Festschrift für Joachim Wenzel zum 65. Geburtstag 9783504382339

Am 23. Juni 2005 hat Joachim Wenzel, Vizepräsident des Bundesgerichtshofs und Vorsitzender des V. Zivilsenats, sein 65.

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Festschrift für Joachim Wenzel zum 65. Geburtstag
 9783504382339

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Festschrift für Joachim Wenzel

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Festschrift für Schriftenreihe des Evangelischen Siedlungswerkes in Deutschland e.V.

Joachim Wenzel zum 65. Geburtstag Herausgegeben von

Univ.-Prof. Dr. Wemer Merle, Mainz Richter am BGH Prof. Dr. Wolfgang Krüger, Karlsruhe Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Achim Krämer, Karlsruhe Notar Dr. Heinrich Kreuzer, München

2005

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Mit Beiträgen von Prof. Dr. Christian ArmbrUster,

Berlin Notar Dr. Gregor Basty, München Rechtsanwalt beim BGH Dr. Peter Bauk.elmann, Karlsruhe Vors. Richter am KG Dr. Lotbar Briesemeister, Berlin Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-RBub, München Vorsitzende Richterin am BGH Dr. Katharina Deppert, Karlsruhe Richter des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Reinhard Gaier, Karlsruhe Vors. Richter am OLG Dr. Wolfgang Gottschalg, Düsseldorf Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Norbert Gross, Docteur en Droit, Karlsruhe Vtzepräsident des BGH a. D. Prof. Dr. Horst Hagen, Waldbronn Prof. Dr. Martin Häublein, Berlin Präsident des Bundesgerichtshofes Prof. Dr. Günter Hirsch, Karlsruhe Notar Prof. Dr. Stefan Hügel, Erfurt Notar Prof. Dr. Rainer Kanzleiter, Neu-Ulm

Rechtsanwalt Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Achim Krämer, Karlsruhe Notar Dr. Heinrich Kreuzer, München Richter am BGH Prof. Dr. Wolfgang Krüger, Karlsruhe Staatssekretär Herbett Landau, Wiesbaden Richter am BGH Dr. Reiner Lemke, Karlsruhe Prof. Dr. Wolfgang Lüke, Dresden Prof. Dr. Wemer Merle, Mainz Notar Dr. Manfred Rapp, Landsberg am Lech Richter am BGH Dr. Jürgen Schmidt-Räntsch, Karlsruhe Richterin am BGH Dr. Christina Stresemann, Karlsruhe Richter am BGH a. D. Karl-Friedrich Th>pf, Karlsruhe Richter am BGH a. D. Max Vogt, Gauting Notar Dr. Hans Wolfsteiner, München Notar Dr. Stefan Zimmermann, Köln

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Geleitwort Am 23. Juni 2005 hat Joachim Wenzel, Vizepräsident des Bundesgerichtshofs und Vorsitzender des V. Zivilsenats, sein 65. Lebensjahr vollendet. Sein damit verbundenes Ausscheiden aus dem richterlichen Dienst gibt Anlass zur Rückschau und zur Würdigung seines überaus erfolgreichen und fruchtbaren Schaffens. Wir freuen uns, ihm als Zeichen der Verbundenheit zusammen mit Kolleginnen und Kollegen, Freunden und Weggefährten eine Festschrift überreichen zu dürfen, die ein wenig von dem widerspiegelt, was sein richterliches Wirken ausmacht. Joachim Wenzel ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Er stammt aus Stettin und kam mit seinen Eltern 1944 nach Hessen, wo er in Bad Homburg v. d. H. aufwuchs. Die Reifeprüfung bestand er an einem altsprachlichen Gymnasium. Neben der Schule engagierte er sich in kirchlichen Jugendgruppen und im Kirchenchor. Bei diesen Voraussetzungen bot sich ein Studium der Rechte oder der evangelischen Theologie an, zumal sein Vater Staatsanwalt war und seine Großväter Pfarrer. Beide Wege waren jedoch wohl zu vorgezeichnet, als dass er sie sogleich hätte beschreiten mögen, und so studierte er zunächst in Lausanne zwei Semester französische Literatur. Dies gab ihm die Freiheit, sich anschließend für das Jurastudium an der Universität Frankfurt am Main zu entscheiden – wobei die Theologie schon wegen der vielen Gemeinsamkeiten nie ganz aus dem Blick geriet. Nach dem Assessorexamen tat Joachim Wenzel wiederum nicht das, was nahe lag und ihm auf den Leib geschneidert war. Er wurde nicht Richter in Frankfurt, sondern Rechtsanwalt in Offenbach. Auch promovierte er nicht im Zivilrecht, dem Rechtsgebiet, das später sein Hauptbetätigungsfeld werden sollte, sondern mit einer staatswissenschaftlichen Abhandlung über die Rundfunkfreiheit bei Walter Mallmann in Gießen. Doch seinem Schicksal kann man nicht entrinnen. 1971 tritt Joachim Wenzel in den Justizdienst des Landes Hessen ein und profiliert sich als Zivilrichter. 1980 wird er Richter am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main und neben seiner richterlichen Tätigkeit alsbald mit Verwaltungsaufgaben betraut. Man wird höheren Orts auf ihn aufmerksam, holt ihn ins Hessische Ministerium der Justiz und überträgt ihm das Referat für die Personalangelegenheiten der hessischen Richter und VII

Geleitwort

Staatsanwälte. Diese diffizile Aufgabe, die dadurch nicht leichter wurde, dass er einer anderen als der dortigen Regierungspartei angehört, erfüllt er mit Bravour. 1987 wird er zum Leitenden Ministerialrat ernannt und 1988 für die Bundesrichterwahl vorgeschlagen. Am 4. Juli 1988 zum Richter am Bundesgerichtshof ernannt, weist ihn das Präsidium dem hauptsächlich für Grundstücksfragen zuständigen V. Zivilsenat zu. Bald danach wird er auch Mitglied des Landwirtschaftssenats. In beiden Senaten wird er vor Probleme gestellt, deren rechtliche Durchdringung sich als überaus reizvoll erweist und deren Lösung schöpferische Kraft und Augenmaß verlangt, Eigenschaften, die bei Joachim Wenzel auf eine glückhafte Weise im Gleichgewicht liegen. Hier, als Richter der obersten Instanz für Zivilsachen, findet er seine berufliche Erfüllung. Am 23. Februar 1999 wird er Vorsitzender beider Senate, und am 6. Juni 2002 findet seine herausragende Befähigung zusätzliche Anerkennung durch die Ernennung zum Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofs. Drei Rechtsgebiete sind es, denen sich der Jubilar neben dem allgemeinen Grundstücksrecht als der Kernmaterie des V. Zivilsenats besonders zugewandt hat: dem Wohnungseigentumsrecht, dem 2002 in Kraft getretenen neuen Rechtsmittelrecht und den Fragen um die Umwandlung und Abwicklung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften nach der Wiedervereinigung. Das dritte der genannten Problemfelder war vom Landwirtschaftssenat zu beackern. Die Lösungen, die der Senat gefunden hat, stammen sämtlich aus den Voten des Berichterstatters Joachim Wenzel. Die Arbeit, die sich dahinter verbirgt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und verdiente, durch eine gesonderte Festschrift gewürdigt zu werden. Für die Abwicklung derartiger Genossenschaften gab es keine vergleichbaren Konstellationen, an denen sich Gesetzgeber und Gerichte hätten orientieren können. Die gesetzlichen Regelungen ließen viele Fragen offen. Die Literatur, insbesondere die gesellschaftsrechtliche Literatur, nahm sich des Themas fast ausnahmslos nicht an. Dies war die Grundlage, auf der Joachim Wenzel dem Senat seine Vorschläge unterbreiten musste. Sie hielten späterer Kritik von Gesellschaftsrechtlern stand und wurden gefestigte Rechtsprechung. Das Wohnungseigentumsrecht fand in Joachim Wenzel erstmals einen Berichterstatter, der im Senat vornehmlich mit dieser schwierigen und auch nicht immer widerspruchsfrei behandelten Materie betraut wurde. VIII

Geleitwort

Durch ständigen Kontakt mit der Praxis, der ihm Einblick in die Probleme und Usancen der Verwalter kleiner und großer Wohnungseigentumsanlagen verschaffte, gelang es ihm, die Rechtsprechung stärker auf die Bedürfnisse der Praxis auszurichten. Andererseits suchte er, die Lösungen mit den dogmatischen Grundlagen des Wohnungseigentums spannungsfrei in Übereinstimmung zu bringen. Die Abgrenzung zwischen Vereinbarung und Mehrheitsbeschluss durch die Entscheidung vom 20. September 2000 (BGHZ 145, 158) und die damit verbundene Stärkung der Rechtsposition des einzelnen Wohnungseigentümers ist dafür nur ein Beispiel. Das neue Rechtsmittelrecht trifft alle Zivilsenate des Bundesgerichtshofs gleichermaßen. Unterschiedliche Auffassungen bei der Auslegung insbesondere der Zulassungsgründe im Revisions- und Rechtsbeschwerderecht waren zu erwarten, zumal sich solche schon während des Gesetzgebungsverfahrens in internen Diskussionen wie in Aufsätzen und Kommentarbeiträgen abzeichneten. Sie blieben auch nicht aus, so dass das Bundesverfassungsgericht eine Vereinheitlichung anmahnte. Dass es hierzu gekommen ist und die Rechtsprechung sich im Wesentlichen eingependelt hat, ist zu einem großen Teil dem Jubilar zu verdanken, der zum einen in seinem Senat darauf gedrängt hat, dem neuen Recht durch möglichst viele Leitsatzentscheidungen Konturen zu verleihen, zum anderen nicht müde geworden ist, für eine einheitliche Sicht der Dinge zu werben. Das, was Joachim Wenzel als Richter bewegt hat, hat ihn auch wissenschaftlich beschäftigt. Ein quantitativ wie qualitativ beeindruckendes Verzeichnis der Veröffentlichungen am Ende der Festschrift gibt darüber Auskunft. Hervorzuheben seien hier nur seine Kommentierung des Revisionsrechts im Münchener Kommentar zur ZPO, dessen dritte Auflage er demnächst auch als Mitherausgeber betreuen wird, seine Darstellung des Verfahrensrechts im Wohnungseigentumsgesetz im Kommentar von Staudinger und sein Aufsatz zum Bestandsschutz fehlerhaft umgewandelter LPG-Unternehmen in Erwiderung der Kritik an der Rechtsprechung des Landwirtschaftssenats aus dem Kreis der Gesellschaftsrechtler. Wir haben erwähnt, dass dem Juristen und Richter theologische Fragestellungen neben seiner beruflichen Tätigkeit stets angelegen geblieben sind. In seiner hessischen Zeit hat er sich in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau als Kirchenvorsteher, als Vorsitzender der Dekanatssynode Usingen und als Vorsitzender des arbeitsrechtlichen IX

Geleitwort

Schlichtungsausschusses engagiert. In der Evangelischen Landeskirche in Baden war er Ältester sowie Mitglied der Bezirkssynode und des Bezirkskirchenrats von Karlsruhe und Durlach. Viele Jahre war er Mitglied des Verwaltungsgerichts der Landeskirche in Baden. Auch in seinen Veröffentlichungen finden sich immer wieder Antworten auf Fragen, die auch theologische oder kirchliche Bezüge aufweisen. Dieses kirchliche Engagement konnte Joachim Wenzel mit seiner besonderen Vorliebe für das Wohnungseigentumsrecht verknüpfen. Seit vielen Jahren referiert er in Fischen bei den jährlich vom Evangelischen Siedlungswerk in Deutschland e. V. durchgeführten Fachgesprächen vor Hunderten von Verwaltern die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Wohnungseigentumssachen. Seine Erläuterungen zu den praktischen Konsequenzen der höchstrichterlichen Entscheidungen tragen maßgeblich zu deren Akzeptanz in der Wohnungswirtschaft bei. Das Evangelische Siedlungswerk in Deutschland ist dankbar, mit Joachim Wenzel einen idealen Partner für seine Gespräche zwischen Wissenschaftlern, Praktikern und führenden Fachleuten der Wohnungswirtschaft gefunden zu haben. Das Bild des Jubilars, das wir hier zeichnen können, soll und kann nicht vollständig sein. Es fehlte ihm aber etwas Wesentliches, ließen wir die Liebe zur Musik unerwähnt, und dabei vor allem anderen die Liebe zur Musik von Bach. Spricht man ihn hierauf an, kann es geschehen, dass man, man mag wollen oder nicht, ausführlich Auskunft über Bachs Werk erhält. Und sind nicht auch hier in der Musik, ganz wie bei der Theologie, Ähnlichkeiten zur Jurisprudenz erkennbar? Gesetzmäßigkeiten gibt es hier wie dort. Die Kunst der Fuge hat der zu Ehrende jüngst selbst mit einer kunstvoll aufgebauten Entscheidung verglichen. Dem wollen wir nicht weiter nachgehen und die Frage der Tragfähigkeit des Vergleichs, dem Rat kluger Juristen folgend, dahin gestellt bleiben lassen. Unsere Glückwünsche lassen demgegenüber nichts offen. Sie gelten dem liebenswürdigen Menschen Joachim Wenzel und kommen aus freundschaftlicher Verbundenheit. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass sich daran nichts ändern möge. Karlsruhe, im Juni 2005 Werner Merle

Wolfgang Krüger

Achim Krämer

Heinrich Kreuzer

Evangelisches Siedlungswerk in Deutschland e. V. X

Inhalt Geleitwort ............................................................................................. VII Verzeichnis der Autoren ....................................................................... XV

Zivilprozessrecht Lothar Briesemeister Öffentliche Zustellung und rechtliches Gehör ..............................

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Katharina Deppert Rechtskraftwirkung und Bemessung der Beschwer einer Entscheidung über die einseitige Erledigungserklärung des Klägers ............................................................................................... 23 Günter Hirsch Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot und gerichtliche Auslegung am Beispiel der neuen Zugangsvoraussetzungen zur dritten Instanz .................................................................................. 39 Hans Wolfsteiner Vollstreckbare Urkunden über Wohngeld ...................................... 59 Stefan Zimmermann Erteilung einer Vollstreckungsklausel trotz nichtigen Grundstücksgeschäfts? .................................................................... 69

Wohnungseigentumsrecht Christian Armbrüster Parallelen zwischen Wohnungseigentumsrecht und Gesellschaftsrecht ............................................................................ 85 Gregor Basty Zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums .................................. 103 Wolf-Rüdiger Bub Die Bindung des Sonderrechtsnachfolgers an die Zustimmung zu baulichen Veränderungen gem. § 22 Abs. 1 WEG ..................... 123

XI

Inhalt

Reinhard Gaier Unterteilung von Wohnungseigentum ........................................... 145 Wolfgang Gottschalg Amtsniederlegung des WEG-Verwalters ......................................... 159 Martin Häublein Die rechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft – Vorzüge eines Paradigmenwechsels – dargestellt am Beispiel der Haftung für Verwaltungsschulden – ......................................... 175 Horst Hagen Zur Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerversammlung und ihrer rechtlichen Bedeutung – Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“ ......................... 201 Stefan Hügel Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen ....................... 219 Wolfgang Lüke Freigabe und was dann? Zu den materiellrechtlichen Folgen der Freigabe der Wohnung in der Insolvenz ihres Eigentümers ..... 235 Werner Merle Die Vereinbarung als mehrseitiger Vertrag – Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text? .................... 251 Manfred Rapp Identische Strukturen bei Erbbaurecht und Wohnungseigentum . 271

Grundstücksrecht Peter Baukelmann Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB ........................................................................ 287 Rainer Kanzleiter Der Schutz des Erwerbers durch Vormerkung im Bauträgervertrag ............................................................................................... 309 Christian Kirchberg Zur „Angemessenheit“ bei der einvernehmlichen Umlegung ...... 327 XII

Inhalt

Achim Krämer Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ................................... 345 Heinrich Kreuzer Die BGH-Vorkaufs-Rechtsprechung in der notariellen Praxis ...... 361 Herbert Landau Bodenmanagement und Bodenmanagementbehörde ...................... 377 Reiner Lemke Zur Abgrenzung von eingeschränktem Grundstücksnießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit .......................................................... 391 Jürgen Schmidt-Räntsch Die unerhebliche Vertragsverletzung .............................................. 409 Christina Stresemann Versteinert und leicht angestaubt? Von groben, feinen und negativen Immissionen .................................................................... 425 Karl Friedrich Tropf Zur Vertretbarkeit des Sachmangels beim Kauf ............................. 443 Max Vogt Umgehung des Vorkaufsrechts ........................................................ 453

Varia Norbert Gross Der Vizepräsident ............................................................................. 467 Wolfgang Krüger Von Wissenschaft und Praxis .......................................................... 491

Bibliographie Joachim Wenzel ............................................................. 505

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Verzeichnis der Autoren Christian Armbrüster Prof. Dr., Berlin Gregor Basty Dr., Notar, München Peter Baukelmann Dr., Rechtsanwalt beim BGH, Karlsruhe Lothar Briesemeister Dr., Vors. Richter am KG, Berlin Wolf-Rüdiger Bub Prof. Dr., Rechtsanwalt, München Katharina Deppert Dr., Vorsitzende Richterin am BGH, Karlsruhe Reinhard Gaier Dr., Richter des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe Wolfgang Gottschalg Dr., Vors. Richter am OLG, Düsseldorf Norbert Gross Prof. Dr., Docteur en Droit, Rechtsanwalt beim BGH , Karlsruhe Horst Hagen Prof. Dr., Vizepräsident des BGH a. D., Waldbronn Martin Häublein Prof. Dr., Berlin Günter Hirsch Prof. Dr., Präsident des BGH, Karlsruhe Stefan Hügel Prof. Dr., Notar, Erfurt Rainer Kanzleiter Prof. Dr., Notar, Neu-Ulm Christian Kirchberg Dr., Rechtsanwalt, Karlsruhe XV

Verzeichnis der Autoren

Achim Krämer Prof. Dr., Rechtsanwalt beim BGH, Karlsruhe Heinrich Kreuzer Dr., Notar, München Wolfgang Krüger Prof. Dr., Richter am BGH, Karlsruhe Herbert Landau Staatssekretär, Wiesbaden Reiner Lemke Dr., Richter am BGH, Karlsruhe Wolfgang Lüke Prof. Dr., Dresden Werner Merle Prof. Dr., Mainz Manfred Rapp Dr., Notar, Landsberg am Lech Jürgen Schmidt-Räntsch Dr., Richter am BGH, Karlsruhe Christina Stresemann Dr., Richterin am BGH, Karlsruhe Karl Friedrich Tropf Richter am BGH a.D., Karlsruhe Max Vogt Richter am BGH a. D., Gauting Hans Wolfsteiner Dr., Notar, München Stefan Zimmermann Dr., Notar, Köln

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Öffentliche Zustellung und rechtliches Gehör Lothar Briesemeister Inhaltsübersicht I. Der Fall II. Auswertung der Kommentare und der Rechtsprechung 1. Allgemeines 2. Ausgangsentscheidung des BVerfG 3. Kritik an der Entscheidung des BVerfG 4. Erster Nachvollzug durch den BGH 5. Nachvollzug durch das OLG Hamm 6. Weiterer Anlauf des BVerfG 7. Varianten anderer Obergerichte a) BayObLG b) OLG Zweibrücken c) OLG Schleswig d) OLG Stuttgart 8. Dritter Anlauf des BGH 9. Vierter Anlauf des BGH III. Anwendung der Rechtsprechung auf den Eingangsfall 1. Liegt ein arglistiges Verhalten des späteren Titelgläubigers vor? 2. Hat das Fehlverhalten des Gerichts (bei dem Erkennbarkeit

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genügen soll) entscheidendes Übergewicht gegenüber der „Arglist“ des Verwalters? Welches Gewicht hat der Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör im vorliegenden Falle? Ist die verfahrensrechtlich verfrühte Verurteilung ein Vermögensnachteil? Ist die Vollstreckungsmaßnahme (Zwangshypothek) für sich ein Schaden? Inwieweit bewirkt die Gehörsrüge in Form der verfahrensfehlerhaften öffentlichen Zustellung eine Neuaufrollung des Vorprozesses? Sittenwidrige Erschleichung eines materiell richtigen Zahlungstitels? Zwangshypothek als Vermögensnachteil? Zahlung als einfachster Rechtsbehelf?

I. Der Fall Ein Wohnungseigentümer, der seine Wohnung vermietet hat, zieht nach Spanien, teilt dem Verwalter seine dortige Anschrift mit und verlässt sich darauf, dass der Verwalter die fälligen Wohngelder aus den Mieteinnahmen begleicht. Die Miete wird aus irgendeinem Grund nicht bezahlt, der Verwalter klagt das ausstehende Wohngeld ein und beantragt die Auslandszustellung. Der für Wohnungseigentumssachen 3

Lothar Briesemeister

zuständige Richter hält die Auslandszustellung für zu kompliziert1. Auf Anregung des Amtsrichters beantragt der Verwalter eine öffentliche Zustellung. Antragsschrift, Ladung zum Termin und später der Wohngeldtitel werden dem Wohnungseigentümer öffentlich zugestellt. Der Wohngeldtitel wird rechtskräftig. Der Verwalter lässt im Grundbuch eine Zwangshypothek auf dem Wohnungseigentumsrecht eintragen. Nach Jahr und Tag kehrt der Wohnungseigentümer nach Deutschland zurück. Er will seine Wohnung verkaufen. Der Käufer will die Zwangshypothek nicht übernehmen. Der Wohnungseigentümer verlangt vergeblich die Freigabe vom Verwalter und will alle zulässigen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen den rechtskräftigen Wohngeldtitel einlegen. Ein junger Rechtsanwalt wälzt die ihm zur Verfügung stehenden Kommentare und durchforstet die Rechtsprechung.

II. Auswertung der Kommentare und der Rechtsprechung 1. Allgemeines Die Recherche ist verwirrend im Hinblick auf folgende Ergebnisse: Wenn durch die öffentliche Zustellung nach §§ 185 ff. ZPO n. F. (= §§ 203 ff. ZPO a. F.) das verfassungsmäßig gewährleistete rechtliche Gehör vor Gericht nach Art. 103 GG verletzt ist, weil der Beklagte von dem gegen ihn gerichteten Verfahren nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nichts erfährt, dann müssten die öffentliche Zustellung verfassungswidrig und die §§ 185 ff. ZPO eigentlich nichtig sein, die Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen also nicht in Gang gesetzt und damit immer gewahrt werden, sobald der Beklagte wieder auftaucht und – etwa durch Vollstreckungsmaßnahmen – von dem Titel erfährt, der damit also niemals rechtskräftig wird. Damit würde allerdings der ebenfalls verfassungsmäßig garantierte Justizgewährungsanspruch des Klägers verletzt werden, wenn der Beklagte unbekannt verzieht. Das OLG Köln hat deshalb postuliert: Wer mit unbekanntem Aufenthalt ins Ausland verzieht, ohne Vorkehrungen für etwaige Zustellungen zu treffen, dessen Unkenntnis von einer öffentlichen Zustellung ist nicht schuldlos2. Kurios mutet der von Guttenberg3 berichtete Versuch des __________ 1 Der Fall ist nicht erfunden: vgl. KG vom 2.12.2002 – 24 W 155/02 – ZMR 2003, 377 = GE 2003, 261. 2 OLG Köln v. 18.3.1993 – 17 W 55/93 – VersR 1993, 1127.

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Öffentliche Zustellung und rechtliches Gehör

BGH4 an, zum damaligen „unabwendbaren Zufall“ (§ 233 ZPO a. F., jetzt „ohne Verschulden“) danach zu unterscheiden, ob der im Ausland Ansässige wegen besonderer Umstände überhaupt nicht die Möglichkeit hatte, Einsicht in die Bekanntmachungsorgane (Bundesanzeiger, Gerichtstafel) zu nehmen, also nach theoretischen Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten zu trennen. Im Hinblick auf die regelmäßig zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten des Internet wäre heutzutage zu ergänzen: Wer sich mit seinem Namen im weltweiten Internet anmeldet und dort auffindbar ist, kann niemals unbekannten Aufenthalts und damit unerreichbar sein, so dass die öffentliche Zustellung gegen ihn nicht zulässig ist. Das BVerfG lehnt es jedoch ersichtlich ab, die Vorschriften über die öffentliche Zustellung wegen des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör als verfassungswidrig und damit nichtig anzusehen. Seine Abgrenzung der Unzulässigkeit von der Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung kann offenkundig von den Zivilgerichten nur schwer nachvollzogen werden.

2. Ausgangsentscheidung des BVerfG In der Entscheidung vom 26.10.1987 sieht das BVerfG einen Grundrechtsverstoß darin, dass eine öffentliche Bekanntmachung erfolgt ist, obwohl eine andere Art der Zustellung ohne weiteres möglich gewesen wäre: Die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist, sei es wegen des unbekannten Aufenthalts des Zustellungsempfängers, sei es wegen der Vielzahl oder der Unüberschaubarkeit des Kreises der Betroffenen5. Solche sachlichen Gründe lagen hier nicht vor. Das Versäumnisurteil erging somit unter Verletzung der Rechte des Bf. aus Art. 103 Abs. 1 GG. Dieser Verfassungsverstoß setzte sich in der Verwerfung des Einspruchs unter Ablehnung der Wiedereinsetzung gegen die vermeintliche Versäumung der Einspruchsfrist fort. Auf der Basis der einfachrechtlich unzutreffenden, verfassungsrechtlich aber nicht zu beanstandenden Annahme des AG, der Einspruch sei ein statthafter Rechtsbehelf gegen das Versäumnisurteil, wäre es jedenfalls geboten gewesen, den vor Erlass dieses Urteils geschehenen Gehörsverstoß durch __________ 3 Guttenberg, MDR 1993, 1049, 1050. 4 BGHZ 25, 11, 13. 5 BVerfGE 61, 82, 109 ff.

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Lothar Briesemeister

eine Sachentscheidung über die mit dem Einspruch erhobenen Einwendungen zu heilen.

3. Kritik an der Entscheidung des BVerfG Allein aus dem Fehlen der objektiven Voraussetzungen des unbekannten Aufenthalts folgert das BVerfG die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung. Dabei verkennt es, dass nicht etwa der einfache Antrag des Klägers mit der (mehr oder weniger substantiierten) Behauptung, der Beklagte sei unbekannten Aufenthalts, dazu ausreicht, die öffentliche Zustellung zu veranlassen. Dann könnte man freilich im Falle der objektiven Unrichtigkeit der Angaben eine Unwirksamkeit der Zustellung von der Klage, der Ladung und sodann des Versäumnisurteils annehmen. Das BVerfG übersieht jedoch, dass zwischen der öffentlichen Zustellung und dem darauf gerichteten Antrag des Klägers eine unanfechtbare positive Entscheidung des Gerichts liegt, dass nach Prüfung der Voraussetzungen die öffentliche Zustellung bewilligt werde. § 188 ZPO (früher § 206 ZPO) ordnet im Wege einer Fiktion an, dass bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen die Zustellung als erfolgt gilt. Wenzel6 führt im Münchener Kommentar zu § 203 ZPO a. F. aus, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs eine gerichtliche Entscheidung grundsätzlich nicht unwirksam sein lässt und noch nicht einmal ein nach der Verfahrensordnung nicht statthaftes Rechtsmittel eröffnet. Das muss auch für den Bewilligungsbescheid gelten, und zwar unabhängig davon, ob das bewilligende Gericht das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen erkennen konnte oder nicht. Auch die verschuldet fehlerhafte Entscheidung ist unanfechtbar und verbindlich. Die Grundrechtsverletzung kann nur über eine Wiedereinsetzung beseitigt werden oder über ein (ordentliches) Rechtsmittel gegen die auf der fehlerhaften Zustellung beruhende Endentscheidung. Ist sie rechtskräftig geworden, kann die Unzulässigkeit der öffentlichen Zustellung – von einem Anspruch aus § 826 BGB abgesehen – nur noch mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Die öffentliche Zustellung ist selbst dann wirksam, wenn die Partei sie durch wissentlich falsche Angaben erschlichen hat. Denn auch die Erschleichung ist kein Unwirksamkeitsgrund gerichtlicher Entscheidungen, wohl aber ein Rechtsmissbrauch, der im Verfahren vom Amts wegen zu berücksichtigen ist, jedenfalls eine Wiedereinsetzung rechtfertigt oder einen Anspruch aus § 826 BGB auf Herausgabe des erlangten Titels und Unterlassung der __________ 6 Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3.

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Öffentliche Zustellung und rechtliches Gehör

Zwangsvollstreckung. Nach der ZPO-Reform 2002 ist zu ergänzen, dass auch ein außerordentliches Rechtsmittel generell ausscheidet7. Das Anfang 2005 in Kraft getretene Anhörungsrügengesetz (§ 321a ZPO, § 29a FGG) behandelt die öffentliche Zustellung nicht. Die ordnungsgemäß bewilligte öffentliche Zustellung ist damit nicht per se eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das rechtliche Gehör wird auch nicht bei Erlass der Endentscheidung verletzt, sondern allenfalls durch die vorhergehende Bewilligung der öffentlichen Zustellung, die als Zwischenentscheidung gemäß § 321a Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 29a Abs. 1 Satz 2 FGG nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden kann.

4. Erster Nachvollzug durch den BGH Dennoch versuchte der BGH, die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze teilweise zu verwirklichen und führte aus: Allerdings ist die öffentliche Zustellung einer Klage, einer Ladung oder eines Urteils nach der bisherigen Rspr. des BGH selbst dann wirksam, wenn der Kläger ihre Bewilligung durch wissentlich falsche Angaben erschlichen hat. Das wird mit folgenden Erwägungen begründet: Die Bewilligung der öffentlichen Zustellung sei eine gerichtliche Entscheidung. Diese Entscheidung werde nicht dadurch unwirksam, dass die vom Gericht angenommenen Voraussetzungen der Bewilligung in Wirklichkeit nicht gegeben seien. Dies gelte auch dann, wenn die Bewilligung in arglistiger Weise durch wissentlich falsche Angaben erschlichen werde. Denn gerichtliche Entscheidungen seien als Staatshoheitsakte so lange wirksam, bis sie auf ein Rechtsmittel der Beteiligten hin aufgehoben würden. Eine Aufhebung des Bewilligungsbeschlusses komme nicht in Betracht, weil es gegen ihn keinen Rechtsbehelf gebe8. Zudem erfordere es die Rechtssicherheit, dass die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nicht noch nach Jahren mit dem Versuch des Nachweises in Frage gestellt werden könne, dass ihre Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten9. Es sei allerdings fraglich, ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann. Die Vorschriften über die Zustellung dienen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs. Deshalb werden die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG bei der öffentlichen Zustellung eines Schriftstücks zumindest dann nicht gewahrt, wenn sie erfolgt, obwohl eine andere __________ 7 BGHZ 150, 133 = NJW 2002, 1577. 8 BGHZ 57, 108, 110 f. = MDR 1972, 44. 9 BGHZ 64, 5, 8 = MDR 1975, 476 zur öffentlichen Zustellung des Widerrufs der Erbeinsetzung.

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Lothar Briesemeister

Form der Zustellung ohne weiteres möglich wäre; denn die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung ist verfahrensrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. Hat der Kläger den Aufenthalt des Beklagten gekannt, so war die Voraussetzung des § 203 Abs. 1 ZPO nicht gegeben. Die von dem Kläger trotzdem herbeigeführte Bewilligung der öffentlichen Zustellung stellt dann im Hinblick auf den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör jedenfalls einen Rechtsmissbrauch dar10. Der Beklagte ist nicht gehalten, diesen Rechtsmissbrauch nach Abschluss des Prozesses erst in einem neuen Verfahren geltend zu machen. Vielmehr kann er diesen Einwand schon im laufenden Verfahren vorbringen, weil nur dadurch seinem Anspruch auf rechtliches Gehör effektiv Rechnung getragen wird. Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass dem Bekl. antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren ist11.

5. Nachvollzug durch das OLG Hamm Auf der Grundlage der Entscheidungen des BVerfG und des BGH fasste das OLG Hamm dann zusammen: Die öffentliche Zustellung ist als staatlicher Hoheitsakt wirksam; ob die Voraussetzungen des § 203 ZPO für eine Bewilligung der öffentlichen Zustellung objektiv erfüllt waren, ist dabei ohne Belang. Die Rechtssicherheit erfordert, dass die Wirksamkeit des Staatshoheitsaktes nicht noch Jahre später in Frage gestellt wird12. Allerdings ist eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Zustellung unwirksam13. Davon kann jedoch nur ausgegangen werden, wenn das bewilligende Gericht nach den ihm vorgetragenen Tatsachen erkennen konnte, dass die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nicht vorlagen, so dass dem Staatshoheitsakt von vornherein ein Fehler anhaftete, oder wenn der Kläger die Bewilligung der öffentlichen Zustellung rechtsmissbräuchlich herbeigeführt hat, etwa weil er die tatsächliche Anschrift des Beklagten kannte14. Um einen solchen Fall __________ 10 BGHZ 57, 108, 111 = MDR 1972, 44; BGHZ 64, 5, 8 = MDR 1975, 476. 11 BVerfG MDR 1988, 832 = NJW 1988, 2361. 12 OLG Köln NJW-RR 1993, 446 = FamRZ 1993, 78; Stein/Jonas/Roth, § 204 ZPO, Rz. 7; Thomas/Putzo, § 204 ZPO, Rz. 13; Zöller/Stöber, § 204 ZPO, Rz. 9; Fischer, ZZP 107 (1994), 163, 174. 13 BVerfG NJW 1988, 2361; BGH, Urt. v. 6.4.1992 – II ZR 242/91, BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280 = MDR 1992, 997. 14 OLG Köln NJW-RR 1993, 446; Fischer, ZZP 107 (1994), S. 175.

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Öffentliche Zustellung und rechtliches Gehör

handelt es sich hier indessen nicht. Die öffentliche Zustellung war weder erschlichen noch war für das Amtsgericht eine anderweitige Zustellungsmöglichkeit ersichtlich. Dem Beklagten kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, da die Ausschlussfrist von einem Jahr gem. § 234 Abs. 3 ZPO abgelaufen ist. Dass der Beklagte – nach seinem Vorbringen – vor Fristablauf keine Kenntnis von dem Urteil, ja nicht einmal vom zugrunde liegenden Verfahren hatte, hinderte den Ablauf der Frist nicht; die absolute Wirkung des Fristablaufs tritt ohne Rücksicht auf Billigkeitsgesichtspunkte ein15. Gegen den Ablauf der Frist ist auch keine Wiedereinsetzung möglich16.

6. Weiterer Anlauf des BVerfG Eine neue Richtung gab danach das BVerfG vor: Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass die Gerichte die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs nachholen, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht. Die Abweisung einer auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützten Nichtigkeitsklage mit der Begründung, diese Vorschrift erfasse lediglich minderjährige Kinder, beschränkt Geschäftsfähige, Gebrechliche und juristische Personen, die nur durch das Handeln natürlicher Personen im Rechtsverkehr auftreten können, verletzt die Art. 3 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch das Auftreten von Prozessvertretern umfasst, die hierfür von vornherein keine Vollmacht hatten17. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezweckt den Schutz der Parteien, die ihre Angelegenheiten im Prozess nicht verantwortlich regeln könnten oder denen die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen. Dies ist in dem Lichte zu sehen, dass das Wiederaufnahmeverfahren nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs sicherstellt, wenn eine Partei infolge von Umständen, die sie nicht zu vertreten hat, daran gehindert war, sich im Prozess (eigenverantwortlich) zu äußern. Mit diesen Formulierungen war die Frage aufgeworfen, ob unter § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch die unterbliebene Prozessbeteiligung auf Grund eines Verfahrensfehlers des Gerichts, z. B. einer unberechtigten öffentlichen Zustellung, fällt. __________ 15 Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl.2000, § 234 ZPO, Rz. 7. 16 BGH VersR 1987, 256; Fischer, ZZP 107 (1994), S. 177; Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 234 Rz. 7. 17 BGHZ 84, 24, 28 = NJW 1982, 2449; Greger in Zöller, ZPO 20. Aufl., § 579 Rz. 6; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO 21 Aufl., § 579 Rz. 6, jew.m. w. N.

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7. Varianten anderer Obergerichte Kurz vor der nächsten BGH-Entscheidung äußerten sich das BayObLG, das OLG Zweibrücken, das OLG Schleswig und das OLG Stuttgart mit unterschiedlichen Varianten:

a) BayObLG Die öffentliche Zustellung einer Entscheidung verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und ist deswegen unwirksam, wenn das die öffentliche Zustellung anordnende Gericht nach den ihm bekannten Tatsachen die Voraussetzung einer öffentlichen Zustellung, nämlich einen unbekannten Aufenthalt des Zustellungsadressaten, nicht, oder jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen bejahen durfte18. Die öffentliche Zustellung nach §§ 203 bis 206 ZPO a. F. ist auch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich gemäß § 16 Abs. 2 FGG zulässig19. Liegt aber die Voraussetzung des § 203 Abs. 1 ZPO a. F., nämlich ein unbekannter Aufenthalt, nicht vor, so kann deshalb die öffentliche Bekanntmachung die dort vorgesehene Zustellungsfiktion schwerlich auslösen20. Eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Zustellung ist unwirksam; sie setzt die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf21. Von einer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden öffentlichen Zustellung ist dann auszugehen, wenn das bewilligende Gericht nach den ihm bekannten Tatsachen die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nicht, oder jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen bejahen konnte22.

b) OLG Zweibrücken Die Bewilligung der öffentlichen Zustellung trotz Fehlens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen führt zur Unwirksamkeit der Zustellung23. Die ordnungsgemäße Erfüllung der Zustellungsvorschriften dient der Verwirklichung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen __________ 18 BayObLG v. 27.1.2000 – 1 Z BR 112/99 – BayObLGZ 2000, 14 = NJW-RR 2000, 1452= FamRZ 2000, 1097. 19 BayObLG NJW-RR 1998, 1772. 20 BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 118, 45, 46 = NJW 1992, 2280. 21 OLG Hamm NJW-RR 1998, 1155; zweifelnd OLG Köln FamRZ 1995, 677, 678. 22 OLG Hamm NJW-RR 1999, 497 = FamRZ 1998, 172, 173; OLG Köln FamRZ 1995, 677, 678; NJW-RR 1993, 446 = FamRZ 1993, 78 f. 23 OLG Zweibrücken, Urt. v. 6.4.2001 – 2 UF 164/00 – FamRZ 2002, 468.

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Gehörs24. Die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG werden bei der öffentlichen Zustellung dann nicht gewahrt, wenn diese – wie vorliegend – erfolgt, obwohl eine andere Form der Zustellung möglich wäre. Liegen die Voraussetzungen des § 203 ZPO a. F. nicht vor, so kann durch die öffentliche Bekanntmachung die dort vorgesehene Zustellungsfiktion nicht ausgelöst werden25. Der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör ist Ausfluss des Rechtsstaatsgedankens für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens26 und genießt als solcher vorrangigen Schutz. Auch gerichtliche Anordnungen haben dahinter zurückzustehen. Die grundsätzliche Unanfechtbarkeit der Bewilligung der öffentlichen Zustellung kann daher deren Unwirksamkeit wegen Verletzung des – höherrangigen – Grundrechtes aus Art. 103 GG nicht entgegenstehen.

c) OLG Schleswig Eine gerichtlich angeordnete öffentliche Zustellung kann die in § 203 Abs. 1 ZPO geregelte Zustellungsfiktion nicht auslösen, wenn die Voraussetzung dieser Norm, ein unbekannter Aufenthalt der gegnerischen Partei, nicht vorgelegen hat27. Das folgt aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Art. 103 Abs. 1 GG. Eine rechtskräftige Entscheidung zu Lasten von Parteien, die niemals Gelegenheit gehabt haben, auf die gerichtliche Willensbildung Einfluss zu nehmen, verstößt grundsätzlich gegen diese verfassungsrechtliche Verbürgung. Die Ausnahme der §§ 203, 204 ZPO ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass die dort geregelte Zustellungsfiktion nur dann eingreift, wenn die objektiven Voraussetzungen dieser Vorschrift tatsächlich vorgelegen haben28. Weder die Rechtssicherheit noch Gründe des Schutzes der Bestandskraft gerichtlicher Staatshoheitsakte erlauben es, das Grundrecht der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG __________ 24 BVerfG v. 11.7.1984 – 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211 = NJW 1984, 2567. 25 BVerfG v. 26.10.1987 – 1 BvR 198/87, MDR 1988, 832 = NJW 1988, 2361; sowie im Anschluss daran – im Ergebnis jedoch offen lassend – BGH, Urt. v. 6.4.1992 – II ZR 242/91, BGHZ 118, 45 [47 f.] = MDR 1992, 997 = NJW 1992, 3280 m. krit. Anm. zur früheren Rspr. BGHZ 57, 108 [110 f.] = MDR 1972, 44 und BGHZ 64, 5 [8] = MDR 1975, 476. 26 BVerfGE 9, 89, 95. 27 OLG Schleswig, Beschl. vom 13.9.2001 – 16 W 84+85/01. 28 BVerfG v. 26.10.1987 – 1 BvR 198/87, MDR 1988, 832 = NJW 1988, 2361.

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mehr einzuschränken, als nach Sinn und Zweck der Ausnahmevorschriften der §§ 203, 204 ZPO unerlässlich ist. Diese aber lassen sich aus verfassungsrechtlicher Sicht ohnehin nur rechtfertigen, wenn ihre objektiven Voraussetzungen im Einzelfall tatsächlich vorgelegen haben. In diesem Zusammenhang kann es weder auf die Frage ankommen, ob dem bewilligenden Gericht nach den ihm vorgetragenen Tatsachen ein Vorwurf zu machen ist, dass es die öffentliche Zustellung bewilligt hat, noch kann es darauf ankommen, ob die beantragende Partei die Bewilligung der öffentlichen Zustellung rechtsmissbräuchlich herbeigeführt hat29. Entscheidend ist, dass durch die Anordnung einer öffentlichen Zustellung der betroffenen Partei der erste Zugang zu Gericht, der gem. Art. 103 Abs. 1 GG besonders schützenswert ist, ohne jeden Rechtsschutz, was in der Natur der Sache liegt, verwehrt wird. Das ist nur zu rechtfertigen, wenn der in § 203 Abs. 1 ZPO benannte zivilprozessuale Notstand tatsächlich vorliegt. Nur eine Partei, die wirklich objektiv für jedermann unbekannten Aufenthalts ist, muss es hinnehmen, dass in ihrer Abwesenheit ein Prozess geführt wird, den sie dann aufgrund öffentlicher Zustellung i. d. R. auch schon rechtskräftig verloren hat, bevor sie von der Zustellung überhaupt irgend etwas erfährt. Eine solche prozessuale Regelung ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG nur aufgrund der Erwägung zu rechtfertigen, dass nach deutschem Melderecht es jedermann durch ordnungsgemäße An- und Abmeldungen in der Hand hat, ein solches Ergebnis zu vermeiden, und dass außerhalb der Regeln des Melderechts jedenfalls derjenige solche Ergebnisse hinnehmen muss, der bewusst „untertaucht“.

d) OLG Stuttgart Die richtig ausgeführte Zustellung ist wirksam, selbst wenn die Voraussetzungen für deren Bewilligung nach § 203 ZPO nicht erfüllt gewesen sind. Die Ausschlussfrist von einem Jahr gemäß § 234 Abs. 3 ZPO findet nur dann keine Anwendung, wenn der Prozessgegner auf den Eintritt der Rechtskraft nicht vertrauen darf und der Antragsteller den Ablauf der Ausschlussfrist nicht zu vertreten hat30. Die richtig ausgeführte öffentliche Zustellung ist nach OLG Hamm wirksam, selbst wenn die Voraussetzungen für deren Bewilligung nach § 203 ZPO nicht erfüllt __________ 29 So aber noch BGH v. 6.4.1992 – II ZR 242/91, MDR 1992, 997 = NJW 1992, 2280, 2281. 30 OLG Stuttgart v. 8.11.2001 – 6 W 30/01 –.

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gewesen sein sollten31. Die entgegenstehende Ansicht des OLG Zweibrücken32, die Bewilligung der öffentlichen Zustellung trotz Fehlens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen führe wegen der gebotenen Verwirklichung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG33 zur Unwirksamkeit der Zustellung, trifft nicht zu. Zwar ist richtig, dass der BGH34 als Folge der genannten Kammerentscheidung des BVerfG ausgeführt hat, dass dann, wenn die Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 ZPO, nämlich ein unbekannter Aufenthalt der Partei, nicht vorliegen würden, die öffentliche Bekanntmachung die dort vorgesehene Zustellungsfiktion schwerlich auslösen könne; im Ergebnis hat der BGH die Frage allerdings ausdrücklich offengelassen. Dies überzeugt jedoch nicht. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs lässt gerichtliche Entscheidungen nicht unwirksam sein und eröffnet noch nicht einmal ein nach der Verfahrensordnung nicht statthaftes Rechtsmittel35. Dies muss auch für den Bewilligungsbeschluss gelten, wobei nicht entscheidend sein kann, ob das bewilligende Gericht das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen erkennen konnte oder nicht. Auch die verschuldet fehlerhafte Entscheidung ist unanfechtbar und verbindlich36. Dies erfordert auch die Rechtssicherheit; sie gebietet, dass die Wirksamkeit des gerichtlichen Bewilligungsbeschlusses nicht noch Jahre später in Zweifel gezogen werden kann37. Eine etwaige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG kann nur im Verfahren über eine Wiedereinsetzung beseitigt werden38. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet jedoch aus, wenn die Ausschlussfrist von einem Jahr gem. § 234 Abs. 3 ZPO abgelaufen ist. Selbst bei der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG, die Rechtsschutz gegen die Verletzung der Grundrechte und des Art. 103 Abs. 1 GG gewährt, ist eine entsprechende Ausschlussfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen __________ 31 OLG Hamm v. 28.7.1997 – 29 U 104/97, OLGR Hamm 1997, 265 = MDR 1997, 1155; OLG Köln v. 1.7.1992 – 2 U 6/92, OLGR Köln 1992, 324 = NJWRR 1993, 446; Wenzel in MünchKomm/BGB, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3. 32 OLG Zweibrücken v. 6.4.2001 – 2 UF 164/00, OLGR Zweibrücken 2001, 389. 33 BVerfG v. 26.10.1987 – 1 BvR 198/87, MDR 1988, 832 = NJW 1988, 2361. 34 BGH v. 6.4.1992 – II ZR 242/91, BGHZ 118, 45 = MDR 1992, 997 = NJW 1992, 2980. 35 BGH v. 8.11.1994 – XI ZR 35/94, MDR 1995, 409 = NJW 1995, 403; BVerfG v. 2.3.1982 – 2 BvR 869/81, BVerfGE 60, 96, 98 f.; BVerfGE 42, 252, 254 ff. 36 Wenzel in MünchKomm/BGB, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3. 37 OLG Hamm v. 28.7.1997 – 29 U 104/97, OLGR Hamm 1997, 265 = MDR 1997, 1155; Wenzel in MünchKomm/BGB, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3. 38 Wenzel in MünchKomm/BGB, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3, 5.

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Stand wegen der Versäumung der Einlegungsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG in § 93 Abs. 2 Satz 5 BVerfGG enthalten. Nach einem Jahr seit Ende der versäumten Frist ist der Antrag – auch in Fällen höherer Gewalt – unzulässig39.

8. Dritter Anlauf des BGH Näher an das BVerfG rückte wenig später der BGH: Die öffentliche Zustellung nach §§ 203 ff. ZPO ist unwirksam, wenn die Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntmachung (§ 203 Abs. 1 ZPO) nicht vorgelegen haben und das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht dies hätte erkennen können40. Die in der Diskussion über den Beschluss des BVerfG vertretene Auffassung, an der Wirksamkeit unzulässig bewilligter Zustellungen müsse im Interesse der Rechtssicherheit festgehalten werden und eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG sei zivilprozessual nur im Verfahren über eine Wiedereinsetzung – unter den dafür bestehenden Voraussetzungen – zu beseitigen41, ist unzutreffend. Sie findet auch im Beschluss des BVerfG keine Stütze. Die Entscheidung enthält keinen Hinweis darauf, dass es eines Antrags auf Wiedereinsetzung bedurft hätte, um das unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergangene und unter Verstoß gegen § 203 ZPO öffentlich zugestellte Versäumnisurteil zu beseitigen und zu einer Sachentscheidung zu gelangen. Die Unbedingtheit des vom BVerfG formulierten Gebots einer Sachentscheidung verbietet eine Einschränkung dahin, dass es in einem solchen Fall zu einer Sachentscheidung nur unter den engen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung kommen solle. Zwar dient auch das Wiedereinsetzungsverfahren – bei unverschuldeter Fristversäumung – der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör42. Dieses Verfahren bietet aber auf Grund der restriktiven Voraussetzungen, unter denen Wiedereinsetzung nur gewährt werden kann, keine hinreichende Gewähr dafür, Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf Grund unzulässig bewilligter öffentlicher Zustellungen gerade in besonders schwer wiegenden Fällen zu heilen. Für den somit noch __________ 39 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsauer, BVerfGG, Stand Oktober 2000, § 93 Rz. 41a; Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl. 1996, § 93 Rz. 60, 61. 40 BGH, Urt. v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00 in Abweichung von BGHZ 57, 108 = MDR 1972, 44; BGHZ 64, 5 = MDR 1975, 476. 41 Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 204 Rz. 7. 42 BVerfG v. 11.7.1984 – 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 212.

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zulässigen Einspruch bedarf es keiner Wiedereinsetzung. Durch ihn wird der Weg zu der vom BVerfG geforderten Sachentscheidung eröffnet (§ 342 ZPO). Dies steht im Einklang mit der Formulierung des BVerfG, dass die unter Verstoß gegen § 203 Abs. 1 ZPO bewilligte öffentliche Zustellung die in dieser Norm geregelte Zustellungsfiktion nicht auslösen könne.

9. Vierter Anlauf des BGH Im Gegensatz zu der soeben erörterten Entscheidung hat der BGH jedoch wiederum für den Fall, dass dem Gericht bei der Bewilligung der öffentlichen Zustellung kein Fehler unterlaufen ist, sondern die öffentliche Zustellung nur von einer Partei durch falsche Angaben arglistig erschlichen worden ist, an der harten Linie der Rechtssicherheit festgehalten: Allein deshalb, weil einer Partei die Klageschrift, die Ladung zum Termin und das Urteil öffentlich zugestellt worden sind und sie deshalb unverschuldet keine Kenntnis von dem Verfahren hatte, kommt eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht in Betracht. Das gilt auch dann, wenn der Gegner die öffentliche Zustellung durch falsche Angaben arglistig erschlichen hat. Eine Nichtigkeitsklage ist in solchen Fällen unzulässig43. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine öffentliche Zustellung, bei deren Bewilligung und Ausführung das in den §§ 203 ff. ZPO a. F. vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, auch dann wirksam, wenn ihre Bewilligung auf wissentlich falschen oder unvollständigen Angaben des Antragstellers beruhte44. Die Entscheidung des BVerfG stelle die bisherige Rechtsprechung des BGH nicht in Frage in den Fällen, in denen das Gericht aus seiner Sicht die öffentliche Zustellung zu Recht bewilligt habe. Schon die Rechtssicherheit erfordere es, dass die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nicht noch nach Jahren mit dem Versuch in Frage gestellt werden könne, dem bewilligenden Gericht sei der Sachverhalt nicht richtig oder nicht vollständig vorgetragen worden45. Das Gesetz misst einer öffentlichen Zustellung uneingeschränkt dieselben Wirkungen zu wie einer anderen Zustellung. Dass im Falle einer öffentlichen Zustellung der Zustellungsempfänger allenfalls durch Zufall __________ 43 BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00 – BGHZ 153, 189 = NJW 2003, 1326 = Schmidt, JuS 2003, 715 = FPR 2003, 260 = FamRZ 2003, 672 = Braun, JZ 2003, 903 = VersR 2003, 1325. 44 BGHZ 57, 108, 110 = NJW 1971, 2226; BGHZ 64, 5, 8 = NJW 1975, 827. 45 BGH NJW 1994, 589.

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Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erhält, liegt auf der Hand. Das Gesetz nimmt mithin bewusst in Kauf, dass im Falle einer öffentlichen Zustellung das Verfahren durchgeführt wird, ohne dass sich der Adressat in irgendeiner Weise an dem Verfahren beteiligen kann. Obwohl dem Adressaten der öffentlichen Zustellung auf diese Weise der in Art. 103 GG garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör versagt wird, ist die Regelung nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hatte nämlich abzuwägen zwischen dem Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör einerseits und dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Anspruch des Klägers auf Rechtsschutz gegenüber einem Beklagten mit unbekanntem Aufenthalt andererseits. Es ist sachgerecht, zumindest liegt es innerhalb des Regelungsspielraumes, der dem Gesetzgeber zur Verfügung steht, wenn er dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch des Klägers den Vorrang einräumt. Der Umstand allein, dass das Gericht des Vorprozesses eine Partei unter Einhaltung aller prozessualen Regeln nur fiktiv – durch öffentliche Zustellung – beteiligt hat, kann kein Grund für eine Nichtigkeitsklage sein. Würde man dies zulassen, so wäre praktisch in allen Fällen, in denen eine öffentliche Zustellung stattgefunden hat, die Nichtigkeitsklage eröffnet. Dies würde zu einer nicht erträglichen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Rechtsunsicherheit führen. Der Gesetzgeber hat in den §§ 579, 580 ZPO ganz enge Grenzen für die Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils im Wege der Wiederaufnahme gesetzt. Diese Grenzen sind einzuhalten. Es kann auch nichts anderes gelten, wenn der Kläger des Vorprozesses die Bewilligung der öffentlichen Zustellung durch falsche Angaben erschlichen hat. Es ist unzulässig, ein solches Fehlverhalten des Klägers des Vorprozesses mit dem Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör zu vermengen. Die Rechtsfolgen eines arglistig falschen Parteivortrags, mit dem die Partei einen ihr günstigen Ausgang des Prozesses erreichen will, sind nicht in den Bestimmungen über die Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO), sondern in der Bestimmung über die Restitutionsklage (§ 580 ZPO) geregelt. Dabei spielt es keine Rolle, ob mit dem falschen Vortrag eine öffentliche Zustellung erschlichen oder ein anderer prozessualer Vorteil erreicht worden ist. Nach § 580 Nr. 4 ZPO findet die Restitutionsklage u. a. statt, wenn der Gegner des Restitutionsklägers das Urteil des Vorprozesses durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt hat. Für die Berücksichtigung eines solchen Prozessbetruges ist aber nach § 581 ZPO eine rechtskräftige Verurteilung Voraussetzung. Nach § 580 Nr. 1 ZPO kommt die Restitutionsklage ferner in Betracht, wenn der Gegner des Restitutionsklägers durch die Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil des Vor16

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prozesses gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hätte. Aber auch hier wäre Voraussetzung einer Restitutionsklage eine vorherige rechtskräftige Verurteilung. Der Gegner ist damit nicht völlig rechtlos gestellt. Die Rechtsprechung gewährt demjenigen, der dadurch einen Vermögensschaden erlitten hat, dass ein anderer gegen ihn im Wege der Irreführung des Gerichts ein unrichtiges Urteil oder einen anderen Vollstreckungstitel erwirkt hat, einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 826 BGB (Unterlassung der Vollstreckung und Herausgabe des Titels).

III. Anwendung der Rechtsprechung auf den Eingangsfall Der Eingangsfall46 zeichnet sich dadurch aus, dass der Verwalter eine Auslandszustellung beantragt, das Gericht ihn aber zu einer öffentlichen Zustellung, für die demnach eindeutig die Voraussetzungen fehlten, bewogen hat. Damit stellen sich mehrere Fragen:

1. Liegt ein arglistiges Verhalten des späteren Titelgläubigers vor? Der BGH47 hat im Zusammenhang mit der öffentlichen Zustellung Arglist oder Rechtsmissbrauch oder Treuwidrigkeit nicht von einem mehr oder minder starken Verschulden abhängig gemacht, sondern die Voraussetzungen bereits bejaht, wenn „bei objektiver Betrachtung ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt.“ Die Kenntnis des Verwalters von der Anschrift des Wohnungseigentümers wird in diesem Sinne für den Rechtsmissbrauch der öffentlichen Zustellung ausreichen, auch wenn das Gericht dazu geraten hat. Wenn der Verwalter, der eine Auslandszustellung beantragt hat, dem Ratschlag des Gerichts in Richtung auf eine öffentliche Zustellung folgt, bleibt allerdings der Vorwurf des sittenwidrigen Verhaltens problematisch.

2. Hat das Fehlverhalten des Gerichts (bei dem Erkennbarkeit genügen soll) entscheidendes Übergewicht gegenüber der „Arglist“ des Verwalters? Im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BVerfG und des BGH soll die öffentliche Zustellung „wirkungslos“ sein, wenn das bewilligende Ge__________ 46 KG v. 2.12.2002 – 24 W 155/02 – ZMR 2003, 377 = GE 2003, 261. 47 BGHZ 64, 5 = NJW 1975, 827.

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richt bessere Erkenntnisse über den unbekannten Aufenthalt gehabt hat oder hätte haben müssen. Im Eingangsfall bestand sogar die positive Kenntnis des Gerichts von der vom Verwalter angegebenen Auslandsanschrift des Wohnungseigentümers. Durch das kollusive Zusammenwirken des Verwalters mit dem Gericht wird der Schutzgedanke für den Wohnungseigentümer klar in den Vordergrund treten, d. h. weder Gericht noch Verwalter durften auf die Wirksamkeit der mehrmals bewilligten öffentlichen Zustellung von Antragsschrift, Ladung und Zahlungstitel vertrauen.

3. Welches Gewicht hat der Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör im vorliegenden Falle? Der Wohngeldschuldner bestreitet die fälligen Wohngelder nicht. Auch die Verzugszinsen würden sich bei einer Fortführung des gerichtlichen Verfahrens nicht ändern. Die Neuverurteilung würde also ebenso aussehen wie die alte Verurteilung. Wenn der Schuldner keine Einwendungen gegen die Forderungen hat, kann er auch keine Änderung einer ihm nachteiligen Kostenentscheidung erreichen. Die Versagung des rechtlichen Gehörs hat sich also auf den geschaffenen Zahlungstitel nicht ausgewirkt. Der Schuldner erhielte durch die nachträgliche Anhörung einen rein formalen Einwand, der ihm voraussichtlich nichts bringt.

4. Ist die verfahrensrechtlich verfrühte Verurteilung ein Vermögensnachteil? Für einen optimalen Prozessbeobachter würde regelmäßig bei Beginn des Verfahrens dessen Ausgang auch durch die Instanzen feststehen, wenn der gesamte entscheidungserhebliche Sachverhalt vollständig in der Klageschrift vorgetragen ist und unstreitig bleibt. Die Verfahrensregelungen sollen nur bewirken, dass auch der Schuldner sich angemessen verteidigen kann. Wenn er keine Verteidigungsmöglichkeiten hat, mag er den Anspruch auf einen fairen Prozess nach den Regeln der Verfahrensordnung haben, an dem zu erwartenden Titel gegen ihn ändert sich dadurch nichts.

5. Ist die Vollstreckungsmaßnahme (Zwangshypothek) für sich ein Schaden? Solange ein Zahlungstitel auf dem Papier steht, ändert sich an den Vermögensverhältnissen des Schuldners nichts, außer dass eine Zahlungs18

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pflicht festgestellt wird. Erst mit Vollstreckungsmaßnahmen, seien sie auf die bloße Sicherung, seien sie schon auf die Verwertung gerichtet, geht der Zahlungstitel über seine vollstreckbare Papierexistenz hinaus. Ist eine Zwangshypothek im Wohnungsgrundbuch eingetragen, wird der Käufer vom Verkäufer deren Löschung verlangen. Die Löschung kann freilich auch unter notarieller Mitwirkung über den Verkaufserlös bewerkstelligt werden.

6. Inwieweit bewirkt die Gehörsrüge in Form der verfahrensfehlerhaften öffentlichen Zustellung eine Neuaufrollung des Vorprozesses? Würde man im Wege der „Auslegung des Verfahrensrechts“48 die vom Gericht zu verantwortende fehlerhafte öffentliche Zustellung zu einem (zusätzlichen) Nichtigkeitsgrund machen, würde sich nach § 590 ZPO am Ende des Wiederaufnahmeverfahrens die kontrovers beurteilte Frage stellen, ob unter allen Umständen das verfahrensfehlerhaft ergangene Ersturteil zunächst aufzuheben und bei unverändertem Sachverhalt eine gleichlautende Neuverurteilung vorzunehmen ist oder aber entsprechend § 343 ZPO das alte Urteil aufrechtzuerhalten, also zu bestätigen ist49. Wird diese Unterscheidung bewusst getroffen, sind im ersten Fall die alten Vollstreckungsmaßnahmen hinfällig, also aufzuheben, im zweiten Fall bleiben sie bestehen. Gewährt man bei auch für das Gericht erkennbarer verfahrensfehlerhafter öffentlicher Zustellung andere Rechtsbehelfe wie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vielleicht sogar wegen des Grundrechtsverstoßes ohne Rücksicht auf die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO) oder gar – bei Umfirmierung des fehlerhaften Ersturteils in ein verdecktes „Versäumnisurteil“ mangels Laufes einer Einspruchsfrist – den Einspruch gegen den vom Erstgericht erlassenen Zahlungstitel, ergibt sich direkt aus § 343 ZPO die Aufrechterhaltung des alten Urteils. Bei der Kostenentscheidung wäre dann allerdings nach § 344 ZPO die spannende Frage zu lösen, wem nach welchen Regeln die durch die materiellrechtlich sinnlose, nur formal berechtigte Fortführung des Verfahrens entstandenen zusätzlichen Kosten aufzuerlegen sind. __________ 48 BVerfG v. 29.10.1997 – 2 BvR 1390/95 – NJW 1998, 745. 49 Überwiegend wird ein Wahlrecht angenommen: Musielak, ZPO 4. Aufl., § 590 Rz. 9 m. w. N.; die Gegenmeinung Grunsky in Stein/Jonas, ZPO 21. Aufl., § 590 Rz. 15; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR 16. Aufl., § 160 IV 3 unter Berufung auf RGZ 75, 53, 57: Neuverurteilung „unter allen Umständen“.

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7. Sittenwidrige Erschleichung eines materiell richtigen Zahlungstitels? Würde nur die Klage aus § 826 BGB50 bleiben, stellt sich die Frage, ob die Treuwidrigkeit des Verwalters, der sich auf die verfahrensrechtlich falsche Anregung des Gerichts zur öffentlichen Zustellung eingelassen hat, den Tatbestand des § 826 BGB erfüllt und der verfrühte, aber materiell berechtigte Zahlungstitel einen Vermögensnachteil darstellt. Das Bestehen eines Titels stellt sicherlich ein herauszugebendes „Etwas“ im Sinne des § 812 BGB dar. Andererseits soll das Bereicherungsrecht nur „ungerechtfertigte“ Vermögensumschichtungen korrigieren, an denen es im vorliegenden Fall fehlt.

8. Zwangshypothek als Vermögensnachteil? Kommt es in dem Nachverfahren unter Aufhebung des verfahrensfehlerhaft erlassenen Zahlungstitels zu einer gleichlautenden Neuverurteilung, muss die Frage geklärt werden, ob die bereits eingetragene Zwangshypothek zunächst gelöscht werden muss und ggf.eine neue Zwangshypothek einzutragen ist oder bei Nichtzahlung des Wohngeldes der eingetragenen Zwangshypothek der neue, gleichlautende Zahlungstitel unterlegt werden kann. Zieht man die umstrittene51 Entscheidung des BGH52 zur Neuunterlegung einer Vormerkung zum Vergleich heran, könnte zumindest bei fehlenden Zwischenanträgen an das Grundbuchamt die alte Zwangshypothek bestehen bleiben, evtl. mit einem erläuternden Zusatz zur Eintragungsgrundlage.

9. Zahlung als einfachster Rechtsbehelf? Ganz revolutionär wäre schließlich der Gedanke, dass der Wohngeldschuldner seine Rechtslage gegenüber dem Zahlungstitel und der Zwangshypothek dadurch entscheidend verbessern könnte, dass er den wenn auch fehlerhaft titulierten, aber unstrittigen Wohngeldbetrag nebst Zinsen und Kosten an den Verwalter zahlt. Vielleicht empfiehlt der eingangs zitierte Rechtsanwalt seinem Mandanten diesen einfachen __________ 50 Wenzel in MünchKomm, BGB, 2. Aufl. 2000, § 203 Rz. 3. 51 Demharter, MittBayNot 2000, 104; Wacke, DNotZ 2000, 639; Volmer, ZfIR 2000, 207 LS; Streuer, Rpfleger 2000, 153; Schubert, JR 2001, 58. 52 BGHZ 143, 175 = NJW 2000, 805.

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Öffentliche Zustellung und rechtliches Gehör

und sicheren Weg, wenn die Wohngeldschuld ohnehin besteht und regelmäßig auch eine Aufrechnung dagegen unzulässig ist53.

__________ 53 BayObLG v. 6.9.2001 – 2Z BR 107/01 – ZWE 2001, 593; Merle in Bärmann/ Pick/Merle, WEG 9. Aufl. § 28 Rz. 148; Gottschalg in Weitnauer, WEG 9. Aufl., § 16 Rz. 28.

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Rechtskraftwirkung und Bemessung der Beschwer einer Entscheidung über die einseitige Erledigungserklärung des Klägers Katharina Deppert Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlage für die Festsetzung der Beschwer 1. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 2. Bedeutung der Rechtskraftwirkung des Urteils für die Beschwer des Rechtsmittelführers III.Verfahren nach einseitig gebliebener Erledigungserklärung des Klägers 1. Interessenlage bei Erledigung der Hauptsache 2. Erledigung der Hauptsache vor Rechtshängigkeit 3. Erledigung der Hauptsache nach Rechtshängigkeit

IV.Rechtskraftwirkung der Entscheidung über die einseitige Erledigungserklärung 1. Gegenstand der Entscheidung über die Erledigung 2. Folgerungen für die Rechtskraftwirkung der Entscheidung V. Auswirkungen auf die Beschwer der Parteien 1. Beschwer des Beklagten durch das Erledigungsurteil 2. Beschwer des Klägers durch „klageabweisendes“ Urteil VI.Festsetzung des Wertes der Beschwer aufgrund des Umfangs der Rechtskraftwirkung

I. Einleitung Die vielfältigen Probleme, die das neue Zivilprozeßrecht für die Praxis mit sich bringt, haben andere prozessuale Fragen weitgehend zurücktreten lassen. Der vorliegende Beitrag soll den Versuch darstellen, die Aufmerksamkeit erneut auf das seit jeher umstrittene Gebiet der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers, einen wahren Dauerbrenner, zu lenken. Auch der hier zu Ehrende dürfte in seiner langjährigen zivilprozessualen Praxis des öfteren Anlaß gehabt haben, sich mit diesem „Monstrum des deutschen Prozeßrechts“1 zu befassen. __________ 1 Grunsky, Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, 165 (170, Fn. 17).

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Katharina Deppert

Den Revisionsrichter beschäftigt das Rechtsinstitut der einseitigen Erledigung unter anderem bei der Bemessung der Beschwer, die für die Anfechtung einer Entscheidung über eine einseitige Erledigungserklärung Bedeutung erlangt. Erklärt der Kläger die Hauptsache für erledigt und stimmt der Beklagte dem nicht zu, hat das Gericht, anders als bei übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien, nicht nur über die Kosten nach § 91 a ZPO, sondern mit der Kostenfolge des § 91 ZPO darüber zu befinden, ob sich die Hauptsache durch ein im Laufe des Verfahrens eintretendes Ereignis erledigt hat2. Dies setzt nach herrschender Meinung voraus, daß die Klage ursprünglich zulässig und begründet war und daß sie durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist (sogenannter enger Erledigungsbegriff). Fraglich ist, welche Folgerungen sich hieraus für die Beschwer der Parteien durch das im Erledigungsrechtsstreit ergehende Urteil und damit für seine Anfechtbarkeit ergeben.

II. Grundlage für die Festsetzung der Beschwer 1.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Nach Meinung des Bundesgerichtshofs bleibt bei einseitig gebliebener Erledigungserklärung des Klägers der von ihm geltend gemachte Anspruch zwar verfahrensmäßig die Hauptsache. Streitwert und Beschwer sollen sich aber nach den Kosten, begrenzt durch den Wert der vorher verfolgten Hauptsache3, bemessen, weil das Interesse der Parteien grundsätzlich nur auf eine ihnen jeweils günstige Kostenentscheidung ausgerichtet sei. Der nach § 3 ZPO neu zu schätzende Streitwert des Erledigungsrechtsstreits4 und damit zugleich der Wert der Beschwer für das Rechtsmittelverfahren werden daher in aller Regel5 durch die Summe der dem Rechtsmittelführer durch die angefochtene Entscheidung auferlegten Kosten bestimmt6. Diese Rechtsprechung ist nicht __________ 2 Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (327, 332); vgl. die Beispiele bei Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, 1958, 1. 3 BGH, Urt. v. 11.7.1990 – XII ZR 10/90, NJW-RR 1990, 1474. 4 BGH, Urt. v. 8.3.1990 – I ZR 116/88, NJW 1990, 3147 (3148). 5 Vgl. zu dem Sonderfall einer Ehrenschutzsache: BGH, Beschl. v. 8.12.1981 – VI ZR 161/80, NJW 1982, 768. 6 BGH, Beschl. v. 21.4.1961 – V ZR 155/60, LM Nr. 13 zu § 91a ZPO; BGH, Beschlüsse v. 10.10.1958 – V ZR 90/58 und v. 7.3.1969 – I ZR 22/68, LM Nr. 31 u. Nr. 72 zu § 546 ZPO; BGHZ 106, 359 (366); BGH, Urt. v. 11.7.1990 – XII ZR

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Beschwer der Entscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers

unumstritten7. Nach anderer Ansicht verbleibt es beim Streitwert der Hauptsache8, oder von dem Wert der Hauptsache wird ein Abschlag nach den für Feststellungsklagen geltenden Regeln vorgenommen9.

2. Bedeutung der Rechtskraftwirkung des Urteils für die Beschwer des Rechtsmittelführers a) Der genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die durchweg allein auf das Kosteninteresse abstellt und die Frage einer Belastung durch die in der Hauptsache ergangene Entscheidung ausblendet, wird „ein gewisses Unbehagen“10 entgegengebracht. Nach vielfach vertretener Ansicht erwächst nämlich bei einem auf die einseitige Erledigungserklärung des Klägers zu seinen Gunsten ergehenden Urteil (auch) in Rechtskraft, daß die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, und wird bei einem dem Erledigungsbegehren nicht stattgebenden Urteil „die Klage“ abgewiesen. Von dieser Meinung ausgehend, erschiene es in der Tat zweifelhaft, ob der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Bemessung der Beschwer gefolgt werden kann. b) Bei Zugrundelegung einer solch weitgehenden Rechtskraftwirkung stellt sich für den Revisionsrichter unter anderem die Frage, ob er die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nach der zunächst bis einschließlich 31.12.2006 geltenden Vorschrift des § 26 Nr. 8 EGZPO wegen Nichtüberschreitens der 20 000 Euro-Grenze verneinen und lediglich das Kosteninteresse der unterliegenden Partei berücksichtigen darf, obwohl eine der Rechtskraft fähige Entscheidung darüber ergeht, daß die Klage über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro in der Hauptsache vor dem erledigenden Ereignis zulässig und begründet oder – im Gegenteil – von vornherein unbegründet war. Zwar soll nach der Recht__________

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10/90, NJW-RR 1990, 1474; BGH, Urt. v. 9.3.1993 – VI ZR 249/92, NJW-RR 1993, 765; BGH, Beschl. v. 9.5.1996 – VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210. Ebenso: Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 91a Rz. 48; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91a Rz. 47; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rz. 61; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1994, 761; OLG München, NJW-RR 1995, 1086. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., Anh. § 3 Rz. 45, Stichwort „Erledigterklärung“; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 3 Rz. 16, Stichwort „Erledigung der Hauptsache“; OLG Bamberg, Juristisches Büro 1992, 762. Vgl. u. a. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rz. 47; OLG Köln, OLGR 1994, 114; OLG Frankfurt, MDR 1995, 207; OLG München, MDR 1995, 642. Becker-Eberhard, 50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 273 (306, 307).

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sprechung des Bundesgerichtshofs in Ausnahmefällen der Streitwert, und damit der Wert der Beschwer für die Parteien je nach Ausgang des Rechtsstreits, nach einseitiger Erledigungserklärung das Kosteninteresse der Parteien übersteigen, wenn sie ein darüber hinausgehendes Interesse geltend machen können11, etwa bei einem Streit über eine von dem Kläger als ehrenkränkend empfundene Handlung. Nicht einsichtig erscheint es aber, daß die Beschwer der Parteien grundsätzlich durch ihr Kosteninteresse begrenzt sein soll, obwohl bei entsprechend weitgehender Rechtskraftwirkung der Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache die Gefahr nie auszuschließen ist, daß ihnen in Bezug auf Folgeprozesse Nachteile erwachsen. Hat der Kläger beispielsweise auf Unterlassung eines vertragswidrigen Wettbewerbsverstoßes seines Handelsvertreters geklagt, sodann nach Kündigung des Vertrages die Hauptsache gegen den Widerspruch des Beklagten für erledigt erklärt, könnte die Rechtskraft des Erledigungsurteils zu Lasten des Beklagten präjudizielle Wirkung für ein späteres Verfahren entfalten, in dem der Kläger für den Zeitraum zwischen Klageerhebung und Kündigung Schadensersatzansprüche wegen des Wettbewerbsverstoßes geltend macht. Der Beklagte wäre zudem durch das Erledigungsurteil im Umfang der Hauptsache benachteiligt, weil er sich im Falle seines Obsiegens in einem von ihm geführten Schadensersatzprozeß wegen ungerechtfertigter Vollziehung einer Unterlassungsverfügung nach § 945 ZPO12 auf ein klageabweisendes Urteil hätte berufen können, das auf eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers ergangen war. Der Kläger wäre seinerseits durch die Rechtskraftwirkung eines seinen Erledigungsantrag zurückweisenden Urteils belastet, soweit darin die schon von Anfang an bestehende Unbegründetheit seines Anspruchs festgestellt worden wäre. Beide Parteien könnten demnach durch die Rechtskraftwirkung des auf eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers ergangenen Urteils – gerade im Hinblick auf einen Folgeprozeß – begünstigt oder benachteiligt werden. Es erscheint wenig sachgerecht, sie auf die Geltendmachung solcher, vielleicht derzeit noch nicht absehbarer, konkreter Vorteile oder Nachteile infolge der Rechtskraftwirkung des Urteils zu verweisen, um in ihrem Ausnahmefall eine über das Kosteninteresse hinausgehende Beschwer zu rechtfertigen. Es sollen daher im folgenden __________ 11 BGH, Beschl. v. 8.12.1981 – VI ZR 161/80, NJW 1982, 768; vgl. auch BGH, Beschl. v. 9.5.1996 – VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210. 12 Vgl. zur Reichweite dieses Anspruchs BGHZ 122, 172, 175.

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Beschwer der Entscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers

in der gebotenen Kürze Überlegungen dazu angestellt werden, über welchen Streitgegenstand nach einseitiger Erledigungserklärung entschieden wird und inwieweit sich dies auf die Beschwer der Parteien auswirkt.

III. Verfahren nach einseitig gebliebener Erledigungserklärung des Klägers 1.

Interessenlage bei Erledigung der Hauptsache

Mit der Rechtsfigur der einseitigen Erledigung der Hauptsache soll dem Bedürfnis des Klägers Rechnung getragen werden, der bei Klageerhebung mit seinem Begehren Erfolg gehabt hätte, weil seine Klage zulässig und begründet war, der nunmehr aber unterliegen müßte, weil sie im Laufe des Verfahrens – etwa durch Wegfall des Rechtsschutzinteresses für eine negative Feststellungsklage, wenn der Beklagte Widerklage erhoben hat – unzulässig oder – etwa wegen Zahlung des verlangten Betrages oder Abgabe der geforderten Erklärung – unbegründet geworden ist. Der Kläger hat in solchen Fällen ein berechtigtes Interesse daran, den Rechtsstreit auch gegen den Willen des Beklagten beenden zu können, ohne mit Kosten belastet zu werden.

2. Erledigung der Hauptsache vor Rechtshängigkeit Besondere Probleme haben sich für Rechtsprechung und Literatur gestellt, wenn das erledigende Ereignis zwischen Einreichung und Zustellung der Klage eingetreten ist. Diese Fälle, in denen der Anlaß zur Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist, hat der Gesetzgeber nunmehr in § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.200113 erfaßt. Nimmt der Kläger die Klage unverzüglich zurück, was eine Kenntnis von dem Eintritt des erledigenden Ereignis vor Rechtshängigkeit voraussetzt14 – grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht –, bestimmt sich die Kostentragungspflicht entsprechend den Grundsätzen, die für eine Kostenentscheidung bei übereinstimmender Erledigungserklärung gelten. Der Gesetzgeber hat nunmehr in der Neufassung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durch Art. 1 Nr. 8 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (1. Justiz__________ 13 BGBl. I, 1887 f. 14 BGH, Beschl. v. 26.7.2004 – VIII ZB 44/03, WuM 2004, 547.

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modernisierungsgesetz) vom 24.8.200415 das Erfordernis einer „unverzüglichen“ Erklärung beseitigt. Einer Zustellung der Klage und damit der Entstehung eines Prozeßrechtsverhältnisses bedarf es nach § 269 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 ZPO in der Fassung des genannten Gesetzes nicht16.

3. Erledigung der Hauptsache nach Rechtshängigkeit a) Ist das erledigende Ereignis nach Rechtshängigkeit eingetreten, gibt der Kläger eine Erledigungserklärung ab und widerspricht der Beklagte – was nach Satz 2 des § 91 a Abs. 1 ZPO, der gemäß Art. 1 Nr. 4 des 1. Justizmodernisierungsgesetzes der Vorschrift des § 91 a Abs. 1 ZPO angefügt worden ist, nach entsprechendem Hinweis innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung des Erledigungsschriftsatzes zu erfolgen hat –, umfaßt die Erledigungserklärung des Klägers nach herrschender Meinung für den jetzt gegebenen Fall, daß sie einseitig geblieben ist, den Antrag, festzustellen, daß sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat17. Das Gericht ist der Entscheidung über den für erledigt erklärten Klageantrag insofern enthoben, als es diesem auf die einseitige Erledigungserklärung des Klägers nicht mehr stattgeben kann18. Mit seiner Erledigungserklärung hat der Kläger, wenn sie einseitig bleibt, eine Klageänderung, eine Änderung des ursprünglichen Streitgegenstandes, vorgenommen, so daß nur noch sein Antrag, die Erledigung der Hauptsache festzustellen, und nicht mehr sein ursprünglicher Antrag, Gegenstand der vom Gericht zu treffenden Entscheidung ist19. Da allein die klagende Partei zu einer einseitigen Verfügung über den Streitgegenstand befugt ist, folgt hieraus, daß eine einseitig gebliebene Erledigungserklärung der beklagten Partei wirkungslos ist20. b) Bisher nicht abschließend geklärt ist, welche Rechtskraftwirkung das Urteil, das die Erledigung ausspricht, und die Entscheidung, die „die Klage“ abweist, entfalten. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, daß das die Erledigung aussprechende Urteil mit Rechtskraftwirkung feststellt, daß die Klage nunmehr (jetzt) unzulässig oder unbegründet (ge__________ 15 16 17 18 19

BGBl. I, 2198. Vgl. bereits BGH, Beschl. v. 18.11.2003 – VIII ZB 72/03, NJW 2004, 1530. BGH, Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 157/98, NJW 2002, 442. BGHZ 106, 359 (366). BGH, Beschl. v. 26.5.1994 – I ZB 4/94, NJW 1994, 2363 (2364); vgl. BGH, Urt. v. 8.3.1990 – I ZR 116/88, NJW 1990, 3147 (3148). 20 BGH, Beschl. v. 26.5.1994 – I ZB 4/94, NJW 1994, 2363 (2364).

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Beschwer der Entscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers

worden) ist21, so daß die Rechtskraft einer wiederholten Klage über dasselbe Begehren entgegensteht. Da ein dem Erledigungsantrag stattgebendes Urteil nach herrschender Rechtsprechung (enger Erledigungsbegriff) nur ergehen darf, wenn das Gericht die Klage für ursprünglich zulässig und begründet befunden hat, wird darüber hinaus die Ansicht vertreten, daß zugleich die Feststellung in Rechtskraft erwächst, daß die Klage zulässig war und der Klageanspruch bestanden hat22. Wird „die Klage“ abgewiesen, soll in Rechtskraft erwachsen, daß sie von vornherein unzulässig oder unbegründet gewesen ist23. c) Diese Frage stellt sich nicht, wenn mit einer in der Literatur vielfach vertretenen Ansicht die einseitige Erledigungserklärung des Klägers als besonderes Rechtsinstitut der Prozeßbeendigung anzusehen wäre24, als Prozeßhandlung, die entweder eine Bewirkungshandlung25 oder eine Erwirkungshandlung mit anschließender Feststellung durch das Gericht26 darstellt. Dieser Ansicht ist zuzugeben, daß die unterschiedliche Auslegung einer Erledigungserklärung, je nachdem, ob sich der Beklagte ihr anschließt, schwer erklärbar ist27. Die Auslegung einer Erledigungserklärung des Klägers für den Fall, daß ihr der Beklagte widerspricht, als Klageänderung in einen Antrag auf Feststellung, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, daß sein, des Klägers, Anspruch also nicht – mehr – besteht, drängt sich nicht gerade auf. Schwierigkeiten müßte dieser Gegenmeinung allerdings die Begründung dafür bereiten, daß dem Kläger mit dem Erledigungsurteil, das eigentlich nur eine prozes__________ 21 BGH, Beschl. v. 26.4.2001 – IX ZB 25/01, NJW 2001, 2262 m. w. N.; Stein/ Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rz. 45 u. Fn. 162. 22 Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rz. 45 u. Fn. 163; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 91a Rz. 46; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91a Rz. 46; Bergerfurth, NJW 1992, 1655 (1659); nicht eindeutig: Becker-Eberhard, 50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft, Band III, 2000, 273 (303 f.).; ausdrücklich offengelassen: BGH, Beschl. v. 26.4.2001 – IX ZB 25/01, NJW 2001, 2262. 23 Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91a Rz. 46; Bergerfurth, NJW 1992, 1655 (1659); Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rz. 51. 24 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl., § 130 Rz. 34; Lindacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 91a Rz. 92; El-Gayar, Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsgerichtsprozeß, 1998, 187 f. (197); Assmann, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, 179 (199). 25 Assmann, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, 179 (199). 26 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl., § 130 Rz. 34; Jost/ Sundermann, ZZP 105, 261 (280 f.); Schwab, ZZP 72, 127 (133). 27 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl., § 130 Rz. 33.

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suale Frage entscheiden beziehungsweise nur eine prozessuale Feststellung treffen sollte, eine erneute Klage abgeschnitten wird28. Dem Kläger darf mit dem Institut der einseitigen Erledigung nicht ein Instrument in die Hand gegeben werden, den Prozeß ohne Zustimmung des Beklagten unter Umständen auf dessen Kosten zu beenden, dann jedoch erneut die für erledigt erklärte Hauptsache einzuklagen mit der Begründung, die Forderung bestehe doch noch, weil in Wahrheit eine Erledigung nicht eingetreten sei. Eine Rechtskraftwirkung jedenfalls dahingehend, daß die Klage nicht erneuert werden darf, wird aber mehrheitlich auch von dieser Auffassung angenommen29. Sie zieht in dieser Frage einen Vergleich zu der prozessualen Lage, die sich ergibt, wenn nach einer Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Prozeßvergleichs durch Fortsetzung des bisherigen Verfahrens die streitbeendigende Wirkung des Vergleichs festgestellt wird30. Nach der Rechtsprechung wird in einem solchen Urteil über die prozessuale Wirkung des Prozeßvergleichs zugleich entschieden, daß die materiell-rechtliche Regelung unangreifbar geworden ist31. d) Überwindet man mit der herrschenden Meinung die Bedenken, daß eine Erledigungserklärung gleichsam hilfsweise für den Fall, daß der Beklagte nicht zustimmt, im Wege einer Klageänderung einen Feststellungsantrag enthält, mit dem die klagende Partei zudem einen Ausspruch über das (jetzige) Nichtbestehen ihrer eigenen Forderung begehrt, ist es folgerichtig, hierin eine Klageänderung, eine Veränderung des Streitgegenstandes, zu sehen32. Bei einer Klageänderung ist, wenn sie zulässig ist, der bisherige Antrag in den neuen übergegangen, so daß für eine Rechtshängigkeit der „alten“ Klage kein Raum ist33. Einer Klagerücknahme bezüglich des __________ 28 Keine Rechtskraft: Assmann, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, 179 (203). 29 Lindacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 91a Rz. 96; Jost/Sundermann, ZZP 105, 261 (284, 285); weitergehend auch in bezug auf die frühere Zulässigkeit und Begründetheit: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl., § 130 Rz. 31. 30 Jost/Sundermann, ZZP 105, 261 (284, Fn. 67). 31 BGHZ 79, 71 (74 f.). 32 BGH, Beschl. v. 26.5.1994 – I ZB 4/94, NJW 1994, 2363 (2364); BGH, Beschl. v. 22.6.2004 – X ZB 40/02, MDR 2004, 1251, jew. m. w. N. 33 Vgl. hierzu und zum folgenden: Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (330 f.) unter Berufung auf Henckel, Festschrift für Eduard Bötticher, 1969, 173, 181 ff. (183).

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Beschwer der Entscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers

vorher gestellten Antrags bedarf es grundsätzlich nicht. Die Vorschriften über die Klageänderung regeln die Ersetzung des ursprünglichen Antrags durch einen neuen, weil sie den Vorgang der Klageänderung im Ganzen erfassen und eine Aussage nicht nur über die Einführung des neuen Antrags treffen34. Die Interessen des der Klageänderung widersprechenden Beklagten (vgl. § 267 ZPO) werden durch die Entscheidung des Gerichts über die Sachdienlichkeit der Klageänderung (§ 263 ZPO) gewahrt, während der Gesetzgeber bei der Vorschrift des § 264 ZPO, soweit sie eine Klageänderung betrifft, den Belangen des Klägers von vornherein den Vorrang einräumt35. Nach der vom Kläger vorgenommenen wegen Sachdienlichkeit36 beziehungsweise nach § 264 Nr. 2 ZPO37 zulässigen Klageänderung ist Streitgegenstand ausschließlich sein, des Klägers, Erledigungsantrag, und zwar auch dann, wenn der Antrag wegen anfänglicher Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Klage erfolglos bleibt38. Die Hauptsache ist nur noch insofern anhängig, als es ihre Erledigung anbetrifft.

IV. Rechtskraftwirkung der Entscheidung über die einseitige Erledigungserklärung Wie dargetan, ist die Rechtskraftwirkung des auf die einseitige Erledigungserklärung ergehenden Urteils umstritten. Zu folgen ist der herrschenden Meinung im Ausgangspunkt, daß sich der Kläger einer ihm ungünstigen Kostenentscheidung nur dann entziehen darf, wenn sich die Klage im Sinne der herrschenden Meinung erledigt hat, nämlich, wenn sie zunächst zulässig und begründet war und durch ein nachträglich eintretendes Ereignis unbegründet – die Frage der nachträglichen Unzulässigkeit ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen – geworden ist. Ob die Klage ursprünglich Erfolg gehabt hätte und der Kläger __________ 34 Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (331); ebenso Walther, Klageänderung und Klagerücknahme, 1969, 21 f. 35 Vgl. aber zur quantitativen Ermäßigung der Klage: BGH, Urt. v. 1.6.1990 – V ZR 48/89, NJW 1990, 2682; Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (331). 36 Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (332). 37 BGH, Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 157/98, NJW 2002, 442. 38 Vgl. BGH, Beschl. v. 26.5.1994 – I ZB 4/94, NJW 1994, 2363 (2364); BGH, Urt. v. 8.3.1990 – I ZR 116/88, NJW 1990, 3147; ebenso wohl: BGH, Urt. v. 8.6.1988 – I ZR 148/86, NJW-RR 1988, 1151 a.E.; vgl. auch BGH, Urt. v. 27.2.1992 – I ZR 35/90, NJW 1992, 2235 (2236).

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durch ein erledigendes Ereignis klaglos gestellt wurde, ist daher gegebenenfalls durch Beweiserhebung zu klären.

1. Gegenstand der Entscheidung über die Erledigung War die Klage von Anfang an unbegründet – für die Frage der Rechtskraftwirkung in der Sache ist die Variante der Unzulässigkeit der Klage auszuklammern –, ist der Erledigungsantrag bei Vorliegen der allgemeinen Prozeßvoraussetzungen durch Sachurteil als unbegründet abzuweisen39. Die zunächst von dem Kläger erhobene Klage kann nicht abgewiesen werden, weil nicht mehr sein ursprünglicher Antrag, sondern der Feststellungsantrag Gegenstand der vom Gericht zu treffenden Entscheidung ist40, so daß der alleinige Antrag des Beklagten auf „Klageabweisung“ nur diesen Antrag des Klägers betrifft. Von dieser Ansicht gehen auch die Vertreter der herrschenden Meinung aus. Andernfalls würde sich für sie nicht die Frage stellen, inwieweit der Kläger den ursprünglichen Klageantrag als Hilfsantrag – für den Fall, daß die Klage zulässig und begründet ist und ein erledigendes Ereignis nicht eingetreten ist – aufrechterhalten hat41; auch wäre eine Rückkehr zu dem ursprünglichen Antrag nicht als erneute, nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung zu behandeln42. Wie bei einer Klageänderung allgemein43 muß durch Auslegung beziehungsweise durch Rückfrage bei dem Kläger ermittelt werden, ob er an dem zunächst gestellten Antrag hilfsweise festhalten will.

2. Folgerungen für die Rechtskraftwirkung der Entscheidung a) Erweisen sich die Voraussetzungen für eine Erledigung als gegeben, ist festzustellen, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Daß ein derartiges Urteil mit Rechtskraftwirkung ausgestattet ist, soweit es ausspricht, daß der Anspruch im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nicht besteht, kann, vom Standpunkt der herrschenden Meinung ausgehend – Auslegung der Erledigungserklärung als Klageänderung –, nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. __________ 39 Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (333). 40 Vgl. BGH, Beschl. v. 22.6.2004 – X ZB 40/02, MDR 2004, 1251. 41 Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rz. 43; Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (334). 42 Vgl. BGH, Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 157/98, NJW 2002, 442. 43 Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 263 Rz. 55.

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Beschwer der Entscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers

Bedenklich erscheint aber die Begründung der darüber hinaus vertretenen Auffassung dafür, daß auch das vorherige Bestehen des Anspruchs in Rechtskraft erwachsen ist. Wird die Anwendung der Vorschriften über die Klageänderung folgerichtig vorgenommen, ist, wie ausgeführt, der Gegenstand der Erledigungsentscheidung ein anderer als die ursprüngliche Hauptsache, auch wenn er mittelbar an die Hauptsache anknüpft; von seinem ursprünglichen Antrag hat der Kläger durch seine Erledigungserklärung gerade Abstand genommen44. Eine Klage auf Erfüllung des Klageanspruchs ist dem Kläger zwar durch die Rechtskraftwirkung des Erledigungsurteils abgeschnitten; denn die zunächst eingeklagte Forderung wird als nicht mehr vorhanden festgestellt. Macht der Kläger aber Ansprüche geltend, die darauf beruhen, daß seine erledigte Forderung zuvor bestanden hatte, darf ihm die Rechtskraftwirkung des Erledigungsurteils nicht zugute kommen45. Daß die Forderung des Klägers zunächst begründet war, ist lediglich eine, wenn auch notwendige, Vorfrage für die ihm günstige Erledigungsentscheidung. Auf präjudizielle Rechtsverhältnisse erstreckt sich die Rechtskraftwirkung eines Urteils aber nicht46. Zweckmäßigkeitserwägungen47 vermögen hieran nichts zu ändern. b) Zur Erläuterung soll der von Grunsky48 gegebene Beispielsfall herangezogen werden. Erhebt der Kläger nach einem ihm günstigen Erledigungsurteil Klage auf einen Verzugsschaden mit der Begründung, die Forderung sei verspätet erfüllt worden, muß das Gericht als eine der Vorfragen prüfen, ob der Anspruch des Klägers im Zeitpunkt des behaupteten Verzugs bestanden hat. Hier darf es dem Beklagten nicht aufgrund der Rechtskraftwirkung eines ihm ungünstigen Erledigungsurteils versagt werden, sich auf das Nichtentstehen der Forderung zu berufen. Vergleichbar verhält es sich in dem eingangs genannten Beispiel, daß als Vorfrage für ein Erledigungsurteil untersucht werden muß, ob der ursprüngliche Anspruch auf Unterlassung eines Wettbewerbsverstoßes begründet war, und sich der Kläger nach einem Erledi__________ 44 Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (333); vgl. allgemein Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 263 Rz. 52 ff. 45 Grunsky, Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, 165 (178, 179); a. A. Stein/ Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rz. 45; Lüke, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, 323 (334). 46 Anders jedoch für das Erledigungsurteil ausdrücklich Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl., § 130 Rz. 39. 47 In diese Richtung wohl Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rz. 45. 48 Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, 165 (178, 179).

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gungsurteil in einer anschließenden Schadensersatzklage auf die früheren Wettbewerbsverstöße bezieht. Dem Beklagten darf nicht im Hinblick auf eine Rechtskraftwirkung des Erledigungsurteils das Vorbringen abgeschnitten werden, die behaupteten Wettbewerbsverstöße hätten von Anfang an nicht vorgelegen. Bei einer Entscheidung über die Aufrechnungsforderung nach § 322 Abs. 2 ZPO, die sich auch auf den Verbrauch – also das Nichtbestehen – der Forderung infolge erfolgreicher Aufrechnung erstreckt und die gleichfalls eine Prüfung voraussetzt, ob die Aufrechnungsforderung ursprünglich bestanden hat, wäre der Gedanke fernliegend, dem aufrechnenden Beklagten eine Schadensersatzklage wegen vor der Aufrechnungslage eingetretenen Verzuges dadurch zu erleichtern, daß die Rechtskraftwirkung des über die Aufrechnung ergehenden Urteils auf das frühere Bestehen seiner Gegenforderung erstreckt wird. c) Eine derartige systemwidrige Rechtskrafterstreckung ist auch nicht aufgrund der Interessenlage geboten. Für den Kläger besteht die Möglichkeit, durch einen Zwischenfeststellungsantrag das frühere Bestehen der Forderung als Streitgegenstand einzuführen; das hierfür erforderliche rechtliche Interesse ist schon durch die Vorgreiflichkeit des Rechtsverhältnisses für die Entscheidung über die Erledigung gegeben (§ 256 Abs. 2 ZPO). Das ist der typische, vom Gesetzgeber vorgegebene Weg, eine rechtskräftige Entscheidung über ein präjudizielles Rechtsverhältnis zu erwirken, der auch nicht dadurch umgangen werden kann, daß man die Vorfrage gleichsam der Einfachheit halber als mitentschieden ansieht.

V. Auswirkungen auf die Beschwer der Parteien 1. Beschwer des Beklagten durch das Erledigungsurteil Hiervon ausgehend, ist die Beschwer des Beklagten zu bestimmen, der gegen ein Erledigungsurteil vorgehen will, das ihm die Kosten auferlegt hat. Wie dargetan, wird durch das Erledigungsurteil festgestellt, daß die Forderung infolge Erledigung nicht besteht. Somit ist durch die Rechtskraftwirkung des Erledigungsurteils gewährleistet, daß die Forderung gegen den Beklagten nicht mehr erhoben werden kann. Da das zu seinen Lasten ergangene Erledigungsurteil nicht mit Rechtskraftwirkung feststellt, daß der gegen ihn erhobene Anspruch ursprünglich begründet war, besteht für ihn wegen dieses tragenden Entscheidungsgrundes keine weitergehende Beschwer in der Hauptsache. Allerdings kann nach 34

Beschwer der Entscheidung bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers

der Rechtsprechung eine beklagte Partei beschwert sein, wenn sie die Verneinung des Klageanspruchs erstrebt hat, die Klage jedoch mangels Fälligkeit der Forderung nur als zur Zeit unbegründet abgewiesen wird49; denn anders als bei einer endgültigen Klageabweisung verbleibt der klagenden Partei die Möglichkeit, die Klage erneut zu erheben, wenn die Fälligkeitsvoraussetzungen nunmehr vorliegen50. Um einen vergleichbaren Fall einer unterschiedlichen Rechtskraftwirkung, hier zu Lasten des unterlegenen Beklagten, handelt es sich jedoch bei einem dem Erledigungsantrag stattgebenden Urteil nicht. Wenn auf Antrag des Klägers die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ausgesprochen ist, kann er die Klage nicht erneuern, weil mit Rechtskraftwirkung feststeht, daß der Klageanspruch zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung nicht besteht. Da über die frühere Begründetheit der Klage, die das Gericht als Vorfrage bejaht hat, nicht mit Rechtskraftwirkung entschieden ist, ist der Beklagte auch hierdurch nicht beschwert. Zu erwägen wäre allenfalls, ob der Beklagte insofern beschwert ist, als seinem Antrag, die ursprüngliche Klage als unbegründet abzuweisen, nicht Genüge getan worden ist. Mit einem Rechtsmittel gegen das ihm ungünstige Erledigungsurteil kann der Beklagte aber nicht erreichen, daß der zunächst gestellte Klageantrag des Klägers abgewiesen wird. Wie ausgeführt, hatte das Gericht zuletzt (nur) über den Antrag des Klägers zu entscheiden, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären51, bei Erfolglosigkeit also auch nur diesen Antrag abzuweisen. Aus dem des öfteren herangezogenen Gesichtspunkt der Waffengleichheit52 ist eine Abweisung des ursprünglichen Klageantrags gleichfalls nicht zu rechtfertigen. Da die Rechtskraftwirkung eines die Erledigung des Rechtsstreits aussprechenden Urteils nicht die rechtskräftige Feststellung einbezieht, daß der Anspruch ursprünglich begründet war, gibt das dem Kläger günstige Erledigungsurteil diesem nicht ein „Mehr“, als dem Beklagten bei Abweisung des Erledigungsantrags ohne die Rechtskrafterstreckung zugebilligt würde. Schon deshalb wird der __________ 49 BGHZ 144, 242; a. M. Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Vor § 511 Rz. 30. 50 BGHZ 144, 242 (244). 51 BGH, Urt. v. 8.3.1990 – I ZR 116/88, NJW 1990, 3147; vgl. BGH, Beschl. v. 26.5.1994 – I ZB 4/94, NJW 1994, 2363 (2364); vgl. El-Gayar, Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsgerichtsprozeß, 1998, 87, 88. 52 Vgl. El-Gayar, Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsgerichtsprozeß, 1998, 128, 129.

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Beklagte nicht benachteiligt, wenn er nach einer Erledigungserklärung des Klägers, auch im Wege eines Rechtsmittels, nicht mehr erreichen kann, daß die ursprünglich erhobene Klage abgewiesen wird. Zwar erfordern es die Interessen des Beklagten, daß dem Erledigungsantrag nicht ohne eine Prüfung stattgegeben wird, ob die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, gegebenenfalls nach einer Beweiserhebung53. Diesem Anliegen kommt die Rechtsprechung aber schon dadurch nach, daß sie eine solche Prüfung für notwendig hält, um über den Erledigungsantrag entscheiden zu können54. Eine Feststellung über diese Vorfrage mit Rechtskraftwirkung kann der Beklagte nicht ohne weiteres beanspruchen55. Die Klagerücknahmevorschrift des § 269 ZPO, die ihn davor bewahren soll, daß der Kläger ohne seine, des Beklagten, Zustimmung von der Durchführung des Prozesses absehen kann, ist dadurch nicht berührt. Da mit dem Erledigungsurteil feststeht, daß dem Kläger jedenfalls jetzt eine erneute Klage mit dem ursprünglichen Streitgegenstand verschlossen ist, ist der Schutzzweck des § 269 ZPO erfüllt. Muß der Beklagte befürchten, daß der Kläger aufgrund des nunmehr erloschenen Hauptanspruchs Rechte für den vorherigen Zeitpunkt herleitet – Ansprüche auf Verzugsschaden, entstandene, noch nicht geltend gemachte Zinsen etc. –, steht auch ihm – wie spiegelbildlich dem Kläger – ein Zwischenfeststellungsantrag, und zwar mit verneinendem Ziel, zur Verfügung. In dem oben genannten Beispiel, bei dem der Beklagte mit Schadensersatzansprüchen des Klägers wegen behaupteter früherer Verstöße gegen Unterlassungspflichten rechnen muß beziehungsweise selbst Schadensersatzansprüche wegen einer gegen ihn ergangenen Unterlassungsverfügung erheben will, wäre dies der geeignete Weg, seine weitergehenden Interessen zu verfolgen. Hierzu bedürfte es nicht einmal der Darlegung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses, weil sich dieses bereits aus der Vorgreiflichkeit der Frage für die Erledigungsentscheidung ergibt, ob der Anspruch im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses begründet gewesen ist (§ 256 Abs. 2 ZPO). __________ 53 BGH, Urt. v. 27.2.1992 – I ZR 35/90, NJW 1992, 2235. 54 A. A. El-Gayar, Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsgerichtsprozeß, 1998, 135, der von seinem prozessualen Ausgangspunkt ausgehend auf eine entsprechende Prüfung verzichten will, dann allerdings die Vorschrift des § 91a ZPO als Grundlage für die Kostenentscheidung heranzieht. 55 A. A. Habscheid, JZ 1963, 624 (629 f.).

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2. Beschwer des Klägers durch „klageabweisendes“ Urteil Wie dargelegt, ist dem Kläger durch ein Urteil, das seinen Erledigungsantrag zurückweist, nur die antragsgemäße Feststellung versagt worden, daß seine eigene Forderung infolge Erledigung nicht besteht. Hierdurch allein ist er nicht beschwert. Da er nach dem oben Gesagten durch ein Erledigungsurteil aufgrund seines geänderten Antrages – auch im Wege eines Rechtsmittels – nicht erreichen kann, daß seine Forderung zu dem vorherigen Zeitpunkt mit Rechtskraftwirkung als begründet festgestellt wird, ist er durch ein Urteil, das seinen Erledigungsantrag zurückweist, weil die Forderung von Anfang an nicht bestanden hat, nicht in der Hauptsache beschwert. Die Vorfrage für das seinen Erledigungsantrag abweisende Urteil, nämlich daß seine Forderung schon zuvor nicht bestanden hat, nimmt nicht an der Rechtskraftwirkung teil. Zwar kann der Kläger nach einem klageabweisenden Urteil seine Hauptforderung nicht mehr durchsetzen. Davon hat er jedoch durch die Erledigungserklärung und den entsprechenden Erledigungsantrag selbst Abstand genommen. Aufgrund der begrenzten Rechtskraftwirkung des Urteils ist er nicht gehindert, das vorherige Bestehen der Klageforderung geltend zu machen und daraus in einem neuen Verfahren Rechte für frühere Zeitpunkte herzuleiten. Hätte der Beklagte dies verhindern wollen, hätte er, wie dargetan, einen negativen Zwischenfeststellungsantrag anbringen können; in diesem Falle wäre der Kläger durch das klageabweisende Urteil naturgemäß weitergehend beschwert.

VI. Festsetzung des Wertes der Beschwer aufgrund des Umfangs der Rechtskraftwirkung Aus dem Gesagten folgt, daß beiden Parteien aus den Entscheidungen, die allein über den einseitigen Erledigungsantrag ergehen, Nachteile nur insofern erwachsen, als ihnen je nach dem Erfolg dieses Antrags die Kosten auferlegt werden. Werden aber beide Parteien durch die über den Erledigungsantrag ergangene Entscheidung nicht insofern beschwert, als über die ursprüngliche Begründetheit der Klageforderung befunden wurde, sondern handelt es sich dabei nur um eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage, erweist sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als gerechtfertigt, wonach sich die Beschwer des Beklagten gegen ein die Erledigung der Hauptsache aussprechendes Urteil und die Beschwer des Klägers gegen das seinen entsprechenden Antrag abweisende Urteil gemäß § 3 ZPO nach dem jeweiligen Kosteninteresse be37

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messen. Die Parteien haben es in der Hand, durch einen Zwischenfeststellungsantrag die für das Erledigungsurteil vorgreifliche Frage, ob der Klageanspruch ursprünglich bestanden hat, mit Rechtskraftwirkung klären zu lassen. Machen sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, ist zwar im Falle ihres jeweiligen Unterliegens ihrem Antrag zu dem Erledigungsantrag des Klägers nicht stattgegeben worden. Durch die mit Rechtskraftwirkung ausgestattete Entscheidung über den Erledigungsantrag sind sie aber nicht beschwert, weil in beiden Alternativen – Stattgabe oder Abweisung des Erledigungsantrags – mit Rechtskraftwirkung lediglich festgestellt wird, daß – was auch dem Begehren des Klägers entspricht – die Klageforderung jetzt nicht besteht. In beiden Entscheidungsvarianten ist somit ein Gleichlauf von Inhalt und Bemessung der Beschwer gegeben.

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Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot und gerichtliche Auslegung am Beispiel der neuen Zugangsvoraussetzungen zur dritten Instanz* Günter Hirsch Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Spannungsverhältnis zwischen Legislative und Judikative 1. Auslegungsverbot in der Vergangenheit 2. Auslegungsgebot in der Gegenwart 3. Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot 4. Auslegungsmethoden

1. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 543 Abs. 2 ZPO 2. Die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 543 Abs. 2 ZPO in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 3. Gerichtsinterne Instrumente der Konsensbildung IV.Fazit

III. Spannungsverhältnis zwischen Verfassungs- und Zivilprozessrecht

I. Einleitung Was liegt für den Präsidenten des Bundesgerichtshofs näher, als dem scheidenden Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofs und herausragenden Richter Dr. Joachim Wenzel einige aktuelle Anmerkungen zum neuen Recht der Revisionszulassung und der Rechtsbeschwerdezulässigkeit zu widmen? Hat sich doch gerade Dr. Wenzel als einer der ersten mit der konkreten Auslegung und Anwendung der durch das Zivilprozessreformgesetz1 neu gestalteten Zulassungskriterien wissenschaftlich befasst und es als eine Herausforderung für die beteiligten Rechtsanwälte und Gerichte __________ * Für wertvolle Unterstützung danke ich Frau RiOLG Kortge. 1 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG) vom 27.7.2001, BGBl. I S. 1887.

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betrachtet, die Unsicherheiten der Anlaufzeit des neuen Rechts zu überwinden2. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass gerade der V. Zivilsenat, dessen Vorsitz Dr. Wenzel inne hat, seit Ende Mai 2002 in einer Reihe von Entscheidungen richtungsweisende Konturen für die gesetzlichen Zulassungsgründe entwickelt hat, an denen sich auch die Rechtsprechung anderer Zivilsenate orientiert hat. Die auch in der Fachöffentlichkeit registrierten Unterschiede in der Interpretation der neuen Revisionszulassungsgründe3, die auch schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigt haben4, werfen die Frage auf, welches Maß an Unbestimmtheit dem Gesetzgeber bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe erlaubt ist. Anders gewendet geht es darum, in welchem Umfang der Gesetzgeber die konkrete Normwirkung insbesondere bei Rechtsmitteln in die Kompetenz der Richter legen darf, ohne verfassungsrechtliche Pflichten zu verletzen. Diese Problematik steht im Spannungsfeld der Beziehungen zwischen Gesetzgebung und Gesetzesanwendung und zwischen Verfassungs- und Zivilprozessrecht.

II. Das Spannungsverhältnis zwischen Legislative und Judikative 1.

Auslegungsverbot in der Vergangenheit

Das Spannungsverhältnis zwischen Erster und Dritter Gewalt beruht auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung, dessen erste Ansätze John Locke 1690 in seinem Werk „Two Treatises of Government“ niederlegte. Diese griff Charles de Montesquieu 1748 in seinem berühmten Hauptwerk „De l’Esprit des lois“ auf und erhob das Gewaltenteilungsprinzip erstmals zum Verfassungsgebot. Danach setzt sich die Staatsgewalt aus den drei Einzelgewalten, der gesetzgebenden Gewalt (Legislative), der ausführenden Gewalt (Exekutive) und der richterlichen Gewalt (Judikative) zusammen, die sich gegenseitig kontrollieren und beschränken. In diesem System ist es Aufgabe der Gerichte, die Gesetze, __________ 2 Wenzel, NJW 2002, 3353 ff. (3359); Wenzel in MünchKomm/ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl. 2002, §§ 543 ff. 3 Vgl. etwa v. Gierke/Seiler, JZ 2003, 403 (408). 4 BVerfG NJW 2004, 1371; NJW 2004, 1729; weitere Verfahren sind anhängig.

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also den Willen der Legislative, auf den konkreten Fall anzuwenden. Für Montesquieu war es zwingende Folge der Gewaltenteilung, die Judikative strikt auf die Anwendung des Gesetzes zu beschränken und ihr die Gesetzesauslegung als Übergriff auf die Domäne des Gesetzgebers zu verbieten. „Die Richter der Nation“ seien als „willenlose Wesen“ „lediglich der Mund, der den Wortlaut des Gesetzes ausspricht“5. Diese Auffassung wurde von seinem italienischen Zeitgenossen Cesare Beccaria in besonders drastischer Weise betont: Es sei besser, einen absolut regierenden Landesherrn zu haben, als einer Vielzahl „kleiner Tyrannen und Unterobrigkeiten“ in Gestalt interpretierender Richter ausgesetzt zu sein. Der Gesetzgeber habe unklare Gesetze auszulegen, nicht der Richter6. Auch der aufgeklärte preußische Gesetzgeber des späten 18. Jahrhunderts vertrat die Ansicht, dass die Richter sich auf die strikte Anwendung des gesetzlichen Wortlauts beschränken sollten. In der KabinettsOrdre des preußischen Königs vom 14.4.1780 heißt es daher: „Dagegen werden wir nicht gestatten, daß irgendein Richter unsere Gesetze zu interpretieren, auszudehnen oder einzuschränken, viel weniger neue Gesetze zu geben, sich einfallen lasse“7. Art. 47 der Einleitung des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 lautet: „Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteien zu benennen, seine Zweifel der Gesetzcommission anzeigen, und auf deren Beurtheilung antragen“. Auch der ursprüngliche, dann geänderte Art. 5 des französischen Code Civil von 1804 verbot die Auslegung8. Diese absolute Sicht der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative fand sich in den kommunistischen Rechtssystemen wieder. Art. 121 Nr. 5 der Verfassung der Sowjetunion von 1977 bestimmte, dass das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR die Gesetze auslegt. Eine identische Befugnis hatten die Präsidien der Obersten Sowjets der Teil-Republiken. Den Ergebnissen dieser Auslegung kam eine offizielle und verbindliche Wirkung zu. Die Gerichte hatten sich möglichst auf die Anwendung des Wortlauts der Gesetze zu beschränken. Diese Tra__________ 5 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 1748, 6. Buch, 3. Kapitel u. 11. Buch, 6. Kapitel. 6 Vgl. bei Hattenauer, Europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl. 1999, S. 507. 7 Zitiert nach Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3. Aufl. 1996. 8 Vgl. bei Knieper, WiRO 2003, 65.

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dition wirkt in manchen der GUS-Staaten fort, jedoch haben sich die Kompetenzen in Bezug auf die Auslegung inzwischen ausdifferenziert9. In der ehemaligen DDR war der Erlass verbindlicher Richtlinien für die Auslegung von Gesetzen nach § 39 GVG der DDR dem Plenum des Obersten Gerichts vorbehalten10. Während das Auslegungsverbot in der Epoche des Naturrechts und der Aufklärung dem Schutz des neuen Rechts vor einer rückwärts gewandten Rechtsprechung galt11, war die in den kommunistischen Diktaturen geforderte strikte Bindung der Richter an den Buchstaben der Gesetze Ausdruck der Angst vor Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Unabhängigkeit.

2. Auslegungsgebot in der Gegenwart Nach dem Grundgesetz ist die Auslegung der Gesetze der Rechtsprechung nicht nur erlaubt, sondern zur Pflicht gemacht. Dies ergibt sich aus den Funktionen, die das Grundgesetz der gesetzgebenden und der rechtsprechenden Gewalt im Rahmen des Gewaltenteilungsprinzips zugeordnet hat, das als eines der gewichtigsten Elemente des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankert ist. Auszugehen ist von der Prärogative der Legislative, die durch den Erlass der Gesetze Exekutive und Judikative festlegt. Allerdings ist die gesetzgebende Gewalt dabei nicht völlig frei, sondern an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG). Für Verwaltung und Rechtsprechung besteht demgegenüber eine Bindung an „Gesetz und Recht“ (Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 2 GG). Dies ist als Bindung an das gesamte Verfassungs-, formelle und materielle Gesetzes- und Gewohnheitsrecht zu verstehen12. Soweit Art. 97 Abs. 1 GG, der die Unabhängigkeit der Judikative statuiert, bestimmt, dass die Richter dem Gesetz unterworfen sind, liegt darin anerkanntermaßen keine Divergenz zu Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 2 GG, der speziell die Bindung der Dritten Gewalt regelt13. Mit der Verpflichtung der Gerichte auf „Gesetz und Recht“ wird, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, ein enger Gesetzespositi__________ 9 10 11 12

Knieper, WiRO 2003, 65 (67). Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, S. 494 f. Knieper, WiRO 2003, 65 (66). BVerfGE 78, 214 (227); Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 20 Rz. 38; Herzog in Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VI. Rz. 49 ff. 13 Classen in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, 2001, Art. 97 Rz. 12; Herzog in Maunz/Dürig, GG, Art. 97 Rz. 4.

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vismus abgelehnt und das Bewusstsein aufrecht erhalten, „daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken“. Der Richter – so das Bundesverfassungsgericht – sei nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar sei. Richterliche Tätigkeit bestehe nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers14. Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung zeigt sich vor allem bei der Verdichtung und Substantiierung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln, ohne deren Verwendung Gesetzgebung nicht möglich wäre15. Insoweit ergibt sich aus Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 2 GG die Verpflichtung der Judikative, bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe einheitliche Maßstäbe zu entwickeln16.

3. Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot Die Verfassung verlangt eine klare Normengebung. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, welche die Exekutive zum Verordnungserlass ermächtigen, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sein. Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG muss der Straftatbestand vor der Tatbegehung gesetzlich bestimmt sein, damit er zur Anwendung kommen kann. Außer diesen beiden Spezialfällen finden sich zwar keine weiteren Aussagen zum Gebot der Gesetzesbestimmtheit im Grundgesetz, dieses folgt jedoch aus allgemeinen Verfassungsgrundsätzen. a) Als dogmatische Grundlage eines allgemein geltenden Bestimmtheitsgebots wird überwiegend das Rechtsstaatsprinzip herangezogen, das sich allerdings nicht zu einem besonderen Rechtssatz verdichtet hat17. __________ 14 BVerfGE 34, 269 (286 f.); in einer späteren Entscheidung distanzierte sich das BVerfG ausdrücklich von Montesquieu: „Der Richter war in Europa niemals lediglich ‚la bouche qui prononce les paroles de la loi‘ “; BVerfGE 75, 223 (243). 15 Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 188, 231; Ossenbühl, Richterrecht im demokratischen Rechtsstaat, 1987, S. 18; Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (191). 16 Fischer, Zivilverfahrens- und Verfassungsrecht, 2002, S. 52. 17 BVerfGE 49, 148 (164).

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Es ist ein Verfassungsgrundsatz, hinter dem sich verschiedene verfassungsrechtliche Aspekte und Unterprinzipien verbergen18. Wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist neben der Idee der materiellen Gerechtigkeit der Grundsatz der Rechtssicherheit19. Ihm und dem Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns entstammt die Forderung nach klaren und bestimmten Gesetzen in erster Linie. Aber auch das Gewaltenteilungsprinzip und die bereits erwähnte Gesetzesbindung verlangen inhaltlich bestimmte Gesetze, weil nur so gewährleistet werden kann, dass der Gesetzgeber die „wesentlichen“ Entscheidungen wirklich selbst trifft. Auch aus dem Gebot einer effektiven Grundrechtsgewährung und aus Art. 19 Abs. 4 GG, der einen lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt gewährleistet, lässt sich der Bestimmtheitsgrundsatz ableiten20. b) Dieses Bestimmtheitsgebot, das sich zunächst an den Gesetzgeber richtet, fordert klare Gesetze, aus denen der Bürger „seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag“21. Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, einen Tatbestand mit genau erfassbaren Merkmalen zu umschreiben22. Gesetzliche Vorschriften brauchen nur so bestimmt zu sein, „wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“23. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dem Gesetzgeber ist es somit nicht verwehrt, in gewissem Umfang unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln zu verwenden24. Andernfalls würden die Gesetze zu starr und kasuistisch und könnten dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden25. Ohne die Verwendung auslegungsfähiger __________ 18 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (179). 19 BVerfGE 49, 148 (164); Benda/Weber in Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, 1983, S. 1 ff. (7). 20 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (179 ff.). 21 BVerfGE 83, 130 (145); 102, 254 (337). 22 BVerfGE 87, 234 (263 f.). 23 BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 87, 234 (263). 24 BVerfGE 8, 274 (326); 41, 314 (319 f.); 45, 363 (370 f.); 90, 1 (16); 96, 68 (97); 102, 254 (337). 25 BVerfGE 14, 245 (251); 41, 314 (320).

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Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot und gerichtliche Auslegung

„flüssiger“ Begriffe wäre der Gesetzgeber nicht in der Lage, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden26, da er nicht alle denkbaren Fälle voraussehen kann. Die mit der Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelung verbundene Unsicherheit darf aber nicht endgültig sein, sondern muss sich durch behördliche oder gerichtliche Rechtsanwendung und -auslegung aufheben oder verringern lassen27. Durch die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen gibt der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum an die Rechtsprechung weiter28, allerdings nur vorläufig. Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe ist nur insoweit zulässig, als die Erwartung berechtigt ist, dass es der Rechtsprechung gelingen wird, den unbestimmten Rechtsbegriff zu konkretisieren und eine im Wesentlichen gleichmäßige Rechtsanwendung sicherzustellen. Gelingt dies der Rechtsprechung nicht, bleibt der Gesetzgeber dazu aufgerufen, die erforderlichen Konkretisierungen selbst vorzunehmen29. c) In dem hier betroffenen Bereich des Verfahrensrechts führt das Bestimmtheitsgebot zum Postulat der Rechtsmittelklarheit, also einer möglichst klaren und bestimmten Regelung des Zugangs zu den Rechtsmittelgerichten. Die Regelungen über die Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln müssen sich durch ein besonderes Maß an Gleichheit, Klarheit und innerer Logik auszeichnen30. Das hinzutretende rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gebietet es, dem Rechtsuchenden in klarer Abgrenzung den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen zu weisen31. Diese Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn das Prozessrecht den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten32. Aufgrund des Anspruchs auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) dürfen verfahrensrechtliche Regelungen zudem nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass den Parteien der Zugang zu den __________ 26 BVerfGE 4, 352 (358); 11, 234 (237); 28, 175 (183); 32, 346 (364); 37, 201 (208); 41, 314 (320). 27 BVerfGE 49, 89 (137). 28 Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 63 ff., 213 ff.; Röthel, JuS 2001, 424 (427). 29 Vgl. BVerfGE 90, 145 (191). 30 BVerfGE 74, 228 (234). 31 BVerfGE 49, 148 (164). 32 BVerfG, DVBl 1995, 35.

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in den Verfahrensordnungen eröffneten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird33.

4. Auslegungsmethoden Zur Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe haben sich die Gerichte der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Auslegungsmethoden zu bedienen34. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dienen die grammatikalische, die systematische und die teleologische Methode der Ermittlung des objektivierten Willens des Gesetzgebers. Auf die Entstehungsgeschichte der Norm darf nur dann zurückgegriffen werden, wenn sie die mit den anderen Methoden gefundenen Ergebnisse bestätigt oder wenn nur so Zweifel behoben werden können, die nach Anwendung der anderen Methoden offen bleiben35. Damit folgt das Bundesverfassungsgericht der herrschenden objektiven Lehre, wonach es bei der Gesetzesauslegung nicht auf den subjektiven, sondern auf den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers ankommt36. a) Bei klarem und eindeutigem Wortlaut der Norm (sog. grammatikalische Auslegung) verbietet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Rückgriff auf andere Auslegungsmethoden37. b) „Bei der systematischen Auslegung ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gestellt hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sachlich Zusammenhängendes so geregelt hat, dass die gesamte Regelung einen durchgehenden, verbindlichen Sinn ergibt“38. c) Im Rahmen der teleologischen Auslegung, die danach fragt, welche Auslegung der Norm dem Ziel des Gesetzes am besten entspricht, greift __________ 33 BVerfGE 74, 228 (234); 77, 275 (284); 88, 118 (125). 34 BVerfGE 21, 209 (215); 79, 106 (120); 102, 254 (337). 35 BVerfGE 8, 274 (307); 11, 126 (130); 15, 160 (162); 18, 38 (45); 20, 283 (293); 24, 75 (92); 33, 265 (294); 45, 272 (288); 47, 109 (127); 54, 277 (297 ff.); 59, 128 (153). 36 BVerfGE 1, 299 (312); vgl. zur Kritik an der der objektiven Theorie verhafteten Auslegungspraxis der Gerichte Rüthers, JZ 2002, 365 ff. 37 BVerfGE 19, 147 (251); 21, 292 (305); 47, 46 (82); 55, 159 (170 f.); 63, 131 (148); 67, 382 (390); 71, 81 (105); 78, 350 (357). 38 BVerfGE 48, 246 (257).

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das Bundesverfassungsgericht sehr häufig zur Bestimmung des Ziels der Norm auf die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs39 oder auf die Entstehungsgeschichte der Norm40 zurück. d) Lässt die Auslegung mehrere Deutungen, insbesondere auch eine verfassungswidrige zu, ist eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen, soweit diese dem eindeutig zum Ausdruck gelangten subjektiven Willen des Gesetzgebers nicht widerspricht41 und der Norm einen vernünftigen Sinn verleiht42. Liegen diese Voraussetzungen vor, hat sich die Rechtsprechung für die Auslegung zu entscheiden, die zwar der Verfassung entspricht, aber ein Maximum dessen aufrechterhält, was der Gesetzgeber gewollt hat43.

III. Spannungsverhältnis zwischen Verfassungs- und Zivilprozessrecht Als ein Indiz für das Scheitern gerichtlicher Auslegungsbemühungen kann eine uneinheitliche Rechtsanwendung angesehen werden. Ist dies der Fall, kommen Verstöße gegen das Bestimmtheitsgebot und gegen die nach Art. 3 Abs. 1 GG geforderte Rechtsanwendungsgleichheit in Betracht. Mit dieser Problematik hatte sich im Hinblick auf die Revisionszulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO das Bundesverfassungsgericht im Januar und März des Jahres 200444 zu befassen. Beide Entscheidungen zeigen Vorgaben des Verfassungsrechts für das Zivilprozessrecht auf.

1. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 543 Abs. 2 ZPO Das Bundesverfassungsgericht weist in beiden Entscheidungen zunächst darauf hin, dass weder Art. 19 Abs. 4 GG noch der Justizgewährungs__________ 39 40 41 42 43 44

BVerfGE 8, 143 (151); 9, 89 (103); 30, 149 (157 ff.); 48, 246 (258); 57, 107 (114). BVerfGE 25, 142 (152). BVerfGE 32, 365 (372); 54, 277 (299); 71, 81 (105); 90, 263 (274); 95, 64 (92 ff.). BVerfGE 44, 105 (122); 47, 327 (380). BVerfGE 8, 28 (34); 33, 52 (83); 49, 148 (157); 86, 288 (320). Beschl. v. 8.1.2004, 1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371 u. v. 9.3.2004, 1 BvR 2262/03, NJW 2004, 1729; weitere einschlägige Verfassungsbeschwerden sind anhängig (1 BvR 2419/03; 1 BvR 2420/03; 1 BvR 85/04).

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anspruch die Einrichtung eines Instanzenzugs geböten, es vielmehr in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liege, ob er in bürgerlichen Streitigkeiten Rechtszüge errichte, welche Zwecke er damit verfolge und wie er sie im Einzelnen regele45. Wenn der Gesetzgeber jedoch Rechtsmittel vorsehe, sichere der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz der Bestimmtheit, dass der Bürger erkennen könne, welches Rechtsmittel in Betracht komme und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen es zulässig sei. Das Bundesverfassungsgericht betont in beiden Entscheidungen erneut die Befugnis des Gesetzgebers zur Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die das Bestimmtheitsgebot nur dann verletzten, wenn den gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen unter Beachtung der herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden keine konkreten Beurteilungsmaßstäbe zu entnehmen wären. Es stuft die in § 543 Abs. 2 ZPO verwendeten Tatbestandsmerkmale der grundsätzlichen Bedeutung, der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als grundsätzlich konkretisierungsfähig ein und überlässt die Konkretisierung den Fachgerichten. Gleichzeitig wiederholt es seine Auffassung, dass der Gesetzgeber nach einer Neuregelung abwarten dürfe, ob ein neu geschaffener Tatbestand zu einer im Wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung führe oder ob weitere gesetzliche Konkretisierungen erforderlich seien. Angesichts der Kürze der Zeit, in der das neue Revisionsrecht bisher anzuwenden war, hat das Bundesverfassungsgericht trotz der bis zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht einheitlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegen die vom Gesetzgeber gewählte Regelungstechnik keinen grundsätzlichen Einwand erhoben. Ein Verstoß des Gesetzes gegen das Gebot der Rechtsmittelbestimmtheit käme jedoch in Betracht, wenn die Rechtsprechung nicht in der Lage sein sollte, die Rechtsbegriffe so zu konkretisieren, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsmittels für den Rechtssuchenden erkennbar würden46. Dass dies nicht gelingen werde, sei nicht ersichtlich47.

__________ 45 BVerfG, NJW 2004, 1371; NJW 2004, 1729 (1730). 46 BVerfG, NJW 2004, 1372; NJW 2004, 1729 (1730). 47 BVerfG, NJW 2004, 1729 (1730).

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2. Die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 543 Abs. 2 ZPO in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Seit den richtungsweisenden „Sommerbeschlüssen“48 des V. Zivilsenats49 ist eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergangen, die sich mit der Auslegung der Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO befassen. Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision – entweder vom Berufungsgericht oder vom Bundesgerichtshof auf Nichtzulassungsbeschwerde – zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Diese drei als Zulassungsgründe formulierten Voraussetzungen kehren in § 574 Abs. 2 ZPO wortgleich als Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Rechtsbeschwerde wieder, weshalb sie gleichsinnig zu interpretieren sind. Als der Gesetzgeber diese neue Zulassungsformel aufstellte, ist ihm offensichtlich auch die Problematik der darin verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe und deren Konkretisierungsbedürftigkeit bewusst gewesen. In der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu: „Hängt die Chancengleichheit beim einheitlich geregelten Revisionszugang von einer gleichmäßigen Anwendung der Zulassungskriterien ab, erfordert die Erarbeitung allgemeingültiger Auslegungsregeln die Mitverantwortung des Revisionsgerichts für die Zulassung“50. An anderer Stelle wird ausgeführt: „In der Übergangszeit besteht Gelegenheit, Grundsätze zur Zulassung der Revision zu entwickeln, die sich auch auf die Zulassungspraxis der Berufungsgerichte auswirken werden“51. Dieser Aufgabe haben sich die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs inzwischen durch Tatbestands- und Fallgruppenbildung intensiv gewidmet. a) Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der grundsätzlichen Bedeutung hatte das Bundesverfassungsgericht schon im Zusam__________ 48 So bezeichnet von Nassall, NJW 2003, 1345 in Fußnote 1. 49 BGH, Beschl. v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 = NJW 2002, 2473 m. zust. Anm. Burgermeister, BGHReport 2002, 747; Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957; Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 = NJW 2002, 3029; Beschl. v. 25.7.2002 – V ZR 118/02, NJW 2002, 3180; Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132. 50 BT-Drs. 14/4722 S. 67 rechte Spalte. 51 BT-Drs. 14/4722 S. 68 linke Spalte.

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menhang mit § 554b Abs. 1 ZPO a. F. als mit dem Grundgesetz vereinbar anerkannt. Es handele sich dabei nicht um eine „vage Generalklausel“, die die Entscheidung in das Belieben des Gerichts stelle, sondern um einen „überkommenen, hinreichend eingrenzbaren und durch die Rechtsprechung in verschiedenen Gerichtszweigen auch bereits weithin ausgefüllten Rechtsbegriff“52. Bei der Auslegung dieses Zulassungsgrundes konnte die Rechtsprechung daher auf die herkömmliche Definition zurückgreifen, auf die auch der Gesetzgeber ausdrücklich Bezug nimmt53, obwohl er den Begriff der grundsätzlichen Bedeutung nicht auf die bisher zugrunde gelegten Elemente der Rechtsfortbildung und der Rechtsvereinheitlichung beschränken will54. Unter Bezugnahme auf diese Gesetzesmaterialien kommt nach der Rechtsprechung des V. Zivilsenats einer Rechtssache dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann55 und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt56. Dieser Auffassung haben sich weitere Senate ausdrücklich angeschlossen57. Wieder unter Zugrundelegung der amtlichen Begründung58 hat der V. Zivilsenat59 in Übereinstimmung mit dem XI. Zivilsenat60 und IV. Zivilsenat61 festgestellt, dass auch andere Auswirkungen des Rechtsstreits, insbesondere dessen __________ 52 53 54 55 56 57

58 59 60 61

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BVerfGE 49, 148 (156) m. w. N. BT-Drs. 14/4722 S. 104 linke Spalte, S. 67 linke Spalte. BT-Drs. 14/4722 S. 104 linke Spalte. Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 (223); Beschl. v. 21.10.2004 – V ZB 27/04, Umdruck S. 4. Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957; Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (291) = NJW 2003, 1943. Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (190) = NJW 2003, 65; Beschl. v. 5.11.2002 – XI ZR 107/02, Umdruck S. 2 f.; Beschl. v. 10.12.2002 – XI ZR 162/02, FamRZ 2003, 440 (441); Beschl. v. 8.4.2003 – XI ZR 193/02, NJW 2003, 2319; Beschl. v. 19.12.2002 – VII ZR 101/02, NJW 2003, 831; Beschl. v. 7.1.2003 – X ZR 82/02, BGHZ 153, 254 (256) = NJW 2003, 1125; Beschl. 5.11.2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; Beschl. v. 25.3.2003 – VI ZR 355/02, NJW-RR 2003, 1074; Beschl. v. 24.9.2003 – IV ZB 41/02, NJW 2004, 289; Beschl. v. 5.5.2004 – XII ZR 323/02, FamRZ 2004; 1275. BT-Drs.14/4722 S. 105 linke Spalte. Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (292). Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (192). Beschl. v. 24.9.2003 – IVZB 41/02, NJW 2004, 289 (290).

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tatsächliches oder wirtschaftliches Gewicht, Grundsätzlichkeit begründen, wenn über die Vermögensinteressen der Parteien hinaus eine besondere Bedeutung für die Allgemeinheit vorliegt. Der XI. Zivilsenat62 greift die Beispiele der amtlichen Begründung63 auf und sieht eine grundsätzliche Bedeutung insbesondere bei Musterprozessen und solchen Verfahren als gegeben an, in denen die Auslegung typischer Vertragsbestimmungen, Tarife, Formularverträge oder allgemeiner Geschäftsbedingungen erforderlich werde. Soweit der XI. Zivilsenat die Verletzung von Verfahrensgrundrechten nicht unter den Revisionsgrund der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, sondern unter den der grundsätzlichen Bedeutung subsumiert hat64, hat er diese Auffassung, die lediglich in der Begründung von der Rechtsprechung anderer Senate abwich und nicht zu anderen Ergebnissen führte, inzwischen aufgegeben65. b) Den unbestimmten Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts definiert der V. Zivilsenat in Übereinstimmung mit der amtlichen Begründung66 dahin, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken aufzufüllen. Für die Aufstellung solcher höchstrichterlicher Leitsätze bestehe nur dann Anlass, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehle67. Diese Auslegung haben andere Senate ausdrücklich übernommen68. Dieser Zulassungsgrund ermöglicht nach der Auffassung der Vorsitzenden des V.69 und des I. Zivilsenats70 bei neuen oder dynamischen Rechtsmaterien, wie z. B. dem neuen Schuldrecht oder dem Wettbewerbs-, Immaterialgüter- oder Ge__________ 62 Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (191). 63 BT-Drs. 14/4722 S. 104 linke Spalte. 64 Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (192 f.); Beschl. v. 10.12.2002 – XI ZR 162/02, FamRZ 2003, 440 (441). 65 Beschl. v. 11.5.2004 – XI ZB 39/03, NJW 2004, 2222 (2223). 66 BT-Drs 14/4722 S. 104 rechte Spalte. 67 Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 (225); Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132; Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (292); Beschl. v. 21.10.2004 – V ZB 27/04, Umdruck S. 4 f. 68 Beschl. v. 5.11.2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; Beschl. v. 25.3.2003 – VI ZR 355/02, NJW-RR 2003, 1074; Beschl. v. 5.11.2002 – XI ZR 107/02, Umdruck S. 4; Beschl. v. 24.9.2003 – IV ZB 41/02, NJW 2004, 289 (290). 69 Wenzel, NJW 2002, 3353 (3355). 70 Ullmann, WRP 2002, 593 (597).

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sellschaftsrecht, eine höchstrichterliche Klärung unabhängig von einem Meinungsstreit. c) Den unbestimmten Begriff der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung konkretisiert die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Bildung verschiedener Fallgruppen. Mit diesem Zulassungsgrund befassen sich die meisten höchstrichterlichen Entscheidungen zum neuen Revisionszulassungsrecht und zu den gleichlautenden Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsbeschwerde. aa) Dieser Zulassungsgrund erfasst unbestritten die Divergenz im herkömmlichen Sinne (§ 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO a. F.)71. Eine solche liegt vor, wenn die angefochtene Entscheidung einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz der Vergleichsentscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht72. Eine Änderung gegenüber dem alten Recht stellt es dar, dass nun auch eine Abweichung von der Rechtsprechung eines gleichrangigen Gerichts oder von einem anderen Spruchkörper desselben Gerichts die Zulassung zur dritten Instanz eröffnen kann73. bb) Nach dem Willen des Gesetzgebers74 beschränkt sich der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht auf die vorgenannten Divergenzfälle. Dies wirft die schwierige Frage der sachgerechten Eingrenzung zulassungswürdiger Revisionen auf. Aufgabe der Rechtsprechung ist es, abstrakte, gleichwohl hinreichend sicher prognostizierbare Kriterien zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs herauszuarbeiten75. Die Widersprüchlichkeit der amtlichen Begründung – geradezu ein Paradebeispiel dafür, dass der „Wille des Gesetzgebers“ mitunter ein völlig untaugliches Auslegungskriterium ist – führte zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, wie zuletzt die Diskussionen in der Abteilung Verfahrensrecht auf dem 65. Deutschen Juristentag im September 2004 in Bonn zeigten. Ausgelöst wird dieser Streit __________ 71 BT-Drs. 14/4722 S. 67 rechte Spalte. 72 Beschl. v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 (45) = NJW 2002, 2473; Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 (225); Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957. 73 Gaier, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposium 2003, 18 (20 f.); Wenzel in MünchKomm/ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl. 2002, § 543 Rz. 15. 74 BT-Drs. 14/4722 S. 104. 75 Ball, Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag, Bonn 2004, S. A 69 ff. (A 74).

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dadurch, dass der Gesetzgeber nach dem Wortlaut des Allgemeinen Teils der amtlichen Begründung mit der Erweiterung der Zulassungsgründe einerseits auch „eine Ergebniskorrektur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit“ anstrebt76, andererseits aber nach der Einzelbegründung zu § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht schon dann für gegeben erachtet, „wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist“. Der Fehler müsse „über den Einzelfall hinaus allgemeine Interessen nachhaltig berühren“. Dies sei nur dann der Fall, „wenn er von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen“77. An der Einschränkung in der Einzelbegründung unter Berücksichtigung des mit der Neuregelung des Zugangs zur Revisionsinstanz verfolgten Zwecks des Gesetzgebers78, im Interesse der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs das Rechtsmittel nur für solche Sachen zu eröffnen, deren Entscheidung Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukomme79, macht die Rechtsprechung des V. Zivilsenats seine restriktive Auslegung fest, wonach ein Rechtsmittel nur dann auf materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Fehler gestützt werden kann, wenn der Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt80. Gleichzeitig befolgt der Senat die Aufforderung des Gesetzgebers, hinsichtlich Inhalts und Umfangs der beiden Zulassungselemente des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO u. a. auf die vergleichbare Bestimmung des § 80 OWiG und die dazu ergangene und in der amtlichen Begründung wiedergegebene Rechtsprechung zurückzugreifen81. Danach ist der Zulassungsgrund zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfüllt, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. Diese Voraussetzungen werden vom V. Zivilsenat beispielsweise dann bejaht, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Rechtsprechung eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berück__________ 76 77 78 79 80

BT-Drs. 14/4722 S. 67 linke Spalte. BT-Drs. 14/4722 S. 104 rechte Spalte. BT-Drs. 14/4722 S. 66 rechte Spalte. Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (294). Beschl. v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 (46); Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 (226). 81 BT-Drs. 14/4722 S. 104 rechte Spalte.

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sichtigt, der Rechtsfehler also „symptomatische“ Bedeutung hat82 bzw. wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte die Gefahr einer Wiederholung desselben Fehlers durch das Gericht zu besorgen ist83, oder wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu besorgen ist, dass dem Rechtsfehler ohne Korrektur ein Nachahmungseffekt zukommen könnte, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung insgesamt zu erschüttern84. Konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder einen Nachahmungseffekt liegen vor, wenn sich die rechtsfehlerhafte Begründung des Urteils verallgemeinern lässt und überdies eine nicht unerhebliche Zahl künftiger Sachverhalte zu erwarten ist, auf welche die Argumentation übertragen werden kann85. Eine strukturelle Wiederholungsgefahr wird auch durch ein grundlegendes Missverständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, begründet86. Eine andere – schon vom Gesetzgeber vorgegebene87 – Fallgruppe, bei der Fehler bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren, bilden ein Verstoß gegen das Willkürverbot und die Verletzung von Verfahrensgrundrechten, namentlich der Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip)88. Soweit der V. Zivilsenat ur__________ 82 Beschl. v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 (46); Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (297); Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJWRR 2003, 132 (133). 83 Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957; Beschl. v. 31.10.2002 – V ZR 100/02, NJW 2003, 754 (755); Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (297); Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132 (133). 84 Beschl. v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 (46); Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957; Beschl. v. 31.10.2002 – V ZR 100/02, NJW 2003, 754 (755); Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (297); Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132 (133) 85 Beschl. v. 31.10.2002 – V ZR 100/02, NJW 754 (755). 86 Beschl. v. 8.9.2004 – V ZR 260/03, NJW 2005, 154 (155). 87 BT-Drs. 14/4722 S. 104 rechte Spalte. 88 Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 (226); Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (296 f.); Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJWRR 2003, 132 (133); Beschl. v. 18.7.2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205 (3206); Beschl. v. 7.10.2004 – V ZR 328/03, NJW 2005, 153; Beschl. v. 21.10.2004 – V ZB 27/04, Umdruck S. 5.

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sprünglich gefordert hatte, der Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte müsse im Einzelfall „klar zu Tage“ treten, „also offenkundig“ sein89, eine Auffassung, der auch der XI. Zivilsenat90 zeitweise und der VI. Zivilsenat91 gefolgt sind, ist diese zum Teil kritisierte Formulierung92 inzwischen insoweit klargestellt worden, dass sie nur an die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Begründung eines Verfassungsverstoßes geforderte Qualität der Rechtsverletzung anknüpft. Die Orientierung an der Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht den Parteien eine ausreichend sichere Beurteilung der Zulässigkeit einer Revision, womit dem rechtsstaatlichen Gebot einer möglichst klaren und bestimmten Regelung des Zugangs zu den Rechtsmittelgerichten Genüge getan ist93. Als weitere Fallgestaltung, die den Zulassungsgrund zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfüllt, sieht der V. Zivilsenat Rechtsfehler an, die aufgrund der Publizitätswirkung das Vertrauen in die Rechtsprechung als Ganzes erschüttern94. Diese Fallgruppenbildung haben andere Zivilsenate im Wesentlichen übernommen95. Von der Eingruppierung der Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots in den Zulassungsgrund der __________ 89 Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 (226); Beschl. v. 25.7.2002 – V ZR 118/02, NJW 2002, 3180. 90 Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (194). Diese Auffassung hat der XI. Zivilsenat im Beschl. v. 11.5.2004 – XI ZB 39/03, NJW 2004, 2222 (2223 f.) ausdrücklich wieder aufgegeben. 91 Beschl. v. 23.9.2003 – VI ZB 32/03, BGHReport 2004, 125 (126); Beschl. v. 7.10.2003 – VI ZR 334/02, Umdruck S. 4. 92 Rimmelspacher, LMK 2003, 11 (12); Schlosser, JZ 2003, 266 (268); Scheuch/ Lindner, NJW 2003, 728 (730). 93 Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (297). 94 Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957. 95 Beschl. v. 24.9.2002 – VI ZB 26/02, DAR 2003, 64; Beschl. v. 25.3.2003 – VI ZR 355/02, NJW-RR 2003, 1074; Beschl. v. 13.5.2003 – VI ZB 76/02, NJW-RR 2003, 1366 (1367); Beschl. v. 5.11.2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; Beschl. v. 25.3.2003 – VI ZB 55/02, NJW-RR 2003, 995 f.; Beschl. v. 23.9.2003 – VI ZB 32/03, BGHReport 2004, 125 f.; Beschl. v. 7.10.2003 – VI ZR 334/02, Umdruck S. 4; Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (187 f.); Beschl. v. 8.4.2003 – XI ZR 193/02, NJW 2003. 2319 (2329); Beschl. v. 11.5.2004 – XI ZB 39/03, NJW 2004, 2222 (2223); Beschl. v. 19.12.2002 – VII ZR 101/02, NJW 2003, 831 f.; Beschl. v. 9.4.2003 – XII ZB 100/02, FamRZ 2003, 1093; Beschl. v. 24.9.2003 – IV ZB 41/02, NJW 2004, 289 (290).

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grundsätzlichen Bedeutung hat der XI. Zivilsenat, wie bereits erwähnt, inzwischen Abstand genommen. cc) Im Gegensatz zu einem Teil der Literatur96 ist man sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einig, dass offensichtliche Rechtsanwendungsfehler unterhalb der Willkürschwelle ohne die Erfüllung der oben genannten zusätzlichen Voraussetzungen den Zugang zur dritten Instanz nicht eröffnen. Man mag darüber spekulieren, ob diese Auslegung dem subjektiven Willen des Gesetzgebers – soweit ein solcher überhaupt feststellbar ist – entspräche oder nicht. Nicht zu bestreiten ist jedoch, dass der Bundesgerichtshof seine Auslegung unter Einsatz allgemein anerkannter und verfassungsrechtlich abgesicherter Auslegungsmethoden und unter Berücksichtigung der Motive des Gesetzgebers gefunden hat.

3. Gerichtsinterne Instrumente der Konsensbildung a) Ein Eingreifen des Gesetzgebers zur Herstellung einer einheitlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot käme im Übrigen erst dann in Betracht, wenn die gerichtsinternen Instrumente zur Rechtsprechungsvereinheitlichung ausgeschöpft sind. Damit ist die gerichtsverfassungsrechtliche Institution der Großen Senate, im vorliegenden Fall der Große Senat für Zivilsachen, gemeint. Dieser hat bei Divergenzen (§ 132 Abs. 2 GVG) und bei grundsätzlichen Rechtsfragen (§ 132 Abs. 4 GVG) im Wege der Vorlage zu entscheiden. Nach § 132 Abs. 3 GVG ist eine Vorlage an den Großen Senat nur zulässig, wenn der erkennende Senat bei dem Senat, von dessen Rechtsprechung er abweichen will, vorher angefragt hat, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält, und dieser Senat dies bejaht hat. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG liegt vor, wenn sie den tragenden Grund der Entscheidung bildet, also entscheidungserheblich ist97. Von der Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen ist __________ 96 Winte, ZRP 1999, 387 (391); Musielak, NJW 2000, 2769 (2779); Büttner, BRAKMitt 2003, 202 (207); Scheuch/Lindner, NJW 2003, 728 (729); Ball, Festschrift für Musielak, 2004, S. 27 (39 ff.) u. Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag, Bonn 2004, S. A 69 ff. (A 81 ff.); Büttner, Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag, Bonn 2004, S. A 89 (A 96 ff., A 104); Piekenbrock, AnwBl 2004, 329 (330); v. Mettenheim, NJW 2004, 1511 (1512 f.). 97 Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2001, § 132 GVG Rz. 8; Albers in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 132 GVG Rz. 5.

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im Zusammenhang mit der Auslegung der neuen Zulassungsformel bisher kein Gebrauch gemacht worden. Entweder hatte die Abweichung keine tragende Bedeutung – wie die ursprünglich unterschiedliche rechtliche Einordnung von Verfassungsverstößen durch den V. und XI. Zivilsenat98 – oder die Divergenz wurde im Anfrageverfahren beseitigt. b) Letzteres hat vor kurzem zu der einheitlichen Beantwortung der Frage geführt, wie eine Nichtzulassungsbeschwerde zu behandeln ist, wenn der im Zeitpunkt ihrer Einlegung vorhandene Zulassungsgrund durch nachfolgende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs entfallen ist. Hier hatten zunächst einige Senate die Auffassung vertreten, dass für das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen, wie üblich, (stets) der Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts über die Zulassung maßgeblich sei99. Gegen diese Rechtsansicht wurden in der Literatur100 verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf das Postulat der Rechtsmittelklarheit sowie der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns erhoben. Diese griff der V. Zivilsenat auf und legte den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung verfassungskonform dahin aus, dass die Revision trotz zwischenzeitlich ergangener höchstrichterlicher Leitentscheidung zuzulassen sei, wenn das angefochtene Urteil im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gefährdete und die beabsichtigte Revision im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg habe. Einer Anrufung des Großen Senates bedurfte es nicht, weil die möglicherweise divergierenden Senate auf Anfrage erklärt hatten, an einer abweichenden Auffassung nicht festzuhalten101.

__________ 98 Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 (190); Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 (299). 99 Beschl. v. 20.11.2002 – IV ZR 197/02, NJW-RR 2003, 352; Beschl. v. 12.3.2003 – IV ZR 278/02, NJW 2003, 1609; Beschl. v. 8.4.2003 – XI ZR 193/02, NJW 2003, 2319 (2320); Beschl. v. 13.8.2003 – XII ZR 303/02, NJW 2003, 3352 (3354). 100 Seiler, LMK 2003, 196 (197) u. NJW 2003, 2290; v. Gierke/Seiler, JZ 2003, 403 (407); Baumert, MDR 2004, 71 (73). 101 Beschl. v. 8.9.2004 – V ZR 260/03, NJW 2005, 154 (156).

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IV. Fazit Gerade auch diese letzte Entscheidung, die unter dem Vorsitz von Dr. Joachim Wenzel getroffen wurde, zeigt, dass der Bundesgerichtshof über ausreichende Instrumentarien und interne Klärungsmechanismen verfügt, um die unbestimmten Rechtsbegriffe in der neuen Zulassungsformel einheitlich auslegen zu können. Angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt102, die in allen wesentlichen Kernfragen bereits Einigkeit erzielen konnte, hat sich die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, dass dem Bundesgerichtshof die Konkretisierung der neuen Zugangsvoraussetzungen zur dritten Instanz gelingt. Zwar gibt es noch klärungsbedürftige Detailfragen bei der Auslegung der Zulassungskriterien, etwa weil sie von den Zivilsenaten noch nicht völlig identisch beantwortet werden (wie z. B. die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe103) oder weil aufgestellte Kriterien (wie z. B. das der symptomatischen Bedeutung eines Rechtsfehlers) nach Ansicht eines Teils der Literatur104 noch der Konkretisierung bedürfen. Insgesamt gesehen hat die Auslegung der Revisionszulassungsgründe durch den Bundesgerichtshof jedoch in allen Kernfragen inzwischen ein Maß an Einheitlichkeit erreicht, dass von einer Gefährdung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht mehr die Rede sein kann. Anlass für einen Ruf nach dem Gesetzgeber besteht nicht.

__________ 102 Stand: 31.10.2004. 103 Vgl. Ball, Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag, Bonn 2004, S. A 69 ff. (A 75, A 81 f.); v. Gierke/Seiler, NJW 2004, 1497 u. 1499 f. 104 Rimmelspacher, LMK 2003, 13; Schlosser, JZ 2003, 266 (267); Rimmelspacher, JZ 2003, 797; Schneider, AnwBl 2003, 546 (547); Büttner, BRAK-Mitt 2003, 202 (208); Gehrlein, MDR 2003, 547 (549); Schultz, MDR 2003, 1392 (1397); Ball, Festschrift für Musielak, 2004, S. 27 (43 f.) u. Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag, Bonn 2004, S. A 69 ff. (A 81 f.); Gottwald, Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag, Bonn 2004, S. A 107 (120 f.); Ahrens, JR 2004, 336 f.; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 543 ZPO Rz. 10c u. 14.

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Vollstreckbare Urkunden über Wohngeld Hans Wolfsteiner Inhaltsübersicht 1. Die Verpflichtung zur Unterwerfung

3. Die Unterwerfung kraft Teilungserklärung

2. Unterwerfungserklärung des Ersterwerbers

4. Fazit

Wirft man einen Blick in das Schrifttum zum Wohnungseigentumsgesetz, so kann man was die Zwangsvollstreckungsunterwerfung wegen des sog. Wohngelds betrifft, Großzügigkeit konstatieren. Sie könne unbedenklich Inhalt des Wohnungseigentums sein, also in der Teilungserklärung für alle künftigen Wohnungseigentümer antizipiert werden1. Eine Auseinandersetzung mit dem zivilprozessualen Schrifttum findet nicht statt. Soweit dieses nicht überhaupt schweigt, erklärt es nämlich ebenso einmütig die Zwangsvollstreckungsunterwerfung in der Teilungserklärung für unwirksam2. Eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Möglichkeiten, vollstreckbare Urkunden in Wohnungseigentum zu integrieren, scheint angebracht. Der Anspruch auf Zahlung des Wohngelds ist zweifellos ein solcher, der nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO Gegenstand einer vollstreckbaren Urkunde sein kann. Heikler ist schon die Frage, wer Gläubiger des Wohngeldan__________ 1 OLG Celle, Urt. v. 7.4.1955 – 4 Wx 1/55 – DNotZ 1955, 320 m. zust. Anm. Weitnauer; KG vom 20.6.1997 – 24 W 661/97 – NJW-RR 1997, 1304 = MittBayNot 1998, 48 m. insoweit abl. Anm. Wolfsteiner; Ertl, DNotZ 1988, 4, 20, der in der Zwangsvollstreckungsunterwerfung ein der „Verdinglichung“ zugängliches Schuldverhältnis zu erblicken scheint (?); Pick in Bärmann/ Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 RdNr. 45 und § 16 RdNr. 154 unter rätselhafter Berufung auf § 800 ZPO; Weitnauer/Lüke, WEG, 8. Aufl., § 10 RdNr. 42, der ebenfalls eine „Analogie“ zu § 800 ZPO sieht; Bamberger/ Roth/Hügel, WEG § 10 RdNr. 11; Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 68. Skeptisch Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG Rz. 128. 2 V. Rintelen RNotZ 2001, 2; Wolfsteiner in MünchKommZPO2 § 794 RdNr. 146; zur Gläubigerbezeichnung Stein/Jonas/Münzberg22 § 794 ZPO RdNr. 120.

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spruchs ist. Nachdem das WEG in § 10 Abs. 1 Satz 1 die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausdrücklich den Vorschriften des BGB über die Gemeinschaft unterstellt3, können das nur die übrigen Wohnungseigentümer sein, und zwar nach Bruchteilen (§ 16 Abs. 1 WEG). Dabei sind für jede einzelne Fälligkeit tagesgenau die Personen Gläubiger, die im Fälligkeitszeitpunkt Wohnungseigentümer sind4. Die Ermittlung des Gläubigers ist wichtig, denn nur eine Zwangsvollstreckungsunterwerfung zugunsten des nach materiellem Recht berechtigten Gläubigers ist effektiv. Zwar kümmert sich das Vollstreckungsrecht zunächst nicht darum, ob derjenige, zu dessen Gunsten die vollstreckbare Urkunde errichtet ist, auch der wahre Gläubiger ist; ist er es aber nicht, so kann der Schuldner die Vollstreckbarkeit jederzeit im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO auf Kosten des Unterwerfungsgläubigers beseitigen lassen.

1. Die Verpflichtung zur Unterwerfung Ich beginne mit ihr, weil sie das Aschenbrödel unter den einschlägigen Problemen ist. Kaum jemand beschäftigt sich damit, vielleicht weil die Rechtslage relativ einfach scheint. Nach § 28 Abs. 2 WEG sind die Wohnungseigentümer verpflichtet, nach Abruf durch den Verwalter dem beschlossenen Wirtschaftsplan entsprechende Vorschüsse zu leisten; für diese Vorschüsse hat sich der Begriff „Wohngeld“ eingebürgert. Sonderbarerweise fehlt in § 28 WEG eine Vorschrift, die den Wohnungseigentümer auch zu einer sich aus der Abrechnung nach § 28 __________ 3 Vgl. zu den verschiedenen Theorien über den Rechtscharakter der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer z. B. Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl., Einl. zum WEG RdNr. 1 ff.; Weitnauer8 Vor § 1 WEG RdNr. 30 ff. und Weitnauer/ Lüke8 WEG § 10 Rz. 10 ff. Auf die Stimmen, welche die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer contra legem als juristische Person konstituieren wollen, z. B. Meikel/Böhringer GBO9 § 47 RdNr. 126, kann ich hier nicht eingehen. 4 Nicht ganz klar Weitnauer/Hauger, WEG,8 § 16 Rz. 52 ff. Die Literatur äußert sich zur Person des Gläubigers überwiegend kryptisch; „Mitberechtigung i. S. des § 432 BGB“ (Weitnauer/Hauger, WEG,8 § 16 Rz. 31) sagt zwar etwas aus über die Geltendmachung des Anspruchs, nicht aber über die Inhaberschaft. Richtig Bärmann/Pick/Merle WEG9 § 28 RdNr. 135. Unverständlich Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 153 ff., wonach die Wohnungseigentümer gleichzeitig Gesamthandsgläubiger und Mitgläubiger einer unteilbaren Leistung sein sollen, § 432 BGB aber unanwendbar sein soll.

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Abs. 3 WEG ergebenden Abschlusszahlung verpflichten würde; man kann die Pflicht aber zwanglos aus § 16 Abs. 2 WEG entnehmen. a) Ist die Zwangsvollstreckungsunterwerfung wegen des Wohngelds statthaft, so kann sich ein Wohnungseigentümer auch vertraglich verpflichten, eine vollstreckbare Urkunde über das Wohngeld zu errichten5. Diese Verpflichtung kann wohl nach § 10 Abs. 1 und 2 WEG auch zum Inhalt des Wohnungseigentums gemacht werden; denn die Art und Weise der Beitreibung des Wohngelds betrifft in diesem Sinne „das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander“. AGB-Recht steht der Begründung einer solchen Verpflichtung schon in der Teilungserklärung nicht entgegen. Zwar soll der heiklen Frage, wieweit AGB-Recht überhaupt auf die Regelung des Verhältnisses der Wohnungseigentümer untereinander anwendbar ist, hier nicht näher nachgegangen werden6; jedenfalls gibt es keinen Grundsatz, wonach die Verpflichtung zur Zwangsvollstreckungsunterwerfung allgemein gegen § 309 BGB verstoßen würde7. b) Was aber kann man mit einer solchen Verpflichtung anfangen? Der Anspruch müsste im Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 WEG geltend gemacht werden. Einem Antrag, den Wohnungseigentümer zur Abgabe einer Unterwerfungserklärung zu verurteilen, dürfte aber in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil ebenso gut sogleich die Verurteilung zur Zahlung beantragt werden kann. Überdies stellt sich die Frage, wie eine Verurteilung zur Erklärung der Zwangsvollstreckungsunterwerfung vollstreckt werden soll. Es scheint, dass eine solche Verurteilung nach § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO vollstreckt werden müsste. Damit würde praktisch der verurteilende Beschluss des WEGGerichts die vollstreckbare Urkunde darstellen. Wer aber soll zuständig sein, die Vollstreckungsklausel zu solch einer Unterwerfungsurkunde __________ 5 KG, Urt. v. 20.6.1997 – 24 W 661/97 – NJW-RR 1997, 1304 = MittBayNot 1998, 48 m. Anm. Wolfsteiner; Commichau in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 10 WEG RdNr. 47. 6 Dazu Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG RdNr. 74. 7 BGHZ 99, 274, Urt. v. 18.12.1986 – IX ZR 11/86 = NJW 1987, 904 (dazu, Wolfsteiner MittBayNot 1995, 438); OLG München NJW-RR 1992, 125. A. A. wohl Stürner, BWNotZ 1977, 106; ders. BWNotZ 1978, 2; ders. JZ 1977, 431 und 639 (aber wohl aufgegeben in Baur/Stürner, 12. Aufl., RdNr. 16.19); ähnlich J. Blomeyer, NJW 1999, 472 (es gebe einen Grundsatz „erst prozessieren, dann zahlen“). Zur Verfassungsmäßigkeit der Ersetzung präventiven Rechtsschutzes durch nachträglichen Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch (1989) § 9 IV 2 c aa.

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zu erteilen? Die Zuständigkeit nach § 724 Abs. 2 ZPO greift nicht, denn es geht nicht um eine Vollstreckungsklausel zum Urteil, sondern um eine solche zu einer fingierten Unterwerfungsurkunde. Mangels irgendeiner Zuständigkeit zur Erteilung der Vollstreckungsklausel ist eine solche Vollstreckung also wertlos. Zu einer wirklichen Unterwerfungsurkunde kommt man demnach bestenfalls mit Hilfe einer Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO (Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung, nämlich Abgabe einer Zwangsvollstreckungsunterwerfung vor einem Notar). Das erscheint wenig sinnvoll und ist überhaupt nicht praktikabel. Es bleibt die Frage übrig, ob in den Fällen des § 12 WEG der Verwalter – er ist es, der wenn überhaupt regelmäßig zustimmen muss – seine Veräußerungszustimmung davon abhängig machen kann, dass der Erwerber die vollstreckbare Urkunde errichtet. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 WEG darf er seine Zustimmung nur aus einem wichtigen Grunde versagen. Es ist anerkannt, dass wichtiger Grund nur die auf Tatsachen gestützte Erwartung sein kann, dass der Erwerber seinen Verpflichtungen aus dem Wohnungseigentum nicht nachkommen werde. Lässt sich daraus ableiten, dass der Verwalter verlangen kann, dass der Erwerber die vollstreckbare Urkunde schon im Voraus errichtet, zu einer Zeit also, zu der (mangels Verwalterzustimmung) noch kein wirksamer Erwerbsvertrag vorliegt und auch der Beginn der Verpflichtung zur Wohngeldzahlung (die Verpflichtung beginnt im Verhältnis zu den anderen Wohnungseigentümern mit Eigentumsübergang8) erst in weiter, datumsmäßig noch gar nicht feststehender Zeit beginnen kann? Bestenfalls könnte die Unterwerfung so aussehen, dass die Zwangsvollstreckung im Sinne des § 726 Abs. 1 ZPO vom Übergang des Eigentums abhängig gemacht wird; aber auch das verursacht dem Erwerber Kosten, ohne dass er sicher sein kann, auch wirklich Eigentümer zu werden und dann Wohngeldschuldner zu sein. Seiner Argumentation, er wolle die Verpflichtung aus der Teilungserklärung, sich wegen des Wohngelds zu unterwerfen, durchaus erfüllen, aber erst nachdem er Eigentümer geworden sei und damit überhaupt dem Pflichtenprogramm des Wohnungseigentums unterliege, wird schwerlich etwas entgegenzusetzen sein. Insgesamt erweist es sich also als zumindest wenig attraktiv, wenn nicht gänzlich uneffektiv, die Wohnungseigentümer durch Gemeinschaftsordnung zu verpflichten, über das Wohngeld eine vollstreckbare Urkunde zu errichten. __________ 8 Weitnauer/Hauger, WEG8 § 16 RdNr. 46 ff. und § 28 RdNr. 6 f. m. w. N.

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2. Unterwerfungserklärung des Ersterwerbers a) Fraglos kann sich der erste (oder ein späterer) Erwerber eines Wohnungseigentums wegen einer Wohngeldverpflichtung der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfen. Das erfordert freilich die Erfüllung gewisser Voraussetzungen. aa) Es muss ein bestimmter Gläubiger angegeben werden9. Gläubiger sind, wie ausgeführt, diejenigen Personen nach (in der Unterwerfungserklärung genau wiederzugebenden) Bruchteilen, die im Zeitpunkt der Errichtung der vollstreckbaren Urkunde Wohnungseigentümer sind10. Unklar ist die Behandlung des eigenen Anteils des Unterwerfungsschuldners; er ist wohl nicht auszuscheiden, weil es Modalität des Anspruchs ist, dass die Zahlung zur Verwaltung durch den Verwalter zu leisten ist, was der Schuldner auch hinsichtlich seines eigenen Anteils schuldet11. Es soll allerdings zulässig sein, die Wohnungseigentümer als Gläubiger in der vollstreckbaren Urkunde nur pauschal als „die Wohnungseigentümer“ zu bezeichnen12; dann aber muss die namentliche Bezeichnung spätestens im Verfahren der Vollstreckungsklausel zur vollstreckbaren Urkunde nachgeholt werden13, was nicht weniger mühsam ist als die Angabe schon in der Unterwerfungsurkunde. Die Probleme der Gläubigerbezeichnung können vermieden werden, wenn der Verwalter ermächtigt ist, die Wohngeldansprüche im eigenen Namen (in Prozessstandschaft) geltend zu machen. Die Ermächtigung muss allerdings wirklich und wirksam erteilt sein; es genügt nicht, dass __________ 9 Stein/Jonas/Münzberg22 § 794 ZPO RdNr. 120. 10 BayObLG, Urt. v. 23.2.1995 – 2Z BR 113/94 – DNotZ 1995, 627 zu einer Zwangshypothek für Wohnungseigentümer. Damit eine Zwangshypothek eingetragen werden kann, müssen nach OLG Frankfurt, Urt. v. 7.1.2004 – 20 W 438/2003 – MittbayNot 2004, 464 auch die Geburtsdaten der Gläubiger angegeben sein. 11 Vgl. BayObLG, Urt. v. 23.2.1995 – 2Z BR 113/94 – DNotZ 1995, 627 = MittBayNot 1995, 286 m. Anm. Röll. 12 BayObLG, Urt. v. 23.1.1986 – BReg. 2Z 126/85 – NJW-RR 1986, 564. 13 Wolfsteiner in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 726 RdNr. 21. Genau umgekehrt – der Klagantrag bzw. der Antrag auf gerichtliche Entscheidung müsse alle Gläubiger aufführen, Entscheidung und Vollstreckungsklausel könnten sich dann mit der Pauschalbezeichnung begnügen, wenn die Gläubiger durch den Verwalter vertreten werden –, aber nicht überzeugend, BayObLG, Urt. v. 23.1.1986 – BReg. 2 Z 126/85 – NJW-RR 1986, 564; a. A. als das BayObLG BGH NJW 1977, 1686.

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der Schuldner in seiner Unterwerfungserklärung eine solche Einziehungsermächtigung nur unterstellt. Besteht die Ermächtigung in dem Zeitpunkt, in dem vollstreckt werden soll, nicht, dann wird der Schuldner mit seiner Vollstreckungsabwehrklage Erfolg haben. Praktikabel ist nur eine Einzugsermächtigung, die gemäß § 10 Abs. 2 WEG – gegen die Zulässigkeit bestehen keine Bedenken – bereits in der Teilungserklärung ausgesprochen ist14, oder die kraft späterer Vereinbarung nebst Eintragung im Grundbuch erteilt wird. Ist dem Verwalter eine Einzugsermächtigung erteilt, kann er anstelle der Wohnungseigentümer in der Unterwerfungserklärung die Gläubigerrolle einnehmen, ohne dass die Wohnungseigentümer in irgendeinem Verfahrensstadium namentlich bezeichnet werden müssten. bb) Gegenstand der vollstreckbaren Urkunde kann praktisch nur ein bezifferter Anspruch sein15. Keine der anerkannten Wertsicherungsmethoden16 ermöglicht die Zwangsvollstreckungsunterwerfung wegen des jeweiligen Wohngelds. Eine gewisse Zukunftssicherheit lässt sich nur dadurch erreichen, dass ein Betrag genannt wird, der höher ist als das aktuelle Wohngeld und also bis zu seiner Grenze auch ein künftig höheres Wohngeld decken kann. Eine solche mit der materiellen Rechtslage nicht übereinstimmende Unterwerfung ist zulässig17, juristischen Laien (und auch manchen Juristen) allerdings kaum zu vermitteln. Verwalter genießen nicht durchweg das Vertrauen, welches notwendig ist, wenn eine überschießende vollstreckbare Urkunde errichtet werden soll, deren möglichem Missbrauch nur durch Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO begegnet werden kann. b) Das eigentliche Grundproblem der Zwangsvollstreckungsunterwerfung wegen des Wohngelds liegt in der Frage der Rechtsnachfolge im Sinne des § 727 ZPO, und zwar sowohl auf der Schuldner- als auch auf der Gläubigerseite. aa) Wichtiger ist die Schuldnerseite. Ist ein neuer Wohnungseigentümer in Ansehung der Verpflichtung zur Zahlung des Wohngelds Rechtsnachfolger (Schuldnachfolger) des Voreigentümers, der die Unter__________ 14 15 16 17

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Vgl. Bärmann/Pick/Merle9 WEG § 27 RdNr. 107. Weitnauer/Lüke, WEG8 § 10 RdNr. 42. Vgl. Wolfsteiner in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 794 RdNr. 232 ff. BGH NJW 1996, 2165; BGH NJW 1997, 2887 = LM § 767 ZPO Nr. 100 (Anm. Wolfsteiner); BGH vom 26.11.1999 – V ZR 251/98 – NJW 2000, 951; KG JW 1934, 1731; Werner, DNotZ 1969, 722.

Vollstreckbare Urkunden über Wohngeld

werfungsurkunde hat errichten lassen?18 Diese Frage darf nicht verwechselt werden mit der, ob noch unerfüllte Beitragsschulden auf den Erwerber übergehen. Es geht nicht um Haftung für Beitragsschulden, die noch in der Person des Eigentumsvorgängers entstanden sind, sondern um die Vollstreckbarkeit von Beitragsschulden, die in der Person des neuen Eigentümers entstehen werden. § 325 Abs. 1 ZPO, auf den § 727 Abs. 1 ZPO verweist, kennt zwei Fälle der Rechtsnachfolge. Der eine Fall ist der, dass das „rechtskräftige Urteil gegen die Parteien und die Personen (wirkt), die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind.“ In WEG-Recht übersetzt, würde das bedeuten, dass eine im WEG-Verfahren erfolgte Verurteilung zur Zahlung von Wohngeld auch dem Nachfolger im Eigentum gegenüber wirken müsste. Dem steht aber entgegen, dass ein neuer Eigentümer gerade nicht Schuldner des Wohngelds seines Eigentumsvorgängers wird19. Vielmehr entsteht der Anspruch jeweils originär gegen denjenigen, der im Fälligkeitszeitpunkt Wohnungseigentümer ist. Eine Schuldnachfolge findet also nicht statt. Der andere Fall ist der des Erwerbs der „streitbefangenen Sache“20, der auch bei einer vollstreckbaren Urkunde in Frage kommt. Die Verurteilung zur Wohngeldzahlung (und damit auch die Zwangsvollstreckungsunterwerfung dazu) macht aber das Wohnungseigentum nicht streitbefangen im Sinne des § 727 Abs. 1 ZPO, weil – wiederum – die Verpflichtung nicht der Sache folgt21. Ein neuer Wohnungseigentümer ist also in Bezug auf das Wohngeld nicht Schuldnachfolger des Voreigentümers, so dass aus einer vom Voreigentümer errichteten vollstreckbaren Urkunde nicht gegen den Eigentumsnachfolger vollstreckt werden kann. Daran kann auch eine nebulöse Berufung auf § 800 ZPO nichts ändern, der hier offenbar völlig __________ 18 So Weitnauer/Lüke, WEG8 § 10 RdNr. 42. 19 Weitnauer/Hauger, WEG8 § 16 RdNr. 46 ff. und § 28 RdNr. 6 f. m. weit. Nachw. („Vorbehaltlich … gibt es daher bei einem Eigentumswechsel nur einen Wohngeldschuldner, wobei sich Voreigentümer und neuer Eigentümer nahtlos ablösen. Die Ansicht, dass im Falle der Veräußerung der Erwerber anstelle des Verkäufers … Wohngeldschuldner sei, ist überholt.“); a.A. wohl nur Pick, JR 1988, 205; Bärmann/Pick9 WEG § 16 RdNr. 104. 20 Vgl. Wolfsteiner in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 727 RdNr. 35 ff. 21 BayObLG, Urt. v. 30.6.2004 – 2Z BR 111/04 – Rpfleger 2004, 691; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 265 RdNr. 17; Weitnauer/Hauger WEG8 § 16 RdNr. 55.

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missverstanden wird. Wie man auch immer die Bedeutung des § 800 ZPO verstehen mag22, setzt seine Anwendung doch immer voraus, dass eine Rechtsnachfolge stattgefunden hat. Wer etwa ein hypothekenbelastetes Grundstück erwirbt, ist in Ansehung der Hypothekenschuld Rechtsnachfolger seines Voreigentümers, zumindest in der Form des Erwerbs der streitbefangenen Sache. Wenn es aber beim Wohngeld an einer Rechtsnachfolge fehlt, kann auch § 800 ZPO nicht weiterhelfen. bb) Gleiches wie für die Schuldnerseite gilt für die Gläubigerseite. Gläubiger des Wohngeldanspruchs sind diejenigen Personen, die bei Fälligwerden des einzelnen Anspruchs auf Wohngeld Wohnungseigentümer sind. Wechselt das Wohnungseigentum, so geht der Anspruch nicht auf den Eigentumsnachfolger über23. Anders als auf der Schuldnerseite ist diese Situation freilich beherrschbar und zwar durch die vorstehend bereits erwähnte Einziehungsermächtigung. Ist dem Verwalter Einzugsermächtigung erteilt, dann gilt im Falle eines Verwalterwechsels der neue Verwalter als Rechtsnachfolger des bisherigen24.

3. Die Unterwerfung kraft Teilungserklärung a) Letztlich kann das Institut der vollstreckbaren Urkunde für Wohngeldforderungen effektiv nur eingesetzt werden, wenn die Unterwerfungserklärung aller gegenwärtigen und künftigen Wohnungseigentümer in der Teilungsurkunde so antizipiert werden kann, dass jeder Wohnungseigentümer ohne Weiteres von selbst der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen ist25. Eine solche Gestaltung ist aber dem Gesetz völlig fremd. Die ZPO kennt nur zwei Wege, auf denen jemand Schuldner einer vollstreckbaren Urkunde werden kann: Entweder es __________ 22 Vgl. zur Bedeutung des § 800 ZPO Wolfsteiner in MünchKommZPO, 2. Aufl. 2000, § 800 RdNr. 1 ff. 23 Weitnauer/Hauger, WEG8 § 16 RdNr. 55. 24 Insoweit zweifelnd, aber offengelassen von OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1035; Sauren, Rpfleger 2002, 194; Stein/Jonas/Münzberg ZPO22 § 727 RdNr. 33 m. weit. Nachw.; a.A. LG Darmstadt NJW-RR 1996, 398; Musielak/Lackmann ZPO4 § 727 RdNr. 13. Vgl. LG Essen NJW-RR 1992, 576 für gerichtlich bestellte Verwalter. 25 Das KG (vom 20.6.1997 – 24 W 661/97 – NJW-RR 1997, 1304 = MittBayNot 1998, 48 m. Anm. Wolfsteiner) hat das – allerdings nur in einem überflüssigen obiter dictum – für möglich erklärt.

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hat sich jemand im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO selbst der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen oder er ist im Sinne des § 727 ZPO Schuldnachfolger dessen, der sich unterworfen hat. Einen dritten Weg, den der Unterwerfungsfiktion, kennt das Gesetz nicht und will es auch schwerlich kennen. Es geht nämlich um ein wichtiges Prinzip unseres Prozessrechts, das eng mit dem Recht auf rechtliches Gehör zusammenhängt. Nach § 325 Abs. 1 Satz 1 ZPO wirkt das rechtskräftige Urteil grundsätzlich nur für und gegen die Parteien, denen auch das rechtliche Gehör zustand. Dieses Prinzip gilt auch für Vollstreckungstitel, die keine Urteile sind, und ganz besonders für Unterwerfungstitel, die auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit beruhen. Nur ganz ausnahmsweise wird davon abgewichen, etwa in § 640h ZPO, der einem Statusurteil aus Gründen, die für das Wohnungseigentumsrecht mit Sicherheit nicht zutreffen, inter-omnes-Wirkung zuweist. Dass aber jemand befugt sein soll, in einer Teilungserklärung nach § 8 WEG – sei sie auch notariell beurkundet – eine unbestimmte Personenmehrheit unmittelbarem staatlichem Vollstreckungszwang (ohne vorhergehendem Verfahren) auszusetzen, ohne dass diese Personen Rechtsnachfolger eines Titelschuldners wären, ist bei einiger Sensibilität für rechtsstaatlichen Prozess (dazu muss nicht das Grundgesetz bemüht werden) fast undenkbar. b) Schließlich ist noch zu erörtern, ob nicht eine Vollmachtlösung denkbar wäre. Es ist ja ein vertrauter, freilich dogmatisch ziemlich dunkler Topos, Teilungserklärungen mit allerlei Vollmachten zu befrachten, die dann jedem Wohnungseigentümer so zugerechnet werden, als ob er die Vollmacht erklärt hätte26. Ob das wirksam ist, sei hier nicht weiter erörtert. Die Vollmacht müsste den Verwalter ermächtigen, im Namen jedes (auch eines künftigen) Wohnungseigentümers eine Zwangsvollstreckungsunterwerfung zu erklären. Die Unterwerfungsvollmacht ist wie die Unterwerfungserklärung Prozesshandlung27. Der Rechtsgedanke des § 181 BGB findet auf sie in dem __________ 26 OLG Celle NJW 1958, 307; BayObLGZ 1974, 294; Röll, MittBayNot 1993, 5; Weitnauer/Lüke, WEG8 § 10 RdNr. 41; im Gutachten DNotI-Report 1995, 113 wird eine solche Vollmacht mit keinem Wort problematisiert. 27 BGH, Urt. v. 26.3.2003 – IV ZR 222/02 – NJW 2003, 1594 (dazu Paulus/Henkel S. 1692) = EWiR Art. 1 § 1 RBerG 4/03, 597 mit zust. Anm. Derleder (dazu abl. Joswig, ZfIR 2003, 533); BGH, Urt. v. 22.10.2003 – IV ZR 398/02 – NJW 2004, 59 = ZfIR 2004, 45 m. Anm. Joswig = EWiR § 242 BGB 3/04, 479 (Weber);

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Sinn Anwendung28, dass der Gläubiger die Unterwerfung nicht als Bevollmächtigter des Schuldners erklären kann29; eine Befreiung ist zwar nicht ausgeschlossen; sie darf aber nicht in Konflikt mit dem prozessualen Grundsatz geraten, dass niemand gegen sich selbst prozessieren darf30. Deshalb kann der Gläubiger nicht ermächtigt werden, im Namen des Schuldners eine selbständige Unterwerfungserklärung abzugeben (und etwa auch noch die Zustellung des Titels entgegenzunehmen)31. Der Verwalter nun soll aber als Sachwalter der Gläubiger des Wohngelds auftreten; als solcher kann er nicht zugleich den Schuldner bei der Erklärung der Zwangsvollstreckungsunterwerfung vertreten. Auch die Vollmachtslösung erweist sich also als untauglich.

4. Fazit Vollstreckbare Urkunden lassen sich für künftige Wohngeldschulden nicht sinnvoll einsetzen.

__________

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BGH, Urt. v. 22.10.2003 – IV ZR 33/03 – NJW 2004, 62 = ZfIR 2004, 65 m. Anm. Joswig = EWiR § 242 BGB 2/04, 423 (Kulke) (zu beiden Entscheidungen Joswig, ZfIR 2004, 45); BGH, Urt. v. 18.11.2003 – XI ZR 332/02 – NJW 2004, 844 = EWiR § 794 ZPO 1/4, 151 (Anm. Joswig); Stimmel, ZfIR 2003, 577. A. A. Stein/Jonas/Münzberg22 § 794 ZPO RdNr. 125. Clemente, ZfIR 2003, 94; im Ergebnis doch auch Stein/Jonas/Münzberg22 § 794 ZPO RdNr. 125. Zur Anwendung des § 181 BGB auf Prozesshandlungen s. RGZ 66, 240; BayObLGZ 1962, 1; Schramm in MünchKommBGB, 3. Aufl. 1992, § 181 RdNr. 40; Staudinger/Schilken (Bearbeitung 2004) § 181 RdNr. 27; Soergel/Leptien § 181 RdNr. 23, jeweils m. weit. Nachw. Stein/Jonas/Münzberg22 § 794 ZPO RdNr. 125. Zu diesem Grundsatz RGZ 66, 240. Zur Geltung des Grundsatzes in echten FGG-Verfahren BayObLGZ 1962, 1 = NJW 1962, 964. A. A. Dux, Teilvollstreckbarkeit von Grundschulden (Diss. Bonn 1991) S. 70; Thaler, ZfIR 2002, 669; Wenzel, Sicherung von Krediten durch Grundschulden (2001) RdNr. 2122; Zawar, Festschr. f. Lüke (1997) S. 993. Strengerer Auffassung Stein/Jonas/Münzberg22 § 794 ZPO RdNr. 126, der bei Verstoß allerdings nur schwebende Unwirksamkeit annimmt. Wenn aber nachträgliche Zustimmung möglich ist, kann vorherige Befreiung kaum unwirksam sein. Ohne Problembewusstsein Rösler, NJW 1999, 1150.

Erteilung einer Vollstreckungsklausel trotz nichtigen Grundstücksgeschäfts? Stefan Zimmermann Inhaltsübersicht

IV.Verpflichtung zur Zwangsvollstreckungsunterwerfung trotz Nichtigkeit der Vollmacht

VI. Die Prüfungspflicht des Notars bei Klauselerteilung 1. Die gesetzlichen Vorgaben a) Notarielles Berufsrecht b) Voraussetzungen gemäß ZPO 2. Die Einordnung einer Vollmacht in das Prüfungsschema 3. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2004 4. Stellungnahme

V. Zwischenergebnis

VII. Schlussbemerkung

I. Ausgangslage II. Die Rechtsprechung des BGH zur Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages III.Das Rechtsschicksal der Geschäftsbesorgungsvollmacht

I. Ausgangslage Auch Bundesrichter leben zunehmend gefährlich. So meldet die Presse jüngst unter der Überschrift „Strafanzeige wegen ‚Rechtsbeugung‘ gegen BGH-Bankensenat“, ein Kreditnehmer habe Strafanzeige gegen den gesamten für das Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenat des BGH erstattet. Zur Begründung wird ein „Verbraucheranwalt“ zitiert mit der Bemerkung, der Senat habe ein „Sonderschutzrecht für Banken frei erfunden“, das das geltende Recht komplett auf den Kopf stelle1. Hintergrund sind die sogenannten Bauträgermodelle aus den 90er Jahren, die auch unter dem Stichwort „Schrottimmobilien“ durch die Medien geistern. Entscheidungen des XI. Zivilsenats befassen sich insbesondere mit dem Haustürwiderrufsgesetz und dem Verbraucherkreditgesetz und stellten hierzu fest, dass trotz der Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrages im Bauträgermodell nicht von einem verbundenen Rechtsgeschäft ausgegangen werden könne und damit das Grundstücksgeschäft nicht die Nichtigkeit des Darlehensvertrages nach sich ziehe2. Von Interesse ins__________ 1 Die Welt, 18.12.2004, S. 17. 2 WM 2002, 2501 (2503); WM 2003, 64 (66).

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besondere für die notarielle Praxis ist diese Rechtsprechung auch insoweit, als im Bauträgermodell neben dem Grundstückskaufvertrag auch die Grundschuld zur Absicherung der Finanzierung des Käufers und Kreditnehmers notariell beurkundet wurde und zu dieser Grundschuldbestellungsurkunde vollstreckbare Ausfertigungen zu erteilen sind bzw. zum Beispiel bei einem Gläubigerwechsel umgeschrieben werden müssen. Zum besseren Verständnis seien die im „Bauträgermodell“ vorliegenden Rechtsbeziehungen noch einmal kurz skizziert: Der Initiator eines solchen Modells – oft identisch mit dem sogenannten Treuhänder – legte ein solches Modell auf, indem er ein Anlageobjekt, meist eine von einem Bauträger konzipierte Wohnungseigentumsanlage, zu einem Modell „verarbeitete“, bei dem ein potentieller Anleger möglichst hohe Steuervorteile über die normale Gebäudeabschreibung hinaus erlangte, z. B. durch zusätzlichen Abschluss von Finanzierungsvermittlungsverträgen, Mietgarantieverträgen, etc. Er bereitete die einzelnen Verträge vor, entwickelte ein Finanzierungskonzept mit Kreditinstituten und machte diese Verträge zum Gegenstand eines einheitlichen Geschäftsbesorgungsvertrages, mit dem der Treuhänder beauftragt und bevollmächtigt wurde, für den Anleger den Grundstückskaufvertrag, den Darlehensvertrag nebst dinglicher Absicherung und alle weiteren Verträge abzuschließen und die finanzielle Abwicklung zu überwachen. Hierauf gab der einzelne Anleger ein notariell beurkundetes Angebot auf Abschluss dieses Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Treuhänder ab und erteilte ihm in gleicher Urkunde notarielle Vollmacht zur gesamten Abwicklung. Der Geschäftsbesorger nahm – meist nach Bonitätsprüfung – dieses Angebot an, unterzeichnete sodann die notarielle Grundstückskaufvertragsurkunde sowie weitere Verträge – insbesondere den Darlehensvertrag mit einem Kreditinstitut – in Vollmacht seines Auftraggebers. Die dingliche Absicherung des Kredites erfolgte entweder durch Übernahme eines Teils einer Gesamtfinanzierung in der Grundstückskaufvertragsurkunde mit notarieller Zwangsvollstreckungsunterwerfung gegenüber dem Kreditinstitut oder in einer separaten Grundschuldbestellungsurkunde. Der Notar, der bei diesen Vorgängen die Zwangsvollstreckungsunterwerfung des Anlegers in dinglicher Hinsicht wegen des Grundbesitzes und in persönlicher Hinsicht wegen seines sonstigen Vermögens gegenüber dem Kreditinstitut beurkundet hat, ist als Verwahrer dieser Urkunde auch für die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung und eine 70

Erteilung einer Vollstreckungsklausel trotz nichtigen Grundstücksgeschäfts?

eventuell später erforderliche Klauselumschreibung zuständig, § 797 Abs. 2 ZPO. Ob und gegebenenfalls welchen Einfluss die Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages zwischen Anleger und Treuhänder auf das Verfahren zur Erteilung der Vollstreckungsklausel hat, ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

II. Die Rechtsprechung des BGH zur Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages In seiner Entscheidung vom 28.9.20003 hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sich grundlegend zur Frage der Wirksamkeit eines Geschäftsbesorgungsvertrages vorstehend geschilderten Inhaltes geäußert. Zentrale Überlegung der Entscheidung ist die Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß § 134 BGB in Verbindung mit Art. 1 § 1 Abs. 1 Rechtsberatungsgesetz. Wenn ein Geschäftsbesorger im Rahmen eines Bauträgermodells für den Erwerber ausschließlich oder hauptsächlich die rechtliche Abwicklung eines Grundstückserwerbs besorge, benötige er hierzu eine Erlaubnis gemäß Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz. Habe er eine solche Erlaubnis nicht oder sei er nicht allgemein als Rechtsanwalt zur Rechtsberatung befugt, sei der entsprechende Geschäftsbesorgungsvertrag nichtig. Dies betrifft die meisten der hier in Rede stehenden Fälle, weil die Geschäftsbesorger meist nicht die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft besaßen, sondern aus dem Bereich der wirtschafts- und steuerberatenden Berufe stammten. Die Entscheidung schloss eine jahrelange Diskussion zur Frage der Wirksamkeit der Geschäftsbesorgungsverträge ab4. Sie beendete aber keineswegs die in der Entscheidung zunächst auch nicht behandelte Frage, ob damit die Vertretungsbefugnis des Geschäftsbesorgers für den Anleger im Verhältnis zu Dritten, insbesondere zu Kreditinstituten, vollständig entfallen sei. Insbesondere stand nach dieser Entscheidung nicht abschließend fest, ob und inwieweit das Abstraktionsprinzip des § 167 BGB je nach Ausgestaltung des einzelnen Falles doch Auswirkungen zeigt und ob allgemeine Grundsätze des Vertretungsrechts zur Annahme einer Vertretungsbefugnis des Geschäftsbesorgers führen können.

__________ 3 DNotZ 2001, 49. 4 Vgl. die Übersicht bei Mülbert/Hoger, WM 2004, 2281 mit Fußnote 8.

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III. Das Rechtsschicksal der Geschäftsbesorgungsvollmacht Mit dieser Frage haben sich in der Folgezeit der XI. Zivilsenat5, der III. Zivilsenat6 und der II. Zivilsenat7 mit unterschiedlichen Ansätzen beschäftigt. Die Rechtsprechung des III. Zivilsenats ging dabei von Anfang an davon aus, mit dem Verstoß gegen Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz sei zugleich die Unwirksamkeit der Geschäftsbesorgungsvollmacht zwingend anzunehmen. Im Gegensatz hierzu vertrat der XI. Zivilsenat zunächst die Auffassung, die Unwirksamkeit der Vollmacht sei nur dann zwingend, wenn die Vollmacht mit dem gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßenden Geschäftsbesorgungsvertrag nach dem Willen der Parteien zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft im Sinne des § 139 BGB verbunden sei8. In teilweiser Abkehr hiervon erkennt er jedoch in seiner Entscheidung vom 14.5.20029 wie der III. Zivilsenat, die Vollmacht sei ebenso gemäß § 134 BGB nichtig, dies im Hinblick auf die Zweckrichtung des Rechtsberatungsgesetzes, die Rechtsuchenden vor unsachgemäßer Erledigung ihrer rechtlichen Angelegenheiten zu schützen. Der XI. Zivilsenat hält es allerdings nicht für ausgeschlossen, dass gleichwohl eine Vollmacht aufgrund Rechtsscheinhaftung bestehen könne, sofern das Vertrauen des Dritten auf den Bestand der Vollmacht an andere Umstände als an die Vollmachtsurkunde anknüpft und nach den Grundsätzen über die Duldungsvollmacht schutzwürdig erscheine. Im hier interessierenden Verhältnis zum geldgebenden Kreditinstitut nahm er in einer späteren Entscheidung das Vorliegen einer Vertretungsmacht nach Rechtsscheingesichtspunkten an, wenn dem Kreditinstitut eine notarielle Vollmachtsausfertigung unwidersprochen vorgelegt wurde. Zugleich lehnte er die Erstreckung des Verbots gemäß Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz auf den Abschluss des Darlehens- und des Grundstückserwerbsvertrages ab. Ihm folgte der IV. Zivilsenat10. Dem wiederum trat der II. Zivilsenat zumindest für einen Erwerb im Immobilienfondsmodell entgegen, weil es sich bei der Finanzierung und dem Beitritt zur Fondsgesellschaft um ein verbundenes Geschäft im Sinne __________ 5 6 7 8 9

DNotZ 2002, 48, DB 2002, 1602 f. DNotZ 2002, 51. ZIP 2003, 165. Folgend OLG München OLGR 2002, 340 und 342. DB 2002, 1602, folgend der II. Zivilsenat, ZIP 2003, 165 und verschiedene Obergerichte, z. B. OLG Brandenburg NZM 2002, 405. 10 BGH, WM 2003, 1710 (XI. ZS), WM 2003, 2375 (IV. ZS); hierzu insgesamt Hellgardt/Majer, WM 2004, 2380.

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des § 9 Verbraucherkreditgesetz handele und das Kreditinstitut „aufgrund Eingliederung in die Vertriebsorganisation“ wisse, dass der Treuhänder Teil dieser Organisation und nicht Vertrauensperson des Anlegers sei und deshalb der Anleger den Rechtsschein einer wirksamen Bevollmächtigung jedenfalls nicht allein gesetzt habe11. Diese im Hinblick auf das Abstraktionsprinzip sehr weitreichenden Formulierungen zumindest des II. Zivilsenats stoßen allerdings in der Literatur mit Recht auf Kritik12. Auch der XI. Zivilsenat hat in zwei aktuellen Entscheidungen13 bereits deutlich gemacht, dass er den vom II. Senat vorgetragenen Begründungsansätzen nicht beitreten werde. Ihnen kann zumindest insofern nicht gefolgt werden, als es stets im Einzelfall einer Überprüfung bedarf, inwieweit tatsächlich eine konzeptionelle Verbindung zwischen Vertrieb, Konzeptionär und Kreditinstitut festgestellt werden kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des V. Zivilsenates vom 8.10.200414. In dieser Entscheidung hat sich der V. Senat nunmehr in Kenntnis des Standpunktes des II. Senates ebenfalls für die Möglichkeit einer Heilung des Vollmachtsmangels nach Rechtsscheingrundsätzen (§§ 171 ff. BGB oder Vorliegen einer Duldungsvollmacht) ausgesprochen und in diesem Zusammenhang klar gestellt, dass diese Grundsätze auch im Verhältnis des Investors/Anlegers zu den übrigen Vertragspartnern – insbesondere sogar gegenüber dem Initiator einer Immobilienanlage – gelten15.

IV. Verpflichtung zur Zwangsvollstreckungsunterwerfung trotz Nichtigkeit der Vollmacht Die Nichtigkeit der Geschäftsbesorgungsvollmacht führt nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit des Kreditverhältnisses, das der Bevollmächtigte mit dem Kreditinstitut aufgrund der Vollmacht abgeschlossen hat. Die nach vorstehenden Ausführungen mögliche Heranziehung der Grundsätze zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht knüpfen an eine Gesamtwürdigung der Geschehensabläufe an und prüfen, inwieweit der Darlehensnehmer die Abwicklung durch den Geschäftsbesorger „hat ge__________ 11 12 13 14 15

BGH, WM 2004, 1529; 1536. Mülbert/Hoger, WM 2004, 2281; Hellgardt/Majer, WM 2004, 2380. WM 2005, S. 72 f.; WM 2005, S. 127 f. WM 2004, S. 2349 ff. A. A. noch: BayObLGZ 2003, S. 181 (185).

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schehen lassen“. Zwei Fälle gilt es hier zu unterscheiden. Die Rechtsscheinsgrundsätze könnte man nach der Rechtsprechung bereits daran anknüpfen, dass dem Kreditinstitut eine ordnungsgemäß ausgefüllte Vollmacht präsentiert wurde und das Kreditinstitut keine Kenntnis von der Nichtigkeit des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts hatte16. Kann zudem in tatsächlicher Hinsicht festgestellt werden, dass der Kreditnehmer durch eigene Mitwirkungshandlungen gegenüber dem Kreditgeber als Vertragspartner in Erscheinung getreten ist, kann das Kreditverhältnis selbst trotz unwirksamer Geschäftsbesorgung wirksam (geworden) sein. Dies darf ohne weiteres angenommen werden, wenn etwa der Geschäftsbesorger – aus welchen Gründen auch immer – die Unterschrift unter den Kreditvertrag durch den Kreditnehmer persönlich hat vollziehen lassen. Es kann aber auch eine Genehmigung eines vollmachtlosen Vertreterhandelns gemäß §§ 177, 185 BGB vorliegen, wenn der Kreditnehmer den Abschluss des Kreditvertrages entweder ausdrücklich genehmigte oder Schriftverkehr vorliegt, aus dem sich eine Genehmigung zweifelsfrei gemäß §§ 133, 157 BGB entnehmen lässt. In solchen Fällen ist der Kreditnehmer selbstverständlich auch zu weiteren Abwicklungshandlungen betreffend das Kreditverhältnis verpflichtet. Dementsprechend hat der BGH in mehreren Entscheidungen darauf erkannt, ein Kreditnehmer könne sich gemäß § 242 BGB auf die Unwirksamkeit der Geschäftsbesorgung – hier Unterwerfung unter Zwangsvollstreckung in der Grundschuldbestellungsurkunde – trotz Verstoßes gegen Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz nicht berufen, wenn er sich im Darlehensvertrag gegenüber der Bank wirksam verpflichtet habe, sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen zu unterwerfen17. Entschieden wurde über eine Vollstreckungsgegenklage des Schuldners gegen eine Vollstreckung aus dem „nichtigen“ Titel. In einem solchen Fall setzt sich nämlich der Schuldner mit der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Vollstreckungsunterwerfung in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten, da er bei erfolgreicher Vollstreckungsgegenklage verpflichtet wäre, eine solche Vollstreckungsunterwerfung umgehend erneut zu erklären18. Daraus folgt, dass eine – im Einzelfall möglicherweise feststellbare – Mitwirkungshandlung des Kreditnehmers, die zur Wirksamkeit des Kreditvertrages im Einzelfall führen könnte, ihm zugleich die Berufung auf die __________ 16 Vgl. Hellgardt/Majer, WM 2004, 2380 (2381 f.). 17 BGH, NJW 2004, 59; 2004, 62; 2004, 839. 18 Zur Prüfung der materiellen Rechtslage bei § 767 ZPO vgl. etwa K. Schmidt in MünchKomm/ZPO, § 767 Rz. 72; LG Bochum, DNotZ 1990, 571.

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Erteilung einer Vollstreckungsklausel trotz nichtigen Grundstücksgeschäfts?

Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der vom Geschäftsbesorger unterschriebenen Grundschuldbestellungsurkunde nach dem Grundsatz des „venire contra factum proprium“ verwehrt.

V. Zwischenergebnis Zum Zwecke dieser Untersuchung kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Bauträgermodellen regelmäßig von einer gemäß § 134 BGB unwirksamen Geschäftsbesorgung ausgegangen werden muss, sofern nicht ausnahmsweise ein Rechtsanwalt als Treuhänder eingeschaltet war. Nach Meinung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs folgt hieraus weiter eine ausnahmslose Unwirksamkeit der Vollmacht für den Geschäftsbesorger. Nach Ansicht des IV. und XI. und jetzt auch des V. Zivilsenates kann es hingegen Fälle geben, in denen die Grundsätze der Rechtscheinsvollmacht in Form einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht Anwendung finden können und deshalb trotz Verstoßes gegen Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz insbesondere im Verhältnis zum Kreditinstitut trotzdem vom Fortbestand einer Vertretungsbefugnis des Geschäftsbesorgers ausgegangen werden kann. Auch kann durch eigenes Verhalten des Kreditnehmers im Verhältnis zum Kreditinstitut zumindest ein wirksamer Darlehensvertrag vorliegen, aus dem sich Mitwirkungspflichten des Kreditnehmers ergeben. Insbesondere könnte der Kreditnehmer nach wie vor zur Abgabe einer Zwangsvollstreckungsunterwerfungserklärung verpflichtet sein. Die hierzu notwendigen Feststellungen zu treffen ist Aufgabe der Tatsacheninstanz.

VI. Die Prüfungspflicht des Notars bei Klauselerteilung 1.

Die gesetzlichen Vorgaben

a)

Notarielles Berufsrecht

Auch die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung einer Urkunde bzw. die Umschreibung einer Vollstreckungsklausel sind Amtstätigkeiten des Notars im Sinne der Bundesnotarordnung. Zuständig ist der die Urkunde verwahrende Urkundsnotar, § 797 Abs. 2 ZPO, § 25 Abs. 1 BNotO. Gemäß §§ 4 BeurkG, 14 Abs. 2 BNotO kann der Notar seine Amtstätigkeit nur verweigern, wenn eine Mitwirkung bei Handlungen verlangt wird, mit denen erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke 75

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verfolgt werden. So muss ein Notar eine Amtshandlung abbrechen, wenn er während derselben erkennt, dass ein Ablehnungsgrund gemäß § 4 BeurkG, § 14 Abs. 2 BNotO vorliegt. Bei Erkennen eines solchen Grundes zu späterer Zeit ist der Notar verpflichtet, seine weitere Mitwirkung zu versagen und den weiteren Vollzug abzulehnen19. Eine solche Ablehnung einer weiteren Vollzugstätigkeit wäre auch die Ablehnung der Erteilung einer Vollstreckungsklausel oder die Ablehnung der Umschreibung einer solchen. Der Notar ist hierbei nicht nur für die Rechtmäßigkeit seiner Amtshandlung selbst, sondern auch für die weiteren von den Beteiligten erkennbar mit der begehrten Amtshandlung verfolgten Zwecke verantwortlich20. Danach könnte der Notar also verpflichtet sein, die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung bzw. die Umschreibung der Vollstreckungsklausel abzulehnen, wenn er weiß, dass die Unterwerfungserklärung unter die sofortige Zwangsvollstreckung unwirksam ist oder weil er weiß, dass mit der von ihm ausgefertigten vollstreckbaren Urkunde unredliche Zwecke, insbesondere gesetzwidrige Maßnahmen, verfolgt werden. Bloße Zweifel an der Wirksamkeit der Urkunde oder der Gesetzmäßigkeit beabsichtigter Maßnahmen berechtigen nicht zur Ablehnung der Amtshandlung.

b) Voraussetzungen gemäß ZPO Die Zuständigkeit des Notars zur Erteilung der Vollstreckungsklausel ergibt sich aus § 797 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Bei der Erteilung übt der Notar rechtsprechende Gewalt aus, so dass er auch etwa der Richterablehnung entsprechend §§ 42 bis 48 ZPO unterliegt21. Der Notar muss über einen Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung stets nach gesetzlicher Maßgabe entscheiden, hat aber gemäß § 139 ZPO auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, insbesondere darauf, dass die Anträge möglichst nur in Übereinstimmung mit der materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage gestellt werden. Zu prüfen sind als zwingende Voraussetzung für die Klauselerteilung, insbesondere das Vorliegen einer wirksamen Unterwerfungserklärung und der weiteren Vollstreckbarkeitsbedingungen. Selbst wenn die Unterwerfungserklärung aus Gründen, die der Notar zu vertreten hat, unwirksam ist, kann er die Amtshandlung nicht ablehnen. Ob Vollmachten oder Genehmigungen durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden müssen, ist um__________ 19 BGH DNotZ 1987, 558; Winkler, Beurkundungsgesetz, 15. Auflage, § 4 Rz. 44. 20 Schippel, BNotO, § 14 Rz. 19; Arndt/Lerd/Sandkühler, BNotO § 14 Rz. 81 ff. 21 Zu folgendem: Wolfsteiner in Kersten-Bühling, S. 235 ff. m. w. N.

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stritten22. Hingegen ist es dem Notar grundsätzlich verwehrt, bei der Erteilung der Vollstreckungsklausel die materielle Rechtslage als solche zu ermitteln und zu berücksichtigen. Er darf weder die Klauselerteilung mit der Begründung verweigern, der vollstreckbare Anspruch habe schon bei der Erklärung der Unterwerfung nicht bestanden, noch mit der Begründung, er sei später weggefallen, es sei denn, eines von beiden steht zweifelsfrei fest, insbesondere wenn gemäß § 775 Nr. 4 ZPO die Erfüllung des Anspruchs nachgewiesen wird23. Folglich ist der Notar nur zur Ablehnung der Klauselerteilung berechtigt, wenn er positiv weiß, dass der zugrunde liegende Anspruch nicht besteht oder dies ihm durch öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen wurde, bloße Zweifel in dieser Hinsicht genügen nicht24. Materielle Rechtsfragen im Zweifel zu entscheiden, ist der Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO und damit dem Prozessgericht vorbehalten, um nicht dem Gläubiger contra legem die Klagelast aufzubürden25. Folglich ist für die weitere Prüfung entscheidend, ob die Prüfung des Notars ergibt, dass eindeutig eine wirksame Vollstreckungsunterwerfungserklärung fehlt oder ob es „lediglich“ um das Fehlen eines materiellen Anspruchs geht.

2. Die Einordnung einer Vollmacht in das Prüfungsschema Offen bleibt, wie die Vollmacht des Geschäftsbesorgers bei dieser Prüfung des Notars zu behandeln ist. Der geschilderten Rechtsprechung zufolge ist die Vollmacht selbst gemäß Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz nichtig. Für den prüfenden Notar dürfte die Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit zu einer eindeutigen Rechtslage führen. Die Unwirksamkeit der beurkundeten Vollmacht führt jedoch nicht zwangsläufig zur Annahme einer fehlenden Vertretungsbefugnis des Geschäftsbesorgers, wenn man die Rechtsprechung zur Annahme einer Vollmacht kraft Rechtsscheins in die Überlegungen einbezieht. Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei der Vollmacht zur Abgabe einer Zwangsvollstreckungsunterwerfung um eine Verfahrensvollmacht __________ 22 Bejahend: Wolfsteiner in Kersten-Bühling, S. 235 ff., a. A. Stein/Jonas/Münzberg, § 797 ZPO Rz. 14. 23 Wolfsteiner in Kersten-Bühling, S. 235 ff. (239), derselbe DNotZ 1978, 681 gegen LG Kleve, DNotZ 1978, 680. 24 Vgl. OLG Frankfurt, DNotZ 1995, 144; BayOblG, MittbayNot 1998, 51; LG Düsseldorf, MittBayNot 1977, 252, jeweils auch m. w. N. 25 OLG Frankfurt, MittRhNotK 1997, 269; LG Duisburg, MittRhNotK 1984, 27; Wolfsteiner, DNotZ 1978, 681; Stein/Jonas/Münzberg, § 797 Rz. 11.

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handelt, also eine prozessuale Rechtshandlung vorliegt. Das Prozessrecht in seiner formalistischen Ausprägung kennt keine Verfahrensvollmacht in Form der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht26. Im Ergebnis fehlt also bei mangelnder Wirksamkeit der Vollmacht zur Abgabe einer Zwangsvollstreckungsunterwerfungserklärung ein Wirksamkeitserfordernis für diese Erklärung selbst. Trotzdem eine Vollstreckungsklausel zu erteilen, könnte auch nicht mit dem materiell-rechtlichen Grundsatz des „venire contra factum proprium“ durch den Schuldner begründet werden, weil dies eine Prüfung der materiellrechtlichen Anspruchslage darstellen würde, die dem klauselerteilenden Notar versagt ist. Nicht ausgeschlossen erscheint es allerdings, die Frage des Nachweises des Bestehens einer Vollmacht im Klauselerteilungsverfahren von der Betrachtung der vollstreckbaren Ausfertigung selbst insoweit zu trennen, als für die Umschreibung der Vollstreckungsklausel nicht nach § 726 ZPO – Nachweis durch öffentliche Urkunden – verfahren wird, sondern die Klausel gemäß § 724 ZPO erteilt werden kann und das Bestehen der Vertretungsmacht durch eine lediglich mündliche Erklärung des Schuldners hierzu gemäß § 730 ZPO geprüft wird27. In dieser Anhörung wäre in den untersuchten Fällen gleichwohl nicht eine entsprechende Bestätigung der Vertretungsmacht durch den Schuldner zu erlangen. Auch ginge die Feststellungsbefugnis des Notars nicht so weit, in diesem Rahmen den Grundsatz des „venire contra factum proprium“ anzuwenden.

3. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2004 In seiner Entscheidung vom 16. Juli 2004 hat nunmehr der IXa Zivilsenat des Bundesgerichtshofs – soweit ersichtlich – erstmals zu der Frage Stellung genommen, welche Prüfungspflichten den Notar im Rahmen eines formalisierten Klauselerteilungsverfahrens treffen, wenn ein Vertreter für den Schuldner aufgetreten ist. Der BGH führt hierzu aus28, nach § 726 ZPO sei für die Prüfung des Notars bei Abgabe der Unterwerfungserklärung durch einen Vertreter erforderlich und ausreichend, Erteilung und Umfang der Vollmacht in öffentlicher oder öffentlich be__________ 26 Vgl. BGH, NJW 2003, 1594; NJW 2004, 50 (60); a. A. wohl Stein/Jonas/Bork, § 80 Rz. 14 f. 27 Stein/Jonas/Münzberg, § 97 Rz. 14 f. 28 BGH, DNotI Report 2004, S. 161.

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glaubigter Urkunde nachgewiesen zu erhalten. Eine weitergehende Prüfungsbefugnis stehe dem Notar – wie auch dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle im Verfahren nach § 724 Abs. 2 ZPO – nicht zu. Eine Ausnahme sei allenfalls denkbar, wenn aus der Urkunde selbst ohne weiteres deren Nichtigkeit gemäß § 134 BGB zu entnehmen sei. Die Vollmacht als einseitige Erklärung als solche verstoße nicht gegen Art. 1 § 1 Satz 1 Rechtsberatungsgesetz, sondern nur der zugrunde liegende Geschäftsbesorgungsvertrag. Die Erstreckung der Nichtigkeit des Vertrages auf die Vollmacht finde lediglich als Rechtsfolge der Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages statt. Da die Nichtigkeit der Vollmacht nicht aus ihr selbst heraus ohne weiteres entnehmbar sei und die Rechtsfolge des § 134 BGB sich erst nach umfassender materiell-rechtlicher Prüfung der gesamten Vereinbarungen ergebe, seien die an § 724 ZPO zu messenden Prüfungskriterien für die Klauselerteilung überschritten. In gleicher Weise gehöre auch die Frage, ob der Schuldner nach den Grundsätzen des venire contra factrum proprium gebunden sei, nicht in das Klauselerteilungsverfahren. Der BGH reduziert die Prüfungspflicht des Notars also insgesamt auf rein formale Kriterien, wie sie auch ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle nach § 724 ZPO ohne weiteres zu überprüfen vermag.

4. Stellungnahme Die Entscheidung des BGH vom 16.7.2004 überrascht in ihrer Stringenz. Sie betrachtet die Prüfungspflichten des Notars beschränkt auf die für das Klauselerteilungsverfahren notwendige Urkunde als solche. In der Tat ist der Vollmacht, die der Grundschuldbestellungsurkunde in beglaubigter Abschrift der vorgelegten Ausfertigung beigefügt wird, nicht zu entnehmen, welches Geschäftsbesorgungsverhältnis mit welchem Schicksal dieser Vollmacht zugrunde liegt. Denn die Vollmacht ist im Regelfall bewusst abstrakt erteilt und auch in ihrer inhaltlichen Gestaltung aus sich heraus verständlich. Nicht einmal die Frage, ob der Bevollmächtigte die Erlaubnis zur Rechtsberatung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes hat, lässt sich anhand der Vollmacht selbst im typischen Fall zweifelsfrei ermitteln. Offenbar lag der Entscheidung freilich eine sogenannte isolierte Vollmacht zugrunde, die nicht körperlich in einer Urkunde mit dem Geschäftsbesorgungsvertrag verbunden war. Kommt es also für die Prüfungspflicht des Notars darauf an, ob Geschäftsbesorgungsvertrag und Vollmacht durch die äußere Gestaltung der Urkunde eine räumliche 79

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Einheit bilden? Dies dürfte der Entscheidung des BGH nicht zu entnehmen sein. Denn die äußere Zufälligkeit, ob der Urkundsnotar die mit einem Geschäftsbesorgungsvertrag in räumlicher Einheit abgegebene Vollmacht nur als solche auszugsweise ausfertigt und mit der Grundschuldbestellungsurkunde verbindet – was der Regelfall ist – oder ob er die gesamte Urkunde einschließlich Geschäftsbesorgungsvertrag mit ausfertigt, kann schlechterdings nicht zu einer abweichenden Prüfung im Sinne der Entscheidung des BGH Anlass geben. Die Entscheidung geht ersichtlich davon aus, dass sonstige Kenntnisse und Umstände den Prüfungsumfang des die Klausel erteilenden Notars nicht beeinflussen können, mag er auch selbst den Gesamtsachverhalt überblicken und die Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvereinbarung erkennen. Es bleibt also unabhängig von der Art der Vollmachtserteilung bei der eingeschränkten Prüfungspflicht im Sinne der Entscheidung vom 16.7.2004. Aus notarieller Sicht ist dieses Ergebnis durchaus bemerkenswert, weil die Tatsache, dass der Notar als zur Klauselerteilung zuständige Stelle in das ZPO-Verfahren wechselt, die Assoziation einer „richterlichen“ Tätigkeit hervorruft29, während der BGH die Vergleichsmaßstäbe formal zu Recht an den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle anlehnt. So dürfte auch die zivilprozessuale Literatur zu verstehen sein, obwohl sie bei Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung ausdrücklich die „Prüfung der Vollmacht“ für erforderlich erachtet30. Insbesondere betont Münzberg31 das Fehlen der Vollmacht oder Genehmigung für die Zwangsvollstreckungsunterwerfungserklärung könne nach § 766 ZPO nicht gerügt werden, denn wie im Erkenntnisverfahren seien nur die titelschaffende Stelle (hier der beurkundende Notar), und nicht das Vollstreckungsorgan zur Prüfung der Voraussetzungen für die Entstehung eines Titels zuständig. Wenn auch die Vertretungsmacht für die Wirksamkeit der Unterwerfung zwingend sei, sei ein Wirksamkeitsmangel bei einem fehlenden Vollmachtsnachweis nicht „offenbar“. Dies lehrt, dass auch bei notarieller Urkunde zwischen den unterschiedlichen Funktionen des Notars unterschieden werden muss. Einerseits ist er als Urkundsnotar zur materiellen Prüfung der Vertretungsbefug__________ 29 Vgl. Wolfsteiner in Kersten-Bühling, S. 235, Bernhardt in Becksches Notarhandbuch, Rz. 375. 30 Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 794 Rz. 319; Stein/Jonas/Münzberg, § 797 Rz. 14; Schuschke/Walter, Vollstreckung und einstweiliger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 797 Rz- 5 m. w. N. 31 Stein/Jonas/Münzberg, § 797 Rz. 16 ff.

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nis verpflichtet. Im späteren Klauselerteilungsverfahren ist er hierzu aber nicht berechtigt. Allenfalls mag er noch berechtigt sein, formell den Nachweis einer Vollmacht im Sinne des § 726 Abs. 1 ZPO zu verlangen. Es fragt sich allerdings, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang § 4 BeurkG hat, der dem Notar eine Amtstätigkeit bei zweifelsfrei unrechtmäßiger Vorgehensweise eines Beteiligten verbietet, siehe hierzu oben VI. 1. a). Nach der Rechtsprechung zur Unwirksamkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages einschließlich Vollmacht gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 1 Rechtsberatungsgesetz kennt der Notar im Regelfall die Rechtsfolge der Nichtigkeit der dem Geschäftsbesorger erteilten Vollmacht. Wie aber zu Abschnitt III 3. dargestellt, ist die hierauf gegründete Schlussfolgerung, materiell-rechtlich sei das weitere Vorgehen des Gläubigers ausnahmslos unzulässig, nicht zutreffend. Insbesondere die Grundsätze der Bevollmächtigung kraft Rechtscheins, die Möglichkeit der eigenen vertraglichen Bindung des Schuldners im Verhältnis zum Kreditinstitut oder der ausdrücklichen oder konkludenten Genehmigung des Handelns des vollmachtlosen Vertreters durch den Schuldner lassen in geeigneten Fällen die kreditvertragliche Bindung des Schuldners gemäß § 242 BGB materiell-rechtlich durchschlagen. Insofern ist die notarielle Tätigkeit im formalisierten Klauselerteilungsverfahren auch durch § 4 BeurkG nicht materiell-rechtlich überlagert. Die Maßstäbe des Klauselerteilungsverfahrens lassen die Ablehnung im Sinne des § 4 BeurkG nur zu, wenn im konkreten Fall die materiell-rechtliche Unwirksamkeit des Anspruchs des Darlehensgebers gegen den der Zwangsvollstreckung unterworfenen Schuldner im Sinne des § 726 ZPO feststeht, das heißt das Nichtbestehen des Anspruchs durch öffentliche Urkunde – etwas ein rechtskräftig abweisendes Urteil – bewiesen ist oder im Rahmen einer Anhörung der Beteiligten vom Gläubiger selbst zugestanden wird. Es bleibt also bei der Grundaussage: Im Rahmen des Klauselerteilungsverfahrens ist der Notar nicht dazu da, ein richterliches Erkenntnisverfahren zu ersetzen.

VII. Schlussbemerkung Die im Rahmen der Bauträgermodelle im Regelfall wegen Verstoßes des Geschäftsbesorgungsvertrages gegen § 1 des Rechtsberatungsgesetzes ebenfalls nichtige Vollmacht zur Geschäftsbesorgung mag zur Folge haben, dass der Anleger als Schuldner des für ihn abgeschlossenen Kre81

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ditvertrages dem Kreditinstitut gegenüber die Unwirksamkeit dieses Vertrages gemäß § 134 BGB in Verbindung mit Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Rechtsberatungsgesetz einwenden kann. Der Urkundsnotar, der in diesem Zusammenhang eine Vollstreckungsunterwerfung des Schuldners, die in Vollmacht vom Geschäftsbesorger erklärt wurde, beurkundet hat, mag gehalten sein, diese Urkunde nicht weiter zu vollziehen, wenn er nach heutigem Stand der Erkenntnis diese Unwirksamkeit kennt. Wird allerdings die Vollstreckbarerklärung der Urkunde oder die Umschreibung der Vollstreckungsklausel von ihm erwartet, ist der Notar nicht als Urkundsnotar tätig, sondern als Klauselerteilungsstelle im Sinne der ZPO. Die formale Prüfung führt in diesem Falle nicht dazu, dass der Notar die Klauselerteilung unter Berufung auf § 134 BGB in Verbindung mit § 1 Rechtsberatungsgesetz ablehnen kann – ein Ergebnis, das aus der Sicht der Berufsträger alles andere als angenehm ist. Denn wenn schon – wie eingangs gezeigt – die Richterbank wegen vermeintlicher Nichtbeachtung offensichtlicher Rechtsgrundsätze der Rechtsbeugung bezichtigt wird, wie viel näher liegt dann dieser Vorwurf gegenüber dem Notar in seinen unterschiedlichen Rollen? Anders als dem Richter steht dem Notar haftungsrechtlich auch nicht das Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Seite. Er haftet zwar subsidiär, aber für jede Verschuldensform. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH sich im keineswegs unwahrscheinlichen Fall einer späteren Notarhaftpflichtentscheidung zum gleichen Sachverhalt seiner Entscheidung vom 16. 7. 2004 erinnern wird.

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Parallelen zwischen Wohnungseigentumsrecht und Gesellschaftsrecht Christian Armbrüster Inhaltsübersicht I. Einführung II. Innenverhältnis der Wohnungseigentümer 1. Organverfassung und Kompetenzordnung 2. Auslegungsregeln 3. Treuepflicht 4. Gleichbehandlungsgrundsatz 5. Willensbildung a) Stimmrecht b) Feststellung und Bekanntgabe des Beschlussergebnisses c) Materielle Beschlusskontrolle

III. Außenverhältnis zu Dritten 1. Vertretung 2. Haftung a) Haftung der Mitglieder einer Bauherrengemeinschaft b) Haftung der Wohnungseigentümer aa) Haftung mit dem Verwaltungsvermögen bb) Persönliche Haftung IV. Verfahrensrecht V. Fazit

I. Einführung Mit beeindruckender Konsequenz setzt Joachim Wenzel sich seit langem dafür ein, dass das Wohnungseigentumsrecht ein stabil auf dem Boden des Gesetzes stehendes und zugleich dogmatisch in sich stimmiges Gebiet ist. Die damit verbundenen Vorzüge haben auch diejenigen mehr und mehr zu schätzen gelernt, die sich erst daran gewöhnen mussten, das Wohnungseigentumsgesetz nicht als eher lästiges Hindernis, sondern als eine – trotz moderaten Reformbedarfs – im Grundsatz verlässliche Basis für die Praxis anzusehen. Eine wichtige Leitlinie bei dieser Systembildung ist die Einheit der Rechtsordnung. Sie gebietet es, auftretende Sachfragen nicht ohne hinreichenden Grund abweichend von anderen, verwandten Rechtsgebieten zu beantworten. Ganz im Vordergrund steht hierbei angesichts der spezifischen Verbindung von sachenrechtlichen und verbandsrechtlichen Elementen im Wohnungseigentum das Gesellschaftsrecht1. __________ 1 Aus dem Schrifttum vgl. etwa Derleder, PiG 63, 2002, S. 29 ff.

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Gesellschaftsrechtliche Regeln wären – vorbehaltlich abweichender Vorschriften im WEG – ohne weiteres heranzuziehen, wenn sich die Wohnungseigentümergemeinschaft als Gesellschaft ansehen ließe. Ein entsprechender Vorschlag im Schrifttum2 ist freilich zu Recht auf einhellige Ablehnung gestoßen3. Das in Wohnungseigentum aufgeteilte Grundstück ist nämlich nicht Mittel zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks4. Vielmehr dient, wie aus § 13 Abs. 1 WEG deutlich ablesbar ist, das Sondereigentum der Verwirklichung individueller Zwecke des jeweiligen Wohnungseigentümers, und das Wohnungseigentumsgesetz stellt hierfür und hinsichtlich der zwangsläufigen, namentlich am Gemeinschaftseigentum lokalisierbaren Berührungspunkte mit anderen Wohnungseigentümern den notwendigen rechtlichen Rahmen zur Verfügung. Dieser Rahmen ist ein einheitlicher und umfassender. Auch hinsichtlich einzelner Aspekte bedarf es innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht der Konstruktion von BGB-Gesellschaften mit jeweils begrenztem Zweck, wie dies bisweilen – hinsichtlich von Rechtsgeschäften zur Verwaltung des Gemeinschaftseigentums5 oder des Bezugs von für die Sondereigentumsflächen bestimmten Leistungen (Kaltwasser, Energie, Kabel etc.) durch die Gemeinschaft6 – erwogen worden ist. Zwar ist es richtig, dass die Anforderungen an die Gründung einer BGB-Gesellschaft gering sind; es genügt bereits das stillschweigende Einvernehmen über die Verfolgung eines wie auch immer gefassten (erlaubten) gemeinsamen Zwecks. Eine BGB-Gesellschaft sollte indessen nicht ohne Rücksicht auf die sonstigen Rechtsbeziehungen angenommen werden, die zwischen den Beteiligten bestehen, hier also: der Verbindung in einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Schließlich ist zu bedenken, dass die §§ 705 ff. BGB eine ganze Reihe von Regeln bereithalten, die von denjenigen des Wohnungseigentums__________ 2 Michael Junker, Die Gesellschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz, 1993, S. 75 ff. 3 S. nur Derleder, PiG 63, 2002, S. 29, 33 f.; Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, Einl. Rz. 11 ff.; ders., NJW 1994, 3339; Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, Einl. WEG Rz. 27 ff.; Weitnauer/Briesemeister, WEG, 9. Aufl. 2004, Vor § 1 Rz. 52 ff. 4 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 1 I 1 c (S. 6). 5 S. dazu Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, 1979, S. 131 ff. (im Erg. die Heranziehung der §§ 705 ff. BGB zutr. ablehnend). 6 Vgl. zur „Wasser-GbR“ Drasdo, NZM 2001, 886, 887; krit. dazu Hogenschurz, NZM 2001, 1122, 1123.

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gesetzes und der §§ 741 ff. BGB abweichen. Bei einer gleichzeitigen Anwendbarkeit beider Regelungswerke sind Konflikte geradezu vorprogrammiert. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Geschäftsführungs- und Vertretungsregeln (vgl. §§ 709 Abs. 1, 714 BGB) und der Beendigungstatbestände (§§ 723 ff. BGB). Das wohnungseigentumsrechtliche Instrumentarium ist leistungsfähig genug, um die Lösung der betreffenden Sachfragen auch ohne die zusätzliche Annahme von BGB-Gesellschaften zu ermöglichen. So ist hinsichtlich der auf das Sondereigentum bezogenen Verträge über Leistungen (Kaltwasser etc.) danach zu differenzieren, ob der Bezug allein über die Gemeinschaft möglich ist; in diesem Fall sind sowohl der Abschluss der entsprechenden Verträge als auch die Verteilung der Kosten als Verwaltungsangelegenheit der Wohnungseigentümer anzusehen7. Der Umstand, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht um eines gemeinsamen Zwecks willen besteht, ändert freilich nichts daran, dass strukturelle Parallelen zur Gesellschaft bestehen. So handelt es sich in beiden Fällen um eine rechtsgeschäftlich begründete Personenverbindung. Die für sie bestehende gesetzliche Kompetenzverteilung lässt sich – wie der V. Zivilsenat des BGH für das Wohnungseigentumsrecht in der Jahrhundertentscheidung vom 20.9.20008 unter mehrfachem Hinweis auf die Lage im Gesellschaftsrecht entschieden hat – jeweils nur in bestimmten Grenzen autonom ändern. Die dem einzelnen Wohnungseigentümer zustehende Einwirkungsmacht führt zu einer Treuepflicht, die hinsichtlich vieler konkreter Ausprägungen derjenigen eines Gesellschafters ähnelt. Die Willensbildung erfolgt jeweils regelmäßig in Versammlungen. Die Haftung für gegenüber Dritten eingegangene Verbindlichkeiten weist Parallelen zur Personengesellschaft auf. Im Folgenden soll auf diese und weitere Parallelen eingegangen werden9. __________ 7 Armbrüster, ZWE 2002, 145, 147 f.; Hügel, ZWE 2005, 204, 206. 8 BGH, Beschl. v. 20.9.2000 – V ZB 58/99, NJW 2000, 3500, 3501, 3502 f. 9 Der V. Zivilsenat des BGH hat darüber hinaus auch in mancherlei speziellerem Kontext Parallelen zum Gesellschaftsrecht gezogen, so etwa hinsichtlich der analogen Anwendung von § 139 BGB auf teilunwirksame Beschlüsse (BGH, Urt. v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 288, 298 = NJW 1998, 3713, 3715) oder bezüglich der Wirkungen der Verwalterentlastung (BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – V ZB 11/03, BGHZ 139, 19, 27 = NJW 2003, 3124, 3126; s. dazu auch Jennißen, Die Verwalterabrechnung nach dem WEG, 5. Aufl. 2004, S. 131).

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II. Innenverhältnis der Wohnungseigentümer 1. Organverfassung und Kompetenzordnung Nach dem Gesetz hat die Wohnungseigentümergemeinschaft eine organschaftliche Verfassung. Vorgesehen sind als zwingende Organe die Versammlung oder Gesamtheit der Wohnungseigentümer (§ 21 ff. WEG) und der Verwalter (§§ 20 Abs. 2, 27 f. WEG)10, darüber hinaus als fakultatives Organ der Verwaltungsbeirat (§ 29 WEG). Die Organverfassung weist damit deutliche Parallelen zu Gesellschaften auf, etwa zur GmbH mit den Organen Gesellschafterversammlung oder Gesamtheit der Gesellschafter, Geschäftsführer und (vorbehaltlich mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben fakultativem, vgl. § 52 GmbHG) Aufsichtsrat. Bisweilen wird für das Wohnungseigentumsrecht freilich davon ausgegangen, dass nicht die Versammlung der Wohnungseigentümer, sondern allein deren Gesamtheit Organ sei11. Indessen sieht § 23 Abs. 1 WEG als Regelfall vor, dass die Versammlung entscheidet. Sie ist mit der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nicht gleichzusetzen, da letztere auch die einer Versammlung ferngebliebenen oder an der Willensbildung nicht teilnehmenden Wohnungseigentümer umfasst. Diese Personen bilden einen Teil des Organs „Gesamtheit der Wohnungseigentümer“, dem in § 23 Abs. 3 WEG Entscheidungsmacht zugewiesen ist. Nach jener Vorschrift ist ein Beschluss auch ohne Versammlung gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihm schriftlich zugestimmt haben. Zudem ist jenseits der Verwaltung in § 10 Abs. 1 S. 2 WEG allen Wohnungseigentümern gemeinsam die Kompetenz eingeräumt, im Wege der Vereinbarung von den Vorschriften des Gesetzes abweichende Regelungen zu treffen. Mithin ist – ebenso wie dies im GmbH-Recht vertreten wird12 – daran festzuhalten, dass sowohl die Versammlung als auch die Gesamtheit der Wohnungseigentümer Organ sind13. __________ 10 Die Organstellung des Verwalters befürwortend z. B. BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 57 = NJW 2002, 3704; Merle, Bestellung und Abberufung des Verwalters nach § 26 des Wohnungseigentumsgesetzes, 1977, S. 10 ff.; ders., in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 20 Rz. 11; Weitnauer/ Lüke (Fn. 3), § 20 Rz. 2, § 27 Rz. 1; abw. etwa Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 26 WEG Rz. 64 ff., 73; s. aber auch Rz. 12. 11 Dezidiert Strecker, ZWE 2004, 337 f.; wohl auch H. Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 4. Aufl. 2004, Rz. 675. 12 Hachenburg/Hüffer, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 48 Rz. 3. 13 Merle in Bärmann/Pick/Merle, § 20 Rz. 10; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 20 WEG Rz. 3, 16.

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Eine deutliche Parallele zum Gesellschaftsrecht ist hinsichtlich der Verwalterstellung festzustellen. Im Kapitalgesellschaftsrecht herrscht die Betrachtungsweise vor, dass zwischen dem statusbildenden Bestellungsakt und dem schuldrechtlichen Anstellungsverhältnis zu differenzieren ist; dasselbe gilt hinsichtlich der Beendigung (sog. Trennungstheorie)14. Diese Konzeption hat sich zu Recht auch im Wohnungseigentumsrecht durchgesetzt15. Aus der rechtlichen Trennung folgt, dass Organstellung und Anstellungsverhältnis nach jeweils eigenen Regeln zu beurteilen sind und mithin nicht zwangsläufig parallel bestehen16. Die Kompetenzordnung der §§ 20 ff. WEG kann in bestimmten Grenzen durch eine Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 S. 2 WEG geändert werden. Unzulässig ist freilich insbesondere die Verlagerung der Kompetenz zur Änderung der Gemeinschaftsordnung von den Wohnungseigentümern (Gesamtheit oder – im Falle einer entsprechenden Öffnungsklausel – Mehrheit) auf ein anderes Organ (Verwalter, Beirat) durch Vereinbarung; auch insoweit besteht eine Parallele zum Gesellschaftsrecht17. Die Unzulässigkeit der Kompetenzverlagerung hängt zusammen mit der sog. Kernbereichslehre als Ausdruck des Selbstbestimmungsgrundsatzes, wonach die wesentlichen Grundlagen der Gemeinschaft allein durch die Wohnungseigentümer geändert werden können. Zulässig ist hingegen die Vereinbarung einer sog. Öffnungsklausel, durch die einer Mehrheit von Wohnungseigentümern die Kompetenz eingeräumt wird, im Beschlusswege die Gemeinschaftsordnung zu ändern18. Insoweit besteht eine Parallele zu Klauseln in Gesellschaftsverträgen, die Änderungen durch Mehrheitsbeschluss ermöglichen. Für derartige Klauseln gilt bei den meisten Personengesellschaften der gesellschaftsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz, wonach die Beschlussgegenstände im Einzelnen aufzuführen sind; eine wichtige __________ 14 S. nur BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, NJW 2003, 351 (zum GmbHGeschäftsführer); K. Schmidt (Fn. 4), § 14 III 2 b (S. 416 ff.). 15 BGH, Beschl. v. 20.6.2002 – V ZB 39/01, BGHZ 151, 164, 171 = NJW 2002, 3240; BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 58 = NJW 2002, 3704; Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 Rz. 26; Wenzel, ZWE 2001, 510, 512 f. (im Kontext der Abberufung). 16 Instruktiv zur möglichen materiell-rechtlichen Abhängigkeit des Anstellungsverhältnisses von der Organstellung Wenzel, ZWE 2001, 510, 513. 17 S. etwa Strecker, ZWE 2004, 337, 342 f. 18 S. dazu Röll, DNotZ 2000, 898 ff.; die Aufnahme einer Öffnungsklausel in die Gemeinschaftsordnung empfiehlt de lege lata etwa C. Möller, ZfIR 2003, 368, 373.

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Ausnahme ist im Hinblick auf die Schwierigkeit, eine Mitwirkung aller Gesellschafter zu erreichen, für sog. Publikumsgesellschaften anerkannt19. Letzteres lässt sich auch auf die Wohnungseigentümergemeinschaft übertragen, wenngleich es sich aus rechtsgestaltender Sicht empfiehlt, den Wohnungseigentümern durch eine Aufzählung möglicher Beschlussgegenstände als Regelbeispiele deutlich vor Augen zu führen, welche Regelungsmacht einer Mehrheit mit der Öffnungsklausel eingeräumt wird20.

2. Auslegungsregeln Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung unterliegen den für Eintragungsbewilligungen und Grundbucheintragungen geltenden strengen Auslegungsregeln. Abweichend von den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB ist mithin nicht der aus Wortlaut und erkennbaren Umständen hervorgehende objektivierte Wille des Erklärenden maßgeblich, sondern der objektive Erklärungsgehalt, wie er sich aus dem Wortlaut und Sinn als nächstliegende Bedeutung erschließt. Umstände außerhalb des Grundbuchs sind nur insofern heranzuziehen, als sie für jedermann ohne weiteres erkennbar sind21. Diese strengen Regeln beruhen darauf, dass die im Grundbuch enthaltenen Erklärungen auch für Dritte wie etwa Grundpfandrechtsgläubiger oder Erwerbsinteressenten bedeutsam sind und deren Vertrauen auf den erkennbaren Inhalt der Teilungserklärung geschützt werden soll. Ganz ähnliche Erwägungen liegen den für die Auslegung der Satzungen von Kapitalgesellschaften geltenden Auslegungsregeln zugrunde. Auch insoweit gilt ein objektiver Maßstab gesetzesähnlicher Auslegung22. Teilweise lässt sich auch eine Parallele zu Personengesellschaften ziehen, namentlich zur Publikumsgesellschaft, für die ein vergleichbarer Auslegungsmaßstab heranzuziehen ist23. __________ 19 Eingehend K. Schmidt (Fn. 4), § 16 II 2 (S. 453 ff.). 20 S. dazu Armbrüster, DNotZ 2003, 493, 501 (im Kontext der Einführung einer gesetzlichen Öffnungsklausel). 21 S. nur BGH, Beschl. v. 10.9.1998 – V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 292 = NJW 1998, 136; Weitnauer/Lüke (Fn. 3), § 10 Rz. 44. 22 S. nur BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 = NJW 1994, 51; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2003, Rz. 2.75; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG; 16. Aufl. 2004, § 2 Rz. 13. 23 BGH, Urt. v. 30.4.1979 – II ZR 57/78, NJW 1979, 2102.

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Parallelen zwischen Wohnungseigentumsrecht und Gesellschaftsrecht

Diese Regeln schließen es freilich nicht aus, dass über die am Wortlaut orientierte Ermittlung des Bedeutungsgehalts hinaus auch eine ergänzende Auslegung Platz greifen kann. So hat der V. Zivilsenat unlängst entschieden, dass eine in der Gemeinschaftsordnung festgeschriebene Kostenverteilungsregel auch auf eine nachträglich errichtete Einheit erstreckt werden kann24. Auch im Kapitalgesellschaftsrecht mit seinen strengen Auslegungsregeln ist eine ergänzende Auslegung der Satzung nicht schlechthin ausgeschlossen, wenngleich für sie wenig Raum bleibt25.

3. Treuepflicht Die Treuepflicht der Wohnungseigentümer wurde bereits an anderer Stelle26 eingehend erörtert. Hier sei nur festgehalten, dass es dabei in vieler Hinsicht Parallelen zum Gesellschaftsrecht gibt. Dies gilt nicht allein für den materiellen Geltungsgrund der Treuepflicht, die im Anschluss an die gesellschaftsrechtlichen Überlegungen von Zöllner27 als Korrelat qualifizierter Einwirkungsmacht zu begreifen ist. Auch die einzelnen Fallgruppen, die sich zur Konkretisierung der Treuepflicht bilden lassen, weisen vielfach Ähnlichkeiten auf, wenngleich manche im Gesellschaftsrecht als Ausprägung der Treuepflicht begriffenen Regeln wie etwa das Wettbewerbsverbot im Wohnungseigentumsrecht mangels Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks keine Entsprechung finden. Als unselbständige Ausprägungen der Treuepflicht trifft auch Wohnungseigentümer eine Pflicht zur Mitwirkung bei der Änderung der Gemeinschaftsordnung (vgl. auch § 10 Abs. 1 Satz 3 WEG-E)28, zur Rücksichtnahme bei Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts (sog. Versorgungssperre), zur Notgeschäftsführung, zur Akzeptanz eines Vertreters bei Versammlungen und zur Rücksichtnahme auf die Gemeinschaftsinteressen bei der Einlegung von Rechtsbehelfen. Selbständige, d. h. von der Gewährung eines Rechts unabhängige Ausprägungen der __________ 24 BGH, Beschl. v. 7.10.2004 – V ZB 22/04, NJW 2004, 3413, 3415 ff. 25 S. nur Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 2 Rz. 81; allg. zur Zulässigkeit ergänzender Auslegung von Gesellschaftsverträgen K. Schmidt (Fn. 4), § 5 I 4 d (S. 93). 26 Armbrüster in Festschrift Merle, 2000, S. 1 ff. = ZWE 2002, 333 ff. 27 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, § 30 (insbes. S. 342 f.). 28 Regierungsentwurf v.1.10.2004, ZMR-Sonderdruck 11/2004, S. 1 f. = NJW/ NZM-Sonderdruck 2004, S. 30 f.

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Treuepflicht gebieten es dem Wohnungseigentümer namentlich, sog. Drittgläubigeransprüche vorrangig gegenüber der Gemeinschaft statt gegenüber einzelnen Wohnungseigentümern geltend zu machen sowie hinsichtlich der Interna der Gemeinschaft Verschwiegenheit zu wahren.

4. Gleichbehandlungsgrundsatz Neben der Treuepflicht besteht im Gesellschaftsrecht ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz (Diskriminierungsverbot)29. Er gebietet es, einen Gesellschafter nicht ohne sachlichen Grund zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Auch dieser Grundsatz findet im Wohnungseigentumsrecht – als Konkretisierung des Gebots ordnungsmäßiger Verwaltung (vgl. § 21 Abs. 4 WEG) – eine Entsprechung. Dies gilt etwa hinsichtlich der Nutzung der im Gemeinschaftseigentum stehenden und nicht von Sondernutzungsrechten erfassten Räume und Flächen (z. B. Kellerräume, Stellplätze). So widerspricht es ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn insoweit eine Zuweisung erfolgt, ohne dass ein dem Gleichbehandlungsgebot gerecht werdender Schlüssel zugrunde gelegt oder ein die Chancen aller Wohnungseigentümer auf Teilhabe wahrendes Verfahren (insbesondere: Losverfahren) angewandt wird. Ist nach der Gemeinschaftsordnung eine bestimmte Nutzung des Sondereigentums von einer Zustimmung – etwa der Gemeinschaft, des Verwalters oder des Verwaltungsbeirats – abhängig, so darf diese nicht einem Wohnungseigentümer erteilt, einem anderen hingegen versagt werden, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung besteht. Zwar ist den Wohnungseigentümern bei der Verwaltung ein gewisser Ermessensspielraum zuzugestehen; eine materielle Beschlusskontrolle findet ohnehin grundsätzlich nicht statt (s. noch unten 5 c). Allerdings kann die Ausübung dieses Ermessens gerade im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zu einer Selbstbindung im Hinblick auf künftige Entscheidungen führen.

__________ 29 S. dazu etwa RG, Urt. v. 5.7.1901 – Rep. VII 165/01, RGZ 49, 195, 198; BGH, Urt. v. 6.2.1958 – II ZR 210/56, BGHZ 26, 330, 336 = NJW 1958, 668; OLG München, Urt. v. 12.6.2002 – 27 U 939/01, ZIP 2003, 338, 339; vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, § 2 IV 3 c (S. 144; unter Hinweis auf Art. 3 GG als auch für das Gesellschaftsrecht bedeutsames Rechtsprinzip).

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5. Willensbildung a) Stimmrecht Wer Inhaber eines Stimmrechts ist, lässt sich im Grundsatz leicht ermitteln: Maßgeblich ist die Eintragung als Wohnungseigentümer im Grundbuch30. Die Schwierigkeiten beginnen, wenn die Rechtsstellung des eingetragenen Wohnungseigentümers modifiziert ist. Eine Abspaltung des Stimmrechts ist in Parallele zur Rechtslage bei den Personenhandelsgesellschaften31 als unzulässig anzusehen32; als das wesentlichste Mitwirkungsrecht des Wohnungseigentümers kann es nicht von dessen Person getrennt werden. Was das Stimmrecht des Nießbrauchers anbelangt, so hatte der V. Zivilsenat des BGH hierüber zu befinden, ohne auf eine die Rechtslage bereits abschließend klärende höchstrichterliche Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht zurückgreifen zu können33. Er entschied, dass der Wohnungseigentümer umfassend stimmberechtigt bleibt34. Dies verdient Zustimmung. Den Wohnungseigentümern bleibt es freilich – was der Senat nicht zu erörtern hatte – unbenommen, im Wege der Vereinbarung dem Nießbraucher ein Stimmrecht zuzuweisen, wenngleich dies sich wegen drohender Abgrenzungsprobleme zum unverzichtbaren Kern der dem Wohnungseigentümer zugewiesenen Einwirkungsmacht nicht empfiehlt35. Für den Ausschluss des Stimmrechts lässt sich aus den §§ 712 Abs. 1, 737 BGB, §§ 117, 127, 140 HGB der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, dass ein Mitglied einer Personenvereinigung nicht an der Entscheidung über Maßnahmen mitwirken soll, die ihm gegenüber aus wichtigem Grund vorzunehmen sind. Der V. Zivilsenat des BGH hat diesen Grundsatz zu Recht auch auf die Abstimmung über die Abberufung des Verwalters aus seinem Amt und die Kündigung des Verwalter__________ 30 BGH, Beschl. v. 1.12.1988 – V ZB 6/88, BGHZ 106, 113, 119 = NJW 1989, 1087. 31 BGH, Urt. v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354, 357 = NJW 1952, 178. 32 KG, Beschl. v. 8.5.1979 – 1 W 4151/78, RPfl 1979, 316; Merle in Bärmann/ Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 25 Rz. 12; H. Müller, Praktische Fragen, Rz. 765; Weitnauer/Lüke (Fn. 3), § 25 Rz. 7. 33 Vgl. einerseits BGH, Beschl. v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187, 199 = NJW 1999, 3152, 3155 (obiter); andererseits BGH, Urt. v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, NJW 1999, 571, 572; s. zum Ganzen Ulmer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 705 Rz. 99 ff. 34 BGH, Beschl. v. 7.3.2002 – V ZB 24/01, BGHZ 150, 109, 114 = NJW 2002, 133. 35 Armbrüster, DNotZ 1999, 562, 576 ff.; ders., LM § 25 WEG Nr. 7 (sub 3 b).

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vertrages angewandt, mit der Folge, dass der Verwalter insoweit einem Stimmverbot unterliegt36. Auch das gesetzliche Stimmverbot nach § 25 Abs. 5 WEG findet Parallelen im Gesellschaftsrecht (s. nur § 47 Abs. 4 GmbHG).

b) Feststellung und Bekanntgabe des Beschlussergebnisses Von herausragender Bedeutung sind die Parallelen zum Gesellschaftsrecht im Bereich der Feststellung und Bekanntgabe des Beschlussergebnisses. In seiner Grundsatzentscheidung vom 23.8.2001 hat der V. Zivilsenat mehrfach auf die Rechtslage im Gesellschaftsrecht verwiesen. Dies geschah zum einen, um die konstitutive Wirkung der Feststellung und Bekanntgabe des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter zu begründen37; zum anderen im Hinblick auf die Beschlussqualität der Ablehnung eines Beschlussantrages38. Auch hinsichtlich der Berechnung des Abstimmungsergebnisses bestehen Parallelen zum Gesellschaftsrecht. So hat der V. Zivilsenat zur Begründung dafür, dass die sog. Substraktionsmethode zulässig ist, auf das Aktienrecht verweisen können39. Wie der Senat entschied, kann nach der Abstimmung über zwei von drei gestellten Fragen die Zahl der noch nicht abgegebenen Stimmen grundsätzlich als Ergebnis der Abstimmung zur dritten Frage festgestellt werden.

c) Materielle Beschlusskontrolle Mehrheitsbeschlüsse sind einer Inhaltskontrolle, d. h. einer materiellen Beschlusskontrolle grundsätzlich nicht zugänglich; sofern sie formell ordnungsgemäß zustande gekommen sind, tragen sie ihre Richtigkeits__________ 36 BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 56 ff. = NJW 2002, 3704. 37 BGH, Beschl. v. 23.8.2001 – V ZB 10/01, BGHZ 148, 335, 344 = NJW 2001, 3339; s. bereits Wenzel in Festschrift Merle (Fn. 26), S. 353, 356 ff.; ders., ZWE 2000, 382, 384 f.; ferner Hadding, ZWE 2001, 179, 184 f.; Merle, PiG 18, 1985, S. 125, 131. 38 S. dazu bereits Wenzel in Festschrift Merle (Fn. 26), S. 353, 355; ders., ZWE 2000, 382, 383; daran anschließend Hadding, ZWE 2001, 179, 182, unter Bezugnahme auch auf die Ausführungen von Zöllner in Festschrift Lutter, 2000, S. 821, 823. 39 BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 67 = NJW 2002, 3629.

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gewähr in sich40. Die Wohnungseigentümer sind ebenso wenig wie Gesellschafter41 verpflichtet, ausschließlich zweckmäßige oder aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters vernünftige Beschlüsse zu fassen42. Allerdings gibt es einige generelle Schranken, die im Gesellschafts- wie im Wohnungseigentumsrecht zu beachten sind. Neben den §§ 134, 138 BGB und den Grenzen der Beschlusskompetenz (die sich schon als formelle Schranke ansehen lassen) sind insoweit die Treuepflicht (s. oben 3) und der Gleichbehandlungsgrundsatz (dazu oben 4) zu nennen43.

III. Außenverhältnis zu Dritten 1.

Vertretung

Der Verwalter als notwendiges Organ der Wohnungseigentümergemeinschaft (s. dazu oben II 1) ist bei unbefangener Betrachtung zu deren Vertretung im Rahmen der in § 27 WEG genannten Aufgaben berechtigt. Da der Verwalter nicht selbst Wohnungseigentümer sein muss, würde demnach hier nicht der für das Personengesellschaftsrecht maßgebliche Grundsatz der Selbstorganschaft, sondern die für das Kapitalgesellschaftsrecht typische Fremdorganschaft44 gelten. Damit käme es insofern zu einem Auseinanderfallen von Herrschaft und Haftung (zu letzterer s. unten 2), als dass der Verwalter namens der Wohnungseigentümer Verpflichtungen eingehen könnte, für deren Erfüllung sie im Unterschied zu ihm mit ihrem gesamten Vermögen gesamtschuldnerisch haften. Eine solche Situation soll im Personengesellschaftsrecht durch den Grundsatz der Selbstorganschaft gerade verhindert werden. Der dem zugrunde liegende Schutzgedanke lässt sich auch auf die Vertretungsmacht des Verwalters übertragen; dem Verwalter ist daher nicht – wie dies insbesondere in §§ 125 Abs. 1, 126 HGB für die Vertretung der OHG durch ihre Gesellschafter vorgesehen ist – kraft Gesetzes umfas__________ 40 Vgl. BGH, Urt. v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 353 = NJW 1980, 1278. 41 Zur Lage im Gesellschaftsrecht s. K. Schmidt (Fn. 4), § 21 II 3 b (S. 615). 42 Jennißen, ZMR 2004, 564, 565. 43 K. Schmidt (Fn. 4), § 21 II 3 b (S. 615); im Anschluss daran für das Wohnungseigentumsrecht Jennißen, ZMR 2004, 564, 565 (unter Bezugnahme auch auf § 21 Abs. 1 WEG, der indessen lediglich die gemeinschaftliche Zuständigkeit der Wohnungseigentümer regelt). 44 Zu Selbst- und Fremdorganschaft im Gesellschaftsrecht s. K. Schmidt (Fn. 4), § 14 II 2 (S. 409 ff.).

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sende und mit Wirkung gegenüber Dritten unbeschränkbare organschaftliche Vertretungsmacht zuzubilligen45. Vielmehr ist eine differenzierende Betrachtung geboten46. Danach haben letztlich die Wohnungseigentümer selbst im Wesentlichen den Umfang der Vertretungsmacht in der Hand. Schließt der Verwalter etwa außerhalb der laufenden Verwaltungsangelegenheiten und der Beschlüsse der Wohnungseigentümer einen Vertrag über eine größere Instandsetzungsmaßnahme, so handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht i. S. von § 177 BGB. Unterbleibt die Genehmigung, so ist der Vertragspartner auf die Ansprüche aus § 179 BGB gegen den Handelnden beschränkt, ebenso wie dies bei der BGB-Gesellschaft (vgl. § 714 BGB) der Fall ist. Beim Vertragsschluss mit einer Personenhandelsgesellschaft oder einer Kapitalgesellschaft wird der Dritte demgegenüber in seinem Vertrauen auf den Bestand der organschaftlichen Vertretungsmacht geschützt.

2. Haftung a) Haftung der Mitglieder einer Bauherrengemeinschaft Hinsichtlich der Haftungsverfassung hatte sich der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH wiederholt mit einem Vorstadium der Wohnungseigentümergemeinschaft zu befassen, nämlich der sog. Bauherrengemeinschaft zur Errichtung einer Wohnungseigentumsanlage. Für solche Gemeinschaften ist schon seit geraumer Zeit in der Praxis anerkannt, dass die Bauherren im Zweifel aufgrund einer konkludenten Haftungsbeschränkungsvereinbarung nur gemäß ihrer Beteiligungsquote gegenüber den Vertragspartnern (Baustofflieferanten, Handwerker etc.) haften47. Diese Judikatur ist auch nach der Hinwendung des BGH zur Akzessorietätslehre ausdrücklich bestätigt worden; sie soll auch dann gelten, wenn die Bauherren nach außen als BGB-Gesellschaft auftreten48. Damit wird dem Umstand Rechnung ge__________ 45 BGH, Beschl. v. 21.10.1976 – VII ZR 193/75, BGHZ 67, 232, 235 ff. = NJW 1977, 44; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 26 WEG Rz. 64, § 27 WEG Rz. 66. 46 Näher Armbrüster, ZWE 2002, 548, 550 ff.; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 27 WEG Rz. 65 ff.; vgl. auch J.-H. Schmidt, NZM 2004, 540, 542. 47 BGH, Urt. v. 29.9.1959 – VIII ZR 105/58, NJW 1959, 2160, 2161; BGH, Urt. v. 18.6.1979 – VII ZR 187/78, BGHZ 75, 26, 28 f. = NJW 1979, 2101; im Erg. auch BGH, Urt. v. 25.10.1984 – II ZR 2/84, NJW 1985, 619 (qua Auslegung der Vollmacht). 48 BGH, Urt. v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1, 6 = NJW 2002, 1642.

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tragen, dass eine gesamtschuldnerische Haftung den einzelnen künftigen Wohnungseigentümer erheblich belasten würde, ohne dass dies durch ein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsverkehrs geboten wäre49.

b) Haftung der Wohnungseigentümer aa) Haftung mit dem Verwaltungsvermögen Die genannte Haftungsprivilegierung gilt freilich nur hinsichtlich der Bauerrichtungskosten. Als Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft haften die Bauherren hingegen nach der dafür geltenden allgemeinen Regel. Hiernach haften sämtliche Wohnungseigentümer regelmäßig gesamtschuldnerisch für die in ihrem Namen begründeten Verbindlichkeiten50. Insoweit besteht eine Parallele zur Gesellschafterhaftung in der BGB-Gesellschaft und der oHG. Die Haftung der Wohnungseigentümer lässt sich jedoch nur dann in Parallele zum Personengesellschaftsrecht (vgl. § 128 Satz 1 HGB) als eine akzessorische begreifen, wenn die Gemeinschaft selbst Trägerin der Pflicht gegenüber dem Gläubiger ist. Dies setzt voraus, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft rechtsfähig ist. Für eine Anerkennung der Rechtsfähigkeit51 lässt sich anführen, dass sie ein Erklärungsmodell für die Haftung der Wohnungseigentümer mit dem Verwaltungsvermögen zu bieten vermag. Dies trägt der Lebenswirklichkeit Rechnung, in der die Ansprüche regelmäßig aus dem Verwaltungsvermögen erfüllt werden.

bb) Persönliche Haftung Die Grenzen der Aussagekraft dieses Erklärungsmodells „Rechtsfähigkeit“ sind freilich schnell erreicht. Daraus lässt sich nämlich keines__________ 49 Armbrüster, ZGR 2005, 34, 36 f.; Reiff, ZGR 2003, 550, 560 f.; Ulmer, ZIP 2003, 1113, 1119; krit. Casper, JZ 2002, 1112, 1113; C. Schäfer, ZIP 2003, 1225, 1231. 50 BGH, Urt. v. 21.10.1976 – VII ZR 193/75, BGHZ 67, 232, 235 f. = NJW 1977, 44 (betr. Instandsetzungskosten); Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 16 WEG Rz. 9. 51 Dafür nach der entsprechenden Entscheidung des BGH zur GbR (Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 344 ff. = NJW 2001, 1056) insbes. Bub, PiG 63, 2002, S. 1, 9 ff.; Maroldt, ZWE 2002, 387; Th. Raiser, ZWE 2001, 173 ff.; dagegen BayObLG, Beschl. v. 26.7.2001 – 2Z BR 73/01, NZM 2001, 956 = NJW-RR 2002, 445; Demharter, ZfIR 2001, 957; Drasdo, NJW 2004, 1998 ff.; Ott, ZMR 2002, 97/169; s. auch (im Kontext der Frage, ob die Rechtsfähigkeit gesetzlich festgeschrieben werden sollte) Armbrüster, DNotZ 2003, 493, 513 f.

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wegs eine Begründung für ein umfassendes Haftungskonzept herleiten. Dies erweist sich deutlich anhand der Frage, wie weit eine neben die Haftung der Gemeinschaft mit dem Verwaltungsvermögen tretende Haftung der Wohnungseigentümer reicht. Insoweit erhöht sich zunächst lediglich der Begründungsaufwand hinsichtlich der bereits jetzt anerkannten persönlichen gesamtschuldnerischen Haftung jedes Wohnungseigentümers. Dafür ist dann, wenn man die Gemeinschaft als rechtsfähig ansieht, auf eine Analogie zu § 128 Satz 1 HGB zurückzugreifen; sie umfasst solche Schulden, die während der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft begründet worden sind. Bei dieser Haftung handelt es sich um eine notwendige Folge der Verselbständigung der Wohnungseigentümergemeinschaft52: Die akzessorische Haftung ist erforderlich, um die Kredit- und damit die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu erhalten, da das Verwaltungsvermögen ebenso wie bei Personengesellschaften und anders als bei Kapitalgesellschaften nicht durch Kapitalaufbringungs- oder -erhaltungsregeln geschützt ist. Was den Kreis der von der akzessorischen Haftung erfassten Schulden angeht, so wird man bei Dauerschuldverhältnissen darauf abzustellen haben, dass zwar die Rechtsgrundlage der künftigen Forderungen schon mit Vertragsschluss geschaffen wird, dass die einzelne Forderung jedoch bei den hier praktisch bedeutsamen Vertragstypen wie Dienst- oder Mietvertrag regelmäßig aufschiebend bedingt durch den Ablauf des jeweiligen Abrechnungszeitraums entsteht53. Schuldner ist damit, wer im jeweiligen Zeitpunkt des Bedingungseintritts Wohnungseigentümer ist. Allerdings hat der II. Zivilsenat des BGH darüber hinausgehend in analoger Anwendung von § 130 HGB die akzessorische Haftung des Gesellschafters einer BGB-Gesellschaft auch auf die vor dem Beitritt begründeten Verbindlichkeiten erstreckt54. Damit wird den Altgläubigern auf Kosten des Neugesellschafters, der die ausstehenden Verbindlichkeiten oft nicht zuverlässig feststellen kann, ein nicht gerechtfertigter Vorteil verschafft, so dass diese Haftungsausdehnung abzulehnen ist55. __________ 52 Derleder, PiG 63, 2002, S. 29, 49. 53 Vgl. dazu allg. Staudinger/Bork, BGB, Neubearb. 2003, § 163 Rz. 2 (zur bedingten oder befristeten Begründung der einzelnen Zahlungsansprüche aus Dauerschuldverhältnissen). 54 BGHZ 154, 370, 372 ff. = NJW 2003, 1803; zust. etwa Karsten Schmidt, NJW 2003, 1897, 1901; Ulmer, ZIP 2003, 1113, 1115 f. 55 Armbrüster, ZGR 2005, 34, 49 ff.; Boehme, NZG 2003, 764, 765 f.; DaunerLieb in Festschrift Ulmer, 2003, S. 73, 79 ff.; im Erg. auch Canaris, ZGR 2004, 69, 115.

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Selbst wenn man dies für die BGB-Gesellschaft mit dem II. Zivilsenat anders sieht, ist die Lage im Wohnungseigentumsrecht abweichend zu beurteilen56. Die Haftung wird nämlich nicht bereits durch die Annahme einer Rechtsfähigkeit präjudiziert, und es besteht ein wesentlicher Unterschied zum Gesellschaftsrecht: Bei der Wohnungseigentümergemeinschaft steht dem Interesse des Eintretenden an einem Schutz vor für ihn oft nicht ermittelbaren Haftungsrisiken aus Altschulden kein schutzwürdiges Interesse der Gläubiger an einer Mithaftung des Eintretenden gegenüber. Das vom BGH angeführte Argument, es solle nicht auf die mangels Registerpublizität bisweilen für den Gläubiger schwer feststellbare Zugehörigkeit eines Gesellschafters zur BGB-Gesellschaft bei Begründung der Verbindlichkeit ankommen57, verfängt nämlich angesichts der Grundbucheintragung jedes Wohnungseigentümers schon im Ansatz nicht. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass es dem Gläubiger insbesondere bei großen Gemeinschaften unzumutbar sei, den jeweiligen Grundbuchstand zu prüfen. Möchte er einen Schuldner persönlich in Anspruch nehmen, so bleibt ihm eine Einsicht ins Grundbuch meist ohnehin nicht erspart, und angesichts der gesamtschuldnerischen und nicht lediglich anteiligen Haftung genügt es, wenn er eine einzige solvente Person als zur Zeit der Schuldbegründung eingetragenen Eigentümer identifiziert. In der wohnungseigentumsrechtlichen Praxis entschärft sich die Problematik auch noch aus einem anderen Grund: Ist absehbar, dass die liquiden Mittel der Gemeinschaft zur Befriedigung eines (künftigen) Gläubigers nicht ausreichen dürften, so wird der Verwalter regelmäßig darauf hinwirken, dass der nächste Wirtschaftsplan entsprechend angepasst oder dass rechtzeitig eine Sonderumlage gebildet wird58. Nach zutreffender Auffassung ist der Verwalter sogar dazu verpflichtet, auf diese Weise eine persönliche Inanspruchnahme der Wohnungseigentümer durch den Gläubiger nach Möglichkeit zu verhindern59. Jeder Wohnungseigentümer hat im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG) einen Anspruch darauf, dass ein entsprechender Sonderumlagen__________ 56 So auch Bub, PiG 63, 2002, S. 1, 24; Derleder, PiG 63, 2002, S. 29, 51; Maroldt, Die Rechtsfolgen einer Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, 2004, S. 81 f. 57 BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 375 f. = NJW 2003, 1803. 58 Vgl. nur Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 28 Rz. 2. 59 KG, Beschl. v. 25.6.2004 – 24 W 256/02, ZfIR 2004, 736, 738; Briesemeister, NZM 2003, 777, 778 f.; Häublein, ZfIR 2004, 738, 739 f.; vgl. auch Derleder, PiG 63, 2002, S. 29, 52.

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beschluss gefasst wird. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage grundlegend von derjenigen im Personengesellschaftsrecht, das gem. § 707 BGB im Innenverhältnis gerade keine Nachschusspflicht jenseits der vertraglich versprochenen Einlage kennt60, solange die Gesellschaft nicht liquidiert wird (s. dazu § 735 BGB). An diesem Unterschied wird deutlich, dass das Verwaltungsvermögen ebenso wenig wie das Grundstück als Mittel zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks anzusehen ist, sondern – soweit es in Geldmitteln besteht – lediglich zur Erfüllung solcher Schulden gebildet wird, die gemeinsam eingegangen werden oder die kraft Gesetzes die Gemeinschaft treffen. Bei der gesamten Verwaltungstätigkeit handelt es sich um Hilfsgeschäfte, die der beabsichtigten Verfolgung je individueller Zwecke des einzelnen Wohnungseigentümers untergeordnet sind.

IV. Verfahrensrecht Schließlich lassen sich auch im Verfahrensrecht Parallelen zum Gesellschaftsrecht bilden, wenngleich das wohnungseigentumsrechtliche Verfahren bislang als streitiges FGG-Verfahren ausgestaltet ist. Zu nennen ist insbesondere die Möglichkeit, einen Anfechtungsantrag mit einem Antrag auf positive Beschlussfeststellung zu verbinden. Diese Kombination ist im Gesellschaftsrecht seit langem anerkannt61. Im Wohnungseigentumsrecht hat sie dadurch besondere Bedeutung erlangt, dass die Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses nach der neueren Judikatur konstitutive Wirkung hat (s. oben II 5 b). Wird ein Ergebnis unrichtig festgestellt oder verkündet, so lässt sich der Fehler nur durch eine Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsantrag vollständig beheben; die Kombination ist daher zulässig62.

__________ 60 Diesen Umstand übergeht Derleder, PiG 63, 2002, S. 29, 46, wenn er eine Parallele zwischen Wohnungseigentümergemeinschaft und BGB-Gesellschaft hinsichtlich der Existenz eines „selbständigen Finanzwesens“ sieht. 61 S. nur BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 197 f. = NJW 1980, 1465. 62 BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 49 f. = NJW 2002, 3704. Zu weiteren Parallelen im Verfahrensrecht s. Suilmann, Das Beschlussmängelverfahren im Wohnungseigentumsrecht, 1998, z. B. S. 98 ff., 116 ff.; vgl. ferner (zum Insichprozess) Bub/Petersen, NZM 1999, 646 ff.

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V. Fazit Wenngleich sich die Wohnungseigentümergemeinschaft, da sie nicht zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks gebildet wird, nicht als Gesellschaft ansehen lässt, bestehen doch in mancherlei Hinsicht strukturelle Parallelen. Sie betreffen bereits die organschaftliche Verfassung, die Auslegungsregeln und die über den allgemeinen Grundsatz des § 242 BGB hinausreichende, aus qualifizierter Einwirkungsmacht erwachsende Treuepflicht, zudem insbesondere die Willensbildung und in gewissem Umfang auch die Haftungsverhältnisse. Das Interesse an einer systematisch stimmigen Einfügung des Wohnungseigentumsrechts als eines vergleichsweise jungen Rechtsgebiets in die Privatrechtsordnung gebietet mithin den steten vergleichenden Blick auf die Lage im Gesellschaftsrecht. Der Jubilar hat diesen Blick nie gescheut; der Entwicklung des Wohnungseigentumsrechts ist dies in vielerlei Hinsicht sehr zugute gekommen.

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Zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums Gregor Basty Inhaltsübersicht I. Bauträgervertrag und Abnahme II. Abnahme durch die Gemeinschaft 1. Gemeinschaftszuständigkeit kraft Gesetzes 2. Gewillkürte Gemeinschaftszuständigkeit III. Vollmachtslösungen

1. Bindung an Vollmachtslösung 2. Person des Bevollmächtigten IV. Vertragsmäßigkeit des Gemeinschaftseigentums 1. Problemfälle 2. Abnahmedefizit V. Ergebnis

Bauträger machen ihr Geschäft typischerweise mit Wohnungseigentum. Dabei verpflichten sie sich zur Verschaffung des mit Sondereigentum verbundenen Miteigentumsanteils am Grundstück sowie zur Durchführung der im Vertrag näher beschriebenen Bauleistungen. Dieser Vertragstyp wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überwiegend als Bauträgervertrag1, zuweilen auch als Erwerbervertrag2 bezeichnet. Es handelt es sich um einen einheitlichen Vertrag mit vor allem kauf- und werkvertraglichen Elementen3. An dieser Bewertung hat sich durch die Schuldrechtsmodernisierung nach ganz überwiegender Ansicht nichts geändert4. Für die Bauwerkserrichtung gilt somit Werkvertragsrecht. __________ 1 Vgl. z. B. BGH v. 7.6.2002 – VII ZR 420/00 – BGHZ 148, 85; v. 22.12.2000 – VII ZR 310/99 – BGHZ 146, 250; v. 7.5.1987 – VII ZR 366/85 – BGHZ 100, 391; v. 10.10.1985 – VII ZR 325/84 – BGHZ 96, 129. 2 Vgl. BGH v. 5.4.2001 – VII ZR 119/99 – DNotZ 2001, 798; v. 9.5.1996 – VII ZR 181/93 – NJW 1996, 2370; v. 11.11.1993 – VII ZR 66/92 – NJW 1994, 443. 3 Vgl. BGH v. 5.4.1979 – VII ZR 308/77 – BauR 1979, 337; v. 12.7.1984 – VII ZR 268/83 – BGHZ 92, 123, 126; v. 21.11.1985 – VII ZR 366/83 – BGHZ 96, 275, 277 f.; v. 17.7.1987 – VII ZR 153/86 – BauR 1987, 686; v. 29.6.1989 – VII ZR 151/88 – BGHZ 108, 164; BGH v. 8.11.2001 – VII ZR 373/99 – DNotZ 2002, 970; Thode, ZNotP 2004, 210, 211 m. w. N. 4 Basty, Der Bauträgervertrag, Ergänzungen zur 4. Aufl., 2002, Rz. 8 ff. m. w. N. Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Kniffka, IBR-Online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 28.9.2004, § 631 Rz. 27; § 633 Rz. 2; Thode/Quack, Abnahme und Gewährleistung im Bau- und Bauträgervertrag, 2003, Rz. 21.

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Bei der Abwicklung von Werkverträgen bedarf es einer Abnahme nach § 640 BGB5. Sie ist eine Hauptpflicht des Bestellers6 und bedeutet die körperliche Hinnahme des Werks durch ihn verbunden mit der (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Billigung des Werks als zumindest im Wesentlichen vertragsgerechte Leistung7. Die Abnahme nach § 640 BGB hat weitreichende Folgen. Sie ist u. a.8 maßgebend für den Beginn der Verjährungsfristen für Mängelansprüche (§ 634 a Abs. 2 BGB). Nach der Abnahme trifft den Besteller die Beweislast dafür, dass die erbrachte Werkleistung mangelhaft ist.

I. Bauträgervertrag und Abnahme Bauträgerverträge werden regelmäßig entsprechend der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) gestaltet. Diese erwähnt die Abnahme nicht. Deswegen kann dort jedoch nicht auf eine Abnahme verzichtet werden. Teilweise wird sie als notwendige Voraussetzung für die Fälligkeit der Schlusszahlung angesehen9; jedenfalls ist sie im Hinblick auf die Verjährung von Mängelansprüchen und wegen der Beweislast unentbehrlich. Sofern der Vertrag § 3 Abs. 2 MaBV folgt, wird die Wohnung schon bei Bezugsfertigkeit übergeben. Bei der Veräußerung schlüsselfertiger Objekte muss dem Erwerber oder Dritten der Bezug zumutbar sein10. Dies setzt voraus, dass auch das Gemeinschaftseigentum in entsprechendem Umfang hergestellt ist; so muss z. B. eine funktionsfähige Heizungsanlage bestehen und ein erforderlicher Zugang hergestellt sein11. Bezugs__________ 5 Vgl. Derleder, NZBau 2004, 237, 240 f. 6 BGH v. 23.2.1989 – VII ZR 89/87, BGHZ 107, 75, 77. 7 BGH v. 10.6.1999 – VII ZR 170/98 – BauR 1999, 1186; v. 27.2.1996 – X ZR 3/94 – BGHZ 132, 96; Kniffka, ZfBR 1998, 113; Siegburg, ZfIR 2000, 841, 842 m. w. N.; Thode, ZfBR 1999, 116. 8 Ausführlich Thode/Quack, Abnahme und Gewährleistung, 2003, Rz. 169 ff. 9 Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 215, 306; Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3 Rz. 581; a. A. Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 337; Schmidt, Festschrift für Deckert, 2002, S. 449, 453; Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32. 10 Marcks, MaBV, 7. Aufl. 2003, § 3 Rz. 40 m. w. N. 11 BGH v. 15.4.2004 – VII ZR 397/02 – ZfIR 2004, 701 (LS) für die Außentreppe bei einer Souterrainwohnung.

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fertigkeit setzt aber nicht voraus, dass die erforderlichen Fassadenarbeiten durchgeführt sind, also z. B. der Außenputz aufgebracht ist12. Ebenso wenig müssen Außenanlagen fertig gestellt sein13. Bei Bauträgerverträgen fallen somit die Besitzübergabe der bezugsfertigen Wohnung und die vollständige Fertigstellung in der Regel auseinander14. Die nach Besitzübergabe noch durchzuführenden Arbeiten werden nur ausnahmsweise noch das Sondereigentum des Erwerbers betreffen, in aller Regel geht es um die Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums. Bei dieser zeitlichen Abfolge macht es insbesondere für die Feststellung von Mängeln, die Umkehr der Beweislast und den Beginn der Verjährungsfrist Sinn, dass vor oder bei Besitzübergabe zumindest eine Abnahme der Wohnung (im wesentlichen des Sondereigentums) erfolgt. Die dann noch nicht abgenommenen Arbeiten müssen später – nach vollständiger Fertigstellung – abgenommen werden, wobei hierfür in der Regel eine Übergabe nicht stattfindet15; insofern beschränkt sich die Abnahme auf die Billigung des Werks als in der Hauptsache vertragsgemäß16. Bei der Veräußerung von Wohnungs- oder Teileigentum kann die Abnahme von Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum getrennt erfolgen17. Der Vertrag hat dann entsprechende Teilabnahmen vorzusehen18. Was zu welchem Zeitpunkt abgenommen wird, ist ggf. im Einzelfall zu ermitteln19. Die Abnahme der „Wohnung“ bei Bezugsfertigkeit wird in der Regel auch diejenigen Teile des Gemeinschaftseigentums umfassen, die ausschließlich im Bereich dieser Wohnung liegen20,

__________ 12 Marcks, MaBV, 7. Aufl. 2003, § 3 Rz. 41 (im Hinblick auf die Änderungsverordnung von 1997); Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.30 Anm. 26 (9); a. A. Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 329. 13 OLG Hamm v. 23.10.2003 – 21 U 58/03 – BauR 2004, 690, 691. 14 Es kann unter Inkaufnahme einer späteren Fälligkeit der betreffenden „Rate“ auch die Besitzübergabe erst nach vollständiger Fertigstellung vorgesehen werden, vgl. Basty, BTR 2003, 9. 15 Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (2) und (7). 16 Vgl. Soergel in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 1997, § 640 Rz. 9. 17 BGH v. 30.6.1983 – VII ZR 185/81 – BauR 1983, 573; BGH v. 21.2.1985 – VII ZR 72/84 – NJW 1985, 1551; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 591. 18 Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 308. 19 Soergel in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 1997, § 640 Rz. 47. 20 Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 313; Staudinger/Bub, 12. Aufl., § 21 WEG Rz. 243.

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sowie Sondernutzungsflächen, soweit sie fertig gestellt sind21. Ein Abnahmewille wird diesbezüglich kaum zu verneinen sein; dieser bezieht sich aus Sicht des Erwerbers auf „seine Wohnung“, zu der er alle in dieser Wohnung befindlichen Wände – ob Gemeinschaftseigentum oder nicht – rechnen wird, aber auch seine Terrasse, seinen Garten, seinen Balkon. Unterscheidungen zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum sind dem Erwerber oft nicht nur nicht bekannt, sie interessieren ihn auch nicht wirklich. Regelt allerdings der Vertrag, dass bei Bezugsfertigkeit (nur) das Sondereigentum bzw. dass das gesamte Gemeinschaftseigentum nach vollständiger Fertigstellung abzunehmen ist, kann das für eine auf das Sondereigentum beschränkte Abnahme bei Bezugsfertigkeit sprechen22. In der Praxis werden meistens zwei Abnahmen vorgesehen, nämlich zum einen die Abnahme des Sondereigentums (häufig ausdrücklich samt zu diesem zu rechnendes Gemeinschaftseigentum) sowie die Abnahme des (sonstigen) Gemeinschaftseigentums23. Anerkannt ist das dringende Interesse des Bauträgers an einer einheitlichen „Abnahme des Gemeinschaftseigentums“ durch alle Erwerber24. Andernfalls sei zu befürchten, dass eine ordnungsgemäße Abnahme des Gemeinschaftseigentums nie erfolgt. Als Nachteil wird auch gesehen, dass andernfalls für jeden Erwerber die Verjährungsfristen für Mängelansprüche eigenständig beginnen würden25. Nach der Rechtsprechung ist auch die Abnahme des Gemeinschaftseigentums allerdings Sache jedes einzelnen Erwerbers26. Es werden jedoch Gestaltungen zumindest für möglich erachtet, die im Ergebnis zu einer gemeinschaftlichen Abnahme durch die Eigentümergemeinschaft oder den Verwalter/Verwal__________ 21 A. A. Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 593; nach Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl. 2002, Rz. 504 ist dies eine Frage des Einzelfalls. 22 Unklar Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 im Vertragsmuster unter § 10, wo sich die Abnahme des Sondereigentums gemäß Abs. 1 auch auf gemeinschaftliches Eigentum im ausschließlichen Bereich des Sondereigentums erstrecken soll, während in Abs. 4 die Abnahme des (gesamten) Gemeinschaftseigentums geregelt wird. 23 Zum Gemeinschaftseigentum wird empfohlen, weitere Trennungen (z. B. für die Außenanlagen) vorzusehen, Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 594. 24 Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 596, Rapp in Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.III Rz. 163. 25 Vgl. BGH v. 6.6.1991 – VII ZR 372/89 – BGHZ 114, 383. 26 BGH v. 10.5.1979 – VII ZR 30/78 – BGHZ 74, 258, 262; BGH v. 21.2.1985 – VII ZR 72/84 – DNotZ 1985, 622; BGH v. 15.4.2004 – VII ZR 130/03 – ZfIR 2004, 538, 540; BayObLG v. 4.11.1999 – 2 Z BR 89/99 – ZfIR 2000, 635; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 595 m. w. N.

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tungsbeirat führen27. Es könne eine gemeinschaftliche förmliche Abnahme des Gemeinschaftseigentums vereinbart werden, etwa durch den Verwalter des Wohnungseigentums, mit der Folge, dass der einzelne Erwerber nicht befugt wäre, das Gemeinschaftseigentum selbst abzunehmen, und eine Abnahme durch ihn wirkungslos wäre28. Erörtert werden Lösungsansätze sowohl auf der Ebene des Wohnungseigentumsrechts als auch auf der Ebene der Erwerberverträge, insbesondere Vollmachtslösungen.

II. Abnahme durch die Gemeinschaft 1. Gemeinschaftszuständigkeit kraft Gesetzes Nach einer Literaturmeinung ist das Gemeinschaftseigentum als einheitliches Ganzes dinglich sämtlichen Miteigentümern zugeordnet; dies schließe dessen Abnahme durch den einzelnen Erwerber von vornherein aus29. Dem steht allerdings entgegen, dass sich die Abnahmepflicht aus dem Werkvertrag ergibt. Die Gemeinschaft ist nicht Besteller des Werks. Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums ist daher weder Angelegenheit der (werdenden) Eigentümergemeinschaft noch Gegenstand gemeinschaftlicher Verwaltung30, sondern dem abgeschlossenen Vertrag entsprechend Sache jedes einzelnen Erwerbers31. Eine Abnahme durch die Mehrheit der Erwerber oder den Verwalter kann je__________ 27 Briesemeister in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, nach § 8 Rz. 80; Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Rapp in Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.III. Rz. 164; Riecke/Vogel in Wirth, Handbuch der Vertragsgestaltung, 2001, Band 1, VII. Teil, Rz. 319 und Formulierungsvorschlag in Rz. 377; Schmidt/ Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (9); Werner/ Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl. 2002, Rz. 509 m. w. N. mit der Einschränkung „wenn aufgrund der besonderen Interessenlage die Abnahme des Gemeinschaftseigentums auch nur gemeinschaftlich erfolgen kann.“ 28 Thode/Quack, Abnahme und Gewährleistung im Bau- und Bauträgervertrag, 2003, Rz. 259. 29 Deckert, Baumängel am Gemeinschaftseigentum der Eigentumswohnung, 2. Aufl. 1980, S. 98 ff.; ähnlich Schilling, BauR 1986, 449, 451 unter Heranziehung des § 747 Satz 2 BGB. 30 BayObLG v. 4.11.1999 – 2 Z BR 89/99 – ZfIR 2000, 635, 638; Briesemeister in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, nach § 8 Rz. 79; Staudinger/Bub, 12. Aufl., § 21 WEG Rz. 245; Ott, NZBau 2003, 233, 242; Wagner, ZNotP 2004, 4, 8. 31 BGH v. 10.5.1979 – VII ZR 30/78 – BGHZ 74, 258, 262; BGH v. 21.2.1985 – VII ZR 72/84 – DNotZ 1985, 622; BGH v. 15.4.2004 – VII ZR 130/03 – ZfIR 2004, 538, 540; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 595 m. w. N.

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denfalls ohne besondere vertragliche Regelung keine Wirkung für und gegen den Erwerber entfalten, der nicht abgenommen hat32.

2. Gewillkürte Gemeinschaftszuständigkeit Teilweise wird angenommen33, die Wohnungseigentümer könnten eine einheitliche Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums vereinbaren und diese damit zum Gegenstand der gemeinschaftlichen Verwaltung machen. Auch einem bestandskräftigen Mehrheitsbeschluss könne diese Wirkung zukommen34, wobei hierfür zuweilen eine entsprechende Bestimmung in der Gemeinschaftsordnung für erforderlich erachtet wird35. Eine entsprechende Befugnis setzt eine hinreichende Gemeinschaftsbezogenheit der Ansprüche voraus36. Der Abnahmeanspruch kann jedoch nicht von dem Herstellungsanspruch aus dem Werkvertrag getrennt werden. Es ist daher höchst zweifelhaft, ob § 10 Abs. 1 WEG die Begründung einer Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Abnahme des Gemeinschaftseigentums überhaupt zulässt37. Auch aus der Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums ist sie nicht abzuleiten, da es bei der Abnahme nicht um Instandhaltungsfragen geht sondern allein darum, ob eine erbrachte Bauleistung im wesentlichen vertragsgemäß im Sinne eines individuellen Vertrages ist. Das Wohnungseigentumsrecht eröffnet keine Grundlage, dem einzelnen Erwerber ein für die weitere Beurteilung __________ 32 BGH v. 21.2.1985 – VII ZR 72/84 – DNotZ 1985, 622; Staudinger/Bub, 12. Aufl., § 21 WEG Rz. 243. 33 BayObLG 4.11.1999 – 2 Z BR 89/99 – ZfIR 2000, 635, 638 m. w. N.; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 598. 34 Zu Recht ablehnend im Hinblick auf die später ergangene Entscheidung des BGH v. 20.9.2000 (V ZB 58/99 – BGHZ 145, 158) Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 604. 35 Riecke/Vogel in Wirth, Handbuch der Vertragsgestaltung, 2001, Band 1, VII. Teil, Rz. 219. 36 Vgl. BGH v. 4.6.1981 – VII ZR 9/80 – BGHZ 81, 35 für Ermächtigungen des Verwalters zur Geltendmachung eines Nachbesserungsanspruchs hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums; BGH v. 24.7.2003 – VII ZR 360/02 – ZfIR 2003, 923 zu einem selbständigen Beweissicherungsverfahren gegen den Bauträger (hierzu jedoch kritisch Wagner, ZNotP 2004, 4 ff.). 37 Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Häublein, DNotZ 2002, 608, 612 ff.; Ott, NZBau 2003, 233, 241; Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (4); Wagner, ZNotP 2004, 4, 8.

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von Rechten und Ansprüchen zentrales Instrument wie die Abnahme aus der Hand zu nehmen. Diesbezüglichen Vereinbarungen und Beschlüssen fehlt die erforderliche Legitimation; sie können weder aus sich selbst heraus noch in Verbindung mit einer korrespondierenden Klausel in einer Gemeinschaftsordnung die Grundlage für eine gemeinschaftliche Abnahme schaffen. Die Abnahme muss auf der Ebene der Erwerbsverträge vollzogen werden und hat durch jeden Erwerber zu erfolgen38. Wohnungseigentumsrechtliche Lösungsansätze begegnen daher Bedenken sowohl unter dem Gesichtspunkt des Wohnungseigentumsrechts als auch – als Inhalt des Bauträgervertrags – im Hinblick auf § 307 BGB39. Eine Abnahme durch den Verwalter würde dann für die einzelnen Wohnungseigentümer keine Rechtswirkungen auslösen40. Der Kautelarjurist wird sich deshalb auf die höchst unsichere Begründung einer Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Abnahme des Gemeinschaftseigentums nicht einlassen. Gegen wohnungseigentumsrechtliche Lösungsansätze spricht zudem, dass unsicher sein kann, ob im Zeitpunkt der Abnahmereife überhaupt die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Erforderlich wäre wohl zumindest eine „werdende Eigentümergemeinschaft“; sie setzt neben der Sicherung eines Erwerbsanspruchs durch Vormerkung den Übergang des Besitzes voraus41. Nicht immer werden allerdings die Wohnungsgrundbücher im Zeitpunkt der Abnahme angelegt sein. Zu denken ist z. B. an (überlange) Vollzugszeiten bei Grundbuchämtern42 oder dass vorab noch Vermessungen durchzuführen sind und/oder noch ein Ankaufsvertrag bzw. eine Erbbaurechtsbestellung zu vollziehen ist. Zudem wären bei solchen Lösungsansätzen nur diejenigen eingebunden, für die im Zeitpunkt der Abnahme eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen ist. Dies erscheint aber deswegen unzureichend, weil es nach dem Zweck der Abnahme allein darauf ankommen darf, mit wem ein Werkvertrag abgeschlossen wurde. Unabhängig vom Vollzugsstand der betreffenden Verträge ist auf die im betreffenden Zeit__________ 38 Staudinger/Bub, 12. Aufl., § 21 WEG Rz. 245; Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Ott, NZBau, 233, 240. 39 I. E. ebenso Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 758 unter Heranziehung des Transparenzgebots. 40 BGH v. 21.2.1985 – VII ZR 72/84 – DNotZ 1985, 622; so im Grundsatz auch BayObLG v. 4.11.1999 – 2 Z BR 89/99 – ZfIR 2000, 635, 638. 41 BayObLG v. 11.4.1990 – BReg. 2 Z 7/90 – NJW 1990, 3216; Lüke in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, Anh. § 10 Rz. 3. 42 Vgl. Harder, NotBZ 2003, 192.

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punkt vorhandenen Erwerber abzustellen43. Auch der ist an der Abnahme zu beteiligen, der am Tag vor dem Abnahmetermin gekauft hat. Theoretisch wäre noch denkbar, dass alle Erwerber ihre individuellen Herstellungsansprüche in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts44 einbringen, die dann ihrerseits einen Anspruch auf Abnahme hat. Solche Konstruktionen würden freilich auch automatisch den Herstellungsanspruch hinsichtlich des Sondereigentums erfassen, da nur ein einheitlicher Anspruch auf das Sonder- und das Gemeinschaftseigentum besteht. Sie sind daher nicht interessengerecht.

III. Vollmachtslösungen Eine Abnahme kann auch durch Bevollmächtigte erfolgen. Grundlage ist in der Regel ein (zuweilen stillschweigend erteilter) Auftrag. Dieser bestimmt Rechte und Pflichten des Bevollmächtigten. Danach ist die Abnahme im ausschließlichen Interesse des Auftraggebers durchzuführen. Vollmachtsgestaltungen mit dem Ziel einer gemeinschaftlichen Abnahme im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum werden insbesondere für größere Wohnanlagen befürwortet45. Statt dessen ist auch denkbar, dass der Bauträger durch rein organisatorische Maßnahmen auf eine einheitliche Abnahme hinwirkt, nämlich dadurch, dass er einen einheitlichen Termin für alle Erwerber bestimmt46. Bei größeren Anlagen schreckt aber der damit verbundene Aufwand. Ein fachkundiger Bevollmächtigter wird oft auch besser beurteilen können, ob die Bauausführung Mängel aufweist.

__________ 43 Vgl. Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 29. 44 Vgl. hierzu die These von Wagner (ZNotP 2004, 4, 7 f.), Bauträger und Erwerber bildeten angesichts des gemeinsamen Zwecks der Errichtung des Gesamtbauvorhabens kraft Gesetzes eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß § 705 BGB (Innengesellschaft). 45 Vgl. Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Häublein, DNotZ 2002, 608; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 597 ff.; wohl auch Riecke/Vogel in Wirth, Handbuch der Vertragsgestaltung, 2001, Band 1, VII. Teil, Rz. 319 (der Erwerbsvertrag könne „in Übereinstimmung mit der Gemeinschaftsordnung vorsehen, dass eine gemeinschaftliche Abnahme zu erfolgen hat“) samt Formulierungsvorschlägen für Erwerbsvertrag und Gemeinschaftsordnung in Rz. 377 und 378. 46 Vgl. Briesmeister in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, nach § 8 Rz. 80.

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Die Abnahmeverpflichtung ergibt sich aus dem Werkvertrag. Der Bauträger selbst muss und kann für die Einheiten, die noch nicht veräußert sind, also keine Abnahme erklären47; insofern besteht keine Herstellungsverpflichtung. Den abgeschlossenen Verträgen entsprechend sind Auftrag und Vollmacht zur Abnahme von allen im Zeitpunkt der Abnahme vorhandenen Erwerbern zu erteilen48. Die Abnahme leitet sich hingegen nicht aus dem Wohnungseigentum oder einem Anwartschaftsrecht ab. Richtiger Regelungsort für Auftrag und Vollmacht ist daher der betreffende Bauträgervertrag. In einer Gemeinschaftsordnung49 wären solche Regelungen sachfremd und überraschend. Grundsätzlich kann jeder Erwerber für sich entscheiden, ob und wem er Auftrag und Vollmacht zur Abnahme erteilt. Vollmachtsgestaltungen begegnen allerdings vereinzelt dem generellen Einwand50, sie verstießen gegen § 309 Nr. 8 b aa BGB bzw. § 307 BGB. Zur Vollmachtslösung finden sich in der Literatur verschiedene Vorschläge. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass die Person des Bevollmächtigten (der Verwalter, der Verwaltungsbeirat, ein besonderes Abnahmegremium oder ein Sachverständiger) bei Beurkundung des Bauträgervertrags bereits feststeht; ihm wird dann unmittelbar Vollmacht erteilt. Andernfalls werden Regelungen zur Bestimmung des Bevollmächtigten vorgeschlagen51; z. B. dessen Wahl in der ersten Eigentümerversammlung der „werdenden“ Gemeinschaft52, dem dann zu gegebener Zeit eine Abnahmevollmacht erteilt werden soll, sei es aufgrund Untervollmacht, die dem Bauträger oder dem Verwalter erteilt wird, sei es unmittelbar vom Erwerber53, wobei dieser zuweilen vertrag__________ 47 Vgl. Staudinger/Bub, 12. Aufl., § 21 WEG Rz. 245. 48 Häublein, DNotZ 2002, 608, 616; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 597. 49 Zu Vertretungsregelungen in einer Gemeinschaftsordnung vgl. Gernhuber, JZ 1995, 381, 389. 50 Wolfsteiner in Kersten/Bühling, Formularbuch, 21. Aufl. 2001, § 37 Rz. 68 und 83 unter Hinweis auf BGH v. 10.10.1991 – VII ZR 2/91 – BGHZ 115, 329. 51 Rapp in Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.III. Rz. 164; Schmidt/ Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (9) und im Vertragsmuster unter § 10 Abs. 4. 52 Riecke/Vogel in Wirth, Handbuch der Vertragsgestaltung, 2001, Band 1, VII. Teil, Rz. 219 (vgl. aber hierzu die oben unter II.2. ausgeführten Bedenken). 53 Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (9) und im Vertragsmuster unter § 10 Abs. 4; diese Regelung findet sich (noch) nicht im Formulierungsvorschlag von Schmidt in Bärmann/Seuß, Praxis des Wohnungseigentums, 1997, unter G.34 (§ 10 Abs. 4).

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lich zur Erteilung der Vollmacht verpflichtet wird54. Häufig wird vorgesehen, dass der einzelne Erwerber vom Abnahmetermin in Kenntnis gesetzt wird55, um ihm eine persönliche Teilnahme zu ermöglichen (wobei oft unklar bleibt, ob er ein Widerspruchsrecht hat oder auch selbst abnehmen soll oder kann). Hin und wieder findet sich der Vorschlag, dass der Erwerber später das Protokoll über die Abnahme des Gemeinschaftseigentums erhält56.

1. Bindung an Vollmachtslösung a) Das Anliegen, eine einheitliche gemeinschaftliche Abnahme sicherzustellen, setzt an sich voraus, dass ein eigenes Abnahmerecht des Erwerbers ausgeschlossen ist. Ausdrückliche Regelungen mit diesem Inhalt finden sich in der Literatur nicht. Zuweilen vermitteln Regelungsvorschläge aber durchaus den Eindruck, als sei der Erwerber selbst nicht mehr zur Abnahme berechtigt. Dies kann sich – ohne anderweitige Klarstellung – möglicherweise schon daraus ergeben, dass die Vollmacht unwiderruflich ausgestaltet wird. Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn der Erwerber „vom Abnahmetermin verständigt (wird), um seine persönliche Teilnahme an der Abnahme des Gemeinschaftseigentums zu ermöglichen“57. Gestaltungen, mit denen eine eigene Abnahme durch den Erwerber ausgeschlossen werden soll (oder die in diesem Sinne verstanden werden können58), verstoßen gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB59. Denn damit würde eine rechtlich nicht anerkannte „verdrängende Vollmacht“ geschaffen60. Dem Erwerber darf nicht die Möglichkeit genommen werden, selbst darüber zu entscheiden, ob er die erbrachten Leistungen als im Wesentlichen vertragsgemäß anerkennen will. Dies bestätigt auch __________ 54 Rapp in Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.III. Rz. 164. 55 Barbers in Beck’sches Formularbuch Immobilienrecht, 2001, unter A.III.1 § 8 Abs. 6. 56 Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 im Vertragsmuster unter § 10 Abs. 4. 57 Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 315, 318; ähnlich Barbers in Beck’sches Formularbuch Immobilienrecht, 2001, unter A.III.1 § 8 Abs. 6. 58 Vgl. BGH v. 6.4.1995 – VII ZR 73/99 – MittBayNot 1995, 376. 59 Vgl. OLG Koblenz v. 17.10.2002 – 5 U 263/02 – ZfIR 2002, 897; Schöner/ Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl. 2004, Rz. 3229. 60 BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50 – BGHZ 3, 354; Schramm in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2001, § 167 Rz. 114.

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die Wertung des § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 1 BeurkG; für das Beurkundungsverfahren bei Verbraucherverträgen hat der Notar danach darauf hinzuwirken, dass rechtsgeschäftliche Erklärungen des Verbrauchers von diesem persönlich oder durch eine Vertrauensperson abgegeben werden. b) Häufig wird eine Bindung an eine Vollmachtslösung durch eine unwiderrufliche Vollmacht versucht61. Für die Zulässigkeit solcher Gestaltungen wird zum einen auf die Verpflichtung des Erwerbers zur Abnahme62 und zum anderen auf das Interesse des Bauträgers an einer zügigen und geordneten Abnahme verwiesen63. Zu differenzieren sind insofern das Rechtsverhältnis zum Bauträger und das zum Bevollmächtigten. Im Verhältnis zum Bevollmächtigten ist von einem frei widerruflichen Auftrag i. S. d. § 671 Abs. 1 BGB auszugehen. Eine Einschränkung des Widerrufsrechts wäre als unangemessene Benachteiligung des Erwerbers unwirksam gemäß § 307 BGB64. Zumindest muss ein Widerruf aus wichtigem Grund möglich sein, z. B. weil die erforderliche Unabhängigkeit vom Bauträger fehlt65, die beauftragte Person nicht die erforderliche Sachkunde besitzt oder unzuverlässig ist66. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Person des Bevollmächtigten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bauträgervertrags noch nicht feststeht. Aus denselben Gründen bestehen erhebliche Bedenken67 gegenüber Gestaltungen, nach denen der Erwerber dem Bauträger gegenüber eine Verpflichtung zur Erteilung einer (unwiderruflichen) Vollmacht übernimmt68. Die Zulässigkeit lässt sich nicht damit begründen, dass erfahrungsgemäß nicht alle Erwerber zu dem Abnahmetermin für das Gemeinschaftseigentum erscheinen; dies wird nicht selten eher damit zusammenhängen, dass ihnen die Bedeutung dieses Termins nicht hin__________ 61 Kroiß/Maaß, Klauselbuch Schuldrecht, 2003, § 4 Rz. 56. 62 Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 764 (der allerdings im Ergebnis davon abrät). 63 Derleder, NZBau 2004, 237, 243; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 601. 64 OLG Koblenz v. 17.10.2002 – 5 U 263/02 – ZfIR 2002, 897 = IBR 2003, 25 (O. Vogel). 65 Vgl. OLG Hamm v. 8.4.2004 – 15 W 17/04 – ZfIR 2004, 644. 66 Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 601. 67 Häublein, DNotZ 2002, 608, 627; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl. 2004, Rz. 3229. 68 So z. B. Rapp in Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.III. Rz. 164.

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reichend bewusst ist. Jedenfalls darf nicht von vornherein unterstellt werden, dass der Erwerber eine vertragliche (Haupt-)Pflicht nicht erfüllt. Gerechtfertigt erscheinen solche Gestaltungen allenfalls, wenn sie sich auf den Fall beschränken, dass der Erwerber nicht selbst zum Termin der Abnahme erscheint oder einen Bevollmächtigten seines Vertrauens schickt. Geht der Regelungsinhalt jedoch darüber hinaus, ist von einem Verstoß gegen § 307 BGB auszugehen, da das eigene Abnahmerecht des Erwerbers eingeschränkt werden soll. Offen ist, ob die Unwiderruflichkeit zur Unwirksamkeit der gesamten Vollmacht führt69. c) Flankiert werden solche Gestaltungen zuweilen noch dadurch, dass Abnahmefiktionen für denjenigen vorgesehen werden, der an der Abnahme nicht teilnimmt, sei es in dem Bauträgervertrag70, sei es in einer (parallelen) Regelung in der Gemeinschaftsordnung71. Die Abnahme durch den Verwalter oder den Sachverständigen soll danach automatisch auch für und gegen denjenigen Erwerber/Wohnungseigentümer wirken, der an der Abnahme des Gemeinschaftseigentums oder an der Benennung des Bevollmächtigten nicht teilgenommen bzw. keine entsprechende Vollmacht erteilt hat. Fiktionsregelungen müssen allerdings den Anforderungen des § 308 Nr. 5 BGB genügen. Dem Erwerber müsste danach eine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt werden; zudem wäre er bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen. Dem werden die hierzu veröffentlichten Formulierungsvorschläge nicht gerecht. Angesichts dieser Anforderungen ist auch kaum vorstellbar, dass Fiktionsregelungen tatsächlich einen Beitrag zur Sicherung einer gemeinschaftlichen Abnahme leisten könnten. Hinzu kommt, dass Abnahmefiktionen allenfalls eingreifen können, wenn keine gravierenden Mängel vorliegen72. Insofern scheint die Regelung des § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB hinreichend. Danach steht einer Abnahme gleich, wenn nicht innerhalb einer vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abgenommen ist, obwohl der Besteller zur Abnahme verpflichtet ist, weil keine oder nur unwesentliche Mängel bestehen (§ 640 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies setzt allerdings voraus, dass der Vertrag keine Beschränkung auf eine förm__________ 69 Häublein, DNotZ 2002, 608, 627. 70 Rapp in Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.III. Rz. 164. 71 Riecke/Vogel in Wirth, Handbuch der Vertragsgestaltung, 2001, Band 1, VII. Teil, Rz. 378. 72 OLG Hamm v. 10.5.2001 – 21 U 101/00 – BauR 2001, 1914.

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liche Abnahme vorsieht. Denn dadurch würden andere Formen der Abnahme grundsätzlich ausgeschlossen, also nicht nur z. B. eine Abnahme durch stillschweigende Billigung oder beanstandungslose Ingebrauchnahme, sondern wohl auch die gesetzliche Abnahmefiktion gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB73.

2. Person des Bevollmächtigten a) Als Bevollmächtigter zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums kommt insbesondere der Verwalter74 der Wohnanlage in Betracht (evtl. unter Beiziehung75 oder gemeinsam mit einem Sachverständigen76). Verwalter und Bauträger dürfen aber nicht identisch sein77; eine Bevollmächtigung des Bauträgers selbst (oder seine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB) würde schon aufgrund der Interessenkollision unwirksam sein78 und gegen § 307 Nr. 1 BGB verstoßen79. Gefordert wird ein vom Bauträger unabhängiger Verwalter80. Andernfalls sei die dem Verwalter erteilte Vollmacht unwirksam. Für die erforderliche Unabhängigkeit werden unterschiedliche Kriterien formuliert: Abgestellt wird z. B. darauf, ob der Verwalter mit dem Bauträger wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich verbunden81 oder von ihm abhängig ist82 oder „auf der Seite“ oder „im Lager“ des Bauträgers steht83 __________ 73 Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 586. 74 Vgl. BayObLG v. 4.11.1999 – 2 Z BR 89/99 – ZfIR 2000, 635, 638; Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 65, 313 ff. 75 Dies stellt nach Blank (Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 316) „den sicheren Weg“ dar. 76 Vgl. Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 598. 77 Zu einer Abberufung des Verwalters aus wichtigem Grund in diesem Fall wegen Interessenkollision insbesondere wegen der Geltendmachung von Mängelansprüchen, vgl. OLG Hamm v. 8.4.2004 – 15 W 17/04 – ZfIR 2004, 644. 78 Thode/Quack, Abnahme und Gewährleistung, 2003, Rz. 259. 79 Staudinger/Bub, BGB 12. Aufl., § 21 WEG Rz. 245; Hertel in Amann/ Brambring/Hertel, Vertragspraxis nach neuem Schuldrecht, 2. Aufl. 2003, S. 244; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 602; Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 230, 761. 80 Kutter, Beck’sches Notarhandbuch, 3. Aufl. 2000, A.II Rz. 126; Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (6). 81 Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 602. 82 Hertel in Amann/Brambring/Hertel, Vertragspraxis nach neuem Schuldrecht, 2. Aufl. 2003, S. 244. 83 Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 314.

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oder der Sphäre des Bauträgers zuzurechnen ist, wobei es hierfür teilweise als genügend angesehen wird, dass der Verwalter nur vom Bauträger oder mit einer Mehrheit, die nur durch dessen Stimmen zustande gekommen ist, bestellt wurde84. Gegen diese Auffassung spricht freilich schon die Schwammigkeit solcher Kriterien und die damit verbundene Rechtsunsicherheit. Zuzustimmen ist der Auffassung85, die Fälle des wirtschaftlich mit dem Bauträger verflochtenen Bevollmächtigten nicht über die Unwirksamkeit der Vollmacht sondern ggf. über die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht zu lösen; danach wäre eine Abnahme, die trotz einer Verflechtung gewissenhaft vorgenommen wurde, nicht unwirksam. Gegen die Übertragung der Abnahme auf den Verwalter spricht neben den sich hieraus ergebenden Unsicherheiten aber auch, dass er zur Übernahme dieser Aufgabe nicht verpflichtet ist. Da im Zusammenhang mit der Abnahme rechtliche und technische Fragen zu beurteilen sind, von denen ein Verwalter typischerweise kaum Ahnung hat, wird er diese Aufgabe, wenn er gut beraten ist, eher ablehnen. Hierfür kann auch Anlass geben, dass eine Abnahme in der Literatur teilweise als Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG angesehen wird (und ohne entsprechende Genehmigung eine Abnahmevollmacht unwirksam sein könnte)86. Ob eine Verpflichtung zur Übernahme der Abnahme durch den Verwaltervertrag oder die Gemeinschaftsordnung rechtswirksam begründet werden kann, ist im Hinblick auf § 10 Abs. 1 WEG zweifelhaft.

__________ 84 Wolfsteiner in Kersten-Bühling, Formularbuch, 21. Aufl. 2001, ähnlich, wenn auch zurückhaltender („im Einzelfall“) Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 762. 85 Häublein, DNotZ 2002, 608, 628. 86 Basty in Brambring/Krüger, RWS-Forum 23 Immobilienrecht 2002, 2004, S. 247, 258 ff.; Basty/O. Vogel, ZfIR 2002, 171, 175; Häublein, DNotZ 2002, 608, 620 ff.; Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 230; a. A. Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 314; Derleder, NZBau 2004, 237, 243 (da die Vollmacht in diesen Fällen nicht „Teil eines entmündigenden Vollmachtbündels“ sei); Hertel in Amann/Brambring/ Hertel, Vertragspraxis nach neuem Schuldrecht, 2. Aufl. 2003, S. 244 f.; Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 600; Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (9).

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b) Insbesondere bei größeren Wohnanlagen soll nicht selten ein neutraler87 Sachverständiger mit der Abnahme betraut werden88. Er kann bereits im Vertrag bestimmt werden; allerdings dürfte eine verbindliche Festlegung der Person des Sachverständigen durch AGB nicht möglich sein89. In Betracht kommt auch seine Benennung durch die im betreffenden Zeitpunkt vorhandenen Erwerber (z. B. in der ersten Eigentümerversammlung oder durch den Verwalter, ggf. zusammen oder in Abstimmung mit einem Beirat)90. Unbefriedigend erscheint allerdings, für die Benennung oder Bevollmächtigung auf die Eigentümerversammlung oder ihre Organe abzustellen. Denn unsicher ist nicht nur, ob hierfür im betreffenden Zeitpunkt die wohnungseigentumsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen werden (s. o.), verwischt wird auch, dass es nicht um aus dem Wohnungseigentum resultierende Rechtspositionen geht. In Rede stehen vielmehr individuelle, aus den jeweiligen Werkverträgen abzuleitende Rechte. Richtigerweise entscheiden die Erwerber; die Entscheidung fällt nicht in der Eigentümerversammlung sondern allenfalls anlässlich der Eigentümerversammlung. Obsolet sind damit auch Regelungen, die ein Stimmrecht des Bauträgers für nicht verkaufte Wohnungen ausschließen sollen91.

IV. Vertragsmäßigkeit des Gemeinschaftseigentums Ein von allen rechtlichen Zweifeln unabhängiger Einwand gegen die Delegation der Abnahme auf Dritte ergibt sich aus der Befürchtung, dass tatsächlich oft gar keine Abnahme gemäß § 640 BGB durchgeführt wird, selbst wenn eine wirksame Abnahmevollmacht besteht und auch, wenn ein entsprechendes Protokoll mit „Abnahme nach § 640 BGB“ überschrieben wird. Der Begriff „Abnahme des Gemeinschaftseigentums“ verstellt den Blick darauf, dass es eigentlich um die Abnahme __________ 87 Wie beim Verwalter (s. o) wird auch hier die Frage der wirtschaftlichen Verbundenheit problematisiert. 88 Pause, Bauträgerkauf, 4. Aufl. 2004, Rz. 599. 89 Thode/Quack, Abnahme und Gewährleistung, Rz. 217 für § 641 a BGB; a. A. wohl Blank, Bauträgervertrag, 2. Aufl. 2002, Rz. 316 f.; Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 763. 90 Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (6). 91 Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 763.

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geschuldeter Werkleistungen geht92. Gleichzeitig suggeriert er, dass die Anforderungen an das Gemeinschaftseigentum für alle Erwerber einheitlich sind93:

1. Problemfälle Die These, geschuldet sei immer dasselbe, nämlich das Gesamtbauvorhaben94, scheint am ehesten noch auf die Übereinstimmung des geschuldeten Bauvorhabens mit den Aufteilungsplänen zu passen. Der werkvertragliche Herstellungsanspruch ist jedoch nicht identisch mit dem wohnungseigentumsrechtlichen Anspruch auf Erstherstellung aus § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2 oder analog § 22 WEG95. Immer wieder werden mit einzelnen Erwerbern Vereinbarungen getroffen, die eine Änderung der Teilungserklärung erforderlich machen (z. B. eine Vergrößerung der Wohnung oder von Kellerräumen unter Einbeziehung von Flächen, die bislang für Gemeinschaftsflächen vorgesehen waren). Vor Vollzug dieser Änderung ist die Anlage diesen gegenüber nicht vertragsgemäß. Ist diese Änderung vollzogen – z. B. aufgrund einer entsprechenden Änderungsvollmacht – entspricht die Anlage den mit früheren Erwerbern abgeschlossenen Verträgen nur dann, wenn die vollzogene Änderung durch Änderungsvorbehalte gedeckt ist. Das kann im Einzelfall zweifelhaft sein. In der Folge wäre eine Bauausführung nach Maßgabe der Aufteilungspläne, die den Grundbucheintragungen zugrunde liegen, für den einen Erwerber oder eine Erwerbergruppe vertragsgemäß, für einen anderen Erwerber oder eine andere Erwerbergruppe hingegen nicht96. Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn den Verträgen unterschiedliche Baubeschreibungen zugrunde gelegt werden, sei es in Folge einer vom Bauträger gewünschten allgemeinen Aktualisierung des Bausolls, sei es wegen besonderer Wünsche einzelner Erwerber. Wird z. B. dem Wunsch des Erwerbers einer Dachgeschosswohnung folgend vereinbart, dass das Dach aus ökologischen Gründen nicht mit den in der Baubeschreibung __________ 92 Vgl. Schmid, BTR 2004, 150, 152; Wagner, ZNotP 2004, 4, 5. 93 So i. E. Schmid, BTR 2004, 150 ff.; 217 ff.; Schmidt/Eue, Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, I.31 Anm. 32 (7). 94 Wagner, ZNotP 2004, 4, 7. 95 Vgl. BayObLG v. 20.11.2002 – 2Z BR 45/02 – ZfIR 2003, 246 mit Anm. Häublein; Briesemeister in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, § 3 Rz. 47; Lüke in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, § 22 Rz. 29. 96 Davon unabhängig ist die Frage, ob und wann der Bauträger jeweils Zahlungen für erbrachte Leistungen verlangen kann.

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vorgesehenen Betondachsteinen sondern mit Tonziegeln gedeckt wird, wäre eine Dacheindeckung mit Betondachsteinen zwar vertragsgemäß für alle Erwerber, die auf der Grundlage der allgemeinen Baubeschreibung erworben haben, nicht aber für diesen einzelnen Erwerber97. Konkrete Anforderungen an das Gemeinschaftseigentum ergeben sich nicht selten im Hinblick auf die Nutzung des verkauften Sondereigentums: Wird etwa eine Wohnung als behindertengerecht verkauft, ergibt sich daraus diesem Erwerber gegenüber, dass ein barrierefreier Zugang zum Gebäude bzw. zu der betreffenden Wohnung gegeben sein muss98. Ein Mülltonnenhäuschen oder ein Kabelverteilerschrank im Hof der Wohnanlage kann für denjenigen Erwerber nicht vertragsgemäß sein, der deshalb seinen Garten nur noch eingeschränkt nutzen99 oder seine Garage nur noch mit Schwierigkeiten anfahren kann oder der die Mülltonnen vor seinem Schlafzimmerfenster findet und entsprechenden Geruchsbelästigungen ausgesetzt ist100.

2. Abnahmedefizit a) Bei diesen Beispielsfällen kann fraglich sein, ob aus Sicht des betroffenen Erwerbers Mängel des Gemeinschaftseigentums oder Mängel des Sondereigentums in Rede stehen. Dies erscheint jedenfalls bei der letzten Fallgruppe nicht fern liegend, weil es hier in erster Linie um die Nutzbarkeit des Sondereigentums geht101. Damit wäre freilich dem Anliegen, eine gemeinschaftliche förmliche Abnahme des Gemeinschaftseigentums sicherzustellen, von vornherein der Boden entzogen. Denn dann wäre praktisch immer zumindest auch eine individuelle Abnahme des Gemeinschaftseigentums (im Hinblick auf die sich aus dem Sondereigentum ergebenden Anforderungen) erforderlich. Ohne entsprechende Abnahme bestünde ein Abnahmedefizit. Man kann freilich vorsehen, dass der Bevollmächtigte auch insofern eine Abnahme durchführt; allerdings sollte man dann nicht von der Abnahme des Gemeinschaftseigentums reden, sondern von der Ab__________ 97 Vgl. OLG Celle v. 27.2.2003 – 6 U 56/02 – IBR 2003, 352 (Roos). 98 Vgl. Derleder, ZWE 2004, 118; Heinemann, MittBayNot 2002, 69, 73 f. 99 Vgl. BGH v. 9.11.2000 – VII ZR 409/99 – NJW-RR 2001, 309 im Hinblick auf einen Kabelverteilerschrank. 100 Vgl. aus dem Mietrecht LG Osnabrück v. 18.6.1997 – 11 S 402/96 – WuM 1997, 431. 101 Schmid, BTR 2004, 217, 222 f.

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nahme aller Werkleistungen, die der Erwerber nicht selbst bei Bezugsfertigkeit abgenommen hat. b) In diesen Fällen, aber auch generell bei jeder die Abnahme des Gemeinschaftseigentums, muss derjenige, der die Abnahme durchführt, jedenfalls prüfen, ob das Objekt (bzw. ggf. das von ihm abzunehmende Gemeinschaftseigentum) vertragsgemäß im Sinne der einzelnen Verträge ist. Sondervereinbarungen der vorgenannten Art sind zu berücksichtigen. Andernfalls handelt es sich nicht um eine Abnahme im Sinne des § 640 BGB. Ob dies in der Praxis realisiert wird, ist höchst fraglich. Fragt man die zur Abnahme bevollmächtigten Verwalter oder Sachverständigen, wird man wahrscheinlich feststellen, dass ein entsprechender Abnahmewille häufig fehlt102. Gerade Sachverständigen wird wohl oft von vornherein nur der Auftrag zu einer technischen Prüfung des Bauwerks erteilt. Er wird auch in aller Regel nur seinen Kenntnissen entsprechend prüfen wollen, ob technische Standards bei dem vorhandenen Bauwerk eingehalten sind, und etwaige weitergehende Aufträge, insbesondere auch angesichts der damit verbundenen Haftungsrisiken, ablehnen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfrage, wann ein Objekt vertragsgemäß ist. Gewollt ist oft nur eine technische Abnahme (vgl. § 12 Nr. 2 b VOB/B). Diese ist von der Abnahme nach § 640 BGB zu unterscheiden und kann mit dieser rechtsgeschäftlichen Abnahme keinesfalls gleichgesetzt werden103. Dem Bauträger werden diese für den Verwalter oder Sachverständigen maßgeblichen Gesichtspunkte regelmäßig offensichtlich sein. Zudem ist er bei der „Abnahme“ anwesend und wird dabei meistens erkennen können und erkennen müssen, dass nur eine technische Prüfung stattfindet. Dies gilt insbesondere dann, wenn ihm bekannt ist, dass dem „Bevollmächtigten“ noch nicht einmal die einzelnen Verträge, aus denen sich Einzelabsprachen oder Nutzungsabsichten ergeben können, zugänglich gemacht sind. In solchen Fällen wird man bei Auslegung einer mit „Abnahme“ überschriebenen Erklärung aus Sicht des Bauträgers (Empfängerhorizont) schwerlich eine rechtsgeschäftliche Abnahme im Sinne des § 640 BGB annehmen können. __________ 102 Basty in Brambring/Krüger, RWS-Forum 23 Immobilienrecht 2002, 2004, S. 247, 265 ff.; ähnlich Riemenschneider in Grziwotz/Koeble, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, Teil 3, Rz. 229 ff. 103 Thode/Quack, Abnahme und Gewährleistung, 203, Rz. 166.

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Zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums

V. Ergebnis Regelungen, die auf eine einheitliche gemeinschaftliche Abnahme des Gemeinschaftseigentums zielen, begegnen sowohl rechtlichen als auch praktischen Bedenken. Sie begründen das Risiko von Abnahmedefiziten. Soweit der Erwerber nicht persönlich abnimmt, besteht die erhebliche Gefahr, dass insofern entweder überhaupt keine wirksame Abnahme stattfindet oder letztlich jedenfalls nicht alle abzunehmenden Leistungen abgenommen sind. Einem Bauträger kann nur geraten werden, auf eine individuelle Abnahme auch des Gemeinschaftseigentums zu drängen. Nimmt man Abschied von der Idee einer gemeinschaftlichen Abnahme, stellt sich die Frage nach dem Sinn der Beschränkung der bei Bezugsfertigkeit vorgesehenen Abnahme auf das Sondereigentum und das im ausschließlichen Bereich des Sondereigentums befindliche Gemeinschaftseigentum. Zu diesem Zeitpunkt sind wesentliche Teile des Gemeinschaftseigentums (z. B. Dach und Heizungsanlage) bereits abnahmefähig hergestellt, wenn man – mit § 12 Nr. 2 a VOB/B – auf in sich abgeschlossene Teile des Gemeinschaftseigentums abstellt. Mit der für diesen Zeitpunkt vorgesehenen Besitzübergabe wird das betreffende Gemeinschaftseigentum ebenso wie das Sondereigentum vom Erwerber genutzt. Es macht daher Sinn und erscheint für beide Seiten interessengerecht, dass auch hierfür die Folgen einer Abnahme eintreten. Der Vertrag sollte daher vorsehen, dass mit der Abnahme der Wohnung nach bezugsfertiger Herstellung auch das gesamte Gemeinschaftseigentum, soweit es zu diesem Zeitpunkt bereits abnahmefähig fertig gestellt ist, abzunehmen ist.

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Die Bindung des Sonderrechtsnachfolgers an die Zustimmung zu baulichen Veränderungen gem. § 22 Abs. 1 WEG Wolf-Rüdiger Bub Inhaltsübersicht I. Die Rechtsnatur der Zustimmungserklärung II. Bindung der Sonderrechtsnachfolger 1. Der Rechtsnachfolger im Grundstücksverkehr 2. Die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung 3. Kein gutgläubiger Erwerb bei baulichen Veränderungen

4. Zwischenergebnis zu II III. Die Bindung von Rechtsnachfolgern bei der Erteilung der Zustimmung in anderer Form 1. Mehrheitsbeschlüsse der Wohnungseigentümer 2. Vereinbarungen der Wohnungseigentümer 3. Erteilung der Zustimmung in einem gerichtlichen Vergleich

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG können bauliche Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, nicht gemäß § 21 Abs. 3 beschlossen werden. § 22 Abs. 1 Satz 2 gestattet vielmehr nur solche baulichen Veränderungen, denen die in ihren Rechten mehr als nur unwesentlich beeinträchtigten Wohnungseigentümer zustimmen. Der Ausschluß des für Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung maßgeblichen Mehrheitsprinzips für bauliche Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums stellt sicher, daß der einzelne Eigentümer durch dessen technische Verwaltung gegen seinen Willen nicht stärker belastet werden kann, als es für dessen Werterhaltung erforderlich ist, und daß Eingriffe in den Bestand möglichst gering gehalten werden1. Dieses Vetorecht schützt die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft in ihrem Vertrauen auf den äußeren Bestand der Wohnanlage und vor dem Risiko eines hohen, unvorhersehbaren Kostenaufwandes durch Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung __________ 1 OLG Köln OLGZ 1986, 14; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 22 WEG Rz. 3.

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und Instandsetzung hinausgehen, auch wenn sie z. B. aus architektonisch-ästhetischen Gesichtspunkten eine optische Verbesserung der Wohnanlage bewirken könnten. Wird ein Wohnungseigentümer von einer Maßnahme allerdings nicht nachteilig betroffen, so ist seine Zustimmung wegen des Fehlens eines Schutzbedürfnisses entbehrlich, sein Widerspruch wegen des Fehlens eines redlichen Eigeninteresses unbeachtlich. Die Frage, ob und inwieweit der Sonderrechtsnachfolger eines Wohnungseigentümers an die von dem Veräußerer erteilte Zustimmung zu einer baulichen Veränderung gebunden ist, ist nicht nur von großer praktischer Relevanz, sondern auch dogmatisch von besonderem Interesse, da die h. M. danach differenziert, in welcher Art die Zustimmung erteilt ist und ob von der sich hieraus ergebenden Befugnis bei Eintritt des Sonderrechtsnachfolgers in die Wohnungseigentümergemeinschaft bereits Gebrauch gemacht ist.

I. Die Rechtsnatur der Zustimmungserklärung Die Zustimmung zu baulichen Veränderungen wurde vom Gesetzgeber als individueller Realakt beeinträchtigter Wohnungseigentümer ausgestaltet, welchen der einzelne Eigentümer in eigener Kompetenz vornehmen kann. Während im übrigen Entscheidungen, welche das gemeinschaftliche Eigentum betreffen – etwa über seine Nutzung oder seine Instandhaltung und Instandsetzung – grundsätzlich einer gemeinschaftlichen Willensbildung aller oder jedenfalls der Mehrheit der Wohnungseigentümer bedürfen – und zwar durch die kollektivrechtlichen Rechtsinstitute der Vereinbarung oder des Beschlusses –, liegt die Kompetenz zur Entscheidung, mehr als nur unwesentlich beeinträchtigenden baulichen Veränderungen zuzustimmen oder nicht zuzustimmen, beim einzelnen Wohnungseigentümer. Ein Mehrheitsbeschluß ist deshalb auch dann, wenn die bauliche Veränderung nicht alle Wohnungseigentümer benachteiligt, weder erforderlich noch ausreichend2; andernfalls könnten die nicht benachteiligten Wohnungseigentümer eine nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG genehmigungsfrei zulässige bauliche Veränderung verhindern3. __________ 2 BGHZ 73, 196 (199); BayObLG ZMR 2002, 61 (63); NJW 2002, 71 f.; OLG Schleswig NZM 2002, 960 f.; Palandt/Bassenge, BGB, 64. Aufl., § 22 Rz. 12. 3 BGHZ 73, 196 (200).

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Die Bindungswirkung der Zustimmung zu baulichen Veränderungen

Ob ein Wohnungseigentümer einer baulichen Veränderung durch einen Miteigentümer zugestimmt4 und welche Bedeutung seine Zustimmung hat, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege der Auslegung festzustellen5. In Betracht kommt eine konkludente Verwahrung gegen die Teilnahme an Kosten, z. B. wenn die bauliche Veränderung im räumlichen Bereich eines Sondereigentums oder Sondernutzungsrechts im alleinigen Interesse des betreffenden Eigentümers ausgeführt wird und deshalb vom Zustimmenden nicht genutzt werden kann, aber auch, wenn sie in einem allen Wohnungseigentümern zugänglichen Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums im Interesse eines anderen oder mehrerer anderer Wohnungseigentümer ausgeführt werden soll und der Zustimmende an den Nutzungen nicht teilhaben will oder nur deshalb daran teilhat, weil er von ihnen nicht ausgeschlossen werden kann. Die Zustimmung kann aber auch bedeuten, daß sich der Zustimmende der Maßnahme im Eigeninteresse anschließen und damit an den Kosten und Nutzungen teilnehmen will. Der jeweiligen Bedeutung entsprechend ist auch die Rechtsnatur der Zustimmung zu bestimmen. Die Zustimmung zu baulichen Maßnahmen, die im Fremdinteresse durchgeführt werden, ist als Einverständnis in Rechtseingriffe durch nicht rechtsgeschäftliche Handlungen eine sog. unechte Zustimmung, also Realakt6. Entgegen der bislang h. M.7 beinhaltet die Zustimmung nicht einen rechtsgeschäftlichen Verzicht auf etwaige Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche – einen solchen einseitigen Verzicht kennt die Rechtsordnung nicht –; vielmehr kann der zustimmende Wohnungseigentümer als Rechtsfolge seiner Zustimmung keine Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend machen. Es handelt sich also nicht um eine Zustimmung i. S. der §§ 182–184 BGB zu Rechtsgeschäften, ähnelt aber der Zustimmung eines Berechtigten zur Verfügung eines Nichtberechtigten i. S. von § 185 BGB8. Die Zustimmung ist in ihrer Wirkung beschränkt auf die konkrete, vorgestellte Maßnahme; jede nicht nur unerhebliche Abweichung oder __________ 4 BayObLG WE 1999, 124; OLG Düsseldorf ZWE 2001, 224 [L]. 5 BayObLG NZM 1999, 809 f.; OLG Karlsruhe NJW-RR 1998, 1468 f.; Staudinger/ Bub, BGB, 12. Aufl., § 22 WEG Rz. 49. 6 Vgl. Schramm in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., Einf. vor §§ 182 ff. BGB Rz. 19; Staudinger/Dilcher, BGB, 13. Aufl., § 104 Rz. 2. 7 BayObLG NZM 1999, 809 f.; OLG Karlsruhe NZM 1999, 274; Schmack/ Kümmel, ZWE 2000, 433, 440. 8 Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22 Rz. 114; Weitnauer, PiG 25, 266.

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spätere Änderung ist von einer erteilten Zustimmung nicht mehr gedeckt, so daß insoweit die auf der Zustimmung beruhende Duldungspflicht entfällt9. Die Zustimmung zur Durchführung von baulichen Maßnahmen im Eigeninteresse gemeinsam mit anderen Wohnungseigentümern hat hingegen die Rechtsnatur einer verbindlichen Vertragserklärung, die auf die Durchführung, aber auch auf die Teilhabe an den Nutzungen und Kosten gerichtet, also keine einseitige Willenserklärung ist, die neben ein Rechtsgeschäft Dritter tritt, an dem der Zustimmende nicht teilnimmt. Die Zustimmung ähnelt in diesem Fall dem Vertragsbeitritt.

II. Bindung der Sonderrechtsnachfolger An die einmal erteilte Zustimmung zu einer baulichen Veränderung ist nach h. M. nicht nur der Zustimmende selbst gebunden10 – sofern die Bindungswirkung der Zustimmung nicht wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB entfällt11 –, sondern auch jeder Rechtsnachfolger, insbesondere ein Sonderrechtsnachfolger. Dies folgt nicht aus der entsprechenden Anwendung von § 10 Abs. 3 WEG auf eine individuell erklärte Zustimmung des Rechtsvorgängers12, sondern aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Wohnungseigentümer, das durch die Zustimmung gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG unmittelbar ausgestaltet wird, was sich aus dessen teleologischer Auslegung ergibt.

1. Der Rechtsnachfolger im Grundstücksverkehr Der Erwerber eines Grundstücks ist zunächst an die sich aus dem Grundbuch ergebende Rechtslage insoweit gebunden, als das Erwerbsobjekt für dort eingetragene und nicht gelöschte Belastungen dinglich __________ 9 BayObLGZ 1994, 339; MDR 1995, 569; OLG Karlsruhe NJW-RR 1998, 1468 f.; OLG Zweibrücken ZWE 2000, 95 f.; LG Bremen ZMR 2001, 149. 10 BayObLG WuM 2002, 41 [L]. 11 OLG Hamm ZWE 2002, 232 ff. z. einem beiderseitigen Irrtum darüber, daß die geplante bauliche Veränderung auch gegen den Widerstand des einzelnen Wohnungseigentümers durch Mehrheitsbeschluß genehmigt werden könne. 12 So aber Weitnauer/Lüke, Komm. z. WEG, 9. Aufl., § 22 Rz. 8 a; a. A. Schmack/ Kümmel, ZWE 2000, 433, 439: unmittelbare Anwendung von § 10 Abs. 3 WEG.

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haftet; daneben besteht eine dingliche Haftung des erworbenen Grundstücks kraft gesetzlicher Anordnung für öffentliche Lasten und Abgaben sowie nicht gezahlte Erschließungs- und Anliegerbeiträge. Der Gesetzgeber mißt dem Grundbuch im Grundstücksverkehr insoweit eine überragende Bedeutung bei. Es genießt positive wie negative Publizität: Ein eingetragenes Recht gilt ab dem Zeitpunkt seiner Eintragung als bestehend mit dem eingetragenen Inhalt, ein gelöschtes Recht gilt ab dem Zeitpunkt der Löschung als nicht bestehend13. So muß der Rechtsnachfolger etwa eine von seinem Rechtsvorgänger bestellte, jedoch nicht eingetragene Hypothek nicht gegen sich gelten lassen; er erwirbt das Grundstück oder die Eigentumswohnung lastenfrei. Auf tatsächliche Angaben erstreckt sich der öffentliche Glaube hingegen nur ausnahmsweise, etwa falls Bestandsangaben bestimmte Bodenflächen als Gegenstand des eingetragenen Rechts ausweisen14, nicht aber auf sonstige Angaben im Bestandsverzeichnis15. Persönlich übernimmt er darüber hinaus Verbindlichkeiten des Veräußerers aus schuldrechtlichen Verträgen nur, wenn er sich hierzu vertraglich – etwa im Wege der Vertrags- oder Erfüllungsübernahme – verpflichtet oder wenn die Vertragsübernahme gesetzlich angeordnet ist, wie z. B. der Eintritt in bestehende Mietverhältnisse gem § 566 BGB, in Arbeitsverhältnisse gem. § 613 a BGB bei einer mit dem Grundstückserwerb verbundenen Betriebsübernahme oder in das Grundstück betreffende Versicherungsverträge gem § 69 Abs. 2 VVG. Steht ein Grundstück im Miteigentum mehrerer, so wirkt nach § 1010 BGB auch eine von den Miteigentümern getroffene Verwaltungs- und Benutzungsregelung gegen einen Sonderrechtsnachfolger nur dann, wenn sie als Belastung im Grundbuch eingetragen ist. Gleiches gilt für Vereinbarungen zwischen Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigtem nach §§ 2, 5, 27 Abs. 1 Satz 2 oder 32 Abs. 1 Satz 2 ErbbRVO. Werden sie durch Grundbucheintragung zum Rechtsinhalt, wirken sie ohne weiteres auch für und gegen Sonderrechtsnachfolger16. Ohne Eintragung haben sie nur schuldrechtliche Wirkung zwischen den Parteien

__________ 13 14 15 16

Palandt/Bassenge, BGB, 61. Aufl. 2002, § 891 Rz. 6 f. BayObLGZ 1987, 410; Palandt/Bassenge, BGB, 61. Aufl. 2002, § 891 Rz. 6. Lutter, AcP 164, 122 (137). BGH NJW 1954, 1443; Palandt/Bassenge, BGB, 64. Aufl. 2005, § 2 ErbbRVO Rz. 1.

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und verpflichten den Sonderrechtsnachfolger nur bei vertraglicher Übernahme17. Im Wohnungseigentumsrecht schließlich können Vereinbarungen über das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander über die wechselseitigen Rechte und Pflichten innerhalb der Gemeinschaft sowie die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nach § 5 Abs. 4 WEG lediglich durch Eintragung im Grundbuch zum Inhalt des Sondereigentums gemacht werden; in diesem Fall wirken sie gem. § 10 Abs. 2 WEG auch gegen Sonderrechtsnachfolger. Soweit hiervon kein Gebrauch gemacht wird, bestimmt sich das zwischen den Wohnungseigentümern bestehende gesetzliche Schuldverhältnis (BGH NJW 1999, 2108) gem. § 10 Abs. 1 WEG primär nach den Vorschriften des WEG, also auch nach § 22 WEG.

2. Die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß die erteilte Zustimmung zu einer baulichen Veränderung auch den Sonderrechtsnachfolger bindet18. Die Interessen des Sonderrechtsnachfolgers, der sich über Zustimmungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG weder durch Grundbucheinsicht noch durch Einsicht in Beschlußniederschriften informieren kann, seien durch die Möglichkeit der Besichtigung und Befragung des Veräußerers und der übrigen Wohnungseigentümer ausreichend berücksichtigt, da er nur mit dem gegenwärtigen Zustand konfrontiert sei19; eine vom ursprünglichen baulichen Zustand abweichende äußere Gestaltung wirke daher für den Sonderrechtsnachfolger wie eine Erstherstellung20. Damit wird für eine Bindung des Rechtsnachfolgers darauf abgestellt, ob die bauliche Maßnahme zum Zeitpunkt der Rechtsnachfolge – zumindest teilweise – bereits vorgenommen ist, weil nur in

__________ 17 OLG Hamm DNotZ 1976, 534; OLG Frankfurt/Main OLGR 1998, 353. 18 BayObLGZ 1998, 32 (34); ZMR 2001, 468 f.; 2001, 640 f.; ZWE 2002, 190, 192; KG OLGZ 1989, 305; OLG Hamburg NZM 2000, 517; OLG Hamm WE 1996, 351 f.; OLG Stuttgart WuM 1999, 540 f.; Armbrüster, ZfIR 1998, 395 (398). 19 BayObLG NJW-RR 1993, 1165; Z 1998, 32 (34); OLG Düsseldorf ZMR 1997, 657 f.; OLG Hamm NJW-RR 1991, 910 f.; OLG Schleswig ZWE 2002, 138, 141; a. A. Schmack/Kümmel, ZWE 2000, 433 (440). 20 KG OLGZ 1989, 305; Briesemeister, ZWE 2004, 303 (306).

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diesem Fall der Erwerber die Baumaßnahme erkennen und zur Grundlage seiner Kaufentscheidung machen könne21. Letztere Auffassung basiert allerdings auf der unzutreffenden Annahme, daß jede beeinträchtigende bauliche Veränderung ohne weiteres sichtbar ist. Dies ist aber stets dann nicht der Fall, wenn die bauliche Veränderung innerhalb der im Sondereigentum stehenden Räume durchgeführt ist, etwa der Anschluß an einen stillgelegten Kamin. Im übrigen stellt diese Auffassung allein auf die Interessen des Erwerbers ab, ohne die des Zustimmungsempfängers einzubeziehen: Hat der bauwillige Wohnungseigentümer nämlich zum Zeitpunkt des Eigentumswechsels schon Aufträge erteilt, jedoch noch nicht mit dem Bau begonnen, könnte der Erwerber die Baumaßnahme mit der Folge verhindern, daß sich der bauwillige Wohnungseigentümer gegenüber seinen Vertragspartnern schadensersatzpflichtig macht22. Führt er die Maßnahme ohne Widerspruch des Sonderrechtsnachfolgers gar durch, etwa weil dieser die Arbeiten nicht bemerkt hat, wäre er dessen Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ausgesetzt. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen an der Fortwirkung bzw. Nichtfortwirkung der vom Veräußerer erteilten Zustimmung fällt ins Gewicht, daß der Veräußerer bei baulichen Veränderungen, die das Erwerbsobjekt nicht nur unerheblich beeinträchtigen, in aller Regel zur Aufklärung des Erwerbers über die erteilte Zustimmung verpflichtet sein wird, während der Zustimmungsempfänger meist über die Veräußerungsabsichten nicht informiert sein wird, so daß er den Erwerber nicht aufklären kann. Zudem scheint das gefundene Ergebnis eher zufällig und streitanfällig in bezug auf die Frage, wie weit die Maßnahme fortgeschritten sein muß, um eine Duldungspflicht des Erwerbers zu begründen. Pragmatische Gründe sprechen also dafür, die Bindung des Sonderrechtsnachfolgers an die vom Veräußerer erteilte Zustimmung auch dann zu bejahen, wenn die betreffende Maßnahme im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge noch nicht durchgeführt war, der Erwerber von der Zustimmung keine Kenntnis hat und deshalb von einem unveränderten Bauzustand ausgeht23. __________ 21 BayObLG NZM 1998, 524; NJW-RR 2003, 952; OLG Düsseldorf NZM 1998, 78 f.; OLG Schleswig NZM 2001, 1035, 1037; ebenso Engelhardt in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 2004, § 22 WEG Rz. 8. 22 Niedenführ, NZM 2001, 1105, 1107. 23 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 22 WEG Rz. 53; Niedenführ, NZM 2001, 1105, 1107.

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Ausschlaggebend ist aber – insbesondere mit Blick auf die Nagelprobe des Erwerbs durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung –, daß die Zustimmung aller benachteiligten Wohnungseigentümer bereits mit Zugang bei dem bauwilligen Miteigentümer dessen Unterlassungspflicht erlischt und ein Recht auf Vornahme mit der Folge entsteht, daß die beabsichtigte Maßnahme rechtmäßig ist. Erhellend ist insoweit ein Vergleich mit dem Recht des Überbaus: Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut, so hat der Nachbar den Überbau gem. § 912 BGB nur dann zu dulden, wenn dem Überbauenden weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen, andernfalls steht dem Eigentümer des Nachbargrundstücks ein Beseitigungsanspruch zu24. Hat der Nachbar dem Überbau zugestimmt – ein gesetzlich nicht geregelter Fall –, so kann er nach der hierzu entwickelten Rechtsprechung die Beseitigung des Überbaus allein deshalb nicht verlangen, weil der Überbauende entschuldigt, nämlich weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat25. Der durch den Überbau geschaffene Zustand wird gleichwohl vom Gesetz mißbilligt, da er einen Eingriff in einen fremden Rechtskreis darstellt, weshalb der Überbauende gem. § 912 Abs. 2 BGB an seinen Nachbarn eine Entschädigung zu zahlen hat. Der Sonderrechtsnachfolger des zustimmenden Nachbarn ist grds. nicht an die nur schuldrechtlich wirkende Zustimmung seines Vorgängers gebunden, es sei denn, daß die Rechte aus ihr durch eine im Grundbuch eingetragene Grunddienstbarkeit gesichert sind. Deshalb wird der Überbau ihm gegenüber rechtswidrig und er kann dem noch nicht ausgeführten Überbau widersprechen26. Ist dagegen der Überbau bereits durchgeführt worden, so ist nach Rechtsprechung und Literatur § 912 BGB analog heranzuziehen: Der Sonderrechtsnachfolger hat den Überbau zu dulden und kann ihm nicht mehr widersprechen, da ein solcher Widerspruch zu spät käme. Als Konsequenz der Duldungspflicht steht aber jetzt auch ihm ein Anspruch auf Zahlung einer Überbaurente zu27. Anders verhält es sich mit einer baulichen Veränderung gem. § 22 Abs. 1 WEG: Die gesetzlich vorgesehene, an keine Form gebundene Zu__________ 24 25 26 27

BGH NJW 2003, 3621; Palandt/Bassenge, BGB, 61. Aufl. 2002, § 912 Rz. 16. BGH NJW 1983, 1112. Staudinger/Roth, BGB, 12. Aufl., § 912 Rz. 69. BGH NJW 1983, 1112.

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stimmung führt nicht lediglich dazu, daß der veränderungswillige Wohnungseigentümer entschuldigt handeln würde, vielmehr wird durch die mit Zustimmung der beeinträchtigten Miteigentümer ausgeführte bauliche Veränderung kein rechtlich mißbilligter, sondern ein rechtmäßiger Zustand geschaffen. Die Zustimmung des beeinträchtigten Miteigentümers nimmt der baulichen Veränderung – anders als beim lediglich entschuldigten Überbau – den Charakter eines Eingriffs in einen fremden Rechtskreis, was das Gesetz dadurch dokumentiert, daß es von jeglicher Entschädigung absieht. § 22 WEG ist auf die Erleichterung baulicher Veränderungen ohne strikte Bindung an das Einstimmigkeitsprinzip gerichtet28. Für die Zulässigkeit von baulichen Veränderungen ist deshalb allein entscheidend, ob ein Wohnungseigentümer durch Maßnahmen eines Miteigentümers beeinträchtigt ist. Wird ein Wohnungseigentümer von einer Maßnahme nicht nachteilig betroffen, so ist seine Zustimmung wegen des Fehlens eines Schutzbedürfnisses entbehrlich, sein Widerspruch wegen Fehlens eines redlichen Eigeninteresses unbeachtlich29. Wird er durch eine Maßnahme hingegen beeinträchtigt und stimmt dieser gleichwohl zu, ist er ebenfalls nicht schutzbedürftig. § 22 WEG normiert keinerlei Formen und Fristen für die Zustimmung des beeinträchtigten Wohnungseigentümers; schon hieraus folgt ohne weiteres, daß die an dem Zustimmungsvorgang beteiligten Wohnungseigentümer ihre auf dem gesetzlichen Schuldverhältnis beruhenden bilateralen Rechtsbeziehungen unmittelbar insoweit ändern, als der zustimmende Wohnungseigentümer zur Duldung der Maßnahme verpflichtet ist. Der Sonderrechtsnachfolger tritt aber in das gesetzliche Schuldverhältnis mit dem in diesem Zeitpunkt gültigen Inhalt ein. Da eine bauliche Veränderung schon mit Erteilung der Zustimmung in vollem Umfang rechtmäßig wird30 – der beeinträchtigte Eigentümer hat sich durch die Zustimmung seiner Abwehrrechte ausdrücklich begeben –, kann hinsichtlich der Bindung des Sonderrechtsnachfolgers – anders als beim Überbau – nicht darauf abgestellt werden, ob sie zum Zeitpunkt des Eintritts des Erwerbers in die Gemeinschaft schon zumindest teilweise ausgeführt war. Die von der Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung findet auch keine dogmatische Grundlage: __________ 28 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 22 WEG Rz. 4. 29 BGHZ 73, 196 (199); Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22 WEG Rz. 3, 121. 30 BayObLG NJW-RR 1991, 1041; Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Aufl., § 242 Rz. 570.

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Soll nämlich nach dem Normzweck des § 22 Abs. 1 WEG die einmal rechtmäßig ausgeführte bauliche Veränderung aufgrund der erteilten Zustimmung rechtlichen, dauerhaften Bestandsschutz ohne Rücksicht auf die jeweilige Zusammensetzung der Wohnungseigentümergemeinschaft genießen – verneinte man dies, könnte jeder Sonderrechtsnachfolger verlangen, daß alle durchgeführten baulichen Veränderungen rückgängig zu machen sind –, so gibt es keinen Grund, diese Wirkungen nicht schon mit Zugang der Zustimmung eintreten zu lassen, sondern erst später; träfe diese Annahme zu, so wären – argumentum ad absurdum – alle Vorbereitungsmaßnahmen bis zum sichtbaren Beginn der Arbeiten rechtswidrig. Der in der obergerichtlichen Rechtsprechung häufig zitierte Satz, der Erwerber eines Wohnungseigentums könne nicht mehr Rechte haben, als dem Veräußerer zustanden31, ist in dieser Allgemeinheit zwar unzutreffend – an nicht eingetragene Vereinbarungen ist der Erwerber aufgrund der vom Gesetzgeber in § 10 Abs. 2 WEG getroffenen Entscheidung anders als der Veräußerer gerade nicht gebunden –, zutreffend jedoch für die individualrechtliche Beziehung zwischen dem veränderungswilligen Wohnungseigentümer und dem zustimmenden Miteigentümer: Sofern zur Einwirkung auf die Rechtslage das (rechtsgeschäftliche) Handeln des Einzelnen genügt, ohne daß – wie bei Mehrheitsbeschlüssen oder Vereinbarungen – Handlungen der übrigen Wohnungseigentümer hinzutreten müssen, um einen Gesamtrechtsakt zu bilden, hat der Rechtsnachfolger des Voreigentümers mangels besonderer gesetzlicher Bestimmungen keine weitergehenden Rechte, als diesem zuletzt zustanden. Auf Seiten des Schuldners, vorliegend also des ausbauenden Eigentümers, der bei fehlender Zustimmung je individuellen Beseitigungsansprüchen seiner Miteigentümer32 ausgesetzt wäre, ist dieser Sukzessionsschutz auch Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, der im Recht der Abtretung seine Ausprägung in den §§ 404 ff. BGB gefunden hat, daß ein Wechsel des Gläubigers seine Rechtsposition nicht beeinträchtigen soll, sofern nicht das Gesetz ausdrücklich etwas anderes bestimmt, wie etwa in den Regelungen des BGB zum gutgläubigen Erwerb __________ 31 OLG Köln ZMR 1998, 459; OLG Stuttgart ZMR 1998, 803 f.; OLG Zweibrücken FGPrax 2001, 183 f. 32 KG ZMR 2000, 557 f.: Beseitigungsansprüche kann jeder Eigentümer individuell ohne ermächtigenden Beschluß der übrigen Eigentümer geltend machen; BayObLG ZMR 2000, 775 f.; KG NZM 2002, 868 z. Unterlassungsansprüchen.

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oder im Wohnungseigentumsrecht in § 10 Abs. 2 WEG, der nicht eingetragene Vereinbarungen dem Erwerber gegenüber unwirksam werden läßt. Hinzu kommt, daß der Erwerber üblicherweise nach dem Kaufvertrag das Wohnungseigentum übernimmt, wie es in einer bestimmten Wohnanlage steht und liegt33.

3. Kein gutgläubiger Erwerb bei baulichen Veränderungen Der öffentliche Glaube des Grundbuchs steht der Bindung des Rechtsnachfolgers an eine – nicht aus dem Grundbuch ersichtliche – Zustimmung seines Rechtsvorgängers nicht entgegen. Zwar reicht im Wohnungseigentumsrecht der Umfang des Gutglaubensschutzes des Grundbuchs weiter als im sonstigen Grundstücksrecht und umfaßt partiell auch den guten Glauben an das Vorhandensein eines bestimmten Bauzustandes. Durch die Bezugnahme im Grundbuch wird nämlich auch der Aufteilungsplan Teil des Bestandsverzeichnisses und damit Inhalt des Wohnungsgrundbuchs selbst34. Hinsichtlich des Umfangs des Gutglaubensschutzes ist jedoch seine Funktion zu berücksichtigen: Der Aufteilungsplan soll sicherstellen, daß dem Bestimmtheitsgrundsatz des Sachen- und Grundbuchrechts Rechnung getragen wird; durch ihn wird festgelegt, welche Räume nach der Teilungserklärung zu welchem Sondereigentum gehören und wo die Grenzen der im Sondereigentum stehenden Räume untereinander sowie gegenüber dem gemeinschaftlichen Eigentum verlaufen35. Ein Erwerber soll deshalb darauf vertrauen können, daß die tatsächliche Bauausführung, soweit es sich um die Abgrenzung von Sondereigentum und gemeinschaftlichem Eigentum und der Sondereigentumseinheiten untereinander handelt, dem Aufteilungsplan entspricht. Weicht sie in nicht unwesentlichem Umfang von diesem ab, etwa wenn eine Trennwand zwischen einer Wohnungseigentumseinheit und zum gemeinschaftlichen Eigentum zählenden Räumen gegenüber dem Grundbuchinhalt in wesentlichem Umfang verschoben ist, so besteht ein Anspruch des benachteiligten Wohnungseigentümers gegen den bevorzugten dahingehend, daß dieser die Anpassung der Bauausführung an die im Grundbuch eingetragenen Grenzen des Sondereigentums duldet36. Aufgrund seiner Funktion, eine klare Abgrenzung __________ 33 BayObLG NJW-RR 1991, 1041; vgl. KG OLGZ 1987, 410 (415); 1989, 305 (307 f.). 34 BayObLG NZM 2003, 202; OLG Köln NJW-RR 1993, 204. 35 BayObLG DNotZ 2000, 205 (207). 36 KG NZM 2001, 1127; vgl. auch BayObLG NZM 1998, 973.

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der Sondereigentumseinheiten untereinander und von Sonder- und Gemeinschaftseigentum zu ermöglichen, genießt der Aufteilungsplan auch allein insoweit öffentlichen Glauben37, nicht jedoch hinsichtlich der Bauausführung im übrigen38. Auf tatsächliche Umstände – etwa die Erteilung der Zustimmung zu einer baulichen Veränderung und deren Durchführung – erstreckt sich die Vermutung der Grundbuchrichtigkeit des § 891 BGB und der öffentliche Glaube des Grundbuchs gem. § 892 BGB nicht39.

4. Zwischenergebnis zu II Die Frage, an welche Grundordnung der Sonderrechtsnachfolger eines Wohnungseigentümers gebunden ist, wurde bislang allein unter dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 2 und 3 WEG beantwortet: Bestandskräftige Beschlüsse wirken gegen ihn, Änderungen der im Grundbuch eingetragenen Vereinbarung nur, wenn auch sie im Grundbuch eingetragen sind. Demgegenüber führte die in ihren Auswirkungen möglicherweise deutlich einschneidendere Zustimmung zu baulichen Veränderungen ein Schattendasein. Diese bindet nämlich den Sonderrechtsnachfolger, ohne daß deren Vorhandensein in irgendeiner Form dokumentiert sein müßte.

III. Die Bindung von Rechtsnachfolgern bei der Erteilung der Zustimmung in anderer Form In Rechtsprechung und Literatur ist unbestritten, daß die Zustimmung zu baulichen Veränderungen nicht allein durch individuellen Willensakt der je einzelnen Wohnungseigentümer erteilt werden muß, sondern daß sie – erst recht – auch durch kollektiven Willensakt der Wohnungseigentümer erteilt werden kann.

1. Mehrheitsbeschlüsse der Wohnungseigentümer Wird die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung durch Mehrheitsbeschluß erteilt, folgt die Bindung des Rechtsnachfolgers aus § 10 __________ 37 BayObLG Rpfleger 1980, 294 f.; DNotZ 1980, 747; OLG Karlsruhe DNotZ 1973, 236. 38 OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 590. 39 BGH NJW-RR 1999, 1214 (1216); BayObLGZ 1987, 410 f.; OLG Oldenburg Rpfleger 1992, 387; Demharter, Komm. z. GBO, 24. Aufl., § 2 Rz. 26.

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Abs. 3 WEG. Dies gilt auch für den Fall, daß eine bauliche Veränderung ohne Beschluß vorgenommen, jedoch nachträglich durch Mehrheitsbeschluß genehmigt wird40. Wurde die Zustimmung allerdings vor Entstehen der – ggf. werdenden – Wohnungseigentümergemeinschaft beschlossen, kommt eine Bindung der Sonderrechtsnachfolger nicht in Betracht41; auf eine solche Zustimmung kann § 10 Abs. 3 WEG nicht analog angewendet werden, da vor Entstehen der Eigentümergemeinschaft keine Mehrheitsbeschlüsse gefaßt werden können. Die Bindung des Rechtsnachfolgers an eine durch Mehrheitsbeschluß erteilte Zustimmung ist nicht – wie bei der je individuell erteilten Zustimmung – Folge des Eintritts des Erwerbers in eine fremde Rechtsposition, sondern Folge der verdinglichten Wirkung von Eigentümerbeschlüssen. Durch die Anordnung des Mehrheitsprinzips als Grundsatz für die Entscheidungsfindung in der Eigentümergemeinschaft hat der Gesetzgeber dem Gemeinschaftsinteresse aller Eigentümer Vorrang vor dem Individualinteresse des einzelnen Eigentümers eingeräumt, da die Entscheidungen der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht notwendig deckungsgleich mit den Interessen ihrer sämtlichen Mitglieder sind42. Die autonome Selbstbestimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft wird erst durch die – vom Gesetzgeber angeordnete – Unterwerfung der Minderheit unter den Mehrheitswillen konstituiert. Mit Eintritt in die Eigentümergemeinschaft, also seiner Eintragung in das Grundbuch, tritt der Erwerber auch in diese auf Beschluß beruhenden Bindungen ein. Ob sein Rechtsvorgänger einem gefaßten Mehrheitsbeschluß zugestimmt oder ob er sich gegen ihn ausgesprochen hat, ist insoweit ohne Belang. Daß ein Rechtsnachfolger an eine durch Mehrheitsbeschluß erteilte Zustimmung zu einer baulichen Veränderung gebunden ist, setzt sub specie der Beschlußkompetenz der Eigentümerversammlung allerdings voraus, daß ein solcher zulässig ist. Insoweit ist in Rechtsprechung und Literatur ganz einhellig anerkannt, daß ein Mehrheitsbeschluß über die Durchführung baulicher Veränderungen, die Zustimmung hierzu oder deren nachträgliche Genehmigung43 zwar – soweit nicht in der Ge__________ 40 BayObLG ZWE 2000, 577 ff.; Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22 WEG Rz. 247. 41 OLG Frankfurt FGPrax 1997, 54. 42 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 25 WEG Rz. 76. 43 OLG Köln ZWE 2000, 591 z. Versuch, einen rechtskräftigen Beseitigungstitel außer Kraft zu setzen.

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meinschaftsordnung ausdrücklich zugelassen – nicht das vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsinstrument ist, u. U. auch anfechtbar, aber in aller Regel nicht nichtig ist44, so daß er nach Ablauf der Anfechtungsfrist bestandskräftig und bindend wird und nur auf Anfechtung für ungültig zu erklären ist. § 22 Abs. 1 WEG schafft nämlich eine grundsätzliche Beschlußkompetenz der Wohnungseigentümer, weil bauliche Veränderungen zwar, wenn auch nicht nach § 21 Abs. 3 WEG mehrheitlich, so aber doch „beschlossen“ werden können45. Die nach § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Einstimmigkeit ist nicht schon eine Frage des rechtlichen Könnens, also der Beschlußkompetenz, sondern eine solche des rechtlichen Dürfens46, also einer möglichen Anfechtbarkeit des Beschlusses, so daß der konkrete Regelungsgegenstand einem Beschluß zugänglich ist. Maßnahmen, welche über eine ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung hinausgehen, dürfen somit im Grundsatz zwar nicht beschlossen werden. Da aber die Frage, ob eine Maßnahme noch ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht und somit § 21 WEG unterfällt, oder schon dem Anwendungsbereich des § 22 WEG zugerechnet werden muß, in welchem keine Beschlußfassung vorgesehen ist, von den Umständen des Einzelfalls abhängt, kann die Beschlußzuständigkeit nicht davon abhängen, ob eine Maßnahme ordnungsmäßig ist. Die Ordnungsmäßigkeit ist, was der Jubilar in seinen grundlegenden Ausführungen zur Beschlußkompetenz der Eigentümerversammlung zutreffend entwickelt hat, nicht kompetenzbegründend47. Im Bereich der baulichen Veränderungen ist also nicht zusätzlich danach zu differenzieren, ob die vorgesehene Maßnahme einen Bezug zur Instandhaltung oder Instandsetzung hat oder schlicht der Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums dient, weil der Begriff der baulichen Veränderungen sämtliche Maßnahmen umfaßt die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums in Abweichung vom Zustand bei Entstehung des Wohnungseigentums oder nach Vornahme früherer zulässiger baulicher Veränderungen hinausgehen48. __________ 44 BayObLG NZM 2001, 133 f.; OLG Köln NZM 2002, 454 f.; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 22 WEG Rz. 43; Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22 WEG Rz. 244; Gottschalg, NZM 2001, 729 (730); Niedenführ, NZM 2001, 1105 (1109). 45 BayObLG NZM 2001, 133 f.; Wenzel, ZWE 2000, 2 (5). 46 Buck, WE 1998, 90 (92). 47 Wenzel, ZWE 2000, 2 (5); a. A. Häublein, ZMR 2000, 423 (429). 48 Weitnauer/Lüke, Komm. z. WEG, 8. Aufl., § 22 Rz. 4.

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Der Grundsatz der bloßen Anfechtbarkeit gefaßter Beschlüsse, die mangels Anfechtung auch für den Sonderrechtsnachfolger Verbindlichkeit erlangen, gilt allerdings nicht unbeschränkt. Er greift nicht ein, sofern der Beschluß auch eine von § 16 Abs. 3 WEG abweichende Kostenregelung enthält, welche die Kosten einer baulichen Veränderung allen Eigentümern, auch den nicht zustimmenden, auferlegt. Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, ein von den gesetzlichen Vorgaben abweichender Beschluß zu den Kostenfolgen einer baulichen Veränderung sei möglicherweise anfechtbar, nicht aber nichtig49. Wenn nämlich die Wohnungseigentümer in einem konkreten Einzelfall die Anwendung eines Kostenverteilungsschlüssels beschlössen, der § 16 Abs. 3 WEG widerspricht, so würden sie lediglich gegen das Gesetz verstoßen, ohne die gesetzlichen Vorgaben abzudingen. Der Verwalter solle bei der Beschlußfassung über eine bauliche Veränderung deshalb auch auf die Klärung der Finanzierung der beschlossenen Maßnahmen achten50. So könnten auch die nicht zustimmenden Wohnungseigentümer deren finanzielle Folgen ersehen und eventuell ihre Haltung überprüfen. Diese Auffassung ist, wie der Jubilar nachgewiesen hat51, unzutreffend. Sie beruht nämlich auf der falschen Annahme, die Regelungsgegenstände, über welche die Wohnungseigentümer Beschluß fassen dürfen, und solche, bei welchen eine Vereinbarung erforderlich ist, seien derart voneinander abzugrenzen, ob konkret individuell ein Einzelfall geregelt oder abstrakt generell eine Dauerregelung getroffen werde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch eine konkret-individuelle Einzelfallregelung kann eine Änderung gesetzlicher oder vereinbarter Bestimmungen beinhalten. Entscheidend ist, ob es sich nicht nur um eine bloße Maßnahme, sondern im Rechtssinn um eine Regelung des Verhältnisses der Wohnungseigentümer untereinander handelt. Eine solche liegt vor, wenn die Wirkung der Entscheidung sich nicht in ihrem Vollzug erschöpft, sondern die Legitimierung weiterer Entscheidungen zum Ziel hat, der Beschluß also im Grundordnungsverhältnis der Eigentümer neues Recht setzen will und die Wohnungseigentümer für eine oder mehrere künftige Entscheidungen binden soll52. __________ 49 50 51 52

Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 4. Aufl. Rz. 414. Briesemeister, ZWE 2004, 302 (306). Wenzel, Immobilienrecht 2002, 23 (30). Wenzel, Immobilienrecht 2002, 23 (30); Merle, ZWE 2001, 342 (343).

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Gemessen an diesen Grundsätzen verstößt ein Beschluß, der die Kostentragung aller Wohnungseigentümer für eine bauliche Veränderung ausdrücklich – z. B. nach Miteigentumsanteilen – oder konkludent – durch Zahlung aus der Instandhaltungsrückstellung – anordnet, nicht nur gegen § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG, was zur Anfechtbarkeit wegen Gesetzwidrigkeit führte53, sondern bedingt auch § 16 Abs. 3 WEG zu Lasten der dem Beschluß nicht zustimmenden Wohnungseigentümer ab und ist daher nichtig54. Er ist nicht als bloße „Einzelfallregelung“ lediglich anfechtbar, da er sich, soweit er nicht die Durchführung der baulichen Veränderung, sondern die Kostentragungspflicht betrifft, nicht in der beschlossenen einzelnen Maßnahme erschöpft, sondern weitere Entscheidungen der Wohnungseigentümer, nämlich die Verteilung der Kosten in der Abrechnung, begründen soll. Der Beschluß zu den Kostenfolgen zielt darauf ab, die Anfechtbarkeit der Abrechnung bei einer Kostenverteilung entgegen § 16 Abs. 3 WEG zu verhindern und dient somit der Legitimierung weiterer Entscheidungen der Eigentümer. Diese sollen an die vom maßgebenden Kostenverteilungsschlüssel abweichend beschlossene Kostenverteilung gebunden sein. Ein solcher Beschluß ist nichtig und auch für den Rechtsnachfolger unbeachtlich. Die Nichtigkeit der § 16 Abs. 3 WEG abbedingenden Kostenregelung wird in der Regel gem. § 139 BGB den gesamten Beschluß erfassen, sofern nicht festgestellt werden kann, daß die zustimmenden Eigentümer ihn auch ohne Kostenbeteiligung der nicht zustimmenden Eigentümer gefaßt hätten55.

2. Vereinbarungen der Wohnungseigentümer Reicht ein Mehrheitsbeschluß für die Erteilung der Zustimmung zu einer baulichen Veränderung aus, so ist erst recht auch eine Vereinbarung hierzu möglich. Wird einem oder mehreren Wohnungseigentümern die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung als Teil einer Vereinbarung erteilt, so setzt allerdings die Bindung des Sonderrechtsnachfolgers an die Vereinbarung nach § 10 Abs. 2 WEG grds. deren Eintragung im Grundbuch voraus. Die Gemeinschaftsordnung, der Vereinbarungen der Wohnungseigentümer gleichstehen, konstituiert die Ver__________ 53 OLG Schleswig NZM 2002, 960 (962). 54 Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22 WEG Rz. 250, 255; Palandt/Bassenge, a. a. O. § 22 WEG Rz. 29; Wenzel, ZWE 2001, 226 (236); Merle, ZWE 2001, 342 (344). 55 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 16 WEG Rz. 263.

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fassung der Eigentümergemeinschaft und formt den Inhalt des Sondereigentums aus. Ein Eingriff in diese Grundordnung der Gemeinschaft und damit in das grundrechtlich geschützte Eigentum soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur unter Wahrung des Publizitätsprinzips, also seiner für jedermann ersichtlichen Dokumentation in einem öffentlichen Register möglich sein. Hinsichtlich der Wirkung einer nicht eingetragenen Vereinbarung im Verhältnis zu einem Sonderrechtsnachfolger ist allerdings zu differenzieren: Für einen Sonderrechtsnachfolger wirkt eine Vereinbarung auch ohne Eintragung, so daß ihn begünstigende Regelungen erhalten bleiben56; gegen den Sondernachfolger – also zu seinem Nachteil – wirkt sie hingegen nicht, so daß sie insgesamt hinfällig wird. Ab dem Zeitpunkt des Eintritts des nicht in dieser Weise gebundenen Eigentümers in die Gemeinschaft fehlt es nämlich an der allseitigen Willensübereinstimmung, die allein Grundlage einer Vereinbarung sein kann57. Eine Sonderrechtsnachfolge auf Seiten des durch die Vereinbarung begünstigten Wohnungseigentümers, also jenes Eigentümers, dem die Vornahme einer baulichen Veränderung gestattet wurde, hat auf den Bestand der Vereinbarung mithin keinen Einfluß. Tritt aber ein Sonderrechtsnachfolger anstelle eines Eigentümers in die Gemeinschaft ein, welcher der baulichen Veränderung zugestimmt und dadurch das Recht verloren hat, von seinem Miteigentümer deren Unterlassung bzw. Beseitigung zu verlangen, so soll ihn die Vereinbarung nach h. M. nur binden, wenn er in sie rechtsgeschäftlich eintrete, was die Kenntnis der Vereinbarung und einen rechtsgeschäftlichen Eintrittswillen voraussetze58. Vereinbarungen über bauliche Veränderungen vor Entstehen der Eigentümergemeinschaft binden den Sonderrechtsnachfolger ebenfalls nicht59. Die Folge dieser Rechtsauffassung – nämlich die Pflicht zur entschädigungslosen Beseitigung der baulichen Veränderung durch den auf die Vereinbarung vertrauenden Wohnungseigentümer – hat eine Reihe von Überlegungen zur Vermeidung dieses Ergebnisses auf den Plan gerufen. Eine gegenüber Sonderrechtsnachfolgern unverbindliche Vereinbarung __________ 56 BayObLG NZM 2003, 3212 f.; OLG Düsseldorf NZM 2001, 530; OLG Hamm NZM 1998, 873. 57 BayObLG NZM 2003, 321; OLG Köln NZM 2001, 1135 unter Aufgabe von WuM 1997, 637; Müller, ZMR 2000, 473 f.; Wenzel, NZM 2003, 217, 220; offen gelassen von BGH NJW 2000, 3500 ff. 58 OLG Hamm WE 1997, 32 f. 59 KG ZMR 2001, 656.

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wird aber auch nicht dadurch rechtsnachfolgefest, daß in sie – argumentum a maiore ad minus – ein Mehrheitsbeschluß hineininterpretiert oder sie in einen solchen umgedeutet wird. Mit dem Problem der Abgrenzung von Vereinbarung und Mehrheitsbeschuß und der Auslegung, welches Rechtsinstitut die Wohnungseigentümer im Einzelfall gewählt haben, hatte sich die Rechtsprechung zumeist in umgekehrter Konstellation zu befassen: Die Wohnungseigentümer fassen allstimmig einen Beschluß in einer Angelegenheit, zu welcher ihnen die Beschlußkompetenz fehlt, so daß der Beschluß nichtig ist. Die überwiegende Rechtsprechung hat solche allstimmigen Beschlüsse – etwa zur Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels60 oder zur Änderung des Inhalts eines Sondernutzungsrechts61 – als Vereinbarungen ausgelegt. Eine Vermutung spreche dafür, daß die Wohnungseigentümer die rechtliche Form wählen, die für ihre Willensentscheidung vorgesehen ist62. Abzustellen sei deshalb nicht auf die äußere Form – z. B. den Wortlaut beschließen oder die Überschrift Vereinbarung – sondern allein auf den Inhalt der Regelung63. Ein allstimmiger Beschluß sei deshalb in Angelegenheiten, in welchen den Eigentümern die Beschlußkompetenz fehlt, weil er gesetzliche Regelungen abbedingt oder die Gemeinschaftsordnung abändert, als Vereinbarung auszulegen bzw. in eine solche umzudeuten64. Wenn die Regelung hingegen einem Mehrheitsbeschluß grds. zugänglich sei, so liege ein allstimmiger Beschluß vor. Da die Zustimmung zu baulichen Veränderungen grds. auch durch – ggf. anfechtbaren – Mehrheitsbeschluß erteilt werden kann, läge es im Licht dieser Rechtsprechung nahe, nicht eingetragene Vereinbarungen, die mit Eintritt des ersten Sonderrechtsnachfolgers hinfällig wären, als allstimmige Mehrheitsbeschlüsse aufrecht zu erhalten. Der Jubilar ist dieser in der obergerichtlichen Judikatur herrschenden Auffassung, welche eine Regelung in die jeweils passende Regelungsform umdeutet, zu Recht entgegengetreten65: Die rechtliche Einordnung einer Regelung kann nicht danach erfolgen, ob die konkrete Wahl der Regelungsform auch geeignet ist, das Regelungsziel zu erreichen, oder __________ 60 61 62 63

OLG Düsseldorf NZM 2001, 530. BayObLG NZM 2001, 529. OLG Zweibrücken WE 1997, 234 f. BayObLG NZM 2001, 529; 2002, 747; OLG Düsseldorf NZM 2001, 530; OLG Zweibrücken WE 1997, 32. 64 Offen gelassen von BGH NZM 2002, 788 (791); a. A. OLG Köln NJW-RR 1992, 598; Schuschke, NZM 2001, 497 (Fn. 25). 65 Wenzel, NZM 2003, 217 ff.

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ob die Wohnungseigentümer hierfür die falsche Form gewählt haben. Vom Regelungsziel kann nicht auf die Regelungsform geschlossen werden. Haben die Wohnungseigentümer eine Regelung als Vereinbarung oder Beschluß bezeichnet, ist i. d. R. davon auszugehen, daß dies auch die von den Eigentümern gewünschte Regelungsform ist. Maßgebend ist insoweit allein der bei Beschluß/Vereinbarung bestehende objektive Erklärungswille der Wohnungseigentümer66. Eine Umdeutung ex post kommt somit nicht in Betracht. Allerdings wird die Umdeutung einer Vereinbarung in einen rechtsnachfolgefesten Mehrheitsbeschluß zumeist ohnehin daran scheitern, daß die elementaren formalen Anforderungen an das Zustandekommen eines Beschlusses nicht erfüllt sind, etwa die Ladung zu einer Eigentümerversammlung und die Beschlußfeststellung durch den Versammlungsleiter. Angelegenheiten, über die die Wohnungseigentümer durch Beschluß entscheiden können, werden nach § 23 Abs. 1 WEG in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet. Fehlt es an einer solchen, kann auch kein Beschluß gefaßt werden67. Lösung: Die Frage, ob eine Vereinbarung mit Eintritt eines Sonderrechtsnachfolgers hinfällig wird, stellt sich allerdings nicht, wenn sie in diesem Zeitpunkt vollständig erfüllt ist, so daß den Sonderrechtsnachfolger aus ihr keine Pflichten mehr treffen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn sich der bauwillige Wohnungseigentümer verpflichtet hat, für die Erteilung der Zustimmung eine Gegenleistung zu erbringen, etwa eine Zahlung in die Instandhaltungsrückstellung. Eine solche Vereinbarung wird mit Erteilung der Zustimmung einerseits und mit der Zahlung andererseits vollständig erfüllt. Daß die Zustimmung zur dauerhaften Duldung der baulichen Veränderung verpflichtet, steht dem nicht entgegen, weil es sich bei dieser Pflicht lediglich um eine selbstverständliche Rechtsfolge der Zustimmung handelt, vergleichbar mit der Pflicht eines Wohnungseigentümers, der ein ihm zustehendes Sondernutzungsrecht auf einen anderen Wohnungseigentümer überträgt, diesen künftig bei dieser Sondernutzung nicht zu stören. Für diese Lösung streitet auch das argumentum a fortiori; die aufgrund einer Gegenleistung erteilte Zustimmung kann nicht anders beurteilt werden als die aus Kulanz ohne Gegenleistung erteilte. __________ 66 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 23 WEG Rz. 163. 67 BayObLG NZM 2003, 199 z. Abschluß einer Vereinbarung bei einem „zwanglosen Zusammentreffen der Eigentümer“.

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Problembehafteter erscheint auf den ersten Blick eine Vereinbarung, die nicht vollständig erfüllt ist, z. B. wenn die Nachteile der baulichen Veränderung durch in Zeitabschnitten zu zahlende Nutzungsentgelte oder durch eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels ausgeglichen werden sollen. Die Verbindlichkeit einer solchen Regelung für einen Sonderrechtsnachfolger eines Wohnungseigentümers, der einer baulichen Veränderung zugestimmt hat, folgt ohne weiteres daraus, daß sie für ihn ausschließlich Vorteile bringt, zumal da die Gegenleistung – Erteilung der Zustimmung – vom Rechtsvorgänger bereits vollständig erbracht ist. Allenfalls der Sonderrechtsnachfolger des Zustimmungsempfängers könnte sich den weiteren Leistungen unter Berufung auf die Unverbindlichkeit entziehen; was aber in der Praxis wegen der Gefahr, die Beseitigung der baulichen Veränderung dulden zu müssen, die absolute Ausnahme bleiben wird; jedenfalls ist bis heute eine solche Fallkonstellation nicht publik geworden. Die im Wege der Vereinbarung erteilte Zustimmung ist also gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG ebenso verbindlich wie die formlos erteilte Zustimmung.

3. Erteilung der Zustimmung in einem gerichtlichen Vergleich Die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung, die von einem Wohnungseigentümer bereits vorgenommen wurde oder deren Durchführung geplant ist, kann auch im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs – etwa in einem Verfahren, das auf Beseitigung der baulichen Veränderung oder auf Unterlassung von deren Vornahme gerichtet ist, erteilt werden. Ein Vergleich ist – wie im Zivilrecht – ein Prozeßvertrag mit einer Doppelnatur: Er stellt sowohl ein das Rechtsverhältnis der Parteien zueinander regelndes materielles Rechtsgeschäft als auch eine Verfahrenshandlung mit dem Ziel der Verfahrensbeendigung dar68. Für die durch oder aufgrund Prozeßvergleich erteilte Zustimmung gilt deshalb nichts anderes als für die durch oder aufgrund Vereinbarung erteilte (s. Ziff. 2). Z. T. wird eine Bindung auch der Sonderrechtsnachfolger mit der unzutreffenden Begründung bejaht, ein solcher könne nicht mehr Rechte erwerben, als seinem Rechtsvorgänger zustanden69. Diese Erwägung, __________ 68 BayObLG NJW-RR 1990, 594 (596); KG ZWE 2001, 612. 69 OLG Zweibrücken ZMR 2001, 734.

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die sich in zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen findet70, ist allein in der bilateralen Beziehung zwischen Sonderrechtsnachfolger und Rechtsvorgänger zutreffend (s. o. unter II): Hat etwa ein Eigentümer im Rahmen einer Sondernutzungsvereinbarung auf sein Mitgebrauchsrecht an einer bestimmten Gemeinschaftsfläche verzichtet, etwa an einem Pkw-Stellplatz, der einem Miteigentümer zum alleinigen Gebrauch zugewiesen wird, und wird diese Vereinbarung nicht in das Grundbuch eingetragen, so ist ein Sonderrechtsnachfolger an diese Vereinbarung nicht gebunden und zum Mitgebrauch der Fläche auch dann berechtigt, wenn seinem Rechtsvorgänger ein solches Recht aufgrund der vertraglichen Vereinbarung gerade nicht zustand71. Vielmehr erlischt das Sondernutzungsrecht mit Eintritt eines Sonderrechtsnachfolgers, gegenüber dem die Vereinbarung keine Wirkung entfaltet, weil sie nicht, wie dies § 10 Abs. 2 WEG fordert, in das Grundbuch eingetragen war. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck von § 10 Abs. 2 WEG, dem Sonderrechtsnachfolger seine aus dem Eigentum resultierenden Rechte auch für den Fall zu erhalten, daß der Rechtsvorgänger sich dieser Rechte begeben hat, sofern sich der Rechtsverlust nicht aus dem Grundbuch ersehen läßt. Weiter wird in Rechtsprechung und Literatur auch die Auffassung vertreten, daß ein Vergleich in einer Angelegenheit, über welche die Wohnungseigentümer grds. auch durch Mehrheitsbeschluß entscheiden können, auch gegen Sonderrechtsnachfolger wirke72. Andernfalls hätte der Vergleich als materielles Rechtsgeschäft nur eine eingeschränkte Wirkung im Verhältnis der am Vergleich beteiligten Eigentümer, was seine Funktion, einen Streit dauerhaft beizulegen, beeinträchtigen würde. Dies beträfe insbesondere Fragen des Gebrauchs von Sonder- und Gemeinschaftseigentum, aber auch die Frage der Zulässigkeit bzw. Gestattung baulicher Veränderungen73. Diese Auffassung bestätigt zwar das hier gefundene Ergebnis, ihre Begründung vermag aber dogmatisch nicht zu überzeugen, da – wie oben ausgeführt – Vereinbarungen nicht dadurch zu Beschlüssen werden, daß ihr Inhalt auch wirksam beschlossen werden könnte74. __________ 70 OLG Köln ZMR 1998, 459; OLG Stuttgart ZMR 1998, 803 f. z. einer vereinbarten Nutzungsänderung von Wohnungseigentum/Teileigentum. 71 Häublein, ZMR 2001, 737. 72 LG Koblenz ZMR 2001, 230 f.; Becker, ZWE 2002, 429. 73 OLG Zweibrücken ZMR 2001, 734 (Klimageräte in Tordurchfahrt). 74 Gegen eine Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs gegenüber Sonderrechtsnachfolgern auch Häublein, ZMR 2001, 165.

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Unterteilung von Wohnungseigentum Reinhard Gaier Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen für die Unterteilung von Wohnungseigentum III. Das „Eingangsflurproblem“ 1. Ausgangslage

2. Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung a) Nachträgliches Entstehen von Gemeinschaftseigentum b) „Aufdrängen“ von Wohnungseigentum IV. Folgerungen

I. Einleitung Durch zwei Entscheidungen des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes aus dem Herbst 20041 sind die ungelösten Probleme, die mit der Unterteilung von Wohnungseigentum einhergehen können, erneut in das Blickfeld interessierter Wissenschaftler und Praktiker gerückt. Dem hier geehrten Jubilar gebührt das Verdienst, durch seine Kompetenz, Engagement und juristischen Scharfsinn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Wohnungseigentumsrecht auf ein anerkannt hohes Niveau geführt zu haben. Die nachstehend erörterten Fragestellungen wird der Bundesgerichtshof ohne die Mitwirkung des Jubilars lösen müssen, aber, so ist zu hoffen, nicht ohne seine Unterstützung als Wissenschaftler. Zu Schwierigkeiten kann die Unterteilung von Wohnungseigentum vor allem deshalb führen, weil sie dem Gebot vollständiger Aufteilung Rechnung tragen muss. Da das Gesetz in § 6 WEG in Form einer sachenrechtlichen und mithin zwingenden Regelung2 die untrennbare Verknüpfung von Miteigentumsanteil und Sondereigentum bestimmt, darf die Unterteilung weder auf isoliertes – sondereigentumsloses – Miteigentum noch auf isoliertes Sondereigentum ohne zugehörigen Mit__________ 1 BGH, Urt. v. 1.10.2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10; BGH, Beschl. v. 7.10.2004 – V ZB 22/04, NJW 2004, 3413. 2 Weitnauer/Briesemeister, WEG, 9. Aufl. 2005, § 6 Rz. 1.

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eigentumsanteil gerichtet sein3. In der Praxis werden in diesem Zusammenhang – neben den Komplikationen auf Grund eines bei der Unterteilung „vergessenen“ Nebenraums – vor allem die Probleme erörtert, die sich wegen der Notwendigkeit von Zugangsflächen, namentlich eines Vor- oder Eingangsflurs oder eines Treppenhauses, ergeben. Letzteres soll nachstehend diskutiert werden. Zum besseren Verständnis erfolgt jedoch zunächst eine Darstellung der rechtlichen Grundlagen für die Unterteilung von Wohnungseigentum nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes.

II. Grundlagen für die Unterteilung von Wohnungseigentum Wesentlich praktischer als die Möglichkeit einer rein ideellen Aufteilung des Wohnungseigentums4, die nur bei Verbindung mehrerer Sondereigentumseinheiten mit zunächst einem Miteigentumsanteil in Betracht kommt, ist die reale Aufteilung einer Sondereigentumseinheit. Ihre Zulässigkeit ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bereits seit langem anerkannt5. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es sich um eine „gemischt reale-ideelle Aufteilung“ handelt6, bei der eine reale Aufteilung des Sondereigentums Hand in Hand mit einer ideellen Aufteilung des Miteigentums geht7. Auf diese Weise kann etwa der Eigentümer einer 4-Zimmer-Wohnung diese in zwei kleinere 2-Zimmer-Wohnungen aufteilen. Von besonderem Interesse ist diese Form der Aufteilung bei Wohnungseigentumsanlagen, die als Ersatz für die – im Einzelfall nicht mögliche – Realteilung des Baugrundstücks entstanden sind. Sie ermöglicht es, das freistehende Gebäude, die Doppelhaushälfte oder das Reihenhaus, das die Sondereigentumseinheit umschließt, vergleichbar mit § 8 WEG8 in einzelne Wohnungen aufzu__________ 3 BayObLG, Beschl. v. 10.11.1987 – BReg 2 Z 75/86, BayObLGZ 1987, 390; BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, DNotZ 1996, 660; Staudinger/ Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 4; Röll, DNotZ 1993, 158 (161). 4 Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 7.1.1968 – V ZB 9/67, BGHZ 49, 250 (252); ausführlich Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 3. 5 BGH, Beschl. v. 7.1.1968 – V ZB 9/67, BGHZ 49, 250 (252 f.); BGH, Beschl. v. 24.11.1978 – V ZB 2/78, BGHZ 73, 150 (152); BGH, Urt. v. 1.10.2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10; BGH, Beschl. v. 7.10.2004 – V ZB 22/04, NJW 2004, 3413 (3417). 6 So BGH, Beschl. v. 7.1.1968 – V ZB 9/67, BGHZ 49, 250 (253). 7 Urt. v. 1.10.2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10. 8 Commichau in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 6 WEG Rz. 6.

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teilen9. Eine solche Unterteilung des Wohnungseigentums ist grundsätzlich ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer möglich10. Anderes gilt dann, wenn diese im konkreten Fall durch die Unterteilung in ihren Rechten betroffen werden11. In diesem Zusammenhang sind auch die – in der Praxis wohl eher seltenen – Fälle zu behandeln, bei denen die zur Umsetzung der Teilung erforderlichen Baumaßnahmen am Sondereigentum von den anderen Wohnungseigentümern nicht gemäß § 13 Abs. 1, § 14 Nr. 1 WEG hinzunehmen sind12. Die Befugnis zur Aufteilung beschränkt sich selbstredend auf das Sondereigentum des Teilenden, kann also nicht fremde Rechte und damit nicht auch Räume umfassen, die im gemeinschaftlichen Eigentum stehen13. Zur Umsetzung der Unterteilung muss der teilende Wohnungseigentümer entsprechend § 8 WEG verfahren und dem Grundbuchamt einen entsprechenden Aufteilungsplan und die Abgeschlossenheitsbescheinigung für die neu entstehenden Einheiten vorlegen14. Die auf diese Weise entstandenen Teilrechte sind uneingeschränkt verkehrsfähig und können nach dem Gesetz ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer veräußert werden15.

III. Das „Eingangsflurproblem“16 1.

Ausgangslage

Soll eine größere in mehrere kleinere Wohnungen aufgeteilt werden, so kann sich auf Grund der baulichen Situation die Notwendigkeit erge__________ 9 So im Fall BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399. 10 BGH, Beschl. v. 7.1.1968 – V ZB 9/67, BGHZ 49, 250; BGH, Beschl. v. 24.11.1978 – V ZB 2/78, BGHZ 73, 150 (152); BGH, Urt. v. 1.10.2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10. 11 Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 5; vgl. auch BGH, Beschl. v. 24.11.1978 – V ZB 2/78, BGHZ 73, 150 (156); streitig für die Frage des Stimmrechts nach § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG; bejahend: Wedemeyer, NZM 2000, 638; verneinend: KG, Beschl. v. 15.9.1999 – 24 W 9353/97, NZM 2000, 671; Briesemeister, NZM 2000, 992. 12 Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 21.12.2000 – V ZB 45/00, BGHZ 146, 241 (245); BayObLG, Beschl. v. 20.11.1987 – BReg 2 Z 91/87, NJW-RR 1988, 587. 13 BGH, Urt. v. 1.10.2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10 (11). 14 Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 8; Hügel in Bamberger/ Roth, BGB, 2003, § 8 WEG Rz. 11. 15 BGH, Beschl. v. 24.11.1978 – V ZB 2/78, BGHZ 73, 150 (153). 16 Bezeichnung von Röll, DNotZ 1993, 158.

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ben, mangels einer anderen Zugangsmöglichkeit einen Teil der Fläche des bisherigen Sondereigentums als gemeinsamen Eingangsflur für die neu entstehenden kleineren Wohnungen zu nutzen. Da dieser Bereich als „Vorflur“ dem Zugang zu nicht nur einer Wohnung dient, kann er nach § 5 Abs. 2 WEG nicht sondereigentumsfähig sein17. Dies führt zu Problemen, weil die künftige Zugangsfläche bisher in Sondereigentum stand. An einem vom Bayerischen Obersten Landesgericht entschiedenen Fall18 lässt sich dies beispielhaft aufzeigen: Die Wohnungseigentumsanlage bestand zunächst aus nur zwei Einheiten, nämlich jeweils einem freistehenden Einfamilienhaus. Später bildete eine Miteigentümerin aus ihrem Wohnungseigentum drei Teilrechte. Hierbei wurde das Treppenhaus des in ihrem Sondereigentum stehenden Gebäudes, über das die neuen Einheiten zu erreichen waren, im neuen Aufteilungsplan als gemeinschaftliches Eigentum ausgewiesen19. Der zweite Miteigentümer, dem das Sondereigentum an dem anderen Gebäude zustand, war an dieser Aufteilung nicht beteiligt. Gleichwohl wurde die Unterteilung im Grundbuch gewahrt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hielt die Unterteilung allerdings für nichtig. Sondereigentum könne nur auf dem Weg des § 4 Abs. 1 und 2 WEG, hier demnach durch Mitwirkung des zweiten Miteigentümers in Form einer Auflassung in gemeinschaftliches Eigentum umgewandelt werden. Da es an einer solchen fehle, könne der Unterteilungsplan unter keinen Umständen Räume, die bisher Sondereigentum gewesen seien, als Gemeinschaftseigentum ausweisen; andernfalls enthalte er einen Widerspruch in sich20. Im Grundbuch seien die inhaltlich unzulässigen Eintragungen nach § 53 Abs. 1 Satz 2 GBO von Amts wegen zu löschen, damit der vor der Unterteilung bestehende Rechtszustand wieder hergestellt werde21. Dieser Auffassung hat sich der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in einem Fall angeschlossen, in dem zur Unterteilung bisher ebenfalls sondereigentumsfähige Räume in gemeinschaftliches Eigentum überführt werden mussten22. __________ 17 OLG Oldenburg, Beschl. v. 6.2.1989 – 5 W 9/89, DNotZ 1990, 48; Hügel in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 8 WEG Rz. 11; Niedenführ/Schulze, WEG, 7. Aufl. 2004, § 5 Rz. 18. 18 BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399. 19 Eine spätere nochmalige Unterteilung eines der neuen Teilrechte soll aus Gründen der Übersichtlichkeit unbeachtet bleiben. 20 BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399 (402). 21 BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399 (404). 22 BGH, Urt. v. 5.10.1998 – II ZR 182/97, BGHZ 139, 352 (355 f.) mit Anm. Bub, LM § 4 WEG Nr. 10.

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Wird der Ansatz geteilt23, dass an dem Treppenhaus kein gemeinschaftliches Eigentum entstanden ist, so ist die Annahme einer nichtigen Unterteilung folgerichtig, wenn die Existenz isolierten Sondereigentums als rechtlich nicht möglich angesehen wird24. Konnte das Treppenhaus nämlich nicht in Gemeinschaftseigentum übergehen, so musste es Sondereigentum bleiben. Als solches ist es aber nach der Unterteilung nicht mehr mit einem Miteigentumsanteil verbunden, Folge wäre demnach das Entstehen isolierten Sondereigentums. Retten ließe sich die Unterteilung dann auch nicht durch die Konstruktion eines gemeinschaftlichen Sondereigentums an dem Treppenhaus. Ein solches ideelles Mitsondereigentum ist dem Wohnungseigentumsrecht ebenso fremd25 wie ein abgesondertes Gemeinschaftseigentum für einen Teil der Wohnungseigentümer26. Auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofes ist im Gesetz eine „dinglich verselbständigte Untergemeinschaft“ an einzelnen Räumen oder Gebäudeteilen nicht vorgesehen, so dass diese gemäß § 93 BGB nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können27. Eine Ausnahme wird man entsprechend § 922 BGB für das „Nachbareigentum“ – etwa bei einer nicht tragenden Trennwand zwischen zwei Sondereigentumseinheiten – in Betracht ziehen müssen28. Obwohl der Bundesgerichtshof inzwischen geklärt hat, dass eine grenzscheidende Wirkung der Anlage nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 922 BGB ist29, kann auch die Annahme von „Nachbareigentum“ nicht zur Wirksamkeit der Unterteilung führen. Für das Treppenhaus fehlt es nämlich an der für eine „Grenzanlage“ zwingenden Voraussetzung, dass sie sich zumindest teilweise über die Grenze __________ 23 So Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 4; ders., MittBayNot 1995, 344 (346). 24 So BayObLG, Beschl. v. 10.11.1987 – BReg 2 Z 75/86, BayObLGZ 1987, 390 (395); BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399 (404); Rapp, DNotZ 1993, 158 (161). 25 BayObLG, Beschl. v. 15.12.1981 – BReg 2 Z 89/81, BayObLGZ 1981, 407 (412); BayObLG, Beschl. v. 10.11.1987 – BReg 2 Z 75/86, BayObLGZ 1987, 390 (396 f.); BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399 (403); Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 3 WEG Rz. 10, § 5 WEG Rz. 31; Weitnauer, WEG, 8. Aufl. (1995), § 3 Rz. 32, § 5 Rz. 37; Hauger, WE 1991, 66 (68); a. A. Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. (2003), § 5 Rz. 66. 26 Hügel in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 5 WEG Rz. 8. 27 BGH, Urt. v. 30.6.1995 – V ZR 118/94, BGHZ 130, 159 (168). 28 Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 61; Weitnauer, WEG, 8. Aufl. (1995), § 5 Rz. 36; Hauger, WE 1991, 66 (68); dazu auch BGH, Beschl. v. 21.12.2000 – V ZB 45/00, BGHZ 146, 241. 29 BGH, Urt. v. 7.3.2003 – V ZR 11/02, BGHZ 154, 139 (143).

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zweier Grundstücke – hier mithin zweier Sondereigentumseinheiten – erstreckt30. Die Folgen dieser Ansicht wiegen schwer. Zwar steht, anders als bei „Gründungsmängeln“31, nicht die Entstehung von Wohnungseigentum schlechthin auf dem Spiel, vielmehr betrifft die Nichtigkeit nur die Unterteilung, so dass es bei dem status quo ante, also bei dem zuvor begründeten Wohnungseigentum verbleibt. Dies hilft indessen den Erwerbern der Einheiten, die durch die Unterteilung neu entstehen sollten, nicht weiter. Sie konnten kein Wohnungseigentum erwerben, obwohl sie an der Unterteilung ebenso wenig beteiligt waren, wie die – deshalb als schutzwürdig anerkannten – Erwerber im Falle eines Gründungsmangels32. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass nach herrschender Meinung eine das Gebot vollständiger Aufteilung missachtende Unterteilung bei Vollzug im Grundbuch zu inhaltlich unzulässigen Eintragungen führt, die nicht Grundlage eines gutgläubigen Erwerbs sein können33. Diese Auffassung wird vom Bundesgerichtshof zumindest für den Fall geteilt, dass – was in der Praxis wohl nicht selten geschieht – der Eintragungsvermerk eine doppelte Bezugnahme gemäß § 7 Abs. 3 WEG sowohl auf die ursprüngliche Teilungserklärung als auch auf die Unterteilungserklärung nebst dem jeweils zugehörigen Aufteilungsplan aufweist34.

2. Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung Die Grundlage der auf diese Weise begründeten Nichtigkeit der Unterteilung, nämlich die Annahme, dass im herangezogenen Beispiel an dem Treppenhaus gemeinschaftliches Eigentum nicht entstehen konn__________ 30 BGH, Urt. v. 7.3.2003 – V ZR 11/02, BGHZ 154, 139 (144). 31 Vgl. dazu BGH, Urt. v. 3.11.1989 – V ZR 143/87, BGHZ 109, 179 (184). 32 Dieser Aspekt bleibt unerwähnt in BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399 (405). 33 BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399 (402); auch BayObLG, Beschl. v. 10.11.1987 – BReg 2 Z 75/86, BayObLGZ 1987, 390 (397 f.); BayObLG, Beschl. v. 19.3.1998 – 2Z BR 113/97, BayObLGZ 1998, 70, 73; Weitnauer, WEG, 8. Aufl. 1995, § 8 Rz. 3; Demharter, GBO, 24. Aufl. 2002, Anh. § 3 Rz. 73; Meikel/Streck, Grundbuchrecht, 8. Aufl. 1997, § 53 GBO Rz. 118; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl., Rz. 2976a; im Ergebnis auch Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 6 WEG Rz. 4; a. A. Röll, MittBayNot 1988, 22, 24; ders., DNotZ 1993, 158, 162 f.; Böttcher, BWNotZ 1996, 80, 87. 34 BGH, Urt. v. 1.10.2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10 (11).

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te, bedarf indessen näherer Betrachtung. Sie beruht auf der Überlegung, es stehe außerhalb der Verfügungsmacht des Raumeigentümers, Räume aus dem Sondereigentum in gemeinschaftliches Eigentum zu verwandeln, den Wohnungseigentümern könnten Räume nicht ohne ihre Mitwirkung als gemeinschaftliches Eigentum „aufgedrängt“ werden35. Schon nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 873, 925 BGB sei zur Umwandlung des Sondereigentums, bei dem es sich um echtes Alleineigentum handele, in gemeinschaftliches Eigentum die Einigung aller Miteigentümer in Form der Auflassung erforderlich36.

a) Nachträgliches Entstehen von Gemeinschaftseigentum Bei dieser Sicht bleiben jedoch die speziellen Funktionen außer Betracht, die das Wohnungseigentumsrecht der Unterscheidung sowie der Regelung der Gegenstände von Sondereigentum und gemeinschaftlichem Eigentum beilegt. Durch die zwingende Zuweisung zum gemeinschaftlichen Eigentum soll sichergestellt werden, dass die wesentlichen Bestandteile des Gebäudes, für seine äußere Gestaltung prägende Elemente sowie die Teile des Gebäudes, auf deren Gebrauch nicht nur ein Wohnungseigentümer angewiesen ist, der gemeinschaftlichen Verwaltung unterliegen und dem Gebrauch aller Wohnungseigentümer offen stehen37. Aus diesem Grund schließt § 5 Abs. 2 WEG bestimmte Gegenstände zwingend38 vom Sondereigentum aus. Mit ihrem Zweck wäre es daher nicht zu vereinbaren, die Anwendung dieser Vorschrift – entsprechend ihrem systematischen Standort – in zeitlicher Hinsicht auf die Phase der Begründung von Wohnungseigentum zu beschränken39. Mit Blick auf ihre Funktion gibt es keinen Anlass, etwa eine nachträglich eingezogene Hauptversorgungsleitung oder ein nachträglich eingebautes Lüftungsrohr40 nicht auch gemäß § 5 Abs. 2 WEG zwingend als gemeinschaftliches Eigentum anzusehen. Stellt sich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, etwa nach Begründung von Wohnungseigentum heraus, dass aus statischen Gründen entgegen der __________ 35 BayObLG, Beschl. v. 10.11.1987 – BReg 2 Z 75/86, BayObLGZ 1987, 390 (394); BayObLG, Beschl. v. 24.7.1997 – 2Z BR 49/97, BayObLGZ 1997, 233 (238). 36 BayObLG, Beschl. v. 10.11.1987 – BReg 2 Z 75/86, BayObLG, Beschl. v. 24.7.1997 – 2Z BR 49/97, BayObLGZ 1997, 233 (238). 37 Vgl. Becker/Kümmel/Ott, Wohnungseigentum, 2003, Rz. 7. 38 BGH, Beschl. v. 3.4.1968 – V ZB 14/67, BGHZ 50, 56 (60). 39 A. A. Rapp, MittBayNotK 1996, 344 (346). 40 So im Fall des OLG Hamburg, Beschl. v. 14.3.2003 – 2 Wx 2/00, ZMR 2003, 527.

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ursprünglichen Planung die Errichtung einer tragenden Innenwand in einer Sondereigentumseinheit erforderlich ist, so leuchtet es nicht ein, dass an diesem für Bestand und Sicherheit des Gebäudes wesentlichen Teil Sondereigentum möglich sein soll. Kann mithin auch nach Abschluss der Gründungsphase über § 5 Abs. 2 WEG gemeinschaftliches Eigentum entstehen, so kann ein Wohnungseigentümer durch die allgemeinen sachrechtlichen Vorschriften nicht gehindert sein, bei einer Unterteilung durch eine entsprechende räumliche Gestaltung Teile seines Sondereigentums in gemeinschaftliches Eigentum umzuwandeln41.

b) „Aufdrängen“ von Wohnungseigentum Dieser Befund schließt es indessen nicht aus, dass andere Vorschriften den teilenden Wohnungseigentümer daran hindern, von der Möglichkeit der Umwandlung von Sonder- in Gemeinschaftseigentum Gebrauch zu machen. Es bleibt also noch das weitere Argument zu prüfen, wonach den anderen Wohnungseigentümern gemeinschaftliches Eigentum nicht „aufgedrängt“ werden dürfe. Der zugrunde liegende Vorgang kann in zwei Elemente zerlegt werden: Zunächst in die Aufgabe des Sondereigentums durch den unterteilenden Wohnungseigentümer und in den anschließenden Erwerb zu gemeinschaftlichem Eigentum. Für die Zulässigkeit des ersten Schritts findet sich eine Regelung in § 928 BGB. Hiernach ist es dem Eigentümer eines Grundstücks möglich, sein Recht durch Verzichtserklärung gegenüber dem Grundbuchamt und Eintragung des Verzichts in das Grundbuch aufzugeben. Zwar ist umstritten, ob diese Vorschrift auch den Verzicht auf Wohnungseigentum ermöglicht42, für die hier erörterte Frage ist das aber ohne Belang. Hier geht es nämlich um den Verzicht nur auf das Sondereigentum und nicht auf das Wohnungseigentum insgesamt. Das tragende Argument für die Ablehnung der Dereliktion eines Wohnungseigentums, nämlich der mit ihr verbundene Effekt einer Teilaufhebung der Gemeinschaft __________ 41 So zu Recht Röll, DNotZ 1993, 158 (161); ders., DNotZ 1998, 345 (347); a. A. Rapp, MittBayNotK 1994, 412, dessen Lösung, den Eingangsflur als selbständiges Sondereigentum auszuweisen, gerade an § 5 Abs. 2 WEG scheitern muss. 42 Verneinend etwa BayObLG, Beschl. v. 14.2.1991 – BReg 2 Z 16/91, BayObLGZ 1991, 90 (91); OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.7.2002 – 3 W 48/02, ZfIR 2002, 830 (831); a. A. etwa Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, § 3 Rz. 79 f.; Kanzleiter in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 928 Rz. 4.

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entgegen § 11 WEG43, kann nicht greifen, weil der teilende Wohnungseigentümer nach dem Verzicht unverändert in der Eigentümergemeinschaft verbleibt. Es gilt daher zu beachten, dass der Wohnungseigentümer in Bezug auf sein Sondereigentum – weitgehend – die Stellung eines Alleineigentümers (vgl. § 13 Abs. 1 WEG) innehat. Er kann mithin nicht schlechthin, sondern nur auf Grund entgegenstehender gesetzlicher Regelungen oder Rechte Dritter an einer Dereliktion gehindert sein. So wäre es beispielsweise mit § 6 WEG nicht zu vereinbaren, wenn ein Wohnungseigentümer durch Verzicht auf sein Sondereigentum einen isolierten Miteigentumsanteil schaffen will44. Hindernisse können sich auch daraus ergeben, dass nach §§ 877, 876 BGB die Zustimmung dinglich Berechtigter für den Übergang von Sondereigentum in gemeinschaftliches Eigentum erforderlich ist45. Werden die strengen Grundsätze herangezogen, die die Rechtsprechung für den umgekehrten Fall der Umwandlung von Gemeinschafts- in Sondereigentum entwickelt hat46, so kann wegen der Schmälerung des Haftungsobjekts nicht zweifelhaft sein, dass eine Mitwirkung insbesondere der Grundpfandgläubiger des jetzt unterteilten Wohnungseigentums erforderlich ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Verzicht auf Sondereigentum von dem Verzicht auf Grundstückseigentum nach § 928 BGB, bei dem Grundstücksbelastungen an dem herrenlos gewordenen Grundstück unberührt bleiben47. Festzuhalten ist demnach, dass ein Wohnungseigentümer keineswegs grundsätzlich an einem Verzicht auf Sondereigentum gehindert ist. Der zweite zu untersuchende Schritt des „Aufdrängens“ ist der Erwerb zu gemeinschaftlichem Eigentum. Nach der hier vertretenen Auffassung führt § 5 Abs. 2 WEG zwangsläufig dazu, dass die Wohnungseigentümer nach Vollzug der Unterteilung im Grundbuch gemeinschaftliches Eigentum an den Zugangsflächen (wie Eingangsflur oder Treppenhaus) erlangen, die für das Erreichen der neu entstandenen Sondereigentumseinheiten notwendig sind. Dieser Rechtserwerb ist aber möglicherweise für die übrigen Wohnungseigentümer mit Nachteilen __________ 43 Vgl. BayObLG, Beschl. v. 14.2.1991 – BReg 2 Z 16/91, BayObLGZ 1991, 90 (92); OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.7.2002 – 3 W 48/02, ZfIR 2002, 830 (831). 44 Vgl. BGH, Urt. v. 3.11.1989 – V ZR 143/87, BGHZ 109, 179 (185): Entstehung durch Rechtsgeschäft ist ausgeschlossen. 45 Vgl. Staudinger/Rapp, BGB, 12. Aufl. 1997, § 3 WEG Rz. 4. 46 Vgl. BayObLG, Beschl. v. 5.9.1991 – BReg 2 Z 95/91 BayObLGZ 1991, 313 (318). 47 Kanzleiter in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 928 Rz. 11; Grün in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 928 Rz. 7.

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verbunden, die unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsgeschäfts zu Lasten Dritter die Wirksamkeit des „Aufdrängens“ gemeinschaftlichen Eigentums in Frage stellen können48. In Betracht kommt insoweit auf Grund des § 16 Abs. 2 WEG die Belastung aller Wohnungseigentümer mit den Lasten und Kosten des neu entstandenen Wohnungseigentums, während diese Aufwendungen zuvor als Kosten des Sondereigentums nur den jeweiligen Wohnungseigentümer trafen. Die damit verbundenen Mehrbelastungen sind nicht schlechthin vernachlässigbar49, wie das Beispiel des – von Sonder- in Gemeinschaftseigentum umgewandelten – Treppenhauses50 zeigt: Gerade bei einer kleinen Anlage können Reinigungs- und Instandhaltungskosten (wie etwa Tapezier- und Malerarbeiten) für dieses zusätzliche Gemeinschaftseigentum zu einer deutlichen Mehrbelastung für die übrigen Wohnungseigentümer führen. Es bedarf jedoch einer näheren Prüfung, ob die Kostenbelastung der Eigentümergemeinschaft mit den Kosten des neuen gemeinschaftlichen Eigentums tatsächlich zwangsläufig eintritt. Wie der Blick auf § 16 Abs. 3 WEG zeigt, der eine Sonderregelung für nachträgliche bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum enthält, gilt § 16 Abs. 2 WEG nur für das gemeinschaftliche Eigentum in dem baulichen Zustand bei Begründung der Eigentümergemeinschaft. Für nachträglich durch Umwandlung von Sondereigentum hinzugekommenes gemeinschaftliches Eigentum enthält das Gesetz hingegen eine Lücke. Sie ist, wenn die Umwandlung nicht unter Mitwirkung aller Wohnungseigentümer gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 2 WEG erfolgt51, durch analoge Anwendung des § 16 Abs. 3 WEG zu schließen. Wie bereits ausgeführt, werden die baulichen Maßnahmen am Sondereigentum, die zur Umsetzung der Unterteilung erforderlich sind, von den übrigen Wohnungseigentümern regelmäßig hinzunehmen sein. Damit ist die Interessenlage mit der bei unmittelbarer Anwendung des § 16 Abs. 3 WEG identisch. In beiden Fällen geht es nämlich darum, Wohnungseigentümer, deren Zustimmung nicht erforderlich sein soll, von den mit der außergewöhnlichen Maßnahme verbundenen Kosten zu befreien52. Die übrigen Wohnungseigentümer können demnach zwar keine Teilhabe an der Nutzung des neuen Gemeinschaftseigentums beanspruchen. Sie sind __________ 48 Nicht anders als im Fall eines Vertrages zu Lasten Dritter; vgl. dazu etwa Gottwald in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, Band 2a, § 328 Rz. 172. 49 Zu eng daher Röll, DNotZ 1997, 345 (348). 50 BayObLG, Beschl. v. 7.12.1995 – 2Z BR 90/95, BayObLGZ 1995, 399. 51 In diesem Fall ist § 16 Abs. 2 WEG entsprechend anwendbar. 52 Vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.1991 – V ZB 27/90, BGHZ 116, 392 (397) für § 16 Abs. 3 WEG.

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auf diese aber auch nicht angewiesen, selbst wenn diese Nutzungen auch die Gebrauchsvorteile einschließen sollten53. Die betreffenden Flächen dienen nämlich ausschließlich als Zugang zu den neuen Sondereigentumseinheiten, die durch die Unterteilung entstanden sind. Auf dem Weg einer entsprechenden Anwendung des § 16 Abs. 3 WEG ist es mithin möglich, die Kosten des neuen Gemeinschaftseigentums ausschließlich auf die Eigentümer der neuen Sondereigentumseinheiten abzuwälzen. Die damit verbundenen Wirkungen sind umfassend. Gegenstand der Freistellung sind auch die (Folge-)Kosten der laufenden Instandhaltung, der Instandsetzung und der Verwaltung54; die Freistellung gilt außerdem zu Gunsten55 und zu Lasten56 der Rechtsnachfolger der Wohnungseigentümer. Soweit sich die anderen Wohnungseigentümer auf diese Weise vor zusätzlichen Belastungen sichern lassen, gehen für diese mit dem Erwerb gemeinschaftlichen Eigentums keine Nachteile einher. In diesem Fall kann mithin das „Aufdrängen“ gemeinschaftlichen Eigentums kein Hindernis für eine Unterteilung sein.

IV. Folgerungen Der hier entwickelte Ansatz ermöglicht es, die Probleme bei der abschnittsweisen Errichtung von Mehrhausanlagen einer angemessenen Lösung zuzuführen. Lange Zeit galt hier der „überdimensionierte Miteigentumsanteil“ als flexibelste und praktikabelste Lösung57, ja sogar als Königsweg58. Hierbei behält der teilende Eigentümer (Bauträger) gewissermaßen einen Vorrat an Miteigentumsanteilen zurück, indem er eine bei ihm verbleibende Einheit des ersten Bauabschnitts (etwa Hausmeisterwohnung oder Tiefgaragenstellplatz) mit einem sehr großen, also „überdimensionierten“ Miteigentumsanteil verbindet. Durch Teilung dieses Miteigentumsanteils erhält er die Miteigentumsanteile, die er mit dem Sondereigentum an den Räumlichkeiten verbinden kann, die im Zuge weiterer Bauabschnitte entstehen59. Zum Problem wird __________ 53 Str.; vgl. zum Meinungsstand die Nachweise bei Merle in Bärmann/Pick/ Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, § 22 Rz. 258. 54 Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, § 16 Rz. 148. 55 Niedenführ/Schulze, WEG, 7. Aufl. 2004, § 16 Rz. 49. 56 BGH, Beschl. v. 19.12.1991 – V ZB 27/90, BGHZ 116, 392 (399). 57 So Häublein, DNotZ 2000, 442 (444). 58 So Hügel, DNotZ 2003, 517 (518). 59 Vgl. Häublein, DNotZ 2000, 442 (444 f.); Hügel, DNotZ 2003, 517 (518); J. Schmidt, PiG 69, 137 (145).

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diese Lösung jedoch dadurch, dass an dem neuen Baukörper nicht nur Sondereigentum, sondern zwangsläufig auch Gemeinschaftseigentum entsteht. Dieses kraft Gesetzes entstandene gemeinschaftliche Eigentum solle bei der Unterteilung den übrigen Wohnungseigentümern „aufgedrängt“ werden, was – so die weitere Argumentation der herrschenden Meinung – ohne deren Einwilligung nicht möglich sei60. Hierbei geht die Rechtsprechung – auch aus Sicht des Bundesgerichtshofes61 – zu Recht davon aus, dass eine Ermächtigung oder vorweggenommene Zustimmung zu einer Umwandlung der Eigentumsformen nicht gemäß § 10 Abs. 2 WEG „verdinglicht“ werden kann62. Diskutiert wird daher der Weg über Vollmachten in den Kaufverträgen mit den Wohnungseigentümern des ersten Bauabschnitts63 verbunden mit einer Sicherung durch Vormerkungen64 und Aufnahme eines Zustimmungserfordernisses nach § 12 WEG zugunsten des Bauträgers in die Gemeinschaftsordnung65. Nach dem hier entwickelten rechtlichen Ansatz bedarf es einer derart komplizierten und aufwendigen Lösung nicht. Abgesehen davon, dass die Wohnungseigentümer das gemeinschaftliche Eigentum in Teilen – wie etwa an den konstruktiven Elementen des Gebäudes66 – bereits nach § 5 Abs. 2 WEG zwangsläufig durch die Errichtung des weiteren Gebäudes erwerben, kann eine Unterteilung nach der hier vertretenen Auffassung nicht daran scheitern, dass durch die Unterteilung des Sondereigentums an dem weiteren Gebäude Anlagen und Einrichtungen zu Gemeinschaftseigentum werden, indem sie den Zweck erhalten, der Gesamtheit der Wohnungseigentümer einen ungestörten Gebrauch ihrer Wohnungen und der Gemeinschaftsräume zu ermöglichen und zu erhalten67. Soweit auf diese Weise gemeinschaftliches Eigentum an Trep__________ 60 So etwa Hügel, DNotZ 2003, 517 (519). 61 Vgl. BGH, Urt. v. 4.4.2003 – V ZR 322/02, NJW 2003, 2165 (2166). 62 So etwa BayObLG, Beschl. v. 5.1.2000 – 2Z BR 163/99, BayObLGZ 2000, 1 (2); BayObLG, Beschl. v. 12.10.2001 – 2Z BR 110/01, BayObLGZ 2001, 279 (283). 63 Vgl. BayObLG, Beschl. v. 12.10.2001 – 2Z BR 110/01, BayObLGZ 2001, 279 (284). 64 Häublein, DNotZ 2000, 442 (453 f.); Röll, ZWE 2000, 446 (448); F. Schmidt, ZWE 2002, 118 (119). 65 Häublein, DNotZ 2000, 442 (454); F. Schmidt, ZWE 2002, 118 (119); Hügel, DNotZ 2003, 517 (522 ff.). 66 BGH, Beschl. v. 3.4.1968, V ZB 14/67 – BGHZ 50, 56 (59); dazu Göken, Die Mehrhausanlage im Wohnungseigentumsrecht, 1999, S. 8 – 10. 67 Zu diesem Kriterium vgl. BGH, Urt. v. 10.10.1980 – V ZR 47/79, BGHZ 78, 225 (227).

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pen, Treppenhäusern, Aufzügen, Eingangshallen, Verbindungsfluren und Versorgungsleitungen entsteht, kann über eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 3 WEG ein umfassender Schutz der „Alteigentümer“ vor einer Kostenbelastung erreicht werden. Selbst wenn die Gemeinschaftsordnung insoweit keine Regelung enthalten sollte, wären umgekehrt durch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens auch die „Neueigentümer“ vor einer Belastung mit Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten des ersten Bauabschnitts geschützt. Hiermit wäre zudem der – für Mehrhausanlagen durchaus erwünschte68 – Effekt verbunden, dass die jeweiligen Wohnungseigentümer ausschließlich die Belastung mit Kosten „ihres“ Gebäudes trifft.

__________ 68 Vgl. etwa Häublein, NZM 2003, 785 (790); Merle, PiG 69, 119 (129).

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Amtsniederlegung des WEG-Verwalters Wolfgang Gottschalg Inhaltsübersicht I. Einführung II. Beendigung der Verwalterstellung durch den Verwalter 1. Amtsniederlegung a) Rechtsnatur und Wirkungen b) Zugangsproblematik c) Voraussetzungen (Gründe für die Amtsniederlegung) 2. Auswirkungen auf den Verwaltervertrag

a) Vergütungsanspruch b) Kündigung durch den Verwalter III. Rechtsfolgen unberechtigter Amtsniederlegung 1. Vertragskündigung durch die Wohnungseigentümer 2. Schadensersatzpflicht des Verwalters IV. Zusammenfassung

I. Einführung Die Amtsniederlegung des WEG-Verwalters ist gesetzlich nicht geregelt und wird in der Kommentarliteratur zum Wohnungseigentumsrecht nur summarisch und teilweise unklar behandelt. Wenig hilfreich ist zum Beispiel die Feststellung, in erster Linie gelte die im Anstellungsvertrag vorgesehene Regelung1. In der obergerichtlichen Rechsprechung der letzten Jahre ist die Thematik – soweit ersichtlich – nur in einem Fall behandelt worden, der noch näher betrachtet werden wird2. Daher ist es lohnend, sich mit der Frage der Amtsniederlegung des WEGVerwalters näher zu befassen und die systematischen Zusammenhänge aufzuzeigen.

II. Beendigung der Verwalterstellung durch den Verwalter Die Amtsniederlegung zielt auf die Beendigung der Verwalterstellung. Diese wird durch die organschaftliche Bestellung durch die Wohnungs__________ 1 Vgl. Münchener Kommentar/Röll, BGB, 3. Aufl., § 26 WEG Rz. 13. 2 BayObLG, Beschl. v. 29.9.1999 – 2 Z BR 29/99, NZM 2000, 48 = ZWE 2000, 72.

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eigentümer3 oder durch den teilenden Eigentümer in Verbindung mit der Annahme durch den Verwalter erworben. Nach dem heute vorherrschenden Verständnis der Trennungstheorie ist der Abschluss des schuldrechtlichen Verwaltervertrages für die Erlangung der mit dem Verwalteramt verbundenen Organstellung nicht konstitutiv4. Das organschaftliche Bestellungsrechtsverhältnis und das schuldrechtliche Anstellungsrechtsverhältnis des Verwalters sind strikt voneinander zu trennen. Diese Erkenntnis ist von zentraler Bedeutung, wenn die Beendigung der Verwalterstellung in Frage steht. Geht die Beendigungsinitiative von der Wohnungseigentümergemeinschaft aus, ist zwischen dem auf den Verlust der Organstellung zielenden Abberufungsbeschluss der Wohnungseigentümer5 und der Kündigung des Verwaltervertrages durch die Wohnungseigentümer zu unterscheiden. Fraglich ist nun, ob diese Unterscheidung auch dann vorzunehmen ist, wenn der Verwalter sein Amt aufgeben will.

1. Amtsniederlegung Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in seinem Beschluss vom 29.9.19996 Zweifel geäußert, ob zwischen der Niederlegung des „Verwalteramts“ und der Kündigung des Verwaltervertrages durch den Verwalter zu unterscheiden ist. Es hat darauf hingewiesen, dass der Beendigung des Amtes durch den Verwalter anders als bei der Abberufung durch die Wohnungseigentümer kein organschaftlicher Akt in der Form der Beschlussfassung nach §§ 21 Abs. 3, 26 Abs. 1 WEG vorausgehen muss. Dieser Hinweis rechtfertigt es jedoch nicht, die Möglichkeit der Amtsniederlegung durch den Verwalter als organschaftliche Willenserklärung abzulehnen.

a) Rechtsnatur und Wirkungen Wegen der ähnlichen Organisationsstrukturen der Wohnungseigentümergemeinschaft und der GmbH empfiehlt sich insofern ein Rück__________ 3 § 26 Abs. 1 WEG. 4 Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, § 26 Rz. 25, 26; Wenzel, ZWE 2001, 510 (512); Bogen ZWE 2002, 153; Gottschalg, Die Haftung von Verwalter und Beirat in der Wohnungseigentümergemeinschaft, 5 f. 5 § 26 Abs. 1 WEG. 6 NZM 2000, 48 = ZWE 2000, 72.

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griff auf das Gesellschaftsrecht. Die Rechtsfigur der Amtsniederlegung ist sowohl im GmbH-Recht als auch im Aktienrecht allgemein anerkannt7. Die Amtsniederlegung ist die einseitige Erklärung des (Vertretungs-)Organs, aus dem Organverhältnis ausscheiden zu wollen. Sie wird im GmbH-Recht auch für einen Alleingeschäftsführer zugelassen8. Es liegt nahe, diese Grundsätze auf den WEG-Verwalter als Ausführungs- und Vertretungsorgan – mit beschränkter gesetzlicher Vertretungsbefugnis – zu übertragen. Dass auf seiner Seite – anders als bei den Wohnungseigentümern – keine interne Beschlussfassung vorausgeht, besagt nicht, dass der Verwalter das organschaftliche Bestellungsrechtsverhältnis nicht von sich aus beenden kann. Dies ist im wohnungseigentumsrechtlichen Schrifttum allgemein anerkannt9. Die Amtsniederlegung ist die einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Verwalters gegenüber den Wohnungseigentümern, seine organschaftliche Stellung als Verwalter aufzugeben. Sie ist abstrakt, das heißt von der Kündigung des Verwaltervertrages unabhängig und bewirkt die Beendigung des Bestellungsrechtsverhältnisses zwischen dem Verwalter und der Wohnungseigentümergemeinschaft10. Die Niederlegungserklärung ist bedingungsfeindlich, da feststehen muss, ob der Verwalter seine Rechtsstellung noch inne hat oder nicht; sie bedarf keiner besonderen Form, ist nicht fristgebunden und als Gestaltungserklärung nicht nachträglich widerruflich11.

b) Zugangsproblematik Einigkeit besteht darüber, dass es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt. Umstritten ist jedoch, ob die Nieder__________ 7 Vgl. hierzu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 36 II, 1072; Hüffer, Aktiengesetz, 4. Aufl., § 84 Rz. 36; BGHZ 78, 82 (84) = NJW 1980, 2415; BGHZ 121, 257 (260) = NJW 1993, 1198. 8 Karsten Schmidt, § 36 II, 1072. 9 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 26 WEG Rz. 477; Merle in Bärmann/Pick/ Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 206; Palandt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 26 WEG Rz. 13; Niedenführ/Schulze, WEG, 6. Aufl., § 26 Rz. 98; Sauren, WEG, 4. Aufl., § 26 Rz. 38; Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 3. Aufl., Rz. 469, 383. 10 Staudinger/Bub, § 26 WEG Rz. 478; Becker/Kümmel/Ott, Wohnungseigentum, Rz. 393, S. 193. 11 Vgl. Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 206; Bogen, Die Amtsniederlegung des Verwalters im Wohnungseigentumsrecht, 2002, 40 ff. (46).

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legungserklärung allen Wohnungseigentümern zugehen muss oder ob es ausreicht oder sogar erforderlich ist, dass der Verwalter seine Amtsniederlegung in einer Wohnungseigentümerversammlung erklärt. Müller12 vertritt die Ansicht, weil durch die öffentlich beglaubigte Niederschrift über den Bestellungsbeschluss13 die Vermutung erzeugt werde, dass die Bestellung fortbestehe, habe der Verwalter, der sein Amt niederlegt, zum Nachweis eine gleichwertige Niederschrift vorzulegen, wie dies auch im Falle der Abberufung geschehe. Dies bedeute, dass die Amtsniederlegung nur in einer Versammlung erfolgen könne. Eine privatschriftliche Erklärung des Verwalters durch Rundschreiben an die Wohnungseigentümer oder an den Beirat reiche also nicht aus. Dies vermag nicht zu überzeugen. Durch die Abgabe der Niederlegungserklärung in der Wohnungseigentümerversammlung wird abgesehen von dem seltenen Fall, dass alle Wohnungseigentümer anwesend oder vertreten sind, nicht gewährleistet, dass die Erklärung des Verwalters allen Wohnungseigentümern zugeht. Die Kenntnis der in der Versammlung anwesenden oder vertretenen Wohnungseigentümer wird den übrigen Wohnungseigentümern nicht zugerechnet. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage von der bei einem Abberufungsbeschluss. Dieser wirkt nach § 10 Abs. 4 WEG auch für und gegen die Wohnungseigentümer, die an der Beschlussfassung nicht mitgewirkt haben. Daher ist daran festzuhalten, dass die Niederlegungserklärung, sofern in der Gemeinschaftsordnung keine besondere Regelung für die Empfangnahme von Willenserklärungen getroffen worden ist, die für alle Wohnungseigentümer bestimmt sind, erst wirksam wird, wenn sie dem letzten Wohnungseigentümer zugegangen ist14. Aus praktischer Sicht ist insofern eine in der Gemeinschaftsordnung enthaltene Empfangszuständigkeit des Verwaltungsbeirats empfehlenswert. Dass der Verwalter seine eigene Niederlegungserklärung nicht gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG für die Wohnungseigentümer entgegennehmen kann, ergibt sich aus dem § 178 Abs. 2 ZPO15 zugrunde liegenden Rechtsgedanken der Interessenkollision. Eine gesetzliche Vertretungsmacht des Verwalters __________ 12 Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 3. Aufl., Rz. 469, S. 383, 384; so auch 4. Aufl., Rz. 979, S. 456. 13 §§ 26 Abs. 4, 24 Abs. 6 WEG. 14 So auch Bogen, Amtsniederlegung, 36 (38). 15 Früher: § 185 ZPO.

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zum Empfang der Niederlegungserklärung für die Wohnungseigentümer kann daher aus § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG nicht hergeleitet werden16.

c) Voraussetzungen (Gründe für die Amtsniederlegung) Klärungsbedürftig ist, ob die sofortige Wirksamkeit der Niederlegungserklärung davon abhängt, dass ein wichtiger Grund für den Verwalter besteht oder ob ein wichtiger Grund zumindest schlüssig vorgebracht sein muss, ob überhaupt eine Begründung für die Amtsniederlegung erforderlich ist und ob von rechtlicher Bedeutung ist, dass die Abberufung des Verwalters auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes beschränkt ist. Sieht der Bestellungsbeschluss die jederzeitige Abberufung des Verwalters und spiegelbildlich auch die Möglichkeit jederzeitiger Amtsniederlegung vor, so ergeben sich keine Probleme. Man kann in diesem Fall von einer „ordentlichen Amtsniederlegung“ sprechen17. In den übrigen Fällen der „außerordentlichen Amtsniederlegung“ empfiehlt sich wiederum ein Rückgriff auf das Gesellschaftsrecht. Für das GmbH-Recht hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1980 zum Ausdruck gebracht, dass die aus wichtigen Gründen erklärte Amtsniederlegung eines Geschäftsführers unbeschadet einer etwaigen Haftung wegen Verletzung des Anstellungsvertrages sofort wirksam ist, auch wenn über die objektive Berechtigung dieser Gründe gestritten wird18. Der BGH hat maßgeblich auf den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit abgestellt und ausgeführt, es wäre für die Beteiligten und den allgemeinen Rechtsverkehr unzumutbar, es im Anschluss an eine Amtsniederlegung hinnehmen zu müssen, dass unter Umständen über mehrere Jahre hin – bis zur endgültigen Klärung in einem Rechtsstreit – Ungewissheit darüber bestehe, ob die Niederlegungserklärung wirksam war und durch wen die Gesellschaft in dieser Zeit vertreten wird. In seiner Entscheidung vom 8.2.199319 hat der BGH diese Rechtsprechung dahin fortgeführt, dass die Amtsniederlegung eines Geschäftsführers grundsätzlich auch dann sofort wirksam ist, wenn sie nicht auf einen angeblich wichtigen Grund gestützt ist. Danach ist die Amtsniederlegung im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsverkehrs an __________ 16 17 18 19

Bogen, Amtsniederlegung, 37 (38). So Bogen, ZWE 2002, 157. BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 (89, 92). BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257 = NJW 1993, 1198.

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klaren Vertretungsverhältnissen auch dann sofort wirksam, wenn sie mit keiner Begründung versehen wird20. Offen geblieben ist in dieser Entscheidung, ob diese Grundsätze auch für einen Geschäftsführer gelten, der seinerseits nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden kann. In gleichem Sinne hat sich der BGH mit Urteil vom 26.6.199521 geäußert22. Auch im Aktienrecht wird die einseitige Erklärung des Vorstandsmitglieds, aus dem Organverhältnis ausscheiden zu wollen, ohne dass ein wichtiger Grund vorgebracht sein muss, analog § 84 Abs. 3 Satz 4 Aktiengesetz mit Zugang der Erklärung als wirksam angesehen23. Die wohnungseigentumsrechtliche Literatur überträgt diese gesellschaftsrechtlichen Grundsätze auf die Amtsniederlegung des Verwalters und gelangt zu dem Ergebnis, die Niederlegung sei unabhängig davon, ob der Verwalter dazu berechtigt sei oder die Amtsniederlegung begründet habe, stets sofort wirksam24. Die sofortige Wirksamkeit der Amtsniederlegung hängt auch nicht davon ab, ob der Verwalter nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann. Auch dann, wenn die Abberufung auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes beschränkt ist, kann der Verwalter sein Amt jederzeit mit sofortiger Wirkung niederlegen. Dies gilt sogar dann, wenn die Wohnungseigentümer in dem Bestellungsbeschluss die Amtsniederlegung nur aus wichtigem Grund für zulässig erklärt haben25. Gerechtfertigt wird diese weitreichende Wirkung der Amtsniederlegung auch im Wohnungseigentumsrecht durch die Interessen des Rechtsverkehrs an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Wohnungseigentümer können einen „amtsmüden“ Verwalter, der sein Amt niederlegt, ohnehin nicht im Wege der Zwangsvollstreckung auf Erfüllung seiner Pflichten in Anspruch nehmen. Dem stehen §§ 45 Abs. 3 WEG, 888 Abs. 3 ZPO entgegen. Nach der letztgenannten Norm ist die Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag nicht zwangs__________ 20 BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257 (262). 21 NJW 1995, 2850. 22 So auch OLG Frankfurt, WM 1994, 2250 und OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 556. 23 Vgl. Hüffer, § 84 Rz. 36. 24 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 26 WEG Rz. 481; Merle in Bärmann/Pick/ Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 207; Sauren, § 26 Rz. 38; Bogen, Amtsniederlegung, 98 sowie ZWE 2002, 153 (157). 25 Vgl. Bogen, Amtsniederlegung, 86, 98 (115).

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weise durchsetzbar. Zwar ist das Bestellungsrechtsverhältnis kein Dienstvertrag, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis eigener Art; jedoch ist die entsprechende Anwendung des § 888 Abs. 3 ZPO auf die aus einem Bestellungsrechtsverhältnis geschuldeten unvertretbaren Handlungen geboten. Die Erfüllung der Verwalterpflichten aus dem Bestellungsrechtsverhältnis kann nach dem Rechtsgedanken des § 888 Abs. 3 ZPO nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden26. Von entscheidendem Gewicht sind jedoch – wie im Gesellschaftsrecht – die Interessen des Rechtsverkehrs an klaren Vertretungsverhältnissen in der Wohnungseigentümergemeinschaft. Würde die sofortige Wirkung der Amtsniederlegung des Verwalters bei Streit über das Vorliegen eines wichtigen Grundes oder über die Zulässigkeit einer ordentlichen, das heißt grundlosen Amtsniederlegung in Frage gestellt, könnten weder die Wohnungseigentümer noch Dritte zuverlässig beurteilen, ob der Verwalter noch zur Vertretung der Wohnungseigentümer befugt ist. Diese Ungewissheit würde auch den Verwalter selbst belasten. Auch er hat ein Interesse an eindeutigen Vertretungsverhältnissen. Auch der Verwalter muss wissen, ob er noch berechtigt und verpflichtet ist, für die Wohnungseigentümer zu handeln. Müsste er auf den Ausgang eines Rechtsstreits warten, liefe er Gefahr, sich dadurch schadensersatzpflichtig zu machen, dass er pflichtwidrig von einer noch bestehenden Vertretungsmacht zugunsten der Wohnungseigentümer keinen Gebrauch macht27. Im Vordergrund stehen indessen die Interessen des Rechtsverkehrs an jederzeit klaren Vertretungsverhältnissen. Würde die Wirksamkeit der Amtsniederlegung vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängen, wüssten Dritte, die in rechtsgeschäftlichen Beziehungen zu den Wohnungseigentümern stehen, erst mit dem Ausgang des Rechtsstreits, ob sie ein Rechtsgeschäft – etwa eine Kündigungserklärung – wirksam gegenüber dem Verwalter als Vertreter der Wohnungseigentümer vorgenommen haben oder nicht. Ein Vertragspartner der Wohnungseigentümer – etwa ein Mieter oder ein Bauhandwerker – der gegenüber dem Verwalter als Empfangsvertreter der Wohnungseigentümer28 eine Willenserklärung, zum Beispiel eine Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung abgegeben hat, wäre zunächst im Ungewissen, ob das Rechts__________ 26 Bogen, Amtsniederlegung, 71. 27 Bogen, ZWE 2002, 153 (156). 28 § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG.

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geschäft den Wohnungseigentümern gegenüber wirksam geworden ist. Bogen29 weist mit Recht darauf hin, dass der Dritte regelmäßig gezwungen wäre, das Rechtsgeschäft sicherheitshalber auch gegenüber allen Wohnungseigentümern vorzunehmen und dass er damit so stünde, als ob die außerordentliche Amtsniederlegung sofort wirksam wäre und die Wohnungseigentümer keinen Verwalter mehr hätten. Auch die Wohnungseigentümer selbst können nachteilig betroffen sein, wenn die Wirksamkeit der Amtsniederlegung zunächst zweifelhaft wäre. Deutlich wird die zu besorgende Rechtsunsicherheit am Beispiel der nach der Gemeinschaftsordnung erforderlichen Verwalterzustimmung zur Veräußerung des Wohnungseigentums gemäß § 12 WEG. Würde die Amtsniederlegung nicht in jedem Falle sofort wirksam, so wäre der veräußerungswillige Wohnungseigentümer mit dem Risiko belastet, dass die Zustimmung und damit das Veräußerungsgeschäft unwirksam ist, weil nicht der „richtige“ Verwalter zugestimmt hat30. Vorstellbar ist, dass die Niederlegungserklärung von den Wohnungseigentümern zurückgewiesen wird und der Verwalter wegen der aus seiner Sicht unklaren Rechtslage „vorsorglich“ der Veräußerung zustimmt. Ob der amtierende Verwalter zugestimmt hat oder ob seine Verwalterstellung infolge der Niederlegung erloschen war, stände unter Umständen erst nach dem Ergebnis eines jahrelangen Rechtsstreits fest. Dies wäre für den veräußernden Wohnungseigentümer, aber auch für den Erwerber ein unerträgliches Ergebnis. Für die sofortige Wirksamkeit der Amtsniederlegung spricht auch die Parallele zur Abberufung des Verwalters durch Beschluss der Wohnungseigentümer. Der Abberufungsbeschluss ist unbeschadet einer Anfechtung sofort wirksam31. Bei einem Rechtsstreit über das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Abberufung des Verwalters besteht jederzeit Klarheit darüber, dass der abberufene Verwalter jedenfalls bis zu einer rechtskräftigen Ungültigerklärung des Beschlusses die Verwalterstellung nicht mehr inne hat. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass bei einer außerordentlichen Beendigung der Verwalterstellung sofort klare Vertretungsverhältnisse herrschen sollen. Dieser in § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG zum Ausdruck gekommene Gesetzeszweck gebietet es, auch der Amtsniederlegung durch den Verwalter in jedem Falle sofortige Wirksamkeit zuzuerkennen. __________ 29 ZWE 2002, 153 (156). 30 § 12 Abs. 3 WEG. 31 § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG.

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2. Auswirkungen auf den Verwaltervertrag Die Niederlegungserklärung beendet das Bestellungsrechtsverhältnis, nicht aber den schuldrechtlichen Verwaltervertrag32. Dies ist im Regelfall die Konsequenz der Trennungstheorie. Allerdings ist es – wie im GmbH-Recht33 – zulässig, die Dauer des Verwaltervertrages an die Dauer des Bestellungsrechtsverhältnisses zu knüpfen mit der Folge, dass der Verwaltervertrag mit der Amtsniederlegung endet. Diese Koppelung der getrennt zu betrachtenden Rechtsverhältnisse muss sich jedoch aus dem Vertrag ergeben34.

a) Vergütungsanspruch Legt der Verwalter sein Amt aus wichtigem Grund, das heißt berechtigterweise nieder, ohne zugleich den Verwaltervertrag zu kündigen und besteht auch keine Koppelungsklausel, so behält er nach Maßgabe des § 615 Satz 2 BGB seinen vertraglichen Vergütungsanspruch, gekürzt um die ersparten Aufwendungen35. Ist dagegen die Amtsniederlegung unberechtigt, so hat der Verwalter den Wohnungseigentümern wegen einer Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz zu leisten. Da der Verwaltervertrag in der Regel nicht beendet ist, besteht zwar der gekürzte Vergütungsanspruch fort; dieser kann aber von dem Verwalter nicht gefordert werden, da er Teil des den Wohnungseigentümern entstandenen und vom Verwalter zu ersetzenden Schadens ist36.

b) Kündigung durch den Verwalter Im Regelfall ist mit der Amtsniederlegung aus wichtigem Grund auch die Kündigung des Verwaltervertrages durch den Verwalter aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB verbunden37. Will der Verwalter seine Rechte aus dem Verwaltervertrag, insbesondere seinen Vergütungsan__________ 32 33 34 35

Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 208. BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, NJW 1995, 2850. Vgl. hierzu BayObLG, WE 1994, 147 (148). Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. § 26 WEG Rz. 208; Bielefeld, Der Wohnungseigentümer – Ratgeber zum Wohnungseigentum, 7. Aufl. 2003, 558. 36 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 26 WEG Rz. 485 am Ende. 37 BayObLG, Beschl. v. 29.9.1999 – 2 Z BR 29/99, NZM 2000, 48 = ZWE 2000, 72.

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spruch wahren, empfiehlt sich ein ausdrücklicher Vorbehalt38. Ebenso wie die auf einen wichtigen Grund gestützte Abberufung in aller Regel zugleich die Kündigung des Verwaltervertrages enthält, ist in der „Niederlegung des Verwalteramts“ aus wichtigem Grund im Zweifel auch die außerordentliche Kündigung des Verwaltervertrages zu erblicken. Diese führt zur Beendigung des Verwaltervertrages und damit zum Verlust des Vergütungsanspruchs aus §§ 675, 611, 614 BGB. Ist jedoch die außerordentliche Kündigung des Verwalters durch vertragswidriges Verhalten der Wohnungseigentümer oder einzelner Wohnungseigentümer, zum Beispiel der Beiratsmitglieder, veranlasst worden, so sind diese nach § 628 Abs. 2 BGB zum Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet. Diese Schadensersatznorm hat das Bayerische Oberste Landesgericht in dem erwähnten Beschluss vom 29.9.199939 zu Lasten eines Beiratsmitglieds angewendet, das die fristlose Amtsniederlegung und Verwaltervertragskündigung des WEG-Verwalters durch wiederholte schriftliche beleidigende und herabsetzende Äußerungen gegenüber dem Geschäftsführer der Verwalterin ausgelöst hatte. Im Laufe der Zeit war es zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen der Verwalterin und zwei Mitgliedern des Verwaltungsbeirats gekommen. Ein Verwaltungsbeirat hatte sich wiederholt schriftlich abfällig und beleidigend gegenüber der Verwaltung geäußert. Die von der Verwalterin verlangte Abwahl des gesamten Verwaltungsbeirats fand in der Eigentümerversammlung keine Mehrheit. Daraufhin erklärte die Verwalterin, sie lege aufgrund des Abstimmungsergebnisses die Ausübung des Verwalteramtes aus wichtigen Gründen fristlos nieder. In dem sich anschließenden Wohnungseigentumsverfahren hat das Bayerische Oberste Landesgericht in dieser Erklärung des Verwalters zugleich die außerordentliche Kündigung des Verwaltervertrages erblickt und das betreffende Beiratsmitglied dazu verpflichtet, den der Verwalterin durch die vorzeitige Kündigung des Vertrages entstandenen Verdienstausfall zu ersetzen. Das Gericht hat ausgeführt, dass Meinungsverschiedenheiten oder die Unzufriedenheit des Verwaltungsbeirats mit der Tätigkeit des Verwalters es in keinem Fall rechtfertigen, diesen durch mündliche oder schriftliche Äußerungen verächtlich zu machen und mit Formalbeleidigungen zu überziehen. Nachdem die Versammlung die Abberufung des Verwaltungsbeirats mehrheitlich abgelehnt hatte, war dem Verwalter __________ 38 Vgl. Niedenführ/Schulze, § 26 Rz. 98. 39 NZM 2000, 48 = ZWE 2000, 72 = ZMR 2000, 45.

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eine weitere Verwaltungstätigkeit für die Eigentümergemeinschaft nicht zuzumuten mit der Folge eines Schadensersatzanspruches gegen den Wohnungseigentümer, der die außerordentliche Kündigung des Verwaltervertrages schuldhaft veranlasst hatte. Fehlt ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, kann der Verwalter seinen Vertrag nur nach Maßgabe des § 622 BGB fristgerecht beenden, sofern nicht die ordentliche Kündigung vertraglich ausgeschlossen wurde oder im Verwaltervertrag abweichende Kündigungsfristen vereinbart worden sind.

III. Rechtsfolgen unberechtigter Amtsniederlegung Wie im einzelnen dargelegt wurde, wird die Amtsniederlegung in jedem Fall sofort wirksam. Ob für den Verwalter mit der Amtsniederlegung nachteilige Rechtsfolgen verbunden sind, hängt von der Berechtigung der Niederlegungserklärung ab. Berechtigt ist die Amtsniederlegung, wenn sie in der Gemeinschaftsordnung oder nach dem Inhalt der Verwalterbestellung jederzeit – auch ohne Grund – zulässig ist. Auch in diesem Falle darf die Amtsniederlegung aber nicht zur Unzeit erfolgen. Es ist ein sich aus den §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 675 Abs. 1 BGB ergebender allgemeiner Rechtsgedanke, dass die Kündigung eines Schuldverhältnisses nicht zur Unzeit ausgesprochen werden darf, es sei denn, es besteht ausnahmsweise ein wichtiger Grund zur Amtsniederlegung „zur Unzeit“. Im Falle der ordentlichen Amtsniederlegung ist ein derartiger Grund jedoch schwer vorstellbar, da es dem Verwalter in der Regel noch zumutbar ist, sein Amt jedenfalls so lange weiterhin auszuüben, wie es die Interessen der Wohnungseigentümer gebieten. Für den Verwalter bedeutet dies, dass er die ordentliche Amtsniederlegung nicht unmittelbar vor wichtigen und unaufschiebbaren Verwaltungsmaßnahmen erklärt, die ihn erfordern und deren Unterbleiben Schäden für die Eigentümergemeinschaft nach sich zieht. Das damit für den Verwalter verbundene Schadensersatzrisiko besteht beispielsweise bei einer Amtsniederlegung unmittelbar vor bereits vorbereiteten Beschlussfassungen über Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung oder unaufschiebbare Sanierungsmaßnahmen40.

__________ 40 Vgl. hierzu Bogen, Amtsniederlegung, 135–138.

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Ist eine ordentliche Amtsniederlegung nach dem Bestellungsrechtsverhältnis ausgeschlossen, so kommt es – ebenso wie bei der außerordentlichen Abberufung oder bei der außerordentlichen Kündigung – darauf an, ob für die Amtsniederlegung ein wichtiger Grund vorhanden war oder nicht. Ein wichtiger Grund für die Amtsniederlegung liegt dann vor, wenn dem Verwalter unter Berücksichtigung aller, nicht notwendig von den Wohnungseigentümern verschuldeter Umstände nach Treu und Glauben eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Wohnungseigentümern nicht mehr zugemutet werden kann und deshalb das Vertrauensverhältnis zerstört ist. Dies ist eine Frage der Bewertung im Einzelfall. Die Amtsniederlegung kann etwa aus wichtigem Grund gerechtfertigt sein, wenn die Wohnungseigentümer trotz erfolgter Bestellung sich weigern, einen Verwaltervertrag zu angemessenen Bedingungen mit dem Verwalter abzuschließen41. Im übrigen beschränke ich mich darauf, auf die kaum überschaubare Kasuistik in der Rechsprechung zu den Abberufungs- und Kündigungsfällen zu verweisen42.

1. Vertragskündigung durch die Wohnungseigentümer Ist die Amtsniederlegung unberechtigt, sind die Wohnungseigentümer befugt, den Verwaltervertrag gemäß § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zu kündigen43. Die unberechtigte Amtsniederlegung stellt einen schwerwiegenden Pflichtenverstoß dar, der es den Wohnungseigentümern unzumutbar macht, den Anstellungsvertrag aufrecht erhalten zu müssen und damit weiterhin zumindest hinsichtlich der Nebenpflichten vertraglich gegenüber dem Verwalter gebunden zu sein44. Die Wohnungseigentümer müssen bei der außerordentlichen Kündigung des Verwaltervertrages die Ausschlussfrist des § 626 BGB beachten. Danach kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Wegen der besonderen Organisationsverhältnisse in einer Wohnungseigentümergemeinschaft tritt an die Stelle der gesetzlichen __________ 41 Vgl. Bogen, Amtsniederlegung, 55 (60). 42 Vgl. hierzu Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 166 ff.; Palandt/Putzo, BGB, 61. Aufl. 2002, § 626 BGB Rz. 37 ff. 43 Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 26 WEG Rz. 486; Merle in Bärmann/Pick/ Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 208; Müller, Rz. 469. 44 Bogen, Amtsniederlegung, 133.

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Zweiwochenfrist eine angemessene Frist, die mit dem Zugang der Niederlegungserklärung bei dem letzten Wohnungseigentümer beginnt45. Im Einzelfall ist zu berücksichtigen, innerhalb welchen Zeitraums die Gemeinschaft die Möglichkeit hatte, sich zu formieren und in einer Wohnungseigentümerversammlung zu artikulieren. Während es in einer kleinen Gemeinschaft unter Umständen möglich ist, ohne Probleme eine außerordentliche Versammlung binnen weniger Tage einzuberufen, ist es bei einer großen Gemeinschaft erfahrungsgemäß schwer, eine beschlussfähige außerordentliche Versammlung zustande zu bringen. Den Wohnungseigentümern muss ausreichende Zeit zugebilligt werden, um im Wege des Minderheitenquorums gemäß § 24 Abs. 2 WEG die Einberufung einer Versammlung mit dem Tagesordnungspunkt der fristlosen Kündigung des Verwaltervertrages durchzusetzen. Angesichts der unterschiedlichen Gegebenheiten ist es nicht möglich, die angemessene Frist für die außerordentliche Kündigung generell und präzise zu bestimmen. Jedoch müssen die kündigungswilligen Wohnungseigentümer alles in ihren Kräften Stehende zur Durchsetzung des Kündigungsverlangens tun, wollen sie nicht Gefahr laufen, dass ihr Kündigungsbegehren entsprechend § 626 Abs. 2 BGB als verfristet angesehen wird46.

2. Schadensersatzpflicht des Verwalters Bei einer unberechtigten Amtsniederlegung hat der Verwalter den Wohnungseigentümern wegen einer Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz zu leisten47. Auch insoweit ist die Rechtslage mit derjenigen im GmbH-Recht vergleichbar48. Durch die unberechtigte Amtsniederlegung und Einstellung der Verwaltertätigkeit verstößt der Verwalter rechtswidrig und schuldhaft gegen die durch die Bestellung und den Anstellungsvertrag übernommene „Pflicht zum Amt“49. Die unberechtigte Amtsniederlegung erfolgt regelmäßig auch schuldhaft. Von einem gewerblich tätigen professionellen Verwalter kann erwartet werden, dass er sich vor einem derart weitreichenden Schritt wie der __________ 45 Vgl. Müller, Rz. 473 mit Rechtsprechungsnachweisen; Bogen, Amtsniederlegung, 133, 134. 46 Vgl. hierzu BayObLG, NZM 2000, 341 (342). 47 Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 208; Sauren, § 26 Rz. 38; Bogen, Amtsniederlegung, 139. 48 Karsten Schmidt, § 36 II, 1072. 49 So Bogen, Amtsniederlegung, 140.

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Amtsniederlegung vergewissert, dass ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Tut er dies nicht, holt er insbesondere keinen Rechtsrat ein, wird den Verwalter bei der unberechtigten Amtsniederlegung regelmäßig der Schuldvorwurf treffen50. Das mit einer unberechtigten Amtsniederlegung für den Verwalter verbundene Schadensersatzrisiko ist beträchtlich. Der den Wohnungseigentümern entstehende Schaden kann darin liegen, dass wegen des Fehlens eines amtierenden Verwalters dringende Sanierungsmaßnahmen verzögert werden, die Aufstellung von Wirtschaftsplänen und/oder Jahresabrechnungen unterbleibt oder eine Eigentümerversammlung abgesagt werden muss. Der Verwalter ist daher gut beraten, vor einer Amtsniederlegung sorgfältig zu prüfen, ob die von ihm angeführten Gründe von solchem Gewicht sind, dass sie eine außerordentliche, sofort wirksame Niederlegungserklärung aus wichtigem Grund rechtfertigen.

IV. Zusammenfassung – Die Amtsniederlegung führt als abstrakte, einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Verwalters zur Beendigung des Bestellungsrechtsverhältnisses. Sie ist bedingungsfeindlich, weder formnoch fristgebunden und nicht nachträglich widerruflich. – Die Niederlegungserklärung muss allen Wohnungseigentümern zugehen. Eine Erklärung in der Wohnungseigentümerversammlung ist in der Regel weder erforderlich noch ausreichend. – Die Amtsniederlegung wird unabhängig davon, ob sie jederzeit zugelassen ist, ob sie auf Gründe gestützt wird oder ob objektiv ein wichtiger Niederlegungsgrund gegeben ist, in jedem Fall zum Schutz des Rechtsverkehrs sofort wirksam. – Die Amtsniederlegung als solche lässt den Verwaltervertrag – vorbehaltlich einer Koppelungsklausel – unberührt. – Im Regelfall enthält die Amtsniederlegung aus wichtigem Grund zugleich die Kündigung des Verwaltervertrages durch den Verwalter aus wichtigem Grund. – Sowohl die zur Unzeit ausgesprochene ordentliche Amtsniederlegung als auch eine unberechtigte außerordentliche Amtsniederlegung __________ 50 So zutreffend Bogen, Amtsniederlegung, 140.

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können zu Schadensersatzansprüchen der Wohnungseigentümer gegen den Verwalter wegen schuldhafter Pflichtverletzung führen. Die unberechtigte Amtsniederlegung berechtigt die Wohnungseigentümer darüber hinaus, den Verwaltervertrag aus wichtigem Grund zu kündigen.

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Die rechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft – Vorzüge eines Paradigmenwechsels – dargestellt am Beispiel der Haftung für Verwaltungsschulden – Martin Häublein Inhaltsübersicht I. Grundlagen 1. Ausgangspunkt: Die Wohnungseigentümergemeinschaft als (spezielle) Bruchteilsgemeinschaft 2. Begriff der Verwaltungsschuld und Abgrenzung zu sog. „Aufbauschulden“ II. Zuordnung des Verwaltungsvermögens und Haftung der Eigentümer für Verwaltungsschulden – Diskrepanzen und ihre Folgen 1. Haftung für Verwaltungsschulden bei Eigentümerwechsel a) Wohnungseigentumsrechtliche Lösung b) Vertragsrechtliche Lösung 2. Haftung des Verwaltungsvermögens für Verwaltungsschulden 3. „Aufstieg und Fall“ der Lehre vom sog. Haftungsverband in der Rechtsprechung des Kammergerichts

4. Verbleibende Theoriedefizite III. Die Wohnungseigentümergemeinschaft als Vertragspartei und Trägerin des Verwaltungsvermögens 1. Die These von der rechtsfähigen Wohnungseigentümergemeinschaft 2. Rezeption in Rechtsprechung und Schrifttum 3. Ein Blick in das Gesellschaftsrecht: Die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts 4. Schlussfolgerungen für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer a) Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft b) Zuordnung von Vermögensgegenständen IV. Resümee und Ausblick

„Das Wohnungseigentumsrecht befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Ursache hierfür ist ein Theoriedefizit auf diesem Gebiet, welches zu einer kaum noch überschaubaren Meinungsvielfalt in Detailfragen … führt“*. Der Befund kommt nicht von ungefähr, zumindest eine gegenläufige Tendenz ist aber seit einigen Jahren klar er__________ * Seeger, MittBayNot 2003, 480.

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kennbar. Joachim Wenzel hat durch seine Tätigkeit einen gewichtigen Beitrag dazu geleistet, die dogmatischen Grundstrukturen dieser ihm besonders am Herzen liegenden Rechtsmaterie deutlich werden zu lassen. Dies gilt nicht nur für seine wissenschaftliche Arbeit, sondern auch für sein Wirken als Vorsitzender des V. Zivilsenats des BGH. In dieser Eigenschaft hat er etliche grundlegende Entscheidungen wohl nicht nur mitgetragen, sondern auch entscheidend beeinflusst. Die jüngere Spruchpraxis des Senats ist geprägt von dem Bestreben, wohnungseigentumsrechtliche Probleme in Konkordanz mit dem sonstigen Zivilrecht, insbesondere dem Gesellschafts- und Verbandsrecht, zu lösen. Hier setzt der folgende Beitrag an.

I. Grundlagen 1. Ausgangspunkt: Die Wohnungseigentümergemeinschaft als (spezielle) Bruchteilsgemeinschaft „Wohnungseigentum ist das Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört“ (§ 1 Abs. 2 WEG). Es ist also eine Mischform vertrauter zivilrechtlicher Kategorien, nämlich des Alleineigentums (an einer Wohnung oder nicht Wohnzwecken dienenden Räumen) und des Miteigentums (§§ 1008 ff. BGB) nach (ideellen) Bruchteilen am Grundstück einschließlich der in § 1 Abs. 5 WEG umschriebenen Gebäudeteile. Diese scheinbar klaren Vorgaben des Gesetzes lassen vermuten, dass die Einordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft (WE-Gem.) als Bruchteilsgemeinschaft i. S. d. §§ 741 ff. BGB allgemein gesicherte Erkenntnis ist, zumal § 10 Abs. 1 Satz 1 WEG explizit die Vorschriften des BGB über die Gemeinschaft in Bezug nimmt. Gleichwohl existiert – mehr oder weniger seit dem Inkrafttreten des WEG im Jahre 19511 – eine Ansicht, die diese Beschränkung des rechtlichen Phänomens für

__________ 1 Vgl. Bärmann, AcP 155, 1 (13 f.). Zu der von Bärmann angenommenen sog. „dreigliedrigen Einheit“ bzw. „Trinität“ des Wohnungseigentums vertiefend: ders., Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Ein Beitrag zur Lehre von den Personen-Gemeinschaften, Partner im Gespräch (PiG) Bd. 22, 20 ff., speziell zur Rechtssubjektivität S. 215 ff.; vgl. ferner dens., NJW 1989, 1057.

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verfehlt hält. Insbesondere wurde die WE-Gem. wiederholt in die Nähe der Gesamthand gerückt oder gar als solche bezeichnet2. Dass dieser grundlegende Streit bislang nicht zur Ruhe gekommen ist und durch die seit kurzem wieder besonders intensiv geführte Diskussion um die Rechtsfähigkeit der WE-Gem3. sogar noch verstärkt wird, liegt vor allen Dingen daran, dass sich die auf Weitnauer4 zurückgehende Lehre von der modifizierten Bruchteilsgemeinschaft bei der Bewältigung teilweise alltäglicher Sachverhalte als ungeeignet oder zumindest wenig überzeugend erweist. Ursache hierfür dürfte das Leitbild sein, das hinter den Regelungen über die schlichte Gemeinschaft steht, nämlich das eines vorübergehenden, mehr oder weniger zufälligen Miteigentums i. S. einer „communio incidens“5. Eine auf Dauer (§ 11 WEG) angelegte Gemeinschaft hingegen, die in wechselnder Zusammensetzung am Rechtsverkehr teilnimmt, erfordert andere Regelungen: Zum einen führen die Vorschriften über die Finanzverwaltung (insbesondere §§ 28 Abs. 2, 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG) zur Ansammlung eines zweckgebundenen Vermögens (sog. Verwaltungsvermögen), was entweder für eine gesamthänderische Bindung des Vermögens oder seine Zuordnung zu einem überindividuellen Rechtsträger spricht. Zum anderen erschweren vor allem große WE-Gem. mit ständig wechselndem Bestand den Rechtsverkehr enorm, da Gläubiger bei konsequenter Anwendung der Bruchteilslehre gezwungen wären, sich über die Zusammensetzung ihres Vertragspartners ggf. durch Einsichtnahme in das Grundbuch Klarheit zu verschaffen, was u. a. zu erhöhten __________ 2 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der gesamthänderischen Bindung (1972), 157 ff., mit dem Hinweis, der Verweis in § 10 Abs. 1 WEG auf die §§ 741 ff. BGB regele nur die schuldrechtlichen Beziehungen der Eigentümer, sage aber nichts über die Zuordnung der Vermögensgegenstände. Ferner Merle, Das Wohnungseigentum im System des Bürgerlichen Rechts (1979), 129 ff.; Bärmann, PiG 22, 189 ff. 3 Hierzu aus jüngster Zeit: Raiser, ZWE 2001, 173; Maroldt, ZWE 2002, 387; sowie die Beiträge anlässlich der Fischener Fachgespräche 2001 von Bub, Derleder und Sauren in PiG 63. 4 Vgl. Weitnauer, WEG, 8. Aufl. (1995), Vor § 1 Rz. 30 f.; dens., JZ 1951, 161 (164). Sofern Weitnauer (Vor § 1 Rz. 59) darauf hinweist, seine Ansicht stehe der Annahme einer „dreigliedrigen Einheit“ nicht entgegen, sondern es gehe ihm vielmehr um die Wahrung der Selbständigkeit der einzelnen Elemente, handelt es sich der Sache nach freilich um das Eingeständnis, dass die Lehre von der Bruchteilsgemeinschaft erheblicher Modifizierungen bedarf. 5 Ausdruck dessen ist insbesondere der Aufhebungsanspruch in § 749 BGB.

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Transaktionskosten führen würde. Die Schwierigkeiten, die sich bei konsequenter Anwendung der Bruchteilslehre ergeben, treten bei der Haftung der Wohnungseigentümer für sog. Verwaltungsschulden besonders deutlich zu Tage.

2. Begriff der Verwaltungsschuld und Abgrenzung zu sog. „Aufbauschulden“ Als Verwaltungsschulden werden – kurz gesagt – Verbindlichkeiten bezeichnet, die aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums i. S. d. §§ 20 ff. WEG herrühren (z. B. Verträge über Wärme- oder Gaslieferung, Wartungsverträge für gemeinschaftliche Einrichtungen und Anlagen, Verwaltervertrag). Für sie gilt, verneint man die Existenz einer rechtsfähigen Gemeinschaft, der allgemeine Grundsatz des § 427 BGB, d. h. im Zweifel haften die Wohnungseigentümer als Gesamtschuldner. Hiervon zu unterscheiden sind nach verfestigter Ansicht des BGH6 sog. „Aufbauschulden“. Dabei handelt es sich um Verbindlichkeiten, die durch die Errichtung der Wohnungseigentumsanlage entstehen. Infolge der Interessenlage der Erbauer geht der BGH von einer teilschuldnerischen Haftung aus; denn das aus einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung erwachsende Risiko wolle – für den Vertragspartner durchaus erkennbar – kein Wohnungseigentümer übernehmen7. Die Haftungsquote des einzelnen Miteigentümers bemisst sich nach der Größe des Miteigentumsanteils. Die Abgrenzung zwischen Verwaltungs- und Aufbauschulden bereitet dann Schwierigkeiten, wenn die Wohnungseigentümer Werkleistungen in Auftrag geben, die zwar der Erstherstellung der Wohnanlage dienen8, diese Maßnahme aber von der Wohnungseigentümerversammlung mehrheitlich beschlossen worden ist. Es wird nämlich überwiegend davon ausgegangen, dass die erstmalige Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands des gemeinschaftlichen Eigentums zu den Verwaltungsmaß__________ 6 U. a.: BGH, Urt. v. 29.9.1959 – VIII ZR 105/58, NJW 1959, 2160 (2161); BGH, Urt. v. 21.10.1976 – VII ZR 193/75, BGHZ 67, 232 (235 ff.); BGH, Urt. v. 18.6.1979 – VII ZR 187/78, BGHZ 75, 26 (28 ff.). 7 Bestätigt durch BGH, Urt. v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1; zust. Canaris, ZGR 2004, 69 (102). 8 Z. B. Beseitigung eines Baumangels oder Anpassung an die ursprüngliche Baubeschreibung.

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nahmen i. S. d. § 21 Abs. 3 WEG zählt9. Aus diesem Umstand werden unterschiedliche Konsequenzen gezogen: Teilweise wird eine Beschränkung der teilschuldnerischen Haftung für die „Zeit der Errichtung des Gebäudes“ gefordert und Instandsetzungsaufträge nach der Errichtungsphase werden den Verwaltungsschulden zugeordnet10. Nach anderer Ansicht11 soll auch die – u. U. erst Jahre nach der Fertigstellung der Wohnanlage durch den Bauträger – mehrheitlich von den Eigentümern beschlossene erstmalige Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums entsprechend dem Aufteilungsplan zur Begründung einer Aufbauschuld (Herstellungsschuld) führen. In Anbetracht der Vermutungsregel des § 427 BGB wird man eine teilschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer nur annehmen können, wenn es für den anderen Vertragsteil ohne weiteres erkennbar ist, dass es sich um eine Maßnahme der Errichtung der Wohnanlage handelt. Dies ist bei Maßnahmen, die auf die Beseitigung eines ursprünglichen Baumangels gerichtet sind, regelmäßig dann nicht der Fall, wenn der Auftrag nicht von der „Bauherrengemeinschaft“, sondern von den Wohnungseigentümern vergeben wird. Aus der Sicht des Auftragnehmers handelt es sich dann nämlich um Instandsetzungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum, weshalb im Zweifel vom Bestehen einer Verwaltungsschuld auszugehen ist12. Anders kann die Rechtslage zu beurteilen sein, wenn die Errichtung eines nach der Baubeschreibung bzw. dem Aufteilungsplan vorgesehenen Baukörpers oder Bauteils in Auftrag gegeben wird. Auf den ersten Blick liegt es nahe, den Abschluss eines entsprechenden Werkvertrages nicht anders zu behandeln als den ursprünglichen, auf Errichtung der Wohnanlage zielenden. Eine derartige Argumentation ließe jedoch die Begründung außer acht, die der BGH für die unterschiedliche Behandlung von Verwaltungs- und Aufbauschulden liefert: Die Wohnungseigentümer seien durch die u. a. in § 21 Abs. 3 WEG verbürgte Mitent__________ 9 Statt vieler: Ott, NZM 2003, 134 (136); aus der Rspr. nur: BayObLG, Beschl. v. 20.11.2002 – 2Z BR 144/01, ZfIR 2003, 64 (66) = ZWE 2003, 80, das zwar auf § 22 Abs. 2 WEG rekurriert, aber gleichwohl eine Beschlusszuständigkeit der Wohnungseigentümerversammlung gem. § 21 Abs. 3 WEG annimmt. 10 Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 16 WEG Rz. 141. 11 Heerstraßen, Schuldverhältnisse der Wohnungseigentümer (1998), 140 f. 12 Anders Bydlinski in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 420 RdNr. 9: teilschuldnerische Haftung auch bei „grundlegender Sanierung“. Diese Ansicht begegnet nicht zuletzt deswegen Bedenken, weil sie den Umfang der Haftung entgegen § 427 BGB von wenig präzisen Kriterien abhängig macht.

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scheidungsbefugnis und die gem. § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 4 WEG anzusammelnde Instandhaltungsrücklage geschützt, weshalb ihnen das Wagnis einer Haftung gem. § 427 BGB zuzumuten sei13. Treten die Vertragspartner des Werkunternehmers also als Wohnungseigentümer auf, spricht dies im Zweifel für die Begründung einer Verwaltungsschuld. Selbst die Errichtung neuer Gebäude kann als bauliche Veränderung i. S. d. § 22 Abs. 1 WEG eine – wenngleich über den Rahmen des Ordnungsmäßigen hinausgehende – Maßnahme der Verwaltung des Wohnungseigentums darstellen14. Etwas anderes kann beim sog. „steckengebliebenen Bau“15 gelten. Bei diesem ist typischer Weise offenkundig, dass die Errichtungsphase planungswidrig nicht abgeschlossen wurde. Für den Werkunternehmer ist folglich erkennbar, dass auf die einzelnen (zukünftigen) Wohnungseigentümer Kosten zukommen, die über das hinausgehen, was im Rahmen der gewöhnlichen Verwaltung, für die eine Rücklage gebildet wird, aufzuwenden ist. Festzuhalten ist, dass nicht nur die vom Verwalter namens der Wohnungseigentümer zum Zwecke des Betriebs und der Unterhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums abgeschlossenen Verträge im Zweifel Verwaltungsschulden begründen, sondern auch Bauverträge, die auf Instandsetzung oder Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums gerichtet sind. „Aufbauschulden“ sind demgegenüber nur anzunehmen, wenn für den Vertragspartner erkennbar ist, dass er es mit Bauherren zu tun hat, die bei Auftragsvergabe nicht durch die Vorschriften der §§ 20 ff. WEG geschützt werden. Indiz für die Existenz von Verwaltungsschulden ist daher die Bezeichnung der Besteller als „Wohnungseigentümer“ oder „Wohnungseigentümergemeinschaft“. Ob § 427 BGB aber tatsächlich auf derartige Verwaltungsschulden Anwendung findet, hängt davon ab, ob Vertragspartner des Dritten tatsächlich „mehrere“ Wohnungseigentümer sind oder aber die Gemeinschaft als solche (hierzu unter III.). __________ 13 Vgl. insb. BGH, Urt. v. 18.6.1979 – VII ZR 187/78, BGHZ 75, 26 (30). 14 Eine andere Frage ist es, ob tatsächlich sämtliche Wohnungseigentümer aus dem Bauvertrag verpflichtet sind. Handelt der Verwalter für die Wohnungseigentümer, kann er bauliche Veränderungen auch dann nicht mit Wirkung für und gegen die Eigentümer in Auftrag geben, wenn er im übrigen berechtigt ist, Verträge zur Instandsetzung und -haltung des gemeinschaftlichen Eigentums abzuschließen. 15 Zum Begriff des steckengebliebenen Baus und seinen wohnungseigentumsrechtlichen Folgefragen jüngst Ott, NZM 2003, 134; vgl. ferner Riesenberger, FS Deckert (2002), 395.

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II. Zuordnung des Verwaltungsvermögens und Haftung der Eigentümer für Verwaltungsschulden – Diskrepanzen und ihre Folgen 1. Haftung für Verwaltungsschulden bei Eigentümerwechsel a) Wohnungseigentumsrechtliche Lösung Auf der Grundlage der dargestellten Prämissen bejaht die wohl überwiegende Ansicht eine Verpflichtung der bei Vertragsschluss zur Gemeinschaft gehörenden Eigentümer für Verwaltungsschulden gem. § 427 BGB. Der Wechsel im Bestand der WE-Gem. soll grundsätzlich keinen Einfluss auf den Vertrag mit dem Dritten haben16. Demgegenüber wird unter Hinweis auf § 10 Abs. 3 und Abs. 4 WEG die Ansicht17 vertreten, der Erwerber trete in bestehende Verträge der Wohnungseigentümer ein, was allerdings zum Teil nur für Dauerschuldverhältnisse befürwortet wird18. Haben die Eigentümer über den Vertragsschluss mit dem Dritten beschlossen und hat der Verwalter (oder ein anderer beauftragter Vertreter) auf dieser Grundlage das Rechtsgeschäft abgeschlossen, so soll auch der Erwerber vertraglich gebunden sein. Unmittelbar sind die genannten Vorschriften allerdings schwerlich anwendbar: § 10 Abs. 3 WEG regelt allein die Bindung von Sondernachfolgern im Innenverhältnis, entspricht insofern also der Regelung des § 746 BGB. § 10 Abs. 4 WEG ordnet die Bindung überstimmter oder bei der Beschlussfassung nicht mitwirkender Eigentümer an solche Rechtsgeschäfte an, deren Abschluss Gegenstand eines Beschlusses war. Die Vorschrift setzt damit die Mehrheitsmacht konsequent im Außenver__________ 16 BGH, Urt. v. 25.9.1980 – VII ZR 276/79, BGHZ 78, 166 = NJW 1981, 282 (283 f.); OLG Oldenburg, Urt. v. 9.4.1993 – 14 U 5/92, WE 1994, 218 (219 f.); OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.1996 – 22 U 245/95, NJWE-MietR 1996, 273; Staudinger/Rapp, WEG, 12. Aufl., Einl. WEG Rz. 50; Weitnauer/Gottschalg, WEG, 9. Aufl. (2005), § 16 RdNr. 45; vgl. auch Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl. (1997), § 16 RdNr. 10. 17 Insb. Merle, Bestellung und Abberufung des Verwalters gem. § 26 WEG (1977), 49 f.; ders., Das Wohnungseigentum im System des Bürgerlichen Rechts (1979), 101 ff.; Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 WEG Rz. 68. 18 Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 16 WEG Rz. 11; Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl. (2005), § 10 Rz. 61; s. auch Briesemeister in Riecke/Warda (Hrsg.), Potsdamer WEG-Tage (2000), 185, 198.

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hältnis um, regelt aber nicht die Frage der Bindung von Sondernachfolgern19. Gleichwohl bejahen verschiedene Gerichte die Bindung von Erwerbern zumindest an den Verwaltervertrag20. Dabei wird aber nicht näher begründet, worin die Besonderheit dieses Vertrages liegen soll. Dem gleichen Einwand setzt sich die Literaturansicht aus, die eine Bindung von Sondernachfolgern über § 10 Abs. 4 WEG an Dauerschuldverhältnisse bejaht, während sie zum Schutze der Erwerber von Wohnungseigentum eine Vertragsüberleitung in den übrigen Fällen ablehnt21. Das dahinter stehende Bestreben ist zwar verständlich, weil eine umfassende persönliche Erwerberhaftung für Altverbindlichkeiten die Verkehrsfähigkeit des Wohnungseigentums beeinträchtigen könnte und deswegen nahezu einhellig abgelehnt wird22; jedoch ist damit die Sonderbehandlung einzelner Verträge keineswegs gerechtfertigt und es wird gegen die Analogie folgerichtig eingewandt, das Fehlen einer gesetzlichen Haftungsanordnung sei keine planwidrige Unvollständigkeit. Der Gesetzgeber habe das Problem erkannt und eine Bindung von Sondernachfolgern lediglich in § 10 Abs. 2, Abs. 3 WEG, d. h. für das Innenverhältnis der Wohnungseigentümer angeordnet23. Selbst wenn man eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 4 WEG befürwortete, bliebe zu klären, unter welchen Voraussetzungen der veräußernde Eigentümer aus dem Vertragsverhältnis ausscheidet. Es liegt auf der Hand, dass eine dauerhafte Bindung bei gleichzeitigem Eintritt des Sondernachfolgers in das Vertragsverhältnis keine überzeugende Lösung ist. Über die Jahre würde der Vertragspartner immer mehr __________ 19 Vgl. Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger … (2002), 114 ff.; Ott, ZMR 2002, 169 (170). 20 BayObLG, Beschl. v. 6.10.1986 – BReg 2 Z 88/85, BayObLGZ 1986, 368 (370); KG, Beschl. v. 20.9.1993 – 24 W 188/93, NJW-RR 1994, 83 = ZMR 1994, 579; OLG Hamm, Beschl. v. 23.5.2000 – 15 W 119/00, ZWE 2000, 478 (480). Ebenso Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl. (2005), § 26 Rz. 26. 21 S. nur Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 16 WEG Rz. 10. Vgl. demgegenüber BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 375, der die Problematik für die GbR weiter fasst und neben Dauerschuldverhältnissen „langfristige Vertragsverhältnisse“ ausdrücklich benennt. 22 Gegen eine Erwerberhaftung dezidiert: Bub, PiG 63, 1 (24); Derleder, PiG 63, 29 (51); Maroldt, Die Rechtsfolgen einer Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, 2004, S. 81 f. 23 S. OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.1996 – 22 U 245/95, NJWE-MietR 1996, 273; Ott, ZMR 2002, 169 (171).

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Schuldner erhalten. Der vereinzelt erwogenen entsprechenden Anwendung der §§ 736 Abs. 2 BGB, 160 HGB24 wird das Fehlen einer vergleichbaren Interessenlage entgegen gehalten25. Die zitierten Haftungsbegrenzungsvorschriften seien auf Personenmehrheiten zugeschnitten, die als solche am Rechtsverkehr teilnehmen26. Inwiefern die WE-Gem. als rechtsfähige Personengruppe am Rechtsverkehr teilnehmen kann, wird unter III. betrachtet. Hier jedenfalls kann festgehalten werden, dass § 10 Abs. 4 WEG nicht der geeignete Anknüpfungspunkt ist, die Außenhaftung der Wohnungseigentümer für Verwaltungsschulden zu regeln27. Die Norm macht den Rekurs auf außerwohnungseigentumsrechtliche Normen offenbar nicht entbehrlich.

b) Vertragsrechtliche Lösung Eine verbreitet vertretene Gegenposition sucht die Lösung des Problems allein auf der Ebene der vertraglichen Beziehungen zum Dritten28. Plakativ hat Weitnauer29 dies umrissen: „Die Frage, wer aus einem mit Bezug auf Wohnungseigentum geschlossenen Vertrag – „Verwaltungsschuld“ – verpflichtet ist, beurteilt sich nach Vertragsrecht, nicht nach Wohnungseigentumsrecht.“ Um zu erreichen, dass derjenige Vertragspartei wird, der als Eigentümer der Wohnung auch Nutznießer der Leistung ist, käme eine Vertragsübernahme in Betracht, an der neben dem Veräußerer und dem Erwerber auch der Dritte mitwirken müsste (vgl. § 415 BGB)30. Da entsprechende Erklärungen ausdrücklich höchst selten abgegeben werden, wird eine bereits bei Vertragsschluss erteilte Zustimmung des Dritten zu __________ 24 Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 16 WEG RdNr. 10. 25 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger … (2002), 122 f.; ebenso Ott, ZMR 2002, 169 (173). 26 Es ist insofern nur konsequent, wenn Bub, PiG 63, 1 (20 ff.), nunmehr die „(Teil-)Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft“ bejaht. 27 So jüngst auch Elzer, ZMR 2004, 633 (636). 28 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger … (2002), 118 ff.; Ott, ZMR 2002, 169 (172); zust. Elzer, ZMR 2004, 633 (636). 29 WE 1995, 220 unter Hinweis auf Flume, Personengesellschaft (1977), § 8 (S. 114). 30 Vgl. etwa Briesemeister, FS Deckert (2002), 31 (39), der freilich wenig später, S. 42 unten, ein Ausscheiden des Veräußerers aus dem Haftungsverband ohne nähere Begründung bejaht, wenn der Erwerber gem. § 10 Abs. 3 WEG im Innenverhältnis (!) zur Kostentragung verpflichtet wird.

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einer späteren Vertragsübernahme durch Sondernachfolger erwogen, und zwar entweder unter Rekurs auf die Verkehrssitte gem. § 157 BGB31 oder aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung32. Regelmäßig fehlt es aber auch an einer ausdrücklichen Eintrittserklärung des Sondernachfolgers33. Um diese nicht de facto zu fingieren34, müssten Erwerbsvertrag und Verhalten des Erwerbers jeweils im Einzelfall35 auf ihren Erklärungswert hin untersucht werden, was die Verwaltung von Wohnungseigentum erheblich verkomplizieren würde (hierzu näher sub II. 2.). Ähnlichen Anwürfen sieht sich eine jüngst vertretene Auffassung ausgesetzt36. Der Verwalter, so diese Ansicht, könne bei Vertragsschluss als Vertreter ohne Vertretungsmacht auch für künftige Wohnungseigentümer auftreten und diese seien nach ihrem Eintritt in die WE-Gem. gem. § 10 Abs. 3 WEG zur Genehmigung (§ 177 Abs. 1 BGB) der die Wohnanlage betreffenden Rechtsgeschäfte verpflichtet. Jedoch wird ein entsprechender Vertretungswille des Verwalters regelmäßig nicht zu ermitteln sein und damit für die meisten Verträge eine Bindung der Sondernachfolger fehlen. Versucht man hingegen den Vertretungswillen aus den Umständen herzuleiten, liefe dies darauf hinaus, eine Vertragsüberleitung letztlich dort anzunehmen, wo sie „billig“ erscheint. Der Rekurs auf den Parteiwillen wäre also regelmäßig fiktiv. Im Übrigen erscheint das Erfordernis einer ggf. gerichtlich einzufordernden Genehmigungserklärung des Sondernachfolgers gerade bei größeren Wohnanlagen mit häufig wechselndem Eigentümerbestand ausgesprochen aufwendig.

__________ 31 Vgl. etwa Staudinger/Rapp, WEG, 12. Aufl., Einl. WEG Rz. 54. 32 Vgl. Häublein in Riecke (Hrsg.), Potsdamer WEG-Tage (2001), 83 (103). 33 Nach Ansicht des BGH, Urt. v. 17.3.2004 – VIII ZR 95/03, NZM 2004, 425, kommt aber ein konkludenter Vertragsschluss mit dem Erwerber nicht in Betracht, wenn bereits ein Vertragsverhältnis zwischen dem Dritten und dem Veräußerer besteht; ebenso Elzer, ZMR 2004, 633 (636 f.). 34 Vgl. hierzu jüngst BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 375 (zur GbR), der ein solches Vorgehen (nunmehr) als „methodisch unaufrichtige Konstruktion“ brandmarkt. 35 Für die GbR hat allerdings Canaris, ZGR 2004, 69 (116), jüngst eine allgemeine „ungeschriebene Auslegungsregel“ erwogen, allerdings ohne deren Fundament näher zu begründen. 36 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger … (2002), 118 ff.; zust. Ott, ZMR 2002, 169 (172).

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Das Ausscheiden des Veräußerers aus den das gemeinschaftliche Eigentum betreffenden Vertragsverhältnissen will diese Ansicht durch ein entsprechendes Teilkündigungsrecht erreichen37. Auch das begegnet Bedenken: Ist der Vertrag nicht ordentlich kündbar, wird es regelmäßig bereits am Vorliegen der Voraussetzungen für ein außerordentliches Kündigungsrecht fehlen38. Außerdem gilt bei Beteiligung mehrerer an einem Dauerschuldverhältnis der Grundsatz, dass ein Einzelkündigungsrecht nur bei entsprechender Vereinbarung besteht. Auch hier wäre eine Einzelfallprüfung erforderlich, die vor allem größere Wohnanlagen unverwaltbar machen würde, was sich bei der Begleichung von Verwaltungsschulden durch den Verwalter zeigt.

2. Haftung des Verwaltungsvermögens für Verwaltungsschulden Zu den Aufgaben des Verwalters gehört im Rahmen der Finanzverwaltung die Begleichung von Rechnungen, die Dritte für Leistungen „an die Gemeinschaft“ stellen. Typischer Weise prüft der Verwalter lediglich die ordnungsmäßige Erbringung der das gemeinschaftliche Eigentum bzw. dessen Gebrauch betreffenden Leistung. Bejaht er diese, bezahlt er die Gläubiger aus den Mitteln der Gemeinschaft, sei es unter Rückgriff auf die Instandhaltungsrücklage oder aus dem Bewirtschaftungskonto. Es kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass genau dies der Sinn und Zweck des vom Gesetzgeber in den §§ 16, 21, 28 WEG angeordneten Finanzwesens ist. Am Verwaltungsvermögen ist nach einem Eigentümerwechsel aber der Sondernachfolger beteiligt. Auf die Einzelheiten des Streits um die Zuordnung dieses Vermögens kann hier nicht eingegangen werden39. Jedenfalls im Ergebnis besteht überwiegend Einigkeit darüber, dass der Sondernachfolger mit dem Eigentumserwerb hinsichtlich dieses Vermögens in die Position des Veräußerers einrückt40. Dies muss ex lege geschehen, um auch bei einem Erwerb in der Zwangsversteigerung die Überleitung des zweckgebundenen Verwaltungsvermögens zu gewährleisten. __________ 37 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger … (2002), 125 ff. 38 S. Ott, ZMR 2002, 169 (173). 39 Vgl. hierzu etwa Bub, PiG 63, 1 (24 ff.); Maroldt, Die Rechtsfolgen einer Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (2004), 18 ff. 40 Vgl. Merle, Das Wohnungseigentum im System des Bürgerlichen Rechts (1979), 123 ff.; sowie dens. in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 20 WEG Rz. 3.

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Ist es nach Vertragsschluss mit dem Dritten, aber vor Rechnungslegung zu einem Eigentümerwechsel gekommen, sind also die im Außenverhältnis gem. §§ 427, 421 ff. BGB Haftenden nicht mehr identisch mit den Mitgliedern der WE-Gem., steht der Verwalter vor der Frage, ob er die Forderung aus dem Verwaltungsvermögen berichtigen darf. Im Grundsatz kann eine Zahlung mit Mitteln der Gemeinschaft nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn Schuldner des vertraglichen Entgelts und Inhaber des Verwaltungsvermögens identisch sind. Lehnt man den generellen Eintritt von Sondernachfolgern in bestehende Verträge ab, wäre der Verwalter zu einer Einzelfallprüfung verpflichtet. Im Zweifel wäre, folgt man dem vertragsrechtlichen Ansatz (s. o. II. 1 b), davon auszugehen, dass Schuldner der Drittforderung regelmäßig der ausgeschiedene Wohnungseigentümer bleibt, während das Vermögen, aus dem die Forderung beglichen werden soll, mittlerweile anteilig dem Erwerber zusteht. Demgegenüber wird überwiegend angenommen, die Verwaltungsschulden seien ungeachtet einer Verpflichtung der Eigentümer im Außenverhältnis mit Mitteln der Gemeinschaft zu begleichen41. Diese Zahlungspflicht der gegenwärtigen Wohnungseigentümer ist bislang allerdings nicht überzeugend begründet worden. Allenfalls dann, wenn die Gemeinschaft über ausreichende Rücklagen aus der Zeit vor dem Eigentümerwechsel verfügt, ließe sich annehmen, diese Mittel seien vom Voreigentümer zweckgebunden zur Verfügung gestellt worden42. Eine derartige Zuordnung der Mittel kann der Verwalter aber i. d. R. gar nicht vornehmen. Es müsste, um später die ordnungsmäßige Abwicklung der Zahlungen gewährleisten zu können, für jede Eigentümergruppe, d. h. je nach Zusammensetzung der WE-Gem., eine Unterkasse gebildet werden. Ein Ergebnis, das zu Recht von niemandem befürwortet wird43. Nur ausnahmsweise soll die Tilgung von Altschulden den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen, nämlich dann, wenn zum Zeitpunkt der Erfüllung kein gegenwärtiger Eigentümer mehr persönlich schuldet, d. h. seit dem Abschluss des Vertrages, aus dem die Alt__________ 41 Statt aller: KG, Beschl. v. 29.4.2002 – 24 W 26/01, NZM 2002, 745 (746); Briesemeister, FS Deckert (2002), 31 (41); Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 198. 42 Vgl. Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 418. 43 Gegen ein solches Erfordernis explizit etwa: KG, Beschl. v. 29.3.1995 – 24 W 4812/94, NJW-RR 1995, 975 (977) = ZMR 1995, 264; KG, Beschl. 29.4.2002 – 24 W 26/01, NZM 2002, 745 (746).

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schuld resultiert, sämtliche Wohnungen den Eigentümer gewechselt haben44. Diese Ausnahme erscheint aber allenfalls dann überhaupt begründbar, wenn man „die Gemeinschaft“ als Schuldner ansieht und davon ausgeht, die Identität der Personenvereinigung setze einen wenigstens partiell gleichen Mitgliederbestand voraus. Sieht man aber allein die Eigentümer als Schuldner an, sind Gründe schwer zu finden, warum es aus der Sicht des Erwerbers ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen sollte, wenn er mit seinen Mitteln für eine fremde Schuld aufkommt, zumal deren Gegenleistung zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Gemeinschaft u. U. bereits verbraucht war. Die Antwort auf die Frage wird in einer „Loslösung des Innenverhältnisses der Wohnungseigentümer untereinander von ihrem Außenverhältnis“ gesucht45. Wird wegen erhöhter Ausgaben (z. B. infolge von Altschuldentilgung) ein „Nachtragshaushalt“ (Sonderumlage) erforderlich, sind diese Zahlungen nach der vom BGH in ständiger Rechtsprechung46 vertretenen sog. Fälligkeitstheorie anteilig vom Erwerber zu leisten, sofern der Beschluss über die Sonderumlage nach dem Eigentümerwechsel gefasst bzw. die Leistung (ggf. durch Abruf gem. § 28 Abs. 2 WEG) erst zu diesem Zeitpunkt fällig wurde. Der Erhebung einer Sonderumlage vom Sondernachfolger soll nicht entgegenstehen, dass der zu zahlende Betrag seine Ursache in einer Verbindlichkeit hat, die schon vor dessen Eigentumserwerb im Außenverhältnis entstanden ist47. Genau hierfür aber fehlt, steht man auf dem Boden der klassischen Bruchteilslehre, eine tragfähige Begründung. Dieses Theoriedefizit hat zu widersprüchlicher Rechtsprechung geführt.

3. „Aufstieg und Fall“ der Lehre vom sog. Haftungsverband in der Rechtsprechung des Kammergerichts Bedenken gegen die beschriebene Abkoppelung des Innenverhältnisses der Wohnungseigentümer vom eigentlichen Schuldgrund hatte das Kammergericht. In einer Reihe von Entscheidungen hat der für Woh__________ 44 Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 198 a.E. 45 Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 198. 46 BGH, Beschl. v. 21.4.1988 – V ZB 10/87, BGHZ 104, 197 = NJW 1988, 1910; BGH, Beschl. v. 15.6.1989 – V ZB 22/88, BGHZ 108, 44 = NJW 1989, 3018; BGH, Beschl. v. 23.9.1999 – V ZB 17/99, BGHZ 142, 290 = NJW 1999, 3713; partiell abl. aber nunmehr Wenzel, FS Kreft (2004), 171 (175 ff.). 47 Vgl. nur: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.8.2001 – 3 Wx 187/01, ZWE 2002, 90 (91); Niedenführ/Schulze, WEG, 7. Aufl. (2004), § 16 Rz. 71.

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nungseigentum zuständige 24. Senat versucht, die Voraussetzungen für eine Erfüllung von Verwaltungsschulden aus dem Gemeinschaftsvermögen zu konturieren. Eine „Haftung des Verwaltungsvermögens“ sei nur anzunehmen, sofern dessen Inhaber identisch mit den im Außenverhältnis Verpflichteten seien, die untereinander den sog. Haftungsverband bildeten. Das Kammergericht benutzt den Begriff „Haftungsverband“48 also für die Summe der Eigentümer, die im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch haften49. Dabei erweitert das KG50 den Haftungsverband – ohne nähere Begründung – über den gesamten Kreis hinaus. Innerhalb derselben Bewirtschaftungsperiode (§ 28 WEG), so das Gericht, könnten Verbindlichkeiten auch dann aus Gemeinschaftsmitteln beglichen werden, wenn zwischen Begründung der Schuld und Erfüllung ein Eigentümerwechsel stattgefunden hat. Bei phasengerechter Wirtschaftsführung brauche sich der Verwalter insoweit nicht um das Datum von Grundbuchveränderungen zu kümmern. Nach Ablauf einer Bewirtschaftungsperiode noch unbeglichene Verbindlichkeiten aus der Bewirtschaftung der Wohnanlage könnten bei zwischenzeitlichem Wechsel der Zusammensetzung des Eigentümerkreises auch nicht durch gestaltenden Eigentümerbeschluss umgelegt werden, sondern seien nach § 426 BGB kraft Gesetzes innerhalb des jeweiligen Haftungsverbandes des nach dem Eingehungszeitpunkt zu bestimmenden Gesamtschuldnerkreises abzuwickeln. Diese Rechtsauffassung hat das Gericht in der Folge bestätigt und ausgebaut. Es betont, dass derjenige, der von einem Gläubiger als Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden ist, seinen Erstattungsanspruch nur dann gegen Hausgeldforderungen der Gemeinschaft aufrechnen könne, wenn durch die Zahlungen gerade solche Gemeinschaftsverbindlichkeiten getilgt wurden, welche sonst aus dem in derselben Wirtschaftsperiode fällig gewordenen Hausgeld zu erfüllen gewesen wären51.

__________ 48 Vgl. auch Briesemeister, FS Deckert (2002), 31 (33); Deckert, NZM 2004, 523. 49 Ein abweichendes Begriffsverständnis findet sich etwa bei John, Die organisierte Rechtsperson (1977), 81 ff. 50 KG, Beschl. v. 1.7.1991 – 24 W 5554/90, NJW-RR 1992, 84; ebenso KG, Beschl. v. 30.11.1992 – 24 W 6947/91, NJW-RR 1993, 1105. 51 KG, Beschl. v. 6.2.1995 – 24 W 7149/93, ZMR 1995, 218 = NJW-RR 1995, 719.

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In einer kurz darauf ergangenen Entscheidung versucht das KG seine Rechtsprechung von der des BGH abzugrenzen. Nach der Fälligkeitstheorie haften – wie gesagt (s. o. sub II. 2) – Sondernachfolger für nach dem Eigentumswechsel fällige Sonderumlagen und Nachforderungen aus der Jahresabrechnung auch dann, wenn sie nicht persönliche Schuldner der mit diesen Mitteln beglichenen Verbindlichkeiten sind. Dies, so das KG52, betreffe nur bestandskräftige Eigentümerbeschlüsse, nehme dem Sondernachfolger aber nicht das Beschlussanfechtungsrecht. Dahinter steckt die, vom BGH gerade nicht geteilte Überlegung, die Begleichung von Verbindlichkeiten aus älteren Wirtschaftsperioden widerspreche den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung53. Zum letzten Mal würde dann die Haftungsverbandslehre im Jahre 1998 durch die Feststellung bestätigt: Geht nach etwa zehn Jahren eine Konkursquote zur freien Verfügung der dann bestehenden Eigentümergemeinschaft ein, hat jeder Wohnungseigentümer, der sich an der Abdeckung der zur Konkurstabelle angemeldeten Forderungen beteiligt hatte, einen Anspruch gegen die WE-Gem. auf anteilige Auskehr der Konkursquote nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung54. Mittelbar werden damit die Grundsätze des Haftungsverbands bestätigt55, weil Zahlungen aus der Konkursquote im Ergebnis denjenigen Eigentümern zustehen sollen, die seinerzeit neben dem Gemeinschuldner für die „Gemeinschaftsforderungen“ im Außenverhältnis hafteten und aus diesem Grund (!) zur Sonderumlage herangezogen wurden. Im April 2002 jedoch sah sich das KG zu einer „Ergänzung“56 seiner Haftungsverbandsrechtsprechung genötigt, die der Sache nach aber deren (teilweise) Preisgabe darstellt57. Das Gericht geht nunmehr davon aus, dass ein Eigentümer gegen Wohngeldforderungen auch dann jahresübergreifend mit Erstattungsansprüchen aufrechnen könne, wenn der __________ 52 KG, Beschl. v. 29.3.1995 – 24 W 4812/94, NJW-RR 1995, 975 = ZMR 1995, 264; zust. Drasdo, WuM 1995, 336, 337; krit. Deckert, WE 1995, 213 (215). 53 KG, Beschl. v. 29.3.1995 – 24 W 4812/94, NJW-RR 1995, 975 (976) = ZMR 1995, 264. Bereits im Beschl. v. 28.1.1994 (24 W 1145/93, NJW-RR 1994, 1105) hieß es, das Anfechtungsrecht diene dazu, dem Erwerber die Möglichkeit zu eröffnen, ihn mit Altschulden belastende Beschlüsse anzufechten. 54 KG, Beschl. v. 28.1.1998 – 24 W 7648/96, ZMR 1998, 370. 55 In diesem Sinne auch Deckert, NZM 2004, 523 (524). 56 So wörtlich KG, Beschl. v. 29.4.2002 – 24 W 26/01, NZM 2002, 745. 57 Deutlicher Briesemeister, FS Deckert (2002), 31 (43), wenn er feststellt, dass die ältere Rechtsprechung die Aufrechungsmöglichkeit „zu eng gesehen“ habe.

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Verband der gem. §§ 421 ff. BGB im Außenverhältnis Haftenden nicht mehr mit der Gemeinschaft identisch ist. Diese Rechtsprechungsänderung geht tatsächlich weit über die entschiedene Aufrechnungsfrage hinaus; denn wenn ein Wohnungseigentümer Erwerber durch Aufrechnung wirtschaftlich mit Altverbindlichkeiten belasten darf, dann muss dies auch der Verwalter können, indem er Altschulden aus dem Gemeinschaftsvermögen begleicht. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob der Drittgläubiger sich an „die Gemeinschaft“ oder direkt an einen Eigentümer hält. Dementsprechend stellt auch das Kammergericht58 ausdrücklich fest, der Verwalter könne im Vorjahr entstandene Verwaltungsschulden ungeachtet eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels im Folgejahr begleichen. Es koppelt also, ganz im Sinne der oben (II.2) geschilderten Ansicht, die Binnenhaftung von der Haftung im Außenverhältnis ab.

4. Verbleibende Theoriedefizite Die Ursache für diesen Wechsel in der kammergerichtlichen Judikatur, mit dem eine über ein Jahrzehnt verfestigte Spruchpraxis aufgegeben wird, ist offenkundig: Das Wohnungseigentum wäre de facto unverwaltbar, weil jeder Eigentümerwechsel zur Bildung einer „Unterkasse“ führen müsste, damit die Außenverbindlichkeiten nach ihrem Entstehungszeitpunkt einem Haftungsverband zugeordnet werden können. Grund für den wenig stringenten Verlauf der Rechtsprechung ist das Fehlen einer tragfähigen Begründung für das allseits gewünschte Ergebnis, nämlich dass das Zweckvermögen der Gemeinschaft zur Tilgung von Verwaltungsschulden ohne Prüfung der Zusammensetzung der WE-Gem. verwendet werden darf. Die Behauptung, Beitragsansprüche gem. §§ 16 Abs. 2, 28 WEG und Außenhaftung der Eigentümer müssten nicht parallel verlaufen59, unterstellt, was zu begründen ist. Es darf bezweifelt werden, ob das vom Kammergericht nunmehr entwickelte Modell eine fundierte dogmatische Basis liefert. Das Gericht __________ 58 KG, Beschl. v. 29.4.2002 – 24 W 26/01, NZM 2002, 745 (746); so dezidiert bereits der Vorsitzende des erkennenden Senats Briesemeister in Riecke/Warda (Hrsg.), Potsdamer WEG-Tage (2000), 185 (198); ders., FS Deckert (2002), 32 (41 ff.). 59 So Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 28 WEG Rz. 198; vgl. auch Briesemeister, FS Deckert (2002), 31 (42) zur Rechtsprechung des BGH.

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meint, dass Verwaltungsvermögen bilde einen einheitlichen „Pool“60, der zweckbestimmt dazu diene, das gemeinschaftliche Eigentum zu bewirtschaften und daher ausschließlich den Eigentümern zustehe. Daher sei es ausschließlich Sache der gegenwärtigen Eigentümer, über die endgültige Verteilung der aus diesem Pool beglichenen Altschulden zu beschließen und die Kosten gem. § 16 Abs. 2 WEG zu verteilen61. Ein Manko dieses Modells besteht darin, dass es der Sache nach die Schulden einer Vermögensmasse (Verwaltungsvermögen) zuordnet, was der Rechtsprechung des BGH widerspricht, der betont, eine Schuld könne immer nur Subjekte, nicht aber Vermögensmassen treffen62.

III. Die Wohnungseigentümergemeinschaft als Vertragspartei und Trägerin des Verwaltungsvermögens 1.

Die These von der rechtsfähigen Wohnungseigentümergemeinschaft

Als erster hat pointiert Bärmann63 die Ansicht vertreten, die WE-Gem. sei ein teilrechtsfähiges64 Subjekt sui generis „mit Rechtsträgerschaft an Sondervermögen“, nämlich dem Verwaltungsvermögen. Noch darüber hinaus ging M. Junker65. Er hält die „Gesellschaft nach dem Woh__________ 60 KG, Beschl. v. 29.4.2002 – 24 W 26/01, NZM 2002, 745 (746); noch plastischer spricht Briesemeister, FS Deckert (2002), 42 von einem „Stausee“. 61 S. hierzu bereits KG, Beschl. v. 31.1.2000 – 24 W 7323/98, NZM 2000, 830; dass., Beschl. v. 31.1.2000 – 24 W 7617/9, ZWE 2000, 274 sowie Briesemeister, NZM 2003, 777 (781). Deckert, NZM 2004, 523 (524), erkennt in den vorgenannten Entscheidungen bereits den Beginn der „Kehrtwende“ des KG. 62 BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (345), unter Hinw. auf Aderhold, Das Schuldmodell der BGB-Gesellschaft (1981), 110 f.; Dauner-Lieb in Die Reform des Handelsstandes und der Personengesellschaften (1999), 95, (100 ff.); vgl. auch Raiser, ZWE 2001, 173 (175): die Vorstellung eines selbständigen Vermögens ohne selbständigen Träger sei ein „Paradox“. 63 Ausführlich: Bärmann, PiG 22, 215 ff. 64 Zur Kritik am Begriff der „Teilrechtsfähigkeit“ s. Beuthien, JZ 2003, 715 (718): „irreführend“ –; U. Huber, FS Lutter (2000), 107, (110 ff.):„Versuch, der Logik zu entkommen“ –; Raiser, ZWE 2001, 173 (175): „kaum verhüllte Verlegenheitsformel“. 65 M. Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993). Die heftige Ablehnung dieser Ansicht – s. Staudinger/Rapp, WEG, 12. Aufl., Einl. WEG Rz. 27 ff.; Weitnauer, WEG, 8. Aufl. (1995), Vor § 1 Rz. 47 ff. („umstürzende Thesen“) –

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nungseigentumsgesetz“ für einen eigenständigen Gesellschaftstypus und das Wohnungseigentum für einen „dinglichen Gesellschaftsanteil“66; die Gesellschaft selbst besitze zwar keine eigene Rechtspersönlichkeit67, das Vermögen aber sei den Gesellschaftern „in ihrer gesellschaftlichen Verbundenheit“ zugewiesen68 und die Gesellschaft – analog § 124 HGB – auch parteifähig69. Obwohl § 10 Abs. 1 WEG auf die Vorschriften der Gemeinschaft verweist, darf es nicht verwundern, dass sich die Rechtsfähigkeitsdiskussion schon bald von den Vorgaben der Bruchteilsgemeinschaft löste; denn der Gesetzgeber hat mit der WE-Gem. ein von der schlichten Bruchteilsgemeinschaft erheblich abweichendes Gebilde geschaffen (s. o. I. 1). § 20 Abs. 2 WEG gewährleistet das Recht, einen Verwalter zu wählen. Die Vertretung im Rechtsverkehr durch einen institutionalisierten70 Vertreter ist damit der Regelfall. Die Attraktivität des Wirtschaftsguts „Wohnungseigentum“, die über jene des schlichten Miteigentums hinausgeht, führt – jedenfalls bei größeren Wohnanlagen – zu einem ständigen Wechsel in der Zusammensetzung der Gemeinschaft. Diesem Umstand trägt das Gesetz nicht nur durch eine den Körperschaften angenäherte Organisation71 Rechnung, deren Ausdruck u. a. die vom jeweiligen Bestand der Gemeinschaft unabhängige Vertretung ist, die einem Dritten übertragen werden kann. Hinzu kommt die vom Willen des Einzelnen in wesentlichen Teilbereichen72 losgelöste „überindividuelle“ Willensbildung, für die – anders als im Recht der Bruch__________

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dürfte damit zusammenhängen, dass dessen These von einem „dinglichen Gesellschaftsanteil“ und der Zuordnung des Gemeinschaftseigentums zum Gesellschaftsvermögen (S. 98 ff.) der gesetzgeberischen Konzeption von einer durch Miteigentum am Grundstück bestimmten Gemeinschaft nicht gerecht wird, gewissermaßen also Ross und Reiter vertauscht werden. M. Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993), 73 ff., insb. 130 ff. Zu den Begriffen Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit Beuthien, JZ 2003, 715 (718); U. Huber, FS Lutter (2000), 107 (109 f.); K. Schmidt, NJW 2001, 993 (996, 997); vertiefend: Flume, Personengesellschaft (1977), § 7 II. M. Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993), 97. M. Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993), 200 ff. Der BGH, Urt. v. 27.9.2002 – V ZR 320/01, NJW 2003, 589 = NZM 2003, 118 (119), bezeichnet ihn sogar als „organschaftlichen Vertreter“ der Gemeinschaft; s. hierzu Derleder, PiG 63, 29 (42 ff.); Elzer, ZMR 2004, 479 (481 ff.); dezidiert anders: J.-H. Schmidt, NZM 2004, 540 (542). Vgl. etwa Bärmann, PiG 22, 224 ff.; Bub, PiG 63, 1 (9); M. Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993), 107 ff. Zu den Grenzen der Beschlusskompetenz: BGH, Beschl. v. 20.9.2000 – V ZR 58/99, BGHZ 145, 158.

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teilsgemeinschaft – in den §§ 23 – 25 WEG ein näher geregeltes förmliches Verfahren bereitgestellt wird73. Schließlich – und im vorliegenden Kontext von besonderer Bedeutung – ordnet das Gesetz in § 21 Abs. 5 Nr. 4 i. V. m. § 21 Abs. 4 WEG die Ansammlung eines zweckgebundenen Verwaltungsvermögens an. Was bei der schlichten Bruchteilsgemeinschaft möglich ist, ist bei der WE-Gem. nicht nur der Regelfall, sondern verbürgtes Recht eines jeden Miteigentümers74. Das Zuordnungsproblem stellt sich hier also mit ganz anderer Schärfe.

2. Rezeption in Rechtsprechung und Schrifttum Die Rechtsprechung erkennt die WE-Gem. bislang nicht als rechtsfähig an. Neben einschlägigen älteren Entscheidungen75 sind vor allem neuere von Interesse, soweit diese die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur BGB-Gesellschaft bereits berücksichtigen. Neben dem BayObLG, das sich in mehreren Entscheidungen76 expressis verbis gegen die Rechtsfähigkeit ausgesprochen hat, geht auch der II. Zivilsenat des BGH77 nach wie vor davon aus, Verträge, die die Wartung oder Versorgung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gegenstand haben, würden nicht von der Gemeinschaft, sondern von bzw. mit den einzelnen Eigentümern abgeschlossen78. Schließlich hatten sich verschiedene Gerichte damit zu befassen, ob die Beauftragung eines Rechtsanwalts die Erhöhungsgebühr gem. § 6 BRAGO a. F. (nunmehr: Nr. 1008 RVG-Vergütungsverzeichnis) auslöst und haben die Frage bejaht79. __________ 73 Maroldt, ZWE 2002, 387 (389). 74 Ebenso Maroldt, ZWE 2002, 387 (389). 75 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.5.1977 – VII ZR 167/76, NJW 1977, 1686; sowie zuletzt auch BGH, Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 51/97, NJW 1998, 3279 = ZMR 1998, 789. 76 BayObLG, Beschl. v. 26.7.2001 – 2Z BR 73/01, NZM 2001, 956 = ZMR 2002, 136; dass., Beschl. v. 14.2.2002 – 2Z BR 184/01, NJW 2002, 1506 = ZMR 2002, 536. 77 BGH, Urt. v. 9.2.2004 – II ZR 218/01, NJW-RR 2004, 874 = ZMR 2004, 522. 78 Im Schrifttum ist bezweifelt worden, ob sich der II. Zivilsenat der Tragweite seiner Prämisse bewusst war; vgl. Drasdo NJW 2004, 1988 (1990); Elzer ZMR 2004, 633. 79 Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 16.7.2001 – 2 Wx 47/01, ZMR 2002, 298 = ZWE 2002, 375 m. Anm. Kümmel (S. 355); LG Hamburg, Beschl. v. 17.5.2001 – 314 T 27/01, ZMR 2001, 856; in der Tendenz anders aber LG Berlin, Beschl. v. 10.9.2001 – 82 T 752/01, ZMR 2002, 223.

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Auch im Schrifttum sprechen sich etliche Autoren gegen die Rechtsfähigkeit der WE-Gem. aus80. Neben dem Wortlaut des Gesetzes, das in § 10 Abs. 1 WEG auf die Regelungen über die Gemeinschaft verweist, beruft man sich auf die Entstehungsgeschichte und den darin zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers81. Ferner wird behauptet, die Rechtsfähigkeit hänge von einer gesetzlichen Anordnung ab82.

3. Ein Blick in das Gesellschaftsrecht: Die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts Ob die Zuerkennung von Rechtsfähigkeit tatsächlich dem Gesetzgeber vorbehalten ist, muss nicht erst seit der die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts anerkennenden Entscheidung des BGH83 bezweifelt werden. Der BGH betont die in den Protokollen dokumentierte Zurückhaltung des Gesetzgebers in Bezug auf die theoretische Konstruktion der Gesamthand84. Dies und die Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung lasse Raum für eine an den praktischen Bedürfnissen orientierte Beurteilung der Rechtsnatur der BGBGesellschaft. Vom Erfordernis einer entsprechenden Anordnung durch den Gesetzgeber geht der Senat nicht aus. Eine solche Anordnung könnte im Übrigen § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO nicht entnommen werden85. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift der Rechtsprechung Rechnung getragen, die bereits vor der Entscheidung aus dem Januar 2001 der GbR in einzelnen Teilbereichen, wenn man so will: „scheibchenweise“, unmit-

__________ 80 Becker/Kümmel/Ott, Wohnungseigentum (2003), Rz. 72; Drasdo, NJW 2004, 1988 (1989); Hügel in Bamberger/Roth, BGB, § 10 WEG Rz. 4; Ott, ZMR 2002, 97 (98 ff.); Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl., Überbl v § 1 WEG, Rz. 5; J.-H. Schmidt, NZM 2004, 520 (521): Rechtsfortbildung contra legem; unentschieden hingegen: Commichau in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 1 WEG Rz. 47; Grziwotz in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 10 WEG Rz. 11. 81 Vgl. etwa Ott, ZMR 2002, 97 (98 f.). 82 Ott, ZMR 2002, 97 (100); ähnlich J.-H. Schmidt, NZM 2004, 540 (541 f.); ebenso Drasdo in Köhler/Bassenge, Anwaltshandbuch Wohnungseigentumsrecht (2004), Teil 2 Rz. 32. 83 BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341. 84 BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (343). 85 So aber Ott, ZMR 2002, 97 (100).

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telbar Rechtspositionen zuwies86. Nicht die Entscheidung des Gesetzgebers, sondern die an den praktischen Bedürfnissen des Rechtsverkehrs orientierte Rechtsprechung war der Motor für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit. Der BGH erblickt in dem nunmehr zugrunde gelegten Verständnis der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts „ein praktikables und weitgehend widerspruchsfreies Modell für die vom Gesetz gewollte rechtliche Absonderung des Gesellschaftsvermögens vom Privatvermögen der Gesellschafter“ 87. Der Gegenansicht attestiert er konzeptionelle Schwächen. Diese offenbarten sich vor allen Dingen in der Praxis, für die ein bedeutsamer Vorzug der nach außen bestehenden Rechtssubjektivität darin bestehe, dass ein Wechsel im Mitgliederbestand keinen Einfluss auf den Fortbestand der mit der Gesellschaft bestehenden Rechtsverhältnisse habe. Wörtlich heißt es: „Das Erfordernis von Neuabschlüssen von Dauerschuldverhältnissen bei einem Gesellschafterwechsel ist aber ohne innere Rechtfertigung und würde die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Rechtsverkehr erheblich beeinträchtigen.“88 Die Gegenansicht könne demgegenüber nicht erklären, warum auch ein neu in die Gesellschaft Eintretender mit dem Gesellschaftsvermögen für Altschulden haften solle.

4. Schlussfolgerungen für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer a) Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft Die Parallelen zum Untersuchungsgegenstand liegen auf der Hand. Sofern die Gegenposition89 die Unterschiede zwischen GbR und WE-Gem. betont, überzeugt dies nicht90. Wie im Recht der GbR vermag auch die traditionelle Ansicht im Wohnungseigentumsrecht nicht zu erklären, warum Sondernachfolger mit ihrem Anteil am Gemeinschaftsvermögen für Altverbindlichkeiten haften und nötigt zu Neuabschlüs__________ 86 Vgl. etwa BGH, Beschl. v. 4.11.1991 – II ZB 10/91, BGHZ 116, 86 (88) – Mitgliedschaft in der eG; BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (99) – Mitgliedschaft in einer AG; BGH, Urt. v. 15.7.1997 – XI ZR 154/96, BGHZ 136, 254, 257 – Scheckfähigkeit der GbR. 87 BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (344). 88 BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (345). 89 Insbesondere Ott, ZMR 2002, 97 ff. und ihm folgend das BayObLG, Beschl. v. 14.2.2002 – 2Z BR 184/01, ZMR 2002, 536. 90 Maroldt, ZWE 2002, 387.

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sen bzw. Übernahmen von Verträgen. Auch der Einwand, der Gesetzgeber sei nicht von einer rechtsfähigen Gemeinschaft ausgegangen, und diese finde sich daher im Gesetzeswortlaut auch nicht wieder, verliert im Lichte der Rechtsprechungswende im Recht der GbR an Gewicht. Das Gesetz enthält weder im WEG noch im BGB eine ausdrückliche Regelung über die (fehlende) Rechtsfähigkeit der WE-Gem91. Sofern § 27 Abs. 2 WEG ein Handeln des Verwalters „im Namen aller Wohnungseigentümer“ anordnet, gleicht die Regelung § 714 BGB, beinhaltet also keine verbindliche, die Rechtsfortbildung hindernde Anordnung des Gesetzgebers, sondern bringt lediglich eine Vorstellung über die konstruktive Erfassung der Gemeinschaft zum Ausdruck, welche die wissenschaftliche Beurteilung nicht bindet92. Während die Verleihung von Rechtspersönlichkeit im Sinne einer von den Verbandsmitgliedern (auch haftungsmäßig) vollkommen losgelösten Rechtsperson nach geltendem Recht einer gesetzlichen Anordnung bedarf, geht es bei der hier in Rede stehenden Rechtsfähigkeit nur um eine Modellvorstellung, die nicht zur Schaffung einer juristischen Person führt93. Der „Monopolisierung der Rechtsfähigkeit auf natürliche und juristische Personen“ ist Aderhold94 mit dem Argument begegnet, beide beruhten lediglich auf einer von römisch- bzw. gemeinrechtlicher Begriffsbildung geprägten Doktrin, der die „mit gesetzlicher Verbindlichkeit ausgestattete Rechtsfolgenanordnung“ fehle. Es verdient volle Zustimmung, wenn er feststellt, die Rechtsfähigkeit sei „eine rechtstechnische Kategorie, eine dogmatische Denkform, deren Berechtigung und konkreter Umfang induktiv aus den einzelnen Rechtssätzen, ihrem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik abgeleitet werden muss, und die daher keiner ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedarf, sondern auch in Form der Gesetzesauslegung ermittelt werden kann“95. Eine solche Gesetzesauslegung erfordert keine Zuordnung der WE-Gem. zum Kreis der Gesamthandsgemeinschaften96; denn die Rechtsfähigkeit __________ 91 Hierzu bereits Raiser, ZWE 2001, 173; Maroldt, ZWE 2002, 387 (390) und ders., ZWE 2004, 42 (43). 92 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der gesamthänderischen Bindung (1972), 159. 93 Vgl. BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (343 f.). 94 Das Schuldmodell des BGB-Gesellschaft (1981), S. 157 ff.; zust. Bärmann PiG 22, 32. 95 Aderhold, Das Schuldmodell der BGB-Gesellschaft (1981), S. 157 f. m. Nachw. 96 Für eine Zuordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Gesamthand Schulze-Osterloh, Das Prinzip der gesamthänderischen Bindung (1972), 154 ff.

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von Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit hat nichts mit dem Gesamthandsprinzip zu tun, sondern ist gewissermaßen dessen „natürlicher Feind“. Als Vermögenszuordnungsprinzip verliert die gesamthänderische Bindung nämlich ihre Daseinsberechtigung, sofern das Vermögen dem Rechtssubjekt selbst zugewiesen wird97. Nach welchem Modell die vom Gesetz vorgeschriebene Absonderung bestimmter Vermögensmassen rechtstechnisch umgesetzt wird, ist in erster Linie eine Frage der Praktikabilität und inneren Stimmigkeit des Denkmodells. Die Argumente, die den BGH veranlassten, die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts zu bejahen, lassen sich nahezu wörtlich auf die WE-Gem. übertragen98: Die Denkform einer rechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bietet ein weitgehend widerspruchsfreies Modell für die vom Gesetz (§§ 21 Abs. 5 Nr. 4, 28 Abs. 2 WEG) gewollte rechtliche Absonderung des Gemeinschaftsvermögens vom Privatvermögen der Eigentümer. Es ist also davon auszugehen, dass es auch rechtsfähige Bruchteilsgemeinschaften gibt. Insofern wird die Differenzierung des Gesetzes (§§ 705 ff. bzw. §§ 741 ff. BGB) durchaus respektiert, was wegen des unterschiedlich ausgestalteten Binnenrechts durchaus wichtig ist, weil die gesetzlichen Regelungen in beiden Fällen erheblich über das Vermögenszuordnungsprinzip hinausgehen. Nicht präjudiziert ist damit jedoch die Frage, wem das gemeinschaftliche Eigentum zuzuordnen ist.

b) Zuordnung von Vermögensgegenständen Partei eines Vertrages, der namens der WE-Gem. geschlossen wird, ist nach dem soeben Gesagten diese selbst. Damit ist eine tragfähige Grundlage für die Zuordnung des Verwaltungsvermögens gefunden, die Übertragungsakte entbehrlich macht. Mit dem Wohnungserwerb gelangt der Erwerber in die Gemeinschaft bzw. scheidet der Veräußerer aus ihr aus99, ohne dass sich dadurch das Zuordnungssubjekt für das Gemeinschaftsvermögen bzw. der Vertragspartner bestehender Verträge verändert. __________ 97 Zutreffend etwa Kießling, FS Hadding (2004), 477 (482 ff.); zum „Doppelsinn“ des Wortes Gesamthand s. Beuthien, JZ 2003, 715 (716 f.): „Verwirrspiel mit der doppeldeutigen Gesamthand“. 98 Vgl. BGH, Versäumnisurt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (344). 99 Der Eintritt erfolgt kraft Gesetzes, nicht durch Rechtsgeschäft; zutr. Ehmann, JZ 1991, 222 (225), dort in Fußn. 34.

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Allerdings ist wie bei der GbR auch für die WE-Gem. die Frage aufzuwerfen, ob es nichtrechtsfähige „Innengemeinschaften“ gibt. Jedenfalls sofern die WE-Gem. über eigenes Vermögen verfügt, was nicht die Bildung einer Instandhaltungsrückstellung erfordert100, erscheint die Zuordnung der Ansprüche zur WE-Gem. aus den oben (III. 4. b) dargestellten Gründen vorzugswürdig. Damit ist freilich nicht gesagt, dass Verträge, die in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum mit Dritten abgeschlossen werden, stets die WE-Gem. als solche verpflichteten. Entscheidend hierfür ist vielmehr, ob die Gemeinschaft bei Vertragsschluss „als solche“ aufgetreten (genauer: vertreten worden) ist. Dies ist auch im Recht der GbR nicht anders101. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht102 bleibt jedoch auch bei Annahme einer rechtsfähigen WE-Gem. der Miteigentumsanteil am gemeinschaftlichen Eigentum gem. § 1 Abs. 5 WEG, wie das Sondereigentum103, unmittelbar den Wohnungseigentümern zugeordnet104. Würde man das Eigentum am Grundstück der WE-Gem. zuweisen, müsste diese in das Grundbuch eingetragen werden, was de lege lata nicht möglich erscheint. Allein die Zuordnung zu den einzelnen Miteigentümern wird der Tatsache gerecht, dass es sich bei dem Wohnungseigentum um Eigentum i. S. d. § 903 BGB handelt und nicht um einen „dinglichen Gesellschaftsanteil“105. Ein Nebeneinander von Miteigentum am Grundstück und Mitgliedschaft in einer Personenvereinigung hat nicht zur Folge, dass jeder Eigentümer sowohl Mitglied einer Bruchteilsgemeinschaft als auch einer dem Zwecke der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums dienenden rechtsfähigen „Gruppe“ sei. Man stünde ansonsten vor dem Problem, die Kompetenzen beider gegeneinander abgrenzen zu müssen. Indes beruht die These von der parallelen Mitgliedschaft auf der unzutreffenden Prämisse, dass die Anerkennung der Rechtsfähigkeit die Existenz einer neben der Bruchteilsgemeinschaft bestehenden Gesamt__________ 100 Zu den Sozialansprüchen als Vermögen der GbR Ulmer in MünchKomm/ BGB, 4. Aufl. 2003, § 705 RdNr. 280 mit 269. 101 Zum parallelen Problem bei der GbR: Häublein, PiG 70, 39 (41 ff.). 102 Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993), 98. 103 Für dieses ebenso Junker, Die Gesellschaft nach dem WEG (1993), 103 f. 104 S. Maroldt, ZWE 2004, 42 (43). 105 Statt vieler: Ehmann, JZ 1991, 222 (223); Hügel in Bamberger/Roth, BGB § 1 WEG RdNr. 3 m. w. N.; für grundstücksgleiches Recht: Grziwotz in Erman, BGB, 11. Aufl. (2004), § 1 WEG RdNr. 3 sowie Merle, Das Wohnungseigentum im System des Bürgerlichen Rechts (1979), 172.

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handsgemeinschaft erfordere106. Wie sub III. 4. a) dargelegt, ist die Verknüpfung von Gesamthandsprinzip und Rechtsfähigkeit von Personengruppen unzutreffend und damit ist es auch die Vorstellung einer „doppelten Mitgliedschaft“. Jeder Wohnungseigentümer ist Mitglied nur einer Personengruppe, der WE-Gem. Sofern er diese Vermögen unmittelbar erworben hat, kann der Einzelne per definitionem nicht über Teile desselben verfügen. Einer „gesamthänderischen Bindung“ bedarf es zum Zwecke der Vermögensbindung gerade nicht107.

IV. Resümee und Ausblick Die Reduzierung der WE-Gem. auf eine nichtrechtsfähige Bruchteilsgemeinschaft liefert kein schlüssiges Erklärungsmodell für den alltäglich praktizierten Umgang mit dem Verwaltungsvermögen und den aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums resultierenden Schulden. Bei der Suche nach einer adäquaten Lösung ist die Diskussion um die Rechtsfähigkeit der WE-Gem. vom Gesamthandsprinzip zu lösen. Die WE-Gem. ist als solche rechtsfähig, damit aber nicht zugleich das Zuordnungssubjekt für das gemeinschaftliche Eigentum. Eine vollständige Analyse der Rechtsfolgen einer rechtsfähigen WEGem. konnte und wollte der Beitrag nicht liefern108. Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Auswirkungen auf die Haftung der Wohnungseigentümer. Sicher erscheint zweierlei: Das Verwaltungsvermögen unterliegt dem Zugriff der Gläubiger der WE-Gem.; eine Beschränkung der Haftung auf das Verwaltungsvermögen kommt jedoch nicht in Betracht, da es keine Regelungen über die Aufbringung und Erhaltung eines Mindestkapitals gibt109. Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit kann ohne gesetzgeberisches Handeln Drittgläubigern nicht ihre (natürlichen) Schuldner nehmen; sie kann nur ein sich in das Gesamtsystem möglichst reibungsfrei einpassendes Haftungsmodell liefern. __________ 106 Ausdrücklich für gesamthänderische Bindung aber: Maroldt, ZWE 2004, 42 (44). 107 Eher kryptisch Bub, PiG 63, S. 1 (25 f.): gesamthänderische Bindung werde durch das „Zuordnungssubjekt Wohnungseigentümergemeinschaft überlagert“. 108 Vgl. hierzu etwa die kürzlich erschienene Dissertation von Maroldt, Die Rechtsfolgen einer Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, 2004, der allerdings die gewiss interessanten insolvenzrechtlichen Konsequenzen nicht behandelt. 109 Vgl. BGH, Versäumnisurt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 373 (zur GbR).

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Sind die Eigentümer aber auch persönlich verpflichtet bzw. unterliegen sie einer persönlichen Haftung? Sofern die WE-Gem. selbst Vertragspartei ist, fehlt es an einer vertraglichen Verpflichtung der Wohnungseigentümer i. S. d. § 427 BGB110, es sei denn, man folgt der vom BGH für die GbR verworfenen Doppelverpflichtungslehre111. Wer für eine Analogie zu § 128 Satz 1 HGB plädiert, darf sich nicht der Erkenntnis verschließen, dass damit keineswegs eine Haftung der Sondernachfolger für Altverbindlichkeiten analog § 130 HGB präjudiziert ist112; eine Erwerberhaftung wird vielmehr wegen der befürchteten Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit von Wohnungseigentum überwiegend abgelehnt113. Andererseits droht wegen der vom BGH für zulässig gehaltenen Möglichkeit, eine Sonderumlage zu Lasten des Sondernachfolgers zu beschließen (s. o. II. 2 a. E.), ohnehin die Gefahr einer wirtschaftlichen Erwerberhaftung. Gläubiger könnten über den Umweg einer Pfändung und Überweisung der Ansprüche der WE-Gem. gegen die einzelnen Eigentümer aus dem Umlagebeschluss bzw. § 16 Abs. 2 WEG doch den Einzelnen in Anspruch nehmen. Eine auf diese Haftungsquote beschränkte Pro-rata-Haftung auch im Außenverhältnis würde das wirtschaftliche Risiko der Erwerber vor diesem Hintergrund nicht wesentlich vergrößern. Hier endet die Parallele zur GbR114, weil deren Gesellschafter zum Nachschiessen nicht verpflichtet sind (§ 707 BGB). Allerdings hat der Jubilar115 die für die Nachschusspflicht der Sondernachfolger zentrale Fälligkeitstheorie jüngst in Frage gestellt. Setzt sich die von ihm für Zwangs- und Insolvenzverwalter vertretene Ausnahme durch, wäre wohl auch die Haftung des Erwerbers für Sonderumlagen neu zu diskutieren. Aber das ist ein neues Thema.

__________ 110 Vgl. Kießling, FS Hadding (2004), 477 (485), zur GbR. 111 Zur Kritik am BGH s. Hadding, FS Raiser (2005), 129 (137 ff.). 112 Hierzu Canaris, ZGR 2004, 69, insb. 114 ff. gegen BGHZ 154, 370, 373 ff. Vgl. ferner Armbrüster, ZGR 2005, 1 ff. sowie den vorstehenden Beitrag dess. S. 85 ff. (97). 113 So etwa die eine Teilrechtsfähigkeit bejahenden Bub, PiG 63, 1 (24) und Derleder, PiG 63, 29. 114 Für eine teilschuldnerische Haftung bei Vorgesellschaften nunmehr aber Beuthien, FS Hadding (2004), 309 (321 ff.). 115 Wenzel, FS Kreft (2004); 171; vgl. auch Lüke, FS Kirchhof (2003), 287; Beutler/ Vogel, ZMR 2002, 802.

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Zur Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerversammlung und ihrer rechtlichen Bedeutung – Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“ Horst Hagen Inhaltsübersicht I. Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“ II. Gegenstand und Kernaussagen des „Jahrhundertbeschlusses“ III. Die Tragweite des „Jahrhundertbeschlusses“ IV. Gesetzeskonformität des Beschlusses V. Problemabgrenzung und -abschichtung VI. Einwände der Kritiker

1. Rechtmäßigkeit contra Rechtssicherheit? 2. Abgrenzungsschwierigkeiten 3. „Bewährung“ der bisherigen Praxis 4. Praxisuntauglichkeit der „Jahrhundertentscheidung“? VII. Ruf nach dem Gesetzgeber? 1. Gesetzliche Heilungsvorschrift? 2. Gesetzliche Öffnungsklausel? 3. Öffnungsklauseln kraft Vereinbarung

I. Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“ Der unter dem Vorsitz von Joachim Wenzel am 20.9.2000 erlassene Beschluss des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Frage der Bestandskraft von Mehrheitsbeschlüssen der Wohnungseigentümer mit Vereinbarungsinhalt1 ist im Fachschrifttum viel beachtet und ungewöhnlich heftig diskutiert worden. Ein Autor hat ihn als „bahnbrechend“2 ein anderer als „epochal“3 bezeichnet, ein dritter hat ihn zur „Jahrzehntentscheidung“4, ein vierter sogar zur „Jahrhundert__________ 1 V ZB 58/99 – BGHZ 145, 158 = ZfIR 2000, 877 = NJW 2000, 3500 = WE 2001, 4 = ZWE 2000, 518. 2 Müller, NZM 2000, 126, 127. 3 Merle, ZWE 2000, 49 (in der vorangestellten Inhaltsangabe des Aufsatzes). 4 Demharter, NZM 2000, 1153.

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entscheidung“ hochstilisiert5. Der Jubilar selbst kennzeichnet ihn – wohl mit Recht – als „eine der wichtigsten Entscheidungen seit InKraft-Treten des Wohnungseigentumsgesetzes“6. Der Beschluss ist nicht „aus heiterem Himmel“ gefallen. Zuvor hat Joachim Wenzel in mehreren Veröffentlichungen den dogmatischen Boden aufbereitet7. Später hat er mehrfach in die Fachdiskussion eingegriffen und Bilanz gezogen8. Ohne Übertreibung darf man sagen, dass sein Name mit dieser Entscheidung in besonderer Weise verknüpft ist. In einer Festschrift, die dem Wirken des Jubilars gilt, erscheint es deshalb trotz der bereits vergossenen Gedankenflut des Fachschrifttums9 angebracht, einige Überlegungen anzufügen. Auf einen Einwand quasi ad personam soll vorab eingegangen werden. In seiner einjährigen Bestandsaufnahme vom Oktober 200110 stellt Wolfgang Lüke in Frage, „ob die Mitglieder des Spruchkörpers in ihrer Entscheidung tatsächlich noch frei sind, wenn der Vorsitzende sich in einer derart wichtigen Frage wissenschaftlich exponiert hat, oder ob unterschwellig nicht doch Rücksichtnahmen die Haltung zur Rechtsfrage als sachfremde Elemente beeinflussen. Andere Autoren sprechen noch deutlicher von der Gefahr sonst drohenden „Gesichtsverlustes“11. Als Vorgänger des Jubilars im Vorsitz des V. Zivilsenats mag ich nicht ganz unvoreingenommen sein, möchte aber dennoch Stellung beziehen. Dass wissenschaftliche Äußerungen eines Richters keine Besorgnis der Befangenheit begründen, solange sie nicht zu einem konkreten Fall gemacht werden, stellt Lüke mit Recht außer Frage12. Er räumt weiter __________ 5 Riecke, WE 2001, 4. 6 ZWE 2001, 226, 228 l. Sp. 7 Zunächst in seinem Betrag zu der mir gewidmeten Festschrift (1999), S. 231– 247, sodann in ZWE 2000, 2 = NZM 2000, 257 = PIG Bd. 59 (2000), 55. 8 So in ZWE 2002, 49 ff.; ZWE 2001, 226 ff.; ZNotP 2001, 82, 88. Vgl. auch ZNotP 2004, 170 ff. 9 Bereits vor Abschluss dieses Manuskripts waren im Januar 2004 nicht weniger als sechzig einschlägige Veröffentlichungen zu ermitteln. 10 Referat, gehalten anlässlich des 27. Fachgesprächs des Evangelischen Siedlungswerkes in Deutschland, veröffentlicht in ZWE 2002, 49 ff., 50. 11 Demharter, NZM 2000, 1153; Mersson, NZM 2001, 933, 935 re. Sp. Zum Glück hat Demharter selbst als Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht sich durch solche Bedenken von seiner segensreichen Tätigkeit als Fachautor nicht abhalten lassen. 12 Unter Hinweis auf Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 42 Rz. 33 und die dortigen Nachweise.

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ein, dass die aktive Teilnahme von Richtern an Tagungen die Möglichkeit bietet, auch Erfahrungen der täglichen Praxis in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Sollten sich die Richter dessen ungeachtet in den „Elfenbeinturm“ zurückziehen? Was für den Vorsitzenden recht wäre, müsste für die beisitzenden Richter billig sein, denn je nach ihrem Bekanntheitsgrad als Fachautoren könnten sie nicht minder von einem „Gesichtsverlust“ bedroht sein. Nach meinen Erfahrungen kommt es dem gesamten Spruchkörper und letztlich den rechtsuchenden Parteien zugute, wenn bei komplexen Rechtsproblemen ein Mitglied außerhalb des gedrängten „Alltagsgeschäfts“ in die spezielle Materie eingedrungen ist und das Für und Wider der unterschiedlichen Lösungsansätze in Ruhe abgewogen hat13. Seine evtl. größere Durchsetzungschance in der Beratung beruht dann nicht auf Amtsautorität, sondern auf Überzeugungsfähigkeit kraft Sachkompetenz. Wie Lüke für den konkreten Fall selbst ausführt, ordnet der V. Senat „anders als noch Wenzel in einem kurz vor Erlass der Entscheidung veröffentlichten Beitrag14 die formelle Legitimation nicht etwa den zwingenden Vorschriften i. S. dieser Vorschrift (i. e. § 23 Abs. 4, 2. Hs. WEG) zu, sondern verlangt für diese Bestimmung schon Beschlüsse, die mit entsprechender Kompetenz gefasst wurden.“15 Auch an diesem Detail zeigt sich, dass die Mitglieder des Senats entgegen der Befürchtung Lükes ihr fachliches Urteil von „sachfremden Elementen“ freigehalten haben.

II. Gegenstand und Kernaussagen des „Jahrhundertbeschlusses“ Auslöser des „Jahrhundertbeschlusses“ ist eine Vorlage des Kammergerichts16 gewesen. In jenem Fall hatte die Eigentümerversammlung mit Mehrheit bestandskräftig beschlossen, der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin die alleinige Nutzung des vor ihrem Sondereigentum gelegenen Vorgartens zum Betrieb einer Gaststätte zu genehmigen. __________ 13 Ich habe dieses Verfahren als damals noch beisitzender Richter z. B. durch eine Publikation zum Problem der Ersatzfähigkeit entgehender Gebrauchsvorteile (JZ 1983, 833–840) praktiziert und damit den Vorlagebeschluss des V. Zivilsenats vom 22.11.1985, V ZR 237/84, WM 1986, 266 an den Großen Senat für Zivilsachen vorbereitet. 14 ZWE 2000, 2, 5. 15 Lüke, ZWE 2002, 49, 51 r. Sp. 16 Beschl. v. 15.12.1999, NZM 2000, 137.

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Wegen Lärmbelästigungen verlangte ein Wohnungseigentümer von der Antragsgegnerin die Unterlassung der Nutzung. Das Kammergericht hat den Eigentümerbeschluss als Begründung eines Sondernutzungsrechts ausgelegt, diesen als nichtig betrachtet und die Sache wegen einer Abweichung von der Auffassung des OLG Düsseldorf17 dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Der V. Senat hat durch den Beschluss vom 20.9.200018 dem Unterlassungsanspruch stattgegeben. Diese Entscheidung wird im Kern von drei Erwägungen getragen19: (1) Nach § 23 Abs. 1 WEG bedürfe die Mehrheitsherrschaft der Legitimation durch Kompetenzzuweisung20. Dies sei eine Folge des das Wohnungseigentumsrecht beherrschenden Vertragsprinzips. Die Anfechtungsnotwendigkeit gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG bestehe nur für Beschlüsse, die im Rahmen des Mehrheitsprinzips ergangen seien. Wie Wenzel später klargestellt hat21, ist, soweit in den Gründen von der gesetzlichen Beschränkung der „Mehrheitsmacht“ und des „Mehrheitsprinzips“ auf bestimmte Bereiche die Rede ist, dies im Sinne von „Beschlusskompetenz“ zu verstehen. (2) Die Beschlusskompetenz für Gebrauchsregelungen erfasse nicht die Begründung von Sondernutzungsrechten, weil hierdurch der Gebrauch für die übrigen Wohnungseigentümer nicht geregelt, sondern ausgeschlossen und § 13 Abs. 2 WEG abgeändert werde. (3) Die Abänderung gesetzlicher oder vereinbarter Bestimmungen bedürfe einer Vereinbarung, sofern die Wohnungseigentümer nicht vereinbart hätten, dass sie auch durch Beschluss vorgenommen werden könne.

III. Die Tragweite des „Jahrhundertbeschlusses“ Ausgehend von der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes22 war bis zum Erlass des „Jahrhundertbeschlusses“ in Rechtsprechung und Rechtslehre im Blick auf § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG verallgemeinernd angenommen worden, dass ein Beschluss – unabhängig von der Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerversamm__________ 17 NZM 1999, 378. 18 S. o. Fn. 1. 19 Vgl. hierzu die Interpretation von Joachim Wenzel persönlich in ZWE 2001, 226, 228. 20 Im Anschluss an Rapp, DNotZ 2000, 864, 866. 21 ZWE 2001, 226, 228. 22 BGHZ 54, 65.

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lung – nur dann ungültig sei, wenn er erfolgreich angefochten werde23. Im Gegensatz dazu hat der V. Senat durch den Beschluss vom 20.9.200024 für die Fälle absoluter Beschlussunzuständigkeit einen weiteren Nichtigkeitsgrund eingeführt (genauer wohl: aufgedeckt). Allerdings beschränkt er diese einschneidende Rechtsfolge auf „vereinbarungsändernde“ Beschlüsse. Für „vereinbarungswidrige“ oder „vereinbarungsersetzende“ Beschlüsse belässt er es dabei, dass diese zwar rechtswidrig, aber (bis zu einer erfolgreichen Anfechtung) gültig seien. Damit ist die Kernbereichslehre für den vereinbarungsändernden Beschluss überholt und hat Bedeutung nur noch für vereinbarungsersetzende und vereinbarungswidrige Beschlüsse25.

IV. Gesetzeskonformität des Beschlusses Dass die Kernaussage der „Jahrhundertentscheidung“ zum Mangel der Beschlusskompetenz und ihren Folgen den Wertungen des Wohnungseigentumsgesetzes entspricht, kann inzwischen als gesichert angesehen werden26. Die Entscheidung ist dogmatisch einleuchtend und zwingend begründet. Das braucht im Einzelnen hier nicht mehr nachvollzogen zu werden. Mit Recht hat Joachim Wenzel zusammenfassend bemerkt, die Entscheidung stelle den gesetzlichen Regelungszusammenhang von Vereinbarung und Beschluss wieder her27. Schwer verständlich ist mir die rhetorische Frage, ob denn der Jahrhundertbeschluss „nötig“ gewesen sei28. Immerhin ist nach Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ gebunden. Nur so lange eine Rechtsfrage zweifelhaft ist, sollte aus Gründen der Rechtssicherheit von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich dann abgewichen werden, wenn „deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen.“29 Wenn aber im Verlaufe einer wissenschaftlichen __________ 23 Vgl. etwa BayObLG NJW-RR 1992, 81, 83; BayObLG NJW-RR 1993, 85, 86. BayObLG NJW 1995, 202, 203; Demharter, MittbayNot 1996, 417; Sauren, NJW 1995, 202, 203. 24 V ZB 58/99 – BGHZ 145, 158 = ZfIR 2000, 877 = NJW 2000, 3500 = WE 2001, 4 = ZWE 2000, 518. 25 Wenzel, ZWE 2001, 226, 228. 26 Merle, ZWE 2001, 342 re. Sp. 27 ZWE 2001, 226, 237. 28 So aber Mersson, NZM 2001, 933 f. 29 BGHZ (GSZ) 85, 64, 66.

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Diskussion offenbar wird, dass die bisherige Praxis mit dem Gesetz nicht im Einklang steht und eine rechtsuchende Partei die inzwischen geläuterte Rechtserkenntnis für sich in Anspruch nimmt, darf der Richter dieser Partei ihr Recht nicht absprechen30. Er darf sie nicht achselzuckend auf eine gängige Praxis verweisen, die sich aus Bequemlichkeit auf die Rechtsbeständigkeit von Beschlüssen verlässt, die das Vertragsprinzip verletzen und damit in das Selbstbestimmungsrecht der Minderheit eingreifen. Derartige rechtswidrige Übergriffe betreffen nicht irgendeine Marginalie, sondern ein zentrales Element unserer Privatrechtsordnung. Die Kritik müsste also darlegen, aus welchem vorrangigen Grunde die bessere Rechtserkenntnis gleichwohl nicht in die Praxis umgesetzt werden sollte oder gar dürfte. Aus diesem Blickwinkel soll ihr im Folgenden nachgegangen werden.

V. Problemabgrenzung und -abschichtung Bevor man sich ein Bild von den praktischen Folgeproblemen des „Jahrhundertbeschlusses“ machen und für die etwa noch problematischen Fälle nach Lösungen suchen kann, ist es geboten, das Operationsfeld von Fremdkörpern zu bereinigen und diejenigen Fälle auszugrenzen, die bei näherem Hinsehen nicht in den Anwendungsbereich des Beschlusses gehören. Einen ersten Beitrag hierzu hat bereits der Bundesgerichtshof selbst geleistet. In einem Beschluss vom 25.9.200331 ging es um den Einbau von Kaltwasserzählern zur Umsetzung einer verbrauchsabhängigen Verteilung der Kosten für die Wasserversorgung der Sondereigentumseinheiten. Für diese Frage hat der V. Senat klargestellt, dass es sich bei den Kosten für das im Sondereigentum verbrauchte Wasser und das Abwasser nicht um Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums handele, sondern um Kosten des Sondereigentums. Damit fallen diese Kosten nicht unter den Verteilungsschlüssel des § 16 Abs. 2 WEG, der ja nur das gemeinschaftliche Eigentum betrifft. Zwar können die Wohnungseigentümer durch Vereinbarung auch die Kostenverteilung für __________ 30 Das will trotz polemischen Untertons wohl auch Mersson (NZM 2001, 933 re. Sp.) nicht in Abrede stellen. Jedenfalls identifiziert er sich nicht ausdrücklich mit der von ihm zitierten Forderung Deckerts (NZM 2000, 644, 647): „Buck und Wenzel können recht haben und trotzdem hat es bei der bisherigen Praxis zu bleiben.“ 31 V ZB 21/03, ZfIR 2003, 1041 m. Anm. Hauger.

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das Sondereigentum regeln. Im konkreten Fall ergab aber die Auslegung der Gemeinschaftsordnung, die ausdrücklich nur die „Betriebskosten der Wohnanlage“ erfasste, dass sie nicht auch die Verteilung der Kosten des privaten Wasserverbrauchs der einzelnen Wohnungseigentümer regelte. Deshalb konnten die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung gemäß § 21 Abs. 3 WEG eine Regelung durch Mehrheitsbeschluss treffen. Durch den Beschluss vom 25.9.2002 hat der Bundesgerichtshof außerdem geklärt, dass der Einbau von Wasseruhren jedenfalls dann, wenn er für eine ordnungsgemäß beschlossene Änderung der Abrechnung erforderlich ist, keine bauliche Veränderung i. S. d. § 22 Abs. 1 WEG, sondern als notwendige Folgemaßnahme eine Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung ist. Deshalb kann sie durch Mehrheit beschlossen werden. Damit sind schon zwei für die Praxis gewichtige Fragen aus dem Anwendungsbereich der „Jahrhundertentscheidung“ ausgegrenzt. Weiteres Anschauungsmaterial bietet ein Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 6.9.200132. Danach führen Fehler bei der Einberufung der Wohnungseigentümerversammlung oder bei der Aufstellung der Jahresabrechnung oder des Wirtschaftsplans nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit. Dass der „Jahrhundertbeschluss“ hieran nichts geändert habe, liegt freilich auf der Hand; denn er beschränkt die Nichtigkeitsfolge ja ausdrücklich auf Beschlüsse, die Vereinbarungen abändern oder gesetzliche Bestimmungen abbedingen. Einen aus meiner Sicht voreiligen Rückschluss aus dem „Jahrhundertbeschluss“ hat das Bayerische Oberste Landesgericht dagegen für die Stilllegung eines Müllschluckers gezogen33. Noch im Jahre 1996 hatte das Gericht entschieden, dass ein Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer, einen vorhandenen Müllschlucker stillzulegen, eine zulässige Regelung über den Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums darstelle34. Unter Berufung auf die „Jahrhundertentscheidung“ hat es dann aber ausgesprochen, dass die Ermächtigung der Verwalterin zur Stilllegung eines Müllschluckers einem Mehrheitsbeschluss nicht zugänglich sei35: Diese falle nicht unter die Kompetenzzuweisung nach § 15 Abs. 2 WEG; denn eine Gebrauchsregelung müsse eine Konkreti__________ 32 33 34 35

ZWE 2001, 593. BayObLG, NZM 2002, 447. NJWE-MietR 1996, 159 = WuM 1996, 488. Beschl. v. 28.2.2002, NZM 2002, 447.

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sierung des Gebrauchs zum Gegenstand haben, ein Gebrauchsentzug sei aber keine Regelung des Gebrauchs, weil dieser den Mitgebrauch voraussetze. Der Gebrauchsentzug ändere vielmehr den in § 13 Abs. 2 WEG festgelegten Anspruch jedes Wohnungseigentümers auf Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums ab und habe damit einen gesetzesändernden Inhalt. Im Gegensatz zu dem vom Bundesgerichtshof36 entschiedenen Falle, in dem alle Wohnungseigentümer bis auf einen vom Mitgebrauch des Gemeinschaftseigentums ausgeschlossen worden seien, treffe der Gebrauchsentzug hier zwar alle Wohnungseigentümer; das ändere aber nichts daran, dass die gleichen Grundsätze Anwendung fänden, denn sie gälten erst recht, wenn der Ausschluss des Mitgebrauchs sämtliche Wohnungseigentümer treffe. Dieses argumentum a minore ad maius geht m. E. fehl; denn die Stilllegung eines Teils des gemeinschaftlichen Eigentums ist gegenüber der Einräumung eines Sondernutzungsrechts kein maius, sondern ein aliud. Sie betrifft schon im Ansatz nicht die Frage, wie der Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums zwischen den Wohnungseigentümern aufgeteilt werden soll, sondern regelt das vorgeordnete Problem, ob der betroffene Teil des gemeinschaftlichen Eigentums weiterhin für den Gebrauch zugelassen werden und damit überhaupt noch Raum für eine Zuweisung des Gebrauchs verbleiben soll. Diese Vorfrage betrifft die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums, und diese ist im Wohnungseigentumsgesetz nach anderen Vorschriften und Grundsätzen geregelt37 als der Gebrauch38: Während das Gesetz für Verwaltungsmaßnahmen und -entscheidungen der Wohnungseigentümer differenzierend die Instrumente der Vereinbarung, des Mehrheitsbeschlusses und (soweit die Maßnahmen über eine ordnungsmäßige Verwaltung hinausgehen) des einstimmigen Beschlusses bereit hält, sieht es für Gebrauchsregelungen nur die Vereinbarung und den Mehrheitsbeschluss als Handlungsform vor, nicht dagegen auch den einstimmigen Beschluss39. Deswegen hätte das Bayerische Oberste Landesgericht sich nicht einfach auf die „Jahrhundertentscheidung“ berufen dürfen, sondern hätte den Fall an den anders gearteten einschlägigen Vorschriften messen müssen. Das soll hier nicht nachgeholt werden, denn zunächst sollte nur gezeigt werden, dass der Anwendungsbereich und die Aussagekraft des „Jahrhundert__________ 36 37 38 39

BGHZ 145, 158 – „Jahrhundertbeschluss“. §§ 20 ff. WEG. §§ 13, 15 WEG. Vgl. hierzu Wenzel, ZWE 2001, 226, 230 m. weit. Nachw.

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beschlusses“ durch weitere Gerichtsentscheidungen und Fachbeiträge nach und nach noch klarer abgegrenzt werden dürfte.

VI. Einwände der Kritiker Ohne Gewähr für Vollständigkeit sollen im Folgenden die wohl wichtigsten Einwände, die gegen die „Jahrhundertentscheidung“ erhoben worden sind, erörtert werden.

1. Rechtmäßigkeit contra Rechtssicherheit? Einige Autoren würdigen den „Jahrhundertbeschluss“ – mit einem kritischen Unterton – als einen Gewinn von Rechtmäßigkeit auf Kosten der Rechtssicherheit40. Daran mag richtig sein, dass Rechtmäßigkeit als eines der Mittel zur Verwirklichung von Gerechtigkeit in einen Konflikt mit dem Rechtswert der Rechtssicherheit geraten kann41. Dann ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, die beiden elementaren Rechtswerte gegeneinander abzuwägen und für das konkrete Problem einem von ihnen den Vorrang zu geben. Beim Problem der Folgen mangelnder Beschlusskompetenz stellt sich diese Frage aber nicht; denn hier ist die Gemengelage vielschichtiger. Der V. Zivilsenat hat in seinem Grundsatzbeschluss42 darauf abgehoben, dass die teilweise Aufgabe und Abgrenzung der bisherigen Rechtsprechung geboten sei, weil die Praxis von der bisher eröffneten Möglichkeit, bestehende Vereinbarungen durch Mehrheitsbeschluss abzuändern, ausufernden Gebrauch gemacht habe43 mit zum Teil fatalen Folgen44. Da vereinbarungsändernde Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nicht der Eintragung in das Grundbuch bedürfen, ergibt sich, wie der Senat bemängelt, nach dieser Praxis der Inhalt des Wohnungseigentums nicht mehr aus dem Grundbuch, sondern aus den – oft laienhaft verfassten und daher auslegungsbedürftigen – Protokollen der Eigentümerversammlungen. Ergänzend hat Joachim Wenzel betont, dass diese Protokolle dem Erwerber von Woh__________ 40 Z. B. Deckert, MDR 2000, 1367. 41 Vgl. dazu etwa die Bemerkungen von Brambring und mir in „Die Bedeutung der Rechtssicherheit für die vorsorgend Rechtspflege“, Sonderheft der Deutschen Notar-Zeitschrift 1985, 23 ff. und 34 ff. 42 S. o. Fn. 1 unter III 2 b. 43 Unter Berufung auf Demharter, WuM 2000, 291, 292. 44 Unter Hinweis auf Bassenge, NZM 2000, 649.

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nungseigentum meist nicht zur Verfügung stünden, er keinen Rechtsanspruch auf Einsicht habe und verlässliche Auskünfte von dem Verwalter, zumal nach einem Verwalterwechsel, oft nicht zu erlangen seien; der Erwerber kaufe praktisch die „Katze im Sack“ und erlebe nicht selten böse Überraschungen, wenn durch Mehrheitsbeschluss z. B. der gesetzliche oder der in der Teilungserklärung benannte Kostenverteilungsschlüssel zu seinem Nachteil abgeändert oder an der Gemeinschaftsfläche Sondernutzungsrechte begründet worden seien45. Mit der Publizitätsfunktion des Grundbuchs zugunsten des Verkehrsschutzes stand und steht aber ein wesentliches Element der Rechtssicherheit im deutschen Privatrecht auf dem Prüfstand. Deshalb kann von einem lupenreinen Konflikt zwischen materialer Gerechtigkeit (Rechtmäßigkeit) auf der einen Seite und Rechtssicherheit auf der anderen nicht die Rede sein. Der erörterte Vorwurf ist damit schon im Ansatz gegenstandslos.

2. Abgrenzungsschwierigkeiten Ein häufiger Einwand geht dahin, dass die Feststellung einer „absoluten Beschlussunzuständigkeit“ weit weniger einfach sei, als dies zunächst den Anschein haben möge. Dazu ist allgemein zu sagen, dass Abgrenzungsschwierigkeiten in der Rechtsordnung allenthalben auftreten und den Rechtsanwender nicht von der Verpflichtung entbinden, sie mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bewältigen und das Gesetz unter Beachtung der hiernach gebotenen Differenzierungen anzuwenden. In concreto entzündet sich die Kritik vor allem an der Unterscheidung zwischen „vereinbarungsersetzenden“ und „vereinbarungsändernden“ Beschlüssen46. Dieses begriffliche Bedenken stößt bei Wenzel inzwischen auf offene Ohren. Er stellt in Frage, „ob der Begriff des vereinbarungsersetzenden Beschlusses nicht zu unnötigen Missverständnissen führe, wie z. B. zu der unzutreffenden Schlussfolgerung, der Inhalt von Beschlüssen und Vereinbarungen sei beliebig austauschbar“47. Wenzel betont, dass es für die Entscheidung, ob der Beschluss nichtig oder nur __________ 45 Wenzel, ZWE 2001, 226 f. 46 Müller, NZM 2000, 854; trotz grundsätzlicher Zustimmung insoweit ebenfalls kritisch Volmer, ZfIR 931, 935; Kreuzer, ZWE 2000, 327; Häublein, ZMR 2000, 423, 425; vgl. auch Lüke, ZfIR 2000, 881, 883. 47 ZWE 2001, 226, 231 li. Sp.

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Beschlusskompetenz – Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“

anfechtbar ist, „nicht auf die Begrifflichkeit, sondern darauf ankommt, ob eine Beschlusskompetenz besteht oder nicht“, und räumt ein, dass „auf den Begriff durchaus verzichtet werden“ könne; vielmehr gelte es, Kriterien für die Grenzen der Beschlusskompetenz zu finden. Welche Kriterien aber sind maßgeblich dafür, ob ein Beschluss als vereinbarungs- oder gesetzesändernd nichtig oder als vereinbarungsbzw. gesetzwidrig (nur) anfechtbar ist? Ausgangspunkt ist nach Wenzel die Erwägung, dass nach dem Gesetz Vereinbarungen nur durch Vereinbarungen abgeändert werden können und das gleiche für die Abbedingung gesetzlicher Bestimmungen gelte48. Gegen Häubleins49 Versuch, zwischen Vereinbarung und Gesetz zu unterscheiden und eine Beschlusskompetenz für gesetzesändernde Beschlüsse nur dann zu verneinen, wenn die vom Gesetz gewährleisteten „Mindeststandards“ unterlaufen werden, wendet Wenzel mit Recht ein, dass eine solche Unterscheidung im Gesetz keine Stütze finde50. Stattdessen rekurriert er unmittelbar auf § 10 Abs. 2 WEG, wonach es allein darauf ankomme, ob die Wohnungseigentümer (a) für ihr Verhältnis untereinander (b) eine Regelung treffen (c) in „Änderung oder Ergänzung“ verbindlicher Normen: Seien alle drei Kriterien erfüllt, so sei die Angelegenheit einer Beschlussfassung nicht zugänglich, weil durch Beschluss nicht geregelt werden könne, was zur Wirkung gegenüber dem Sondernachfolger einer eingetragenen Vereinbarung bedürfe. Diesen Lösungsansatz erläutert Wenzel zunächst abstrakt51 und beschreibt sodann die wichtigsten konkreten Auswirkungen für die Praxis52. Schon hiernach erscheinen die Abgrenzungsprobleme keineswegs als unlösbar. Sie sind nicht größer als auch sonst in manchen Problembereichen53. Zweifelsfälle können und werden durch die Gerichtspraxis geklärt werden. Dass sich in manchen Fragen der Subsumtion, z. B. zur Beschlusskompetenz bei fehlender Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung, __________ 48 49 50 51 52 53

Wenzel, ZWE 2001, 226, 233 li. Sp. ZWE 2001, 2, 7. Wenzel, ZWE 2001, 226, 233 li. Sp. ZWE 2001, 226, 233 ff. ZWE 2001, 226, 235 ff. Z. B. ist die praktisch wichtige Frage der Abgrenzung von Rechts- und Sachmängeln, obwohl schon im römischen Recht relevant, in abstracto bis heute ungeklärt und bereitet der Praxis Schwierigkeiten, die letztlich nur kasuistisch bewältigt werden können (vgl. hierzu etwa Hagen/Brambring, Der Grundstückskauf, 7. Aufl. 2000, Rz. 181 m. w. Nachw.).

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theoretisch auch der gegenteilige Standpunkt vertreten ließe, ändert an der Richtigkeit des Obersatzes nichts. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof im „Jahrhundertbeschluss“54 die Verneinung absoluter Unzuständigkeit aus meiner Sicht einleuchtend mit der sonst drohenden Rechtsunsicherheit bei der jeweiligen Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit begründet. Ähnliches gilt für die Ausgrenzung eines Sondernutzungsrechts aus der gesetzlichen Kompetenzzuweisung für Gebrauchsregelungen. Wie der Bundesgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung dokumentiert hat55, ist die Frage, ob an der bejahenden Entscheidung des VII. Zivilsenats aus dem Jahre 197056 festzuhalten ist, wonach ein Sondernutzungsrecht durch bestandskräftigen Mehrheitsbeschluss begründet werden kann57, in der obergerichtlichen Judikatur und im Schrifttum stets umstritten gewesen. Sie ist nun vom V. Senat mit der mir einleuchtenden Begründung verneint worden, dass ein Gebrauchsentzug für alle anderen Miteigentümer keine Regelung des Gebrauchs nach § 15 WEG sei, weil diese den Mitgebrauch voraussetze. Selbst wenn man aber diese spezielle Frage anders beurteilen wollte, würde dies den Obersatz, nämlich die Verknüpfung der Nichtigkeitsfolge mit dem Kriterium absoluter Beschlussunzuständigkeit, nicht in Frage stellen.

3. „Bewährung“ der bisherigen Praxis Ein weiterer Vorwurf gegen die „Jahrhundertentscheidung“ geht dahin, die Übung vereinbarungswidriger und -ersetzender Beschlüsse habe sich „bewährt“ und der Bundesgerichtshof bleibe den Nachweis schuldig, dass es tatsächlich zu den von ihm angenommenen Folgen komme58. Dieser Einwand widerlegt sich von selbst; denn er geht ja gerade von der durch den Bundesgerichtshof beanstandeten Praxis vereinbarungswidriger und -ersetzender Beschlüsse („Pseudovereinbarungen“) aus und bewertet diese lediglich anders, nämlich im Sinne einer „Bewährung“.

__________ 54 55 56 57 58

BGH, ZfIR 2000, 877, 880 re. Sp. BGH, ZfIR 2000, 877, 879. BGHZ 54, 65. Bejahend z. B. Briesemeister, NZM 2000, 649. Z. B. Deckert in seiner Anmerkung MDR 2000, 1367; Demharter, WuM 2000, 291.

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Beschlusskompetenz – Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“

4. Praxisuntauglichkeit der „Jahrhundertentscheidung“? Ernsthafte Bedenken gegen den „Jahrhundertbeschluss“ wären zu erheben, wenn er für die Alltagspraxis untauglich wäre. Ein solcher Vorwurf aber ist bisher nicht erhärtet. Der V. Zivilsenat hat nicht verkannt, dass seine Entscheidung über den Ausgangsfall hinaus für weitere Problemfelder Bedeutung hat, wie z. B. für die Änderung des gesetzlichen oder vereinbarten Kostenverteilungsschlüssels oder für die Aufhebung der Zustimmungsverpflichtung des Verwalters oder der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Vermietung/Veräußerung. Soweit solche Beschlüsse Sachverhalte betreffen, die zwar in der Vergangenheit liegen, aber in die Zukunft fortwirken – wie Beschlüsse über den allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel, nicht dagegen über bestimmte Abrechnungen – stellt der Senat in Rechnung, dass die folgerichtig rückwirkende Anwendung der Nichtigkeitsfolgen zu unzumutbaren Härten führen könnte. Hier sieht er Raum für eine Korrektur im Einzelfall nach dem Gebot von Treu und Glauben, wenn und soweit im Vertrauen auf den bisher anerkannten Rechtssatz, dass Mehrheitsbeschlüsse mit Vereinbarungsinhalt gültig seien, schützenswerte Positionen entstanden sind, deren Beseitigung zu unzumutbaren Härten führen würde. In solchen Fällen unechter Rückwirkung sollen die Folgen der Entscheidung deshalb ausnahmsweise nur für die Zukunft gelten. Diesen Gedanken hat Joachim Wenzel näher ausgeführt. In Übereinstimmung mit dem „Jahrhundertbeschluss“ begründet er die Beschränkung der Rückwirkung mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit, die für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz bedeute59. Im Einzelnen gelangt er zu folgenden Differenzierungen: (1) Für abgeschlossene Altfälle verbiete sich eine rückwirkende Anwendung des Kompetenzkriteriums: Sei z. B. der vereinbarte oder gesetzliche Kostenverteilungsschlüssel durch Mehrheitsbeschluss abgeändert worden, so blieben die schon bestandskräftig gewordenen Abrechnungen verbindlich60. (2) Für laufende Altfälle komme es darauf an, ob bereits nach Treu und Glauben rechtlich schützenswerte Positionen entstanden seien. Bestandsschutz gelte nur für die Vergangenheit; für die Zukunft dürfe der dolo-petit-Einwand nicht weiter praktiziert werden61. __________ 59 ZWE 2001, 226, 228 ff. 60 Im Anschluss an Schmack/Kümmel, ZWE 2000, 433, 441. 61 Unter Hinweis auf BGHZ 130, 304, 314.

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Bestandsschutz sei z. B. gegeben, wenn das Wohnungseigentum im Vertrauen auf die Bestandskraft eines das Zustimmungserfordernis62 aufhebenden, vereinbarungsändernden Mehrheitsheitsbeschlusses ohne Zustimmung veräußert worden sei. Zwar sei infolge der rückwirkenden Wiederherstellung des Zustimmungserfordernisses das Eigentum materiellrechtlich nicht übergegangen, doch habe der Veräußerer einen Anspruch auf Zustimmung, so dass der Einwand des Rechtsmissbrauchs durchgreife63. Dagegen fehle es bei einem durch bestandskräftigen Mehrheitsbeschluss begründeten Sondernutzungsrecht an einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand, weil die Wirksamkeitsfrage in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum bis zuletzt umstritten gewesen sei und eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung sich dazu noch nicht entwickelt gehabt habe. Im Ergebnis räumen für „Altfälle“ auch entschiedene Kritiker ein, dass es sich für die Vergangenheit mit der „Jahrhundertentscheidung“ leben lasse64. Als besonders problematisch wird die Erzielung befriedigender Ergebnisse für die Zukunft angesehen, wenn es um alte, unvollkommene Teilungserklärungen geht. In diesem Sinne hatte Würfel schon vor Erlass der „Jahrhundertentscheidung“ vor einer „Zementierung“ ungerechter Teilungserklärungen“ gewarnt65, und auch Schäfers hatte befürchtet, ungerechte oder unpraktische Regelungen könnten nicht mehr korrigiert werden, wenn auch nur ein, womöglich querulatorischer, Wohnungseigentümer opponiere66. Hier dürfte in der Tat die gewichtigste praktische Schwierigkeit liegen und zugleich eine Herausforderung für Gerichte, Wissenschaftler und Praktiker zu bestehen sein. So könnten z. B. angesichts der durch die „Jahrhundertentscheidung“ veränderten rechtlichen und rechtstatsächlichen Rahmenbedingungen die Gerichte zu erwägen haben, ob nicht für Klagen gegen einzelne Wohnungseigentümer auf Zustimmung zu einer Abänderung der Gemeinschaftsordnung bei der Billigkeitsprüfung ein weniger strenger Maßstab als bisher67 angelegt werden sollte68. Jedenfalls kann von Rechts wegen den Wohnungseigentümern, die eine Änderung der Teilungserklärung oder sonstige Vereinbarungen anstreben, eher angesonnen werden, den __________ 62 63 64 65 66 67 68

Gemäß § 12 WEG. Unter Hinweis auf BGHZ 122, 308, 314. Vgl. z. B. Mersson, NZM 933, 939 li. Sp. Würfel, DWE 2000, 14, 15 f. NZM 2000, 998. Vgl. dazu etwa BayObLG, NZM 2001, 290; OLG Düsseldorf, NZM 2001, 760. So die Anregung von Mersson, NZM 2001, 933, 939.

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Beschlusskompetenz – Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“

„Kampf ums Recht“69 zu führen, als dem niedergestimmten Miteigentümer regelmäßig die Last der Beschlussanfechtung aufzubürden, während die „gesetzesverletzende“ Mehrheit sich zurücklehnen und abwarten kann, bis die Anfechtungsfrist verstrichen ist70. Dass die „neue Sicht“ eine Umorientierung der Verwalterpraxis verlangt71, mag eine mehr oder weniger tief greifende Unbequemlichkeit bewirken, die aber vor allem die Folge allzu sorglosen Entfernens der Praxis vom Gesetz ist. In dem Wunsche, überholte Regelungen den veränderten Notwendigkeiten anzupassen, mag das Arbeiten mit „Zitterbeschlüssen“ ein praktisch verlockender Weg gewesen sein nach der Devise „Augen zu und durch!“ Demgegenüber ist das gerichtliche Verfahren auf Abänderung zwar umständlicher, gewährleistet dafür aber eine sachgerechte Abwägung der widerstreitenden Interessen72. Im Übrigen – und nicht zuletzt – scheinen aus der Sicht der Praxis die Schwierigkeiten nicht unüberwindlich zu sein. Schon auf der Fischener Podiumsdiskussion im Jahre 2002 hat Döll zusammenfassend berichtet, die heutige Praxis funktioniere; die Verwalter hätten die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgenommen, und diese Entscheidung habe „sehr viele Chancen auch für das Wohnungseigentum und das WEG gebracht“73.

VII. Ruf nach dem Gesetzgeber? Damit beantwortet sich auch die Frage, ob der Gesetzgeber zu Hilfe eilen und „praxisfreundliche“ Neuerungen einführen solle.

1. Gesetzliche Heilungsvorschrift? Eine gesetzliche Heilungsvorschrift erübrigt sich, weil für Tatbestände schutzwürdigen Vertrauens auf die Gültigkeit von Mehrheitsbeschlüssen, die in Übereinstimmung mit der bisherigen Gerichtspraxis und der herrschenden Meinung im Schrifttum gefasst worden sind, schon im „Jahrhundertbeschluss“ durch Verweisung auf den Grundsatz von Treu __________ 69 70 71 72 73

So die programmatische Schrift von Rudolf von Ihering. Das räumt auch Mersson ein (NZM 2001, 933, 935). So Wenzel, ZWE 2001 226, 231. Darauf beruft sich Wenzel, ZWE 2001, 226, 237. Siehe den Tagungsbericht in NZM 2003, 632, 637 re. Sp.

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und Glauben der Weg gewiesen worden ist. Dazu ist bereits oben74 das Nötige gesagt worden.

2. Gesetzliche Öffnungsklausel? Zugunsten des Mehrheitsprinzips ist an eine gesetzliche Öffnungsklausel gedacht worden, die Änderungen von Vereinbarungen auch im Beschlusswege zuließe75. Demgegenüber ist die Mahnung von Lüke beherzigenswert, man könne eine solche einschneidende Änderung dem Wohnungseigentum nicht wünschen, weil dies – abgesehen von verfassungsrechtlichen Problemen – zu einer Entwertung der Rechtsstellung des einzelnen Wohnungseigentümers führte und die Attraktivität dieses Instituts minderte76. In diesem Sinne hat sich auch Joachim Wenzel geäußert77. Wenn die Bundesregierung, wie Presseberichten zu entnehmen ist, gleichwohl einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes zwecks Auflockerung des Vertragsprinzips vorlegen und der Gesetzgeber dem folgen sollte, so wäre dies eine selbständige rechtspolitische Entscheidung mit je eigenen Licht- und Schattenseiten. Für eine Bewertung ist hier nicht der Platz.

3. Öffnungsklauseln kraft Vereinbarung Für zukünftige Teilungserklärungen wird die Lösung vielfach in einer vereinbarten Öffnungsklausel gesehen78. Man meint sogar, künftig werde ein vorsichtiger Notar schon zur Vermeidung von Haftungsrisiken eine möglichst weit gehende Öffnungsklausel aufnehmen müssen79. Die Zulässigkeit von Vereinbarungen über sog. Änderungsvorbehalte80 oder Öffnungsklauseln in Angelegenheiten, die nur durch Vereinbarung geregelt werden dürfen, ist im Anschluss an die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 27.6.198681 ganz überwiegend anerkannt82. Wenzel verweist hierzu auf §§ 10 Abs. 4, 23 Abs. 1 WEG, die __________ 74 75 76 77 78 79

Unter VI 7. So etwa von Bielefeld, NZM 2000, 644, 647. Lüke, ZWE 2002, 49. ZWE 2001, 226, 237 .E. Vgl. z. B. Mersson, NZM 2001, 933, 940 re. Sp. Zu Formulierungsvorschlägen vgl. Deckert, NZM 2000, 644, 647; Casser, NZM 2001, 514, 517. 80 Hügel, DNotZ 2001, 176, 177. 81 BGHZ 95, 137, 140 = NJW 1985, 2832, 2833. 82 Hügel, DNotZ 2001m 578, 579; Ott, ZWE 2001, 466, 467 jeweils m. w. N.

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Beschlusskompetenz – Joachim Wenzel und der „Jahrhundertbeschluss“

eine Beschlusskompetenz für solche Angelegenheiten vorsehen, über die nach einer Vereinbarung durch Beschluss entschieden werden kann83. Zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers bedarf die Öffnungsklausel der Eintragung in das Grundbuch84. Davon zu unterscheiden ist die Wirksamkeit eines auf Grund der Klausel gefassten Beschlusses; denn die Öffnungsklausel legitimiert die Mehrheitsentscheidung nur formell, ohne sie materiell zu rechtfertigen85. Die materielle Frage der Rechtmäßigkeit des Beschlusses beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen86. Nach dem Praxiskosten-Beschluss des Bundesgerichtshofs87 und der überwiegenden Praxis der Oberlandesgerichte88 sowie der h. M. im Schrifttum89 sind Beschlüsse, die auf einer Öffnungsklausel beruhen, allerdings auch dann nicht in das Grundbuch einzutragen, wenn sie als Vereinbarung, gemäß § 10 Abs. 2 WEG der Eintragung bedurft hätten, um gegenüber dem Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers zu wirken. Diese Auffassung stößt im Fachschrifttum zunehmend auf Widerspruch90. Im Interesse des Sonderrechtsnachfolgers, der sonst die belastenden Auswirkungen eines solchen Beschlusses nicht immer rechtzeitig erkennen könnte, will deshalb eine Mindermeinung die Eintragung des Beschlusses mit Vereinbarungsinhalt in das Grundbuch zulassen91. Wenzel unterstützt diese Auffassung, hält aber aus teleologischen und systematischen Gründen eine Wirkung solcher Beschlüsse gegen den Sondernachfolger nur dann für gegeben, wenn sie in das Grundbuch eingetragen worden sind92. Damit würde sich auch der Einwand erledigen, dass Mehrheitsbeschlüsse, die auf Grund einer Öffnungsklausel ergehen, die Publizität des Grundbuchs in gleichem Maße beeinträchtigen wie ver__________ 83 84 85 86 87 88 89 90

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Wenzel, ZNotP 2004, 170. Wenzel, ZNotP 2004, 170, 171 li. Sp. Becker, ZWE 2002, 341, 343. Einzelheiten hierzu bei Wenzel, ZNotP 2004, 170, 171 ff. BGHZ 127, 99, 104 = NJW 1994, 3230, 3231. OLG Frankfurt, RPfleger 1980, 231; BayObLG, NJW 1995, 202; OLG Düsseldorf, WE 1995, 185, 186. Nachweise bei Wenzel, ZNotP 2004, 170, 173 Fn. 38. Weitnauer/Lüke, WEG 8. Aufl., § 10 Rz. 32, 51; Grebe, DNotZ 1987, 5, 16 f.; Buck, WE 1996, 94, 96; ders., Mehrheitsentscheidungen mit Vereinbarungsinhalt im Wohnungseigentumsrecht, 2001, S. 101 ff.; Hügel, ZWE 2001, 578, 583 f.; Ott, ZWE 2001, 466, 468 f.; Schneider, ZfIR 2002, 108 ff. Buck, WE 1996, 94, 96; Fisch, MittRhNotK 1999, 213, 220; Schneider, ZfIR 2002, 108, 113. Wenzel, ZNotP 20004, 170, 174 ff.

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einbarungsändernde Mehrheitsbeschlüsse93. Folgt man der Auffassung von Wenzel, so rundet sich das Bild. Dann zeigt sich, dass durch die Vereinbarung von Öffnungsklauseln für die Zukunft rechtlich unbedenkliche, flexible Regelungen geschaffen werden können, wenn die Wohnungseigentümer übereinstimmend eine solche Regelung wünschen. Von Rechts wegen sollte sie ihnen nicht aufgezwungen werden; denn es ist ein wesentlicher Unterschied, ob jemand freiwillig Beschränkungen auf sich nimmt oder ob sie ihm durch Gesetz auferlegt werden.

__________ 93 So aber der Einwand von Demharter, NZM 2000, 1153, 1154.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen Stefan Hügel Inhaltsübersicht I. Einführung II. Praktische Relevanz der Fragestellung III. Die Zustimmung zum Eintritt 1. Rechtliche Qualifizierung von Vereinbarungen 2. Zustimmung des Alteigentümers 3. Zustimmung des neuen Eigentümers a) Ausdrückliche Zustimmung b) Konkludente Zustimmung

4. Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer a) Ausdrückliche Zustimmung b) Eintrittsklauseln c) Konkludente Zustimmung d) Antizipierte Zustimmung als Regelfall 5. Untergang schuldrechtlicher Vereinbarungen mit Eigentumswechsel? IV. Ergebnis

I. Einführung Erwerber von Wohnungs- und Teileigentum werden nicht nur Eigentümer einer Sondereigentumseinheit, hinsichtlich derer sie die Stellung eines zivilrechtlichen Alleineigentümers i. S. v. § 903 BGB einnehmen. Vielmehr werden sie durch ihre Mitberechtigung am gemeinschaftlichen Eigentum zugleich zwingend Mitglied der betreffenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Für das Verhältnis dieser Wohnungseigentümer untereinander gelten grundsätzlich die Bestimmungen der §§ 10 ff. WEG. Im Rahmen der in § 10 Abs. 2 WEG eingeräumten Autonomie können die Eigentümer ihr Gemeinschaftsverhältnis auch abweichend von den gesetzlichen Vorgaben frei regeln. Die Gesamtheit solcher das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander regelnden Vereinbarungen wird Gemeinschaftsordnung genannt. Ziel des gesamten Regelungswerkes ist die Sicherung eines dauerhaften und geordneten Zusammenlebens der Wohnungseigentümer. Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn auch Rechtsnachfolger an einmal getroffene Regelungen gebunden sind. Die Möglichkeit einer solchen Bindung von Sondernachfolgern eröffnet das WEG in § 10 Abs. 2 WEG. Mit der Eintragung der Vereinbarung in das Grundbuch entfaltet diese Wirkung gegenüber Sondernachfolgern des Alteigentümers. Ansprüche, 219

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die sich aus der Gemeinschaftsordnung herleiten lassen, werden dadurch aber nicht zum dinglichen Recht. Die herrschende Meinung spricht insoweit aber von einer verdinglichten Struktur der Gemeinschaftsordnung1. Ein Zwang, Vereinbarungen mit einer solchen Wirkung zu versehen, besteht nicht. Eigentümergemeinschaften können frei wählen, ob sie eine einer Vereinbarung zugängliche Regelung mit „dinglicher“ Wirkung ausstatten, oder ob sie sich damit begnügen wollen, dass die Vereinbarung nur im Innenverhältnis der Eigentümer wirkt. Die Eigentümergemeinschaft, in die jeder Erwerber eintritt, besitzt zum Zeitpunkt des Eigentumswechsels regelmäßig bereits eine Gemeinschaftsordnung. Sofern diese im Grundbuch eingetragen wurde, wirken die dort statuierten Vereinbarungen auch ohne ausdrückliche Regelung im Erwerbsvertrag aufgrund § 10 Abs. 2 WEG gegen den neuen Eigentümer. Etwas anderes gilt jedoch für nicht im Grundbuch eingetragene Vereinbarungen, sog. schuldrechtliche Vereinbarungen. Sie entfalten nur relative Wirkung. Sie binden nur die an ihnen Beteiligten, also die Wohnungseigentümer, die zum Zeitpunkt des Zustandekommens der Vereinbarung Eigentümer der betreffenden Gemeinschaft sind und bei ihrem Abschluss mitgewirkt haben2. Solche schuldrechtlichen Vereinbarungen werden nach Ansicht der Rechtsprechung insgesamt hinfällig, wenn ein Sondernachfolger in die Gemeinschaft eintritt und Vereinbarungen dieser Art nicht beigetreten ist3. Nur zugunsten von Sondernachfolgern wirken schuldrechtliche Vereinbarungen auch ohne Grundbucheintragung nach allgemeinem Schuldrecht4. __________ 1 Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., Einl. WEG Rz. 45 ff.; Weitnauer/ Lüke, WEG, 9. Aufl. 2004, § 10 Rz. 35; Hügel in Bamberger/Roth, 2003, § 10 WEG Rz. 7; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl. 2003, Rz. 2885. 2 BGH NJW 1984, 612; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl. 1997, § 10 WEG Rz. 62; Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, 2002, S. 7; Häublein, Sondernutzungsrechte und ihre Begründung im Wohnungseigentumsrecht, 2003, S. 24. 3 BayObLG NZM 2003, 321; OLG Köln NZM 2001, 1135; zustimmend Staudinger/Kreuzer, § 10 WEG Rz. 64; Commichau in MünchKomm/BGB, 4.Aufl. 2004, § 10 WEG Rz. 79; Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl. 2004, § 10 WEG Rz. 10; Schultzky in Anw-K/BGB, 2003, § 10 WEG Rz. 29; Müller, ZMR 2000, 474. Zur Kritik an dieser Auffassung siehe Häublein, Sondernutzungsrechte und ihre Begründung im Wohnungseigentumsrecht, S. 270 ff. und nachfolgend unter III.5. 4 BayObLG ZWE 2002, 268; OLG Düsseldorf ZWE 2001, 384; OLG Hamm WE 1999, 70; Hügel/Scheel, Rechtshandbuch Wohnungseigentum, 2002, Rz. 231; Häublein, Sondernutzungsrechte und ihre Begründung im Wohnungseigen-

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

Sollen schuldrechtliche Vereinbarungen gegen Sondernachfolger wirken, bedarf es somit einer Übernahmeerklärung des neuen Eigentümers. Begrifflich wird in diesem Zusammenhang meist vom „Eintritt“ des Erwerbers in Vereinbarungen gesprochen. Durchsucht man aber Literatur oder gar Rechtsprechung nach der Frage, wie der Eintritt des Erwerbers in schuldrechtliche Vereinbarungen rechtlich erfolgt, findet man kaum verwertbare Aussagen.

II. Praktische Relevanz der Fragestellung Dieser Befund kann kaum mit der fehlenden praktischen Relevanz der aufgeworfenen Fragestellung begründet werden. Der Erwerb von Teilund Wohnungseigentum zählt zum notariellen Alltag und auch das Vorliegen einer schuldrechtlichen Vereinbarung ist kein Randproblem des Wohnungseigentumsrechts. Sieht man von der Erstbegründung von Wohnungseigentum und der damit regelmäßig verbundenen Mitbeurkundung der ersten Gemeinschaftsordnung ab, dürfte die „Verdinglichung“ einer getroffenen Vereinbarung sogar eher die Ausnahme als die Regel sein. Der Grund liegt zum einen darin, dass Eigentümergemeinschaften den mit einer Grundbucheintragung zusammenhängenden formellen und finanziellen Aufwand scheuen. Oft ist aber auch den Eigentümern (und Verwaltern) einfach unbekannt, dass die getroffene Entscheidung zur Wirkung gegenüber Sondernachfolgern der Eintragung in das Grundbuch bedarf. Nicht selten besteht nämlich völlige Unkenntnis darüber, ob die Eigentümergemeinschaft im konkreten Fall mit einer allstimmigen Entscheidung einen Beschluss oder eine Vereinbarung getroffen hat. Klar ist meist nur, dass sämtliche Eigentümer einem bestimmten Tagesordnungspunkt zugestimmt haben. Die rechtliche Bedeutung der Abstimmung hingegen ist für die betreffenden Wohnungseigentümer nebensächlich. Besitzt der Verwalter nicht die erforderlichen Kenntnisse, wird die getroffene Entscheidung lediglich im Protokoll niedergelegt und weitere Überlegungen nicht angestellt. Da sich insbesondere die Rechtsprechung dieser Defizite im rechtlichen Verständnis durchaus bewusst ist, nimmt sie die Einordnung solcher Entscheidungen auch nicht anhand formeller Kriterien vor, sondern be__________ tumsrecht, S. 45; Weitnauer/Lüke, § 10 Rz. 31; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG Rz. 64; kritisch hierzu Ott, WE 1999, 80; Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, 2002, S. 70.

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urteilt sie nach dem Inhalt der Regelung. Betrifft die Entscheidung das Grundverhältnis der Wohnungseigentümer in Ergänzung oder Abweichung von Vorschriften des WEG oder von eingetragenen Vereinbarungen, dann liegt eine Vereinbarung vor, ansonsten ein Beschluss5. Eine Falschbezeichnung ist unschädlich. Ein Beschluss bleibt ein Beschluss, auch wenn er mit Vereinbarung, TOP, Neuregelung oder sonst wie überschrieben wird. Ebenso bleibt eine Vereinbarung eine Vereinbarung, auch wenn sie Beschluss oder anders bezeichnet wird6. Haben beispielsweise die Wohnungseigentümer eine Regelung hinsichtlich eines Sondernutzungsrechts „beschlossen“, liegt der Sache nach eine Vereinbarung über die Abänderung der Gemeinschaftsordnung vor7. Ebenso kann in der allstimmig beschlossenen Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, ungeachtet der Bezeichnung als Beschluss, eine Vereinbarung liegen8. Die Klassifizierung durch die Wohnungseigentümer selbst stellt bei dieser Bewertung nur ein Indiz dar9. Diese Meinung kann nur deshalb schlüssig begründet werden, weil Vereinbarungen im Gegensatz zu Beschlüssen auch durch schlüssiges Verhalten der Wohnungseigentümer zustande kommen können. Dieser Unterschied ergibt sich aus dem Umstand, dass Vereinbarungen schuldrechtlichen Charakter besitzen und deshalb auf sie die allgemeinen Regeln des Schuldrechts anwendbar sind. Eine – auch langjährige – abweichende Übung genügt für eine konkludent geschlossene Vereinbarung aber nicht10. Es bedarf dazu weiterer Umstände, die auf einen entsprechenden Willen der Wohnungseigentümer schließen lassen. In der Regel wird dieser in einer entsprechenden „Beschlussfassung“ oder Beratung in der Eigentümerversammlung zu finden sein. Aber auch andere __________ 5 OLG Düsseldorf FGPrax 2001, 105; BayObLG NZM 2001, 529 = ZWE 2001, 430; OLG Hamm ZMR 1996, 671; zustimmend Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG Rz. 49; Weitnauer/Lüke, § 10 Rz. 28; Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl. 2004, § 10 WEG Rz. 7; Sauren, WEG, 4. Aufl. 2002, § 10 Rz. 19; a. A. Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 23 WEG Rz. 163; Merle in Bärmann/ Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 23 WEG Rz. 26; Wenzel in FS Deckert, S. 525; Häublein, ZMR 2001, 169, die primär auf den Willen der beteiligten Eigentümer abstellen. 6 OLG Düsseldorf FGPrax 2001, 105. 7 BayObLG NZM 2001, 529 = FGPrax 2001, 145 = ZWE 2001, 430. 8 OLG Düsseldorf NZM 2001, 530. 9 Kreuzer, ZWE 2000, 327. 10 OLG Düsseldorf MietRB 2004, 141; OLG Hamburg MietRB 2004, 108; BayObLG ZWE 2001, 433.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

Umstände können als Indiz für einen entsprechenden Rechtsbindungswillen dienen11. In der Zustimmung aller Miteigentümer zu einem Tagesordnungspunkt kann somit nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer gesehen werden. Aber auch eine auf diese Weise entstandene Vereinbarung bindet neu in die Gemeinschaft eintretende Erwerber nur, wenn sie in das Grundbuch eingetragen wurde. Da sich in solchen Fallkonstellationen Wohnungseigentümer aber gerade nicht über die rechtliche Qualität ihrer Entscheidung bewusst sind, wird eine Grundbucheintragung dementsprechend unterbleiben12. Anders als eine Entscheidung, die zu Recht in Beschlussform getroffen wird und wegen § 10 Abs. 3 WEG jeden Sondernachfolger auch ohne Grundbucheintragung bindet, wird auch eine auf diese Weise zustande gekommene Vereinbarung nach herrschender Ansicht als lediglich schuldrechtliche Vereinbarung mit dem ersten Eigentumswechsel hinfällig. Mit diesen Ausführungen sollen lediglich die praktische Relevanz und die Häufigkeit schuldrechtlicher Vereinbarungen belegt werden. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass sich in der wohnungseigentumsrechtlichen Literatur so wenig Verwertbares über den Eintritt in schuldrechtliche Vereinbarungen findet. Es scheint fast so, als ob dieses Problem der praktischen Handhabung überlassen wird, weil es im Alltag „schon irgendwie funktioniert“. Indes bleibt zu hinterfragen, ob dieses Verhalten tatsächlich, und wenn wie, rechtlichen Anforderungen gerecht wird.

III. Die Zustimmung zum Eintritt 1.

Rechtliche Qualifizierung von Vereinbarungen

Vereinbarungen sind (mehrseitige) Verträge der Wohnungseigentümer, durch die diese ihr Verhältnis untereinander regeln. Sie sind somit ihrem Ursprung nach rein schuldrechtlicher Natur13, die Kennzeich__________ 11 Siehe OLG Hamburg MietRB 2004, 108. 12 Anschaulich hierfür z. B. OLG Hamm ZMR 1996, 671. 13 BGH NJW 1984, 612; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG Rz. 62; Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 WEG Rz. 25; Häublein, Sondernutzungsrechte und ihre Begründung im Wohnungseigentumsrecht, S. 24; Ott, Das Sondernutzungsrecht im Wohnungseigentum, S. 13.

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nung als schuldrechtlicher Kollektivertrag14 ist zutreffend. Es gelten für sie deshalb die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB15. Hierüber besteht Einigkeit, unabhängig von der Frage, welche dogmatische Bedeutung die Eintragung einer Vereinbarung im Grundbuch besitzt16. Mit dieser Feststellung beantwortet sich aber im Grundsatz auch die Frage, wie ein neuer Wohnungseigentümer in eine rein schuldrechtliche Vereinbarung eintreten kann. Der Eintritt in eine bestehende Vereinbarung bedeutet den Austausch eines Vertragspartners eines mehrseitigen Vertrags. Dies kann mittels eines mehrseitigen Vertrags eigener Art oder durch einen Vertrag zwischen dem alten und dem neuen Vertragspartner unter Zustimmung des verbleibenden Partners17 erfolgen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist nicht erforderlich18; es bedarf in jedem Fall einer Willensübereinstimmung aller an dem Akt beteiligten Personen. Die Formulierung „Eintritt in eine bestehende Vereinbarung“ ist in diesem Zusammenhang missverständlich. Er deutet auf eine einseitige Handlungsmöglichkeit des neuen Wohnungseigentümers hin. Sofern in der konkreten Vereinbarung eine solche einseitige Eintrittsmöglichkeit nicht vorgesehen ist, kann der Erwerber in eine Vereinbarung aufgrund deren Vertragscharakters nicht einfach kraft eigener Entscheidung eintreten. Damit bleibt zu hinterfragen, wie eine abändernde vertragliche Regelung unter Zustimmung aller Beteiligten beim Ausscheiden des alten Wohnungseigentümers und Eintreten des neuen Eigentümers sonst zustande kommt.

2. Zustimmung des Alteigentümers Eine Zustimmung des Alteigentümers könnte dann entbehrlich sein, wenn in dem Eintritt der Abschluss einer neuen Vereinbarung desselben Inhalts zwischen dem neuen Eigentümer und den übrigen Wohnungseigentümern gesehen wird. Allerdings wird man im Normalfall davon ausgehen müssen, dass der Rest der Eigentümergemeinschaft nicht mit jedem neuen Wohnungseigentümer im Veräußerungsfall eine __________ 14 OLG Köln DNotZ 2002, 227; Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 WEG Rz. 25; Niedenführ/Schulze, WEG, 6. Aufl. 2002, § 10 Rz. 16. 15 Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 WEG Rz. 31; Niedenführ/ Schulze, § 10 Rz. 17. 16 Ausführlich zu dieser Frage Häublein, Sondernutzungsrechte und ihre Begründung im Wohnungseigentumsrecht, 2003. 17 In diese Richtung wohl BGH NJW 2003, 2165 = DNotZ 2003, 537 = NZM 2003, 480 = ZMR 2003, 748. 18 Thode in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2001, § 305 BGB Rz. 44.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

neue Vereinbarung abschließen möchte19. Vielmehr soll die einmal vereinbarte Regelung unverändert auch mit dem neuen Eigentümer fortgelten. Regelmäßig liegt daher dem Eintritt in eine schuldrechtliche Vereinbarung ein Austausch einer Vertragspartei hinsichtlich eines bestehenden Vertragsverhältnisses zugrunde. Dazu ist an sich eine vertragliche Regelung sämtlicher Beteiligter notwendig. Indes ist zu beachten, dass Vereinbarungen ihrem Wesen nach das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander regeln sollen. Eine Rechtsbeziehung zu außerhalb der Gemeinschaft stehenden Dritten kann durch eine Vereinbarung nicht geregelt werden. Scheidet der alte Wohnungseigentümer durch dingliche Übertragung des Eigentums auf den neuen Eigentümer aus der Gemeinschaft aus, kann er somit auf Grund dieser besonderen Eigenschaft von Vereinbarungen aus einer solchen Regelung weder Rechte herleiten, noch zur Erfüllung von Pflichten angehalten werden. Das allgemeine Schuldrecht kann insoweit für Vereinbarungen nach § 10 Abs. 1, 2 WEG keine Anwendung finden. Der alte Wohnungseigentümer scheidet kraft Gesetzes mit Eigentumsumschreibung aus der Gemeinschaft aus. Aus diesem Grund ist seine Zustimmung zum Eintritt des neuen Eigentümers in die Wohnungseigentümergemeinschaft auch nicht erforderlich. Mit dem Eintritt des Erwerbers ist der Alteigentümer zeitgleich aus der Gemeinschaft ausgeschieden und verliert so seine Befugnis zur Mitwirkung am Abschluss einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer untereinander. Damit kann fest gehalten werden, dass jedenfalls der alte Eigentümer dem Eintritt des neuen Eigentümers in eine schuldrechtliche Vereinbarung nicht zustimmen muss.

3. Zustimmung des neuen Eigentümers Etwas anderes gilt für den neu in die Gemeinschaft gelangenden Erwerber. Dieser hat beim Zustandekommen der schuldrechtlichen Vereinbarung nicht mitgewirkt und ist damit nicht zum Vertragspartner geworden. Der neue Wohnungseigentümer muss daher zum Zeitpunkt des Eigentumswechsels vorhandenen schuldrechtlichen Vereinbarungen zustimmen, wenn diese Vereinbarungen auch gegen ihn Wirkung entfalten sollen. Die Zustimmung kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. __________ 19 Zu den Problemen einer solchen Ansicht siehe Häublein, DNotZ 2002, 229.

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a) Ausdrückliche Zustimmung Eine selbständige Eintrittserklärung des Erwerbers gegenüber der Gemeinschaft selbst dürfte eher die Ausnahme sein. Häufiger hingegen wird im notariellen Vertrag zwischen Alteigentümer und Erwerber ein Eintritt des Erwerbers in alle etwa bestehenden schuldrechtlichen Vereinbarungen erklärt, um die Eigentümergemeinschaft vor dem Unwirksamwerden eventuell bestehender schuldrechtlicher Vereinbarungen zu bewahren. Bei einer solchen Gestaltung erkennt der neue Eigentümer ausdrücklich alle Rechte und Pflichten des Erwerbers aus dem Gemeinschaftsverhältnis an und tritt in diese ein. Eine zusätzliche weitere Regelung mit der Gemeinschaft ist in diesen Fällen nicht mehr erforderlich20. Auch wenn auf diese Weise schuldrechtliche Vereinbarungen vor ihrem Untergang bewahrt werden, muss vor einer unkontrollierten Verwendung solcher Formulierungen in der Praxis gewarnt werden. Es bedarf in diesem Bereich immer einer Abwägung zwischen dem berechtigten Interesse der Gemeinschaft an einem solchen Schutz und dem Interesse des Erwerbers an einem Schutz vor schuldrechtlichen, ihm möglicherweise nicht hinreichend bekannten oder unliebsamen Vereinbarungen. Entscheidend muss die Einzelfallbewertung bleiben.

b) Konkludente Zustimmung Die Zustimmung des neuen Eigentümers kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Hierzu ist notwendig und ausreichend, dass das Verhalten des eintretenden Erwerbers einen entsprechenden Schluss auf einen diesbezüglichen Rechtsfolgewillen zulässt21. Der rechtsgeschäftliche Wille des Erwerbers, in die Vereinbarung eintreten zu wollen, muss feststellbar sein22. Hierzu bedarf es regelmäßig äußerer Umstände, die einen entsprechenden Schluss zu lassen. Es genügt nicht, dass der Erwerber die Vereinbarung kannte oder hätte kennen können23. Nicht __________ 20 BayObLG NZM 2001, 753. 21 Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, Einf. Vor § 116 BGB Rz. 6; Kramer in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 1992, Vor § 116 BGB Rz. 25 ff.; Wendtland in Bamberger/Roth, § 133 BGB Rz. 8. 22 OLG Hamm ZMR 1996, 671; Schultzky in Anw-K, § 10 WEG Rz. 29. 23 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, 2002, S. 69; Weitnauer/Lüke, § 10 Rz. 31; Palandt/Bassenge, BGB, 61. Aufl. 2002, § 10 WEG Rz. 10; Niedenführ/Schulze, § 10 Rz. 20; a. A. Ertl DNotZ 1979, 271.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

erforderlich ist andererseits die positive Kenntnis des Erwerbers vom Inhalt der Vereinbarung24. Nach allgemeinen vertraglichen Grundsätzen bestehen nämlich keine Bedenken, dass ein Erwerber unabhängig hiervon alle schuldrechtlichen Vereinbarungen als für sich verbindlich anerkennt und in sämtliche diesbezüglichen Rechte und Pflichten eintritt25. Ein solcher umfassender Eintritt entspricht im übrigen auch der notariellen Praxis, wenn im konkreten Fall eine Übernahme vorhandener schuldrechtlicher Vereinbarungen durch den Erwerber erfolgen soll. Im vorliegenden Zusammenhang wird man spätestens zum Zeitpunkt, in dem der neue Eigentümer die Regelungen einer schuldrechtlichen Vereinbarung in Kenntnis deren Inhalts beachtet, einen konkludenten Eintritt in diese schuldrechtliche Vereinbarung sehen können.

4. Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer Unerörtert bleibt in Rechtsprechung und Literatur schließlich auch die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zum Eintritt des neuen Eigentümers in schuldrechtliche Vereinbarungen. Nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen müssten sie als Beteiligte der schuldrechtlichen Vereinbarungen einem solchen Eintritt ebenfalls zustimmen. Wohnungseigentumsrechtliche Vorgaben, die eine Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer entbehrlich machen, existieren nicht.

a) Ausdrückliche Zustimmung Soweit ersichtlich wird eine Zustimmung durch eigenständige rechtsgeschäftliche Erklärungen der übrigen Miteigentümer in der Praxis nicht eingeholt. Die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zum Eintritt des Erwerbers in eine schuldrechtliche Vereinbarung könnte an sich in der Eigentümerversammlung erklärt werden. Wenn alle Eigentümer in der Versammlung anwesend sind und ihre Zustimmung erteilen, liegt hierin unproblematisch die Zustimmung aller übrigen Miteigentümer zum Eintritt des Erwerbers in schuldrechtliche Vereinbarungen. Dies dürfte jedoch ein seltener Ausnahmefall sein. Realistischer ist ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümer, durch den dem Eintritt des Erwerbers zugestimmt wird. Hierfür wäre indes eine entsprechende Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft nötig. __________ 24 So aber OLG Hamm ZMR 1996, 674. 25 BayObLG NZM 2001, 753.

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Man könnte (scheinbar) ähnlich gelagerte Sachverhalte heranziehen, in denen der Gemeinschaft Beschlusskompetenz zum Abschluss von Verträgen zuerkannt wird, beispielsweise beim Abschluss des Verwaltervertrages. Dort besitzt die Eigentümergemeinschaft die Kompetenz, den Vertrag mit dem Verwalter mehrheitlich zu beschließen26. Jedoch liegt diesen Vertragsabschlüssen eine grundsätzlich andere rechtliche Konstellation zugrunde, nämlich ein Vertragsschluss der Gemeinschaft mit einem Dritten. Schuldrechtliche Vereinbarungen sowie deren Veränderungen sind aber Verträge mit reiner Innenwirkung innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft. In diesem Bereich gibt es keine Mehrheitsmacht der Wohnungseigentümer27, sofern nicht eine entsprechende Öffnungsklausel in der Gemeinschaftsordnung enthalten ist. Eine Vereinbarung oder auch nur die Veränderung einer Vereinbarung, sei es im Inhalt oder im Bestand der Beteiligten, kann deshalb nur unter Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer erfolgen28. Die Wohnungseigentümer besitzen somit keine Beschlusskompetenz, dem Eintritt des neuen Eigentümers in eine schuldrechtliche Vereinbarung mehrheitlich zuzustimmen.

b) Eintrittsklauseln Möglich wäre eine Regelung in der Vereinbarung selbst, nach der in diese jeder zukünftige Wohnungseigentümer kraft eigener Erklärung eintreten kann. Eine Parallele hierzu findet sich beispielsweise in den gesellschaftsvertraglichen Eintrittsklauseln29, in denen ein solcher späterer Eintritt in ein Vertragsverhältnis ausdrücklich statuiert wird. An der Zulässigkeit einer solchen Regelung auch in wohnungseigentumsrechtlichen schuldrechtlichen Vereinbarungen bestehen keine Zweifel. Allein sind solche Formulierungen in schuldrechtlichen Vereinbarungen von Eigentümergemeinschaften nicht anzutreffen, insbe__________ 26 Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 26 WEG Rz. 88; Niedenführ/ Schulze, § 26 Rz. 33. 27 Siehe hierzu KG MietRB 2004, 294 = FGPrax 2004, 218. 28 OLG Köln NZM 2001, 1135; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG Rz. 63; Weitnauer/Lüke, § 10 Rz. 49; Pick in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 WEG Rz. 35, Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums Rz. 326; Sauren, § 10 Rz. 93, wobei dort allerdings weitgehend nur Inhaltsänderungen der Vereinbarung und nicht der Austausch von Beteiligten erörtert werden. 29 Siehe hierzu z. B. BGH WM 1977, 1323; Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl. 2000, § 139 Rz. 50; Gottwald in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 1992, § 328 Rz. 64.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

sondere deshalb, weil die Genese schuldrechtlicher Vereinbarungen meist unbewusster Natur ist.

c) Konkludente Zustimmung Die Zustimmungserklärungen der übrigen Wohnungseigentümer können auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen30. Von einem solchen Verhalten kann man ausgehen, wenn der Zustimmungsberechtigte das Rechtsgeschäft als gültig behandelt31. In das Wohnungseigentumsrecht übersetzt bedeutet dies, dass die Gemeinschaft die vor dem Eintritt des neuen Eigentümers getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarungen auch mit diesem unverändert beachtet. Gleichwohl wäre die schlüssige Zustimmung eines jeden Wohnungseigentümers zum Eintritt erforderlich. Verweigert nur ein Wohnungseigentümer seine Zustimmung, kann aus der Rechtsfigur des konkludenten Verhaltens die notwendige Zustimmung nicht hergeleitet werden. Das Zustimmungserfordernis der übrigen Wohnungseigentümer wäre der Ansatzpunkt für einen einzelnen Eigentümer, eine ihm missliebige schuldrechtliche Vereinbarung, der er einmal zugestimmt hat, nun nachträglich zu Fall zu bringen. Die schuldrechtliche Vereinbarung wäre somit nicht nur dadurch bedroht, dass der Erwerber ihr nicht beitritt, sondern auch davon, dass ein bereits vorhandener Wohnungseigentümer diesem Beitritt ausdrücklich widerspricht. Ob einer schuldrechtlichen Vereinbarung tatsächlich ein solcher Inhalt beigemessen werden kann, darf im Regelfall bezweifelt werden. Enthält die schuldrechtliche Vereinbarung keine diesbezüglichen Festlegungen, wird man den Willen der Wohnungseigentümer eher dahingehend auslegen können, dass sie sich auf Dauer untereinander und in ihrem jeweiligen Bestand binden wollen. Zwar fehlt ihnen mangels Eintragung der Vereinbarung in das Grundbuch das Recht, auch einen zukünftigen Eigentümer an dem Inhalt der Vereinbarung fest zu halten. Es steht ihnen aber die Möglichkeit offen, sich selbst auch für die Zukunft im Falle eines Eigentümerwechsels an die Regelung binden zu wollen. Einen solchen Bindungswillen auch gegenüber künftigen Wohnungseigentümern wird man üblicherweise schuldrechtlichen Vereinbarungen beimessen können. Die Wohnungseigentümer gehen davon aus, __________ 30 BGH NJW 1988, 1199; Schramm in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 1992, § 182 Rz. 10. 31 BGH WM 1990, 1573.

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dass bei einem Eigentümerwechsel der neue Miteigentümer sich nahtund bruchlos anstelle des alten Eigentümers in die Gemeinschaft einfügt. Sie sind im Normalfall nicht nur damit einverstanden, dass der Erwerber in Vereinbarungen eintritt, sondern erwarten dies vielmehr. Begrifflich wird man ein solches Einverständnis als konkludente antizipierte Zustimmung bezeichnen können.

d) Antizipierte Zustimmung als Regelfall Regelmäßig wird eine schuldrechtliche Vereinbarung dahingehend ausgelegt werden können, dass die Wohnungseigentümer bereits bei Abschluss der Vereinbarung ihre Zustimmung zu einem Eintritt späterer Eigentümer in diese Regelung erklärt haben. Sofern im Ausnahmefall sogar eine schuldrechtliche Weitergabeverpflichtung in der schuldrechtlichen Vereinbarung enthalten sein sollte, kann unproblematisch vom Vorliegen einer antizipierten Zustimmung ausgegangen werden. Nur wenn im seltenen Einzelfall eine Vereinbarung nur die aktuellen Eigentümer berechtigen und verpflichten soll, kann von einer antizipierten Zustimmung nicht ausgegangen werden. Hierfür bedarf es aber besonderer Anhaltspunkte. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Zweck der Vereinbarung nach dem Eigentümerwechsel nicht mehr im vollen Umfang erreicht werden kann32. Durch eine antizipierte Zustimmung dieser Form begünstigen die Wohnungseigentümer nicht eine Person außerhalb der Gemeinschaft33. Vielmehr entfaltet die antizipierte Zustimmung erst Wirkung mit Eintritt des Erwerbers in die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Auch das Argument, wenn die Eigentümer eine Bindung des Sondernachfolgers wünschten34, wären sie auf den Weg der Grundbucheintragung verwiesen, verfängt in diesem Fall nicht. Es geht hier nicht um die Bindung des Sondernachfolgers, sondern um die Bindung der Wohnungseigentümer an die eigenen Erklärungen. __________ 32 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, S. 72. 33 Zu diesem Problem Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, S. 70. 34 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, S. 70.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

5. Untergang schuldrechtlicher Vereinbarungen mit Eigentumswechsel? Nach der herrschenden Ansicht gehen schuldrechtliche Vereinbarungen insgesamt unter, wenn ein neuer Eigentümer ihnen nicht beigetreten ist35. Zutreffend weist Häublein36 darauf hin, dass diese Wirkung jedenfalls erst mit Eigentumsumschreibung eintreten kann und nicht bereits mit Besitzübertragung, da der Erwerber seinen Besitz nur vom veräußernden Eigentümer ableitet. Führt die Grundbuchumschreibung automatisch zum Fortfall einer schuldrechtlichen Vereinbarung, könnte ihr nach diesem Zeitpunkt nicht mehr zugestimmt werden, gleich von welchem Beteiligten. Möglich wäre nur noch der Neuabschluss einer Vereinbarung gleichen Inhalts. Eine solche Ansicht entspricht aber weder den Bedürfnissen der Praxis, noch ist sie rechtlich zwingend notwendig. Der Eintritt des neuen Eigentümers in eine schuldrechtliche Vereinbarung bedeutet im Ergebnis eine Vertragsübernahme37. Nach überwiegender Ansicht finden auf diesen Vertragstyp die §§ 182 ff. BGB entsprechende Anwendung, wenn nicht alle Beteiligten beim Abschluss des Übernahmevertrages mitgewirkt haben38. Dementsprechend kann auch das Problem der Zustimmung des neuen Eigentümers zu einer schuldrechtlichen Vereinbarung über eine entsprechende Anwendung von § 182 BGB gelöst werden39. Vorhandene schuldrechtliche Vereinbarungen können somit vom Erwerber genehmigt werden. Da die nachträgliche Zustimmung wegen § 184 Abs. 1 BGB aber auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück wirkt, steht dies der Ansicht entgegen, dass die schuld__________ 35 BayObLG NZM 2003, 321; OLG Köln NZM 2001, 1135; OLG Hamm ZMR 1996, 671; Müller, ZMR 2000, 474; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 10 WEG Rz. 64. 36 Häublein, DNotZ 2002, 229. 37 Siehe oben III.1. 38 BGH NJW 1998, 531; BGH NJW 1985, 2530; Schramm in MünchKomm/BGB, Vor § 182 Rz. 12; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, § 398 Rz. 38a; kritisch hierzu Bub in Bamberger/Roth, Vor § 182 Rz. 8. 39 Möglich wäre auch, an eine Stellvertretung des Alteigentümers für seinen Sonderrechtsnachfolger zu denken. Den Erklärungen des Stellvertreters könnte dann nach § 182 BGB zugestimmt werden, so für Vertragsabschlüsse des Verwalters mit Dritten Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, S. 118; Ott, ZWR 2002, 172. Dieser Lösungsweg erscheint aber sehr konstruiert.

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rechtliche Vereinbarung mit Eigentumsumschreibung der Wohnungseinheit auf den Erwerber untergeht. Dieser Meinung kann nicht entgegen gehalten werden, eine Vereinbarung könne niemals nur einen Teil der Wohnungseigentümer binden40. Dieses rechtliche Problem liegt hier nämlich nur scheinbar vor. Solange nicht alle Wohnungseigentümer einer Vereinbarung zugestimmt haben, entfalten deren Regelungen keinerlei wohnungseigentumsrechtliche Wirkung gegenüber irgendeinem Wohnungseigentümer. Auch ein normaler Kaufvertrag, dem noch nicht alle Beteiligten zugestimmt haben, besitzt keine partielle kaufvertragliche Wirkung innerhalb der Beteiligten, welche die für dessen Zustandekommen erforderlichen Erklärungen abgegeben haben. Die Bestimmungen des Vertrages gelten grundsätzlich insgesamt erst, wenn alle Beteiligten zugestimmt haben. Die Bedeutung der bereits abgegebenen Erklärungen ist darauf beschränkt, dass der zustimmende Wille zum Abschluss des Kaufvertrages – zunächst bindend – geäußert wurde. Solche Willenserklärungen sind rechtlich nicht irrelevant, bedeuten jedoch grundsätzlich nicht, dass der Kaufvertrag bereits teilweise verbindlich geworden wäre. Ebenso verhält es sich beim Abschluss von Vereinbarungen nach dem WEG oder beim Austausch von Beteiligten einer Vereinbarung. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Vertrag, dem alle zustimmen müssen. Somit können notwendige Zustimmungen solange erteilt und eingeholt werden können, wie bereits abgegebene Willenserklärungen anderer Beteiligter nicht unwirksam geworden sind. Das Wohnungseigentumsgesetz enthält keine Besonderheiten, die dem widersprechen würden. Vor allem lässt diese Begründung nicht den Schluss zu, dass durch die Möglichkeit der Genehmigung automatisch eine Vereinbarung anerkannt werden würde, die nur einen Teil der Gemeinschaft bindet41. Solange nicht alle erforderlichen Zustimmungen vorliegen, verbleibt es bei der Gemeinschaftsordnung, wie sie sich aus der Eintragung im Grundbuch als Inhalt des Sondereigentums ergibt42. Es besteht jedoch noch die Möglichkeit, dass die Bindung an ursprünglich verbindliche schuldrechtliche Vereinbarungen durch nachträgliche Zustimmung zu einem späteren Zeitpunkt wieder eintritt. __________ 40 So OLG Köln DNotZ 2002, 223; kritisch zu diesem Ansatz Häublein, DNotZ 2002, 230; Müller, ZMR 2000, 474. 41 So aber OLG Köln DNotZ 2002, 223; OLG Hamm ZMR 1996, 671. 42 Insoweit zutreffend OLG Köln DNotZ 2002, 223; OLG Hamm ZMR 1996, 671; Palandt/Bassenge, BGB, 61. Aufl. 2002, § 10 WEG Rz. 10.

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Der „Eintritt“ in schuldrechtliche Vereinbarungen

Die gegenteilige Auffassung würde zudem zu einem praktisch schwer umsetzbaren Ergebnis führen. Im Regelfall wird eine antizipierte Zustimmung der Gemeinschaft zum Eintritt des Erwerbers vorliegen, jedoch ist dies nicht zwingend so. Behält sich die Gemeinschaft ausdrücklich ihre Zustimmung zum Eintritt von künftigen Erwerbern in schuldrechtliche Vereinbarungen vor, müsste dies nach der herrschenden Meinung notwendigerweise vor Eigentumsumschreibung geschehen. Zwar wird der Untergang einer schuldrechtlichen Vereinbarung mit Eigentumswechsel in der Rechtsprechung und Literatur immer nur für den Fall der fehlenden Zustimmung des neuen Eigentümers diskutiert, jedoch könnte für die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer konsequenterweise nicht anderes gelten. Rein zeitlich wird die Zustimmung aller Miteigentümer vor dem Erwerbsvertrag und dessen Vollzug im Grundbuch nur in seltenen Fällen zu erreichen sein. Dieses praktische Problem würde im Ergebnis den Eintritt in eine bestehende Vereinbarung in solchen Fällen in aller Regel scheitern lassen.

IV. Ergebnis Als Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass sowohl der neue Eigentümer als auch die übrigen Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zum Eintritt des Erwerbers in schuldrechtliche Vereinbarungen erteilen müssen. Diese Zustimmungen können grundsätzlich auch noch nach dem Eigentumswechsel erteilt werden. Die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer ist im Regelfall in Form einer stillschweigenden antizipierten Zustimmung, die in der schuldrechtlichen Vereinbarung selbst enthalten ist, gegeben. Gleichwohl erscheint es angeraten, solche Auslegungs- und Deutungsfragen erst gar nicht entstehen zu lassen und eine eindeutige Regelung in der konkreten Vereinbarung oder in die Gemeinschaftsordnung aufzunehmen. Vereinbaren die Wohnungseigentümer in Kenntnis der Rechtslage im Einzelfall bewusst eine Regelung nur schuldrechtlich, sollte ausdrücklich klar gestellt werden, ob diese – zeitlich begrenzt – nur im Verhältnis der aktuellen Wohnungseigentümer gelten soll. Auch ein solcher Inhalt kann gewollt und im Einzelfall sinnvoll sein. Wünschen die Wohnungseigentümer jedoch auch eine Bindung eventueller Sondernachfolger an die schuldrechtliche Vereinbarung, sollte dies zum Ausdruck gebracht werden. Hierbei kann jeder Miteigentümer auch verpflichtet werden, im Falle der Weiterveräußerung seiner Eigen233

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tumswohnung einen zukünftigen Erwerber in diese Vereinbarung eintreten zu lassen. Eine schuldrechtliche Weitergabeverpflichtung dieser Art kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn eine Grundbucheintragung aufgrund der Vielzahl der Bewilligungen und dem daraus resultierenden finanziellen Aufwand faktisch scheitert oder in einem kaum vertretbaren Verhältnis zum Inhalt der Vereinbarung steht. Den Eigentümern muss aber bei einer solchen Gestaltung das Risiko einer nur schuldrechtlich wirkenden Verpflichtung bewusst sein. Vorzugswürdig, weil vom konkreten Einzelfall unabhängig, erscheint in diesen Fällen eine entsprechende Festlegung in der (ersten) Gemeinschaftsordnung. Inhalt einer solchen Vereinbarung könnte sein, dass sich die jeweiligen Wohnungseigentümer verpflichten, etwaige Rechtsnachfolger in alle schuldrechtlichen Vereinbarungen der Gemeinschaft eintreten zu lassen, sofern in diesen nicht etwas anderes bestimmt ist. Diese Formulierung umfasst insbesondere die überwiegende Anzahl von schuldrechtlichen Vereinbarungen, die in Unkenntnis ihrer rechtlichen Qualität von Eigentümergemeinschaften abgeschlossen werden.

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Freigabe und was dann? Zu den materiellrechtlichen Folgen der Freigabe der Wohnung in der Insolvenz ihres Eigentümers Wolfgang Lüke Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Materiellrechtliche Folgen der Freigabe 1. Freigabe 2. Folgen der Freigabe von Wohnungseigentum nach Rechtsprechung und Literatur

3. Entlastung der Masse – Benachteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft 4. Grundlage des Hausgeldanspruchs 5. Vergleich zur Regelung bei der Mieterinsolvenz 6. Besonderheiten zu fremdgenutzter Wohnung III. Zusammenfassung

I. Einleitung Die problematischen Folgen eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Wohnungseigentümers für die Gemeinschaft haben in jüngerer Zeit vermehrt Interesse erfahren1. Dies dürfte ein Indiz für die Zunahme derartiger Insolvenzfälle sein. Die Gründe dafür sind zunächst ganz allgemeiner Natur: Die Zahl der Insolvenzverfahren hat auch in den vergangenen Jahren ständig zugenommen, das gilt insbesondere seit der Möglichkeit der Stundung der Verfahrenskosten für die Verbraucherinsolvenzen2. Im Übrigen besteht an dem in den 60iger Jahren in der alten Bundesrepublik errichteten Wohnungseigentum nun__________ 1 Z. B. Beutler/Vogel, ZMR 2002, 802; ders., NZM 2003, 297; Drasdo, NJWSpezial 2004, 97; Häublein, ZWE 2004, 38; Lüke, FS. f. Kirchhof, 2003, 287 ff.; Steinmann, Grundeigentum 2000, 1595; Vallender, NZI 2004, 401. 2 Die Gesamtzahl der Insolvenzen ist nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes seit 1999 von ca. 34.000 auf knapp 101.000 im Jahre 2003 gestiegen. Bei den Verbraucherinsolvenzen, die es seit in Kraft treten der InsO gibt, hat sich die Zahl bis 2003 verzehnfacht auf ca. 33.500; für aktuelle Zahlen s. die Angaben des Statistischen Bundesamtes in: http://www.statistik-portal.de/ Statistik-Portal/de_jb20_jahrtabg2.asp.

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mehr teilweise ein erheblicher Sanierungsbedarf, so dass die finanziellen Aufwendungen für die einzelnen Wohnungseigentümer nicht unerheblich sind. Dieser Bedarf trifft auf verschlechterte Bedingungen auf dem Kapitalmarkt, die auch bedingt sind durch Änderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen, aber auch der demographischen Entwicklung3. Dies gilt vor allem in den neuen Bundesländern. Die Verwertung macht gerade dort oft keinen Sinn, so dass Sicherungsnehmer Grundstücke mitunter in ihren Eigenbestand nehmen. Aus der Sicht der Wohnungseigentümergemeinschaft stellt sich vor allem die Frage, ob und in welcher Form die noch offenen sowie künftigen Hausgeldansprüche geltend gemacht werden können. Weiterhin sind die Wohnungseigentümer an einer Absicherung dieser Ansprüche für den Fall der Versteigerung des Grundstücks4 interessiert. Hierzu wurden verschiedene Lösungen vorgeschlagen5, die letztlich den Gesetzgeber veranlassten, in seinen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des WEG6 eine Neuformulierung von § 10 Nr. 2 ZVG aufzunehmen. Danach soll statt der dort bislang in zweiter Rangklasse aufgeführten Berechtigten auf Litlohn die Vollstreckung wegen fälliger Ansprüche gem. § 28 Abs. 2 und 5 WEG (d. h. also entsprechende Hausgeldforderungen) aufgenommen werden. Freilich soll dies mit der Einschränkung geschehen, dass die Sicherung 5 % des Verkehrswerts nach § 74a Abs. 5 ZVG nicht überschreiten darf und nur Hausgeldrückstände, d. h. Vorschüsse und Rückstellungen für die letzten zwei Jahre, sowie die laufenden Beträge gesichert werden7. Während diese Regelung den Belangen der Gemeinschaft Rechnung tragen soll, stellt sich für die Insolvenzmasse und konkret für den Insolvenzverwalter die Frage, unter welchen Voraussetzungen er das Grundstück freigeben sollte. Das hängt entscheidend davon ab, welche Wir__________ 3 Zu den streitigen Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Kapitalmärkte s. z. B. Börsch-Supan/Ludwig/Sommer, Demographie und Kapitalmärkte, 2003, passim. 4 Bei der Zwangsverwaltung gehört das laufende Hausgeld ohne die Anteile für Verzinsung und Tilgung zu den Ausgaben der Verwaltung i. S. v. § 155 ZVG, Zeller/Stöber, ZVG, 10. Aufl. 1999, § 155 Anm. 4.2; § 152 Anm. 16.2. 5 Z. B. Häublein, ZWE 2004, 48, 56 ff.; Vogl, ZMR 2003, 716. 6 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 1. Oktober 2004, abgedruckt in NZM 2004, 924. 7 S. Art. 2 Nr. 1 des Entwurfes eines WEG-Änderungsgesetzes, s. o. Fn. 6.

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kungen mit der Freigabe der Wohnung und des Miteigentumsanteils für die Masse verbunden sind.

II. Materiellrechtliche Folgen der Freigabe 1. Freigabe Mit der Freigabe soll der Gegenstand aus der Beschlagnahme herausgelöst werden. Das Gesetz geht von der Zulässigkeit der Freigabe aus (§ 31 Abs. 1 Satz 1 InsO), ohne ihre Voraussetzungen zu klären. Nach h. M., die in dem Insolvenzverwalter einen Amtswalter sieht8, der im eigenen Namen für und gegen den Schuldner wirksam handeln kann, genügt für die Freigabe die sog. Freigabeerklärung. Das ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Insolvenzschuldner9. Nicht anders sind die Voraussetzungen nach der Vertretertheorie. Nur die Organtheorie verlangt – von ihrem Standpunkt aus scheinbar konsequent – einen entsprechenden dinglichen Übertragungsakt. Dies ist aber – wie schon Henckel10 im Einzelnen nachgewiesen hat – letztlich keine zutreffende Folgerung. Im Übrigen wird auf eine Übereignung verzichtet, da sich mit der Freigabe lediglich die Zuordnung des Gegenstandes zu den Vermögensmassen, nicht aber die Rechtsinhaberschaft ändert. Die Möglichkeit zur Freigabe ergibt sich aus der Befugnis des Verwalters zur Verwaltung und Verfügung über die Massegegenstände (§ 80 InsO)11. Sie ist in ihrer Wirksamkeit nur nach allgemeinen Grundsätzen bei offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit unter den weiteren Voraussetzungen der Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht beschränkt12. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist die Freigabe nichtig. Für den Verwalter kann umgekehrt eine Amtspflicht zur Freigabe bestehen, wenn er feststellt, dass ein Gegenstand für die Masse weder verwertbar noch nutzbar ist oder jedenfalls die Verwertung einen Ge__________ 8 Ausführlich zu diesem Theorienstreit Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1977, § 6 Rz. 165 ff. 9 Schilken in Jaeger, InsO, Bd. 1, 2004, § 32 Rz. 38; Jaeger/Henckel, § 6 Rz. 22; maßgeblich für den Zugang der Erklärung ist, dass sie in den Bereich des Empfängers gelangt, KG NZM 2002, 528, 529. 10 Jaeger/Henckel, KO, § 6 Rz. 23 ff. 11 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 35 Rz. 23. 12 BGHZ 150, 253, 361 f.

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winn nicht erwarten lässt13. Der Masse droht unter den genannten Voraussetzungen ein nutzloser Aufwand. Diesen aber muss der Verwalter verhindern, da er ansonsten gem. § 60 InsO wegen Masseschädigung persönlich haftet14. Grundsätzlich bezieht sich die Freigabe auf einen oder mehrere Gegenstände. Dabei kann es sich sowohl um Mobilien wie Immobilien, aber auch um Rechte handeln, seien dies Forderungen oder etwa für die Masse unverwertbare Versicherungsrechte15. Dem Insolvenzverwalter, der in der von ihm verwalteten Masse Wohnungseigentum vorfindet, wird sich daher zumindest dann die Frage nach der Freigabe stellen, wenn eine Verwertung der Immobilie nicht zu erwarten ist oder ein entsprechender Verwertungserlös wegen wertausschöpfender Belastung nicht anfallen wird. Mit der Freigabe der Wohnung endet das Insolvenzverfahren in Ansehung dieses Gegenstandes16. Die Eigentumswohnung ist nach Freigabe wieder dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners zuzuordnen17. Hierüber besteht Einigkeit. Damit ist aber noch nicht geklärt, welche weiteren Folgen mit der Freigabe verbunden sind. Es versteht sich, dass die an die Eigentümerbestellung geknüpften Mitwirkungsrechte damit ebenfalls wieder vom Schuldner ausgeübt werden können, wie ihm auch wiederum die alleinige Verfügungsbefugnis zusteht18. Danach kann der Wohnungseigentümer wieder an den Versammlungen teilnehmen und das Wohnungseigentum – eine sicherlich regelmäßig eher theoretische Möglichkeit – ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters mit Grundpfandrechten oder anderen beschränkt dinglichen Rechten belasten oder es veräußern. Ungeklärt ist, welche Folgen die Freigabe für die Hausgeldansprüche hat. Sollten diese jedenfalls für die Zukunft nicht mehr zu Lasten der Masse entstehen, wäre das ein Umstand, der für die Entscheidung des Insolvenzverwalters über die Freigabe maßgebliche Bedeutung hätte. __________ 13 14 15 16 17

Jaeger/Henckel, KO, § 6 Rz. 17. Brandes in MünchKomm/InsO, Bd. 1, 2001, §§ 60, 61 Rz. 16. Jaeger/Henckel, KO, § 6 Rz. 17, 26. Vgl. RGZ 79, 27, 30. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, Stand 03/2004, § 36 Rz. 49; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, Stand 10/2004 § 35 Rz. 30; Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 35 Rz. 26. 18 Für die Dauer der Zugehörigkeit der Wohnung zur Masse wird dieses allein vom Verwalter (als unabhängiges Organ der Rechtspflege) ausgeübt, Vallender, NZI 2004, 401, 403.

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Der Verwalter könnte so nämlich die Masse von laufenden Verbindlichkeiten entlasten.

2. Folgen der Freigabe von Wohnungseigentum nach Rechtsprechung und Literatur Die Durchsicht der einschlägigen Entscheidungen und Literaturäußerungen zu der angesprochenen Frage ergibt nur wenig Aufschluss über die vertretenen Auffassungen zur Rechtslage. So wird etwa ausgeführt, mit der Freigabe verzichte der Verwalter auf die Massezugehörigkeit19. Für den Zeitraum nach der Freigabe müsse der Gläubiger seine Ansprüche gegenüber dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners geltend machen. Da auch der Neuerwerb des Schuldners in die Masse falle, hierzu gehörten etwa Mieteinnahmen bei einer vermieteten Eigentumswohnung, werde der Zugriff auf das Schuldnervermögen damit verhindert. Im Ergebnis führe das zu einer erheblichen Benachteiligung der Gläubiger, die ihre Ansprüche aus dem Wohnungseigentum herleiteten20. Hier wird also eine enge Verbundenheit der Wohngeldansprüche mit dem Wohnungseigentum unterstellt, ohne dass eine konkrete Begründung dafür gegeben ist. Die Rechtsprechung hat sich in jüngerer Vergangenheit mit der vorliegenden Problematik vor allem in Zusammenhang mit der Zuständigkeit der Wohnungseigentumsgerichte befasst. Konkret ging es etwa darum, ob das WEG-Gericht zuständig ist, wenn gegen den Insolvenzverwalter Ansprüche aus dem Gemeinschaftsverhältnis geltend gemacht werden und die Eigentumswohnung bereits vor Rechtshängigkeit freigegeben war. Der Bundesgerichtshof befürwortet in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung21 eine Zuständigkeit des WEGGerichts22, um so zu mehr Rechtssicherheit und Verfahrenseffizienz zu gelangen23. Maßgeblich sei nicht die jetzige Zusammensetzung der Gemeinschaft, sondern dass die geltend gemachten Ansprüche aus dem Wohnungseigentum entstanden seien24. In diesem Beschluss hat das __________ 19 20 21 22 23 24

Vallender, NZI 2004, 405. Vallender, NZI 2004, 405. BGH NJW 1994, 1866. BGHZ 152, 136. BGHZ 152, 136, 141 ff. S. auch das KG in seinem Vorlagebeschluss zu dieser Entscheidung: KG NZM 2002, 528, 529.

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Gericht zumindest einige Andeutungen zur materiellrechtlichen Wirkung der Freigabe gemacht: Mit Freigabe verliere der Insolvenzverwalter25 seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in vollem Umfang an den Eigentümer, der in diese Rechtsbefugnisse wieder eintrete und damit einem vor der Rechtshängigkeit ausgeschiedenen Wohnungseigentümer gleichzustellen sei26. In einer Entscheidung, die zeitlich dem vorgenannten Beschluss des Bundesgerichtshofs nachfolgte, hatte das KG sich mit der Ordnungsmäßigkeit einer Weisung der Wohnungseigentümer an den WEGVerwalter zu befassen27. Einige Wohnungseigentümer hatten diesen anweisen wollen, den Wohngeldanspruch weiterhin gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen, da sie von einer Nichtigkeit der Freigabe durch den Insolvenzverwalter ausgingen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hatte jedoch durch Mehrheitsbeschluss den entsprechenden Antrag abgelehnt und den WEG-Verwalter angewiesen, die Erfüllung der Wohngeldansprüche unverändert vom Wohnungseigentümer zu verlangen. Hiergegen richtete sich der Antrag der überstimmten Wohnungseigentümer mit dem Ziel, die Mehrheit der Wohnungseigentümer zu verpflichten, dem abgelehnten Antrag zuzustimmen. Das Gericht bejaht die Ordnungsgemäßheit der unveränderten Weisung. Zwar könne sein, dass der richtige Antragsgegner der Insolvenzverwalter sei; angesichts der schwierigen Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Freigabe – wie von der überstimmten antragstellenden Minderheit angenommen- nichtig sei, könnten die Wohnungseigentümer in deren Beurteilung zurückhaltend sein28. Die Beantwortung dieser Frage kann somit keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Weisung haben. Das Gericht weist in seiner Begründung ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den geltend gemachten Wohngeldforderungen um solche handele, die für freigegebene Wohnungen für einen Zeitraum nach der Freigabe verlangt würden29. Auch das KG geht also offenbar davon aus, dass insoweit Besonderheiten gelten.

__________ 25 Im konkreten Fall der Entscheidung ging es zwar um einen Konkursverwalter, für die vorliegende Problematik ist das nicht von Bedeutung. 26 BGH NJW 1994, 1866; s. auch KG ZMR 2001, 60, 61; Niedenführ/Schulze, WEG, § 43 Rz. 25. 27 KG ZfIR 2004, 26 = NZM 2004, 375 f. 28 KG ZfIR 2004, 25 = NZM 2004, 383. 29 KG ZfIR 2004, 25 = NZM 2004, 383.

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Den gegenteiligen Standpunkt vertritt das AG Mannheim in einem Beschluss vom 14.7.200430, der sich ausdrücklich mit den materiellrechtlichen Folgen einer Freigabe befasst. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Freigabe des Wohnungseigentums nicht zu einem Erlöschen der Haftung des Wohnungseigentümers und der insolvenzbefangenen Masse für Wohngeldforderungen führe. In diesem Fall machte die Wohnungseigentümergemeinschaft verschiedene Ansprüche geltend, die sowohl Rückstände aus zurückliegenden Jahren betrafen, als auch Vorschüsse für das Folgejahr. Während dieses Folgejahres gab der Insolvenzverwalter die Wohnung frei. Daraufhin begehrten die Wohnungseigentümer die Aufnahme des durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Verfahrens über den Widerspruch gegen die entsprechenden Eigentümerbeschlüsse (§ 240 ZPO), um das Verfahren mit dem Wohnungseigentümer fortzuführen. Dieser Antrag wurde vom AG Mannheim abgelehnt, da trotz Freigabe der Wohnung die gesamte Masse für die Hausgeldverbindlichkeiten einzustehen habe. Dabei wird vom Amtsgericht nicht zwischen Hausgeldverbindlichkeiten unterschieden, die entweder für die Zeit vor oder nach der Freigabe angefallen sind. Im Wesentlichen stützt das Gericht sich darauf, dass Gegenstand der Freigabe nur die Wohnung, nicht aber die Wohnungseigentümerstellung als solche sei. Die Wohngeldpflicht knüpfe aber an diese Rechtsinhaberschaft. Für sie stehe das gesamte Vermögen des Wohnungsinhabers im Rahmen der allgemeinen Grenzen als Haftungsmasse zur Verfügung. Eine Freigabe von Verbindlichkeiten sei aber ohne Zustimmung der Gläubiger nicht möglich31. Letztlich führe der gegenteilige Standpunkt zu einer Haftungsentlastung der Masse, für die es an einer entsprechenden Vorschrift fehle. Sei der Verwalter außerstande, die Massekosten aufzubringen, so bleibe ihm nur der Weg, die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen (§ 208 InsO).

3. Entlastung der Masse – Benachteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft Unterzieht man die beiden Standpunkte einer ersten vorläufigen Bewertung, so überzeugt an der erstgenannten Auffassung, dass sie der Masse die Möglichkeit gibt, sich von den Lasten des Wohnungseigentums __________ 30 AG Mannheim NZM 2004, 800. 31 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, 3. Aufl., 2002, § 109 Rz. 8; s. schon OLG Düsseldorf KTS 1968, 189.

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durch Freigabe zu befreien. Das entspricht einer allgemeinen Billigkeitsüberlegung, dass die Masse jedenfalls dann nicht die Lasten tragen soll, wenn sie keinerlei Vorteile aus dem Gegenstand ziehen kann. Gerade dies soll die Freigabe ermöglichen32. Dieser Gedanke findet auch in den §§ 103, 105 und 55 InsO seinen Ausdruck33. Unterstützend ließe sich weiterhin anführen, dass es der Schuldner ansonsten in der Hand hätte, durch entsprechendes Abstimmungsverhalten eine Erhöhung der Masseverbindlichkeit herbeizuführen, da er nach Freigabe allein berechtigt ist, an den Wohnungseigentümerversammlungen teilzunehmen. Im Gegensatz zu der vorgenannten Ansicht vermeidet die Auffassung des Amtsgerichts Mannheim den wesentlichen Nachteil, dass den Wohnungseigentümern das Haftungsvermögen in großen Teilen (ohne ihre Mitwirkung) entzogen wird. Der Vorteil der ersten Auffassung stellt nämlich zugleich auch ihren Nachteil dar. Das Argument des AG Mannheim, dass den Gläubigern ohne ihre Mitwirkung nicht das Haftungsvermögen entzogen werden dürfe, eine Freigabe von Verbindlichkeiten deshalb nicht möglich sei, hat auf den ersten Blick etwas Zwingendes. Keinem Zweifel unterliegt allerdings, dass jedenfalls die Hausgeldforderungen, die auf die Zeit der Massezugehörigkeit der Wohnung entfallen, Masseforderungen sind und sich hieran auch durch eine Freigabe nichts ändert34.

4. Grundlage des Hausgeldanspruchs Im Kern geht es, auch dies wird vom Amtsgericht durchaus erkannt, darum festzustellen, woraus sich die Hausgeldverpflichtung begründet. Das AG Mannheim lehnt hier zunächst eine Verpflichtung ab, die einer dinglichen Belastung vergleichbar sei und als solche unmittelbar mit dem Grundstück bzw. dem Wohnungseigentum verbunden sei. Diese Verpflichtung knüpfe an die Rechtsinhaberschaft. Für sie haftet das ge-

__________ 32 S. schon Lüke, FS. f. Kirchhof, 2003, 287, 294; wo es freilich um das parallele Problem der Qualifizierung der Hausgeldforderung als Insolvenz- oder Masseforderung geht. 33 Lüke, FS. f. Kirchhof, 2003, 287, 294. 34 BGH NJW-RR 2002, 1198, der hervorhebt, dass gem. § 38 InsO auf den Zeitpunkt der Begründung und nicht jenem der Beschlussfassung über das Hausgeld für die Qualifizierung als Masseverbindlichkeit abzustellen ist. Für Einzelheiten, s. Lüke, FS. f. Kirchhof, 2003, S. 287, 290 ff.

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samte Vermögen des Wohnungseigentümers35. Dies erscheint zweifelhaft. Für eine Behandlung der Verpflichtung zur Zahlung von Hausgeld wie eine dingliche Belastung gibt es im Gesetz in der Tat keine Anhaltspunkte. Das Hausgeld begründet sich aus §§ 28, 16 WEG. § 16 WEG ist eine Regelung, die im Wesentlichen dem Gemeinschaftsrecht (§§ 743 Abs. 1 und 748 BGB) entspricht36. Grundlage der Verpflichtung des Wohnungseigentümers, sich an den Lasten und Kosten zu beteiligen, stellt mithin das gemeinschaftsrechtliche Verhältnis dar. Die Wohnungseigentümergemeinschaft bildet eine Bruchteilsgemeinschaft37. Sie kann zwar privatautonom ausgestaltet werden, ist aber ein kraft Gesetzes entstehendes Schuldverhältnis. Voraussetzung für sein Zustandekommen ist das Bestehen von Miteigentum am Grundstück und Gebäude, wodurch die Wohnungseigentümer zwingend eine Rechtsgemeinschaft (Bruchteilsgemeinschaft) i. S. d. §§ 741 ff. bilden38. Genau dies erklärt, weshalb die Freigabe als solche ab diesem Zeitpunkt zu einer Veränderung des haftenden Vermögens führt. Nicht mehr der Schuldner mit seinem insolvenzbefangenen Vermögen, sondern der Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen ist nach Freigabe an der Wohnungseigentümergemeinschaft beteiligt. Ihn treffen daher auch die sich aus der Bruchteilsgemeinschaft ergebenden Pflichten. Diese sind zwar nicht vergleichbar mit den dinglichen Belastungen, mit dem Wohnungseigentum aber zwingend verbunden. Sie knüpfen an diese „Mitgliedschaft“. Endet sie, so endet auch mit Wirkung für die Zukunft die Haftung des Wohnungseigentümers. Der Inhalt dieses Anspruchs richtet sich nach dem beschlossenen Wirtschaftsplan gem. §§ 16 Abs. 2, 28 WEG39. Zwar hat der Schuldner an der Beschlussfassung möglicherweise nicht mitgewirkt, doch tritt er gleich einem Wohnungserwerber in die Rechtsgemeinschaft ein, wie sie von den bisherigen Wohnungseigentümern, ggf. unter zwischenzeitlicher Beteiligung des Insolvenzverwalters, ausgestaltet wurde. Die Gefahr einer unzumutbaren Belastung durch einen solchen Beschluss ist wegen der Verpflichtung zu ordnungsmäßiger Verwaltung gering40. Im Übrigen kann sich nach der __________ 35 36 37 38 39

S. schon Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2003, Rz. 13.19. Gottschalg in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, § 16 vor Rz. 1. BGHZ 99, 90 = JZ 1987, 463 m. Anm. Weitnauer. Briesemeister in Weitnauer, vor § 1 Rz. 30. Zum Verhältnis von § 16 Abs. 2 zu § 28 WEG s. Gottschalg in Weitnauer: § 16 Rz. 25 f. 40 Gottschalg in Weitnauer, § 28 Rdn.10.

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Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs41 der Schuldner der freigegebenen Eigentumswohnung nicht im Wege der Dereliktion nach § 928 BGB entledigen. Für die Wohnungseigentümer bedeutet diese Auffassung, wie bereits mehrfach festgestellt, einen erheblichen Nachteil, der mit der Freigabe verbunden ist. Dabei ist er möglicherweise unterschiedlich groß, je nachdem ob der Eigentümer das Wohnungseigentum selbst nutzt oder vermietet hat. Als Ausgangsfall soll ein eigengenutztes Wohnungseigentum zunächst unterstellt werden. Die Entlastung der Masse erfolgt auf Kosten einiger Gläubiger, deren Interessen der Insolvenzverwalter, da sie zugleich auch Insolvenzgläubiger und möglicherweise Massegläubiger sind, ebenfalls wahrnehmen muss. Zwar wird man hierin wohl keine Pflichtverletzung des Verwalters diesen gegenüber annehmen können, da ihn insoweit keine insolvenzspezifischen Pflichten treffen. Im Übrigen ließe sich argumentieren, dass eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung grundsätzlich nur gegenüber Insolvenzgläubigern besteht42.

5. Vergleich zur Regelung bei der Mieterinsolvenz Gleichwohl fällt auf, dass hier die Freigabe andere Folgen hat als in der vergleichbaren Situation der Mieterinsolvenz. Dort gibt das Gesetz dem Insolvenzverwalter von Wohnraum die Befugnis, innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf dieser Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren43 geltend gemacht werden können (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO). Teilweise wird aus dieser Vorschrift eine Freigabe des gesamten Mietverhältnisses geschlossen44. Dies erscheint in der Tat als praktikabler Weg, der allerdings die Interessen der Beteiligten zu wenig berücksichtigt. Eine völlige Freigabe eines Vertragsverhältnisses ist nicht nur ein Abweichen von den bisherigen Vorstellungen zur Freigabe45, sondern findet auch im __________ 41 42 43 44

BGHZ 115, 1, 7 ff. Anders ist es nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit gem. § 209 InsO. Genauer müsste es wohl heißen, gegen die Insolvenzmasse. Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl. 2002, § 109 Rz. 15; Wegener in Frankfurter Kommentar, § 109 Rz. 2, der die notwendige Zustimmung des Vermieters in dessen widerspruchlosem Verhalten sieht; s. a. AG Lübeck, SchlHA 2003, 167. 45 S. oben II. 1.

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Gesetz einen Anhalt46. Vielmehr bleibt die Masse auch nach Erklärung gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO mit der Vertragsdurchführung belastet47. Allerdings ist einzuräumen, dass die Aufspaltung der Rechtszuständigkeit auf Mieterseite zwischen Schuldner und Verwalter zu erheblichen Problemen führt. Genannt sei nur die Frage der Zuständigkeit für die Kündigung auf Mieterseite oder der Geltendmachung von Sekundäransprüchen gegen den Vermieter. Der Unterschied des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Freigabe wird besonders am Beispiel der Mietkaution deutlich: Mit der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO verzichtet der Verwalter nicht etwa auch auf die Kaution, die an den Mieter zurückzuzahlen ist. Vielmehr sind derartige Zahlungen zur Masse zu leisten. Der Sinn der insolvenzrechtlichen Regelungen zur Miete ist es, zum einen die Masse vor vermeidbaren Kosten zu schützen, zum anderen aber zu vermeiden, dass infolgedessen der Mieter ohne eine Bleibe dasteht. Würde es an einer derartigen Bestimmung fehlen, so müsste der Verwalter, wenn die Mietsache für die Masse ohne Wert ist, den Mietvertrag kündigen. Der Mieter hätte die Mietsache zu räumen, eine Folge, die der Gesetzgeber durch die Möglichkeit der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO vermeiden will. Die Erklärung führt aber scheinbar nicht zu einer Benachteiligung des Vermieters, da dieser gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auch nach einer solchen Erklärung Schäden ersetzt verlangen kann, die ihm durch die Erklärung des Verwalters entstehen. Dieser Schadensersatzanspruch führt letztlich im Falle der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO zu einer Ausfallhaftung der Masse. Der Anspruch hat freilich als entscheidenden Nachteil, lediglich einfache Insolvenzforderung zu sein. Ein wirkungsvoller Schutz wird daher für den Vermieter allenfalls zu einem geringen Teil, nämlich in Höhe der auf die Forderung entfallenden Quote, erreicht. Der vorrangige Schutzzweck des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, nämlich dem Mieter eine Möglichkeit zu geben, in der Mietsache zu verbleiben, ist in der Situation des eigengenutzten Wohnungseigentums nicht in gleicher Weise erreichbar. Insoweit unterscheiden sich die Ausgangssitua__________ 46 S. aber die Gesetzesbegründung in Beilage zu ZInsO Heft 1/2001, S. 17: Durch diese Erklärung wird der Mietvertrag nicht beendet, sondern vom Schuldner fortgesetzt. 47 Eckert in MünchKomm, InsO, Bd. 2, 2002, § 109 Rz. 52.

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tionen zu stark. Der Insolvenzverwalter kann mit der Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Räumung des Wohnungseigentums erreichen48. Ein Vollstreckungsschutz ist für den die Immobilie bewohnenden Eigentümer nur im Wege des § 765a ZPO möglich49. Gibt der Verwalter statt dessen den Gegenstand frei, so steht dem Grundpfandgläubiger die Möglichkeit offen, das Zwangsversteigerungsverfahren oder ein Zwangsverwaltungsverfahren durchzuführen. Kaum praktische Bedeutung dürfte dagegen die Veräußerung der Immobilie im Wege des freihändigen Verkaufs durch den Gläubiger spielen, da an dieser Veräußerung der Wohnungseigentümer mitwirken müsste. Möglich ist aber auch, dass der Grundpfandgläubiger die Immobilie in seinen Eigenbestand übernimmt. Im Falle einer Zwangsversteigerung hat der Ersteigerer einen Räumungsanspruch, den er gegebenenfalls klageweise durchsetzen muss. Hier zeigt sich, dass aus der Sicht der Verwertung die Räumung schon durch den Verwalter angesichts eines bestehenden Titels sinnvoll ist. Während im Rahmen der Zwangsverwaltung der betreibende Gläubiger den Nachteil hat, keine Ansprüche gegen den Nutzer der Eigentumswohnung geltend machen zu können, lässt sich dies möglicherweise anders regeln, wenn der Insolvenzverwalter mit dem Wohnungseigentümer (als voll berechtigter Inhaber seines insolvenzfreien Vermögens) einen Mietvertrag abschließt. Zwar führte dies zur eigentümlichen Folge, nach dem der Eigentümer in seiner eigenen Wohnung zur Miete wohnt50. Die Notwendigkeit ist aber letztlich Konsequenz der Trennung von freiem Schuldnervermögen und dem in Beschlag genommenen Vermögen. Der Mietvertrag würde vom Verwalter mit dem Schuldner geschlossen werden. Zu leisten wäre der Mietzins aus dem insolvenzfreiem Vermögen auf Zahlung in die Masse. Für den Schuldner und Eigentümer wäre mit dieser vertraglichen Lösung der Vorteil verbun__________ 48 LG Düsseldorf KTS 1963, 58; Andres in Nehrlich/Römermann § 148 Rz. 46; Holzer in Kübler/Prütting Band II, Stand Oktober 2004, § 148 Rz. 16 f.; Ernestus in Mohrbutter/Mohrbutter, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 7. Aufl. 1996, Rz. III.24; Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 148 Rz. 21 m. w. N. 49 H. M., z. B. Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 148 Rz. 21 m. w. N.; a. A. Ernestus in Mohrbutter/Mohrbutter, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 7. Aufl. 1996, Rz. III.24. 50 S. ähnlich auch die „erkaufte Freigabe“, nach der der Schuldner Geld zahlt, um den Gegenstand aus der Masse „herauszulösen“, s. Jaeger/Henckel, KO, § 6 Rz. 25; Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 35 Rz. 30.

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den, dass er gegenüber dem Insolvenzverwalter ein Recht zum Besitz hat. Andernfalls nämlich könnte sogar für den Verwalter die Pflicht bestehen, den Eigentümer zur Räumung der selbst genutzten Wohnung zu veranlassen, damit der Wert der Wohnung nicht durch die fortgesetzte Nutzung der Wohnung gemindert wird und gar durch den Verbrauch bedingt vermeidbar hohe Hausgeldforderungen gegen die Masse bestehen. Sofern man aber eine solche Konstruktion ablehnt, hätte der Verwalter zumindest einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Wohnungseigentümer, da dieser ohne entsprechende Zahlungen die Wohnung nutzt und damit ungerechtfertigt bereichert zu Lasten der Masse ist. Gibt der Verwalter die vermietete Sache dagegen frei, so ist der Schuldner und der Gläubiger des Vertrages jeweils der Insolvenzschuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen, so dass ein Vertrag wegen Konfusion der Ansprüche und Verbindlichkeiten51 nicht mehr besteht.

6. Besonderheiten zu fremdgenutzter Wohnung Besondere Probleme ergeben sich bei der Freigabe von Wohnungseigentum, das an einen Dritten vermietet ist. Hier stellt sich die weitere Frage, welche Rechtsfolge die Freigabe für den Mietvertrag hat. Freigegeben wird, wie bereits mehrfach ausgeführt, die Wohnung als solche. Kraft Gesetzes besteht das Gemeinschaftsverhältnis zwischen den Wohnungseigentümern nun mit dem Schuldner und seinem beschlagsfreien Vermögen. Grundsätzlich bleibt davon das Mietverhältnis unberührt. Allein die Eröffnung des Verfahrens ändert an seinem Fortbestand nichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Verwalter hat nach seiner Bestellung die Aufgaben des Vermieters zu erfüllen. Allein der Umstand, dass er sich der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den Mietgegenstand durch Freigabe entäußert, begründet nicht den Übergang des Mietverhältnisses auf den Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen. Der Fortbestand eines Mietverhältnisses zwischen dem Mieter und dem Insolvenzverwalter als Vermieter der Wohnung würde zu dem Ergebnis führen, dass der Mietgegenstand zwar freigegeben wäre, die Miete aber zur Masse zu zahlen wäre. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hätte damit keine Möglichkeit, wegen ihrer Hausgeldansprüche auf die Miete __________ 51 Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, Übl. vor § 362 Rz. 4.

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als insolvenzfreies Vermögen52 zuzugreifen. Für den Mieter wäre diese Lösung weiterhin mit dem Nachteil verbunden, dass ihm gegenüber dem Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen kein Recht zum Besitz zustünde, so dass er gegebenenfalls den Mietgegenstand räumen müsste. Im Zusammenhang mit dem nunmehr auch in die Insolvenzmasse fallenden Neuerwerb wird festgesellt, dass ein solcher nicht bei Früchten oder Zinsen der Sache vorliegt53. Es wird mit anderen Worten ein enger Zusammenhang zwischen dem bereits in der Masse befindlichen Recht und dem weiteren Gegenstand, der in die Masse gelangt, hergestellt. Auch mittelbare Sachfrüchte, wie etwa die Miete, seien, wenn der Mietgegenstand sich bereits in der Masse befinde, kein Neuerwerb54. Hieraus ist aber im Umkehrschluss zu folgern, dass solche mittelbaren Sachfrüchte dann nicht mehr zur Masse gelangen können, wenn der Gegenstand vom Insolvenzverwalter wirksam freigegeben ist. Diese Rechtsfolge ist zwanglos aus einer analogen Anwendung zu § 566 BGB abzuleiten55. Zwar handelt es sich hier nicht um eine Veräußerung, wie sie dort vorausgesetzt wird; die Situation des Mieters bei Freigabe der Wohnung ist aber durchaus vergleichbar. Er soll vor der Beendigung des Mietverhältnisses geschützt werden. Ihm steht darüber hinaus sogar ein subsidiärer Anspruch gegen die Masse zu für den Fall, dass er mit Ansprüchen gegen den Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen ausfällt (§ 566 Abs. 2 BGB). Aus dieser Vorschrift können jedoch die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft keinen Vorteil ziehen. Für sie wird mit dem Übergang des Mietverhältnisses in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners in Analogie zu § 566 BGB erreicht, dass es keinen Unterschied macht, ob der Gegenstand fremd- oder eigengenutzt ist.

III. Zusammenfassung Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: __________ 52 So auch Vallender, NZI 2004, 401, 405, der gerade hierin eine besondere Härte sieht. 53 Henckel in Jaeger, InsO, § 35 Rz. 102. 54 Henckel, a. a. O. 55 Jaeger/Henckel, KO, § 21 Rz. 1; a. A. Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 35 Rz. 23.

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Rechtsfolgen der Wohnungsfreigabe in der Insolvenz des Eigentümers

Die Freigabe der Eigentumswohnung hat für laufende und künftige Forderungen auf Hausgeld seitens der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Folge, dass diese nunmehr gegen den Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen geltend gemacht werden müssen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Rechtsgrund der Hausgeldforderung die Rechtsgemeinschaft der Wohnungseigentümer ist. Den Wohnungseigentümern wird zwar hierdurch Haftungsvermögen entzogen. Dies ist jedoch notwendig mit der Gemeinschaft und der sich aus ihr ergebenden Ansprüche verbunden. Bei vermietetem Wohnungseigentum besteht der Mietvertrag nach Freigabe zwischen dem Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen und dem Mieter fort. Hier können somit die Gläubiger der Eigentümergemeinschaft auch auf den künftigen Mietzins zugreifen. Soweit es Rückstände für die Zeit der Zugehörigkeit zur Masse betrifft, sind diese auch aus der Masse zu begleichen.

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Die Vereinbarung als mehrseitiger Vertrag Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text?

Werner Merle Inhaltsübersicht I. Problem und Meinungsstand 1. Einführung 2. Die Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text 3. Die Vereinbarung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht II. Die Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text 1. Zur Anwendbarkeit der §§ 145 ff. BGB 2. Das Wirksamwerden der Zustimmungserklärungen a) Der Adressat der Zustimmung b) Zur Vereinbarung unter Anwesenden c) Zur Vereinbarung unter Abwesenden

d) Vereinbarung ohne Zugang der Zustimmungserklärung 3. Die Bindung an die erklärte Zustimmung 4. Ergebnis III. Die Vereinbarung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht 1. Vertragsschluss zwischen Eigentümer und Vertreter ohne Vertretungsmacht a) Die Bindung des vertragsschließenden Eigentümers b) Die Bindung eines genehmigenden Eigentümers 2. Vertragsschluss durch Selbstkontrahieren IV. Konsequenzen

I. Problem und Meinungsstand 1. Einführung Seit der insbesondere auch von Joachim Wenzel publizistisch vor-1 und nachbereiteten2 Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.9.20003 können zahlreiche Angelegenheiten der Wohnungseigentümer nicht mehr durch Beschluss geordnet werden, sondern bedürfen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG einer Vereinbarung. Die Vereinbarung als Rege__________ 1 Wenzel, Festschrift für Hagen, 1999, S. 218 ff. 2 Wenzel, ZWE 2000, 550 (556); 2001, 226 ff.; ders., in: Immobilienrecht 2002, 2004, S. 23 ff. 3 BGH, Beschl. v. 20.9.2000 – V ZB 58/99, BGHZ 145, 158 = ZWE 2000, 518.

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lungsinstrument der Wohnungseigentümer wird daher zunehmende praktische Relevanz erlangen. Am Abschluss einer Vereinbarung müssen die Wohnungseigentümer nach dem Grundsatz der Privatautonomie durch Willenserklärungen mitwirken. Hierauf sollen insbesondere die vertragsrechtlichen Vorschriften der §§ 145 ff. BGB anwendbar sein4, in denen der Vertragsschluss durch Antrag und Annahme geregelt wird. Dies ist unproblematisch, wenn in einer aus nur zwei Wohnungseigentümern bestehenden Gemeinschaft ein Wohnungseigentümer dem anderen den Abschluss einer Vereinbarung anträgt und dieser den Antrag annimmt. Insoweit bestehen keine Bedenken, dass die §§ 145 ff. BGB unmittelbar anwendbar sind: Der Vorschlag des einen Wohnungseigentümers ist als Antrag i. S. d. §§ 145 ff. BGB zu werten, der durch den anderen Wohnungseigentümer angenommen wird. Für die Gebundenheit des Antragenden an sein Angebot sowie für die Annahmefrist sind die §§ 145 ff. BGB ohne Besonderheiten maßgebend. Hier kommt die Vereinbarung durch sich entsprechende Erklärungen der Beteiligten, d. h. durch Antrag und Annahme zustande. Aber die Zwei-Personen-Gemeinschaft ist in der Praxis die Ausnahme. Regelmäßig bestehen Gemeinschaften von Wohnungseigentümern aus einer Vielzahl, oft Hunderten von Eigentümern. Gerade weil eine wohnungseigentumsrechtliche Vereinbarung in der Regel zwischen zahlreichen Vertragsparteien getroffen wird, unterscheidet sich das Zustandekommen einer Vereinbarung häufig erheblich von dem Leitbild, das den §§ 145 ff. BGB zugrunde liegt. Unter Wohnungseigentümern kommt nämlich eine Vereinbarung vielfach dadurch zustande, dass die Wohnungseigentümer sich mit dem Entwurf einer Vereinbarung einverstanden erklären, der entweder durch einen Wohnungseigentümer oder durch einen Dritten, etwa den Verwalter oder einen Rechtsberater, gefertigt worden ist. Der qualitative Unterschied hinsichtlich des Zustandekommens einer solchen Vereinbarung zu dem Vertragsleitbild der §§ 145 ff. BGB liegt darin, dass nicht sich entsprechende Willenserklärungen nacheinander mit Bezug aufeinander abgegeben werden, so dass von Antrag und Annahme gesprochen werden könnte, sondern dass __________ 4 Kümmel, Die Bindung der Wohnungseigentümer und deren Sondernachfolger an Vereinbarungen, Beschlüsse und Rechtshandlungen nach § 10 WEG, 2002, S. 5. ff.; Staudinger/Kreuzer, WEG, 12. Aufl. 1997, § 10 Rz. 62; Niedenführ/ Schulze, WEG, 7. Aufl. 2004, § 10 Rz. 16 f.

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vielmehr durch mehrere Beteiligte dem vorformulierten Text einer Vereinbarung mit gleichlautenden Erklärungen, häufig auch gleichzeitig, zugestimmt wird5. Weil für die einverständliche Regelung des Rechtsverhältnisses der Wohnungseigentümer untereinander typischerweise die Mitwirkung einer Vielzahl von Eigentümern erforderlich ist, handelt es sich bei einer wohnungseigentumsrechtlichen Vereinbarung regelmäßig um einen mehrseitigen Vertrag. Die bisher kaum behandelte Frage, wie ein mehrseitiger Vertrag geschlossen wird, soll nachfolgend für zwei Konstellationen des Zustandekommens einer Vereinbarung erörtert werden.

2. Die Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text Eine typische Fallgestaltung beim Zustandekommen einer Vereinbarung ist die, dass ein Wohnungseigentümer oder der Verwalter den Text einer Vereinbarung oder einer Änderung der Vereinbarung formuliert, die dann durch Zustimmung aller Wohnungseigentümer zustande kommen soll. Diese Zustimmung kann in einer Versammlung aller Eigentümer erfolgen. Sie kann auch ohne Eigentümerversammlung auf schriftlichem Wege erfolgen, etwa dadurch, dass der Verwalter oder ein Eigentümer die Zustimmung aller Eigentümer zu dem übersandten Text einholt. Schließlich ist auch denkbar, dass in einer Versammlung die anwesenden Eigentümer ihre Zustimmung erklären, während die Zustimmung der Abwesenden schriftlich erfolgen soll. Ob und inwieweit die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB auf diese Art des Vertragsschlusses Anwendung finden, ist in vielfacher Hinsicht praktisch bedeutsam. Hiervon hängt die Antwort auf zahlreiche Fragen ab, von denen nur einige beispielhaft erwähnt werden sollen: Kann in dem vorgeschlagenen Text einer Vereinbarung ein Antrag und in den Einverständniserklärungen der übrigen Wohnungseigentümer dessen Annahme gesehen werden? Ist die Zustimmung eines Eigentümers zu diesem Entwurf nur gegenüber dem Initiator (etwa Wohnungseigentümer oder Verwalter) oder gegenüber allen übrigen Wohnungseigentümern zu erklären? Bis zu welchem Zeitpunkt kann die Zustimmung erklärt werden (§§ 147, 148 BGB)? Ab wann und wie lange ist ein __________ 5 Vgl. auch Medicus, Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 6. Aufl. 2004, Rz. 51; Leenen, AcP 188 (1988), 381 (399 ff.).

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Eigentümer an die von ihm erklärte Zustimmung zum Text der Vereinbarung gebunden? Erlischt seine Zustimmung gemäß § 146 BGB, wenn ein anderer Eigentümer seine Zustimmung verspätet erteilt? Es verwundert, dass in der wohnungseigentumsrechtlichen Literatur die Frage des Zustandekommens einer Vereinbarung als Vertrag nicht weiter problematisiert wird. Allenfalls finden sich insoweit Hinweise auf die allgemeinen Vorschriften des BGB6, die Anwendbarkeit der §§ 145 ff. BGB7 oder dass alle Wohnungseigentümer zustimmen8 müssen. Auch bei der vergleichbaren Problematik im Gesellschaftsrecht, wo der Vertragsschluss häufig auch nicht durch sich entsprechende Willenserklärungen, sondern durch allseitige, gleichlautende Zustimmungserklärungen zu einem meist durch einen Notar erarbeiteten Vertragsentwurf erfolgt, begnügt sich das Schrifttum mit der Feststellung, die §§ 105 ff., 116 ff. und 145 ff. BGB seien grundsätzlich oder mit Modifikationen anwendbar9. Im Schrifttum zum allgemeinen Zivilrecht geht man davon aus, dass es neben dem Vertragsschluss durch Antrag und Annahme weitere Abschlusstechniken10 gibt. Ausgehend vom Oberbegriff des Vertrages als einverständlicher Regelung eines Rechtsverhältnisses durch die Vertragsschließenden unterscheidet Flume11 zwischen dem Vertragsschluss durch Antrag und Annahme und dem Vertragsschluss durch gegenseitige Zustimmung zu einem Vertragstext. Zwar wird letzterer weithin als Alternative zur Einigung durch Angebot und Annahme angesehen12, doch findet eine nähere Diskussion dieser Abschlussvariante __________ 6 7 8 9

Sauren, WEG, 4. Aufl. 2002, § 10 Rz. 4; Niedenführ/Schulze, § 10 Rz. 16. Kümmel, S. 7. Staudinger/Kreuzer, § 10 WEG Rz. 63. Vgl. Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 2 Rz. 6; Michalski, GmbHG, 2002, § 2 Rz. 7; Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 2 Rz. 6, 8; Ulmer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 705 Rz. 20; Staudinger/Habermeier, BGB, 13. Aufl. 2003, § 705 Rz. 2. 10 So Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Aufl. 2002, Rz. 394; Leenen, AcP 188 (1988), 381 (393 ff.). 11 Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 34, 1, 2; so auch Leenen, AcP 188 (1988), 381 (393 ff., 399 ff.). 12 Medicus, Allg. Teil, Rz. 394; ders., Grundwissen, Rz. 52; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 29 Rz. 8 ff.; Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 1995, Rz. 985; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 145 Rz. 6; Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem. zu §§ 145–156, Rz. 38; Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2001, Rz. 701; Kümpel, WM 1991,

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nur ansatzweise statt. Leenen13 meint, nur auf den Vertragsschluss durch Angebot und Annahme würden die §§ 145 ff. BGB Anwendung finden. Bei der gemeinsamen Zustimmung, durch die ein Vertragstext in Geltung gesetzt werden soll, seien allein die §§ 154, 155 BGB anwendbar. Mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des Abschlusses eines Vertrages durch Zustimmung zu einem Vertragstext setzt sich Leenen allerdings nicht auseinander.

3. Die Vereinbarung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht Zwar nicht typisch, aber immerhin möglich ist auch das Zustandekommen einer Vereinbarung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht. So könnte etwa ein Wohnungseigentümer mit dem Verwalter, der namens aller übrigen Eigentümer ohne Vertretungsmacht handelt, oder mit einem anderen Wohnungseigentümer, der in eigenem Namen und zugleich namens aller übrigen Eigentümer handelt, eine Vereinbarung treffen. Denkbar ist auch, dass der Verwalter im Namen eines oder mehrerer Wohnungseigentümer ohne Vertretungsmacht mit sich als Vertreter ohne Vertretungsmacht der übrigen Eigentümer eine Vereinbarung trifft. Bei einer solchen Fallgestaltung hängt die Wirksamkeit der Vereinbarung nach § 177 Abs. 1 BGB für und gegen die ohne Vertretungsmacht vertretenen Wohnungseigentümer von deren Genehmigung ab. Bis zur Genehmigung aller Eigentümer ist sie schwebend unwirksam. Das in § 181 BGB enthaltene Verbot des Selbstkontrahierens steht nicht entgegen, weil mangels Vertretungsmacht ein möglicher Interessenkonflikt sich ohne Genehmigung der Vertretenen nicht nachteilig auswirken kann. Im Übrigen würde ein Verstoß gegen § 181 BGB ebenfalls nur zur schwebenden Unwirksamkeit des vorgenommenen Rechtsgeschäfts führen, das durch Genehmigung des Vertretenen wirksam werden kann. Die Genehmigungen der ohne Vertretungsmacht vertretenen Woh__________ Sonderbeilage 4, 1 (5 ff.); Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, 1966, S. 117; zum UN-Kaufrecht auch Gruber in MünchKomm/ HGB, 2004, Vor Art. 14 CISG Rz. 3; Ferrari in MünchKomm/HGB, Vor Art. 14 CISG Rz. 7. 13 Leenen, AcP 188 (1988), 381 (404 ff.). Die von Schwab (FS Dieter Medicus, 1999, S. 587 ff.) für parallel laufende Erklärungen angestellten Überlegungen sind für den Vertragsschluss durch Zustimmung zu einer Vorlage nicht einschlägig.

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nungseigentümer können gemäß § 182 Abs. 1 BGB sowohl gegenüber demjenigen, der als Vertreter ohne Vertretungsmacht die Vereinbarung geschlossen hat, als auch gegenüber dem anderen Eigentümer als Partner der Vereinbarung erklärt werden. Wenn bei einer Vielzahl erforderlicher Genehmigungen einzelne Eigentümer sofort, andere aber erst nach längerer Zeit genehmigen, taucht die Fragen auf, bis zu welchem Zeitpunkt ein Eigentümer die Zustimmung erklären kann und bis wann ein Eigentümer an seine erklärte Zustimmung gebunden ist. Auch diese Probleme sind bislang für den mehrseitigen Vertrag nicht behandelt worden.

II. Die Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text 1.

Zur Anwendbarkeit der §§ 145 ff. BGB

Eine einvernehmliche Regelung des Rechtsverhältnisses der Wohnungseigentümer untereinander durch die Eigentümer kann dadurch zustande kommen, dass ein Wohnungseigentümer den übrigen Eigentümern eine Vereinbarung vorschlägt und diese sich mit der Regelung einverstanden erklären. Zwar könnte in dem von einem Wohnungseigentümer vorgeschlagenen Entwurf ein Antrag und in den Einverständniserklärungen der übrigen Wohnungseigentümer dessen Annahme gesehen werden. Aber das passt schon dann nicht, wenn die Einverständniserklärungen, wie das in der Praxis häufig gefordert wird, dem Verwalter gegenüber erklärt werden sollen und dieser keine Empfangsvertretungsmacht hat. Wird schließlich der Entwurf einer Vereinbarung vom Verwalter vorgeschlagen, kann keinesfalls zwischen Antrag und Annahme im herkömmlichen Sinne unterschieden werden, weil der Verwalter selbst nicht Vertragspartei werden soll. Vielmehr soll durch Zustimmung zu einem Text, unabhängig von wem er stammt, die darin enthaltene Regelung in Geltung gesetzt werden, d. h. eine Vereinbarung zustande kommen. In einem solchen Fall werden nicht, wie beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme, sich entsprechende, sondern gleichlautende Willenserklärungen abgegeben. Die in den §§ 145 ff. BGB vorgesehene Unterscheidung zwischen vorhergehendem Antrag und nachfolgender, darauf Bezug nehmender Annahme passt nicht14. __________ 14 Medicus, Grundwissen, Rz. 51; Staudinger/Bork, Vorbem. zu §§ 145–156 Rz. 38.

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Die Ansicht von Leenen15, dass auf einen solchen Vertragsschluss nur die §§ 154, 155 BGB anwendbar seien, hilft für die Lösung der aufgeworfenen Probleme, etwa des Adressaten der Zustimmungserklärungen und der Bindung an diese, nicht weiter, weil diese Vorschriften insoweit nichts regeln. Zu Recht hat schon Medicus16 moniert, dass die ausschließliche Geltung der §§ 154, 155 BGB allzu große Gesetzeslücken herbeiführe. Selbst wenn, was offensichtlich ist, die §§ 145 ff. BGB, die für den Vertragsschluss durch Antrag und Annahme konzipiert wurden, auf den Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text nicht passen, schließt dies nicht aus, dass die in diesen Vorschriften enthaltenen Wertungen mangels gesetzlicher Regelung zur Lösung von Detailfragen anderer Abschlusstechniken herangezogen werden müssen.

2. Das Wirksamwerden der Zustimmungserklärungen a) Der Adressat der Zustimmung Ist Vereinbarung die einverständliche Regelung des Rechtsverhältnisses der Wohnungseigentümer untereinander durch die Eigentümer, so müssen die zum Zustandekommen einer Vereinbarung als Vertrag erforderlichen Willenserklärungen allen Parteien der Vereinbarung gegenüber abgegeben werden. So sind beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme der Antrag einem anderen (vgl. § 145 BGB) und die Annahme dem Antragenden gegenüber (vgl. §§ 151, 147 Abs. 2, 146 BGB) zu erklären, sind also empfangsbedürftige Willenserklärungen. Übertragen auf den Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text bedeutet dies, dass auch die Zustimmung des einzelnen Eigentümers, durch die die Rechtsbeziehungen aller Eigentümer gestaltet werden, empfangsbedürftig ist. Die Kontrahenten haben daher zu dem Entwurf gegenseitig17 ihre Zustimmung zu erteilen. Für die wohnungseigentumsrechtliche Vereinbarung bedeutet dies, dass deckungsgleiche Willenserklärungen zwischen sämtlichen Wohnungseigentümern erforderlich sind, die keinen anderen Inhalt haben als die Zustimmung zu dem Text18. Jeder Wohnungseigentümer muss jedem anderen Eigentümer gegenüber seine Zustimmung zu dem Text erklären, d. h. jeder Wohnungseigentümer ist Adressat jeder einzelnen Zustimmungserklärung, so dass jede Zustim__________ 15 16 17 18

Leenen, AcP 188 (1988), 381 (404 ff.). Medicus, Allg. Teil, Rz. 354 a.E; auch Bork, Allg. Teil, Rz. 701 Fn. 5. Flume, § 34, 2. Vgl. auch Huber, RabelsZ 43 (1979), 413 (445 f.); Flume, § 34, 2.

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mungserklärung jedem anderen Wohnungseigentümer zugehen muss19, damit eine Vereinbarung zustande kommt.

b) Zur Vereinbarung unter Anwesenden Wird dem Text einer Vereinbarung bei Anwesenheit sämtlicher Wohnungseigentümer, etwa in einer Versammlung, von allen Eigentümern mündlich zugestimmt, lassen sich die Zustimmungen als Erklärungen der einzelnen Eigentümer gegenüber allen anderen Wohnungseigentümern verstehen, die allen Eigentümern unter Anwesenden durch Vernehmen zugehen. Die Vereinbarung als mehrseitiger Vertrag kommt dann bei Vorliegen aller Zustimmungserklärungen unter Anwesenden zustande. Es handelt sich um eine einverständliche Regelung durch gegenseitige Zustimmung aller Wohnungseigentümer untereinander.

c) Zur Vereinbarung unter Abwesenden Soll eine Vereinbarung unter abwesenden Wohnungseigentümern getroffen werden, so geht die Initiative hierzu typischerweise von einem Wohnungseigentümer oder dem Verwalter aus. Um die vorgeschlagene Regelung in Geltung zu setzen, kann die erforderliche Zustimmung aller Eigentümer auch ohne Eigentümerversammlung auf schriftlichem Wege erfolgen, etwa dadurch, dass der Verwalter oder ein Eigentümer die Zustimmung aller Eigentümer zu einem übersandten Text einholt. Die Zustimmungen werden also in der Regel gegenüber dem initiierenden Verwalter, der nicht Partei der Vereinbarung ist, oder gegenüber einem initiierenden Eigentümer erklärt, die in der Regel erst nach Eingang aller Äußerungen das Zustandekommen oder Scheitern der Vereinbarung allen Eigentümern mitteilen. Bei einer solchen Fallkonstellation lassen sich gegenseitige Erklärungen, d. h. Zugang jeder Zustimmungserklärung bei allen übrigen vertragsschließenden Wohnungseigentümern, nur bei Vorliegen einer Vertretungs- oder Botenmacht des Initiators annehmen. Hat dieser Vertretungsmacht zum Empfang von Erklärungen eines Eigentümers, die für die übrigen Eigentümer bestimmt sind, so wird die Zustimmung eines Eigentümers zum Text einer Vereinbarung mit ihrem Zugang bei dem vertretungsberechtigten Initiator auch gegenüber allen übrigen __________ 19 Vgl. auch Staudinger/Habermeier, § 705 Rz. 2; Ulmer in MünchKomm/BGB, § 705 Rz. 20.

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Wohnungseigentümern wirksam, da nach § 164 Abs. 3, Abs. 1 BGB der Zugang beim Empfangsvertreter stets als Zugang beim Vertretenen wirkt20. Entsprechendes gilt, wenn der Initiator Empfangsbote aller übrigen Eigentümer ist: Solchenfalls tritt Zugang ein, sobald mit einer Weitergabe der Erklärung an den Hintermann zu rechnen ist21. Bei Vorliegen einer Vertretungs- oder Botenmacht des Initiators ergeben sich folglich keine relevanten Unterschiede zu dem zuvor erörterten Fall, dass alle Wohnungseigentümer bei Abschluss einer Vereinbarung anwesend sind. aa) Ist der Verwalter Initiator, so lässt sich insoweit Empfangsvertretungsmacht des Verwalters aus § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG herleiten. Hiernach hat der Verwalter Vertretungsmacht zum Empfang von Willenserklärungen, soweit sie an alle Wohnungseigentümer in dieser Eigenschaft gerichtet sind. Zwar wird eine Zustimmungserklärung nicht an alle Eigentümer, sondern jeweils nur an die übrigen unter Ausschluss des Zustimmenden gerichtet. Aber wenn man § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG, wie es in der Rechtsprechung22 für Zustellungen auch im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander geschieht, auch dann anwendet, wenn eine Willenserklärung in einer Gemeinschaftsangelegenheit nicht an alle Eigentümer gerichtet ist, dann lässt sich mit den gleichen Argumenten diese Vorschrift auch analog auf den Empfang von Willenserklärungen in Gemeinschaftsangelegenheiten anwenden, wenn diese nicht an alle Eigentümer, sondern nur an alle übrigen mit Ausnahme des Erklärenden gerichtet sind. Ist der Verwalter Initiator einer Vereinbarung, so wirken die Zustimmungserklärungen mit dem Zugang beim Verwalter gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG als Zugang bei allen übrigen Eigentümern, so dass folglich die vom Verwalter vorgeschlagene Vereinbarung zustande kommt. bb) Entsprechendes kann mangels einer dem § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG vergleichbaren Regelung nicht angenommen werden, wenn ein Wohnungseigentümer eine Vereinbarung initiiert und die Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer ihm gegenüber erklärt wird. Der Zugang bei einem Wohnungseigentümer wirkt folglich nach §§ 164 Abs. 3, 130 Abs. 1 BGB nur dann als Zugang bei allen übrigen Eigentümern, wenn der initiierende Eigentümer Empfangsvollmacht für die übrigen Eigen__________ 20 Palandt/Heinrichs, § 130 Rz. 8; Staudinger/Bub, § 27 WEG Rz. 233. 21 Palandt/Heinrichs, § 130 Rz. 8. 22 Vgl. BGHZ 78, 166 (174); vgl. Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 27 WEG Rz. 124, 126; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 27 WEG Rz. 230.

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tümer hat. Die Erteilung von Empfangsvollmachten an den Initiator muss durch sämtliche Wohnungseigentümer erfolgen, da die Zustimmungserklärungen sonst lediglich gegenüber den Eigentümern wirksam würden, die eine solche Vollmacht erteilt haben, so dass eine Vereinbarung nicht zustande kommen kann. In der Regel dürfte eine solche Vollmacht nicht ausdrücklicht erteilt werden. Durch Auslegung der Zustimmung eines Eigentümers gegenüber dem Initiator lässt sich wohl kaum zugleich eine Bevollmächtigung des Initiators zum Empfang der Zustimmungserklärungen der übrigen Wohnungseigentümer gewinnen. Liegen keine besonderen Anhaltspunkte für die Erteilung einer Empfangsvollmacht vor, so liefe eine dahin gehende Annahme in der Regel auf eine bloße Fiktion hinaus. Denn den Zustimmungserklärungen lässt sich nicht ohne Weiteres der Erklärungswert einer – auch konkludenten – Bevollmächtigung zur Entgegennahme der übrigen Zustimmungserklärungen entnehmen und zugleich zur Genehmigung einer bereits erfolgten Empfangnahme von Zustimmungserklärungen anderer Eigentümer durch den Initiator als Vertreter ohne Vertretungsmacht in den Fällen, in denen die Zustimmung eines anderen Eigentümers bereits zuvor erklärt worden ist. Eine andere Bewertung kann etwa gerechtfertigt sein, wenn der Initiator zuvor ausdrücklich mit der Ausarbeitung eines Textes beauftragt und in diesem Rahmen der Abschluss der Vereinbarung durch Zustimmung gegenüber dem Initiator festgelegt worden ist. cc) Schließlich ist auch denkbar, dass in einer Versammlung die anwesenden Wohnungseigentümer ihre Zustimmung erklären, während die Zustimmung der Abwesenden schriftlich erfolgen soll. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Zugang einer Zustimmungserklärung bei allen übrigen Eigentümern erfolgt, richtet sich nach den vorstehenden Grundsätzen.

d) Vereinbarung ohne Zugang der Zustimmungserklärung Beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme ist die Annahmeerklärung empfangsbedürftig und muss deshalb dem Antragenden zugehen, um diesen nicht in Ungewissheit über die Bindung an seinen Antrag zu belassen23. Um im Interesse der Vertragsparteien den Vertrags__________ 23 Bydlinski, JuS 1988, 36 (38).

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schluss zu vereinfachen und zu beschleunigen24, braucht nach § 151 BGB ausnahmsweise die Annahme nicht dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden, wenn dies nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder wenn der Antragende auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet hat. Lässt sich bei einer Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text eine Vertretungsmacht des Initiators zum Empfang der Zustimmungserklärungen für alle übrigen Eigentümer nicht feststellen, können die Zustimmungserklärungen der Wohnungseigentümer dennoch wirksam werden, wenn der Zugang der jeweiligen Zustimmungserklärung bei allen übrigen Eigentümern entsprechend dem Rechtsgedanken des § 151 Satz 1 BGB nicht erforderlich ist25. Entsprechendes gilt nach § 152 BGB für die Annahme bei notarieller Beurkundung; hier kommt der Vertrag bereits mit der Beurkundung der Annahme zustande, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt werden müsste. Die von §§ 151, 152 BGB erfasste Interessenlage ist derjenigen bei Zustimmung zum Text eines Vertrages vergleichbar. Beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme setzt der Antragende den Inhalt des künftigen Vertrages fest; der Antragsempfänger erlangt dadurch eine Gestaltungsposition, er kann über den Abschluss des Vertrages entscheiden und die ihm vorgeschlagene Regelung in Geltung setzen oder nicht26. Entsprechendes gilt für den Vertragsschluss durch Zustimmung zum Text einer Vereinbarung. Der Inhalt der künftigen Vereinbarung bestimmt sich nach dem Text des Initiators, die Wohnungseigentümer können darüber entscheiden, ob sie die vorgeschlagene Regelung in Geltung setzen oder nicht. In beiden Fällen ist grundsätzlich die Annahme bzw. die Zustimmung zu der vorgeschlagenen Regelung empfangsbedürftig, um den Antragenden bzw. die Wohnungseigentümer nicht im Ungewissen über ihre Bindung zu belassen. Um den Abschluss einer Vereinbarung zu beschleunigen und insbesondere auch zu vereinfachen, kann daher auch beim Abschluss einer Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Entwurf der Zugang der Zustimmungserklärungen entsprechend den Wertungen des § 151 Satz 1 BGB entbehrlich sein. Unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung ist davon auszugehen, dass ein Zugang der Zustimmung zum Text einer Vereinbarung bei den __________ 24 Bydlinski, JuS 1988, 36 (37). 25 Für eine Anwendbarkeit von § 151 BGB auf die Vereinssatzung Soergel/ Hadding, BGB, 13. Aufl. 2000, § 25 Rz. 19. 26 Vgl. Leenen, AcP 188 (1988), 381 (395).

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übrigen Wohnungseigentümern nicht zu erwarten ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Wohnungseigentümer in der Regel aufgefordert werden, ihre Zustimmung gegenüber dem Initiator zu erklären, und die jeweils Zustimmenden auch lediglich gegenüber dem Initiator ihre Zustimmung erklären, nicht aber gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern. Hieraus wird deutlich, dass jeder zustimmende Wohnungseigentümer mit einer solchen Verfahrensweise einverstanden ist, d. h. den Zugang der Zustimmungserklärungen der übrigen Eigentümer auch bei sich selbst nicht erwartet und somit konkludent darauf verzichtet. Zwar regelt § 151 BGB nur den Fall, dass vollständig auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet wird, während die Zustimmung zu dem Entwurf einer Vereinbarung regelmäßig gegenüber dem Initiator zu erklären ist. Jedoch lässt sich § 151 BGB im Wege eines Erst-RechtSchlusses entnehmen, dass, wenn sogar jeglicher Zugang der Annahmeerklärung entbehrlich sein kann, es auch möglich sein muss, die Wirksamkeit einer Erklärung an deren Zugang bei einer bestimmten Person zu knüpfen. Es bestehen daher keine Bedenken, dass die Zustimmungserklärung eines Wohnungseigentümers entsprechend § 151 Satz 1 BGB zwar den übrigen Eigentümern nicht zuzugehen braucht, dass aber ein Zugang beim Initiator erforderlich ist. Dies verknüpft als ein Weniger gegenüber der in § 151 BGB eingeräumten Möglichkeit die Zwecke der gesetzlichen Regelung, nämlich den Vorteil der Vereinfachung des Abschlusses einer Vereinbarung mit einer relativen Gewissheit der Zustimmenden über ihre Bindung, die sie durch Mitteilung des Initiators erlangen können.

3. Die Bindung an die erklärte Zustimmung Beim Abschluss einer Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text unter Abwesenden kann es wegen der Vielzahl erforderlicher Zustimmungen dazu kommen, dass ein Teil der Wohnungseigentümer zügig zustimmt, während andere sehr viel später, eventuell erst nach erneuter Aufforderung, ihre Zustimmung erklären. Es taucht dann die Frage auf, ob die gewollte Vereinbarung zustande kommt, was davon abhängt, wie lange eine Zustimmung wirksam ist. Auch ist klärungsbedürftig, ob ein frühzeitig zustimmender Eigentümer, der anderen Sinnes geworden ist, seine Zustimmung widerrufen kann. Es geht also um das Problem der Bindung eines Eigentümers an die von ihm erklärte Zustimmung.

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Beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme ist der Antragende nach § 145 BGB an seinen Antrag gebunden. Dies bedeutet, dass der Antragende den Antrag, solange die Bindungswirkung reicht, nicht wirksam widerrufen kann. Die Geltung des Antrags ist jedoch zeitlich beschränkt. Zum Schutz des Antragenden darf die Bindung nicht bis in alle Ewigkeit27 dauern, weil eine zeitlich unbeschränkte Bindung für den Antragenden unzumutbar wäre. Der Antrag erlischt daher nach § 146 BGB, wenn er abgelehnt oder wenn er nicht nach den §§ 147 bis 149 BGB rechtzeitig angenommen wird. Die dieser Regelung zugrunde liegenden Wertungen können auf den Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text übertragen werden. Obwohl ein zustimmender Wohnungseigentümer – anders als beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme der Antragsempfänger – den Vertrag allein durch seine Zustimmung noch nicht zustande bringen kann, rechtfertigt es letztlich auch hier das Bedürfnis des Verkehrs28, einen Eigentümer entsprechend § 145 BGB an die von ihm erklärte Zustimmung zu binden. Dies hat zur Folge, dass er, solange die Bindungswirkung reicht, seine Zustimmung nicht wirksam widerrufen kann. Die Bindungswirkung der Zustimmung beginnt nach § 130 BGB mit ihrer Wirksamkeit, also in der Regel mit Zugang beim Initiator, und darf auch nicht bis in alle Ewigkeit dauern. Für die Dauer der Bindung können die den §§ 146 ff. BGB zugrunde liegenden Wertungen herangezogen werden29. Folglich erlischt die Zustimmung eines Eigentümers entsprechend § 146 BGB, wenn ein anderer Eigentümer seine Zustimmung verweigert oder nicht rechtzeitig erklärt. Für die Frage der Rechtzeitigkeit einer Zustimmung können die §§ 147 bis 151 BGB fruchtbar gemacht werden. Ist der Entwurf, zu welchem die Zustimmung der Wohnungseigentümer erbeten wird, mit einer Zustimmungsfrist versehen, so findet § 148 BGB entsprechende Anwendung; mangels ausdrücklicher Bestimmung einer Zustimmungsfrist ist der Wille des Initiators aus den Umständen zu ermitteln. Lässt sich ein solcher nicht ermitteln, ist die Bindungsfrist den Wertungen der §§ 147, 151 Satz 2 BGB30 zu entnehmen. Da eine erklärte Zustimmung die anderen Eigentümer, die noch nicht zugestimmt haben, begünstigt, weil sie die Vereinbarung durch Zustimmung zustande brin__________ 27 28 29 30

So Brox, Allg. Teil des BGB, 27. Aufl. 2003, Rz. 170. Vgl. Motive I, 165. So auch Staudinger/Bork, Vorbem. zu §§ 145–156 Rz. 38. Vgl. Medicus, Allg. Teil, Rz. 370 f.

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gen können, sie also eine der Annahme vergleichbare Gestaltungsposition haben, den Eigentümern, die ihre Zustimmung bereits erklärt haben, aber Nachteile bringen kann, darf die Bindung nicht über die Zeitspanne hinausreichen, welche alle Eigentümer nach den allen bekannten Umständen für ihre Entscheidung über die Zustimmung benötigen. Hiernach dauert die Bindung eines Wohnungseigentümers an seine unter Abwesenden erklärte Zustimmung nur bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem er mit dem Zugang aller Zustimmungen beim Initiator rechnen kann. Sind zu diesem Zeitpunkt nicht alle Zustimmungen dem Initiator zugegangen, erlöschen die bereits erklärten Zustimmungen. Enthält der Entwurf hingegen die Bestimmung, die Vereinbarung komme zustande, sofern nicht die Zustimmung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verweigert werde, so vermag eine solche einseitige Bestimmung keine Rechtswirkung zu entfalten, da dem Schweigen im Rechtsverkehr grundsätzlich keine Bedeutung zukommt31.

4. Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass beim Abschluss einer Vereinbarung durch Zustimmung zu einem Text die Zustimmungserklärung des einzelnen Wohnungseigentümers mit Zugang bei allen übrigen Eigentümern wirksam wird. Der Zugang bei allen übrigen Wohnungseigentümern ist nach den Wertungen der §§ 151 Satz 1, 152 BGB entbehrlich, wenn die Zustimmungserklärungen gegenüber dem Initiator abgegeben werden sollen; in diesem Fall werden die Zustimmungserklärungen mit dem Zugang beim Initiator wirksam. Der Initiator kann auch, wie beim Vertragsschluss durch Antrag und Annahme der Antragende, eine andere Person bestimmen, der die Zustimmungserklärungen zugehen müssen. So kann etwa ein Wohnungseigentümer die übrigen Eigentümer um Zustimmung zum Text einer Vereinbarung durch Erklärung gegenüber dem Verwalter bitten. Aus der Erklärung der Zustimmung eines Eigentümers gegenüber dieser Person folgt sein Einverständnis mit einer solchen Verfahrensweise, so dass die Zustimmungserklärungen nur wirksam werden, wenn sie dieser Person zugehen. Der Wohnungseigentümer, der seine Zustimmung erklärt hat, ist daran entsprechend § 145 BGB gebunden. Diese Bindung endet durch Er__________ 31 Kramer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2001, Vor § 116 Rz. 24.

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löschen der Zustimmung, wenn ein anderer Eigentümer seine Zustimmung verweigert oder nicht rechtzeitig erklärt. Nach den Wertungen der §§ 147 ff. BGB muss, sofern der Initiator keine Frist für die Zustimmung gesetzt hat (vgl. § 148 BGB) die Zustimmung bei Vorlage eines Textes unter Anwesenden sofort, unter Abwesenden bis zu dem Zeitpunkt erklärt werden, bis zu dem ein Eigentümer mit dem Zugang aller Zustimmungen beim Initiator rechnen kann (vgl. §§ 147, 151 Satz 2 BGB).

III. Die Vereinbarung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht 1.

Vertragsschluss zwischen Eigentümer und Vertreter ohne Vertretungsmacht

Schließt ein Wohnungseigentümer mit dem Verwalter, der namens aller übrigen Eigentümer ohne Vertretungsmacht handelt, oder mit einem anderen Wohnungseigentümer, der in eigenem Namen und zugleich namens aller übrigen Eigentümer ohne Vertretungsmacht handelt, eine Vereinbarung, so hängt die Wirksamkeit der Vereinbarung nach § 177 Abs. 1 BGB für und gegen die ohne Vertretungsmacht vertretenen Wohnungseigentümer von deren Genehmigung ab. Bis zur Genehmigung aller Eigentümer ist sie schwebend unwirksam. Die Genehmigungen können gemäß § 182 Abs. 1 BGB sowohl gegenüber demjenigen, der als Vertreter ohne Vertretungsmacht die Vereinbarung geschlossen hat, als auch gegenüber dem vertragsschließenden Eigentümer erklärt werden, wodurch die Vereinbarung gemäß § 184 Abs. 1 BGB rückwirkend wirksam wird.

a) Die Bindung des vertragsschließenden Eigentümers Bis zur Erteilung oder Verweigerung aller Genehmigungen ist die Unwirksamkeit der ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vereinbarung in der Schwebe. Wenn bei einer Vielzahl erforderlicher Genehmigungen einzelne Eigentümer umgehend, andere aber erst nach längerer Zeit genehmigen, taucht die Frage auf, bis zu welchem Zeitpunkt der vertragsschließende Eigentümer an seine Vertragserklärung gebunden ist. Da das Recht der ohne Vertretungsmacht vertretenen Wohnungseigentümer zur Genehmigung nicht befristet ist, dauert der Schwebezustand grundsätzlich an, bis alle Genehmigungen erteilt oder verweigert wor265

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den sind. Dies belastet den vertragsschließenden Eigentümer mit der Ungewissheit über die Wirksamkeit der Vereinbarung. Die nach § 178 BGB bestehende Möglichkeit, den Schwebezustand durch Widerruf zu beenden, dürfte in der Regel für einen vertragsschließenden Eigentümer nicht in Betracht kommen. Nach dieser Vorschrift ist ein vertragsschließender Eigentümer nämlich nur dann zum Widerruf berechtigt, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht beim Abschluss des Vertrags nicht gekannt hat. Dem vertragsschließenden Eigentümer, der mit einem im Namen der übrigen Eigentümer handelnden Eigentümer oder Verwalter eine Vereinbarung schließt, dürfte aber bekannt sein, dass diese in der Regel keine Vertretungsmacht für die übrigen Eigentümer haben, was diese wegen § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig auch von sich aus offen legen werden, um ihre Haftung auszuschließen. Um die Unsicherheit über die Wirksamkeit der Vereinbarung zu beseitigen, hat der vertragsschließende Wohnungseigentümer nach § 177 Abs. 2 BGB die Möglichkeit, die ohne Vertretungsmacht vertretenen Eigentümer zur Erklärung über die Genehmigung aufzufordern. Eine solche Aufforderung hat zur Folge, dass diese ihre Genehmigung nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung ihm gegenüber erklären können. Ist eine Erklärung innerhalb dieser Frist von vorneherein nicht zu erwarten und droht allein deswegen ein Scheitern der Vereinbarung, so kann der vertragsschließende Wohnungseigentümer einseitig eine längere Frist bestimmen, da die Vorschrift des § 177 Abs. 2 BGB allein seinem Schutz dient32. Erklärt ein Eigentümer innerhalb der Frist die Verweigerung der Genehmigung, wird die schwebend unwirksame Vereinbarung endgültig unwirksam. Gibt ein Eigentümer innerhalb der Frist keine Erklärung ab, gilt seine Genehmigung gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 BGB als verweigert; da zur Wirksamkeit der Vereinbarung die Genehmigung aller vertretenen Eigentümer erforderlich ist, führt auch dies zur endgültigen Unwirksamkeit der Vereinbarung. Der vertragsschließende Wohnungseigentümer kann also die Ungewissheit über die Wirksamkeit der Vereinbarung nach § 177 Abs. 2 BGB beenden. Genehmigen alle vertretenen Eigentümer, wird die Vereinbarung rückwirkend wirksam, genehmigt ein Eigentümer nicht, scheitert __________ 32 Staudinger/Schilken, 2004, § 177 Rz. 13.

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die Vereinbarung und der vertragsschließende Eigentümer ist nicht mehr gebunden.

b) Die Bindung eines genehmigenden Eigentümers Genehmigt ein Wohnungseigentümer die schwebend unwirksame Vereinbarung, so bleibt diese zwar weiterhin bis zur Genehmigung aller Eigentümer schwebend unwirksam. Gleichwohl hat dies insoweit rechtsgestaltende Wirkung für die Beteiligten, als die Vereinbarung zwischen dem vertragsschließenden und dem genehmigenden Eigentümer quasi inter partes aber noch nicht inter omnes bindend wird und zu ihrer Wirksamkeit nur noch der Genehmigung der übrigen vollmachtlos vertretenen Eigentümer bedarf. Da das Recht zur Genehmigung nicht befristet ist, dauert dieser Schwebezustand grundsätzlich an, bis alle Eigentümer die erforderlichen Genehmigungen erteilt oder verweigert haben. Dies belastet nicht nur den vertragsschließenden Eigentümer mit der Ungewissheit über die Wirksamkeit der Vereinbarung, sondern auch den Eigentümer, der seine Genehmigung bereits erteilt hat. Auch hier stellt sich die soweit ersichtlich noch nicht diskutierte Frage, wie lange ein genehmigender Eigentümer an seine Genehmigung gebunden ist, die wegen ihrer rechtsgestaltenden Wirkung von ihm nicht widerrufen werden kann33. Mit der Erklärung der Genehmigung erlangt jeder genehmigende Wohnungseigentümer bezüglich der Wirksamkeit des Vertrages eine Rechtsposition, die der des vertragsschließenden Eigentümers entspricht: Die vom vollmachtslosen Vertreter geschlossene Vereinbarung wird dem Genehmigenden zugerechnet, wie wenn er sie selbst vorgenommen hätte. Wie der vertragsschließende Eigentümer bleibt der genehmigende Eigentümer über die endgültige Wirksamkeit der Vereinbarung im Unklaren, bis sämtliche Genehmigungen erklärt oder verweigert worden sind. Da seine Interessenlage insoweit derjenigen des vertragsschließenden Wohnungseigentümers entspricht, ist von einer zumindest teilweise analogen Anwendbarkeit des § 177 Abs. 2 BGB auszugehen. Dies hat zur Folge, dass auch ein Wohnungseigentümer, der eine schwebend unwirksame Vereinbarung genehmigt hat, die übrigen Wohnungseigentümer zur Erklärung über die Genehmigung auffordern kann, um den __________ 33 Vgl. Schramm in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2001, § 177 Rz. 35; Staudinger/ Gursky, 2004, § 184 Rz. 14.

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Schwebezustand zu beenden34; dies ist allerdings nur sinnvoll, sofern dies nicht bereits durch den vertragsschließenden Wohnungseigentümer geschehen ist.

2. Vertragsschluss durch Selbstkontrahieren Eine Vereinbarung kann auch dadurch zustande kommen, dass der Verwalter ohne Vertretungsmacht im Namen eines oder mehrerer Wohnungseigentümer mit sich als Vertreter ohne Vertretungsmacht der übrigen Eigentümer eine Vereinbarung trifft. Für eine solche Vereinbarung gilt grundsätzlich nichts anderes als in den zuvor behandelten Fallgestaltungen. Die Wirksamkeit der Vereinbarung für und gegen die ohne Vertretungsmacht vertretenen Wohnungseigentümer hängt nach §§ 177 Abs. 1, 181 BGB von deren Genehmigung ab. Bis zur Genehmigung aller Eigentümer ist sie schwebend unwirksam. Die Genehmigungen können gemäß § 182 Abs. 1 BGB gegenüber dem Verwalter, der als Vertreter ohne Vertretungsmacht die Vereinbarung getroffen hat, erklärt werden, wodurch die Vereinbarung gemäß § 184 Abs. 1 BGB rückwirkend unter allen Wohnungseigentümern wirksam wird. Ein Eigentümer, der seine Genehmigung erklärt hat, kann den bis zum Vorliegen aller Genehmigungen bestehenden Schwebezustand entsprechend § 177 Abs. 2 BGB beenden. Entsprechendes gilt, wenn ein Eigentümer als Vertreter ohne Vertretungsmacht namens aller übrigen Eigentümer mit sich im eigenen Namen eine Vereinbarung schließt. Solche Konstellationen erfordern nicht, dass der Selbstkontrahierende ausdrücklich im Namen der (übrigen) Wohnungseigentümer handelt. Es genügt vielmehr, dass das Insichgeschäft, d. h. die Abgabe der Willenserklärungen im Namen der (übrigen) Wohnungseigentümer, nach außen erkennbar vorgenommen wird35. Wenn daher etwa ein Verwalter den Text einer Vereinbarung fertigt und diesen den Wohnungseigentümern zur Genehmigung übersendet, so tritt, da sich Abgabe und Empfang der Willenserklärungen in ein und derselben Person, nämlich der des Verwalters vollziehen, der rechtsgeschäftliche Wille des Verwalters zur Vereinbarung in diesem Text äußerlich in Erscheinung: Er will die im Text fixierte Regelung als Vereinbarung und zwar der Wohnungseigentümer, da er selbst nicht Partei der Vereinbarung sein kann. Hieraus __________ 34 Ob in einem solchen Fall die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen kann und eine zuvor abgegebene Erklärung unwirksam wird, bedarf der näheren Prüfung. 35 Vgl. Schramm in MünchKomm/BGB, § 181 Rz. 60 f.

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und aus dem Umstand, dass er die Eigentümer um Zustimmung bittet (vgl. § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB), wird zugleich hinreichend erkennbar, dass er im Namen der Eigentümer handelt.

IV. Konsequenzen Fertigt ein Verwalter den Text einer Vereinbarung, den er den Wohnungseigentümern zwecks Zustimmung übersendet, so dürfte dies, wenn mit der h. M. von unterschiedlichen Techniken beim Abschluss eines Vertrages ausgegangen wird, als Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text oder einer Vorlage einzuordnen sein. Eine solche Konstellation kann aber auch als Vertragsschluss durch Selbstkontrahieren erfasst werden. Entsprechendes gilt, wenn die Initiative von einem Wohnungseigentümer ausgeht. Unterschiede zeigen sich insbesondere bei der Frage der Bindung eines Eigentümers an die von ihm erklärte Zustimmung. Findet auf eine solche Vereinbarung die Technik des Vertragsschlusses durch Zustimmung zu einem Text Anwendung, erlischt die erklärte Zustimmung eines Eigentümers entsprechend § 146 BGB, wenn die Zustimmung der übrigen Eigentümer nicht in der unbestimmten Frist der entsprechend anzuwendenden §§ 147 Abs. 2, 151 Satz 2 BGB erklärt werden. Demgegenüber bleiben bei Annahme eines Vertragsschlusses durch Selbstkontrahieren die erklärten Genehmigungen so lange wirksam, bis von der Regelung des § 177 Abs. 2 BGB mit ihrer eindeutigen Frist Gebrauch gemacht wird. Die Einordnung eines solchen Vorganges als Abschluss einer Vereinbarung durch Selbstkontrahieren hat den Vorteil, dass die gesetzliche Regelung der §§ 177 ff. BGB ohne Weiteres anwendbar ist und es der gesetzlich nicht geregelten Abschlusstechnik eines Vertragsschlusses durch Zustimmung zu einem Text nicht bedarf, bei der zur Klärung von Detailfragen nur auf die Wertungen der §§ 145 ff. BGB zurückgegriffen werden kann. Sicherlich können auch andere, vergleichbare Vorgänge eines Vertragsschlusses zwischen mehreren Personen unter die §§ 177 ff., 181 BGB subsumiert werden. Die Abschlusstechnik des Vertragsschlusses durch Zustimmung zu einem Text ist daher zumindest für solche Fallgestaltungen mangels Regelungslücke entbehrlich.

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Identische Strukturen bei Erbbaurecht und Wohnungseigentum Manfred Rapp Inhaltsübersicht I. Durchbrechung des Akzessionsprinzips 1. Wesentlicher Bestandteil und Scheinbestandteil eines Grundstücks 2. Gebäude aufgrund Erbbaurechtes und Scheinbestandteil 3. Das Sondereigentum als Scheinbestandteil 4. Beendigung der Eigenschaft als Scheinbestandteil 5. Ergebnis II. Vereinbarungen über den Inhalt des Erbbaurechts und des Sondereigentums

1. Das Eigentum mit vereinbartem Inhalt 2. Schuldrechtliche oder dingliche Natur der Vereinbarungen 3. Ergebnis III. Die Begründung von Erbbaurecht und von Wohnungseigentum 1. Die vertragliche Begründung 2. Vorratsgründung 3. Begründung bei bestehenden Gebäuden 4. Begründung von Wohnungseigentum/Erbbaurecht bei zu errichtenden Gebäuden 5. Ergebnis IV. Zusammenfassung

Die Verordnung über das Erbbaurecht datiert vom 15.1.1919, das Wohnungseigentumsgesetz wurde am 15.3.1951 verkündet. Beide Gesetze behandeln besondere Formen des Eigentums an einem Gebäude, was rechtsdogmatisch vergleichbare Strukturen nahe legt. Gleichwohl beschränken sich die Hinweise im wohnungseigentumsrechtlichen Schrifttum auf das Erbbaurecht auf zwei Punkte: Wohnungseigentum kann – entsprechende Vereinbarung der Wohnungseigentümer untereinander vorausgesetzt – gemäß § 12 Abs. 1 WEG nur mit Zustimmung anderer Wohnungseigentümer oder eines Dritten, insbesondere des Verwalters, veräußert werden. Diese dinglich wirkende Ausnahme zu § 137 BGB habe in § 5 Abs. 1 ErbbauVO ihr Vorbild1. Zur Möglichkeit der Entzie__________ 1 Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl, § 12 Rz. 1; Staudinger/Kreuzer, WEG, § 12 Rz. 4; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl, § 12 Rz. 3; im Gegensatz zum Erbbaurecht (§ 5 Abs. 2 ErbbauVO) ist bei Wohnungseigentum eine dinglich wirkende Belastungsbeschränkung nicht zulässig.

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hung des Wohnungseigentums gemäß § 18 WEG wird auf die vergleichbare Rechtslage zum Heimfallanspruch des Grundstückseigentümers gegenüber dem Erbbauberechtigten verwiesen (§§ 2 Nr. 4, 32f ErbbauVO)2. In Wirklichkeit besteht eine weitgehende rechtsdogmatische Identität der beiden Institute Erbbaurecht und Wohnungseigentum. Dies zeigt sich bei der Durchbrechung des Akzessionsprinzips (I), der rechtlichen Qualifikation der Vereinbarungen über den Inhalt des Erbbaurechtes einerseits und des Sondereigentums andererseits (II) sowie bei den Fragen der Begründung des Erbbaurechts und des Wohnungseigentums (III). Der Vergleich der beiden Rechtsinstitute zeigt, daß Auslegungsergebnisse gegenseitig übernommen werden können.

I. Durchbrechung des Akzessionsprinzips Das Grundstücksrecht des BGB hat den römisch-rechtlichen Grundsatz der Einheit der Rechtsverhältnisse am Grundstück und an seinen wesentlichen Bestandteilen in den §§ 93, 94 BGB übernommen (superficies solo cedit)3. Danach können wesentliche Bestandteile einer Sache nicht Gegenstand besonderer Rechte sein, sie sind also sonderrechtsunfähig (§ 93 BGB). § 94 Abs. 1 BGB erklärt Gebäude zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks, gemäß § 94 Abs. 2 BGB gehören zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes – und damit mittelbar auch zu denjenigen eines Grundstücks – die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen. In Konsequenz dieser Regelung bestimmt § 946 BGB den Eigentumsverlust bezüglich einer beweglichen Sache, die mit einem Grundstück in der Weise verbunden wird, daß sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird. In diesem Falle erstreckt sich das Eigentum an dem Grundstück kraft Gesetzes auf die verbundene (ehemals bewegliche) Sache, die damit zum wesentlichen Bestandteil eines Grundstücks und damit zu einer unbeweglichen Sache geworden ist4.

__________ 2 Weitnauer, WE 1994, 35; Weitnauer/Briesemeister, vor § 1 Rz. 55; auf allgemeine Grundsätze zur Beendigung von Dauerschuldverhältnissen verweist Bärmann/Pick/Merle, § 18 Rz. 5. 3 Staudinger/Jickeli u. Stieper, BGB [2004] § 93 Rz. 2; § 93 Rz. 1. 4 BGH NJW 1979, 712; Staudinger/Jickeli u. Stieper, § 94 Rz. 22.

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1. Wesentlicher Bestandteil und Scheinbestandteil eines Grundstücks Während die §§ 93, 94 BGB die rechtliche Einheit des Grundstücks mit seinen wesentlichen Bestandteilen definieren, ordnet § 95 BGB hierzu Ausnahmefälle an. Übergeordnetes Merkmal aller Fälle des § 95 BGB ist, daß auch bei ihnen bewegliche Sachen mit dem Grundstück bzw. Gebäude verbunden wurden bzw. eingefügt wurden, die rechtliche Konsequenz von den §§ 93, 94 BGB jedoch dadurch abweicht, daß die Sachen im rechtlichen Sinne keine Eigentumsänderung erfahren, also beim bisherigen Eigentümer verbleiben und auch weiterhin bewegliche Sachen im Rechtssinne bleiben5. Hier wird ersichtlich, daß der Begriff der beweglichen oder der unbeweglichen Sache im rechtlichen Verständnis vom physikalischen Begriff abweicht. Die physikalisch unbewegliche Sache, die unter § 95 BGB fällt, bleibt rechtlich eine bewegliche Sache, deren Übereignung sich nach den §§ 929 ff. BGB richtet und die auch gutgläubig nach §§ 932 ff. BGB erworben werden kann6. Man spricht deshalb bei einem Vorliegen der Fälle des § 95 BGB von einem „Scheinbestandteil“: Der äußere Anschein deutet auf den Regelfall der §§ 93, 94 BGB; er täuscht jedoch, da in Wirklichkeit die Rechtslage wegen § 95 BGB eine andere ist. Die Ausnahmefälle des § 95 BGB umfassen zwei verschiedene Tatbestände: Zu den Bestandteilen eines Grundstücks bzw. Gebäudes gehören solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind bzw. in das Gebäude eingefügt sind (Abs. 1 Satz 1, Abs. 2). Dieselbe Rechtsfolge besteht, wenn ein Gebäude „in Ausübung eines Rechtes an einem fremden Grundstück von den Berechtigten mit dem Grundstück verbunden worden ist“. Zum ersten Fall gehören u. a. Bauwerke, die ein nur vorübergehend Nutzungsberechtigter, z. B. ein Mieter oder Pächter errichtet hat; zum zweiten Tatbestand gehören alle Gebäude, die aufgrund eines dinglichen Rechtes errichtet worden sind. Dabei kann das dingliche Recht von immerwährender Dauer (z. B. Grunddienstbarkeit, § 1018 BGB), von nur auf Lebenszeit des Berechtigten beschränkter Dauer (z. B. beschränkt persönliche Dienstbarkeit, § 1090 BGB; Nießbrauch §§ 1030, 1061 BGB) oder von einer zeitlich feststehenden Dauer __________ 5 BGHZ 23, 57; RGZ 87, 43, 51; Staudinger/Jickeli u. Stieper, § 95 Rz. 28; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl. 2005, § 95 Rz. 1; Larenz/Wolf, Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, 9. Aufl, § 20 Rz. 60. 6 BGHZ 23, 57; NJW 1987, 774; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl. 2005, § 95 Rz. 1; Staudinger/Jickeli u. Stieper, § 95 Rz. 29.

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(z. B. Erbbaurecht) sein. Die Gebäudeerrichtung aufgrund eines „Rechtes an einem fremden Grundstück“ führt dabei dazu, daß mit dem Gebäude eine neue bewegliche Sache entsteht, die sonderrechtsfähig ist. Ein solches Gebäude kann weder in Wohnungseigentum aufgeteilt werden noch kann es in das Eigentum eines Erbbauberechtigten übergehen, da es nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist.

2. Gebäude aufgrund Erbbaurechtes und Scheinbestandteil Der klassische Fall des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB ist derjenige, daß aufgrund eines eingeräumten Erbbaurechtes ein Gebäude auf dem Grundstück errichtet wird. Dieses gilt gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 ErbbauVO als „wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts“. Belastungen des Grundstücks erstrecken sich mit Eintragung des Erbbaurechtes nicht mehr auf das Bauwerk (§ 12 Abs. 1 Satz 3 ErbbauVO). Die Bestandteile des Erbbaurechts sind nicht zugleich Bestandteile des Grundstücks (§ 12 Abs. 2 2. Halbsatz ErbbauVO). Allerdings unterscheidet sich das Gebäude, das aufgrund eines Erbbaurechtes errichtet wurde, von den Gebäuden, die aufgrund sonstiger Rechte oder nur zu einem vorübergehenden Zwecke errichtet wurden, in einem wichtigen Punkt: Das aufgrund des Erbbaurechtes errichtete Gebäude ist wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechtes, auf das die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften (mit wenigen Ausnahmen) grundsätzlich anzuwenden sind und das deshalb als grundstücksgleiches Recht bezeichnet wird (§ 11 Abs. 1 ErbbauVO). Dieses Gebäude ist danach rechtlich eine unbewegliche Sache7, weil auch das Erbbaurecht als unbewegliche Sache behandelt wird.

3. Das Sondereigentum als Scheinbestandteil Die Begründung von Wohnungseigentum nach § 3 WEG setzt das Bestehen einer Bruchteilsgemeinschaft gemäß den §§ 741 ff. BGB an einem Grundstück voraus. Sollte das Grundstück von mehreren Eigentümern in einer anderen Konstellation gehalten werden, so muß diese __________ 7 Staudinger/Jickeli u. Stieper, § 95 Rz. 24, 28; MünchKomm/v. Oefele, 4. Aufl, § 12 ErbbauVO Rz. 2; Larenz/Wolf, a. a. O., § 20 Rz. 62; es handelt sich jedoch nicht um eine Ausnahme zu § 95 Abs. 1 BGB, da diese Vorschrift nur eine negative Zuordnung postuliert – kein wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks –, jedoch keine positive Eigentumsaussage trifft – wie z. B. § 12 Abs. 1 Satz 1 ErbbauVO.

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in Bruchteilseigentum umgewandelt werden. Die §§ 93, 94 BGB besagen, daß die Bruchteilsgemeinschaft an Grund und Boden sich auf die wesentlichen Bestandteile des Grundstücks erstreckt, so daß auch das Gebäude mit allen seinen Räumen im Bruchteilseigentum steht. Hier ermöglicht § 3 Abs. 1 WEG eine Beschränkung des Miteigentums in der Weise, daß jedem Miteigentümer „abweichend von § 93 des Bürgerlichen Gesetzbuches das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung“ eingeräumt wird. Dieses Sondereigentum ist alleiniges Eigentum desjenigen Miteigentümers, mit dessen Miteigentumsanteil es verbunden wurde. Die sondereigentumsfähige Wohnung wird danach durch einen Auseinandersetzungsvertrag der Miteigentümer und durch dessen Eintragung im Grundbuch zum Alleineigentum mit der Konsequenz, daß insoweit eine dingliche Neuzuordnung von wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks sich vollzieht8. Mit der gesetzlich verlangten Abweichung zu § 93 BGB wird zum Ausdruck gebracht, daß nur solche Wohnungen, die wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind, zum Sondereigentum erklärt werden können. Nach vollzogener Wohnungseigentumsbegründung besteht also an ein und demselben Grundstück gemeinschaftliches Eigentum und Sondereigentum (Alleineigentum). Dieses Sondereigentum stellt sich in Bezug auf das Grundstück als Scheinbestandteil dar. Es unterfällt § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB als ein Gebäude oder ein anderes Werk, das in Durchbrechung des Akzessionsprinzips – gemäß dem WEG – von dem Wohnungseigentümer mit dem Grundstück verbunden wurde. Dieses Sondereigentum ist jedoch mit dem Miteigentumsanteil gemäß § 6 Abs. 1 WEG untrennbar verbunden. Es gehört danach zur Kategorie der unbeweglichen Sachen, womit das Grundstücksrecht auch auf das Sondereigentum anwendbar bleibt. Das Sondereigentum ist nach seiner Entstehung lediglich mit den Belastungen behaftet, die entweder an allen Miteigentumsanteilen bestehen oder an demjenigen Miteigentumsanteil alleine, mit dem das Sondereigentum verbunden ist. Belastungen anderer Miteigentumsanteile, die mit anderen Sondereigentumsrechten verbunden wurden, bestehen bei dem erstgenannten Sondereigentum nicht mehr.

4. Beendigung der Eigenschaft als Scheinbestandteil Erlischt das Erbbaurecht, so werden die Bestandteile des Erbbaurechtes, also insbesondere das mit ihm verbundene Gebäude, Bestandteile des Grundstücks (§ 12 Abs. 3 ErbbauVO). Mit der Aufhebung des Wohnungs__________ 8 Weitnauer/Briesemeister, § 3 Rz. 20; Staudinger/Rapp, § 3 WEG Rz. 27 ff.

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eigentums entfällt das Sondereigentum; an seine Stelle tritt gemäß §§ 3, 4 WEG iVm §§ 741 ff., 1008 BGB die Bruchteilsgemeinschaft, womit ein Zustand wiederhergestellt wird, wie er vor Begründung von Wohnungseigentum bestand. In beiden Fällen endet sonach die Eigenschaft als Scheinbestandteil des Grundstücks bzgl. des Gebäudes bzw. des Sondereigentums. In diesem Bereich unterscheiden sich die gebundenen Scheinbestandteile des Erbbaurechtes bzw. des Wohnungseigentums von den sonstigen Bestandteilen gemäß § 95 BGB. Ist der Zweck vorüber, der für die Verbindung von Sachen mit dem Grund und Boden entscheidend war oder ist das Recht erloschen, in dessen Ausübung an einem fremden Grundstück ein Gebäude errichtet wurde, so bleiben die Gebäude als selbständige bewegliche Sachen im Eigentum des früheren Berechtigten bestehen9. Es gibt keinen gesetzlichen Eigentumsübergang zugunsten des Grundstückseigentümers.

5. Ergebnis Das mit dem Erbbaurecht verbundene Gebäude und das mit dem Miteigentumsanteil verbundene Sondereigentum sind jeweils wesentliche Bestandteile in Bezug auf das Recht, mit dem sie verbunden sind und Scheinbestandteile in Bezug auf das Grundstück. Da sie untrennbar mit einem Recht bzw. Miteigentumsanteil verbunden sind, gehören sie zu den unbeweglichen Sachen, auf die das Grundstücksrecht anwendbar ist. Damit unterscheiden sie sich von den sonstigen Scheinbestandteilen des § 95 BGB, die als bewegliche Sachen zu klassifizieren sind und auf die dementsprechend das Mobiliarsachenrecht anzuwenden ist. Gebundene Scheinbestandteile gehen bei Beendigung des Rechtsverhältnisses, auf dem sie beruhen, auf den Grundstückseigentümer über; ungebundene Scheinbestandteile führen bei Beendigung des Rechtsverhältnisses, auf dem sie beruhen, zu keiner Rechtsänderung. Die weitere Abwicklung richtet sich nach dem der Entstehung des Scheinbestandteils zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Der gebundene Scheinbestandteil ist identisch belastet mit dem Recht bzw. Miteigentumsanteil, mit dem er verbunden ist, nicht aber mit den am Grundstück bzw. an anderen Miteigentumsanteilen lastenden Rechten. Der Rechtsgedanke des § 12 Abs. 1 Satz 3 ErbbauVO ist auf das Sondereigentum entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, daß die Haftung des Son__________ 9 BGH NJW 2000, 1032; WM 1998, 1635.

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dereigentums für Belastungen, die nur an anderen Miteigentumsanteilen lasten, erlischt.

II. Vereinbarungen über den Inhalt des Erbbaurechts und des Sondereigentums Das Erbbaurecht und das Wohnungseigentum unterscheiden sich von dem allgemeinen Grundstückseigentum u. a. dadurch, daß bei den erstgenannten Instituten Vereinbarungen über den Inhalt des Erbbaurechtes bzw. des Sondereigentums zulässig sind, während bei dem allgemeinen Eigentum der Inhalt desselben ausschließlich durch das Gesetz vorgegeben wird. Dabei zählt die ErbbauVO die Bereiche, über die eine Vereinbarung geschlossen werden kann, abschließend auf (§§ 2, 5, 27 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 1 Satz 2). Demgegenüber enthält das WEG in § 10 Abs. 1 Satz 2 sowohl eine Generalklausel als auch in weiteren Bestimmungen besondere Ermächtigungen der Wohnungseigentümer, Vereinbarungen über bestimmte Angelegenheiten abzuschließen (z. B. § 15 Abs. 1, § 21 Abs. 1, § 23 Abs. 1, § 26 Abs. 1 Satz 4, § 27 Abs. 2). Vereinbarungen, auch im Sinne der Generalklausel des § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG, betreffen stets das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer untereinander, also die Rechte und Verpflichtungen, die sich aus ihrem Miteigentum und aus dem Sondereigentum untereinander ergeben. Sie betreffen nicht den Gegenstand des gemeinschaftlichen Eigentums und des Sondereigentums, insbesondere betreffen sie nicht die Bereiche, die nur durch formpflichtige Verträge gemäß §§ 3, 4 WEG mit nachfolgender Grundbucheintragung geregelt werden können10. Entscheidend ist jedoch, daß die wohnungseigentumsrechtlichen Vereinbarungen gemäß §§ 5 Abs. 4, 8 Abs. 2, 10 Abs. 2 WEG durch Grundbucheintragung zum „Inhalt des Sondereigentums“ gemacht werden können. Eine dementsprechende Eintragungsvorschrift besteht für das Erbbaurecht nicht. Es kann jedoch nicht zweifelhaft sein, daß auch der vertragsmäßige Inhalt eines Erbbaurechtes in das Grundbuch eingetragen werden kann bzw. eingetragen werden muß, wenn eine Wirkung für und gegen Rechtsnachfolger erreicht werden soll. Die Eintragungsmöglichkeit und Notwendigkeit ergibt sich jedenfalls mittelbar aus den Grundbuchvorschriften (§ 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ErbbauVO) wo bei Eintragung des Erbbaurechtes auch auf den Inhalt desselben, wie er sich __________ 10 BGH NJW 2003, 2165; BayObLGZ 2000, 2; 1997, 238; Staudinger/Kreuzer, § 10 Rz. 97 ff.; Weitnauer/Lüke, § 10 Rz. 35.

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aus der Eintragungsbewilligung ergibt, Bezug genommen werden kann. Diese Vorschriften zum Erbbaurecht finden ihre Entsprechung im Wohnungseigentum in § 7 Abs. 3 WEG, wo zur näheren Bezeichnung des Inhalts des Sondereigentums, also bezüglich der Vereinbarungen die hierzu getroffen wurden, ebenfalls auf die Eintragungsbewilligung Bezug genommen werden kann.

1. Das Eigentum mit vereinbartem Inhalt Gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG besteht der verfassungsrechtliche Auftrag und die dementsprechende Ermächtigung an den Gesetzgeber, den Inhalt des Eigentums durch die Gesetze zu bestimmen. Hiervon hat der Gesetzgeber in den §§ 903 ff. BGB Gebrauch gemacht. Die maßgebliche Überschrift des ersten Titels des dritten Abschnitts des dritten Buches des BGB lautet: „Inhalt des Eigentums“. Der Inhalt des Grundstückseigentums, vor allem in nachbarschaftlicher Beziehung, ist durch die §§ 906 ff. BGB, auch in Verbindung mit landesrechtlichen Vorschriften, eingehend geregelt. Sollen zwischen verschiedenen Grundstückseigentümern Regelungen getroffen werden, die von den §§ 903 ff. BGB abweichen, so bedürfen diese, wenn sie gegenüber einem Rechtsnachfolger wirksam sein sollen, der Bestellung eines beschränkten dinglichen Rechtes mit entsprechender Grundbucheintragung. Das Eigentum, insbesondere auch das Grundstückseigentum, wird danach vom BGB als inhaltlich feststehend betrachtet und kann lediglich – mit dinglicher Wirkung – durch Belastung des Eigentums eingeschränkt oder verändert werden. Eine dinglich wirkende Inhaltsvereinbarung bezüglich des allgemeinen Grundstückseigentums ist im BGB nicht vorgesehen11. In diesem Punkt unterscheiden sich die Sonderformen des Eigentums Erbbaurecht und Wohnungseigentum vom allgemeinen Grundstückseigentum. Beide Sonderformen des Eigentums sind dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Alleineigentümer – Sondereigentümer beim Wohnungseigentum bzw. Grundstückseigentümer und Gebäudeeigentümer beim Erbbaurecht – in einem langfristigen Rechtsverhältnis miteinander verbunden sind, das aufgrund eines besonders intensivierten Nachbarschaftsverhältnisses (Wohnungseigentum) bzw. einer rechtlichen Teilung der Eigentümerbefugnisse beim Erbbaurecht besonderes Streitpotential in sich birgt. Die Konfliktträchtigkeit hängt dabei von __________ 11 MünchKomm/Röll [3. Aufl.] WEG, vor § 1 Rz. 16; Merle, System S. 189; vgl. auch Staudinger/Seiler, BGB [2002], vor §§ 903 ff. Rz. 7 ff.

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zahllosen Faktoren ab, die mit den Besonderheiten der Grundstücksund Gebäudenutzung, den Wünschen und Verhaltensweisen der verschiedenen Eigentümer bis hin zu Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten zusammenhängen. Dies ist der Grund, weshalb der Gesetzgeber den Beteiligten dieser Sonderformen des Eigentums das Recht eingeräumt hat, den Inhalt des Sondereigentums bzw. den Inhalt des Erbbaurechtes vertraglich zu regeln. Die Beteiligten stehen der konkreten Situation wesentlich näher als der Gesetzgeber und können deshalb den Regelungsbedarf bezüglich potentieller Konfliktfelder besser erkennen und sachnäher regeln als das abstrakte Gesetz. Es hält sich deshalb im verfassungsrechtlichen Rahmen und ist auch von der allgemeinen Zivilrechtsdogmatik her nicht ausgeschlossen, daß es der Gesetzgeber den unmittelbar Betroffenen gestattet, ihr eigentumsrechtliches Innenverhältnis (Gemeinschaftsverhältnis beim Wohnungseigentum; Rechte und Verpflichtungen des Grundstückseigentümers/Erbbauberechtigten beim Erbbaurecht) vertraglich auszugestalten, wobei beim Wohnungseigentum eine Generalklausel maßgeblich ist, beim Erbbaurecht ein enumeratives Prinzip. Bei beiden Sonderformen des Eigentums hat der Gesetzgeber den Beteiligten danach Gestaltungsmöglichkeiten in die Hand gegeben.

2. Schuldrechtliche oder dingliche Natur der Vereinbarungen Im Bereich des Wohnungseigentums besteht über die Qualifikation der Vereinbarung heftiger Streit12. Es geht darum, ob die Vereinbarung lediglich schuldrechtliche Wirkung unter den Beteiligten erzeugt oder ob ihr dingliche Wirkung für und gegen Rechtsnachfolger beizumessen ist. Die Entscheidung hierüber ist nicht nur akademischer Natur, sondern auch von erheblicher praktischer Bedeutung. Wer den Vereinbarungen lediglich schuldrechtlichen Charakter zumisst, legt der Grundbucheintragung lediglich eine Wirkung gegen den Sonderrechtsnachfolger bei. Dieser hat z. B. zu dulden, daß er infolge Einräumung eines Sondernutzungsrechtes von seinem Mitgebrauchsrecht, das sich aus § 13 Abs. 2 WEG ergibt, ausgeschlossen ist. Wer dagegen die vom Sondernutzungsrecht begünstigte Einheit erwirbt, kann sich nicht auf die entsprechende Grundbucheintragung berufen, da das Sondernutzungs__________ 12 Vgl. Häublein, Sondernutzungsrechte, 2003, S. 29 ff.; Weitnauer/Lüke, § 10 Rz. 29 ff.; Schnorr, Die Gemeinschaft gem. §§ 741 ff. BGB, 2004, S. 37 ff.; Staudinger/Rapp, WEG, Einl. Rz. 57 ff.; Bamberger-Roth/Hügel, WEG § 10 Rz. 7.

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recht – genauer: die hierzu begründete Vereinbarung – durch Abtretung schuldrechtlicher Ansprüche des begünstigten Wohnungseigentümers gegenüber den anderen Wohnungseigentümern erworben wird und bei einer Forderungsabtretung ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist. Bejaht man dagegen die dingliche Rechtsnatur der eingetragenen Vereinbarung, so hat die Eintragung konstitutive Wirkung bezüglich des Rechtsinhaltes des Wohnungseigentums mit der Konsequenz, daß ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 892 BGB möglich ist. Beim Erbbaurecht besteht eine solche Verständnisdiskrepanz nicht. Hier herrscht durchgehend die Auffassung, daß die Vereinbarungen nach den §§ 2, 5, 27 Abs. 1 Satz 2 und 32 Abs. 1 Satz 2 ErbbauVO durch Grundbucheintragung zum Rechtsinhalt werden und ohne weiteres auch für und auch gegen Sonderrechtsnachfolger wirken13. Die dingliche Wirkung der Vereinbarungen sowohl beim Erbbaurecht als auch beim Wohnungseigentum ergibt sich auch aus weiteren Überlegungen: – Die Vereinbarungen sind sowohl beim Wohnungseigentum als auch beim Erbbaurecht fakultativ. Werden Vereinbarungen nicht getroffen, gilt das Rechtsverhältnis mit seinem gesetzlichen Inhalt. Der gesetzliche Inhalt wirkt zweifelsohne dinglich für und gegen jeden Rechtsnachfolger. Wenn das Gesetz jedoch den Beteiligten die Möglichkeit einräumt, abweichende Vereinbarungen über den Inhalt des Rechtes zu schließen, so ist nicht einzusehen, weshalb der vereinbarte Inhalt des Rechtes für den Rechtsnachfolger eine schwächere Rechtsposition beinhalten sollte als der gesetzliche. – Erbbaurecht und Wohnungseigentum können als grundstücksgleiches Recht bzw. Grundstückseigentum zweifelsfrei gutgläubig erworben werden. Es stellt einen Wertungswiderspruch dar, wenn das Recht bzw. das Eigentum als solches zwar gutgläubig erworben werden kann, nicht aber die – im Verhältnis zur Rechtseinräumung nachrangige – vertragliche Inhaltsausgestaltung des Rechtes. Dies sei an einem Beispiel dargestellt: Ist die Begründung des Wohnungseigentums durch arglistige Täuschung bewirkt worden und infolge erklärter Anfechtung die Begründung des Wohnungseigentums nichtig (ob ex tunc oder ex nunc kann hier dahingestellt bleiben), und wird danach bei entsprechender Grundbuchlage eine Einheit von __________ 13 BGH NJW 1954, 1443; Palandt/Bassenge, ErbbauVO § 2 Rz. 1; Staudinger/ Rapp, ErbbauVO § 2 Rz. 6; Beck’sches Notarhandbuch/Eichel, 3. Aufl. Rz. 52 ff.; Bamberger-Roth/Maaß, § 2 ErbbauVO Rz. 1; MünchKomm/v. Oefele, § 2 ErbbauVO Rz. 6; Ingenstau/Hustedt, Erbbaurecht, 8. Aufl. § 2 Rz. 2, 5.

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Identische Strukturen bei Erbbaurecht und Wohnungseigentum

einem gutgläubigen Dritten erworben, so müßte die Lehre von der schuldrechtlichen Natur der Vereinbarung annehmen, daß zwar die Hauptsache – das Wohnungseigentum – gutgläubig erworben wurde, nicht jedoch das hierzu gehörige Sondernutzungsrecht.

3. Ergebnis Die internen Rechtsbeziehungen zwischen den Wohnungseigentümern bzw. zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Erbbauberechtigten können im Rahmen der gesetzlichen Öffnungsklauseln durch eintragungsfähige Vereinbarungen mit dinglicher Wirkung für und gegen Rechtsnachfolger geregelt werden. In Abweichung zum allgemeinen Grundstückseigentum gibt das Gesetz den Beteiligten dieser Sonderformen des Eigentums die Möglichkeit, eine dinglich abweichende Inhaltsgestaltung des Rechtes (Wohnungseigentum, Erbbaurecht) zu vereinbaren.

III. Die Begründung von Erbbaurecht und von Wohnungseigentum 1.

Die vertragliche Begründung

Die ErbbauVO geht in Verbindung mit § 873 BGB selbstverständlich davon aus, daß die Begründung des Erbbaurechtes durch dinglichen Vertrag zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Erbbauberechtigten erfolgt, der mit Eintragung im Grundbuch das Recht zur Entstehung bringt. Für das Wohnungseigentum sieht § 3 WEG (ergänzt mit der Formpflicht des § 4 WEG) ebenfalls eine vertragliche Begründung des Wohnungseigentums vor in der Weise, daß das Miteigentum beschränkt wird durch die Einräumung von Sondereigentum. Beide Begründungsvorgänge enthalten keine sachenrechtlichen Besonderheiten; sie folgen vielmehr dem Prinzip der dinglichen Einigung und der Eintragung (§ 873 BGB).

2. Vorratsgründung Mit § 8 WEG hat der Gesetzgeber sachenrechtliches Neuland begründet. Durch einseitige Erklärung des Eigentümers gegenüber dem Grundbuchamt in Verbindung mit einer entsprechenden Grundbucheintra281

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gung ist die Begründung von Wohnungseigentum möglich. Dabei wird durch einseitige Erklärung (in Abweichung von der vertraglichen Regelung des § 3 WEG) Alleineigentum in Miteigentumsanteile aufgeteilt und jeder Miteigentumsanteil mit einem Sondereigentum an einer in sich abgeschlossenen Wohnung verbunden. Für das Erbbaurecht fehlt eine ausdrückliche dementsprechende einseitige Begründungsmöglichkeit. Sie wird jedoch von der h. M. bejaht und das entstehende Recht als „Eigentümererbbaurecht“ bezeichnet14. Beim Erbbaurecht ist danach in gleicher Weise wie beim Wohnungseigentum eine „Vorratsgründung“ möglich.

3. Begründung bei bestehenden Gebäuden Wohnungseigentum und Erbbaurecht können ausdrücklich auch bei bestehenden Gebäuden begründet werden. Bei Wohnungseigentum existiert dabei der Gegenstand des künftigen Sondereigentums von Anfang an mit der Folge, daß mit Grundbucheintragung ein auch vom Gegenstand des Sondereigentums her vollwertiges Recht entsteht. Eine entsprechende Regelung besteht auch beim Erbbaurecht für ein bereits existentes Bauwerk, das mit Entstehung des Erbbaurechtes wesentlicher Bestandteil desselben und damit Eigentum des Erbbauberechtigten wird (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ErbbauVO). In beiden Fällen tritt sonach mit Grundbuchvollzug die dingliche Rechtsänderung bezüglich eines wesentlichen Bestandteils (Sondereigentum, Gebäude) ein.

4. Begründung von Wohnungseigentum/Erbbaurecht bei zu errichtenden Gebäuden Nach § 3 Abs. 1 WEG kann Wohnungseigentum auch auf einem auf dem Grundstück erst noch „zu errichtenden Gebäude“ begründet werden. Dieselbe Situation setzt § 12 Abs. 1 S. 1 ErbbauVO voraus, wenn die Vorschrift davon spricht, daß das aufgrund des Erbbaurechtes errichtete Bauwerk wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechtes sei. Eine solche Errichtung ist nur denkbar, wenn das Recht als solches bereits begründet wurde und der Rechtsinhaber in dieser Qualifikation Bauherr ist. Sowohl bei Wohnungseigentum als auch beim Erbbaurecht erwächst __________ 14 BGH NJW 1982, 2381; BayObLGZ 1996, 108; Staudinger/Rapp, ErbbauVO § 1 Rz. 4 m. w. N.

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Identische Strukturen bei Erbbaurecht und Wohnungseigentum

sonach mit der Baufertigstellung das entsprechende Eigentum (Sondereigentum bzw. Eigentum am Gebäude). Man spricht deshalb in beiden Fällen von einer Anwartschaft auf den Erwerb des Sondereigentums bzw. Gebäudeeigentums15. Für den Bereich des Wohnungseigentums ist es umstritten, ob sich nach Begründung des Wohnungseigentums aus dem Gesetz selbst heraus eine Verpflichtung zur entsprechenden Bauerstellung ergibt16 oder ob eine solche eine zusätzliche, besondere Vereinbarung der Wohnungseigentümer untereinander voraussetzt17, beispielsweise die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Wer für den Wohnungseigentümer eine gesetzliche Erstellungspflicht annimmt, macht den Erwerb von Wohnungseigentum in einem noch nicht fertig gestellten Gebäude zu einem erheblichen Risiko. Die Lösung ergibt sich hier aus § 2 Nr. 1 ErbbauVO. Danach kann u. a. eine Vereinbarung zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Erbbauberechtigten über „die Errichtung … des Bauwerks“ getroffen werden. Daraus folgt, daß eine gesetzliche Errichtungspflicht des Erbbauberechtigten nicht besteht; eine dinglich wirkende Errichtungspflicht kann lediglich über eine entsprechende Vereinbarung18 begründet werden. Ein Interesse des Grundstückseigentümers an der Errichtung des Bauwerkes besteht deshalb, weil ihm das diesbezügliche Eigentum mit Beendigung des Erbbaurechtes gemäß § 12 Abs. 3 ErbbauVO oder auch bei einem Heimfall zufällt. Dieses Interesse des Grundstückseigentümers ist vergleichbar mit dem Interesse der Wohnungseigentümer eines noch nicht hergestellten Gebäudes, das gemeinschaftliche Eigentum und das Sondereigentum an diesem durch Bauerstellung zu erwerben. Es bedarf deshalb – entsprechend der Regelung im Erbbaurecht – für die Begründung einer Erstellungsverpflichtung einer gesonderten Vereinbarung der Eigentümer untereinander.

5. Ergebnis Auch bei der Begründung von Erbbaurecht und Wohnungseigentum bestehen vergleichbare rechtliche Strukturen. Beide Rechte können so__________ 15 Wenzel, DNotZ 1993, 299; Weitnauer/Briesemeister, § 3 Rz. 67; BayObLGZ 1957, 99. 16 So Lutter, AcP 164, 143; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl, § 3 Rz. 26; § 11 Rz. 37; Staudinger/Bub, WEG, § 22 Rz. 280 ff. 17 BayObLGZ 1957, 100; Weitnauer/Briesemeister, § 3 Rz. 68; Staudinger/Rapp, § 3 Rz. 38. 18 MünchKomm/v. Oefele, ErbbauVO 4. Aufl. § 2 Rz. 9.

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wohl auf vertragliche Weise als auch einseitig durch Vorratsgründung entstehen und zwar sowohl bei bestehenden Gebäuden als auch bei erst noch zu errichtenden Gebäuden. Eine dinglich wirkende Gebäudeerstellungsverpflichtung besteht bei beiden Instituten nicht. Der Rechtsinhaber hat lediglich eine Anwartschaft (kein dinglich wirkendes Anwartschaftsrecht) auf Erwerb des Miteigentums bzw. Sondereigentums bei Wohnungseigentum bzw. des Gebäudeeigentums beim Erbbaurecht.

IV. Zusammenfassung Erbbaurecht und Wohnungseigentum sind in ihren rechtlichen Strukturen weitgehend identisch. Dies gilt sowohl für die Durchbrechung des Akzessionsprinzips als auch für die Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen den Wohnungseigentümern einerseits, soweit sich diese aus dem Gemeinschaftsverhältnis ergeben und zwischen Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigten andererseits. Diese Rechtsverhältnisse können als Inhalt des jeweiligen Rechtes mit dinglicher Wirkung ausgestaltet werden und wirken bei Grundbucheintragung für und gegen Rechtsnachfolger. Auch bei der Begründung von Wohnungseigentum und Erbbaurecht bestehen parallele Strukturen der Gründungsvorgänge. Rechtsdogmatisch betrachtet ist danach das Wohnungseigentum ein geklontes Erbbaurecht.

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Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB Peter Baukelmann Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Problemstellung 2. Grundlagen II. Fälle personeller Diskontinuität 1. Einzelperson als Pächter 2. Pächtergesellschaft/Umwandlungen 3. Änderungen auf der Gesellschafterebene

4. Die Außen-GbR III. Ausübungsschranken 1. Fragestellung 2. Kündigungsrecht trotz Kontinuität 3. Grenzen des Kündigungsrechts bei Diskontinuität IV. Ergebnis

I. Einleitung 1. Problemstellung a) Im Vertragsrecht scheint auf den ersten Blick eine personelle Kontinuität für die Zeit der Vertragsdurchführung eine Selbstverständlichkeit zu sein. Die Vertragspartner haben auf der Grundlage ihrer Auswahlfreiheit ihren Vertragspartner (aus den verschiedensten Motiven heraus) gewählt. Diese Wahl wird häufig von der Erwartung getragen sein, daß auch die Vertragsausführung zwischen den Partnern geschieht. Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch, daß die Bedeutung personeller Kontinuität im Vertragsrecht unterschiedlich groß sein kann. Dies beginnt bereits mit der Auswahl des Vertragspartners. Bei den alltäglichen Umsatzkleingeschäften ist die Person des Vertragspartners häufig ohne Bedeutung. Hier kommt der Gesichtspunkt personeller Kontinuität schon deshalb nicht zum Tragen, weil derartige Umsatzgeschäfte wirtschaftlich wenig bedeutsam und in kurzer Zeit abgewickelt sind. Andererseits kann gerade bei auf Dauer angelegten Rechtsverhältnissen von wirtschaftlichem Gewicht der Gesichtspunkt personeller Kontinuität stark in den Vordergrund rücken. Das zeitliche Moment und das wirtschaftliche Gewicht der beteiligten Interessen

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können mithin in besonderem Maße die Notwendigkeit einer Kontinuität begründen. Durchbrechungen der personellen Kontinuität sind allerdings im Gesetz angelegt. § 398 BGB geht im Grundsatz von der Fungibilität vertraglich begründeter Forderungen aus. Eine Vertragsdurchführung unter Ausschluß von Einflußmöglichkeiten Dritter ist also ungeachtet der Parteivorstellungen bei Auswahl des Vertragspartners doch nicht selbstverständlich. Schutz vor den Einflußmöglichkeiten Dritter bietet hier nur die Vereinbarung eines Abtretungsausschlusses (sog. Abtretungsverbot) i. S. von § 399 Alt. 2 BGB. Zudem kennt das Gesetz Fälle der Sukzession, sei es die Singular-, sei es die Universalsukzession. In derartigen Fällen (etwa im Erbfall oder auch in Fällen noch anzusprechender Umwandlungsvorgänge) kann es zu einem Wechsel einer Vertragspartei kommen, ohne daß es der Zustimmung der Vertragsgegenseite bedarf. Daß hier ein Konfliktpotential besteht, läßt sich für diejenigen Vertragsverhältnisse nicht bestreiten, für welche die personelle Kontinuität von besonderer Bedeutung ist. Hierzu zählen insbesondere die Gebrauchsüberlassungsverträge (Miete/Pacht/Leihe), Vertragsverhältnisse, bei denen einem anderen eine Sache zum Gebrauch (im Falle der Pacht auch zur Fruchtziehung) übergeben wird. Diese Vertragsverhältnisse kennen – in verschiedenen Abstufungen – das Verbot einer Überlassung des Gebrauchs an Dritte (§§ 589, 540, 553, 603 BGB). Diese Personengebundenheit bei der Gebrauchsüberlassung wird (was allerdings nicht ganz unbedenklich ist) sogar dahin verstanden, daß das Nutzungsrecht des Pächters/Mieters grundsätzlich nicht übertragbar sein soll1. Dennoch kann es bei Gebrauchsüberlassungsverträgen, insbesondere im Rahmen der hier zu behandelnden Landpachtverträge, zu personellen Veränderungen kommen, welche die Frage aufwerfen, ob der Verpächter diese Veränderungen hinnehmen muß oder ob er gegenteilig deren Unterlassung verlangen bzw. das Vertragsverhältnis lösen kann. Der allgemein vorgegebene Interessenkonflikt zwischen einerseits Wahrung der personellen Kontinuität und andererseits der Möglichkeit zu personellen Veränderungen kann hier deutlich zutage treten. Die Frage ist, nach welchen Kriterien ein solcher Konflikt zu lösen ist. b) Als Ausgangsfälle für die weitere Betrachtung sollen zwei Entscheidungen des Landwirtschaftssenats des Bundesgerichtshofes dienen. Zum __________ 1 Staudinger/Busche, BGB, 1999, § 399 Rz. 8 m. w. N.

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Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB

einen der Pflugtausch-Fall2 und zum anderen der Verschmelzungs-Fall3. Worum ging es in diesen Fällen? Im Pflugtausch-Fall vereinbarte ein Landwirt mit einem anderen einen Flächentausch. Dies geschah vor dem Hintergrund der Besonderheiten in den neuen Bundesländern und der dort festzustellenden Üblichkeit und Notwendigkeit eines Pflugtausches. Die Überlassung der gepachteten landwirtschaftlichen Nutzfläche war dem Pächter (in Übereinstimmung mit § 589 BGB) vertraglich untersagt. Deshalb sah der Bundesgerichtshof eine Pflichtverletzung als gegeben an und bestätigte die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung des Verpächters. Die eingewandte wirtschaftliche Notwendigkeit zum Pflugtausch wurde von ihm nicht für durchgreifend erachtet. Anders entschied der BGH im Verschmelzungs-Fall. Die Kläger hatten landwirtschaftlich genutzte Grundstücke an eine W-GmbH verpachtet. Auch hier war eine Überlassung an Dritte gemäß § 589 BGB untersagt. Die Pächtergesellschaft schloß sodann als übertragende Gesellschaft mit einer F-GmbH einen Verschmelzungsvertrag, aufgrund dessen die F-GmbH als Rechtsnachfolgerin in das Pachtverhältnis eintrat. Ob der Verschmelzungsvorgang wirtschaftlich vernünftig, gar notwendig war, ist nicht festgestellt. Diesen Fall personeller Diskontinuität sah der BGH nicht als unerlaubte Gebrauchsüberlassung an Dritte an und vermochte auch ein Recht zur Kündigung der Verpächterseite aus wichtigem Grunde nicht anzuerkennen. Zwischen Drittüberlassung und Pächterwechsel bestehe ein „strukturelle(r) Unterschied“4. Die Interessen des Verpächters seien durch die Gläubigerschutzvorschriften des Umwandlungsgesetzes hinreichend gewahrt. Sonstige Gründe habe der darlegungsbelastete Verpächter nicht vorgebracht. Stellt man beide Entscheidungen gegenüber, so drängt sich die Frage auf, ob hier nicht ein Wertungswiderspruch vorliegt. Während im Pflugtausch-Fall immerhin eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die Überlassung der Flächen angeführt werden konnte, ist solches im Verschmelzungs-Fall nicht ersichtlich. Man kann sich weiterhin die Frage stellen, ob nicht der Wechsel des Vertragspartners ohne Zustimmung des Verpächters einen weit schwerwiegenderen Eingriff in die zu wahrende personelle Kontinuität darstellt als die schlichte Überlassung des Ge__________ 2 BGH, Urt. v. 5.3.1999 – LwZR 7/98, WM 1999, 1293 = AgrarR 1999, 212. 3 BGH, Urt. v. 26.4.2002 – LwZR 20/01, BGHZ 150, 365. 4 BGHZ 150, 365 (368).

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brauchsgegenstandes an einen Dritten. Auch drängt sich die Folgeüberlegung auf, ob nicht durch die Entscheidung im VerschmelzungsFall für Umwandlungsfälle eine Fungibilität von Vertragspositionen begründet worden ist, die sich mit allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts und insbesondere solchen des Landpachtrechtes nicht verträgt. So könnte man, ohne daß solches an dieser Stelle vertieft werden kann, den Pflugtausch-Fall so bilden, daß auf beiden Seiten jeweils umwandlungsfähige Gesellschaften beteiligt sind und diese sodann jeweils im Wege der Abspaltung mit einem Teilbetrieb die gepachteten Flächen an die andere Gesellschaft übertragen mit der Folge einer jeweiligen sog. partiellen Gesamtrechtsnachfolge. Geht man, bei entsprechend geschickter Gestaltung, von der Möglichkeit eines solchen Vorganges aus5, so drängt sich die Vergleichbarkeit des in dieser Weise vorgenommenen Pächterwechsels mit der unerlaubten Drittüberlassung auf6. Im folgenden soll die Frage untersucht werden, welche Veränderungen auf seiten des Pächters als Drittüberlassung anzusehen sind, ob insbesondere Umwandlungsvorgänge und ein Wechsel auf Pächterseite dieser gleichzustellen sind. Die Beantwortung der Frage kann fallentscheidend sein. Denn liegt eine unerlaubte Drittüberlassung vor, so steht ein vertragswidriger Gebrauch fest, der grundsätzlich eine fristlose Kündigung des Pachtverhältnisses rechtfertigen würde (§§ 594e Abs. 1, 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Lehnt man dies ab, so wäre ein Grund zur fristlosen Kündigung nicht ohne weiteres gegeben. Die Frage nach der Bedeutung von Umwandlungsvorgängen ist auch nicht etwa nur von rein theoretischer Natur. Zwar ist eine gewisse Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber kaufmännischen Gepflogenheiten in der Landwirtschaft in Rechnung zu stellen, die er nach wie vor in § 3 HGB pflegt. Dennoch steht das Handelsregister landwirtschaftlichen Betrieben durchaus offen. Der Gesetzgeber hat insoweit eine Wahlmöglichkeit eingeräumt7. Eine Eintragung als Einzelkaufmann auf Pächterseite ist deshalb ebenso möglich wie die Eintragung einer Personenhandels- oder Kapitalgesellschaft. Daß dies alles kein theoretisches Problem ist, zeigt zudem der bereits angesprochene Verschmelzungs-Fall des BGH, an dem zwei landwirtschaftliche GmbH beteiligt waren. Ohnehin dürften sich ab einer gewissen Größe kaufmännische Organisationsformen anbieten. __________ 5 Auch das Problem einer Überkreuzbeteiligung ließe sich lösen. 6 In diese Richtung weist BGH, Urt. v. 8.10.2003 – XII ZR 50/02, NJW-RR 2004, 123 re. Sp. 7 Röhricht in Röhricht/von Westphalen, HGB, 2. Aufl., § 3 Rz. 1.

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Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB

2. Grundlagen Ausgangspunkt der weiteren Betrachtung hat der Wortlaut des § 589 BGB zu sein. Dieser spricht davon, daß der Pächter ohne Erlaubnis des Verpächters die Nutzung der Pachtsache einem Dritten überlassen hat (§ 589 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Weiterhin wird von einer Überlassung zur gemeinsamen Nutzung an einen landwirtschaftlichen Zusammenschluß gesprochen (§ 589 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Gemeinsam ist beiden Bestimmungen die Überlassung der Nutzung der Pachtsache an einen Dritten, wie sich aus § 589 Abs. 2 BGB zusätzlich folgern läßt. Es bedarf also zum einen einer Nutzungsüberlassung und zum anderen der Nutzung durch einen Dritten. Einig ist man sich zunächst insoweit, als es sich bei der Nutzung durch den Dritten um eine selbständige Tätigkeit handeln muß8. Die Bearbeitung von Flächen durch abhängig Beschäftigte ist keine Nutzungsüberlassung an einen Dritten. Wer „Dritter“ ist, scheint im übrigen auf den ersten Blick unproblematisch zu sein. Dritter ist derjenige, der weder mit dem Pächter noch mit dem Verpächter identisch ist. Da eine Nutzungsüberlassung an den Verpächter fernliegend ist, genügt die Feststellung, daß ein Dritter jede Person ist, die mit dem Pächter nicht identisch ist9. Im Einzelfall auf die Frage eine Antwort zu finden, ob eine Drittüberlassung vorliegt, scheint somit problemlos möglich zu sein. Nicht beantwortet mit der reinen Wortlautinterpretation ist aber die Frage, ob im Wege wertender Betrachtung sonstige Fälle personeller Diskontinuität der Drittüberlassung gleichzustellen sind. Das richtet den Blick auf den bereits angesprochenen Fall des Pächterwechsels. Nicht zu bestreiten ist, daß dem Wortlaut nach dieser Fall von § 589 BGB nicht erfaßt ist10. Dort wird ein Dreipersonenverhältnis vorausgesetzt, das beim Pächterwechsel nicht vorliegt. Insbesondere die Zurechnungsnorm des § 589 Abs. 2 BGB kann bei einem Pächterwechsel naturgemäß nicht greifen. Daß es in besonderen Fällen zu einem Pächterwechsel kommen kann, hat der Gesetzgeber zudem durchaus bedacht, allerdings begrenzt auf erbrechtliche Sukzessionen. In § 593a BGB wird im Hinblick auf eine vorweggenommene Erbfolge ein Recht zum Eintritt des Nachfolgers (für Zupachtflächen) festgelegt, dem der Verpächter nur bei Ungeeignetheit des Übernehmers widersprechen __________ 8 Faßbender/Hötzel/Lukanow, Landpachtrecht, 2. Aufl., § 589 BGB Rz. 5; Lange/ Wulff/Lüdtke-Handjery, Landpachtrecht, 4. Aufl., § 589 BGB Rz. 9. 9 Lange/Wulff/Lüdke-Handjery, Landpachtrecht, 4. Aufl., § 589 BGB Rz. 10. 10 BGHZ 150, 365 (367 f.).

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kann. In § 549d BGB wird für den Fall des Todes des Pächters ein Fortsetzungsanspruch der Erben bestimmt (§ 549d Abs. 2 BGB), wobei die Erben (sogar) eine Nutzung durch Dritte verlangen können. Es handelt sich allerdings um spezielle Vorschriften, die für den Erbfall bzw. im Vorgriff hierauf eine Durchbrechung der personellen Kontinuität erlauben. Die Kontinuität der Bewirtschaftung (Unternehmenskontinuität) ist dem Gesetzgeber insoweit wichtiger als die Wahrung der Unternehmensträgerkontinuität (personelle Kontinuität). Verallgemeinern lassen sich diese Besonderheiten aber nicht. Sonstige Fälle eines Pächterwechsels mußte der Gesetzgeber im übrigen nicht regeln. Denn nach allgemeinen Grundsätzen kann ein Pächterwechsel nur mit Zustimmung der Vertragsgegenseite erfolgen. Wird die Zustimmung des Verpächters verweigert und erfolgt dennoch die Übergabe an den in Aussicht genommenen Pächternachfolger, so liegt ohne weiteres ein Fall des § 589 BGB Abs. 1 BGB vor. Das Problem stellt sich mithin erst dann, wenn entgegen dem allgemeinen Grundsatz Sukzessionen auf der Pächterseite ohne Zustimmung des Verpächters möglich werden. Die dann erforderliche Abwägung der Interessen wird wesentlich davon bestimmt sein, in welchem Umfang das Gesetz das Kontinuitätsinteresse des Verpächters schützt. Letzteres ist jedenfalls im Pachtrecht streng geschützt. Abgesehen vom Sonderfall des § 594c BGB (Berufsunfähigkeit des Pächters) hat der Pächter keine Möglichkeiten, wenn der Verpächter einer Nutzungsüberlassung an einen Dritten widerspricht. Das gilt allgemein für das Pachtrecht (§§ 584a Abs. 1, 540 BGB). Eine Lockerung erfährt die Bindung lediglich im allgemeinen Mietrecht, in welchem dem Mieter ein Kündigungsrecht bei Verweigerung der Zustimmung zur Drittüberlassung eingeräumt wird (§ 540 Abs. 1 Satz 2 BGB), während speziell für den Fall der Wohnraummiete dem Mieter unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zugebilligt wird (§ 553 BGB). Gemeinsam ist allen Vorschriften, daß dem Grundsatz nach das Kontinuitätsinteresse des Vermieters/Verpächters als schützenswert erachtet wird, dieses Interesse aber in gestufter Form eingeschränkt wird. Während es im Wohnraummietrecht überspielt werden kann, kann im allgemeinen Mietrecht allenfalls ein mittelbarer Druck (durch die Kündigungsmöglichkeit des Mieters) Einfluß auf die Vermieterposition gewinnen. Im Pacht- und insbesondere im Landpachtrecht ist der Schutz der Verpächterposition demgegenüber strikt ausgestaltet. Hintergrund des strikten Schutzes ist das auch in der Rechtsprechung wiederholt hervorgehobene besondere Vertrauensverhältnis zwischen 292

Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB

den Parteien eines Landpachtvertrages11. Dem Pächter wird über die Möglichkeit der Fruchtziehung eine intensive Einwirkung auf den Pachtgegenstand ermöglicht, eine Einwirkung, die auch über die Dauer des Vertragsverhältnisses hinausgehende Wirkungen zu Lasten des Verpächters zeitigen kann12. Mit der strikten Festlegung einer personellen Kontinuität werden so auch mögliche Risikoveränderungen nur mit Zustimmung des Verpächters möglich13. Allerdings schützt § 589 BGB nur gegen Risikoveränderungen durch Veränderungen im personellen Bereich. Man kann etwas verkürzt von einem „Identitätsschutz“ sprechen. Sonstige Risikoveränderungen werden dort nicht erfaßt. Die sachliche Kontinuität wird vielmehr speziell in § 590 BGB geregelt. Sonstige Risikoveränderungen, insbesondere solche allgemeiner wirtschaftlicher Natur, können über § 589 BGB nicht aufgefangen werden. Sie können nur nach allgemeinen Grundsätzen die Frage nach einer Vertragsanpassung bzw. Vertragslösung aufwerfen. Legt man zusammenfassend die Regelung des BGB zugrunde, so ist der Verpächter weitgehend gegen personelle Diskontinuitäten geschützt. Abgesehen von speziellen Fällen mit erbrechtlichem und sozialrechtlichem Hintergrund kann er grundsätzlich jeglicher personellen Veränderung widersprechen. Das gilt sowohl für die Drittüberlassung i. S. von § 589 BGB als auch für Veränderungen auf seiten des Vertragspartners selbst, weil auch insoweit seine Zustimmung erforderlich ist. Dies zugrunde gelegt, sollen im weiteren verschiedene denkbare Fälle personeller Diskontinuität erörtert werden (ohne daß ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird).

II. Fälle personeller Diskontinuität 1.

Einzelperson als Pächter

a) Der Grundfall des § 589 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Überlassung des Pachtgegenstandes an einen Dritten zur alleinigen (selbständigen) Nutzung. Dem wird häufig eine Unterverpachtung zugrunde liegen, muß es aber nicht. Auch der Pflugtausch-Fall14 gehört hierher. Wird eine ge__________ 11 BGH WM 1999, 1293; BGHZ 150, 365 (370). 12 Soergel/Heintzmann, BGB, 12. Aufl., § 589 Rz. 2; Staudinger/Pikalo/von Jeinsen, BGB, 1996, § 589 Rz. 2. 13 Staudinger/Pikalo/von Jeinsen, BGB, 1996, § 589 Rz. 2. 14 BGH WM 1999, 1293.

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pachtete Fläche einem anderen Landwirt zur Nutzung überlassen, so liegt der Grundfall des § 589 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor. Die Gründe, welche der Überlassung zugrunde liegen, können allenfalls bei der Frage von Bedeutung werden, ob ein grundsätzlich mit der Drittüberlassung begründetes Kündigungsrecht (nach Abmahnung) ausnahmsweise einzuschränken ist. b) Eine Überlassung an Dritte liegt auch vor, wenn dem Dritten nicht eine alleinige Nutzung, sondern nur eine Mitbenutzung des Pachtgegenstandes ermöglicht wird15. Dieser Fall ist nicht anders zu bewerten. § 589 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist nur als klarstellende Wiederholung ohne eigenständigen Regelungscharakter anzusehen16. Auch ohne diese Vorschrift würde die Überlassung an einen Dritten zur Mitbenutzung dem Verbot unterfallen. Hierzu zählt auch der Fall, daß der Einzelpächter mit einer weiteren Person eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts begründet und sodann der Gesellschaft die Nutzung des Pachtgegenstandes ermöglicht17. Zwischen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts einerseits und dem Ursprungspächter andererseits besteht keine personelle Identität. Die Tatsache, daß der Ursprungspächter an dieser Gesellschaft beteiligt ist, ändert hieran nichts. Dieser Fall ist zu unterscheiden von derjenigen Situation, in der eine Mehrzahl von Pächtern die Nutzung des Pachtgegenstandes einer Betreiber-GmbH überläßt unter Wahrung der Personenidentität18. Es läßt sich hier zwar nicht bestreiten, daß die Betreiber-GmbH im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern „Dritte“ i. S. des § 589 BGB ist. Dennoch wird man eine Drittüberlassung nicht annehmen können, weil es an dem Erfordernis einer selbständigen Nutzung durch einen Dritten fehlt. Bei einer vollständigen Personenidentität von Pächtern und Betreibergesellschaft ist die Gesellschaft nur „verlängerter Arm“ der Pächter und ist die Nutzung durch die Betreibergesellschaft als Selbstgebrauch der Pächter anzusehen. Das Interesse des Verpächters an der personellen Kontinuität wird so nicht berührt. Das sieht anders aus, sobald weitere Personen in die Gesellschaft aufgenommen werden. Von einem Eigengebrauch kann dann keine Rede mehr sein19. __________ 15 Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, Landpachtrecht, 4. Aufl., Staudinger/Pikalo/von Jeinsen, BGB, 1996, § 589 Rz. 6. 16 BGHZ 150, 365 (368). 17 BGH NJW 2001, 2251 (für Miete). 18 BGH NJW 1955, 1066 (für Miete). 19 Staudinger/Pikalo/von Jeinsen, BGB, 1996, § 589 Rz. 9.

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§ 589

Rz. 14;

Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB

c) Sukzessionen auf Pächterseite wurden bereits angesprochen. Die privilegierten Übergabetatbestände der §§ 593a, 594d Abs. 2 BGB sind auf ganz spezielle Situationen zugeschnitten, die sich einer Verallgemeinerung entziehen. Sie zeigen aber, daß selbst in den Fällen erbrechtlich motivierter Sukzessionen der Eintritt eines Dritten als Pächter keinesfalls selbstverständlich ist. Auch hier wird das Interesse des Verpächters durchaus berücksichtigt; es tritt nur dann zurück, wenn der Nachfolgepächter die Gewähr für eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung bietet. Da ansonsten ein Pächterwechsel nur mit Zustimmung des Verpächters möglich ist, stellt sich dem Grundsatz nach kein Problem. Anders könnte die Sachlage aussehen bei einer (partiellen oder universellen) Gesamtrechtsnachfolge in Umwandlungsfällen nach dem UmwG. Für die Fallkonstellation, in der eine natürliche Einzelperson Pächter ist, sind allerdings Umwandlungsfälle praktisch wohl nicht von Bedeutung. Die natürliche Einzelperson kommt als umwandlungsfähiger Rechtsträger nicht in Betracht (§ 3 Abs. 1 UmwG); der Sonderfall des § 3 Abs. 2 Nr. 2 UmwG (übernehmender Rechtsträger als Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft als Sonderfall der Konzernverschmelzung) kann von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden. Denkbar wäre allenfalls eine Umwandlung im Wege der Ausgliederung (§ 124 Abs. 1 UmwG)20. Danach können an einer Ausgliederung als übertragender Rechtsträger auch Einzelkaufleute beteiligt sein. Es wäre denkbar, daß sich ein Landwirt als Einzelkaufmann ins Handelsregister eintragen läßt (§§ 2, 3 HGB) und sodann eine Ausgliederung (eines Teilbetriebes mit zugepachteten Flächen) auf einen übernehmenden/neuen Rechtsträger vornimmt (§§ 124 Abs. 1, 3 Abs. 1 UmwG). Die Eintragung ins Handelsregister als solche berührt jedenfalls die Identität und damit die personelle Kontinuität auf Pächterseite nicht. Betroffen ist die Verpächtersituation aber sehr wohl, wenn – Wirksamkeit der Ausgliederung unterstellt – ein neuer Pächter im Wege partieller Gesamtrechtsnachfolge die Nachfolge des Ursprungspächters antritt und damit die Nutzung des Pachtgegenstandes übernimmt. Da sich hier vergleichbare Probleme wie bei einer Spaltung/Ausgliederung von Gesellschaften stellen, soll diese Fragestellung dort, weil eher bei Gesellschaften praktisch relevant werdend, erörtert werden.

__________ 20 Die Schranken des § 152 UmwG sind zu beachten.

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2. Pächtergesellschaft/Umwandlungen a) Ist Pächter eine Gesellschaft, so kann die personelle Kontinuität in weit stärkerem Maße berührt sein als in dem Fall, in dem eine Einzelperson Pächter ist. So kann es zum einen zu Änderungen der Gesellschaft selbst kommen, insbesondere im Falle von Umwandlungen. Diese Situation soll im folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) angesprochen werden. Denkbar sind auch Änderungen nicht der Gesellschaft selbst, sondern auf der Gesellschafterebene. Auch hier kann das Interesse des Verpächters an personeller Kontinuität durchaus berührt werden (unten 3). Es soll zudem kurz auf die Frage eingegangen werden, welche Konsequenzen sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR ergeben (unten 4). Im einzelnen: b) Vorab sind die unproblematischen Fälle anzusprechen, in denen eine „Umwandlung“ einer Pächtergesellschaft die personelle Kontinuität nicht berührt. Es sind dies die Fälle, in denen sich von Rechts wegen die rechtliche Gestalt ändert, ohne daß die Identität in Mitleidenschaft gezogen wird. Das sind zum einen Fälle, in denen sich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch Eintragung in das Handelsregister in eine OHG ändert (§§ 105 Abs. 2, 2, 3 HGB)21, ebenso der umgekehrte Fall, daß eine OHG oder KG auf eine GbR herabsinkt22. Als weitere Fälle sind zum anderen diejenigen anzusprechen, in denen in einer Personenhandelsgesellschaft der letzte Mitgesellschafter wirksam ausscheidet und sich so eine OHG oder auch KG in eine natürliche Person „umwandelt“23. Ebenfalls problemlos ist schließlich die Änderung einer Kommanditgesellschaft in eine offene Handelsgesellschaft in dem Fall, daß der letzte Kommanditist geht24. Allgemein läßt sich sagen, daß Rechsformänderungen kraft Gesetzes, welche die Identität unberührt lassen, ohne Bedeutung sind. c) Ausgesprochen zweifelhaft sind demgegenüber Fälle einer Umwandlung nach dem UmwG. Das Gesetz nennt (als numerus clausus) als Umwandlungsvorgänge die Verschmelzung, die Spaltung, die Vermögensübertragung und den Formwechsel (§ 1 Abs. 1 UmwG). Von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden soll die Vermögensüber__________ 21 22 23 24

BGH NJW 1967, 821. BGH WM 1975, 99. Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 105 Rz. 8. BGHZ 68, 12.

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tragung, weil diese im landwirtschaftlichen Bereich angesichts der begrenzten Zahl beteiligter Rechtsträger (§ 175 UmwG) praktisch nicht in Betracht kommen dürfte. Betrachtet werden sollen also Fälle der Verschmelzung, der Spaltung und des Formwechsels. Abweichend von der Systematik des UmwG, welche die Verschmelzung in den Vordergrund stellt, soll hierbei zunächst auf Spaltungsfälle eingegangen werden. Denn diese Fälle erlauben durchaus einen Rückschluß auf die Frage, wie Verschmelzungsfälle im Hinblick auf § 589 BGB und die Wahrung der Interessen des Verpächters einzuordnen sind. aa) Das Gesetz unterscheidet zwischen Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung (§ 123 UmwG). Während im Falle der Aufspaltung der übertragende Rechtsträger erlischt, sind die übernehmenden Rechtsträger partielle Gesamtrechtsnachfolger. Im Gegensatz hierzu besteht im Falle der Abspaltung und der Ausgliederung der übertragende Rechtsträger fort und tritt der übernehmende Rechtsträger eine partielle Gesamtrechtsnachfolge an (§§ 123 Abs. 2, Abs. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Denkbar sind vor diesem Hintergrund Fälle, in denen etwa eine Pächter-GmbH einen Betriebsteil (etwa die Viehwirtschaft mit zugepachteten Weideflächen) im Wege der Abspaltung auf einen anderen Rechtsträger (beispielsweise eine andere GmbH) überträgt. Die Wirksamkeit dieses Vorganges hier unterstellt, hätte dies zur Folge, daß sich der Verpächter der zugepachteten Weideflächen einem neuen Pächter (im Wege partieller Gesamtrechtsnachfolge) gegenübersieht, während sein ursprünglicher Pächter fortbesteht, ohne weiterhin Pächter zu sein. Betrachtet man diesen Vorgang unter dem Blickwinkel, daß das Interesse des Verpächters an personeller Kontinuität strikt geschützt wird, so drängt sich die Frage auf, welcher Unterschied zu dem unzweifelhaft von § 589 BGB erfaßten Fall bestehen soll, daß die ursprüngliche Pächter-GmbH die Nutzung der Weideflächen der anderen GmbH schlicht überlassen hätte. Allerdings könnte einer wirksamen Abspaltung eines Teilbetriebs mit Pachtverhältnis die Vorschrift des § 132 UmwG entgegenstehen. Die Ausgliederungsfähigkeit und damit auch die Abspaltungsfähigkeit von Vertragsverhältnissen hat zwar der Bundesgerichtshof anerkannt25. Ob die Übertragung eines Pachtvertrages aus dem Vermögen des Pächters möglich ist, hat er aber ausdrücklich offengelassen (gerade wegen der Möglichkeit, die Regeln über die Untervermietung zu unterlaufen). __________ 25 BGH NJW-RR 2004, 123.

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Auch könnte hier der Gesichtspunkt des § 399 BGB hineinspielen26. § 132 Satz 1 UmwG würde aber wörtlich genommen dazu führen, daß Spaltungsvorgänge entgegen dem gesetzgeberischen Anliegen praktisch ohne Relevanz blieben. Es verwundert deshalb nicht, daß diese Vorschrift ein sehr geteiltes Echo und eine unterschiedliche Interpretation im Umwandlungsschrifttum erfahren hat27. Einigkeit dürfte jedenfalls insoweit bestehen, daß diese Vorschrift unter teleologischen Gesichtspunkten angemessen reduziert werden muß, damit Spaltungsvorgänge nicht verhindert werden. Dem Vorschlag, daß jedenfalls bei Übertragung eines Betriebsteiles28 damit zusammenhängende Vertragsverhältnisse und insbesondere auch Miet- und Pachtverhältnisse übergangsfähig sind29, also in Fällen der Wahrung der Unternehmenskontinuität, ist zuzustimmen. Diese Sicht verhindert einerseits eine willkürliche Abspaltung einzelner Vermögensteile und trägt andererseits dem gesetzgeberischen Anliegen Rechnung, durch die Eröffnung von Spaltungsvorgängen den betroffenen Unternehmen eine weitere Möglichkeit organisatorischer Umstellungen zu ermöglichen, in Abweichung von ansonsten nur mit Zustimmung des Vertragspartners möglichen Sukzessionen30. Aufgrund des „Baukastenprinzips“ des UmwG ließe sich eine Vielzahl von Fallkonstellationen bilden, die sämtlich über den Weg einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge das Interesse der Vertragsgegenseite an personeller Kontinuität berühren. Im Rahmen der Spaltung ließe sich etwa auch eine Aufspaltung der Pächtergesellschaft (mit der Folge ihres Erlöschens) in der Weise bilden, daß ein Teilbetrieb auf eine andere Gesellschaft als übernehmender Rechtsträger (mitsamt dazugehörigem Pachtverhältnis) übertragen wird und das übrige Vermögen auf eine weitere GmbH bzw. auf eine noch neu zu gründende Gesellschaft. Auch hier drängt sich eine Analogie zu § 589 BGB auf. __________ 26 Vgl. Lutter/Teichmann, UmwG, 1996, § 132 Rz. 24; Schäfer, ZHR Beiheft 68 (1999), 114 ff. 27 Semler/Stengel/Schröer, UmwG, § 132 Rz. 16 ff.; Jesch, ZHR Beiheft 68 (1999), 148 ff.; Wiesner, ZHR Beiheft 68 (1999), 168 ff.; Mayer, GmbHR 1996, 403; Rieble, ZIP 1997, 301 (309 f.) jeweils m. w. N. 28 Vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG. 29 Semler/Stengel/Schröer, UmwG, § 132 Rz. 27 f.; Lutter/Teichmann, UmwG, § 132 Rz. 13; Wiesner, ZHR Beiheft 68 (1999), 168 (171). 30 Lutter/Teichmann, UmwG, § 132 Rz. 13, dort auch zur EG-Spaltungsrichtlinie.

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Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB

Nicht berührt wird der Gesichtspunkt personeller Kontinuität allerdings, wenn bei Spaltungsvorgängen das Pachtverhältnis unberührt bestehen bleibt und die Pächtergesellschaft lediglich sonstiges Vermögen im Wege der Abspaltung/Ausgliederung auf einen übernehmenden Rechtsträger überträgt. Solche Vorgänge können zwar dazu führen, daß weitgehend Vermögen auf eine Besitzgesellschaft übertragen und das bestehende landwirtschaftliche Unternehmen durch den ursprünglichen Pächter (als übertragenden Rechtsträger) unter Wahrung der Pächteridentität als vermögensarme Betriebsgesellschaft fortgeführt wird. Das kann möglicherweise Sicherungsinteressen des Verpächters berühren, ist aber kein Fall des § 589 BGB. bb) Betrachtet man Verschmelzungsvorgänge auf der Pächterseite (§§ 2 ff. UmwG), so spricht vieles dafür, diese Vorgänge entsprechend den Spaltungsvorgängen (die Spaltung als umgekehrter Fall kann auch als partielle Verschmelzung aufgefaßt werden31) zu beurteilen. Die bei der Verschmelzung eintretende Gesamtrechtsnachfolge unter liquidationsloser Auflösung des übertragenden Rechtsträgers (§ 20 UmwG) berührt das Interesse des Verpächters an personeller Kontinuität. Der übernehmende Rechtsträger ist eine andere Person als der übertragende Rechtsträger (Ursprungspächter). Demgegenüber verweist der BGH32 auf einen „strukturellen Unterschied“ zwischen Drittüberlassung und Verschmelzung. Es ist aber schon unklar, welches weiterführende Argument mit diesem Begriff eigentlich verbunden sein soll. Übergangen wird zudem das in beiden Fällen berührte Kontinuitätsinteresse. Es macht für den Verpächter keinen Unterschied, ob ihm ohne seine Zustimmung ein neuer Pächter aufgezwungen wird, der den Gegenstand sodann nutzt, oder ob der Pächter eben dieser Person den Gebrauch überläßt. Es spricht deshalb alles dafür, § 589 BGB analog anzuwenden. Tatsächlich handelt es sich um ein Problem, das auf anderer Ebene (für alle Umwandlungsfälle gleichermaßen) zu lösen ist, nämlich auf der Ebene wertender Abwägung zwischen den Regelungen des UmwG einerseits und den speziellen Regelungen des Landpachtrechtes (und den dahinterstehenden allgemeinen Grundsätzen) andererseits33. Für Verschmelzungsvorgänge mit der Folge eines Pächterwechsels ohne Zustimmung des Verpächters stellt sich mithin die Frage, ob die durch __________ 31 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Zimmermann, GmbHG, 4. Aufl., Anh. nach § 77 Rz. 13. 32 BGHZ 150, 365 (368). 33 Vgl. Rieble, ZIP 1997, 301 (303).

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§ 589 BGB (entsprechend) untersagte Überlassung an einen Dritten durch gegenläufige Regelungen des UmwG gerechtfertigt wird (hierzu unten 2 d). cc) Abweichend von Spaltung und Verschmelzung berührt der Formwechsel i. S. von §§ 190 ff. UmwG nicht die Identität34. Wandelt sich beispielsweise eine Pächter-OHG in eine Pächter-GmbH um, so berührt das die Identität nicht. Es handelt sich um dieselbe Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort auf die Frage, ob eine Drittüberlassung i. S. von § 589 BGB vorliegt, leicht: Da die Pächteridentität gewahrt ist, gibt es keinen Dritten. Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, daß der gewillkürte Formwechsel i. S. der §§ 190 ff. UmwG dem bereits angesprochenen unproblematischen Rechtsformwechsel kraft Gesetzes gleichsteht. Dennoch erheben sich Bedenken. Zwar wird die Identität des Rechtsträgers (Unternehmensträgers) gewahrt. In Kauf genommen wird aber die Diskontinuität der Verfassung35. Es ist deshalb durchaus berechtigt, davon zu sprechen, daß „nicht wirklich“ eine Identität vorliegt36. Zöllner37 spricht von einer möglichen „Identität eines Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“. Der Verpächter kann sich im Einzelfall einem Pächter gegenübersehen, mit dem er niemals einen Pachtvertrag abgeschlossen hätte. Nur versagt insoweit der begrenzte Schutz des § 589 BGB. Es kann sich im Einzelfall nur die Frage stellen, ob nach allgemeinen Grundsätzen dem Verpächter ein Vertragslösungsrecht zuzubilligen ist (unten III 2). d) Nach dem Vorstehenden spricht alles dafür, in Fällen der Spaltung und der Verschmelzung mit der Folge eines Pächterwechsels eine Situation anzunehmen, die derjenigen des § 589 BGB gleichzustellen ist. Jedenfalls wird man angesichts des strikten Schutzes des Interesses des Verpächters an personeller Kontinuität dem Grundsatz nach immer ein Kündigungsrecht des Verpächters annehmen müssen (vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles). Anderes ließe sich nur annehmen, würde man dem mit dem UmwG geschaffenen Organisationsfreiheitsraum auf seiten des Pächters den Vorrang einräumen vor dem Schutz der Verpächterinteressen. Es geht insoweit allgemein um die Abwägung von Interessen, die nicht ohne weiteres im Einklang stehen. Bei dieser Abwägung ist zu beachten, daß es Zweck des UmwG ist, Umwandlungs__________ 34 35 36 37

§ 190 Abs. 1 UmwG. K. Schmidt, ZIP 1995, 1385 (1387). Rieble, ZIP 1997, 301 (304). Zöllner, ZGR 1993, 334 (337).

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vorgänge gerade dadurch zu erleichtern, daß mit dem Rechtsinstitut der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge der Übergang von Rechtsverhältnissen (und damit auch von Vertragsverhältnissen) auf den übernehmenden Rechtsträger ermöglicht wird38. Denn anders als in Fällen der Singularsukzession kann so ein Zustimmungserfordernis des Vertragspartners überspielt werden39. Andererseits liegt hierin ein durchaus massiver Eingriff in die negative Vertragsfreiheit des Vertragspartners (hier: des Verpächters)40. Dessen Interesse ist keinesfalls allein dadurch berücksichtigt, daß durch begleitende Haftungsregelungen das finanzielle Sicherungsinteresse (weitgehend) gewahrt wird41. Dem Verpächter wird vielmehr die Möglichkeit genommen, auch zwischen finanziell gleichstarken möglichen Pächtern auszuwählen. Auch kann es im Einzelfall für den Verpächter durchaus sinnvoll sein, einen finanziell schwächeren Pächter einem stärkeren vorzuziehen. All das findet sich im UmwG nicht hinreichend berücksichtigt42. Die Wertung des § 589 BGB läßt sich unter Hinweis auf die Regelungen des UmwG auch deshalb nicht ohne weiteres überspielen, weil die Regelungen des Umwandlungsrechts nicht auf die Landwirtschaft, insbesondere nicht auf vertragliche Regelungen der Landpacht zielen. Es geht vielmehr um Organisationsstrukturen, die vornehmlich im sonstigen Unternehmensrecht und bei der Konzernstrukturierung von Bedeutung sind. Auch im umwandlungsrechtlichen Schrifttum wird die Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners durchaus gesehen und anerkannt43. So wird gerade in den Fällen, in denen es auf das besondere Vertrauen in die Person des Vertragspartners ankommt, ein außerordentliches Kündigungsrecht befürwortet44. Denn eine Gesamtrechtsnachfolge ändert nichts an der Vertragsgrundlage. Die mit dem Umwandlungsgesetz einhergehende Organisationsfreiheit findet hier ihre Schranke. Jedenfalls bei der Landpacht ist unter Berücksichtigung des auch in der Rechtsprechung wiederholt betonten besonderen Vertrauensverhältnisses kein Grund gegeben, dem Verpächter ein Kündigungsrecht zu versagen, __________ 38 39 40 41 42 43

Limmer/Neye, Handbuch des Umwandlungsrechts, 2. Aufl., 2002, Rz. 70. Wiesner, ZHR Beiheft 68 (1999), 168 (170 f.). Rieble, ZIP 1997, 301 (304). Semler/Stengel/Schröer, UmwG, § 132 Rz. 42. Vgl. hierzu Rieble, ZIP 1997, 301 (304 ff.). Dehmer, UmwG, UmwStG, 2. Aufl., § 20 UmwG Rz. 27; Semler/Stengel/ Schröer, UmwG, § 132 Rz. 42; Rieble, ZIP 1997, 301 (305); abweichend: Wiesner, ZHR Beiheft 68 (1999), 168 (177). 44 Semler/Stengel/Schröer, UmwG, § 132 Rz. 42.

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wird ihm im Wege von Umwandlungsvorgängen ein neuer Pächter aufgezwungen.

3. Änderungen auf der Gesellschafterebene a) Zu erörtern sind Fälle, in denen die Identität der Verpächtergesellschaft selbst nicht berührt wird, sich aber die Zusammensetzung der Gesellschafter (möglicherweise umfassend) ändert. Es sind Fälle denkbar, in denen sich der Verpächter durch Änderung der Gesellschafterstruktur im Verlaufe des Pachtverhältnisses einem völlig neuen Management und gänzlich anderen Personen gegenübersieht, Personen, mit denen er möglicherweise einen Vertrag nicht geschlossen hätte. Ob auch solche Situationen einer Drittüberlassung gleichzustellen sind, wird angezweifelt45. b) Zunächst ist nicht zu bestreiten, daß ein Fall einer Drittüberlassung nicht vorliegt, es erfolgt lediglich auf der Gesellschafterebene ein Wechsel. Aber auch ein Gleichstellen einer solchen Situation mit einer Drittüberlassung ist nicht berechtigt. Wer mit einer Gesellschaft kontrahiert (insbesondere mit einer Kapitalgesellschaft), der muß (und wird möglicherweise tatsächlich auch) von vornherein damit rechnen, daß sich im Verlaufe eines längerfristigen Rechtsverhältnisses Veränderungen auf der Gesellschafterebene ergeben, die auch die Geschäftsführungsebene erfassen können46. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den bereits angesprochenen Umwandlungsvorgängen mit der Folge eines Pächterwechsels. Dort wird die Identität der Gesellschaft berührt; häufig genug wird man mit solchen Umwandlungsvorgängen bei Vertragsschluß auch gar nicht rechnen können und müssen47. Will man sich vor Veränderungen auf der Gesellschafterebene schützen, so muß – vorbehaltlich noch anzusprechender Besonderheiten – ein entsprechender Schutz vertraglich vereinbart werden. Ist eine Personenhandelsgesellschaft auf Pächterseite beteiligt, so kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Auch insoweit ist der rechtliche Bestand der Gesellschaft unabhängig vom Gesellschafterwechsel48 (die __________ 45 Staudinger/Pikalo/von Jeinsen, BGB, 1996, § 589 Rz. 7. 46 Zur Miete: Heile in Bub/Treier, Handbuch, 3. Aufl., II Rz. 835; Palandt/ Weidenkaff, BGB, 63. Aufl., § 540 Rz. 6. 47 Weshalb in diesen Fällen eine durch Vertragsgestaltung zu bewältigende Vermeidungslast des Verpächters entgegen BGHZ 150, 365 (368) abzulehnen ist. 48 Ob man sie als juristische Personen anzusehen hat, kann dahinstehen.

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anderweitigen, unerheblichen Umwandlungsvorgänge wurden bereits angesprochen). Auch hier wird nur ein Schutz über entsprechende Absprachen möglich sein. Der Schutz personeller Kontinuität durch § 589 BGB stößt hier an seine Grenzen.

4. Die Außen-GbR a) Vor dem Hintergrund, daß ursprünglich eine Rechtsfähigkeit einer Außen-GbR nicht anerkannt wurde, war der Vertragsschluß mit dieser (mit den Gesellschaftern) kein ernsthaftes Problem. Mit der Änderung der Rechtsprechung49 dahin, daß die Außen-GbR als rechtsfähig anzusehen ist, könnte sich dies geändert haben. Denn mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit hat der Bundesgerichtshof die GbR in allen wesentlichen Punkten einer OHG angenähert50. Es ist deshalb naheliegend anzunehmen, daß entsprechend der OHG auch im Rahmen der GbR ein Gesellschafterwechsel ohne Bedeutung ist51. Eine solche Schlußfolgerung wäre jedoch voreilig. Im Regelfall wird nämlich der Verpächter den Vertrag ausschließlich mit zwei oder mehreren natürlichen Personen schließen wollen, nicht aber den Willen haben, unabhängig hiervon mit einer GbR zu kontrahieren. Ergibt die Auslegung des Vertrages, daß tatsächlich die Verpflichtung der natürlichen Personen gewollt war, so ändert die Existenz einer Außen-GbR nichts daran, daß nur die im Vertrag genannten Personen nutzungsberechtigt sind. Jeder Wechsel in der GbR und die damit einhergehende Einräumung eines Mitbenutzungsrechts an einen neuen Gesellschafter wäre damit eine unerlaubte Drittüberlassung. Anderes ließe sich nur dann annehmen, wenn von vornherein der Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet war, daß der Pachtvertrag nur mit der Außen-GbR zustande kommen sollte, mit der Möglichkeit personeller Veränderungen auf der Gesellschafterebene. Dieser Fall dürfte insbesondere im Bereich der Landwirtschaft ausgesprochen selten sein. Im Regelfall wird der Wille der Vertragsparteien gerade darauf gerichtet sein, daß bestimmte Personen als Pächter am Vertrag beteiligt sind. b) Es läßt sich deshalb jedenfalls für die Landpacht sagen, daß die neue Rechtsprechung zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR den Schutz des Ver__________ 49 BGHZ 146, 341. 50 BGHZ 154, 370. 51 So OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 513 (514).

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pächters aus § 589 BGB kaum berühren wird. Eine entsprechende vertragliche Klarstellung ist indessen – wie auch in allen übrigen Fällen – natürlich empfehlenswert52.

III. Ausübungsschranken 1.

Fragestellung

Nach dem Vorstehenden reicht der Schutz des Verpächters gegen Drittüberlassungen sehr weit. Auch Fälle des Pächterwechsels sind diesem Schutz (in entsprechender Anwendung) zu unterstellen. Andererseits findet der Schutz dort seine Grenze, wo die personelle Kontinuität auf Pächterseite trotz möglicherweise weitreichender Veränderungen nicht berührt wird. Im ersten Falle hätte der Verpächter grundsätzlich ein Kündigungsrecht, im zweiten nicht. Das wirft die Frage auf, ob einerseits in besonderen Fällen ein Kündigungsrecht des Verpächters auch im Falle einer Kontinuität angenommen werden kann, ob andererseits trotz Diskontinuität ein Kündigungsrecht (ausnahmsweise) auszuschließen ist. Man wird dies in beiden Fällen nicht generell ablehnen können:

2. Kündigungsrecht trotz Kontinuität a) Ist die Identität des Pächters gewahrt, so liegt keine Drittüberlassung vor, folglich besteht auch kein Kündigungsrecht gemäß §§ 594e, 543 BGB. Kündigungsmöglichkeiten des Verpächters müssen somit auf anderer Ebene gesucht werden. b) Zu denken ist an Fälle, in denen bei einem identitätswahrenden Formwechsel die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung gefährdet wird. Allerdings läßt sich eine solche Gefährdung infolge eines Formwechsels kaum annehmen, weil die gesetzliche Absicherung der Vertragsgegenseite (§§ 220 ff. UmwG) umfassend ausgestaltet ist. Wenn der Bundesgerichtshof53 in anderem Zusammenhang einen Gleichlauf von Sicherungsinteressen und Kündigungsrecht annimmt, so ist ihm unter dem hier angesprochenen Gesichtspunkt zuzustimmen. Zu beachten bleibt aber, daß dieses Sicherungsinteresse nur sehr mittelbar mit dem __________ 52 Zur Abwehr von Umwandlungen vgl. OLG Oldenburg OLGR 2000, 65. 53 BGHZ 150, 365 (370).

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Personelle Diskontinuitäten und Landpacht – Fragen zu § 589 BGB

Interesse an personeller Kontinuität verbunden ist. Man kann also nicht im Hinblick auf die Absicherung der finanziellen Interessen den Gesichtspunkt personeller Diskontinuität als unerheblich erachten. c) In den Bereich der finanziellen Absicherung können auch Fälle hineinreichen, in denen im Wege der Ausgliederung/Abspaltung wesentliches Vermögen des Pächters auf einen übernehmenden Rechtsträger übertragen wird und der Pächter als weitgehend vermögenslose Betriebsgesellschaft verbleibt. Sollte ein solcher Vorgang tatsächlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der finanziellen Interessen des Verpächters führen, so müßte man einem Kündigungsrecht des Verpächters nähertreten. Nicht vertieft werden kann schließlich die Frage, ob nicht unter dem Gesichtspunkt einer Umgehung54 Fälle scheinbarer Kontinuität ein Kündigungsrecht auslösen. Folgt man der hier vertretenen Auffassung, daß der Schutz des § 589 BGB weitestgehend die Fälle personeller Diskontinuitäten abdeckt, verbleibt wenig Raum für derartige Fälle.

3. Grenzen des Kündigungsrechts bei Diskontinuität a) Der hier befürwortete weitgehende Schutz durch § 589 BGB wirft zusätzlich die Frage auf, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein damit einhergehendes Kündigungsrecht des Verpächters eingeschränkt werden kann bzw. muß. Insoweit ist aber zunächst festzuhalten, daß grundsätzlich (nach Abmahnung) ein Kündigungsrecht des Verpächters besteht. Der Schutz der personellen Kontinuität dient dem Schutz auch der negativen Vertragsfreiheit des Verpächters. Sein Vertragslösungsrecht ist folglich nur die spiegelbildliche Wiedergabe seiner negativen Vertragsabschlußfreiheit. Um nicht Wertungswidersprüche hervorzurufen, kann deshalb der Ausschluß des Kündigungsrechtes im Falle von Diskontinuitäten nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen. b) Eine allgemeine Schranke wird man der Vorschrift des § 595 BGB entnehmen können. Wenn der Pächter unter den dort genannten Voraussetzungen die Fortsetzung des Pachtverhältnisses verlangen kann, so wird man ihm eine Drittnutzung unter entsprechenden Voraussetzungen nicht verwehren dürfen. § 593 BGB läßt sich demgegenüber nicht anführen. Die Anpassung von Landpachtverträgen an geänderte Um__________ 54 Angedeutet in BGH NJW-RR 2004, 123.

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stände bezieht sich auf objektive Umstände, nicht auf den Gesichtspunkt personeller Kontinuität. Auch die privilegierten Betriebsübergabetatbestände der §§ 593a, 594d Abs. 2 BGB führen nicht weiter, da sie wie angesprochen nur Fragen im Zusammenhang mit der Erbfolge regeln55. c) Denkbar sind Fälle, in denen sich die Position des Verpächters als rein formale darstellt. Ist die ordnungsgemäße Bewirtschaftung bei einem Pächterwechsel/bei einer Drittüberlassung gesichert, ist auch die wirtschaftliche Absicherung des Verpächters nicht berührt (möglicherweise sogar verbessert), so kann ein Bestehen auf personeller Kontinuität u. U. rechtsmißbräuchlich erscheinen. Insoweit ist allerdings größte Zurückhaltung geboten. Man wird, insoweit den Gesichtspunkt des § 595 BGB aufgreifend, zusätzlich zu fordern haben, daß die Drittüberlassung/der Pächterwechsel für den Pächter wirtschaftlich geboten war. Von Bedeutung kann in diesem Zusammenhang auch werden, ob der Pächter eine Gesellschaft war, so daß von vornherein mit einem Wechsel von Gesellschaftern zu rechnen war. Insoweit wird man dem Verpächter entgegenhalten können, daß er seine Position durch Vertragsabschluß mit einer Gesellschaft selbst geschwächt hat56, weshalb auch sein Kündigungsrecht entsprechenden Einschränkungen unterliegt. Das alles sind Gesichtspunkte, die im Rahmen der Abwägung, ob eine Vertragsfortführung zumutbar ist, von Bedeutung werden können. Es handelt sich um Ausnahmesituationen, die – abweichend von der Verschmelzungsentscheidung des BGH – immer von seiten des Pächters darzulegen sind.

IV. Ergebnis Die erlaubnispflichtige Drittüberlassung i. S. von § 589 BGB wirft nur auf den ersten Blick einfache Fragestellungen auf. Bei näherer Befassung erschließt sich eine Komplexität, die eine schwierige Abgrenzung verschiedener Interessen erfordert. Die durch Umwandlungsvorgänge nach dem UmwG geschaffene Möglichkeit eines Pächterwechsels ohne Zustimmung des Verpächters begründet grundsätzlich ein Vertragslösungsrecht des Verpächters ebenso wie der Fall der Drittüberlassung __________ 55 Gegen die Argumentation in BGHZ 150, 365 (371). 56 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt nur Heile in Bub/Treier, Handbuch, 3. Aufl., II Rz. 835.

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gemäß § 589 BGB. Im Einzelfall kann aber durchaus eine Einschränkung des Vertragslösungsrechts in Betracht kommen. Die Antwort auf die Frage, ob den Entscheidungen der Ausgangsfälle zugestimmt werden kann, muß differenziert ausfallen. Der PflugtauschFall57 ist sicherlich insoweit richtig entschieden, als ein Fall des § 589 BGB anerkannt wurde. Richtig ist auch die Betonung des Verpächterschutzes gegen derartige Überlassungen. Dennoch fällt die Abwägung etwas zu knapp aus, soweit die Besonderheiten in den neuen Bundesländern und insbesondere die Frage der wirtschaftlichen Notwendigkeit eines Flächentausches angesprochen werden. War der Flächentausch aus wirtschaftlichen Gründen unvermeidbar, so hätte man das Kündigungsrecht einschränken können58. Eine rein wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit auf seiten des Pächters genügt allerdings nicht. Der Verschmelzungs-Fall59 ist möglicherweise im Ergebnis richtig entschieden. Die Begründung vermag aber nicht zu überzeugen. Das Umwandlungsrecht beseitigt nicht den besonderen Vertrauensschutz, den der Verpächter im Landpachtrecht genießt. Die Absicherung des Verpächters durch umwandlungsbegleitende Haftungsregelungen ändert hieran nichts. Insbesondere trifft den Verpächter auch nicht eine Vermeidungslast in dem Sinne, daß er vertraglich derartige Umwandlungsfälle ausschließen muß. Tatsächlich war der Fall danach zu entscheiden, ob das grundsätzlich bestehende Kündigungsrecht auf seiten des Verpächters ausnahmsweise ausgeschlossen war. Die Verpachtung an eine GmbH reduzierte den Kontinuitätsschutz von vornherein. Gründe, welche gegen die Nachfolgegesellschaft hätten sprechen können, waren nicht ersichtlich60, weshalb viel dafür spricht, daß ein Kontinuitätsinteresse als Kündigungsgrund tatsächlich nur vorgeschoben wurde.

__________ 57 58 59 60

BGH WM 1999, 1293. So möglicherweise auch BGH WM 1999, 1293 (1294). BGHZ 150, 365. BGHZ 150, 365(372).

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Der Schutz des Erwerbers durch Vormerkung im Bauträgervertrag Rainer Kanzleiter Inhaltsübersicht I. Die Rechtsnatur des Bauträgervertrages II. Die zu erörternde Frage: Benachteiligt die (bloße) Sicherung durch Vormerkung nach § 3 MaBV den Erwerber entgegen dem Gebot von Treu und Glauben? III. Der Schutz des Immobilienerwerbers durch Auflassungsvormerkung im Allgemeinen IV. Der begrenzte Schutz durch Vormerkung beim Bauträgervertrag V. Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung; keine Sicherung des Fertigstellungsanspruchs VI. Keine Sicherung von Sekundäransprüchen

Insolvenz des Schuldners nicht durchsetzbar VIII. Die optimale, jedenfalls radikale Lösung: Vorauszahlungen nur gegen Erfüllungsbürgschaft oder Fälligkeit der Gegenleistung nach Fertigstellung, Zug um Zug mit Eigentumsübertragung IX. Der Maßstab von Art. 3 Abs. 1 der europäischen Klauselrichtlinie und von § 307 BGB X. Die Vereinbarung von Abschlagszahlungen im Bauträgervertrag unter Beachtung des Sicherungssystems nach § 3 MaBV XI. Die Auflassungsvormerkung im Sicherungssystem des § 3 MaBV XII. Sicherung der Übertragung des Eigentums „Zug um Zug“

VII. Jeder – nicht gesicherte – Rückzahlungsanspruch ist in der

I. Die Rechtsnatur des Bauträgervertrages Wir befinden uns auf neutralem Gelände: Der Bauträgervertrag gehört nicht zur Zuständigkeit des V. Zivilsenats, dessen Mitglied Wenzel seit langem ist und dessen Vorsitz er 1999 übernommen hat. Nach dem Ge-

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schäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs1 spräche freilich viel dafür, ihn diesem Senat zuzuordnen, auch wenn er zusätzlicher Arbeit nicht bedarf: Nach der Schuldrechtsreform, in der die früher auf den Bauträgervertrag nicht passende Regelung der Gewährleistung bei Sachmängeln im Recht des Kaufvertrags weitgehend der des Werkvertragsrechts angepasst wurde, spricht nichts mehr dagegen, zu dem zurückzukehren, was immer richtig war, dass nämlich beim Bauträgervertrag (ohne Zweifel einem Vertragstyp eigener Art, der Elemente des Kauf- wie des Werkvertrags enthält) das kaufvertragliche Element überwiegt und es nicht an der Formulierung der Notare liegt, wenn Bauträgerverträge weithin als „Kaufverträge“ bezeichnet werden, sondern dass diese Formulierung auf der Einschätzung der an diesem Vertragstyp Beteiligten beruht2. __________ 1 Der V. Zivilsenat ist zuständig für „Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Verträgen über Grundstücke …“, dem VII. Zivilsenat sind zugewiesen „die Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge im Zusammenhang mit der Errichtung von Bauwerken …“. 2 S. Staudinger/Peters, BGB, 2003, Vorbem. 129 zu §§ 631 ff.: „Der wegen § 94 BGB rechtlich im Vordergrund stehende Erwerb von Grundeigentum lässt den Vertrag des Erwerbers mit dem Bauträger als Kauf erscheinen; so werden die einschlägigen notariellen Verträge auch überschrieben, was der Sicht der Beteiligten entsprechen dürfte.“ Weiterhin (außer bei Veräußerung von fertigem Gebäude) in unterschiedlichem Maß, aber generell stärker zum Werkvertragsrecht neigend die anderen neueren Kommentierungen von Bamberger/Roth/ Faust, BGB, Vor § 433 Rz. 11 ff.; § 438 Rz. 19 f.; Bamberger/Roth/Voith, BGB, § 631 Rz. 17; Erman/Schwenker, BGB, 11. Aufl., § 632a Rz. 13; Busche in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 631 Rz. 227; Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., Vor § 633 Rz. 3; § 675 Rz. 14; alle mit zahlr. Nachw.; die Einordnung sollte nicht mehr, wie es vielfach geschieht, im Blick auf das Gewährleistungsrecht getroffen werden, sondern unabhängig davon erfolgen: Die Frage nach den richtigen Gewährleistungsfolgen sollte der zweite nachfolgende Schritt sein. Basty legt (DNotZ 2002, Sonderheft Deutscher Notartag, 118*, 135*) dar, die Formulierungen der MaBV deuteten darauf hin, der Verordnungsgeber sei vom Bauträgervertrag als Kaufvertrag ausgegangen. Nachdem ich an den Vorarbeiten beteiligt war, die zur zweiten, endgültigen Formulierung der MaBV führten, kann ich das bestätigen: Überlegungen zur Gewährleistung beim Bauträgervertrag spielten für den Verordnungsgeber keine Rolle. Da der Bauträgervertrag ohne Zweifel ein werkvertragliches Element enthält, kann trotzdem für die Randfragen, in denen das sachgerechter ist, Werkvertragsrecht entsprechend angewendet werden; vgl. etwa Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl., Rz. 1144; Staudinger/Peters, 2003, BGB, Vorbem. 129 zu §§ 631 ff. Art. 244 EGBGB geht demgegenüber von der Einordnung als Werkvertrag aus; das Gesetz kann aber nur Rechtsfolgen anordnen, die dogmatische Einordnung

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II. Die zu erörternde Frage: Benachteiligt die (bloße) Sicherung durch Vormerkung nach § 3 MaBV den Erwerber entgegen dem Gebot von Treu und Glauben? Nach § 3 der MaBV darf der Bauträger Zahlungen des Erwerbers für das gekaufte Objekt nach Baufortschritt entgegennehmen, wenn dessen Anspruch auf Verschaffung des Eigentums durch eine Vormerkung im Grundbuch gesichert ist (und die Freistellung des erworbenen Objekts von der Baufinanzierung des Bauträgers in bestimmter Weise sichergestellt wurde). Dass eine Vormerkung als Sicherungsmittel (zusammen mit der Gewähr der Lastenfreistellung) den Maßstäben der Europäischen Richtlinie 93/13/EWG (Klauselrichtlinie)3 genügt, um die Zahlungsverpflichtung des Erwerbers zu begründen, wird in Zweifel gezogen. Diese Zweifel erhalten ihr besonderes Gewicht dadurch, dass sie vor allem von einem maßgebenden Mitglied des zuständigen BGHSenats formuliert werden4. Die MaBV mit ihrem Sicherungssystem, die damals einen gewaltigen Fortschritt für den Verbraucherschutz bedeutet hat, ist inzwischen fast genau 30 Jahre alt. Nach so langer Zeit kann man einerseits feststellen, dass sich dieses Sicherungssystem beim „klassischen“ Erwerb vom Bauträger grundsätzlich bewährt hat (kein rechtliches Sicherungssystem außer der Gewährung von Schadensersatzansprüchen gegen solvente Ersatzpflichtige kann den Erwerber vor den Gefahren eines überteuerten Erwerbs im Rahmen unterschiedlicher „Modelle“ von einem zu allem Unglück dann auch noch in Insolvenz gefallenen Unternehmen bewahren). Andererseits ist es nach so langer Zeit legitim, über eine weitere Verbesserung des Erwerberschutzes nachzudenken, nachdem inzwischen nicht nur theoretisch klar, sondern in der Praxis vielfach __________ eines Vertragstyps nicht bestimmen, nur fingieren. Weil der Wille des Gesetzgebers eindeutig ist, ist die auf der Grundlage von Art. 244 EGBGB erlassene VO über Abschlagszahlungen bei Bauträgerverträgen trotzdem nicht gegenstandslos (so Staudinger/Peters, BGB, Art. 244 EGBGB Rz. 5), aber wegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bedenklich (Staudinger/Peters, a. a. O., Rz. 5) – und glücklicherweise gänzlich unnötig. 3 Vom 5.4.1994 (ABl. EG 1993 Nr. L 95 S. 29). 4 S. Thode, ZNotP 2004, 216 und in Schröder (Hrsg.), Der Bauträgervertrag in der notariellen Praxis, Symposion des Instituts für Notarrecht der HumboldtUniversität zu Berlin, 2004, S. 23 ff.

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bewiesen ist, welche Ansprüche des Erwerbers bei Abwicklung des Bauträgervertrages nach § 3 MaBV gesichert sind – und welche anderen Ansprüche er bei Insolvenz des Bauträgers nicht durchsetzen kann5. Eine solche Verbesserung des Verbraucherschutzes könnte einerseits der Gesetz- und Verordnungsgeber durch ergänzende Maßnahmen im Rahmen des geltenden Sicherungssystems anstreben. Andererseits könnte die Rechtsprechung das Sicherungssystem des § 3 MaBV und der Verordnung über Abschlagszahlungen bei Bauträgerverträgen6 mit der Begründung über Bord werfen, es genüge de lege lata nicht den Anforderungen der Klauselrichtlinie, mit den höchst unerfreulichen Folgen, die man sich leicht vorstellen kann: Vorübergehend würde auf einem wichtigen Markt das rechtliche Chaos ausbrechen. Je ernster die geäußerten Bedenken zu nehmen wären, desto mehr wäre es richtig, dass der Gesetzgeber ihnen schon vorweg begegnen würde. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die „Vormerkungslösung“ scheint mir keine bedenkliche Schwäche des geltenden Sicherungssystems.

III. Der Schutz des Immobilienerwerbers durch Auflassungsvormerkung im Allgemeinen Den Immobilienerwerber in dem Zeitraum bis zur Umschreibung des Eigentums durch eine Auflassungsvormerkung zu sichern, entspricht in allen Bereichen gängiger Gestaltungspraxis: Beim Immobilienkauf wird regelmäßig der Verkäufer durch das Zurückhalten des Eigentums7 bis zur Kaufpreiszahlung, der Käufer durch eine Vormerkung abgesichert. Dieses auf der Trennung von schuldrechtlichem Vertrag und dinglicher Erfüllung und der Bedingungsfeindlichkeit der Auflassung (§ 925 Abs. 2 BGB) beruhende Sicherungssystem wird als so selbstverständlich zweckmäßig angesehen, dass auch der Gesetzgeber in § 7 Abs. 2, 3 des Grundstücksrechtsbereinigungsgesetzes vom 26.10.20018 zu dieser Lösung gegriffen hat.

__________ 5 S. etwa Blomeyer, NJW 1999, 472. 6 Vom 28.5.2001, BGBl. 2001 I, 981. 7 Mit welcher Methode auch immer, s. nur Brambring, FS für Hagen, 1999, 251; Kanzleiter, DNotZ 1996, 242. 8 BGBl. I, 2716.

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IV. Der begrenzte Schutz durch Vormerkung beim Bauträgervertrag Was sichert die Auflassungsvormerkung beim Bauträgervertrag und was sichert sie nicht? 1. Die Vormerkung sichert den Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der Immobilie, sie sichert nicht den Fertigstellungsanspruch (insoweit unterscheidet sich die Situation beim Bauträgervertrag vom „normalen“ Kaufvertrag, bei dem sich die Immobilie bereits in dem Zustand befindet, der Gegenstand des Kaufvertrages ist). 2. Die Vormerkung sichert nur den Eigentumserwerbsanspruch, nicht irgendwelche Sekundäransprüche (dies gilt nicht nur für den Bauträgervertrag, sondern auch für den „normalen“ Immobilienkaufvertrag). 3. Die Vormerkung sichert nur den schuldrechtlichen, notfalls durchzusetzenden Anspruch, sie sichert nicht die Durchführung des Vertrages „Zug um Zug“ (auch in diesem Punkt unterscheidet sich die Vormerkungswirkung nicht von der in einem „normalen“ Kaufvertrag).

V. Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung; keine Sicherung des Fertigstellungsanspruchs Nach §§ 883 Abs. 2, 888 BGB kann der durch Vormerkung gesicherte Erwerber seinen Anspruch auf Übertragung des Eigentums auch in der Insolvenz des Bauträgers durchsetzen. Nach § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO gilt das auch (obwohl der Anspruch auf Erwerb des Eigentums Teil eines einheitlichen Anspruchs ist), wenn der Erwerber die Erfüllung seines Anspruchs auf Fertigstellung des Bauwerks in der Insolvenz nicht verlangen kann9. Die Vormerkung sichert den Anspruch auf Übertragung des Eigentums der Immobilie allerdings stets im jeweiligen Zustand, so dass bei der Er__________ 9 Der § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechende § 24 Satz 2 KO wurde durch das Gesetz vom 22.6.1977, BGBl. I S. 998 in das Gesetz eingefügt, nachdem der BGH im Urteil vom 29.6.1976 – V ZR 4/65, DNotZ 1997, 234 entschieden hatte, dass bei einem „kombinierten“ Anspruch der durch Vormerkung gesicherte Anspruch auf Übertragung einer Immobilie gegen den Konkursverwalter nicht durchgesetzt werden könne, wenn dieser die Erfüllung des Vertrags ablehne.

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richtung des Gebäudes jeder Stein, der in das Bauwerk eingebaut und damit nach §§ 946, 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird, mit unter den Schutz der Vormerkung fällt10. Dass die Vormerkung nur den Eigentumsverschaffungsanspruch, aber nicht den Fertigstellungsanspruch sichert, ist kein Nachteil, der mit dem Schutz durch Vormerkung zusammenhängt: Außer durch Erfüllungsbürgschaft11 (durch ein Kreditinstitut) ist der Fertigstellungsanspruch bei keiner anderen Gestaltung abgesichert (und auch die Erfüllungsbürgschaft sichert – entgegen ihrem Namen – nur den Schadensersatz-, nicht den Erfüllungsanspruch), vor allem nicht durch die frühe Übertragung des Eigentums auf den Erwerber. Die sofortige Übertragung des Eigentums auf den Erwerber nach Zahlung des auf das Grundstück oder den Grundstücksanteil entfallenden Teilkaufpreises war bei den früheren „Bauherren-Modellen“ systembedingt, und leider mussten die „Bauherren“ nicht selten erfahren, dass sie als Eigentümer für die Fertigstellung des Bauwerks genauso wenig eine Sicherheit in Händen hatten, dass bei Erwerb von Wohnungseigentum die frühe Übertragung des Miteigentumsanteils auf die Erwerber Sanierungsversuche sogar erheblich erschweren konnte12.

VI. Keine Sicherung von Sekundäransprüchen Ähnliches gilt für die Tatsache, dass die Vormerkung nur den Eigentumsverschaffungsanspruch, aber nicht irgendwelche Sekundäransprüche, Gewährleistungsansprüche, Rückzahlungsansprüche oder Schadensersatzansprüche sichert: Auch für diese Sekundäransprüche kann __________ 10 S. BGH, NJW 1986, 925, 927 zum Bauträgervertrag: „Die Vormerkung soll den Erwerber so stellen, als ob das Bauwerk auf einem ihm bereits gehörenden Grundstück errichtet würde. Was auf dem Grundstück gebaut wird, soll wirtschaftlich – weil von ihm bereits bezahlt – dem Erwerber zuwachsen …“. 11 Oder – nur theoretische Möglichkeit – eine andere Sicherheit für den Erfüllungsanspruch, etwa durch Grundpfandrecht. 12 Und dem Erwerber – abgesehen von dem unter Ziff. VI. erörterten, im Grunde bedeutungslosen Nebenpunkt – auch sonst keine Vorteile bringt, s. Basty, DNotZ 2002, Sonderheft Deutscher Notartag, 118*, 137*. Eine böswillige Überinterpretation des Urteils des BGH v. 15.4.2004 – VII ZR 130/03, DNotZ 2004, 786 wäre es allerdings, den Erwerbern bei frühzeitiger Eigentumsübertragung beim Weiterverkauf mit einer zwingenden Gewährleistungshaftung nach Werkvertragsrecht zu drohen.

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nur eine Bankbürgschaft13 Sicherheit bieten. Der Erwerber, auf den schon das Immobilieneigentum übertragen ist, kann den „großen Schadensersatzanspruch“ oder den Rückzahlungsanspruch nach seinem Rücktritt in der Insolvenz des Bauträgers genauso wenig durchsetzen wie ein Erwerber, der nur durch Vormerkung gesichert ist, und auch sein „kleiner“ Schadensersatzanspruch (oder sein Minderungsanspruch) ist nur Insolvenzforderung. In einem Punkt ist allerdings der durch Übertragung des Eigentums gesicherte Erwerber weniger gefährdet: Bei einer unüberlegten, vorschnellen Umwandlung des Vertrags- in ein Rückabwicklungsverhältnis hat der Erwerber, wenn er Eigentümer ist, ein Zurückbehaltungsrecht am Grundstück oder Grundstücksanteil (der ihm freilich auch wenig nützt, wenn die Immobilie noch mit dem Grundpfandrecht des Bauträgers belastet ist), während die Vormerkung ihre Sicherungswirkung verliert, gegenstandslos wird, wenn der ihr zugrundeliegende Anspruch – etwa durch den Rücktritt des Käufers vom Vertrag – untergeht14. In diese missliche Lage kann der Erwerber aber nur kommen, wenn er unüberlegt zurückgetreten ist; mir ist kein Fall aus der veröffentlichten Rechtsprechung bekannt, in dem ein Erwerber durch einen unüberlegten Rücktritt einen Schaden erlitten hat15. Das deutet darauf hin, dass Erwerber in solchen Situationen regelmäßig nicht zurücktreten, zum einen, weil sie beim „klassischen“ Bauträgervertrag auf den Erwerb der Immobilie Wert legen und deshalb nach anderen Auswegen aus der misslichen Lage suchen, zum Zweiten aber auch, weil es wenig vernünftig wäre, kurzerhand zurückzutreten oder den „großen Schadensersatz“ zu verlangen, statt sich vorher über die Konsequenzen durch Notar, Rechtsanwalt oder den Bauträger selbst informieren zu lassen16. __________ 13 Oder eine andere Sicherheit. 14 BGH, NJW 1986, 925 (927) billigt dem Erwerber allerdings auch in dieser Situation ein Zurückbehaltungsrecht zu. 15 Der Fall BGH, ZfIR 2001, 546 mit Anm. von Volmer = EWiR 2001, 885 mit Anm. von Grziwotz hat sich letztlich glücklich gelöst (s. Thode, ZNotP 2004, 210 f.); zu dem weiteren Fall, den Thode beim Symposion der HumboldtUniversität in Berlin am 6.2.2004 berichtet hat (s. Thode in Schröder (Hrsg.), Der Bauträgervertrag in der notariellen Praxis, Symposion des Instituts für Notarrecht der Humboldt-Universität zu Berlin, 2004, S. 57), ist bisher nichts weiter bekannt geworden. 16 Zum richtigen Verhalten des Erwerbers s. Ullmann, NJW 2002, 1073, 1074 Fn. 11; der Sachverhalt, der dem Urteil des BGH, ZfIR 2001, 546 zugrunde lag, zeigt aber, dass das Bedenken von Thode grundsätzlich berechtigt ist; mit Rücksicht auf die regelmäßige Fremdfinanzierung der Baumaßnahme sollte

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Unbezweifelbare Tatsache ist, dass der Erwerber nicht rechtlich, aber wirtschaftlich an der Ausübung seiner Rechte, die das Vertrags- in ein Rückabwicklungsverhältnis umwandeln, gehindert ist17, wenn der Bauträger insolvent wird (gleiches gilt für den Minderungsanspruch als Rückzahlungsanspruch; vor vollständiger Kaufpreiszahlung könnte der Erwerber den Minderungsanspruch nach dem Sicherungssystem von § 3 MaBV gegen den Bauträger und seine finanzierende Bank durchsetzen). Das liegt aber wieder nicht an der (bloßen) Sicherung des Erwerbers durch Vormerkung (nochmals: bei vorzeitiger Übertragung des Eigentums wäre die Lage des Erwerbers nicht günstiger), sondern daran, dass an den insolvent gewordenen Bauträger vor vollständiger Erfüllung des Vertrages durch ihn Abschlagszahlungen geleistet wurden. Thode18 weist zusätzlich darauf hin, dass der Bauträger im vergleichbaren Fall der Insolvenz des Erwerbers in einer günstigeren Rechtslage sei, was eine Asymmetrie zu Lasten des Erwerbers begründe. Mit der (bloßen) Sicherung des Erwerbers durch Vormerkung hat es aber nichts zu tun, dass der Bauträger bei Insolvenz des Erwerbers die Wahl zwischen der vollständigen Rückabwicklung des Vertrages und dem Belassen bei der beiderseitigen Teilerfüllung hat, während der Käufer nur die beiderseitige Teilerfüllung (Übertragung des erworbenen Objekts im vorhandenen Zustand und Belassen der Gegenleistung beim Verkäufer) durchsetzen kann. Diese Konsequenz beruht vielmehr darauf, dass hinsichtlich der Immobilie beide Vertragsseiten gesichert sind, der Bauträger auch bei Insolvenz des Erwerbers, weil sie „in natura“ vorhanden ist, während Geld ein „flüchtiger Stoff“ ist, Geldansprüche bei Insolvenz des Schuldners nur durchgesetzt werden können, wenn der Gläubiger eine Sicherheit in der Hand hat. Jedenfalls wäre diese Situation für den Erwerber identisch, wenn schon das Eigentum an der Immobilie auf ihn übertragen worden wäre19. __________ ihm durch andere Anforderungen an die Freistellungsverpflichtung des Finanzierungsgläubigers nach § 3 Abs. 1 S. 2, 3 MaBV Rechnung getragen werden (s. dazu unter Ziff. XI.). 17 Unabhängig davon, ob Kaufrecht – §§ 437 ff. BGB – oder Werkvertragsrecht – §§ 633 ff. BGB – gilt. 18 ZNotP 2004, 213 und in Schröder (Hrsg.), Der Bauträgervertrag in der notariellen Praxis, Symposion des Instituts für Notarrecht der Humboldt-Universität zu Berlin, S. 23 (33 f.). 19 Vgl. Uhlenbruck/Berscheid, InsO, § 103 Rz. 93 mit zahlr. Nachw.; und seinen Anspruch auf den großen Schadensersatz kann der Bauträger bei Insolvenz des Erwerbers selbstverständlich auch nicht durchsetzen.

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VII. Jeder – nicht gesicherte – Rückzahlungsanspruch ist in der Insolvenz des Schuldners nicht durchsetzbar Tatsache ist, dass in allen Fällen, in denen der Vertragspartner des Verkäufers oder Werkunternehmers Teilleistungen vor vollständiger Leistung des Unternehmers erbracht hat, der Vertragspartner seinen Anspruch auf Rückabwicklung in der Insolvenz des Unternehmers nicht durchsetzen kann (§ 103 Abs. 2 InsO), völlig gleichgültig, ob es sich dabei um Anzahlungen, Ratenzahlungen, Vorauszahlungen oder Abschlagszahlungen – etwa nach § 632 a BGB – gehandelt hat. Dieses Schicksal teilt er darüber hinaus auch mit demjenigen, der nach vollständigem beiderseitigem Leistungsaustausch die Rückabwicklung des Vertrages oder den „großen Schadensersatz“ anstrebt, wenn sich nachträglich eine Leistungsstörung herausstellt, wenn sich etwa die gekaufte Sache beim Barkauf nach Zahlung des Kaufpreises einerseits, Übergabe der Sache und Übertragung des Eigentums an den Käufer andererseits, als mangelhaft herausstellt. Ohne Zweifel, beim Erwerb vom Bauträger ist das „Gefährdungspotenzial“ für den Erwerber (wie für den Besteller beim Bauwerkvertrag) ungleich höher, weil Baumängel geradezu unvermeidlich sind. Deshalb ist es bedenkenswert, ob nicht die Aufrechterhaltung einer Teilsicherheit für einen gewissen Zeitraum nach Fertigstellung vorgeschrieben werden sollte. Alle wesentlichen Nachteile, die für den Erwerber bestehen, beruhen also nicht auf dessen (bloßer) Sicherung durch Vormerkung, von einem nebensächlichen Gesichtspunkt abgesehen (s. unter Ziff. VI.) wäre seine Lage bei früher Übertragung des Eigentums am Grundstück nicht günstiger, sondern darauf, dass er vor vollständiger Fertigstellung Abschlagszahlungen geleistet hat. Alles läuft also letztlich auf die Frage hinaus, ob überhaupt und unter welchen Sicherungsvorkehrungen Abschlagszahlungen zulässig, weil mit Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie vereinbar sind.

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VIII. Die optimale, jedenfalls radikale Lösung: Vorauszahlungen nur gegen Erfüllungsbürgschaft oder Fälligkeit der Gegenleistung nach Fertigstellung, Zug um Zug mit Eigentumsübertragung Zweifellos wäre es de lege ferenda möglich, die mit der Abwicklung des Bauträgervertrages nach § 3 MaBV für den Erwerber verbundenen Gefahren weitestgehend auszuschließen (und für denjenigen, der alles andere als diese unter Sicherheitsaspekten optimale Abwicklung als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie ansieht, gilt das schon nach geltendem Recht20). Abschlagszahlungen des Erwerbers könnten von einer Absicherung der Vertragserfüllung abhängig gemacht werden (praktisch käme nur eine Sicherheit durch Bankbürgschaft oder Versicherung in Frage). Noch einfacher wäre es, wenn die Gegenleistung des Erwerbers erst nach vollständiger Fertigstellung und Zug um Zug mit Übertragung des Eigentums auf den Erwerber zu zahlen wäre. Regelungen mit diesem Inhalt könnte der Gesetzgeber selbstverständlich treffen; die damit verbundenen Folgen müssten aber bedacht werden: Die Erhöhung der Vorfinanzierungskosten für den Bauträger würde zwangsläufig zur Erhöhung der Preise führen, weil diese Kostenerhöhung alle Anbieter im gleichen Ausmaß träfe, und die Notwendigkeit, eine umfassende Sicherheit durch Bankbürgschaft zu stellen oder über die Gegenleistung erst nach Fertigstellung verfügen zu können, würde den Bauträgermarkt „bereinigen“, weniger finanzkräftige Anbieter vom Markt verdrängen, mit der Folge einer optimalen Sicherung für die Erwerber einerseits, einer Verringerung der Vielfalt des Angebots und nochmals höherer Preise andererseits. Vor eventuellen Überlegungen zu einer Verbesserung des Erwerberschutzes beim Bauträgervertrag de lege ferenda ist zunächst die Abwicklung nach § 3 MaBV an den geltenden Verbraucherschutzvorschriften der Klauselrichtlinie zu messen.

__________ 20 Thode, ZNotP 2004, 210 (215) und in Schröder (Hrsg.), Der Bauträgervertrag in der notariellen Praxis, Symposion des Instituts für Notarrecht der HumboldtUniversität zu Berlin 2004, S. 23 (42).

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IX. Der Maßstab von Art. 3 Abs. 1 der europäischen Klauselrichtlinie und von § 307 BGB 1. Zur Definition des „erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnisses“ in Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie wird weithin mit Akribie nach der Regelung des nationalen Rechts gesucht, von der die getroffene Vereinbarung abweicht21,zur Definition des „erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnisses“ wird danach gefragt, was gegolten hätte, wenn die auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie untersuchte Klausel nicht getroffen worden wäre. Im Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 und des Art. 4 der Klauselrichtlinie kann ich für dieses Vorgehen genauso wenig einen Anhaltspunkt finden wie in den dafür herangezogenen Äußerungen des EuGH: Wenn der EuGH ergänzend zu Art. 4 Klauselrichtlinie feststellt22, bei der Prüfung, ob eine Klausel missbräuchlich ist, „seien auch die Folgen zu würdigen, die die Klausel im Rahmen des auf den Vertrag anwendbaren Rechts haben kann, was eine Prüfung des nationalen Rechtssystems impliziert“, so bedeutet das doch nicht, dass die Klausel mit dem dispositiven nationalen Recht zu vergleichen ist, von dem sie abweicht (etwa dem regelmäßig nicht sehr sinnvollen § 454 BGB a. F.), sondern dass ihre Auswirkungen nach nationalem Recht zu beurteilen sind, beim erörterten Thema Umfang und Wirksamkeit des Vormerkungsschutzes. Danach spricht aus meiner Sicht alles dafür, dass Art. 3 Abs. 1 i. V. mit Art. 4 Klauselrichtlinie autonom auszulegen ist23, und zwar unter Anwendung des sich aus dem Europarecht ergebenden Maßstabes, aber unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen nach nationalem Recht. 2. Im konkreten Fall spielen allerdings die unterschiedlichen Auffassungen zur Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie keine Rolle, weil nationales deutsches Recht zur Fälligkeit der Gegenleistung beim Bauträgervertrag nicht existiert. Wendet man Kaufrecht an (s. oben unter I.), so gibt es ohne Zweifel keine Vorschrift, die die Fälligkeit des Kaufpreises regeln würde24. __________ 21 Z. B. Basty, DNotZ 2004, 770 ff.; Thode/Uechtritz/Wochner, RWS-Forum Immobilienrecht, 2000, S. 267, 307; kritisch Ullmann, NJW 2002, 1073 (1077 f.). 22 Urt. v. 1.4.2004 – RsC 237/02, DNotZ 2004, 767. 23 Staudinger, DNotZ 2002, 166, 168 ff.; Wagner, BauR 2001, 1313; ZfIR 2001, Beilage zu Heft 10. 24 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass man im Sachverzeichnis der vor kurzem erschienenen 7. Auflage des Kaufrechts von Reinicke/Tiedtke die Stichwörter „Fälligkeit“ oder „Kaufpreisfälligkeit“ vergeblich sucht.

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Aber auch wenn man Werkvertragsrecht heranzieht, ergibt sich nichts anderes, weil weder § 641 BGB noch § 632 a BGB die Fälligkeit der Gegenleistung beim Bauträgervertrag regelt: § 641 BGB präzisiert nur die Anwendung des § 320 BGB auf den Werkvertrag25 („bei der Abnahme“). Und § 632 a BGB passt für den Bauträgervertrag nicht und ist auf den Bauträgervertrag nicht anwendbar, diese Vorschrift beruht im Gegenteil auf der Absicht des Gesetzgebers, den Werkunternehmer durch die Zubilligung eines gesetzlichen Anspruchs auf Abschlagszahlungen besser zu stellen26. Da § 632 a BGB auf den Bauträgervertrag nicht anwendbar ist, kommt es auf die Frage nicht an, ob der deutsche Gesetzgeber von § 632 a BGB abweichende Schutznormen schaffen dürfte, ohne gegen Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie zu verstoßen: Selbstverständlich dürfte er das, solange er sich im Rahmen der Maßstäbe der Klauselrichtlinie hält27.Der Widerspruch, dass das Gesetz selbst in Art. 244 EGBGB (früher § 27a AGBG) zur Regelung von Abschlagszahlungen „auch unter Abweichung von § 632a“ BGB ermächtigt, beruht auf der Vorsicht des Gesetzgebers, der der damaligen Unruhe ein Ende bereiten und – unnötigerweise – klarstellen wollte, dass § 632 a BGB der ins Auge gefassten Regelung jedenfalls nicht im Wege steht28. 3. Was bleibt ist also § 320 BGB (falls man Werkvertragsrecht anwendet, präzisiert durch § 641 BGB), verbunden mit dem sich aus § 307 BGB ergebenden Verbot von Vorleistungen, die den Verbraucher entgegen dem Gebot von Treu und Glauben benachteiligen, für die es also

__________ 25 Staudinger/Peters, BGB, 2003, § 641 Rz. 2, 3; a. A. allerdings die (auch durch die amtliche Überschrift gestützte) h. M., s. die Nachw. bei Staudinger/Peters, a. a. O., Rz. 4; dass über die Fälligkeit der Vergütung zunächst die Vereinbarung entscheidet, ist selbstverständlich; Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 641 Rz. 5, ein Vertreter der h. M., schlägt zur Lösung der Problematik vor, für die Grenze der Gestaltung nach § 307 BGB nicht auf § 641 BGB, sondern auf die gegenseitigen Interessen zurückzugreifen. 26 S. Kanzleiter, DNotZ 2001, 165; s. zur bekannten entgegengesetzten Auffassung die Nachweise bei Staudinger/Peters, BGB, 2003, § 632 a Rz. 25. 27 Ullmann, NJW 2002, 1073, 1077 f. 28 Zur Fortsetzung dieser Widersprüchlichkeiten durch die Schuldrechtsreform, die das Recht über die Sachmängelgewährleistung beim Kauf so änderte, dass es für den Bauträgervertrag sachgerechte Regelungen enthält (mit geringfügigen Lücken, die durch die entsprechende Anwendung des Werkvertragsrechts geschlossen werden können, Staudinger/Peters, BGB, 2003, Vorbem. 129 zu §§ 631 ff.) s. Staudinger/Peters, BGB, 2003, § 632 a Rz. 25 ff.

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(unter Berücksichtigung der dem Verbraucher gegebenen Kompensation oder Sicherheit) keine sachliche Rechtfertigung gibt29. 4. Nach dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie dürfte nichts anderes gelten. Ich habe30 die Auffassung vertreten, dass der Maßstab des § 307 BGB eher schärfer, jedenfalls nicht laxer sei als der des Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie. Dafür habe ich bei denjenigen wenig Beifall gefunden, die meinen, die Auffassungen, mit denen sie auf der Grundlage deutschen Rechts nicht durchgedrungen sind, nun unter Heranziehung der Klauselrichtlinie erneut zur Diskussion stellen zu sollen, und die dafür die Idee nachschieben, dass die Sicherung des Erwerbers durch Vormerkung unzulänglich sei (oder die den Verfechtern dieses Anliegens nicht ausdrücklich widersprechen wollen). Sowohl § 307 BGB als auch Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie setzen eine Benachteiligung des Verbrauchers entgegen dem Gebot von Treu und Glauben voraus. Nach § 307 BGB muss die Benachteiligung „unangemessen“ sein, nach Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie „ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen.“ Ich bleibe dabei: „ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis“ ist strenger als „unangemessen“, bin aber gerne bereit, der Feststellung zuzustimmen, dass „die Wertungsmaßstäbe des nationalen Rechts“ (jedenfalls: Hinzufügung von mir) „nicht grundsätzlich anders erscheinen als die der Klauselrichtlinie“31. Damit erübrigen sich auch Überlegungen dazu, ob der deutsche Gesetzgeber die Klauselrichtlinie in der Generalklausel korrekt umgesetzt hat.

X. Die Vereinbarung von Abschlagszahlungen im Bauträgervertrag unter Beachtung des Sicherungssystems nach § 3 MaBV Der Blick auf die anderen europäischen Rechtsordnungen zeigt, dass der Vorteil von Abschlagszahlungen bei Bauträgerverträgen – Erleichterung der Finanzierung, Verbesserung der Liquidität des Bauträgers, geringere __________ 29 S. Kanzleiter in „Recht in Europa“, Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg, 2003, 143, 149 mit Nachw. in Fn. 18. 30 NotBZ 2004, 228/229. 31 Basty, DNotZ 2004, 768, 775 (durch „insofern“ allerdings eingeschränkt auf eine spezielle Frage).

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Kosten, letztlich niedrigere Preise – in allen Ländern gesehen wird und Abschlagszahlungen nach Baufortschritt in allen Ländern zulässig sind32. Aufgrund der auf Art. 244 EGBGB – früher § 27a ABGB – beruhenden Verordnung über Abschlagszahlungen bei Bauträgerverträgen vom 20.5.200133 ist es geltendes deutsches Zivilrecht, dass im Bauträgervertrag Abschlagszahlungen nach den Regelungen der MaBV vereinbart werden können. Einer Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit § 307 BGB unterliegen solche Vereinbarungen über Abschlagszahlungen also nicht mehr34. Den europarechtlichen Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie müssen sie dagegen genügen35. Durch die Schaffung von § 27a AGBG bzw. Art. 244 EGBGB und der Verordnung wollten der Gesetz- und Verordnungsgeber aber nicht die Vereinbarung von Abschlagszahlungen nach der MaBV in Bauträgerverträgen der Kontrolle nach § 307 BGB entziehen, weil sie der Auffassung waren, dass sie diesem Maßstab nicht gerecht würde, sondern zum Ausdruck bringen, dass solche Abschlagszahlungen weiterhin im Einklang mit § 307 BGB stehen. Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, des Maßes der gebotenen Sicherheit und der verbleibenden Risiken36, ist diese Abwägung auch weiterhin sachgerecht.

XI. Die Auflassungsvormerkung im Sicherungssystem des § 3 MaBV Unter Abschnitt IV ff. wurde dargelegt, dass die Auflassungsvormerkung den Erwerbsanspruch an der Immobilie im jeweiligen Zustand, aber nicht den Fertigstellungsanspruch und nicht Sekundäransprüche, insbesondere nicht den Anspruch auf Rückgewähr geleisteter Abschlagszahlungen und den Anspruch auf Schadensersatz sichert. Die Vormerkung stellt (abgesehen von dem oben unter Abschnitt VI erwähnten unbedeutenden Nebenpunkt) den Erwerber so, als ob das Bauwerk auf __________ 32 S. Frank, MittBayNot 2001, 113; s. auch Bentrop (Referent beim Bundesverband der Verbraucherzentralen) in der Diskussion auf dem Deutschen Notartag 2002, DNotZ 2002, Sonderheft Deutscher Notartag, 144*, 145*. 33 BGBl. I, 981. 34 Vgl. Ullmann, NJW 2002, 1073, 1077 ff. 35 S. Ullmann, NJW 2002, 1073, 1077 f. 36 Blomeyer, NJW 1999, 472; Thode, ZNotP 2004, 210, 212 ff.; Ullmann, NJW 2002, 1073, 1074.

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Der Schutz des Erwerbers durch Vormerkung im Bauträgervertrag

einem ihm bereits gehörenden Grundstück errichtet würde37. Unter der Voraussetzung, dass die Höhe der prozentualen Abschlagszahlungen angemessen ist (und das ist jedenfalls von der zweiten Baufortschrittsrate an der Fall38), ist damit gewährleistet, dass der Erwerber für seine Abschlagszahlung zu jedem Zeitpunkt des Baufortschritts einen entsprechenden Gegenwert erhält. Im Unterschied zu der Sicherung durch Bürgschaften, die nur Rückzahlungs- oder Entschädigungsansprüche sichern, sichert die Auflassungsvormerkung das Primärinteresse des Erwerbers an der Immobilie, d. h. das Interesse, das der Erwerber beim Abschluss eines „klassischen“ Bauträgervertrages verfolgt. Weiterer Vorteil der Sicherung durch Auflassungsvormerkung ist, dass sie weitaus geringere Kosten verursacht als jede Absicherung durch Bürgschaft oder Versicherung. Dem steht gegenüber, dass die Auflassungsvormerkung den weiteren finanziellen Schaden des Erwerbers nicht absichert, während eine Bürgschaft oder Versicherung, wenn sie nur umfangreich und hoch genug ist, sicherstellen kann, dass der Erwerber finanziell vollständig schadlos gestellt wird. Mit Rücksicht auf die beiden Vorteile der Absicherung durch Auflassungsvormerkung, dass sie das eigentliche Interesse des Erwerbers (nicht nur seinen finanziellen Ausgleich) sichert, und das zu wesentlich geringeren Kosten, als sie Bürgschaft oder Versicherung verursachen, spricht nichts dafür, beim Bauträgervertrag auf dieses Sicherungsmittel zu verzichten, das das deutsche Recht im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen zur Verfügung stellt. Nachdem das eigentliche Interesse des Erwerbers beim „klassischen“ Bauträgervertrag der Erwerb der Immobilie ist, wird man es ihm nicht nur zumuten können, sondern man wird auch auf sein Verständnis dafür hoffen dürfen, dass er bei Insolvenz des Bauträgers den „großen Schadensersatzanspruch“ und den Anspruch auf Rückabwicklung des Bauträgervertrages nicht durchsetzen kann. __________ 37 So (nochmals) BGH, NJW 1986, 925, 927. 38 Zur Problematik der ersten Rate nach § 3 MaBV, die die Gefahr in sich trägt, dass sie trotz Vorleistungsverbot als Zulassung einer pauschalen ersten Zahlung von 30 % der Gegenleistung erscheint, Basty, DNotZ 2002, Sonderheft Deutscher Notartag, 118*, 135* ff.; zum belgischen Recht s. Frank, MittBayNot 2001, 113, 125.

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De lege ferenda ist zu überlegen, ob der Schutz des Erwerbers durch Auflassungsvormerkung durch einen zusätzlichen Schutz durch Bürgschaft ergänzt werden sollte (dabei denke ich weniger an die Absicherung von Risiken, die – wie das der verzögerten Leistung – jeden Vertragsschließenden bei Insolvenz seines Vertragspartners in gleicher Weise treffen, sondern an typische Gefahren gerade beim Bauträgervertrag, etwa den Schaden, der dem Erwerber bei einem zum Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenz des Bauträgers noch nicht fertiggestellten Bauwerk droht, insbesondere beim Erwerb einer Eigentumswohnung). Nachdem das „Substanzinteresse“ des Erwerbers durch die Auflassungsvormerkung gesichert ist, würde als ergänzende Sicherheit eine Bürgschaft in Höhe eines geringen Teils des Kaufpreises ausreichen39 (es könnte dann mit überlegt werden, ob diese Bürgschaft – oder ein Teil – zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen noch für einen Zeitraum nach der Fertigstellung aufrecht zu erhalten wäre). Eine solche zusätzliche Bürgschaft würde den Anreiz für die finanzierende Bank erhöhen, bei „Steckenbleiben“ der Baumaßnahme die Variante der Rückzahlung der geleisteten Zahlungen statt der Lastenfreistellung zu wählen. Darüber hinaus könnte überlegt werden, ob jedenfalls beim Erwerb von Wohnungseigentum das Recht, Rückzahlung der geleisteten Zahlungen zu wählen, auch dem Erwerber eingeräumt werden sollte, und ob die Risiken richtig verteilt sind, wenn der Rückzahlungsanspruch durch den „anteiligen Wert des Vertragsobjekts“ in der Höhe begrenzt ist40. Insgesamt ist die Geringschätzung der Sicherung durch Auflassungsvormerkung im Bauträgervertrag fehl am Platze, weil die Vormerkung bei geringen Kosten (im Promille-Bereich!) in einem Punkt: Sicherung des eigentlichen Erfüllungsinteresses des Erwerbers, den Bürgschaftssicherungen überlegen ist, und die frühe Übertragung des Eigentums dem Erwerber keine Vorteile bringt41. __________ 39 S. etwa in der Diskussion auf dem Deutschen Notartag 2002, DNotZ 2002, Sonderheft Deutscher Notartag, Hertel, S. 165*, 166*; Schmidt-Räntsch, S. 159*. 40 Vgl. Basty, MittBayNot 1995, 367, 370; Reithmann, NJW 1997, 1817; Volmer, ZfIR 1999, 493, 498; 2001, 548; dem Finanzierungsgläubiger sollte das – parallele – Wahlrecht verbleiben, die Rückgewähr der geleisteten Zahlungen zu wählen, um die Sanierung nicht zu erschweren; die angemessene Lösung der Interessenskonflikte ist schwierig; s. einerseits Grziwotz, ZIP 2002, 825, andererseits Weis/Rösler, ZIP 2002, 1520. 41 S. nur Basty, DNotZ 2004, Sonderheft Deutscher Notartag, 118*, 137*.

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Der Schutz des Erwerbers durch Vormerkung im Bauträgervertrag

XII. Sicherung der Übertragung des Eigentums „Zug um Zug“ Zu erörtern bleibt, dass die „Vormerkungslösung“, verbunden mit dem Zurückhalten des Eigentums beim Bauträger bis zur vollen Zahlung der Gegenleistung den Erwerber zur Vorleistung verpflichtet. Darauf hinzuweisen ist zunächst, dass diese Konsequenz nicht auf der Sicherung des Erwerbers durch Vormerkung, sondern auf der Sicherung des Bauträgers durch das Zurückhalten des Eigentums bis zur Zahlung der Gegenleistung beruht, die nur mittelbar deshalb mit der Sicherung des Erwerbers durch Vormerkung zusammenhängt, weil es die Sicherung des Erwerbers durch Vormerkung ist, die als Rechtfertigung dafür dient, dass das Eigentum beim Bauträger zurückgehalten wird, ohne dass darin ein Verstoß gegen § 307 BGB oder Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie liege: Trotz vorherigen Schutzes des Erwerbers durch Vormerkung könnte die Eigentumsübertragung für jeden beliebigen Zeitpunkt vereinbart werden und dem „Zug um Zug“-Gedanken entspräche es, das Eigentum Zug um Zug mit der letzten Rate auf den Erwerber zu übertragen. Da das Eigentum erst bei Umschreibung im Grundbuch auf den Erwerber übergeht und die Umschreibung noch andere Voraussetzungen hat, die teilweise sogar in der Sphäre des Erwerbers liegen (die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts nach Zahlung der Grunderwerbsteuer), ist es richtig, das Zug um Zug-Prinzip auf die Maßnahmen zu beschränken, die von Seiten des Bauträgers zur Eigentumsübertragung erforderlich sind, insbesondere also auf die Auflassung. Richtig ist, dass eine Abweichung vom Zug um Zug-Prinzip durch den Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen eines sachlichen Grundes bedarf und seinen Vertragspartner nicht unangemessen benachteiligen darf42. Sachlicher Grund für das Zurückhalten des Eigentums beim Bauträger bis zur Zahlung der Gegenleistung ist sein legitimes Interesse, das Eigentum ebenfalls nur „Zug um Zug“ aus der Hand zu geben. Der Erwerber ist nicht unangemessen benachteiligt, wenn er ebenfalls gesichert ist, bei der Abwicklung nach § 3 MaBV durch die Auflassungsvormerkung. Das Sicherungsinteresse des Bauträgers verliert seine Legi__________ 42 BGH, NJW 1985, 850 und 852; BGHZ 100, 157; 141, 108.

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timation, wenn die Zahlung des letzten Teils der Gegenleistung ansteht, und es ist deshalb gerechtfertigt, für die Schlusszahlung das „Zug um Zug“-Prinzip wieder herzustellen. Es entspricht deshalb dem üblichen Standard der Vertragsgestaltung, dass die letzte Rate der Gegenleistung „Zug um Zug“ mit der Auflassung zu zahlen ist43. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass außerhalb der Zwangsvollstreckung eine Abwicklung Zug um Zug „Auflassung gegen Zahlung“ aus praktischen Gründen (nahezu) ausgeschlossen, jedenfalls nicht praktikabel ist44.

__________ 43 Vgl. BGH, DNotZ 2002, 41 = ZfIR 2001, 981. 44 Vgl. BGH, DNotZ 1993, 381.

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Zur „Angemessenheit“ bei der einvernehmlichen Umlegung Christian Kirchberg Inhaltsübersicht I. Der Ausgangsfall: das Urteil des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 29.11.2002 II. Der Anwendungsfall: die einvernehmliche Umlegung III. Der Streitfall: die „Angemessenheit“ des Umlegungsvorteils IV. Der Berufungsfall: der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.2001 V. Der Kontrastfall: noch einmal das Urteil des V. Zivilsenats des BGH vom 29.11.2002

1. Kosten der Planung, Umlegung und Erschließung 2. Verkürzung der Aufschließungsdauer 3. Gestaltungs- und Erschließungsvorteil VI. Der Ernstfall: die „unverdienten“ Wertsteigerungen 1. Weiter wie bisher 2. Halbteilung 3. Isolierung und Nichtberücksichtigung

I. Der Ausgangsfall: das Urteil des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 29.11.2002 Wenn der V. Zivilsenat des BGH auch grundsätzlich nur für das private Grundstücksrecht zuständig ist, so wird seine Rechtsprechungstätigkeit doch häufig auch und gerade von öffentlich-rechtlichen Vorgaben bestimmt. Das führt selbst dann, wenn insoweit ein letzter Einschätzungsvorbehalt beansprucht wird, zur Angleichung der jeweils geltenden Maßstäbe, was von den Betroffenen eigentlich nur als Gewinn in Punkto Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit gewertet werden kann, so etwa bezüglich der Verweisung auf die einschlägigen öffentlichrechtlichen Regelwerke auch im privaten Immissionsschutzrecht nach Maßgabe des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB1. __________ 1 I. d. F. v. Art. 2 § 4 u. Art. 3 SachenRÄndG v. 21.9.1994 (BGBl. I, 2457 ff.); s. dazu vor allem BGH, Urt. v. 14.10.1994 – V ZR 76/93, NJW 1995, 132 (133) – Papierfabrik –; Urt. v. 20.11.1998 – V ZR 411/97, NJW 1999, 1029 (1030) –

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In seiner breit angelegten Entscheidung zur „Angemessenheit“ städtebaulicher Verträge vom 29.11.20022 hat der V. Zivilsenat diesen Gleichklang der Bewertungsmaßstäbe auf einem Gebiet verdeutlicht, das zunehmend auch als dem Konsens, einer Public Private Partnership im weitesten Sinne3, zugänglich erkannt wird. Angesprochen ist damit die Vorbereitung und Durchführung bzw. Umsetzung städtebaulicher Planungen, die der Gesetzgeber zuletzt in der BauGB-Novelle von 1998 umfassend für das Vertragsrecht unter maßgeblicher Einbeziehung privater Dritter geöffnet hatte4. An der Letztverantwortlichkeit der Kommunen und ihrer Gremien wurde deshalb zwar nicht gerüttelt5, selbst wenn sich auf Grund der vertraglichen Vorfestlegungen zuweilen durchaus eine mindestens faktische Bindung für die der Gemeinde vorbehaltenen Beschlussfassungen ergeben dürfte. Gleichzeitig entlastet das Zusammenwirken mit privaten Investoren und mit den verschiedenen Dienstleistern auf dem Gebiet der Baulandgewinnung und -erschließung den Gemeindehaushalt ganz erheblich und ermöglicht – nicht nur in kleineren Städten und Gemeinden – zuweilen überhaupt erst planerische Aktivitäten. Dem Umstand, dass entsprechende Vereinbarungen nach ihrem Inhalt bzw. nach ihrem thematischen Schwerpunkt nicht nur öffentlich-recht__________

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Sprengungen –; Urt. v. 6.7.2001 – V ZR 246/00, BGHZ 148, 261 (264 f.) = NJW 2001, 3119 (3120) – Hammerschmiede –; zur „übergreifenden Harmonisierung von öffentlichem und privatem Immissionsschutzrecht“ (so BT-Drs. 12/7425, 87) vgl. im Übrigen etwa Säcker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 906 Rz. 6 ff. BGH, Urt. v. 29.11.2002 – V ZR 105/02, NJW 2003, 888. Vgl. dazu etwa Heinz/Scholz, Public Private Partnership im Städtebau DifUBeiträge zum Städtebau, 23, 1996; Bauer, DÖV 1998, 89; Stich, ZfBR 1999, 304; v. Franckenstein, UPR 2000, 288; Kyrein, Baulandentwicklung in Public Private Partnership, 1. Aufl. 2000; Tettinger, NWVBl 2005, 1. Vgl. insbesondere §§ 4b („Einschaltung eines Dritten“), 11 („städtebaulicher Vertrag“) u. 12 („Vorhaben- und Erschließungsplan“) BauGB i. d. F. d. BauROG 1998 v. 18.8.1997 (BGBl. I, 2081) sowie dazu Battis/Krautzberger/Löhr, NVwZ 1997, 1145 (1151, 1156 ff.). Das BauGB enthält auch in anderen Zusammenhängen ausdrückliche Regelungen über die Kooperation zwischen Gemeinde und Privaten, vgl. im Einzelnen den Überblick bei Krautzberger in Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 Rz. 27–101 (Stand: 7/2004). Vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Halbsatz 3 BauGB: „Die Verantwortung der Gemeinde für das gesetzlich vorgesehene Planaufstellungsverfahren bleibt unberührt“ sowie insbesondere auch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB: „Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden“.

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Zur „Angemessenheit“ bei der einvernehmlichen Umlegung

licher Art sein müssen, sondern unabhängig davon, dass damit städtebauliche und somit öffentliche Interessen verfolgt werden, auch privatrechtlicher Natur sein können6, ist es zu verdanken, dass zu ihrer Beurteilung im Streitfalle auch und gerade die Zivilgerichtsbarkeit und, wenn es dabei, wie häufig und üblich, um Grundstücksgeschäfte geht, der V. Zivilsenat des BGH abschließend zuständig ist. Beide Vertragstypen, also sowohl der öffentlich rechtliche als auch der privatrechtliche, verbindet das Gebot der „Angemessenheit“, wie es in § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB i. V. m. § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG enthalten ist7. Und auf dieser einheitlichen Rechtsgrundlage hat sich der V. Zivilsenat in der erwähnten Entscheidung vom 29.11.2002 umfassend mit der Inhaltskontrolle von (privatrechtlichen) städtebaulichen Verträgen, aufgrund deren Grundstücke zur Deckung des Wohnbedarfs (nur) an Ortsansässige veräußert werden sollen („Einheimischenmodelle“), befasst. Eine der wichtigsten Aussagen dieser Entscheidung betrifft die vom V. Zivilsenat in diesem Zusammenhang – weitergehend als nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen – zugelassene Kompensation von Vertragsklauseln, die für sich unangemessen sind, durch vorteilhafte Bestimmungen des Vertrages im Übrigen, womit der städtebauliche Vertrag, so etwa Stüer8, den Freiraum erhalten hat, der ihm gebührt.

II. Der Anwendungsfall: die einvernehmliche Umlegung Die Diskussion um die Angemessenheit der Vertragsgestaltung spielt nicht nur bei solchen „Einheimischenmodellen“ oder etwa bei Planungs- oder Erschließungsverträgen eine wesentliche Rolle, sondern in zunehmendem Maße auch bei der städtebaulichen Umlegung. Sie dient nach den §§ 45 ff. BauGB als bodenordnendes Verfahren zur Umsetzung der gemeindlichen Bauleitplanung und ist seit 1993 auch im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB zulässig9. Gegenüber der einseitighoheitlichen Umlegung hat sich als minderschweres Mittel der Boden__________ 6 So ausdrücklich etwa BVerwG, Urt. v. 11.2.1993 – 4 C 18.91, BVerwGE 92, 56 (59) = NJW 1993, 2695 (2696) sowie erneut BGH, Urt. v. 29.11.2002 – V ZR 105/02, NJW 2003, 888 (889 m. w. N.) u. schließlich OLG Schleswig, Beschl. v. 28.1.2003 – 16 W 155/02, NJW 2004, 1052. 7 Grziwotz, DVBl 1994, 1048 (1050); Quaas in Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 11 Rz. 8; Brohm, JZ 2000, 321 (331). 8 Stüer, DVBl 2003, 966 (976). 9 § 45 Abs. 1 Satz 2 BauGB i. d. F. v. Art. 1 Nr. 8 Investitions- u. WohnbaulandG v. 22.4.1993 (BGBl. I, 466).

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ordnung schon seit geraumer Zeit die private bzw. freiwillige Umlegung etabliert10. Soweit durch sie umfassend mit der Gemeinde als Vorhabenträgerin eine hoheitliche Umlegung substituiert wird, handelt es sich bei den ihr zu Grunde liegenden Regelungen um öffentlichrechtliches Vertragsrecht11. Mischformen bzw. zusammengesetzte Verträge sind jedoch möglich12 und die „vereinbarte amtliche Umlegung“ bzw. die freiwillige Umlegung im öffentlich rechtlichen Gewand bzw. in öffentlich rechtlicher Einkleidung erscheint Vielen als der „Königsweg zur Umlegung“13. Gleichzeitig ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Recht der hoheitlichen Umlegung in vielerlei Hinsicht erklärtermaßen dispositiv ist, also Raum für vom gesetzlichen Leitbild abweichende, einvernehmliche Regelungen zwischen den Umlegungsbeteiligten und der Umlegungsstelle lässt14; diese werden regelmäßig in die Form von Zwischenvereinbarungen gebracht und durch anschließenden Rechtsmittelverzicht gegen entsprechende Festlegungen des Umlegungsplans perfekt gemacht. Die Frage der Angemessenheit stellt sich bei solchen einvernehmlichen Umlegungen, die sich entweder auf den vertraglichen Bestandteil oder __________ 10 Vgl. hierzu generell sowie insbesondere zu den verschiedenen Formen und Modellen dieser Art der Bodenordnung Baur, FS O. Mühl, 1981, 71 ff.; Vondung, Die freiwillige Umlegung, Diss. Tübingen 1986; Ernst/Otte in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, Vorb. §§ 45–84 Rz. 1 (Stand: 6/1997); Dieterich, Baulandumlegung, 4. Aufl. 2000, Rz. 465 ff.; Schriever in Brügelmann, BauGB, § 45 Rz. 43 ff. (Stand: 12/2002); speziell zum Verhältnis von hoheitlicher und freiwilliger Umlegung s. BGH, Urt. v. 2.4.1981 – III ZR 131/79, NJW 1981, 2124; Urt. v. 12.3.1987 – III ZR 29/86, NJW 1987, 3260 (3262); OLG Nürnberg, Urt. v. 6.7.2001 – 44 U 3207/00, ZflR 2002, 307 sowie – im Überblick – Ernst/Otte, § 46 Rz. 5 m. w. N. (Stand: 2/1999) 11 BGH, Urt. v. 25.11.1976 – III ZR 45/74, NJW 1977, 716 (717) sowie Urt. v. 2.4.1981 – III ZR 131/79, NJW 1981, 2124; BVerwG, Urt. v. 6.7.1984 – 4 C 24.80, NJW 1985, 989 sowie dazu Otte, ZfBR 1984, 211 ff. 12 So ausdrücklich auch etwa BVerwG, Beschl. v. 17.7.2001 – 4 B 24.01, BauR 2002, 57 (61); s. dazu auch Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 11 Rz. 119 m. w. N. (Stand: 1/2002). 13 So erklärtermaßen Dieterich, Baulandumlegung, 4. Aufl. 2000, Rz. 498 b ff. sowie etwa Burmeister, VBlBW 2003, 457; a. A. Letzner in Spannowsky/ Krämer, Neue Wege in der Bodenordnung, 2004, 59: „Bei den Instrumenten zur Baulandbereitstellung gibt es keinen Königsweg mit Erfolgsgarantie.“. 14 Beispiele gesetzlich vorgesehener einvernehmlicher Regelungen im Umlegungsverfahren s. bei Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 Rz. 50 (Stand: 1/2002); zur einvernehmlichen Umlegung – anstelle eines umfassenden städtebaulichen Vertrages – s. ferner Stang/Dürr, BauR 1996, 209.

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Zur „Angemessenheit“ bei der einvernehmlichen Umlegung

Zwischenschritt einer hoheitlichen Umlegung beschränken (Einzelkooperation) oder aber in einen umfassenden Umlegungsvertrag einmünden (Gesamtkooperation)15, vor allem im Hinblick auf die Abschöpfung des so genannten Umlegungsvorteils. Dieser wird gemeinhin als der umlegungsbedingte Wertzuwachs der umlegungsbetroffenen Grundstücke umschrieben und fließt im Ergebnis der Gemeinde zu16, ohne dass allerdings über die Rechtfertigung sowie über Rechtsnatur und die dogmatische Verortung dieses Ab- bzw. Zuflusses tatsächlich Klarheit bestünde17. Abgegolten werden damit jedenfalls nach allgemeiner Lesart der Erschließungs- und Gestaltungsvorteil, der mit der Umlegung verbunden ist18, die Verkürzung der Aufschließungsdauer und die ersparten Kosten für Neuvermessung etc19., jeweils unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des jeweiligen Grundstücks zum Zeitpunkt der Einleitung der Umlegung. Bewertungsmäßig bzw. bewertungsrechtlich reflektiert das die Entwicklung vom Rohbauland zum (erschließungsbeitragspflichtigen) Bauland20. Planungsbedingte Wertsteigerungen dürfen in diesem Zusammenhang allerdings grundsätzlich nicht abgeschöpft werden, selbst wenn sich die Abschichtung __________ 15 In dieser Weise unterscheidet etwa Birk in Spannowsky/Krämer, Neue Wege in der Bodenordnung, 2004, 45, zwischen punktueller und umfassender Einigung im Rahmen einer Umlegung. 16 Umfassende Darstellung der „Umlegungsvorteile“ bei Dieterich, Baulandumlegung, 4. Aufl. 2000, Rz. 190 ff. 17 „Es handelt sich dabei um ein Prinzip, das mit dem Umlegungsrecht traditionell verbunden, nicht jedoch selbst aus der Privatnützigkeit ableitbar ist.“, so Schmidt-Aßmann, DVBl 1982, 152 (156). Auch das BVerwG (Urt. v. 6.8.1959 – I C 204.57, BVerwGE 10, 3 (5) sowie Urt. v. 6.10.1960 – I C 64.60, BVerwGE 12, 1 (8)) hat den vorteilsausgleichenden Land- bzw. Mehrwertabzug im Umlegungsverfahren – tonangebend für die weitere Diskussion – letztlich nur mit Billigkeitserwägungen gerechtfertigt; diese Annahme ist erst mit dem Beschl. d. BVerfG v. 22.5.2001 (1 BvR 1512/97 u. 1677/97, BVerfGE 104, 1) ernstlich „unter Beschuss“ geraten (s. u.). Nach der (älteren) Rechtsprechung d. BVerfG (Beschl. v. 17.12.1964 – 1 BvL 2/62, BVerfGE 18, 274 (287)) ist die, so wörtlich, „Mehrwertabgabe“ im Umlegungsverfahren ihrer Rechtsnatur nach keine Steuer, sondern eine „beitragsähnliche Geldleistung“; nach § 64 Abs. 3 BauGB „gilt“ sie (nur) als Beitrag. 18 BGH, Urt. v. 7.1.1982 – III ZR 130/80, NVwZ 1982, 331 (332) – Erschließungsvorteil – sowie BGH, Urt. v. 6.12.1984 – III ZR 174/83, NJW 1985, 3073 (3074) – Gestaltungsvorteil –. 19 BGH, Urt. v. 22.6.1978 – III ZR 92/75, NJW 1978, 1980 (1982). 20 Vgl. erneut BGH, Urt. v. 22.6.1978 – III ZR 92/75, NJW 1978, 1980 (1981) sowie Schriever in Brügelmann, BauGB, § 57 Rz. 44 ff. (Stand: 7/2000).

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von Planungs- und Umlegungsmehrwert nicht immer mit der wünschenswerten Eindeutigkeit vornehmen lässt21. Eine Limitierung des Umlegungsvorteils war bis Juli 2004 nur bei der Umlegung nach dem Verhältnis der Flächen (§ 58 BauGB) vorgesehen. Der dort so bezeichnete „Flächenbeitrag“ durfte auch bei Neuerschließungsumlegungen 30 % der Einwurfsfläche nicht übersteigen und war bei reinen Neugestaltungsumlegungen sogar auf 10 % begrenzt. Dementsprechend war und ist in den Ländern mit einer Flächenumlegungstradition der 30 %-Satz regelrecht im kollektiven Bewusstsein verankert und wurde (und wird) häufig unabhängig davon angesetzt, ob generell oder wenigstens im Einzelfall tatsächlich entsprechende Wertzuwächse auf Grund der Umlegung zu verzeichnen waren/sind22. Diese absolute Begrenzung des Umlegungsvorteils bzw. des Flächenbeitrags ist mit dem EAG Bau vom 21.7.2004 aufgehoben worden. Der umlegungsbedingte Wertzuwachs kann bei der Flächenumlegung dementsprechend nunmehr genauso wie bisher schon bei der Umlegung nach dem Verhältnis der Grundstückswerte vor und nach der Umlegung, bei der sogenannten Wertumlegung (§ 57 BauGB), grundsätzlich in gesetzlich nicht limitierter Höhe abgeschöpft werden23.

III. Der Streitfall: die „Angemessenheit“ des Umlegungsvorteils Damit wird allerdings eine Grundsatzfrage des Umlegungsrechts aufgeworfen, die naturgemäß auf die Beurteilung der Angemessenheit einvernehmlicher Umlegungen, um die es hier in Ansehung des Urteils des V. Zivilsenats vom 29.11.2002 gehen soll, durchschlägt, die Frage nämlich, ob sich nicht auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Deckelung Grenzen für die Erhebung bzw. Abschöpfung des Umlegungs__________ 21 BGH, Urt. v. 22.6.1978 – III ZR 92/75, NJW 1978, 1980 u. Urt. v. 19.1.1984 – III ZR 185/82, NJW 1984, 2219 (2220) sowie Otte in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 57 Rz. 39 m. w. N. (Stand: 9/2000). 22 Zur Kritik an dieser Praxis s. BGH, Urt. v. 2.4.1981 – III ZR 131/79, NJW 1981, 2124 (2125); OLG Stuttgart, Urt. v. 12.11.1985 – 10 U (Baul) 67/85, NVwZ 1986, 694 (695) sowie Schriever in Brügelmann, BauGB, § 58 Rz. 1 u. 6 (Stand: 2/2000). 23 Vgl. § 58 Abs. 1 Statz 4 BauGB i. d. F. d. Bek. v. 23.9.2004 (BGBl. I, 2414): „Soweit der Umlegungsvorteil den Flächenbeitrag nach Satz 1 übersteigt, ist der Vorteil in Geld auszugleichen.“.

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vorteils ergeben können. Denn eine deutlich über 30 % hinausgehende Reduzierung der Einwurfsfläche bzw. des Einwurfswerts, möglicherweise sogar ihre Halbierung oder mehr, gehen nicht nur an die Substanz, sondern können in Verbindung mit den zusätzlich anfallenden Erschließungskosten zu einem Nullsummenspiel oder jedenfalls dazu führen, dass der Umlegungsbeteiligte gezwungen ist, das Grundstück ganz oder teilweise zu vermarkten, will er nicht in erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Das erklärt gleichzeitig den zuweilen erbitterten Widerstand von Umlegungsbetroffenen gegen die Anordnung und Durchführung einer städtebaulichen Umlegung. Auf der anderen Seite können es sich die Städte und Gemeinden häufig einfach nicht mehr leisten, zur Akzeptanz der Umlegung dadurch beizutragen, dass die Differenz zwischen Einwurf und Zuteilung bewusst gering gehalten wird, zumal sich daraus unerwünschte oder zumindest unkalkulierbare Auswirkungen auf den Grundstücksmarkt ergeben können. Diese Problematik spitzt sich noch zu, wenn die Gemeinde private Dritte in die Baulandaktivierung einschaltet, weil sich diese ihre entsprechenden Dienstleistungen, die sonst Sache der Gemeinde wären, jeweils zusätzlich von den Umlegungsbeteiligten bezahlen lassen und die Betroffenen gleichzeitig häufig mit dem Appell an ihre Mitverantwortlichkeit für das Gelingen eines solchen Unternehmens erheblich unter Druck setzen24. Der bisher vorliegenden Rechtsprechung sind, was speziell die Abschöpfung des Umlegungsvorteils im Rahmen einer einvernehmlichen bzw. vertraglichen Umlegung anbetrifft, keine eindeutigen Vorgaben zu entnehmen. Immerhin aber hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in seiner Grundsatzentscheidung zur freiwilligen Umlegung vom 6.7.198425 einen entsprechenden (öffentlich-rechtlichen) Vertrag nicht deshalb für nichtig erklärt, weil die Beteiligten neben einem Flächenabzug eine Geldleistung der Eigentümer zur Deckung von Planungs- und Umlegungskosten vereinbart hatten. Es hat sich dabei ausdrücklich auf die Bestimmung des § 56 Abs. 2 BauGB bezogen, wonach mit Einverständnis der Beteiligten die sog. Verteilungsmasse, d. h. die nach Abzug der Flächen für Erschließungs- und vergleichbare Anlagen bzw. Einrichtungen gem.§ 55 Abs. 4 BauGB zur Neuverteilung anstehende (Grund__________ 24 Zur Kritik speziell am „Zwang“, sich den Konditionen einer freiwilligen Umlegung nebst zusätzlichen Kostenübernahmeverpflichtungen zu unterwerfen, s. insbes. Dolde, NJW 1986, 815 (825); Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, 224; Stich, BauR 1997, 744 (748 ff.). 25 Urt. v. 6.7.1984 – 4 C 24.80, NJW 1985, 989.

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stücks-)Masse, nach einem anderen Maßstab als nach dem Verhältnis der Flächen oder nach dem Verhältnis der Werte vor und nach der Umlegung aufgeteilt werden könne. Hierbei seien die Beteiligten, so das Bundesverwaltungsgericht, nicht an den Umlegungsvorteil und den Wert der Einwurfsflächen gebunden, sondern könnten auch die Übernahme eines Geldbeitrags zu den Kosten der Umlegung vereinbaren, solange sich die Gemeinde nicht Gegenleistungen einräumen lasse, die den gesamten Umständen nach unangemessen seien oder mit der vertraglichen Leistung der Gemeinde in keinem sachlichen Zusammenhang stünden (Koppelungsverbot). Im Jahre 2001 hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsprechung – wie jetzt der V. Zivilsenat in seinem Urteil vom 29.11.2002 – unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das in §§ 11 Abs. 2 BauGB, 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG enthaltene Angemessenheits-Gebot noch einmal bestätigt und gleichzeitig gemeint, die in § 58 Abs. 1 BauGB vorgegebene Größenordnung für die Bemessung des Flächenbeitrags (seinerzeit maximal 30 % der Einwurfsfläche) könne dabei durchaus als Richtschnur herangezogen werden. Ob die Grenze der Angemessenheit aber tatsächlich überschritten werde, beurteile sich letztlich nach den Umständen des Einzelfalls. Dementsprechend sei auch die in jenem Verfahren aufgeworfene Frage, ob die (seinerzeit geltenden) Grenzen für die Bemessung des Flächenbeitrags in § 58 Abs. 1 Satz 2 BauGB a. F. im Rahmen einer freiwilligen Umlegung überschritten werden dürften, zu bejahen26. Dieser nach wie vor vergleichsweise offenen, auf die Umstände des Einzelfalls abstellenden Beurteilung der Angemessenheit vertraglicher Umlegungsbedingungen steht eine im Schrifttum verbreitete Ansicht gegenüber, die sich vor allem auch unter Bezugnahme auf den bekannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Vermögenssteuer27 auch in diesem Zusammenhang für die Beachtung des sog. Halbteilungsgrundsatzes ausspricht28. Dabei wird allerdings z. T. weniger auf den umlegungsbedingten Wertzuwachs als vielmehr auf die durch die Bauleitplanung eintretende Bodenwertsteigerung abgestellt, die als Indikator bzw. Maßstab für die Angemessenheit entsprechender vertraglicher __________ 26 Beschl. v. 17.7.2001 – 4 B 24.01, BauR 2002, 57 (61). 27 BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (138) = NJW 1995, 2615 (2617). 28 So bereits Brenner, DVBl 1993 (295 ff.); ausführl. Huber, DÖV 1999, 173; s. ferner Quaas in Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 11 Rz. 45; Grziwotz, JuS 1999, 37; Oehmen/Busch, BauR 2002, 1402 (1410); offen gelassen bei SchmidtAßmann, Studien zum Recht der städtebaulichen Umlegung, 1996, 143 f.

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Wertabschöpfungen bzw. Kostenbeteiligungen dienen und diese ggf. im Sinne einer Obergrenze auf die Hälfte der planungsbedingten Wertsteigerung beschränken soll29. Die Diskussion hierüber ist noch längst nicht abgeschlossen, insbesondere auch nicht durch die auf den ersten Blick überraschenden, aktuellen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Geltung des Halbteilungsgrundsatzes im Bodenordnungsverfahren30. Denn dort ging es nicht um die städtebauliche Umlegung, sondern um die Bodenordnung nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz und insoweit um die Wertermittlung in Ansehung des § 68 Abs. 1 SachenRBerG. Diese Vorschrift enthält tatsächlich eine gesetzliche Fixierung des Halbteilungsgrundsatzes, kann aber für die hier interessierende Frage, wo die Grenzen einer angemessenen Vertragsgestaltung bei der Wertabschöpfung und Kostenbeteiligung im Rahmen einer freiwilligen Umlegung liegen, nichts hergeben; denn die in § 68 SachenRBerG vorgesehene Halbierung des Kaufpreises bzw. des Grundstückswerts dient lediglich dem gerechten Ausgleich zwischen Grund- und Gebäudeeigentümer im Rahmen der Restitution31, betrifft also einen Sonderfall, selbst wenn dieser auf die Bodenwertermittlung im Rahmen der Bodenordnung nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz durchschlägt.

IV. Der Berufungsfall: der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.2001 Unter Berufung auf die lang erwartete Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur eigentumsrechtlichen Qualifizierung der städtebaulichen Umlegung vom 22.5.200132 kann man jedoch den Befürwortern des Halbteilungsgrundsatzes bei der einvernehmlichen Umlegung möglicherweise eine überraschende Hilfestellung zuteil werden lassen. Denn selbst wenn sich das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung erklärtermaßen auf die verfassungsrechtliche Positionierung der Umlegung „an sich“ beschränkt und „… Regelungen, die erst __________ 29 Vgl. dazu im Überblick Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 11 Rz. 167 m. w. N. (Stand: 10/2003). 30 BVerwG, Urt. v. 26.3.2003 – 9 C 5.02, VIZ 2003, 438 (440) sowie Beschl. v. 21.7.2004 – 10 B 1.04, VIZ 2004, 501. 31 Vgl. speziell dazu auch BVerfG, Beschl. v. 22.2.2001 – 1 BvR 198/98, VIZ 2001, 330 (332). 32 Beschl. v. 22.5.2001 – 1 BvR 1512/97 u. 1677/97, BVerfGE 104, 1 = NVwZ 2001, 1023.

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im weiteren Verlauf des Umlegungsverfahrens Einzelmaßnahmen ermöglichen“ dementsprechend aus der (unmittelbaren) Betrachtung ausgeklammert hat, kann die von ihm in den Vordergrund gerückte Privatnützigkeit der Umlegung nicht ohne Einfluss auf die (verfassungsrechtliche) Beurteilung speziell auch der Wertabschöpfung zugunsten der Gemeinde bleiben. So hält etwa Christ33 der bisher herrschenden Auffassung, das wirtschaftliche Ergebnis der städtebaulichen Neuordnung könne quasi bedenkenlos zugunsten der Allgemeinheit abgeschöpft werden, weil es sich um einen „unverdienten“ Wertzuwachs handele, in aller Deutlichkeit entgegen, diese Argumentation sei nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.2001 mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn sie sozialisiere unzulässigerweise den umlegungsbedingten Mehrwert, der den Eigentümern auch dann zustehe, wenn sie sich nicht auf eine einvernehmliche Umlegung einigen könnten. Die Abschöpfung des umlegungsbedingten Mehrwerts sei dementsprechend auf die Deckung der Umlegungskosten und den Ausgleich von Nachteilen einzelner Eigentümer beschränkt. Dieser sehr eigentümerfreundliche Ansatz, der die Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums aufgrund einer Umlegung nur dann und insoweit für gerechtfertigt erklärt, als sie dem privaten Interessenausgleich dient, hat in der einschlägigen Kommentarliteratur deutlichen Widerspruch erfahren und zugleich die Forderung nach einer neuerlichen Präzisierung der eigentumsrechtlichen Grundlagen der Umlegung durch das Bundesverfassungsgericht provoziert34. Die Rechtsprechung der Fachgerichte hat bisher, soweit ersichtlich, die Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch Christ jedenfalls noch nicht zum Anlass genommen, die Einbeziehung der „unverdienten“ Wertsteigerungen eines Grundstücks in den Umlegungsvorteil zu beanstanden. Auch der Gesetzgeber ist diesem Ansatz insoweit nicht gefolgt, als er, wie bereits erwähnt, im Rahmen des EAG Bau die bisherige Begrenzung des Flächenbeitrags bei der Flächenumlegung durch die Zulassung eines darüber hinausgehenden Vorteilsausgleichs in Geld im Ergebnis gegenstandslos gemacht hat (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 4 BauGB n. F.), anstatt etwa der Forderung zu entsprechen, die Wert- bzw. Flächenabschöpfung im Umlegungsverfahren auf die Kosten des Umle__________ 33 DVBl 2002, 1517 (1525). 34 So etwa durch Otte in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB § 45 Rz. 11 c (Stand: 5/2003); vgl. aber auch die differenzierte Würdigung der Christ’schen Schlussfolgerungen durch Spannowsky, UPR 2004, 321 (324 ff.).

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gungsverfahrens und den Ausgleich von Nachteilen einzelner Umlegungsbeteiligter zu beschränken. Gleichwohl: da ein weiteres klärendes Wort des Bundesverfassungsgerichts zur Umlegung, wie von manchen gewünscht, nicht so bald erwartet werden kann und insbesondere keinesfalls ausgemacht ist, dass dieses dann deutlich weniger eigentümerfreundlich ausfallen würde35, wird man für die weiteren Betrachtungen eine von Verfassungs wegen gebotene Limitierung der hoheitlichen Zugriffsbefugnisse im Umlegungsverfahren eher in Rechnung stellen müssen als das Gegenteil. Das betrifft auch und gerade die Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen über die Abschöpfung des Umlegungsvorteils sowie ihre Leitbildfunktion für die Beurteilung der Angemessenheit einvernehmlicher Umlegungen – unterstellt, man geht nicht so weit wie etwa Christ und erklärt die entsprechende Wertabschöpfung von vornherein für weitestgehend unzulässig, weil von der Privatnützigkeit der Umlegung nicht mehr gedeckt.

V. Der Kontrastfall: noch einmal das Urteil des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 29.11.2002 Bei dem Versuch, dem Gebot der Angemessenheit einvernehmlicher Umlegungen Konturen zu verleihen, die über die Einzelfallbetrachtung hinausgehen und gleichzeitig dem hohen Rang des involvierten Grundeigentums Rechnung tragen, ist man natürlich gerne geneigt, neuerlich auf das bereits eingangs erwähnte Urteil des V. Zivilsenats vom 29.11.2002 zu rekurrieren, zumal es auch dort erklärtermaßen um die Angemessenheit der Abschöpfung von Bodenwertsteigerungen ging. Der entscheidende Unterschied zu der hier interessierenden Problematik besteht allerdings darin, dass im dort entschiedenen Fall die Abführung der Differenz zwischen Ankaufpreis und (zwischenzeitlichem) Bodenwert vertragliche Konsequenz der Subventionierung des Grundstückserwerbs durch die Gemeinde im Rahmen des sog. Einheimi__________ 35 Zumal das Gericht den bisher zur eigentumsrechtlichen Unbedenklichkeit der Umlegung verwandten Argumentationsmustern wie „Surrogation“, „wertgleiche Abfindung“ oder „wohlverstandenes Eigeninteresse der Eigentümer“ ausdrücklich eine Absage erteilt hat, vgl. Haas, NVwZ 2002, 272 (275) sowie, in diesem Sinne, bereits Schmidt-Aßmann, DVBl 1982, 152 (154 f.).

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schenmodells war. Demgegenüber soll bei der (einvernehmlichen) Umlegung der Eigentümer einen Ausgleich für die Wertsteigerung des ihm bereits gehörenden Grundstücks aufgrund der Bodenordnung und ggf. der Erschließung leisten. Dem entspricht, dass Art. 14 Abs. 1 GG in der Entscheidung des V. Zivilsenats überhaupt keine Rolle spielt, allenfalls das (verfassungsrechtliche) Gebot der Verhältnismäßigkeit allen staatlichen Handelns und, am Rande, der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, während die vertragliche Abschöpfung des Entwicklungspotentials eines Grundstücks natürlich sofort die Frage ihrer Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 GG evoziert. Bei der weitergehenden Prüfung dieses Sachverhalts bietet sich, um eine Vermengung der Maßstäbe zu vermeiden, eine Differenzierung oder Abstufung wie folgt an:

1. Kosten der Planung, Umlegung und Erschließung Die Kosten der Planung und Umlegung dürften unabhängig davon, ob der entsprechende Aufwand durch die Verwaltung selbst oder durch einen privaten Dritten im Rahmen einer vertraglichen Kooperation erbracht wird36, in jedem Fall abwälzbar sein, selbst wenn die Berechtigung hierzu – entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung37 – nicht aus § 56 Abs. 2 BauGB herzuleiten sein dürfte. Denn diese Vorschrift berechtigt nur zur Wahl anderer, aber immer dem umlegungsrechtlichen Zweckmäßigkeitsgedanken verpflichteter Maßstäbe (als dem Flächen- oder Wertmaßstab) bei der Aufteilung der Verteilungsmasse, nicht aber dazu, zusätzliche Kosten, die mit der Verteilungsmasse nichts zu tun haben, umzulegen bzw. aufzuteilen und dadurch die Verteilungsmasse und dementsprechend die Zuteilungsansprüche der Umlegungsbetroffenen zu verringern. Die vom gesetzlichen Leitbild abweichende Überbürdung bzw. Übernahme der Planungs- und Umlegungskosten folgt vielmehr aus der auch vom Bundesverwaltungsgericht betonten generellen Flexibilität und Offenheit des Umlegungsrechts für vertragliche Vereinbarungen und widerspricht auch keinem gesetzlichen Verbot im Sinne des § 59 VwVfG; im Gegenteil: § 11 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sieht die Zulässigkeit von Verträgen, die der Neuordnung der Grundstücksverhältnisse im Hinblick auf städtebau__________ 36 A. A. hinsichtlich der verwaltungseigenen Personal- und Sachkosten Quaas in Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 11 Rz. 44 m. w. N. 37 Vgl. erneut Urt. v. 6.7.1984 – 4 C 24.80, NJW 1985, 989.

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liche Maßnahmen dienen, (inzwischen) ausdrücklich vor. In gleicher Weise können – ergänzend – auch bereits die Kosten der Erschließung eines Baugebiets zum Gegenstand einer einvernehmlichen Umlegungsregelung gemacht werden. Auch dabei handelt es sich um einen nachvollziehbaren „Fremdaufwand“, der von dritter Seite (von der Gemeinde bzw. von einem Erschließungsträger) zur Entwicklung der Grundstücke erbracht werden muss. Die Angemessenheit der entsprechenden Bedingungen bemisst sich nach § 11 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG und insoweit – in der Tat – nach den Umständen des Einzelfalls.

2. Verkürzung der Aufschließungsdauer Eine Mittelstellung nimmt als nächstes die Abschöpfung der umlegungsbedingten Wertsteigerung aufgrund der Verkürzung der Aufschließungsdauer ein. Hier geht es bereits um die Kommerzialisierung des dem Grundstück immanenten Potenzials, nach der Überplanung durch eine entsprechende, bezüglich des Ob und Wann im Ermessen der Gemeinde liegende Bodenordnung tatsächlich zu Bauland zu werden. Die Entscheidung der Gemeinde, ein Baugebiet nicht nur auszuweisen, sondern auch bodenordnend „unter den Pflug zu nehmen“, kann aber wohl immer noch als eigenständige und auch berechenbare Leistung angesehen werden, die einen unmittelbar daraus folgenden Vorteil der von der zeitnahen Umsetzung der Bauleitplanung profitierenden Umlegungsbetroffenen zur Folge hat. Auch insoweit gilt allerdings das Gebot der Angemessenheit vertraglicher Regelungen, wie es in § 11 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG enthalten ist. Insbesondere darf die (vertragliche) Abschöpfung dieses Vorteils (Verkürzung der Aufschließungsdauer) nicht dazu führen, unzulässigerweise auch noch die planungsbedingte Verkürzung der Entwicklung eines Grundstücks von einer baulich nicht nutzbaren Außenbereichsfläche bzw. von Bauerwartungsland zu Rohbauland abschöpfend zu berücksichtigen. Dieser Bereich, also die planungsbedingten Wertsteigerungen, gilt nach wie vor als Tabu, selbst wenn etwa Quaas38 zu Recht darauf hinweist, dass es der Abschöpfung des überwiegenden Teils der planungsbedingten Bodenwertsteigerung gleich kommen dürfte, wenn – ob zu Recht oder nicht – die Palette der städtebaulichen Vertragstypen im Einzelfall voll ausgereizt wird. __________ 38 Quaas in Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 11 Rz. 43 a. E.

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3. Gestaltungs- und Erschließungsvorteil Diese mit einer städtebaulichen Umlegung typischerweise ganz oder teilweise verbundenen Vorteile sind Ergebnis des entsprechenden, bodenordnenden Tätigwerdens der Gemeinde oder des Erschließungsträgers, gehen aber in ihren Auswirkungen auf den Grundstückswert weit über dasjenige hinaus, was der einzelne Umlegungsbetroffene der Gemeinde angemessenerweise für die Kosten der Planung und der Umlegung sowie für die Verkürzung der Aufschließungsdauer zu vergüten hat oder zu vergüten hätte. Damit stellt sich jetzt aber tatsächlich die entscheidende Frage, ob dieser unverhältnismäßige Wertzuwachs ohne weiteres zumindest in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang erhoben bzw. abgeschöpft werden kann. Denn diese Wertsteigerung ist nicht unmittelbar oder allein Frucht der Entscheidung der Gemeinde, ihre Bauleitplanung durch eine entsprechende Bodenordnung zu verwirklichen und entsprechende Aktivitäten zu entfalten, sondern Ausdruck der in dem jeweiligen Grundstück schlummernden und damit zuförderst dem Eigentümer zustehenden bzw. zuzurechnenden Entwicklungsmöglichkeiten. Ab wann also gerät eine entsprechende Wertabschöpfung in Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1 GG? Auch insoweit ist allerdings zuvor noch eine weitere Differenzierung angebracht. Soweit es nämlich in diesem Zusammenhang um den Flächenabzug bzw. um die Flächenbeschaffung für die zur Bebauung des Gebiets notwendige Erschließungsinfrastrukur im Sinne des § 55 Abs. 2 BauGB geht, ist das gerade in Ansehung der vorerwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.2001 grundsätzlich als unbedenkliche Inhaltsbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG im gleichgerichteten Interesse aller Eigentümer einzustufen. Es bleibt nach alledem eigentlich nur noch das Problem, ob und inwieweit die Abschöpfung eines Spitzenbetrags der Grundstückswertsteigerung, der weder in den Kosten der Planung, Umlegung und ggf. Erschließung, noch in der Verkürzung der Aufschließungsdauer und schließlich auch nicht in dem Wert der für die Erschließung des Baugebiets notwendigen Flächen sein Äquivalent hat, im Rahmen einvernehmlicher Umlegungsregelungen als „angemessen“ bzw. als eigentumsverträglich angesehen werden kann.

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VI. Der Ernstfall: die „unverdienten“ Wertsteigerungen Auch dann, wenn sich die Fragestellung danach tatsächlich auf die gerne so bezeichneten „unverdienten“ Wertsteigerungen aufgrund der Umlegung in dem vorstehend präzisierten Sinne konzentriert, gibt es zum Umgang mit ihnen und insbesondere zur eigentumsrechtlichen Qualifikation ihrer Abschöpfung durch die Gemeinde doch wiederum mehrere Optionen:

1. Weiter wie bisher Zum einen kann man, wie das der bisherigen Rechtspraxis entspricht, diese Wertsteigerungen quasi unbesehen als Bestandteil des Umlegungsmehrwerts eines Grundstücks passieren und es der Grundstückswertermittlung und damit dem Markt überlassen, in welcher Höhe der Umlegungsvorteil im Ergebnis zu Buche schlägt. Weniger eine rechtliche als vielmehr eine tatsächliche Frage wäre es dann, ob eine etwa den Flächenbeitragssatz von 30 % deutlich übersteigende, ggf. sogar zu einer Halbierung des Einwurfswerts führende Abschöpfung des Umlegungsvorteils politisch überhaupt durchsetzbar ist. Das kann je nach den örtlichen Verhältnissen und der Nachfrage nach Bauland sehr unterschiedlich zu beantworten sein. Dementsprechend wäre es auch und gerade im Rahmen einvernehmlicher Umlegungsregelungen nicht unzulässig bzw. „unangemessen“, nicht nur die Kosten der Planung, Umlegung und ggf. Erschließung, sondern auch die Abschöpfung der umlegungsbedingten Wertsteigerungen zur Gänze in die Berechnung dessen einzustellen, was die Umlegungsbeteiligten der Gemeinde oder dem mit ihr kooperierenden Erschließungsunternehmer für die Baulandaktivierung schulden.

2. Halbteilung Die andere Option bestünde darin, die Heranziehung der Betroffenen zu den Kosten der Planung, Umlegung und ggf. Erschließung sowie gleichzeitig die Abschöpfung der umlegungsbedingten Wertsteigerungen im Sinne des Halbteilungsgrundsatzes absolut zu beschränken und diese Beschränkung – natürlich – auch als rechtlich verbindliche Vorgabe auf die Vertragsgestaltung bei der einvernehmlichen Umlegung durchschlagen zu lassen. Diese Option entbehrt in ihrer Eindeutigkeit und Klarheit nicht eines gewissen Charmes und hat im Anschluss an die 341

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zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vermögenssteuer auch und gerade bei der Beurteilung städtebaulicher Verträge Anhänger gefunden39. Gleichwohl erscheint dieser starre Maßstab nicht wirklich geeignet, den dynamischen Prozess der Bodenwertsteigerung aufgrund der Umlegung, die dafür von der Gemeinde tatsächlich erbrachten Aufwand und die jeweiligen örtlichen Verhältnisse angemessen abzubilden bzw. ihnen gerecht zu werden. Wenn überhaupt, wäre an eine Orientierung an der Halbteilung als einem Richtwert zu denken, verbunden allerdings mit der Möglichkeit, Überschreitungen jedenfalls dann zuzulassen, wenn dies etwa durch Sondervorteile, die sich auch tatsächlich zugunsten der Umlegungsbetroffenen auswirken (besonders schnelle Projektabwicklung, besonders qualitätsvolle Infrastruktur u. ä.), kompensiert wird40 – womit argumentativ wieder die Brücke zu der Entscheidung des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 29.11.2002 geschlagen wäre.

3. Isolierung und Nichtberücksichtigung Die dritte Option hingegen, der hier der Vorzug gegeben wird, besteht in der Herausrechnung bzw. Isolierung der umlegungsbedingten Wertsteigerungen, die das in dem jeweiligen Grundstück deckende bzw. schlummernde Entwicklungspotenzial abbilden, ohne gleichzeitig in den Kosten für Planung, Umlegung und ggf. Erschließung, in der Verkürzung der Aufschließungsdauer und in dem Wert der für die Erschließung des Baugebiets notwendigen Flächen ihr unmittelbares Äquivalent zu haben. Diese Wertsteigerungen, so meine auch ich, stehen ungeschmälert dem Eigentümer genauso zu wie die planungsbedingten Wertsteigerungen, die abzuschöpfen weiterhin – gerade auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.2001 – nicht zulässig sein dürfte. Das muss, wie im Ergebnis etwa auch von Christ41 gefordert, nicht nur eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendungen der Vorschriften der §§ 57, 58 BauGB hinsichtlich der Abschöpfung des Umlegungsvorteils bzw. der umlegungsbedingten Wertsteigerungen zur Folge haben – jeweils also unter Ausklammerung der dem Eigentümer nach Maßgabe der vorstehend gemachten Präzisierungen vorbehaltenen Wertsteigerungen –, sondern gleichzeitig auch auf die Beurteilung einvernehmlicher Umlegungsregelungen durchschlagen. __________ 39 Vgl. erneut die Nachweise o. Fn. 28. 40 So etwa Quaas in Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 11 Rz. 45 m. w. N. 41 DVBl 2002, 1517 (1525 ff.).

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Unangemessen, weil eine nicht gerechtfertigte bzw. unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Eigentumsrechts beinhaltend, wären danach Regelungen, die einerseits über den (anteiligen) Wert der für die Erschließung des Baugebiets notwendigen Infrastrukturflächen hinausgehen und andererseits in keinem angemessenen Verhältnis zur Umlegungsleistung der Gemeinde oder des mit ihr kooperierenden Erschließungsträgers stehen, sondern statt dessen bzw. darüber hinaus entweder nach Maßgabe pauschaler Sätze oder differenzierter Zuschläge eine Abschöpfung auch derjenigen Wertsteigerungen vorsehen, die unbeachtlich der Aktivitäten der Gemeinde nach dem Grundgesetz allein dem privaten Eigentümer vorbehalten sind bzw. ihm zustehen.

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Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch Achim Krämer Inhaltsübersicht I. Zur Entstehung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB II. Unmittelbarer Anwendungsbereich III. Analoge Anwendungen in der Rechtsprechung

1. Sonstige Einwirkungen (insbesondere „Grobimmissionen“) 2. Rechtliche Duldungspflichten 3. Faktischer Duldungszwang 4. Ausdehnung auf Besitzer IV. Systematische Einordnung V. Fazit

Zu den Rechtsgebieten, die der Jubilar als Vorsitzender des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs entscheidend mitgeprägt hat, gehört das Grundstücksrecht. Dabei verdient unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch besonderes Interesse. Der Anwendungsbereich des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, vor allem auch die Analogiefähigkeit dieser Vorschrift, beschäftigt die Rechtsprechung seit langem. Urteile aus jüngster Zeit zeigen, daß dies auch künftig der Fall sein wird, zumal das Nachbarschaftsverhältnis durch vielfältige Interessengegensätze charakterisiert ist, denen jeweils in wertender Betrachtung und Abwägung Rechnung getragen werden muß. Ein englisches Bonmot kennzeichnet es deshalb treffend als „a relationship as fertile in disputes as marriage1. Das neue Revisionsrecht, wonach auch Landgerichte als Berufungsgerichte die Revision zulassen können2, hat dazu geführt, daß nachbarrechtliche Probleme auch bei niedrigem Streitwert vom Bundesgerichtshof entschieden werden müssen3. Nachfolgend soll versucht werden, die bisherige Entwicklung dieser Rechtsprechung nachzuzeichnen. __________ 1 Zitiert nach Schlechtriem, Festschrift für Gernhuber, 1993, 407 (421). 2 BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221; v. 4.6.2002 – V ZR 75/02, WM 2002, 1811; Urt. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, NJW 2003, 1943; vgl. ferner die Kommentierung von Wenzel im MünchKomm/ZPO, ZPO-Reform, 2. Aufl., 2002, §§ 542 bis 566; vgl. ferner Wenzel, NJW 2002, 3353. 3 Etwa BGH, Urt. v. 21.3.2003 – V ZR 319/02, NJW 2003, 1732; v. 14.11.2003 – V ZR 102/03, NJW 2004, 1037; v. 28.11.2003 – V ZR 99/03, NJW 2004, 603;

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Achim Krämer

I. Zur Entstehung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Zum Verständnis des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist ein kurzer Rückblick auf dessen Entstehungsgeschichte unerläßlich4. In seiner ursprünglichen Fassung beschränkte sich § 906 BGB darauf, Abwehransprüche des von Immissionen betroffenen Grundstückseigentümers auszuschließen. Dieser hatte solche Immissionen zu dulden, die ihn entweder nur unwesentlich beeinträchtigten oder zwar wesentlich waren, aber durch eine ortsübliche Nutzung verursacht wurden. Ein Ausgleich in Geld sah § 906 BGB a. F. nicht vor. Weitergehende Duldungspflichten ergaben sich nach damaliger Rechtslage aus § 26 GewO: Gegenüber privilegierten Betrieben war danach ein Anspruch auf Betriebsschließung ausgeschlossen; gefordert werden konnten jedoch Schutzvorkehrungen und – soweit das nicht möglich war – Schadensersatz für erlittene Beeinträchtigungen. Ein Ersatzanspruch bestand lediglich im Rahmen gesteigerter Duldungspflichten nach § 26 GewO. Ergab sich hingegen die Duldungspflicht bereits aus § 906 BGB, blieb die Beeinträchtigung entschädigungslos5. Intensive, aber nach Ortslage gewöhnliche Emissionen konnten den nachbarlichen Interessenausgleich damit in eine erhebliche Schieflage bringen, in Extremfällen sogar zu Lasten des Beeinträchtigten gänzlich aushebeln. Um hier Abhilfemöglichkeiten zu schaffen, griff das Reichsgericht6 zu einer einschränkenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Ortsüblichkeit“ – ohne dabei freilich das Grundgerüst des Anspruchssystems der §§ 906 BGB, 26 GewO a. F. anzutasten. Ausgangspunkt war der Konflikt zwischen landwirtschaftlicher und industrieller Nutzung. Die Letztere war für das streitgegenständliche Gebiet üblich, bedrohte aber durch intensive Ruß- und Staubemissionen die benachbarte Landwirtschaft in ihrer Existenz. Da aber auch die landwirtschaftliche Nutzung nicht ortsfremd war und damit ihre eigene Daseinsberechtigung besaß, mußte nach Auffassung des Reichsgerichts eine Industrienutzung, die diese Landwirtschaft unmöglich machte, den __________ v. 12.12.2003 – V ZR 97/03, NJW 2004, 1035; v. 12.12.2003 – V ZR 180/03, VersR 2004, 519; v. 2.7.2004 – V ZR 33/04, Pressemitteilung des BGH Nr. 82/2004. 4 Dazu aufschlußreich Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 483 ff. 5 RGZ 139, 29 (33) – Gutehoffnungshütte I. 6 RGZ 154, 161 – Gutehoffnungshütte II. Dazu – und zu den Mißdeutungen dieser Entscheidung – Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 488 f.

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Rahmen des Ortsüblichen sprengen7. Durch diesen Kunstgriff, der bei der Prüfung der Ortsüblichkeit von Emissionen nicht nur auf das emittierende Grundstück abstellte, sondern auch das beeinträchtigte Grundstück einbezog, gelang es dem Reichsgericht, die entschädigungslose Duldungspflicht nach § 906 BGB einzuschränken und den Anwendungsbereich der Ersatzpflicht nach § 26 GewO zu eröffnen. Die Berücksichtigung der beeinträchtigten Nutzung bei Prüfung der Ortsüblichkeit begründete das Reichsgericht ausdrücklich mit der dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringenden Rücksichtnahmepflicht8. Es folgten erhebliche Erweiterungen der nachbarrechtlichen Ansprüche in der frühen höchstrichterlichen Judikatur. So zog der BGH etwa das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als alleinige Anspruchsgrundlage für den Ersatz erhöhter Aufwendungen aufgrund des – vom Nachbarn nicht verursachten – Herüberragens von Gebäudeteilen heran9. Speziell für den Bereich der Immissionen weitete der BGH den Anwendungsbereich der vom Reichsgericht zu den §§ 906 BGB, 26 GewO entwickelten Rechtsgedanken aus und erstreckte die Schadensersatzpflicht auch auf rein privatwirtschaftliche, nichtprivilegierte Betriebe. Da diese von § 26 GewO nicht erfaßt waren, blieb als Anspruchsgrundlage wiederum allein das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis10. Endgültig den Rahmen der §§ 906 BGB, 26 GewO a. F. sprengte schließlich das Erzröstofen-Urteil11, das erneut den Nutzungskonflikt zwischen Landwirtschaft und Industrie betraf. Neben dem Ersatzanspruch aus § 26 GewO bei ortsüblicher Nutzung wurde dort – offenbar aufgrund einer Fehlinterpretation der genannten Rechtsprechung des Reichsgerichts12 – auch im Falle der Ortsüblichkeit, also einer nach § 906 BGB a. F. an sich entschädigungslosen Duldungspflicht, ein „Billigkeitsanspruch auf Teilentschädigung“ aus dem Nachbarschaftsverhältnis vorausgesetzt, der nicht erst im Falle der Existenzbedrohung, sondern bereits bei „schweren Beeinträchtigungen“ zum Tragen komme. __________ 7 RGZ 154, 161 (166 f.); dasselbe sollte gelten, soweit die Industrieemissionen durch zumutbare Schutzmaßnahmen einschränkbar waren. 8 RGZ 154, 161 (165). 9 BGH, Urt. v. 9.7.1958 – V ZR 202/57, BGHZ 28, 110 (111 f. und 114) – Kriegsbedingt ausgebauchte Brandmauer. 10 BGH, Urt. v. 8.10.1958 – V ZR 54/56, BGHZ 28, 225 f. – Steinbrocken aus Sprengungen. 11 BGH, Urt. v. 15.4.1959 – V ZR 3/58, BGHZ 30, 273 (insb. 280). 12 RGZ 154, 161; vgl. dazu Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 483 (492).

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Daran knüpfte die Novellierung des § 906 durch Gesetz vom 22.12.1959 (BGBl. I 781) an. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB schränkte nunmehr die Duldungspflicht erheblich ein. Zu dulden sind danach nicht mehr alle unwesentlichen oder durch ortsübliche Nutzung verursachten Beeinträchtigungen. Vielmehr wurde der primäre Abwehranspruch auch auf Fälle der Ortsüblichkeit ausgedehnt; insbesondere konnten nunmehr vom Emittenten wirtschaftlich zumutbare Schutzvorkehrungen verlangt werden. Daneben wurde in Abs. 2 Satz 2 ein Anspruch auf angemessenen Ausgleich in Geld eingeführt, soweit Immissionen zu dulden sind. Die Schwelle für die Ausgleichspflicht wurde dabei – über die in der Rechtsprechung bis dahin anerkannten äußersten Härtefälle hinaus – auf unzumutbare Beeinträchtigungen gesenkt13. Anders formuliert: Wesentliche Beeinträchtigungen müssen auch bei ortsüblicher Nutzung nur noch ausnahmsweise geduldet werden (Abs. 2 Satz 1). Soweit danach eine Duldungspflicht wegen Ortsüblichkeit besteht, hat der Betroffene grundsätzlich einen Anspruch auf Geldausgleich (Abs. 2 Satz 2); entschädigungslos bleiben nur die Beeinträchtigungen, die zwar die Meßlatte der Wesentlichkeit, nicht aber diejenige der Unzumutbarkeit übersteigen.

II. Unmittelbarer Anwendungsbereich Dem Wortlaut nach schafft § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB damit neben dem verschuldensabhängigen Deliktsrecht einen eigenen, aus dem nachbarlichen Sonderverhältnis fließenden, verschuldensunabhängigen Anspruch auf Geldausgleich für wesentliche, durch ortsübliche Nutzung hervorgerufene, vom Verursacher mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht verhinderbare und für den Betroffenen unzumutbare Beeinträchtigungen. Zu den einzelnen Voraussetzungen: 1. Ob von einer wesentlichen Beeinträchtigung gesprochen werden kann, ist i. d. R. eine Frage des Einzelfalls und damit Teil der tatrichterlichen Wertung14. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt dies von dem „Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen“ ab und davon, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zu__________ 13 A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 60 m. w. N. 14 Etwa OLG Hamburg, NJW 1988, 2052, zur ästhetischen Beeinträchtigung durch Gartenzwerge wegen deren „ideologischer Überfrachtung“ (dort in einer WEG-Anlage).

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zumuten ist15. Zu erheblicher Vereinfachung und Vereinheitlichung der Praxis hat insoweit der durch das Sachenrechtsänderungsgesetz vom September 1989 in § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB eingefügte Verweis auf gesetzliche Richtwerte geführt, deren Einhaltung die Unwesentlichkeit der Immission indiziert. In jüngerer Zeit ist dies etwa beim Streit um die Errichtung von Mobilfunkanlagen bedeutsam geworden, die in der Nachbarschaft regelmäßig Besorgnis auslösen. Solange die Richtwerte der 26. BImSchV eingehalten werden, sind Abwehransprüche ausgeschlossen16. Mangels wesentlicher Beeinträchtigung i. S. des § 906 Abs. 1 BGB besteht dann auch kein Ausgleichsanspruch. Mag dies für die betroffenen Nachbarn auch unbefriedigend sein, so entspricht das Ergebnis doch vernünftigen Erwägungen der Gewaltenteilung. Wie das Beispiel des ungewissen Gefahrenpotentials von Funkwellen zeigt, wird die gerichtliche Beweiserhebung anläßlich eines konkreten Streitfalls die gebotene Gesamteinschätzung des komplexen wissenschaftlichen Forschungsstands nicht leisten können; es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zu verfolgen und entsprechend zu bewerten, um dann ggf. die Richtwerte anzupassen. Allerdings ist die Indizwirkung gesetzlicher Richtwerte keineswegs unwiderleglich. Ausnahmen können sich etwa aus der besonderen Eigenart der Emission im Einzelfall ergeben, erst recht wenn feststeht, daß sie einen konkreten Schaden verursacht hat17. Zudem will die Rechtsprechung bei Bestimmung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung die Würdigung anderer privater und öffentlicher Belange einbeziehen18. 2. Auch die Qualifizierung der Ortsüblichkeit ist weitgehend eine Frage des Einzelfalls. Im Gegensatz zum Kriterium der Wesentlichkeit entscheidet es aber nicht über die Frage, ob dem Beeinträchtigten überhaupt Ansprüche zustehen, sondern bildet vor allem eine Weichenstellung für die Art der Ansprüche. Ist die emittierende Nutzung ortsunüblich, führt das unmittelbar zum Abwehranspruch; Ausgleichsan__________ 15 BGHZ 120, 239 (255); 121, 248 (255); 146, 261 (264). 16 Dazu nunmehr BGH, Urt. v. 13.2.2004 – V ZR 217/03, NJW 2004, 1317 sowie v. 8.10.2004 – V ZR 85/04; Zur 26. BImSchV; vgl. auch BVerfG, NJW 2002, 1638 (1639). 17 BGH, Urt. v. 6.7.2001 – V ZR 246/00, NJW 2001, 3119 (3120) – Lärmspitzen durch Hammerschmiede; BGH, Urt. v. 20.11.1998 – V ZR 411/97, NJW 1999, 1029 (1030); – Schäden durch sprengungsbedingte Erschütterungen. 18 BGH, Urt. v. 23.9.2003 – V ZR 41/04, NJW 2003, 3699 (3700) m. w. N. – Vereinsfest.

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sprüche scheiden dann aus. Bei ortsüblicher Nutzung hingegen fächert sich das Spektrum auf: In Betracht kommt entweder ein primärer, aber auf Schutzvorkehrungen begrenzter Abwehrspruch, der – sekundäre – Ausgleichsanspruch oder eine entschädigungslose Duldungspflicht. Für die Ortsüblichkeit ist ausschließlich auf die emittierende Nutzung abzustellen. Ob und wie intensiv dadurch benachbarte Grundstücke beeinträchtigt werden, ist hingegen – anders als zu Zeiten des § 906 BGB a. F., durch den sich das Reichsgericht zu einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der „Ortsüblichkeit“ genötigt sah – allein im Rahmen der Wesentlichkeit und ggf. der Zumutbarkeit zu berücksichtigen19. Schon der Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB fordert eine „ortsübliche Benutzung“, keine „ortsübliche Beeinträchtigung“. Das schließt es nicht aus, im Rahmen der Ortsüblichkeit zu berücksichtigen, welche Schutzvorkehrungen vergleichbare Emittenten vorhalten20. In zeitlicher Hinsicht kommt es grundsätzlich auf den Ist-Zustand an; Gesichtspunkte der Priorität spielen für die Ortsüblichkeit keine Rolle21. 3. Liegt danach eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Nutzung vor, eröffnet § 906 Abs. 2 BGB einen weiten Raum beiderseitiger Zumutbarkeitserwägungen. Zunächst ist auf Seiten des Emittenten zu prüfen, ob er die Beeinträchtigung durch wirtschaftlich zumutbare Schutzmaßnahmen verhindern kann. Erst wenn dies ausscheidet, ist auf die Sicht des Beeinträchtigten abzustellen. Wird er er über das ihm zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt, hat er Anspruch auf Ausgleich in Geld. Ingesamt stellt § 906 BGB damit ein zwar kompliziertes, aber subtil austariertes System gegenseitiger Rücksichtnahmepflichten zur Verfügung, das mit den Kriterien der Wesentlichkeit und Zumutbarkeit konkrete Anknüpfungspunkte für die einzelfallbezogene Wertung bietet. __________ 19 Ebenso Staudinger/Roth, § 906 BGB Rz. 208; vgl. auch BGH, Urt. v. 23.3.1990 – V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 (72 f.) – Volksfest. Unzutreffend daher LG Aschaffenburg, NVwZ 2000, 965 (966), das die Ortsüblichkeit kirchlichen Zeitläutens wegen der besonderen Beeinträchtigung eines Nachbarn verneint und so zum Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB gelangt. – Zur abweichenden Beurteilung nach § 906 BGB a. F. vgl. RGZ 154, 161; BGH, Urt. v. 15.4.1959 – V ZR 3/58, BGHZ 30, 273 (278 f.). 20 So (zu § 906 BGB n. F.) BGH, Urt. v. 28.9.1962 – V ZR 233/60, BGHZ 38, 61 (62) – Schullärm. 21 BGH, Urt. v. 20.11.1992 – V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 – Froschlärm; BGH, Urt. v. 6.7.2001 – V ZR 246/00, NJW 2001, 3119 (3120) – Hammerschmiede; in diesem Sinne bereits RGZ 145, 161.

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4. Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 906 BGB tendiert die jüngere Rechtsprechung zu einer Verlagerung der Abwägung in das Merkmal der Wesentlichkeit, also vom Abs. 2 in den Abs. 1. Danach soll es schon für die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung darauf ankommen, ob sie dem Betroffenen unter umfassender „Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange nicht mehr zuzumuten ist22. Sogar die Frage, ob sich die Beeinträchtigungen durch einen Standortwechsel der Emissionsquelle vermindern lassen, wird zum Teil – unter ausdrücklicher Bezeichnung als Zumutbarkeitskriterium – in die Prüfung der Wesentlichkeit verlagert23. Zwar bietet das mitunter den praktischen Vorteil, daß sich die schwierige Frage der Ortsüblichkeit – gerade bei nur selten stattfindenden, dafür aber umso lauter gefeierten Festen – umgehen läßt. Jedoch handelt es sich um Überlegungen, die dogmatisch erst im Rahmen des § 906 Abs. 2 Satz 1 a. E. BGB – dem Emittenten zumutbare Schutzvorkehrungen – zu verorten sind. Hier erscheint das Wechselspiel beiderseitiger Zumutbarkeitserwägungen in Abs. 2 Satz 1 und 2 als geeigneter und vorzugswürdiger Prüfungsrahmen. Gleiches dürfte gelten, soweit die Rechtsprechung eine Ausnahme von dem Grundsatz macht, daß die Einhaltung technischer Richtwerte die Unwesentlichkeit lediglich indiziert. Unwiderleglich ist diese Vermutung nämlich bei bewußter Ansiedlung neben einer seit langem bestehenden Emissionsquelle, obwohl die zeitliche Priorität der kollidierenden Nutzungen grundsätzlich unbedeutsam ist. Rückt ein Nachbar an eine solche Emissionsquelle heran, soll ein Abwehranspruch schon mangels Wesentlichkeit – und damit zugleich auch ein Ausgleichsanspruch – entfallen, sobald die entsprechenden Richtwerte eingehalten sind24. Der BGH hat diese Einordnung auf die nachbarlichen Rücksichtnahmepflichten – dort: des heranrückenden Nachbarn – gestützt; er vermied dadurch wiederum den Rückgriff auf die Ortsüblichkeit, was im Streitfall evtl. den Emittenten zu erheblichen Lärmschutzinvestitionen gezwungen hätte. Doch erscheint es auch hier methodisch vorzugswürdig, das – billigenswerte – Ergebnis über den zwar schwierigeren, aber flexiblen Lösungsweg der Ortsüblichkeit zu begründen. Auch hier bietet die beidseitige Zumutbarkeitsabwägung in § 906 Abs. 2 Satz 1 und 2 __________ 22 BGH, Urt. v. 23.9.2003 – V ZR 41/03, NJW 2003, 3699 (3700) m. w. N. – Vereinsfest. 23 BGH NJW 2003, 370 – Verlegung einer jährlichen Konzertveranstaltung. Anders (Berücksichtigung im Rahmen des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB) noch BGH, Urt. v. 23.3.1990 – V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 (74) – Volksfest. 24 BGH, Urt. v. 6.7.2001 – V ZR 246/00, NJW 2001, 3119 (3120) – Hammerschmiede.

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BGB ein geeignetes Einfallstor für die Wertung im Einzelfall, etwa die Berücksichtigung besonderer nachbarlicher Rücksichtnahmepflichten: Wer sich bewußt neben einer Lärmquelle ansiedelt, wird zwar wesentlich, aber eben nicht unzumutbar beeinträchtigt.

III. Analoge Anwendungen in der Rechtsprechung Seine weitreichende Bedeutung erhält § 906 BGB freilich erst in den vom BGH entschiedenen Fällen analoger Anwendung – gegen teilweise heftige Kritik in der Literatur.

1. Sonstige Einwirkungen (insbesondere „Grobimmissionen“) Grundsätzlich scheidet gegenüber sog. „Grobimmissionen“, also größeren festkörperlichen Gegenständen wie Steinen oder Tieren, sowie gegenüber Flüssigkeiten eine Duldungspflicht aus, da es sich dabei nicht um „ähnliche Einwirkungen“ i. S. des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt25. Ausnahmsweise können sich aber auch dort Duldungspflichten ergeben, die nicht unmittelbar aus § 906 BGB, sondern aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis folgen. In diesem Rahmen soll dann unter Umständen sogar die Frage der Ortsüblichkeit offen bleiben können26. Soweit derartige Duldungspflichten bestehen, hat der Betroffene analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Ausgleichsanspruch für unzumutbare Beeinträchtigungen27.

2. Rechtliche Duldungspflichten Auch sonst kann – außerhalb von § 906 BGB – der primäre Abwehranspruch aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen sein. Das soll nach der Rechtsprechung vor allem auf Störungen durch gemeinwichtige, nicht__________ 25 Staudinger/Roth, 2001, § 906 BGB Rz. 117 ff. mit weiteren Beispielen. 26 BGH, Urt. v. 8.10.1958 – V ZR 54/56, BGHZ 28, 225 (229 f.) – Steinschlag; Urt. v. 8.2.1972 – VI ZR 155/70, BGHZ 58, 149 (159) – Marinedamm. 27 Ob auch die analoge Anwendung eine unzumutbare Beeinträchtigung voraussetzt oder schon bei jeder wesentlichen Beeinträchtigung eingreift, ist nicht unumstritten; vorzugswürdig erscheint die erste, an § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB orientierte Lösung, die zumutbare Beeinträchtigungen duldungspflichtig und dennoch entschädigungslos stellt; Staudinger/Roth, § 906 BGB Rz. 72; Schlechtriem, Festschrift für Gernhuber, 1993, 407/421).

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hoheitliche Betriebe zutreffen, wobei das Allgemeininteresse zur Rechtfertigung der Duldungspflicht herangezogen wird28. In der Literatur stößt dies auf Kritik, weil damit letztlich Eingriffe in private Rechte ohne gesetzliche Grundlage ermöglicht werden29. Eine vermittelnde Lösung könnte hier darin bestehen, innerhalb des § 906 BGB den Ortsüblichkeitsbegriff weiter zu fassen und die Allgemeininteressen in die Zumutbarkeitsprüfung einfließen zu lassen. Ein weiterer Fall rechtlicher Duldungspflichten ergibt sich, wenn bestimmte Abwehransprüche – etwa auf das Zurückschneiden von Grenzbewuchs – durch landesrechtliche Ausschlußfristen präkludiert sind30. Analog zur Duldungspflicht nach § 906 BGB soll auch die landesrechtliche Präklusion zu einem Ausgleichsanspruch in Geld führen. Erwägenswert erscheint dies vor allem im Vergleich zu den Entschädigungsinstituten des öffentlichen Rechts, die bekanntlich als weitgehend parallel zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch angesehen werden31. Denn ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff entfällt, wenn der Betroffene die Frist zur Primärabwehr verstreichen ließ32. Daß dieser Grundsatz im zivilrechtlichen Bereich nicht uneingeschränkt gilt, zeigt § 14 Satz 2 BImSchG, der eine Ersatzpflicht des Anlagenbetreibers auch dann vorsieht, wenn der betroffene Nachbar die Anfechtungsfrist gegenüber der Genehmigung der Anlage versäumt hat und diese dadurch bestandskräftig geworden ist. Dennoch ist bedenkenswert, das – schuldhafte – Verstreichenlassen nachbarrechtlicher Präklusionsfristen im Rahmen der Zumutbarkeitserwägungen analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB oder zumindest nach § 254 BGB zu berücksichtigen. __________ 28 BGH, Urt. v. 7.4.2000 – V ZR 39/99, LM § 1004 BGB Nr. 246 – Frankfurter Drogenzentrum mit krit. Anm. von Roth. Weitere Beispiele: Staudinger/Roth, § 906 BGB Rz. 29 sowie 43 ff. Im Ergebnis – durch erhöhte Anforderungen an die Wesentlichkeit – auch BGH, Urt. v. 23.9.2003 – V ZR 41/03; NJW 2003, 3699 (3700 f.) – Vereinsfest. 29 Staudinger/Roth, § 906 BGB Rz. 30 m. w. N. 30 BGH, Urt. v. 14.11.2003 – V ZR 102/03, NJW 2004, 1037, zu §§ 50, 54 NdsNachbG. 31 Hagen, Festschrift für Lange, 1992, s. 483 (506 f.): „weitgehende Übereinstimmung in Tatbestand und Rechtsfolge“; einschränkend BGH, Urt. v. 30.5.2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99 (104 f.); v. 31.5.1974 – V ZR 114/72, BGHZ 62, 361 (365 f.). 32 Kein „dulde und liquidiere“, hierzu Staudinger/Wurm, § 839 BGB Rz. 489 m. w. N.

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In Betracht kommen im Bereich der rechtlichen Duldungspflichten schließlich Fälle der gewandelten Auffassung über die Wesentlichkeit von Beeinträchtigungen33. Sollten sich beispielsweise die derzeitigen Grenzwerte für Mobilfunkwellen aufgrund zukünftiger wissenschaftlicher Erkenntnisse als unhaltbar erweisen, könnte sich ein Entschädigungsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ergeben, wenn ein betroffener Nachbar durch die (unterstellt) zu hohen Grenzwerte an der Abwehr einer Mobilfunkanlage gehindert war und dadurch konkrete Schäden erlitten hat.

3. Faktischer Duldungszwang Am umstrittensten ist die analoge Anwendung auf die Fälle, in denen der Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist. Dabei ist zu unterscheiden: Nah an der letztgenannten Fallgruppe – rechtliche Duldungspflicht aufgrund unzureichender gesetzlicher Grenzwerte – liegen noch die Konstellationen, in denen eine wesentliche Beeinträchtigung für den betroffenen Nachbarn zunächst aus tatsächlichen Gründen nicht erkennbar ist. Das betrifft vor allem Fälle, in denen der Nachbar entweder die Immission – beispielsweise eines giftigen Gases – nicht bemerkt oder zwar die Immission als solche, nicht aber deren Schädlichkeit kennt, und sich diese erst später aufgrund veränderten Umweltbewußtseins erweist34. Hier ergibt sich die ausgleichspflichtige Beeinträchtigung jeweils bereits aus dem „Normalbetrieb“ der emittierenden Nutzung. Dies ändert sich, soweit die Rechtsprechung Ausgleichsansprüche auch auf „Unfälle“ innerhalb einer im übrigen erlaubten und beeinträchtigungsfreien Nutzung ausdehnt, also etwa für Wasserrohrbrüche, Kabelbrände oder umstürzende Bäume, die jeweils auf das Nachbargrundstück übergreifen und es in Mitleidenschaft ziehen35. Im Unterschied __________ 33 Dazu Hager, JZ 1990, 397 (400) Fn. 37. Ähnlich für eine ursprünglich nicht störende, daher zunächst nach § 905 Satz 2 BGB zu duldende Tiefennutzung BGH, Urt. v. 21.12.1989 – III ZR 26/88, BGHZ 110, 17. 34 BGH, Urt. v. 20.4.1990 – V ZR 282/88, BGHZ 111, 158 (163 f.) – Bleibelastung durch Schießstand. 35 BGH, Urt. v. 30.5.2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99 – Wasserrohrbruch; v. 11.6.1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66 – Kabelbrand; v. 21.3.2003 – V ZR 319/02, NJW 2003, 1732 – Baumschaden; v. 23.4.1993 – V ZR 250/92, BGHZ 122, 283.

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zu dem in § 906 BGB geregelten Fall steht in diesen Konstellationen dem Nachteil des beeinträchtigten Nachbarn kein, zumindest kein unmittelbarer, Vorteil durch eine dauerhafte Nutzung auf dem emittierenden Grundstück gegenüber; darüber hinaus bestünde rein rechtlich ein Abwehranspruch und dessen Durchsetzung wäre vom Beeinträchtigten auch tatsächlich gewollt. Die Parallele besteht aber darin, daß ein solcher Rechtsschutz aus tatsächlichen Gründen i. d. R. nicht rechtzeitig möglich ist. Nach Versuchen, derartige Fälle vermittels gesteigerter Sorgfaltspflichten über eine deliktische Haftung zu lösen, ging die Rechtsprechung – nicht zuletzt angesichts der fehlenden Anwendbarkeit des § 278 BGB im Nachbarschaftsverhältnis – zur verschuldensunabängigen Haftung analog § 906 BGB über36. Ob eine solche Analogie berechtigt ist, dürfte nicht zuletzt vom Ausgangspunkt abhängen: Aus dem Blickwinkel der verschuldensabhängigen Deliktshaftung und der grundsätzlich enumerativ (etwa in §§ 836 BGB, 2 HaftPflG) geregelten Gefährdungshaftung erscheint die verschuldensunabhängige Haftung für einzelne, situativ begrenzte Schadensereignisse überaus problematisch37, aus der Perspektive der analogen Erweiterung auf Unfälle – nicht zuletzt im Vergleich zum enteignenden Eingriff im öffentlichen Recht38 – als folgerichtig. Wenn der emittierende Nachbar unter Umständen schon für duldungspflichtige – insoweit rechtmäßige – Beeinträchtigungen einen Ausgleich schuldet, muß dies erst recht dann gelten, wenn es sich um nicht zu duldende, rechtswidrige Beeinträchtigungen handelt und die Primärabwehr zeitlich unmöglich war. Auch nach der Rechtsprechung besteht eine Haftung aber nicht etwa für alle Un- oder Störfälle. Es muß vielmehr – jedenfalls für eine „juristische Sekunde“ – die Situation des § 1004 BGB bestanden haben. Erforderlich ist daher ein objektives Überschreiten der Gefahrengrenze, wobei von Fall zu Fall in wertender Betrachtungsweise zu entscheiden ist, ob die schadensursächliche Entwicklung dem Anspruchsgegner zugerechnet werden kann oder ob sie ausschließlich auf Naturkräften be__________ 36 Vgl. herzu die Nachweise bei Schlechtriem, Festschrift für Gernhuber, 1993, 407 (409). 37 Ablehnend daher die überwiegende Literatur, etwa Schlechtriem, Festschrift für Gernhuber, 1993, 407 (416 f.); A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 190; Staudinger/Roth, § 906 BGB Rz. 69 m. w. N. 38 BGH, Urt. v. 11.3.2004 – III ZR 274/03, WuM 2004, 300 – Regenrückhaltebecken.

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ruht39. Im speziellen Fall umgestürzter Bäume etwa kommt es dementsprechend darauf an, ob es sich um einen gesunden und widerstandsfähigen oder um einen infolge Krankheit bereits objektiv gefährdeten Baum gehandelt hat40. Auf ein Verschulden – insbesondere auf die Erkennbarkeit der Gefahr – kommt es hingegen nicht an; vielmehr kann sich unter Umständen ein Alternativverhältnis ergeben: Entweder war die Gefahr bereits vor dem Schadensfall für alle Beteiligten erkennbar; dann scheidet zwar ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus, weil der beeinträchtigte Nachbar an der Durchsetzung des primären Abwehranspruchs nicht gehindert war, es bestehen aber Ansprüche aus Deliktsrecht41; oder die Gefahr war nicht erkennbar, dann scheidet zwar der verschuldensabhängige § 823 BGB aus, aber es greift der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ein. Eine weitere Beschränkung ergibt sich daraus, daß sich der Unfall aus einer grundstücksbezogenen Benutzung ergeben haben muß42.

4. Ausdehnung auf Besitzer Das Kriterium der Grundstücksbezogenheit erweist sich auch in personeller Hinsicht teils als erweiternd, teils als begrenzend: Erweiternd insoweit, als abweichend vom Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Besitzer des beeinträchtigten Grundstücks aktivlegitimiert sein soll43, was freilich Bedenken begegnet, nachdem die Einbeziehung des Besitzers in der früheren Rechtsprechung ursprünglich aus § 26 GewO abgeleitet wurde, der auch dem Besitzer ausdrücklich Ersatzansprüche zusprach44. Auch besteht dazu zumindest im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 906 BGB – der dauerhaften Beeinträchtigung durch den Normalbetrieb – wenig Anlaß. Grundsätzlich muß etwa der Pächter eines beeinträchtigten Grund__________ 39 BGH, Urt. v. 11.6.1999 – V ZR 377/98, NJW 1999, 2896 (2897); v. 2.3.1984 – V ZR 54/83, BGHZ 90, 255 (266 ff.); v. 7.7.1995 – V ZR 213/94, NJW 1995, 2633; v. 16.2.2001 – V ZR 422/99, NJW-RR 2001, 1208. 40 BGH, Urt. v. 21.3.2003 – V ZR 319/02, NJW 2003, 1732 (1733); v. 23.4.1993 – V ZR 250/92; BGHZ 122, 283 (285); BGH, Urt. v. 8.10.2004 – V ZR 84/04; ebenso OLG Düsseldorf, VersR 2003, 74 (75). 41 Zu einem solchen Fall: BGH, Urt. v. 21.3.2003 – V ZR 319/02, NJW 2003, 1732 (1733). 42 Zutreffend Schlechtriem, Festschrift für Gernhuber, 1993, 407 (419) m. w. N. 43 BGH, Urt. v. 23.2.2001 – v ZR 389/99, NJW 2001, 1865 (1866); insoweit a. A. Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl. 2004, § 909 BGB Rz. 9 m. w. N. 44 RGZ 154, 161; BGH, Urt. v. 15.4.1959 – V ZR 3/58, BGHZ 30, 273/280.

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stücks einen geringeren Pachtzins leisten; der Nachteil bleibt also beim Eigentümer. Ein Bedürfnis für den gesonderten Schutz des Besitzers ergibt sich damit vorrangig im analogen Anwendungsbereich situationsbegrenzter Unfälle; dort wäre unter Umständen auch eine alternative Lösung – etwa über die Grundsätze der Drittschadensliquidation45 – erwägenswert. Aber auch nach der Rechtsprechung bleibt die Erweiterung der Aktivlegitimation auf den Grundstücksbesitzer begrenzt. Daher sind die auf dem Grundstück tätigen Arbeitnehmer ebenso auf den deliktischen Schutz beschränkt wie die Mieter innerhalb eines Gebäudes oder die Wohnungseigentümer untereinander46. Daran ändert nichts, daß § 906 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB auch im Verhältnis der Mieter zueinander durchaus als Maßstab für zulässige Immissionen analog herangezogen werden kann – zumal sich dieser Anwendungsbereich im Wesentlichen auf den Verweis auf die gesetzlichen Richtwerte beschränkt. Zwar ist es auf den ersten Blick irritierend, einen Wasserrohrbruch zwischen Grundstücksnachbarn haftungsrechtlich schärfer zu beurteilen als zwischen Wohnungsnachbarn. Die Begrenzung auf Grundstücksnachbarn findet jedoch ihre Rechtfertigung letztlich in den Sonderregelungen für Grundstücke gem. §§ 905 bis 924 BGB. Die dort den Grundstücksnachbarn auferlegten besonderen Duldungs- und Rücksichtnahmepflichten werden durch den privilegierten haftungsrechtlichen Schutz in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (analog) ausgeglichen. Das vermag auch die Unfallhaftung zu legitimieren: Da der Grundstücksnachbar den Betrieb gefahrerhöhender Anlagen grundsätzlich – außerhalb des § 907 BGB – nicht verhindern, andererseits durch die Situationsgebundenheit des Grundstücks der Gefahr auch nicht ausweichen kann, erscheint die Zubilligung eines erweiterten haftungsrechtlichen Schutzes angemessen. Dagegen besteht für die Einbeziehung lediglich zufällig betroffener Mobilitätsberechtigter47 kein Anlaß. Unterschiede finden sich aber auch gegenüber Mietern innerhalb eines Gebäudes oder gegenüber Wohnungseigentümern. Dort bestehen über den gemeinsamen Vermieter, die gemeinsame Verwaltung sowie die gemeinsame Hausordnung in sehr viel stärkerem Maß auch schuldrechtliche Anknüpfungspunkte. __________ 45 Ablehnend Palandt/Heinrichs in BGB, 61. Aufl. 2002, Vorb. v. § 249 Rz. 113. 46 BGH, Urt. v. 18.9.1984 – VI ZR 223/82, BGHZ 92, 143/145) – Kupolofen (Arbeitnehmer); v. 12.12.2003 v ZR 180/03, – Versr 2004, 519 – Mieter; BayObLG, NJW-RR 2001, 156 (157) – WEG. 47 Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, 1989, 231 ff.

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Achim Krämer

Vor allem aber fehlt in den dortigen Verhältnissen eine dem § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechende Regelung als „Ausprägung des Grundsatzes einer sinnvollen wechselseitigen Nutzung des nachbarlichen Raumes unter Ausgleich entstehender Sondervorteile“48.

IV. Systematische Einordnung Eine abschließende abstrakte dogmatische Einordnung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist bislang noch nicht gelungen; vermutlich ist dies auch nicht möglich, da es jeweils auf die Umstände des Einzelfalls und ihre Bewertung sowie Abwägung ankommt. Die in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansätze divergieren: Teils setzt sich die unter § 906 BGB a. F. gewählte Ableitung des Ausgleichsanspruchs aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis in der Einordnung als nachbarlicher Billigkeitsanspruch49 fort, oder wird er im Rahmen der Gefährdungshaftung verortet50, teils aufopferungsrechtlich begründet51 und von der Rechtsprechung zuletzt als Fortsetzung der Störerhaftung aus §§ 1004, 862 BGB verstanden52. Eine Ableitung aus der Störerhaftung hat den Nachteil, daß sie letztlich auf eine unbegrenzte Einbeziehung auch von Mobiliarberechtigten hinauslaufen könnte; denn der Abwehranspruch aus § 1004 BGB ist nicht auf den Grundstückseigentümer beschränkt. Die nachbarliche Störerhaftung müßte daher die Störerhaftung zwischen Grundstücksnachbarn weiter fassen als zwischen dem sonstigen Eigentümer und dem Störer, obwohl eine solche Differenzierung in § 1004 BGB nicht angelegt ist, also gestützt auf eine durch das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis beeinflußte Auslegung des § 1004 BGB. Demgegenüber erscheint dogma-

__________ 48 Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 483 (497) m. w. N. 49 Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 483 (493) m. w. N. 50 Nicht nur von Kritikern – etwa A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 190 –, sondern auch von Befürwortern: Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 483 (501 f.). 51 Staudinger/Roth, § 906 BGB Rz. 65 m. w. N. 52 BGH, Urt. v. 30.5.2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99 (104). – Anders noch BGH, Urt. v. 9.7.1958 - V ZR 202/57, BGHZ 28, 110 (111 f. und 114): Ausgleichspflicht auch des Nichtstörers; eher aufopferungsrechtlich auch BGH, Urt. v. 20.11.1992 – V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 (251 f.) – Froschlärm: Keine Ausgleichshaftung trotz Störereigenschaft.

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tisch eine Einordnung unter Aufopferungsgesichtspunkten53 vorzugswürdig, wenn sich auch eine einheitliche Beurteilung aller erfaßten Konstellationen als schwierig erweist. Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB liegt dies auf der Hand, weil das Recht des einen Nachbarn auf Störungsfreiheit zum Teil hinter dem Nutzungsinteresse des anderen Nachbarn zurücktritt und hierfür ein Ausgleich geschuldet wird. Diese Einordnung als Aufopferung muß aber auch den analogen Anwendungsbereich der Unfallhaftung keineswegs ausschließen, wie der Vergleich zur Unfallhaftung aus enteignendem und enteignungsgleichem Eingriff zeigt, die als parallele Rechtsinstitute des öffentlichen Rechts ebenfalls aus dem Aufopferungsgedanken abgeleitet werden54. Auch in den Unfallkonstellationen ist der betroffene Nachbar faktisch gezwungen, sein Integritätsinteresse zugunsten der benachbarten Nutzung zu „opfern“; letztlich erweist sich dabei auch der Unfall nur als Folge der für den Anspruchsgegner grundsätzlich vorteilhaften Nutzung seines Grundstücks.

V. Fazit Der zunächst in der Rechtsprechung entwickelte, vom Gesetzgeber zum Teil übernommene und anschließend von der Rechtsprechung fortgeschriebene nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch kann in seiner Grundstruktur als etabliert angesehen werden. Er ist den Notwendigkeiten des besonderen Näheverhältnisses zwischen Grundstücksnachbarn geschuldet. Dogmatisch rechtfertigen läßt er sich – auch in der analogen Anwendung auf Unfallschäden – mit dem Aufopferungsgedanken und der umfassenden nachbarrechtlichen Rücksichtnahmepflicht. Einzelheiten der Duldungs- und Ausgleichspflicht werden indes auch künftig zu Streitigkeiten führen. Die weitere dogmatische Absicherung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs bleibt daher eine Aufgabe von Rechtsprechung und Wissenschaft.

__________ 53 Will man den Terminus der „Aufopferung“ mit Hagen, Festschrift für Lange, 1992, 483 (496), Fn. 66, dem Verhältnis des Einzelnen zum Staat vorbehalten, mag man – ohne inhaltliche Veränderung – auf die Bezeichnung als „nachbarlichen Interessenausgleich“ zurückgreifen. 54 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., 1998, 225 m. w. N.

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Die BGH-Vorkaufs-Rechtsprechung in der notariellen Praxis Heinrich Kreuzer Inhaltsübersicht I. Die Dreiecksbeziehung im Vorkaufsfall 1. Interessenkonflikt 2. Wirksames Vorkaufsrecht und wirksamer Kaufvertrag als Grundvoraussetzungen II. Umgehungsfälle 1. Verschleierter Vertragsschluss 2. Kaufvertrag im anderen Gewand a) Auslegung b) Fehlender letzter Akt c) Darlehen d) Erbteil 3. Gestaltungsmöglichkeiten a) Veräußerung einzelner Rechtsbeziehungen

b) Gegenleistung mit individuellem Charakter c) Erwägungen zur Situation in BGHZ 115, 335 III. Tätigkeit des Notars in Vorkaufssituationen IV. Tätigkeit des Notars bei Vorkaufsrechts-Begründung 1. Pflichtenkreis 2. Erörterung der Bedenken gegen Vorkaufsvereinbarung 3. Erweiterung des Anwendungsbereichs über Vorkaufsfälle hinaus

I. Die Dreiecksbeziehung im Vorkaufsfall 1. Interessenkonflikt Vorkaufsproblematiken haben es immer in sich: Zwei wollen denselben Gegenstand. Normalerweise entscheidet der Veräußerer V, wer ihn erhält, häufig anhand des Preises, bei Grundbesitz gar nicht so selten anhand von Imponderabilien wie Bekanntschaft, Geschäftspolitik, Sympathie oder Bonitätsbewertung. In Vorkaufssituationen hingegen hat grundsätzlich der zum Vorkauf Berechtigte B die Präferenz. Die Situation wird problematisch, wenn V oder V und der kaufinteressierte Dritte D sie ihm entziehen wollen. Das Gesetz hat die Stellung des vorkaufsberechtigten B stark ausgestaltet. Er kann sein Vorkaufsrecht ausüben, sobald V mit D einen Kaufver-

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trag geschlossen hat, § 4631. Er hat zwar keinen Anspruch auf Eintritt des Vorkaufsfalles2, aber ansonsten ein geschütztes doppeltes Interesse, nämlich ein Erwerbs- und ein Abwehrinteresse3.

2. Wirksames Vorkaufsrecht und wirksamer Kaufvertrag als Grundvoraussetzungen Bisweilen lösen sich vermeintliche Vorkaufssituationen als Scheinpositionen auf. a) Das Vorkaufsrecht kann aus einem Vertrag oder aus dem Gesetz4 folgen. Der zum Vorkauf berechtigende Vertrag als solcher unterliegt allen gewöhnlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen. Sie sind im Einzelfall auf ihre Einhaltung zu untersuchen. Die Praxis übersieht insbesondere sehr häufig das Beurkundungserfordernis5 des § 311b, wenn sich das Vorkaufsrecht auf Grundbesitz bezieht. Dies gilt vor allem in Fällen, in denen mit Miete, Pacht oder ähnlichen Dauerschuldverhältnissen __________ 1 §§ ohne weitere Benennung sind solche des BGB in der Fassung vom 1.1.2002. Dabei entsprechen die §§ 463 bis 473 der Neufassung den §§ 504 bis 514 alter Fassung inhaltlich vollständig und haben zusätzlich Überschriften bekommen. Sprachlich ergeben sich Unterschiede durch Übernahme der Rechtschreibreform in die BGB-Neufassung und durch Weglassung sprachlicher Endungen, mit denen man früher den Dativ hervorgehoben hat. Statt „zum Vorkaufe“ heißt es heute „zum Vorkauf“. 2 BGHZ 110, 230 = 9.2.1990 – V ZR 274/88 = NJW 1990, 1473; BGHZ 115, 335 = 11.10.1991 – V ZR 127/90 = NJW 1992, 236. 3 BGHZ 115, 335 (Fn. 2). 4 Die gesetzlichen Vorkaufsrechte lassen sich gliedern in Vorkaufsrechte, die einem privaten, und solche, die einem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt sind. Zu ersteren zählen die Vorkaufsrechte für den Miterben zum Schutz der oft familienrechtlich veranlassten erbrechtlichen Bande und die für den Mieter oder langjährigen Nutzer als Inhaber einer auch verfassungsrechtlich geschützten Position wie bei den mietrechtlichen Vorkaufsrechten und den nutzerschützenden Vorkaufsrechten im Gebiet der früheren DDR. Zu zweiteren zählen die Vorkaufsrechte mit enteignungsrechtlichem Charakter wie nach Denkmalschutz, zum Bau öffentlicher Straßen und Anlagen, zum Wald-, Gewässer- und Fischereischutz und zum Erhalt wohnungswirtschaftlicher Belegungsmöglichkeiten. 5 § 311b I 1 gilt auch für die Bestellung eines Vorkaufsrechts, und zwar sowohl für das persönliche wie auch für das dingliche. Es erstreckt sich auf die Bestellung selbst wie auch auf die Verpflichtung dazu, BGH, Urt. v. 7.11.1990 – XII ZR 11/89, NJW-RR 1991, 205 für § 313 1 BGB aF.

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ein Vorkaufsrecht verhandelt wird. Das Beurkundungserfordernis ist aber keineswegs Allgemeinwissen6. b) Ist zwar der das Vorkaufsrecht begründende Vertrag wirksam, aber der Verkauf V – D unwirksam, weil etwa erforderliche Genehmigungen noch nicht vorliegen7, oder weil er nichtig ist, kann grundsätzlich auch kein Vorkaufsfall entstehen. Verkauft etwa die Stadt V dem Unternehmen D Grundbesitz unter Preis, verstößt sie gegen das kommunale Verbot der Verschleuderung öffentlicher Werte. Der Verkauf ist nichtig, § 134, und der grundsätzlich vorkaufsberechtigte B kann sein (Mieter-) Vorkaufsrecht nicht ausüben8. c) Besteht hingegen das Vorkaufsrecht, erfasst es alle Verkaufsfälle. Die kurze gesetzliche Vorschrift ist nur vordergründig einfach. Tatsächlich steht sie der Interpretation offen9. Der Tatbestand erfordert immer eine Untersuchung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Eigentümer V und dem Dritten D, ob es einen Vertrag darstellt, der wirksam ist und der einen Verkauf behandelt. Gegebenenfalls ist B zum Vorkauf, bei erfolgreicher Vereitelung möglicherweise zum Schadensersatz, §§ 280 I, III, 275 I, 276, 283, berechtigt, anderenfalls eben nicht. d) Betrachtungen, dass sich die Umgehungsgestaltung als wegen Sittenwidrigkeit nichtige (§ 138) Vereitelung des Vorkaufsrechts oder als Scheingeschäft darstelle, erübrigen sich. Sie würden auch nur das Ab__________ 6 … und geht bisweilen sogar Volljuristen ab, vgl den Sachverhalt zum Fall BGH, Urt. v. 21.2.2003 – IV ZR 422/99, n. v. Dort hatten die Beteiligten privatschriftlich zunächst einen Pachtvertrag geschlossen und in einem späteren auch privatschriftlichen Zusatzvertrag vereinbart, dass V ein Sonderkündigungsrecht bei Verkauf erhält, der Pächter B hingegen ein Vorkaufsrecht. Der zum Verkauf an D herangezogene Notar klärte die Beteiligten über die Formunwirksamkeit nicht auf und auch der als Testamentsvollstrecker tätige Anwalt eines Beteiligten berief sich nicht darauf. Vor allem das Defizit des Notars wurde über drei Instanzen wortreich beschrieben, ohne beim Namen genannt zu werden. 7 BGHZ 67, 395 = 11.2.1977 – V ZR 40/75 = DNotZ 1977, 349. 8 Der BGH, Urt. v. 10.3.2003 – V ZR 137/02, DNotZ 2003, 431 = ZMR 2003, 408 verwies den Fall allerdings an die Vorinstanz zurück, da er über die Qualität des Landesrechts als Verbotsnorm iSd § 134 nicht entscheiden kann. 9 So betont BGHZ 115, 335 (Fn. 2), dass schon die Motive zum BGB auf Interpretationsregeln zum Begriff des Kaufvertrages als überflüssig und bedenklich verworfen haben. Vielmehr hänge von der Prüfung des Einzelfalles ab, ob ein Kaufvertrag abgeschlossen sei (Mot. II, 345; Prot. II, 103).

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wehrinteresse des Vorkaufsberechtigten B berücksichtigen, nicht aber sein Erwerbsinteresse10.

II. Umgehungsfälle 1. Verschleierter Vertragsschluss Dem nichtigen Vertrag ähnelt die Situation des noch nicht wirksamen Vertrages. Das Ergebnis kann jedoch verschieden sein. Grundsätzlich kann nur ein Kaufvertrag den Vorkauf begründen (Abschnitt I. 2. b). Schaffen die Beteiligten also eine Rechtslage, die formal keinen Kauf darstellt, indem sie (Var. b) etwa jeder dem anderen, also V dem D ein Verkaufs- und D dem V ein Kaufangebot, geringfügig variierend mit einseitig nicht lösbarer Bindungswirkung, abgeben, liegt vordergründig kein Vertrag vor. Das gilt erst recht, wenn (Var. b) V dem D den Verkauf anbietet und D’s Ehefrau E dem V den Kauf anbietet. a) Tatsächlich aber erfolgt ihr Handeln nicht im rechtsfreien Raum. Ihre Erklärungen sind auslegbar, § 133. Das noch „neu“ genannte Schuldrecht von 2002 verdeutlicht dies, indem es ein Schuldverhältnis (§ 241) auch dann als gegeben sieht, wenn Vertragsverhandlungen aufgenommen werden, oder wenn Personen einen Vertrag anbahnen und die eine im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung der anderen die Möglichkeit zur Einwirkung auf ihre Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihr diese anvertraut, oder ähnliche geschäftliche Kontakte entstehen, § 311 II. Dass gerade auch in Vorkaufssituationen Auslegung geboten ist, verdeutlicht das Gesetz selbst. § 465 etwa erklärt trickreiche Vereinbarungen dem Vorkaufsberechtigten B gegenüber als unwirksam. Ihrem Wortlaut nach erfasst die Vorschrift Verträge, die auf die Nichtausübung des Vorkaufsrechts bedingt sind oder den V für diesen Fall zum Rücktritt berechtigen. So besteht in der skizzierten Fallgruppe Var. a) eine Vorkaufslage, wenn V – seine Erklärungen interessengerecht ausgelegt – sich wie ein Verkäufer in § 433 I 1 verpflichtet, dem D die Sache zu übergeben – sofern er es nicht ohnehin schon sofort tut – und das Eigentum an ihr zu verschaffen, und wenn D sich wie ein Käufer in § 433 II verpflichtet, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen. Dem Ergebnis der Auslegung nach hat V mit D im Sinn von § 463 BGB einen Kaufvertrag über __________ 10 BGHZ 115, 335 (Fn. 2). Siehe auch in dieser Festschrift: Vogt, S. 453, 457 f.

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den vorkaufbefangenen Gegenstand geschlossen, wenn auch noch nicht erfüllt. Der BGH argumentiert etwas anders. Er würdigt die Berufung der Beteiligten auf die rein formale Rechtslage als Verstoß gegen § 242 BGB11. Der Weg dazu ist aber derselbe, indem das Gericht die Rechtsbeziehung aus dem Vorkaufsrecht im Verhältnis V zu B und die Rechtsbeziehung aus dem – gegebenenfalls nur vorbereiteten – Kauf V zu D nebeneinander stellt und statuiert, sie müssten beiderseits interessengerecht interpretiert werden12. Vor allem seien die §§ 463 ff. interessengerecht auszulegen13, so dass rein formale Kriterien hinter eine materielle Betrachtung zurückträten. Stellten sich Vertragsgestaltungen also als „verschleierter Kauf“14 dar, lösten sie das Vorkaufsrecht aus. In BGHZ 115, 335 leitet das Gericht die Auslegbarkeit aus einem Vergleich zu öffentlich-rechtlichen „Vorkaufsrechten“ her. Dort sei das Vorkaufsrecht auf alle Verträge ausgedehnt, „die auf die Veräußerung eines Grundstücks gerichtet sind“15 oder „die einem Kaufvertrag nahezu gleichkommen“16. Der BGH hält darum Vereinbarungen für vorkaufsbegründend, die einem Kauf im Sinn des Vorkaufsrechts so nahekommen, dass sie ihm unter Berücksichtigung der Interessen des Vorkaufsberechtigten und des Vorkaufsverpflichteten gleichgestellt werden können, und in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses „eintreten“ kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen der Veräußerung zu beeinträchtigen17. Darunter fallen Gestaltungen, in denen der Vertrag in Umgehungsabsicht (!) durch Einschaltung eines vollmachtlosen für den Berechtigten B handelnden Vertreters schwebend unwirksam gestaltet wird, weil diese Gestaltung dem B sein gesetzlich vorgesehenes Wahlrecht faktisch nimmt. In BGHZ 110, 23018 konnte B eine solche Umgehungsabsicht aber nicht belegen; sein Vorkaufsrecht lief leer. __________ 11 BGHZ 115, 335 (Fn. 2). 12 BGH, Urt. v. 9.7.2001 – II ZR 205/99, NJW 2001, 3777; BGH, Urt. v. 26.9.2003, V ZR 70/03, NJW 2003, 3769. 13 BGH NJW 2003, 3769 (Fn. 12). 14 BGH, Urt. v. 20.03.1998 – V ZR 25/97, NJW 1998, 2136. 15 So z. B. § 4 RSG oder Art 3 BayAlmG. 16 So z. B. Art 34 BayNatSchG. 17 BGHZ 115, 335 (Fn. 2); BGH, NJW 1998, 2136 (Fn. 14). 18 In BGHZ 110, 230 (Fn. 2) hatten V und D einen Vertrag geschlossen, in dem der Vorkaufsberechtigte B als Beteiligter aufgenommen wurde und durch eine als vollmachtloser Vertreter handelnde Notarangestellte den Verzicht auf sein

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Im Ergebnis sind die hier vertretene Auffassung, dass solche Schuldverhältnisse einen Vorkaufsfall darstellen, und die BGH-Meinung, dass sie dem Vorkaufsfall gleichstehen, identisch. b) Schwieriger fällt die Begründung, wenn V dem D anbietet und D’s Frau dem V gegenanbietet. Das bloße Band der Ehe begründet keine Erwerbsgemeinschaft, keine Treuhandschaft und keine vergleichbare zu Herausgabe und Aufwandsersatz begründende Rechtsposition, die das Handeln der Eheleute zwangsläufig als einander zurechenbar erscheinen lässt. Soweit ersichtlich hatte der BGH für den Vorkaufsbereich dazu noch nicht entscheiden müssen.

2. Kaufvertrag im anderen Gewand a) Auslegung Ergibt die Untersuchung, dass ein – wirksamer – Vertrag vorliegt, muss sie auch bejahen, dass er Kaufcharakter hat, um das Vorkaufsrecht auszulösen. Entscheidend ist wieder, ob interessengerechte Auslegung, §§ 133, 157, den Vorgang als Verkauf erscheinen lässt, also den einen Teil zu Übergabe und Übereignung und den anderen zu Zahlung und Abnahme verpflichtet, §§ 433 I 1, II. Nicht entscheidend ist eine etwaige Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung19; es kommt nur auf das Synallagma, also den Austauschcharakter an. Entscheidend ist wie in Abschnitt II. 1 a), ob Auslegung ergibt, dass V und D ein Schuldverhältnis begründen, das einen – wenn auch noch nicht oder nur teilerfüllten – Verkauf darstellt, oder das in den Worten des BGH einem Verkauf gleichkommt. Das erfasst Gestaltungen mit entgeltlichem Veräußerungscharakter, in denen faktisch dem Eigentümer V keine rechtliche Verfügungsmöglichkeit mehr bleibt20 und der Vorgang verbal und gestalterisch nur verschleiert wird. Sie sind durch mehr oder weniger unentziehbare Übertragung aller wirtschaftlichen Positionen mit nur ausgesetzter Übereignung charakterisiert.

__________ Vorkaufsrecht erklärte. Der Sachverhalt war aber mutmaßlich so, dass B vor Beurkundung wissen ließ, sein Vorkaufsrecht nicht auszuüben. 19 BGH NJW 2003, 3769 (Fn. 12). 20 BGH NJW 1998, 2136 (Fn. 14).

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b) Fehlender letzter Akt Vorkaufsauslösend ist darum ein Vertrag, in dem der Miterbe V dem Dritten D gegen Entgelt die restlose zeitlich unbeschränkte Wahrnehmung seiner Miterbenrechte für eigene Rechnung einräumt21. Eine Übertragung des Erbanteils findet zwar sachenrechtlich nicht statt. Die wirtschaftlichen Wirkungen in Verbindung mit der Vollmacht stellen sich aber als Erbteilskauf mit ausgesetzter Erfüllung dar. Der Vollzug der Übereignung kennzeichnet aber nicht das schuldrechtliche Geschäft „Kaufvertrag“, wird vielmehr häufig ausgesetzt, sei es wie im Bauträgervertrag zum Zweck der Erzielung einer Zug-um-Zug-Leistung oder wie beim Kauf einer unvermessenen Teilfläche mangels sachenrechtlicher Bestimmtheit. Tatsächlich stellen sie einen Kauf dar, weil V und D gemäß ihrem – auszulegenden – Willen eine entgeltliche Veräußerung endgültig abschließen und auch vollziehen wollen; sie sind vorkaufsbegründend, wenn der Vorkaufsberechtigte B in den Vertrag eintreten kann, ohne die von V mit D ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen. Die Angebotsannahme spielt in solchen Fällen keine wesentliche Rolle mehr und unterbleibt nur, um formal den Vorkaufsfall zu vermeiden. Ebenso ist vorkaufsauslösend ein Vertrag, in dem ein unbefristetes und unwiderrufliches Kaufangebot abgegeben, die Sache übergeben und der Erwerbsanspruch vorgemerkt wird22. Gerade der in BGHZ 115, 335 behandelte Fall war nur vordergründig Angebot, inhaltlich aber Vertrag mit wechselseitig und nur formal teilerfüllten synallagmatischen Pflichten. Die notarielle Urkunde enthielt für D eine unbefristete und unwiderrufliche Übereignungs-, Belastungs- und Vollzugsvollmacht, einen Nießbrauch und eine Grundschuld. Besitz, Nutzen und Lasten gingen gegen Leistung des vorgesehenen Entgelts sofort auf D über. Solche Gestaltungen vermeiden die Benennung als Kauf, kommen ihm aber in ihrer Gesamtheit gleich.

c) Darlehen Vorkaufsauslösend ist auch ein Vertrag, durch den D dem V ein Darlehen gewährt, dessen Rückzahlung praktisch ausgeschlossen ist, und in dem V dem D sicherungsweise seinen Erbanteil überträgt und auch __________ 21 So in RGZ 171, 185. 22 So die Gestaltung in BGHZ 115, 335 (Fn. 2).

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die Rückübertragung des Erbanteils nach dem Inhalt der Abmachung praktisch für immer ausgeschlossen ist23.

d) Erbteil Ebenso liegt ein den Vorkauf begründender Verkauf vor, wenn nur die Übereignung statt durch Auflassung im Weg erbrechtlicher Gestaltung vollzogen werden soll. Der BGH hat sich mehrfach mit der Abgrenzung eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden von einer Verfügung von Todes wegen befasst24. Die §§ 140, 2084 bestreben, dem wirklichen Willen so weit wie möglich Geltung zu verschaffen. Deshalb können Umstände außerhalb einer Vollmachtsurkunde eine Vollmachterteilung als Schenkung darstellen25, so insbesondere wenn für eine Bevollmächtigung kein anderer erkennbarer vernünftiger Anlass ersichtlich ist. Eine Schenkung unter Lebenden ist anzunehmen, wenn das Geschenk aus dem Vermögen des Schenkers geleistet wird, sei es auch erst nach dessen Tod durch Gebrauch der Vollmacht. Bei der Prüfung, ob ein Missbrauch der Vollmacht vorliegt, darf nicht einseitig auf die Interessen der Erben abgestellt werden; vielmehr sind auch die – fortwirkenden – Interessen des Erblassers zu beachten26. Im Fall BGH, Urt. v. 20.3.1998 – V ZR 25/9727 hat der Eigentümer V dem D seine Eigentumswohnung gegen Entgelt veräußert und sofort übergeben. Die Übereignung sollte aber nur erfolgen, falls er zu Lebzeiten eine Verfügung über seine Wohnung träfe. Im Übrigen sollte sie erst „vermächtnisweise“ gemäß erbvertraglicher Verpflichtung erfolgen. Der bedingte Erwerbsanspruch wurde durch Vormerkung gesichert. Entkleidet man den Fall auf das Eigentliche, indem man seine Verkomplizierungen weglässt, stellt er sich als Verkauf mit ausgesetzter oder aufgeschobener Übereignung dar. Der BGH betont folglich, dass Vertragsgestaltungen den Vorkauf begründeten, die unter Berücksichtigung der Interessen des Vorkaufsberechtigten und des Vorkaufsverpflichteten einem als Kauf bezeichneten Vertrag gleichgestellt werden könnten, und __________ 23 24 25 26

Fallgestaltung nach BGHZ 23, 174. Vgl schon BGH, Urt. v. 1.6.1983 – IV a ZR 35/82, NJW 1984, 46. BGH, Urt. v. 11.1.1984 – IV a ZR 30/82, FamRZ 1985, 693. Andererseits kann nach BGH, Urt. v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, NJW 1988, 2731 eine nicht vollzogene Schenkung von Todes wegen ebenso wenig wie eine formnichtige Verfügung von Todes wegen nach dem Erbfall durch Handlungen einer vom Erblasser bevollmächtigten Person in Kraft gesetzt werden. 27 BGH NJW 1998, 2136 (Fn. 14).

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in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses „eintreten“ könne, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen der Veräußerung zu beeinträchtigen. Rein formale Kriterien müssten gegenüber einer materiellen Betrachtungsweise und einem interessengerechten Verständnis zurücktreten. Unerheblich sei auch, ob Leistung und Gegenleistung äquivalent sind, denn entscheidend ist das Synallagma der Leistungen, nicht aber ihre Gleichwertigkeit28.

3. Gestaltungsmöglichkeiten a) Veräußerung einzelner Rechtsbeziehungen Kein vorkaufsauslösender Vertrag liegt vor, wenn nur einzelne Rechtsbeziehungen veräußert werden und dem V das Eigentum nicht nur als leere Hülle – „nudum ius“ – verbleibt. Die Situation ist davon gekennzeichnet, dass der Erwerber nicht wie ein Eigentümer nach § 903 1 mit der Sache nach Belieben verfahren, sondern nur einzelne Nutzungen, § 100, und Früchte, § 99, ziehen kann. § 463 dient nämlich nicht dazu, Vertragsgestaltungen zu unterbinden, die dem Eigentümer an sich zu Gebote stehen und die üblich und sachangemessen sind29. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn die Rechtsposition des Dritten D nur sachlich begrenzt oder zeitlich befristet oder nicht übertragbar ist. Grundsätzlich begründet daher die Begründung eines Erbbaurechts keinen Vorkaufsfall. Eine Ausnahme wird wohl zu machen sein, wenn das Erbbaurecht zeitlich nicht befristet ist, kein Erbbauzins geschuldet oder der Erbbauzins durch Einmalzahlung erbracht wird und wenn das Recht inhaltlich aus praktischer Sicht alle wirtschaftlichen Wirkungen des Eigentums beinhaltet. Soweit ersichtlich hatte der BGH den Fall noch nicht zu entscheiden. Ebenso berechtigt eine Gestaltung den B nicht zum Vorkauf, in der V nur die Bodenschätze verkauft, auch wenn er das Abbaurecht des D durch Dienstbarkeit sichert. Im entschiedenen Fall30 war die Ausübungszeit zwar lang, nämlich bis zu 99 Jahren. Die Position des D war aber nicht übertragbar und die Gestaltung stellte sich als nur wirtschaftliche Verwertung des Bodenschatzes dar, die das wenngleich er__________ 28 BGH NJW 1998, 2136 (Fn. 14). 29 BGH NJW 2003, 3769 (Fn. 12). 30 BGH NJW 2003, 3769 (Fn. 12).

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heblich entwertete Grundstück bis hin jedenfalls zur öffentlich-rechtlichen – im entschiedenen Fall: auch der privatrechtlichen – Renaturierungspflicht beim Eigentümer V beließ. Insbesondere hätte V auch die Möglichkeit zu eigener Ausbeutung und Verkauf ausschließlich an D gehabt, ohne dass dies vorkaufsauslösend gewesen wäre. B hätte nur seinerseits eine weiter gehende Konkurrenzklausel vereinbaren müssen.

b) Gegenleistung mit individuellem Charakter Kein Vorkaufsrecht besteht auch im Bereich des § 466, wenn also der Vorkaufsberechtigte B die Gegenleistung oder eine wesentliche Nebenleistung insbesondere wegen ihres individuellen Charakters nicht erfüllen kann. Vorkaufsbefangen sind also nur Situationen, in die B eintreten kann, „ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen der Veräußerung zu beeinträchtigen“31. Kein Vorkaufsfall ist darum im Zweifel der Grundstückstausch oder die Erbringung einer höchst persönlichen z. B. ärztlichen Leistung als Gegenleistung oder Teil der Gegenleistung. Hier liegt zwar eine Veräußerung vor, aber kein Verkauf.

c) Erwägungen zur Situation in BGHZ 115, 335 Der Fall BGHZ 115, 335 hätte aber wohl durchaus anders ausgehen können, wenn nur der Vortrag der Beteiligten dem BGH die Sachverhaltsauslegung eröffnet hätte. In möglicherweise überschießender Gestaltungsfreudigkeit hatten nämlich V und D, beides Ärzte, eine wohl einheitliche Abrede in drei Verträge aufgespalten, nämlich einen Kaufvertrag über das Teileigentum Arztpraxis, einen weiteren Kaufvertrag über die Arztpraxis als solche und einen Mietvertrag über die Wohnung im selben Haus. Der vorkaufsberechtigte B war in vergleichbarer Situation; er war Apotheker mit Apotheke und Wohnung auch im selben Haus. Eigentlich läge nahe, dass sich der Wert der Praxis auch über die Besonderheit der Verbindung mit den Praxisräumen bestimmt und der weiteren Möglichkeit, in diesem Haus zu wohnen und gleichzeitig die Praxis zu betreiben; das gilt umgekehrt im Zweifel auch für den Apotheker. Praxisräume, Wohnräume und ärztliche Praxis im Übrigen könnten also durchaus so in Wechselwirkung stehen, dass die Heraustrennung der vorkaufsbetroffenen Immobilie auch den Wert der übrigen Einheiten mindert. Der Kauf der Arztpraxis wäre dem Apotheker B aber __________ 31 BGHZ 115, 335 (Fn. 2]; BGH NJW 1998, 2136 (Fn. 14); BGH NJW 2003, 3769 (Fn. 12).

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standesrechtlich unmöglich und somit kein Vorkaufsfall gegeben (Abschnitt 3.5.2). Die Überlegung erhärtet sich, wenn man den Fall geringfügig anders gestaltet: Hätte V den D – insbesondere zu Zwecken eines flüssigen Praxisübergangs – in seine Praxis aufgenommen, auf sich und D als GbR-Gesellschafter die Immobilie aufgelassen, und wäre nach der Übergangszeit aus der GbR ausgeschieden mit der Folge, dass dem D deren Vermögen zuwächst, § 738 I 1, würde jedenfalls dann niemand eine unzulässige Vorkaufsrechtsumgehung sehen, wenn D die Praxis in denselben Räumen fortführt und auch die Wohnung bezieht oder beziehen will, sobald das nach der Lebensgestaltung des „Seniorgesellschafters“ V möglich wird. Solche Bestimmungen stellen sich nicht als Fremdkörper32 zum Kaufvertrag dar; davon wäre bei einer Vertragsgestaltung auszugehen, die völlig außerhalb des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung des Kaufs liegt. Dort wird sie nur für den Vorkaufsfall getroffen und bringt V und D keine vertragsspezifischen Vorteile.

III. Tätigkeit des Notars in Vorkaufssituationen In Vorkaufssituationen muss der Notar den Beteiligten zunächst die Situation erläutern. Für gesetzliche Vorkaufsrechte, die sich auch auf grundstücksgleiche Rechte wie selbstständige Fischereirechte33 erstrecken können, folgt die entsprechende Hinweispflicht aus § 20 BeurkG, für dingliche Vorkaufsrechte aus der Pflicht zur Grundbucheinsicht, § 21 BeurkG, und für schuldrechtliche Vorkaufsrechte, wenn der Veräußerer oder sonstige Dritte ihn darüber unterrichten im Rahmen seiner Betreuungspflicht nach § 24 BNotO34. Kommen Veräußerer V und Käufer D mit einem bereits – meist anwaltlich verhandelten – vorhandenen Vertragstext, der ersichtlich das Vorkaufsrecht umgehen soll, wird der Notar die Situation mit den Beteiligten erörtern, seine Zweifel betonen und in der Urkunde festhalten, § 17 II 2 BeurkG. Die Beteiligten verwahren sich meist gegen eine Aufnahme in die Urkunde, weil sie den Vermerk für parteilich im Sinn des Vorkaufsrechtberechtigten B halten. Der Notar kann das Dilemma oft nur so lösen, dass der Vermerk Dritten mutmaßlich nicht mehr verständ__________ 32 So das Stichwort in BGH, Urt. v. 13.6.1980 – V ZR 11/79, DNotZ 1981, 240. 33 Nach Art 34 BayNatSchG Art 9 I BayFischG, VGH München, Urt. v. 28.7.1999 – 9 B 96.4250, BayVBl 2000, 594. 34 BGH, Urt. v. 21.2.2003 – IV ZR 422/99, n. v.

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lich ist. Vorschlag für eine solche Verklausulierung: „Der Notar haftet nicht dafür, dass die gewählte Gestaltung Drittansprüche nicht auslöst.“ Beauftragen die Beteiligten den Notar, einen Weg zu suchen, der den Vorkaufsfall nicht auslöst, verbietet die bestehende Rechtslage einfache Lösungen oder muss er den Beteiligten oft die Unmöglichkeit ihrer Zielsetzung erläutern. Noch enger erscheint sein Spielraum, wenn auch der Vorkaufsberechtigte B zu ihm kommt35; das ist aber nur vordergründig so, denn tatsächlich hat er nun mit allen Beteiligten Gelegenheit zur Erörterung und gegebenenfalls auch einvernehmlichen Lösung der Situation. Geschickte Verhandlungsführung eröffnet oft Lösungen, an die zu Beginn keiner gedacht und mit denen am Ende jeder zufrieden ist. Die Möglichkeiten des Notars sind hier bisweilen deutlich weiter als die des Richters im Rahmen einer Vergleichsverhandlung, weil sich die Fronten noch nicht so verhärtet haben. Ansonsten kann der Notar mit den Beteiligten Wege erörtern, die sich als Teillösung der in Abschnitt III. 3. a) skizzierten Art darstellen, oder – in sehr seltenen Fällen – wegen ihrer Individualität keinen Verkauf darstellen oder wie sie etwa in Abschnitt III. 3. c) angedacht wurden. Gerade Einbringung eines Gegenstands in eine Gesellschaft, in der zunächst der Veräußerer Gesellschafter ist und aus der er später ausscheidet, kann eine Situation so zu einem Aliud machen, dass sie keinen Verkauf darstellt oder sich jedenfalls das Prozessrisiko nicht zu lohnen scheint. Nicht quantifizierbar ist, ob und inwieweit ethische Erwägungen die Fantasie des Notars je nachdem beschränken oder erweitern sollen, wozu36 oder für wen ein Vorkaufsrecht besteht. So könnten Vorkaufsrechte doch eine verschiedene innere Wertigkeit haben, je nachdem ob sie für einen Nutzer existenzerhaltend oder für den Mieter wohnungssichernd oder nur für die öffentliche Hand, die ihrerseits enteignungsbefugt ist, für Straßenerweiterungszwecke dienlich sind.

IV. Tätigkeit des Notars bei Vorkaufsrechts-Begründung 1.

Pflichtenkreis

Bei Begründung rechtsgeschäftlich vereinbarter Vorkaufsrechte hat der Notar wie bei jeder Beurkundungstätigkeit den Willen der Beteiligten __________ 35 So im Fall BGH, Urt. v. 21.2.2003 – IV ZR 422/99, n. v. 36 Zur vorsichtigen Kategorisierung gesetzlicher Vorkaufsrechte siehe Fußnote 4.

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zu erforschen, den Sachverhalt zu klären, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite ihres Geschäfts zu belehren und ihre Erklärungen klar und unzweideutig in der Niederschrift wiederzugeben, § 17 I, II 1 BeurkG. Dabei hat er möglichst Irrtümer und Zweifel zu vermeiden sowie unerfahrene und ungewandte Beteiligte vor Benachteiligung zu schützen. Er hat Zweifel, ob das Geschäft dem Gesetz oder dem wahren Willen der Beteiligten entspricht, mit den Beteiligten zu erörtern.

2. Erörterung der Bedenken gegen Vorkaufsvereinbarung Vorkaufsrechte werden vor allem innerhalb der Familie bisweilen irrational schnell vereinbart, als sei damit Grundbesitz vereinfacht in der Familie zu halten. Dem Verpflichteten ist oft vor notarieller Aufklärung unklar, dass ihm ein Vorkaufsrecht zum Nachteil werden kann: Es bedeutet bereits beim Verkauf eine Zeitspanne der Ungewissheit und Verzögerung, die manchen Käufer abschreckt, denn der Vorkaufsberechtigte hat zwei Monate Überlegenszeit (§ 469 II 1 gegebenenfalls iVm §§ 1094, 1098 I). Sie beginnt erst mit Information des Vorkaufsberechtigten zu laufen. Mitgeteilt werden muss alles, was zur Wirksamkeit des Kaufvertrages erforderlich ist, also auch nötige Genehmigungen. Verzögert sich eine Genehmigung, verlängert sich die Ungewissheit. Das dingliche Vorkaufsrecht kann darüber hinaus auch bei Belastungen hinderlich sein, da ein Gläubiger häufig den Rangrücktritt des Vorkaufsrechts hinter sein Grundpfandrecht zur Auszahlungsvoraussetzung macht wegen der Wirkung des Vorkaufsrechts wie eine Vormerkung, § 1098 II BGB. Dazu tritt der nicht-rechtliche Umstand, dass ein Interessent gerade bei Grundstücken, die noch einer Entwicklung insbesondere in Zusammenarbeit mit den Baubehörden bedürfen, in erhebliche wirtschaftliche Vorleistung gehen muss für Architekten-, Behörden- und sonstige Vorermittlungen sowie zum Erhalt seiner Finanzierung. Ein Vorkaufsrecht kann solchen Grundbesitz unverwertbar machen, weil der Interessent Gefahr läuft, dass der Vorkaufsberechtigte Nutznießer der Früchte seiner Aufklärungs- und Vorbereitungsarbeiten wird. Ein Teil der Vorkaufsrechte wird auch als Einfluss wirtschaftlicher Macht eingetragen: Ein örtlich Mächtiger veräußert Grundbesitz u. a. nur gegen Begründung eines Vorkaufsrechts für ihn. Ebenso wirkt verletzter Stolz, wenn der notleidende Unternehmer Grundbesitz zwar verkauft, aber sich ein Vorkaufsrecht zurückbehält, kann doch seine Schwäche nicht anders als nur vorübergehend sein! 373

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Ein Teil der Vorkaufsrechte wird wegen örtlicher oder sachlicher Nähe begründet, so fast immer ein Vorkaufsrecht am Erbbaurecht für den belasteten Eigentümer und meist umgekehrt für den Erbbauberechtigten am Erbbaugrundstück, so bisweilen im Zwei-Wohnungen-Gebäude für den Eigentümer der jeweils anderen Wohnung37 und so – häufig verbunden mit einer Ankaufspflicht für den Berechtigten – bei gewerblich verwerteten Grundstücken38. Beispiel: Landwirt V gestattet dem Ziegelunternehmen D den Lehmabbau an seinem Grundbesitz, gewährt D ein Vorkaufsrecht und verpflichtet D, auf erstes Anfordern den – gegebenenfalls ausgebeuteten – Boden zu im Vertrag definierten Bestimmungen zu kaufen.

3. Erweiterung des Anwendungsbereichs über Vorkaufsfälle hinaus Die Erörterung der Vor- und Nachteile eines Vorkaufsrechts führt im Einzelfall auch häufig dazu, dass gar kein Vorkaufsrecht gewollt, vielmehr weitergehendes angestrebt ist. Häufig ist ein Ankaufsrecht, in unternehmerischen Vereinbarungen auch häufig ein Konkurrenzverbot, bisweilen auch beides, bei Übergabeverträgen vergleichbar der HöfeO ein Auszahlungsanspruch oder etwas ganz anderes gewollt. Die Lebensvielfalt verbietet eine vollständige Kategorisierung. Die Aufgabe des Notars beschreibt wieder § 17 I BeurkG: Er hat den Willen der Beteiligten zu erforschen und ihre so ermittelten Erklärungen klar und unzweideutig wiederzugeben. Abschließend dazu ein Beispiel: § 1 Verpflichtungen des V Absatz 1 – Ankaufsberechtigung 1.

1

Wird der Grundbesitz Gemarkung G FlSt __1__ ganz oder teilweise veräußert, ist D [Variante: der jeweilige Eigentümer von FlSt __2__] zum Ankauf berechtigt. 2 Als Veräußerung gilt grundsätzlich jeder Eigentumswechsel, es sei denn an eine privilegierte Person. 3 Als privilegiert gelten der Ehegatte des Verpflichteten, jeder seiner geradlinig Verwandten und ein in seinem Mehrheitsbesitz stehendes (§ 16 AktG) Unternehmen, wenn der Rechtsnachfolger seinerseits wieder in alle Pflichten aus dieser Vereinbarung – wieder mit Weitergabepflicht – eintritt.

__________ 37 So im Fall BGH NJW 1998, 2136 (Fn. 14). 38 So im Fall BGH, Urt. v. 21.2.2003 – IV ZR 422/99, n. v. anlässlich eines Vorkaufsrechts im Zusammenhang mit einem Pachtvertrag.

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Die BGH-Vorkaufs-Rechtsprechung in der notariellen Praxis 4 Einer Veräußerung steht gleich, wenn der Mehrheitsverlust verloren geht. 5 Als

Veräußerung gelten auch die Verschaffung eines Erbbaurechts, eines Nießbrauchs oder einer zur Fruchtziehung oder [je nachdem: Wohnungs-/Bodenschatzausbeute-/sonstigen] Nutzung prägender Werte berechtigten Dienstbarkeit. 6 Der Anspruch ist gehemmt, solange eine privilegierte Person (Satz 3) anspruchsberechtigt ist.

7 Treuhandverträge sind nach ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung zu behandeln.

2. Das geschuldete Entgelt entspricht bei Verkauf dem Kaufpreis und bei sonstiger Veräußerung dem Verkehrswert. Gelingt keine Einigung auf den Verkehrswert, möge ein vom örtlichen Gutachterausschuss benannter Sachverständiger den Verkehrswert für die Beteiligten bindend, § 317, festsetzen. Vor Tätigwerden möge der Sachverständige den Beteiligten eine eigene Schätzung abverlangen. Er kann die Kosten seiner Tätigkeit den Beteiligten analog §§ 91 ff. ZPO, bei fehlender Einlassung eines Beteiligten nach billigem Ermessen auferlegen. 3. Im Übrigen gelten die §§ 463–465, 467–469 und 471–473, 433 ff. analog. Absatz 2 – Konkurrenzverbot V verpflichtet sich außerdem mit Wirkung für den jeweiligen Eigentümer des Grundbesitzes Gemarkung G FlSt __1__, diesen Grundbesitz nicht für Zwecke der _____ [Kiesausbeute/sonstigen Nutzung] an Dritte zu vermieten, zu verpachten oder zur sonstigen Furcht- oder Nutzziehung zu überlassen. Absatz 3 – Gemeinsame Bestimmungen Der Verpflichtete hat über die Eigentums-, Verpachtungs- und sonstigen relevanten Verhältnisse Auskunft (§§ 260, 261) zu erteilen. § 2 Grundbuchliche Sicherung Zur grundbuchlichen Sicherung der in § 1 vereinbarten Ansprüche bewilligen und beantragen die Beteiligten, für D [Variante: den jeweiligen Eigentümer von FlSt __2__] einzutragen: 1. die Eintragung einer Vormerkung am Grundbesitz Gemarkung G FlSt __1__ zur Sicherung des bedingten Erwerbsanspruchs aus Absatz 1 Ziffer 1; und 2. die Eintragung einer beschränkt persönlichen [Variante Grund-] Dienstbarkeit zur Sicherung der Unterlassungsansprüche aus Absatz 2. Die Rechte erhalten untereinander Gleichrang, im Übrigen Rang nach den eingetragenen grundbuchlichen Lasten, aus denen heraus keine Zwangsversteigerung betrieben werden kann, hilfsweise nächst offenen Rang. Allen Rangbeschaffungserklärungen, insbesondere Rücktritten, Löschungen und Freigaben wird mit dem Antrag auf grundbuchlichen Vollzug zugestimmt. § 3 Gegenleistung des D Als Gegenleistung für die Gewährung des Ankaufsrechts nach § 1 Absatz 1 und für die Eingehung des Konkurrenzverbots nach § 1 Absatz 2 schuldet D eine Ein-

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Heinrich Kreuzer malzahlung von … Euro, fällig am … und unterwirft sich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde wegen der Pflicht zur Erbringung dieser Zahlung Kaufpreises und etwaiger Verzugszinsen von jährlich fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, § 247, siehe http://www.bundesbank.de unter „Aktuelle Zinssätze“. Vollstreckbare Ausfertigung kann ohne weitere Nachweise erteilt werden, frühestens aber zu dem vorgenannten Zahltag. § 4 Kosten u. a Schlussbestimmungen … [werden hier nicht ausformuliert]

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Bodenmanagement und Bodenmanagementbehörde* Herbert Landau Inhaltsübersicht I. 1. 2. 3.

Rechtszustand heute Grundbuchrecht Katasterwesen Fachliche Verbindung zwischen Grundbuch und Liegenschaftskataster

II. Rechtsvergleichende Betrachtungen in Europa 1. Grundbuch bei den Gerichten 2. Grundbuchführung bei anderen Stellen

III. Zukunftsperspektive „Bodenmanagementbehörde“(?) 1. Kataster zu Grundbuch 2. Grundbuch zu Kataster a) Verfassungsrechtliche Betrachtung b) Materiellrechtliche Betrachtung c) Konsequenzen 3. Eine Behörde, zwei Verfahrensordnungen IV. Kritik V. Abschließende Betrachtung

Einführung Die Begriffe „Bodenmanagement“ und „Bodenmanagementbehörde“ erschließen sich dem Betrachter nicht ohne weiteres und lassen auch die Zuordnung zu einem Rechtsgebiet nicht aus sich heraus zu. Etwas anderes mag für den Jubilar gelten, der – mit allen Nuancen des Grundstücksrechts vertraut – auch die aktuellen Reformvorstellungen der hessischen Landesregierung als ehemaliger hessischer Richter und Ministerialbeamter kennt. Traditionell ist die Grundstücks- und Bodenverwaltung in zwei Rechtsgebieten angesiedelt. Die über die Grundstücke geführten Grundbücher sind über die Grundbuchordnung als Teilbereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit den ordentlichen Gerichten zugewiesen und sind die Basis für den Rechtsverkehr mit Grundstücken. Das Kataster- und Liegenschaftswesen ist den Katasterbehörden des Landes im Rahmen der öffentlichen Verwaltung zugewiesen __________ * Der Verfasser bedankt sich bei Frau Vors. Richterin am LG Ruth Schröder, Wiesbaden, für die Mitarbeit.

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und ist Basis für die Erfassung aller Vermessungsdaten. Verknüpfungen bestehen lediglich darin, dass die Daten der Katasterämter auch für die Grundstücke und Grundstücksbezeichnungen maßgeblich sind und deshalb den Grundbuchämtern zur Verfügung gestellt werden. Der Inhalt des Begriffes „Bodenmanagement“ führt weg vom Grundbuch einerseits und Kataster andererseits hin zu einer einheitlichen Betrachtung und möglichen Zusammenführung beider Bereiche. Die Zielvorstellung geht dahin, im Sinne einer kompakten modernen und vereinfachten Struktur beide Bereiche zu vereinen und die durch Führung paralleler Datenbestände im Grundbuch und Kataster vorhandenen Redundanzen zu vermeiden, doppelt gebundene Arbeitskraft freizusetzen, Verwaltungsabläufe zu reduzieren und schließlich dem Bürger aus einer schlanken Verwaltung heraus einen Immobilienservice aus einer Hand zu bieten.

I. Rechtszustand heute 1. Grundbuchrecht Das Grundbuch ist dazu bestimmt, über die privatrechtlichen, nicht aber auch über die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse eines Grundstücks zuverlässig Auskunft zu geben. In Hessen gibt es allein rund 25 weitere Datenbestände zum Grundstück: vom Denkmalbuch des Landes Hessen über das Baulastenverzeichnis bis hin zu Altlasten-, Wasserschutz- und sonstigen Informationssystemen, etwa über EU-MittelBerechnungen zu landwirtschaftlich genutzten Flächen1. Die Grundbuchordnung dient dazu, auf sicherer Grundlage bestimmte und eindeutige Rechtsverhältnisse für unbewegliche Sachen zu schaffen und zu erhalten. Parallel zur Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde in diesem Sinne bereits die erste Grundbuchordnung am 24.3.1897 verkündet. Bereits seit über 100 Jahren ist damit die Führung der Grund-

__________ 1 Die Einbindung dieser Datenbestände in ein landesweites Informationssystem aller wichtigen Daten über Grund und Boden wird aktuell geprüft; zukünftig wird zudem durch eine mit allen Bundesländern abgestimmte Umstellung auf ein europäisches terrestrisches System ein modernes Bezugssystem geschaffen, das den Austausch und die Verknüpfung von Geodaten im europäischen und nationalen Rahmen stark vereinfachen wird.

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bücher als fester Bestandteil der freiwilligen Gerichtsbarkeit den Amtsgerichten als Grundbuchämtern zugewiesen2. Aufgrund der „Vollübertragung“ der Grundbuchsachen auf die Rechtspfleger gemäß § 3 Ziffer 1 Buchst. h) RPflG sind für alle entscheidenden Eintragungsfragen Rechtspfleger zuständig, die auf der Grundlage ihrer hochwertigen und umfassenden Ausbildung in der Lage sind, die schwierigen materiellrechtlichen Fragen des Zivilrechts, insbesondere des Sachenrechts, zu beurteilen und mit entsprechender Sicherheit die Eintragungen vorzunehmen. In der Sache sind die Rechtspfleger unabhängig und weisungsungebunden, § 9 RPflG. Der Grundbuchrichter ist lediglich noch in Ausnahmefällen zuständig. Der Rechtsweg führt vor die ordentlichen Gerichte. Gemäß §§ 71 und 72 GBO entscheidet über Beschwerden gegen die Entscheidungen des Grundbuchamtes das Landgericht. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung werden die Verfahren ggf. dem Bundesgerichtshof vorgelegt, § 79 GBO. Materiellrechtlich wird der öffentliche Glaube des Grundbuchs gemäß §§ 891 und 892 BGB geschützt, d. h., die Eintragungen im Grundbuch genießen einen besonderen Schutz und Stellenwert. § 891 begründet die widerlegbare Vermutung für den eingetragenen Rechtszustand. § 892 BGB fingiert die Richtigkeit und Vollständigkeit des Grundbuchs zugunsten des gutgläubigen Erwerbers.

2. Katasterwesen Durch landesrechtliche Vermessungsgesetze wird bestimmt, welche Behörde die Aufgaben als untere Kataster- und Landesvermessungsbehörden (Katasterämter) wahrnehmen. Das Liegenschaftskataster besteht aus einem kartographischen Teil und einem beschreibenden Teil; insoweit kann man differenzieren zwischen Liegenschaftskarte und Liegenschaftsbuch. Das Liegenschaftskataster weist auf der Grundlage von Katastervermessungen die Flurstücke, die gebäude- und die grundstücksgleichen Rechte flächendeckend, lückenlos und geometrisch __________ 2 Besonderheiten des Baden-Württembergischen Rechts: teilweise Tätigkeit von Amtsnotaren als Grundbuchämter oder die Besonderheiten in den neuen Bundesländern zu Zeiten der DDR sollen hier nicht vertieft werden.

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nach und beschreibt diese Objekte durch weitere Sachinformationen. Jedes dieser Objekte hat im Liegenschaftskataster ein eindeutiges Fachkennzeichen. Das Flurstück ist das Hauptbuchungsobjekt im Liegenschaftskataster. Liegenschaftsbuch und Liegenschaftskarte bieten zusammen mit dem Katasterzahlennachweis und den Grenzpunktabmarkungen eine umfassende Dokumentation sämtlicher Flurstücke, gleichgültig, ob diese im Grundbuch gebucht sind oder nicht. Das Liegenschaftskataster ist das amtliche Verzeichnis der Grundstücke nach § 2 Abs. 2 der Grundbuchordnung, d. h., der im Liegenschaftskataster geführte Flurstückbestand ist maßgebend für den im Grundbuch geführten Grundstücksbestand. Die Tätigkeit der Katasterbehörden ist reines Verwaltungshandeln, für das das Verwaltungsverfahrensgesetz gilt, soweit nicht Sonderbestimmungen greifen. Der Rechtsweg ist zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

3. Fachliche Verbindung zwischen Grundbuch und Liegenschaftskataster Vor dem Hintergrund von Artikel 14 GG sind Grundbuch und Liegenschaftskataster zwei gleichermaßen wesentliche Grundstücksregister, die sich über die fachliche Klammer nach § 2 Abs. 2 der GBO notwendig ergänzen. Die Liegenschaftskarte ist identisch mit der Grundbuchkarte. Diese Zusammenhänge hat bereits das Reichsgericht im Urteil vom 12.2.19103 festgestellt. Die Verknüpfung beider Systeme setzt eine redundante Datenhaltung und eine ständige Übereinstimmung der betreffenden Informationen voraus. Zur Pflege der Übereinstimmung ist ein wechselseitiges Fortführungsprocedere vereinbart. Das Katasteramt übermittelt immer dann, wenn ein Flurstück erstmalig entsteht, verändert wird oder sich beschreibende Daten ändern, die auch für das Grundbuch relevant sind, die betreffenden Fortführungsdaten in Form eines sog. Veränderungsnachweises an das Grundbuch. Dabei werden die für die Grundbuchführung maßgebenden Daten des Liegenschaftskatasters in das Listenschema des Grundbuchs umgesetzt, das sich in Aufbau und Inhalt wesentlich vom Liegenschaftskataster unterscheidet. Andererseits ist das Katasteramt auf die sogenannten Veränderungslisten seitens des Grundbuchs angewiesen, wenn sich z. B. die Eigentumsverhältnisse ändern oder das Grundstück auf ein anderes __________ 3 RG, Urt. v. 12.2.1910 – V 72/09, RGZ 73, 125.

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Grundbuchblatt übertragen wird. Veränderungslisten sind folglich das korrespondierende Medium zur Übernahme aller relevanten grundbuchlichen Veränderungen in das Liegenschaftskataster. Neben der durch die Systemverknüpfung bedingten Datenredundanz wird noch eine weitergehende Datenredundanz gepflegt, die darin begründet liegt, dass jedes System gegenüber dem jeweils anderen bis zu einem Grad autark ist, indem es dessen Inhalt zum Teil nachrichtlich mitführt. Dieser Aufwand ist nötig, weil es bislang keine operationalen kommunikativen Verbindungen zwischen dem Grundbuch und dem entsprechenden Liegenschaftskataster gibt. Eine Folge dessen sind die sog. Hilfsverzeichnisse nach § 12 a GBO auf der Grundbuchseite und die aus dem Grundbuch in das Liegenschaftsbuch übernommenen Bestands- und Eigentümerdaten.

II. Rechtsvergleichende Betrachtungen in Europa Eine Zusammenführung der Bereiche Grundbuch und Kataster in eine einheitliche Behörde erscheint insbesondere unter dem Aspekt der altbewährten Ansiedlung der Grundbuchämter bei den Gerichten mit den für die Grundbücher zuständigen Rechtspflegern auf den ersten Blick als Fremdkörper. Der Blick in einige europäische Nachbarstaaten lässt aber durchaus eine Vielzahl von getrennter oder gemeinsamer Führung erkennen. Sowohl für die 15 bisherigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als auch für die neu beigetretenen Staaten bietet sich hinsichtlich der Frage der registerführenden Stellen, des jeweiligen Verfahrensrechts als auch der materiellrechtlichen Wirkungen des Grundbuchs/Immobiliarregisters ein ausgeprägt heterogenes Bild. Insoweit seien lediglich punktuell einige Länder hervorgehoben:

1. Grundbuch bei den Gerichten In Dänemark4 und Österreich5 wird das Grundbuch ebenso wie in Deutschland von den Gerichten geführt (Dänemark: erstinstanzliches Gericht, Österreich: Bezirksgericht). In Dänemark genießt das Grundbuch dabei in negativer Hinsicht öffentlichen Glauben, was zur Folge hat, dass nur eingetragene Rechte und Belastungen einem Dritten bei eigener Eintragung entgegengehalten werden können. Darüber hinaus __________ 4 Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 71–73. 5 Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 85–87.

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kommt ihm auch ein gewisser positiver öffentlicher Glaube zu, da der Erwerber darauf vertrauen kann, dass die voreingetragenen Rechtsnachfolgen auch wirksam stattgefunden haben. In Österreich ist ein gutgläubiger Erwerb im Vertrauen auf die Eintragung möglich. Auch bei den jetzt erst beigetretenen Ländern Polen6 und Estland7 wird das Grundbuch bei den Gerichten geführt. In Polen kann neben dem Richter auch der Rechtspfleger im Wege der Aufgabenübertragung im Grundbuchbereich tätig werden. In Estland ist durch das Grundbuchgesetz vom 15.9.1993 die Führung der Grundbücher den Gerichten aufgetragen worden. Zu dieser Entscheidung kam es nach einem langen und harten Ringen und gegen den starken Widerstand der Liegenschaftsdienste und der Katasterämter, die die Registrierung des Grundeigentums und der dinglichen Rechte für sich beanspruchten. Entscheidend für die jetzige Regelung war, dass die Eintragung in das Grundbuch Voraussetzung für den Erwerb eines dinglichen Rechts an Grund und Boden sein sollte, das Grundbuch öffentlichen Glauben genießen und die Grundbuchführer im Grundbucheintragungsverfahren neben guten juristischen Kenntnissen vor allem auch die richterliche Unabhängigkeit besitzen sollten. Den Bediensteten der Katasterbehörden fehlten diese beiden Eigenschaften8.

2. Grundbuchführung bei anderen Stellen In anderen Staaten findet sich die Grundbuchführung hingegen bei anderen Stellen: In Frankreich9 erfolgt die Erfassung von Immobilien im sog. Transkriptionsregister, welches keinen öffentlichen Glauben genießt. Dieses Grundstücksregister wird vom sog. Hypothekenbewahrer geführt, einem Beamten der Finanzverwaltung. Entsprechendes gilt für Belgien und Luxemburg10. In Italien11 werden die Grundstücksregister von besonderen Ämtern geführt; die Immobiliarregister haben lediglich negative Publizität (Ausnahmen in den sog. „Neuen Provinzen TrientSüdtirol und Görz und Triest, in denen noch den deutschen vergleichbare Grundbuchämter weiterbestehen). __________ 6 7 8 9 10 11

Fröhlich/Grimm/Späth, RpflStud 2000, 119. Weike, Rpfleger 1997, 250 ff. Weike, Rpfleger 1997, 250 (251). Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 76–78. Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 69–70. Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 79–81.

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In Spanien12 werden die Grundbücher von eigenständigen Behörden geführt. Das Immobiliarregister lässt keinen gutgläubigen Erwerb aufgrund der Registereintragung zu, jedoch eine beweisrichtige Vermutung dafür, dass die registrierten Vorgänge stattgefunden haben. In Tschechien13 wurden mit dem 1.1.1993 die Aufgaben der Staatsnotariate im Zusammenhang mit Immobilien auf Katasterämter übertragen. Seit diesem Zeitpunkt erfolgen die Eigentumsübertragungen von Immobilien und die Begründung anderer dinglicher Rechte mit konstitutiver Wirkung durch Eintragung in das Immobilienkataster. Die Katasterämter sind als Verwaltungsbehörden eingerichtet, wobei die Überprüfung ihrer Entscheidung nur in eingeschränktem Maße vor den Verwaltungsgerichten möglich ist. Eintragungen im Immobilienkataster genießen dort Gutglaubensschutz. In der Schweiz14 obliegt die Einrichtung der Grundbücher den Kantonen. Der Inhalt der Immobiliarregister genießt Gutglaubensschutz.

III. Zukunftsperspektive „Bodenmanagementbehörde“(?) Eine rein technische Umsetzung durch Verknüpfung der Datenbanken von Grundbuch und Kataster, für die die Grundlagen bereits in § 127 GBO geschaffen sind, erscheint zwar rechtlich unproblematisch, genügt jedoch nicht der Grundidee „Bodenmanagementbehörde“. Grund- und Zielvorstellung ist, die Kataster- und Flurbereinigungsbehörden sowie die Grundbuchämter nicht nur datentechnisch, sondern auch institutionell und funktionell zusammenzuführen, um folgende positive Effekte zu erreichen: Mit der Neuordnung der Behördenstandorte kann der Wirtschaft und den Bürgern dienstleistungsorientiert entgegengetreten werden. Alle Informationen um und über die Immobilien können von nur einer Behörde gebündelt abgefragt und geliefert werden. Durch die kompakte Struktur der Behörde kann die Effizienz der Aufgabenerledigung erhöht werden. Da die Digitalisierung und elektronische Aufbereitung die Datenabfrage standortunabhängig ermöglicht, können effiziente Einheiten an wenigen Standorten mit kreisübergrei__________ 12 Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 94–96. 13 Sauer, RIW 1996, 646 (647). 14 Meikel/Böhringer, Grundbuchrecht, Bd. 1, 9. Aufl. 2003, Einl A Rz. 91–93.

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fenden Zuständigkeiten gebildet werden. Damit kann auch die Rentabilität der notwendigen technischen Investitionen erhöht und können die verfügbaren personellen und finanziellen Ressourcen effizienter eingesetzt werden. Die bislang an vielen Standorten anfallenden Querschnittsaufgaben und die operativen und entwicklungstechnischen Kapazitäten können an größeren und weniger Standorten konzentriert werden. Geschäftsprozesse und Kompetenzen können gebündelt werden. Diese Bündelung kann vielfältige Synergieen freisetzen: das Personal wird in nicht unerheblichem Umfang reduziert werden können, da insbesondere redundante Arbeitsabläufe entfallen. Aber auch die Optimierung der Arbeitsabläufe und Geschäftsprozesse in der Bodenmanagementbehörde und die bessere Auslastung der einzelnen Abteilungen wird Arbeitszeitund damit Personaleinsparungen mit sich bringen. Zudem kann der Aufwand für Koordinierung der Dienst- und Fachaufsicht der nächsthöheren Ebene reduziert werden. Der Raumbedarf wird sich zum einen bereits in Folge der Standort- und damit Gebäudekonzentration, zum anderen auch erheblich durch den Personalabbau verringern. Auch hier sind folglich bedeutsame Einsparungen möglich. Zur Verwirklichung der Bodenmanagementbehörde kommen verschiedene Denkmodelle in Betracht: Kataster zu Grundbuch (1.), Grundbuch zu Kataster (2.) oder Zusammenfassung von Grundbuch und Kataster in einer Behörde, aber mit zwei Verfahrensordnungen (3.).

1. Kataster zu Grundbuch Die Übertragung der Aufgaben der Katasterämter auf die Grundbuchämter ist theoretisch denkbar. Die Übertragung von reinen Verwaltungsaufgaben auf Gerichte ist allerdings unter dem Aspekt einer modernen Aufgabenteilung und klaren Aufgabenzuweisung ein Fremdkörper. Das Bestreben geht insoweit vielmehr dahin, die Verwaltung mit den Verwaltungsaufgaben und die Justiz lediglich mit reinen Justizaufgaben zu befassen. Die Übertragung von Katasteramtsaufgaben auf die Amtsgerichte als „Bodenmanagementbehörde“ widerspräche diesen Grundprinzipien. Diese Variante setzte zudem voraus, dass der Bundesgesetzgeber gemäß § 4 Satz 2 EGGVG ein entsprechendes Bundesgesetz erließe oder § 4 Satz 2 EGGVG änderte. In dieser Vorschrift ist festgelegt, dass lediglich durch Bundesgesetz den Gerichten Verwaltungsaufgaben zugewiesen werden dürfen. Vor dem Hintergrund, dass im Interesse einer reibungslos arbeitenden Rechtspflege eine Belastung der Gerichte mit rechtspflegefremden Aufgaben nicht stattfinden soll, ist eine 384

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solche Lösung abzulehnen. Gerichte sollen allein für Rechtspflegeaufgaben zuständig sein. Diese ordnungsgemäß zu erfüllen ist als Herausforderung bedeutend genug.

2. Grundbuch zu Kataster Die Überführung des Grundbuchamtes in die Katasterbehörde oder die isolierte Neubildung einer Bodenmanagementbehörde aus Grundbuchamt und Kataster setzt die Ausgliederung des Grundbuchamtes aus den Gerichten voraus. Dies kann entweder durch eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung in der Grundbuchordnung geschehen oder durch eine Öffnungsklausel, die den Ländern die Zusammenführung von Grundbuchamt und Kataster ermöglicht15.

a) Verfassungsrechtliche Betrachtung Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem nicht entgegen. Eine zwingende Zuständigkeit der Justiz für die Grundbuchangelegenheiten ist nicht ersichtlich. Insbesondere greift der Richtervorbehalt des Art. 92 GG nicht ein, da die „rechtsprechende Gewalt“ nicht betroffen ist. Unabhängig davon, dass Grundbuchangelegenheiten als solche nicht zum Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt zählen, hat das Bundesverfassungsgericht zudem ausdrücklich klargestellt, dass Rechtspfleger auch insoweit nicht den Richtern gleichgestellt sind, als sie Aufgaben der Rechtspflege in sachlicher Unabhängigkeit (§ 9 RPflG) wahrnehmen. Der Rechtspfleger entscheidet zwar innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs als „Gericht“, ist aber weder verfassungsrechtlich noch gerichtsverfassungsrechtlich als Richter im Sinne des Art. 92 GG anzusehen16. Art. 72 Abs. 2 GG hindert den Bundesgesetzgeber auch nicht daran, eine Öffnungsklausel in die Grundbuchordnung aufzunehmen. Art. 72 Abs. 2 GG, die sog. „Erforderlichkeitsklausel“, schränkt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in den Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 GG) zugunsten der Länder ein, indem er bundesgesetzliche Regelungen nur zulässt, „wenn und soweit die Herstellung __________ 15 Vgl. BR-Drs. 184/04 – Hessische Bundesratsinitiative zur Schaffung einer Länderöffnungsklausel in der Grundbuchordnung und anderen Gesetzen. 16 BVerfG, Beschl. v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, BverfGE 101, 397 (405) und LS 1.

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gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“. An Art. 72 Abs. 2 GG werden somit gesetzgeberische Aktivitäten des Bundes gemessen, die den betroffenen Sachbereich für eigene Regelungen der Länder sperren. Öffnungsklauseln bewirken das Gegenteil: Sie öffnen den jeweiligen vom Bundesgesetzgeber normierten Sachbereich zumindest in Teilen (wieder) für die Länder mit der Folge, dass diese insoweit eigene Regelungen schaffen können. Eine Öffnungsklausel, die den Ländern gestattete, die Grundbuchämter nicht bei den Amtsgerichten anzusiedeln, wäre demnach keinen kompetenzrechtlichen Bedenken ausgesetzt.

b) Materiellrechtliche Betrachtung Auch ansonsten sind keine materiellrechtlichen Gründe ersichtlich, die zwingend erfordern würden, die Grundbuchämter bei der Justiz zu belassen. Es gibt keine bundesrechtlichen Vorschriften, die gebieten, dass nur ein Gericht oder eine Justizbehörde das Grundbuch mit den gesetzlichen Folgewirkungen der Fiktion der Richtigkeit der Eintragung und des öffentlichen Glaubens (§§ 891, 892 BGB) führen kann. Zwar lässt sich die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück und das diesen Rechtsakt wiedergebende Grundbuch rechtshistorisch auf einen ehemals formalisierten, später auch Scheinprozess vor einem Richter zurückführen, der mit einer gerichtlichen Entscheidung endete und über den eine gerichtliche Beweisurkunde ausgestellt wurde17. In Anknüpfung daran wird in der Literatur zwar auch vertreten, dass der öffentliche Glaube darauf beruht, dass den Bucheinträgen die Kraft eines Gerichtszeugnisses und einer Gerichtsurkunde zukommt18. Jedoch stellen schon die Motive zum BGB19 bezüglich der genannten Rechtswirkungen lediglich auf die Zuverlässigkeit des Grundbuches ab, die durch gesetzliche Vorkehrungen über die sorgfältige Führung der Bücher und durch eine eingehende Prüfung der Buchbehörde erreicht werden könne. Dementsprechend wird überwiegend vertreten, dass die gesetzliche Vermutung und der öffentliche Glaube lediglich Folgen eines Staatshoheitsaktes sind, unabhängig davon, welche staatliche __________ 17 Stewing, Rechtspfleger 1989, 445 ff. 18 Wolff/Raiser, Lehrbuch des Sachenrechts, 10. Auflage 1957, § 26 II 1. 19 Motive III 208.

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Bodenmanagement und Bodenmanagementbehörde

Institution diesen erlassen hat20. Bei entsprechenden gesetzlichen Vorkehrungen wird daher der die Vertrauenstatbestände schaffende Staatshoheitsakt demnach auch von einer Bodenmanagementbehörde als einer außergerichtlichen Behörde erlassen werden können21.

c) Konsequenzen Verlagert man das Grundbuch aus den Amtsgerichten heraus in eigenständige oder dem Kataster angegliederte Behörden, so entzieht man sie zugleich dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Qualifikation als Rechtspflegeaufgabe entfällt mit der Folge, dass auch die hierfür besonders qualifizierten Rechtspfleger, denen heute die Grundbuchführung vollständig übertragen ist, nicht mehr ohne weiteres zuständig sind. Gleichwohl wäre es auch hier, um die Qualität der Grundbuchführung auf dem bisherigen Niveau zu sichern, sinnvoll, Rechtspflegern diese Aufgabe weiterhin in sachlicher Unabhängigkeit zu übertragen. Auch die dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle – bei jedem Gericht eingerichtet gemäß § 153 GVG – zugewiesenen Aufgaben müssen anderweitig erledigt werden. Insgesamt stellt sich die Frage, welchem Verfahrensrecht die Aufgabenerledigung durch das zusammengeführte Grundbuch/Katasteramt (Bodenmanagementbehörde) unterstellt werden soll. Als eigenständige Behörde unterläge sie im Grundsatz dem Verwaltungsverfahrensrecht, für das auch der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Theoretisch denkbar ist auch die Schaffung einer eigenen Verfahrensordnung für die neu geschaffenen Bodenmanagementbehörden unter Einbeziehung sowohl des Grundbuchrechts als auch des Rechts für das Katasterwesen. Auf Grund der dann vorzunehmenden Zuordnung zum öffentlichen Recht wäre der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten auch in Grundbuchsachen zu eröffnen. In Anbetracht der Tatsache, dass das Grundbuchrecht einer mehr als 100-jährigen Tradition folgend absolut bewährt ist und Ziel der Zusammenführung der Grundbuchämter mit den Katasterbehörden im Ergebnis nicht ist, diese bewährten Grundsätze aufzugeben, erscheint dieser Lösungsansatz als eher unwahrscheinlich.

__________ 20 So schon Kuttner, Jherings Jahrbuch, Bd. 61, 109 (114 f.); Westermann, JuS 1963, 1 (4); Wiegand, JuS 1975, 205 (206). 21 Insoweit zu Unrecht die Kritik an der hessischen Bundesratsinitiative unter 1.f) der Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 15/3148.

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3. Eine Behörde, zwei Verfahrensordnungen Auch wenn der Bundesgesetzgeber die Freiheit hat, Bundesrecht vollständig zu ändern oder den Ländern im Wege der Öffnungsklausel die Schaffung von Bodenmanagementbehörden zu ermöglichen, wird dies mit Blick auf Art. 72 Abs. 2 GG und im Hinblick auf die mehr als 100jährige und bundeseinheitliche Tradition des Grundbuchrechts mit seinen bewährten Strukturen nur dann geschehen, wenn die Bundeseinheitlichkeit des Grundbuchverfahrens in seinen Grundprinzipien gewahrt bleibt. Es wäre untunlich, wenn der Bundesgesetzgeber in dem für die Wirtschaftsordnung so bedeutsamen Bereich des Grundstücksverkehrs eine Rechtszersplitterung in Deutschland zuließe. Dies gilt um so mehr bei einer Lösung über eine Länderöffnungsklausel, in deren Folge einige Bundesländer die Grundbuchämter weiter bei den Amtsgerichten belassen und andere Bundesländer Bodenmanagementbehörden bilden werden. Bei einer weitgehenden Rechtsangleichung an den bisherigen Status quo müssten die Grundbuchsachen weiterhin der Grundbuchordnung und dem Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit einschließlich des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten unterstellt werden. Was das Eintragungsverfahren im grundbuchlichen Bereich betrifft, müsste sichergestellt werden, dass entweder Rechtspfleger außerhalb der eigentlichen Rechtspflegetätigkeit auch in einer solchen Behörde tätig werden könnten, oder die grundbuchlichen Aufgaben lediglich auf solche Personen übertragen würden, die eine Rechtspflegerausbildung nachwiesen. Gesetzestechnisch wäre dies durch eine Reihe von Änderungen im Bundesrecht (GBO, FGG, RPflG, KostO) als auch ggf. im nachfolgenden Landesrecht – je nach Ausgestaltung der Behörde – möglich. Das Katasterwesen bliebe weiterhin ohne Änderungen dem öffentlichen Recht zugewiesen und dem für diese Behörde zuständigen Ministerium zugeordnet. An dem Verwaltungsverfahren und dem Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten änderte sich nichts. Im Ergebnis führte dies zu zwei Verfahrensordnungen und Rechtswegen innerhalb einer Behörde. Diese eher seltene Konstruktion wäre indes im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit geboten.

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Bodenmanagement und Bodenmanagementbehörde

IV. Kritik Die an der Idee der Bodenmanagementbehörde geäußerte Kritik22 ist vom Standpunkt der Zielvorstellung zum Bodenmanagement nicht durchgreifend. So ist insbesondere die Befürchtung, in Folge der Verlagerung auf Angestellte oder Beamte komme es zu Qualitätsverlusten, und der Verweis auf das Scheitern eines nicht gerichtlichen, sondern behördengeführten Grundbuchs in der ehemaligen DDR nicht stichhaltig. Denn auch bei einer Übertragung auf Angestellte und Beamte kann die Qualität durch eine entsprechende Anforderung an die Ausbildung und die eingesetzten Mitarbeiter beibehalten werden. Die hiesigen Verhältnisse können selbstredend auch nicht mit denen in der ehemaligen DDR gleichgesetzt werden. Die Einheitlichkeit des Grundbuchwesens würde auch nicht allein dadurch aufgegeben, dass keine Rechtspfleger mehr für die Eintragung zuständig sind, wenngleich deren Einsatz in unabhängiger Rechtsstellung erstrebenswert erscheint. Das bewährte Grundbuchrecht und das Grundbuchverfahrensrecht bis hin zum Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten soll in keiner Weise verändert werden. Eine Rechtszersplitterung und damit Beeinträchtigung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet tritt durch die Bodenmanagementbehörden nicht ein. Gewiss mag es in einer Übergangszeit bis zur vollständigen und lückenlosen EDV-technischen Umsetzung und Datenerfassung aller Grundbücher einschließlich aller Grundakten gewisse Reibungsverluste geben, die allerdings nur vorübergehender Natur sein werden. Ist das Ziel dann erreicht, wird es keinerlei Beeinträchtigungen oder Defizite mehr geben.

V. Abschließende Betrachtung Ob die Schaffung von Bodenmanagementbehörden ermöglicht wird, ist letzten Endes und vorrangig eine politische Frage. Natürlich wird sich der Bundesgesetzgeber mit allen aufgeworfenen Fragen und Kritikpunkten auseinandersetzen und eine Entscheidung treffen müssen. Hierbei werden die Aspekte von Bewahrung und erprobter Zuordnung einerseits sowie Innovation und moderner Verwaltung andererseits abzuwägen __________ 22 S. insbesondere Stellungnahme der Bundesregierung zu der hessischen Bundesratsinitiative in BT-Drs. 15/3148.

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sein. Schließlich wird als Alternative auf dem Prüfstand stehen, ob nicht die elektronische Vernetzung zwischen Grundbuchamt und Katasterbehörde als erster Schritt in die Zukunft ausreichen sollte. Schon allein dieses vorrangig anzustrebende Ziel bedarf erheblicher technischer, finanzieller und konzeptioneller Anstrengungen und steht bis zu einer Entscheidung des Bundesgesetzgebers im Vordergrund aller Bemühungen zur Erhöhung der Dienstleistungsbereitschaft in Grundbuch und Kataster.

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Zur Abgrenzung von eingeschränktem Grundstücksnießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit Reiner Lemke Inhaltsübersicht I. Allgemeines II. 1. 2. 3.

Dienstbarkeiten Nießbrauch an Grundstücken Grunddienstbarkeiten Beschränkte persönliche Dienstbarkeit

III. Abgrenzungsproblematik

1. Zulässiger Inhalt des eingeschränkten Grundstücksnießbrauchs 2. Zulässiger Inhalt der Benutzungsdienstbarkeit 3. Abgrenzungstheorien 4. Stellungnahme IV. Zusammenfassung

I. Allgemeines Die erlaubte Benutzung von Grundstücken durch andere Personen als den Eigentümer ist fester Bestandteil des allgemeinen Wirtschaftslebens. In erster Linie geht es dabei um die Vermarktung des Wirtschaftsgutes „Grundstück“. Der Eigentümer will aus seinem Recht einen finanziellen Vorteil erzielen. Dafür gibt er seine ihm von dem Gesetz eingeräumte Befugnis, mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 Satz 1 BGB), ganz oder teilweise auf. Das geschieht rechtlich mit dem Abschluss von Vereinbarungen über die Art und den Umfang der Benutzung des Grundstücks durch Dritte und tatsächlich durch seine Nichtbenutzung oder nur eingeschränkte Benutzung durch den Eigentümer. Aus dem Bereich des Schuldrechts ist in diesem Zusammenhang hauptsächlich an den Abschluss von Miet- oder Pachtverträgen zu denken. Sie regeln das Rechtsverhältnis zwischen dem Grundstückseigentümer als Vermieter/Verpächter auf der einen Seite und dem Mieter/Pächter auf der anderen Seite. Das Mietverhältnis ist auf die Gewährung des Gebrauchs des Grundstücks gegen Entgelt (§ 535 BGB), das Pachtverhältnis auf die entgeltliche Gewährung der Nutzung des Grundstücks in einem bestimmten Umfang (§ 581 Abs. 1 BGB) gerichtet. Einen anderen Rege391

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lungsinhalt hat das Sachenrecht (§§ 854 bis 1296 BGB). Es ordnet körperliche Gegenstände, also Sachen, bestimmten Personen zu. Diese erhalten das Recht zur unmittelbaren Herrschaft über die Sache, und zwar entweder grundsätzlich unbeschränkt, dann Eigentum, oder lediglich beschränkt auf die Benutzung. Letzteres bezeichnet man als beschränktes dingliches Recht. Es wirkt gegenüber jedermann, auch gegenüber dem Eigentümer, der es dem Berechtigten eingeräumt hat, und seinen Rechtsnachfolgern. Das erfordert eine klare Abgrenzung der Befugnisse und Pflichten des Eigentümers von denen der Inhaber beschränkter dinglicher Rechte an ihm gehörenden Sachen. Daraus ergibt sich in zweifacher Hinsicht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Typisierung: Zum einen müssen die möglichen dinglichen Berechtigungen im Gesetz niedergelegt sein. Das bezeichnet man als Typenzwang, aus welchem sich der numerus clausus der Sachenrechte ergibt. Zum anderen muss der Inhalt dieser Berechtigungen wenigstens in den Umrissen für die Beteiligten zwingend durch das Gesetz bestimmt werden. Das ist die so genannte Typenfixierung. Beides schränkt die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Beteiligten ein. Sie können zwar frei darüber entscheiden, ob sie beschränkte dingliche Rechte begründen wollen; aber welche Rechte mit welchem Inhalt sie wählen dürfen, wird ihnen von dem Gesetz vorgegeben.

II. Dienstbarkeiten Für den hier interessierenden Bereich der Benutzung von Grundstücken durch Dritte stellt das Sachenrecht als beschränkte dingliche Rechte die Dienstbarkeiten zur Verfügung. Unter diesem Oberbegriff werden drei verschiedene Berechtigungen zusammengefasst, nämlich der Nießbrauch an Grundstücken (§§ 1030 bis 1089 BGB), die Grunddienstbarkeit (§ 1018 bis 1029 BGB) und die beschränkte persönliche Dienstbarkeit (§§ 1090 bis 1093 BGB). Sie entstehen durch Einigung zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Berechtigten sowie Eintragung des Rechts in das Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB). Alle weisen sie die Gemeinsamkeit auf, dass der Eigentümer die Benutzung bzw. Nutzungsziehung durch den Berechtigten dulden muss, der Berechtigte allerdings kein Verwertungsrecht an dem belasteten Grundstück erhält.

1. Nießbrauch an Grundstücken Der Nießbrauch ist die stärkste Form der Dienstbarkeit. Er gewährt dem Berechtigten die umfassende Befugnis, sämtliche Nutzungen des 392

Eingeschränkter Grundstücksnießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit

belasteten Grundstücks zu ziehen (§ 1030 Abs. 1 BGB); die Einschränkung dieser Befugnis durch den Ausschluss einzelner Nutzungen ist allerdings zulässig (§ 1030 Abs. 2 BGB). Der Nießbrauch ist unvererblich (§ 1061 BGB) und grundsätzlich unveräußerlich (§ 1059 BGB). Berechtigter des Nießbrauchs kann eine bestimmte (also nicht nur bestimmbare) natürliche oder juristische Person, auch die offene Handelsgesellschaft (§ 105 HGB), die Kommanditgesellschaft (§ 161 BGB) und wohl auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 BGB) sein, wenn sie als Außengesellschaft in Erscheinung tritt1. Der Nießbrauch kann mehreren Berechtigten in Bruchteilsgemeinschaft, in Gesamthandsgemeinschaft oder als Gesamtberechtigten zustehen. Schließlich kann auch der Eigentümer des belasteten Grundstücks selbst Berechtigter des Nießbrauchs sein (Eigentümernießbrauch), ohne dass er dafür etwa ein besonderes Interesse nachweisen muss2. Das umfassende Nutzungsziehungsrecht erlaubt dem Berechtigten, sämtliche Nutzungen des Grundstücks zu ziehen; der Eigentümer muss das dulden. Nutzungen sind nach § 100 BGB die Früchte (§ 99 BGB) und die Vorteile, welche der Gebrauch des Grundstücks gewährt. Das Eigentum an den unmittelbaren Sachfrüchten, also an den Erträgnissen des Grundstücks (§ 99 Abs. 1 BGB), erwirbt der Berechtigte mit der Trennung (§§ 954 ff. BGB). Die mittelbaren Sachfrüchte, also die Erträge, welche das Grundstück aufgrund eines auf Gebrauch oder Nutzung gerichteten Rechtsverhältnisses abwirft (§ 99 Abs. 3 BGB) wie z. B. Miet- und Pachteinnahmen, erlangt er mit der Einziehung. Insoweit besteht ein originärer Anspruch gegen den Mieter oder Pächter. Das gilt nicht nur, wenn der Berechtigte kraft seiner umfassenden Befugnis, die Nutzungen des Grundstücks zu ziehen, den Miet- oder Pachtvertrag selbst abgeschlossen hat, sondern auch, wenn der Vertrag noch von dem Grundstückseigentümer vor der Bestellung des Nießbrauchs abgeschlossen wurde. Ist Gegenstand des Nießbrauchs ein Hausgrundstück, darf der Berechtigte dieses selbst bewohnen und auch die dafür notwendigen oder zweckmäßigen Verwaltungsmaßnahmen ergreifen. Bei der Belastung von Wohnungseigentum mit einem Nießbrauch unterliegt der Berechtigte einer Beschränkung. Der Nießbrauch lässt das Stimmrecht des Wohnungseigentümers in der Eigentümerversammlung (§ 25 Abs. 2 Satz 1 WEG) unberührt, auch hinsichtlich einzelner Beschluss__________ 1 Vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2001, II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 343 ff. 2 Lemke in AnwK/BGB, 2004, § 1030 Rz. 63 f. m. w. N.

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gegenstände; eine gemeinsame Ausübung des Stimmrechts durch Wohnungseigentümer und Berechtigten ist nicht erforderlich, denn dessen Rechte gegenüber dem Wohnungseigentümer werden ausreichend dadurch gewahrt, dass dieser aus dem zwischen ihnen bestehenden Begleitschuldverhältnis bzw. beim Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung aus der Regelung zur Kostentragung hinsichtlich des belasteten Wohnungseigentums verpflichtet sein kann, bei der Stimmabgabe die Interessen des Berechtigten zu berücksichtigen, nach seinen Weisungen zu handeln oder ihm eine Stimmrechtsvollmacht zu erteilen3. Nach § 1030 Abs. 2 BGB kann der Nießbrauch durch den Ausschluss einzelner Nutzungen beschränkt werden. Das kann sowohl bei der Bestellung des Rechts als auch später durch Vereinbarung zwischen dem Eigentümer des belasteten Grundstücks und dem Berechtigten geschehen. Der Nutzungsausschluss muss aus dem Grundbuch hervorgehen; die einzelnen ausgeschlossenen Nutzungen müssen genau bezeichnet werden. Einen anderen Inhalt hat der Quotennießbrauch. Darunter ist die Bestellung des Rechts zu einem Bruchteil an dem gesamten Grundstück zu verstehen. Dem Berechtigten stehen die Nutzungen in Höhe des vereinbarten Bruchteils zu; dem Eigentümer verbleiben die restlichen Nutzungen. Die Besitz- und Verwaltungsrechte, welche die Ausübung der einmal auf den Nießbrauch und das andere Mal auf das Eigentum gestützten Befugnisse zur Nutzungsziehung ermöglichen, stehen dem Eigentümer und dem Berechtigten gemeinschaftlich zu. Das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis bestimmt sich nach den §§ 741 ff. BGB.

2. Grunddienstbarkeiten Die Grunddienstbarkeit ist ein beschränkt subjektiv-dingliches Recht. Sie erlaubt dem Berechtigten die Benutzung des belasteten („dienenden“) Grundstücks in einzelnen Beziehungen (Belastungsdienstbarkeit, § 1018 Alt. 1 BGB) oder verbietet dem Eigentümer des dienenden Grundstücks die Vornahme gewisser Handlungen auf dem Grundstück (Unterlassungsdienstbarkeit, § 1018 Alt. 2 BGB) bzw. die Ausübung bestimmter Rechte, die sich aus dem Eigentum ergeben (Ausschlussdienstbarkeit, § 1018 Alt. 3 BGB). Von dem Nießbrauch unterscheidet sich __________ 3 BGH, Beschl. v. 7.3.2002, V ZB 24/01, BGHZ 150, 109 f.

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die Grunddienstbarkeit in erster Linie dadurch, dass sie nicht zu einer umfassenden Beschränkung des Eigentums an dem dienenden Grundstück führt; ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Berechtigter der Grunddienstbarkeit nicht eine bestimmte, sondern nur eine bestimmbare Person oder Personenvereinigung, nämlich der jeweilige Eigentümer eines anderen („herrschenden“) Grundstücks sein kann. Die Grunddienstbarkeit ist wesentlicher Bestandteil dieses Grundstücks (§ 96 BGB). Der Wechsel des Eigentums daran hat somit den Wechsel des Berechtigten zur Folge. Die Benutzungsdienstbarkeit kann eine einzelne Sachnutzung oder einen Gebrauchsvorteil für den Berechtigten zum Inhalt haben; der Eigentümer des dienenden Grundstücks muss die Nutzung durch den Berechtigten dulden, soweit sie sich im Rahmen des Vereinbarten hält. Bei der Unterlassungsdienstbarkeit ist der Eigentümer des dienenden Grundstücks verpflichtet, bestimmte Handlungen, zu denen er in Ausübung seines Eigentums berechtigt ist (§ 903 BGB), nicht vorzunehmen; eigene Nutzungsrechte für den Berechtigten werden dadurch nicht begründet. Die Ausschlussdienstbarkeit ist quasi die Kehrseite des Inhalts der Benutzungs- und der Unterlassungsdienstbarkeit; insoweit hat sie keine eigenständige Bedeutung4. Sie verbietet dem Eigentümer des belasteten Grundstücks die Geltendmachung bestimmter sich gegenüber dem herrschenden Grundstück aus dem Eigentum ergebender Rechte. Jede Grunddienstbarkeit muss dem herrschenden Grundstück einen wirtschaftlichen Vorteil bieten (§ 1019 BGB); maßgeblich für die Beurteilung ist die objektive Nützlichkeit der Berechtigung aufgrund der Lage, Beschaffenheit und Zweckbestimmung des Grundstücks5. Belastungsgegenstand der Grunddienstbarkeit ist das gesamte dienende Grundstück. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich das Recht tatsächlich auf die gesamte Grundstücksfläche erstrecken muss. Vielmehr kann die Ausübung der Dienstbarkeit auf einen Teil des dienenden Grundstücks beschränkt werden (§ 1023 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das geschieht entweder durch die rechtsgeschäftliche Bestimmung des Ausübungsbereichs (vgl. § 1023 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder dadurch, dass die Beteiligten die Bestimmung des Ausübungsbereichs der tatsächlichen Ausübung durch den Berechtigten überlassen6. __________ 4 Falckenberg in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 1018 R. 36. 5 BGH, Urt. v. 24.9.1982, V ZR 96/81, NJW 1983, 115 (116). 6 BGH, Beschl. v. 16.2.1984, V ZB 8/83, BGHZ 90, 181 (183).

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Unzulässig ist die Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungs- und Verfügungsmacht des Eigentümers des dienenden Grundstücks durch eine Grunddienstbarkeit, weil die ihm auferlegte Unterlassungspflicht auf eine Beschränkung im tatsächlichen Gebrauch des Grundstücks gerichtet sein muss; auch die Pflicht des Grundstückseigentümers zu einem bestimmten Handeln kann nicht Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein7. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sie als Nebenverpflichtung zu einem ansonsten zulässigen Inhalt vereinbart wird8.

3. Beschränkte persönliche Dienstbarkeit Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit ist ein beschränkt subjektivdingliches Recht. Sie erlaubt dem Berechtigten – ebenso wie die Grunddienstbarkeit – die Benutzung des dienenden Grundstücks in einzelnen Beziehungen (Benutzungsdienstbarkeit, § 1090 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Darüber hinaus kann sie denselben Inhalt wie eine Grunddienstbarkeit haben (§ 1090 Abs. 1 Alt. 2 BGB), also als Unterlassungs- oder Ausschlussdienstbarkeit ausgestaltet sein. Der Unterschied zur Grunddienstbarkeit und damit zugleich die Übereinstimmung mit dem Nießbrauch besteht darin, dass Berechtigter der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit – ebenso wie bei dem Nießbrauch – nur eine bestimmte und nicht lediglich eine bestimmbare Person oder Personenvereinigung sein kann. Anders als bei der Grunddienstbarkeit, die dem herrschenden Grundstück einen wirtschaftlichen Vorteil bieten muss (§ 1019 BGB), ist ein solcher für den Berechtigten der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nicht notwendig. Für die Wirksamkeit dieser Dienstbarkeit reicht es aus, dass ein eigenes schutzwürdiges wirtschaftliches oder ideelles Interesse des Berechtigten oder ein entsprechendes fremdes, das er fördern will, vorhanden ist9.

III. Abgrenzungsproblematik Der sachenrechtliche Typenzwang wird im Bereich der Dienstbarkeiten streng eingehalten; das Gesetz stellt nur die drei Formen Nießbrauch, __________ 7 BGH, Urt. v. 14.3.2003, V ZR 304/02, WM 2003, 1684 (1685). 8 BGH, Urt. v. 3.2.1989, V ZR 224/87, BGHZ 348 (350). 9 BGH, Urt. v. 11.3.1964, V ZR 78/62, BGHZ 41, 209.

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Grunddienstbarkeit und beschränkte persönliche Dienstbarkeit zur Verfügung. Allerdings verzichtet es auf eine Definition des Begriffs „Dienstbarkeit“. Damit wird der Grundsatz der Typenfixierung in gewissem Umfang aufgeweicht. Mit der Umschreibung der zulässigen Berechtigungen gibt das Gesetz lediglich den Rahmen vor, innerhalb dessen die Beteiligten den jeweiligen Rechtsinhalt frei bestimmen können. Das führt wegen der auch bei dem Grundstücksnießbrauch erlaubten Beschränkung durch den Ausschluss einzelner Nutzungen (§ 1030 Abs. 2 BGB) und der gesetzlichen Vorgabe bei den Benutzungsdienstbarkeiten, das dienende Grundstück lediglich in bestimmten Beziehungen nutzen zu dürfen, zu Problemen bei der Abgrenzung dieser Rechte zueinander. Die Abgrenzung ist jedoch zwingend erforderlich, weil es kein Nebeneinander von Nießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit gibt10. Die Grundstücksbelastung kann nur entweder in dem einen oder in dem anderen Recht bestehen. Es stellt sich die Frage, aus welcher Sicht die Abgrenzung vorzunehmen ist. Sollen die Befugnisse, die dem Berechtigten eingeräumt werden, oder die dem Grundstückseigentümer verbleibenden Befugnisse für die Beurteilung maßgebend sein, ob ein Nießbrauch oder eine Benutzungsdienstbarkeit vorliegt? Die Antwort hierauf ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten; der Bundesgerichtshof hat die Frage bisher nicht entschieden.

1. Zulässiger Inhalt des eingeschränkten Grundstücksnießbrauchs Ausgangspunkt jeder Überlegung in diesem Bereich ist die Frage, welchen zulässigen Inhalt die in Betracht kommenden Rechte haben können. Für den eingeschränkten Grundstücksnießbrauch (§ 1030 Abs. 2 BGB) gilt insoweit folgendes: Der Nießbrauch gibt dem Berechtigten die umfassende Befugnis, die gesamten Nutzungen des belasteten Grundstücks zu ziehen. Dieser Grundsatz muss bei der Anwendung des § 1030 Abs. 2 BGB, also bei der Beschränkung des Nießbrauchs durch den Ausschluss einzelner Nutzungen, erhalten bleiben. Das hat zur Folge, dass von der Gesamtnutzung zwar einzelne Nutzungen ausgenommen werden können, hierdurch aber der Charakter des Nießbrauchs als umfassendes Nutzungs__________ 10 Staudinger/Frank, BGB, 2002, § 1030 Rz. 54.

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ziehungsrecht nicht beeinträchtigt werden darf. Deshalb ist es z. B. nicht zulässig, die Berechtigung von vornherein auf eine einzige Nutzungsart oder auf mehrere einzelne Nutzungsrechte zu beschränken. Das führte nämlich dazu, dass der Berechtigte nicht die umfassende, lediglich in gewisser Hinsicht eingeschränkte Befugnis erhielte, die Nutzungen des belasteten Grundstücks zu ziehen. Auch erlangte er nicht das ihm von dem Gesetz eingeräumte Besitzrecht an dem gesamten Grundstück (§ 1036 Abs. 1 BGB); er wäre somit an der wirtschaftlichen Verwertung seines Rechts, also an der Nutzungsziehung im Sinne des § 1030 Abs. 1 BGB, gehindert. Vielmehr wäre es dem Berechtigten nur gestattet, das Grundstück in einer bestimmten Art und Weise zu benutzen. Auch wenn das – wie z. B. bei einem „Holznutzungsrecht“ an einem Waldgrundstück – die wesentliche Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks beinhaltete, wäre dies nicht die einzige Möglichkeit der Grundstücksnutzung. Dem Eigentümer verblieben so viele Befugnisse, dass von einem Recht des Berechtigten, die Nutzungen des Grundstücks zu ziehen, nicht mehr gesprochen werden könnte11.

2. Zulässiger Inhalt der Benutzungsdienstbarkeit Aus dem Umkehrschluss daraus ergibt sich der zulässige Inhalt einer Benutzungsdienstbarkeit. Sie ist auf jede tatsächliche Inanspruchnahme des dienenden Grundstücks in einzelnen Beziehungen gerichtet, die grundsätzlich nicht nur einmalig sein darf; das Recht, die Nutzungen des Grundstücks zu ziehen, steht dem Berechtigten dagegen nicht zu. Der Inhalt des Rechts muss in einer dem Verkehrsbedürfnis entsprechenden Weise zweifelsfrei bestimmt und auf eine oder einzelne Nutzungsarten beschränkt sein. Deshalb ist eine Dienstbarkeit, welche nur allgemein das Recht gibt, das dienende Grundstück zu benutzen oder benutzen zu lassen, nicht zulässig. Denn sie gestattet dem Berechtigten die Benutzung des Grundstücks nicht nur in einzelnen Beziehungen; vielmehr darf er es in einer Art und Weise, die ausschließlich von seinem Willen abhängig ist, umfassend benutzen. Das steht der inhaltlichen Bestimmtheit und damit der Zulässigkeit des Rechts als Benutzungsdienstbarkeit entgegen12. Nichts anderes gilt auch für den Fall, dass eine Dienstbarkeit, welche die Benutzung des belasteten Grundstücks in beliebiger Weise zulässt, nur an einem Teil des Grundstücks oder zwar an dem ganzen Grundstück, aber unter Beschränkung der __________ 11 Vgl. BayObLG DNotZ 1982, 438 (440 f.). 12 Vgl. OLG Zweibrücken DNotZ 1982, 444.

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Ausübung des Rechts auf einen Grundstücksteil bestellt wird. Auch dabei bleibt die Art und Weise der Benutzung dem Berechtigten überlassen. Das steht dem Erfordernis der zweifelsfreien Bestimmtheit des Inhalts der Nutzungsdienstbarkeit ebenfalls entgegen. Auf die Frage, ob und in welchem Umfang dem Grundstückseigentümer die Befugnis zu einer Nutzung des (Rest)Grundstücks verbleibt, kommt es deshalb nicht an13. Fraglich ist, ob der – ausreichend bestimmte – Inhalt der Benutzungsdienstbarkeit dazu führen darf, dass jede andere Benutzung des dienenden Grundstücks durch den Eigentümer praktisch ausgeschlossen ist; denn in einem solchen Fall könnte es an dem gesetzlichen Merkmal der Benutzung in einzelnen Beziehungen fehlen. Das ist z. B. der Fall, wenn ein Wohnungseigentümer zu Gunsten der übrigen Eigentümer ein Recht bestellt, wonach seine Eigentumswohnung nur als Hausmeisterwohnung benutzt werden darf und dafür kein Entgelt zu bezahlen ist14. Dadurch wird der Wohnungseigentümer von jeder anderen Art der Nutzung praktisch ausgeschlossen. Das unterscheidet dieses Fallbeispiel von den auch vom Bundesgerichtshof für zulässig gehaltenen Tankstellen- und Brauereidienstbarkeiten15. Dort wird der Eigentümer des belasteten Grundstücks von dessen Benutzung nur in bestimmter, in der Bestellungsurkunde inhaltlich näher festgelegter Weise ausgeschlossen, während sie ihm im übrigen verbleibt; auch hat er die Möglichkeit, Pachtzahlungen zu vereinnahmen. Daran fehlt es jedoch im Fall der unentgeltlichen Benutzung als Hausmeisterwohnung. Zulässig ist es allerdings, wenn die Ausübung der Benutzungsdienstbarkeit, welche den Eigentümer von jeglicher Mitbenutzung ausschließt, auf eine Teilfläche des belasteten Grundstücks beschränkt ist; denn dann verbleibt dem Eigentümer an dem von der Ausübung nicht erfassten Grundstücksteil die volle Nutzungsmöglichkeit, womit das Erfordernis der Gestattung der Benutzung nur in einzelnen Beziehungen gewahrt ist16. Zulässig ist auch die Vereinbarung eines Mitbenutzungsrechts – neben dem Grundstückseigentümer – als Inhalt einer Benutzungsdienstbarkeit; die Möglichkeiten zur Benutzung seines Grundstücks sind für den Eigentümer nicht dadurch ausgeschlossen, dass er es nur gleichrangig mit einem __________ 13 BayObLG NotZB 2003, 198 f. 14 Vgl. BayObLGZ 1979, 444 (449). 15 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 22.9.1961, V ZB 16/61, BGHZ 35, 378 und Urt. v. 8.4.1988, V ZR 120/87, WM 1988, 1091. 16 BGH, Urt. v. 25.10.1991, V ZR 196/90, NJW 1992, 1101 = Rpfleger 1992, 338 mit zust. Anmerkung von Schoch; a. A. KG FGPrax 1995, 226.

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Dritten benutzen darf, denn dieser kann ihn von der eigentumsspezifischen Benutzung nicht ausschließen17.

3. Abgrenzungstheorien Auf der Grundlage des zulässigen Inhalts von eingeschränktem Grundstücksnießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit ist nunmehr die Abgrenzung zwischen diesen Rechten vorzunehmen. Das kann – entsprechend der jeweiligen Sichtweise – auf zweierlei Art geschehen, nämlich in materieller oder in formeller Hinsicht. a) Materielle Abgrenzung. Die Theorie der materiellen Abgrenzung stellt darauf ab, ob dem Eigentümer neben dem Berechtigten noch eine wirtschaftlich wesentliche Möglichkeit der Benutzung des belasteten Grundstücks verbleibt. Wenn das der Fall ist, soll – unabhängig von dem Wortlaut der Urkunde, mit der das Recht bestellt wird – eine Benutzungsdienstbarkeit vorliegen; fehlt es daran, soll nur ein Nießbrauch in Betracht kommen18. Danach steht bei der Abgrenzung die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Nutzungsrechts im Verhältnis zu den wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten des gesamten belasteten Grundstücks im Vordergrund. Wenn dem Berechtigten die wesentliche wirtschaftliche Nutzung des gesamten Grundstücks zusteht, handelt es sich um einen Nießbrauch. Dagegen ist eine Benutzungsdienstbarkeit anzunehmen, wenn dem Eigentümer rechtlich und tatsächlich die bestimmungsgemäße Nutzung seines gesamten Grundstücks verbleibt; denn in diesem Fall darf der Berechtigte das Grundstück nur in einzelnen Beziehungen benutzen. Eine nur theoretische Restnutzungsmöglichkeit ohne wirtschaftliche Bedeutung für den Eigentümer reicht allerdings nicht aus. Denn Nutzungsmöglichkeiten, die jedem Dritten offen stehen wie z. B. das Betreten von Grün- oder Freiflächen durch Besucher, sind keine aus dem Eigentum fließenden Befugnisse19. b) Formelle Abgrenzung. Nach der Theorie der formellen Abgrenzung bleiben die dem Eigentümer des belasteten Grundstücks verbleibenden Nutzungsmöglichkeiten außer Betracht. Nur das, was dem Berechtigten als Benutzung gestattet ist, soll maßgebend sein. Wenn in der Bestel__________ 17 OLG Frankfurt am Main, RPfleger 1995, 393 f. 18 RG, Urt. v. 3.2.1908, Rep. V. 261/07, RGZ 67, 378 (379); BayObLGZ 1979, 444 (448); BayObLG MittBayNot 1985, 127 (128). 19 OLG Köln Rpfleger 1982, 61.

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lungsurkunde eine bestimmte Nutzungsart oder mehrere konkret spezifizierte Nutzungsmöglichkeiten genannt sind, handelt es sich um eine Benutzungsdienstbarkeit; anderenfalls liegt ein Grundstücksnießbrauch vor. Das gilt ohne Rücksicht darauf, ob und welche wirtschaftlich sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten dem Eigentümer verbleiben; auch wenn er sein Grundstück nur noch ganz geringfügig oder nahezu theoretisch nutzen kann, ist eine Benutzungsdienstbarkeit anzunehmen, solange dem Berechtigten nur einzelne Nutzungsmöglichkeiten gestattet sind20. Umgekehrt liegt ein Grundstücksnießbrauch stets dann vor, wenn dem Berechtigten nach der Bestellungsurkunde nicht ausdrücklich aufgeführte Nutzungsmöglichkeiten, sondern die Nutzung des belasteten Grundstücks allgemein, wenn auch eingeschränkt durch den Ausschluss einzelner Nutzungen, zustehen sollen. Danach ist jedes spezifizierte Nutzungsrecht eine Benutzungsdienstbarkeit und jedes nicht spezifizierte ein Nießbrauch. c) Abgestufte formelle und materielle Abgrenzung. Nach der Theorie der abgestuften formellen und materiellen Abgrenzung ist die Abgrenzung in zwei Stufen vorzunehmen, nämlich auf der ersten Stufe rein formell nach dem Inhalt der Bestellungsurkunde, wonach bei umfassender Nutzungseinräumung ein Grundstücksnießbrauch, bei Einräumung einzelner, spezifizierter Nutzungsmöglichkeiten eine Benutzungsdienstbarkeit anzunehmen ist, und auf der zweiten Stufe zusätzlich nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung der dem Berechtigten eingeräumten bzw. der dem Grundstückseigentümer verbleibenden Nutzungsmöglichkeiten; dem Eigentümer müsse wenigstens eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeit verbleiben, wenn eine Benutzungsdienstbarkeit bestellt werden soll21, und bei der Bestellung eines Grundstücksnießbrauchs müsse dem Berechtigten trotz des Ausschlusses einzelner Nutzungen nach § 1030 Abs. 2 BGB die bestimmungsgemäße Nutzung des gesamten Grundstücks eingeräumt werden22.

4. Stellungnahme Alle Theorien stellen lediglich den Versuch einer Abgrenzung des eingeschränkten Grundstücksnießbrauchs von der Benutzungsdienstbar__________ 20 Schöner, DNotZ 1982, 416 (420); vgl. auch BayObLGZ 1987, 359 (361). 21 BayObLGZ 1965, 180 (181); 1979, 444 (448 f.); OLG Köln Rpfleger 1982, 61; OLG Zweibrücken Rpfleger 1982, 98; OLG Frankfurt am Main Rpfleger 1985, 393; BayObLG MittBayNot 1985, 127. 22 Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 302 f.

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keit dar, der mehr oder weniger gut gelungen ist. Das ist die Folge davon, dass nicht immer mit der gebotenen Schärfe zwischen dem unterschieden wird, was den Unterschied der beiden Berechtigungen nach ihrem gesetzlichen Inhalt ausmacht: Der Nießbrauch gestattet dem Berechtigten, die Nutzungen des belasteten Grundstücks zu ziehen, gegebenenfalls eingeschränkt durch den Ausschluss einzelner Nutzungen. Nach der Definition des Gesetzes sind Nutzungen die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt (§ 100 BGB). Zu den unmittelbaren Früchten eines Grundstücks gehören die Bodenprodukte wie z. B. Pflanzen, Sand und Kohle; mittelbare Früchte sind die Erträge, welche das Grundstück infolge eines auf die Benutzung oder den Gebrauch gerichteten Rechtsverhältnisses abwirft wie z. B. den Miet- und Pachtzins oder die Überbaurente. Zu den Gebrauchsvorteilen eines Grundstücks zählen seine Nutzung als Kreditunterlage und die dadurch entstehenden Zinsvorteile23. Danach gebührt dem Berechtigten des Nießbrauchs alles, was nicht durch die Verwertung des Grundstücks erzielt wird. Die Einschränkung dieses umfassenden Nutzungsziehungsrechts durch den Ausschluss einzelner Nutzungen (§ 1030 Abs. 2 BGB) ändert daran nichts, sondern führt nur dazu, dass der Berechtigte einzelne Nutzungen nicht ziehen darf. Das alles geht weit über das hinaus, was dem Berechtigten einer Benutzungsdienstbarkeit erlaubt ist. Er darf das belastete Grundstück lediglich in einzelnen Beziehungen benutzen. Darunter ist der nicht nur einmalige Gebrauch wie z. B. die Überwegung, das Halten von Anlagen und Gebäuden sowie die Entnahme von Bodenbestandteilen zu verstehen. Das reicht nicht an die Befugnis heran, die Nutzungen des Grundstücks zu ziehen. Nach diesen Gesichtspunkten sind die oben dargestellten Abgrenzungstheorien auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen. Das führt zu dem Ergebnis, dass der Theorie der formellen Abgrenzung der Vorzug zu geben ist. Der Auffassung, welche die Abgrenzung sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht vornimmt, ist entgegen zu halten, dass sie zur Konsequenz hat, dass eine wirtschaftlich umfassende, rechtlich jedoch auf eine bestimmte Nutzungsart beschränkte Rechtseinräumung weder als Nießbrauch noch als Benutzungsdienstbarkeit zulässig ist; soll z. B. die Benutzung des gesamten Grundstücks als Freizeitzentrum gestattet __________ 23 Gaier, ZfIR 2002, 608, 612.

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sein, ist die Eintragung einer Benutzungsdienstbarkeit in das Grundbuch unzulässig, weil dem Eigentümer keine Möglichkeit zur eigenen Nutzung mehr bleibt, und die Eintragung eines nach § 1030 Abs. 2 BGB eingeschränkten Grundstücksnießbrauchs darf nicht erfolgen, weil dem Berechtigten nur eine einzige Art der Benutzung gestattet ist24. Dieses Ergebnis ist unbefriedigend, denn das Gesetz muss den Beteiligten eine Rechtsfigur zur Verfügung stellen, die ihren Bedürfnissen nach der dinglichen Belastung eines Grundstücks mit einem Nutzungsrecht Rechnung trägt. Deshalb bietet es sich an, die Abgrenzung entweder nur nach materiellen oder nur nach formellen Gesichtspunkten vorzunehmen. Dabei ist es jedoch notwendig, die entsprechenden Kriterien einheitlich sowohl beim Nießbrauch als auch bei der Benutzungsdienstbarkeit anzuwenden. Für die materielle Abgrenzung spricht, dass es für die Zuordnung eines Rechts zu einem der im Sachenrecht geregelten Typen von Dienstbarkeiten (Nießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit) auf den materiellen Inhalt der das Recht begründenden Vereinbarung ankommt, denn nur dieser Inhalt kann darüber entscheiden, ob die Tatbestandsmerkmale der §§ 1018 Alt. 1 BGB, 1030 Abs. 1 und 2 BGB oder 1090 Abs. 1 Alt. 1 BGB erfüllt sind; dagegen spricht allerdings, dass die Frage, ob dem Eigentümer des belasteten Grundstücks noch eine wesentliche oder wenigstens wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeit verbleibt, weder von außen stehenden Dritten noch von dem Grundbuchbeamten, der die Eintragung des Rechts in das Grundbuch aufgrund der Eintragungsbewilligung des Eigentümers vorzunehmen hat, beantwortet werden kann. Selbst zwischen den Parteien kann darüber Uneinigkeit bestehen25. Dasselbe gilt für den Fall, dass man nach § 1030 Abs. 2 BGB nur den Entzug von Randnutzungen, die nicht das wirtschaftliche Konzept von Eigentümer und Berechtigtem prägen, für zulässig hält26. Wer soll beurteilen, ob die ausgeschlossenen Nutzungen solche Randnutzungen sind? Die materielle Abgrenzung lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass das für den Rechtsverkehr und den Grundstückseigentümer Wichtige bei der Bestellung eines beschränkten dinglichen Rechts nicht die Einräumung eines Gebrauchsrechts für den Berechtigten, sondern der Verlust an Eigentumssubstanz des Grundstückseigen__________ 24 Staudinger/Mayer, BGB, 2002, § 1018 Rz. 101 m. w. N.; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl. 2004, Rz. 1362. 25 Lemke in AnwK/BGB, 2004, § 1030 Rz. 72. 26 Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 302.

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tümers ist27. Diese Sichtweise lässt die Interessen des Berechtigten in nicht zulässiger Weise außen vor. Die formelle Abgrenzung bietet demgegenüber den Vorteil, dass sich die Frage nach der Art und dem Umfang der dem Grundstückseigentümer verbleibenden Nutzungsbefugnisse nicht stellt. Das berücksichtigt vor allem die Beurteilungsmöglichkeiten, die dem Grundbuchamt im Rahmen des Eintragungsverfahrens zur Verfügung stehen28. Die Eintragung des Rechts erfolgt aufgrund der einseitigen Bewilligung des Betroffenen (§ 19 GBO); das ist im Fall der Belastung eines Grundstücks mit einem dinglichen Recht der Grundstückseigentümer. Das Erfordernis der einseitigen Bewilligung des Betroffenen wird allgemein als „formelles Konsensprinzip“ bezeichnet, obwohl dem Grundbuchamt der Konsens der Beteiligten nicht nachgewiesen werden muss. Eine formelle Erklärung des von der Eintragung Begünstigten ist für die Eintragung des Rechts in das Grundbuch nicht notwendig. Das zeigt sich zum Beispiel in dem Fall, dass ein für einen Wohnungseigentümer bestehendes Sondernutzungsrecht im Wohnungsgrundbuch gelöscht werden soll. Von dieser Löschung ist nur der Wohnungseigentümer betroffen, dem das Sondernutzungsrecht zusteht, weil sein grundbuchmäßiges Recht durch die vorzunehmende Löschung nicht nur wirtschaftlich, sondern rechtlich beeinträchtigt wird; die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zur Löschung des Sondernutzungsrechts ist dagegen nicht erforderlich, weil ihre dingliche Rechtsstellung durch die Löschung nicht beeinträchtigt wird29. Allerdings darf sich das Grundbuchamt bei der Eintragung eines dinglichen Rechts nicht nur mit der Bewilligung des Betroffenen zufrieden geben. Es muss auch das materielle Recht prüfen, jedoch nur insoweit, als es um die Eintragungsfähigkeit der beantragten Eintragung geht. Bei der Eintragung eines Benutzungsrechts muss es also prüfen, ob die Einigung der Parteien (vgl. § 873 Abs. 1 BGB) auf einen eingeschränkten Nießbrauch oder eine Benutzungsdienstbarkeit gerichtet ist. Da das Grundbuchamt jedoch keine Ermittlungen tatsächlicher Art anstellen kann und ihm die Einigung nicht nachzuweisen ist, kann es seiner Prüfungspflicht nur anhand der vorzulegenden Bewilligung des Grundstückseigentümers nachkommen. Wenn darin der Eintragung eines Nießbrauchs zugestimmt wird, der __________ 27 So aber Hub, Der Inhalt von Dienstbarkeiten, Diss. Tübingen 1966, 46 ff. 28 Staudinger/Mayer, BGB, 2002, § 1018 Rz. 101; Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl. 2001, § 1030 Rz. 10; Pohlmann in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 1030 Rz. 63. 29 BGH, Beschl. v. 13.9.2000, V ZB 14/00, BGHZ 145, 133 (136 ff.).

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durch den Ausschluss einzelner, genau bezeichneter Nutzungen eingeschränkt ist (§ 1030 Abs. 2 BGB), kann es das Recht als Nießbrauch eintragen. Ebenso kann es eine Benutzungsdienstbarkeit eintragen, wenn dem in der Bewilligung des Grundstückseigentümers zugestimmt wird und sich aus der Bewilligung die Befugnis des Berechtigten zur Benutzung des Grundstücks in einzelnen Beziehungen (§§ 1018 Alt. 1, 1090 Abs. 1 Alt. 1 BGB) ergibt. Ob und in welchem Umfang dem Grundstückseigentümer jeweils eigene Nutzungsmöglichkeiten verbleiben, muss das Grundbuchamt in diesen Fällen nicht prüfen. Das wäre anders, wenn man die Abgrenzung nicht nach formellen Kriterien vornähme. Denn die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Befugnis des Berechtigten den Eigentümer von einer anderen Nutzung des Grundstücks ausschließt, ist kein abstraktes theoretisches Problem, sondern eines des konkreten Einzelfalls, das zudem von der Beschaffenheit des Grundstücks abhängt30. Hinzu kommt, dass eine Abgrenzung nach formellen Gesichtspunkten den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich innerhalb des sachenrechtlichen Typenzwangs und der Typenfixierung für eine bestimmte Rechtsfigur, nämlich entweder eingeschränkter Nießbrauch oder Benutzungsdienstbarkeit, zu entscheiden. Ob sie sogar einen Nießbrauch unter Ausschluss beliebig vieler Nutzungsarten, so dass dem Berechtigten praktisch nur eine wesentliche Nutzung verbleibt („Dienstbarkeit in Nießbrauchsform“), oder eine umfassende Benutzungsdienstbarkeit bis zur Grenze einer nur noch theoretischen Restnutzungsmöglichkeit des Eigentümers („Nießbrauch in Dienstbarkeitsform“) vereinbaren können31, mag hier dahingestellt bleiben. Ersteres verbietet allerdings der Wortlaut des § 1030 Abs. 2 BGB nicht. Ob aber letzterem die Vorschriften in §§ 1018, 1090 Abs. 1 BGB nicht entgegenstehen, erscheint fraglich und hängt davon ab, was man unter dem Merkmal „Benutzung in einzelnen Beziehungen“ versteht. Das Argument, eine dem Eigentümer verbleibende Möglichkeit der tatsächlichen Nutzung seines Grundstücks sei keine gesetzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Benutzungsdienstbarkeit, weil sie anderenfalls bei einem Wegfall dieser Möglichkeit erlöschen müsste, wofür es jedoch keine gesetzliche Vorschrift gebe32, ist jedenfalls nicht sehr überzeugend. Der Vergleich mit __________ 30 Vgl. BayObLGZ 1987, 359 (361 f.). 31 Staudinger/Mayer, BGB, 2002, § 1018 Rz. 101; Staudinger/Frank, BGB, 2002, § 1030 Rz. 55; Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl. 2001, § 1018 Rz. 12 und § 1030 Rz. 10. 32 Ertl, MittBayNot 1988, 53 (64).

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den Vorschriften über die Vormerkung (§§ 883 bis 888 BGB) zeigt, dass das Gesetz nicht in allen Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Grundstücksbelastung nachträglich wegfallen, einen eigenen Erlöschenstatbestand normiert. Erlischt nämlich der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch, erlischt auch die in dem Grundbuch eingetragene Vormerkung, obwohl es dafür im Gesetz keine besondere Vorschrift gibt. Ebenfalls für die Theorie der formellen Abgrenzung spricht, dass es wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, welche die Bestellung eines beschränkten Nießbrauchs und einer Benutzungsdienstbarkeit für den Grundstückseigentümer und den Berechtigten mit sich bringen, auch kein lediglich theoretischer Unterschied ist, ob dem Berechtigten von vornherein das Recht eingeräumt wird, das Grundstück nur in einer bestimmten Weise zu benutzen, oder ob ihm die umfassende Befugnis zugestanden wird, die Nutzungen des Grundstücks zu ziehen, allerdings eingeschränkt durch den Ausschluss einzelner Nutzungen. Denn das Benutzungsrecht, mag es sich auch auf das gesamte Grundstück erstrecken, ist ein Weniger gegenüber dem (nach § 1030 Abs. 2 BGB eingeschränkten) Recht zur Nutzungsziehung. Schließlich bietet die Theorie der formellen Abgrenzung den Vorteil, dass mit der Bezeichnung des Rechts als Nießbrauch oder Benutzungsdienstbarkeit zugleich sein Inhalt entsprechend den gesetzlichen Vorschriften bestimmt wird. Das allein führt zu einer klaren Abgrenzung. Deshalb erscheint es sinnvoll, den Inhalt der Bestellungsurkunde darüber entscheiden zu lassen, welches Recht die Beteiligten begründen wollen33. Das führt entgegen der von Hub vertretenen Auffassung34 nicht dazu, dass inhaltlich ein und dasselbe Recht einmal unter die Nießbrauchsvorschriften und ein andermal unter die Vorschriften über die Benutzungsdienstbarkeit fällt. Dem stehen die – zuvor aufgezeigten – unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Rechte entgegen. Außerdem räumt die formelle Abgrenzungstheorie den Beteiligten nicht etwa ein Wahlrecht in dem Sinn ein, dass sie ohne Rücksicht auf die Art und den Umfang der vereinbarten Nutzungsbefugnisse des Berechtigten allein durch __________ 33 Erman/Grziwotz, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1018 Rz. 13; Ertl, MittBayNot 1988, 53 (56 ff.); Schippers, MittRhNotK 1996, 197 (199); Schöner, DNotZ 1982, 416, 420. 34 Hub, Der Inhalt von Dienstbarkeiten, Diss. Tübingen 1966, 46.

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die Bezeichnung des einzutragenden Rechts als Nießbrauch oder Dienstbarkeit eine entsprechende Eintragung herbeiführen können. Denn der Inhalt des Rechts muss aus dem Grundbuch bzw. aus der darin in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung hervorgehen, so dass seine bloße Bezeichnung keine ausreichende Eintragungsgrundlage ist.

IV. Zusammenfassung Nießbrauch und Benutzungsdienstbarkeit müssen zwingend voneinander abgegrenzt werden, weil es nach den im Sachenrecht geltenden Grundsätzen des Typenzwangs und der Typenfixierung kein Nebeneinander der beiden Rechte gibt. Die Abgrenzung muss sowohl im Anwendungsbereich des § 1030 BGB (Nießbrauch) als auch in dem der §§ 1018 Alt. 1, 1090 Abs. 1 Alt. 1 BGB (Benutzungsdienstbarkeit) nach einheitlichen Kriterien erfolgen. In Betracht kommt eine Abgrenzung unter materiellen oder formellen Gesichtspunkten. Beides hat Stärken und Schwächen. Vorzugswürdig erscheint die Theorie der formellen Abgrenzung, weil sie den Beteiligten einen unter Beachtung der unterschiedlichen Rechtsfolgen genau abgegrenzten Gestaltungsspielraum gibt und den eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Grundbuchamts in dem Eintragungsverfahren Rechnung trägt. Der Bundesgerichtshof hat die Frage, wonach die Abgrenzung vorzunehmen ist, bisher offen gelassen35. Es ist zu hoffen, dass er in nicht allzu ferner Zukunft die Gelegenheit zu einer Entscheidung erhält. Damit könnten den Beteiligten, die eine Grundstücksnutzung durch Dritte mit dinglicher Wirkung vereinbaren wollen, und der Rechtsprechung der Instanzgerichte die erforderlichen Leitlinien für die Auslegung der §§ 1018 Alt. 1, 1030 Abs. 2 und 1090 Abs. 1 Alt. 1 BGB an die Hand gegeben werden.

__________ 35 BGH, Urt. v. 25.10.1991, V ZR 196/90, NJW 1992, 1101; Urt. v. 14.3.2003, V ZR 304/02, WM 2003, 1684 (1686).

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Die unerhebliche Vertragsverletzung Jürgen Schmidt-Räntsch Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Meinungsstand 1. Anknüpfung an § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. 2. Anlehnung an § 651e BGB 3. Umfassende Wertung III. Grundlagen der Auslegung 1. EG-konforme Auslegung 2. Gespaltene Auslegung a) EG-Vorgaben b) Gleichbehandlungsgebot c) Systemgerechtigkeit IV. Auslegung von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB 1. Anknüpfung an § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F.

a) EG-Konformität b) Systemgerechtigkeit 2. Anknüpfung an § 651e BGB a) Systemgerechtigkeit b) Bezug zur Pauschalreiserichtlinie 3. Anlehnung an Art. 25, 49 CISG a) Ausgangspunkt b) Auslegung von Art. 25, 49 CISG c) Zweck der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 4. Zwischenergebnis V. Umsetzung in der Praxis 1. Allgemeines 2. Beispielsfall

I. Einleitung Das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts1 hat das deutsche Leistungsstörungs- und Vertragsrecht nicht nur inhaltlich grundlegend verändert. Es stellt auch neue Anforderungen an seine Auslegung. Der Gesetzgeber hat zwar weitgehend auf den alten Strukturen und Begriffen aufgebaut, auch um dem Rechtsanwender eine Anknüpfung an die frühere Auslegung dieser Begriffe zu ermöglichen. Es muss aber stets geprüft werden, ob die alten Begriffe im neuen Kontext noch den gleichen Inhalt haben oder anders als früher auszulegen sind. Dabei gilt es auch zu beachten, dass die Auslegung der zentralen Begriffe des neuen Leistungsstörungsrechts nicht mehr vollständig autonom erfolgen kann. Diese Begriffe müssen vielmehr in weiten Bereichen richtlinienkonform ausgelegt werden. Die wichtigste dieser Richtlinien, die Ver__________ 1 V. 26.11.2001, BGBl. I 3138.

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brauchsgüterkaufrichtlinie (VerbrGKRL)2, baut zwar auf Strukturen und Begrifflichkeit des Wiener Übereinkommens über den internationalen Warenkauf (CISG)3 auf. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, dass das CISG eine jedenfalls teilweise andere Ausrichtung und Zielsetzung hat als die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, so dass auch der Rückgriff auf die Struktur und Begrifflichkeit des CISG nur mit Einschränkungen möglich ist. Ein Beispiel für die neuen Anforderungen an die Auslegung ist der Begriff der unerheblichen Pflichtverletzung in § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. Seine Auslegung soll anhand eines Beispielsfalls illustriert werden: V verkauft unter neuem Schuldrecht der K, die Geld anlegen möchte, eine vermietete Eigentumswohnung in einem sanierten Altbau für 50.000 Euro. Beide haben die Wohnung nie gesehen; sie wird „vom Papier“ verkauft. Bei den Vertragsverhandlungen liegt ein Grundriss vor, der der Teilungserklärung entspricht. Danach liegt der Zugang zum Balkon der Wohnung im Wohnzimmer. In Wirklichkeit liegt er aber im Bad. Als K das bemerkt, setzt sie V eine Frist zur Behebung dieses Fehlers und tritt nach erfolglosem Verstreichen dieser Frist zurück. V hält den Rücktritt vor allem deshalb für unbegründet, weil die Abweichung vom Plan unbedeutend sei. Für diesen Beitrag soll einmal unterstellt werden, dass es V gelingt, mit sachverständiger Hilfe nachzuweisen, dass die unterschiedliche Anordnung des Zugangs zum Balkon zu einer Wertminderung von 10 % des Verkaufspreises führt. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob es sich hierbei unter dieser Voraussetzung um eine unerhebliche Pflichtverletzung handelt, die nach § 323 Abs. 5 Satz 2 mit § 437 BGB K am Rücktritt hindert und dazu zwingt, sich mit einer Minderung zufrieden zu geben. Dass Schadensersatzansprüche begründet sein können, soll hier ausgeblendet werden4.

__________ 2 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. L 171, 12. 3 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.1980, BGBl. 1989 II 588. 4 Ausgeblendet werden soll auch ein (regelmäßig vereinbarter) Haftungsausschluss, der mit dem Einwand der arglistigen Täuschung überwunden werden kann, § 444 BGB; dazu Schmidt-Räntsch, ZfIR 2004, 569 (570, 573).

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II. Meinungsstand 1.

Anknüpfung an § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F.

Nach Westermann5 und anderen6 ist der Begriff der unerheblichen Pflichtverletzung genauso auszulegen wie der Begriff des geringfügigen Mangels in § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. Dies soll sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs ergeben7. Dort wird allerdings nur ausgeführt, dass der Rücktritt ausgeschlossen ist, wenn ein geringfügiger Mangel im Sinne von § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. oder eine geringfügige Vertragswidrigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL vorliegt. Das besagt aber nichts darüber, ob die Schwelle der unerheblichen Pflichtverletzung mit der des geringfügigen Mangels identisch ist und wo sie liegt. Was es konkret bedeutet, die Schwelle beim geringfügigen Mangel im Sinne von § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. anzusetzen, lässt sich nicht allgemein sagen. Ob ein Mangel geringfügig ist, hängt nämlich auf der Grundlage des § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. von einer Gesamtbetrachtung aller Umstände ab8. Dazu hat sich eine Kasuistik entwickelt, die nicht immer konsequent ist. Ein Anhaltspunkt für die Geringfügigkeit des Mangels kann sein baldiges Verschwinden ohne Zutun der Parteien sein. Das ist bei Baufeuchte bejaht9, dagegen bei einer Belastung mit Formaldehyd verneint10 worden. Ein weiterer Anhaltspunkt für einen geringfügigen Mangel ist seine leichte Behebbarkeit11, jedenfalls dann, wenn der Mangel leicht erkennbar ist und der Aufwand zu seiner Beseitigung im Verhältnis zum Preis nicht ins Gewicht fällt12. Das ist bei einem Beseitigungsaufwand von 1,63 % des Kaufpreises bejaht13, bei __________ 5 Erman/Westermann, BGB, 11. Aufl., § 323 Rz. 27. 6 Dauner-Lieb in AnwaltKomm/BGB, SchuldR, § 323 Rd. 24; Haas, BB 2001, 1313 (1316); Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 13.75; Jud, Jb. Junger Juristen 2001, 205 (223). 7 BT-Drucks. 14/6040, 222 f. 8 BGH, Urt. v. 10.7.1953, I ZR 162/52, BGHZ 10, 242 (248); Erman/Grunewald, BGB, 10. Aufl., § 459 Rz. 28; Westermann in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 459 Rz. 27 f.; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 459 Rz. 77; Staudinger/Honsell, BGB (Bearb. 1995), § 459 Rz. 59. 9 RG, Urt. v. 30.1.1933, VI 340/32, JW 1933, 1387 (1388). 10 OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 9.5.1988, 1 U 109/87, BB 1988, 1554. 11 BGH, Urt. v. 10.7.1953, I ZR 162/52, BGHZ 10, 242 (248). 12 BGH, Urt. v. 11.12.1956, VIII ZR 61/65, BB 1957, 92; Urt. v. 9.6.1959, VIII ZR 107/58, NJW 1959, 1584 (1586); RG, Urt. v. 5.2.1907, II 386/06, JW 1907, 173; Urt. v. 29.4.1914, V 560/13, JW 1914, 827 f. 13 KG, Urt. v. 23.2.1989, 12 U 2500/88, NJW-RR 1989, 972.

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einem Aufwand von 4 % des Kaufpreises dagegen verneint14 worden. Unsicherheiten ergeben sich dabei aus dem Umstand, dass die Bedeutung des Mangels als solchem auch dann eine Rolle soll spielen können, wenn die Kosten seiner Beseitigung geringfügig sind15. Beispiele sind Hausschwamm16, Verwanzung eines Hauses17 und Flickstellen an einem LKW-Motor, der aber voll funktionstüchtig ist18. Welche Auswirkungen dies hat, lässt sich im Einzelfall nicht immer leicht beurteilen19. Bei aller danach gebotenen Vorsicht wird man aber sagen können, dass der Bereich der Geringfügigkeit eines Mangels im Allgemeinen bei einer Minderung von 3 bis 4 % verlassen ist20. Bezogen auf das Beispiel würde Westermann voraussichtlich zu dem Ergebnis kommen, dass eine Wertminderung von 10 % keine unerhebliche, sondern eine erhebliche Pflichtverletzung ist, die grundsätzlich unter den gesetzlichen Voraussetzungen den Rücktritt eröffnet.

2. Anlehnung an § 651e BGB Die Gegenauffassung vertritt Ernst21. Er verweist darauf, dass § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL umsetzt. Diese aber greife den Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung aus Art. 25 CISG auf, der ganz anders ausgelegt werde. Im deutschen Recht lasse sich diese Vorschrift am ehesten in Anlehnung an § 651e BGB ausfüllen. In Anlehnung an die Auslegung dieser Vorschrift sei die Schwelle zur Erheblichkeit der Pflichtverletzung erst überschritten, wenn der Mangel eine Minderung um mindestens 20 % ermöglicht. Bezogen auf unser Beispiel wäre nach Ernst die Schwelle der Erheblichkeit noch nicht überschritten. K könnte nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht zurücktreten, sie müsste sich mit Minderung begnügen. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Jud. Sie würde die Frage stellen, ob K die Wohnung bei entspre__________ 14 OLG Hamm, Urt. v. 25.6.1987, 23 U 78/86, NJW-RR 1988, 1461. 15 KG, Urt. v. 23.2.1989, 12 U 2500/88, NJW-RR 1989, 972; Erman/Grunewald, BGB, 10. Aufl., § 459 Rz. 28. 16 KG, Urt. v. 23.2.1989, 12 U 2500/88, NJW-RR 1989, 972. 17 RG, Urt. v. 26.6.1937, V 30/37, JW 1937, 2591. 18 OLG Nürnberg, Urt. v. 11.11.1958, 3 U 138/58, BB 1959, 137. 19 Vgl. etwa die Zusammenstellung zur Erheblichkeit einer undichten Autotür bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rz. 297. 20 BGH, Urt. v. 14.2.1996, VIII ZR 65/95, BGHZ 132, 55 (63); Erman/Grunewald, BGB, 10. Aufl., § 459 Rz. 28. 21 Ernst in MünchKomm/BGB, Bd. 2a, 4. Aufl., § 323 Rz. 243.

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chendem Nachlaß auch gekauft hätte22, wofür die mitgeteilten Umstände sprechen. Damit wäre aber der Rücktritt nicht möglich.

3. Umfassende Wertung Nach Heinrichs23 und anderen24 erfordert die Auslegung des Begriffs der unerheblichen Pflichtverletzung eine umfassende Wertung aller Umstände des Einzelfalls. Zur praktischen Orientierung gibt Heinrichs einen Wertungskorridor an: Danach soll das Fehlen eines Computerhandbuchs beim Computerkauf25 eine erhebliche, das Fehlen eines Radios beim Autokauf eine unerhebliche Pflichtverletzung sein. An welcher Seite des Korridors der Beispielsfall anzusiedeln wäre, lässt sich nur schwer sagen.

III. Grundlagen der Auslegung 1.

EG-konforme Auslegung

Wie bereits ausgeführt, kann § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht autonom ausgelegt werden. Er füllt nämlich Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL aus, wonach die Wandlung bei einer unerheblichen Pflichtverletzung ausgeschlossen ist. Vorschriften, die der Umsetzung von Richtlinien dienen, sind aber nach der Rechtsprechung des EuGH so auszulegen, dass Zielsetzung und Zweck der Richtlinie effizient zur Geltung kommen26. Das gilt jedenfalls dann, wenn das nationale Recht Auslegungsspielräume eröffnet27, mögen sie auch gering sein28. Unerheblich ist auch, ob dieser __________ 22 In Jb. Junger Juristen 2001, 205 (223); kritisch dazu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rz. 297. 23 Palandt/Heinrichts, BGB, 64. Aufl., § 281 Rz. 48. 24 Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rz. 297. 25 Das hier genannte Urt. des BGH v. 4.11.1992, VIII ZR 165/91, NJW 1993, 461 (462) behandelte die Frage allerdings nicht. Es ging darum, ob das Fehlen eines Handbuchs für eine speziell hergestellte Lohnbuchhaltungssoftware eine teilweise Nichterfüllung war, was der BGH bejahte. 26 EuGH, Urt. v. 16.12.1993, Rs. C-334/92, NJW 1994, 921 (922) und Urt. v. 14.7.1994, Rs. C-91/92, NJW 1994, 2473 (2474); Urt. v. 17.9.1997, Rs. C-54/96, NJW 1997, 3365 (3367); BGH, Urt. v. 9.3.1993, XI ZR 179/92, NJW 1993, 1594 (1595); Urt. v. 9.4.2002, XI ZR 91/99, NJW 2002, 1881 (1882); BAG, Urt. v.15.10.1992, 2 AZR 227/92, NJW 1993, 1154 (1155). 27 BAG, Beschl. v.18.2.2003, 1 ABR 2/02, DB 2003, 1387 (1389). 28 BGH, Urt. v. 9.4.2002, XI ZR 91/99, NJW 2002, 1881 (1882).

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eine Richtlinie durch ein nationales Gesetz speziell zur Umsetzung dieser Richtlinie umgesetzt wird oder ob der Gesetzgeber zur Umsetzung einer Richtlinie auf vorhandene allgemeine Vorschriften zurückgreift29 oder dazu neue allgemeine Vorschriften schafft. Eine Pflicht zur EG-konformen Auslegung besteht dann aber nur, wenn der konkrete Fall tatsächlich von der Richtlinie erfasst wird. Handelt es sich dagegen um einen „richtlinienfreien“ Fall, besteht eine Pflicht zur EG-konformen Auslegung nicht30. In unserem Beispielsfall haben wir es mit einem Immobilienverkauf zu tun. Ein Immobilienverkauf ist kein Verbrauchsgüterkauf im Sinne von § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB. Er muss es nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch nicht sein. Das gilt selbst dann, wenn wir einmal unterstellen, dass V Unternehmer und K Verbraucherin ist. Denn Gegenstand eines Verbrauchsgüterkaufs im Sinne der Richtlinie sind nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VerbrGKRL nur Mobilien, nicht Immobilien. Im Beispielsfall wäre also eine EG-konforme Auslegung nicht geboten und eine autonome nationale Auslegung EGrechtlich möglich.

2. Gespaltene Auslegung a) EG-Vorgaben Allgemeine Vorschriften, mit denen der nationale Gesetzgeber EG-Richtlinien umsetzt, können also unterschiedlich ausgelegt werden, je nachdem, ob sie auf einen Fall anzuwenden sind, der unter die Richtlinie fällt, oder ob es sich um einen richtlinienfreien Fall handelt. Man spricht hierbei von einer gespaltenen Auslegung. Eine solche gespaltene Auslegung ist allerdings auch EG-rechtlich nicht uneingeschränkt zulässig. Voraussetzung hierfür ist nämlich, dass eine gespaltene Auslegung die Rechte und Pflichten der Beteiligten nicht verdunkelt. Der EuGH verlangt, dass auch in einem solchen Fall eindeutig und klar ist, welche Rechte und Pflichten die Parteien in einem Fall haben, der von der Richtlinie erfasst wird31. Das bedeutet jedenfalls für den Beispielsfall kein ernsthaftes Hindernis. Würde bei der Auslegung des § 323 __________ 29 EuGH, Urt. v. 10.5.2001, Rs. C-144/99, EuZW 2001, 437 (438), in der Sache aber weniger strikt in Urt. v. 7.5.2002, Rs. C-478/99, EuZW 2002, 465 (466). 30 EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-264/96, EuZW 1999, 20 (23); Habersack/ Mayer, JZ 1999, 913 (918 f.); Bärenz, DB 2003, 375, str, a. M. z. B. Büdenbender in AnwaltKomm/GBG, SchuldR, Vor § 433 BGB Rz. 20; W.-H. Roth in Grundmann/Medicus/Rolland, Europ. KaufgewährleistungsR, 2000, 113 (129). 31 EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-264/96, EuZW 1999, 20 (23).

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Die unerhebliche Vertragsverletzung

Abs. 5 Satz 2 BGB zwischen Immobilien- und Mobilienkaufverträgen unterschieden, ergäben sich keine Unklarheiten für die Beteiligten. Eine solche Unterscheidung wäre vielmehr klar nachvollziehbar.

b) Gleichbehandlungsgebot Das bedeutet aber nur, dass einer gespaltenen Auslegung jedenfalls im Beispielsfall keine ernsthaften EG-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Das muss nicht dazu führen, dass eine gespaltene Auslegung im nationalen deutschen Recht zwingend geboten oder jedenfalls uneingeschränkt möglich ist. Eine gespaltene Auslegung könnte nämlich gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG verstoßen32. Ob das der Fall ist, hängt allerdings entscheidend davon ab, woran sich eine solche gespaltene Auslegung ausrichtet. Der Beispielsfall legt es nahe, zwischen Mobilien- und Immobilienkäufen zu unterscheiden. Es wäre etwa denkbar, in der Auslegung von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB bei Immobilienkaufverträgen Westermann zu folgen und bei anderen Kaufverträgen Ernst. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass der Käufer einer Immobilie unter leichteren Voraussetzungen zurücktreten kann, als der Käufer einer Mobilie. Auf den ersten Blick ließe sich diese unterschiedliche Behandlung mit dem meist höheren Risiko des Immobilienkäufers rechtfertigen. Betrachtet man die Mobilienkäufe indessen näher, muss man feststellen, dass auch viele Mobilienkaufverträge ein erhebliches Risiko für den Käufer bergen. Wer eine Lokomotive, einen Lastzug, einen Maybach oder ein Rennpferd kauft, muss oft wesentlich mehr Geld aufwenden als der Käufer einer kleinen Eigentumswohnung. Weshalb dieser dann günstigere Rücktrittsmöglichkeiten haben soll, ist sachlich kaum begründbar. Deshalb ist zweifelhaft, ob eine daran anknüpfende gespaltene Auslegung vor Art. 3 GG Bestand hätte. Solche Zweifel müssen aber nicht immer bestehen. Würde man etwa daran anknüpfen, ob es sich um einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie handelt oder nicht, würde eine solche Unterscheidung grundsätzlich vor Art. 3 GG Bestand haben können. Maßstab wäre jetzt nämlich nicht allein der Kaufgegenstand. Entscheidend wäre vielmehr, ob es sich um einen von der Richtlinie erfassten Fall handelt oder nicht. Häufig wird sich eine unterschiedliche Behandlung von durch Richtlinien geregelten gegenüber anderen Fällen mit der __________ 32 BGH, Urt. v. 9.4.2002, XI ZR 91/99, NJW 2002, 1881 (1884); Urt. v. 8.6.2004, XI ZR 167/02, NJW 2004, 2744; Bärenz, DB 2003, 375 (376).

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Notwendigkeit der Umsetzung einer EG-Richtlinie rechtfertigen lassen. Dabei darf aber der geregelte Sachverhalt nicht aus dem Blick geraten. Lässt sich eine Differenzierung in der Sache selbst nicht mehr rechtfertigen, wird sie sich auch mit dem Zwang zur Umsetzung einer EGRichtlinie allein nicht mehr rechtfertigen lassen33.

c) Systemgerechtigkeit Schwieriger ist die Einhaltung des Gleichheitssatzes bei der gespalteten Auslegung eines Gesetzes, wenn der Gesetzgeber selbst von der Möglichkeit einer gespaltenen Regelung keinen Gebrauch macht. Eine solche Möglichkeit ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Gesetzgeber sich gegen eine gespaltene Regelung entschieden hat34. So liegt es bei § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. Der Gesetzgeber hat die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie im Wesentlichen durch Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts umgesetzt35. Diese Vorschriften unterscheiden bewusst nicht nach den einzelnen Schuldverhältnissen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Auch im Kaufrecht selbst wird einheitlich auf die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts Bezug genommen, ohne hierbei zwischen Verbrauchsgüterkäufen und anderen Käufen zu unterscheiden. Wollte man unter diesen Umständen § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB dennoch gespalten auslegen, setzte man sich nicht nur in Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, sondern auch in Widerspruch zum System des Gesetzes. Dies würde zwangsläufig zu einer systemwidrigen und damit aber auch zu einer sachlich, auch durch den Zwang zur EGRechtsumsetzung nicht mehr zu rechtfertigenden Unterscheidung führen. Das bedeutet im Ergebnis, dass § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht gespalten ausgelegt werden darf, sondern einheitlich EG-konform ausgelegt werden muss.

__________ 33 Im Ergebnis BVerfG, Urt. v. 28.1.1992, 1 BvR 1025/82, BVerfGE 85, 191 (206); vgl. auch Weis, NJW 1983, 2721 (2726). 34 Bärenz, DB 2003, 375. 35 Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2281 (2282, 2285).

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Die unerhebliche Vertragsverletzung

IV. Auslegung von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB 1.

Anknüpfung an § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F.

a)

EG-Konformität

Was aber bedeutet es, wenn § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB einheitlich EGkonform auszulegen ist? Eine denkbare Möglichkeit wäre, den Begriff genauso auszulegen wie den Begriff des geringfügigen Mangels in § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. Möglich wäre eine solche Auslegung aber nur, wenn sie mit Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL in Übereinstimmung zu bringen ist. Denn § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB baut auf dieser Vorschrift auf. Das ist auf den ersten Blick nicht der Fall. Denn eine Anlehnung an § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. bedeutet im Ergebnis, dass die Schwelle zum Rücktritt sehr niedrig liegt. Das war mit Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL nicht beabsichtigt. Denn diese Vorschrift baut auf Art. 25 CISG auf, der die Schwelle für den Rücktritt höher ansetzt. Daran muss eine solche Auslegung aber nicht scheitern. Setzt man nämlich die Schwelle zum Rücktritt niedriger an, verbessern sich die Rechte des Käufers, er kann unter leichteren Voraussetzungen zurücktreten. Eine nationale Vorschrift oder Auslegung, die die Rechte des Verbrauchers verbessert, ist aber nach Art. 8 Abs. 2 VerbrGKRL zulässig. EG-rechtliche Hindernisse bestehen gegen eine solche Auslegung also nicht.

b) Systemgerechtigkeit Eine solche Auslegung scheitert aber am unterschiedlichen Zweck der beiden Vorschriften. Die Annahme eines geringfügigen Mangels führte nach § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. dazu, dass dem Käufer weder das Recht zur Wandlung noch das Recht zur Minderung zustand. Mit dem Begriff des geringfügigen Mangels beschrieb der Gesetzgeber also die Schwelle zum Gewährleistungsrecht als solchem. Das ist bei dem Begriff der unerheblichen Pflichtverletzung aber nicht der Fall. Das Vorliegen einer unerheblichen Pflichtverletzung führt nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB zwar zum Ausschluss des Rücktritts, nicht aber zum Ausschluss der Minderung. Der Begriff der unerheblichen Pflichtverletzung markiert also nicht mehr die Schwelle zu Gewährleistungsrechten überhaupt. Diese sind nämlich bei jedem Mangel möglich. Mit dem Begriff der unerheblichen Pflichtverletzung wird vielmehr die Schwelle zur Vertragsliquidation markiert. Sie muss zwangsläufig, und insofern ist Ernst Recht zu geben, höher liegen als die Schwelle für Gewährleis417

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tungsrechte überhaupt. Damit verbietet sich eine Anknüpfung an die Auslegung von § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F.

2. Anknüpfung an § 651e BGB a) Systemgerechtigkeit Die von Ernst vorgeschlagene parallele Auslegung von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB einerseits und § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB andererseits liegt nahe. Begrifflich ist der zu einer erheblichen Beeinträchtigung führende Mangel, von dem die Kündigung eines Reisevertrags nach § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB abhängt, jedenfalls auf den ersten Blick das Spiegelbild der unerheblichen Pflichtverletzung, bei deren Vorliegen § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB einen Rücktritt ausschließt. Nach verbreiteter Ansicht vor allem in der Rechtsprechung liegt eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB vor, wenn der Mangel zu einer Minderung in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Reisewerts führt. Welcher Prozentsatz dabei anzusetzen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Die Bandbreite führt von 20 %36 über 33 %37 bis hin zu 50 %38. Allerdings kann der Mangel seiner Art nach die Erheblichkeit begründen, auch wenn er rein rechnerisch nicht einen der geforderten Prozentsätze erreicht39. Das führt nach einer im Vordringen begriffenen Ansicht dazu, von der Festlegung auf bestimmte Prozentsätze abzusehen und eine umfassende Wertung vorzunehmen40. Dabei soll den etwa zum Zweck der Reise getroffenen Vereinbarungen Bedeutung zukommen41. __________ 36 LG Frankfurt/Main, Urt. v. 1.6.1992, 2/24 S 55/92, NJW-RR 1992, 1083; LG Hannover, Urt. v. 13.10.1997, 20 S 84/97, NJW-RR 1998, 194; ähnlich Tempel, NJW 1986, 547, 551. 37 LG Koblenz, Urt. v. 24.7.2002, 12 S 23/02, RRa 2002, 215; Tonner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 651e Rz. 10; Führich, Reiserecht, 4. Aufl. Rz. 311c (30 %). 38 OLG Nürnberg, Urt. v. 6.5.1999, 13 U 66/99, RRa 2000, 91; LG Köln, Urt. v. 15.5.1990, 3 O 597/89, MDR 1991, 840; LG Bonn, Urt. v. 8.5.1996, 5 S 1/96, RRa 1996, 223; Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 651e Rz. 2 (zurückhaltend). 39 Einzelheiten bei Staudinger/Jörn Eckert, BGB, (Bearb. 2003) § 651e Rz. 15. 40 OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.7.1986, 18 U 59/86, NJW-RR 1986, 1175; LG Köln, Urt. v. 29.11.1988, 11 S 127/88, NJW-RR 1989, 565; Bamberger/Roth/Geib, BGB, § 651e Rz. 5; Soergel/H.-W. Eckert, BGB, 12. Aufl., § 651e Rz. 7; Staudinger/Jörn Eckert, BGB, (Bearb. 2003) § 651e Rz. 17. 41 Erman/Seiler, BGB, 11. Aufl., § 651e Rz. 4; Tonner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 651e Rz. 7.

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Die unerhebliche Vertragsverletzung

b) Bezug zur Pauschalreiserichtlinie Hinzu kommt ein weiteres: § 651e BGB ist nicht autonom, sondern richtlinienkonform, und zwar konform zu Art. 4 Abs. 5 und 7 der Pauschalreiserichtlinie42 auszulegen, deren Umsetzung er dient. Die Pauschalreiserichtlinie räumt dem Verbraucher kein generelles Rücktrittsrecht ein43. Sie sieht in Art. 4 Abs. 5 und 7 ein solches Rücktrittsrecht vor, wenn der Veranstalter vor der Abreise wesentliche Bestandteile des Vertrags ändert oder wenn der Veranstalter nach der Abreise einen erheblichen Teil der Reiseleistungen nicht erbringt und entweder keine angemessene andere Vorkehrung schafft oder eine getroffene Vorkehrung von dem Verbraucher aus triftigen Gründen abgelehnt wird44. Das entspricht auch den typischen Interessen der Parteien eines Reisevertrags, die normalerweise beide eine Liquidation des Reisevertrags vermeiden wollen. Das Beispiel einer Reise nach Mallorca mag das illustrieren. Würde der Reisevertrag vom Reisenden gekündigt, dann müsste er sich selbst unter Beachtung seiner Schadensminderungspflicht um eine Rückreise bemühen, wohingegen er bei Fortführung des Reisevertrags die Rückreise wie gebucht antreten und hinterher einen Teil des Reisepreises zurückfordern kann. Dem entspricht es, wenn in der Rechtsprechung die Schwelle zur Kündigung eines Reisevertrags eher hoch, nämlich mit mindestens 20 % Minderungswert, angesetzt wird. Da die Mitgliedstaaten nach Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie nicht gehindert wären, strengere Vorschriften zu erlassen, ist dieses Verständnis nicht zwingend und könnte etwa im Rahmen einer Gesamtbetrachtung Mängeln auch eine stärkere Bedeutung beigemessen werden. Eine vergleichbare Tendenz zur Erhaltung des Vertrages hat § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB jedenfalls nicht. Er will die Schwelle zum Rücktritt wegen Pflichtwidrigkeit zwar höher ansetzen als die Schwelle für Gewährleistungsrechte als solchen. Ein spezifisches Interesse, den Vertrag nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten und damit die Schwelle tendenziell deutlich höher anzusetzen, hat er aber nicht.

__________ 42 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen, ABl. EG Nr. L 158, 59. 43 Grabitz/Hilf/Tonner, Bd. III Gl.-Nr. A 12 Pauschalreiserichtlinie, Art. 4 Rz. 55. 44 Grabitz/Hilf/Tonner, Bd. III Gl.-Nr. A 12 Pauschalreiserichtlinie, Art. 4 Rz. 41, 60; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rz. 788 f.

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3. Anlehnung an Art. 25, 49 CISG a) Ausgangspunkt § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB geht, wie schon mehrfach ausgeführt, auf Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL zurück. Diese zielt auf eine „Angleichung der bestehenden einzelstaatlichen Regelungen an das für den internationalen Warenkauf zwischen Gewerbetreibenden geltende internationale Recht (Wiener Übereinkommen aus dem Jahre 1980)“45. Es verwundert deshalb nicht, dass schon der Entwurf in Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 eine dem heutigen Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL vergleichbare Vorschrift enthielt. Sie erinnert sehr deutlich an Art. 25, 49 CISG. In der Erläuterung verfährt die EU-Kommission aber recht sparsam. Sie verweist auf das Unbehagen der Verkäufer gegenüber einem Rücktrittsrecht der Verbraucher und beschreibt den Zweck der Regelung wie folgt46: „Des weiteren wird im Sinne eben dieser Kompromißlösung und mit Blick auf eine den einzelnen nationalen Traditionen angepaßte Umsetzung der Richtlinie den Mitgliedstaaten zugestanden, die Wahlmöglichkeiten des Verbrauchers in Fällen geringfügiger Vertragswidrigkeit zu begrenzen.“ Diese Formulierung überrascht. Immerhin hat das CISG der englischen Vorstellung eine Absage erteilt, dass ein Rücktritt nur bei einem fundamental breach of contract möglich sein soll. Der Verweis auf einzelne nationale Traditionen, denen Rechnung getragen werden soll, klingt jedenfalls offener. Allerdings wird man kaum annehmen können, dass die Richtlinie für Verbrauchsgüterkäufe einen strengeren Maßstab für den Rücktritt hat aufstellen wollen als das CISG, das immerhin aus der Sicht des Kaufmanns geschrieben ist und in gewisser Weise die Grenze dessen beschreibt, was die Richtlinie dem Verbraucher zumuten will. Die Nähe zum CISG und die Übernahme des Rücktrittsausschlusses bei geringfügiger Vertragswidrigkeit legt es nahe, die Auslegung des Begriffs der geringfügigen Vertragswidrigkeit in der Richtlinie und damit auch in § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB an der Auslegung des Spiegelbegriffs der wesentlichen Vertragsverletzung in Art. 25, 49 CSIG anzulehnen.

__________ 45 Entwurf der Kommission, BR-Drucks. 696/96, 5. 46 BR-Drucks. 696/95, 14.

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Die unerhebliche Vertragsverletzung

b) Auslegung von Art. 25, 49 CISG Nach Art. 25 CISG ist eine von einer Partei begangene Vertragsverletzung wesentlich, wenn sie für die andere Partei einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, dass die vertragsbrüchige Partei diese Folgen nicht vorausgesehen hat und eine vernünftige Person diese Folgen unter gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen hätte. Einigkeit besteht darüber, dass unter Nachteilen alle ungünstigen Folgen der Pflichtverletzung des anderen Teils zu verstehen sind, soweit sie zum Anwendungsbereich des CISG gehören47. Die wichtigste dieser Folgen ist, auch das ist unstreitig, der entstandene Schaden. Nicht ganz einheitlich wird beurteilt, wann derartige Nachteile wesentlich sind. Nach überwiegender Meinung sind sie dann wesentlich, wenn die Partei, deren Rechte verletzt worden sind, ihr Interesse an der Durchführung des Vertrages verloren hat48. Ähnlich wird der nahezu gleichlautende Art. 8: 103 der PECL ausgelegt49. Gruber möchte demgegenüber eine wesentliche Vertragsverletzung dann annehmen, wenn der eingetretene Schaden durch Minderung und Schadensersatzansprüche nicht kompensiert werden kann50. Insgesamt will Art. 25 CISG aber erreichen, dass ein internationaler Warenkauf grundsätzlich erhalten bleibt und eventuelle Störungen durch Geld ausgeglichen werden51. Dahinter steht die Überlegung, dass die Rückabwicklung gerade eines internationalen Handelskaufs in der Regel unwirtschaftlich ist. Die praktischen Auswirkungen sind unterschiedlich, je nachdem, zu welchem Zweck der Kaufgegenstand erworben wird. Handelt es sich um den Kauf weiter zu verkaufender Ware, sind die Anforderungen an einen Rücktritt ten__________ 47 Bamberger/Roth/Saenger, BGB, Art. 25 CISG Rz. 3; Brunner, CISG, Art. 25 Rz. 4, 5; Gruber in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., Art. 25 CISG Rz. 9 f.; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 25 CISG Rz. 4; Schlechtriem/Schwenzer/ Schlechtriem, CISG, 4. Aufl., Art. 25 Rz. 7. 48 OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 17.9.1991, 5 u 164/90, NJW 1992, 633 (634); Bamberger/Roth/Saenger, BGB, Art. 25 CISG Rz. 4; Brunner, CISG, Art. 25 Rz. 8; Soergel/Lüderitz/Fenge/Budzikiewicz, BGB, 13. Aufl., Art. 25 Rz. 2; Staudinger/Magnus, BGB (Bearb. 1999) Art. 25 Rz. 13; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 91. 49 Lando/Beale, Principles of European Contact Law, Parts I and II, 2000, 365. 50 Gruber in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., Art. 25 CISG Rz. 12. 51 BGH, Urt. v. 3.4.1996, VIII ZR 51/95, BGHZ 132, 290 (298); Heuzé, La vente internationale de marchandise, S. 310 Tz. 412.

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denziell eher streng52. Dies wird auch in der Kobaltsulfatentscheidung des BGH53 deutlich, wo die Lieferung von Kobaltsulfat in technischer statt in Lebensmittelqualität nicht als wesentlich angesehen wurde. Etwas weniger streng scheinen die Anforderungen zu sein, wenn es sich um Waren handelt, die zum Einsatz im Betrieb des Käufers bestimmt sind54. In beiden Fällen ist aber eine umfassende Bewertung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen55. Für eine wesentliche Pflichtverletzung würde es dabei sprechen, wenn sie einen Punkt betrifft, dem die Parteien im Vertrag besondere Bedeutung beigemessen haben56.

c) Zweck der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Ob diese an den Bedürfnissen des internationalen Handelsverkehrs ausgerichtete Auslegung von Art. 25 CISG unbesehen auch zur Auslegung von Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL herangezogen werden kann57, erscheint zweifelhaft. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Richtlinie eine ähnliche Tendenz unterstellt werden kann, am Vertrag festzuhalten und eventuelle Störungen in Geld auszugleichen. Für diese Annahme spricht, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in ihrer Struktur stark an das CISG angelehnt ist und sich die EU-Kommission in der Begründung gerade auch auf nationale Traditionen bezogen hat, die zum Teil erhöhte Anforderungen an den Rücktritt stellen. Schließlich wäre auch zu berücksichtigen, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie seinerzeit nicht __________ 52 OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.2.1994, 6 U 119/93, RIW 1994, 1050; weitere Nachweise bei Brunner, CISG, Art. 25 Rz. 16. 53 BGH, Urt. v. 3.4.1996, VIII ZR 51/95, BGHZ 132, 290; a A. Cour de Cassation, Urt. v. 23.1.1996, i S Sacovini w. Les Fils de Henri Ramel, Recueil Dalloz Sirey (jurisprudence) 1996, 334. 54 Cour de cassation, Urt. v. 26.5.1999, Nr. 994 D, Beschwerde Nr. P 97-14.315, http://witz.jura.uni-sb.de/CISG/decisions/260599v.htm = Recueil Dalloz Sirey (jurisprudence) 2000, 788; CA Versaille, Urt. v. 29.1.1998, Urt. Nr. 56, RG Nr. 1222/95, http://witz.jura.uni-sb.de/CISG/decisions/290198.htm; Hof s’Gravenhage, Urt. v. 23.4.2003, Nr. 99/474, IHR 2004, 119; Landgericht Heilbronn, Urt. v. 15.9.1997, 3 KfH 653/93, http://www.cisg-online.ch/cisg/urteile/ 562.htm. 55 BGH. Urt. v. 3.4.1996, VIII ZR 51/95, BGHZ 132, 290, 299; Staudinger/ Magnus, BGB (Bearb. 1999) Art. 25 CISG Rz. 15. 56 BGH, Urt. v. 3.4.1996, VIII ZR 51/59, BGHZ 132, 290, 298; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 25 CISG Rz. 6; Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem, CISG, 4. Aufl., Art. 25 Rz. 9. 57 So im Ergebnis Bianca in: Grundmann/Bianca (Hrsg.) EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rz. 41.

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Die unerhebliche Vertragsverletzung

auf Art. 153 EG gestützt werden konnte, sondern als Binnenmarktrichtlinie nach Art. 95 EG erlassen wurde. Das setzt aber voraus, dass zumindest ein großer Teil der Anwendungsfälle grenzüberschreitende Kaufverträge sind. Die Rückabwicklung grenzüberschreitender Verbrauchsgüterkaufverträge ist jedenfalls aus der Sicht der Unternehmen genauso unwirtschaftlich wie die Rückabwicklung internationaler Handelskaufverträge. Es spricht deshalb einiges dafür, auch bei der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie eine gewisse Tendenz zur Erhaltung des Vertrages zu vermuten. Dem steht aber der Umstand entgegen, dass die Richtlinie den grenzüberschreitenden Handel zwischen den Mitgliedsstaaten gerade dadurch fördern will, daß die Rechte der Verbraucher vereinheitlicht und verbessert werden58. Das führt im Ergebnis zu der Annahme, dass eine geringfügige Vertragswidrigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 6 VerbrGKRL bei einem Mangel gegeben ist, bei dem den Interessen des Verbrauchers durch eine Minderung in jeder Hinsicht genügt werden kann. Das entspricht im Ergebnis der Auslegung Grubers von Art. 25 CISG.

4. Zwischenergebnis Als Ergebnis kann folgendes festgehalten werden: § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB kann nicht im Sinne von § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F., aber auch nicht genauso ausgelegt werden wie § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB. Er ist vielmehr in zurückhaltender Anlehnung an Art. 25 CISG in dem Sinne auszulegen, dass unerheblich ein Mangel ist, bei dem die Interessen des Käufers durch eine Minderung vollständig zufriedengestellt werden können.

V. Umsetzung in der Praxis 1.

Allgemeines

In der praktischen Umsetzung wäre deshalb zunächst festzustellen, wie die Parteien den Punkt im Vertrag bewertet haben, in dem die Leistungen von den vertraglichen Anforderungen abweichen. War er ihnen danach wichtig, liegt eine erhebliche Pflichtverletzung vor, mag die Pflichtwidrigkeit bei objektiver Betrachtung auch unerheblich sein. Fehlen vertragliche Vereinbarungen, die Aufschluss über die Bedeutung der __________ 58 In diesem Sinne Pfeiffer in AnwaltKomm/BGB, SchuldR, Art. 3 KaufRL Rz. 25.

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Pflichtverletzung geben, kommt es zunächst darauf an, ob der vertragswidrige Leistungsteil bei objektiver Betrachtung für den Wert oder die Brauchbarkeit der Leistung für den Vertragszweck bedeutsam ist oder nicht. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten. Auch der Ausfall eines zentralen Leistungsteils kann eine unerhebliche Pflichtverletzung darstellen, wenn der Fehler leicht auffindbar und leicht zu beheben ist. Der dafür anzusetzende Aufwand darf merklich über der Schwelle liegen, die bisher den Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen beim Kauf bestimmte. Das waren 3 bis 4 % des Kaufpreises. Andererseits wird man den Aufwand auch nicht so hoch ansetzen können wie im Reisevertragsrecht. Das führt zu einer Schwelle von 8 bis 10 % der Gegenleistung. Die Möglichkeit der Beseitigung mit einem solchen Aufwand schließt den Rücktritt aber nur aus, wenn keine weiteren Nachteile verbleiben. Kann etwa ein Auto nicht mehr als unfallfrei oder ein LKW-Motor trotz Reparatur nicht mehr als einwandfrei verkauft oder muss bei einem Haus auch beseitigter Hausschwamm im Verkaufsfall mitgeteilt werden, so ist die Pflichtverletzung dennoch erheblich. Entsprechendes würde gelten, wenn Benutzungsnachteile bestehen bleiben.

2. Beispielsfall Im Beispielsfall wäre also festzustellen, ob eine Minderung des Kaufpreises von 10 % die K in jeder Hinsicht zufrieden stellt. Hier war vorgegeben, dass die finanziellen Einbußen durch eine Minderung abgedeckt werden. Damit könnte ein Rücktritt die Erheblichkeitsschwelle nur nehmen, wenn noch andere Nachteile gegeben sind. Das wäre etwa dann der Fall, wenn K die Wohnung selbst nutzen wollte oder sich das wenigstens vorbehalten hat. Im Beispielsfall fehlte es daran, weil K die Wohnung nur zu Anlagezwecken erworben und sie nicht einmal angesehen hatte. Ob Vermietbarkeitsnachteile vorliegen, teilt der Sachverhalt nicht mit. Wenn auch sie nicht angenommen werden können, dann würde K tatsächlich mit ihrem Rücktritt scheitern.

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Versteinert und leicht angestaubt? Von groben, feinen und negativen Immissionen

Christina Stresemann Inhaltsübersicht I. Die Entwicklung der Immissionsrechtsprechung 1. Kammergericht 2. Reichsgericht 3. Bundesgerichtshof II. 1. 2. 3. 4.

Die Dogmatik und ihre Kritik Rechtssicherheit? Systematik und Wortlaut Entstehungsgeschichte Eigentum im Bürgerlichen Gesetzbuch

5. Lösung durch nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis? III. Alternativen zum dreigeteilten Immissionsbegriff 1. Schweizer Bundesgericht 2. Bundesverwaltungsgericht 3. Wohnungseigentumsrecht 4. Die Grundnorm des Interessenausgleichs IV. Keineswegs überflüssig: Das private Nachbarrecht

I. Die Entwicklung der Immissionsrechtsprechung 1. Kammergericht Es zeugte wohl nicht von großer Achtung vor richterlicher Unabhängigkeit, als Preußenkönig Friedrich II. 1780 aus Unzufriedenheit mit einer ihrer Entscheidungen die Richter des 2. Zivilsenats des Kammergerichts hinter Schloß und Riegel setzte, und als der Strafsenat die Eröffnung eines Rechtsbeugungsverfahrens gegen die Kollegen ablehnte, diesen auch gleich. In der Sache soll der König aber Recht gehabt haben, behaupten Rechtshistoriker heute1. Christian Arnold aus dem neumärkischen Pommerzig, dessen Wassermühle wegen Pachtrückständen zwangsversteigert worden war, hatte seinen Nachbarn, Freiherrn von Gersdorff, verklagt, weil der oberhalb __________ 1 Wesel, Geschichte des Rechts, 2. Aufl. 2001, 407; Dießelhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Großen, 1984, 65 u. 69; vgl. im übrigen schon Dickel, Friedrich der Große und die Prozesse des Müllers Arnold, in: Beiträge zum preußischen Rechte, 1891, 81 ff.

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Arnolds Mühle Karpfenteiche angelegt und ihr damit das Wasser abgegraben hatte. Müller Arnold unterlag in zwei Instanzen, weil der Oberlieger den Bach, angeblich ein Privatgewässer im Sinne des Römischen Rechts, nach Belieben nutzen, also auch hätte abstauen dürfen2. Die Reaktionen auf die königliche Intervention waren sehr verschieden. Das Volk war begeistert, die Beamten- und Richterschaft beleidigt. Friedrichs Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., rehabilitierte die Richter und erließ eine Gerichtsordnung, die solche Eingriffe in die Rechtsprechung ausschloß. Als Lehre aus dem Arnold-Fall enthielt das 1794 in Kraft gesetzte Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten umfangreiche Mühlenregalien und stellte ausdrücklich fest: „Auch in Privatflüssen darf, zum Nachtheile der Nachbarn und Uferbewohner, durch Hemmung des Ablaufs derselben, nichts unternommen oder verändert werden“3. Die Kränkung der Richter schien aber nachzuwirken. Kein Fall von eingeforderter Rücksichtnahme eines Grundeigentümers wurde hinfort ganz emotionslos entschieden. Trotzig hielten die Gerichte am Kernsatz des ersten Arnold-Urteils fest: Qui jure suo utitur, nemini facit injuriam4. Obwohl dieser Grundsatz nichts als eine petitio principii ist und schon im Römischen Recht vielfach relativiert war5, sollte er die Rechtsprechung der folgenden zweihundert Jahre bestimmen, unter Geltung des Gemeinen Rechts6 wie des Bürgerlichen Gesetzbuchs gleichermaßen.

__________ 2 Dießelhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Großen, 1984, 29, 46 f., 50. 3 ALR I 8 § 99. 4 Vgl. Dießelhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Großen, 1984, 47 u. Müller-Michels, Negative Einwirkungen im Nachbarrecht des BGB, 1956, 3. 5 Im Codex Justinianus wurde z. B. verboten, Nachbarn Licht und Aussicht – auch den Blick aufs Meer – zu nehmen (VIII.10.12.1. u. 2.) und durch Errichtung von Gebäuden Windmühlen den Wind zu verbauen (III.34.14.1.). Vgl. auch Reetz, Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtlichen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes, 1996, 120 ff.; Müller-Michels, Negative Einwirkungen im Nachbarrecht des BGB, 1956, 39. 6 Vgl. den 1909 noch nach Gemeinem Recht entschiedenen Mühlenfall RG, Urt. v. 20.1.1909 – V 131/08, JW 1909, 174, Nr. 26.

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Versteinert und leicht angestaubt?

2. Reichsgericht Nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs betrachteten die Richter des Reichsgerichts auch die neuen Vorschriften stets durch die Brille des Gemeinen Rechts bzw. dessen, was sie dafür hielten7. Sie sahen in § 903 Abs. 1 BGB vor allem die Befugnis des Eigentümers, sein Grundstück innerhalb dessen Grenzen voll auszunutzen, auch wenn er dadurch den Nachbarn schädigte8. Die §§ 906, 907 BGB wurden als – eng auszulegende – Ausnahmen vom unbeschränkten Eigentümerbelieben verstanden9. Daraus entwickelte das Reichsgericht seine bis heute gültige Immissionsdogmatik. Da in § 906 BGB von der „Zuführung“ bestimmter Stoffe und Erscheinungen („positive Immissionen“) die Rede ist, folgerte es, daß deren Gegenteil – die „Entziehung“ („negative Immission“) – keine unzulässige Einwirkung im Sinne der §§ 906, 907 BGB sei. Aus den genannten Stoffen schloß es, daß gröbere Immissionen, da sie den in § 906 BGB genannten „Imponderabilien“ nicht ähnlich seien, stets nach § 1004 BGB abgewehrt werden könnten10. Feinimmissionen im Sinne von § 906 BGB könnten von Fall zu Fall, je nach Grad der von ihnen ausgehenden Beeinträchtigung, unterbunden werden. Hinfort galt die Dreiteilung: Grobimmissionen (stets abwehrbar), Feinimmissionen (je nach Beeinträchtigung zu dulden oder abwehrbar) und negative Immissionen (stets zu dulden). Ausgerechnet in einem Mühlenfall, diesmal ging es um „das Recht des Windmüllers, gegen Verbauung des Luftzuges“ vorzugehen, festigte das Reichsgericht seine Rechtsprechung, § 906 BGB verbiete „nur Zuführung, also positive Eingriffe, nicht etwa das Abhalten von natürlichen Zuführungen“11. In einem weiteren Mühlenfall hatte ein Bauwerk zu Windstauungen, Wirbel- und Stoßwinden geführt, was die Leistung der Mühle erheblich minderte. Die Reichsrichter sahen keinen grundlegenden Unterschied zur „Entziehung von Licht … oder (der) bloße(n) Be__________ 7 Dazu Tiedemann, MDR 1978, 272 (273). 8 RG, Urt. v. 27.11.1913 – VI 498/13, JW 1914, 196 Nr. 12; Planck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Dritter Band, 5. Aufl. 1933, § 903 Anm. 2. a) α. 9 Vgl. RG, Urt. v. 27.11.1913 – VI 498/13, JW 1914, 196 (zu § 907 BGB) sowie Reetz, Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtlichen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes, 1996, 123 u. 125 f. m. w. N. 10 RG, Urt. v. 6.2.1918 – V 327/17, WarnRspr. 1918 Nr. 55 (abgesprengte Steine); RG, Urt. v. 16.10.1912 – V 198/12, Gruchot 57, 694 (Abwasser). 11 RG, Urt. v. 20.1.1909 – V 131/08, JW 1909, 161 Nr. 10.

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hinderung des Luftzutritts durch ein Bauwerk“12. All dies seien negative Immissionen, die sich der Nachbar gefallen lassen müsse. Zum Kriterium für die Unterscheidung zwischen abwehrbaren und im Rahmen des § 906 BGB zu duldenden positiven Immissionen machte das Reichsgericht die Größe der jeweiligen Stoffpartikel13. Das führte vor allem bei tierischen Immissionen – vom Nachbargrundstück einfliegende oder herüberstreunende Tiere – zu skurrilen und bisweilen ins Lächerliche gezogenen Erwägungen14 über die „verhältnismäßig kleinen Körper“15 von Bienen und Fliegen16. Diese Immissionsdogmatik erwies sich aber als zu starr, die mit der Industrialisierung entstandenen Konflikte zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen, speziell zwischen Landwirtschaft („Reichsnährstand“17) und massiv umweltverschmutzender Großindustrie, zu lösen. Hierfür entwickelte das Reichsgericht 1937 in seiner Gutehoffnungshütte-Entscheidung18 mit dem aus nachbarlichem Gemeinschaftsverhältnis abgeleiteten Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme – die Industrie wurde angehalten, „die bestmöglichen technischen Einrichtungen zur Schonung des Nachbarn zu treffen“, die Landwirtschaft, immissionsunempfindliche Produkte anzubauen – eine verblüffend moderne Lösung. Mit dem Ausgleichsanspruch für die wesentlichen, unvermeidlichen und ortsüblichen Immissionen schuf es die Grundlage für eine zwei Jahrzehnte später vorgenommene Gesetzesänderung19. Das Reichsgericht legte allerdings Wert darauf, aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis keine neue Anspruchsgrundlage contra oder praeter legem abgeleitet, sondern es lediglich zur „Weiterentwicklung und Ausgestaltung“20 des § 906 BGB herangezogen zu haben21. So flexibel die Rechtsprechung auf den Großkonflikt zwischen Schwerindustrie und Landwirtschaft reagierte, so unbeweglich zeigte sie sich __________ 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

RG, Urt. v. 8.6.1921 – V 76/21, Gruchot 65, 612, 614. RG, Urt. v. 22.6.1939 – V 212/38, RGZ 160, 381 (383). Siehe Jauernig, JZ 1986, 605 (607 f.). RG, Urt. v. 20.9.1933 – V 153/33, RGZ 141, 406 (409). RG, Urt. v. 20.9.1933 – V 153/33, RGZ 141, 406 (Bienen); RG, Urt. v. 22.6.1939 – V 212/38, RGZ 160, 381 (Fliegen). Vgl. Klausing, JW 1938, 1681 (1682). RG, Urt. v. 10.3.1937 – V 218/36, RGZ 154, 161. Ergänzung des § 906 durch Gesetz v. 22.12.1959, BGBl I, 781. RG, Urt. v. 10.3.1937 – V 218/36, RGZ 154, 161 (164). Vgl. näher Hagen, Festschrift für Hermann Lange, 1992, 483 (488 f.).

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weiterhin bei der Lösung von Streitigkeiten zwischen Kleineigentümern. Nur wenige Wochen nach dem Gutehoffnungshütte-Urteil entschied das Reichsgericht einen Fall, in dem extreme Bodenverdichtung zu einer „Grundwasseranstauung“ beim Nachbarn geführt und sein Gebäude beschädigt hatte. Das Gericht ordnete auch Abflußbehinderungen den negativen Immissionen zu und stellte den Verursacher ausdrücklich vom Rücksichtnahmegebot frei. Da der Eigentümer „streng innerhalb seiner Grenzen“ tätig geworden sei, müsse der Nachbar „etwaige mittelbare Wirkungen des sich in diesem Rahmen haltenden Tuns … hinnehmen“22.

3. Bundesgerichtshof Der Bundesgerichtshof hat, wie sein erster Präsident gern betonte, „das Erbe des Reichsgerichts übernommen“23, zu dessen problematischeren Teilen24 auch die Immissionsrechtsprechung zählte. Neben der im Gutehoffnungshütte-Fall entwickelten Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses übernahm er die tradierte Dreiteilung der Immissionen. In einem Verfahren der Wiederaufbauzeit waren durch ein neu errichtetes Haus dem Nachbarn die Seitenfenster zugebaut worden. Der Bundesgerichtshof verwarf die Anwendung des Gemeinschaftsverhältnisses, da er keine „zwingenden Gründe“ für eine Abweichung von der Regel sah, daß negative Immissionen hinzunehmen seien. Denn der Gedanke des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses dürfe „nicht dazu führen, die bestehende gesetzliche Regelung außer acht zu lassen, die immer Grundlage der Entscheidung bleiben muß“25. In einem zweiten derartigen Fall hätte die Verbauung der Fenster zu schweren Nachteilen für den Nachbarn geführt, andererseits wäre dem Bauherrn möglicherweise zumutbar gewesen, bei seiner Planung dessen Interessen zu berücksichtigen. Die Bundesrichter gaben dem Oberlandesgericht deshalb auf zu prüfen, ob nicht der Eigentümer „kraft der aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringenden Pflicht zur Rücksichtnahme gehalten sei, von der schädigenden Benützung abzusehen“26. __________ 22 23 24 25 26

RG, Urt. v. 16.6.1937 – V 241/36, RGZ 155, 154 (159). Weinkauff, DRiZ 1954, 251 (253). Siehe dazu Wenzel, NJW 2004, 3388. BGH, Urt. v. 15.6.1951 – V ZR 55/50, LM § 903 BGB Nr. 1. BGH, Urt. v. 10.4.1953 – V ZR 115/51, LM § 903 BGB Nr. 2.

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In schroffem Gegensatz zu dem interessenausgleichenden Urteil des zweiten Wiederaufbaufalls stehen Kompromißlosigkeit und Unbedingtheit, mit denen der Bundesgerichtshof 30 Jahre später zu den Wurzeln der Immissionsrechtsprechung zurückkehrte: „Innerhalb der Grenzen seines Grundstücks darf eben jedermann grundsätzlich mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren und bedarf keiner Rechtfertigung nach § 906 Abs. 1 BGB“27. Ein Hochhausneubau hatte einem Hausbesitzer den Fernsehempfang verdorben, indem er einerseits ein Hindernis für die Fernsehwellen bildete und andererseits Funkwellen reflektierte. Die Parteien stritten um den Anschluß an die Gemeinschaftsantenne des Hochhauses, und das Hamburger Oberlandesgericht hatte zumindest die reflektierten Wellen als abwehrbare positive Immissionen gewertet. Irrigerweise, meinte der Bundesgerichtshof und sah auch für das von der Vorinstanz hilfsweise herangezogene nachbarliche Rücksichtnahmegebot keinen Raum. Der Erkenntnis, daß sich aus dem Dogma der negativen Immissionen Unzuträglichkeiten und bisweilen gar grobe Unbilligkeiten ergeben, konnte sich aber auch der Bundesgerichtshof nicht verschließen. So hat er in seinem Kaltluftsee-Fall festgestellt: „Der Kläger wurde in seinem Eigentum an den Rebstöcken verletzt und hat dadurch Schaden erlitten.“28 Am Fuße von dessen Weinberg, aber noch auf dem Nachbargrundstück, hatte eine Tiefbaufirma einen Wall aus Abraummaterial aufgeschüttet, was den natürlichen Abfluß der Kaltluft vom Klägergrundstück verhinderte und zum Erfrieren von 1467 Rebstöcken führte. Der Bundesgerichtshof bekräftigte zunächst die „gefestigte“ Rechtsprechung, daß negative Immissionen nicht abwehrbar seien. Wenn jemand allerdings „infolge negativer Einwirkungen Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß…übersteigen“, könne es ausnahmsweise einen Ausgleichsanspruch geben. Da nämlich der Kaltluftstau sich bei anderer Anlegung des Erdwalls wohl hätte vermeiden lassen, worauf der Kläger aus nachbarlichem Rücksichtnahmegebot einen Anspruch gehabt hätte, gewährte ihm der Bundesgerichtshof „ausnahmsweise“ einen Ausgleichsanspruch, der womöglich sogar mit „einem unmittelbaren Durchgriff auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis zu begründen“ sei29.

__________ 27 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (346) – Funkwellen. 28 BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 (390) – Kaltluftsee. 29 BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 (391) – Kaltluftsee.

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II. Die Dogmatik und ihre Kritik 1.

Rechtssicherheit?

Der wachsenden Schar der Kritiker seiner Immissionsrechtsprechung30 hat der Bundesgerichtshof im Funkwellen-Urteil 1983 noch vorgehalten: „Sind ältere Gesetzesbestimmungen im Laufe der Zeit durch eine gefestigte Rechtsprechung ausgeformt worden, so treten die Rechtswerte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in den Vordergrund und verlangen….ein Festhalten an der einmal eingeschlagenen Rechtsentwicklung“31. Daß Festhalten an der überlieferten Immissionstrias aber keineswegs die versprochene Rechtssicherheit brachte32, zeigten einige Folgeentscheidungen. Bleierne Schrotkörner, die aus einer angrenzenden Schießanlage stammten und das Erdreich eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks vergifteten, hatten Land- und Oberlandesgericht als Feinimmissionen gewertet, dem Bundesgerichtshof schienen sie dagegen grob. Tierische Immissionen blieben für die Instanzgerichte stets ein Problem: Mäuse, Ratten, Tauben und Flugenten sollen von § 906 BGB erfaßt sein, nicht aber Nachbars Katzen, Hühner und Kaninchen33. Vorübergehend schien es, als wolle der Bundesgerichtshof die Unterscheidung von Grob- und Feinimmissionen ganz aufgeben. Zu einem Fall einfliegender Bienen gab es eine historische Vorlage, und der Bundesgerichtshof bezog sich ausdrücklich auf das Bienenurteil des Reichs__________ 30 Neben den in BGHZ 88, 344 (345 f.) genannten Autoren Baur, Block, Fessmann, Heubel, Müller-Michels, Ostendorf, Pleyer und Tiedemann sind dies u. a.: Heck, Grundriß des Sachenrechts, 1930, 218 f.; Mosich, Jherings Jb 80 (1930), 255 (299 f.), Mühl, JZ 1984, 850 (851); Reetz, Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtlichen und des öffentlichrechtlichen Nachbarschutzes, 1996, 131; A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 37 f. u. 200.; Wolf, NJW 1987, 2647 (2648) sowie Hinz, JR 1997, 137 (142) bei schweren Störungen und wohl auch Klindt, ZMR 1993, 204 (205). 31 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (347) – Funkwellen; vgl. auch BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 (386) – Kaltluftsee. 32 Zu Recht kritisiert von A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 34 f. 33 Vgl. Jauernig, JZ 1986, 605, 608 m. w. N. Siehe auch Staudinger/Roth, BGB, 2002, § 906 Rz. 119: „Ob Möwen und Krähen zu den Grobimmissionen zählen, wird von der Rspr. offengelassen … ME ist es zu bejahen.“

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gerichts34. Aber in Abweichung von diesem stellte er nicht mehr auf die Größe der Tiere ab, sondern verabschiedete sich von dem problematischen Begriff der „Imponderabilien“, da es „ein einheitliches Merkmal für alle unter § 906 BGB fallenden Immissionen“ nicht gebe. Gemeinsam hätten diese nur, daß sie in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind, in ihrer Intensität schwanken und damit andere Grundstücke überhaupt nicht, unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigen können; all das treffe auf den Bienenflug zu35. Wer jedoch glaubte, mit dem Bienen-Fall habe der Bundesgerichtshof einen neuen Immissionsbegriff entwickeln wollen, wurde enttäuscht. Im Urteil zu einem geplatzten Wasserrohr36 spricht er erneut von Grobimmissionen und in der Entscheidung über die Verschandelung einer Burganlage37 sogar wieder vom „Zuführen unwägbarer Stoffe“. Dagegen kehrt ein neueres Urteil zu Blüten, Laub und Kiefernzapfen38 zu der Behauptung des Bienen-Urteils zurück, daß sich aus § 906 BGB weder eine Unterscheidung von Grob- und Feinimmissionen noch gar eine Beschränkung auf Imponderabilien ableiten lasse. Auch der Unterscheidung zwischen positiven und negativen Immissionen fehlt es an begrifflicher Schärfe39. Die Behinderung natürlicher Abflüsse läßt sich mit den Kategorien „Zuführung“ und „Entziehung“40 nicht erfassen. Ob bei der Bildung eines Kaltluftsees durch Aufschüttungen auf dem benachbarten Grundstück „in strengem Sinne von einer nur negativen Einwirkung…gesprochen werden“ könne, schien sogar dem Bundesgerichtshof zweifelhaft41. Schwierig ist die Abgrenzung auch, wenn Bauten den Fernsehempfang auf dem Nachbargrundstück stören. Schatten sie die Wellen ab, liegt eine Entziehung vor. Reflektieren sie dagegen die Fernsehwellen, könnte der entstehende Wellensalat als Zuführung angesehen werden42. Der Bundesgerichtshof setzte hier jedoch Abschattung und Reflexion gleich und ordnete beides den nicht abwehrbaren negativen Immissionen zu43. Dies müßte kon__________ 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

RG, Urt. v. 20.9.1933 – V 153/33, RGZ 141, 406. BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 274/90, BGHZ 117, 110 (112 f.) – Bienen. BGH, Urt. v. 30.5.2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99 (103) – Wasserrohrbruch. BGH, Urt. v. 11.7.2003 – V ZR 199/02, WM 2004, 231 (232) – Burganlage. BGH, Urt. v. 14.11.2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33 (41) – Kiefernnadeln. So auch Klindt, ZMR 1993, 204 (206). Vgl. Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969, 30 f. BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 (387) – Kaltluftsee. Siehe Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969, 31. BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (348) – Funkwellen.

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sequenterweise auch für den gefürchteten Disko-Effekt gelten, der durch Reflexion der Sonnenstrahlen auf Rotorblättern von Windkraftanlagen entsteht und in Form pulsierender Blitze in die Wohnräume Betroffener dringt. Hilfreich könnte bei dessen Abwehr allerdings ein obiter dictum des Reichsgerichts sein, das – obwohl es Rückwurfwirkungen44 eigentlich den negativen Immissionen zurechnete45 –, die „Zuführung von grellen Lichtreflexen“ ausdrücklich als abwehrbare Einwirkung anerkannt hat46. Ungelöst bliebe dann immer noch das Problem des gleichermaßen störenden Schattenwurfs47, der eintritt, wenn das Windrad zwischen Sonne und betroffenem Grundstück steht und rhythmische Schatten wirft, die das im Wechsel durchscheinende Sonnenlicht zu verstärken scheinen.

2. Systematik und Wortlaut Wie schon das Reichsgericht leitet der Bundesgerichtshof die unterschiedliche Behandlung positiver und negativer Einwirkungen auf ein Nachbargrundstück aus „Wortlaut und Systematik“ des Gesetzes ab48. Der notwendige Interessenausgleich zwischen dem Recht des Eigentümers, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren, und dem Recht des Nachbarn, andere von jeder Einwirkung auszuschließen, werde durch § 906 BGB erreicht. Hiernach dürfe der Grundstückseigentümer nur die „Zuführung“ sogenannter Imponderabilien (Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen) sowie ähnliche Einwirkungen unter den näher bezeichneten Voraussetzungen verbieten. Unter „ähnlichen Einwirkungen“ seien aber nur den gesetzlichen Beispielen gleichartige, d. h. positiv die Grenze überschreitende, im allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Wirkungen zu verstehen49. Die Gesetzessystematik zwingt indessen keineswegs dazu, Abwehransprüche gegen negative Immissionen zu versagen. Zwar beschreibt § 903 Satz 1 BGB in großer Allgemeinheit die beiden angeführten Be__________ 44 Begriff bei Reetz, Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtlichen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes, 1996, 61. 45 RG, Urt. v. 27.11.1913 – VI 498/13, JW 1914, 196 Nr. 12. 46 RG, Urt. v. 8.4.1911 – V 328/10, RGZ 76, 130 (132); für den Disko-Effekt ebenso: Staudinger/Roth, BGB, 2002, § 906 Rz. 123. 47 Zu Schattenwurf und Disko-Effekt vgl. Franke, DVP 2000, 240 (241). 48 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (346) – Funkwellen. 49 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (346) – Funkwellen; BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 (386) – Kaltluftsee.

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fugnisse des Eigentümers. Das „Verbieten“ von Beeinträchtigungen ist aber nicht in § 906 BGB, sondern in § 1004 BGB geregelt, der einen Anspruch auf Unterlassung jeder Art von Beeinträchtigung gibt und nicht einmal zwischen wesentlichen und unwesentlichen unterscheidet. Erst § 906 BGB schränkt das Abwehrrecht des gestörten Nachbarn ein50. Wenn § 906 BGB negative Immissionen tatsächlich nicht erfaßte, hieße das keineswegs, „daß es das Gesetz bei der Eigentumsfreiheit (§ 903 BGB 1. Alternative) belassen will“51. Eben so gut könnte das in § 903 BGB gleichfalls enthaltene Recht des (gestörten) Eigentümers, andere von jeder Einwirkung auszuschließen, Vorrang beanspruchen, so daß eine Immission, die nicht unter § 906 BGB fällt, zu einem unbeschränkten Abwehranspruch des gestörten Nachbarn nach § 1004 Abs. 1 BGB führte52. Zuzugestehen ist dem Bundesgerichtshof, daß erst § 906 BGB den Ausgleich zwischen den konfligierenden Eigentümerinteressen schafft53, allerdings folgt weder daraus noch aus dem Wortlaut, daß ein gestörter Eigentümer nur die Zuführung unwägbarer Stoffe unterbinden könne. Dem Bundesgerichtshof ist beim Zitieren des Gesetzes eine kleine, aber bedeutungsvolle Fehlleistung unterlaufen. Nach § 906 BGB, schreibt er im Funkwellen-Urteil, dürfe „der Grundstückseigentümer aber nur die ‚Zuführung’ von sogenannten Imponderabilien (…) sowie ähnlichen (!) Einwirkungen verbieten“54. Dort heißt es jedoch: „Zuführung….und ähnliche….Einwirkungen“. Der Unterschied liegt in dem kleinen „n“. Das Gesetz meint nämlich nicht Zuführungen anderer Art, sondern Einwirkungen anderer Art, aber von ähnlicher Bedeutung wie die Zuführung der genannten Stoffe. Der Lapsus zeigt die Fixierung auf die „Stoffähnlichkeit“ zu beurteilender Immissionen mit den in § 906 BGB genannten „Imponderabilien“. Die darauf gegründete Einteilung in Grob-, Fein- und negative Immissionen läßt sich aus dem Beispielskatalog des § 906 BGB aber nicht ableiten. Die Unterschiedlichkeit der dort aufgezählten Phänomene macht es – wie auch der Bundesgerichtshof __________ 50 So zutreffend Jauernig, JZ 1986, 605 (610) und Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl. 1991, B § 16 I. 51 So aber BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (346) – Funkwellen. 52 So Baur, BB 1963, 483 (487) und Tiedemann, MDR 1978, 272 (273). 53 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (346) – Funkwellen. 54 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, NJW 1984, 729 = JZ 1984, 848 = BGHZ 88, 344, wo allerdings ein aufmerksamer Korrektor den Fehler beseitigt hat; im Original ist er enthalten.

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schon mal feststellte55 – unmöglich, sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Wärme, Geräusche und Erschütterungen bestehen nicht aus „verhältnismäßig kleinen Körpern“56, Ruß ist keine Imponderabilie, „unwägbare Stoffe“57 ist eine contradictio in adjecto. Gemeinsam haben die aufgezählten Einwirkungen allein, daß sie lästig werden und die Nutzung eines Grundstücks beeinträchtigen können. Mit Ähnlichkeit im Sinne des § 906 BGB kann daher nur „Wirkungsähnlichkeit“ gemeint sein: entscheidend ist nicht die Größe der Partikel, sondern der Beeinträchtigung58.

3. Entstehungsgeschichte Auch durch die Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht der Bundesgerichtshof seine Haltung zu den negativen Immissionen bestätigt. Deren „Nichterwähnung“ erfolgte angeblich „bewußt; die Eigentumsfreiheit sollte nicht eingeschränkt werden“59. Die hierzu angeführten Belege besagen eher das Gegenteil, insbesondere die Vorschläge des oft zitierten Redaktors Reinhold Johow. Mit „positiv“ und „negativ“60 bezeichnet der nämlich nicht die heute so genannten Immissionen, er teilt vielmehr die Beschränkungen des Eigentumsrechts in „positive“ (Duldungspflichten des Eigentümers, z. B. Notwege) und „negative“ (Unterlassungspflichten des Eigentümers, z. B. „Pflicht zur Nichtzurückstauung des natürlichen Wasserlaufs“61). Verletzungen dieser Pflichten sollten Johow zufolge durchaus abwehrbar sein. Selbst Kritiker der höchstrichterlichen Rechtsprechung tun dem Redaktor unrecht; weder hat er sich nämlich zu negativen Immissionen neutral verhalten62, noch hatte er gar „die Vorstellung eines … unbegrenzten __________ 55 BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 274/90, BGHZ 117, 110 (112) – Bienen; BGH, Urt. v. 14.11.2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33 (41) – Kiefernnadeln. 56 Kriterium in RG, Urt. v. 22.6.1939 – V 212/38, RGZ 160, 381 (383). 57 So die (unmaßgebliche) Überschrift des § 906 BGB in Beck’schen Textausgaben. 58 Ähnlich Heck, Grundriß des Sachenrechts, 1930, 219; A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 36; vgl. auch Klindt, ZMR 1993, 204 (206). 59 BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (347) – Funkwellen. 60 Schubert (Hrsg.), Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht, Band 1, 1982, 580 ff. u. 607 ff. Die Einteilung findet sich z. B. auch bei Staudinger/Seiler, BGB, 2002, § 903 Rz. 10 u. 11. 61 Siehe Schubert (Hrsg.), Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht, Band 1, 1982, 608. 62 So Jauernig, JZ 1986, 605 (609 f.).

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und schrankenlosen Eigentums“63. Im Gegenteil: nach Johow ist „die strenge Konsequenz des Eigenthums, daß nicht die geringste mechanische Hinüberwirkung über die Raumgrenze hinaus geduldet zu werden braucht … Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Hinüberwirkung eine unmittelbare oder eine durch Anlagen vermittelte Folge“ ist64. Auch die Motive widerlegen die Behauptung, die Nichterwähnung negativer Einwirkungen im Gesetz sei bewußt erfolgt65. Sie gingen nämlich davon aus, daß unmöglich alle Formen der Einwirkung von vornherein zu bestimmen seien und daher „das Gesetz … (nur) die hauptsächlichen Beispiele anzuführen und die weitere Entwicklung des leitenden Gedankens der Praxis zu überlassen“ habe66. Die Rechtsprechung hat sich dem freilich verweigert und anstelle einer Fortentwicklung des Rechts versucht, das Problem durch Einteilung der Einwirkungen in die Kategorien positiv, negativ, grob und fein zu lösen.

4. Eigentum im Bürgerlichen Gesetzbuch Nach § 903 BGB kann der Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, das heißt, gegen jeden vorgehen, der dieses Belieben stört. Von den beiden das Eigentum definierenden Befugnissen ist die „negative“ sicher die bedeutendere, was leicht verkannt wird, wenn man das Eigentum, wie seit Savigny üblich, als „die unbeschränkte und ausschließliche Herrschaft einer Person über eine Sache“ definiert67. Als es Robinson auf die Insel verschlagen hatte, konnte er, ob Eigentümer oder nicht, mit allen Dingen dort nach Belieben verfahren. Rechtlich bedeutsam wurde seine Sachherrschaft erst mit dem Hinzutreten Freitags, denn als Rechtsinstitut regelt das Eigentum nur das Verhältnis zwischen Eigentümern und anderen Personen. Die Eigentumsvorschriften von Art. 14 GG bis § 1004 BGB haben die Funktion, dem Eigentümer die ungestörte Nutzung seines Eigentums zu garantieren und es vor Beeinträchtigungen zu schützen. Wer diesen Schutz mindert, stärkt nicht das Eigentum, sondern schmälert es. Während das Reichsgericht mannhaft die Eigen__________ 63 So Reetz, Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtlichen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes, 1996, 67. 64 Siehe Schubert (Hrsg.), Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht, Band 1, 1982, 576; vgl. auch S. 608. 65 So BGH, Urt. v. 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344 (347) – Funkwellen. 66 Motive zum Entwurf des BGB, Band III Sachenrecht, 1888, 264 f. 67 System des heutigen Römischen Rechts, Erster Band, 1840, 367.

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tümerfreiheit verteidigt, übersieht es, in welchem Maße es gleichzeitig Beschränkungen des Eigentümerbeliebens billigt. Wessen Eigentum verschattet68, versumpft69 oder an Standfestigkeit einbüßt70, kann mit ihm eben nicht mehr nach Belieben verfahren. Manche Kritiker des Dogmas von den negativen Immissionen verweisen darauf, daß seit Inkrafttreten des Grundgesetzes „die Herrschaft des Eigentümers nicht mehr nur nach den §§ 903 ff. BGB, sondern … durch die Sozialbindungsklausel des Art. 14 GG“ begrenzt wird71. Das ist insofern irreführend, als die Anerkennung der „negativen“ Einwirkungen die Eigentümerrechte nicht schmälert, sondern in gleichem Maße, wie sie das Eigentümerbelieben (des einen) beschränkt, den Schutz des Eigentums (des anderen) verstärkt. Sie wäre also im Hinblick auf Art. 14 GG neutral. Allerdings kann für die Entscheidung, auf welche der beiden Eigentümerbefugnisse des § 903 BGB größeres Gewicht zu legen ist, aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 GG der allgemeine Gedanke entnommen werden, daß Beschränkungen der Eigentümerbefugnis in desto größerem Maße möglich sind, „je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht“72. Je kleiner die Grundstücke, je zahlreicher die Grundstückseigentümer und „je näher die Menschen einander rücken, um so mehr stören sie einander“ (Heck73) und um so größer wird die Notwendigkeit, aufeinander Rücksicht zu nehmen.

5. Lösung durch nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis? In der Rechtswirklichkeit wird das sperrige Immissionsdogma vielfach umgangen, indem man kurzerhand grobe Immissionen zu feinen74 oder negative zu positiven75 erklärt oder das aus der Dogmatik gewonnene Ergebnis mithilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses korri__________ 68 69 70 71 72 73 74 75

OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.7.1979 – 4 U 18/79, MDR 1980, 54. OLG Nürnberg, Urt. v. 14.7.1971 – 4 U 58/71, RdL 1972, 10. RG, Urt. v.16.6.1937 – V 241/36, RGZ 155, 154. Z. B. Tiedemann, MDR 1978, 272 (273); Hinz, JR 1997, 137 (142). BVerfGE 50, 290 (340); 53, 257 (292); 70, 191 (201). Grundriß des Sachenrechts, 1930, 216. BGH, Urt. v. 14.11.2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33 (Kiefernzapfen). LG Frankfurt/Main, Urt. v. 21.7.1995 – 2/11 O 33/94, DWW 1998, 57 (Reflexionen).

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giert76. Diese im Gutehoffnungshütte-Urteil zur Vermeidung übergroßer Härten entwickelte Konstruktion hatte das Reichsgericht noch für Fälle „drohender Existenzvernichtung“ reserviert77. Der frühe Bundesgerichtshof verwendete es schon zur Abwehr „schwerer Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens“78, und inzwischen dient es allgemein zur Abwendung aus der Immissionsdogmatik resultierender Unbilligkeiten79. Die Rechtsprechung verwendet es, um Betroffene von angeblich stets abwehrbaren Grobimmissionen im Einzelfall doch zu deren Duldung zu verpflichten80, sowie dazu, bei stark beeinträchtigenden negativen Immissionen zu einer Unterlassungs- oder Ausgleichspflicht zu kommen81. In Österreich diente die deutsche Rechtsprechung zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis sogar als Vorbild für eine gesetzliche Regelung negativer Immissionen82. Schon 1959 sah Pleyer in dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis „eine eigene, vom Dritten Buch des BGB weitgehend unabhängige Lösung nachbarlicher Probleme“83. Dem versucht der Bundesgerichtshof zu begegnen, indem er den Rückgriff auf das nachbarliche Rücksichtnahmegebot nur zuläßt, wo er zur Herstellung eines billigen Ausgleichs dringend geboten erscheint84. Das Problem, das diese Konstruktion lösen soll, wäre freilich gar nicht erst entstanden, hätte man nicht zuvor das Eigentümerbelieben im Rahmen der §§ 903, 1004, 906 BGB von jeder Rücksichtnahmeverpflichtung freigestellt85. __________ 76 LG Darmstadt, Urt. v. 17.3.1993 – 9 O 597/92, NJW-RR 1994, 147 – zwei Katzen; vgl. auch BGH, Urt. v. 6.2.2004 – VZR 249/03, NJW 2004, 1666 (1667) – Verschattung. 77 RG, Urt. v. 10.3.1937 – V 218/36, RGZ 154, 161 (167). 78 BGH, Urt. v. 15.4.1959 – V ZR 3/58, BGHZ 30, 273 (280). 79 Vgl. BGH, Urt. v. 11.7.2003 – V ZR 199/02, WM 2004, 231 (233) – Burganlage. 80 Vgl. BGH, Urt. v. 8.2.1972 – VI ZR 155/70, BGHZ 58, 149 (158 ff.). 81 Vgl. BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 – Kaltluftsee. 82 Siehe die Begründung zu Art. I des am 1.7.2004 in Kraft getretenen ZivilrechtsÄnderungsgesetzes 2004 (ZivRÄG – BGBl I 2003/91), S. 11 der Erläuterungen zum Gesetzentwurf (RV 173 BlgNR 22. GP 11 zu Z 1), der das in § 364 Abs. 2 Satz 1 ABGB normierte Recht des Grundstückseigentümers, von dem Nachbargrundstück ausgehende Einwirkungen, die die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks wesentlich beeinträchtigen, zu unterbinden, um den Halbsatz ergänzte: „das Gleiche gilt für Einwirkungen durch den Entzug von Luft, Licht, Grundwasser und dergleichen.“ Vgl. auch Röger, ÖJZ 2004, 821 (823). 83 JZ 1959, 305 (306). 84 BGH, Urt. v. 11.7.2003 – V ZR 199/02, WM 2004, 231 (233) – Burganlage. 85 Ähnlich A. Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 2000, 36.

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III. Alternativen zum dreigeteilten Immissionsbegriff 1. Schweizer Bundesgericht Ähnliche Schwierigkeiten wie der Bundesgerichtshof mit den §§ 1004, 906 BGB hatte das Schweizer Bundesgericht mit der Parallelvorschrift des Art. 684 ZGB86. Im Mai 2000 hat es schließlich unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, daß „negative Immissionen genau gleich wie positive von Art. 684 ZGB erfaßt werden“87. Den Maßstab zur Abgrenzung abwehrbarer negativer Immissionen von den zu duldenden, bot schließlich das Gesetz selbst. In der polyglotten Schweiz stehen nämlich neben der deutschen gleichberechtigt die französische und italienische Fassung des Art. 684 ZGB, und dort ist nicht von „übermäßigen Einwirkungen“ die Rede, sondern nur von „tout excès“ und „ogni eccesso“, eben von „jeder Übermäßigkeit“88.

2. Bundesverwaltungsgericht Das Bundesverwaltungsgericht hat gar nicht erst versucht, mögliche Beeinträchtigungen phänomenologisch zu erfassen, sondern stets die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen89. Beispielhaft zeigt das seine Rechtsprechung zum baurechtlichen Rücksichtnahmegebot mit drittschützendem Charakter. Im Konfliktfall, beispielsweise bei Verschattung eines Grundstücks durch die geplante Bebauung des Nachbargrundstücks – zivilrechtlich gesehen eine negative Immission –, sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität seiner Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen90. __________ 86 (1.) „Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.“ (2.) „Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Rauch oder Russ, lästige Dünste, Lärm oder Erschütterung.“ 87 Urteil Nr. 5C.19/2000 vom 18.5.2000, BGE 126 III 78, 452 (456) = SJZ 2000, 562. 88 Urteil Nr. 5C.19/2000 vom 18.5.2000, BGE 126 III 78, 452 (456) = SJZ 2000, 562. 89 Dazu Mühl, JZ 1984, 850 (851); Soergel/J. F. Baur, BGB, 13. Aufl. 2002, § 906 Rz. 48 m. w. N. 90 BVerwG, Urt. v. 5.8.1983 – 4 C 96.79, BVerwGE 67, 334 (339).

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3. Wohnungseigentumsrecht Solche Abwägungen sind auch dem Zivilrecht nicht fremd. Wo das Grundeigentum hochgradig komprimiert ist, beim Wohnungseigentum, verpflichtet das Gesetz die Eigentümer zu gegenseitiger Rücksichtnahme und schonendem Gebrauch des Sondereigentums (§ 14 Nr. 1 WEG). Ob Nachteile, die sich aus der Nutzung des Sondereigentums für andere Wohnungseigentümer ergeben, das zulässige Maß überschreiten, ist mittels Abwägung der berechtigten Interessen beteiligter Eigentümer festzustellen91. Obwohl auch das Wohnungseigentum „echtes Eigentum im Sinne des § 903 BGB“ ist92, spricht hier niemand vom Recht des (störenden) Eigentümers, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren, und genauso wenig wird auf die Art der Einwirkung abgestellt. Ein Nachteil im Sinne des § 14 WEG soll vielmehr „jede nicht ganz unerhebliche, konkrete und objektive Beeinträchtigung“ sein, wobei entscheidend ist, „ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann“93. Daher hatte das Kammergericht auch keine Bedenken, den Betrieb eines Sex-Shops94 als Beeinträchtigung des Sondereigentums anderer Wohnungseigentümer der Anlage zu werten und ihnen gegen diese – ansonsten hochumstrittene, bisweilen den negativen Immissionen zugerechnete – „ideelle“ Einwirkung95 einen Abwehranspruch zu geben.

4. Die Grundnorm des Interessenausgleichs96 Längst läßt sich auch der Bundesgerichtshof bei der Auslegung des § 906 BGB vom Gebot der Rücksichtnahme leiten, allerdings nur bei den positiven Immissionen. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, hängt nach neuerer Rechtsprechung von dem Empfinden eines ver__________ 91 Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 21.10.2002 – 15 W 77/02, NZM 2003, 156 (157); Lüke in Weitnauer, WEG, 9. Aufl. 2005, § 14 WEG Rz. 3. 92 BGH, Urt. v. 19.12.1991 – V ZB 27/90, BGHZ 116, 392 (394). 93 BGH, Urt. v. 19.12.1991 – V ZB 27/90, BGHZ 116, 392 (396). 94 KG, Urt. v. 16.2.2000 – 24 W 3925/98, WuM 2000, 264; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2003 – 3 Wx 369/02, WuM 2003, 399. 95 Zu ideellen und ästhetischen Immissionen: BGH, Urt. v. 7.3.1969 – V ZR 169/65, BGHZ 51, 396 = JZ 1969, 431 mit abl. Anm. Baur; BGH, Urt. 12.7.1985 – V ZR 172/84, BGHZ 95, 307; Forkel, Immissionsschutz und Persönlichkeitsrecht, 1968, 35 ff.; Hinz, JR 1997, 137; Scherer, JR 1997, 309. 96 So Wolf, NJW 1987, 2647 (2648).

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ständigen Durchschnittsmenschen sowie davon ab, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist97. All das könnte ohne Einschränkung auch auf grobe und negative Immissionen angewandt werden. Der Gefahr, daß dadurch das Interesse des gestörten Eigentümers Vorrang erhält, was womöglich eine Flut von Unterlassungsklagen auslöst98, ist durch die differenzierten Regelungen des § 906 BGB vorgebeugt99. Mit seinen Ergänzungen der Jahre 1959100 und 1994101 ermöglicht er inzwischen einen zeitgemäßeren Interessenausgleich als das Immissionsdogma mit dem Härteausgleich aus nachbarlichem Gemeinschaftsverhältnis. Nach den genannten Gesetzesänderungen besteht noch weniger Anlaß als zuvor, die negativen Immissionen einerseits und die Grobimmissionen andererseits von dem Interessenabwägungssystem der §§ 905, 906, 907 BGB auszuschließen.

IV. Keineswegs überflüssig: Das private Nachbarrecht Das Festhalten an überholten Dogmen hat manchen schon zur Verzweiflung getrieben, Jauernig rät Immissionsgeschädigten nur noch zum Verwaltungsrechtsweg, da „das Zivilrecht den betroffenen Eigentümer schutzlos“ lasse102. Das ist sicher übertrieben, aber richtig ist auch die Feststellung, daß ein Gutteil nachbarlichen Immissionsrechts mittlerweile in die öffentlich-rechtlichen Gesetze verlagert wurde103. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß es hinsichtlich der negativen Immissionen keinen zivilrechtlichen Regelungsbedarf mehr gebe. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber 1888 die Lösung verworfen, Teile des Immissionsschutzes, z. B. die Lärmbekämpfung, „der Polizeige__________ 97 BGH, Urt. v. 6.7.2001 – V ZR 246/00, BGHZ 148, 261 (264) – Hammerschmiede. 98 Auf diese Sorge führt Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (397), die Bemühungen der herrschenden Lehre zurück, den Kreis der Handlungen, die im rechtlichen Sinne auf das Eigentum „einwirken“, möglichst klein zu halten. Vgl. auch Baur, BB 1963, 483 (487) sowie BGHZ 51, 396 (398) u. BGH, NJW 1975, 170 für die ideellen Immissionen. 99 So schon Pleyer, JZ 1959, 305 (306). 100 Durch das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs v. 22.12.1959, BGBl I, 781. 101 Durch das Sachenrechtsänderungsgesetz v. 21.9.1994, BGBl I, 2457 (2489 f.). 102 JZ 1986, 605 (606). 103 Soergel/J. F. Baur, BGB, 13. Aufl. 2002, § 903 Rz. 59.

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setzgebung zu überlassen“104. Wenn – wie schon Redaktor Johow anmerkte – bei Immissionen „die Polizei schneller bei der Hand ist als die bürgerliche Gesetzgebung“105, heißt das nicht, daß sie ebenso guten Rechtsschutz gewähre, und das öffentliche Recht hat keineswegs „für das privatrechtliche Nachbarrecht…nur noch die unbedeutenderen Streitfragen…übrig gelassen“106. Ungewöhnlichere Fälle werden auch künftig dem Zivilrecht vorbehalten bleiben, da es – richtig verstanden – für den Individualrechtsschutz differenziertere Abwägungen ermöglicht als das Verwaltungsrecht107. Die neuere Entwicklung der Rechtsprechung mit dem Korrektiv des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses und der sich andeutenden Aufweichung des Immissionsdogmas108 läßt immerhin hoffen, daß das Zivilrecht nicht die Segel streicht109. 1890 hatte Anton Menger düster prophezeit, „daß das Eigentum und damit das ganze Privatrecht vollständig von dem öffentlichen Recht überflutet wird, ähnlich der Insel Helgoland, von welcher jährlich ein Stück abbröckelt und die schließlich in den Wellen des Ozeans untergehen muß“110. Doch beide haben unerwartete Standfestigkeit gezeigt, die Insel wie das Privatrecht. Wenn sich beim Küstenschutz nichts ändert und wenn die Rechtsprechung sich endlich dazu durchringt, den „versteinerten Immissionsbegriff“111 aufzugeben, kann es noch lange so bleiben.

__________ 104 Motive zum Entwurf des BGB, Band III Sachenrecht, 1888, 266. 105 Siehe Schubert (Hrsg.), Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht, Band 1, 1982, 585. 106 So Staudinger/Albrecht, BGB, 1998, Art. 124 EGBGB Rz. 3. 107 Vgl. Wolf, NJW 1987, 2647 (2649). 108 Siehe dazu vor allem Wenzel, NJW 2005, 241 (247). 109 So aber Jauernig, JZ 1986, 605 (606). 110 Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 4. Aufl. 1908, 132. 111 Jauernig, JZ 1986, 605 (606).

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Zur Vertretbarkeit des Sachmangels beim Kauf Karl Friedrich Tropf Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Hauptteil 1. Verstoß gegen die Verschaffungspflicht (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB) 2. Verstoß gegen vorvertragliche Untersuchungspflichten (§ 311 Abs. 2 BGB)

3. Garantieübernahme (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB) 4. Verletzung der Nacherfüllungspflicht (§ 439 BGB) 5. Nichtbehebbare Mängel (§ 311a BGB)

I. Einleitung Das neue Kaufrecht1 verpflichtet den Verkäufer, dem Käufer die Sache frei von Sachmängeln zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ist die Kaufsache zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Gefahrübergang (§§ 434 Abs. 1 Satz 1, 446 f. BGB), mit einem Sachmangel (§ 434 BGB) behaftet, hat der Verkäufer seine Leistung nicht so, wie geschuldet, erbracht. Nach § 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i. V. m. § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Käufer deshalb Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist gesetzt hat, die im Falle des Kaufs zur Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB) bestimmt ist. Dies gilt nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, wenn der Verkäufer den Sachmangel nicht zu vertreten hat. Im Gegensatz zum bisherigen Recht, das die zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung führende Vertretbarkeit des Sachmangels in zwei Tatbeständen, dem Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft und dem arglistigen Verschweigen eines Fehlers festgeschrieben hatte (§ 463 BGB a. F.), verzichtet der Reformgesetzgeber auf eine eigenständige, im Kaufrecht wurzelnde Bestimmung dessen, was der Verkäufer zu vertreten hat2. Er beläßt es bei der für alle Fälle der __________ 1 Neufassung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.2001, BGBl. I S. 3138. 2 Der Verzicht auf ein eigenständiges Sachmängelrecht für Kauf- und Werkvertrag ist ein Kernstück des Reformansatzes (Gesetzentwurf, BT-Drucks. 14/6040, S. 86 f.).

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Verantwortlichkeit des Schuldners geltenden Vorschrift, wonach dieser, wenn nichts anderes bestimmt oder aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat (§ 276 BGB). Mit der Bestimmung der Maßstäbe, anhand deren die Verantwortlichkeit des Schuldners zu messen ist, ist indessen, anders als in den früheren Fällen des § 463 BGB a. F., noch keine eigenständige Haftungsgrundlage geschaffen. Sie ergibt sich erst aus der Projektion der Verantwortungsmaßstäbe auf die Pflicht, deren Verletzung zu dem Sachmangel geführt hat. Hierauf wird, mit Blick auf den Schadensersatz statt der Leistung (§ 281 BGB), im folgenden eingegangen.

II. Hauptteil 1.

Verstoß gegen die Verschaffungspflicht (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB)

Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung tritt als sekundäres Recht an die Stelle des primären Anspruchs des Käufers auf Verschaffung der Sache in mangelfreiem Zustand (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB). Es liegt deshalb nahe, in der Verletzung dieses Anspruches den Hauptgrund für den Schadensersatz wegen des Mangels zu suchen. Dies ist indessen, soweit der Verkäufer Verschulden zu vertreten hat, mithin außerhalb einer Garantiehaftung (nachstehend zu 3), nicht der Fall. a) Der Verschaffungsanspruch wird mit dem Abschluß des Vertrags begründet. Das Pflichtenprogramm, das er für den Verkäufer schafft, kann denkgesetzlich keine Handlungen zum Gegenstand haben, die vor Vertragsschluß vorzunehmen sind, ebenso kein Unterlassen, das vor diesem Zeitpunkt geboten ist. Der Vorwurf, der Verkäufer habe sich vor dem Abschluß des Kaufvertrags nicht hinreichend über den Zustand vergewissert (Untersuchungspflicht), oder er habe dem Käufer nicht die erforderliche Aufklärung zukommen lassen, liegt außerhalb des vertraglichen Pflichtenspektrums. Eine antizipierte Pflicht, im Hinblick auf künftige Verkaufsfälle erforderlich werdende Reparaturen vorzunehmen oder technische Anlagen zu warten3, läßt sich aus dem späteren Kaufvertrag nicht herleiten. Beschränkt sich das Rechtsverhältnis auf den __________ 3 Beispiele bei Amann/Brambring/Hertel, Vertragspraxis nach neuem Schuldrecht, 2003, S. 168.

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Zur Vertretbarkeit des Sachmangels beim Kauf

Verkauf der fertigen Sache, hat der Verkäufer den Verstoß gegen die Verschaffungspflicht auch nicht deshalb zu vertreten, weil er zugleich Hersteller ist. Ging die Produktion dem Kaufabschluß voran, war während ihres Ablaufs eine Verschaffungspflicht noch nicht begründet. Wurde im Hinblick auf einen abgeschlossenen Kauf produziert, so erfolgte die Produktion nicht in Erfüllung der Verschaffungspflicht, deren Gegenstand war erst die fertige Sache. Die Situation beleuchtet die neugefaßte Vorschrift über den Werklieferungsvertrag. Nachlässigkeiten bei der Herstellung der Sache können nach § 651 BGB zwar kaufrechtliche Mängelansprüche auslösen. Dies aber nur dann, wenn sich der Lieferant über die Lieferung der Sache hinaus auch zu deren Herstellung verpflichtet hatte. b) Ein Verstoß gegen die kaufvertragliche Verschaffungspflicht kommt allerdings in Frage, wenn der Verkäufer nach Abschluß des Vertrags die Sorgfalt außer acht läßt, die erforderlich ist, um zum Fälligkeitszeitpunkt, dem Übergang der Gefahr auf den Käufer4, mangelfrei zu leisten. In Frage kommt vor allem ein unsachgemäßer Umgang mit der Sache, der erst zu deren Mangelhaftigkeit führt. Bestand der Mangel dagegen schon bei Vertragsschluß, ist die Bedeutung der Verschaffungspflicht für den Schadensersatz statt der Leistung beschränkt: Eine fehlende Aufklärung des Käufers kommt aus Gründen der Sachlogik als Haftungsgrundlage nicht in Frage; denn die Sache ist nicht deshalb mangelhaft, weil der Verkäufer ihren Zustand verschweigt. Die Verschaffungspflicht des § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB ist nicht darauf gerichtet, den Käufer über einen vorhandenen Mangel zu unterrichten, sondern diesen bis zum Gefahrübergang zu beseitigen. Hinweise auf den Zustand der Sache können allerdings, je nach der Interessenlage, geboten sein. Ihr schuldhaftes Unterlassen löst aber nur den allgemeinen Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB, nicht den Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 BGB aus. Das Unterlassen der gebotenen Untersuchung der Sache ist allerdings leistungsbezogen. Die Grenze der kaufrechtlichen Verschaffungspflicht zur werkvertraglichen Herstellungspflicht wäre aber überschritten, wollte man dem Verkäufer, wenn der Vertrag erst einmal abgeschlossen ist, eine allgemeine Untersuchungspflicht auf Mängel auferlegen. Ande__________ 4 Die Fälligkeit der ursprünglichen, nicht nach § 439 BGB modifizierten Verschaffungspflicht, um die es hier geht, folgt unmittelbar aus § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB.

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rerseits ist eine Untersuchung der Sache bei bestimmten Konstellationen auch kaufrechtlich geboten. Der Gesetzgeber hat diese Pflicht aber in das vorvertragliche Schuldverhältnis der künftigen Kaufparteien vorverlagert (nachfolgend zu 2). Der Abschluß des Kaufvertrags führt grundsätzlich5 zu keinen, darüber hinausgehenden Untersuchungspflichten.

2. Verstoß gegen vorvertragliche Untersuchungspflichten (§ 311 Abs. 2 BGB) Ein Kennzeichen des neuen Schadensersatzrechtes ist es, daß es den Schadensersatz statt der Leistung nicht ursächlich mit der Verantwortung des Schuldners (§ 276 BGB) für die Verletzung der Leistungspflicht verknüpft. Anders als nach bisherigem Recht wird nicht Schadensersatz „wegen“ Nichterfüllung der Leistungspflicht geschuldet, der Schadensersatz „statt“ der Leistung kann vielmehr an jede Pflichtverletzung anknüpfen, wenn die verletzte Pflicht nur aus einem bestehenden Schuldverhältnis (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) herrührt6. Allerdings muß die Pflichtverletzung, um den Ersatzanspruch aus § 281 BGB auszulösen, zur Folge haben, daß die Leistungspflicht selbst nicht mehr gehörig erfüllt wird. Nicht erforderlich ist es aber, daß der Verstoß gegen die Leistungspflicht vom Schuldner zu vertreten ist. Die neue Konzeption macht es möglich, die vom Schuldner zu vertretende Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht mit dem Schadensersatz statt der Leistung zu verbinden, auch wenn die Verletzung der vertraglichen Leistungspflicht vom Schuldner nicht nach § 276 BGB zu vertreten war. Der Gedanke ist so neu nicht. Bereits das zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung führende arglistige Verschweigen eines Fehlers (§ 463 Satz 2 BGB a. F.) wurde von der Rechtsprechung als Fall des Verschuldens bei Vertragsschluß angesehen, das kraft gesetzlicher Anordnung mit dem Ersatz des Erfüllungsinteresses sanktioniert war7. Das neue __________ 5 Anderes kann z. B. gelten, wenn eine Veränderung der Sache Anlaß zur Nachschau gibt. 6 Vgl. Gesetzentwurf, Fn. 2, S. 162 und 135; Brors, WM 2002, 1780 (1782); Thiessen in Dauner-Lieb/Konzen/Karsten Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 253, 258; a. A. Canaris, JZ 2001, 499, 511; ohne Stellungnahme Palandt/Putzo, BGB, 63. Aufl. bei § 437 Rz. 38; Erman/B. Grunewald, BGB, 11. Aufl. bei § 437 Rz. 22 ff. 7 BGHZ 60, 319, 321; bei fahrlässigen Verstößen gegen den vorvertraglichen Pflichtenkreis hat die Rechtsprechung grundsätzlich am Ersatz des Vertrauensschadens festgehalten (BGHZ 63, 382), wo sie zum Ersatz des Erfüllungs-

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Recht erweitert diesen Ansatz auf den fahrlässigen Verstoß gegen vorvertragliche Pflichten, überläßt es aber der Rechtsprechung, den Pflichtenkreis zu bestimmen, der das vertragliche Leistungsinteresse schützt. Als Richtschnur kann hierbei nur der jeweilige Vertragstypus dienen, in den das vorvertragliche Schuldverhältnis einmündet. Stoff für Irritationen könnte § 282 BGB bergen, wonach bei Verletzung von Verhaltenspflichten (§ 241 Abs. 2 BGB), wie sie auch bei vorvertraglichen Beziehungen begründet werden (§ 311 Abs. 2 BGB), Schadensersatz statt der Leistung nur geschuldet wird, wenn dem Gläubiger die Leistung – gerade – durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist. Indessen ist § 282 BGB nicht auf leistungsbezogene Verhaltenspflichten, also auf solche vorvertragliche Pflichten gemünzt, deren Verletzung den vertraglichen Leistungsanspruch berührt. Die Vorschrift gibt vielmehr bei nicht leistungsbezogenen Verhaltenspflichten den Weg zu § 281 BGB frei, verlangt aber die Unzumutbarkeit des Leistungsempfangs8. a) Eine Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten scheidet aus Gründen der Sachlogik, wie der Verstoß gegen entsprechende vertragliche Pflichten als Haftungsgrundlage für das Leistungsinteresse aus (oben 1 c)). Allerdings hat die Rechtsprechung zum alten Recht das Spezifikum entwickelt, den Geschädigten, der am Vertrag festhalten will, so zu stellen, wie wenn es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen wäre, den Vertrag zu günstigeren Bedingungen abzuschließen9. Beim Sachmangel waren dieser Rechtsprechung bisher Grenzen gesetzt, da nach der Wertung des § 463 Satz 2 BGB a. F. vorvertragliches Verschulden in diesem Bereich nur bei Vorsatz Schadensersatz auslösen konnte10. Diese Sperre könnte mit dem neuen Recht gefallen sein, Spielraum für weitere Hypothesenbildungen über den Verhandlungserfolg des aufgeklärten Käufers wäre geschaffen. b) Die eigentliche Haftungserweiterung gegenüber dem bisherigen Recht liegt in der Möglichkeit begründet, fahrlässige Verstöße gegen eine vorvertragliche Untersuchungspflicht mit dem Ersatz des Leistungsinte__________ interesses gelangen wollte, behalf sie sich mit einer großzügigen Auslegung des Arglistmerkmals (BGH NJW 1981, 928, 929), jeweils zum Gebrauchtwagenkauf. 8 Gesetzentwurf, Fn. 2, S. 141. 9 Übersicht bei BGH ZIP 2001, 1465, 1468. 10 Ständige Rechtsprechung vgl. BGH NJW 1992, 2564.

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resses zu ahnden. Nicht nach dem Gesetzestext, wohl aber nach der Gesetzesbegründung soll indes eine solche Erweiterung gerade nicht stattfinden. Eine grundlegende Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage solle nicht eintreten11. Die Gesetzesbegründung versucht, Fallgruppen zu bilden, die jeweils signifikant für Bestehen oder Nichtbestehen einer Untersuchungspflicht sind (nein: gewerbliche Verkäufer industrieller Massenartikel, private Verkäufer; ja: Verkäufer mit besonderer Sachkunde, gewerbliche Verkäufer gebrauchter Sachen, insbesondere Gebrauchtwagenhändler). So unbedeutend, wie es die Gesetzesbegründung darzustellen sucht, dürfte indessen die Erweiterung der Sachmängelhaftung nicht sein. Den Gebrauchtwagenhändler, der seiner Aufklärungspflicht über den Zustand des Fahrzeugs nicht genügte, hat die Rechtsprechung nur unter dem Gesichtspunkt der Arglist für das Erfüllungsinteresse aufkommen lassen, wobei sie allerdings mit den Arglistanforderungen großzügig umgegangen ist; konnte die Schwelle des § 463 Satz 2 BGB a. F. nicht überschritten werden, blieb es beim Ersatz des Vertrauensschadens12. Zudem hat die Rechtsprechung dem Händler nicht allgemein die Untersuchung des gebrauchten Fahrzeugs auferlegt. Eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Käufer wurde nur dann angenommen, wenn der Händler, abgesehen von der positiven Kenntnis, aufgrund konkreter Anhaltspunkte Mängel für nicht ausgeschlossen gehalten hat13. Eine allgemeine Untersuchungspflicht bestand auch für ihn nicht. Weitere Fallgruppen, bei denen eine vorvertragliche Untersuchungspflicht in Frage kommt, sind unter 1 b) dargestellt.

3. Garantieübernahme (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB) Eine Pflichtverletzung hat der Verkäufer, losgelöst von der Frage nach seinem Verschulden, zu vertreten, wenn er die Garantie für eine bestimmte Beschaffenheit der Sache übernommen hat (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Beim Kauf füllt die Garantie die Lücke aus, die der Wegfall des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung bei Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft (§ 463 Satz 1 BGB a. F.) hinterlassen hat. Wie nach dem früheren Recht tritt ein Spannungsverhältnis zur bloßen Beschaffenheits-

__________ 11 Gesetzesbegründung, Fn. 2, S. 210. 12 Wie oben Fn. 7. 13 BGH, NJW 1981, 928, 929.

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vereinbarung (nunmehr § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB) auf14, die nur dann einen Schadensersatzanspruch nach sich zieht, wenn das Fehlen der vertraglichen Beschaffenheit auf das Verschulden des Verkäufers zurückzuführen ist. Die Garantie setzt, ohne Unterschied gegenüber dem alten Recht, den Willen des Verkäufers voraus, für eine bestimmte Beschaffenheit einzustehen15. Anders als die Beschaffenheitsgarantie des § 443 BGB, die die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie der EG umsetzt, folgen aus der Garantie nach § 276 Satz 1 BGB keine über den gesetzlichen Haftungsumfang des Verkäufers hinausgehenden Rechte des Käufers.

4. Verletzung der Nacherfüllungspflicht (§ 439 BGB) Das neue Recht stellt den klassischen Rechten des Käufers wegen Mängeln der Sache, Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung16, den Anspruch auf Nacherfüllung (§ 439 BGB) voran. Er stellt die Fortsetzung des Erfüllungsanspruchs in modifizierter Form, nämlich nach Wahl des Käufers auf Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung, beides mit der verkürzten Verjährung des § 438 BGB, dar17. Davon, daß der Verkäufer die Mangelhaftigkeit der Sache bei Gefahrübergang zu vertreten hat, ist er nicht abhängig, denn die Nacherfüllung ist auch den Sekundäransprüchen, die von der Vertretbarkeit des Mangels unabhängig sind (Minderung und Rücktritt), vorangestellt. Der Übergang zu den Sekundäransprüchen setzt zwar voraus, daß der Käufer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (§ 281 Abs. 1, § 323 Abs. 1 BGB), die Entstehung des Nacherfüllungsanspruchs selbst ist aber von der Fristsetzung nicht abhängig18. Hat der Verkäufer den Mangel der Sache ohnehin zu vertreten, wird der Käufer im allgemeinen von der Möglichkeit Gebrauch machen, wie dies in den Fällen des § 326 BGB a. F. zulässig war, die Frist kurz zu bemessen. Die in §§ 281, 323 vorgesehene Nacherfüllungsfrist dient, wie die Nachfrist des alten Rechts, __________ 14 Historisch rührt dies daher, daß das vorbildgebende römische Recht, von den Fällen der Arglist und Sondertatbeständen des Sklaven- und Viehkaufs abgesehen, jede Gewähr an eine Zusicherung band (dictum et promissum), während das BGB an Wandlung und Minderung geringere Ansprüche stellt (vgl. Jakob in Verbraucherkauf in Europa, 2003, S. 27). 15 Vgl. BGH, NJW 1987, 2513 für den Grundstückskauf nach altem Recht. 16 Nach neuem Recht sind die Ansprüche auf Wandlung und Minderung in Gestaltungsrechte umgewandelt, der Terminus Wandlung konsequent durch Rücktritt ersetzt (§ 437 Nr. 2 BGB). 17 Statt aller Faust in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 439 Rz. 6. 18 Zutr. Jacobs in Dauner-Lieb/Konzen/Karsten Schmidt, Fn. 6, S. 371, 393.

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nicht dazu, den Verkäufer erstmals in den Stand zu setzen, mangelfrei zu erfüllen. Es ist ihm nur eine letzte Gelegenheit zur korrekten Leistung zu geben19. Hat der Verkäufer die Mangelhaftigkeit zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs dagegen nicht zu vertreten, wird eine knapp bemessene Resterfüllungsfrist vielfach nicht genügen, das Ausbleiben der Nacherfüllung oder deren Ungenügen dem Verkäufer anzulasten. In diesem Falle hat er weder die unzureichende Erfüllung noch die unzureichende Nacherfüllung zu vertreten. Der Käufer ist auf die Behelfe des Rücktritts oder der Minderung verwiesen. In den Grenzen der Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs oder deren Hemmung ist der Käufer indes nicht gehindert, dem Verkäufer alle Zeit zu lassen, die zur Nacherfüllung unter Berücksichtigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) erforderlich ist. Ist die Frist so bemessen, kann der Mißerfolg der Nacherfüllung den Schadensersatz statt der Leistung auslösen20. Die in § 440 BGB getroffene Regelung über den Fehlschlag der Nacherfüllung führt hieran nicht vorbei. Sie hat das Scheitern der Nacherfüllung vor Ablauf der für sie gesetzten Frist zum Gegenstand21. Der Käufer braucht in diesem Falle dem Verkäufer keine zweite Möglichkeit zur Andienung der Sache zu geben und kann unmittelbar zu den Sekundäransprüchen übergehen. Schadensersatz statt der Leistung kann er verlangen, wenn das Scheitern, was nicht Voraussetzung für den Wegfall des Fristerfordernisses ist, verschuldet war. Das Ergebnis ist, insbesondere in dem Falle, daß der Verkäufer die Beseitigung des Mangels wählt, nicht unproblematisch. Denn der als Verkäufer Angetretene wird durch das Nachbesserungsverlangen in den vertragstypischen Pflichtenkreis eines Werkunternehmers gedrängt. Von dem Unternehmer, der mit der Reparatur der mangelhaften Sache beauftragt ist (§ 631 BGB), hebt er sich rechtlich nur dadurch ab, daß er den Auftrag wegen unverhältnismäßiger Kosten zurückweisen kann __________ 19 Statt aller: Erman/H. P. Westermann, Fn. 6, § 281 Rz. 13. 20 Faust, Fn. 17, § 437 Rz. 90 bis 100 baut den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen Verletzung der Nacherfüllungspflicht zu einem filigranen System aus; sonst (z. B. bei Erman/B. Grunewald, Fn. 6, § 439 Rz. 12) tritt das Problem eher zurück. Die „doppelte Vertragswidrigkeit“ ist jedenfalls in § 281 BGB angelegt (Gesetzentwurf, Rz. 2, S. 139). 21 Erweist sich die Nacherfüllung bei Ablauf der hierzu gesetzten Frist als mangelhaft, werden die Sekundärrechte des Käufers unmittelbar ausgelöst; eine erneute Fristsetzung ist ihnen nicht vorangestellt.

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(§ 439 Abs. 3 BGB). Sich von den Unternehmerpflichten durch Lieferung einer Ersatzsache zu befreien, ist dem Verkäufer, wenn der Käufer erst einmal seine Wahl nach § 439 BGB getroffen hat, versagt.

5. Nichtbehebbare Mängel (§ 311a BGB) Weist die Kaufsache einen Mangel auf, dessen Behebung für jedermann oder auch nur für den Schuldner unmöglich ist, wird der Anspruch auf Verschaffung der Sache in mangelfreiem Zustand ausgeschlossen (§§ 433 Abs. 1 Satz 2, 275 Abs. 1 BGB)22. Tritt dieser Zustand nach Vertragsabschluß auf, kann der Käufer bereits unter den Voraussetzungen des § 280 BGB, also ohne die sinnlos gewordene Fristsetzung, Schadensersatz statt der Leistung verlangen (§ 283 BGB). Bestand der nichtbehebbare Mangel dagegen bereits bei Vertragsschluß, ist die Pflicht nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB nie entstanden. Einen Erfüllungs- oder einen Nacherfüllungsanspruch des Käufers kann es mithin nicht geben. Unbeschadet des Fehlens der Primärpflichten gewährt das neue Recht dem Käufer aber den Sekundäranspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (§ 311a Abs. 2 BGB). Zu diesem Zwecke behandelt er den Vertrag als wirksam (§ 311a Abs. 1 BGB). Entsprechend dem Exkulpationsmodell des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht der Anspruch nicht, wenn der Käufer das Leistungshindernis, mithin die Mangelhaftigkeit der Sache, bei Vertragsschluß nicht kannte und seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten hat. Als Haftungsgrund bietet sich, wie in den Fällen zu 2, vorvertragliches Verschulden an. Der Verkäufer haftet aus dieser Sicht auf das Erfüllungsinteresse, weil er in einem Falle, in dem die Untersuchung der Sache geboten war, fahrlässig hiervon abgesehen und deshalb eine Sache verkauft hat, die mangelfrei nicht lieferbar war. Da indessen auch bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt dem Mangel nicht abzuhelfen gewesen wäre, scheint der Deutungsansatz nicht zum Erfolg zu führen. Die Frage nach dem vorvertraglichen Verschulden ist indessen noch nicht erschöpft. Dem Verkäufer kann jedenfalls angelastet werden, daß er es überhaupt zum Vertragsschluß kommen ließ, obgleich er hätte erkennen können, daß er nicht erfüllen kann. Unter diesem Aspekt geht die Gesetzesbegründung davon aus, daß es sich bei § 311a BGB um einen eigenständigen, nicht mit § 280 BGB in Verbindung stehenden __________ 22 Das Nachfolgende gilt entsprechend für die Leistungsverweigerungsrechte nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB.

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Tatbestand handelt23. Unbeantwortet bleibt aber, wieso der Verkäufer seine Unkenntnis vom Mangel zu vertreten haben soll, wenn ihn gegenüber dem künftigen Käufer keine Pflicht traf, sich um den Zustand der Sache zu kümmern. Diese Frage läßt sich einmal, wie die Haftung des Schuldners bei anfänglichem Unvermögen nach früherem Recht, mit dem Garantiegedanken beantworten24. Der Verkäufer haftet auf das Erfüllungsinteresse, weil er mit der Begründung der Leistungspflicht das Risiko übernommen hat, leisten zu können. Die Exkulpationsmöglichkeit, die § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB eröffnet, macht es allerdings erforderlich, eine Garantie unter Vorbehalt zum Modell zu nehmen25. Das Gegenmodell des vorvertraglichen Verschuldens stellt, insoweit dem Gedanken des § 280 BGB verpflichtet, auf eine dem Käufer gegenüber bestehende Rechtspflicht ab, deren Verletzung nach § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB zu vertreten ist. An der Eigenständigkeit des § 311a BGB als Anspruchsgrundlage ändert dies nichts. Geht man von vorvertraglichem Verschulden aus, sind dessen Voraussetzungen und Folgen in einem Sondertatbestand abschließend geregelt.

__________ 23 Gesetzesbegründung, Fn. 2, S. 165. 24 RGZ 69, 355; BGH NJW 1997, 938. 25 Verf. in 200 Jahre Notarkammer Pfalz, 2003, S. 107, 115 f.

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Umgehung des Vorkaufsrechts Max Vogt Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Ergänzende Auslegung der Vorkaufsrechtsvereinbarung III. Vorkaufsfall grundsätzlich nur bei Kaufvertrag IV. Kaufvertrag eine Frage der Auslegung

VI. Kaufähnliche Verträge VII. Verleidung des Vorkaufsrechts durch einzelne Abreden 1. Fremdkörpertheorie 2. Umgehung des § 465 BGB 3. Vertragsanpassung VIII. Schluss

V. Sittenwidrigkeit

I. Einleitung Vorkaufsrechte haben ihren Anwendungsschwerpunkt im Immobilienrecht und fallen damit auch in die Zuständigkeit des V. Zivilsenats am Bundesgerichtshof, somit in die des Jubilars. Vertraglich oft mit leichter Hand eingeräumt oder auch als gesetzlich bestehende Vorkaufsrechte (vgl. z. B. §§ 24 ff. BauGB mit Verweisung auf die Regelung im BGB), werden sie aus den verschiedensten Gründen lästig. Der Vorkaufsverpflichtete strebt – oft im Zusammmenwirken mit seinem Kaufvertragspartner (Drittkäufer) – danach, sie auszuschalten. In diesem Zusammenhang verwundert es daher nicht, dass eine einfallsreiche Kautelarjurisprudenz seit jeher Vertragsgestaltungen zu wählen sucht, die das Vorkaufsrecht unterlaufen oder dem Berechtigten dessen Ausübung erheblich verleiden oder erschweren sollen. Die Diskussion darüber, wie solche Versuche rechtlich zu beurteilen sind, dauert bis in die jüngste Zeit an. Eine erschöpfende Behandlung aller Streitfragen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Ich begnüge mich mit einigen Hauptgesichtspunkten auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

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II. Ergänzende Auslegung der Vorkaufsrechtsvereinbarung In der Diskussion der Umgehungsproblematik sollte klar unterschieden werden zwischen dem u. U. durch Auslegung zu ermittelnden Umfang der rechtsbegründenden Vorkaufsrechtsvereinbarung (die im Fall gesetzlicher Vorkaufsrechte ohnehin fehlt) und der Frage, ob und inwieweit auf der Grundlage eines eindeutig feststehenden Vorkaufsrechts auch andere Veräußerungsverträge dieses Recht auslösen können. Grunewald1 kommt im Wege einer „ergänzenden Vertragsauslegung“ zu dem Ergebnis, in den meisten Fällen von Schenkung (insbesondere gemischter Schenkung) und Tausch greife das Vorkaufsrecht ein, weil es sowohl aus der Sicht des Berechtigten als auch der des Verpflichteten keinen Unterschied mache, auf welche Weise ein Gegenstand veräußert werde. Unter Berufung auf ein BGH-Urteil2 wird dabei für eine gemischte Schenkung die Entgeltvereinbarung über §§ 315 ff. BGB ersetzt und beim Tausch auf die Möglichkeit verwiesen, der Berechtigte könne sich den Tauschgegenstand u. U. ja verschaffen oder dessen Wert vergüten, so dass einer Vorkaufsrechtsausübung nichts mehr im Wege stehe. So generalisierend einfach wird man sich die Sache nicht machen können. Das genannte BGH-Urteil, das nur die Vertragsauslegung des Berufungsgerichts zu einer Vorkaufsrechtsvereinbarung in einem Aktienpoolvertrag billigt, kann auf keinen Fall verallgemeinert werden3. Es ist den Parteien eines Vorkaufsvertrages natürlich unbenommen, andere Veräußerungsfälle in ihre Vereinbarung einzubeziehen4. Es mag sein, dass man auch im Wege einer Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu dem Ergebnis kommt, solche Fälle (z. B. Schenkung, Tausch) sollten dem Berechtigten die Möglichkeit eröffnen, in den sog. Drittvertrag (möglicherweise mit gewissen Modifikationen) „einzutreten“. Gerade weil es die Vertragsschließenden aber in der Hand haben, den Vorkaufsfall auf andere Veräußerungsfälle auszudehnen, verbietet sich eine extensive Auslegung. Wer ein eindeutiges Vorkaufsrecht vereinbart hat, muss damit leben. Eine ergänzende Vertragsauslegung fordert eine Vertragslücke und darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes __________ 1 2 3 4

Umgehung schuldrechtlicher Vorkaufsrechte in FS Gernhuber, 1993, 138 ff. BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, richtig zitiert NJW 1987, 890 (892). Vgl. Staudinger/Mader, BGB, 2004, § 463 Rz. 13. H. P. Westermann in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 463 Rz. 4; Soergel/ Huber, BGB, 12. Aufl. 1991, § 504 Rz. 55; Staudinger/Mader, BGB, 2004, § 463 RZ. 10.

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führen5. Wo soll diese Lücke, insbesondere in den häufigen Fällen notarieller Beurkundung eines Vorkaufsrechts, zu finden sein? Wie auch immer, mit der Umgehungsproblematik hat dies wenig zu tun. Sie taucht in der Regel erst auf, wenn der Verpflichtete auf der Grundlage eines eindeutigen Vorkaufsrechts den Drittvertrag nicht in die Form eines Kaufs, sondern eines anderen Vertrages zu bringen versucht.

III. Vorkaufsfall grundsätzlich nur bei Kaufvertrag Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Umgehungsproblematik ist zunächst die Frage, was nach der gesetzlichen Ausgestaltung des Vorkaufsrechts als Vorkaufsfall anzusehen ist. Dies gilt im Grundsatz nur dann, wenn das Veräußerungsgeschäft als Kaufvertrag zu qualifizieren ist6. Nach dem Gesetzeswortlaut kann der Berechtigte sein Vorkaufsrecht ausüben, sobald der Verpflichtete mit einem Dritten einen Kaufvertrag über den Gegenstand geschlossen hat (§ 463 BGB). Gesetzessystematisch ist das Vorkaufsrecht eine besondere Form des Kaufs7. Unter Kaufvertrag kann also zunächst nur der in § 433 BGB definierte gegenseitige Vertrag mit Verpflichtung zur Übergabe und Eigentumsverschaffung einer Sache oder zur Übertragung eines Rechts oder eines sonstigen Gegenstandes (§ 453 BGB) gegen Kaufpreiszahlung gemeint sein. Daran hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts8 und auch die des Bundesgerichtshofs9 im Ansatz stets festgehalten. Das entspricht auch der überwiegenden Meinung im Schrifttum10. Nichts anderes folgt aus dem Gesetzeszweck. Tragender Gesichtspunkt, warum grundsätzlich nur ein Kaufvertrag zum Vorkauf berechtigen soll, ist der Gedanke, dass die mit dem Dritten vereinbarte Gegen__________ 5 Vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1963 – VIII ZR 204/61, BGHZ 40, 91 (103). 6 Hees, Die vertragstypologische Bestimmung des Vorkaufsfalles und die Wirkungen einzelner Vereinbarungen und Störungen des Drittvertrages für das Vorkaufsrechtsverhältnis, Diss. 1991, 23 ff. 7 Vgl. BGB Überschriften: Buch II, Abschnitt 8, Titel 1, Untertitel 2, Kapitel 3. 8 RG, Urt. v. 15.12.1920 – V 320/20, RGZ 101, 99 (101). 9 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 11.12.1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540 (541); BGH, Urt. v. 27.10.1967 – V ZR 157/64, BGHZ 49, 7 (8). 10 Vgl. z. B. Erman/Grunewald, BGB, 11. Aufl. 2004, § 463 Rz. 8; Palandt/Putzo, BGB, 63. Aufl. 2003, § 463 Rz. 5; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl. 1991, § 504 Rz. 5; Staudinger/Mader, BGB, 2004, § 463 Rz. 10–16.

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leistung (weil in der Zahlung einer Geldsumme bestehend) ohne weiteres vom Vorkaufsberechtigten erbracht werden kann und der Vertragspartner ersetzbar ist, weil das Interesse des Verkäufers allein auf die Kaufsumme gerichtet ist. Personengebundene Interessen des Verkäufers berücksichtigt das Gesetz allein in den §§ 468, 470 BGB. Schließlich sprechen praktische Gesichtspunkte für die Beschränkung des Vorkaufsrechts auf Verkaufsfälle. Bereits in dem mit dem Dritten ausgehandelten Kaufpreis ist der Wertmaßstab festgelegt; dieser muss nicht mehr geschätzt werden. Die in § 466 BGB und § 467 BGB vorgesehenen Ausnahmen ändern daran nichts, sondern unterstreichen dies nur. Es verbietet sich auch eine Ausdehnung des Gesetzes auf andere Veräußerungsfälle im Wege der Analogie durch Rechtsfortbildung. Im Gesetzgebungsverfahren ist die Begrenzung des Vorkaufsfalles auf einen Kaufvertrag nie in Frage gestellt worden11. Es fehlt mithin an einer planwidrigen Lücke im Gesetz. Damit setzt der Grundsatz der Rechtsund Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) den Gerichten eine Grenze, die sie nicht überschreiten dürfen12. Damit sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt, die allein unter dem Gesichtspunkt einer „wirtschaftlichen“ Betrachtungsweise jedes Veräußerungsgeschäft über einen Vorkaufsgegenstand als Vorkaufsfall ansehen wollen, bei dem sich im Einzelfall feststellen lasse, dass der unmittelbare Zweck mit dem Berechtigten ebenso wie mit dem Dritten erreicht werden könne13.

IV. Kaufvertrag eine Frage der Auslegung Vor diesem Hintergrund haben diejenigen Fälle noch nichts mit der Umgehungsproblematik zu tun, in denen es gelingt, die Drittvereinbarung als Kaufvertrag zu qualifizieren. Die Vertragspartner bestimmen zwar den Inhalt ihrer gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden Vereinbarung, sie haben aber nicht die Macht, darüber zu entscheiden, ob diese dem Rechtsbegriff des Kaufes oder einem anderen Vertragstyp __________ 11 Motive II, 345. 12 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1983 – 2BvR 485, 486/80, NJW 1984, 475. 13 Vgl. die wohl am weitesten gehende Auffassung von Schurig, Das Vorkaufsrecht im Privatrecht, 1975, 56 und 134.

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zuzuordnen sind. Insbesondere können sie dies nicht durch die Wahl der von ihnen gewählten Bezeichnung beeinflussen, wenn dies dem objektiven Gesamtinhalt des Vertrages widerspricht14. In diesen Zusammenhang gehören zwei höchstrichterliche Entscheidungen zum gesetzlichen Vorkaufsrecht der Miterben. In einem vom Reichsgericht entschiedenen Fall15 ging eine Miterbin hinsichtlich eines Anteils an einem Grundstück, das nach der Kenntnis beider Vertragspartner den einzigen Gegenstand des Nachlasses bildete, gegen Entgelt die Verpflichtung ein, dem Dritten den Erwerb dieses Anteils auf jedem nur denkbaren Weg zu ermöglichen, und bevollmächtigte ihn unwiderruflich zur zeitlich unbeschränkten Ausübung ihrer Miterbenrechte. In einem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall16 haben die Vertragsparteien den Kaufpreis als Darlehen und die Erbanteilsübertragung als Sicherungsabtretung „verkleidet“ und durch weitere Vereinbarung die Rückzahlung des Darlehens und die Rückübertragung des Erbteils praktisch für immer ausgeschlossen. In beiden Fällen wurden die Verträge rechtsbegrifflich als Erbteilskauf qualifiziert und somit ein Vorkaufsrecht des Miterben bejaht. Das hatte weder etwas mit einem Scheingeschäft (§ 117 BGB) noch mit einer Umdeutung (§ 140 BGB) zu tun. Die Parteien haben ihre Vereinbarungen tatsächlich gewollt, und die wirksamen Geschäfte waren eben als Erbanteilskäufe auszulegen und rechtlich so einzuordnen.

V. Sittenwidrigkeit Was aber ist, wenn die Beteiligten zur Umgehung des Vorkaufsrechts nicht nur einen „verkleideten“ Kaufvertrag, sondern tatsächlich einen anderen Vertragstypus wählen? Rechtsprechung und der überwiegende Teil des Schrifttums haben lange Zeit den einzigen Hebel in der Sittenwidrigkeit des Drittvertrages (§ 138 Abs. 1 BGB) gesehen17. Dieser Weg hat Schwächen. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass nicht allein die Wahl eines anderen Vertragstypus sittlich zu missbilligen ist. Wenn das Vorkaufsrecht aufgrund seiner vertraglichen und gesetzlichen Ausge__________ 14 BGH, Urt. v. 17.9.1987 – VII ZR 153/86, BGHZ 101, 350 (352); BGH, Urt. v. 1.2.1989 – IVa ZR 354/87, BGHZ 106, 341 (345). 15 RG, Urt. v. 13.8.1943 – VI 27/43, RGZ 171, 185. 16 BGH, Urt. v. 13.7.1957 – IV ZR 93/57, BGHZ 25, 174. 17 BGH, Urt. v. 11.12.1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540; BGH, Urt. v. 14.11.1969 – V ZR 115/66, WM 1970, 321; BGH, Urt. v. 2.7.1970 – III ZR 42/67, WM 1970, 1315.

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staltung an den Vertragstyp des Kaufs anknüpft, dann kann es eben grundsätzlich durch einen anderen Veräußerungsvertrag legal „vereitelt“ werden. Der Bundesgerichtshof hat deshalb von Anfang an betont, dass nicht jeder Drittvertrag nichtig ist, durch den statt des Kaufvertrages ein anderes, besonders ausgestaltetes und darum den Vorkauf nicht auslösendes Rechtsgeschäft begründet wird. Es müssen vielmehr noch weitere erschwerende Umstände hinzukommen. Sittenwidrig sind danach nur solche Abmachungen, die durch ihren Gesamtcharakter oder die Art und Weise ihres Zustandekommens das Gepräge der Sittenwidrigkeit erhalten, insbesondere wenn sie auf verwerflichen Beweggründen oder der Anwendung unlauterer Mittel beruhen oder ihr ausschließlicher Zweck die Schädigung des Vorkaufsberechtigten ist. Die Absicht oder gar nur das Bewusstsein einer Vorkaufsrechtsvereitelung allein genügen also nicht18. Unter diesen strengen Voraussetzungen lässt sich eine Sittenwidrigkeit natürlich nur höchst selten feststellen. Gelingt es ausnahmsweise doch, so ist der Drittvertrag nichtig, mit der Folge, dass ein Vorkaufsfall nicht vorliegt. Zum Zuge kommen also lediglich das Abwehrinteresse des Berechtigten, nicht aber dessen Erwerbsinteresse. Es wundert daher nicht, dass die allein auf Sittenwidrigkeit fixierte Betrachtungsweise erheblicher Kritik ausgesetzt war19.

VI. Kaufähnliche Verträge Der Bundesgerichtshof hält es in seiner neueren Rechtsprechung (in Fortführung der unter IV. dargestellten Judikatur) nunmehr für eine sachgerechtere Lösung der Umgehungsproblematik, einen Vorkaufsfall auch bei kaufähnlichen Verträgen anzunehmen, die einem Kaufvertrag nahezu gleichkommen und in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seiner Erwerbs- und Abwehrinteressen „eintreten“ kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen. Er hat dies aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§§ 162, 242 BGB) begründet, der auch im Verhältnis zwischen Vorkaufsberechtigtem und Vorkaufsverpflichtetem nicht außer Betracht bleiben kann. Er ist damit den in der Literatur auf breiter Ebene vertretenen Meinungen gefolgt, die zwar nach Umfang und Begründung teilweise differieren, aber alle __________ 18 BGH, Urt. v. 11.12.1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540 (541); BGH, Urt. v. 14.11.1969 – V ZR 115/66, WM 1970, 321. 19 Vgl. z. B. H. P. Westermann in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. 1995, § 504 Rz. 18; Soergel/Huber, 12. Aufl. 1991, § 504 Rz. 39; Schurig, Das Vorkaufsrecht im Privatrecht, 1975, 159 ff.; Staudinger/Mader, BGB 1995, § 504 Rz. 19 ff.

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das vom Bundesgerichtshof gefundene Ergebnis decken20. Er hat diese Rechtsprechung fortgeführt21 und dazu weitgehend Zustimmung gefunden22. Schermaier23 hat dem Bundesgerichtshof vorgeworfen, er habe das notwendige subjektive Element eines Umgehungsgeschäfts nicht beachtet. Der Vorkaufsverpflichtete sei frei in seiner Entscheidung, ob er verkaufe. Nur wenn er tatsächlich verkaufen wolle, binde ihn die Vorkaufsabrede dahin, wie er veräußere. Er dürfe dann nur die Form des Kaufvertrages wählen. Ich halte diese Kritik nicht für berechtigt. Auch der Bundesgerichtshof führt aus, dass von einem kaufähnlichen Geschäft nur dann ausgegangen werden kann, wenn ein interessengerechtes Verständnis der gewählten Vertragsgestaltung zu dem Ergebnis führt, dass „allen formellen Vereinbarungen zum Trotz der Wille der Vertragsschließenden auf eine Eigentumsübertragung gegen Zahlung eines bestimmten Preises gerichtet war“24. Auch im Ausgangsurteil25 drängte sich ein solcher Wille der Beteiligten geradezu auf und wurde deshalb nur noch beiläufig dahin erwähnt, dass die Vertragsgestaltung insgesamt den Willen der Parteien zeige, eine entgeltliche Veräußerung abzuschließen und auch zu vollziehen. Es wird immer eine Frage des Einzelfalles bleiben, ob sich ein kaufähnliches Umgehungsgeschäft feststellen lässt. So hat der Bundesgerichtshof in jüngster Zeit ein solches Geschäft in einem Fall verneint, in dem die Vertragsparteien eine auf 99 Jahre befristete Ausbeutungsdienstbarkeit (Steinbruch) gegen ein in zehn Jahresraten zu zahlendes Entgelt bestellten26. Im Rahmen dieses Überblicks macht es wenig Sinn, weitere Einzelfälle27 abzuhandeln. Auch im Verwaltungsrecht hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu kaufähnlichen Geschäften im Rahmen des gesetzlichen Vor__________ 20 BGH, Urt. v. 11.10.1991 – V ZR 127/90, BGHZ 115, 335 (339 ff.) m. w. N. 21 BGH, Urt. v. 20.3.1998 – V ZR 25/97, WM 1998, 1189. 22 Mayer-Maly, EwiR 1992, 151 ff.; Hegmanns, WuB IV A § 1100 BGB 1.92; Grunewald in FS Gernhuber 1993, 140; Mit teilweiser Kritik an der Begründung auch Probst, JR 1992, 419 ff. und Schermaier in AcP 196, 257. 23 AcP 196, 257. 24 BGH, Urt. v. 20.3.1998 – V ZR 25/97, WM 1998, 1189 (1192); BGH, Urt. v. 26.9.2003 – V ZR 70/03, NJW 2003, 3769 (3770). 25 BGH, Urt. v. 11.10.1991 – V ZR 127/90, BGHZ 115, 335. 26 BGH, Urt. v. 26.9.2003 – V ZR 70/03, NJW 2003, 3769. 27 Vgl. dazu Hees, Die vertragstypologische Bestimmung des Vorkaufsfalles und die Wirkungen einzelner Vereinbarungen und Störungen des Drittvertrages für das Vorkaufsverhältnis, Diss. 1991, 45.

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kaufsrechts nach § 24 BauGB Fuß gefasst28. Im Rahmen eines Vorkaufsfalles nach Art. 34 BayNatSchG behandelt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen als Tauschvertrag ausgestalteten Vertrag mit einer Tauschaufgabe von 400 000 DM als kaufähnliches Geschäft, weil er die Geldleistung als eindeutige Hauptleistung einstuft. Die zusätzliche Tauschleistung objektiv nahezu wertloser Naturschutzflächen sei kein ins Gewicht fallender Vorteil und nur zu dem Zweck vereinbart, die Vorkaufsrechtsausübung zu vereiteln. Sie könne deshalb ohne weiteres nach § 507 BGB a. F. (nun § 466 BGB) behandelt werden29.

VII. Verleidung des Vorkaufsrechts durch einzelne Abreden Nicht selten sind jene Fälle, in denen die Parteien des Drittvertrages zwar nicht den gesamten Charakter des Veräußerungsvertrages zu vertuschen suchen, sondern einzelne Regelungen so gestalten, dass damit dem Berechtigten die Ausübung des Vorkaufsrechts verleidet werden soll. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass auch einzelne Vertragsbestimmungen, die lediglich zu dem Zweck vereinbart wurden, einem Berechtigten die Ausübung seines Vorkaufsrechts zu vereiteln, wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein können30.

1. Fremdkörpertheorie Unabhängig von der oft nur schwer nachzuweisenden Sittenwidrigkeit wurde aber auch ein anderer Weg beschritten. Den Vorkaufsberechtigten verpflichten solche Bestimmungen des Erstvertrages nicht, die wesensgemäß nicht zum Kaufvertrag gehören und sich darin als Fremdkörper darstellen. Das ist in der Regel der Fall bei einer Vertragsgestaltung, die völlig außerhalb des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung des Kaufs liegt, so nur für den Vorkaufsfall getroffen wurde und den Parteien des Erstvertrages bei dessen Durchführung keine irgendwie gearteten Vorteile bringt31. Insoweit ist jedoch __________ 28 Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 24 Rz. 53; Lemell in BerlinKomm/BauGB, 2. Aufl. 1995, § 24 Rz. 2. 29 BayVGH, Urt. v. 26.9.1995 – V 9 B 93.2828, NJW1996, 2331. 30 BGH, Urt. v. 20.6.1962 – V ZR 157/60, WM 1962, 1091 (1094); BGH, Urt. v. 16.11.1965 – V ZR 26/63, WM 1966, 72 (74); BGH, Urt. v. 2.7.1970 – III ZR 42/67, WM 1970, 1315 (1318). 31 BGH, Urt. v. 13.6.1980 – V ZR 11/79, BGHZ 77, 359 (362).

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Vorsicht geboten. Der Bundesgerichtshof hat die Anwendung des Fremdkörpergedankens auch schon in einer Reihe von Fällen abgelehnt. So bei der Vereinbarung einer Bier- und Getränkebezugsverpflichtung in einem Vorpachtfall32 und bei einer Vereinbarung, durch die sich ein Erstkäufer in Form einer sogenannten Maklerklausel verpflichtete, an den Makler Provision zu zahlen33.

2. Umgehung des § 465 BGB Grundsätzlich muss der Vorkaufsberechtigte alle Bestimmungen akzeptieren, die der Verpflichtete mit dem Dritten vereinbart hat (§ 464 Abs. 2 BGB). Hielte man diesen Grundsatz uneingeschränkt durch, so erwüchse hieraus die Möglichkeit, durch Vereinbarungen den Vorkaufsfall zu beseitigen, wenn der Berechtigte von seinem Recht Gebrauch macht. Ob man das durch eine auflösende Bedingung oder durch Vereinbarung eines Rücktrittsrechts für den Verpflichteten löst, ist irrelevant. Solche Vereinbarungen sind zwar im Verhältnis der Vertragsparteien empfehlenswert (zum Ausschluss einer Haftung des Verpflichteten gegenüber dem Erstkäufer) und auch wirksam, dem Vorkaufsberechtigten gegenüber aber unwirksam (§ 465 BGB). Dieser Gedanke ist verallgemeinerungsfähig. Auch eine einverständliche Aufhebung des Kaufvertrages wirkt nicht gegen den Vorkaufsberechtigten, und zwar auch dann nicht, wenn sie vor Ausübung des Vorkaufsrechtes erfolgt34. Auch einer Umgehung des § 465 BGB hat der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben. Haben etwa die Parteien mit einem für den Vorkaufsberechtigten handelnden vollmachtlosen Vertreter einen Erlassvertrag über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts abgeschlossen, um damit für den Fall der Nichtgenehmigung des Erlassvertrages auch eine Unwirksamkeit des damit in Rechtseinheit stehenden Kaufvertrages zu erreichen (§ 139 BGB), so ist dies dem Vorkaufsberechtigten gegenüber in analoger Anwendung von § 465 BGB unwirksam. Dies soll allerdings nur dann gelten, wenn die Parteien mit dieser Gestaltung eine Umgehung des § 465 BGB beabsichtigen. Erwarten sie auf sicherer Tatsachengrundlage die Erteilung der Genehmigung, liege keine Umgehung vor35. Dieses subjektive Element ist zweifelhaft36. Im unmittelbaren __________ 32 33 34 35 36

BGH, Urt. v. 25.11.1987 – VIII ZR 283/86, BGHZ 102, 237 (241). BGH, Urt. v. 14.12.1995 – III ZR 34/95, NJW 1996, 654 (655). So schon RG, Urt. v. 17.1.1920 – V 323/19, RGZ 98, 44 (50). BGH, Urt. v. 9.2.1990 – V ZR 274/88, BGHZ 110, 230 (233). Ablehnend Grunewald in FS Gernhuber 1993, 146; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl. 1991, § 506 Rz. 2.

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Anwendungsbereich von § 465 BGB spielt es keine Rolle, ob die Vertragsparteien „sicher erwarten“, dass das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt wird. Machen die Parteien des Erstkaufs diesen von dem Bestehen eines Vorkaufsrechtes abhängig (uneigentliche Bedingung), so gilt ebenfalls § 465 BGB, ohne dass es auf die subjektive Erwartungshaltung der Parteien ankommt37. Warum dies anders sein soll, wenn das Schicksal des Drittkaufs über § 139 BGB von der Wirksamkeit eines Erlassvertrages abhängt, ist nicht einzusehen. Auch damit knüpfen die Parteien letztlich den Drittkauf an den Bestand des Vorkaufsrechts.

3. Vertragsanpassung Die Parteien des Erstvertrages können durch entsprechende Vereinbarung, beispielsweise über einen vor der Ausübungsfrist (§ 469 Abs. 2 BGB) liegenden Erfüllungszeitpunkt und daran anknüpfende Rechte (vgl. § 323 Abs. 1 BGB), das Vorkaufsrecht nicht zu Fall bringen. Die vor der fristgerecht erklärten Ausübung des Vorkaufsrechts eintretende Fälligkeit des Kaufpreisanspruchs hat für den Vorkaufsberechtigten keine Wirkung. Er ist nur an eine Vertragsgestaltung gebunden, deren Erfüllung ihm bei fristgerechter Ausübung seines Rechts möglich bleibt. Vorgegebene Bedingungen sind auf den neuen mit dem Vorkaufsberechtigten zustande kommenden Vertrag nur derart übertragbar, dass sie sich auch nach diesem Vertrag noch erfüllen lassen. Die Kaufpreisfälligkeit kann daher immer erst nach Ausübung des Vorkaufsrechts eintreten38. Haben die Parteien des Erstvertrages allerdings sogenannte Vorfälligkeitszinsen vereinbart, so hat diese auch der Vorkäufer zu zahlen. Lediglich deren Fälligkeit ist entsprechend den obengenannten Grundsätzen anzupassen39.

VIII. Schluss Wie der kurze Überblick zeigt, ist die Umgehungsproblematik vielschichtig. Eine Zauberformel für alle Fallgestaltungen lässt sich nicht finden. Einerseits gilt es, an dem systemimmanenten Grundsatz festzuhalten, dass der Vorkaufsverpflichtete dem Berechtigten nicht die Ausübung seines Rechts ermöglichen und sich auch keine Abstriche an __________ 37 BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, WM 1987, 10 (13). 38 BGH, Urt. v. 8.10.1982 – V ZR 147/81, WM 1982, 1410 (1411). 39 BGH, Urt. v. 24.2.1995 – V ZR 244/93, NJW 1995, 1827.

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den getroffenen Abreden des Drittvertrages gefallen lassen muss. Andererseits darf dieser Grundsatz nicht als Deckmantel für Umgehungsversuche missbraucht werden. Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es wohl gelungen, im Rahmen des gesetzlich Möglichen auch den hinter der Vorkaufsabrede stehenden Abwehr- und Erwerbsinteressen des Berechtigten Geltung zu verschaffen.

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Der Vizepräsident Norbert Gross Inhaltsübersicht I. 1. 2. 3.

Das Verfassungsorgan Vizepräsidenten Vizekanzler Vize-Monarchen

II. 1. 2. 4.

Das Verwaltungsorgan Wirtschaft und Verbände Vikare Präsidentenamtsverweser und Vizepräsidenten bei Gericht

Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofs genießen hohes Ansehen. Sie nehmen den Platz unmittelbar nach dem Präsidenten ein. Präsident und Vizepräsident bilden ein Gespann und eine Kaste für sich. Über beiden liegt gleichermaßen präsidialer Glanz. Woher aber kommt das Amt eines Vizepräsidenten? Das üblicherweise zunächst herangezogene Gesetz verhält sich auffällig still. Das GVG kennt zwar den Präsidenten des Bundesgerichtshofs und bestimmt zudem, daß dieser mit der erforderlichen Zahl von Vorsitzenden Richtern und Bundesrichtern besetzt ist1. Über einen Vizepräsidenten schweigt sich das GVG jedoch gänzlich aus. Allein der farblose Ständige Vertreter des Präsidenten mit nur beratender Stimme im Präsidium und der Zuweisung einzelner Aufgaben2 läßt unbestimmt erahnen, daß zwischen notwendiger Funktion und präsidialer Amtsbezeichnung ein vom Gesetzgeber verschwiegener Zusammenhang besteht. Erst die Beschäftigung mit den Fußnoten eher entlegener gesetzlicher Bestimmungen3 __________ 1 § 124 GVG. 2 §§ 21 h, Satz 1, 21 Abs. 1 Satz 2 GVG. 3 Durch Art. I § 1 Nr. 30 des 2. Gesetzes zur Änderung beamten- und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 18.12.1963 (BGBL I S. 901) wurde die Amtsbezeichnung des Vizepräsidenten des BGH geschaffen, rückwirkend in Kraft getreten seit 1.4.1963 (Art VII Ziff. 5). § 19 a DRiG, eingefügt durch Gesetz vom 26.5.1972, Abs. 1 neu gefaßt durch Gesetz vom 22.12.1975, sieht zwar als Amtsbezeichnung allgemein einen „Vizepräsidenten des …“, nicht aber den des BGH vor. Erst das Zweite Gesetz zur Neuregelung des Besoldungsrechts (2. BesNG) v. 14.5.1969 (BGBL I S. 365) Anl 1 zu BesOrdnung B 8 und die Anlage III dort Fn. 2 unter Verweis auf Anl IX dort Fn. 2 zu R 8 des BBesG erledigte auch die bisher offen gebliebene besoldungsrechtliche Frage.

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liefert den nach der Lektüre des GVG schon nicht mehr erwarteten Nachweis, daß der Vizepräsident des Bundesgerichtshofs über eine solide, wenn auch eher versteckte gesetzliche Rechtfertigung für Funktion und Amt verfügt. Der Blick auf verwandte Institutionen in Geschichte und Gegenwart zeichnet zudem ein Bild, das vielfältiger nicht sein könnte und das die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen in Staat und Kirche, Welt und Recht miteinander verknüpft.

I. Das Verfassungsorgan Gesetzgeberische Diskretion und entsprechend unklare Vorstellungen der Öffentlichkeit sollen Anlaß für einen Rundblick sein, der Aufschluß über engere und weitere Verwandtschaften verschaffen kann. Während amerikanische Vizepräsidenten, deutsche Vizekanzler, ja auch VizeAdmirale oder Vize-Konsuln jeweils feste Plätze in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit einzunehmen scheinen, verblaßt dieses Bild bei genauerer Sicht.

1. Vizepräsidenten Schon der amerikanische Vizepräsident gibt Rätsel auf. Im Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit wird der Vice-President of the United States nicht etwa positiv, sondern eindeutig negativ definiert. Seit die amerikanische Verfassung den Vizepräsidenten schuf, war die Frage nicht verstummt, wozu es ihn überhaupt gibt. John Adams4, erster Vizepräsident des Präsidenten George Washington und auch dessen Nachfolger als Präsident, meinte, dieses Amt sei das „unbedeutendste, das der menschliche Erfindungsgeist je geschaffen habe“5. Harry Truman6, Vizepräsident von Franklin D. Roosevelt und ebenfalls dessen __________ 4 John Adams, 1735–1826. Zusammen mit dem Präsidenten George Washington 1788 erster Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Zum US-Präsidenten gewählt 1794–1801; vgl. Biographical Directory of the United States Congress 1774–1989 Bicentennial Edition, US Government Printing Office 1989 S. 512. 5 Zit. nach Duhamel/Mény, Dictionnaire Constitutionnel, 1992: Vice-Président des Etats-Unis. 6 Harry S. Truman, 1884–1972, Vizepräsident und 33. Präsident der Vereinigten Staaten; 1944 für die Demokratische Partei zusammen mit Franklin D. Roosevelt zum Vizepräsidenten gewählt, Amtsantritt 20.1.1945 und nach dem Tode von Präsident Roosevelt am 12.4.1945 Präsident der Vereinigten Staaten, der

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Nachfolger, prägte sogar den eher rustikalen Vergleich, das Amt sei „das fünfte Euter einer Milchkuh“7. Die Verfassung der Vereinigten Staaten übertrug ihm zwar den Vorsitz im Senat; außer bei Stimmengleichheit hatte er jedoch nicht einmal ein Stimmrecht. Einzig im Falle von Rücktritt, Tod oder Amtsenthebung des Präsidenten – immerhin 9 mal bei bisher 43 Präsidenten – durfte die große Stunde des Vizepräsidenten schlagen und er rückte dem verstorbenen Präsidenten im Amte nach. Seit einer Verfassungsänderung durch den 25. Verfassungszusatz im Jahre 1967 kann der Vizepräsident den Präsidenten der Vereinigten Staaten jedoch auch dann vertreten, wenn dieser aus anderen Gründen an der Ausübung seines Amtes verhindert ist8. So trat Im Jahre 1985 Vice-President George Bush sen. für ganze acht Stunden an die Stelle des Präsidenten Reagan, als dieser sich einer Operation unter Vollnarkose unterziehen mußte. Der Vice-President der Vereinigten Staaten, von manchen auch vor der Wahl als der running mate des Präsidenten bezeichnet, gleicht daher auch heute noch eher einem Reservespieler am Rande des Footballfeldes als einem aktiven Verfassungsorgan. Nur über die Leiche des Präsidenten, etwas feinfühliger ausgedrückt, nur durch einen Herzschlag von diesem getrennt, kann es ihm gelingen, in sein Amt zu schreiten. Die historisch belegte Wahrscheinlichkeit von rund 20 % wiegt den Mangel an aktueller Kompetenz allerdings durchaus auf. Der deutsche Bundespräsident hingegen, auf verschlungenen Wegen nominiert und ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt, hat keinen Vize-Bundespräsidenten. Nüchtern, abstrakt und lückenhaft stellt das Grundgesetz fest, daß die Befugnisse des Bundespräsidenten im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen werden9. Damit hat sich das Grundgesetz gegen einen eigenständigen Vizepräsidenten __________ er nach seiner Wahl zum Präsidenten 1948–1953 blieb, vgl. Biographical Directory a. a. O. S. 1956. 7 Zit. nach Duhamel/Mény, Dictionnaire Constitutionnel, 1992. 8 Hierzu Kramer Goldstein J., The Modern American Vice-Presidency: The Tranformation of a Political Institution, Princeton, NJ. Princeton University Press. 1982; Art. I. Sect. 3 Abs. 4. 9 Art. 57 GG. Damit entschied sich der Parlamentarische Rat gegen eine Vertretung durch den Regierungschef oder den Präsidenten des höchsten Gerichts. Diese höchst lückenhafte Regelung beklagt Herzog in Maunz-Dürig, GG Art. 57 Rz. 3, die er eine bedauerliche Unempfindlichkeit für eine so schwierige Frage nennt.

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der Bundesrepublik Deutschland entschieden10. Da dieser jährlich wechselt und damit naturgemäß die Person hinter der Funktion zurücktritt, bleibt für einen mehr als nur kurzzeitigen Vize-Bundespräsidenten kein Raum. Auch die Weimarer Reichsverfassung 1919 kannte keinen Vize-Reichspräsidenten. Sie machte vielmehr den amtierenden Reichskanzler zum Verhinderungsvertreter des allgemein und direkt gewählten Reichspräsidenten11. Im Ernstfall wäre daher die erhebliche Machtfülle des Wahlmonarchen Hindenburg mit den Befugnissen des jeweiligen Reichskanzlers zusammengefallen. Erst der aus den Wahlen vom November 1932 hervorgegangene Reichstag beschloß mit der vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheit die Änderung des bisherigen Art. 51 WRV und ersetzte ihn durch eine Bestimmung, wonach anstelle des Reichskanzlers nunmehr der Präsident des Reichsgerichts der allgemeine Verhinderungsvertreter des deutschen Reichspräsidenten sein sollte12. Mit Blick auf den damals 86-jährigen Reichspräsidenten v. Hindenburg kam dieser einmalige und heute merkwürdig klingende Kompromiß allen Parteien von rechts bis links gelegen. Im Falle des Ablebens des Reichspräsidenten sollte die nach der Weimarer Reichsverfassung sorgfältig austarierte Machtbalance zwischen Reichspräsident und Reichskanzler nicht in einer Hand zusammenfallen. Das Amt des Präsidenten des Reichsgerichts schien Gewähr dafür zu bieten, daß bis zur Wahl eines neuen Reichspräsidenten verfassungsrechtliche und nicht politische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen würden. Für die kurze restliche Lebensdauer der Weimarer Reichsverfassung wurde der Präsident des Reichsgerichts damit der jeweils vorgesehene allgemeine Vertreter des Reichspräsidenten. Nicht einmal in Ansätzen ist darüber nachgedacht worden, den Präsidenten des Reichsgerichts von nun an als ReichsVizepräsidenten zu bezeichnen. Auch Europa soll künftig einen europäischen Vizepräsidenten erhalten. Der Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa (VVE) sieht vor, daß die künftige Kommission aus dem Präsidenten, dem Außenminister und 13 europäischen Kommissaren besteht und daß der Außenminister zugleich der Vizepräsident der Kommission ist13. Ob in Zukunft aus Gründen politischen Ausgleichs neben diesen echten Vize__________ 10 11 12 13

Herzog in Maunz-Dürig, GG Art. 57, Rz. 6. Art. 51 Abs. 1 und 2 WRV (1919). Art. 51 Abs. 1 und 2 WRV (1932). Art. I – 25 VVE, hierzu auch Fn. 37, sofern der VVE je in Kraft treten wird.

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präsidenten weitere Titular-Vizepräsidenten der Kommission treten werden, wird von den Forderungen der bei der Besetzung der Ämter von Präsident und Kommissaren nicht berücksichtigten Mitgliedsstaaten und deren Koalitionen abhängen.

2. Vizekanzler Der deutsche Vizekanzler ist der Öffentlichkeit ein Begriff. Das liegt weniger an einer allgemein verbreiteten Kenntnis der Funktion als daran, daß der deutsche Vizekanzler personenunabhängig in den Medien deshalb besonders präsent ist, weil er im Regelfall der Protagonist des nach den Bundestagswahlen aus zähen Verhandlungen hervorgegangenen und dabei ins öffentliche Rampenlicht gerückten kleineren Koalitionspartners ist14. Dem Grundgesetz ist dagegen ein Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland völlig unbekannt. Die Verfassung bestimmt nur knapp, daß der Bundeskanzler (irgend-)einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter ernennt15. Darüber hinaus schweigt sich das Grundgesetz aber darüber aus, in welchen Fällen die Stellvertretung des Bundeskanzlers zum Tragen kommen soll. Erst die Geschäftsordnung der Bundesregierung konkretisiert den Vertretungsfall. Nur bei allgemeiner Verhinderung des Kanzlers steht ihm die Gesamtvertretung und die Vertretung im Vorsitz der Kabinettssitzung zu16. Im übrigen beschränkt sich seine Vertretungsmacht auf den vom Kanzler im Einzelfall bestimmten Umfang17. Folgerichtig wird der Vizekanzler, anders als bei der Kabinettsbildung, ohne Mitwirkung des Bundespräsidenten allein durch den Kanzler ernannt; gegen ihn kann ein Mißtrauensvotum nicht beantragt werden; auch die Vertrauensfrage zu stellen ist ihm versagt18. All dies sind „Privilegien“ des Kanzlers. Anders als z. B. der Vizepräsident der Vereinigten Staaten hat der deutsche Vizekanzler keinerlei eigene, über die eines Ministers hinausgehenden Amtsbefugnisse, __________ 14 Bis auf die 3. und 4. Regierung Adenauer (1957–1963 mit Ludwig Erhard als Vizekanzler) war das Vizekanzleramt bisher stets mit einer führenden Persönlichkeit des kleineren Koalitionspartners besetzt; vgl. Übersicht bei v. Münch/ Kunig, GG 3. Aufl. Art. 69 Statist. Angaben und Mangold/Klein/Starck Bonner GG, 4. Aufl. 2000, Art. 69 Rz. 7. 15 Art. 69 Abs. 1 GG, allgemein als lückenhaft beurteilt. 16 §§ 8, 22 Abs. 1 GO BReg. 17 So für die „Ergänzungsvertretung“ bei einzelnen Amtsgeschäften. Bei der „Ersatzvertretung“ nimmt der Vizekanzler alle Geschäfte statt des Bundeskanzlers wahr, vgl. Herzog in Maunz-Dürig, GG Art. 69 Rz. 20, 21. 18 Herzog in Maunz-Dürig, GG Art. 69 Rz. 12.

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sondern wird erst im Vertretungsfall mit der Wahrnehmung der Funktionen des Bundeskanzlers betraut19. Von einem Amt des Vizekanzlers zu sprechen, ist daher unzutreffend. Nur im Verhinderungsfall wird aus dem Funktionsstellvertreter ein „Ersatz-Kanzler“ und erst dann ein Amt. Damit wird deutlich, daß der Vizekanzler nicht derselben Klasse wie sein Kanzler angehört. Den Erwählten und den Ernannten trennen – verfassungsrechtlich – Lichtjahre. Die Reichsverfassung 1871 mit ihrem bündisch-monarchischen Konzept war noch völlig andere Wege gegangen. Ein verfassungsrechtlich bestimmtes Vertretungsorgan war überhaupt nicht vorgesehen. Lediglich für den Vorsitz im Bundesrat war bestimmt, daß der Reichskanzler sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrates in fast bürgerlichrechtlicher Weise „vermöge schriftlicher Substitution“ vertreten lassen konnte20. Eine Vertretung in der ungleich wichtigeren „Leitung der Geschäfte“ sah die Verfassung dagegen nicht vor. Weder gab es daher einen von der Verfassung bestimmten Generalstellvertreter noch einen sonstigen Einzelfall-Vertreter des Reichskanzlers, der etwa als mit schriftlicher Vollmacht ausgestatteter Bevollmächtigter einzelne Funktionen des Kanzleramtes hätte ausüben können. Nur für den schmalen Bereich des Vorsitzes im Bundesrat war eine fast gewillkürt zu nennende Aufgabendelegation möglich. Einen Vize-Bismarck mußte der erste Kanzler des Reiches schon deshalb nicht vorsehen, weil das Amt des Kanzlers selbst vom Willen des Kaisers abhing. Der Kaiser, nicht Volk oder Parlament, hatte den verhinderten Kanzler zu ersetzen. Nicht nur Bismarck, auch das monarchische Prinzip ließen keinen Raum für einen Vizekanzler. Erst praktische Bedürfnisse haben dazu geführt, daß durch Reichsgesetz vom 17.3.1878 für den Fall der „Behinderung“ ein Generalstellvertreter zugelassen wurde. Den Behinderungsfall konnte nur der Reichskanzler selbst feststellen. Er allein konnte daher einen oder mehrere Stellvertreter verlangen, brauchte sich solche aber nicht – auch nicht vom Kaiser – gefallen zu lassen. Erstmals taucht für den Generalstellvertreter der Begriff des „Vicekanzlers“ auf21, ohne sich allerdings noch durchzusetzen. __________ 19 Vgl. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, § 69 Rz. 3. Völlig ungeregelt ist die Frage, was im Falle einer Verhinderung von Bundeskanzler und Vizekanzler zu geschehen hat, Herzog in Maunz-Dürig, GG Art. 69 Rz. 19. 20 Art. 15 Abs. 2 RV (1871). 21 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl. 1901 Bd. 1, S. 356, 357.

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Anders als das Grundgesetz und – wenigstens in Ansätzen – die Reichsverfassung 1871 kannte die Weimarer Reichsverfassung 1919 für den Reichskanzler überhaupt keine Regelung der Stellvertretung22. Die Reichsregierung bestand vielmehr aus dem Reichskanzler und den Reichsministern, die jeweils sowohl über das Vertrauen des Reichspräsidenten wie des Reichstags verfügen mußten. Daher stand nichts entgegen, daß Reichspräsident und Reichskanzler gemeinsam einen Generalstellvertreter des Kanzlers aus dem Kreis der Reichsminister bestimmten, den „Vizekanzler“ zu nennen jedenfalls nicht untersagt war. In der Verfassung nicht vorgesehen, konnte der so aus der Taufe gehobene Vizekanzler damit zu einem wichtigen Element bei der außerordentlich schwierigen Bildung politischer Koalitionen in der Weimarer Republik werden. Durch eine politisch bedingte staatsrechtliche Erfindung wurde auf Vorschlag des Reichskanzlers Franz von Papen durch den Reichspräsidenten in der ersten Regierung Hitler am 30.1.1933 mit illusionären Ansprüchen zum Generalstellvertreter des Kanzlers mit der Bezeichnung Vizekanzler23 ernannt. Bei dieser verfassungshistorischen Genealogie mit ihrer stiefmütterlichen Behandlung des Vizekanzlers im geschriebenen Verfassungsrecht ist es überraschend, wie sehr die öffentliche Meinung und die gelebte Verfassung den diskretionär bestimmten Verhinderungsvertreter des Kanzlers inzwischen als verfassungsrechtlich belegten Teil der Exekutive akzeptiert haben. Der Weg von der Reichsverfassung 1871 mit einem schmalbrüstigen Substitutionsvertreter über den von Reichspräsident und Reichskanzler gekürten Generalstellvertreter der Weimarer Reichsverfassung 1919 bis hin zu dem verfassungshistorischen Novum des im Grundgesetz 1949 erstmals vorgesehenen Stellvertreters des Bundeskanzlers ist weit, hat aber noch nicht zum Eingang eines Vizekanzlers in die Verfassung und schon gar nicht zu einer kohärenten Lehre von der Stellvertretung in Staat und Verwaltung geführt24.

__________ 22 Art. 51 Abs. 1 Satz 1 WRV. Bei längerer Verhinderung ist die Vertretung durch Reichsgesetz zu regeln (Art. 51 Abs. 1 Satz 2 WRV). Bei Verhinderung des Reichskanzlers tritt dessen Generalstellvertreter für ihn ein, Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933 Art. 51 Rz. 4. 23 Rein, Franz von Papen im Zwielicht der Geschichte, Baden-Baden 1979; ders., Weimar – rechtsgeschichtlich dokumentiert, Stuttgart/München/Hannover/ Berlin 1991. 24 Allg. hierzu Rainer Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, 1971.

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Auch auf der Ebene der Bundesländer hat man noch nie etwas von VizeMinister-Präsidenten, wohl aber von Kronprinzen oder Thronanwärtern gehört, die diesen Titel allerdings kaum auf ihre Visitenkarte drucken wollen. Die Bezeichnung verfügt über eine allzu monarchische Konnotation und gibt zudem Raum für finstere Verdächtigungen. Die Landesverfassungen übergehen diskret den Verhinderungsfall, den Verfassung und politische Praxis durch die Schaffung eines stellvertretenden Ministerpräsidenten25 gelöst haben.

3. Vize-Monarchen Daß der deutsche Kaiser des Bismarck-Reiches, Monarch von Gottes Gnaden, keinen Vize-Kaiser, sondern allenfalls bei seinem Wegfall ohne monarchischen Ersatz einen nach preußischem Staatsrecht funktionsbevollmächtigten Regenten zulassen konnte26, liegt ebenso auf der Hand wie der Umstand, daß Napoleon I. keinen vice-empereur oder Zar Alexander I. keinen Vize-Zar dulden konnten. Schließlich hat auch die französische Verfassung 1958 für den unmittelbar gewählten Präsidenten der französischen Republik keinen Vice-Président vorgesehen. Der Gestalter der Verfassung der V. Republik, Général de Gaulle, hätte seine präsidiale und durch allgemeine Volkswahl demokratisch legitimierte Würde auch kaum mit jemandem teilen wollen. Als allgemeiner Verhinderungsvertreter ist daher der Präsident des Senats und bei dessen Verhinderung die Regierung insgesamt, also als Kollektiv, bestimmt27. Nur der Volksmund erfand für den Minister Roulier des Kaisers Napoleon III. den zwar den faktischen Verhältnissen entsprechenden, aber dennoch etwas spöttisch gemeinten Titel eines viceempereur. Der Name des Ministers fiel ebenso wie sein Titel alsbald dem Vergessen anheim und der Abschaffung des II. Kaiserreiches zum Opfer. Die wenigen Ausnahmen von der Regel, daß lang- oder kurzlebige Monarchien und Wahlmonarchien neben sich keinen Vize-Monarchen dulden, sind keineswegs staatsrechtlich bedingt, sondern nehmen auf die praktischen Bedürfnisse weit verzweigter Kolonialreiche Rücksicht. __________ 25 Z. B. für Baden-Württemberg Art. 45 Abs. 2, 46 Abs. 2 Satz 2 LVerf. 26 Dazu Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl. 1901 Bd. 1, S. 201. 27 Art. 7 Abs. 4 der Verfassung der Französischen Republik vom 4.10.1958 idF des Gesetzes vom 6.11.1962.

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Schon die Römer schickten ihre Pro-Konsuln in die entfernten Provinzen. Die Portugiesen entsandten Vasco da Gama noch einmal als VizeKönig nach Indien, wo er kurz nach seiner Ankunft an Heiligabend 1524 verstarb. Im spanischen Kolonialreich war der Vize-König der oberste Vertreter der Krone in einem der amerikanischen Vize-Königreiche und ersetzte die etwas unbequem gewordenen Konquistadoren28. Spanisch-Amerika war zunächst in zwei, später in vier Vize-Königreiche gegliedert. Erster Vize-König der neu entdeckten Länder in „Westindien“ war Christoph Columbus. Napoleon, der für sein kaiserliches Amt keinen Vize zuließ, sah dagegen keine Bedenken, zahlreiche Mitglieder der Familie Bonaparte zu Königen von Neapel, Holland, Westfalen oder Spanien zu machen. Nur der Mangel an geeigneten Thronen ließ in ihm den Entschluß reifen, seinen Stiefsohn Eugène zum Vizekönig von Italien mit Sitz in Mailand zu machen, dessen König er, Napoleon, bereits war. Nach dem Sturz Napoleons, zu dem der inzwischen abgedankte Vizekönig Eugène durch seine bloße Abwesenheit nichts beitragen konnte, wurde er als Gegenleistung für diese Verdienste 1817 von den zurückgekehrten Bourbonen mit dem mindestens ebenso klangvollen Titel eines Herzogs von Leuchtenberg und Fürst von Eichstädt belohnt. Völlig anders verfuhr der hannoveraner und zugleich englische König Wilhelm IV., der 1831 seinen Bruder, den Herzog von Cambridge, zum Vice-König von Hannover ernannte29. Das war wohl eher als brüderliche Auszeichnung denn als Verwaltungsauftrag gemeint. Noch im 20. Jahrhundert erfanden die Engländer zur Stärkung ihres dahinsiechenden Empire einen Governor General in Council, meist Vizekönig von Indien genannt, dessen letzte Aufgabe es war, sich in durchaus königlicher Form aus jenem Lande zu verabschieden. Letzter britischer Vizekönig von Indien war ein Enkel von Königin Viktoria und direkter Nachfahre Karls des Großen, Lord Louis Mountbatten, der die Teilung des Landes in einen islamischen und einen hinduistischen Teil vorschlug und daraufhin das Land verließ. __________ 28 Hierauf weist Encyclopaedia Universalis hin, Paris 1990: Vice-Roi S. 3634. 29 Durch Patent vom 22.2.1831 ernannte „Wilhelm IV., von Gottes Gnaden König des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland etc., auch König von Hannover, Herzog von Braunschweig und Lüneburg etc., seinen vielgeliebten Bruder und Herzog von Cambridge zum Vice-König von Hannover“, abgedr. in Sammlung der Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das Königreich Hannover 1831 Nr. 5 S. 13.

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Bei dieser bunten Artenvielfalt an Vizekönigen verwundert es nicht, daß auch die Natur bereichernd beigetragen hat. Unter Viceroy versteht die Schmetterlingswissenschaft eine amerikanische Schmetterlingsart, Basilarchia Archippus, die durch eine herausragend schöne rotschwarze Färbung auffällt30. Auch die Natur hat demnach ihre Vizekönige. Die genannten Beispiele zeigen, daß weder eine unmittelbare demokratische Legitimation durch allgemeine Wahlen noch das monarchische Prinzip, aber auch nicht der demokratisch-monarchische Kompromiß einer monarchie élective temporaire einen guten Nährboden für einen Vizepräsidenten abgeben. Genese und Legitimation müssen daher andere Wurzeln haben.

II. Das Verwaltungsorgan An der Wiege aller Vizepräsidenten heutigen Zuschnitts stehen Verwaltung, Justiz und zweitausend Jahre Kirchengeschichte. Selbst das moderne Business, aber auch die Philologen haben ihren Beitrag geleistet.

1. Wirtschaft und Verbände Das Dorado der Vizepräsidenten ist das moderne Geschäftsleben und die damit zwillingshaft verbundenen Verbände nationaler oder internationaler Prägung. Anglo-amerikanische global players haben ursprünglich den Vice-President erfunden, der sich auch bei seinen kontinentaleuropäischen Imitatoren inzwischen so großer Beliebtheit erfreut, daß hinter der inflatorischen Fülle der Erscheinungsformen der Inhalt weit zurücktritt. Der Titel Vice-President ziert heute schon die Visitenkarten jüngerer Executives und hat bereits Satellitenbildungen wie den Assistant Vice-President oder den Executive Vice-President hervorgebracht31. Dunkel bleibt meist die wirkliche Bedeutung dieser Titelspielerein, die zu letztlich leeren Schmuckschablonen und Visitenkartenzierrat verschwimmen. Kenner würden im Vice-President gerne den „second in command“ sehen, räumen aber ein, daß die Reichweite bis __________ 30 Colliers Encyclopaedia, New York/Toronto/Sidney, Band 23, 1995: Viceroy. 31 Beck, Von der Eselsvollmacht zum Vice President, FAZ 3.4.2004, S. 19.

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hin zu „one of innumberable subordinates“ geht32. Bei Fehlen einer überzeugenden deutschen Übersetzung und vor allem eines klaren Funktionsbildes wird heute empfohlen33, von einer Übersetzung völlig abzusehen und den Vice-President, den Executive, Senior oder Assistant Vice-President in seiner konturenlosen Urform zu belassen. Auch die Verbände auf nationaler oder internationaler Ebene haben ihre Vizepräsidenten. Mitgliederstruktur, Verbandspolitik und damit zusammenhängende Ausgleichsbemühungen führen zu dem Kuriosum, daß häufig nicht ein einziger Vizepräsident von der Satzung vorgesehen wird, sondern eine Vervielfachung bis auf drei, sechs oder gar mehr Vizepräsidenten stattfindet34. Um die Übersicht nicht zu verlieren, wird gelegentlich auch zu dem Kunstgriff einer Rangfolge unter den Vizepräsidenten gegriffen und die Figur eines Ersten Vizepräsidenten geschaffen35. Naturgemäß eignet sich dieses Mittel nur, wenn ein Präsident – gelegentlich auch Präses36 genannt – an der Spitze des Verbandes steht. Ein bloßer Chairman oder Vorsitzender nach englischem oder deutschem Sprachgebrauch genügt dem nicht mit der Folge, daß diese schönen und unprätentiösen Bezeichnungen auf internationaler Ebene __________ 32 Schäfer, Wirtschafts-Wörterbuch, Bd. 1 Englisch/Deutsch, 6. Aufl. 1998: Vice President. 33 Schäfer, Wirtschafts-Wörterbuch, Bd. 1 Englisch/Deutsch, 6. Aufl. 1998: no equivalent in Germany; so do not translate. 34 Beispiele: § 108 Abs. 2 HandwO sieht zwei Vizepräsidenten mit jeweils definierter Gruppenzugehörigkeit vor. § 6 IHK-G verweist auf die Satzungen der örtlichen IHK, die davon gerne Gebrauch machen. Die IHK Karlsruhe verfügt neben dem Präsidenten der IHK über einen „Ersten Vizepräsidenten“ und „bis zu sieben weiteren Vizepräsidenten“ (§ 9 Abs. 1 Satzung 1978/2004), die jeweils bestimmten regionalen und fachgruppenspezifischen Merkmalen genügen müssen (§ 9 Abs. 2 und 3). Die BRAK hat mindestens drei, derzeit tatsächlich vier Vizepräsidenten (§ 179 Abs. 2 Ziff. 2, Abs. 4 BRAO), der DAV z. Zt. sechs Vizepräsidenten (§ 16 Abs. 4 DAV-Satzung). Die RAK beim BGH hat nur einen (§ 174 Abs. 2 BRAO), andere RAK aber bis zu drei Vizepräsidenten (§ 78 Abs. 2 Ziff. 2, Abs. 3 BRAO). Entsprechendes gilt für sonstige nationale oder internationale Verbände, z. B. auch für das am 10.3.2004 gegründete Réseau des Présidents des Cours Suprêmes Judiciaires de l’Union Européenne, das über einen jeweils wechselnden Präsidenten und über mindestens zwei oder mehr (Art. 9 der Statuten), tatsächlich über insgesamt 6 Vizepräsidenten verfügt, letztere jeweils Präsidenten ihrer nationalen obersten Gerichtshöfe, s. Actes de l’Assemblée Constitutive du 10 mars 2004, Cour de Cassation, Paris 2004, J.O. 35 Z. B. § 9 Abs. 1 Satzung der IHK Karlsruhe. 36 § 6 IHK-G: Präsident oder Präses.

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mit der Erwägung aufgegeben werden, sie könnten in die französische Sprache ohnehin nur mit Président übertragen werden und seien ansonsten unverständlich37. Begründet wird diese Vervielfachung der Funktion mit zwei Argumenten: einerseits wird beklagt, daß heute ein Präsident allein kaum noch den zahlreichen Repräsentationsaufgaben nachkommen könne, die ihm abverlangt werden. Vizepräsidenten in diesem Sinne sind daher nicht Generalstellvertreter, sondern Einzelfall-Delegierte des Präsidenten. Andererseits nimmt diese Vervielfachung Rücksicht auf Strömungen im Verband selbst, wenn z. B. Minderheiten, die ansonsten zwar Sitz, aber keine gewichtige Stimme haben, statt dessen mit einer ehrenvollen Aufgabe bedacht werden. Business und Verbände sehen daher weniger die Stellvertreterfunktion als das quasi-präsidiale Ehrenamt, die Zugehörigkeit zu einem Präsidium, als das entscheidende Merkmal des Vizepräsidenten an, dem damit auf nationalem und internationalem Parkett der Auftritt in angemessener Augenhöhe gewährleistet wird.

2. Vikare 2.1 Keine größeren Schwierigkeiten bereitet es, den Vize auf seinen ethymologischen Ursprung zurückzuverfolgen. Von dem adverbialen vicis zur adjektivischen und schließlich substantivischen Bedeutung des VICARIUS ist nur ein kurzer Weg. Wie häufig, erschließt das schmale Wort der lateinischen Sprache eine ungeahnte Fülle unterschiedlicher Bedeutungen, jeweils unterlegt mit reichen Literaturstellen von Cicero bis zu den Digesten38. An Erfindungsreichtum standen die Römer dabei modernen Geschäfts- oder Verbandsstrategen keineswegs nach, sondern übertrafen sie deutlich. Die Grundbedeutung leuch__________ 37 So nach heißen Debatten die Begründung für die Bezeichnung des Präsidenten des Europäischen Rates gem. Art. I-21 VVE, vgl. Caspar Einem, Eine Verfassung für Europa. Anmerkungen zu ausgewählten Aspekten des Verfassungsentwurfs, Europarecht 2004, S. 202, 208. Europa soll daher künftig nicht nur einen, sondern zwei Präsidenten zählen, jeweils von Kommission und Rat. 38 Ausführl. Paulys Realencyclopädie der classische Altertumswissenschaft, neue Bearb. Stuttgart 1958, Zweite Reihe, 16. Halbbd.: Vicarius S. 2015 ff.; Robertus Stephanus, Thesaurus Linguae Latinae, Basileae, Tomus IV, MDCCXL III: Vicarius; Forcellani, Totius Latinitatis Lexicon, Tomus VI, Prati, MDCCCLV III – MDCCCLX: Vicarius; Du Change, Glossarium Mediae et infimae Latinitatis, Editio nova, Tomus VIII, Paris 1938: Vicarius.

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tet unmittelbar ein: Vicarius proprie est qui vicem alicuius gerit39. Das ist die korrekte Definition des Stellvertreters. Weiter geht es schon, wenn dare vicarios als die Zurverfügungstellung von (Ersatz)-Soldaten oder vicarius diligentiae meae succedit von Cicero als Nachfolge im Konsulat verstanden wird40. Noch weiter geht Papinian, wenn er den vicarius damni als Stellvertreter im Schadenersatz, also als schadenersatzbelasteten Dritten sieht41. Vom Glanz des Stellvertreters zeugt noch die Wendung, daß die vicarii zunächst noch als viri praefectissimi, später dann als viri clarissimi bezeichnet wurden42. Sonst ist davon gerade noch beim vicarius des praefectus praetorio Africae/Hispaniarum die Rede, während die übrigen Bedeutungen eher Last und Mühsal der Funktion wiedergeben. So wird vom laboris miserrimi vicarius, vom dominationis alienae vicarius und schließlich auch davon gesprochen, daß etiam vicariorum vicarii erant43, daß es also auch die Vikare der Vikare gab. Schon leuchtet eine weitere, ungewöhnliche Bedeutungsvariante auf. Der vicarius wird zum Unterbediensteten oder Untersklaven, den sich ein anderer Sklave, der servus ordinarius hält, der servus also, qui alterius servi vices gerit oder qui servo maiori in familia servit, bestenfalls also ein dominationis alienae vicarius44. Auch die weibliche Erscheinungsform des Untersklaven war schon bekannt: Etiam feminae fuerunt vicariae aliorum servorum45, deren edelste Form sich für ihren Gatten aufopfert: se pro coniuge vicariam dare46. Demgegenüber knüpft der Subvicarius47 in seiner mittelalterlichen staats- und kirchenrechtlichen Bedeutung nicht an den Untersklaven, sondern an die Stellvertreterfunktionen hoher Würdenträger an. Erst nachdem vicarii Christi dicti sunt Apostoli48, fängt der Siegeszug des Vicarius durch die Rechts- und Kirchengeschichte an. In der deutschen Sprache kommt der Vize in zahllosen, auch ungewöhnlichen Wortkombinationen vor, wie sie die Gebrüder Grimm in __________ 39 Cicero Rosc. 38. 40 Cicero zit. nach Georges, Ausführl. Lat.-Dt. Handwörterbuch 11. Aufl. Basel, Bd 2, 1962: Vicarius. 41 Papinian. Dig. 26, 7, 38. 42 Nachw bei Paulys Realencyclopädie, S. 2031. 43 Zit. nach Rob. Stephanus und Forcellani, Nr. 7. 44 Cicero zit. nach Rob. Stephanus; ausführl. Paulys Realencyclopädie, S. 2043 ff.: Der Vicarius als Sklave mit Beispielen zu dessen rechtlicher Behandlung. 45 Forcellani, Nr. 6. 46 Georges: Vicarius. 47 Du Change, S. 309. 48 Forcellani, Nr. 11.

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ihrem Wörterbuch49 dem Volke abgelauscht und peinlich genau aufgelistet haben. Während der Vitztum schon im Mittelalter auftrat und dem Lateinischen nachgebildet ist, sind die anderen Titel- und Würdenbezeichnungen bedeutend jünger, treten erst seit dem 16. Jahrhundert auf und sind zum Teil französischen, italienischen, spanischen und auch englischen Vorbildern nachgeahmt. Die Volks- und Soldatensprache kannte den Vize oder Vizerich in Alleinstellung bei Fortlassung des leicht zu ergänzenden zweiten Teils für den Feldwebel, in (früheren) süddeutschen Gasthäusern für den Gehülfen des Hausknechts, des Zuckerbäckers oder auch in Abwesenheit des Lehrers für den aufsichtsführenden besten Schüler. Daß es daneben auch Vize-Hebammen, den Vize-Spieß, den Vize-Sprecher als Vertreter des Stubenzensors in Lehrerseminaren und den Vize-Wachtmeister bei Kavallerie und Artillerie gab, versteht sich von selbst. Der Volksmund hat darüber hinaus den Vize-Wirt für den Hausmeister, den Vize-Vater oder Padre Vicario für den Ersatz- oder Stiefvater, ja sogar den Vize-Mann für den Liebhaber der Dame des Hauses geschaffen und schließlich hat Heinrich Heine spöttisch sogar das Vice-Lümpchen erfunden. In seiner kernigen Sprache geißelte der geistvolle Hofprediger und Augustiner-Barfüßer Abraham a Sancta Clara das schnöde Geld als Vice-Gott auf Erden, während andere bissig vom Papst als Vice-Gott zu Rom sprachen. Noch heute ehren traditionsbewußte Schützenvereine neben ihren Schützenkönigen auch deren Vize-Könige50. Auch der Sport kennt seine Vize-Welt-, Europa- oder deutsche Meister, häufig allerdings mit einem bitteren Unterton. Sieger in den Ausscheidungsrunden, ist der Vize immer nur der Verlierer des Endspiels. Er ist der zweite Sieger, nicht der Stellvertreter, vom Champion deutlich durch eine Niederlage getrennt, die eine unzutreffende Wortwahl nur versüßen soll. 2.2 Sehr viel strengere Bedeutungen kommen seit alters her dem Vikar als Verwaltungsorgan zu. Nach der diokletianischen Reichsreform war der Vicarius Stellvertreter des mächtigen praefectus praetorio. Die Kirche nahm an dem Verwaltungsaufbau des Spätreiches Modell und schuf den vicarius als Inhaber eines kirchlichen Hilfsamtes und als Träger der potestas ordinaria vicaria. Der Papst selbst nimmt dabei die Stelle eines Vicarius S. Petri oder auch Christi ein und konnte seinerseits __________ 49 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1913/1951 12. Bd, II. Abtlg., Stichwort: vizekönig. 50 Nachw. Grimm; auf dem Kriegerdenkmal vor der Friedrich-Realschule in Durlach sind noch zwei Vice-Feldwebel als gefallene Helden des 70er Krieges aufgeführt.

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dauernde oder interimistische Stellvertreter durch Delegation mit bestimmten Vollmachten der Kirchengewalt ausstatten51. Päpstliche Vikare sind der vicarius apostolicus, dessen vicarius delegatus, der ProVikar und der Vicarius Castrensis. Ständige Vikare sind der KardinalVikar, Stellvertreter des Papstes als Bischof von Rom, der vicarius generalis, der Generalvikar, der den Bischof allgemein vertritt und bis heute in der römischen Kirche die höchste Verwaltungsinstanz nach dem Bischof ist, ohne allerdings selbst Bischof zu sein. Daneben tritt der Kapitels-Vikar als interimistischer Oberhirte, der vicarius foraneus als Aufsichtsorgan des Bischofs über ein Teilgebiet der Diözese, letztlich also als Gebietsdekan. In seiner alten Bedeutung findet sich der vicarius apostolicus noch als der Notverwalter der katholischen Kirche im England der anglikanischen Staatskirche zwischen 1685 und 1850, bis auch dieser jahrhundertelange englische Kirchenkampf mit der Ernennung eines echten Erzbischofs anstelle einer diplomatischen Notlösung seine administrative Beendigung fand. Trotz der Nähe im praktischen Leben trennen Bischof und vicarius, wie den praefectus praetorio und dessen vicarius, aber auch wie Kanzler und Vizekanzler, ihre Legitimation. Auch die evangelischen Kirchenverfassungen kennen den Vikar für alle kirchlichen Ämter, als Präsidial-Vikar, als SuperintendenturVikar, üblicherweise aber als Pfarr-Vikar oder als Vikarin52. Die katholische Kirche hingegen ist über die maskuline Form des vicarius parochialis nicht hinausgegangen. Das Mittelalter hat, gestützt auf römische und kirchliche Verwaltungserfahrung, klangvolle und – auch ohne Amt – bis heute fortgeltende Vizetitel hervorgebracht. So wurde aus dem lateinischen vicecomes oder comitis vicarius der französische Vicomte53, der englische Viscount54, aus dem vizedominus der auch als Familienname vor allem __________ 51 Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 3. Aufl. Tübingen: Vikar; Lexikon für Theologie und Kirche II. Aufl. Freiburg 1965: Vikar; Handwörterbuch der Rechtsgeschichte 5. Bd 1998: Vikar. 52 Die Religion in Geschichte und Gegenwart: Vikarin. 53 Nouveau Larousse Illustré, Dictionnaire Universel Encyclopédique, Bd 7 Paris: Vicomte S. 1285; Trésor de la Langue Française, Dictionnaire de la langue française du XIXe et du XXe siècle (1789–1960), Bd 16 Paris 1994: Vicomte S. 1105. 54 A British nobleman ranking between an earl and a baron, The Concise Oxford Dictionary of Current English, Oxford 1990.

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in Bayern fortgeführte deutsche Vitztum55 und schließlich der klangund würdevollste von allen, der italienische Titel und Geschlechtername der Mailänder Visconti56. Die in alten Urkunden enthaltene Vertretungsformel vices oder in vicibus für die Umschreibung, daß an Stelle des abwesenden Funktionsträgers dessen Stellvertreter tätig wurde, wirkt demgegenüber eher schlicht. Dagegen führen der Reichsvikar und sein naher Verwandter, der Reichsverweser, wieder in die Blütezeit des Hochmittelalters und auf weltliches Terrain zurück. Erst die beginnende Abstraktion des Herrschaftsbegriffs mit ihrer Unterscheidung von Reich und König knüpfte an römische Funktionsvorstellungen an, so daß endlich in Umrissen die Ahnherren des heute von der Verfassung so stiefmütterlich behandelten Vizekanzlers erkannt werden können. Vacante imperio, im Falle der Thronerledigung, nahm der Vicarius oder Provisor imperio von Rechts wegen die Stelle des Königs ein. Entsprechendes galt, wenn der König an der Ausübung seiner Herrschaft verhindert war. Als König Wenzel im Jahre 1394 in Böhmen gefangen gesetzt wurde, gab Pfalzgraf Ruprecht, Kurfürst vom Rhein, bekannt, daß er nunmehr als Reichsvikar dessen Stelle einnehme. Für besondere Aufgaben konnte der König auch zur eigenen Entlastung Reichsvikare ernennen. Auf dem Reichstag von Koblenz bestellte Ludwig der Bayer 1338 sogar den englischen König Eduard III. zum Generalvikar des Reiches für die Gebiete links des Rheins. Auch später wurden immer wieder Reichsvikare für Böhmen oder Italien beauftragt, so daß das Institut des Reichsvikariats im Verlauf des alten Reiches eine immer größere Bedeutung gewann und Gegenstand einer Fülle wichtiger staatsrechtlicher Fragen und Streitigkeiten wurde57. Von Alters her stand dem Pfalzgraf bey Rin das Recht auf das Reichsvikariat zu. Damit sollte dem römischen Anspruch entgegengetreten werden, wonach der Papst, solange kein Kaiser vorhanden war, der natürliche Reichsvikar sei. Auf diesen Anspruch gestützt, bestellte Papst Clemens V. 1314 König Robert von Sizilien als Reichsvikar für Italien. Erst die goldene Bulle von 1356 regelte das Reichsvikariat dahin, daß bei Reichvakanz der Pfalzgraf bei Rhein in den Ländern fränkischen Rechts, der Herzog von Sachsen und Erz__________ 55 Auch Viztum, Vizedom, seit dem Mittelalter oberster Beamter der Mittelbehörde in den deutschen Territorialstaaten bes. in Bayern. 56 Dizionario Enciclopedico Italiano, Rom 1961 Bd XII: Visconti S. 801; GDE Grande Dizionario Enciclopedico, Turin 1991, 4 Aufl. Bd XX: Visconti S. 1007. 57 Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte 4. Bd 1985/90: Reichsvikariat, S. 808.

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marschall des Reiches in den Gebieten sächsischen Rechts die königlichen Hoheitsakte als Stellvertreter ausüben durfte. Alle Handlungen der Vikare mußten allerdings später durch den neuen römischen König gutgeheißen werden. Auch die Treueide wurden nachgeholt. Von diesem verfassungsrechtlichen Vorläufer des der Verfassung völlig unbekannten Vizekanzlers unterschied sich der Reichsverweser deutlich58. War der Reichsvikar eine verfassungsrechtliche Institution des alten Reiches, so war der Reichsverweser nur eine Art gewillkürter Stellvertreter in den Fällen, in denen der Herrscher z. B. während eines Romzuges trans montes im Ausland war. Kaiser Otto III. beauftragte vor Antritt seines zweiten Italienzuges seine Tante Mathilde, Äbtissin von Quedlinburg, mit seiner Vertretung in Deutschland, die daraufhin den Titel matricia führen durfte. Kaiser Friedrich II ernannte vor seiner Rückkehr nach Italien den Kölner Erzbischof Engelbert von Berg zum Vormund seines minderjährigen Sohnes Heinrich und zum Reichsverweser in Deutschland. Mit seiner Volljährigkeit wuchs der 18jährige König später selbst in die Stellung eines Reichsverwesers in Deutschland hinein. Da der Reichsverweser nicht kraft eigenen Rechts, sondern kraft Auftrags seinen Platz einnahm, war der vicarius absente rege oder vivente imperatore auch zwangsläufig an die Weisungen und Richtlinien des abwesenden Königs gebunden. Die Funktion des Reichsverwesers hat das alte Reich erstaunlicherweise überlebt. In Fällen, in denen zwar die Monarchie, nicht aber die Person des Monarchen feststand, zumeist also in Zeiten politischer Instabilität und Ratlosigkeit, bot das Amt eines Reichsverwesers ungeahnte Spielräume. Die Frankfurter Nationalversammlung hatte am 28.6.1848 ein Gesetz über die vorläufige Zentralgewalt in Deutschland erlassen, mit dem „die vollziehende Gewalt in allen Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt der deutschen Bundesstaaten, die Oberleitung der bewaffneten Macht und die völkerrechtliche und handelspolitische Vertretung Deutschlands“ auf einen Reichsverweser übertragen werden sollte. Über Krieg und Frieden und über den Abschluß auswärtiger Verträge sollte der Reichsverweser allerdings nur im Einverständnis mit der Nationalversammlung entscheiden können. Tags darauf, am 29.6.1848, wählte die Nationalversammlung mit großer Mehrheit Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser. Die auch durch den Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung, __________ 58 Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte: Reichsverweser S. 806.

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den späteren Präsidenten des Reichsgerichts, Eduard von Simson59, angestellte Suche nach dem demokratisch legitimierten Monarchen als Kaiser der Deutschen endete bekanntlich in einem historischen Fiasko. Nur einmal noch lebte der Reichsverweser in schwieriger Zeit wieder auf. Nach 1918 war Ungarn zwar verfassungsrechtlich weiterhin Monarchie geblieben, verfügte aber über keinen König. Während dieser monarchischen Vakanz wurde Admiral N. von Horthy von 1920–1944 Reichsverweser von Ungarn.

3. Präsidentenamtsverweser und Vizepräsidenten bei Gericht Noch fremdartiger wird das Bild des Vizepräsidenten bei einem Blick auf die Justizorganisation des alten Reiches. So wurde der Vertreter des Präsidenten des Reichshofrates, des neben dem Reichskammergericht obersten Justizorgans, Präsidentenamtsverweser genannt. An der Spitze des Reichskammergerichts dagegen stand kein Präsident, sondern der Kammerrichter als Repräsentant der kaiserlichen Gerichtshoheit. Er war der eigentliche Chefpräsident und sollte stets ein Reichsfürst sein. Eine andere als diese ständische Qualifikation wurde von ihm nicht erwartet. Insbesondere mußte, ja sollte er nicht studierter Jurist sein60. An der Urteilsfindung war er ohnehin nicht beteiligt. Seine Aufgabe bestand vielmehr darin, die Sitzungen mit der angemessenen Würde zu leiten, für Ordnung im Gericht zu sorgen, die Prozeßakten zur Bearbeitung an die Assessoren zu verteilen und in Fällen, in denen dem Gericht dies zustand, im Namen des Kaisers die Reichsacht auszusprechen. Als im 16. Jahrhundert der Spruchkörper des Reichskammergerichts in zwei Senate aufgeteilt wurde, übernahmen deren Vorsitz jeweils Präsidenten, die die Sitzungsleitung und andere Funktionen für den Kammerrichter wahrnahmen und Kammergerichtspräsidenten genannt wurden. Auch an sie wurden teilweise geringere wissenschaftliche Anforderungen gestellt als an ihre Assessoren. Der Präsident hatte zwar das Examen generale wie seine Beisitzer, nicht aber das Examen __________ 59 Zu Eduard von Simson vgl. Pfeiffer, Biographische Skizzen zu Eduard von Simson; ders., Der lange Weg des Richters Eduard von Simson zum Präsidenten des Reichsgerichts in: Eduard von Simson, Ein großer Parlamentarier und Richter, Kleine rechtsgeschichtliche Schriften aus Karlsruhe 1985 S. 35 ff. und 57 ff. 60 Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte 7. Aufl. 1959 S. 40 ff.; Diestelkamp, Verwissenschaftlichung, Bürokratisierung, Professionalisierung … in: Frieden durch Recht, Das Reichskammergericht von 1495–1806, Mainz 1994, S. 110, 115.

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speciale abzulegen61. Mit Rücksicht auf seine sonstigen Aufgaben war er zudem von der Anfertigung einer Proberelation befreit62. Selbst für sein Begräbnis während oder außerhalb der Amtszeit galten feste Regeln63. Paritätisch wurden die beiden Spitzenpositionen der Kammergerichtspräsidenten jeweils mit einem katholischen und einem evangelischen Kandidaten besetzt. Sie durften sich zwar Präsidenten nennen; praktisch waren sie jedoch die Vizepräsidenten des Kammerrichters. Für die Durchführung der Gerichtsarbeit, den Schriftverkehr, die Aktenund Registerführung sowie die Zustellung von Ladungen und anderen Schriftstücken war die Kanzlei des Reichskammergerichts zuständig, die dem Erzkanzler des Reiches, dem Erzbischof von Mainz, unterstellt war. Diesem stand ein Reichsvizekanzler zur Seite, der vom Mainzer Kurfürsten als Erzkanzler des Reiches im Einvernehmen mit dem Kaiser zu dessen Vertreter in Wien bestimmt war64. Das komplizierte, heute nahezu unverständliche Gefüge mit einem Kammerrichter ohne Rechtskenntnisse und zwei professionellen Kammergerichtspräsidenten als dessen Vertreter verschwand 1806 mit dem alten Reich. Kaum anders war dies in den übrigen deutschen Staaten. In einer Hannoveraner Verordnungssammlung aus dem Jahre 1713 werden die unterschiedlichen Anforderungen an Präsident und Vizepräsident wie folgt beschrieben65: „Zu der Präsidentenstelle wollen wir alle Mal eine adliche Person … und zu der vice-präsidentenstelle einen Gelehrten nehmen“. __________ 61 Johann Jacob Moser, Von der teutschen Justiz-Verfassung, 2. Theil 1774 Frankfurt/Leipzig, Von dem Cammer-Richter und dem Cammer-Gerichts-Präsidenten (§ 18) S. 353, 375. 62 J. J. Moser, (§ 24) S. 376: „Ein Präsident muß das Examen generali, gleich einem Beysizer, ausstehen. Aber mit dem Examine speciali und einer Proberelation wird er verschont“. Begründet wird dies (§ 27) S. 377: „Wenn derselbe schon keine Relationen und Urtheile machen, so haben sie doch andere Amtsobliegenheiten, die auch mit Beschwerlichkeiten umwunden seyen, und nur durch die Erfahrniß gelernt werden können“. 63 J. J. Moser, (§ 30) S. 379. 64 Hartung; Diestelkamp a. a. O. S. 115. 65 Sammlung der Verordnungen Hannover I. 614; ähnlich schon die alte RKGOrdnung von 1495, wonach das Gericht besetzt ist mit einem Richter, „der ein Fürst ist … oder ein Graff oder Freyherr sei“, und mit sechszehn „Urtheilern“, die „mit Rath und Willen“ des Reichstags gewählt sind, „der halb theil der Recht gelehrt und gewürdigt, und der ander halb theil auff das geringst auß der Ritterschaft geboren seyn sollen“; zit. nach Das Reichskammergericht Museum 2. Aufl. 1997 S. 66 Ziff. 36.

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Diese Aufgabenteilung in Repräsentation für den Präsidenten des Gerichtshofs und gelehrte juristische Arbeit für dessen Vizepräsidenten hat sich bei historisch besonders geprägten Einrichtungen der Justiz – jedenfalls außerhalb der deutschen Grenzen – bis heute erhalten. Besonders eindrucksvoll zeigt dies der französische Conseil d’Etat. Bei dessen (Wieder-)Errichtung durch die Verfassung des Jahres VIII am 13.12.1799 und durch die Verordnung vom 5. nivôse des Jahres VIII (26.12.1799) wurde bestimmt, daß der Conseil d’Etat, ähnlich dem Reichshofrat das höchste Beratungsorgan und Staatsgericht des Landes, vom Ersten Konsul, also Napoleon persönlich, geleitet wird66. Daran hat sich bis heute nichts grundsätzliches geändert. Präsident des Conseil d’Etat ist auch heute noch der französische Premierminister und in seiner Abwesenheit der Justizminister. Tatsächlich werden jedoch nur die feierlichen Festakte durch den Justizminister präsidiert. An der Spitze dieses höchsten Verwaltungsgerichts steht daher auch heute noch – ein Widerspruch in sich – ein dem Chef-Präsidenten des Kassationshofs67 gleichrangiger Vizepräsident, während der Regierungschef – glücklicherweise nur symbolisch, wie schon der Erste Konsul – von Rechts wegen dessen Präsident ist68. Die Mehrfachfunktion des Conseil d’Etat und tiefe historische Bindungen lassen Verfassungsrechtler, Parlamentarier und den Gerichtshof selbst über diese Merkwürdigkeit aus einer anderen Zeit großzügig hinwegsehen. Während das 1869 gegründete Bundesoberhandelsgericht, 1871 in Reichsoberhandelsgericht umbenannt69, über einen Präsidenten und zwei Vizepräsidenten verfügte, deren Existenz wohl eher dem Ausgleich unterschiedlicher bündischer Interessen gezollt war, kam das Reichsgericht ohne jeden Vizepräsidenten aus. Bei Gründung des Reichsgerichts nahm der bisherige Präsident des ROHG seinen Abschied; die

__________ 66 Tullard, Le Consulat et l’Empire in: Le Conseil d’Etat de l’An VIII à nos jours [FS 200 Jahre Conseil d’Etat], Paris 1990 S. 20. 67 Der Premier Président der Cour de Cassation hat bis heute keinen Second oder Vice-Président, während der Conseil d’Etat zwar über einen Vizepräsidenten, nicht aber über einen Präsidenten verfügt. 68 Denoix de Saint Marc in FS 200 Jahre Conseil d’Etat, S. 8. 69 Durch Plenarbeschluß vom 2.9.1871 hat das BOHG aufgrund der Reichsverfassung sich selbst den Namen Reichs-Oberhandelsgericht gegeben, BOHGZ 2, 448.

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zwei Vizepräsidenten wurden als Senatspräsidenten zum Reichsgericht übernommen70. Dabei blieb es. Der Bundesgerichtshof knüpfte zunächst auch insoweit an das Reichsgericht an. Anfangs gab es beim Bundesgerichtshof ebenso wie beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesarbeitsgericht keinen Vizepräsidenten. Erst 1963 wurde für den Bundesgerichtshof wie zuvor schon für den Bundesfinanzhof und das Bundessozialgericht das neue Amt eines Vizepräsidenten durch ein recht unscheinbares Gesetz geschaffen. Die Besetzung des neuen Amtes ließ jedoch noch lange auf sich warten. Es war eine schwere Geburt. Bundesjustizminister und Bundesgerichtshof lieferten sich mehrjährige hitzige Gutachtergefechte zu der spannenden Frage, ob ein Vizepräsident durch den Bundespräsidenten „ernannt“ oder durch den Bundesjustizminister – manche meinten sogar durch einen Kabinettsbeschluß – „bestellt“ werden solle und ob das Amt aus grundsätzlichen Erwägungen eine besoldungsrechtliche Höhergruppierung notwendig mache oder nicht71. Bemüht wurden Parallelen aus der Praxis der Länder, die schon längst Vizepräsidenten bei fast allen Oberlandesgerichten und bei vielen Land- und Landesarbeitsgerichten kannten. Das verführte sogleich zu verfassungsrechtlichen Höhenflügen in die Sphären der Grundsätze des Berufsbeamtentums und der Gleichbehandlung72. Schließlich hatten die vereinigten __________ 70 Lobe, Die innere Organisation des Reichsgerichts, in: 50 Jahre Reichsgericht Leipzig 1929 S. 19, 33, 34. Das Präsidium bestand aus dem Reichsgerichtspräsidenten, den Senatspräsidenten und den vier dienstältesten Richtern des Gerichtshofs (§ 133 GVG). 71 Nach Auffassung des Präsidenten des BGH war die Ernennung des Vizepräsidenten gem. Art. 60 GG, § 125 GVG auch im Hinblick auf den Rang des Gerichtshofs durch den Bundespräsidenten vorzunehmen, während der Bundesjustizminister die Fälle der Ernennung durch den Bundespräsidenten in § 6 Abs. 1 BBG für erschöpfend aufgezählt hielt. 72 In der sich auch nach der Ernennung des ersten Vizepräsidenten des BGH fortsetzenden Debatte wurde auf die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 22.1.1969 – Vf. 103 – VII-68 –, ergangen zum Vizepräs. eines LAG, abgehoben. Demnach soll nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und nach dem Gleichheitssatz im Richteramtsrecht bei der Regelung der Dienstbezeichnungen und der Besoldung „für Nivellierungsbestrebungen und egalitaristische Tendenzen“ kein Raum sein (Leitsatz 1). Auch im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit müssen nicht nur die Dienstbezeichnungen der Richter, sondern auch ihre Dienstbezüge nach der Bedeutung der Ämter und der mit diesen verbundenen Verantwortung differenziert sein (Leitsatz 2). Die Entscheidung wurde unter der Federführung des Präsidenten

487

Norbert Gross

Bemühungen der Präsidenten der Obersten Bundesgerichte, die nach und nach sämtlich über Vizepräsidenten verfügten, Erfolg und der Gesetzgeber sah sich, an diskreter Stelle, zu Korrekturen veranlaßt73. Den Kompromiß historisch zu nennen, mag übertrieben sein. Immerhin wurde 1975 durch das 2. BesVNG74 für die Vizepräsidenten der Obersten Bundesgerichte anstelle der geforderten Höhergruppierung eine bisher fehlende unwiderrufliche und ruhegehaltsfähige Amtszulage geschaffen. Da diese Amtszulage als Bestandteil des Grundgehaltes galt75, folgte daraus zwangsläufig, daß der Bestellung zum Vizepräsidenten künftig eine Ernennung, d. h. die Verleihung eines anderen Amtes mit einem anderen Endgrundgehalt vorauszugehen hatte76. Demzufolge hatte von nun an der Bundespräsident die Ernennung vorzunehmen77. Damit war, wenn auch auf besoldungsrechtlichen Umwegen, schließlich doch dieser prestigeträchtigen Forderung der Dritten Gewalt Genüge getan. Dennoch tragen ab 1975 bis zum heutigen Tag die Ernennungsurkunden der Vizepräsidenten der Obersten Bundesgerichte jeweils zwei Unterschriften, die des Bundespräsidenten und zusätzlich die des Bundesjustizministers. All dies galt jedoch anfangs noch nicht. Nach jahrelanger Verzögerung konnte endlich der erste Vizepräsident des Bundesgerichtshofs, Senatspräsident Roderich Glanzmann, am 17.5.1966 sein – noch durch den Bundesjustizminister und nicht durch den Bundespräsidenten übertragenes – Amt antreten. Neun Vizepräsidenten hat der Bundesgerichtshof bisher hervorgebracht. Die Liste ist eindrucksvoll78: 1. Roderich Glanzmann

1966–1972

2. Dr. Fritz Hauß

1972–1976

__________

73

74 75 76 77 78

des BGH von allen Präsidenten der Obersten Bundesgerichte zur Begründung für eine verfassungsrechtlich gebotene Höherbesoldung der Vizepräsidenten herangezogen. Nicht gerade naheliegend durch die in Fn. 3 genannten gesetzlichen Bestimmungen. Mehrere Jahre, mehrere Präsidenten und mehrere Bundesminister der Justiz hat diese Streitfrage in Atem gehalten und überlebt. Zweites Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern (2. BesVNG) vom 23.5.1975 (BGBL I S. 1173). § 21 Abs. 1 Satz 3 BBesG aF. § 17 Abs. 2 Nr. 3 DRiG. Art. 60 Abs. 1 GG, § 46 DRiG, § 10 Abs. 1 BBG. Auch wenn in den beiden Festschriften des BGH 1975 und 2000 deren Vizepräsidenten nicht eigens aufgelistet werden.

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Der Vizepräsident

3. Prof. Dr. Gerd Pfeiffer79

1976–1977

4. Prof. Dr. h.c. Walter Stimpel

1977–1985

5. Dr. Ludwig Thum

1985–1988

6. Dr. h.c. Hannskarl Salger

1988–1994

7. Prof. Dr. Horst Hagen

1994–1999

8. Dr. Burkhard Jähnke

1999–2002

9. Dr. Joachim Wenzel

2002–2005

Nach einer – natürlich ungeschriebenen – Übung wechseln sich jeweils ein Zivil- und ein Strafrechtler in diesem Amt ab. Ein ähnlicher Stabwechsel zwischen einem männlichen und einem weiblichen Vizepräsidenten steht noch aus. Eine ausgesprochene Sonderstellung nimmt allerdings der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts ein. Seine Existenz verdankt er nicht einer gesetzgeberischen Fußnote, sondern dem für ihn maßgeblichen Bundesverfassungsgerichtsgesetz selbst. Ausdrücklich wird von vornherein ein Vizepräsident vorgesehen, dem mit der Wahl der Vorsitz in seinem Senat zugewiesen wird80. Wie der Präsident selbst, wird auch der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts durch den Bundestag bzw. den Bundesrat im Wechsel gewählt81. Beide, Präsident und Vizepräsident, sind daher mit demselben Öl gesalbt. Damit verfügt der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts nicht nur über eine besondere Legitimation, sondern auch über ein mit der Bezeichnung von Gesetzes wegen unmittelbar verbundenes Amt. * Vikare und deren moderne Form der Vizepräsidenten verfügen über eine ungewöhnliche europäische Genealogie. Römische Staatsverwaltung, die Verwaltung der Kirche, die Organisation der Justiz und nicht zuletzt modernes Unternehmens- und Verbandsmanagement haben den Vicarius zu einem wichtigen Führungselement gemacht, auch wenn der Senior Executive Vice-President sich selbst wohl am wenigsten auf den diokletianischen Vicarius, den Reichsvikar oder gar den vicarius apostolicus zurückzuführen vermag. __________ 79 Präsident des BGH von 1977–1987. 80 § 15 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. 81 § 9 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

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Norbert Gross

Die Geschichte hat bedeutende und glanzvolle Vikare und Vizepräsidenten hervorgebracht, die zum Teil wie Vizekönige nie einen Präsidenten über sich gekannt oder nur in weiter Ferne vermutet haben, aber auch andere, deren Schicksal dem bedauernswerten Status eines römischen laboris miserrimi vicarius glich. Der historische Blick in die Tiefe macht es dem heutigen Vizepräsidenten jedoch leicht, sich seinen Ahnherrn frei entweder unter kirchenrechtlichen, staatsrechtlichen, kolonialgeschichtlichen, philologischen oder einfach nur unter ästhetischen Gesichtspunkten auszuwählen. Dabei wird sein Blick weniger auf die monarchisch oder demokratisch legitimierten Vikare fallen, sondern eher an altehrwürdige Verwaltungsstrukturen anknüpfen. Nur mit dem Untersklaven, dem vicarius – auch der vicaria – eines servus ordinarius82 braucht sich der moderne Vizepräsident bei seiner Ahnensuche nicht mehr abzugeben. Diese in unseren Augen heute besonders ungewöhnliche Bedeutungsvariante ist mit der Abschaffung der Sklaverei und dem Aufkommen des Christentums gänzlich untergegangen und hat das Licht der Neuzeit schon nicht mehr erblickt. Als Herkunftsnachweis für den moderne Vizepräsidenten kommt dieser Beleg daher nicht in Betracht.

__________ 82 Opponuntur autem vicarius et servus ordinarius ac ille in huius quasi domini peculio est (Ulp. Dig. 15, 1, 17).

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Von Wissenschaft und Praxis Wolfgang Krüger Inhaltsübersicht I. Zum Thema II. Zwischen der Suche nach der Wahrheit und der Bewältigung der Wirklichkeit 1. Von der Naturalrestitution a) Grundsätzliches b) Naturalherstellung nachträglich unmöglich c) Dogmatisches zur Änderung der Rechtsprechung

2. Vom Eigentümer-BesitzerVerhältnis a) Bebauung durch den unrechtmäßigen Besitzer b) Nutzungen und Verwendungen im Verhältnis des Vormerkungsberechtigten zu dem Dritterwerber aa) Nutzungsherausgabe bb) Verwendungsersatz III. Außergewöhnliches zum Schluß

I. Zum Thema Zum gewohnten Bild höchstrichterlicher Entscheidungen in Zivilsachen gehört es, daß in ihnen eine Auseinandersetzung mit dem jeweils einschlägigen Schrifttum stattfindet. Das kann in der Weise geschehen, daß das Gericht auf eine von der eigenen Auffassung abweichende Literaturmeinung hinweist. Häufiger noch findet eine argumentative Auseinandersetzung mit – u. U. unterschiedlichen – Literaturstimmen statt. Oder der Bundesgerichtshof stützt seine Entscheidung ausdrücklich auf Stimmen aus der Wissenschaft, unter Bestätigung der vorgefundenen Begründungen und mit der Reputation der zitierten Autoren. Ein solcher Umgang mit der Wissenschaft ist für oberste Gerichte in Zivilsachen im europäischen Raum nicht die Regel. Vergleichbares findet sich in den Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts und des Österreichischen OHG. Ansonsten ist die Bereitschaft der obersten Gerichtshöfe, sich mit der Wissenschaft einzulassen, gering bis nicht vorhanden. Nimmt man hinzu, daß in Deutschland der Austausch von Wissenschaft und Praxis auch in anderer Weise gepflegt wird, auf Seminaren und Symposien, durch Übertragung von Aufgaben der jeweils anderen Profession, so muß man zu dem Ergebnis gelangen, daß Wissenschaft 491

Wolfgang Krüger

und Praxis im Reinen sind. Weitestgehend. Doch hin und wieder mißversteht man einander, weil man unterschiedliche Ansätze verfolgt. Der Wissenschaft geht es um das Grundsätzliche, dem Gericht um den Fall und dessen Einordnung in die bisherige Rechtsprechung. Da schreibt man schon einmal aneinander vorbei. Von solchen Mißverständnissen handeln die folgenden Ausführungen.

II. Zwischen der Suche nach der Wahrheit und der Bewältigung der Wirklichkeit 1.

Von der Naturalrestitution

a)

Grundsätzliches

Schadensersatz bedeutet nach § 249 Abs. 1 BGB Wiederherstellung des Zustands, der ohne den Einfluß des schädigenden Ereignisses bestehen würde (Naturalrestitution). Bei der Verletzung einer Person oder der Beschädigung einer Sache kann der Geschädigte wählen, ob er nach § 249 Abs. 1 BGB vorgehen will oder ob er den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangt (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB). Letzteres wird er im Zweifel vorziehen und überwiegt in der Praxis entschieden. Bei dieser Form des Schadensersatzes durch Zahlung eines Geldbetrages handelt es sich auch um einen Fall des Herstellungsanspruchs, nicht um Schadensersatz in Geld, wofür die engeren Voraussetzungen der §§ 250, 251 Abs. 1 BGB gelten1. Ist die Herstellung nicht möglich, scheidet § 249 Abs. 1 BGB von vornherein aus. Der Gesetzgeber gewährt dafür die Kompensation nach § 251 Abs. 1 BGB. Einvernehmen herrscht, daß bei einer von Anfang an unmöglichen Wiederherstellung auch der Anspruch auf den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht besteht2. Denn sowohl die Naturalrestitution wie auch der Anspruch auf den dazu erforderlichen Geldbetrag setzt ein tatsächlich fortbeste__________ 1 BGH, Urt. v. 8.2.1952 – V ZR 122/50, BGHZ 5, 105 (109); Urt. v. 10.7.1984 – VI ZR 262/82, BGHZ 92, 85 (87); Staudinger/Schiemann, BGB, 1998, § 249 Rz. 210. 2 BGH, Urt. v. 2.2.1981 – V ZR 147/80, BGHZ 81, 385 (389); Urt. v. 8.12.1987 – VI ZR 53/87, BGHZ 102, 323 (326 f.); Staudinger/Schiemann, BGB, 1998, § 249 Rz. 219.

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Von Wissenschaft und Praxis

hendes Erhaltungsinteresse des Geschädigten voraus3. Daran fehlt es, wenn die Herstellung unmöglich ist.

b) Naturalherstellung nachträglich unmöglich Umstritten ist, ob dasselbe gilt, wenn die Naturalherstellung nachträglich unmöglich geworden ist. Für den Fall der objektiven Unmöglichkeit, insbesondere für den Fall des Untergangs der Sache, verneint der BGH auch hier eine Anwendung des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB4. Für den Fall des Unvermögens, nämlich den Fall, daß der Geschädigte die beschädigte Sache in diesem Zustand veräußert, war die Rechtsprechung des BGH gespalten. Für Grundstücke hielt der V. Zivilsenat auch in diesem Fall § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB wegen des fehlenden Herstellungsinteresses für unanwendbar und verwies den Geschädigten auf § 251 Abs. 1 BGB5. Der VI. Zivilsenat hingegen gewährt dem Eigentümer eines beschädigten Kraftfahrzeugs den Anspruch auf den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag auch dann, wenn er das Fahrzeug unrepariert veräußert hat6. Die Frage, welche Auffassung die richtige ist, ist auch im Schrifttum umstritten. Während manche dem VI. Zivilsenat im Hinblick auf die Verwendungsfreiheit des Geschädigten bezüglich des erhaltenen Geldersatzes zustimmen7, treten andere dem V. Zivilsenat vor allem aus dogmatischen Gründen bei, da das Gesetz den Geldersatz an die noch mögliche Herstellung gekoppelt hat8. Ob die Divergenz in den Auffassungen der Senate hinnehmbar ist, ist ebenfalls umstritten. Der V. Zivilsenat hat gemeint, für beschädigte Grundstücke auf andere, vor allem dogmatisch stringente Kriterien abstellen zu sollen, als der VI. Zivilsenat, dessen Überlegungen zur Abwicklung von Kraftfahrzeugschäden in höherem Maße von Praktikabilitätsgesichts__________ 3 BGH, Urt. v. 8.12.1987 – VI ZR 53/87, BGHZ 102, 323 (326 f.). 4 BGH, Urt. v. 23.3.1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239 (243); Urt. v. 22.5.1985 – VIII ZR 220/84, NJW 1985, 2413 (2414). 5 BGH, Urt. v. 2.10.1981 – V ZR 147/80, BGHZ 81, 385 (389, 391); Urt. v. 5.3.1993 – V ZR 87/91, NJW 1993, 1793. 6 BGH, Urt. v. 23.3.1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239; Urt. v. 22.11.1977 – VI ZR 114/76, VersR 1978, 182. 7 Oetker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2003, § 249 Rz. 349; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 249 Rz. 7; Knütel, JR 1982, 281 (282 f.); Grunsky, JZ 1997, 825. 8 Staudinger/Schiemann, BGB, 1998, § 249 Rz. 220 ff.; Schiemann, Festschrift Hagen, 1999, 27 (44 f.); für Grundstücke: Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl. 1990, § 249 Rz. 27; Köhler, Festschrift Larenz, 1983, 349 (360 ff.).

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punkten geleitet werden. Dieser Unterscheidung ist die Literatur teils gefolgt9, teils lehnt sie sie strikt ab10. Damit nicht genug. Der V. Zivilsenat ist vor nicht allzu langer Zeit von seiner strikten Auffassung insofern abgerückt, als er jetzt den Anspruch nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB für fortdauernd hält, wenn er vor oder zusammen mit dem beschädigten Grundstück übertragen wird11. Der Zessionar und Grundstückserwerber kann ihn geltend machen. Auch für diese Variante gibt es in der Literatur Befürworter12 und Gegner13.

c) Dogmatisches zur Änderung der Rechtsprechung Von wissenschaftlicher Warte aus betrachtet kann die vom V. Zivilsenat vorgenommene Angleichung an die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats bei demjenigen Befremden auslösen, der die bisherige strenge Linie für die zutreffende Sicht der Dinge hält. So sieht Schiemann in der neueren Entwicklung „dogmatische Brüche“ und verweist – in der Sache zutreffend – auf fortbestehende Unterschiede zur Rechtsprechung des VI. Zivilsenats, obwohl – so Schiemann – der V. Senat seine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung doch gerade mit dem Argument der Rechtsvereinheitlichung begründe14. „Paradoxerweise“, so der Autor15, habe der V. Senat zwar die Begründung für den Schadensersatzanspruch teilweise mit der Rechtsprechung des VI. Senats vereinheitlicht, sich im Ergebnis davon aber entfernt. Diese Beobachtungen beruhen auf einem Mißverständnis. Vereinheitlicht wurden nicht die Begründungen, sondern, und auch das nur zu einem geringen Teil, die Ergebnisse. Von seinem dogmatischen Grundansatz, daß der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag nur verlangt werden kann, wenn Herstellung – noch – möglich ist, ist der Senat nicht abgerückt. Er hat nur kein tragendes Argument dagegen gefunden, __________ 9 Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl. 1990, § 249 Rz. 27. 10 Grunsky, JZ 1997, 825: für die Auffassung des VI. Zivilsenats in beiden Fällen; Köhler, Festschrift Larenz, 1983, 349 (363): für die Lösung des V. Zivilsenats in beiden Fällen. Gegen eine Differenzierung auch Oetker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2003, § 249 Rz. 349. 11 BGH, Urt. v. 4.5.2001 – V ZR 435/99, BGHZ 147, 320 (323 f.); ebenso BGH, Urt. v. 17.1.2002 – III ZR 315/00, NJW-RR 2002, 736. 12 ZB Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 249 Rz. 7. 13 Schack, Festschrift H. Stoll, 2001, 61 (69). 14 LM BGB § 249 (Gb) Nr. 30 (Anm.). 15 LM BGB § 249 (Gb) Nr. 30 Bl. 3.

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daß dieser Zusammenhang auch dann gewahrt bleibt, wenn beim Geschädigten eine Rechtsnachfolge eintritt. Bei der Gesamtrechtsnachfolge ist das offensichtlich. Bei der Einzelrechtsnachfolge, hinsichtlich Eigentum und Forderungsinhaberschaft, besteht, was die Wertung anbetrifft, nach Auffassung des Senats kein Unterschied. Nun kann aber der Senat, anders als ein wissenschaftlicher Autor, seine bisherige Rechtsprechung nicht, mir nichts, Dir nichts, aufgeben. Der Gedanke der Rechtssicherheit und der Schutz des Vertrauens auf eine gefestigte Rechtsprechung lassen ein Abgehen von der Kontinuität der Rechtsprechung nur ausnahmsweise zu, wenn nämlich deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen16. Solche überwiegenden Gründe sah der V. Zivilsenat vorliegend in dem Argument der Vereinheitlichung seiner Rechtsprechung mit der des VI. Zivilsenats. Dazu wollte und mußte er sich aber nicht die Gründe der Rechtsprechung zu den Kraftfahrzeugschäden zu eigen machen. Seine Änderung der Rechtsprechung sollte, wie er ausführt, lediglich in einem Teilbereich „im Ergebnis zu einer Annäherung an die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats“ führen17. Allein um den Fortbestand des Anspruchs aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Falle der Veräußerung der beschädigten Sache geht es. Während der VI. Senat ein Fortbestehen generell bejaht, stimmt dem jetzt der V. Senat für den Fall zu, daß der Anspruch spätestens mit der Veräußerung der Sache an den Erwerber abgetreten wird. Für diese Angleichung, und nur dafür, brauchte er das Vereinheitlichungsargument. Über den Inhalt des Anspruchs war nicht zu entscheiden. Diese Fragen, obgleich dogmatisch und damit für den Wissenschaftler interessant, standen nicht zur Debatte. Hier gab es für den V. Senat nichts anzugleichen und, bezogen auf die bisherige Rechtsprechung, nichts aufzugeben.

2. Vom Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Einen Tummelplatz für wissenschaftliche Auseinandersetzungen bietet das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Das fiel uns schon als Studenten auf, und es bedarf vorzüglicher Darstellungen18, um bei all den Streitfragen, die sich entwickelt haben, den Überblick zu behalten. Der Bun__________ 16 BGH, Beschl. v. 4.10.1982 – GSZ 1/82, NJW 1983, 228. 17 Urt. v. 4.5.2001 – V ZR 435/99, BGHZ 147, 320 (325). 18 Wie sie z. B. Staudinger/Gursky, BGB, 1999, Vorbem. zu §§ 987 – 993 und Vorbem. zu §§ 994 – 1003 bietet.

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desgerichtshof beteiligt sich an diesen Auseinandersetzungen nur mit größter Zurückhaltung und bleibt erratisch bei den einmal gefundenen Grundlinien. Die besten Argumente, so möchte man aus wissenschaftlicher Sicht meinen, prallen daran ab. Dazu einige Beispiele.

a) Bebauung durch den unrechtmäßigen Besitzer Sehr früh hat sich der BGH, anders als das Reichsgericht19, für den sog. engen Verwendungsbegriff entschieden20 und zugleich den Spezialnormcharakter der §§ 987 ff. BGB und das damit verbundene Verbot des Rückgriffs auf die allgemeinen Normen betont. Für Verwendungsersatzansprüche des unrechtmäßigen Besitzers gegen den Eigentümer nach §§ 994 ff. BGB bedeutet dies: Der Besitzer erlangt von vornherein nur Ersatz für Verwendungen i. e. S., also für Aufwendungen, die der Sache zugute kommen sollen, ohne sie grundlegend zu verändern. Fehlt es daran, wie im Regelfall bei der Bebauung eines fremden Grundstücks durch den unrechtmäßigen Besitzer, so scheiden nicht nur die §§ 994, 996 BGB als Anspruchsgrundlage aus; der Besitzer kann auch nicht auf allgemeine bereicherungsrechtliche Ansprüche, eingeschlossen solche nach §§ 951 Abs. 1, 812 BGB, zurückgreifen. Sie sind mit Rücksicht auf die Sonderregelung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nicht anwendbar, und zwar auch dann nicht, wenn keine Verwendungen i. e. S. vorliegen. Der Besitzer ist auf ein, wirtschaftlich nicht bedeutsames, Wegnahmerecht nach § 997 BGB beschränkt21. Obwohl dies über die Jahre hinweg immer wieder kritisiert worden ist22, hat der BGH an seiner Rechtsprechung festgehalten23. Eine Auseinandersetzung mit der Kritik findet nicht statt. Gegenstimmen werden allenfalls erwähnt, doch nur, um anzumerken, daß die Kritik kei__________ 19 20 21 22

RG, Urt. v. 17.8.1936 – IV 120/36, RGZ 152, 100 (102). BGH, Urt. v. 10.7.1953 – V ZR 22/52, BGHZ 10, 171 (177 ff.). BGH, Urt. v. 26.2.1964 – V ZR 105/61, BGHZ 41, 157. Beispielhaft aus der Chronologie: Breetzke, NJW 1954, 171; Klauser, NJW 1965, 513, 514; Schiemann, Jura 1981, 631, 644; Canaris, JZ 1996, 344, 347 f. Weit. Nachw. bei Staudinger/Grunsky, BGB, 1999, Vorbem. zu §§ 994 – 1003 Rz. 8. 23 Urt. v. 20.5.1964 – VIII ZR 56/63, BGHZ 41, 341, 345 f.; Urt. v. 28.6.1962 – VII ZR 31/61, WM 1962, 1086, 1087; Urt. v. 16.6.1965 – VIII ZR 146/63, WM 1965, 1028, 1029; Urt. v. 13.7.1967 – VII ZR 128/65, WM 1967, 1147, 1148; Urt. v. 8.1.1969 – VIII ZR 7/67, WM 1969, 295, 296; Urt. v. 29.9.1995 – V ZR 130/94, NJW 1996, 52.

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nen Anlaß für eine Änderung der Rechtsprechung gebe24. Oder es wird – in dieser Weise fragwürdig – ein Gewährsmann aus dem Schrifttum für den von der Rechtsprechung betonten Grundsatz des alle anderen Normen ausschließenden Charakters der §§ 994 ff. BGB genannt, ohne daß darauf hingewiesen würde, daß der Zitierte anders als der BGH einen weiten Verwendungsbegriff zugrunde legt, was den Grundsatz der Ausschließlichkeit der Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses entschärft25. Die Gründe hierfür bestehen auch hier – naheliegend – darin, daß der BGH seine Rechtsprechung nicht nach Belieben ändern kann (s. o. II 1 c). Sie haben aber auch mit der Sache selbst zu tun, nämlich mit der Grundentscheidung des BGH, den Eigentümer vor Ansprüchen auf Verwendungsersatz zu schützen, die gerade bei grundlegenden Veränderungen sehr hohe Beträge erreichen können26. Wenn es also eine wissenschaftliche Auseinandersetzung geben müßte, dann mit dieser Grundentscheidung. Dazu bleibt die Kritik aber eher lau. „Es erscheint mir aber nicht sachgerecht“, liest man27 oder es sei „schlechterdings nicht einzusehen“, warum der Besitzer für die erhebliche Werterhöhung durch die Bebauung (keine Verwendung i. e. S.) in geringerem Umfang solle Ersatz beanspruchen können als für eine geringfügig werterhöhende Rasenpflege (Verwendung)28. Die Lösung führe zu „unbefriedigenden Ergebnissen“29 und stelle für den redlichen Besitzer eine „unbillige Härte“30 dar. Das sind Äußerungen, die weder begründet noch widerlegt werden können. Sie entziehen sich von vornherein einem wissenschaftlichen Diskurs. Daran ändern auch nichts die Bemühungen, das „ungerechte Ergebnis“, die „unbillige Härte“ plausibel zu machen. Verwiesen wird etwa darauf, daß der generelle Ausschluß eines Verwendungsersatzanspruchs jedenfalls dem gutgläubigen Besitzer gegenüber keine sachgerechte Lösung darstelle31 oder daß sich Wertungswidersprüche zur Haf__________ 24 BGH, Urt. v. 16.6.1965 – VIII ZR 146/63, WM 1965, 1028, 1029. 25 BGH, Urt. v. 29.9.1995 – V ZR 130/94, NJW 1996, 52; Hinweis auf Staudinger/ Gursky. 26 Vgl. Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 994 Rz. 9; im „Grindelhochhäuserfall“, BGHZ 41, 157, ging es beispielsweise um über 700 000 DM. 27 Klauser, NJW 1965, 513, 514. 28 Schiemann, Jura 1981, 631, 644. 29 M. Wolf, AcP 166 (1966), 188, 190. 30 Schindler, AcP 165 (1965), 499, 505. 31 ZB Klauser, NJW 1965, 513, 514.

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tung des Eigentümers gegenüber werterhöhenden Aufwendungen durch eine wissentlich unbefugte Geschäftsführung (§§ 667 Abs. 2 Satz 2, 684 Satz 1, 812 BGB) oder gegenüber dem nichtbesitzenden Verwender ergäben32. Solche Argumente sind ebenso oft aufgebaut worden, wie ihnen entgegen getreten wurde33. Diesen Streit kann man führen. Er lenkt aber von der Grundfrage ab, ob man den Eigentümer vor einer Ausgleichspflicht wegen umgestaltender Aufwendungen des unrechtmäßigen Besitzers schützen will. Mag sein, daß der rigorose Weg des BGH, den Schutz durch einen engen Verwendungsbegriff zu erreichen, dogmatisch zweifelhaft ist. Daß indes die Fälle zeigten, daß dem Besitzer ein Ersatzanspruch zustehen müsse34, ist keineswegs ausgemacht. Dem Eigentümer ist es egal, ob der Besitzer gut- oder bösgläubig war. Er möchte davor bewahrt werden, für Aufwendungen zahlen zu müssen, die den Wert seiner Sache erhöht, sie aber auch völlig umgestaltet haben. Daß dieses Interesse von vornherein des Schutzes unwürdig wäre, läßt sich kaum behaupten. Auch wer den engen Verwendungsbegriff des BGH und die damit verbundene Sperrwirkung hinsichtlich der allgemeinen Normen ablehnt, sucht nach Schutzmechanismen. Sie werden im allgemeinen in den Regeln über die aufgedrängte Bereicherung gefunden35, wobei teilweise einer Begrenzung der Herausgabepflicht auf den Wert der Brauchbarkeit der Verwendung gerade für den Eigentümer der Sache (subj. Maßstab) das Wort geredet wird36, teilweise, oder auch zusätzlich, dem Eigentümer das Recht eingeräumt wird, den Ausgleichsanspruch des Besitzers dadurch abzuwenden, daß er ihm den unerwünschten Verwendungserfolg zur Wegnahme überläßt37, bzw. ihm einen Gegenanspruch auf Beseitigung des Verwendungserfolgs nach § 1004 Abs. 1 BGB gewährt38, der zum selben Ergebnis führt. Jakobs39 sieht demgegenüber den Ausgleichsanspruch des Besitzers aus __________ 32 Siehe etwa Canaris, JZ 1996, 344, 346 f. 33 Siehe eingehend Staudinger/Gursky, BGB, 1999, Vorbem. zu §§ 994 – 1003 Rz. 43 m. w. N. 34 Wie etwa Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 994 Rz. 10, glaubt. 35 Klauser, NJW 1965, 513, 516; Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 996 Rz. 12. 36 Haas, AcP 176 (1976), 1, 26; Wieling, Sachenrecht, 4. Aufl. 2001, § 12 V 4 b; Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 996 Rz. 5. 37 Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 996 Rz. 12. 38 Soergel/Mühl, BGB, 12. Aufl. 1989, § 994 Rz. 2; auch Medicus in MünchKomm/ BGB, 4. Aufl. 2004, § 996 Rz. 12. 39 AcP 167 (1967), 350, 355 ff., 392.

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§ 951 BGB auf Rücknahme der verbundenen Sache reduziert, den der Eigentümer seinerseits durch Wertersatz abwenden könne. Der Verwendungsersatzanspruch des unrechtmäßigen Besitzers für sachumwandelnde Aufwendungen ist also auch vom Ergebnis her nicht so unangefochten, wie man glauben könnte40. Welchen Ansatz man aber auch wählen mag und welche Argumente man auf unterer Ebene austauscht, es geht letztlich immer nur um die Grundentscheidung, ob man eher den Eigentümer oder eher den Besitzer schützen will. Je nachdem, wie diese Entscheidung ausfällt, so fallen auch die Argumente aus. Das Gesetz ist offen41. Bezeichnend formuliert Mühl: „Letzten Endes verdecken die verschiedenen konstruktiven Vorschläge Billigkeitsargumente, die einen Ausgleich in dem Interessenkonflikt zwischen Eigentümer und Besitzer anstreben.“42 Daß ein solches Feld Wissenschaft und Praxis nicht in gleicher Weise bestellen, muß kein Nachteil sein.

b) Nutzungen und Verwendungen im Verhältnis des Vormerkungsberechtigten zu dem Dritterwerber Die Vormerkung hindert nicht den Erwerb eines Dritten. Soweit sein Erwerb den durch Vormerkung gesicherten Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde, ist er dem Vormerkungsberechtigten gegenüber aber – relativ – unwirksam, § 883 Abs. 2 BGB. Das bedeutet, der Schuldner bleibt dem Vormerkungsberechtigten zur Erfüllung in der Lage, der Dritte muß diesem die Zustimmung zu der Eintragung erklären, die zur Verwirklichung des durch die Vormerkung gesicherten Anspruchs erforderlich ist, § 888 Abs. 1 BGB. Diese Konstellation kommt insbesondere bei der Auflassungsvormerkung vor und bringt Folgeprobleme mit sich. Wem, so lautet die eine Frage, stehen die Nutzungen zu, die der Dritterwerber zieht, bis er das Grundstück an den Vormerkungsberechtigten verliert, jenem oder ihm selbst? Und wenn er denn Grundstück und Nutzungen herausgeben muß, kann er von dem Vormerkungsberechtigten Ersatz seiner Verwendungen verlangen? __________ 40 Strikt demgegenüber das Konzept von Staudinger/Gursky, BGB, 1999, Vorbem. zu §§ 994–1003 Rz. 6 ff., 43 f., § 996 Rz. 5 ff., der sich für den weiten Verwendungsbegriff und die unverfälschte Anwendung der §§ 994, 996 BGB unter Ausschluß allgemeiner Normen ausspricht. 41 Auch ein scharfer Kritiker der BGH-Rechtsprechung wie Canaris, JZ 1996, 344, 347, konzediert, daß die kritisierte Lösung nicht denkunmöglich ist. 42 Soergel/Mühl, BGB, 12. Aufl. 1989, Vor § 994 Rz. 4.

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aa) Nutzungsherausgabe Der Bundesgerichtshof hat auf das Verhältnis zwischen Vormerkungsberechtigtem und Drittem die Vorschriften des Eigentümer-BesitzerVerhältnisses über die Herausgabe von Nutzungen (§§ 987 ff. BGB) und über den Ersatz von Verwendungen (§§ 994 ff. BGB) entsprechend angewandt43. Hinsichtlich des Anspruchs auf Nutzungsherausgabe war gegen diese Rechtsprechung vor allem eingewendet worden, daß der Vormerkungsberechtigte trotz der dinglich wirkenden Sicherung gegenüber Zwischenverfügungen lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Eigentumsverschaffung habe und daß sich deswegen die Gleichstellung mit einem Eigentümer verbiete44. Ferner ist darauf verwiesen worden, daß dem Vormerkungsberechtigten gegenüber seinem Auflassungsschuldner die Nutzungen erst ab Übergabe oder Übertragung des Grundstücks gebührten (§ 446 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB a. F., in der Sache unverändert). Die Vormerkung ändere daran nichts45. Insbesondere auf das zweite Argument hat der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung reagiert. Er hat zwar an der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 987 ff. BGB festgehalten. Wegen der Wertung des § 446 BGB gewährt er dem Vormerkungsberechtigten einen Nutzungsherausgabeanspruch aber jetzt nur noch dann, wenn ihm die Nutzungen auch gegenüber dem Auflassungsschuldner, im konkreten Fall nach § 292 BGB, zustehen46. An sich, so sollte man meinen, stellt die Berücksichtigung der Kritik aus der Wissenschaft ein schönes Beispiel dafür dar, daß die Praxis für eine wissenschaftliche Diskussion grundsätzlich offen ist und sich besseren Argumenten nicht verschließt. Der Bundesgerichtshof hat seine bisherige Rechtsprechung zum Nutzungsersatz – teilweise auch zum Verwendungsersatz – erheblich eingeschränkt47. Doch manch einem ist es nicht genug damit. Wissenschaftliche Kritik gedeiht unbeschwert von den Rahmenbedingungen, denen die Rechtsprechung unterliegt. __________ 43 BGH, Urt. v. 5.10.1979 – V ZR 71/78, BGHZ 75, 288 (Verwendungsersatz); Urt. v. 20.5.1983 – V ZR 291/81, BGHZ 87, 296 (Nutzungsherausgabe und Verwendungsersatz), mit einer Korrektur hinsichtlich der Bösgläubigkeit gegenüber der ersten Entscheidung. 44 Kohler, NJW 1984, 2849, 2851; Gursky, JR 1984, 3, 4. 45 Kohler, NJW 1984, 2849, 2857; Staudinger/Gursky, BGB, 1996, § 888 Rz. 60; Wacke in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., 1997. § 888 Rz. 16. 46 Urt. v. 19.5.2000 – V ZR 453/99, BGHZ 144, 323. 47 Wie in der Lit. immerhin bemerkt wird, vgl. Probst, JR 2001, 334; Assmann, LM BGB § 987 Nr. 20 (Anm.).

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Gursky beispielsweise48 verweist erneut auf die „volle dingliche Rechtsposition“ des Dritterwerbers, die eine Verpflichtung zur Nutzungsherausgabe an den Vormerkungsberechtigten ausschließe. Das ist nicht hilfreich. Gegenüber dem Vormerkungsberechtigten steht ihm nicht die „volle dingliche Rechtsposition“ zu. Ihm gegenüber ist sein Erwerb unwirksam, § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB. Wie immer man diese relative Unwirksamkeit deutet, ob man im Verhältnis zum Vormerkungsberechtigten den Verfügenden weiter als Rechtsinhaber ansieht49 oder ob man ihm nur eine fortbestehende Verfügungsbefugnis einräumt50, jedenfalls ist die Rechtsposition des Dritterwerbers gegenüber dem Vormerkungsberechtigten die schwächere. Ihm gegenüber versagt seine Berechtigung selbst dann, wenn man sie ihm mit einer heute zum Teil, insbes. von Gursky vertretenen Meinung51 formell und vorläufig zubilligt. Er muß sie im Wege bloßer Zustimmung zur Eintragung und lediglich aus verfahrensrechtlichen Gründen (§ 19 GBO) herausgeben (§ 888 Abs. 1 BGB). Er verliert sie – entgegen Gursky52 – nicht erst, wenn der Schuldner erneut, diesmal zugunsten des Vormerkungsberechtigten, verfügt. Sie stand ihm von Anfang an dem Vormerkungsberechtigten gegenüber nicht zu. Das wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Auflassungsvormerkung dieselbe Funktion zukommt wie der im Immobiliarsachenrecht nicht zulässigen (§ 925 Abs. 2 BGB) aufschiebend bedingten Eigentumsübertragung53. Auch hier steht demjenigen, zu dessen Gunsten aufschiebend bedingt verfügt wurde, gegenüber späteren Erwerbern die bessere Rechtsposition zu (§ 161 Abs. 1 BGB). Mag auch das Instrumentarium bei der Vormerkung ein anderes sein, die Wertungen sind dieselben54. Auf diesen Wertungen beruht die Annahme des Bundesgerichtshofs, daß der Dritterwerber gegenüber dem Vor__________ 48 Staudinger/Gursky, BGB, 2002, § 888 Rz. 70. 49 So Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 1957, § 48 III 1; Westermann/ Eickmann, Sachenrecht, 7. Aufl., 1998, § 83 IV, 3b; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 20 Rz. 35; Wieling, Sachenrecht, 4. Aufl., 2001, § 22 IV 1a. 50 So Staudinger/Gursky, BGB, 2002, § 883 Rz. 224 m. weit. Nachw. 51 Staudinger/Gursky, BGB, 2002, § 883 Rz. 227 f.; Assmann, Die Vormerkung (§ 883 BGB), 1998, S. 133 f. 52 Staudinger/Gursky, BGB, 2002, § 883 Rz. 229. 53 Vgl. Mugdan, Band 3, S. 970, 975; hierauf hat Kupisch, JZ 1977, 486, 491, aufmerksam gemacht. 54 Wie etwa auch die Behandlung in der Insolvenz zeigt, vgl. §§ 106, 107 InsO.

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merkungsberechtigten wie ein Bucheigentümer zu behandeln sei55. Hiervon abzurücken, bestand kein Anlaß. Insoweit gab es kein Argument in der Literatur, auf das eine Änderung der Rechtsprechung hätte gestützt werden können. Solche gab es nur, was das Verhältnis zwischen Auflassungsschuldner und Vormerkungsberechtigtem anbelangt. Die Wertung des § 446 BGB stand der bisherigen Rechtsprechung, zumindest partiell, entgegen. Damit mußte sich der Bundesgerichtshof auseinandersetzen.

bb) Verwendungsersatz Die Entscheidung BGHZ 144, 323 behandelt noch einen anderen Aspekt des Verhältnisses von Wissenschaft und Praxis. Nicht immer besteht in einem Richtergremium Einigkeit über die Begründungselemente einer Entscheidung. Gerade wenn es um eine Änderung, Ausweitung oder Beschneidung einer Rechtsprechung geht, kann über Ausmaß und Grenzen gestritten werden. Hier sind bisweilen um des Ergebnisses willen Kompromisse bei der Begründung zu schließen. Das kann man den Entscheidungen ansehen, nicht immer, aber zumeist. So auch hier. Der Senat bestätigt die bisherige Rechtsprechung56, wonach der Dritterwerber grundsätzlich von dem Vormerkungsberechtigten in entsprechender Anwendung der §§ 994 ff. BGB Ersatz seiner auf das Grundstück gemachten Verwendungen beanspruchen kann57. Nach Sachlage kam allerdings ein Ausschluß des Anspruchs nach § 1002 BGB in Betracht. Nach dieser Vorschrift erlischt der Anspruch auf den Ersatz der Verwendungen mit dem Ablauf von sechs Monaten nach der Herausgabe des Grundstücks, wenn er nicht zuvor gerichtlich geltend gemacht worden ist. Zwar war den Feststellungen des Berufungsurteils nicht zu entnehmen, wann der Dritte das Grundstück an den Vormerkungsberechtigten herausgegeben hatte. Der Senat erwog aber bei der ohnehin analogen Anwendung des § 1002 BGB, anstelle der Herausgabe des Grundstücks auf die Zustimmung des Dritterwerbers zur Eintragung des Vormerkungsberechtigten nach § 888 Abs. 1 BGB abzuheben. Dieser Gedanke ist zutreffend. Herausgabe kann der Vormerkungsberechtigte erst nach seiner Eintragung verlangen. Das ist dann aber nicht __________ 55 Zustimmend, gestützt auf weitere Überlegungen zur Interessenlage, Hager, DNotZ 2001, 325, 326 f. (Anm.). 56 Urt. v. 5.10.1979 – V ZR 71/78, BGHZ 75, 288. 57 Urt. v. 19.5.2000 – V ZR 453/99, BGHZ 144, 323, 328 f.

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mehr Folge des spezifischen Verhältnisses zwischen Vormerkungsberechtigtem und Dritterwerber, auf das der Senat die §§ 994 ff. BGB anwendet, sondern Folge des später erlangten Eigentums. Wenn man also schon auf das Verhältnis des Vormerkungsberechtigten zum Dritterwerber die Vorschriften über den Verwendungsersatz anwenden will, dann muß man es auch mit der Konsequenz tun, daß der Anspruch sechs Monate nach Erfüllung des dem Vormerkungsberechtigten zustehenden Anspruchs erlischt. Dieser Anspruch ist aber kein Herausgabeanspruch, sondern der Anspruch auf Zustimmung nach § 888 Abs. 1 BGB. Es geht bei § 1002 BGB auch nicht, wie der Senat andererseits erwägt58, darum, daß der Eigentümer die Sache zurückerlangt, um sie auf etwaige Verwendungen hin zu prüfen (welche Rechtsfolge sollte sich daran auch knüpfen?), sondern es geht im unmittelbaren Anwendungsbereich der Norm darum, daß der Besitzer für den Eigentümer durch die Herausgabe den Anschein geschaffen hat, daß keine Verwendungsersatzansprüche bestehen59. Er soll dann nur noch innerhalb kurzer Frist mit einem solchen Anspruch nachträglich konfrontiert werden können. Im analogen Anwendungsbereich der Norm, im Verhältnis Dritterwerber/ Vormerkungsberechtigter gibt der Dritte schon mit seiner vorbehaltlosen Zustimmung zur Eintragung des Vormerkungsberechtigten zu verstehen, daß keine Verwendungsersatzansprüche bestehen, nicht erst durch die spätere Herausgabe. Offensichtlich fand sich für diese Ansicht im Senat aber keine Mehrheit. Der Gedanke wird erwogen und der wissenschaftlichen Diskussion überlassen. Gestützt wird die Entscheidung auf andere Gesichtspunkte, die im konkreten Fall zum selben Ergebnis führten. So können später vielleicht notwendig werdende Klärungen vorbereitet und auf eine sichere Grundlage gestellt werden. Auch so wirken Wissenschaft und Praxis zusammen60.

__________ 58 Urt. v. 19.5.2000 – V ZR 453/99, BGHZ 144, 323, 329. 59 Staudinger/Gursky, BGB, 1999, § 1002 Rz. 2. 60 So auch im konkreten Fall. Hager, DNotZ 2001, 325, 329 f., der – mE zu Recht – den Gedanken verwirft, § 1002 BGB setze auch im analogen Anwendungsbereich die Herausgabe des Grundstücks voraus.

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III. Außergewöhnliches zum Schluß Ab und an finden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, soweit sie diskutiert werden, ganz uneingeschränkte Zustimmung in der Literatur. Das ist erwähnenswert, weil es reizlos ist, sich mit einer Entscheidung auseinanderzusetzen, ohne nicht wenigstens einen Aspekt in Frage zu stellen, ein Problem nicht hinreichend gewürdigt zu sehen, ein Argument für weniger überzeugend zu halten. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenngleich darin manchmal ein gering ausgebildetes Verständnis von richterlichem Tun zum Ausdruck kommt, so wenn etwa ein Bedauern darüber zu spüren ist, daß der Bundesgerichtshof nicht zu Fragen Stellung genommen hat, die offensichtlich nicht entscheidungserheblich waren oder die nicht zu dem festgestellten Sachverhalt passen, an den das Revisionsgericht gebunden ist61. Höchst selten kommt es vor, daß in der Literatur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als „kurtz, distincte und nervose“, als den Leser auf Anhieb überzeugend gerühmt wird62. Solches ist dem hier zu Ehrenden einmal als Berichterstatter widerfahren. Dem ist nichts hinzuzufügen.

__________ 61 Vgl. etwa Tiedtke, EWiR 1996, 211 (Anm. zu BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 234/94, NJW 1996, 586); Ernst, JZ 2000, 624, 626 (Anm. zu BGH, Urt. v. 21.1.2000 – V ZR 387/98, NJW 2000, 1256 = JZ 2000, 623). 62 H. Lange, JZ 1998, 98, 99, Anm. zu BGH, Urt. v. 6.6.1997 – V ZR 115/96, BGHZ 136, 52 = JZ 1998, 96.

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Bibliographie Joachim Wenzel I. Einzelschriften und Kommentarbeiträge Die Programmfreiheit des Rundfunks. Ein Beitrag zur Auslegung von Art. 5 GG, 1970 (Diss.) Staudinger, Wohnungseigentumsgesetz, Stand 1997, Bearbeitung der §§ 43 bis 50 WEG Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2002, Aktualisierungsband, Bearbeitung der §§ 166 bis 195 ZPO und der §§ 542 bis 566 ZPO Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2003, Bearbeitung der §§ 362 bis 386 BGB

II. Beiträge in Fachzeitschriften und Sammelwerken Anmerkung zu LG Limburg/Lahn, Urt. v. 11.10.1972, NJW 1973, 809 Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung des BGH zum Recht des Wohnungseigentums, DNotZ 1993, 297 Die neuere Rechtsprechung des BGH zum Recht des Wohnungseigentums im Überblick, WE 1993, 335; WE 1994, 353; WE 1995, 355; WE 1996, 442; WE 1997, 442; WE 1998, 474; NZM 2000, 65 = ZNotP 2000, 2; ZWE 2000, 550 = ZNotP 2001, 82; ZWE 2002, 1; ZWE 2003, 5 = ZNotP 2003, 2; ZWE 2004, 5 = ZNotP 2004, 42 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Recht des Wohnungseigentums, WM 1996, Sonderbeilage Nr. 5 Die Prozessvollmacht des Verwalters, in: Der Fachverwalter, 1996, 108 Die Jahresabrechnung – Inhalt und Konsequenzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Festschrift für Hanns Seuss, 1997, 313 = WE 1997, 124 Die Rechtsprechung des BGH zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz, AgrarR Sonderheft 1993, 1 Probleme der Vermögensauseinandersetzung und Umwandlung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der Rechtsprechung des BGH, AgrarR 1995, 1 505

Bibliographie Joachim Wenzel

Rechtsfragen zum Grundstücksverkehrs-, Höfe- und Landpachtrecht in der Rechtsprechung des BGH, AgrarR 1995, 37 Aktuelle Rechtsfragen der Vermögensauseinandersetzung und der Umwandlung nach dem LwAnpG sowie der Rückabwicklung von Kreispachtverträgen, AgrarR 1996, 37; AgrarR 1997, 33; AgrarR 1998, 69 Buchbesprechung zu Schweizer, Das Recht der landwirtschaftlichen Betriebe nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz, 2. Aufl., WM 1994, 2258 Widerstand und Recht, Gewissen und Unrecht, DRiZ 1995, 7 Der Bestandsschutz fehlerhaft umgewandelter LPG-Unternehmen, AgrarR 1998, 139 Die Haftung des Verwalters aus der Durchführung angefochtener Beschlüsse, WE 1998, 455 Die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen bei Mängeln am Gemeinschaftseigentum, Immobilienrecht 1998, 51 Die Bestandskraft von Mehrheitsbeschlüssen der Wohnungseigentümer mit Vereinbarungsinhalt, in: Festschrift für Horst Hagen, 1999, 231 Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Grundstücksrecht, ZNotP 1999, 258 Zur Problematik des „Wahren Wertes“ einer LPG, AgrarR 1999, 33 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Bemessung des abfindungsrelevanten Eigenkapitals der LPG, Wertermittlungsforum 1999, 1 Die jüngere Rechtsprechung des BGH zum Grundstücksrecht in den neuen Bundesländern, OV spezial 2000, 82 Die Umwandlung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, AgrarR 2000, 349 Die Dekollektivierung und strukturelle Anpassung der ostdeutschen Landwirtschaft in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in: Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, 201 Der vereinbarungsersetzende, vereinbarungswidrige und vereinbarungsändernde Mehrheitsbeschluß, ZWE 2000, 2 = NZM 2000, 257 Die Anfechtung von Nichtbeschlüssen, in: Festschrift für Werner Merle, 2000, 353 = ZWE 2000, 382 506

Bibliographie Joachim Wenzel

Buchbesprechung zu Kahlen, Praxiskommentar zum Wohnungseigentumsgesetz, NZM 2000, 1210 Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerversammlung und ihre Folgen, ZWE 2001, 226 Die Befugnis des Verwalters zur Anfechtung des Abberufungsbeschlusses, ZWE 2001, 510 Die Rechtsfortbildung des Höferechts durch den Bundesgerichtshof, AgrarR 2002, 373 Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Willensbildung der Wohnungseigentümergemeinschaft und ihre Folgen, Immobilienrecht 2002, 23 Beschluss oder Vereinbarung, in: Festschrift für Wolf-Dietrich Deckert, 2002, 517 = NZM 2003, 217 Das neue zivilprozessuale Revisionszulassungsrecht in der Bewährung, NJW 2002, 3353 Öffnungsklauseln und Grundbuchpublizität im Wohnungseigentumsrecht, ZWE 2004, 130 = ZNotP 2004, 170 Anspruchsbegründung durch Mehrheitsbeschluss?, NZM 2004, 542 Die Zahlungspflichten des Zwangsverwalters gegenüber der Wohnungseigentümergemeinschaft, in: Festschrift für Gerhart Kreft, 2004, 171 „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“ – Zum Richten in Staat und Kirche, ZevKR 2004, 559 Erinnerung an die Gründung des Reichsgerichts vor 125 Jahren, NJW 2004, 3388 Der Störer und seine verschuldensunabhängige Haftung im Nachbarrecht, NJW 2005, 241 Der Negativbeschluss und seine rechtlichen Folgen, in: Festschrift für Peter Derleder 2005, 315

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