Schlussbetrachtung

407

und Moden. Literatur und Musik, Theater, Kunst und Film durften zeitkritisch und engagiert sein, aber kein Mittel zum Zweck. Das Ressort predigte kein l’art pour l’art, betonte jedoch den unersetzlichen Wert von Kultur, in der man gerade nach der NS-Herrschaft eine – auch symbolische – Grundlage für das Gelingen des demokratischen Neuanfangs sah. Das betraf vor allem die Werke und Institutionen der klassischen Moderne und deren Neu-Interpretationen seit 1945, die das Feuilleton ungemein förderte. Versuche, diese Unabhängigkeit zu stören, wie das am offenkundigsten in der DDR geschah, wurden klar benannt und zurückgewiesen. Freiheit beanspruchte das Feuilleton auch für sich: Freiheit der Kultur, Freiheit der Kritik. Statt die eigene Arbeit an betriebswirtschaftlichen Belangen auszurichten oder wie traditionell zu unterhalten, sollte die geistige und künstlerische Arbeit, zu der auch die journalistische gerechnet wurde, geschützt und gefördert werden. Als Teil eines Leitmediums wollte man ihr zu neuer Autorität verhelfen und dahingehend meinungsbildend wirken.72 Die westdeutsche Öffentlichkeit sollte für ihre Bedeutung, auch gegenüber politischen und wirtschaftlichen Interessen, sensibilisiert und unter neuen Vorzeichen mitgeformt werden, indem man sie etwa noch vor den Universitäten und Museen (wieder) mit moderner Kunst konfrontierte. Mitunter klang darin ein didaktischer Gedanke, ein selbst auferlegter Bildungs- und  Erziehungsauftrag durch, der nach dem Ende der Besatzungszeit eine Reeducation von innen heraus implizierte. Auch aus diesem Grund machte sich das FAZFeuilleton zum Entdecker und Sprachrohr der nachrückenden Generationen und begegnete neuen künstlerischen Erscheinungsformen und intellektuellen Denkansätzen in der Regel mit Offenheit und Neugier. Das Feuilleton war auch ein Ort der Zeitkritik, folgte also einem engen Kultur-, aber einem weiten Feuilletonbegriff und verhandelte folglich auch Themen wie das „Wirtschaftswunder“, die Westbindung, Natur und Umwelt, Bildung und Geschlechterfragen unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten. Hatte es sich durch die Unterstützung der künstlerischen Avantgarde und sein frühes, vergleichsweise intensives Engagement für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Bestand der jungen Demokratie den Ruf der Fortschrittlichkeit erworben, gab es sich mit Blick auf die beobachtbaren Modernisierungs-, Liberalisierungs- und Verwestlichungsprozesse betont kulturkritisch und modernitätsskeptisch. In Glossen, Essays und Kommentaren warnten die Journalistinnen und Journalisten vor kultureller Verwahrlosung und „Vermassung“ etwa durch US-amerikanische Einflüsse. Zeittypische Krisenszenarien, ein elitärer Kulturbegriff und diffuse Ängste vor 72

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 360.

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der Macht der neuen Massenmedien mischten sich also mit einer auffälligen Offenheit für neue künstlerische und geistige Entwürfe, gesellschaftlichem Engagement und einer Vorliebe für Provokatives.73 In diesem Ringen um die Moderne zeigten sich starke Parallelen zur bürgerlichen Presse und Publizistik Weimars. Dass wertkonservative und progressive Gedanken, nationale und transnationale Perspektiven, moralische und analytische Argumente im Feuilleton so dicht beieinander lagen, machte es vor allem in der Umbruchszeit zwischen den mittleren 1950er und frühen 1960er Jahren sehr anschlussfähig. In einer Zeit, „in der sich festgefügte Traditionen und neue Impulse, Rückwendung und Aufbruch in überaus komplexer Weise“74 vermischten, vermochte es die FAZ auf diese Weise, auch in der Beständigkeit Modernität zu vermitteln. Gerade durch seine Ambivalenzen erfüllte das Ressort also eine wichtige Brückenund Integrationsfunktion. Die Zeit hingegen war in der ersten Hälfte der 1950er Jahre weniger akademisch und intellektuell geprägt. Sie war ein konservativeres Blatt, bis sie nach der Entlassung des Chefredakteurs Richard Tüngel einen anderen Kurs einschlug und spätestens in den 1960er Jahren links an der FAZ vorbeizog. Die kurzlebige Neue Zeitung war zwar eine ähnlich vehemente Fürsprecherin der Avantgarde, als amerikanische Lizenzzeitung aber dezidiert westlich-liberal eingestellt. Die Welt war insgesamt populärer ausgerichtet. Als die pessimistische Kulturkritik ab den späten 1950er Jahren zunehmend als unzeitgemäß empfunden wurde, ging auch das Feuilleton der FAZ zur sachlicheren Gesellschaftsanalyse über, gab seine Vorbehalte gegenüber den USA schrittweise auf und öffnete sich dem linksliberalen Zeitgeist, ohne dabei allerdings seine Grundüberzeugungen aufzugeben. Im Unterschied zu anderen Hör- und Printmedien vergleichbaren Inhalts tat sich das Feuilleton durch seine überregionale Strahlkraft und Langlebigkeit hervor. Demgegenüber hatten die meisten der nach 1945 zuhauf gegründeten literarischen und kulturpolitischen Zeitschriften ihre Blütezeit ein Jahrzehnt später hinter sich.75 Die intellektuellen Nachtprogramme im Rundfunk hatten zwar eine ähnliche Zielgruppe, erreichten aber kein derart breites Publikum.76 Das Radio- mündete in den 1960er Jahren im Fernsehzeitalter, das bis heute kein Pendant zum Feuilleton hat. Von anderen großen Zeitungen 73 74 75 76

Vgl. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S.  105, 240; ders.: Opportunismus, Kritik und Selbstbehauptung (2011), S.  156; Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S.  316; Wintgens: Treibhaus Bonn (2019), S. 490. Payk: Der Geist der Demokratie (2008), S. 18. Vgl. Wilke: Leitmedien (1999), S. 306. Vgl. Schildt: Zwischen Abendland und Amerika (1999), S. 84.

Ausblick und Schlussbetrachtung

409

unterschied sich das FAZ-Feuilleton nicht nur durch sein charakteristisches Profil, die überregionale Streuung, das große Korrespondentennetz oder die damit verbundene Internationalität. Auch redaktionsintern besaß es einige Alleinstellungsmerkmale. Die tägliche Arbeit war von Individualismus, Eigenverantwortlichkeit und Spezialisierung geprägt, die Ermessensspielräume und das gegenseitige Vertrauen waren groß. Freilich gab es auch strukturelle Gemeinsamkeiten: Wie andere Medienbetriebe war auch die FAZ anfangs von starken personellen Kontinuitäten geprägt, wie andernorts existierte auch hier eine Art stille Vereinbarung, über die eigene Vergangenheit schweigend hinwegzusehen. Ähnlich wie in anderen Redaktionen sorgten Generationswechsel seit den späten 1950er Jahren für einen Wandel der Umgangsformen, Themen und Stile, obgleich die klassischen Generationenmodelle von Fall zu Fall geprüft werden müssen, da auch innerhalb der Generationen große Unterschiede bestanden und Veränderungen nicht immer am Aufstieg einer neuen Generation festgemacht werden konnten. Im Vergleich zum Politik- und zum Wirtschaftsressort war das Feuilleton stilistisch heterogener und verfügte mit der Rezension als klassisches Genre über eine Darstellungsform, die vorwiegend in seinen Spalten gepflegt wurde. Es orientierte sich weniger am Tagesgeschehen, war flexibler in der Themenauswahl und zeichnete sich durch ein höheres Maß an Subjektivität und Intellektualität aus. Das Feuilleton lebte von Hintergrundberichten, längeren Einordnungen und Reflexionen, es erklärte, analysierte und sinnierte, statt eindeutig Stellung zu beziehen wie im täglichen Leitartikel auf Seite eins, für den es im hinteren Teil der FAZ kein Äquivalent gab. Übergeordnete Zeitungsmaximen wie die journalistische Unabhängigkeit spielten freilich auch dort eine Rolle, waren aber anders konnotiert: Unabhängigkeit bedeutete im Feuilleton vor allem, Themen, Perspektiven und Positionen frei von internen Vorgaben, Konventionen und Zeitströmungen bestimmen zu können. Aber auch inhaltlich, die „Linie“ betreffend, stand das Ressort mitunter für alternative Standpunkte, sei es, weil es die USA nicht uneingeschränkt als Symbol der Freiheit betrachtete und weniger antikommunistisch war, oder weil es die Demokratisierung des Bildungswesens um „1968“ für eine Chance hielt. Durch die besondere Organisationsform der Zeitung, deren einzelne Glieder auch räumlich weitgehend unabhängig voneinander agierten, traten diese Unterschiede in der FAZ offenkundiger zutage als in anderen Zeitungen. Sie mündeten insbesondere in den 1960er Jahren in Konflikten, als das Feuilleton stark expandierte, einen geschlosseneren Korpus erhielt und vorwiegend jüngere, fordernde und politisch selbstbewusst auftretende Redakteurinnen und Redakteure die Gründungsriege abzulösen begannen. Latente Spannungen

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zwischen einem eher progressiven Feuilleton und einem eher konservativen Politikteil gab es zwar auch in anderen Redaktionen.77 In der FAZ aber zählten sie „zur Struktur des Hauses“78 und führten gerade um „1968“ mutmaßlich häufiger zu Reibungen als in homogeneren Zeitungen. Diese Spannungen betrafen nur selten rein ästhetische Fragen. Sie entstanden vielmehr, wenn das Feuilleton seinen tradierten Unterhaltungsauftrag vernachlässigte, wenn es zu impulsiv auftrat oder in „fachfremden“, sprich politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten mit humanistischen und moralischen Einwänden gegen die „Linie“ argumentierte. Das Feuilleton war zwar nicht explizit politisch, betrachtete sich aber als nonkonformistisch und zeitkritisch. Die politische Kultur als Sujet gehörte spätestens seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zum Metier des Ressorts. Das war eine Entwicklung, die mit der bürgerlich-liberalen Presse der Weimarer Republik begonnen hatte und sich vor allem auf das Verhältnis zum Politikressort auswirkte. Im FAZ-Herausgebergremium ging man mit diesen Reibungen indes nicht immer souverän um. So entstand bisweilen der Eindruck, dass der Binnenpluralismus der Zeitung, der auch von ihrer Leserschaft mitunter als Irritation wahrgenommen wurde, eher einem Lapsus als einer bewussten Entscheidung geschuldet war. Nur solange in der Redaktion ein Konsens erzielt wurde oder die FAZ als neutrale Plattform auftrat, war die mehrperspektivische Behandlung eines Themas ausdrücklich erwünscht. Die Beziehungen zwischen der Feuilletonredaktion und dem kulturellen und intellektuellen Betrieb waren von unterschiedlicher Qualität und kamen über Kultur- und Messeveranstaltungen, literarische Vereinigungen und private oder berufliche Netzwerke zustande. Sie waren überwiegend von einer berufsmäßigen Distanz geprägt. Für letzteren war das Ressort ein wichtiges Informationsmedium mit Orientierungs- und Filterfunktion. Diesen Teil der FAZ gelesen zu haben, galt vielen als Allgemeinplatz. Neben dem Kulturradio und einigen Zeitschriften war das Feuilleton zudem ein angesehenes Sprachrohr, um sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und das Interesse auf Themen, Ereignisse und Personen zu lenken, die neben der eigenen als wichtig erachtet wurden. War die Redaktion von etwas überzeugt, konnte sie sich als echter Mäzen entpuppen. Ignoriert oder negativ beurteilt zu werden, wurde im Umkehrschluss als schlechtes Omen gedeutet. Besonders für den Literaturbetrieb war das traditionell literarisch geprägte Feuilleton nicht nur 77 78

Vgl. Foppa: Max Frisch und die NZZ (2003), S. 33. In der NZZ war dieser Konflikt wenig ausgeprägt. So die Worte Karl Korns laut dem Protokoll einer Aussprache, die zwischen der Feuilletonredaktion der FAZ und Herrn Joachim C. Fest am 30. Mai 1973 vom Vormittag bis zum späten Nachmittag stattfand, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen 4.1.1972–19.12.1974.

Ausblick und Schlussbetrachtung

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ein großer, regelmäßig bespielbarer Publikationsort, sondern auch ein Barometer für den Stand von Person und Werk in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Auf seinen Seiten empfohlen zu werden, bedeutete symbolisches Kapital. Einige Redakteurinnen und Redakteure waren vor ihrer Zeit in der FAZ einer Verlags-, Lektorats- oder Übersetzungstätigkeit nachgegangen und verfügten über entsprechende Fachexpertise. Dem Feuilleton wurde auf diesem Gebiet viel Einfluss zugeschrieben, weshalb es gerade für Umstrittenes und mutmaßlich schwer Vermittelbares eine beliebte Anlaufstelle bildete. Umgekehrt belieferten Intellektuelle wie Theodor  W.  Adorno, Jürgen Habermas oder Helmut Schelsky die Redaktion regelmäßig mit neuem Material, Anregungen und Kontakten aus ihren Fachbereichen und sorgten so für einen hohen Grad an Aktualität und Exklusivität. Ihre Impulse offenbarten oft ein ausgeprägtes Gespür für Kommendes, von dem das Feuilleton profitieren konnte. Vor allem im Verlauf von Debatten eigneten sich die Beiträge bekannter Köpfe außerdem, um den redaktionellen Belangen Gewicht zu verleihen und Druck aufzubauen. Die gedruckten Namen signalisierten Renommee und Prestige. War das Feuilleton ein Debattenort? Unzweifelhaft bot das Ressort seit den frühen 1950er Jahren Gesprächsstoff, indem es neue Themen und strittige Texte ins Blatt hob oder aus symptomatischen Beobachtungen „Fälle“ mit Symbolkraft machte. Im Unterschied zur Lokalpresse war es meinungsbetont, streitbar und längst nicht mehr nur literarisch. Joachim Fest mochte aus dem Feuilleton Korns ein moderneres gemacht und der Politik zu einer selbstverständlicheren Existenz verholfen haben; dass er das Ressort erst mit ihr in Berührung brachte, ist indes unzutreffend. Das junge Feuilleton stimulierte die öffentlichen Diskussionen nach 1949 und offenbarte dabei eine hohe Affinität für Kontroverses, die vom nonkonformistischen Selbstverständnis Karl Korns geprägt war. Veränderung, so die Überzeugung des ersten Herausgebers, wurzelt nicht im Konsens. Vor allem in den 1950er Jahren, bevor Korn seine Lust am Widerstreit infolge der Ziesel-Affäre und den Konflikten mit Friedrich Sieburg und Jürgen Tern allmählich verließ, sah er in Debatten ein wirkungsvolles Gegengewicht zu der als kleinbürgerlich empfundenen Kultur- und Medienlandschaft. Sowohl in der Redaktion als auch in der gedruckten Zeitung war der Widerstreit also von Anfang an konstitutiv. Ob in den Auseinandersetzungen um die NS-Vergangenheit oder im rheinhessischen „Straßenstreit“: Das Feuilleton suchte die Debatte, verlieh ihr Gewicht und hielt sie durch einschlägige Texte und Leserbriefe, bündelnde Präsentation und Beharrlichkeit am Leben. Das gelang freilich nicht immer: Nicht jeder streitbare Artikel war Auftakt für eine Debatte, einige Provokationen blieben wirkungslos. Die Stoßrichtung der geführten Debatten war meist offenkundig, worin sich das FAZ-Feuilleton – auch unter Fest – von der stärker mit Pro-Contra-Modellen arbeitenden Zeit

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unterschied.79 Selbst wenn Gegenpositionen gedruckt wurden, war die eigene Haltung klar und dominant. Statt das Meinungsspektrum in seiner Vielfalt abbilden zu wollen, arbeitete die Redaktion an einer eigenen, nach außen hin abgrenzbaren Linie, deren Wahrung wie in der Kunstkritik kampagnenartige Züge annehmen konnte und kaum Raum für Erwiderungen ließ. Erst in den 1960er Jahren, als aus der jungen Bundesrepublik eine stabile Demokratie geworden war, stellten sich die FAZ und ihr Feuilleton mitunter ressortübergreifend als Debattenort mit einem ausgewogeneren Anspruch an die Meinungsbildung dar. Es gilt also, die ein oder andere Einschränkung an die eingangs formulierte Hypothese zu machen. Da auf Positionen grundsätzlich nur sehr dosiert Gegenpositionen folgten, glichen die betrachteten Debatten gerade in den 1950er Jahren häufig mehr einer Diskussion unter Gleichgesinnten als einer zwischen verschiedenen weltanschaulichen Lagern.80 Von Zeit zu Zeit wurden Beiträge vor dem Druck entschärft, Debatten bei großem inneren oder äußeren Widerstand eingestellt oder gar nicht erst eröffnet. Insbesondere dann, wenn sich in der Gesamtredaktion unterschiedliche Meinungen unvereinbar gegenüberstanden, erwies sich die FAZ als erstaunlich wenig diskussionsfreudig. Eindeutigkeit rangierte in diesen Fällen vor Binnenpluralismus und Debattenreichtum. Im Unterschied zu einigen Debatten der jüngeren Vergangenheit blieb auch ihre Dimension überschaubar: Die Feuilletons beobachteten sich zwar gegenseitig und nahmen gelegentlich aufeinander Bezug – in den untersuchten Fällen trat vor allem die Zeit als Mit- und Gegenspielerin auf –, ein ständiger Dialog entwickelte sich daraus aber nicht. Das Feuilleton der Ära Korn war also zweifellos ein Debattenort und -akteur, der nicht nur auf Vorgegebenes reagierte, sondern eigene Akzente setzte. Es waren aber Fest und Schirrmacher, die das „Debattenfeuilleton“ seit Mitte der 1970er Jahre weiter erschlossen, indem sie mit neuer Prätention auftraten – Korn war in seiner Korrespondenz politisch viel eindeutiger als in der Zeitung –, den Debatten neue Räume eröffneten und sie als Medienereignis stärker inszenierten.81 Die Geschichte des FAZ-Feuilletons von 1949 bis 1973 ist die Geschichte seines Aufstiegs. Die Bemühungen der Redaktion, aus dem Feuilleton ein unabhängiges, gleichgeordnetes drittes Ressort neben dem Politik- und 79

80 81

Vgl. das Protokoll einer Aussprache, die zwischen der Feuilletonredaktion der FAZ und Herrn Joachim C. Fest am 30. Mai 1973 vom Vormittag bis zum späten Nachmittag stattfand, in: FAZ-Archiv, Redaktionskonferenzen  4.1.1972–19.12.1974; Demand, Christian / Knörer, Ekkehard: Debattenkultur, in: ZMK 6 (2015), H. 2, S. 61–65, hier S. 62. Vgl. Schildt: Medien-Intellektuelle (2020), S. 219. Vgl. Demand / Knörer: Debattenkultur (2015), S. 64; Hoeres: Zeitung für Deutschland (2019), S. 327.

Ausblick und Schlussbetrachtung

413

Wirtschaftsteil zu machen, waren längerfristig erfolgreich. Alle Reformen in der Geschichte der jungen FAZ förderten das Feuilleton, das stark expandierte, Konventionen hinterfragte und an Sicherheit auch in Fragen gewann, die nicht zu seinem klassischen Repertoire gehörten. Nach einer Phase der Orientierung und Etablierung in der Medienlandschaft, in der die großen Traditionslinien zur Weimarer Presse deutlich hervortraten, entwickelte das Ressort in den 1960er Jahren neue Ambitionen. Es wurde umfangreicher und aktueller, erhielt eine geschlossenere Form und emanzipierte sich auch optisch von seinen Vorgängern, indem es etwa verstärkt auf Visualisierungen setzte. Oft werden die 1920er Jahre als Blütezeit des Zeitungsfeuilletons wahrgenommen. Tatsächlich war es die alte Bundesrepublik, die ihm seinen bis dahin größten Erfolg bescherte. Die Geschichte dieses Feuilletons ist außerdem die Geschichte seiner Liberalisierung und Modernisierung. An seinem Beispiel können die Transformationsprozesse der „langen 1960er Jahre“ beobachtet werden: Das durch das Korrespondentennetz der FAZ ohnehin international aufgestellte Feuilleton erweiterte seine national und westeuropäisch geprägte um eine transatlantische Perspektive und eine kritischere Sicht auf den gesellschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit setzte sich durch. Starre modernitätsskeptische Töne wichen der Akzeptanz und nüchternen Analyse und wurden von einem klaren Bekenntnis zur liberal-demokratischen Ordnung westlichen Zuschnitts begleitet. Mit der Pluralisierung der Lebensstile löste sich das Leitbild der mütterlichen Haus- und Ehefrau auf, Frauen gewannen in der Redaktion an Zahl und Autoritäten wurden nicht mehr umstandslos akzeptiert. Beides, die gedruckte Zeitung und die in spezifische Medienstrukturen eingebundene Redaktion, war stets eng miteinander verknüpft und demonstrierte gerade in dieser Verschränkung die Prozesshaftigkeit einer Umbruchsituation, in deren Zuge sich auch der Journalismus selbst veränderte. Das Feuilleton bildete diesen historischen Umbruch nicht nur ab, sondern wirkte als Teil des Leitmediums FAZ an ihm mit. Davon zeugt neben dieser Arbeit eine Bundesstraße, die von Bonn über Eltville nach Darmstadt führt.

Abkürzungsverzeichnis AdK AfS AHR AZ BArch BDJ BT DASD DI DLA dpa DVjs DZ EMNID FAZ FR FZ gfh GG HBA HZ IASL IfZArch IVW LIT MGG NL NN NPL NZZ ÖZG PA AA

Akademie der Künste Archiv für Sozialgeschichte The American Historical Review Allgemeine Zeitung mit Wirtschaftsblatt Bundesarchiv Bund deutscher Jugend Berliner Tageblatt Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Deutsches Institut Deutsches Literaturarchiv Deutsche Presse-Agentur Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung Erforschung der öffentlichen Meinung, Marktforschung, Nachrichten, Informationen und Dienstleistungen Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Frankfurter Zeitung geschichte für heute. Zeitschrift für historisch-politische Bildung Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft Heinrich-Böll-Archiv Historische Zeitschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Archiv des Instituts für Zeitgeschichte Informationsstelle zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek Musik in Geschichte und Gegenwart Nachlass Nürnberger Nachrichten Neue politische Literatur. Berichte aus Geschichts- und Politikwissenschaft Neue Zürcher Zeitung Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Politisches Archiv des Auswärtigen Amts

416 PPK PSB RKK RLA RMVP RPK RSK SZ UBA Ffm UP VB VfZ VSWG WiPoG ZfGerm ZMK

Abkürzungsverzeichnis Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums Preußische Staatsbibliothek Reichskulturkammer Rheinisches Literaturarchiv Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Reichspressekammer Reichsschrifttumskammer Süddeutsche Zeitung Archivzentrum der Universitätsbibliothek an der Goethe-Universität Frankfurt am Main United Press Völkischer Beobachter Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947 Zeitschrift für Germanistik Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Die erste Ausgabe des FAZ-Feuilletons vom 1. November 1949  . . . . . . . . Abb. 2: „Notwendige Diskussion über Heidegger“ in der Beilage vom 29. August 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3: Personalstärke der FAZ-Feuilletonredaktion 1949–1973 . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4: Das Feuilleton vom 3. Januar 1966 im neuen optischen Gewand . . . . . . . Abb. 5: Geschlechterverhältnisse in der Feuilletonredaktion 1949–73 . . . . . . . . . Abb. 6: Themenprofil der FAZ-Frauenseite 1949–75  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 139 275 336 345 373

Die Grafiken wurden von der Autorin erstellt, die Rechte für das Bildmaterial liegen bei der FAZ.

Quellen- und Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Quellen Archiv der Akademie der Künste, Berlin (AdK) Günter-Grass-Archiv, Grass_6210_Frankfurter Allgemeine Zeitung Hans-Heinz-Stuckenschmidt-Archiv, Stuckenschmidt_808.1_FAZ Archiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurt am Main (FAZ-Archiv) 1960–1965 1968 Akten der Geschäftsführung, Materialien zur Geschichte der Zeitung bis 1979 Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgebersitzungen 12.12.1950– 23.12.1959 Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgebersitzungen 1960–1963 Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgebersitzungen 1964–1966 Akten der Geschäftsführung – Werner G. Hoffmann –, Herausgebersitzungen 1967 bis 1969 Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberangelegenheiten 1949/50 Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1949/50 Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Herausgeberkonferenzen 1.1.1951–24.12.1954 Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Protokolle der Herausgebersitzungen 1.4.1958– 18.12.1961 Akten der Herausgeber – Erich Welter –, Die Vertrauensleute 1970–1980 Akten der Herausgeber – Jürgen Tern –, Glückwünsche zum 60. Geburtstag Akten der Herausgeber – Jürgen Tern –, Leserzuschriften 1968 bis 1970 Akten der Redaktion, Protokolle der Politischen Konferenzen 1956–1970 Der Fall Dieter Hildebrandt 1968 Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1963–28.2.1965 Eick Korrespondenz Professor Welter 1.3.1965–31.8.1966 Eick Korrespondenz Professor Welter 1.9.1966–30.11.1967 Eick Korrespondenz Prof. Welter 1.12.1967–31.10.1970 Eltville I 1966–1968 F.A.Z. Zeitzeugen A-J H 1966–12/1968 H 1.1.1969–31.3.1971 H 1.4.1971–31.3.1973 Herausgeber 2.1.1962–5.8.1963 Herausgeber 1.4.1963–12/1965

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Jürgen Tern. Briefe, die Jürgen Tern nach seinem Ausscheiden aus der F.A.Z. aus der Redaktion und von ehemaligen F.A.Z.-Redakteuren erreichen Korrespondenz Stadlmann, Stadlmann-Berichte aus den U.S.A. 1969/70 Persönliche Ablage Welter 1/1961–12/1968 Protokolle der Herausgebersitzungen 1.1.1955–19.2.1958 Protokolle der Tageskonferenzen bis 1.10.1971 Redaktionskonferenz 1968–1969 Redaktionskonferenzen 1.1.1970–31.12.1971 Redaktionskonferenzen 4.1.1972–19.12.1974 Redaktionskonferenzen 1.1.1975–31.12.1977 Z. M-Z Archivzentrum der Universitätsbibliothek an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main (UBA Ffm) Nachlass Max Horkheimer, Na 1 Vorlass Jürgen Habermas, Na 60 Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde (BArch) Bestand Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, NS 15 Bestand Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, R 55 Bestand Reichsschrifttumskammer, R 56-V Bestand Reichssicherheitshauptamt, R 58 Nachlass Greta Kuckhoff, N 2506 Sammlung Berlin Document Center (BDC): Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer (RKK), R 9361-V Bundesarchiv, Koblenz (BArch) Nachlass Bruno Dechamps, N 1426 Nachlass Harry Hamm, N 1320 Nachlass Ernst Niekisch, N 1280 Nachlass Erich Welter, N 1314 Deutsches Literaturarchiv, Marbach (DLA) A:Alewyn, Richard A:Andersch, Alfred/Efraim A:Benn, Gottfried A:Breitbach, Joseph A:Domin, Hilde

Quellen- und Literaturverzeichnis A:Gruenter, Rainer A:Jünger, Ernst A:Kasack, Hermann/Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ‚Darmstadt‘ A:Klepper, Jochen A:Korn, Karl ‚1908–1991‘ A:Kracauer, Siegfried A:Langgässer, Elisabeth A:Mohler, Armin A:Reifenberg, Benno/Die Gegenwart A:Reifenberg, Benno/Frankfurter Allgemeine Zeitung/Personen/Korn, Karl A:Sahl, Hans A:Schröder, Rudolf Alexander A:Sieburg, Friedrich A:Sieburg, Friedrich/Literatur-Ressort FAZ A:Sieburg, Friedrich/Kopien A:Sternberger, Dolf A:Szondi, Peter A:Tumler, Franz A:Vesper, Bernward D:Merkur D:Nossack, Hans Erich SUA:Suhrkamp SUA:Suhrkamp°Peter-Suhrkamp-Archiv Heinrich-Böll-Archiv der StadtBibliothek Köln (HBA) Bestand Korrespondenz 14 Bestand Korrespondenz 4015 Bestand Korrespondenz 4020 Bestand Korrespondenz 4024 Bestand Korrespondenz 4030 Bestand Korrespondenz 4052 Bestand Korrespondenz 4093 Bestand Korrespondenz Kreuzau 1004 Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“, Leipzig Bestand A – Akten des Konservatoriums 1843–1945, I.2 und I.3 Institut für Zeitgeschichte, München (IfZArch) Nachlass Ursula von Kardorff, ED 348

421

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Literaturarchiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurt am Main H. D. Zimmermann, Wapnewski, E. Welter, B. v. Wiese, Wuthenow, Helm. Winter G. Schulz, Schwab-Felisch Klessmann, Koeppen, Krolow, H. Krüger, Krolow, Kunert Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien (LIT) Nachlass Hilde Spiel, 15/B Münchner Stadtbibliothek/Monacensia Nachlass Wolfgang Bächler, WoB B Nachlass Jürgen Eggebrecht, JE B Nachlass Hermann Kesten HK B Nachlass Alois Melichar, AM B und D Nachlass Oda Schäfer, Ods B Nachlass Josef Magnus Wehner, JMW B Nachlass Eugen Skasa-Weiß, ESW B Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA AA) Bestand Botschaft Paris, RAV Paris, 685A Bestand Referat D/Abteilung Inland, RZ 214 Bestand Hochschulen, RZ 507 Personalakte Friedrich Sieburg, P 1 Rheinisches Literaturarchiv, Düsseldorf (RLA) Nachlass Rolf Bongs Nachlass Nino Erné Nachlass Hans Schwab-Felisch Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (PSB) Nachlass Margret Boveri 556 Nachlass Margret Boveri 920 Nachlass Margret Boveri 1521 Nachlass Gerhart Hauptmann, A: Korn, Karl Theodor W. Adorno Archiv, Frankfurt am Main (TWAA) Br_1019_Minder, Robert Br_1174_Rahms, Helene Br_1189_Razumovsky, Andreas Br_1267_Rufer, Josef

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Br_1485_Spiel, Hilde Br_1508_Stuckenschmidt, Hans Heinz Ve_113_Frankfurter Allgemeine Zeitung Zeitzeugengespräche und -korrespondenz Eduard Beaucamp (29.3.2019 in Frankfurt) Maria Frisé (24.6.2017 und 29.3.2019 in Bad Homburg) Dieter Hildebrandt (7.8.2017 und 29.8.2017 via Brief) Dietrich Ratzke (27.11.2019 in Würzburg) Günther Rühle (20.6.2017, 25.6.2017 und 4.3.2019 via E-Mail)

Periodika Berliner Tageblatt (BT) Das Reich Der Spiegel Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung (DZ) Die Welt Die Zeit Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Frankfurter Zeitung (FZ) Neue Zeitung Süddeutsche Zeitung (SZ)

Gedruckte Quellen und Literatur Agazzi, Elena / Schütz, Erhard (Hg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin / Boston 2013. Ahbe, Thomas: Deutsche Generationen nach 1945, in: APuZ 3 (2007), S. 38–46. Albert, Stuart / Whetten, David A.: Organizational Identity, in: Research in Organizational Behaviour 7 (1985), S. 263–295. Albrecht, Clemens: Die Massenmedien und die Frankfurter Schule, in: ders. u.  a. (Hg.): Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Frankfurt am Main / New York 1999, S. 203–246. Anz, Thomas: Marcel Reich-Ranicki. München 2004. Anz, Thomas: Theorien und Analysen zur Literaturkritik und zur Wertung, in: ders. / Baasner, Rainer (Hg.): Literaturkritik. Geschichte  – Theorie  – Praxis. München 2004, S. 194–219.

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Personenregister Abegg, Lily 49, 338 Abendroth, Walter 266 Abetz, Otto 79, 86 Achenbach, Ernst 86 Ackermann, Max 235, 243 Adenauer, Konrad 35, 58, 131, 142, 150, 166, 203, 277, 344, 380 Adorno, Theodor W. xviii, xxxvii, 39, 47–48, 58, 68, 115, 131, 147, 157, 179, 183, 209, 247, 254, 257, 259, 260–261, 267, 284, 317, 320, 326, 411 Agnoli, Johannes 128 Aichinger, Ilse 218 Alewyn, Richard 65 Alff, Wilhelm 113, 133–134, 216, 228 Aloni, Jenny 113 Altmann, Rüdiger 114 Andersch, Alfred 203, 219, 229–230, 270 Anouilh, Jean 217 Augstein, Rudolf 328 Baader, Andreas 319 Bach, Johann Sebastian 183, 267 Bachmann, Ingeborg 218 Bardot, Brigitte 388 Barlach, Ernst 67 Baumeister, Willi 235, 240, 243 Baumgarten, Hans 12, 38, 166, 172, 202 Baumgärtner, Alfred Clemens 316 Bausinger, Hermann 316 Beaucamp, Eduard ix, xxxix, 41–42, 72, 96, 108, 192, 244, 251–252, 274–275, 321–322, 363 Beauvoir, Simone de 384–388 Beckett, Samuel 209, 217 Beckmann, Max 241 Beer, Brigitte 50, 350, 364, 381 Benckiser, Nikolas 61, 271, 329, 397 Bender, Hans 218 Benjamin, Walter 6, 209, 290 Benn, Gottfried xxxvi, 54, 217–218, 229 Bense, Max 213 Berg, Alban 91, 264, 267 Bergengruen, Werner 224 Berghahn, Wilfried 180

Béroud, Félix 110 Bertina, Martha 340 Besser, Alexander 107, 112 Beuys, Joseph 250–251 Bienek, Horst 112 Bismarck, Otto von 176 Blöcker, Günter 213, 228, 231–232 Boehlich, Walter 129, 130, 323, 328 Böhme, Herbert 128 Böhm, Franz 125–126 Bohrer, Karl Heinz xxxix, 52, 72, 108, 212, 273, 275, 278, 288, 290–291, 295–296, 299, 303–304, 319–321, 324–325, 327, 331, 333, 397–400 Bökenkamp, Werner 48, 75, 78–81, 89, 99–102, 138, 159, 181, 294 Böll, Heinrich xxxvii, 40, 119, 218–221, 223, 229 Bondy, Barbara 348 Bongs, Rolf 224 Borchert, Wolfgang 218–219 Borch-Kaltenegger, Gertrud von 348 Boulez, Pierre 265 Bourdin, Paul 227 Boveri, Margret xxxviii, xxxix, 27–28, 31–33, 35–37, 57, 64, 67, 105, 107–108, 116, 147, 154, 167, 169, 171, 196–197, 213–214, 278, 282, 295, 302, 326, 329, 330, 335, 338, 355, 387 Brandt, Willy 277, 312, 323, 329 Braune, Ernst 277 Braunschweig, Christa von 346, 357 Brecht, Bertolt 67, 184, 189–192, 195, 209, 307 Breitbach, Joseph xviii, 101 Brenner, Hildegard 277 Breton, André 290 Brock, Bazon 318–319 Bruegel, Pieter 252 Bruhns, Wibke 338 Brust, Fritz 47, 256, 264 Buchheim, Karl 167 Büchner, Georg 223 Buddenberg, Wolfgang 222 Burger, Elisabeth 380

462 Busche, Jürgen 52, 56, 397 Busch, Günther 278 Bussiek, Dagmar 368 Bütow, Hans 35 Buxtehude, Dietrich 183 Cage, John 264 Calder, Alexander 247 Camus, Albert 68 Cartier, Raymond 180 Celan, Paul 218 Céline, Louis-Ferdinand 99 Chagall, Marc 235 Chruschtschow, Nikita 190, 194 Colleville, Maurice 100 Curtius, Ernst Robert 167 Czapski, Susanne 357 Daniel, Ute xxvi Dechamps, Bruno 40, 271, 281, 293, 329, 397 Demisch, Eva Maria 75, 108, 240, 274, 344, 346, 351, 360 Déry, Tibor 193 Diehl, Gustav 266 Diepholz, Otto 350 Dirks, Walter xxii, 37, 47, 146, 216, 256 Döblin, Alfred 6 Doering-Manteuffel, Anselm 153 Dombrowski, Erich 12, 36, 166 Domin, Hilde xix, 138 Dönhoff, Marion 348 Donsbach, Wolfgang xxvii Dovifat, Emil 46 Drews, Wolfgang 124 Dubček, Alexander 193 Dubuffet, Jean 235 Dufhues, Josef Hermann 39 Dürer, Albrecht 252 Dutschke, Rudi 284, 288 Eggebrecht, Jürgen xxxvii, 215, 225 Eich, Günter 218 Eichmann, Adolf 69–70, 131 Eick, Jürgen 40, 61, 66, 128, 202, 256, 271, 276–277, 283, 314, 320, 325, 329, 334, 350, 358, 397 Eisenbarth, Franziska 398 Eliot, Thomas Stearns 184, 209, 218

Personenregister Elizabeth, Alexandra Mary 283 Ende, Christian am 357 Enderle, Luiselotte 348 Englert, Marianne 25, 55 Ensslin, Gudrun 320 Enzensberger, Hans Magnus 227, 278, 290, 324 Epting, Karl 79, 86 Erhard, Ludwig 13, 114, 198 Erné, Nino 229 Ernst, Max 243 Eschmann, Ernst Wilhelm 28, 41, 224 Fack, Fritz Ullrich 397 Falckenberg, Otto 92 Falkenberg, Hans-Geert 222 Fassbinder, Rainer Werner xi, 403 Faulkner, William 184, 217, 290 Fechter, Paul 203 Fest, Joachim xi, xxi, xxiii, 43, 351, 395, 397, 398, 399, 401–404, 411–412 Filbinger, Hans 403 Firestone, Shulamith 388 Fischer, Fritz 176 Flad-Schnorrenberg, Beatrice 363 Flöhl, Rainer 72, 274, 363 Fontane, Theodor 400 Franck, Klaus 241 Frank, Anne 123–125, 135 Frank, Bernhard 72, 274 Fraund, Adolf 201 Fraund, Eberhard 201 Freyer, Hans 130, 177 Friedan, Betty 384, 389 Friedländer, Walther 47, 256–257, 262–263, 265, 267 Frisch, Max 167, 209, 214, 222–223 Frisé, Maria ix, xxxix, 40, 74, 108, 208, 216, 274, 322, 332, 344, 346, 349, 351, 353, 358–360, 362–365, 369, 383, 387–389, 392, 396, 399, 402 Fromme, Friedrich Karl 313, 326 Frühauf, Hermann 164 Gampert, Ingeborg 194 Gehlen, Arnold 130, 177 Gehrke, Martha Maria 339, 387 Geiger, Rupprecht 235

Personenregister Giefer, Alois 58 Gienow-Hecht, Jessica 9 Giese, Hans 160 Gillessen, Günther 293, 295–298, 359 Glaser, Hermann xvii, 405 Glozer, Laszlo 243 Goebbels, Joseph 33, 106, 118–119, 129 Goethe, Johann Wolfgang 128, 207, 217, 400 Götz, Hans Herbert 287 Grasset, Bernard 109, 110 Grass, Günter 112, 218, 231–232, 290, 323–324, 326 Greer, Germaine 384 Greiner, Ulrich 72, 397 Grimm, Friedrich 86 Grimm, Hans 33, 109, 129, 204 Grohmann, Will 49, 237, 243, 248 Gross, Babette 96 Groth, Otto 338, 340 Grubbe, Peter 184–185 Grüber, Heinrich 133 Gruenter, Rainer 54 Gründgens, Gustaf 37–38 Grunenberg, Nina 360 Guardini, Romano 68 Haacke, Wilmont xxxi Haas, Willy xxxiv Habermas, Jürgen xxxvii, 63, 114–118, 135, 171–172, 175, 177, 227, 269, 399, 404, 411 Haffner, Alex 201 Haftmann, Werner 243 Hagemann, Karen 343 Halbey, Hans 315 Händel, Georg Friedrich 183 Handke, Peter 305, 308 Häntzschel, Günter 389 Harich, Wolfgang 192 Harlan, Veit 105 Harnack, Arvid 93 Harnack, Mildred 93 Hartung, Hans 235, 243 Hauptmann, Gerhart 30, 229, 305 Hausenstein, Wilhelm 240, 340 Havel, Václav 193 Hecht, Wendelin 355 Hederich, Karl Heinz 82 Heidegger, Martin xxxvi, 58, 68, 114–118, 135, 146, 171, 227, 269

463 Heine, Heinrich 217, 229 Heisig, Bernhard 251 Held, Robert 44–46, 53, 74, 95, 157, 271, 273, 279, 320, 325, 344, 350, 352, 359, 369, 397 Helwig, Werner 228 Hemingway, Ernest 184, 217 Hendrix, Jimi 254 Henkels, Walter 39, 53 Henze, Hans Werner 264 Henze, Helene 228 Herchenröder, Jan 183 Hermann, Hilde 375 Hesse, Hermann 217 Hessel, Helen 340 Hey, Richard 183 Hildebrandt, Dieter ix, xxxix, 72, 126, 132–134, 137, 188, 206, 277, 281, 288, 299, 300–305, 334 Hildebrandt, Dieter (Kabarettist) 277 Hill, Roland 46, 48, 74, 94–96, 181, 254, 350 Himmler, Heinrich 130 Hindemith, Paul 264 Hitler, Adolf 32, 83, 88, 98, 109–110, 121, 126, 128–130, 287, 299 Hochhuth, Rolf 132–134, 309 Hodenberg, Christina von xvii, 158, 205, 275, 342, 346–347, 353 Hoeres, Peter xxix–xxx, xxxiii, xxxvi Hofer, Karl 237 Hofer, Walther 118 Hoffmann, Hilmar 312–313 Hoffmann, Werner G. 11, 67, 96, 329 Hofmannsthal, Hugo von 218 Hölderlin, Friedrich 217 Holst, Niels von 97–98 Holthusen, Hans Egon 228 Hommel, Friedrich Ferdinand 74, 137, 181, 266, 297–298, 325 Hommen, Carl Bertram 315 Höpfl, Heinz 48, 96 Horkheimer, Max xviii, xxxvii, 130–131, 147, 179, 284 Horstmann, Irmgard 389 Höß, Rudolf 119 Hrastnik, Franz 42, 48 Huchel, Peter 192 Huelsenbeck, Richard 254 Huffschmid, Helma 346 Hühnerfeld, Paul 169–170

464 Ionesco, Eugène 217 Jäger, Ernst 156 Jansen, Jonas 303 Jansen, Peter W. 74, 113, 273, 278 Jaspers, Karl 64, 145, 146 Jeremias, Brigitte 75, 158, 344, 346 Jessen, Hans xxxi Jewtuschenko, Jewgeni Alexandrowitsch  192 Johann, Ernst 49, 129, 157–158, 217 Johnsons, Uwe 218 Joplin, Janis 255 Josef Hermann Dufhues 39 Joyce, James 218, 400 Jünger, Ernst xxxvi, 54, 68, 145, 167, 184, 209, 218, 224, 229, 233 Jungk, Robert 154 Kafka, Franz 217 Kagel, Mauricio 264 Kaiser, Joachim 108–109, 211 Kalow, Gert 124–125, 290 Kandinsky, Wassily 235, 243 Kardorff, Ursula von 348, 377 Kasack, Hermann 100–101, 209, 216 Kaube, Jürgen 52 Kegel, Sandra 349 Keilpflug, Erich R. 163 Kerr, Alfred 276 Kesten, Hermann 214 Kieser, Emil 246–247 Kiesinger, Kurt Georg 282 Kindler, Helmut 28 Kinsey, Alfred C. 162–164, 198 Kirchner, Ernst Ludwig 243 Kirst, Hans Hellmut 168 Klee, Paul 235, 243 Klemm, Barbara 365 Klepper, Jochen 29 Klepper, Otto 11 Kleßmann, Ernst 400 Knief, Ursula 347 Koch, Thilo 88 Koeppen, Wolfgang 151–152, 170, 200, 209, 219, 270 Köhler, Otto 107 Kokoschka, Oskar 235

Personenregister Kommerell, Max 26 König, René 131 Korda, Rolf Martin xxxv Korn, Karl ix, xi–xv, xviii, xxi–xxii, xxxiv–xxxvi, xxxviii–xxxix, 11–12, 14, 16–18, 20, 26–46, 48, 50–54, 56–57, 60–68, 75, 96–109, 111–114, 116–122, 127, 129, 131, 134, 138, 143, 146–154, 158, 161, 165, 167–175, 177–179, 181, 184, 186, 188, 191, 198, 199, 207–208, 211, 213–217, 219–228, 232–234, 240, 244–247, 249, 255, 257–260, 267, 269, 271–283, 289, 294–295, 299–300, 302, 310–311, 314, 319–320, 323–324, 326–327, 329–330, 333, 335, 344, 351, 358–361, 368, 386, 397–398, 400, 446 Korn, Regina 215, 233 Kracauer, Siegfried xxxii, 6, 41, 97 Krahl, Hans-Jürgen 285 Krämer-Badoni, Rudolf 117, 227–228 Kramer, Ferdinand 58 Kraushaar, Wolfgang 286 Kraus, Karl 63 Krawielicki, Tilde 375 Krüger, Answald 185 Kruk, Max 311 Kuby, Erich 163, 203 Kuckhoff, Adam 93 Kuckhoff, Greta 93 Kühnert, Hanno 319, 391 Kunert, Günter 192 Kurras, Heinz 305 Kutzner, Maximilian xxix Lämmert, Eberhard 301 Landgrebe, Käte 378 Lange, Hartmut 305 Lange, Horst 107 Langgässer, Elisabeth 28, 41, 107, 224 Lefèvre, Wolfgang 288 Le Fort, Gertrud von 224 Lehmbruck, Wilhelm 244 Leiber, Robert 133 Leidl, Anton 240 Lenz, Siegfried 219, 223, 230 Leonhardt, Fritz 290 Leonhardt, Rudolf Walter 232, 303 Lethmair, Thea 366

465

Personenregister Lewalter, Ernst 115–117 Lietzmann, Sabina 42, 48, 75, 173, 176, 181, 188–189, 216, 299, 305, 326, 344–345 Ligeti, György 264 Linfert, Carl 248 Loest, Erich 193 Lovenberg, Felicitas von 349 Ludin, Ellen 364 Luhmann, Niklas xxiv, xxvi Lüth, Paul 160 Macke, August 235 Maetzke, Ernst-Otto 221, 294, 313, 326 Mahler, Horst 277 Mailer, Norman 184 Malaparte, Curzio 120 Man, Hendrik de 149 Mannheim, Karl 26 Mann, Thomas 54, 94, 217–218, 229, 400 Manstein, Erich von 38 Marc, Franz 235 Marcuse, Herbert 320 Marten, Rainer 114 Martinet, Jean-Louis 265 Marx, Karl 35, 320 Matisse, Henri 235 Matschinsky-Denninghoff, Brigitte 235 Mattheuer, Wolfgang 251 Mayer, Hans 192 May, Regina 371 Medina, Paul 101 Mehden, Heilwig von der 348 Melichar, Alois 248–249, 266–267 Menck, Clara 48, 182, 228, 385–387 Mendelssohn, Peter de xxxv Mennemeier, Franz Norbert 180, 182, 184, 220 Mettel, Hans 247 Meunier, Ernst xxxi Meyer-Sickendiek, Ingeborg 378 Mey, Paul 168 Meysenbug, Alfred von 315, 317–320 Michaelis, Rolf 52, 72, 188, 216, 234, 272–275, 278, 281, 290, 305, 323–324, 334, 399 Millet, Kate 384, 389 Minder, Robert 99–101 Minuth, Walter 277 Mitchell, Joan 236

Mitscherlich, Alexander 58, 130–131, 289 Modersohn-Becker, Paula 235 Mohler, Armin 102, 104, 446 Mohr, Jean 195 Momm, Ellen 348 Mommsen, Wilhelm xxix Moore, Henry 239 Morawe, Marianne 168, 185, 350, 364, 375, 380 Möring, Richard 101 Mozart, Wolfgang Amadeus 262, 267 Muckel, Viktor 96 Müller, Karl Valentin 131 Müller-Marein, Josef 103, 112 Münch, Hans 248–250 Musil, Robert 217, 223, 290, 400 Mussolini, Benito 33 Nabokov, Vladimir 110 Nacken, Angela 357 Nässig, Carlo W. 74, 274, 363 Naumann, Hans 26–27 Nay, Ernst Wilhelm 235, 243 Neiswestny, Ernst 194–195 Nemitz, Fritz 246 Nette, Herbert 45, 62–63, 75, 97, 151, 161, 210, 214, 220–221, 226 Neugass, Fritz 242 Neumann, Robert 112 Neumeister, Heddy 338, 350, 353, 364 Neurath, Konstantin von 91 Neuss, Wolfgang 299 Nguy?n, Cao K? 299 Niekisch, Ernst xxxviii–xxxix, 37, 51, 104, 147, 149, 150, 167–168, 170, 173, 186, 360 Nitschmann, Leo 161 Noelle, Elisabeth 339 Nolte, Ernst 203, 404 Ohnesorg, Benno 301, 305 Olshausen, Ulrich 255 Orff, Carl 267 Ortega y Gasset, José 145–146, 167, 175 Otto, Walter F. 26 Oxenius, Hans-Götz 303 Pacelli, Eugenio 133 Paczensky, Gert von 357

466 Paeschke, Hans xxii, 148 Palitzsch, Peter 191 Payk, Marcus M. xviii, xxxiii, xxxv, 108, 148 Pechel, Rudolf 103, 110 Petöfi, Sándor 193 Picasso, Pablo 235, 239 Piscator, Erwin 307–308 Planck, Max 177 Plessner, Hellmuth 131 Polgar, Alfred 276 Pollock, Jackson 183, 236 Porada, Käthe von 340 Pörzgen, Hermann 187, 213 Presley, Elvis 254 Price, Reynolds 184 Pross, Harry xxii, 63, 110 Proust, Marcel 209, 214, 218 Prüver, Christina xxxiv Quataert, Jean H. 343 Rahms, Helene xxxix, 18, 32, 41, 46, 51, 56–57, 75, 130, 157, 236, 290, 294, 339, 344, 346, 347, 349, 350, 354, 359, 360–361, 364–365, 369, 376, 383, 392 Ramseger, Georg 54, 249 Rapp, Alfred 279 Ratzke, Dietrich ix, xxxix, 25 Razumovsky, Andreas 47–48, 187, 253, 256, 258–259, 261 Redlich, Lukas 387 Reger, Max 267 Regner, Otto Friedrich 75, 107, 202, 204, 257, 258 Reich-Ranicki, Marcel 313, 395, 397–403 Reifenberg, Benno 6, 41–42, 99–101, 201, 271 Reifenberg, Jan 181 Reinhardt, Karl 26 Reischach, Hans Joachim von 77 Reitlinger, Gerald 118 Requate, Jörg 342 Resnais, Alain 121 Richter, Hans Werner 146, 203, 219 Richter, Werner 182 Riederer, Marietta 340 Riesman, David 180 Rilke, Rainer Maria 229

Personenregister Rinser, Luise 224 Ritschl, Hans 281–282 Ritter, Gerhard 130, 176, 403 Robrecht, Antje 345 Roeder, Emy 235 Rollberg, Sabine xxxiv Rosenberg, Alfred 33, 78 Roten, Iris von 384 Rothfels, Hans 176 Roth, Johannes 72, 274 Roth, Joseph 41 Rothko, Mark 236 Röttel, Petra 343 Rotzoll, Christa 158, 339, 364 Rowohlt, Ernst 28 Rudzinski, Kurt 75, 181, 202, 275, 363 Ruelius, Hermann 387–388 Rufer, Josef 47, 247, 260 Rüger, Sigrid 285 Rühle, Günther ix, xxxix, 55, 65, 74, 136, 157, 191, 206, 216, 293, 296, 299, 308–311, 313–314, 316, 321, 324–325, 331, 333, 356, 397, 402 Rühl, Manfred xxvi Rühmkorf, Peter 218, 231 Ruppert, Martin 43–46, 50, 53, 75, 122, 158, 174, 184, 202, 344, 350 Rüstow, Alexander 201 Saame, Otto 320 Sahl, Hans 181, 244 Sailer, Jürgen 277 Saint-Exupéry, Antoine de 217 Salomon, Ernst von 233 Sanders, Helke 285 Sartre, Jean-Paul 68, 167, 184, 217, 385 Schaefer, Oda 16, 106 Schäfer, Christina xxx Schallück, Paul 119 Scheel, Helmuth 45 Scheffel, Helmut 74, 273, 275 Scheffer, Paul 27–28, 54 Schelsky, Helmut 164–165, 177–178, 411 Scherer, Brigitte 72, 274, 344, 346 Scherer, Hans 72, 177, 397 Schildt, Axel xvi, xxvi, xxxvi, 17 Schiller, Friedrich 54, 217, 400

Personenregister Schirrmacher, Frank xi, xxiii, 359, 405, 412 Schleier, Rudolf 86 Schlemmer, Oskar 239 Schmid, Max H. 201 Schmid, Sigrun 341 Schmidt, Arno 230 Schmidt, Doris 49, 240–242, 348 Schmidt-Rottluff, Karl 243 Schmitt, Carl xxxvi, 118 Schmitz van Vorst, Josef 49 Schneider, Reinhold 28, 41, 168, 224 Schonauer, Franz 112, 232 Schönberg, Arnold 91, 257, 260, 264, 266–267 Schostack, Renate 72, 274, 344–345 Schramm, Percy Ernst 130 Schröder, Rudolf Alexander 28, 34, 42 Schroers, Rolf 155 Schüddekopf, Grete 374 Schuller, Anneliese 348 Schultz, Franz 26 Schulz, Eberhard 50 Schulze Vellinghausen, Albert 42, 48, 67, 89, 90, 123, 239, 241–242 Schulz, Frederic xxix Schulz, Gerhard 400 Schumacher, Kurt 35 Schütz, Heinrich 183 Schütz, Klaus 277 Schwab, Alexander 203 Schwab-Felisch, Hans xix, xxxix, 41, 43, 46, 53, 75, 129, 174, 202–206, 216–217, 232, 234, 283, 292, 314, 350, 403 Schwarze, Michael 72, 389 Schwarzer, Alice 389 Schwarzer, Erich 28 Schwedler, Paul 277 Schwelien, Joachim 110 Schwerbrock, Wolfgang 46, 75, 77, 149, 169, 174, 210, 228–229, 273, 350 Scurla, Herbert 80 Sedlmayr, Hans 245–247, 268 Seethaler, Josef 359 Segebrecht, Dietrich 72, 273–275, 317, 327 Seib, Hugo V. 187 Sethe, Paul 12, 14, 36, 38–39, 96, 143, 166–167, 171–173, 176, 196, 199, 201

467 Shakespeare, William 311 Sieburg, Friedrich xxxvi, xxxviii, 40, 75, 78, 81–89, 95, 97–99, 104, 109–114, 125–126, 134, 201–202, 210, 213, 225–234, 258, 269, 272, 278, 290, 354, 362, 399, 400–401, 411 Siering, Friedemann xxxiv Skasa-Weiß, Eugen 97, 224 Sonntag, Christian 341, 348 Spiel, Hilde xxxix, 92, 119, 217, 257, 305, 311, 326, 347, 351, 395, 399 Springer, Axel 17, 58, 157, 201, 284 Staegmeyr, Elly 348 Stalin, Josef 190–191 Staudte, Wolfgang 192 Stehle, Hansjakob 46, 187 Steinbeck, John 185, 217 Stephan, Rudolf 259 Stephan, Werner 118 Sternberger, Dolf 64 Stöber, Rudolf xl Stockhausen, Karl Heinz 264 Strauss, Johann 262 Strawinsky, Igor 264 Strehler, Giorgio 311 Stresau, Hermann 182 Strobel, Heinrich 28 Ströher, Karl 241, 243 Stroomann, Gerhard 58 Stuckenschmidt, Hans Heinz xxxix, 91, 188, 216, 256–261, 263–264, 267 Stürmer, Michael 404 Sturm, Vilma xxxix, 45, 75–76, 196–197, 204–206, 210, 216, 224, 228, 304, 327, 329, 344–345, 353–354, 361–362, 369, 384 Suhrkamp, Peter 29, 31, 209, 214, 219 Süskind, Wilhelm Emanuel 28 Szondi, Peter 301, 324 Taubes, Jacob 301 Tern, Jürgen 127, 172, 196, 202, 213, 271, 279, 298, 302, 310–311, 320, 326, 329, 330–331, 334, 350, 358–359, 362, 397–398, 411 Teufel, Fritz 277 Theile, Harold 315, 385–386

468 Theunissen, Gert H. 240 Thomas, Ernst 46–48, 75–76, 183, 256, 258, 260, 266, 350 Tillich, Paul 26 Todorow, Almut xxxii Tritz, Maria 349 Trost, Klara 340–341 Truppe, Karl 32 Tübke, Werner 251–252 Tucholsky, Kurt 276 Tumler, Franz 129 Ulrich, Key L. 358 Unseld, Siegfried 108, 214–216, 233, 328 Urbach, Ilse 42, 347 Venzky, Gabriele 358 Vetter, Ernst Günter 288 Vietta, Egon 249 Violet, Franziska 348 Völker, Klaus 327 Vorst, Josef Schmitz van 49, 350 Voss, Hans 242 Vostell, Wolf 250 Wagner, Friedrich A. 46, 76–77, 177, 181, 185, 228, 325, 350, 398 Wagner, Klaus 74, 95, 206 Wagner, Richard 262–263, 267 Wahrenburg, Fritz 4 Walser, Martin 209, 214, 219, 231 Wapnewski, Peter 301 Weber, Alfred 63, 167 Weber, Herwig 48–49 Weber, Hildegard 41, 47, 256, 362 Webern, Anton 264, 267 Wehner, Josef Magnus 98 Weigert, Hans 248

Personenregister Weinstein, Adelbert 304, 350, 352 Weischenberg, Siegfried xxvii Weiss, Peter 132, 288, 290, 307, 309, 310 Welczeck, Johannes von 84 Welter, Erich xxx, xxxvii–xxxviii, 12–14, 16, 18, 20, 26, 31, 35–42, 45, 51, 61–63, 65–66, 96, 104, 106–108, 110–112, 131, 137, 172, 201–202, 205, 213, 225–227, 233–234, 247, 258, 271–272, 276–277, 279–283, 287–289, 294–295, 297, 299, 300, 302, 304–305, 310–311, 313–314, 320–322, 325–326, 329–330 Weltmann, Lutz 48, 242 Werner, Bruno E. 103, 182 Werner, Theodor 235 West, Paul 96 Wichmann, Jürgen 379 Wiegand, Wilfried 72, 274, 317 Wiele, Jan 253 Wilder, Thornton 184 Winter, Fritz 235, 243 Wirsing, Giselher 397 Wirsing, Sibylle 72, 344–345, 397 Wismar, Frank 156 Wolfe, Thomas 184 Wolff, Salomon 83–84 Wuermeling, Franz-Josef 373 Wuthenow, Ralph-Rainer 212 Xénakis, Iannis 265 Zehrer, Hans 81, 129 Zettler, Hans 72, 363, 397 Ziesel, Kurt 102–105, 107–112, 411 Zimmermann, Anita 350, 364 Zimmermann, Mac 245 Zoff, Otto 92–94, 181, 217 Zwerenz, Gerhard 193