Feministische Philosophie in europäischem Kontext: Gender-Debatten zwischen "Ost" und "West" 9783205790914, 9783205784951, 9783205784982

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Feministische Philosophie in europäischem Kontext: Gender-Debatten zwischen "Ost" und "West"
 9783205790914, 9783205784951, 9783205784982

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Yvanka B. Raynova

Feministische Philosophie in europäischem Kontext

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Gedruckt mit Unterstützung durch:

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien MA 7 - Kulturamt der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung Österreichische Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78495-1 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau.at http://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Prime Rate kft., Budapest

Für Susanne Moser

Inhalt Einleitung

9

I. Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

15

Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie und der philosophischen Geschlechterforschung in "Osteuropa"

37

Feministische Theorie ohne Frauenbewegungen?

93

Wertekonflikte und Dramadynamik am Beispiel der Debatten zwischen "Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

145

II. Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa (Gespräche und Interviews) Feministische Philosophie – Frauenforschung – Gender Studies. Im Gespräch mit Herta Nagl-Docekal

178

Feministische Theologie in Europa. Im Gespräch mit Hedwig Meyer-Wilmes

193

Feminist Philosophy in the former Yugoslavia. An Interview with Rada Ivekoviü

212

Feministische Philosophie in Tschechien. Ein Interview mit Hana Havelková

222

Feministische Philosophie in der Slowakei. Ein Interview mit Zuzana Kiczková

236

Inhalt

Feminist Philosophy in Slovenia. An Interview with Eva D. Bahovec

242

Feministische Philosophie in Ungarn. Ein Interview mit Maria Joó

249

Feministische Philosophie in Polen. Ein Interview mit BoĪena Choáuj

254

Feminist Philosophy in Romania. An Interview with Mihaela Miroiu

258

Anhang Bibliographische Hinweise zum Rereading des "westlichen"/feministischen Kanons

265

Einleitung Die Thematik der folgenden Untersuchungen beschäftigt mich seit langem und ist für mich zugleich von persönlichem und wissenschaftlichem Interesse. Das persönliche Interesse besteht darin, dass ich immer wieder sowohl unter totalitären als auch unter posttotalitären und (angeblich) nicht-totalitären Systemen mit Dominanzverhältnissen konfrontiert wurde. Dies bestimmte seinerseits wiederum mein wissenschaftliches Interesse an ethischen, axiologischen und politischen Problemen und Themen wie Macht, Gewalt, Unterdrückung, Manipulation, Anerkennung, Selbstbestimmung, Respekt und Würde der Person. Das Buch ist in zwei Kapiteln unterteilt. Das erste Kapitel beinhaltet vier Studien. Die erste beschäftigt sich mit der Entstehung der feministischen Philosophie und mit der Frage, was denn unter feministischer Philosophie zu verstehen sei und inwiefern Philosophie und Feminismus vereinbar oder unvereinbar sind. Die zweite Studie analysiert die Entstehung der feministischen Philosophie und der philosophischen Geschlechterforschung in "Osteuropa" mit dem Ziel, den Stand von Lehre und Forschung in diesem Gebiet möglichst genau zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden die Untersuchungen in fünf Hauptrichtungen durchgeführt, die auf den geschichtlichen und philosophischen Kontext, auf den Rezeptionsfluss, auf Vorlesungen und Veranstaltungen, Publikationen sowie auf verschiedene Formen der Institutionalisierung ausgerichtet sind. Die dritte Studie geht der umstrittenen Frage nach, ob es in "Osteuropa" Frauenbewegungen gibt oder nicht. Zuerst wird erläutert was unter "Frauenbewegung" zu verstehen ist und welche Motive und Bedingungen gegeben sein sollten, damit eine Frauenbewegung zustande kommt. Danach wird untersucht, ob diese Bedingungen in den postkommunistischen Ländern anzutreffen sind. Konkret wird Folgendes analysiert: Die Einstellungen der "Ostfrauen" gegenüber der Geschlechterproblematik und dem Feminismus und die Rolle der Frauenforscherin9

Einleitung

nen, der Frauenorganisationen sowie der Experten und fördernden Institutionen aus dem "Westen". In der vierten und letzten Studie werden die Wertekonflikte und die Dramadynamik am Beispiel einer Kontroverse zwischen "Westfeministinnen" und "osteuropäischen" Frauenforscherinnen analysiert. Mittels des Drama-Dreiecks und anderer Erklärungsmodelle aus der Transaktionsanalyse und dem Neurolinguistischen Programmieren, insbesondere der Trinergy®-Strategie von Roman Braun, wird der Konflikt zwischen beiden "Parteien" einem close reading unterzogen, um danach zu zeigen, wie man diesen hätte lösen können, bzw. wie man aus solchen Situationen aussteigen und den Diskurs auf einer anderer Ebene weiterführen könnte. Das zweite Kapitel dokumentiert diverse Gespräche und Interviews mit bekannten Feministinnen und Frauenforscherinnen aus "Ost-" und "Westeuropa". Diese wurden in der Periode 1998-2001 geführt. Sie sind insofern wichtig, als sie gewisse Einstellungen und Erfahrungen schildern, die im Zentrum der Gender-Debatten stehen und die Entwicklungen der philosophischen Geschlechterforschung in Europa aus diversen Blickwinkeln beleuchten. In der Arbeit wird eine interdisziplinäre Methode angewandt, die genealogisch, kulturologisch, soziologisch, philosophischhermeneutisch und trinergetisch vorgeht. Dabei werden Daten aus folgenden Quellen herangezogen: x x x

x x

10

Texte und Veröffentlichungen in verschiedenen Sprachen; Internetressourcen (Online-Texte, Programme, Bibliographien, Datenbanken u.a.); Gespräche sowie Interviews mittels eines einheitlichen Fragebogens (die meisten sind im zweiten Kapitel veröffentlicht); Zusätzliche Kontakte und Gespräche mit PhilosophInnen aus Osteuropa; Beispiele aus der eigenen Erfahrung als Philosophin und Leiterin verschiedener Projekte, Abteilungen und Organisationen.

Einleitung

Meinen persönlichen Zugang verdanke ich den sogenannten "Meistern des Verdachts" (Paul Ricœur), die uns gelehrt haben nichts ohne kritische Überprüfung hinzunehmen, bzw. die Streitpositionen und den eigenen Standpunkt ständig zu hinterfragen. Dies ist möglich nur aus einer Metaposition, die in der Konfliktforschung als "Allparteilichkeit" bezeichnet wird. Was diese genauer bedeutet und wie sie angewandt werden kann, wird in der vierten Studie erläutert. Zum Schluss möchte ich mich bei allen Gesprächspartnerinnen aus "Ost" und "West" bedanken, die Zeit und Aufwand für die Interviews aufgebracht haben. Zusätzlich und ganz speziell möchte ich folgenden Personen und Institutionen meinen Dank aussprechen: An Dr. Susanne Moser dafür, dass sie mich jahrelang auf verschiedenste Art und Weise unterstützt hat, insbesondere durch die sehr anregenden Diskussionen; an Prof. Dr. Herta Nagl-Docekal, der ich sehr vieles verdanke; an Prof. Dr. Cornelia Klinger, von der ich so manches mitgenommen habe; an die Herausgeberinnen von L'Homme, namentlich Prof. Dr. Edith Saurer und Dr. Elisabeth Frysak für die produktive Zusammenarbeit; an Mag. Gabriela Konrad, die mir diverse kommunikationswissenschaftliche Tools zugänglich gemacht hat; an Mag. Rebecca Englert für das minutiöse Korrekturlesen des Manuskripts und an Mag. Gertrude Schulte für die Korrektur der englischsprachigen Interviews; an das Magistrat der Stadt Wien – Referat für Wissenschafts- und Forschungsförderung, namentlich Dr. Hubert Ehalt und Mag. Angelika Lantzberg, an die Österreichische Forschungsgemeinschaft, namentlich Mag. Caroline Hecht, sowie an das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für die finanzielle Unterstützung dieses Buches. Nicht zuletzt möchte ich – leider posthum – meiner Mutter danken, die in der Geschichte der Frauenbewegungen sehr bewandert war, mit dem großen Bedauern, dass mein wirkliches Interesse an diesen Fragen erst nach ihrem Tod aufkam.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

Die Frage: "Was ist feministische Philosophie?" ist nicht weniger problematisch als die Fragen: "Was ist Feminismus?" und "Was ist Philosophie?" So wie diese scheint sie schwer definierbar zu sein. Erstens, weil es nicht eine Philosophie gibt, sondern verschiedene philosophische Theorien, die nicht "totalisiert" werden können, und zweitens, weil sie die Aporie beinhaltet, selbst Gegenstand von dem zu sein, wonach sie fragt, das heißt von vornherein einen circulus vitiosus enthält. Natürlich kann man das Wörterbuch aufschlagen und die jeweilige Definition akzeptieren. Aber die Probleme fangen sofort an, wenn der/die Fragende beschließt, nicht nur ein, sondern mehrere Wörterbücher zu benutzen oder sich den feministischen AutorInnen zuwendet und das Risiko auf sich nimmt, in einem Ozean von aus Literatur zu versinken. Die Frage "Was ist feministische Philosophie?" ist jedoch wesentlich problematischer als die anderen beiden Fragen, da sie von Anfang an eine ziemlich umstrittene Beziehung impliziert. Es scheint zum Ersten, dass sie zwei heterogene, nicht verbindbare Regionen vereint – den Feminismus als eine spezifisch politische Praxis, dessen Ziel die Emanzipation der Frauen und die Dekonstruktion der patriarchalen Strukturen ist, und die Philosophie als eine Form von Erkenntnis und Theorie, die sich oft mit sehr abstrakten Problemen beschäftigt. Wie Herta NaglDocekal zeigt, beinhaltet diese Frage für viele "einen skeptischen Grundton, insofern sie den Verdacht einer unzulässigen Verbindung von Ideologie und Philosophie zum Ausdruck bringt".1 Zum Zweiten ist diese Beziehung umstritten, weil sie den Eindruck hinterlässt, dass es sich um ein Substantiv handelt, an das ein 1

Herta Nagl-Docekal, "Was ist feministische Philosophie?", in: ders. (Hrsg.), Feministische Philosophie. Wien/München: Oldenbourg Verlag, 19942, 7.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

unpassendes Adjektiv angehängt wurde. Der Haupteinwand diesbezüglich ist, dass die Philosophie nicht geschlechtsspezifisch, sondern geschlechtsneutral sei. Um solchen Vorwürfen zu entkommen, sprechen manche Autorinnen bevorzugt von "Philosophie der Geschlechterdifferenz"2 oder von "philosophischer Frauenforschung". Diese Ausdrücke haben zwar ihren Sinn, können aber kein Ersatz sein, da sie nur teilweise die Thematik und den Bereich der feministischen Philosophie umfassen. Um die Bedeutung der feministischen Philosophie besser zu artikulieren und um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, wäre die Klarstellung angebracht, dass "feministisch" nicht 2

Hier möchte ich unterstreichen, dass der Unterschied "sex/gender" als Produkt des amerikanischen Feminismus später entstanden ist als der Begriff der Geschlechterdifferenz. In einem philosophisch-konzeptuellen Plan bereitet das zusätzliche Schwierigkeiten, besonders bei Übersetzungen aus dem Deutschen und dem Französischen. Bei Übersetzungen aus dem Englischen oder Amerikanischen, wenn ausdrücklich der Unterschied sex/gender getroffen wird, muss man den Begriff gender, der auf viele slawische und andere Sprachen kein Äquivalent hat, welches genau seine Konnotation wiedergibt, entweder ohne Übersetzung im Text belassen, oder mit "Geschlechtsidentität" übersetzen, indem man aber erläutert, dass es sich um eine soziale, geschichtlich bedingte und kulturelle Konstruktion der Geschlechtlichkeit handelt. Solche Übersetzungen sind in verschiedenen deutschen Ausgaben gemacht worden (siehe z.B. Annemarie Pieper, Aufstand des stillgelegten Geschlechts. Einführung in die feministische Ethik. Freiburg am Breisgau: Herder, 1993, 54, 63). In Deutschland hat man versucht den Begriff gender mit dem Lateinischen Genus zu übersetzen (siehe insbesondere die deutsche Übersetzung von Ivan Illichs Gender [Ivan Illich, I. Genus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1983] und Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften (hg. von Hadumod Bußmann, Renate Hof, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1995). Es gibt aber auch deutsche Übersetzungen, wo man mit "Geschlecht" sowohl sex als auch gender bezeichnet, und dies in ein und derselben Ausgabe, in der verschiedene Artikel von verschiedenen Leuten übersetzt wurden (siehe Seyla Benhabib, Judith Butler et al. Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Frankfurt a. Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1993, 51-55, 80-101, 149). Das größere Problem auf Deutsch ist, dass man mit "Geschlechterdifferenz" sowohl den Unterschied der Geschlechter, wie auch die "gender difference" und manchmal sogar beides bezeichnet. Ähnliche Schwierigkeit bietet das französische Analogon "la différence des sexes" (siehe z. B. Geneviève Fraisse, La différence des sexes. Paris: PUF, 1996), wo es einmal um den sexus, das biologische Geschlecht, und ein anderes Mal um seine soziokulturellen Konstruktionen geht.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

als Adjektiv verstanden werden sollte, sondern als Horizont, als ein bestimmtes Wohin der philosophischen Fragestellung. Das meint Geneviève Fraisse, wenn sie behauptet, es gäbe "weder eine feministische Wissenschaft noch eine feministische Philosophie. Feministisch kann dieses oder jenes Subjekt sein, nicht aber die Forschung (es sei denn, sie hat die Geschichte des Feminismus oder das feministische Denken selbst zum Gegenstand)."3 Der Begriff der "feministischen Philosophie" ist jedenfalls schon in den philosophischen Diskurs aufgenommen worden und die Diskussionen darüber sind nicht so sehr von terminologischem, als vielmehr von inhaltlichem Charakter.4 Bevor ich darauf konkreter eingehe, will ich einige Erläuterungen über die Geschichte und die Genealogie des Begriffs machen, da diese zwei Bereiche bis heute am wenigsten behandelt wurden. In der Fachliteratur wird nicht erwähnt, wann der Begriff der "feministischen Philosophie" zum ersten Mal auftaucht. Dafür findet man kuriose Ansprüche wer als die oder der erste feministische AutorIn gelten soll. So wäre nach Joseph Lucas Plato der eigentliche Vater der feministischen Philosophie: Plato was the first feminist. In the Republic he puts forward the view that women are just same as men, only not quite so good.5 Um sich solche Kuriositäten zu ersparen, wäre es notwendig, zwischen einer breit gefassten Bedeutung des Begriffs "feminis3

Geneviève Fraisse, Geschlechter Differenz. Tübingen: Diskord, 1996, 134. Dies ist kein Zufall, denn der Begriff bezeichnet nicht eine Doktrin, sondern eine Denkrichtung mit verschiedenen, oft entgegengesetzten Auffassungen und Konzeptionen, die nur in ihrem Ausgangspunkt und Endziel vereint sind, d. h. "die Ausgrenzung und Unterdrückung von Frauen, welche nach wie vor alle Lebensbereiche prägt zu überwinden" (Herta Nagl-Docekal, "Jenseits der Geschlechtermoral. Eine Einführung", in: Herta Nagl-Docekal, Herlinde PauerStuder [Hrsg.], Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge zur Feministischen Ethik. Frankfurt a. Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1993, 7). 5 Joseph J. Lucas, "Because you are a woman," in: Mary B. Mahowald (Hrsg.), Philosophy of Woman. An Anthology of classic and current concepts. Indianapolis: Hackett, 2 ed. 1983, 384. 4

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

tische Philosophie" und einer engeren zu unterscheiden. Diese zwei Bedeutungen wurden von Herta Nagl-Docekal6 folgendermaßen verdeutlicht: Wenn man unter feministischer Philosophie die allgemeine Argumentation gegenüber allen Formen der Unterdrückung der Frau versteht, dann müsste man auf die feministische Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts zurückgreifen und Autoren wie Poulain de la Barre, Mary Wollstonecraft und John Stuart Mill mitberücksichtigen; dies wäre die weite Bedeutung des Begriffs "feministische Philosophie". Im engeren Sinne bezeichnet nach Herta Nagl der Begriff diejenigen philosophischen Forschungen, die nach 1968 von der neuen Frauenbewegung initiiert wurden. Zwischen diesen beiden Bedeutungen scheint Ursula Meyer zu schwanken, wenn sie in ihrer Einführung in die feministische Philosophie behauptet: "Die feministische Philosophie hat ihren Ausgangspunkt in der Forderung nach Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen. Diese wurde von der ersten Frauenbewegung im 18. und 19. Jahrhundert (...) aufgestellt", und dann auf der nächsten Seite schreibt, dass "der Ursprung der feministischen Philosophie" in der zweiten Frauenbewegung liegt, die sich in den USA entwickelte und später nach Europa kam.7 Aus dieser Verwirrung folgt einerseits, dass der Anfang der feministischen Philosophie die erste Frauenbewegung in Europa bildet, und andererseits, dass sie an einer gewissen Etappe der zweiten Frauenbewegung in den USA entstanden ist. Vorsichtiger und genauer in dieser Hinsicht scheint Cornelia Klinger zu sein, die in der feministischen Philosophie ein Resultat vom Prozess des Reifens der philosophischen Reflexion über die Frau und der Beziehung der Geschlechter sieht. Sie erklärt in diesem Sinne: "Die philosophische Frauenforschung ist ohne Zweifel ein Produkt der zweiten Frauenbewegung, also ein Re6

Dieser Unterschied wurde in die Einführung ihres Seminars über "Feministische Ästhetik" (Universität Wien, Januar 1998) ausführlich gebracht. 7 Ursula Meyer, Einführung in die Feministische Philosophie. München: dtv, 1994, 11-12.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

sultat einer gesellschaftlichen und politischen Bewegung"8 und zeigt weiters, dass, wenn es stimmt, dass die meisten Philosophen bestrebt sind, das zu begründen und zu rechtfertigen, was praktisch geschieht, dass dies dann auch auf die tiefgreifende Veränderung der Stellung der Frauen zutreffen müsste. Diese Vermutung lässt sich nach Klinger auch bestätigen: Etwa mit Beginn der Industriellen Revolution und verstärkt um die Wende des 20. Jahrhunderts nimmt – erstens – das Interesse am Thema Frau als zentralem Gegenstand philosophischer Reflexion zu. Während die Aussagen in der älteren Philosophiegeschichte zu diesen Fragen lediglich als beiläufige Äußerungen am Rande der "großen Systeme" oder in kleinen Schriften, etwa zu anthropologischen oder psychologischen Themen, in Erscheinung treten, wird nun die Problematik des Geschlechts zu einem systematisch behandelten philosophischen Gegenstand. Es entsteht eine Philosophie der Geschlechterdifferenz.9 Die Philosophie der Geschlechterdifferenz ist als Folge des verstärkten gesellschaftlichen Hervortretens von Frauen anzusehen, die an den Universitäten allmählich zugelassen werden und auch die Philosophie als Beruf auszuüben beginnen. Dies bedingt einerseits die Beziehung der Philosophen zur Frau, die bis dahin meistens negativ bestimmt wurde, neu zu bewerten (sodass einige Philosophen vielfältigere und positivere Perspektiven zum Thema "Frau" entwickeln, andere aber die sexistische Position noch mehr verstärken), und andererseits die Notwendigkeit selbständiger feministischer philosophischer Forschungen.10

8

Cornelia Klinger, "Das Bild der Frau in der Philosophie und die Reflexion von Frauen auf die Philosophie", in: Karin Hausen, Helga Nowotny (Hrsg.), Wie männlich ist die Wissenschaft? Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch, 1986, 63. 9 Cornelia Klinger, "Das Bild der Frau in der Philosophie", 65-66. 10 Ebenda.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Genauer genommen stößt man auf die philosophische Begründung des Feminismus schon in Simone de Beauvoirs berühmtem Werk Das andere Geschlecht; im engeren Sinn jedoch versteht man unter feministischer Philosophie erst diejenige philosophische Strömung, die nach 1968 infolge des sogenannten Movement of Womens Liberation entstanden ist. Die ersten philosophischen Texte nach 1968, die das Thema "Frau" und "Frauenbefreiung" in den Mittelpunkt stellen, sind der Artikel von Hilde Hein "Woman – A Philosophical Analysis" (1971) und der Vortrag von Alison Jaggar vor der American Philosophical Association (4-6 Mai 1972) "Four Views of Women's Liberation", der fünf Jahre später unter dem Titel "Political Philosophies of Women's Liberation" veröffentlicht wurde. Während Hilde Hein auf den Unterschied zwischen gender als kulturelle Definition für "Mann" und "Frau", und männlich–weiblich als biologische Differenz der Geschlechter hinweist, um den Mythos von der "Andersheit" der Frau als philosophisches Konstrukt zu entlarven,11 betont Alison Jaggar: "feminist questions cannot be settled in isolation but can only be resolved in the context of a theoretical framework derived from reflection on the fundamental issues of social and political philosophy."12 Das erste Buch der 70er Jahre, das die philosophische und theologische Tradition einer radikalen feministischen Kritik unterstellte, ist zweifellos das berühmte Werk von Mary Daly Beyond God the Father: Toward A Philosophy of Women's Liberation (1973), das enorme Diskussionen hervorrief. Wie immer man auch heute dieses Werk bewerten würde, besteht dessen großes Verdienst nicht nur in der Bloßstellung der Misogynie des Judaismus und der christlichen Kirche mit ihrem "einge11

Hilde Hein, "Woman – A Philosophical Analysis," in: Mary Briody Mahowald (Hrsg.), Philosophy of Woman. An Anthology of classic and current concepts. Indianapolis: Hackett, 19832, 339-340, 347 ff. 12 Alison Jaggar, "Political Philosophies of Women’s Liberation," in: Mary Vetterling-Braggin, Frederick Elliston, Jane English (Hrsg.), Feminism and Philosophy. Totowa, NJ: Rowman & Littlefield, 1977, 5. Ich danke Alison Jaggar für die liebenswürdige Übermittlung dieses Textes.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

schlechtlichen Gott", bzw. in der Kritik der gegenwärtigen christlichen Philosophie (Barth, Tillich, Bonhöfer, Chardain u.a.), sondern im radikalen Programm Dalys, den Spiegel der Frauen, der die Männer in doppelter Größe widergespiegelt hatte, zu zertrümmern, und sich entschlossen mit den weiblichen Werten zu identifizieren.13 Einige Jahre später erscheinen in den USA die ersten Sammelbände, die die Frage nach dem Bezug zwischen Frau, Feminismus und Philosophie explizit stellen. Es handelt sich um Women and Philosophy. Toward a Theory of Liberation, herausgegeben von Carol Gould und Marx Wartovsky, Feminism and Philosophy, veröffentlicht von Mary Vetterling-Braggin, Frederic Elliston und Jane English, in dem der erwähnte Vortrag von Alison Jaggar erschienen ist, und Philosophy and Women von Sharon Bishop und Marjorie Weinzweig.14 Die Tendenz, Sammelbände zu diesem Thema zu veröffentlichen, hat bis heute angehalten15 und kulminiert zweifellos im Blackwell Companion to Feminist Philosophy, herausgegeben von Alison Jaggar und Iris Young.16 Mit der Zeit wurde diese Tendenz durch andere Forschungsgebiete bereichert:

13

Mary Daly, Jenseits von Gottvater Sohn & Co. München: Frauenoffensive, 217-220. In diesem Sinne bin ich mit Zahava McKeon nicht einverstanden, dass der Hauptverdienst Dalys in der Äußerung der tiefen Wut der Frauen liegt (siehe Zahava K. McKeon, "Radical Feminism in the United States: The Work of Mary Daly," in: Manon Andreas-Grisebach, Brigitte Weisshaupt [Hrsg.], Was Philosophinnen denken. Zürich: Ammann Verlag AG, 1983, 64, 69). 14 Carol C. Gould, Marx W. Wartovsky, Women and Philosophy. Toward a Theory of Liberation. New York: Putnam's Sons, 1976; Mary Vetterling-Braggin; Frederick Elliston; Jane English (Hrsg.), Feminism and Philosophy. Totowa: Rowman & Littlefield, 1977; Sharon Bishop, Marjorie Weinzweig (Hrsg.), Philosophy and Women. Belmont, CA: Wadsworth Publishing Company, 1979. 15 Morwenna Griffiths, Margaret Whitford (Hrsg.), Feminist Perspectives in Philosophy. London: Macmillan Press, 1988; Nancy Tuana, Rosemarie Tong (Hrsg.), Feminism and Philosophy. Boulder/San Francisco/Oxford: Westview Press, 1995. 16 Alison M. Jaggar and Iris M. Young (Hrsg.), A Companion to Feminist Philosophy. Oxford: Blackwell, 1998.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

x Historisch-philosophische Forschungen, die die Auffassungen der Philosophen über die Frauen und über die Beziehung der Geschlechter kritisch untersuchen; x Anthologien, Wörterbücher, Enzyklopädien über Philosophinnen, deren Werke missachtet und in Vergessenheit geraten sind; x Bibliographien über feministische Philosophie; x kritische feministische Übersichten über die führenden Auffassungen in den verschiedenen philosophischen Bereichen (Ontologie, Epistemologie, Anthropologie, Ethik, Ästhetik, Sozialphilosophie, politische Philosophie, Rechtsphilosophie, Religionsphilosophie usw.); x spezifische philosophische Untersuchungen über Probleme der Geschlechterdifferenz und der Geschlechteridentität. Dieser Überblick ermöglicht uns zwei wichtige Aspekte der feministischen Philosophie hervorzuheben. Erstens, wird deutlich, dass das Ziel der feministischen Philosophie zu Anfang als Desavouieren des Sexismus und der Männerdominanz verstanden wurde. Feministische Philosophie wurde als Kritik an gewissen ideologischen, sozialen und politischen Modellen konzipiert, wobei es einen Überhang an dekonstruktiven Projekten gab, während konstruktive Lösungsansätze weitgehend fehlten. Deshalb betonte Cornelia Klinger 1986, dass die feministischen Ergebnisse in Bereichen wie Literaturwissenschaft, Geschichte oder Theologie beeindruckender zu sein scheinen, als die zaghaften Ansätze in der Philosophie.17 Heute kann man sagen, dass dieses Defizit durch eine Menge interessanter philosophischer Interpretationen der Geschlechterdifferenz schon überwunden ist. Dies wird deutlich anhand der grundlegenden Lösungen und Denkrichtungen: Humanismus, Gynozentrismus, Androgynie, Performativität. Zweitens, was die verschiedenen Interpretationen des Bezugs "Feminismus – Philosophie" betrifft, so war die Zentralfrage, die 17

Cornelia Klinger, "Das Bild der Frau in der Philosophie", 63.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

sich anfangs die feministischen AutorInnen stellten folgende: "Is the womans question a philosophical question?"18 Jahre später hat Nancy Holland die Frage neu formuliert: "Is Women's Philosophy possible?",19 was wiederum die Umstrittenheit beider Termini aufzeigt. Dadurch dass Goulds Argumentation eine der ausführlichsten ist, kann ich sie hier nicht vollständig wiedergeben. Ich möchte jedoch auf die hauptsächlichen Momente hinweisen. Gould zeigt, dass die Feministinnen die These, die "Frauenfrage" sei eine philosophische Frage, auf zwei Weisen argumentieren. Nach den Einen sind die Frauen genauso wie die Männer Menschen und sollten also die gleichen Rechte haben, so wie diese in der Deklaration der universellen Menschenrechte formuliert sind; nach den Anderen spricht die Polarisierung der Geschlechter fundamentale menschliche Kategorien an, was dazu führt, dass die Kategorie "Frau" zu einem zentralen philosophischen Begriff wird. Im Unterschied zu diesen zwei Positionen versucht Gould zu beweisen, dass alle Differenzen zwischen Männern und Frauen vorwiegend sozial, kulturell und historisch bestimmt sind, dass sie aber trotzdem relevant für die Philosophie sein können.20 Die Auffassung, dass die Lage der Frau ein spezifisches, sozialpolitisches und kulturelles Problem ist, soll nicht heißen, dass dieses Problem nicht philosophisch ist. Um seine philosophische Relevanz zu beweisen, stellt Gould die These der abstrakten Universalität, nach der die allgemeine menschliche Natur geschlechtsneutral ist und die Philosophie sich also nicht mit der Geschlechtsdifferenz zu befassen hat, der These der konkreten Universalität gegenüber, die das Individuum als sozial 18

Carol C. Gould, "The Woman Question: Philosophy of Liberation and the Liberation of Philosophy," in: Carol C. Gould, Marx W. Wartovsky (Hrsg.), Women and Philosophy. Toward a Theory of Liberation. New York: Putnam's Sons, 1976, 5. 19 Nancy Holland, Is Women’s Philosophy possible? Boston: Rowman & Littlefield, 1990. 20 Carol Gould, "The Woman Question: Philosophy of Liberation and the Liberation of Philosophy", 6-7.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

und geschlechtlich auffasst. Aus dieser Position zeigt sie zum Ersten, dass die zufälligen Eigenschaften auch wesentlich für die Bestimmung der universellen menschlichen Natur sind, und zum Zweiten, dass die angebliche Geschlechtsneutralität bei den meisten Philosophen (Kant, Rousseau, Schopenhauer, Fichte u. a.) in Widerspruch mit ihren Auffassungen der konkreten Individualität der Frauen steht. Fast alle großen Philosophen haben die Minderwertigkeit der Frau betont und ihre Unterdrückung ideologisch legitimiert. So werden die Männer nicht zu Gesetzgebern, weil die männliche Natur rational ist und die weibliche nicht, sondern weil die Männer die Gesetze geben, wird die Rationalität als männliche Eigenschaft deklariert. Die Frauen werden unterdrückt, nicht weil sie von Natur aus mit sekundären Eigenschaften ausgestattet sind, d. h. weil sie intuitiver und sensibler sind, sondern weil die Frauen unterdrückt sind, werden ihnen sekundäre Eigenschaften zugeschrieben, die dann als "weiblich" dargestellt werden. Die Aufgabe der feministischen Philosophie besteht deshalb darin, die männliche Ideologie, die zur Unterdrückung und sozialen Ausbeutung der Frauen führt, zu demystifizieren.21 Rosi Braidotti wirft Gould vor, dass sie diese Demystifikation nicht vollbringt, weil sie gerade die männlichen Ideale der Strenge und Rationalität annimmt, welche die Normen der Philosophie bestimmen. "Therefore" – betont Braidotti – "her discourse does not challenge the very nature of these ideals or their links with the reality of women's oppression".22 Braidotti versucht zu zeigen, dass die Autorinnen, die den Ausschluss der Frauen überwinden wollen, indem sie Platz in dem dominierenden männlichen philosophischen Diskurs einnehmen, damit enden, dass sie die Spielregeln annehmen, die sie weder mitbestimmt, noch diskutiert haben. Deshalb muss sich der radikale Feminis21

Ebenda, 17-22, 33-38. Rosi Braidotti, Patterns of Dissonance. Oxford: Polity Press & Blackwell, 1991, 178. 22

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

mus über dieses Schema hinaus situieren und die Kritik an der Macht als zentrales Moment des Diskurses annehmen. Dies versucht Braidotti durch ihren eigenen dekonstruktivistischen und postmodernen Nomadismus zu verwirklichen.23 Die Antwort Nancy Hollands auf die Frage, ob eine feministische Philosophie möglich sie, ist mehrdeutig: "Ja, nein und vielleicht". Ja, sie ist möglich und sie existiert als Kritik der philosophischen Tradition. Sie ist aber nicht möglich im Rahmen der angloamerikanischen Philosophie. Und "vielleicht" wird es eines Tages, in einer besseren Welt, die wir uns heute nicht vorstellen können, so etwas wie eine "Philosophie der Frauen" geben.24 Diese Äußerung scheint Hollands Skeptizismus, dass in der heutigen Welt die feministische Philosophie etwas anderes sein könnte als eine Kritik an der Tradition, zu widerspiegeln. Zugleich versucht sie zu zeigen, dass es auch "männliche" Konzeptionen gibt, so wie z. B. existenzielle Phänomenologie, Hermeneutik, Poststrukturalismus und Dekonstruktion, die zu einem effektiven feministischen Zugang in der Philosophie beitragen könnten. Andrea Nye stellt ihrerseits die Frage, ob die Feministinnen in ihrer Praxis die feministische Philosophie überhaupt brauchen. Contemporary feminist theory is a tangled and forbidding web. Familiar slogans of equality and freedom have been replaced by the intricate embodery of Marxist economics, the hermetic mysteries of psychoanalysis, and inaccessible theories of the signifier.25 Unter dem Druck der täglichen Arbeit und ihren Problemen, haben die Frauen, die eine konkrete Hilfe brauchen, oft keine Zeit und keine Möglichkeit sich mit Theorien zu beschäftigen. Ihnen erscheint die Philosophie als "luxury for ivory tower 23

Ebenda, 179, 181. Nancy Holland, Is Women’s Philosophy possible? 176. 25 Andrea Nye, Feminist Theory and Philosophies of Man. London-New YorkSydney: Croom Helm, 1988, 1. 24

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

intellectuals".26 Wenn sie aber, so Nye, auf destruktive Beziehungen, auf bürokratische und diskriminierende Instanzen stoßen, wenn sie nicht mehr wissen, wie sie handeln sollen, verstehen sie, dass sie eine kompetente Hilfe brauchen und greifen zu den Büchern, für die sie zuvor keine Zeit hatten. Wem sollen sie aber Glauben schenken? Den Marxistinnen, den liberalen Philosophinnen oder den radikalen Feministinnen? Gerade hier liegt das Problem – es gibt Nyes Meinung nach keine feministische Philosophie, die eine unfehlbare praktische Orientierung anbieten kann. Wie Athene sieht sich die feministische Philosophie vor dem Dilemma gestellt, ob sie mit den "männlichen" Göttern zusammenarbeiten oder ob sie den Kollaborationismus mit ihnen verwerfen soll. Und eben weil es keine "fertigen Antworten" gibt, muss diese Frage, indem man aus den Fehlern der Vergangenheit seine Lehren zieht, immer wieder neu bewertet werden.27 Entschlossener scheint Jane Grimshaw zu sein. In ihrer Diskussion mit Janet Richards, nach welcher der Feminismus die Philosophie nicht unterschätzen sollte, weil sie ihm die "Technik" eines klaren und logischen Denkens anbieten könnte,28 betont Grimshaw, dass es sich nicht einfach um eine Technik handelt: Philosophy is not something which feminists can just take or leave; philosophical questions are an intrinsic aspect of feminist thought and action. (...) That is to say, the "facts" about the situation of women cannot even be identified, let alone understood, without the concepts and theories which articulate these facts and make sense of them to us. Feminists are necessarily concerned with the sorts of questions about human nature, human knowledge and reason ... which have been the concern of philosophers. Feminist arguments have used concepts such as liberty, justice, equality, oppression and liberation, concepts of human nature and the self, of male and female 26

Ebenda. Ebenda, 4. 28 Siehe Janet Radcliffe Richards, The Sceptical Feminist: A Philosophical Enquiry. London: Routledge and Kegan Paul, 1980, 4. 27

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

nature, which are closely related to philosophical and political traditions (...) In this sense feminists cannot avoid engaging with philosophical questions and issues.29 Eigentlich ist es Michèle LeDoeuff, die in L'étude et le rouet. Des femmes, de la philosophie, etc. die Frage nach dem Verhältnis der Frauen und der Philosophie ins Zentrum gestellt hat: Si le sexisme étaie la méthode même par laquelle une pensée se met en place (...), comment imaginer, une méthode pour une philosophie féministe, ou pour une philosophie qui permettrait aux hommes et aux femmes de se retrouver dans un travail commun?30 Wie kam es dann überhaupt dazu, dass die Frauen zu philosophieren begannen? Pour dire ce qu'il en est des femmes et de la philosophie une phrase suffit à Hipparchia: 'J'ai employé à l'étude tout le temps que, de par mon sexe, il me fallait perdre au rouet'.31 Indem Hipparchia die übliche Rollenverteilung verwirft, gerät sie mit ihrer Identität in Schwierigkeiten. Dies ist, nach LeDoeuff, auch heute noch der Fall: weil du eine Frau bist, hält man dich für unwesentlich als Philosophin, und weil du Philosophin bist, erinnert man dich von Zeit zu Zeit daran, dass du "nicht ganz Frau bist".32 Dennoch könnte man im Großen und Ganzen von einer Dialektik oder sogar von einer Identität zwischen Philosophie und Feminismus sprechen, da beide ein und dieselbe Wahl ausdrücken, nämlich von sich aus zu denken und zu urteilen. Dies ist auch der Ansatz zu LeDoeuffs "Mutismus", der die Philosophie mit dem Willen zur Unabhängigkeit vereinen soll bzw. zur Ablehnung aller Formen von Dominanz. 29

Jane Grimshaw, Feminist Philosophers. Brighton: Wheatsheaf Books Ltd., 1986, 33-34. 30 Michèle Le Doeuff; L’étude et le rouet. T. 1, Des femmes, de la philosophie, etc. Paris: Seuil, 1989, 8. 31 Ebenda, 5. 32 Ebenda, 39.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Die Frage, wie die Beziehung zwischen dem Feminismus und der Philosophie gedacht werden soll, ist bis heute umstritten. Dennoch könnte man die diesbezüglichen Lösungsversuche in fünf Hauptgruppen zusammenfassen: x Integrationismus: Die feministische Philosophie soll dazu beitragen, die Frauen verstärkt in den philosophischen Diskurs einzubinden; eine typische Vertreterin dieser Richtung ist Carol Gould; x Additivistischer Reformismus: Die feministische Philosophie soll die männliche Philosophie mit neuen Themen und Problemen bereichern, die aus der weiblichen Erfahrung gewonnen wurden. Damit wird der Universalismus revidiert und versucht, die Philosophie in eine allgemein menschliche Betätigung zu verwandeln; diese Ansicht vertritt z. B. Nancy Holland; x Gynozentrismus: Die feministische Philosophie soll die patriarchale Philosophie dekonstruieren und eine neue alternative Form von philosophischen Begriffen und Modellen, welche die weibliche Spezifika ausdrücken, schaffen, das heißt eine Philosophie der weiblichen Erfahrung; diese Tendenz ist besonders typisch für die Vertreterinnen der écriture féminine; x Separatismus: Der Feminismus soll die Philosophie als männlichen Diskurs dekonstruieren und sich als Alternative der Philosophie, d.h. als Nicht-Philosophie oder Anti-Philosophie, mit einer neuen Sprache positionieren; das typischste Beispiel diesbezüglich ist das so genannte texere von Mary Daly, wo der weibliche Text als ein Spinngewebe verstanden wird;33 x Performatismus oder queer theory: Die feministische Philosophie soll die patriarchale Philosophie dekonstruieren und damit auch das binäre Denken "männlich – weiblich", denn es gibt keine stabilen Identitäten – die Identität wird konstruiert und zwar nicht unbedingt als "männlich" oder "weiblich", 33

Mary Daly, Gyn/Ökologie. Eine Metaethik des radikalen Feminismus. München: Frauenoffensive, 19915, 25-32.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

sondern auch als transsexuell oder transgender; besonders charakteristisch dafür ist das berühmte Werk von Judith Butler Gender trouble. Dabei müssen aber zwei Punkte beachtet werden. Erstens kommen diese Lösungsversuche nicht immer in reiner Form vor. Zum Beispiel findet man bei einigen Autorinnen Integrationismus plus additivistischer Reformismus oder Gynozentrismus plus Separatismus. Gynozetrismus muss daher nicht automatisch mit Radikalismus und Separatismus gleichgesetzt werden,so wie es Ursula Meyer tut.34 Zweitens sind diese Debatten inzwischen in die verschiedenen Bereiche der Philosophie (Erkenntnistheorie, Ontologie und politische Philosophie) aufgenommen worden. Dadurch werden die Fragen nach dem Subjekt ("männliches", "weibliches", "mythisches", "subjektloses", "transversales"), nach dem Körper ("männlicher", "weiblicher", "androgyner", "homosexueller", "lesbischer", "transsexueller", "Cyborg"), und die Frage nach der Gerechtigkeit in einer neuen Perspektive gestellt. Diese Fragestellungen bewegen sich zwischen der Kritik der Mythologeme des Mannes als Subjekt-Geist-Logos und der Frau als Körper-Natur-Eros – Kritik, die auf die Errichtung einer gemeinsamen Welt abzielt – und der Annahme der Differenz zwischen männlicher und weiblicher Natur, die zur Errichtung zweier parallelen Welten führt. Die klarste und systematischste Antwort auf die Frage: "Was ist feministische Philosophie?", ist meines Erachtens von Herta Nagl-Docekal gegeben worden, die in ihrer Einführung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband Feministische Philosophie (1990)35, sich einer kurzen Definition des Begriffs enthält und dafür sieben Elemente anführt. Ich werde mir erlauben, diese sieben Elemente hier zusätzlich zu erläutern.

34

Ursula Meyer, Einführung in die Feministische Philosophie, 16-19. Herta Hagl-Docekal (Hrsg.), Feministische Philosophie. Wien/München: Oldenbourg Verlag, 1990 und 19942. 35

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Erstens, die feministische Philosophie ist ein Projekt, das nicht aus forschungsimmanenten Entwicklungen hervorging; sie ist durch den Feminismus als politische Bewegung initiiert worden und bleibt auf diesen bezogen. Das soll nicht heißen, dass die feministische Philosophie eine Art Politologie ist; sie ist vielmehr eine Fragestellung der Beziehung zwischen den Geschlechtern, die alle Bereiche der Philosophie durchdringt. Zweitens, der politische Kontext, dem das feministische Forschungsinteresse entspringt, muss von der wissenschaftlichen Arbeit unterschieden werden. Mit anderen Worten, ein und derselbe politische Kontext kann Objekt verschiedener theoretischer Untersuchungen sein und zwar nicht nur von philosophischen, sondern auch von soziologischen, politologischen, historischen, u. a. Die spezifisch feministischen philosophischen Forschungen verlangen aber die Anwendung der hermeneutischkritischen Methode für die Auslegung bestimmter philosophischer Texte. Es ist daher kein Zufall, dass die feministische Philosophie als Kritik an den Ansichten großer Philosophen über die Frauen, begonnen hat. Drittens, die feministische Philosophie hat antiideologischen Charakter (daher wäre jeder Ideologievorwurf unberechtigt) und versucht daher zu zeigen, auf welche Weise die Philosophie die Unterdrückung der Frauen legitimiert hat. "Es gibt kein anderes Thema" – unterstreicht ihrerseits Cornelia Klinger, – "das in gleicher Weise wie die Frage nach dem Bild 'der Frau' in der Philosophie geeignet wäre, den ideologischen Charakter von Philosophie, das heißt ihre Rechtfertigungsfunktion für die jeweils bestehenden Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnisse, so klar in Erscheinung treten zu lassen."36 Klinger gibt diesbezüglich als eines der typischsten Beispiele die Konzeption Otto Weiningers an, die als Synthese des gesamten Arsenals der abendländischen Theorien gegen die Frauen gelten könnte. Nach seinem "Katalog von Bestimmungen" wäre die Frau alogisch, 36

Cornelia Klinger, "Das Bild der Frau in der Philosophie ...", 65.

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amoralisch, begriffslos, seelenlos, ohne Ich und ohne Wert, weil sie reine Lust ist, im Gegensatz zum Mann, der über eine IchGrenze verfügt, der einen Wert und einen Willen hat. Demnach wäre nur der Mann Etwas, die Frau ist Nichts, nur er ist Mensch und sie nicht.37 Viertens, die Tatsache, dass philosophische Fragestellungen dem politischen Engagement für die Bekämpfung von Diskriminierung entspringen, trifft keineswegs nur auf die feministische Philosophie zu. Hier ist beispielsweise zu bedenken, dass für Kant die Philosophie insgesamt ihre Berechtigung nur daraus beziehen kann, dass sie der Institutionalisierung von Freiheit "beförderlich" ist. Der Eindruck der Inkompatibilität von Feminismus und Philosophie hatte sich vor allem aus dem Kontext der sprachanalytischen Philosophie, welche die politisch orientierten Fragen als philosophiefremd angesehen hatte, ergeben. Dieses Problem, das für die Periode 1955-1975 galt, besteht nicht mehr, da sich inzwischen auch im englischsprachigen Raum eine Wiederaufnahme des weiteren Philosophieverständnisses abzeichnet hat. Fünftens, die feministische Philosophie ist nicht als eine neue Teildisziplin zu sehen, die den bereits vorhandenen Disziplinen bloß angegliedert zu werden brauchte. Es geht vielmehr darum, die Frage nach der Stellung der Frau in allen Bereichen des Faches zu verfolgen. "Feministische Philosophie ist somit Philosophieren am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau", unterstreicht Herta Nagl-Docekal.38 Sechstens, die Bezeichnung "Feministische Philosophie" bringt dieses Vorhaben deutlicher zum Ausdruck, als der Terminus "Philosophische Frauenforschung". Letzterer lässt zwar vermutlich den Verdacht einer Ideologisierung weniger leicht aufkommen, aber der Preis ist hoch: Dieser Terminus suggeriert ein Projekt, "das durch seinen Gegenstandsbereich definiert ist – eben 37 38

Ebenda, 67. Herta Nagl-Docekal, "Was ist feministische Philosophie?", 11.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

die Erforschung der Frau – und ist damit doppelt irreführend: er lässt erstens unbelichtet, dass es nicht nur die Frau, sondern beide Geschlechter zu thematisieren gilt, und zweitens, dass das Verhältnis der Geschlechter nicht bloß als ein Gegenstand (neben anderen), sondern auch (und vor allem) als eine Frageperspektive der philosophischen Forschung insgesamt gefordert wird. Der Begriff der feministischen Philosophie muss auch von den Begriffen "Gender-Studies" und "Feministische Forschungen" unterschieden werden, die ein weiteres Feld umfassen und nicht nur auf die Philosophie beschränkt sind. Siebentens, die feministische Philosophie hat nicht den Charakter einer einheitlichen philosophischen Position. "Am Leitfaden feministischer Interessen zu philosophieren, heißt" – nach Herta Nagl – "mit allen anderen, die dies tun, eine Problemstellung gemeinsam zu haben, doch das ist nicht gleichbedeutend damit, auch im Inhaltlichen übereinzustimmen."39 Gerade diese Nichtübereinstimmung, die bei einigen Kritikern Skepsis hervorruft, ist sowohl Verhinderung einer Dogmatisierung, wie auch Antrieb zur kreativen Vielfalt des Feminismus. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Sammelbandes Feministische Philosophie stellt Herta Nagl ihre Thesen Von der feministischen Transformation der Philosophie im deutschen Streitforum für Ewägungskultur, Ethik und Sozialwissenschaften, zur Diskussion. Da ich hier die Debatten nicht wiedergeben kann, werde ich lediglich zwei Momente hervorheben. Herta Nagl betont, dass die Vernunft sowohl für weibliche wie für männliche Menschen von vitaler Relevanz ist: "Würden Frauen versuchen, die Formation ihrer Identität ausschließlich an einem Bild zu orientieren, das Feminität und Emotionalität gleichsetzt, so hieße dies, dass sie den Anspruch aufgeben, an rationalen Entscheidungsprozessen zu partizipieren, bzw. dass

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Ebenda, 12.

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sie ihrer Bevormundung zustimmen."40 Um die Diskriminierung der Frau überwinden zu können, braucht man ein neues Identitätskonzept, welches das Geschlechterverhältnis in allen Bereichen des Lebens neu bewerten würde. Dabei würde nach Herta Nagl "das Konzept der dichotomischen Charaktere wohl insgesamt zu verabschieden sei."41 Das bedeutet, dass die lange Tradition androgyner Konzepte neue Aktualität erlangen könnte. Besonders wichtig dabei wäre die Neubewertung der Einzigartigkeit der Individualität. Wenn also die Philosophie sich der Geschlechteridentität im Interesse der Befreiung der Frau widmen würde, wird dies Auswirkungen auf alle Bereiche der Philosophie haben, sogar auf diejenigen partikularen Bereiche, die vorgeben, geschlechtlich neutral zu sein. Um die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern zu überwinden, dürfte man einerseits die Geschlechterfrage in der Philosophie nicht "neutral" formulieren, andererseits jedoch darf man sie nicht in eine reine Frauenfrage verwandeln, sondern sie muss aus der Perspektive der Neukonstruierung des Geschlechterverhältnisses gestellt werden. Nur aus dieser Position heraus wäre zu argumentieren, dass die feministische Philosophie nicht eine "Philosophie von Frauen über Frauen und für Frauen" ist.42 Die sieben Elemente, die Herta Nagl artikuliert, sind zweifelsohne konstitutiv für den Begriff der feministischen Philosophie, auch wenn man über die "Details" streiten mag.43 Es 40

Herta Nagl-Docekal, "Von der feministischen Transformation der Philosophie", Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, 1992, Heft 3, 525. 41 Ebenda, 530. 42 Ebenda, 529. 43 Damit meine ich, dass es auf die hier aufgeworfenen Fragen und Probleme keine eindeutigen Antworten gibt. Was genau ist unter Geschlechterdifferenz zu verstehen, sind Geschlechterdifferenzen nur innerhalb der bipolaren Matrix vorzufinden? Sind immer und überall Asymmetrien aufgrund der Geschlechterdifferenz zu beachten? Worin sind die Frauen benachteiligt oder vielleicht in manchen Fällen die Männer? Was ist "Frauensache" und was "Männersache" bzw. wo ist eine Zusammenarbeit mit Männern wünschenswert und wo nicht? Wie strittig alle diese Probleme sind und zu welche Dra-

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

scheint mir jedoch, dass man diese Denkansätze noch weiter vorantreiben könnte, um zu etwas Grundlegenderem zu gelangen. Der feministische Ansatz ist nicht nur ein kritisches Projekt oder eine bestimmte Fragestellung, die alle Bereiche der Philosophie durchdringt. Wenn er kein "Gegenstand neben anderen ist", dann weil er zutiefst mit dem Gegenstand und der "Fundamentalfrage" (Heidegger) der Philosophie selbst verbunden ist – mit der Frage nach dem Sein des besonderen Seienden, das wir jeweils sind. Würde man sich die sieben erwähnten Elemente durch das Prisma der Grundfrage nach dem menschlichen Sein und sein Mitsein anschauen, so ließe sich aufzeigen, wie mit der konkreten körperlichen und geschlechtlichen Situiertheit der Existenz alle klassischen philosophischen Oppositionen, wie Teil und Ganzes, Universal und Partikular, Eros und Logos, Natur und Kultur, Homogen und Heterogen, etc. wieder in ein anderes Licht tauchen. Im Unterschied zu Rosi Braidotti, welche die Meinung vertritt, dass die feministische Problematik als Gegenstand der Philosophie aus den antiken Oppositionen abzuleiten ist, insbesondere aus der Opposition "männlich – weiblich", glaube ich hingegen, dass dieses Oppositionsdenken grundlegender ist als die antike Philosophie und dass es schon bei den "primitiven" Völkern vorzufinden ist, wie die Strukturalisten u.a. beweisen. Das zeigt Beauvoir sehr gut, wenn sie zu Anfang des Anderen Geschlechts auf Hegels Satz "Das Subjekt setzt sich, in dem es sich entgegensetzt" verweist, um das Produzieren von Ausschlüssen und den Kampf um Anerkennung als eine grundlegende Eigenschaft des menschlichen Seins zu artikulieren. Durch die Auffassung des Menschen als "universel singulier" (Kierkegaard, Sartre) kommt sie jedoch am Ende ihrer Ausführungen zum Schluss, dass trotz alle Differenzen beide Geschlechter dieselben Sorgen und dasselbe Los (Hunger, Krankheit, Tod etc.) teilen. Dieses Los gründet in der menschlichen Ambiguität, men sie geführt haben wird weiter im dritten und im vierten Teil dieses ersten Kapitels gezeigt.

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Feministische Philosophie – "amerikanisches" oder "europäisches" Produkt?

aus der heraus auch die Geschlechterdifferenz zu interpretieren ist. Mit anderen Worten, der Mensch ist sowohl Transzendenz, als auch Faktizität und dadurch schon in einer Situation, bei der erst alle Differenzen ins Spiel kommen. Ausschlüsse passieren meistens durch eine Radikalisierung der Differenz und Reduzierung des Anderen auf besondere Merkmale seiner Faktizität (Geschlecht, Hautfarbe, Alter usw.). Der Diversity-Bereich, in dem die Geschlechterdifferenz eine wesentliche Rolle spielt, zeigt wie wichtig unsere Menschenbilder sind. In diesem Sinne – wenn ich mir erlauben darf, Herta Nagls Auffassung noch in eine andere Richtung zu lenken – brauchen wir ein erweitertes Identitätskonzept, das in der Lage ist gewisse Differenzen zu integrieren oder zumindest "auszuhalten", anstatt immer wieder ein DramaDreieck (Täter–Opfer–Retter) zu (re)produzieren.44 Eins ist klar: Befreiungstheorien wird es immer geben, weil es immer Unterdrücker und Unterdrückte, Krieg und Leid geben wird. Ob sich damit die skandalöse Antinomie zwischen der Situation der Frau als "Andere" und ihres Da-seins als "Gleiche"45 auch immer wieder auf die eine oder die andere Art und Weise perpetuieren wird, ist unklar. In diesem Zusammenhang stellt sich die (hypothetische) Frage: Was würde mit der feministischen Philosophie passieren, wenn die Frauen nicht mehr unterdrückt und die Gleichstellung der Geschlechter eines Tages überall auf der Welt erreicht wäre? Wenn feministische Philosophie tatsächlich ein "Philosophieren am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau" ist, würde dies bedeuten, dass die Erreichung des Ziels somit auch das Ende der feministischen Philosophie ankündigen würde? 46 44

Siehe darüber den dritten Teil im ersten Kapitel – "Feministische Theorie ohne Frauenbewegungen?", 164-199. 45 Siehe Yvanka Raynova, "Das andere Geschlecht im postmodernen Kontext", L’Homme, 10. Jg., 1999, Heft 2, 79-90. 46 Diese Frage habe ich Herta Nagl gestellt, auf die sie eine sehr interessante Antwort gab (siehe "Feministische Philosophie – Frauenforschung – Gender Studies. Mit Herta Nagl-Docekal im Gespräch", hier im zweiten Kapitel dieses Buches).

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Obwohl die feministische Philosophie als "feministisch" den Aktivismus voraussetzt, ist sie nicht nur Emanzipationsdiskurs, sondern auch Philosophie, das heißt eine soziokulturelle Hermeneutik der Geschlechterproblematik. Insofern bildet die geschlechtliche und soziale Situiertheit des Menschen in Bezug auf Sinn von Sein und Mitsein den gemeinsamen Grund sowohl des Feminismus als auch der Philosophie. Genauso wie die Philosophie den feministischen Ansatz braucht, um die Geschlechterblindheit und den Différend zu überwinden, genauso braucht auch der Feminismus die Philosophie, um die Probleme der Praxis konzeptuell zu erfassen, auszulegen und demnach adäquatere Strategien zu bilden. So ist diese umstrittene "Ehe", ob gewünscht oder nicht, vonnöten.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie und der philosophischen Geschlechterforschung in "Osteuropa"1

Ausgangssituation Als 1994 die Editionsarbeit zum Blackwell Companion to Feminist Philosophy begann und besonderes Interesse an "feministischer Philosophie in Osteuropa" gezeigt wurde, schien es mir fast unmöglich darüber zu schreiben, weshalb ich auch ablehnte, mich an diesem Projekt zu beteiligen.2 Daša Duhaþek, die dann 1

Die folgende Studie entstand im Rahmen des Projektes "Ruptures – Gender – Society", das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur gefördert wurde. Sie ist Resultat einer zweistufigen Vorgangsweise: Bestandsaufnahme der neuesten Entwicklungen in den philosophischen Geschlechterforschung in "Osteuropa" und Analyse des Rezeptionsflusses zwischen "Ost" und "West". Die ursprünglich qualitative Erhebung wurde von mir und Susanne Moser durchgeführt. In der Einladung baten wir die jeweiligen Ansprechpartnerinnen, ausführlich auf die Lage in ihrem Land einzugehen, um ihren Bericht dann als eigenständige Publikation im Projekt aufnehmen zu können. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese Beiträge nicht den erhofften Umfang enthielten und nicht ausreichend waren (siehe die Interviews im zweiten Kapitel des Buches). Im Workshop "Gender Studies zwischen Ost und West" (12.13. Januar 2001) wurde zudem die Problematik angesprochen, dass bei der Beantwortung von Interviews oft Informationen aus einer ganz bestimmten Perspektive abgegeben oder überhaupt zurückgehalten werden. Dies veranlasste mich eigene Recherchen vorzunehmen, die sich als entscheidend für den analytischen Teil erwiesen haben. 2 Als ich 1991 eingeladen wurde, am Sammelband Philosophy and Political Change in Eastern Europe zu arbeiten, nahm ich ohne weiteres an; es war zwar aufwendig, aber durchaus bewältigbar, über eine mehr oder weniger abgeschlossene Periode der bulgarischen Philosophie zu schreiben (vgl. Ivanka Raynova: "Visions from the Ashes: Philosophical Life in Bulgaria from 1945 to 1992," in: Barry Smith [Hrsg.], Philosophy and Political Change in Eastern Europe. La Salle/Illinois: Opencourt, 1993: 103-134.). Als mir jedoch kurz danach Alison Jaggar and Iris Young anboten das Kapitel über feministische Philosophie in Osteuropa für den Blackwell Companion to Feminist Philosophy zu verfassen, lehnte ich ab – es schien mir unmöglich über einen Bereich zu schreiben, der noch im Entstehen war und zumindest für mich ziemlich unklare Konturen hatte.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

das Kapitel über feministische Philosophie in Osteuropa für den Companion verfasste, machte folgende Feststellung: My first attempt to gather material for East European feminist philosophy through systematic library research was discouraging: the computer had no matching titles for my search.3 Duhaþeks Arbeit war tatsächlich die erste in diesem Bereich und ist bisher auch die einzige geblieben. Die Schwierigkeiten, die sie bezüglich der Behandlung des Themas aufzählt, sind heute noch gültig: x x x x x x

Definitionsschwierigkeiten bezüglich der Begriffe "Feministische Philosophie" und "Osteuropa"; Existenz historischer, kultureller, religiöser und ethnischer Differenzen innerhalb von Osteuropa; die Frage, ob "Feminismus" als eine rein westliche Erscheinung zu betrachten und anzunehmen sei; die Schwierigkeit, eine Grenze zwischen feministischer Theorie und feministischer Philosophie zu ziehen; die Diversität der Sprachen, die einen eigenständigen Überblick fast unmöglich macht; der Mangel an Vernetzung zwischen den osteuropäischen Philosophinnen.

Aus diesen Gründen betrachtet Duhaþek ihren Artikel mehr als Anstoß für zukünftige ausführlichere Untersuchungen4 denn als geschlossenes Ganzes und konzentriert ihre Untersuchung auf drei Themenkreise: 1) die feministische Kritik am "realen Sozialismus" und das Problem der Partizipation der Frauen in Politik und Ökonomie nach der Wende, 2) die Kontrolle über 3

Daša Duhaþek, "Eastern Europe," in: Alison Jaggar, Iris Young (Hrsg.), A companion to feminist philosophy. Malden and Oxford: Blackwell, 1998. 4 "My article is merely a proposal for further comprehensive research of Eastern European feminist philosophy, which is itself very much in the making" (Ebenda, 129).

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

den eigenen Körper, 3) die Herausforderungen des Nationalismus und des Krieges. Diese Themen sind, wie wir sehen werden, nur ein Bruchteil des bunten Mosaiks der feministischen Philosophie und der philosophischen Genderforschung in Osteuropa. Bei der dabei verwendeten Literatur handelt es sich um Aufsätze, die hauptsächlich auf Englisch5 und Serbokroatisch6 veröffentlicht wurden. Die Aufgabe, einen präziseren Überblick über den Stand der Genderforschung in Osteuropa zu geben, steht noch immer bevor. Dieser thematisch sehr breite und heterogene Wissensbereich, der noch im Entstehungsprozess ist, kann jedoch schwer erfasst werden, ohne im Vorhinein das Forschungsvorhaben genau zu bestimmen. Bevor ich also auf andere, spezifischere Probleme und Schwierigkeiten eingehe, möchte ich die Fragen nach dem Gegenstand, dem Ziel, der Methode und den Quellen dieser Untersuchung klar stellen. Die ersten Probleme, mit denen die Gender Studies in Osteuropa konfrontiert wurden, bezogen sich auf die Definition der Begriffe "Gender"7 und "Gender Studies".8 Unter "Gender" wird 5

Die Beiträge sind aus dem schon genannten Sammelband (siehe Nanette Funk, Magda Mueller [Hrsg.], Gender Politics and Post-Communism. New York and London: Routledge, 1993), aus einem Sammelband über die russischen Frauen (Anastasia Posadskaya [Hrsg.], Women in Russia: A new Era in Russian Feminism. London and New York: Verso, 1994) sowie aus den Sonderausgaben zu Osteuropa von Hypatia (Autumn, vol. 8, no. 4, 1993) und Signs (Socialist Welfare State to a Social Market Economy, vol. 17, no.1, 1991). 6 Wenn man bedenkt, wie viele Arbeiten zur feministischen Philosophie in Jugoslawien geschrieben wurden, sind die vier zitierten Aufsätze (Rada Ivecoviü, "Prazno mjesto drugog/druge u postmodernoi misli", in: Postmoderna – Nova epoha ili zabluda. Zagreb 1988; Papiü, Žarana: "Telo kao proces u toku", in: Sociologija, 34/2/1992: 259-275; Branka Arsiü, Recnik. Belgrad 1995; ders., Mislim, dakle nisam zena, in: Filosofski godisnjak 6/1993) schlicht und einfach zu wenig. 7 Wie im Deutschen, so hat dieser Begriff auch in anderen, insbesondere slawischen Sprachen kein genaues Äquivalent, was sowohl die Übersetzung als auch das allgemeine Verständnis zusätzlich erschwert. 8 Siehe z. B. Žarana Papiü, "Pol i rod – kategorije socijalne organizacije polnosti", Revija za sociologiju, Zagreb, No. 3-4, 1984; 327-331; Pushkareva, Natal'ya: Gendernye issledovaniya: rozhdenie, stanovlenie, metody i perspektivy v sisteme

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

zwar meistens die soziale Konstruktion des Geschlechts verstanden, doch unter "Gender Studies" wird oft auch die gesamte Frauenforschung, die feministische Theorie u.a. subsumiert. Eine explizite Abgrenzung von Gender Studies, Women's Studies, und feministischer Theorie wird selten unternommen.9 Feministische Philosophie und feministische Theorie werden oft gleichgesetzt. Diese Unklarheiten haben, wie wir sehen werden, gewisse negative Auswirkungen, sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich der Genderforschung in Osteuropa: Zum einen wird ihr vom männlich dominierten akademischen Diskurs jegliche "Wissenschaftlichkeit" abgesprochen, zum anderen werden die Vorbehalte und Vorurteile gegenüber dem Feminismus auf die Gender Studies selbst übertragen.10 Die begrifflichen und inhaltlichen Abgrenzungen der genannten Bereiche bleiben zum Teil ungeklärt, weil es sowohl im "Osten" als auch im "Westen" keine Übereinstimmung, sondern lediglich verschiedene Auffassungen davon gibt.11 Das Beispiel, istoricheskikh nauk. In: Khotkina, Zoya et al. (Hrsg.): Woman-Gender-Culture. Moskau: Moscow Center for Gender Studies, 1999: 15-34.; Olga Voronina, "Vvedenie v gendernye issledovaniya", in: Materiali pervoi rossiskoi letnei skoli po jenskim i gendernim issledovaniam. Moskau 1997, 29-34; ders., "Kategorii pol/gender v filosofii feminisma", Filosofskie issledovania, 1995/4; Natal'ya Abubikirova, "Chto takoe 'gender'?", Obschestvennye nauki i sovre-mennost' , Moskau, 6/1996, 123-125. 9 Eine der Ausnahmen ist die explizite Thematisierung dieser Probleme seitens der rumänischen Philosophin Mihaela Miroiu; ihre Argumente gehen jedoch mehr in strategische, denn in theoretische Richtung (vgl. Mihaela Miriou, Andand Strategy. A Romanian Experience. Gender Studies in Eastern Europe, Bucharest: UNESCO, 2000). 10 Olga Shnyrova, "Poblemy vospriyatiya gendernykh issledovanij v akademicheskoj srede", in: Natalia Nosova (Hrsg.), Pol, gender, kul'tura. Moskau: RGGU, 2000, 232. 11 Siehe z. B. Renate Hof, Die Entwicklung der Gender Studies, in: Hadumod Bußmann, Renate Hof (Hrsg.), Genus – Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1995, 3-33. Dazu muss man erwähnen, dass sich die Kategorie "Gender", die von manchen als instabil verstanden (vgl. Judith Butler, Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. London and New York: Routledge, 1990) und kritisch rezipiert wird, ständig weiterentwickelt. Eine Anthologie zum Thema Gender comparisons: An interdisciplinary perspective wird im Moment z. B. von Wiebke

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

das hier von besonderem Interesse ist, betrifft die philosophische Genderforschung selbst: Ob philosophische Genderforschung ein Teil der feministischen Philosophie ist oder umgekehrt, oder ob es sich um zwei verschiedene Forschungsfelder handelt, bleibt eine offene Frage, da sowohl das eine, als auch das andere argumentiert werden kann.12 Was eher klar zu sein scheint ist die Tatsache, dass philosophische Genderforschung nicht unbedingt feministische Prämissen haben muss: Dass Plato das Geschlecht und die Geschlechterdifferenz thematisiert hat, heißt noch nicht, dass er als erster "feministischer Philosoph"13 gelten kann. Um Missverständnisse zu vermeiden, werde ich von Anfang an folgendes festlegen: Die folgende Arbeit bezieht sich auf Kolbe (Universität Bielefeld) und Iris Rittenhofer (University of Aarhus, Denmark) vorbereitet. In Osteuropa wird "Gender" jedoch mehr und mehr disziplinspezifisch thematisiert (Siehe: Natalya V. Khodyreva, "Gender v psikhologii: istoriya, podkhody, problemy", Vestnik SPU. Filosofiya, politologiya, teoriya i istoriya sotsializma, N2, 1998, 74-82; Ekaterina Tsimbaeva, "'Gender' kak kategoriya istoricheskogo analiza", in: Vestnik MGU. Seriya8 Istoriya, Nr. 3/1999, 130-141; Irina Kalabikhina, Gendernyj analiz ekonomikodemo-graficheskikh problem naseleniya. Moskau: Menedzher, 1995; ders., Uchebno-metodologicheskie materialy po kursu "Sotsial'nyj pol: ekonomicheskoe i demograficheskoe povedenie". Moskau: Dialog-MGU, 1998). 12 Dies ist ein komplexes Thema, das ich hier nicht weiter behandeln kann. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es diesbezügliche Unklarheiten auch bei Herta Nagl gibt, die zwischen "Feministischer Philosophie" und "philosophischer Frauenforschung" explizit unterscheidet. Sie betrachtet den letzteren Begriff als "doppelt irreführend", denn "er lässt erstens unbelichtet, dass es nicht nur die Frau, sondern beide Geschlechter zu thematisieren gilt, und zweitens, dass das Verhältnis der Geschlechter nicht bloß als ein Gegenstand (neben anderen), sondern auch (und vor allem) als eine Frageperspektive der philosophischen Forschung insgesamt gefordert wird" (Herta Nagl-Docekal, "Was ist feministische Philosophie?", in: ders. Feministische Philosophie, Wien / München: Oldenbourg Verlag, 19942, 11-12). Es wird aber nicht klar, wodurch sich dann die feministische Philosophie von der philosophischen Genderforschung unterscheidet. 13 Dies behauptet zum Beispiel Joseph Lucas (siehe Joseph. R. Lucas, "Because you are a woman," in: Philosophy of Woman. Ed. By Mary B. Mahowald, Indianapolis: Hackett, 2 ed., 1983, 384; vgl. Gregory Vlastos. "Was Plato a Feminist?" in: ders. Studies in Greek Philosophy, vol. II. Princeton: Princeton University Press, 1995).

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Lehre und Forschung von "OsteuropäerInnen" (Frauen und Männern), die sich philosophisch mit Gender Studies oder/und mit feministischer Philosophie befassen. Das angestrebte Ziel ist, den Stand dieser Lehre und Forschung möglichst genau zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden die Untersuchungen in fünf Hauptrichtungen geführt, die auf den geschichtlichen und philosophischen Kontext, auf den Rezeptionsfluss, auf Vorlesungen und Veranstaltungen, Publikationen sowie auf verschiedene Formen der Institutionalisierung gerichtet sind. Es gilt hier also, nicht so sehr ein inhaltliches, sondern vielmehr ein "kartographisches" Bild der philosophischen Genderforschung in Osteuropa zu eröffnen. Dieses Bild soll jedoch nicht rein deskriptiv bleiben: Es geht nicht einfach darum festzustellen, was es im Bereich Philosophie an Genderforschung zurzeit gibt oder nicht gibt, sondern auch warum dies so ist. Die hier angewandte interdisziplinäre Methode, die genealogisch, kulturologisch, soziologisch und philosophisch-hermeneutisch vorgeht, verwendet Daten aus folgenden Quellen: x Interviews mittels eines einheitlichen Fragebogens; x Zusätzliche Kontakte und Gespräche mit PhilosophInnen aus Osteuropa; x Texte und Veröffentlichungen in verschiedenen Sprachen; x Internetressourcen (Online-Texte, Programme, Bibliographien, Datenbanken u.a.); x Eigene Erfahrung als Philosophin und Leiterin verschiedener Projekte, Abteilungen und Organisationen. Damit wird ein mehrseitiger, polyphoner Zugang zu diesem Thema angestrebt, der zugleich die Fallen einer unkritischen Kompilation zu meiden versucht.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

1. Die Anfänge der philosophischen Genderforschung in Osteuropa 1.1. Zwischen Ideologie und "Neutralität" Die philosophische Genderforschung in Osteuropa vor der Wende (1989) war eng mit dem Marxismus-Leninismus verbunden und wurde – wenn überhaupt – entweder im Rahmen der sogenannten "Kritik an der bürgerlichen Philosophie" betrieben oder verstand sich als Widerstand gegen die offizielle sozialistische Ideologie. Ansonsten zeichnete sich die Philosophie durch Geschlechterblindheit aus, die im akademischen Diskurs bis heute dominierend ist. 1.1.1 Anti-Feminismus als Ideologie Bis 1989 hatten wir, Frauen aus den ehemaligen sozialistischen Ländern, meist weder über Feminismus noch über Frauenstudien oder die Geschichte der Frauenbewegung etwas gehört. Wenn über diese Themen bei uns noch geschrieben wurde, so war es tendenziös, politisch verzerrt – und wurde von den meisten Menschen mit einem solchen Widerwillen betrachtet, dass sie dann nicht einmal die Ereignisse kannten, die zur Deklaration des 8. März zum Internationalen Frauentag geführt hatten.14 Diese Beschreibung von JiĜina Šiklová gibt uns ein Bild von der feministischen Forschung in Osteuropa, das sowohl Unwissen als auch Mangel an Interesse widerspiegelt. Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass alle PhilosophInnen in Osteuropa in diesem Punkt ignorant waren. Zwar antworteten die meisten der von uns Interviewten, mit Ausnahme von Maria Joó, Eva Bahovec und Rada Ivekoviü, dass vor 1989 in ihrem Land kaum jemand eine Ahnung von Feminismus gehabt hatte, doch ausführ14

JiĜina Šiklová, "Rückblick auf zehn Jahre L'Homme. Z.F.G. aus Prager Sicht.", L'HOMME. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 11. Jg., Heft 1/2000: 160.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

lichere Untersuchungen zeigen auch andere Aspekte: die Teilnahme einiger Philosophinnen am ideologischen Kampf gegen den Feminismus vor 1989, das beharrliche Verschweigen dieser Tatsache und der abrupte Positionswechsel Ende der achtziger Jahre (etwa um 1987-88). Dies betrifft insbesondere einige russische Philosophinnen und Soziologinnen, die nach der Perestroika von Kritikerinnen am westlichen Feminismus als Ideologie zu aktiven Feministinnen mutierten. Die Geschlechterproblematik vor 1989 wurde im Allgemeinen nicht im Sinne der "westlichen" Gender Studies verstanden. Dadurch, dass sowohl das Problem der Geschlechterdifferenz als auch die Frauenfrage eng an die sozialistische Ideologie gekoppelt waren, wurden auch die Frauen als "frei" bzw. schon längst "befreit" und "gleichberechtigt" dargestellt. Um dieses Bild erhalten zu können, wurden gezielt Frauen in Partei, Politik und sogar Philosophie15 eingebunden, natürlich unter der Bedingung der "Treue" an Ideologie und Partei. Frauen wurden jedoch nicht zu mehr als einem Drittel in führende Positionen (Zentralkomitee, Ministerien, Geheimdienste, verschiedene Beiräte etc.) zugelassen.16 Die wichtigste Rolle in ideologischer Hinsicht spielten im Endeffekt die speziellen Frauenorganisationen und Frauenzeitschriften, die den Auftrag hatten, die Ideologie der Gleichberechtigung zu illustrieren und alle heiklen sowie problematischen Frauenfragen auszublenden oder zu vertuschen. Daran waren sowohl Parteifunktionärinnen als auch Wissenschafterinnen, Journalistinnen, Juristinnen, Gewerbeaktivistinnen u.a. mehr oder weniger beteiligt.

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In einem Gespräch vor 20 Jahren erzählte mir eine alte Philosophieprofessorin, dass sie und andere in den 50er Jahren als treue Parteigenossen und genossinnen den Parteiauftrag bekommen hatten, an die "philosophische Front" zu gehen, um die bürgerliche Ideologie durch die "marxistische Lehre" zu ersetzen. 16 Im Prinzip war die höchste Instanz, das Politbüro, reine Männersache. Für Frauen waren andere Bereiche bestimmt. Für sie begannen Diplomatie und Politik sich erst nach den 1970er Jahren allmählich zu öffnen.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

In den durchgeführten Interviews17 wurde, bis auf wenige Ausnahmen, behauptet, dass es vor der Wende bzw. der Perestroika keinerlei Kontakte zum westlichen Feminismus gegeben hätte. Auf Hinweis von Susan Zimmermann, die in einer Diskussion darauf aufmerksam machte, dass man den Interviewten nicht alles glauben soll, habe ich eigene Recherchen unternommen, die gezeigt haben, dass diese Behauptungen tatsächlich mit Vorsicht zu genießen sind. Ein Beispiel in dieser Hinsicht ist der Fall Russlands. In ihrem Artikel The Philosophy of Sex and Gender in Russia behauptet Olga Voronina z. B., dass die PhilosophInnen in der ehemaligen UDSSR mit Feminismus nie zu tun hatten: Throughout the entire Soviet period philosophy was developing within the framework of Marxism-Leninism. True, though, that since the time of the "Khrushchev thaw" it became possible to study and relay Western philosophic concepts under disguise of their criticism. But unfortunately, feminism and gender issues never came into sight with domestic philosophers [Hervorhebungen von Y. R]. This can be explained by the arrogance of the philosophers, who tended to avoid such "low-grade" subjects, and the hidden patriarchdom of Russian mentality.18 Damit gibt sie dem Patriarchat und der "russischen Mentalität" die Schuld für alles und verdeckt die Wahrheit über gewisse unangenehme Aspekte der Vergangenheit, nämlich den ideologischen Kampf gegen den Feminismus am Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre in der UDSSR. In den Bereichen der Philosophie und der Soziologie wurde die Geschlechterproblematik insbesondere in Bezug auf die biologischen und sozialen Aspekte des Frauseins, die Probleme der (sozialistischen) Per17

Die meisten sind hier im zweiten Kapitel veröffentlicht. Siehe Olga Voronina, "The Philosophy of Sex and Gender in Russia". Online: http://www.bu.edu/wcp/Papers/Gend/GendVoro.htm 18

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

son, die Familienfrage, die Bildung, die Arbeit und die Politik gestellt.19 Viele Wissenschafterinnen schrieben Dissertationen über den westlichen Feminismus, den sie als "bürgerliche Ideologie" kritisierten.20 Olga Voronina selbst schrieb über die Ideologie der feministischen Bewegung in den USA und übte Kritik21 an der amerikanischen Soziologie der Familie; sie dissertierte 1981 mit einer Arbeit über die Lage der Frauen in Familie und Gesellschaft in den USA.22 Zehn Jahre später schrieb sie in amerikanischen Zeitschriften gegen die sowjetische Ideologie: The myth that women had equal rights and were emancipated in the Soviet Union masks the reality that the 19

Siehe Lyudmila Sadovnichaya, "Biologicheskie osobennosti i sotsial'noe polozhenie zhenschiny". in: Vladimir Orlov (Hrsg.): Sootnoshenie biologicheskogo i sotsial'nogo. Perm': PGU, 1981: 149-150; Lidiya Efimova, "Formirovanie sotsialisticheskogo tipa lichnosti zhenschiny zakonomernost' razvitogo sotsialisticheskogo obschestva", in: Sbornik nauchnykh trudov, Bd. 612, Tashkent, 1979: 107-118; Svetlana Ivanova, Vozrastanie sotsial'noj aktivnosti zhenschin v razvitom sotsialisticheskom obschestve. In: Voprosy nauchnogo kommunizma, (Kiev) vyp. 44, 1980: 68-76; Ludmyla P. Moschelkova, "Vzaimovliyanie semejno-bytovykh rolej zhenschiny-rabotnitsy i ee deyatel'nosti v trudovom kollektive", in: Obschestvenno-poleznaya deyatel'nost' trudovogo kollektiva. Irkutsk, 1980, 136-143; Zhaukhar Dabzanova, Obschestvennopoliticheskaya aktivnost' v period razvitogo sotsializma. In: Katyrshat Shulembaev (Hrsg.), Sovetskij obraz zhizni i vospitanie aktivnoj zhiznennoj pozitsii molodezhi Kazakhstana. Alma-Ata 1980: 84-90. 20 Vgl. Nina Egorova, Zhenskij vopros v sovremennoj ideologicheskoj bor'be: Kriticheskii analiz burzhuaznykh i reformistkikh kontseptsij. (Avtoreferat dis. doktora filos. Nauk) Izdatelstvo MGU, Moskau 1982; Valentina Ushakova, Obschestvennaya rol' zhenschiny i ideologiya feminizma. Kriticheskij analiz. (Avtoreferat dis. kand. filos. Nauk) Institut sotsiologii RAN, Moskau 1984; Valentina Uspenskaya, Kritika burzhuaznykh kontseptsij zhenskogo voprosa i fal'sifikatsij ego resheniya pri sotsializme. (Avtoreferat dis. kand. filos. nauk) YGU, Yaroslavl' 1985 u.a. 21 Olga Voronina, "Ideologiya feministskogo dvizheniya", in: Soedinennye Shtaty Ameriki - ekonomika, politika, ideologiya, Moskau, 1980: 38-49; ders., "Kriticheskij analiz metodologicheskikh osnov sovremennoj amerikanskoj sotsiologii sem'i", in: Voprosy teorii i metodov sotsiologicheskikh issledovanij, 4/1981: 89-94. 22 Olga Voronina, Polozhenie zhenschiny v sem'e i v obschestve v SSHA (Soedinennye Shtaty Ameriki). (Avtoreferat dis. kand. filos. nauk), Izdatelstvo MGU, Moskau, 1981.

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Soviet state, like all totalitarian states, is a manifestation of patriarchal ideology.23 Ihre Umwandlung ist insofern verständlich, als die neue political correctness Kritik am Sozialismus erforderte. In der russischen Fassung desselben Artikels stellte Voronina fest, dass "die Öffentlichkeit jede Erwähnung des Sozialismus als etwas unanständigeres als (...) die Prostitution ansieht."24 So führte nach der Perestroika die Notwendigkeit, sich von der sowjetischen Ideologie und deren Antifeminismus zu distanzieren, zur Leugnung, je etwas von Feminismus gewusst zu haben. Die HerausgeberInnen des Sammelbandes Feminismus, das vom Institut für Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften 1993 veröffentlicht wurde, und in dem der letztgenannte Artikel von Voronina erschien, schrieben in der Einleitung folgendes: Dieses Buch ist in vieler Hinsicht einzigartig. Es ist die erste russische Arbeit über die Probleme des Feminismus. Diese Tatsache ist eine unmittelbare Folge der dominierenden politisch-ideologischen Einstellung in der UDSSR, die nicht nur die feministische Denkrichtung ignorierte, sondern auch ablehnte.25 Doch dieses Buch stellte längst nicht den ersten Sammelband über Feminismus in Russland dar; auch vor der Perestroika gab es Sammelbände und eine Menge Artikel in Sammelbänden und Zeitschriften, nur waren sie eben antifeministisch ausgerich23

Olga Voronina, "Soviet Patriarchy: Past and Present," in: Hypatia, Vol. 8/4/1993: 97-112; vgl. ders. "The mythology of women's emancipation in the USSR as the foundation for a policy of discrimination," in: Anastasia Posadskaya (Hrsg.), Women in Russia: A New Era of Russian Feminism. London and New York: Verso, 1994: 29-34. 24 Olga Voronina, "Zhenstina i sozialism: op'it feministkogo analisa", in: Mari'etta Stepanyants (Hrsg.): Feminsm: Vostok. Zapad. Rossia. Moskau: Nauka, 1993: 205-225. 25 Mari'etta Stepanyants (Hrsg.): Feminsm: Vostok. Zapad. Rossia. Moskau: Nauka, 1993, 3.

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tet.26 In der Periode 1980-1987 waren von ungefähr 150 russischen Arbeiten zur Frauenfrage, inklusive Feminismus, ein Drittel der expliziten Kritik der "bürgerlichen Theorien" gewidmet. Die "feministische Denkrichtung" wurde also nicht ignoriert, sondern zielstrebig erforscht. Im Unterschied zu jenen osteuropäischen Ländern, wo es keine oder wenig feministische Literatur gab, waren die sowjetischen Bibliotheken bestens ausgestattet. Auch in anderen Ländern hatte die Anbindung der Geschlechter- und Frauenproblematik an die sozialistische Ideologie wichtige Konsequenzen. Zum einen wurden sie auf diese Weise unter Kontrolle gestellt, wodurch jegliche Kritik am sozialistischen System von vornherein abgewürgt werden konnte; Kritik sollte ja nur an "bürgerlichen" Theorien, Moral und Gesellschaft geübt werden. Zum anderen wurden diese Probleme in der Philosophie nicht als "wirklich philosophisch" eingestuft. Da die Philosophie an sich als "geschlechtsneutral" verstanden wurde, blieb sie auch geschlechterblind. For the Eastern scholars and especially for philosophers, to avoid the political ancillarity in the last half of century meant to run through a world of "pure ideas", to avoid ethical, political and social problems or any kind of "applied" social philosophy. This kind of cultural spaces have legitimated a purely disembodied philosophy, which, in 26

Vgl. Lyutsiya N. Savinova, Zhenschina v sovremennom mire i ideologicheskaya bor'ba : Nauch.-analit. Obzor. (Avt. obzora Savinova L.N. pri uchastii Oskolkovoj O.B.). Moskau: INION AN SSSR, 1981; Idejno-politicheskaya bor'ba i nekotorye problemy zhenskogo dvizheniya (E.P. Blinova, T.I Blagova, A.L. Efimova i dr.; Otv. red. Koval'skij N.A). Moskau: Mysl', 1981; Tat'yana Blagova, "Feminizm v sovremennom mire", in: Nauka i religiya. Moskau, 1981, No. 3, 56-58; Valentina I. Uspenskaya, "Marksistskaya metodologicheskaya kontseptsiya sotsial'nogo osvobozhdeniya zhenschin i ee fal'sifikatsiya v sovremennoj burzhuaznoj sotsiologii", in: Problemy sotsial'nogo poznaniya v trudakh K. Marksa. Kalinin, 1982, 136-143; Valentina K. Ushakova "Kriticheskij analiz burzhuaznykh teorij neofiminizma", in: Teoreticheskie problemy razvitogo sotsializma Sotsilogicheskie problemy idejno-vospitatel'ny raboty. Moskau, 1984, 59-61; Shimin, Nikolai et al.: Nesostoyatel'nost' burzhuaznykh neofeministskikh kontseptsij. In: Nauchnij kommunizm 2/1987, 87-94 u.a.

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fact, helped a transcendentalist view, very coherent with the totalitarian thinking.27 Daher kam es vor 1989 in vielen Ländern in Osteuropa nicht wirklich zu einer philosophischen Auseinandersetzung mit der Geschlechterproblematik. Diese wurde vielmehr in anderen Bereichen wie Geschichte (die Geschichte der nationalen Frauenbewegungen), Soziologie (Probleme der Familie, Arbeit, öffentliche Rolle usw.), Psychologie (Alltagserfahrung, Mutterschaft, Kindererziehung, Liebe), Demographie und Statistik gestellt. Nicht zuletzt wäre die Abwendung von diesen Fragen seitens der Intellektuellen und der kritisch eingestellten Öffentlichkeit zu erwähnen – alles, was nach Ideologie roch, widerte an. Wie Hana Havelková berichtet: Die Ausschließung der Geschlechterfragen im intellektuellen Milieu der tschechischen Gesellschaft war im Allgemeinen die Gleichsetzung dieser Fragen mit der sozialistischen Ideologie. Ironischerweise waren die "Frauenfragen" auch nicht Teil der Forschungsprogramme der kommunistischen philosophischen Abteilungen, denn sie wurden erstens offiziell als praktisch "gelöst" gesehen, und zweitens als Sozialfragen zu nahe an der Realität und deswegen als ideologisch heikel betrachtet. Die sozialistische Ideologie sowie der philosophische Dogmatismus – besonders der "alten" Generation – mögen zwar gewichtige Gründe für die Ausblendung der Geschlechterproblematik im Bereich der Philosophie sein, das Fehlen von Kontakten zu westlichen PhilosophInnen sowie der Mangel an westlicher Literatur waren jedenfalls weitere bedeutsame Faktoren. In vielen osteuropäischen Ländern waren die Werke westlicher Feministinnen vor 1989 wenig bekannt oder sogar unbekannt; in 27 Mihaela Miroiu, "A Feminized Society", paper presented at the Congress of the International Association of Women Philosophers "Lessons from Gynaeceum", Boston, August 1998 (published as "O societate feminizată", in: Mihaela Miroiu [Hrsg.], Societatea retro. Bucharest: Editura "Trei", 2002).

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den staatlichen Bibliotheken war oft nichts zu finden und reisen konnten nur wenige. Auch wenn es in einigen sozialistischen Ländern spezielle Abteilungen mit westlicher Literatur gegeben haben sollte, waren sie für die "gewöhnlichen" ForscherInnen unzugänglich. "Es gab keine Information über feministische Philosophie vor 1989 und AutorInnen waren auch völlig unbekannt. Unter den Büchern, die die Kollegen aus dem Westen manchmal heimlich mitgebracht haben, war keine einzige Publikation über die feministische Problematik oder über Geschlechterverhältnisse" – berichtet Zuzana Kiczkova in unserem Interview. Ähnliches teilen BoĪena Choáuj, Michaela Miroiu und Irina Zherebkina mit.28 Mit wenigen Ausnahmen, insbesondere Jugoslawien und der UDSSR, erschienen die ersten philosophischen Arbeiten zu feministischen Themen und zur Geschlechterforschung erst gegen Ende der achtziger Jahre,29 als das philosophische Klima durch den Geist der Perestroika aufgelockert wurde und dadurch mehr Kontakte zum Westen zugelassen wurden.30 Zu dem Zeitpunkt spitzte sich der Kampf zwischen der "alten" und der "jungen" Generation, den Dogmatikern und den Anti-Dogmatikern, der schon in den siebziger Jahren begonnen hatte, besonders zu. Der "neue Wind" in der Politik, im gesellschaftlichen und kulturellen Leben, insbesondere die GLASNOST, konnten (jedoch)allerdings nicht mehr gestoppt werden. Alles schrie nach Veränderung, und so mussten auch solche Artikel in den philosophischen Zeitschriften zugelassen werden, die bisher nicht angesprochene Themen und unbequeme Fragen zur Diskussion stellten. Die Tendenz, Übersetzungen und 28

Ich kann mich diesen Kolleginnen anschließen, da ich unter dem Mangel an Literatur in den bulgarischen Bibliotheken selbst sehr gelitten habe. 29 Die slowenische philosophische Zeitschrift Problemi präsentierte 1988 in einer "Special Issue" feministische Texte aus dem englischen Journal m/f. 30 Eine große Rolle in dieser Hinsicht spielte meines Erachtens der philosophische Weltkongress in Brighton 1988, als die Ost- und WestphilosophInnen sich nicht mehr als FeindInnen, sondern als OpponentInnen oder/und FreundInnen begegneten. An diesem Kongress waren erstmalig viele PhilosophInnen aus Osteuropa, insbesondere viele junge PhilosophInnen, präsent.

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Kommentare zu führenden Werken westlicher PhilosophInnen zu veröffentlichen, nahm zu und die Texte fielen der Zensur immer weniger zum Opfer.31 1.1.2. Feminismus als Anti-Ideologie Bei der erwähnten Tendenz des Widerstandes, die im Großen und Ganzen marginal und lokal blieb, wäre zum einen die männliche Initiative führender osteuropäischer Wissenschaftler, zum anderen der "neue Feminismus" in Jugoslawien zu erwähnen. In unserem Interview berichtet Hana Havelková z. B., dass die tschechische Übersetzung von Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht (1966)32 von Jan Patoþka persönlich editiert und mit einem umfangreichen Nachwort versehen wurde. Diese Veröffentlichung habe lebhafte Diskussionen hervorgerufen, die aber infolge der sowjetischen Invasion samt vieler anderer Themen zum Erliegen kamen. Sie erwähnt weiter, dass "die komplexeste Thematisierung der Geschlechterfragen, die später auch von den westlichen Genderstudien beeinflusst wurde, bei einem Mann, dem Soziologen Ivo Mozný aus der Masaryk Universität in Brno (Brünn) zu finden ist." Die Arbeiten von Igor Kon, der seit 1970 in der Geschlechterforschung tätig war (eher im Sinne von Sex als von Gender33), können zwar nicht als Widerstand gegen die sozialistische Ideologie und auch nicht als feministisch bezeichnet werden, doch sie warfen wichtige Fragestellungen auf. Sie sind hier besonders zu

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Hier bildet Bulgarien z. B. eine Ausnahme, da zu diesem Zeitpunkt der Kampf gegen das totalitäre Regime Jivkovs zur Verfolgung der Intelligenz führte. 32 Dies ist eine der frühesten Übersetzungen von Das andere Geschlecht in Osteuropa. 33 Kon verwendet den Begriff Gender erst seit 1997. Seine Arbeiten über Geschlecht gehen (mehr)eher in Richtung Sexologie als in Richtung Philosophie der Geschlechteridentität und der Geschlechterdifferenz.

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erwähnen, da sie lange Zeit in Russland und in anderen sozialistischen Ländern eine Hauptquelle zu dieser Thematik darstellten.34 Ähnliches kann man auch über Bulgarien berichten: Die Geschlechterdifferenz wurde zu einem philosophischen Thema durch das Buch Die Liebe von Kiril Vassilev.35 Auch dieses Werk war weder feministisch noch kritisch gegenüber der herrschenden Ideologie, denn dessen Autor, ein ehemaliger Partisan, war Professor für historischen Materialismus und der Partei treu ergeben. Dennoch ist es erwähnenswert: Während wir damals in Bulgarien darüber lachten – die Kollegin Pravda Spassova hat es sogar in Folosofska misul ausführlich kritisiert –, wurden im kommunistischen China Millionen von Exemplaren verkauft, weil damit ein langjähriges Tabuthema der chinesischen Gesellschaft gebrochen wurde. Der wichtigste Widerstand gegen die sozialistische Ideologie kam von jugoslawischen Wissenschafterinnen, deshalb möchte ich darauf ausführlicher eingehen. 1.2. Sonderfall Jugoslawien Eine Ausnahme des bisher Gesagten stellt die feministische Bewegung am Ende der siebziger Jahre in Jugoslawien dar. Zwar spielte auch dort die offizielle Ideologie eine große Rolle, doch bildete sich zu dem Zeitpunkt bereits reger geistiger Widerstand, der durch eine größere Öffnung zum Westen getragen wurde. Im Gegensatz zu anderen sozialistischen Ländern, in denen die Philosophie weiterhin in Geschlechterblindheit schlummerte und viele PhilosophInnen den einzigen Widerstand in einer Flucht aus dem dialektischen und historischen Materialismus in entlegenere und abstraktere Bereiche sahen, bildete sich in Jugoslawien eine feministisch orientierte Gemeinschaft heraus, die 34 Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sich Kons Curriculum in der russischen Gender Studies Datenbank mit über 500 Veröffentlichungen stark hervorhebt. 35 Kiril Vasilev, Lyubovta. Sofia: Nauka i izkustvo, 1985 (3.Aufl.).

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gerade diese Blindheit der sozialistischen Ideologie in Frage stellte und sich ihr gegenüber zu definieren und abzugrenzen versuchte. Gleichzeitig fand eine Abgrenzung gegenüber dem westlichen Feminismus statt: Though collaboration was established with relevant feminist work abroad, our feeling at that time was not that the majority of Western feminists understood at all what was at stake here and what our problems and also our theoretical framework was: we had to define ourselves towards the dominant self-management, vaguely "marxist" (although "soft") ideology, and to theorize the inclusion/exclusion of women there from, and the genderblindness of that theory. We didn't have to fight for abortion, the right to divorce, or civic autonomy.36 Der so genannte "neue Feminismus", der nach Ivekoviü von den anderen jugoslawischen Bewegungen vor und während des Zweiten Weltkriegs zu unterscheiden ist, entwickelte sich während der ständigen Auseinandersetzung mit dem "Staatsfeminismus", der "Ideologie der Kontrolle der sozialistischen Arbeit" (später dann mit dem "Nationalismus"), aber auch durch den Austausch mit westlichen Feministinnen aus den USA, Frankreich, Italien und Deutschland. Man hatte freien Zugang zu ihren Werken, die gelesen und in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert wurden. Westliche Feministinnen, wie Christine Delphy, Alice Schwarzer, Jill Lewis, Carla Pasquinelli und andere, meist linksorientierte Frauen,37 wurden auch immer wieder zu verschiedenen Konferenzen und Tagungen eingeladen. Die erste feministische Veranstaltung in Jugoslawien war ein Frauentreffen in Portoroz im Jahr 1976. Als Folge davon kam die große Konferenz "Die Frauenfrage – eine neue Perspektive?" ("Drugca žena, novi pristup?") im Herbst 1978 am autonomen Studenten-Kulturzentrum in Belgrad zustande, die in gewisser Hin36 37

Interview mit Rada Ivekoviü (siehe hier im zweiten Kapitel). Vgl. Vesna Kesiü, "Žene o ženi," Kruh i Ruže, br.10, zima 1998/99.

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sicht als Umbruch (turning point) und Anfang des neuen jugoslawischen Feminismus angesehen wird.38 Es war zwar keine "philosophische" Konferenz, brachte jedoch eine feministische Bewegung in Gang, aus der heraus Philosophinnen die Frauenfrage und die Probleme der Geschlechterdifferenz in die Philosophie aufnehmen und thematisieren konnten. Ivekoviü berichtet, dass dies unter starker Kritik sowohl seitens der offiziellen Presse als auch seitens des akademischen Diskurses geschah: It was the first time that we were noticed in the public sphere, attacked very harshly by the regime's press in various republics, and more so by more than one individual politician, we entered into a complex ideological confrontation with the then Conference for the Social Activity of Women (there were a few issues about which we agreed but many more about which we didn't!) and we were, soon after, attacked even by our intellectual colleagues, social scientists and university colleagues. All of that contributed to proving that we had no allies, and it likewise assisted us over the course of a few years to build with unyielding resistance an indisputable small group identity and political attitudes.39 Diese Attacken führten dazu, dass sich kurz danach, im Jahr 1979, eine eigene Gruppe unter dem Titel "Frauen und Gesellschaft" als eine eigene Abteilung der Kroatischen Soziologischen Gesellschaft (Zagreb) organisierte. Die neue Unterorganisation wurde hauptsächlich von Frauen an der Universität getragen und bildete in diesem Sinne keine große gesellschaftliche Bewegung. Sie erwies sich aber bald als sehr aktiv und pflegte Austausch mit anderen Gruppen unabhängiger Intellektueller, wie "Praxis", "ûovjek i sistem" ("Mensch und System") und einigen egalitär denkenden Parteigenossen und "women intellectuals", die 38 Siehe Rada Ivekoviü, "Interview," Kruh i ruze, Zagreb, br. 9, ljeto 1998 (übersetzt auch ins Englische von Ivana Cikes für das CEU Journal und zitiert hier von mir nach der englischen Übersetzung). 39 Ebenda.

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der offiziellen Frauenorganisation "Konferencija za drustvenu aktivnost žena" ("Konferenz für die soziale Aktivität von Frauen") nahe standen. Später entstand in Belgrad eine ähnliche Gruppe unter demselben Namen, die mit dem genannten Studenten-Kulturzentrum zusammenwirkte. Eigene Frauengruppen wurden danach auch in Ljubljana gegründet. Durch die Vernetzung und Zusammenarbeit all dieser Gruppierungen entstanden die ersten Veröffentlichungen und Übersetzungen feministischer Texte und die ersten Frauenzeitschriften. Philosophische feministische Texte und "Special Issues" wurden insbesondere in den Frauenzeitschriften Delta, Ženske Sudije, Profemina, Kruh i ruže und Treca veröffentlicht und trugen damit wesentlich zum allgemeinen feministischen Diskurs bei. Eine spezielle Frauennummer wurde in dem Journal Marksizam u svetu von Rada Ivekoviü40 herausgegeben. Es entstanden eigenständige jugoslawische, feministisch-philosophische Untersuchungen, wie z.B. die Werke von Blaženka Despot, Rada Ivekoviü und Nadezda Cacinoviü, deren Gedankengut später, während des Jugoslawienkrieges, von der jüngeren Generation rezipiert und weitergedacht wurde. Diese und andere Philosophinnen führten erste philosophische Vorlesungen zu Feminismus und Geschlechterdifferenz an den Universitäten ein. In Zagreb wurde das erste Seminar zur feministischen Lektüre der Philosophie von Rada Ivekoviü organisiert, bei dem Blaženka Despot einen wichtigen Beitrag mit ihrer Hegel-Lektüre leistete. Später, Ende der achtziger Jahre, hielt Ivekoviü eine Vorlesung zu Luce Irigaray, Julia Kristeva und dem französischen Feminismus im Rahmen der "philosophie de la différence" an der philosophischen Fakultät in Zagreb. 40

Vgl. Marksizam u svetu (Belgrad), No. 8-9, 1981; Ivekoviü präsentierte darin Texte von Luce Irigaray, Julia Kristeva, Rosaria Manieri, Sheila Rowbotham, Maria-Antonietta Macciocchi, Chiara Saraceno, Betty Friedan, Kate Millett, Haydee Birgin, Ida Magli, Benoite Groult, Claude Meillassoux, Marjorie Mbilinyi, Juliet Mitchell, Ulrike Prokop, Silvia Bovenschen, Casey Miller & Kate Swift, Natalija Baranskaja, Lydia Sklevicky u.a.

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Vorlesungen zur feministischen Philosophie wurden an den Fakultäten zwar toleriert, konnten jedoch nicht institutionalisiert werden. 1.3. Die postsozialistische Wende, die neue Rolle der Philosophie und die philosophische Genderforschung Der politische und gesellschaftliche Umbruch in Osteuropa nach 198941 hatte für die Philosophie mehr Konsequenzen als für andere wissenschaftliche Bereiche. Philosophie wurde mit Marxismus-Leninismus/Ideologie gleichgesetzt und musste dafür und für alle möglichen anderen "Verbrechen" büßen. Für einige PhilosophInnen und Institutionen bedeutete der Umbruch eine willkommene Befreiung, für andere den Zusammenbruch: Entlassung, Arbeitslosigkeit, Auflösung. In Russland behielten die alten Ideologen ihre Posten, sie stellten sich schnell um und begannen die anderen zu "entideologisieren".42 In Tschechien gingen viele von selbst.43 In Deutschland wurden sie entlassen. In Bulgarien wurde das Institut für Philosophie an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (BAW) zweimal geschlossen und wieder eröffnet – einmal von Jivkov (1988), der es als gefährliches "Dissidentennest" betrachtete, und einmal vom Vorstand der BAW (1995), der es zum unnötigen Residuum des Totalitarismus erklärte.

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Dieses Datum gilt natürlich nicht für alle Länder; das Ende der UdSSR kam 1991; der Zerfall des alten jugoslawischen Systems war mit andauernden Kriegen verbunden. 42 Vitalij Kusnetzov, Galina Strelzova, "Istorizatsiyata i vazrazhdaneto na ruskata filosofiya", in: Ivanka Raynova (Hrsg.), Filosofiyata v kraya na XX vek. EA, Pleven 1995, 113-123. 43 Hana Havelková berichtet: "Die Akademie der Wissenschaften verließen fast die Hälfte der Forscher, die entweder zu eng mit dem alten Regime verbunden waren oder deren Leistung dem Standard nicht entsprach." (siehe Interview im zweiten Kapitel).

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In allen diesen Fällen ging es jedoch nicht nur um die Umstrukturierung der Philosophie, die bei den einen tiefgreifende,44 bei den anderen rein "kosmetische"45 Veränderungen nach sich zog. Vielmehr ging es um etwas, was bisher nicht wirklich reflektiert und betont wurde und das sich als besonders wichtig für das Verständnis der Institutionalisierung von philosophischer Genderforschung erweist: In allen osteuropäischen Ländern verlor die Philosophie ihren abgesicherten Status und alle ehemaligen Privilegien; ihre gesellschaftliche und wissenschaftliche Rolle wurde in Frage gestellt. Die Philosophie musste um ihre "Legitimität" als Disziplin in Konkurrenzkampf mit anderen Disziplinen treten, was bedeutete: Kampf um einen neuen, unumstrittenen Platz im Wissenschaftsbereich, Kampf um Abteilungen, Arbeitsplätze, Aufträge, Ansehen. Dabei sollte auch 44

Z. B. in Tschechien: "Die Bereiche waren nicht nur umbenannt worden, sondern es kam zum wirklichen Strukturwandel. So waren am Institut für Philosophie der AdW die vorherigen Abteilungen Historischer Materialismus, Dialektischer Materialismus und Geschichte der Philosophie, Logik und die Abteilung für die marxistisch-leninistische Ausbildung der DoktorandInnen und jungen ForscherInnen, durch folgende Abteilungen ersetzt: Politische Philosophie, Theorie und Methodologie der Wissenschaft, Geschichte der Philosophie, Comeniusstudien, Analytische Philosophie, Logik, Editionsabteilung. An den Fakultäten wurden die Lehrstühle in Institute umgewandelt und der Unterricht der Geschichte der Philosophie zugunsten der systematischen Philosophie reduziert. An den meisten Fakultäten sind die Institute für Philosophie in Systematische Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichte der Philosophie und Religionsforschung untergliedert. Für die Ausbildung im Fach Logik entstanden selbständige Institute" (Havelková, ebenda). 45 Dies ist nach Irina Zherebkina der Fall in Russland und in der Ukraine: "Laws have been changed. Some fields disappeared (mainly related to orthodox Soviet Marxism) and a lot of new ones emerged (because of legalisation or articulation of "new" subjects, say, social philosophy, philosophical anthropology, religion studies, cultural studies etc.) Some of them have emerged on the basis of the existing Soviet structures: for example, for religion studies it was a field of "scientific atheism". In my opinion, it was not restructured but mostly renamed, though slow process of restructuration has already begun. Global decreasing of the number of working places in universities and research institutes of course affected humanities, too. There were also some changes in departments' staff, but of course not total changes: main part of personnel have managed to adapt themselves to new topics and fields." Fast dasselbe passierte in Bulgarien.

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über ihre Zuordnung bestimmt werden: Sollte sie als Teil der Grundwissenschaften, der Humanwissenschaften oder der Sozialwissenschaften verstanden werden? Dies waren keineswegs rein rhetorische Fragen. Jede Antwort verwies auf einen besonderen Platz, Status, auf bestimmte Erwartungen und Aufgaben, die dann auch zu erfüllen waren. Einige, die für die Unabhängigkeit der Philosophie von Ideologie, Politik und Markt kämpften, verteidigten ihren Platz als Grundwissenschaft. Andere, die sich von neuem an Parteien und Politik binden wollten, um sich gut bezahlte Aufträge zu verschaffen, die meist Soziologen und Politologen zufielen, kämpften um die Einbindung der Philosophie in die Sozialwissenschaften. Dieser Kampf ist von besonderer Bedeutung für die Institutionalisierung neuer Bereiche wie Genderforschung und feministische Philosophie, und sollte daher in Betracht gezogen werden. Die Frage, auf die nunmehr konkreter eingegangen werden soll, lautet, inwiefern die sogenannte "Wende" und die neue Rolle der Philosophie die philosophischen Untersuchungen zu Feminismus und Gender Studies beeinflusst haben. Wie entstanden und entwickelten sich die philosophischen Beiträge zu Feminismus und Gender Studies in Osteuropa nach 1989 – aus theoretischem oder aus praktischem Interesse, aus sozioökonomischen und/oder politischen Fragestellungen heraus? Zweifelsohne wirkte sich, was die Öffnung zum Westen und die Freiheit der Forschung angeht, das neue Klima insgesamt positiv aus.46 Mihaela Miroiu schreibt dazu: I "discovered" Feminist Philosophy in 1991. For a Western scholar it must be strange that a person with academic education became aware of the feminist approach of her domain when she was already 36 years old. But for an Eastern scholar it is a common place. The totalitarian regime "protected" people from the access to informa46

Es gab natürlich auch Ausnahmen, was z. B. die Hexenjagd auf den Marxismus und die MarxistInnen in einigen Ländern betrifft.

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tion. In 1990 many of us had the revelation of the complexity of the world and of our own domain. As in many other cases, the contact with the feminist approach was a personal shock and a personal revelation. For the first time I've noticed that women produced original ideas in Philosophy as women. It was easy to decide that I found "a room of my own".47 Die neuen Gesetze brachten den Hochschulen und Akademien die verlorene Autonomie zurück, aber damit auch die Probleme einer (teilweisen) Selbstfinanzierung und die Kommerzialisierung der Fächer. Die formale Abschaffung der zentralisierten Struktur in Universität und Akademie hatte zur Folge, dass die Lehr- und Forschungspläne nicht mehr von "oben" bestimmt und den Fakultäten und Instituten "zur Erfüllung" aufgedrängt wurden. Letztere bekamen die Möglichkeit und die Aufgabe, selbst den Inhalt und die Prioritäten zu bestimmen. Das hieß jedoch nicht, dass man die absolute Freiheit hatte, zu tun, was man gerade wollte. Lehr- und Forschungspläne mussten vom jeweiligen Wissenschaftsbeirat angenommen werden, das heißt sie hingen, und hängen nach wie vor, von einer scientific community sowie von deren "Politik" und Machtkonstellationen ab. Es scheint jedoch, dass weder die Reformen in der Philosophie noch die gesellschaftlichen Probleme selbst das Interesse der PhilosophInnen an Feminismus und Gender Studies geweckt haben. Dafür waren andere Faktoren ausschlaggebend. Der erste und wichtigste Faktor war das eigene Interesse der Philosophinnen, das sich in Jugoslawien in den siebziger und in den anderen osteuropäischen Ländern in den achtziger Jahren gebildet hatte. Maria Joó berichtet zum Beispiel in unserem Interview:

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Vgl. Mihaela Miroiu, "And-and Strategy. A Romanian Experience", in: Gender Studies in Eastern Europe. Bucharest: UNESCO, 2000.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Kontakte zur feministischen Theorie gab es auch vor 1989 durch mich und meine Interessen. Ich habe aus meiner Studienzeit in Tübingen vor allem deutsche Kontakte. Ich habe E. Fox Keller: Reflections on Gender and Science und Wie männlich ist die Wissenschaft, hg. Nowotny, Hauser bei Suhrkamp, als erste feministische Bücher gelesen; das war Mitte oder Ende der achtziger Jahre, also 5 Jahre nach der Erscheinung der genannten Bücher. Ähnliches teilt auch Hana Havelková mit. Eva Bahovec berichtet ihrerseits folgendes: In Slovenia, the intellectual life seemed to be "Westoriented" for quite some time before 1989 (…) There were, as it seems, actually less major changes in philosophy after 1989 than in some other countries; the intellectual life in Slovenia was quite different from what might be considered as a typical East-European one. The so-called Western Marxism, the Frankfurt School, etc. as opposed to what Marcuse has called "Soviet Marxism" on the one hand, and on the other the philosophy of structuralism and post-structuralism, Lacanian psychoanalysis, the analytical philosophy etc., have been part of the university curricula long time before 1989 (…) The contacts with the so-called Western feminist theory have been also established before 1989 with the authors working in the field of feminism and psychoanalysis (…) As for feminist philosophy, the newly introduced optional subject for the philosophy students is being taught without any official arrangements (contract, payment etc.). Einen anderen wichtigen Faktor bildet das zunehmende Interesse der jungen Generation, das dank verschiedener Kurse, Seminare und Veranstaltungen geweckt und durch Auslandsaufenthalte zusätzlich verstärkt wurde:

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

Das Interesse an den feministischen Theorien wächst eher bei der jungen Generation sowie bei Frauen und Männern, die die Möglichkeit eines Aufenthalts im Westen hatten. Also, eher der Kontakt mit dem westlichen Alltag und Kulturdiskurs als der Kontakt mit dem tschechischen Alltag beeinflusst in positiver Weise die Feminismusrezeption. Dazu ist vollständigkeitshalber noch hinzuzufügen, dass der tschechische Transformationsprozess bislang noch keine für die Frauen extra drastischen Folgen mit sich gebracht hat  wie etwa eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit der Frauen oder Abtreibungsprobleme (im Unterschied zu Polen oder den deutschen Ostländern). Ohne einen derartigen Funken entwickelt sich der tschechische feministische Diskurs auf eine stark individualisierte Weise (wird sozusagen nicht in gröbere Strömungen kanalisiert) und immer überwiegend als seltsames Kulturinteresse.48 Einen dritten, nicht zu unterschätzende Faktor, stellt die Arbeit westlicher Organisationen, Fonds und Wissenschafterinnen zur Implementierung des Feminismus und der Gender Studies in Osteuropa dar. Die positive Rolle dieser Arbeit besteht im Allgemeinen darin, dass sie Feminismus und Gender Studies als eine Art Weiterführung der Demokratieprozesse präsentieren und dass sie den Austausch und den Aufbau gewisser Infrastrukturen und Institutionen in Osteuropa ermöglichen. Doch hat all dies auch seine Schattenseiten. Zum einen wurden oft inkompetente Leute herangezogen, die darin nur eine Geldquelle und gute Tourismusgelegenheiten sahen: Very quickly even from this young field did rather small band of persons emerge, who due to their mutually supportive relations, would ongoingly appear at meetings of various kinds whose themes could range from women's health education to the representation of feminity in

48

Interview mit Hana Hanelková (siehe zweites Kapitel).

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

medieval poetry, and read badly translated papers on 'women's oppression'.49 Zum anderen entstand der Eindruck eines neuen Kolonialismus und ideologischer Manipulation. Dies wurde nicht nur von den GegnerInnen des Feminismus ausgenutzt, sondern führte vor allem zu Enttäuschung und Widerstand bei den osteuropäischen feministisch orientierten Wissenschafterinnen selbst. Einige der Interviewten, die darüber übrigens eigentlich gar nicht befragt wurden, berichten folgendes: Maria Joó: In Budapest gibt es ein Programm an der Central European University (Program on Gender and Culture), das die Möglichkeit bietet, einige GastprofessorInnen zu hören, und da gibt es auch eine Sammlung an feministischen Büchern. Unsere Bemühungen wurden oft durch Unterstützung aus diesem Programm honoriert, etwa in Form von 'small grants', summer university course etc. Bis jetzt war dieses Programm verständlicherweise amerikanisch orientiert. Die amerikanische Richtung erscheint manchmal wie eine Kolonisierung, die die Rezeption von feministischer Theorie in Osteuropa eher hindert als fördert. Über die kulturelle Kolonisierung gab es eine öffentliche Diskussion in Fachzeitschriften, die in weiteren wissenschaftlichen Bereichen erscheint. Darum bemühe ich mich eher eine europäische Variante des Feminismus hier vorzustellen, die in Wien in eminenter Weise vertreten ist. Mihaela Miroiu: Due to the politics of translation, very few of our works were published in the West: usually the financial support focused on the reversal translation, according to an unwritten principle: "The know how comes from West". 49

JiĜina Šmejkalová "Gender as an analytical category of post-communist studies", in: Gabriele Jähnert et al. (Hrsg.), Gender in Trasition. Berlin: Trafo Verlag, 2001, 51.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

Biljana Kašiü: For some of us, it was a personal way of mental survival. Some of us also no longer wished to be just a "source" for war rape issues for those feminist researchers who would come to this region from abroad (…) The density of ethical dilemmas around the priorities within feminism and activism, around insider/outsider roles, around potential colonisations in terms of taking/giving among feminists, helped to open up the way to feminist critical awareness.50 In ihrem Artikel Real existierender Feminismus notierte Hana Havelková folgendes: Feministisch denkende Frauen, vorwiegend Amerikanerinnen (…) kamen, bewerteten und begannen zu belehren. Ich habe selbst Dutzende von Gesprächen erlebt (...), bei denen es immer um ein und dasselbe ging: von ihrer Seite die Feststellung, dass unsere Gesellschaft sexistisch und patriarchalisch sei, die Frauen zweitrangige Bürger, außerdem konservativ, unfrei und diskriminiert usw.; von unserer Seite die Ablehnung dieser Diagnose in allen Punkten (...) Vor allem haben wir diejenigen, die uns zu belehren suchten, darauf aufmerksam gemacht, dass sie unsere Wirklichkeit durch das Prisma ihrer eigenen Erfahrung und einer verinnerlichten feministischen Optik lesen. Das Resultat dieser mühseligen Diskussionen war Enttäuschung auf beiden Seiten: auf ihrer, weil wir uns nicht belehren lassen wollen, und auf unserer, weil sie die große Verschiedenheit unserer gelebten Erfahrung nicht respektieren, nicht fähig sind, ihr zu trauen und sie ernst zu nehmen. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, dass keine gemeinsamen Sitzun-

50

Interview mit Biljana Kasiü. Dies sagt sie auch in ihrem Artikel "Women's Studies: ideological images, common problems and dilemmas," in: Gender in Trasition, 357.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

gen mehr stattfinden: Sie haben die ihren, und wir haben die unseren.51 Die bekannte kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakuliü hat den Konflikt mit einem-einzigen Satz ähnlich zusammengefasst: The problem was that we could not let our American sisters tell us what to do in our countries, and that's exactly what they wanted to do.52 Damit gelangen wir zur nächsten Frage: Wie wurden feministische Theorien und Gender Studies in der Philosophie in "Osteuropa" rezipiert? 2. Rezeption und eigenständige Weiterentwicklung feministischer Ideen und philosophischer Genderforschung in "Osteuropa" Die Rezeption des westlichen Feminismus in "Osteuropa" scheint sehr heterogen, lokal und individuell gefärbt zu sein. Für die einen handelt es sich im großen und ganzen um eine Art westliche "Importware", für die anderen trägt die Rezeption einen "eklektischen Charakter", andere betonen wiederum die Rolle des westlichen Feminismus und der Gender Studies als Ausgangspunkt für eigenständige philosophische Untersuchungen. Einige dieser Haupttendenzen werden hier im Sinne einer besseren Übersicht separat präsentiert, doch wie wir sehen werden, überschneiden sie sich und sind meistens in komplexeren Formen anzutreffen.

51 Hana Havelková, "Real existierender Feminismus", in: Transit, Europäische Revue, Heft 9, Sommer 1995, 147. 52 Slavenka Draculiü, "What we Learned from Western Feminists," in: Transitions, 5, January, 1998/1, 42-47.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

2.1. Die Rezeption des Feminismus als Teil der westlichen Philosophie Das Interesse für die feministische Theorie und die Genderforschung entstand für viele Philosophinnen nicht primär durch das Interesse an den Problemen der Frauen und/oder der Geschlechterdifferenz, sondern durch das Interesse an der westlichen Philosophie selbst. Feministische Theorien wurden oft in Zusammenhang mit phänomenologisch-existentialistischen, pschoanalytischen, (post)strukturalistischen, dekonstruktivistichen, postmodernen u.a. Richtungen und Methoden als eine kritische Perspektive oder/und Erweiterung dieser Richtungen und Methoden rezipiert. Einige PhilosophInnen wurden auf die feministische Problematik erstmals durch Das andere Geschlecht, das entweder in Übersetzung53 oder in französischer Sprache54 vorlag, aufmerksam. Zum ersten Mal wurde das Interesse an Das andere Geschlecht geweckt durch die von Jan Patoþka herausgegebene Übersetzung des Buches ins Tschechoslowakische, dann anlässlich des Todes von Beauvoir (1987). Eine dritte Welle entstand vor zwei Jahren im Zusammenhang mit dem 50jährigen Jubiläum des Anderen Geschlechts. Ich selbst hatte z. B. bis 1987 nur ein peripheres Interesse an Beauvoir und hatte ihre philosophischen Essays und Romane nur hinsichtlich der Geschichte des Existentialismus gelesen. Kurz nach ihrem Tod erhielt ich vom Chefredakteur von Filosofska misul den Auftrag, einen Artikel über Beauvoir zu schreiben. So entdeckte ich sowohl Das andere Geschlecht als auch den Feminismus.55 53

Die ersten Übersetzungen erfolgten in der Tschechoslowakei (1968), Ungarn (1971), Polen (1972) und später in Bulgarien (1992, 1996), Russland (1998). 54 Sartre und Beauvoir wurden zwar kritisiert, man fand aber ihre Werke sowohl in den National- als auch Fakultätsbibliotheken. 55 Ich nutzte dabei die Gelegenheit, die zunehmenden Repressionen des Jivkov-Regimes unterschwellig zu verurteilen und zur Revolte aufzurufen:

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Meine Kollegin Dimitrina Petrova erhielt ihrerseits Zugang zum Feminismus durch die Frankfurter Schule und die Kritische Theorie. Sie stellte daher die These auf, dass die heutige Philosophie kein "Platonismus", sondern ein Emanzipationsdiskurs zu sein habe und als solcher an den "neuen sozialen Bewegungen" teilnehmen sollte.56 Aus dieser Position heraus übte sie nach 1989 detailliert Kritik am patriarchalen sozialistischen System in Bulgarien.57 Eva Bahovec berichtet ihrerseits: The so-called Western Marxism, the Frankfurt School, etc. as opposed to what Marcuse has called 'Soviet Marxism' on the one hand, and on the other the philosophy of structuralism and post-structuralism, Lacanian psychoanalysis, the analytical philosophy etc., have been part of the university curricula long time before 1989 (…) Before the year 1989 I've made contacts with the editors of "Mit ihrem Tod verlor sowohl die Philosophie als auch die Literatur eine Zeugin, einen Teil der lebendigen Geschichte des Existentialismus, und ein Schicksal, das sich nach seinen eigenen Gesetzen geschmiedet hatte. Ist diese Herausforderung nicht Grund genug, wieder über unser menschliches Schicksal und die Rolle der Frau nachzudenken? Und sollten wir nicht gerade heute, wo unser geistiges und institutionelles Überleben mehr denn je durch Auflösung gefährdet ist, ihre Worte in Erinnerung rufen, dass 'die Revolte nicht im harmonischen Verlauf der Welt integriert werden kann und nicht integriert werden will, sondern ausbrechen und die Kontinuität dieser Welt zerstören'?! Denn wer kann vom metaphysischen Schlummer aufwachen, bevor er seine Knechtschaft erkannt und aufgegeben hat? Und wenn es einem nicht gelingen sollte, das, wofür man kämpft auch zu erreichen, wäre es schön, eines Tages, beim Scheiden aus dieser Welt, sagen zu können: 'Ich habe alles getan, was ich tun wollte!'" (Ivanka Raynova, "Bovoar, ili da zhiveesh po sobstvenite si zakoni", Filosofska misul, 1988/11, 90). Heute klingt diese Endpassage nicht besonders aufregend, doch im damaligen Kontext, als das Institut für Philosophie und wir alle unter ständiger Beobachtung der Geheimdienste standen und die Zensur sich überall einmischte, war das ein kleines "Ereignis" – der erste kritische Artikel in Filosofska misul. 56 Ivanka Raynova, "Visions from the Ashes: Philosophical Life in Bulgaria from 1945 to 1992," in: Barry Smith (Hrsg.), Philosophy and Political Change in Eastern Europe. La Salle/Illinois: Opencourt, 1993, 127. 57 Dimitrina Petrova, "The Winding Road to Emancipation in Bulgaria", in: Nanette Funk / Magda Mueller (Hrsg.), Gender Politics and Post-Communism. New York and London: Routledge, 1993, 22-29.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

the English psychoanalytic feminist journal m/f Elisabeth Cowie and Parveen Adams; the presentation of m/f in the Slovene philosophical journal Problemi has been prepared and published as a special issue in 1988. Also, the contacts have been established with some representatives of contemporary French philosophy and psychoanalysis. Obwohl französische, deutsche, italienische und indische Rezeptionsquellen genannt werden, etwa von Rada Ivekoviü, teilen die meisten der Interviewten mit, dass die englischsprachige Literatur und der so genannte "american mainstream" dominierend für die feministische Rezeption in ihrem Land gewesen seien und es bis heute immer noch sind. Main sources are American ones, and European sources often reach post-Soviet scholars in form of American translations and discussions. It could be also books of European scholars translated into English and published in the USA. Translations were made and are being made mainly from English too (main language of translation is Russian but there are some works translated into Ukrainian too). As it was said above, the only journal which publishes papers on feminist philosophy and theory is our Gender Studies Journal (financially supported by J. D. and K. T. Mac Arthur Foundation).58 Nach Hana Havelková ist es " sehr schwierig, direkt von Rezeptionsschwerpunkten zu sprechen. Wie schon oben erwähnt, gibt es nicht viele feministisch orientierte Fachleute und die Rezeption ist demnach sehr individualisiert und hängt von den Sprachkenntnissen ab. Die meisten tschechischen Fachleute beherrschen wenigstens zwei Fremdsprachen, meistens Englisch und Deutsch oder Französisch (die beiden letzten sind besonders bei den Philosophen häufig in Gebrauch), und die ältere Generation auch noch Russisch. Die jüngere Generation ist mehr auf 58

Interview mit Irina Zherebkina. Ähnliches teilt auch Mihaela Miroiu mit.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Englisch hin orientiert. In der Bibliothek des GSC überwiegen stark die Englisch geschriebenen Titel. Diese stammen aber nicht zwangsläufig aus dem angloamerikanischen Sprachraum zu kommen, sondern kommen z. B. auch aus Skandinavien. Die nordische feministische Literatur stellt dann besonders für die Soziologie eine wichtige Quelle und Inspiration dar"59. 2.2. Rezeption als Neuinterpretation und Diskussionsfeld Zu Beginn des Rezeptionsprozesses ging es oft darum, feministische Philosophie und Gender Studies einem breiteren wissenschaftlichen Publikum zugänglich zu machen. Dies wurde durch Übersetzungsarbeit, Einführungsartikel und Übersichten, Seminare, Sommerschulen u.a. gewährleistet. Später, manchmal auch gleichzeitig, erfolgten Neulektüren in Form eines "Rereading" des Kanons, kritische Auseinandersetzungen mit westlichen PhilosophInnen und eigenständige Analysen zu verschiedenen philosophischen Themen und Problemen. "Local Gender Studies were developing mainly through reception, appropriation, critics of and efforts to 'localize' or apply Western theories. Now there are also some efforts to elaborate original theories in dialogue or as reply on Western ones" – berichtet in diesem Zusammenhang Irina Zherebkina. Was die Neulektüren und die kritischen Auseinandersetzungen betrifft, so scheinen sich drei Hauptrichtungen herauszukristallisieren, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird. 2.2.1. Die feministische Neulektüre der eigenen philosophischen und soziokulturellen Tradition in Osteuropa Die feministischen Neulektüren der eigenen philosophischen Tradition stehen in den meisten osteuropäischen Ländern am Beginn. Sie sind anzahlmäßig wesentlich weniger als das soge59

Interview mit Hana Hanelková (siehe zweites Kapitel).

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

nannte "Rereading" (Neulektüre) des westlichen Kanons und hängen vom jeweiligen kulturellen Kontext und der philosophischen Tradition ab. Anspruch auf eine solche feministische Neulektüre stellt z. B. Olga Voronina. In ihrem Vortrag The Philosophy of Sex and Gender in Russia, der für den 20. Weltkongress für Philosophie (Boston, 1998) verfasst wurde, beschreibt sie ihr Vorhaben folgendermaßen: This presentation focuses on the main philosophical approaches toward analyzing the notions of "sex" and "gender" in Russia since the nineteenth century. I analyze the conceptions and ideas, which were developed by Aleksey Khomyakov, Nicolai Chernyshevsky, Leo Tolstoy, Fedor Dostoevsky, Vladimir Solovyov and some other philosophers. Then, I discuss the concept of emancipation of women within the framework of Marxist-Leninist theory, which played a role in the state's "women's philosophy" in the Soviet period, and within the existing modern viewpoints. My methodology is based on concepts and guidelines developed in feminist philosophy. One of the goals, as put forward by feminist philosophy, is to discover the gender determinateness of the metatheoretical foundations of science and traditional Western humanitarianism and of philosophy. This problem can be quite successfully solved on the basis of Western philosophic studies. Russian philosophy, however, has not so far become a subject of feminist analysis either in Russia or in the West. Therefore, my research in this field could be considered rather novel.60Es stellte sich allerdings heraus, dass ein Artikel von Leonid Polyakov über die Emanzipation der Frauen und die Theologie des Geschlechts im Russland des 19. Jahrhunderts, nicht nur fünf Jahre früher erschienen, sondern philosophisch ausführlicher ist und, was einen großen Teil der Arbeit

60

Olga Voronina, "The Philosophy of Sex and Gender in Russia", online unter: http://www.bu.edu/wcp/Papers/Gend/GendVoro.htm

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

betrifft, verdächtige Ähnlichkeiten aufweist.61 Während Voronina die schon erwähnte (westliche) These der vom Patriarchat "unterdrückten Ostfrauen" ins Spiel bringt, stellt Polyakov eine andere These auf, nämlich, dass unter dem Sozialismus sowohl das Weibliche als auch das Männliche verschwand, da es im ungeschlechtlichen, undifferenzierten kollektiven Wesen des "sozialistischen Menschen" aufgehoben wurde. Deshalb sollte seiner Meinung nach der Feminismus auch zum Umdenken und Wiederherstellen des Männlichen verhelfen. Was Voroninas "Neulektüre" der russischen Philosophie des silbernen Zeitalters betrifft, so wiederholt sie Polyakovs Schlussfolgerung: In Russia the feminine beginning was praised higher than the masculine one. However, if we recall that none of the above theories ever considered the feminine beginning equal to or independent of the masculine beginning (instead, those theories viewed it only as compementary[!]) the patriarchal fundamentals of the Russian philosophy of sex appear quite obvious. That is why such liberals as V. Solovyov, N. Berdyayev, and V. Rozanov (as well as many others) viewed women's emancipation as an insignificant political slogan having nothing in common with the real metaphysics of sex.62 Eine gynozentrische Interpretation der Sophia, der Großen Urmutter, Seele und Weisheit der Welt, gibt Tatyana Grigor'eva, die die russische Tradition (Solovyov, Berdjaev, Florenski etc.) mit fernöstlichen philosophischen Richtungen vergleicht.63 Im 61

Leonid Polyakov, "Zhenskaya emansipatsiya i teologiya pola v Rossii XIX veka", in: Feminizm: Vostok. Zapad. Rossiya. Moskau: Nauka, 1993, 157-175. Es ist unmöglich, dass Voronina diesen Artikel nicht kennt, da sie eine der Autorinnen im selben Sammelband ist. Verdächtig ist tatsächlich die absolute Übereinstimmung der zitierten Literatur (Autoren, Ausgaben, Seitenzahlen usw.), die Reihenfolge und die Präsentation. 62 Siehe Olga Voronina "The Philosophy of Sex and Gender in Russia", online: http://www.bu.edu/wcp/Papers/Gend/GendVoro.htm und vgl. Leonid Polyakov, op. cit., 174. 63 Tat'yana Grigor'eva, "Zhenskaya ipostas' mira", in: Feminizm: Vostok. Zapad. Rossiya. Moskau: Nauka, 1993, 107-135.

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Gegensatz zu der vorherigen These, dass die russische philosophische Tradition nichts zum Feminismus beigetragen habe, versucht diese Neulektüre den Dialog zwischen dem Feminismus und der russischen Religionsphilosophie zu eröffnen und nicht zu verhindern, ehe er überhaupt begonnen hat. Andere wichtige feministische Neulektüren stellen die Arbeiten über russische PhilosophInnen dar, insbesondere das Buch von Vasilij Vanchugov über die Frauen in der russischen Philosophie des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts64, als auch der Artikel von Elena Borzova, und Andrei Novikov über die erste russische Philosophin Mariia Bezobrazova.65 Zum Thema russische Tradition und Feminismus wären noch die komparative Studie von Natal'ya Blokhina, die den philosophischen Austausch des russischen und des westlichen Feminismus thematisiert,66 und der Sammelband über Feminismus und russische Kultur67 zu nennen. Einige philosophische Neulektüren sind explizit auf die Rezeption des Feminismus in der Theorie und Gesellschaft des jeweiligen osteuropäischen Landes gerichtet, wie z. B. der Artikel von Žarana Papiü über die Rezeption des Feminismus in der jugoslawischen sozialen und politischen Philosophie,68 das Buch von Renata Salecl über die Rolle der Psychoanalyse und des 64

Vgl. Vasilij Vanchugov, Zhenschiny v filosofii: Iz istorii filosofii v Rossii XIX – nachalo XX veka. Moskau: Pilgrim, 1996. 65 Elena Borzova, Andrei I. Novikov, "Mariia Bezobrazova – pervaia zhenshchina-filosof 'serebrianogo veka'", in: O blagorodstve i preimuschestve zhenskogo pola: iz istorii zhenskogo voprosa v Rossii.. Sbornik nauchnykh trudov. Nauchnyi redaktor i sostavitel' R. Sh. Ganelin. St. Peterburg: Peterburgskaia gos. akademiia kul'tury, Nevskii institut iazyka i kul'tury, Zhenskaia gumanitarnaia kollegiia, 1997, 153-58. 66 Natal'ya Blokhina, "Feminizm Zapada i Rossii: granitsy vzaimodejstviya", in: Otechestvennaya filosofiya: russkaya, rossijskaya, vsemirnaya. Nizhny Novgorod, 1998: 214-217. 67 Tishkin, Grigorij, Feminizm i rossijskaya kul'tura. St. Peterburg: Mezhdunarodnyj Institut "Zhenschina i upravlenie", 1995. 68 Vgl. Žarana Papiü, "The Recption of Feminism in Yugoslav Socia, Theory", in: Frauen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Würzburg: Friedrich Ebert Stftung, 1989.

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Feminismus nach dem Fall des Sozialismus,69 und die Dissertation von Joanna Czarnecka über die soziale Rezeption des Feminismus in Polen70 u.a. 2.2.2. Die Neuinterpretationen der westlichen philosophischen Tradition und der Gegenwartsphilosophie Als Neulektüren in Form eines "Rereading" des westlichen Kanons können die Arbeiten verschiedener osteuropäischer Philosophinnen betrachtet werden. Da es unmöglich ist, hier alle aufzuzählen, soll zumindest die Auflistung im Anhang71 zeigen, dass sie mehr oder weniger alle Epochen der Geschichte der Philosophie umfassen und bis zur Gegenwartsphilosophie reichen. Außer Neulektüren in Form eines "Rereading" des Kanons finden auch kritische Auseinandersetzungen und Diskussionen mit der westlichen feministischen Philosophie und Tradition statt. So werden Diskussionen zwischen ost- und westeuropäischen Philosophinnen zu verschiedenen Themen geführt, wie zum Beispiel Weiblichkeit und weibliches Schreiben,72 die Definition der feministischen Philosophie,73 die Perspektiven des Ecofeminismus74 u.a. Damit sind nur einige genannt, denn viele

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Vgl. Renata Salecl, The Spoils of Freedom. Psychoanalysis and feminism after the fall of socialism. London: Routledge, 1994. 70 Vgl. Joanna Czarnecka, Warszaw Feminizm w postrzeganiu spoáecznym (na przykáadzie mieszkaĔców Warszawy). Warszawa, 1997. 71 Siehe bibliographische Hinweise zum Rereading des westlichen (feministischen) Kanons im Anhang dieses Buches. 72 Vesna V. Godina, "Drugost ženskega pogleda, ali zakaj nisem feministka", Delta, 1/2 (1995), 52-70; Dorota Rancew-Sikora, "Kobiecosc jako kategoria strukturalna i zmienna interakcyjna", in: Plec – kobieta – feminizm. Pod red. Zofii Gorczynskiej, Sabiny Kruszynskiej, Ireny Zakidalskiej. Gdansk: Wydawn. Uniwersytetu Gdanskiego, 1997, 121-32. 73 Yvanka Raynova, "Feministische Philosophie? Genealogie einer umstrittenen Ehe", in: Sigrid Berka et al. (Hrsg.), Die feministische Philosophie: Perspektiven und Debatten. OSI & Nauka i izkustvo, Sofia 2000, 137-138. 74 Vgl. Anastasiya Mitrofanova, "Politicheskaya kontseptsiya 'ekofeminizma", in: Mirovoj politicheskij protsess: problemy i issledovaniya. Moskau 1996;

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von den oben erwähnten Neulektüren beinhalten selbst kritische und innovative Aspekte. Ein Beispiel für eine philosophische Kritik am Feminismus aus der "männlichen" Perspektive ist das unlängst veröffentlichte Buch von Kazimierz ĝlĊczka.75 2.3. Rezeption als Ausgangspunkt eigenständiger Analysen Die Philosophinnen in Osteuropa distanzieren sich, wie schon erwähnt, zunehmend von der "passiven" Rezeption des westlichen Feminismus und betonen die Wichtigkeit eigenständiger, innovativer Analysen. Doch welche Arbeiten fallen darunter und wie kann man das beurteilen? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten, nicht nur aus Mangel an klaren Kriterien, sondern weil sie Zeit und detaillierte Textanalysen erfordern, die den Rahmen meiner Untersuchung überschreiten. Was hier unter "eigenständigen" Untersuchungen verstanden und hervorzuheben versucht wird, soll nicht bedeuten, dass "osteuropäische" Theorien als solche entwickelt wurden. Hana Havelková erläutert dies folgendermaßen: Ich habe an mehreren Stellen betont, dass wegen der absoluten Absenz eigener Theorien die westlichen Theorien an die lokale (postkommunistische) Realität angepasst werden mussten. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die einzelnen westlichen Begriffe hier andere Konnotationen beinhalten und die statistischen Daten anders gelesen und interpretiert werden müssen. Grundsätzlich neue Theorien wurden hier aber, nach meiner ders., "Is ecofeminism a global solution?" online: http://www.zif.uni-kiel.de/ abstracts.htm 75 Siehe Kazimierz ĝlĊczka, Feminizm. Ideologie i koncepcje spoáeczne wspóáczesnego feminizmu, Ed. KsiąĪnica, Katowice 1999; Siehe dazu die Rezension von Anna Sobieska in Labyrinth, vol. 2, Winter 2000 (Online: http://phaidon.philo.at/~iaf/Labyrinth/2000/sobieska.html); Vgl. Kazimierz ĝlĊczka, "Feminizm czy feminizmy? Feminizm jako wiazka ideologii", in: Plec-kobieta-feminizm. Pod red. Zofii Gorczynskiej, Sabiny Kruszynskiej, Ireny Zakidalskiej. Gdansk: Wydawn Uniwersytetu Gdanskiego, 1997, 15-34.

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Kenntnis, bisher nicht gebildet und es gibt auch keine große Notwendigkeit das zu tun.76 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die eigenständigen Beiträge der "Osteuropäerinnen"77 nur als Resultat der Anwendung "westlicher" feministischen Theorien und Methoden angesehen werden sollten. Viele innovative theoretische Aspekte und Ansätze entstanden sowohl in Diskussion mit "westlichen" Feministinnen als auch in der Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und Gesellschaft. Unsere Untersuchungen haben konkreter gezeigt, dass in Osteuropa in fast allen Bereichen der Philosophie die aktive Rezeption des westlichen Feminismus und der Gender Studies zu eigenen, mehr oder weniger originellen feministischen Beiträgen geführt hat. Dies soll hier kurz durch einige Beispiele illustriert werden, ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit. x Methodologie und Metaphilosophie Auffallend sind hier die Arbeiten von BoĪena Choáuj über die Rolle der Philosophie in den Gender Studies. "Ohne westlich-feministische Philosophie und Theorie gäbe es keine Gender Studies", sagt sie in unserem Interview. "Das Konzept habe ich ausgearbeitet nach der eingehenden detaillierten Lektüre von Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter. Ihr Konzept der performativen Akte versuche ich jetzt auf literarische Texte und deren Lektüre zu übertragen, was in diesem Sinne noch nicht gemacht worden ist. Genau dazu wird ein Text von mir für eine Publikation in Österreich geplant."78 76

Interview mit Hana Hanelková (siehe zweites Kapitel). Gegen diese Etikettierung sprechen viele, z.B. Rada Ivekoviü. 78 BoĪena Choáuj, Interview (siehe hier im zweiten Kapitel); vgl. ders. "Od kategorii kobiecosci do kategorii tozsamosci plci. Przemiany w feministycznych rozwazaniach filozoficznych na przykladzie przestrzeni", in: Zofia Gorczynska et al. (Hrsg.), Páeü, kobieta, feminizm. Gdansk 1997, 43-52; Ewa Gontarczyk, Rozwoj studiow feministycznych-tworzenie zasad metodologicznych, in: Zofia Gorczynska et al. (Hrsg.), Páeü, kobieta, feminizm. Gdansk: Wydawn Uniwersytetu Gdanskiego 1997, 62-74. 77

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x Ontologie und Körper Dazu berichtet BoĪena Choáuj: "Es gibt auch einen eigenständigen Text von Jolanta Brach-Czaina – Szczeliny istnienia (Risse des Seins), der leider noch nicht ins Deutsche übersetzt ist."79 Zur Philosophie des Körpers sind sehr interessante und innovative Interpretationen, insbesondere in Russland und in der Ukraine zu vermerken. Diese gehen in zwei Richtungen: Thematisierung des weiblichen Körpers (Irina Zherebkina80, Anna Kostikova81, Galina Brand82) und Thematisierung des männlichen (Igor Kon83 und Andrej Sinel'nikov84). x Erkenntnistheorie und Epistemologie In diesem Bereich wird die subversive Rolle der feministischen Forschung besonders deutlich, da sie die angebliche Geschlechtsneutralität der Gnoseologie und Wissenschaftstheorie hinterfragt. Verschiedene Untersuchungen zeigen, inwiefern die philosophischen Fragen des Subjekts und der Identität konkret im Geschlecht, seiner Situation und sozialen Rolle eingebunden sind, bzw. vom "kollektiven" und "politischen" Subjekt abhängen und es wiederum verändern (können). Ein Beispiel dafür ist der Sammelband AKTIVISTKINJE Kako ‘opismeniti' teoriju (Women 79

Siehe Jolanta Brach-Czaina, Szczeliny istnienia. Warsaw, 1992. Irina Zherebkina, "Strast': zhenskoe telo I zhenskaia seksual'nost v Rossii", in: Gendernye issledovaniia (KhTsGI), No. 1, 1998, 155-209; ders., Prochti moe zhelanie. Postmodernizm, psikhoanaliz, feminizm. Moskau: Ideya Press, 2000. 81 Anna Kostikova, "Ot fenomenologii tela k polilogike telesnogo zhelaniia", in: Gendernye issledovaniia: Feministskaia metodologiia v sotsial'nykh naukakh. Materialy 2-I Mezhdunarodnoi Letnei Shkoly po Gendernym Issledovaniiam (Foros-1998). Pod red. Iriny Zherebkinoi. Kharkov: KhTsGI, 1998, 285-287. 82 Galina Brand, "Pozemu vii ne pishite? Pishite sebia!", in: Woman-GenderCulture, MZGI, Moskwa, 1999, 142-152. 83 Igor Kon, "Muzhskoe telo kak eroticheskii ob'ekt", Gendernye issledovaniia (KhTsGI), No. 3, 1999, 297-317. 84 Andrej Sinel'nikov, "Muzhskoe telo: vzgljad I jelanie, Zametki k istorii politizeskih tehnologii v Rosii", in: Gendernye issledovaniia, (KhTsGI), No. 2, 1999, 209-219; ders. "V ozhidanii referenta: maskul'innost', feminnost' i politiki gendernyih representazii", in: Woman-Gender-Culture. Moscow 1999, 83-97. 80

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ACTIVISTS ‘Spelling Out' Theory), in dem in methodologischen Beiträgen der erkenntnistheoretischen Frage nachgegangen wird, inwiefern die Frau ein epistemologisches Subjekt für sich sein kann im Zusammenhang mit ihrem Erfahrungswissen.85 Ein anderes Beispiel ist die erste Nummer der Zeitschrift TRECA (Dritte), die dem Thema "Identität" speziell gewidmet ist und deren verschiedene Aspekte behandelt – "öffentliche Identität", Anerkennung und Identität, Sprache und Identität, Moral und Identität usw.86 x Philosophie der Sprache Hier wären die Untersuchungen von Svenka Saviü und Elena Goroshko zu nennen. Svenka Saviü untersucht die Beziehung zwischen Sprache und Geschlecht und stellt die Frage, inwiefern das Geschlecht das verbale Verhalten beeinflusst und welche Beziehung es zwischen Sprachstruktur und Geschlecht gibt. Nachdem sie die sprachwissenschaftlichen Konzeptionen nach den siebziger Jahren analysiert hat, kommt sie zur Schlussfolgerung, dass die verschiedenen methodischen Vorgangsweisen nur einen Teil des empirischen Materials beleuchten und deshalb ein komplexerer Zugang notwendig sei. Saviü analysiert und kritisiert die jugoslawische Sprachwissenschaft, die autochthon und vorwiegend präskriptiv geblieben ist. Die Basis für einen nichtsexistischen Gebrauch der serbischen Sprache sieht sie im Projekt "Psycholinguistische Studien" (Novi Sad) und diskutiert dessen Weiterführung.87

85

AKTIVISTKINJE Kako ‘opismeniti' teoriju. CWS, Zagreb 2000. Siehe TRECA (The Third, An Interdisciplinary Women's Studies Journal), 1/1, 1998; Die darin enthaltenen Beiträge sind von Biljana Kašiü, Rada Ivekoviü, Nadezda Cacinoviü, Rada Boriü, Maja Uzelac und Lada Cale Feldman. 87 Siehe Svenka Saviü, "Jezik i pol (I). Istraživanja u svetu", Ženske studije,1/1995; ders. "Jezik i pol (II)", Ženske studije, 2-3/1995; ders. "Žena sakrivena jezikom medija: kodeks neseksistiþke upotrebe jezika", Ženske studije, 10/1995. 86

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

Die Arbeiten von Elena Goroshko, die primär Sprachwissenschaftlerin ist, jedoch interdisziplinäre Forschung betreibt, zeigen die Notwendigkeit einer feministischen Philosophie der Sprache auf. Aufgrund der Erforschung weiblicher und männlicher Sprachstile und Schreibweisen hat Goroshko insbesondere eine Methodik ausgearbeitet, die das Geschlecht des Autors eines anonymen Textes festzustellen vermag.88 x Philosophische Anthropologie89 Zu den wichtigsten Beiträgen in diesem Bereich zählen die Arbeiten von Žarana PAPIû. Ihr Buch Geschlecht und Kultur: Körper und Erkenntnis in der Sozialanthropologie90 behandelt die Probleme der Anthropologie des Geschlechts, die Opposition Natur-Kultur, die Opposition der zwei Kulturkonventionen, die Sex-Gender-Geschlechterdifferenz und die Erkenntnismodelle sowie die Geschlechterdifferenz in der Praxis, und bietet eine ausführliche Bibliographie zu diesem Thema an. Eine interessante philosophische These wirft der Artikel von Branka Arsiü Im Schatten des Saturn auf. Sie zeigt, dass mit Descartes' Ausschluss der Melancholie aus dem cogito, diese zugleich auf eine andere Weise in das Denken (wieder) einbezogen wurde, nämlich durch die res cogitans. Von diesem Standpunkt aus formuliert Arsiü ihre Hauptthese, die Moderne hätte durch die res cogitans das melancholische Subjekt, die introvertierte Selbstidentität, die sinn-lose, körper-lose und "allegorische" Existenz, eingeführt.91 88

Vgl. Elena Goroshko, Osobennosti muzhskogo i zhenskogo verbal'nogo povedeniya: Psikholingvisticheskij analiz. (Avtoreferat dis. kand. filol. nauk) RAN, Institut yazykoznaniya, Moskau 1996; ders., "Gendernye issledovaniia v lingvistike segodnia", in: Irina Zherebkina (Hrsg.), Gendernye issledovaniia (Kharkov), No. 3/1999: 234-41. ders., "Pol, gender, yazyk", in: Zoya Khotkina et al. (Hrsg.), Woman-Gender-Culture. Moskau 1999: 99-110. 89 Vgl. Renata Salecl, (Per)versions of Love and Hate. London: Verso, 1999. 90 Žarana Papiü, Polnost I kultura: telo i znanje u socijalnoj antropologiji. Belgrad 1997, 368. 91 Vgl. Branka Arsiü, "U senci Saturna", Ženske studije 1/1995.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

x Ethik Seltsamerweise sind die Probleme der feministischen Ethik in der Philosophie "Osteuropas" weniger behandelt worden als andere Themen und Bereiche. Doch auch hier findet man eigenständige Beiträge. Aufgrund einer Analyse der rumänischen Praxis zeigt Mihaela Miroiu, wie in der osteuropäischen totalitären Gesellschaft die Ethik der Menschenrechte eliminiert und durch eine deformierte "ethic of care" ersetzt wurde. Objekt dieser Ethik war nicht die Person, sondern abstrakte Einheiten wie Staat, Nation, Zukunft, für die der/die Einzelne sich opfern musste. Dies wird heute von den meisten Männern dahingehend ausgenützt, dass sie sich als alleinige Opfer des totalitären Regimes darstellen, wodurch einmal mehr die Probleme der Frauen verschleiert werden: The habit of influential intellectuals is to treat another kind of problems as ethical relevant. They look to be prisoners of the obsession of "intellectual prostitution" and "political harassment" under the former regime. Many have the same reaction: "We have been harassed, raped, abused." Victimism is the favorite strategy. And in the ocean of complain and victimism, women's voices are lost. Many Romanian women do not know whether they have the right to master their own sexuality and still regard themselves as the sexual property of the husband or of some other partner; in our society human rights vanish on the doorstep of the household, should they have been observed outside the household. Freedom is delimited to public speeches, and nobody seems to notice that the most shattering tragedies are commonest within the family.92 x Ästhetik Im Gegensatz zur Ethik sind in diesem Bereich viele Arbeiten zu finden, die an sich allein einer gründlicheren Untersu92

Mihaela Miroiu, "A 'Feminized' Society", op. cit.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

chung bedürften. Ein allgemeines Merkmal fällt aber auf: Die Grenze der zwei führenden Forschungsrichtungen der ästhetischen Theorie in Osteuropa – die sogenannte "philosophische Ästhetik", die mehr ins erkenntnistheoretische geht, und die sogenannte "angewandte Ästhetik", die auf die Interpretation der Künste ausgerichtet ist, wird hier überschritten. So z. B. im analytischen Artikel von Dubravka Ĉuriü, die die verschiedenen Tendenzen der feministischen Kunst der letzten dreißig Jahre auszuarbeiten und zu klassifizieren versucht. Ĉuriü thematisiert dabei verschiedene Differenzen und Oppositionen: feministische Kunst und Frauenkunst, moderne und postmoderne Kunst, Avantgardismus, Neo-Avantgardismus und Post-Avantgardismus usw., aus deren Gegensätzen sie die Geburt und die Entwicklung der feministischen Kunst zu erklären versucht.93 In eine ähnliche Richtung geht der Artikel von Radmila Nastiü Das Männerdrama als Frauenschule. Sie untersucht das traditionelle Paradigma des Dramas seit Aristoteles bis heute, das, in einer simplen Form ausgedrückt, auf dem Machtkonflikt zwischen dem Vater und dem Sohn aufgebaut ist. In diesem Paradigma haben die Frauen nur eine zweitrangige, subordinierte Rolle, die ihrer jahrtausendelangen gesellschaftlichen Stellung (und Rolle) entspricht. Nastiü verweist jedoch auf Rebellinnen, wie Antigone und Ophelia, die freiwillig in den Tod oder den Wahnsinn gingen, um dem blutigen Drama der Geschichte zu entfliehen. In diesen Widerständen sieht sie den Ansatz zur Subversion des männlichen Paradigmas, die erst im 19. Jahrhundert spürbar wird: Mit Ibsens Nora and Tschechows Nina Zarechnaya verlassen die Bühnenheldinnen allmählich das Drama der Mittelklasse, um das Drama des eigenen Selbstbewusstseins zu schmieden.94

93

Dubravka Ĉuriü, "Feministiþka umetnost", Ženske studije, 2-3/1995. Radmila Nastiü, "Drama muškaraca kao škola za žene", Ženske studije 56/1996.

94

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Eine Weiterentwicklung dieser Debatten wäre die Untersuchung der Beziehung zwischen Ästhetik und Politik, auf die speziell Rada Ivekoviü eingeht. Sie stützt sich dabei auf die Lyotardsche Analyse von Duchamps, Aimés und Newmans Werken, die das Paradox der "Kunst nach dem Sublimen" behandelt. Ihre Analyse zeigt, dass das Problem der Diskontinuität und der Dissonanz nicht nur für die ästhetischen Repräsentationsfiguren fundamental ist, sondern auch für die politischen Implikationen dieser Figuren. Ivekoviü zeigt konkreter, inwiefern Duchamps "Erfindung" der Inkongruität von besonderer Wichtigkeit für Lyotard ist: Sie spielt eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Veränderungen der sogenannten "politischen Geometrie".95 Konkrete Analysen zur Beziehung Ästhetik-Politik, jedoch im osteuropäischen Kontext, findet man in der Debatte über die Rolle der Frauen im sogenannten "Balkan Cinema", vor und nach der Wende. Während die Philosophin Dina Iordanova die positive Rolle des bulgarischen Films nach der Wende unterstreicht, da dieser die marginalisierten Menschen und die Unterdrückung der Frauen in der sozialistischen Gesellschaft anspricht96, sieht die Kulturwissenschaftlerin Roumiana Deltcheva dies als eine Vereinfachung der realen Rolle der Frau vor der Wende und im sozialistischen Film sowie als Ausblendung ihrer jetzigen Situation. Dies sei das Resultat der Anpassung an die neue "political correctness", die zu einem erneuten Totalisierungsdiskurs führt: I view the post-1989 cinematic production in Bulgaria as an inverted return to hyperdogmatic formulas and simplistic binary oppositions. The past is rewritten and repackaged according to the new realities, which once again are subordinated to an external hegemonic dis95 Rada Ivekoviü, "Politika estetike? Diskontinuiteti i nesumjerljivosti", Ženske studije, 7, 1997, 172-186. 96 Dina Iordanova, "Women in New Balkan Cinema: Surviving on the Margins", Film Criticism. Vol. XX1, No. 2, Winter 1996-97, 24-40.

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course. The result is the construction of a new image of Bulgaria by Bulgarians, which is based on the voluntary marginalization of its entire identity. In this process, erasure becomes a dominant gesture. The "predicament of the new social reality" – the reigning cliché of the posttotalitarian era – serves as the easy excuse not to deal with oppression on any level. The "transitional period" after Communism – now in its tenth year – becomes the legitimizing pretext for not discussing gender relations: women simply must learn to adapt to the harsh new conditions if they want to survive.97 x Philosophie der Gesellschaft und der Politik In diesem Bereich finden die meisten Forschungen statt, hier nur einige Beispiele. Zuzana Kiczkova berichtet in unserem Interview von ihrem Versuch, die methodologische Tragfähigkeit der Kategorien des Öffentlichen und Privaten in den Bedingungen der Gesellschaftstransformation zu überprüfen. Ihrer Meinung nach sollte dies die Sensibilisierung bezüglich der Machtmechanismen und deren Asymmetrie aus der Geschlechterperspektive her ermöglichen.98 Das Buch von Renata Salecl Politik des Phantasmas sollte spezielle erwähnt werden. Es untersucht die neuen Nationalismen in Osteuropa, die eine ähnliche Struktur aufzuweisen scheinen wie die Rassismen im Westen. Dabei wird der Unterschied zwischen dem "postmodernen" Rassismus und traditionelleren Formen von Rassismus explizit thematisiert. Salecl zeigt, wie der neue "Meta-Rassismus" (Etienne Balibar) reflektiert, zivilisiert, mit Kulturanthropologie beladen herumschreitet und sich damit

97

Vgl. Roumiana Deltcheva, "East Central Europe as a Politically Correct Scapegoat: The Case of Bulgaria", CLCWeb: Comparative Literature and Culture: A WWWeb Journal 1-2, 1999, online: http://www.arts.ualberta.ca/clcwebjournal/clcweb99-2/deltcheva99.html. 98 Zuzana Kiczkova, "What Do we Need Feminist Theories for or One More Time about Publicity and Privacy", in: Gabriele Jähnert et al. (Hrsg.), Gender in Transition in Eastern and Central Europe. Berlin: Trafo Verlag, 2001, 124-132.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

auf den Feldern der politischen Philosophie, des Feminismus und der Psychoanalyse weiterbewegt. Viele positive Beiträge zum Thema Nationalismus und Krieg, die eine spezielle Untersuchung wert wären, wurden besonders von Philosophinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien geleistet.99 Ein wichtiger Beitrag dazu ist auch der vom Wiener Philosophinnen Club herausgegebene Band Krieg/War: eine philosophische Auseinandersetzung aus feministischer Sicht, in dem auch Artikel von Philosophinnen aus "Osteuropa" zu finden sind (R. Ivekoviü, E. Bachovec, B. Choáuj). Die Arbeit von BoĪena Choáuj Gibt es eine weibliche Ästhetik literarischer Auseinandersetzung mit dem Krieg? wirft nochmals und in origineller Weise die Frage nach dem Bezug zwischen Ästhetik und Politik bzw. Krieg auf.100 x Rechtsphilosophie Die Beiträge in diesem Bereich variieren zwischen einer theoretischen und einer praxisbezogenen Forschungsebene des Rechtssystems. In die erste Richtung geht z. B. Renata Salecl. Ihrer Argumentation nach zeigt die Situation der Frauen, dass das Recht als solches nicht universalisiert werden kann und dass deshalb eine postmoderne Interpretation der Justiz erforderlich sei, wo jeder Fall einzeln und im Kontext der bestehenden Anta99

Siehe Johann Gaisbacher u.a. (Hrsg.), Krieg in Europa. Analysen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Verlag Ed. Sandkorn, Linz-Graz 1992; Rada Ivekoviü, Biljana Jovanoviž, Maruša Krese, Radmila Laziž (Hrsg.), Briefe von Frauen über Krieg und Nationalismus, Frankfurt a/M.-Berlin: Suhrkamp, 1993; Radmila Laziü et al. (Hrsg.), Vjetar ide na jug i obrže se na sjever, Beograd, Apatridi, 1994; Rada Ivekoviü, "Women, Nationalism and War: Make Love Not War", Ženske studije 2-3/1995; ders., "Kako nacionalizem in vojna prizadenata ženske", Delta, Ljubljana, no.1-2/1996, 7-12.; Žarana Papiü, "Nationalism, Patriarchy and War in ex-Yugoslavia," Women's History Review Vol. 3, Nr. 1/1994, 115-117. 100 BoĪena Choáuj, "Gibt es eine weibliche Ästhetik literarischer Auseinandersetzung mit dem Krieg?", in: Wiener Philosophinnen Club (Hrsg.), Krieg/War. Eine philosophische Auseinandersetzung aus feministischer Sicht. München, Wilhelm Fink Verlag, 1997, 261-268.

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gonismen zu interpretieren und zu lösen wäre.101 In die zweite Richtung gehen z. B. Zorica Mrševiž und Vesna Nikoliž-Ristanoviž, die sich mit der Frauenlage in den Gefängnissen und dem Strafrecht befassen. In ihrem Artikel Frauen im Gefängnis stellt Zorica Mrševiž die Frage nach der Unterdrückung der Kriminellen, um zu klären, warum die Bestrafung für die Gefängnisse so wichtig ist. Gesetzeswidrigkeit und illegitime Tätigkeit werden als Schlüsselbegriffe festgelegt, um zu zeigen, wo die Grenze zwischen der Unterdrückung von Kriminalität und der Unterdrückung von Kriminellen verläuft. Hier wird die Behandlung der überführten Frauen, entsprechend des vorhandenen Strafvollzugsgesetzes, analysiert. Diese Situation wird anschließend mit den neuen Gesetzesentwürfen verglichen und anhand der Pionierforschung von Rose Gialombardo über Frauen in Gefängnissen weiterentwickelt. Vesna Nikoliž-Ristanoviž hinterfragt ihrerseits den Sinn der Gefängnisstrafe aus feministischer Perspektive. Sie untersucht konkret die Frage, ob der Zweck der Bestrafung erfüllt werden kann, indem man das Gefangenschaftsprinzip in der Weise anwendet wie dies in zeitgenössischen Frauengefängnissen passiert. Ihre Analyse basiert auf den Resultaten jener Forschung, die im Gefängnis für Frauen in Požarevac durchgeführt wurde, und vergleicht diese mit den Ergebnissen aus Forschungen in Frauengefängnissen in den USA, Kanada und Europa. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass die Form der Gefängnisstrafe nicht dem Zweck der Bestrafung dient, sondern im Gegenteil, dass sie bequeme Bedingungen für eine weitere Kriminalisierung schafft und/oder zur Viktimisierung der Frauen führt. x Geschichte der Philosophie Die Arbeiten dazu sind im Anhang als bibliographische Hinweise zum "Rereading" des Kanons erwähnt. Hier wären vielleicht zusätzlich einige umfassendere Untersuchungen zu 101

Renata Salecl, "Žene kao simptom prava", Ženske studije, 4/1996.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

nennen wie z. B. die unlängst erschienenen russischen Einführungen in die Gender Studies, die die Interpretationen des Geschlechts und des Geschlechterverhältnisses von der antiken bis zur gegenwärtigen Philosophie sowohl in ihrer geschichtlichen Entwicklung, als auch thematisch darstellen.102 3. Probleme und Perspektiven der Institutionalisierung von Gender Studies im Bereich Philosophie Obwohl an vielen Universitäten und Akademien in Osteuropa Programme bzw. Abteilungen für Gender Studies, Women's Studies und feministische Theorie eingerichtet wurden und auch verschiedene Veröffentlichungen und Zeitschriften sich um eine Verbreitung dieser Wissensbereiche bemühen, werden sie sowohl von der Öffentlichkeit als auch von AkademikerInen unterschätzt oderzurückgewiesen. Zuzana Kiczkova berichtet im Interview: Die Rezeption von westlich-feministischer Philosophie und Theorie wird auch nach zehn Jahren in philosophischen und intellektuellen Kreisen nur skeptisch aufgenommen und oft mit negativen Konnotationen verbunden. Außer überholte Vorurteile, die immer noch stärker als rationelle Argumentation sind, spielt meiner Meinung nach eine (negative) Rolle die Nichtakzeptanz (sogar Ablehnung) von postmodernen Ideen und Initiativen, die 'ein alternatives und pluralistisches Vorfeld' auch für eine positivere Rezeption der feministischen Philosophie vorbereiten könnten. Auch in Russland, wo Gender Studies mittlerweile in Lehre und Forschung sehr verbreitet sind,103 wo es sogar ein staatli102

Irina Kostikova (Hrsg.), Vvedenie v gendernye issledovaniya. Izdatel'stvo MGU, Moskau 2000; Irina Zherebkina, Sergej Zherebkin, Vvedenie v gendernye issledovaniya. Chast' 1-3. Aletejya, Kharkov, 2001. 103 Ivanovskij Tsentr Gendernykh Issledovaniya (Hrsg.): Vnedrenie gendernykh kursov v sistemu srednego obrazovaniya. Metodicheskoe posobie. Ivanovo 2000.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

ches Programm für Frauenforschung und Gender Studies gibt, ist der Widerstand nicht zu übersehen: Little has changed in the post-Soviet period. Feminism and the gender approach are practically not included in the mainstream of philosophic studies. Only very few women-philosophers relay Western feminist theories (mainly of the post-modernist type) and propagate the gender approach. Not only "Philistines" (common people) but Russian intellectuals as well consider feminism a curse word, and gender studies – a usual muddle of the civilization-satiated Western mind.104 Die Frage, warum feministische Studien in Osteuropa nicht mehr Erfolg in breiteren Kreisen haben, wurde schon von zahlreichen Autorinnen behandelt,105 wobei nicht alle eine Antwort finden konnten.106 Was uns hier konkreter interessiert, ist: x

x

Das Problem der Nichtakzeptanz der Gender Studies und der feministischen Philosophie seitens der sogenannten scientific community, insbesondere der philosophischen akademischen Gemeinschaft, da mit diesem Problem die Fragen nach der Institutionalisierung, ihrem Inhalt und ihrer Effizienz eng verbunden sind; Die strukturellen und organisatorischen Probleme der Institutionalisierung im philosophischen Bereich.

104

Olga Voronina, "The Philosophy of Sex and Gender in Russia" (online unter: http://www.bu.edu/wcp/Papers/Gend/GendVoro.htm). 105 Siehe z. B. JiĜina Siklová, "Different Region, Different Women: Why Feminism isn't Successful in the Czech Republic", Replika. Hungarian Social Science Quarterly, 1/1996; Claire Wallace, "Eine Westfeministin geht in den Osten", Transit, Heft 9, Sommer 1995, 129-145; Hana Havelková, "Real existierender Feminismus", Transit, Heft 9, Sommer 1995, 146-158. 106 "So why have women not discovered their social discrimination after the collapse of communism? Why are the movements of women in the region so weak, so isolated, and almost unknown for the general public? There is still no answer to these questions", schließt Mária Neményi ("The Social Construction of Women's Roles in Hungary", Replika, 1/1996).

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Eine plausible Antwort auf die Frage, warum die akademische Wissenschaft nichts von Feminismus und Geschlechterstudien hören will, scheint Olga Shnyrova geben zu können, die von ihrer Erfahrung als Leiterin des Gender Studies Zentrums an der Ivanovo Universität ausgeht. Sie schreibt: "Was die feministische Theorie und Epistemologie betrifft, so werden sie scharf abgewiesen. Sie werden als nichtwissenschaftlich betrachtet, ihnen wird Politisierung vorgeworfen. Die Gender Studies sind immer noch in einer marginalen Position, sie entwickeln sich abseits der Hauptströmung der akademischen Wissenschaft."107 Die Gründe für diese Abweisung sind ihrer Meinung nach:

107

x

Der patriarchale Charakter der russischen Mentalität und die Männerdominanz im wissenschaftlichen Bereich (an der Universität Ivanovo sind 25% von den Professorinnen);

x

Die Gleichsetzung von Gender Studies und Feminismus, wobei letzterer als eine westliche Strömung angesehen wird, die unkritisch in die russische Tradition importiert worden ist;

x

Die Gleichsetzung von Gender Studies und Frauenstudien, wobei die Frauenproblematik als etwas Unwichtiges und Zweitrangiges angesehen wird; Die Durchsetzung des orthodoxen Glaubens, wo die Rolle der Frau traditionell gedeutet wird: Sie hat sich um den Haushalt und die Familie zu kümmern und sich dem Mann zu fügen; die feministischen Ideen werden von den Orthodoxen als Angriff auf nationale Grundsätze verurteilt;

Olga Shnyrova, "Poblemy vospriyatiya gendernykh issledovanij v akademicheskoj srede", in: Nosova, Natalia (Hrsg.), Pol, gender, kul'tura. Moskau 2000, 231-238.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

x

Die Meinung, der Feminismus beschäftige sich mit fiktiven Problemen und lenke somit von den wichtigen Fragen der russischen Gesellschaft ab;

x

Die Ansicht, der Feminismus sei ein umstrittener Bereich und ohne große wissenschaftliche Bedeutung.

Die ablehnende Haltung gegenüber den Gender Studies und der feministischen Theorie werden nach Shnyrova besonders bei Dissertationen zu diesen Themen sichtbar. Den DissertantInnen werden absichtlich Probleme bereitet, indem von ihnen in unverhältnismäßiger Weise Veränderungen, Besprechungen, zusätzliches Wissen und zusätzliche Veröffentlichungen verlangt werden: Die spezialisierten wissenschaftlichen Beiräte, wo die Männerdominanz offensichtlich ist, stellen bewusst Hindernisse zur Abhaltung von Dissertationen zur Frauenproblematik her, indem sie argumentieren, dass diese Problematik nicht aktuell und unwesentlich für die Wissenschaft sei.108 Diese Beschreibung, so wie die angegebenen Gründe der Abweisung, trifft auch für andere Länder, wie z. B. Bulgarien, zu. Die Rolle der Kirche mag vielleicht nicht überall so spürbar sein, doch sind Probleme zwischen Glaube bzw. Kirche und Feminismus in Osteuropa Tatsache, wobei sich die Schwierigkeiten dann auch auf die Religionswissenschaften, die Theologie und die Religionsphilosophie auswirken.109 Was die Erfahrung und die allgemeinen Probleme der Institutionalisierung der Gender- und Frauenstudien in Osteuropa betrifft, so wurden sie erst kürzlich von Human- und Sozialwissenschafterinnen speziell besprochen.110 Hier möchte ich 108

Ebenda, 233. Siehe das Interview mit Hedwig Meyer-Wilmes hier im zweiten Kapitel. 110 Siehe die unter dem Titel "Institutionalization of Women's and Gender Studies" zusammengefassten Beiträge in Gabriele Jähnert et al. (Hrsg.), 109

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

also nur auf die spezifischen Probleme der Institutionalisierung der Gender Studies im Bereich der Philosophie eingehen. Die akademischen Vorurteile, die Abwertung und Skepsis gegenüber der Genderforschung in der Philosophie gehen Hand in Hand mit der schon erwähnten Geschlechterblindheit und Ignoranz. Die Philosophie galt und gilt als Bereich des "männlichen Denkens", als Tradition der "großen Philosophen" (Jaspers). Dass es auch Philosophinnen gegeben hat, dass viele der "großen Philosophen" die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern gutgeheißen und legitimiert haben, wissen wenige. Bei "wissenschaftlichen" Besprechungen, wenn es um Gender und Frauen geht, ist das Argument immer wieder zu hören: "Das ist keine philosophische Frage." So muss man, willentlich oder nicht, immer wieder dort anfangen, wo einige Philosophinnen vor gut dreißig Jahren angefangen haben: mit der Klärung, ob die Frauenfrage eine philosophische Frage ist,111 was Gender mit Philosophie zu tun hat usw. Die Notwendigkeit langer Erklärungen zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit der "feministischen Philosophie". Wie kann Philosophie "feministisch" sein, was hat Philosophie mit Feminismus zu tun – das sind die immer wiederkehrenden Fragen, ohne deren Beantwortung nicht weiterdiskutiert werden kann.112 Die ausführliche und systematische Behandlung dieser Fragen ist besonders wichtig für die akademische Institutionalisierung. Wenn den ProfessorInnen im wissenschaftlichen Beirat, Gender in Transition in Eastern and Central Europe. Berlin: Trafo Verlag, 2001, 325-365. 111 Carol Gould, "The Woman Question: Philosophy of Liberation and the Liberation of Philosophy", in: Women and Philosophy. Toward a Theory of Liberation. Ed. By Carol C. Gould and Marx W. Wartovsky. New York: Perigree, 1976, 5. 112 Siehe Yvanka Raynova, "Feministische Philosophie? Genealogie einer umstrittenen Ehe. In: Die Feministische Philosophie: Perspektiven und Debatten", Sofia, 2000, 123-139; ders., "Das Erwachen der Bärin. Richtlinien für eine feministische Philosophie in Osteuropa", in: Sigrid Berka et al. (Hrsg.): Die feministische Philosophie: Perspektiven und Debatten. OSI & Nauka i izkustvo, Sofia 2000, 211-221.

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Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie

von dem die Genehmigung der Projekte und die Gründung neuer Abteilungen abhängt, nicht klar gemacht wird, was Gender mit Philosophie zu tun hat, so kann man schwer erwarten, dass dieser "neue" Bereich ohne weiteres angenommen wird. Dabei ist es sehr wichtig, wie das Ganze präsentiert wird. Wenn man feministische Philosophie als "Philosophieren am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau" (Herta Nagl) definiert, so wird sie als Teil der sozialen und politischen Philosophie klassifiziert werden, ohne dass geklärt wäre, inwiefern die Genderproblematik mit grundlegenden philosophischen Fragen und "Kategorien" verbunden ist, die alle Bereiche der Philosophie (Erkenntnistheorie, Ontologie, philosophische Anthropologie, Ethik, Ästhetik usw.) durchdringen. Dies birgt die Gefahr in sich, dass die feministische Philosophie als Politisierung und Ideologisierung der Philosophie aufgefasst und zurückgewiesen wird. Viele Wissenschafterinnen und Philosophinnen in Osteuropa ziehen es daher vor, über Gender Studies und nicht über feministische Philosophie zu sprechen. Dies erspart ihnen jedoch nicht die genauere Klärung der Rolle von Gender Studies innerhalb der Philosophie. Anders gesagt, wäre die Institutionalisierung der Gender Studies in Bezug auf die neue Rolle der Philosophie nach 1989 zu thematisieren. Weiteres stellt sich die Frage nach dem strukturellen und organisatorischen Vorgehen: Soll feministische Philosophie bzw. philosophische Geschlechterforschung als eigenständiges Fach, als eigene Abteilung (Department) institutionalisiert werden oder fächerübergreifend, als Forschungsbereich innerhalb verschiedener Abteilungen? Die "ideale" Lösung wäre eine Kombination beider Richtungen, das heißt sowohl eine eigenständige Einrichtung für philosophische Genderforschung als auch die Durchführung der feministischen Kritik und die Thematisierung von Geschlecht und Geschlechterdifferenz innerhalb der verschiedenen philosophischen Bereiche (Ontologie, Erkenntnistheorie, Epistemologie,

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philosophische Anthropologie, Politische Philosophie, Rechtsphilosophie, Ethik, Ästhetik, Geschichte der Philosophie, Gegenwartsphilosophie). Diese Lösung erscheint zum jetzigen Zeitpunkt, wenn nicht ganz unmöglich, so doch utopisch, da sie eine breitere philosophische Gemeinschaft bedingt und nicht, wie bis jetzt, auf der Initiative einzelner PhilosophInnen aufbauen kann. Das erste und vielleicht größte Problem in dieser Hinsicht sind die LektorInnen und die Ressourcen: However the first stage of institutionalization implicitly contained serious problems of how to structure the process in the absence of qualified lecturers, resources, and with some scepticism of the students (...) Moreover, the universities in our countries were not against a formal establishment of the centers, but they have never been enthusiastic to assist either technically or with financial resources.113 Eine andere Frage bleibt dabei offen, nämlich inwiefern die interdisziplinäre Institutionalisierung der Gender Studies an den Universitäten und Akademien fördernd oder hindernd für die disziplinäre Institutionalisierung ist. Es gibt unterschiedliche Meinungen diesbezüglich. Einige sind der Ansicht, dass der interdisziplinäre Zugang zwar notwendig sei, aber die Einrichtung von interdisziplinären Gender Studies Zentren und Abteilungen zum Argument der "Erübrigung" der Einführung der Geschlechterstudien innerhalb der Disziplinen führen könnte. Dies ist besonders im Bereich der Philosophie zu befürchten, da sie gegenüber den anderen Human- und Sozialwissenschaften in den Hintergrund gedrängt wurde. Mangels Spezialistinnen sehen andere wiederum keine andere Alternative als die Interdisziplinarität:

113

Irina Novikova, "East European Feminisms – In rooms of our own? On the problems of feminist theorising and integrationg women's / gender studies in the Baltics / Latvia", in: Gender in Transition in Eastern and Central Europe. Berlin: Trafo Verlag, 2001, 325.

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Es gibt bisher noch kein selbstständiges Bakkalaureatoder Magister- oder Doktoratsprogramm, auch keine Abteilungen an den tschechischen Universitäten, die sich speziell mit der Geschlechterproblematik befassen. Doch gibt es mehrere individuelle Vorlesungen an einzelnen Fakultäten. Der Grund für diese Situation ist die bislang sehr kleine Zahl an Fachfrauen, die feministisch orientiert sind: zwei Historikerinnen, etwa fünf Soziologinnen, eine Philosophin (falls ich eine bin), eine Psychologin, eine Kunsthistorikerin usw. (...)Aufgrund dieser Situation erweist sich die Gründung eines interdisziplinären Magisterprogramms als die beste Lösung sowohl für die Zusammenarbeit der bisherigen Einzelgängerinnen aus den einzelnen Fächern, als auch für die Stellenchancen des interessierten "Nachwuchses". Die humanwissenschaftliche Fakultät, wo ich arbeite, scheint dafür gut geeignet zu sein und ich habe die Gründung eines solchen Programms in kurzer Zeit vor.114 Dadurch, dass die Philosophie sich in jedem Land in einem jeweils spezifischen Kontext befindet, wo es verschiedene Probleme und Ressourcen gibt, ist klar, dass man keine allgemeinen "Rezepte" der Institutionalisierung der Gender Studies geben kann. Stattdessen wäre der verstärkte Austausch an Erfahrung ein besseres, ja notwendiges Unterfangen. Schlussbemerkung Obwohl viele der Ansprechpartnerinnen sich in den Interviews ziemlich bescheiden über das Geleistete im Bereich der philosophischen Geschlechterforschung geäußert haben, zeigten meine eigenen Untersuchungen, dass in den letzten fünfzehn Jahren in Osteuropa sehr viel gemacht worden ist, sowohl an Lehrveranstaltungen als auch an Forschung, Übersetzungen, Veröffentlichungen und Institutionalisierungsarbeit der Gender Studies im Gebiet der Philosophie. Es bestehen aber nach wie 114

Interview mit Hana Havelková (siehe hier im zweiten Kapitel).

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vor Probleme, etwa akademische Nichtakzeptanz der Genderforschung, Mangel an Fachleuten und an Ressourcen. Inwieweit diese gelöst werden können, ist schwer zu beurteilen; daraus lässt sich jedenfalls die Notwendigkeit systematischer Arbeit und besserer Vernetzung aufzeigen.

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Feministische Theorie ohne Frauenbewegungen? Als ich vor einigen Jahren eingeladen wurde, im Rahmen einer Diskussion zum Thema "Unity and Diversity in European Women's Movements and Political Practices" über die Frauenbewegungen in Osteuropa zu sprechen,1 lehnte ich zuerst kategorisch ab. Der Grund dafür war – und darin fand ich mich zunehmend bestätigt, dass es mir ziemlich problematisch erschien über aktuelle "Frauenbewegungen" im "anderen Europa" zu sprechen, und die Hegelsche Dialektik der Einheit und Vielfalt in solchem Zusammenhang anzuwenden. Ich werde nun versuchen detaillierter zu erläutern, warum ich bis heute der Meinung bin, dass es zurzeit keine Frauenbewegungen in den postkommunistischen Ländern Europas gibt, respektive warum man über dieses Thema nur in der Negation debattieren kann. Zuallererst, was ist eine Frauenbewegung? Viele WissenschafterInnen machen keinen Unterschied zwischen "Frauenbewegung" und "feministischer Bewegung". Es ist jedoch sehr wichtig, eine Frauenbewegung als Form der sozialen Bewegung von einer feministischen Bewegung, die oft nur eine Strömung von Ideen, Theorien und Strategien darstellt und deswegen auch nicht unbedingt in eine besondere soziale Frauenbewegung eingebunden ist oder sein muss, zu unterscheiden. Frauenbewegungen sind auch nicht mit Frauenorganisationen oder politischen Parteien gleichzusetzen, die möglicherweise im Stande wären, die Rolle einer führenden Kraft in einer Frauenbewegung zu übernehmen, aber auch darin versagen könnten, die Frauen innerhalb einer Bewegung zu organisieren.

1

"Continuities and Discontinuities: Women's Movement and Feminism(s) in Central, Eastern and Southeastern Europe (19th and 20th Centuries)", eine Internationale Konferenz, organisiert vom Institut für Geschichte der Universität Wien, die vom 3. bis 4. Juni 2004 im Bruno-Kreisky-Forum in Wien stattgefunden hat. Auf Beharren einer der Organisatorinnen hin habe ich dann bei der Konferenz meine Position präsentiert, die für lebhafte Diskussionen gesorgt hat.

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Es gibt Dutzende von Definitionen der "sozialen Bewegung" und ebenso für "Frauenbewegung". Soziale Bewegungen wurden im Allgemeinen als eine Art kollektives Handeln beschrieben, das sich durch eine gewisse Kontinuität auszeichnet und darauf abzielt, eine Änderung in der Gesellschaft zu fördern oder ihr Widerstand zu leisten.2 Eine der gängigsten Definitionen von Frauenbewegungen ist die von Mary Katzenstein und Carol Mueller, die damit jene Bewegungen bezeichnet, die sich durch eine Vielfalt von Anliegen, jedoch als eine Einheit in der Zielsetzung charakterisieren, nämlich eine totale Transformation der öffentlichen und privaten Institutionen von Gender in der Gesellschaft zu bewirken.3 Dass diese Definition zu breit gefasst ist wird offensichtlich, wenn wir in Betracht ziehen, dass es auch Männerorganisationen und -bewegungen gibt, die ähnliche Absichten verfolgen.4 An eine strengere Definition von Frauenbewegung hält sich zum Beispiel die Encyclopædia Britannica, die diese als "a social movement (…) seeking equal rights and opportunities for women in their economic activities, their personal lives, and politics" bezeichnet.5 Doch damit taucht die Frage auf, ob Gleichheit das einzige bzw. das Hauptanliegen einer Frauenbewegung ist. Wenn Gleichheit bzw. die Gleichstellung von Mann und Frau das alleinige Anliegen sein sollte, dann ist es kein Wunder, dass jene, welche die Gleichstellung der Geschlechter als bereits vollzogen annehmen, auch keinen Bedarf mehr an einer Frauenbewegung mehr sehen.6

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Siehe Ralph H. Turner, Lewis M. Killian, Collective Behaviour. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall, 1972, 1987, 223. 3 Mary Fainsod Katzenstein and Carol McClurg Mueller (Hrsg.), The Women's Movements of the United States and Western Europe: Consciousness, Political Opportunity, and Public Policy. Philadelphia: Temple University Press, 1987, 1992, 5. 4 Siehe: http://www.forum-maenner.de/ 5 Encyclopædia Britannica, CD-ROM, 2004. 6 Dazu gehören die ehemaligen Ideologen des Realsozialismus und ihre Nachfolger, die PostfeministInnen, manche AntifeministInnen u.a.

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Die meisten Definitionen sind problematisch und nicht immer hilfreich, weil sie wichtige Komponenten und Bedingungen für eine Frauenbewegung außer Acht lassen. Diese sind meines Erachtens: x Die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen als eine spezifische Situation, als "condition féminine" wie Simone de Beauvoir es bezeichnet hat, die als Motiv für eine Frauenbewegung wirkt, wenn die Situation sich verschlechtert und den Betroffenen als unerträglich erscheint; x Eine Ideenplattform und konkrete Handlungsstrategie für die Veränderung der Frauensituation; x Eine Interessengemeinschaft (Verband, Verein, Genossenschaft, Gewerkschaft etc.), sowie führende Kräfte (Persönlichkeiten), die in der Lage sind, die Frauen in einer Massenbewegung zu organisieren, diese zu koordinieren und die Kontinuität der Handlungen zu sichern, bis die Ziele der Bewegung erreicht sind; x Eine bestimmte Frauenmasse, die motiviert und bereit ist, entschlossen für die Veränderung der eigenen Situation zu kämpfen. Aus dieser Sicht stellt sich nun die Frage, ob wir zurzeit diese wesentlichen Komponenten und Bedingungen für eine Frauenbewegung in "Osteuropa" haben oder nicht. Diese Frage ist sehr komplex, ja länderspezifisch, und es ist deshalb nicht erstaunlich, dass man hierüber geteilter Meinung ist. Ich kann hier natürlich keine vollständige Analyse präsentieren; dafür bedürfte es einer längeren Studie oder gar eines eigenen Projekts. Das Hauptziel, das ich verfolge, ist doppelt: Erstens werde ich auf einige grundlegende Tendenzen hinweisen, um meine These der fehlenden Frauenbewegungen in "Osteuropa" zu begründen und dementsprechend zu belegen; zweitens werde ich die Gründe für die Inakzeptanz feministischer Ideen, die Abwesenheit feministisch orientierter Frauenbewegungen, sowie gewisse Missverständnisse im feministischen 95

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Ost-West-Dialog, die auf kulturelle, diskursive und anderen Differenzen basieren, analysieren und versuchen, sie aus einer neuen Perspektive heraus zu erklären. 1. Wird die Situation der Frau in "Osteuropa" von den Frauen als unerträglich empfunden? "Ihr wurdet unterdrückt!" – war das Erste, was am Anfang der neunziger Jahre die Westfeministinnen den "osteuropäischen" Frauen mitteilten, als sie ihre Mission im "anderen Europa" im Sinne einer feministischen "Aufklärung" antraten. Dies wurde von der tschechischen Soziologin Hana Havelkovà als ein ideologisches Eindringen beschrieben, bei dem die Westfeministinnen die postkommunistischen Gesellschaften als "sexistisch" und "patriarchalisch" und die "osteuropäischen" Frauen als "zweitrangige Bürger", "konservativ, abhängig und diskriminiert" abstempelten.7 Folglich wurde diese Diagnose von den meisten tschechischen Akademikerinnen zurückgewiesen und Havelkovà erläutert diesbezüglich, sie hätte nicht vor die tschechischen Frauen zu überzeugen, dass sie unterdrückt wurden, wenn sie sich selbst nicht unterdrückt fühlten.8 In einem Privatgespräch teilte mir eine Feministin aus dem baltischen Raum, deren Namen ich hier verständlicherweise nicht erwähnen möchte, etwas Ähnliches mit: "Sie [westliche Feministinnen] kamen und sagten uns wir seien all die Jahre unterdrückt gewesen. Natürlich haben wir danach heimlich darüber gelacht. Aber wenn sie schon Gelder für Frauenforschungen anboten, warum sollten wir da 'nein' sagen? Was haben wir nicht alles Mögliche unter dem Sozialismus erforscht, weshalb nun nicht die Lage der Frauen? Eigentlich könnten sie ja mehr von uns lernen als wir von ihnen, denn die sowjetischen Konsti7

Hana Havelkovà, "Real existierender Feminismus", Transit. Europäische Revue Heft 9, 1995, 147. 8 Ibid., 157.

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tution enthielt schon die Lösungen für unsere Probleme und die russischen Frauen waren schon immer eigenständig und selbstbewusst…" Obwohl auch "osteuropäische" Feministinnen die Idee von den patriarchalischen Strukturen und den unterdrückten Frauen in den ehemaligen kommunistischen und den jetzigen postkommunistischen Ländern propagieren, gibt es bei vielen einen spürbaren Widerstand dagegen. Dabei kommt es manchmal (oft hinter den Kulissen) zu gegenseitigen Beschuldigungen. Erstere sind der Meinung, dass alle, die Widerstand gegen die These der Unterdrückung der Frauen leisten, noch unter ihrer "kommunistischen Mentalität" leiden, Letztere wiederum bezichtigen sie als servil, "erneut ideologisch angepasst"9 und sogar als "bezahlte Diener" der neuen political correctness. Die eigentlichen Gründe, warum sehr viele (wenn nicht die meisten) Frauen von solchen Thesen nicht überzeugt sind und ihre Lage nicht in den klassischen Begriffen der Unterdrückung und dem Bedürfnis nach Emanzipation auffassen, sind sehr verschieden. Zum einen handelt es sich um Widerstand gegen alles, was als eine neue Ideologie oder als einer Art "diskursiven Kolonisation"10 wahrgenommen wird. Zum anderen herrscht bei vielen die Überzeugung, dass Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen bereits stattgefunden haben – eine These, die schon während des Realsozialismus propagiert wurde.11 Viele

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Dass diese Anschuldigung nicht "aus der Luft gegriffen" ist, sieht man an der unerfreulichen Tatsache, dass in manchen Fällen gerade diejenigen, die heute die These der patriarchalen kommunistischen Ordnung und der unterdrückten Frauen vertreten, vor 1989 Dissertationen und Artikeln aus "marxistisch-leninistischer Sicht" verfassten und den (westlichen) Feminismus als "bürgerliche Ideologie" anprangerten. 10 Siehe JiĜina Šmejkalovà, "Gender as an analytical category of post-communist studies," in: Gabriele Jähnert et al. (Hrsg.), Gender in Transition in Eastern and Central Europe. Proceedings, Berlin: trafo Verlag, 2001, 52. 11 Hanna Behrend beschreibt das kurz und bündig: "Feminismus wurde offiziell als eine "kleinbürgerliche Ideologie" verteufelt, die für Frauen in der DDR keine Bedeutung habe, weil dort die Gleichberechtigung der Geschlechter

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AkademikerInnen und AktivistInnen sind wiederum überzeugt, dass die Lage der Frauen in den postkommunistischen Ländern von Problemen abhängt, die nicht reine "Frauensache" sind, wie z. B. ökonomische Krise, wirtschaftliche und politische Korruption, Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, organisiertes Verbrechen usw., und deshalb nicht per se, und auch nicht voneinander isoliert, gelöst werden können. Nicht zuletzt ist eine wichtige, nicht zu unterschätzende Tendenz, die sich der Frauenemanzipation widersetzt, das come back von traditionellen Werten und die damit verbundenen Vorstellungen der Rolle der Frau. Die Ursachen dieses come back sind vielfältig. Sie begründen sich zum Teil aus der Situation der Frauen in der sozialistischen Vergangenheit, zum Teil aber auch aus den neuen Lebensumständen in den postkommunistischen Ländern. Viele Frauen setzen die so genannte Emanzipation mit der Doppelbelastung gleich, die sie bereits während des Sozialismus als Arbeiterin und Mutter zu tragen hatten. Die Sehnsucht danach, nur Hausfrau oder Gattin bzw. Geliebte eines gut verdienenden Mannes zu sein, der seiner Partnerin ein "schönes Leben" bieten kann, wird zunehmend zum Ideal von jungen Frauen, die sich den Kampf ums Überleben und die Konkurrenz am Arbeitsmarkt ersparen möchten. Ein besonderer Grund für dieses come back ist z. B. die starke Rolle des Katholizismus in Polen. Die Aktivisten Maria Szyszkowska (die einzige Frau im polnischen Parlament) und Czeslaw Janik betonen, dass die heutige Lage der Frauen in Polen sich gegenüber den Jahren 1956 bis 1989 wesentlich verschlechtert hat, da es zurzeit nur eine ideologische Denkrichtung gibt, nämlich die katholische: Die Herrschaft einer einzigen Anschauung führt zu einer tiefen Entfremdung. Unter dem Einfluss der Kirche, aber auch der Frauenzeitschriften und Massenmedien ist die polnische Mutter ein Ideal geworden, das man anzulängst verwirklicht sei" (Siehe Hanna Behrend, "Feministische Gegenöffentlichkeit im 'Realsozialismus'" online: http://www.glasnost.de/autoren/habehrend/gegenoff.html).

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streben hat. Bei ledigen und kinderlosen Frauen führt das zu verstärkten Minderwertigkeitskomplexen, da sie von der Kirche als das Antimodell schlechthin vorgestellt werden. Lesbische Frauen sind in einer noch dramatischeren Situation, weil die Kirche der Gesellschaft einredet, Homosexualität sei eine Krankheit, eine Abnormität.12 Dieses Bild der Homosexualität als Krankheit, Abnormalität, ja gar Perversion, das auch von der orthodoxen Kirche verbreitet wird, ist nichts Neues und stimmt im Wesentlichen mit der Auffassung der ehemaligen kommunistischen Ideologie überein. Das Problem, das sich hier klar abzeichnet, ist offensichtlich der Konflikt zwischen zwei Institutionen: der Kirche oder der Religion einerseits und der Europäischen Union andererseits, ein Konflikt, welcher nicht nur in Polen, sondern auch in vielen Ländern Europas auf die eine oder der anderen Art präsent ist. 2. Gibt es feministische Programme und Ideen, die die Frauen mobilisieren könnten? Trotz der schon vorhandenen, sehr wertvollen Forschungsarbeiten von "osteuropäischen" Feministinnen in den verschiedenen Gebieten der Sozial- und Geisteswissenschaften, ist "Feminismus" immer noch ein Schimpfwort sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Medien und bei akademischen Debatten. Ein deformiertes Bild oder gar "a medialized 'horror' construction of 'feminism'",13 wie ihn JiĜina Šmejkalovà nennt, ist seit Jahren in den postkommunistischen Ländern propagiert worden. Dies ist nicht der einzige Grund, aber sicher eines der 12

Maria Szyszkowska, Czeslaw Janik, "Zurück zu Kinder, Küche, Kirche – Die Lage der Frauen im 'demokratischen' Polen", Die Linke, 07-12-2006 (online: http://dielinke.at/artikel/international/zuruck-zu-kinder-kuche-kirche-2013-dielage-der-frauen-im-201edemokratischen201c-polen). 13 Siehe JiĜina Šmejkalovà, "Gender as an analytical category of postcommunist studies," in: Gabriele Jähnert et al. (Hrsg.), Gender in Transition in Eastern and Central Europe. Proceedings, Berlin: trafo Verlag, 2001, 52.

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Haupthindernisse für eine ernste Neubetrachtung und eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen der Frauen. Denn dass sich die Lage der Frauen in den postkommunistischen Ländern in mancher Hinsicht verschlechtert hat, ist Fakt. Viele Autorinnen, die sich mit "Osteuropa" auseinandersetzen, behaupten, dass der Feminismus in dieser Region problematisch sei. Dabei schwanken sie zwischen totalem Skeptizismus einerseits, ob es möglich ist, einen "osteuropäischen Feminismus" zu errichten, andererseits dem organisatorisch-kommunikativen Optimismus. Die Soziologin Claire Wallace berichtet: In Prag angekommen, mußte ich feststellen, daß feministische Ideen im postkommunistischen Osteuropa völlig anders rezipiert werden – sie stoßen auf Desinteresse oder sogar ausgesprochene Feindseligkeit. Als ich dieses Thema zur Sprache brachte, hat es die StudentInnen gewiß inspiriert: Es inspirierte sie, Essays darüber zu schreiben, warum der Feminismus in Osteuropa irrelevant ist. Nicht nur ich habe diese Erfahrung gemacht.14 Dennoch versucht Wallace zu zeigen, dass "Frauen aus Osteuropa einen Beitrag zur Selbstkritik des gemeinsamen Feminismus leisten können."15 Hana Havelkovà beschreibt ihrerseits den misslungenen Ideenaustausch zwischen den westlichen Feministinnen und den tschechischen Frauen folgendermaßen: Das Resultat dieser mühseligen Diskussionen war Enttäuschung auf beiden Seiten: auf ihrer, weil wir uns nicht belehren lassen wollen, und auf unserer, weil sie die große Verschiedenheit unserer gelebten Erfahrung nicht respektieren, nicht fähig sind, ihr zu trauen und sie ernst zu nehmen. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, daß keine gemeinsamen Sitzungen mehr stattfin14

Claire Wallace, "Eine Westfeministin geht in den Osten", Transit, Heft 9, Sommer, 1995, 128. 15 Ebenda, 134

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den: Sie haben die ihren und wir die unseren. Mit dieser eher tragikomischen Geschichte möchte ich auf die allgemeine Schwierigkeit des Ost-West-Dialogs auf der Ebene der politischen Philosophie aufmerksam machen. Es handelt sich dabei nicht um eine Einzelerfahrung.16 Ihre Analyse endet damit, dass die Erfahrung in den postkommunistischen Ländern zu einer äußersten Skepsis gegenüber den großen befreienden Ideen geführt hat und zu einer Abneigung gegen jegliche "-ismen" überhaupt, so dass der Feminismus vielleicht von einzelnen Frauen rezipiert werden könnte, die allgemeine Skepsis aber kaum verschwinden wird.17 Als zusätzliche Gründe, weshalb es zu einer solchen Reserviertheit und Feindlichkeit gegenüber dem Feminismus in den postkommunistischen Ländern gekommen ist, führen die Autorinnen vorwiegend Differenzen in historischer, kultureller und politischer Hinsicht an. Nach Christiane Lemke "enthält die dominante politische Kultur der Transformationsgesellschaften starke Muster politisch-kultureller Werte und Einstellungen, die eine Perzeption der Geschlechterproblematik prägen, die im Gegensatz zu feministischen und frauenrechtlerischen Interpretationen und Interessen steht."18 Wie sehr das auch stimmen mag, ist es nur einer der Gründe für den Widerstand der "Osteuropäerinnen" gegen den Feminismus, denn die erwähnten "Muster politischkultureller Werte und Einstellungen" haben sich seit 1989 ja verändert, aber die antifeministischen Einstellungen sind großteils geblieben. Eine ausführlichere Erklärung – vielleicht die ausführlichste überhaupt, bietet Nanette Funk19 an. Sie führt zuerst sechs Argu16

Hana Havelková, "Real existierender Feminismus", Transit, Heft 9, Sommer, 1995, 147. 17 Ebenda, 157. 18 Christiane Lemke, "Frauen und Politik in den Transformationsprozessen Osteuropas", in: Christiane Lemke et al. (Hrsg.), Frauenbewegung und Frauenpolitik in Osteuropa. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1996, 25. 19 Nanette Funk, "Gibt es einen grenzüberschreitenden Feminismus zwischen Ost und West?" in: Christiane Lemke et al. (Hrsg.), Frauenbewegung und

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mente gegen die Vereinbarkeit zwischen dem "westlichen" Feminismus und den "Ostfrauen" an, durch deren Entschärfung sie dann versucht zu zeigen, dass eine gemeinsame Arbeit zwischen "Ost-" und "Westfrauen" doch möglich sei. Ich möchte hier ihre Argumentationslinien nachvollziehen, diskutieren und ergänzen, um die Missverständnisse zu verdeutlichen. Doch bevor ich mit Funks Auslegung beginne, möchte ich darauf hinweisen, dass aus ihrem Text der Ursprung ihrer Argumente nicht klar wird, d.h. ob es sich um "osteuropäische" oder/und "westeuropäische" Quellen handelt. Sie schreibt: "Zunächst stelle ich sechs Argumente vor, die auf der theoretischen Ebene vorgebracht werden, um zu erklären warum ein grenzüberschreitender Feminismus nicht möglich ist".20 Die sechs Argumente für die Unvereinbarkeit zwischen dem "westlichen" Feminismus und den "Ostfrauen", die sie anführt, sind folgende: 1. Das soziale Geschlecht (Gender) stellt die vorrangige Kategorie für den Westfeminismus dar. Für die Ostfrauen hingegen sind vorwiegend Krieg, gewalttätiger Nationalismus, ethnische Konflikte, ökonomische Krisen und fehlende Demokratie von grundlegender Bedeutung. 2. Für Ostfrauen, die unter diesen neuen, erschwerten Lebensumständen leben, hat die Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau vor feministischen Fragen, die zu Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern führen könnten, Vorrang. 3. Probleme, welche die Ostfrauen hauptsächlich beschäftigten, seien die Angst, die eigenen Kinder nicht ernähren zu können und der Alkoholismus, während für die Westfeministinnen das Problem der Abtreibung im Mittelpunkt stünde. Frauenpolitik in Osteuropa. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1996, 3435. 20 Ebenda, 34.

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4. Die "Ostfrauen" haben im Gegensatz zu den "Westfrauen" ganz andere Werte und Ziele. 5. Westfeministische Prinzipien haben nur für Westfrauen eine Bedeutung, sodass Begriffe wie z. B. Emanzipation oder Gleichheit von den Ostfrauen nicht im gleichen Maße verwendet werden können. 6. Ostfrauen hätten keinerlei Interesse am Feminismus und deswegen sei es nicht möglich eine feministische Bewegung über die Ost-West-Grenzen hinweg aufzubauen.21 Funk relativiert diese Argumente anschließend um zu zeigen, inwiefern es dennoch Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen "Ost-" und "Westfrauen" geben kann: 1. Der Unterschied zwischen der Kategorie Gender auf der Ebene der Analyse und derjenigen auf der Ebene der Gesellschaftspolitik müsse mitberücksichtigt werden: "In Amerika war es ein spezifisches historisches Moment, indem beide Ebenen (…) zusammenfielen. Dies kann man nicht ohne weiteres auf andere Gesellschaften übertragen. Im ehemaligen Jugoslawien sind Auswirkungen des Krieges sicherlich das vorrangige Problem, doch 'Gender' ist auch dort auf der Ebene der Analyse weiterhin relevant und von Bedeutung. Dies sieht man z. B. in Belgrad und Zagreb, wo anti-nationalistische Frauen und Feministinnen an Anti-Kriegsaktivitäten teilnehmen oder sie sogar anleiten, mit dem Hauptaugenmerk auf dem Problem der Frau als Kriegsopfer und einer Analyse der Lage der Frau im Krieg und im Nationalismus".22 2. Man sollte zum einen die unterschiedliche Praxis in den verschiedenen Ländern und Kulturen berücksichtigen; zum anderen dürfte man nicht vergessen, dass die "west-

21

Nanette Funk, "Gibt es einen grenzüberschreitenden Feminismus zwischen Ost und West?", 34-35. 22 Ebenda, 40.

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feministische Theorie" nicht grundsätzlich ausschließe "mit Männern im Einzelfall zusammen zu arbeiten".23 3. Die Tatsache, dass Ost- und West-Frauen sich mit anderen Problemen konfrontiert sehen, impliziert nicht gleichzeitig, dass der theoretische Hintergrund ihrer Arbeit und Analyse jeweils anders ist: "Wenn es Mißverständnisse über bestimmte Probleme gibt, so bedeutet es nichts anderes, als daß Begriffe neu diskutiert werden müssen."24 4. Die Unterschiede in den Werten und Zielen der "Ostfrauen" und die der "Westfrauen" werden überbetont und sind überzogen: "Das Problem der Erwerbsarbeit und Familie muß viel differenzierter diskutiert und die empirischen Unterschiede verstanden werden. Ansonsten werden die vielfachen Gemeinsamkeiten in den grundlegenden Werten ignoriert. (…) Sicherlich gibt es Unterschiede in den Werten, z. B. im Verständnis von Freiheit und Emanzipation zwischen Ost- und West-Frauen, doch diese Unterschiede gibt es auch unter Ost- und Westfrauen allein."25 5. Bezüglich der fehlenden Bedeutung von feministischen Prinzipien und Begriffen für die "Ostfrauen" entgegnet Funk folgendes: "Nur weil es Unterschiede innerhalb der osteuropäischen Gesellschaften und ihrer jeweiligen Entwicklung gibt, heißt das nicht gleichzeitig, daß auch die Theorien über Frauen unterschiedlich sein müssen. Man kann nur dann von zwei verschiedenen Theorien des Geschlechterverhältnisses reden, wenn die einzelnen Positionen sich widersprechen oder sich gegenseitig ausschließen, beide jedoch als wahr angenommen werden. (…) Viele Unterschiede entstehen nicht dadurch, 23 24 25

Ebenda. Ebenda. Ebenda, 41.

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dass sie auf unterschiedliche Theorien gegründet sind, sondern weil unterschiedliche empirische Zustände ihnen zugrunde liegen."26 6. Was das fehlende Interesse am Feminismus in "Osteuropa" betrifft, so ist Funk der Überzeugung, dass dies nicht stimme und gibt dafür folgendes Beispiel: "Frauen, die Englisch gelernt und den Feminismus als Teil der amerikanischen Kultur entdeckt haben, sind neugierig darauf geworden und haben ein besonderes Interesse daran gewonnen. (…) Wenn Frauen sich selber oft nicht als Feministinnen bezeichnen, so hat dies eher mit dem Begriff 'Feminismus' zu tun, als mit den Inhalten ihrer Aktivitäten."27 Ich möchte nun diese Argumente genauer unter die Lupe nehmen. Zum ersten Argument: Nun, zweifelsohne stellt die Kategorie "Gender" bzw. die Unterscheidung zwischen "sex and gender" die Basis des sogenannten "Westfeminismus" dar, zumindest des Feminismus der "zweiten Welle". Aber man sollte hier die Dinge nicht vermischen. Die Hinterfragung und die Dekonstruktion von "männlichen" oder "patriarchalen" Genderkonstruktionen können nicht allein, das heißt ohne Kenntnis der jeweiligen konkreten Situation, die Probleme der Frauen lösen. Dass "Gender" in manchen Fällen nicht das Primäre ist, nicht einmal für die "Westfeministinnen", sieht man zum Beispiel an den Debatten um Hilary Clintons Kandidatur für die Präsidentschaft. In ihrem Artikel "Hillary's 'Feminist Problem'" beobachtet Kristin Dross Folgendes: Opting for Edwards or Obama – who are often perceived as more liberal – becomes an attractive proposition for feminists who believe "gender is not the only thing, not 26 27

Ebenda, 41-42. Ebenda, 42.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualitäthilosophie: Geschichte und Aktualität

even the most important thing in feminism," as Center For New Words program director Jaclyn Friedman puts it. "Hillary's not my friend. She's not actually progressive. The fact that she's a woman is an unfortunate red herring." Feminist principles may be better served, she claims, by electing a truly liberal candidate who will move us further toward a more progressive and therefore more equitable future – an imperative that feels all the more urgent after eight years of Bush. "Things are so bad in this country, and the person we elect is going to be so important," she says. "The whole put-a-woman-in-theWhite House seems too abstract and theoretical, a middle-class luxury."28 Ob die Kategorie "Gender", die in den feministischen Debatten der siebziger und achtziger Jahre eine zentrale Rolle gespielt hat, heute dasselbe Statut hat, ist ebenso fraglich. Zum einen, weil gerade prägende Figuren wie Joan Scott, die in den Achtzigern den Vorschlag machten, die Kategorie "Frau" durch die Kategorie "Gender" als konstitutives Element von Machtverhältnissen zu ersetzen,29 dann in den Neunzigern zu dem Schluss kamen, dass Gender vielleicht nicht mehr die nützliche Kategorie sei, die sie einmal war, da sie die anstehende Arbeit nicht zu leisten vermag und als kritisches Instrument zur Analyse von Machtverhältnissen ausgedient habe.30 Zum anderen, weil manche Feministinnen, die den Prozess des Gender Mainstreaming kritisch betrachten, auch den "Gender"-Begriff, so wie er in der offiziellen Politik gebraucht wird, in Frage stellen, da er eine Homogenisierung bzw. 28

Kristin Dross, "Hillary's 'Feminist Problem'", CBS News, June 16, 2007, online: http://www.cbsnews.com/stories/2007/06/15/opinion/main2934136.shtml 29 Siehe Scotts berühmt gewordenen Artikel "Gender: A Useful Category of Historical Analysis" (American Historical Review, No. 5/1986, 1053-1075). 30 Siehe Joan W. Scott, "Die Zukunft von Gender. Fantasien zur Jahrtausendwende", in: Honegger, Claudia/Caroline Arni (Hrsg.), Gender – die Tücken einer Kategorie. Beiträge zum Symposium anlässlich der Verleihung des HansSiegrist-Preises 1999 der Universität Bern an Joan W. Scott. Zürich, 2001, 53f. Dass Nanette Funk diese Entwicklung nicht unbedingt voraussehen konnte ist mir klar, aber ich möchte dies trotzdem erwähnen.

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Universalisierung von Frauen und Männern produziert, wobei wichtige Differenzen außer Acht gelassen werden.31 Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist – und das hat Funk gut erkannt, dass gerade in Kriegssituationen die Sex-GenderProblematik in den Vordergrund tritt! Denn Frauen wurden nicht nur durch Genderkonstruktionen benachteiligt und unterdrückt, sondern werden aufgrund ihres biologischen Geschlechts immer wieder zu Objekten der Gewalt, was in Kriegssituationen zu Massenvergewaltigungen, gezielten Schwängerungen, allerlei Folterungen und Misshandlungen führt. Wie stark Geschlecht und Politik verstrickt sind, sieht man gerade in solchen Krisen der Geschichte. Und das genau möchte ich, meinerseits, klar machen: Es ist die Not, die Unerträglichkeit ihrer Situation (und nicht irgendwelche theoretischen Überlegungen), welche die Frauen zum Bewusstsein ihrer geschlechterspezifischen Lage immer wieder geführt und dazu gebracht hat, sich zusammen zu tun und zu organisieren, um ihre Situation zu verändern. Das sieht man besonders klar in den Aktivitäten von Frauenorganisationen im ehemaligen Jugoslawien, die sich während des Krieges gebildet haben, wie z.B. das Autonome Frauenzentrum gegen sexuelle Gewalt in Belgrad: At the beginning of our work with women war survivors we felt fear and anger, pain and helplessness, but we made a decision to work on changing the conditions of our lives and the lives of women around us.32 Es ist also auf Grund der gemeinsamen Notlage der Frauen, dass sich die genannten Antikriegsbewegungen und antinationa31

Siehe Regina Frey, Gender im Mainstreaming. Geschlechtertheorie und – praxis im internationalen Diskurs. Königstein/Taunus: Helmer, 2003, 47; Barbara Nohr, Silke Veth (Hrsg.), Gender Mainstreaming- kritische Reflexionen einer neuen Strategie, Berlin: Karl Dietz Verlag, 2002, 30. 32 Donna M. Hughes, Lepa Mladjenovic, "Feminist organizing in Belgrade, Serbia: 1990-1994", Canadian Women's Studies/Les Cahiers de la Femme, 1995, Vol. 16, No. 1, 95-97 (online: http://www.uri.edu/artsci/wms/hughes/ femorg.htm)

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listischen Bewegungen gebildet haben. Auch wenn Krieg, gewalttätiger Nationalismus und ethnische Konflikte nach 1989 vorherrschende Probleme im ehemaligen Jugoslawien waren, heißt das noch lange nicht, dass sie für die anderen postkommunistischen Staaten und deren Bürger bzw. Frauen dieselbe Bedeutung hatten. Weder in Ungarn, noch in Tschechien, Polen, der ehemaligen DDR, Rumänien oder Bulgarien waren "Krieg und gewalttätiger Nationalismus" von solch grundlegender Bedeutung. Dass die Probleme des Krieges auch von Interesse für westliche Feministinnen sind, wird andererseits offensichtlich anhand der beachtlichen Menge an Publikationen,33 Workshops,34 Symposions,35 Ringvorlesungen,36 Seminare37 etc. zu diesem Thema in 33

Siehe z. B.: Alice Schwarzer, Krieg. Was Männerwahn anrichtet und wie Frauen Widerstand leisten. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 1992; Miriam Cooke, Angela Woollacott (Hrsg..), Gendering War Talk. Princeton: Princeton University Press, 1993; Ulrike Jureit, Beate Meyer, Verletzungen. Lebensgeschichtliche Verarbeitung von Kriegserfahrungen. Hamburg: Dölling und Galitz Verlag 1994; Regina Schulte, Die verkehrte Welt des Krieges. Frankfurt a. Main; New York, 1998; Barbara Hey/Cécile Huber/Karin M. Schmidlechner (Hrsg.): "Krieg: Geschlecht und Gewalt" Leykam, Graz 1999; Alexandra Bader, "Gender, Krieg und Raketen", Ciberweiber, 11.2007 (online: http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=774) 34 Siehe: "Geschlecht, Krieg und Gewalt", zweitägiger Workshop der RUBMarie-Jahoda-Gastprofessur für internationale Frauenforschung an der RuhrUniversität Bochum (28. und 29. Januar 2000, siehe: http://www.ruhr-unibochum.de/pressemitteilungen-2000/msg00012.html) 35 Symposion an der Universität Wien: "War and Gender/Krieg und Geschlechterrollen" (13.-14. Dezember 2002). 36 Ringvorlesung: KRIEG UND GESCHLECHT (Teil 1 und Teil 2, 19961997) der Arbeitsgruppe Frauen- und Geschlechtergeschichte am Institut für Geschichte der Universität Wien (vgl. http://www.univie.ac.at/Geschichte/ AGFG/rvokg1.html und http://www.univie.ac.at/Geschichte/AGFG/ rvokg.html). Eine ausführliche Liste zum Thema mit anderen Titeln gibt es online unter: http://www.frauensolidaritaet.org/themen/kriegliteraturliste.htm 37 Wie z.B. Ingrid Bauer, "Krieg und Geschlecht – Geschlechterordnungen in Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften (im internationalen Vergleich)", Universität Wien: Institut für Zeitgeschichte, Arbeitsgemeinschaft, SS 1994 u. Universität Klagenfurt: Institut für Zeitgeschichte, Vorlesung Zeitgeschichte, SS 1995; ders. "Alltags- und Geschlechtergeschichte im Kontext Krieg", Universität Salzburg: Institut für Geschichte, Proseminar Neuere Geschichte (WS 1997/98, WS 2000/2001); ders. "Nationalsozialismus, Krieg und Wiederaufbau als biografische Erfahrung: ein geschlechtergeschichtlicher Zugang", Universität

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den letzten 15 Jahren. Diesbezüglich möchte ich hier speziell auf das Symposium "KRIEG/WAR" der internationalen Assoziation von Philosophinnen (Universität Wien, 20.-23.09.1995) hinweisen.38 Angesichts der Tatsache, dass der Artikel von Funk 1996 publiziert wurde, wird klar, dass sie damals nicht wissen konnte, dass fünf Jahre später die Welt – insbesondere die "amerikanische" Welt – ganz anders aussehen werde. Nach dem 11. September und den amerikanischen Einsätzen in Afghanistan und im Irak, sind die Probleme des Krieges nicht nur in den USA und den Nato-Mitgliedstaaten, sondern weltweit ins Zentrum gerückt. Die Misshandlungen und Foltermethoden in Abu Ghraib und Guntanamo, die von den Amerikanern als "Folter im Namen der Demokratie" dargestellt wurden, werfen einen großen Schatten auf die von den USA und andere Staaten propagierten Menschenrechte. Die dort angewandten Methoden wurden aber schon viel früher entwickelt und benutzt.39 Dazu kommen auch andere Skandale wie z.B. die Enthüllung der sogenannten "black sites", die geheimen CIA-Gefängnisse in Osteuropa, in denen Terrorverdächtige verschleppt und misshandelt wurden, wobei diese Praktiken von den europäischen Regierungen (nicht nur in "Ost-" sondern auch in "Westeuropa"!) toleriert und gedeckt wurden.40 Ob das gerade die beste Art und Weise war, den "Osteuropäern" Demokratie und Achtung der Menschenrechte beizubringen, möchte ich stark bezweifeln. Salzburg: Institut für Geschichte, Seminar für Zeitgeschichte und interdisziplinäres Wahlfach "Gender Studies", SS 2002. 38 Wiener Philosophinnen Club (Hrsg.), KRIEG/WAR. Eine philosophische Auseinandersetzung aus feministischer Sicht. Ausgewählte Dokumentation des VII. Symposiums der IAPH, München: Wilhelm Fink Verlag, 1997. 39 Siehe Egmont R. Koch, Die CIA-Lüge: Folter im Namen der Demokratie. Berlin: Aufbau-Verlag, 2008. 40 Siehe Florian Rötzer, "CIA-Lager in Osteuropa wurden angeblich in aller Eile letzten Monat geräumt", Telepolis 06.12.2005, online: http://www.heise.de/ tp/r4/artikel/21/21507/1.html; ders. "Die EU und die Entführungen und Gefängnisse der CIA", Telepolis 26. 12. 2005, online: http://www.heise.de/tp/r4/ artikel/21/21652/1.html.

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Fehlende Demokratie und ökonomische Krisen waren und sind weiterhin Themen, die für die "Westfrauen" – dazu zähle ich auch die Amerikanerinnen – genauso wichtig sind. Gäbe es in Amerika sonst den so genannten multiracial feminism oder den chicana feminism oder den black feminism? Oder, um bei Europa zu bleiben, gäbe es sonst Gender Mainstreaming? Ein Indikator für die Gleichstellung von Mann und Frau ist bekanntlich die so genannte Einkommensschere. Nach Angaben von European Statistical Data Support und Eurostat war der Einkommensunterschied im Stundenlohn von Mann und Frau im Jahr 2007 in den führenden westeuropäischen Ländern (Österreich, Niederlande, Deutschland, Großbritannien, Schweden, Dänemark, Spanien, Frankreich u.a.) sogar größer als in manchen osteuropäische Staaten (Lettland, Bulgarien, Rumänien, Slowenien und Polen).41 Dieser Einkommensunterschied mag in manchen Fällen gesunken in anderen wiederum gestiegen sein, aber um die Frauen in Zentral- und Westeuropa (in Österreich zum Beispiel42) stand es 1996 nicht viel besser. Das Argument, das Funk in Betracht zieht, verweist mit Recht darauf, dass die Probleme der Frauen in "Osteuropa", wo das Einkommen im Allgemeinen viel niedriger ist als im Westen, hauptsächlich mit ökonomischen Fragen verbunden sind. Aber ist es im Westen so viel anders? In Oktober 2007 warnte der Internationale Währungsfond vor Turbulenzen auf den globalen Finanzmärkten und wies darauf hin, dass infolge einer "Ansteckung", die von den USA ausgeht, "Risiken für die Inlandsnachfrage in Westeuropa

41

Estland 30,3 Prozent, ÖSTERREICH 25,5, Niederlande 23,6, Slowakei 23,6, Tschechien 23,6, Zypern 23,1, Deutschland 23,0, Großbritannien 21,1, Griechenland 20,7, Finnland 20,0, Litauen 20,0, Schweden 17,9, Dänemark 17,7, Spanien 17,6, Irland 17,1, Ungarn 16,3, Frankreich 15,8, Lettland 15,4, Bulgarien 12,7, Rumänien 12,7, Luxemburg 10,0, Belgien 9,1, Portugal 8,3, Slowenien 8,3, Polen 7,5, Malta 5,2, Italien 4,4 (EU-27 17,4). 42 Helga Hieden-Sommer, "Der 'kapitalistische Produktivitätsmalus' beeinflusst die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern", SWS-Rundschau (45.Jg.) Heft 3/2005: 308–330, hier 312.

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und Japan größer geworden sind".43 Solche Turbulenzen und Krisen gab es schon in den siebziger Jahren und diese haben sich infolge der Globalisierung in den neunziger Jahren (also zur Zeit, als Funk ihren Artikel verfasste) weltweit fast verdoppelt!44 Wie auch immer, nach der jüngsten Krise der Weltfinanzmärkte, die zu einer Wirtschaftskrise sowohl in den USA als auch in Europa und allen Teilen der Welt geführt hat, kann keiner mehr ernsthaft argumentieren, dass das Problem der ökonomischen Krisen nur für die "Ostfrauen" bzw. den "Ostleuten" von Bedeutung sei. Zum zweiten Argument: Dieses ist, meines Erachtens, schon einmal verwirrend. Denn für "Westfrauen", die keine Feministinnen sind, ist die Zusammenarbeit mit Männern schließlich genauso wichtig. An dieser Stelle möchte ich dezidiert anmerken, dass es auch im "Westen" Missverständnisse, Unverständnis sowie einen spürbaren Widerstand in Bezug auf den Feminismus gibt. Dieser Widerstand gegen den Feminismus, der im "Osten" wie im "Westen" präsent ist, beruht letztendlich auf ein und denselben Klischees, welche die Feministinnen als Emanzen (negativ konnotiert), Männerhasserinnen, hässliche und frustrierte Frauen, Lesben usw. darstellen. Bezeichnend dafür ist der in den Medien und im Internet kursierende Spruch von Charles Bukowski: "Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren." Dies zeigt unter anderem, dass viele mit dem Begriff "Feminismus" nichts anfangen können bzw. dass es sich um Vorurteile handelt, die auf Unwissen beruhen. Dass das Wort Feminismus zunehmend aus dem Umlauf kommt und man anstatt dessen lieber Gender Studies, Geschlechtertheorie, Geschlechterpolitik oder Geschlechterde43

Siehe World Economic Outlook. Globalization and Inequality, Washington: IMF, 2007,11, online: http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2007/02/pdf/text.pdf 44 Siehe Patrick Honohan, Luc Laeven (Hrsg.), Systemic Financial Crises. Containment and Resolution, Cambridge, New York: CUP, 2005; Bundeszentrale für politische Bildung, "Größere Finanzkrisen seit 1970", online: http://www.bpb.de/wissen/DP0D1P,0,Gr%F6%DFere_Finanzkrisen_seit_1970.html

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mokratie verwendet, spricht für eine Tendenz (die wiederum vom "Westen" ausgeht und vom "Osten" übernommen wird), die in Richtung Zusammenarbeit und nicht in Richtung Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern führt. Dies geht deutlich aus den Rechtsvorschriften der Europäischen Kommission zur Gleichstellungpolitik und zu Gender Mainstreaming hervor. Bei Gender Mainstreaming geht es vor allem um eine Sensibilisierung in Bezug auf die Geschlechterproblematik, wobei der Blick von den frauenspezifischen Problemen weggeht und kollidierende Auseinandersetzungen zwischen Männern und Frauen gemieden werden.45 Dass immer größerer Wert auf die Zusammenarbeit mit den Männern und ihre aktive Teilnahme gelegt wird, ergibt sich klar aus den Zielsetzungen und Projekten des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie46 der Heinrich-Böll-Stiftung. In ihrem Artikel "Gender Mainstreaming – Possibilities and Limits of a Radical Social Concept" hebt Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, explizit die Notwendigkeit einer Kooperation mit den Männern hervor: ...in addition to this legal framework we also need bottom-up policies, a strengthening of initiatives that target equality and we, furthermore, need more men on board. We need role models, male role models, who are willing to advocate for gender equality in society, in administration, in industry and in unions. It cannot remain the do-

45

Hierzu ein ganz aktuelles Beispiel: In einem Einführungskurs zum Gendermainstreaming in Wien hat sich eine österreichische Kollegin erlaubt, während der Diskussion den Ausdruck "Krieg der Geschlechter" zu gebrauchen und darauf hinzuweisen, dass manche Männer die Frauenforderungen überhaupt nicht verstehen. Das Resultat war nichts anderes als ein Wickel mit den Kursleiterinnen. 46 Siehe insbesondere den Tagungsband des GWI "Männer laden ein: Geschlechterdialoge", online: http://www.boell.de/demokratie/geschlechter/publikationen-5073.html.

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main of women alone to do the work needed to fundamentally change the relationship between the genders.47 Zum dritten Argument: Die Angst, die eigenen Kinder nicht ernähren zu können, hängt mit den angesprochenen ökonomischen Problemen zusammen, die sich in den ärmeren Regionen Europas natürlich auf eine schärfere Art und Weise stellen als in den reicheren. Armut, unter der die Schwächsten, insbesondere Kinder leiden, ist jedoch nicht nur ein "osteuropäisches" Problem. Von Armut bedroht sind auch wohlhabende "westeuropäische" Länder wie Frankreich und Deutschland. In einem Bericht über die Armut in Frankreich von 1996 schreibt der deutsche Journalist Reimar Oltmanns folgendes: Über 2,5 Millionen Französinnen leben von Sozialhilfe, eine halbe Millionen ziehen obdachlos durchs Land – jeder vierte Jugendliche bleibt ohne Job. In ehemals reichen Bergarbeiterdörfer – wie hier in Le Chambon Feugerolles in der Loire – oder in vielen banlieues großer Metropolen prägt und bestimmt nur noch die halbwegs versteckte Not ihren Alltag. Schriller Überlebenskampf. (...) Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt durchschnittlich nur noch 4.150 Euro während es sich etwa im Ring um Lyon noch auf etwa 21.400 Euro beläuft. (...) Kinder dieser Stadt: arm, bettelarm. "Die Kinder dieser Stadt", flüstert die Sozialarbeiterin Véronique Rullière hinter vorgehaltener Hand, "lernen hier vieles kennen – Hunger, Alkohol, Cannabis, Prostitution, Schulden. Das alles spielt sich mehr oder weniger auf den hundert Metern zwischen Jugendhaus und Supermarkt ab, der Kleinstadt-Meile."48

47

Barbara Unmüßig, "Gender Mainstreaming – Possibilities and Limits of a Radical Social Concept" (online: http://www.boell.de/democracy/feminismgender-democracy-5868.html). 48 Reimar Oltmanns "Armut in Frankreich – freier Fall ins Elend", Neue Osnabrücker Zeitung, 29. Februar 1996.

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Was die Lage im heutigen Deutschland anbetrifft, so sind einer Studie zufolge"10,6 Millionen Menschen und damit 13 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. Darunter befänden sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes allein 1,7 Millionen Kinder."49 Armut – und das möchte ich hier ausdrücklich festhalten – ist ein weltweites Problem, von dem auch das reichste Land der Welt, die USA, betroffen ist.50 Wenn dies an manchen Westfeministinnen vorbei geht, so heißt das noch lange nicht, dass es kein Problem für viele "Westfrauen" darstellt. Dass der Alkoholismus in "Westeuropa" genauso ein Problem ist und die diesbezüglichen Unterschiede zwischen den "osteuropäischen" und den "westeuropäischen" Länder sehr gering sind, zeigt eine ausführliche Untersuchung des Eurobarometers.51 Die Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission sieht deshalb den Alkoholkonsum als "einen der Hauptgesundheitsfaktoren in Europa, bei denen angesetzt werden muss. Europa ist der Kontinent mit dem höchsten Pro-Kopf-Alkoholkonsum der Welt. In etablierten Marktwirtschaften wie den EU-Mitgliedstaaten wird die volkswirtschaftliche Belastung durch alkoholbedingte Krankheiten und Unfälle auf 8-10 % geschätzt."52 Wieso also in dem von Funk vorgebrachten Argument die Schlussfolgerung gezogen 49

"Fast elf Millionen Deutsche von Armut bedroht", Der Tagesspiegel, 5.12.2006 (online: http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/StatistikArmut-Deutschland;art122,1873391); siehe auch: Michael Tibudd, "Zehn Millionen Deutsche von Armut bedroht", Süddeutsche Zeitung, 05.12.2006 (online: http://www.sueddeutsche.de/politik/8/400790/text/). 50 Siehe: Günter Helmut Niederl, "Armut und Hunger in den USA" (online: http://www.mathematik.uni-marburg.de/~niederl/1us01.html); Sheila B. Lalwani, "USA: 16 Millionen Amerikaner leben in extremer Armut. Besonders armutsgefährdet sind in den USA alleinerziehende Mütter", Die Presse, 28.02.2007 (http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/113776/index.do?_vl_backlink/ home/politik/aussenpolitik/index.do); siehe auch: "Armut in USA wächst" (http://www.focus.de /finanzen/news/einkommen_aid_87416.html; Winfried Fluck, Welf Werner, Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?: Armut und Reichtum in den USA. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2003. 51 http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/alcohol/documents/ebs272_en.pdf 52 Siehe http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/alcohol/alcohol_de.htm

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wurde, dass der Alkoholismus für die "Ostfrauen" so ein zentrales Problem ist, wobei unterschwellig postuliert wird, dass es für die Westfrauen keines ist, bleibt für mich unklar und entbehrt jeder argumentatorischen Grundlage. Ob und inwieweit für alle "Westfeministinnen" das Problem der Abtreibung im Zentrum steht, sei auch zu hinterfragen, denn zwischen 1950 und 1985 haben die meisten europäischen Länder ihre Abtreibungsgesetze liberalisiert.53 Gerade bei diesem Thema zeigen sich jedoch große Unterschiede, so im Falle Polens. Das Gesetz über Familienplanung, Schutz des Embryos und die Voraussetzungen für eine legale Abtreibung in Polen stammt aus dem Jahr 1993. Es wurde dann 1997 ein wenig abgeändert. Es erlaubt Abtreibungen nur in drei Fällen: Wenn Leben oder Gesundheit der Frau bedroht sind; wenn der Fötus einen genetischen Defekt oder eine schwere und unheilbare Krankheit aufweist; oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung oder von Inzest ist. Anfang November 2006 hat das polnische Parlament wieder einen Antrag auf Änderung der Verfassung behandelt, der von der erzkonservativen, katholischfundamentalistischen Liga der polnischen Familien eingebracht wurde. Nach dieser sollte "vom Augenblick der Empfängnis an jedem Menschen der rechtliche Schutz des Lebens" garantiert werden. Feministische Organisationen, Gewerkschaften und linke Parteien haben dagegen am 4. November 2006 eine landesweite Demonstration in Warschau organisiert und die internationale Öffentlichkeit um solidarische Unterstützung gebeten, da das Verbot der Abtreibung dem Recht auf Selbstbestimmung der Mutterschaft, den Menschenrechten und den europäischen Standards widerspricht.54 Wenn also das Thema der Abtreibung kaum mehr ein zentrales Frauenthema in vielen europäischen Staaten darstellt, so ist es gerade wegen des herrschenden Katholizismus 53

Siehe http://www.svss-uspda.ch/de/facts/world-list.htm SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, 11 (online: http://www.vspvernetzt.de/soz-0612/0612112.htm). 54

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in einem "osteuropäischen" Land wie Polen immer noch ein gravierendes Problem.55 Zum vierten Argument: Wie bereites erwähnt, ist das come back von traditionellen Werten und Vorstellungen von der Rolle der Frau in manchen osteuropäischen Ländern eine Tatsache. Aber das gilt längst nicht für alle Frauen. Funk erwidert deshalb, dass es gar nicht zutrifft, dass die "Ost-Frauen" zu Hause bleiben möchten und weist darauf hin, dass in der Ex-DDR nur 3 Prozent der Frauen die Frage, ob sie ihre Arbeit aufgeben würden, wenn ihre Männer mehr Geld verdienen würden, mit ja beantworten.56 Frauen und Frauengruppen haben sowohl in "Ost-" als auch in "Westeuropa" verschiedene Vorstellungen von dem, was für sie ein gutes und gelungenes Leben ausmacht. Solche Pauschalurteile, die die "Ostfrauen" als Hausfrauen oder wie in manchen Medien gar als "Nataschas" (Ost-Nutten), die neue Arbeitsplätze im Westen suchen57, darstellen, sind letztendlich nichts anderes als Klischees und stilisierte Interpretationen. Zum fünften Argument: Was Funk sagt mag stimmen. Doch ist meines Erachtens viel wichtiger, dass die Behauptungen, die sie zu entschärfen versucht, offensichtlich zu grob und zu pauschal sind. Die Unterschiede werden so dargestellt als ob es irgendwelche homogene "Osttheorien" bezüglich des Geschlechterverhältnisses gäbe, die einem homogenen "Westfeminismus" widersprechen würden. Hat Emanzipation zum Beispiel ein und dieselbe Bedeutung für alle "Westfeministinnen"? Bedeutet Emanzipation als Ziel für die black feminists dasselbe wie für die schweizerischen Feministinnen? Der unterschiedliche Gebrauch 55

Eine der Ersten im "Westen", die darauf hingewiesen hat, war bekanntlich Ann Snitow (Siehe Ann Snitow, "The Church Wins, Women Lose: Poland's Abortion Law," The Nation, 26 April 1993). 56 Ebenda. 57 Siehe z. B. Roger Cohen, "The Oldest Profession Seeks New Market in West Europe", New York Times, Tuesday, September 19, 2000 (online: http://www.nytimes.com/2000/09/19/world/the-oldest-profession-seeksnew-market-in-west-europe.html).

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der Begriffe und die unterschiedlichen feministischen Theorien beruhen – worauf Funk hinweist – oft auf unterschiedlichen Erfahrungen. Aber nicht ausschließlich, denn die Unterschiede zwischen einigen "westfeministischen" Theorien sind eher auf die unterschiedlichen Menschenbilder, auf die sie sich stützen, zurückzuführen. So führen z. B. gewisse essentialistische Ansätze zu einem radikalen Feminismus, der mit existentialistischen Prinzipien nicht vereinbar ist. Das frappanteste Problem bei diesem fünften Argument jedoch ist die Behauptung, dass Emanzipation ein "westfeministisches Prinzip" sei. Natürlich kann man alles behaupten, besonders wenn man die Geschichte der Frauenbewegungen, die im 19. sowie Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland, Polen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn u. a. "osteuropäischen" Länder stattgefunden haben, nicht kennt bzw. ignoriert. Geschichtlich gesehen weisen die Kämpfe der Frauen für Emanzipation und Gleichheit (gleiche Bürgerrechte) im Europa des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, trotz der lokalen Unterschiede, auch gewisse Gemeinsamkeiten auf. Dass die Trennung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg in "Ost" und "West" und dann der kalte Krieg zu einer Kluft und ungleichen gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Entwicklungen geführt haben, heißt noch lange nicht, dass es nie Annäherungen gab und solche nicht möglich sind. Im Gegenteil, durch die Globalisierung und insbesondere durch die Vereinigung Europas tauchten viele gemeinsamen Probleme und Aufgaben auf ökonomischer, politischer und rechtlicher Ebene auf, die auch die Lage der Frauen betreffen und die letztendlich gemeinsame Lösungen erfordern. Zum sechsten Argument: Ich habe schon auf einige Missverständnisse hingewiesen, die ich bezüglich dieses letzten Arguments nicht mehr wiederholen will. Das, was ich in dieser Aussage sonderlich problematisch finde und deshalb ansprechen möchte, ist der Ausdruck "feministische Bewegungen". Es ist vollkommen unklar (und Funk gibt da auch keine Auskunft), was

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darunter verstanden wird, d. h. ob damit feministische Ideenbewegungen oder feministisch orientierte Frauenbewegungen gemeint sind. Wie auch immer, Tatsache ist, dass nicht nur amerikanische, sondern auch europäische feministische Theorien – die breit gefasst als Ideenbewegungen bezeichnet werden können – auch in den postkommunistischen Ländern rezipiert wurden und darüber schon eine Menge Publikationen erschienen sind.58 Tatsache ist ebenfalls, dass in "Osteuropa" feministische Diskussionen allmählich im akademischen Diskurs Platz einnehmen. An vielen Universitäten in "Osteuropa" gibt es mittlerweile Gender Studies Programme bzw. Lehrgänge, die sich mit feministischer Theorie befassen, sowie eine Menge Gender Studies Zentren und Frauenverbände von Akademikerinnen, die als NGOs registriert wurden. In manchen Ländern wie in Russland wurden die Gender Studies sogar "von oben" (sprich vom Bildungsministerium) her institutionalisiert, was ein gewisses Misstrauen und Missbehagen hervorgerufen hat. Dass feministische Ansätze und Theorien eher in Unterricht und Forschung bzw. in den intellektuellen Kreisen als im Alltagsleben der Frauen Platz gefunden haben, ist ein Phänomen, das meines Erachtens nicht nur für "Osteuropa" zutrifft. Zu den schon erwähnten Gründen des Widerstandes gegen den Feminismus sowohl in "Ost"- als auch in "Westeuropa", möchte ich an dieser Stelle ganz kurz noch auf folgendes hinweisen: Für Viele ist die abgehobene und an manchen Stellen sehr manierierte Sprache zu kompliziert und sind die angesprochenen Themen zu theoretisch bzw. zu abstrakt, d.h. von den alltäglichen Problemen der Frauen zu weit entfernt. Diese Kritik findet man in diversen Variationen sowohl im "Osten", als auch im "Westen". Andere können sich wiederum mit den Frauen, die den Feminismus propagieren oder gar "verkörpern", nicht identifizieren.

58

Siehe vorhergehenden Paragraph "Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie in 'Osteuropa'".

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Zu den erwähnten sechs Gründen fügt Funk weitere hinzu wie zum Beispiel das Problem der Identität. Die Identität einer Frau, so Funk, liegt in ihrem sozialpolitischen System begründet. Die Frau ist "in erster Linie entweder Ostdeutsche, Westdeutsche, oder Amerikanerin, auch wenn sie gegenüber ihrem eigenen politischen System kritisch ist. Wird ihr System oder auch nur Teile davon, von anderen kritisiert, so fühlt sie sich ebenso kritisiert."59 Funk illustriert ihre These am Beispiel von "ostdeutschen" und "westdeutschen" Frauen. Indem sie zeigt, worin die Probleme in der bisherigen Kommunikation zwischen den "Westfeministinnen" und den "Ostfrauen" liegen, weist sie dann doch auf die Möglichkeit hin, diese zu überwinden und schließt daraus, dass gemeinsame grenzüberschreitende Ost-West-Frauenaktivitäten notwendig sind: Sie sind es schließlich, die erst die weitere Entwicklung des Feminismus ermöglichen und vielleicht auch irgendwann und irgendwo eine dritte Generation der Frauenbewegung hervorbringen werden.60 Ob man nach vierzehn Jahren noch so optimistisch bezüglich der Weiterentwicklung des Feminismus in "West" oder in "Ost" sein kann, sei dahingestellt. Auch was die Ost-West-Frauenaktivitäten anbelangt, so bezweifle ich, dass sich diese intensiviert haben oder dass daraus etwas prinzipiell Neues entstanden ist. Dass Austausch notwendig ist – zumindest wenn man im Diskurs mit und/oder über den Anderen nicht ins Fettnäpfchen treten will – versteht sich von selbst. Dazu muss jedoch ein reziprokes Interesse gegeben sein, längerfristige Projekte in Aussicht stehen und, nicht zuletzt, materielle (finanzielle) Mittel. Wenn man mit dem Argument kommt, "Ostfrauen" hätten keinerlei Interesse am Feminismus, so muss ich an dieser Stelle entgegnen, dass Sozial- und HumanwissenschafterInnen aus dem Westen wenig Interesse an einem Austausch und an Pro59 60

Ebenda, 36. Ebenda, 44.

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jekten mit WissenschafterInnen aus "Osteuropa" haben, außer sie arbeiten selbst in einem Feld, das mit "Osteuropa" zu tun hat oder/und es stehen Fördergelder zur Verfügung. Aus eigener Erfahrung könnte ich eine Menge Beispiele an gescheiterten Versuchen bei der Zusammenarbeit mit westlichen KollegInnen und Institutionen anführen, werde jedoch nur eines geben, das in direktem Zusammenhang mit dem Thema steht. 1997 war ich kurz in einer Gender Studies Gruppe an einem Institut in Wien, an deren Seminar Wissenschafterinnen aus verschiedenen Ländern Teil genommen haben. Auf einer Versammlung kam von Seiten einiger deutscher Teilnehmerinnen, die sich als "interne Kerngruppe" verstanden, die Anforderung an die Seminarleiterin: "Wir wollen keine Ausländerinnen hier" womit die "Ostfrauen" gemeint waren. Ich erwiderte schmunzelnd: "Aha, ihr wollt also keine Amerikanerinnen. Und natürlich keine Österreicherinnen…" Einige der "Ostfrauen" waren ziemlich schockiert und gingen. Später bei einem Glas Bier fragte ich die deutschen Kolleginnen, was sie denn so wahnsinnig stört, wenn auch Frauen aus "Osteuropa" in der Gruppe mitmachen. Die Antwort war: "Wir haben andere Interessen, sie debattieren Probleme, die uns nicht interessieren". Ich will diesen Zwischenfall, der verschiedene, sehr interessante Facetten enthält, hier nicht weiter kommentieren, möchte jedoch hinzufügen, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt und dass ein Mangel an Interesse an gemeinsamen Ost-West-Aktivitäten auch in anderen Wissensbereichen zu beobachten ist. Worauf es hier ankommt ist die Tatsache, dass das Interesse der "westlichen" Experten, inklusive der "Westfeministinnen", an den Problemen der "Ostfrauen" sehr einseitig war, wie im Folgenden genauer zu sehen ist. 3. Die Rolle der feministischen Frauenorganisationen Wenden wir uns nun konkret der Frage zu, ob es Organisationen in "Osteuropa" gibt, die danach streben und in der Lage sind, die Frauen in einer Massenbewegung zusammen zu führen. 120

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Wie ich schon zu Beginn erläutert habe, ist es die Not, welche die Frauen zum Bewusstsein ihrer geschlechterspezifischen Lage immer wieder geführt und dazu gebracht hat, sich zusammen zu schließen und zu organisieren, um ihre Situation zu verbessern. Dort wo das auf diese Art und Weise stattgefunden hat, wie z. B. im ehemaligen Jugoslawien, haben die Frauenorganisationen es tatsächlich geschafft solche Frauenbewegungen zu initiieren und anzuführen: It was a personal and political decision of feminists to oppose male violence against women, which included nationalist hatred, ethnic cleansing, mass rapes in war, prostitution for the soldiers, 4 million refugees, half a million dead and many injured. We decided to transform anger into action and in the last few years we organized initiatives for women. (…) After the start of the war, the political anti-war group Women In Black formed in Belgrade. This group modeled itself on the Israeli women pacifists who protested their government’s actions against the Palestinians and the Italian and German women who protested their government’s involvement in the Gulf War. Every Wednesday afternoon since 9 October 1991 Women In Black has stood in silence in the Republic Square in Belgrade to protest the war, militarism, nationalism and violence against women.61 Dabei war die sonst oft fehlende Frauensolidarität hier beispielhaft am Werk, denn Frauen und Frauenorganisationen aus den verschiedenen, ja verfeindeten Teilen des Landes taten sich zusammen, um gemeinsam gegen den Krieg zu protestieren: The Women's Network is composed of all the women's groups, initiatives, sections and individuals working against violence against women, militarism, nationalism and for feminist education and publishing. The feminist 61

Donna M. Hughes, Lepa Mladjenovic, "Feminist organizing in Belgrade, Serbia: 1990-1994", Canadian Women's Studies/Les Cahiers de la Femme, 1995, Vol. 16, No. 1, 95-97, online: http://www.uri.edu/artsci/wms/hughes/femorg.htm.

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groups in Belgrade have maintained communications with feminist groups in Zagreb, Croatia. The groups are dedicated to continuing connections among women and refuse to allow men's nationalism and war divides them.62 Dass die Frauenorganisationen in diesem Gebiet "Osteuropas" eine positive Rolle spielten und ein Beispiel für helfende und friedensstiftende Aktivitäten sind, dass sie den Frauen geholfen haben, Kriegstraumata zu bewältigen und ihr Leben neu aufzubauen, steht außer Zweifel. Man sollte auch nicht vergessen (worauf ich im vorhergehenden Paragraph aufmerksam gemacht habe), dass im Bereich der Frauenforschung und der feministischen Theorie, Jugoslawien schon vor 1989 ein Sonderfall war. Diese Tradition, sich mit den Frauen- und Geschlechterproblemen auseinander zu setzen, hat sicherlich dazu beigetragen, sich so manches besser bewusst zu machen und Selbsthilfestrategien zu entwickeln. Aus diesem und anderen Beispielen in Ex-Jugoslawien kann man jedoch nicht auf den Rest der Frauenorganisationen, die sich nach dem Fall des Kommunismus in den postkommunistischen Ländern gebildet haben, schließen. Wegen der Vielzahl und Mannigfaltigkeit dieser Organisationen ist es unmöglich, sich ein vollständiges Bild zu machen. Wichtig ist, dass auch in diesem Fall die Meinungen gespalten sind. Was die Women Center betrifft, die sich eher mit wissenschaftlichen Fragen der Frauen- und Geschlechterforschung beschäftigen, so haben viele von ihnen, wie schon im vorhergehenden Paragraph gezeigt wurde, dazu beigetragen, sowohl die westlichen feministischen Theorien in "Osteuropa" zugänglich zu machen, als auch eigene Forschungsergebnisse zu erzielen. Die Kritiken werden eher dort laut, wo es um "westliche" Gelder und Projekte geht, die an

62

Ebenda.

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Frauenorganisationen, meistens NGOs, verteilt wurden.63 Das Bedenken geht meistens in zwei Richtungen: Was wurde aus den Subventionen, und waren die Resultate zufrieden stellend bzw. die Erhebungen exakt und die getroffenen Maßnahmen effizient? Bekannt ist, dass viele "Gelder", die zur Demokratisierung und Rekonstruktion des "Ostens" investiert wurden, irgendwo in "private Taschen" versickerten. Dass dies auch in Frauenvereinen passierte ist nicht auszuschließen. Eine der Mitbegründerinnen der Assoziation der Universitätsfrauen in Bulgarien teilte mir mit, dass eine Vorstandsfrau das ganze Geld der Assoziation "geklaut" hatte, indem sie es in ihre NGO fließen ließ. Eine andere erzählte mir wiederum empört, dass die Ehefrau eines der führenden Politiker ein NGO gegründet hatte, sich somit Projekte und Gelder der EU und anderer westlichen Institutionen unter die Nägel riss, wobei die ganze Forschungsarbeit von Wissenschafterinnen für Kleingeld erledigt wurde. Kein Wunder, wenn manche darauf verweisen, dass die Frauenorganisationen in "Osteuropa" und speziell in Bulgarien einen schlechten Ruf haben bzw. wenig Glaubwürdigkeit und Legitimität besitzen.64 Die Münze hat aber zwei Seiten: Mittlerweile stellte sich heraus, und ich konnte mich persönlich davon überzeugen, dass in Ost-West-Frauenprojekten, die in Zentral- und Westeuropa durchgeführt wurden, Wissenschafterinnen aus "Osteuropa" die meiste Arbeit leisteten, jedoch weniger bezahlt bekamen als ihre "westlichen" Kolleginnen, die sie beaufsichtigten. Dass manche Leute und auch Organisationen sowohl im "Osten" als auch im "Westen" von dieser Situation profitiert haben, ist Fakt. Es wäre jedoch zu simpel durch diese Tatsache allein erklären zu wollen, warum die NGOs in "Osteuropa" nicht 63

Siehe z.B. Sarah Mendelson, John Glenn, The Power and Limits of NGOs: A Critical Look at Building Democracy in Eastern Europe and Eurasia. New York: Columbia University Press, 2002. 64 Siehe Krassimira, Daskalova, "Women's Problems, Women's Discourses in Bulgaria," in: Susan Gal and Gail Kligman (Hrsg.), Reproducing Gender: Politics, Publics, and Everyday Life after Socialism. Princeton, N.J.: Princeton University Press, 2000, 337–369.

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imstande gewesen sind, die Frauen bei ihren Problemen zu unterstützen und sie in einer sozialen Bewegung zu organisieren. Eine der ausführlichsten und auch empirisch sehr gut belegten Untersuchungen in diesem Zusammenhang, auf die ich speziell aufmerksam machen möchte, wurde von der amerikanischen Frauenforscherin Kristen Ghodsee geliefert. Ihre Arbeiten65 sind unter anderem deshalb von besonderem Interesse, weil sie selbst mehrere Jahre mit der Erforschung der Rolle der Frauenorganisationen in Bulgarien verbracht hat, selbst Bulgarisch spricht, mit einem Bulgaren verheiratet ist, und auch deshalb, weil sie sowohl die "osteuropäischen" als auch die "westlichen" Organisationen und Institutionen kritisch in Betracht zieht. In ihrem Artikel "Nongovernmental Ogres? How Feminist NGOs Undermine Women in Postsocialist Eastern Europe" (2006) beschreibt Ghodsee das Treffen mit der Leiterin eines der führenden NGOs in Bulgarien folgendermaßen: For an hour, I listen as she explains all of the projects that her organization has done in the past and how successful they have been at improving the lives of women in Bulgaria. She has complained about the ungrateful female politicians in Parliament who do not promote a feminist legal agenda and resist all lobbying attempts by her organization. When I ask about her "constituencies," she admits that Bulgarian women do not care about women's issues. "After 45 years of 'emancipation,' women have had enough," she says. "Women now do not care about gender

65

Siehe Kristen Ghodsee, The Red Riviera: Gender, Tourism and Postsocialism on the Black Sea. Durham and London: Duke University Press, 2005; ders. "Feminism-by-Design: Emerging Capitalisms, Cultural Feminism and Women's Nongovernmental Organizations in Post-Socialist Eastern Europe," Signs: Journal of Women in Culture and Society 29, no. 3 (2004): 727-53; ders. "Nongovernmental Ogres? How Feminist NGOs Undermine Women in Postsocialist Eastern Europe," International Journal of Not-for-Profit Law, vol. 8, no. 3 (May 2006): 44-59.

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issues. They are too tired to care about these things. We have to care for them.66 Die Schilderung zeigt sehr gut einerseits den Selbstlob der Leiterin, wie erfolgreich ihre Organisation sei, wie sie das Leben der Frauen verbessert hätte, und andererseits das Geständnis, dass die Frauen in Bulgarien überhaupt kein Interesse an der Geschlechterproblematik haben. Im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass der große Erfolg der Organisation lediglich in der Eingebundenheit der Organisation in ein internationales und lokales Netzwerk besteht, doch das Problem sei der Mangel an Subventionen, denn die westlichen Institutionen, die sie finanziell unterstützten, hätten sich von "Osteuropa" zurückgezogen. Ghodsee kommt dann zu ihrer Hauptfrage, nämlich, worin die Leiterin, das größte Problem der bulgarischen Frauen sehe: 'What do you see as the biggest problem facing women today?" I ask, exhaling a lungful of smoke. Without a beat, she answers, "Unemployment." "Isn't that a problem for everyone?" I say. "Yes, for both men and women. But single mothers, women between the age of 18 and 25, and widows are the most badly affected by unemployment today. This situation is really bad." I pause and think back on all of the projects that her organization has been doing for the last seven years. "You don't have any projects that are dealing with unemployment?" "No," she says.(..) "Nobody will fund projects for unemployment." (…) "But if this is the biggest problem for women in Bulgaria – and I agree with you that it is – then somebody must be willing to fund projects dealing with unemployment," I say. The director laughs at me, shaking her head. (...) 66

Kristen Ghodsee, "Nongovernmental Ogres? How Feminist NGOs Undermine Women in Postsocialist Eastern Europe," International Journal of Notfor-Profit Law, vol. 8, no. 3 (May 2006), 44.

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"Look, Kristen," she says, "Bulgaria needs foreign direct investment if we are going to develop out of this transition mess. (...) Bulgaria's competitive advantage with America and the European Union is our cheap, educated labor force. High unemployment keeps wages down and makes us more attractive to foreign investors. Neither the EU nor the U.S. has any desire to see less unemployment here, because they do not want to see wages rise."67 Dieser Dialog zeigt ziemlich klar den Teufelskreis, in dem sich die Ost-West-Beziehungen befinden: "Westeuropa" und die USA haben Interesse an billigen Arbeitskräfte in "Osteuropa", ergo kein Interesse an einer Verbesserung der Lebensqualität, das heißt an Lohnerhöhung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etc.; die postkommunistischen Organisationen, die sich Gelder vom "Westen" erwarten, haben die "westlichen" Interessen zu vertreten und ignorieren und/oder arbeiten gegen die Interessen der lokalen Bevölkerung, in diesem Fall gegen die Fraueninteressen in ihren eigenen Ländern. Ghodsee beendet ihre Ausführung mit der Konstatierung, dass ihr dieses Gespräch die Augen für die Rolle der Frauenorganisationen in Bulgarien geöffnet hat: I stare at her for a long time. She is right, of course, but I cannot believe that she would come out and say it so bluntly. She has obviously thought about this problem before. It does not seem to trouble her too much, and she seems surprised that I do not know how these things work (...) It was this conversation that made clear to me the disconnect between the lives of women in Bulgaria and the kinds of advocacy projects being pursued by the women's NGOs in Sofia. These NGOs issue a steady stream of documents and reports. Statistics and "facts" about women regularly appear in the national media. Yet many women in Bulgaria reject the idea that "Bulgarian women" as a whole have unique, gender-based problems.

67

Ebenda, 46-47.

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And women's NGOs not only disregard the fundamental problems, but may actively obscure them.68 Die Kritik, die danach folgt wurde auch in ihrem bekannt gewordenen Essay "Feminism-by-Design" ausführlich artikuliert. Die in beiden Arbeiten vertretene Hauptthese besteht darin zu zeigen, dass der "westliche" Kulturfeminismus, der nach "Osteuropa" exportiert und von vielen Frauenorganisationen übernommen wurde, ein unwillentlicher Komplize der Befürwortung des Neoliberalismus sei, der die "Westfeministinnen" mit der Mission beauftragte den "Ostfrauen" zu helfen, zugleich aber auch Schuld an der Verschlechterung der Lebensqualität trägt.69 Ghodsee geht dabei von David Starks These des so genannten "capitalism-by-design" aus, die sie folgendermaßen erläutert: After the unexpected collapse of communism in Eastern Europe in 1989, billions of dollars in aid and assistance flowed from the United States and Western Europe into the former Eastern bloc. A virtual army of consultants and experts descended into capital cities to fashion the foundations of capitalism and liberal democracy from scratch (...) If the experts could create the proper institutions in a country, the rules of those new institutions would guide individual behavior, and one could create the conditions for the development of capitalism, literally by design. The capitalism-by-design paradigm still underlies the structural adjustment and stabilization practices of the World Bank and the International Monetary Fund in this region.70 Der nach "Osteuropa" exportierte Feminismus spielte, so Ghodsee, eine ähnliche Rolle und könnte deshalb als "feminism68

Ebenda, 47. Kristen Ghodsee, "Feminism-by-Design: Emerging Capitalisms, Cultural Feminism and Women's Nongovernmental Organizations in Post-Socialist Eastern Europe," Signs: Journal of Women in Culture and Society 29, no. 3 (2004), 728. 70 Ebenda, 729. 69

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by-design" bezeichnet werden. Nach dem Fall des Kommunismus stellten sich "Westfeministinnen" und "westliche" Frauenorganisationen auf die erfolgreiche Seite der "Helfer" (die Weltbank, der Internationale Währungsfond, American Agency for International Development etc.). Sie bekamen von diesen für sich und ihre Aktivitäten in "Osteuropa" Geld, bestellten dort Studien, die zeigen sollten, dass der ökonomische Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus auf Kosten der Frauen passieren wird, weil die Problemeder Frauen im Westen auch zu Problemen der "Ostfrauen" werden würden. Dabei überging man die Tatsache, dass die Frauen unter dem Sozialismus auch positive Erfahrungen gesammelt hatten und dass sie unter Strukturproblemen beider Systeme, d. h. sowohl unter solchen aus sozialistischer Zeit als auch unter solchen aus der neuen kapitalistischen Situation, zu leiden hätten. Die meisten Berichte, die dann erschienen, waren extrem düster und entsprachen, so Ghodsee, nicht immer der Realität.71 Sie beschuldigt hier sowohl die "Westfeministinnen", die als Expertinnen nach "Osteuropa" kamen, ohne jegliche Ahnung von der Situation zu haben, als auch die "Ostfrauen", die, um an Gelder heranzukommen, die Frauenlage in dunkelsten Tönen schilderten: … women working in American and Western European corporations, universities, and human rights or women's organizations were subsequently subcontracted as gender "experts" even if they knew nothing about the region or its communist past. (…) Since many of these women knew little about the local context, they came with prepackaged gender advice developed and tested in the Western countries from which they came. (…) These Western women would then make recommendations for what kind of policies should be implemented, and more importantly, which local women's organizations were worthy of being subcontracted to carry out pre-designed gender projects. Thus, solutions to local problems were imported from abroad. Al71

Ebenda, 730-731.

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Feministische Theorie ohne Frauenbewegungen?

though some issues were culturally specific to Bulgaria, there was almost no room for the creation and implementation of homegrown projects and programs to deal with them. Because Bulgarian women's NGOs relied so heavily on their Western 'sisters' for financial and logistical support, the flow of ideas was only one way. The local women's organizations that thrived were the ones that were best at doing exactly what they were told needed to be done.72 Auf diese Weise entstanden eine Menge Studien und irreführende Berichte, die auf eine hegemoniale westliche kulturfeministische Konzeption von Gender als essentialistischer Kategorie der Differenz gegründet waren, und die den komplexen postkommunistischen Kontext komplett ignorierten.73 Mit Recht stellt Ghodsee sich die Frage: Wer profitiert eigentlich davon, dass die Frauen in den postkommunistischen Ländern als benachteiligt und unterdrückt aufgefasst werden? Die Antwort die sie darauf indirekt gibt, visiert alle an, die an der politischen Legitimation des Neoliberalismus Anteil haben: An erster Stelle westliche Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die American Agency for International Development (USAID) u.a.; an zweiter Stelle die "Westfeministinnen", die in die Falle des "capitalism-by-design" hinein getappt sind; und, an dritter Stelle, die "osteuropäischen" Frauenorganisationen, welche aus Eigeninteressen die Interessen der Frauen vernachlässigt haben.74 Für die meisten Bulgaren, so Ghodsee, bestehen die Hauptprobleme in der Arbeitslosigkeit und in dem zunehmenden Unterschied zwischen dem Einkommen der Elite der Politmafia und dem des "einfachen" bulgarischen Bürgers. Trotz alledem 72

Kristen Ghodsee, "Nongovernmental Ogres? How Feminist NGOs Undermine Women in Postsocialist Eastern Europe," 50. 73 Kristen Ghodsee. "Feminism-by-Design: Emerging Capitalisms, Cultural Feminism and Women's Nongovernmental Organizations in Post-Socialist Eastern Europe," 748. 74 Ebenda, 743.

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wurde in der Studie einer bekannten bulgarischen NGO behauptet, dass die "höchsten Prioritäten" im Geschlechterbereich folgende seien: 1) Gewalt gegen Frauen und sexuelle Belästigung; 2) Diskriminierung bei Beschäftigungsverfahren; 3) Begrenzter Zugang der Frauen beim Treffen von Entscheidungen; 4) Ungleiche Verteilung und ungerechte Verfahren in Bezug auf unbezahlter Arbeit; 5) Negative Geschlechterstereotypen im Bildungsbereich sowie sexistische Werbung.75 Indem sie sich auf den National Human Development Report der Vereinigten Nationen bezieht, zeigt Ghodsee, dass die Frauenlage in Bulgarien eigentlich ganz anders aussieht als in manchen Schilderungen der NGOs, nämlich, dass die Frauen länger leben als die Männer, dass die Kindersterblichkeit unter den Jungen größer ist als unter den Mädchen, dass die Frauen in allen Bereichen eine bessere Ausbildung haben als die Männer, dass Frauen auch bei Scheidungen Recht auf Besitz haben, dass sie länger Recht auf Karenz haben als in den meisten westlichen Ländern (auch nach den Kürzungen, die vom Internationalen Währungsfond unterstützt wurden), dass das bulgarische Parlament mehr Frauen als Mitglieder zählt als die meisten Parlamente in "Westeuropa", mehrere Frauen an Ministerstellen sind und dass seit 2001 die Männer die Mehrheit der Arbeitslosen in Bulgarien bilden und nicht die Frauen.76 Die drei Punkte der Kritik, die Ghodsee schlussendlich an die Frauenorganisationen in Bulgarien richtet, klingen ziemlich scharf, sollten aber durchaus ernst genommen werden. Folgendes wirft sie den bulgarischen NGOs vor: Erstens, dass sie den Erfolg der Frauen vor 1989 ignoriert und die ganze Schuld für die Verschlechterung der Lebensqualität der Frauen auf die Schultern des Patriarchats geladen haben und somit die Auf75

Kristen Ghodsee zitiert als Quelle dieser Umfrage-Studie Regina Indjewa and Stanimira Hadjimitova, "Mapping NGOs Dealing with Gender Issues," report of the Women's Alliance for Development, 2002 (www.womenbg.org/index_en.html). 76 Ebenda, 744.

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merksamkeit von den wahren Verantwortlichen – die Weltbank, der IWF und die bulgarische Regierung als deren Komplize – abgelenkt haben. Zweitens, die NGOs verkennen die Tatsache, dass Bildung und Kulturkapital der Schlüssel für den Frauenerfolg sind, dass es aber in Bulgarien nicht genug Jobs gibt; stattdessen lenken sie den Blickpunkt auf technische Verbesserungen der gesellschaftlichen Probleme, meiden das Angehen von größeren kontroversen Fragen wie ökonomische Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Ungleichheit und richten sich gänzlich nach den Vorschriften der "westlichen" Förderer. Drittens, die Frauenrechte und die Frauenprobleme wurden wieder einmal als Werkzeuge zur Unterstützung des dominanten politischen und ökonomischen Systems benutzt. An diesem Punkt ist Ghodsee unerbitterlich in ihrer Kritik: Participation in NGOs that are entirely dependent on foreign funding breeds both cynicism and opportunism in the few committed women leaders who genuinely do believe that free markets and liberal democracy are more desirable alternatives to communism. (...) Most importantly, NGOs in Bulgaria co-opt educated middleclass women who might otherwise organize a solid, class-based opposition to free-market neoliberalism, the same way they organized against the communists before 1989. Instead, these women now scramble to write grants and reports and attend international conferences in Helsinki and Minsk. It seems that almost every other month there is some gender congress or workshop on the "problems" of post-socialist women that requires a Bulgarian feminist representative. By focusing exclusively on patriarchy at the micro-sociological level, these Western-influenced women's NGOs and the middle-class women who often run them help create the perception of the victimized woman, and indirectly benefit from that perception. For some, the business of looking after women's issues has been lucrative. Middle-class women can make careers out of their "civil society"-building activities by emphasizing the problems 131

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women in their country face in order to secure the grants to "fix" them, despite the evidence that shows that some Bulgarian women are doing very well.77 So hart dieses Urteil auch klingen mag, sollte es Gehör finden, denn Ähnliches wurde auch seitens bekannter Frauenforscherinnen aus verschiedenen "osteuropäischen" Ländern berichtet.78 Eins ist sicher, und dafür braucht man keine speziellen Untersuchungen: Jeder (ideologische) Diskurs, der von "oben" oder von "außen" einer Gruppe aufgedrückt wird, ohne dass er ihren Anliegen entspricht, wird abgewiesen und kann sich nicht wirklich etablieren. Die Frage ist, was man in solchen Situationen machen soll? Ghodsee bietet vier Lösungsansätze an, die fast alle dasselbe empfehlen, nämlich unabhängig und kritisch zu werden. Sie schlägt erstens vor, dass die bulgarischen NGOs sich von der finanziellen Abhängigkeit von "westlichen" Regierungen und Organisationen frei machen, damit sie sich den realen Bedürfnissen der Frauen zuwenden und die schlechten Nachrichten aus Bulgarien endlich aufhören; dies sei leichter gesagt als getan, doch da sich die westlichen Sponsoren von "Osteuropa" zurückziehen, sieht Ghodsee darin die Chance, dass dies tatsächlich passiert. Zweitens schlägt sie vor, dass die Frauenorganisationen sich von den "westfeministischen" Fachberatern und ihren Gender-Projekten unabhängig machen. Denn die in den USA oder Belgien erstellten Frauenprojekte wären unpassend für die bulgarischen Frauen: "NGO leaders must be more creative in finding homegrown solutions to local problems." Drittens, sollten die "westlichen" Experten das Vermächtnis des sozialistischen Feminismus in "Osteuropa" anerkennen. Das heißt, anstatt die Frauen dieser Region auf ihr Geschlecht zu reduzieren und sie den Männern gegenüber zu stellen, sollten sie ihre Klassenund Gruppenangehörigkeit in Betracht ziehen. Auch die bulgari77

Ebenda, 55. Siehe Gabriele Jähnert et al. (Hrsg.), Gender in Transition in Eastern and Central Europe, Berlin: trafo Verlag, 2001. 78

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schen NGOs sollten die Frauen nicht einfach als Frauen behandeln, sondern versuchen sie nach Beruf, Bildung usw. in Gewerkschaften zu organisieren. Viertens, die NGOs und ihre Leader sollten die negativen Auswirkungen des neoliberalen Kapitalismus und das große Ungleichgewicht in der Gesellschaft sichtbar machen und es öffentlich einer Kritik unterstellen: "Particularly after Bulgaria becomes a member of the European Union, those disenfranchised by an increasingly liberalized economy will be in desperate need of public advocates. Intellectuals and activists can then use their cultural capital to become dissidents once again."79 Ghodsees kritische Auseinandersetzung mit den bulgarischen NGOs ist zweifelsohne ein sehr nützlicher Denkanstoß. Doch bin ich skeptisch in Bezug auf die Lösungen, die sie vorschlägt. Zum Ersten glaube ich nicht, dass das Ausbleiben "westlicher" Finanzhilfe zum Umdenken der Frauen- und Geschlechterproblematik der genannten NGOs führen wird. Sollte es einmal keine Förderungen mehr geben, nicht einmal für Gender-Mainstreaming, dann werden die Frauenorganisationen oder GenderProjekte (wie sich jetzt einige nennen) von der Bildfläche verschwinden und ihre Leader werden sich schnellstens einem anderen "Business" zuwenden. Zum Zweiten ist es sowieso leichter den "westlichen" Experten oder den Geschlechter-Richtlinien der EU zu folgen, als sich den eignen Kopf um originelle Lösungsansätze zu zerbrechen. Ohne Auftrag, sprich Bezahlung, und ohne Aussicht auf Implementierung in irgendeiner Form wird sich auch niemand die Mühe geben, "kreative Lösungen" für die Probleme der Frauen oder für sonstige soziale Probleme auszuarbeiten. Nehmen wir hypothetisch an, dass ein NGO oder ein Forschungskollektiv solche "Lösungen" finden würde. Hätte dann jemand Interesse diese in die Praxis umzusetzen? Was in der (postkommunistischen) Realität passiert, geschieht nur als Folge der Durchsetzung der Interessen der Machthabenden. Sollten Letztere kein Interesse an "krea79

Ebenda, 59.

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tiven Lösungen" haben oder sollten die Lösungen gegen die Interessen der Machthabenden sein, dann wird alles einmal mehr "auf dem Papier" bleiben. Nicht zu Unrecht greift Ghodsee die "osteuropäischen" Frauenforscherinnen bzw. Akademikerinnen ("educated middle-class women") an und wirft ihnen vor, künstliche Berichte zu schreiben und ständig auf irgendwelche Frauenkonferenzen durch die Welt fliegen, anstatt sich den wahren Problemen der Frauen zu widmen. Es ist zweifellos ein wichtiger Beitrag, dass sie das offen zur Diskussion bringt. Aber sie lässt in ihren Analysen das europäische Gesamtbild der kläglichen Situation, in der sich die ganzen Human- und Sozialwissenschaften befinden, außer Acht. In einer Zeit, wo in ganz Europa (also nicht nur im "Osten") ganze Wissensbereiche vom Aussterben bedroht sind und hochqualifizierte WissenschafterInnen um ihr Überleben kämpfen müssen, ist es nicht verwunderlich, dass sich jeder zu "retten" versucht, wie er kann. Manche "osteuropäische" Akademikerinnen80 haben ihre Chance, gut zu verdienen und sich ein "normales" Leben zu leisten gerade in diesem feminism-by-design entdeckt. Der Markt brauchte sie und sie brauchten den Markt. Ob die Geschäfte für alle so lukrativ waren oder nur für einige, sei mal beiseite gelassen. Eines ist jedoch klar: Es ist leichter in Aktivitäten zu flüchten, die von der neoliberalen Marktwirtschaft gefördert werden als dagegen anzukämpfen, oder sich für irgendeine "causa perdutta" wie Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit, Kultur, Wissen (Philosophie, Grundlagenforschung, Geisteswissenschaften etc.) einzusetzen. Ich möchte hier auf ein bitteres Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung hinweisen: Unsere jahrelangen Kämpfe am Institut für Philosophie in Sofia für die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung von der politischen und marktwirtschaftlichen Konjunktur81 haben nichts gebracht.

80 Ich möchte hier dezidiert betonen, dass ich nie zu diesen gehört habe und wegen meiner rebellischen Einstellung auch nie dazu gehören werde. 81 Ivanka Raynova, Ivan Katzarski, Miroslava Todorova, Iskra Vassileva, Ivan Hristov, Rossen Stupov, "Ukrotete gneva si, gospodin Sendov!" ("Bändigen Sie

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Die Grundlagenforschung ist zur persona non grata geworden. So heißt es heute: "Sie machen entweder angewandte Forschung und bringen konkurrenzfähige Produkte, die einen potentiellen Käufer haben, d. h. Projekte, die dem Institut Geld bringen, oder Sie gehen!" Seit dem Frühjahr 2010, als das Präsidium der Akademie die neuen "Reformen" in Gang brachte, ist es fraglich, ob es Philosophie an dieser Institution überhaupt noch geben wird. Falls das neue Gesetz für die Bulgarische Akademie der Wissenschaften, das vom Wissenschaftsministerium geplant wird und das den Instituten vollkommene Autonomie zusichert, nicht bald in Kraft tritt, wird in Juli das Institut für Philosophie mit dem Institut für Soziologie und dem Institut für Wissenschaftstheorie fusioniert und in ein "Institut für Gesellschafts- und Wissenschaftsforschung" umgewandelt. Philosophie ist im Titel nicht mehr vorhanden. Sie ist als Disziplin einfach unerwünscht. Das alles findet gegen den Willen der meisten WissenschafterInnen der drei Institute statt, deren Beschlüsse und Proteste von der autoritären Führung und ihren Marionetten ignoriert wurden. Dass der wahre Grund der sogenannten "Reformen" finanzielle Interessen und Ringen um Macht sind, ist mittlerweile jedem klar geworden. Es ist natürlich leichter "von außen" – aus den USA oder "Westeuropa" – auf die oben genannten Probleme hinzuweisen, aber es wäre eine Illusion zu erwarten, dass die tiefgreifenden Kritiken des eigenen Systems "von innen" unternommen und "Außen" Gehör finden82, es sei denn man ist seinen Job los oder Ihren Zorn, Herr Sendov!", offener Brief an den Präsidenten der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften), Kultura, 28 Sept., 1990, 2. 82 Ein Beweis dafür ist z. B. die Tatsache, dass nur fünf der betroffenen Institute gegen die Reformen an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften protestierten und dass sich nur wenige WissenschafterInnen trauen kritische Beiträge darüber zu schreiben, die Medien sie jedoch nicht immer veröffentlichen. Ähnlich wie vor der Wende 1989, herrscht an den Instituten Angst um den eigenen Job und daher mehr Anpassungsbereitschaft als Interesse an kritischen Auseinandersetzungen. Und diese Angst ist berechtigt, denn so wie es aussieht wird der Kampf zwischen der Regierung und dem Präsidium der

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befindet sich in einer Situation wo es nichts mehr zu verlieren gibt. Ohne Job besitzt man aber weder Position noch Glaubwürdigkeit, es heißt dann gleich: "Na klar doch, der/die ist einfach persönlich betroffen und jetzt schreit er/sie nach Rache." Wenn ich dieses Thema anspreche, so geschieht das keineswegs, um den Beitrag von Ghodsee zu mindern. Ich möchte damit nur zeigen, dass manche der sogenannten "educated middle-class women" sich sehr wohl dieser Situation bewusst sind; doch auch die, die nicht schweigen und immer wieder gegen das eine oder andere protestieren, sind kaum in der Lage etwas zu ändern. Zum Dritten ist es, meines Erachtens, ein wenig naiv anzunehmen, dass die "westlichen" ExpertInnen sich je mit den Problemen der Frauen in "Osteuropa", geschweige denn mit ihrem "sozialistischen Vermächtnis", auseinandersetzen werden. Dafür bräuchte es eine Menge Zeit, welche die vollbeschäftigten Beamten in Brüssel oder wo auch immer, ja nicht haben. Was die "Westfeministinnen" betrifft, stellt sich die Frage wiederum anders. Manche von ihnen haben Jahre in "Osteuropa" verbracht und sind trotzdem mit ihren vorgefertigten Meinungen, die sie kaum revidiert haben, abgereist.83 Andere, wie zum Beispiel die verstorbene amerikanische Rechtsprofessorin Frances Elisabeth Olsen, haben schon zu Beginn auf die Risiken und die Chancen des amerikanischen Engagements in "Osteuropa" und die dort begangenen Fehler hingewiesen.84 Leider blieben ihre brillanten Ausführungen und Kritiken ohne besondere Resonanz. Zum Vierten hat Ghodsee natürlich Recht mit ihrer Empfehlung, dass die NGOs, anstatt sich an alle Vorgaben anzupassen, endlich beginnen sollten, sich mit der realen Situation und den eigentlichen Problemen der Frauen, die auf die Auswirkungen der Akademie mit einer Machenschaft enden, die das Ende der Grundlagenforschung, der Geisteswissenschaften und diverser Disziplinen bedeutet. 83 Darauf werde ich speziell im nächsten Paragraph eingehen. 84 Frances Elisabeth Olsen, "Feminism in Central and Eastern Europe: Risks and Possibilities of American Engagement," The Yale Law Journal, Vol. 106, No. 7 (May, 1997): 2215-2257.

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globalen Marktwirtschaft zurückzuführen sind, ernsthaft auseinander zu setzen. Meines Erachtens müsse man da auch nicht selbst irgendwelche originelle Ideen oder Recherchen vorantreiben. Es gibt mittlerweile eine Menge Kritiken am sogenannten Neoliberalismus, nicht zu vergessen die von George Soros,85 dessen Fond, The Open Society Institute, eine Menge Projekte, inklusive Frauenprojekte, in "Osteuropa" unterstützt hat. Das Problem ist, dass bis jetzt alle Warnungen und kritische Analysen wenig gebracht haben. Auch die Forderungen der bulgarischen Gewerkschaften wurden überhört. Schon vor Jahren forderte ein einflussreicher Leader einer der größten bulgarischen Gewerkschaften auf, die Löhne und die Pensionen zu erhöhen und sich dem Druck des IWF nicht zu beugen. Er argumentierte, dass es genug Gelder dafür gäbe und dass dies zu mehr Konsum und Aufschwung der Wirtschaft beitragen würde. Dieser Mann hatte mehr Macht als jede einzelne NGO, aber doch nicht so viel, dass es ausreichte, sich vom IWF und der Weltbank unabhängig zu machen oder gegen deren Interessen etwas in die Praxis umzusetzen. Um es mit einem bulgarischen Sprichwort auszudrücken – "Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter"… 4. Frauen als "social actors" Die Frage, warum es keine größeren Gruppen von Frauen gibt, die bereit wären, um soziale Veränderungen zu kämpfen bzw. warum es zurzeit keine Frauenbewegungen in "Osteuropa" gibt, wurde mit dem Gesagten im Großen und Ganzen bereits beantwortet. Dennoch möchte ich noch einiges erläutern und hinzufügen. Nicht nur Ghodsee, auch andere Feministinnen und Frauenforscherinnen weisen darauf hin, dass die Frauen in "Osteuropa" ihre eigenen Probleme nicht als frauenspezifische Probleme ansehen, und sich weder als benachteiligt noch als unterdrückt 85

George Soros, The Crisis of Global Capitalism. New York: Public Affairs, 1998.

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wahrnehmen. Dies ist der Hautgrund sowohl dafür, dass viele den Feminismus und die Gender-Perspektive ablehnen als auch dafür, dass sie keine Notwendigkeit sehen sich in einer Frauenbewegung zu organisieren. Ghodsee schreibt: … women in Eastern Europe truly do not perceive that their situations are different from men's. Indeed, staggeringly high unemployment rates and declining living standards for both sexes make it difficult to argue who is really worse off. Finally, women may not buy into the discourses of disadvantage because, in a handful of cases, women actually had significant advantages over men, at least in the early stages of transition.86 Die Frage ist vielmehr, ob es frauenspezifische Probleme gibt und wenn ja, welche es wären, und ob diese dann ein solches Gewicht hätten, dass eine Notwendigkeit entstünde, die Frauen in einer sozialen Bewegung zu organisieren? Die Probleme, die Ghodsee als Hauptprobleme der bulgarischen Frauen angibt – Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne – betreffen natürlich sowohl Frauen als auch Männer, wobei, wie die Statistiken zeigen, die Männer in manchen Fällen härter davon betroffen sind. Deshalb weisen auch Frauenforscherinnen aus "Osteuropa" auf die Tatsache hin, dass die Probleme der Frauen in den postkommunistischen Ländern in andere übergeordnete gesellschaftliche Probleme eingebunden und eingeschrieben sind bzw. nicht per se gelöst werden können.87 Dies gilt gewissermaßen auch für die spezifischen Frauenprobleme im ehemaligen Jugoslawien, die aus Politik und Krieg entstanden sind. Wie schon erwähnt, die Abhängigkeit zwischen Ge86

Kristen Ghodsee, "Feminism-by-Design: Emerging Capitalisms, Cultural Feminism and Women's Nongovernmental Organizations in Post-Socialist Eastern Europe," 736. 87 Hana Havelková. "Real existierender Feminismus", Transit, Europäische Revue, Heft 9, Sommer 1995, 147; JiĜina Šiklová. "Feminism and the roots of apathy in the Czech Republic," Social Research, vol. 64, no. 2, (Summer 1997), 275.

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schlecht und Politik wurde dort von den Frauen schnell erkannt und führte zu einem kollektiven politischen Engagement. Ähnliche Tendenzen sind auch in Polen zu vermerken, z. B. in Fragen wie etwa der Abtreibung.88 Trotzdem, wenn es um das politische Engagement der Frauen in den postkommunistischen Ländern geht, wird dieses oft als sehr niedrig eingeschätzt. Vlasta Jalušiþ und Milica Antiü beschreiben die Situation folgendermaßen: … in most CEE countries feminist political activism is still quite unusual in the first place. In the words of Jedliþkova: "Political activism in Czech women's NGOs is very rare and has an individualistic rather than a systematic character, while major achievements on the political scene (changes in legislation) have been achieved thanks to international support". When it comes to equal opportunity and the participation and representation of women, their weakness is not simply a result of political impotence or financial deprivation but of a singular rejection of collective action on the part of women holding different political views.89 Dies mag stimmen, aber man neigt hier dazu die Tatsache zu vernachlässigen, dass in manchen Ländern "Osteuropas" das politische Interesse, das nach der Wende relativ hoch war, sowohl bei den Frauen als auch bei der ganzen Bevölkerung, mit den Jahren zunehmend gesunken ist. Ich erinnere mich noch an die ersten zwei, drei Jahre nach 1989, als die Bulgaren fast nichts anderes im Sinn hatten, als an politischen Meetings teilzunehmen, und für die eine oder die andere Partei zu werben. Das Volk war buchstäblich in zwei Teile geteilt: Man sah fast täglich die einen mit den blauen und die anderen mit den roten Fahnen durch die 88

Maria Kwiatkowska und Inga Pietrusiska, "Polen: Mein Bauch gehört mir!", cafebabel, 08.02.2007, online: http://www.cafebabel.com/eng/article/19941/ polen-mein-bauch-gehort-mir.html 89 Vlasta Jalušiþ und Milica Antiü, "Prospects for Gender Equality Policies in Central and Eastern Europe," SOCO Project Paper no. 79, Vienna: IWM, 1994/2000, 12 (online: http://www.iwm.at/publ-spp/soco79pp.pdf).

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Hauptstadt ziehen. Es war die Zeit einer "politischen Euphorie". Was heute davon übriggeblieben ist, sind hauptsächlich Enttäuschung, Verdruss, Apathie. Immer weniger Leute nehmen an Wahlen teil. Darüber, ob die Frauen in den postkommunistischen Staaten weniger Interesse an Politik als die Männer haben, lässt sich diskutieren. Wichtiger ist, dass für "Ostfrauen", die sich in der Politik engagieren oder einfach Interesse darin zeigen, politische Überzeugungen, mit denen sie sich identifizieren, oftmals wichtiger sind als ihr Geschlecht. Die Interessen, die sie dann verteidigen, sind so gesehen keine frauenspezifischen Interessen, sondern die eigenen Interessen und die der eigenen Partei. Wenn Ghodsee als positive Errungenschaft der bulgarischen Frauen die Tatsache hervorhebt, dass sie im bulgarischen Parlament und in der Regierung gut repräsentiert sind, so ist das statistisch und formal gesehen natürlich ein Plus. Aber die Frage ist, ob die Frauen im Parlament und in den Ministerien wirklich zu einer frauenfreundlicheren Politik beitragen. Die Wahrheit ist, dass nach 1989 manche Parteien gezielt Frauen als Abgeordnete co-optiert haben und zwar aus rein strategischen Überlegungen. Ich erinnere mich, wie ich 1990 von einem politisch engagierten Kollegen den Vorschlag bekam, mich als Kandidatin für eine Parteiliste zu bewerben. Er sagte zu mir: "Die Partei sucht Frauen, die gut aussehend, attraktiv, intelligent und gebildet sind, denn sie haben mehr Chancen gewählt zu werden." Dass ich abgesagt habe, brauche hier wohl nicht zu erwähnen, vielmehr, dass mich das damals so schockiert und misstrauisch gemacht hat, dass ich begann mir die Frauen im Parlament genauer anzuschauen. Und es wurde mir klar: Natürlich sind Attraktivität und Intelligenz nicht die einzigen Eigenschaften weswegen Frauen in die Politik eingeschleust wurden, vielmehr schienen die Frauen weniger gefährlich zu sein bzw. keine ernsthafte Konkurrenz für die Männer. Sie waren gefügiger, anpassungsfähiger und kompromissbereiter. Frauen gelten als flexibler

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und diplomatischer, was in der Politik von Vorteil sein kann, und manche glauben, sie wären auch leichter manipulierbar. Die "schönen" Zahlen, die man aus manchen Studien und Berichten über die politische Partizipation der Frauen in Zentralund Osteuropa entnehmen kann, besagen wenig über das, was man Frauenpolitik nennt. In den jeweiligen Parlamenten werden zwar rechtliche Schritte getroffen, damit die von der EU geforderten Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter in der Konstitution und der Gesetzgebung erfüllt werden, aber von einer eigenen Frauenpolitik ist da keine Spur. Aus einer dieser Studien, die im Rahmen eines EU-Projektes durchgeführt wurde, wird deutlich, dass es an einer Frauenbewegung mangelt, obwohl es mittlerweile überall dutzende Frauenorganisationen gibt: While individual NGOs are working on women's issues, there is not a uniform movement with common aims and platforms. Thus, members of most women's NGOs across Central and Eastern Europe deny the existence of a women's movement and fail to view many of their activities in this context. In Hungary, for example, the number of women's organisations increased without forming a loose coalition with common aims and objectives. NGO activities are so scattered that they do not form a movement, instead comprising a large number of locally based women's clubs that promote lifestyle issues. As the Latvian Minister of Special Assignment on the Issues of Public Information stated during an interview for the EGG project: "I would not call it a women's movement, what we have here in Latvia; we have individuals and individual NGOs working on these issues."90 Leider fehlt in dieser sowie in anderen Studien eine Analyse und Auseinandersetzung mit der Frage, warum es keine Frauenbewegungen gibt. Dass die Frauenorganisationen sich nicht in 90

Amanda Sloat, "Fixing an old Divide: The Political Participation of Women in an Enlarged Europe", 9, online: http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/ documents/NISPAcee/UNPAN018544.pdf

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einer Bewegung organisiert haben hat ihre Ursache wohl darin, dass jede von ihnen um Subventionen ringt und sie dabei in Konkurrenz treten. Jede ist bemüht zu zeigen, dass sie mehr für die Frauen tut als die andere bzw. dass sie förderungswürdiger sei. Wenn in einem Land 150 oder gar 350 Frauenorganisationen um Förderungen kämpfen, gleicht die Situation natürlich einem Kampfring. Was die Frauen selbst angeht, so sind diese von dem, was nach 1989 passiert ist, schon so müde und angewidert, dass sie nur mehr Misstrauen sowohl gegenüber Politikern, egal ob Mann oder Frau, als auch gegen Frauenorganisationen hegen. Dies wurde von Vlasta Jalušiþ und Milica Antiü sehr gut zum Ausdruck gebracht: … initiatives aimed at illuminating problems related to the position of women and their demands for more rights and equal opportunity policies are faced with problems on three fronts: x a general aversion to politics, perceived as a dirty and corrupted enterprise; x an atmosphere of anti-feminism; x entrenched liberal-capitalistic political views and legislation which is very difficult, if not impossible, to fight (Bauman, Bordieu).91 Ich würde noch folgende Gründe für die politische Passivität der Frauen hinzufügen: x x

x

91

Apathie und ein allgemeines Gefühl der Ohnmacht; Skepsis gegenüber den sogenannten "großen Erzählungen" (Lyotard) bzw. "-ismen", Ideologien, Befreiungsdiskurse (Havelkovà); Die Zunahme an Individualismus und Egoismus;

Vlasta Jalušiþ und Milica Antiü. "Prospects for Gender Equality Policies in Central and Eastern Europe," SOCO Project Paper no. 79, Vienna: IWM, 1994/2000, 3 (online: http://www.iwm.at/publ-spp/soco79pp.pdf).

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x x

Der soziale Konformismus, der bereits zu kommunistischen Zeiten kultiviert wurde; Der Mangel an Frauensolidarität.

Die Geschichte zeigt, dass die Frauen – wie mehrmals betont – sich dann organisieren und umzudenken beginnen, wenn Not oder Leid so groß sind, dass sie sich gezwungen sehen, zu handeln und sich selbst zu helfen. Die bulgarischen Frauen zum Beispiel gingen nur dann auf die Straße um zu protestieren, wenn ihre Situation und die ihrer Kinder unerträglich wurden. Ein nennenswertes Ereignis in dieser Hinsicht ist der Fall des so genannten "Russe-Komitee": Infolge der Luftverschmutzung der Stadt Russe wurden viele Menschen krank, besonders Kinder. Die Frauen gingen 1989 auf der Straße, um gegen die Regierung des damaligen Dikators Todor Jivkov, der keine Maßnahmen treffen wollte,92 zu protestieren. Dieser Fall wurde von verschiedenen Personen für politische Zwecke genutzt und die Opposition, die sich daraufhin bildete, führte schließlich zur Abschaffung des totalitären Regimes in Bulgarien. Die Probleme der dortigen Bevölkerung wurden jedoch damit nicht behoben und die Frauen fühlten sich wieder einmal ausgenutzt. Dazu kommt, dass die Geschichte heute in Vergessenheit geraten ist und keiner mehr den Beitrag der Frauenbewegung in Russe erwähnt. Eine Reihe solcher Ereignisse haben zu Gefühlen der Ohnmacht, zu Passivität, Konformismus und Mangel an Solidarität unter den Frauen geführt. Man kann natürlich sagen, dass das eine inakzeptable Einstellung ist, die ja die Situation nicht besser macht. Aber wer und aus welcher Position heraus hätte das Recht, die "Ostfrauen" für ihr Misstrauen oder ihre Enttäuschung von dem politischen Leben und dem Missbrauch ihrer 92

Es ging darum, dass die rumänischen Fabriken am anderen Ufer der Donau durch giftige Abgase die Luft verschmutzten. Jivkov, der seine guten Beziehungen mit dem rumänischen Diktator Ceauúescu nicht aufs Spiel setzen wollte, blieb taub gegen die Proteste, anstatt ein Zusperren der Fabriken zu fordern.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Aktivitäten zu tadeln? Nach den zahlreichen negativen Erfahrungen, die sie vor und nach der Wende gemacht haben, wäre da überhaupt jemand dazu im Stande, sie davon zu überzeugen, sich wieder aktiv für soziale Veränderungen zu engagieren? * Nach zwanzig Jahren ist nun eins klar geworden: Die ausländischen "Experten" und die "Westfeministinnen" haben ihre Chancen in "Osteuropa" großteils verspielt. Was ich jedoch beunruhigender finde, ist die Gefahr einer stillschweigenden Ersetzung oder Abschaffung des Feminismus durch die Politik eines paneuropäischen gender-mainstreaming-by-design.

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Wertekonflikte und Dramadynamik am Beispiel der Debatten zwischen "Westfeministinnen" und "osteuropäischen" Frauenforscherinnen

Many local women throughout Central and Eastern Europe (CEE) have resisted the importation of cultural feminist ideologies. They have stubbornly refused to develop a collective gendered identity to advocate for their own rights (...) After over a decade of attempts to create independent women’s movements in Eastern Europe, feminist is still a bad word (Holmgren) and there is still an atmosphere of antifeminism (Jalušiþ and Antiü). Eastern European women continue to resist a gendered analysis of their oppression.1 Wie im letzten Paragraph gezeigt wurde, haben die "Westfeministinnen", die in den 1990ern nach "Osteuropa" kamen um ihren "Schwestern" zu helfen, ihre Chancen großteils vertan. Die Frage lautet nun: Hätten sie es besser machen können und wenn ja, wie? Das Fallbeispiel, das ich hier näher analysieren möchte, spricht eine wissenschaftliche Kontroverse zwischen amerikanischen und tschechischen Wissenschafterinnen an, die durch den Zusammenprall verschiedener gesellschaftlicher und kultureller Wertesysteme und Erfahrungen (Geschichten) entstanden ist, wobei der Konflikt aus einer angeblich gut gemeinten "Helfer-" bzw. "Retterposition" heraus ausgelöst wurde. Das Ziel meiner Untersuchung ist, diesen Konflikt zu beschreiben und dabei gewisse Missverständnisse, die zum Teil auf Vorurteilen bzw. Ignoranz, zum Teil auf sozialen und kulturellen Unterschieden basieren, zu veranschaulichen, dann mit Hilfe des Drama-Dreieckes und anderen Methoden die Aktions1

Kristen Ghodsee, "Feminism-by-Design: Emerging Capitalisms, Cultural Feminism and Women's Nongovernmental Organizations in Post-Socialist Eastern Europe," Signs: Journal of Women in Culture and Society 29, no. 3 (2004), 727-728.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Reaktions-Muster in der Kontroverse zu analysieren, dementsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen und schließlich Lösungsmöglichkeiten für solche Konflikte aufzuzeigen. 1. Zur methodologischen Vorgangsweise Bevor ich nun mittels des Drama-Dreiecks und anderer Erklärungsmodelle aus der Transaktionsanalyse und der Neurolinguistischen Programmierung den Konflikt zwischen den "Westfeministinnen" und den "osteuropäischen" Frauenforscherinnen zu analysieren versuche, um danach zu zeigen wie man diesen hätte lösen können bzw. wie man aus solchen Situationen aussteigen und den Diskurs auf anderen Ebenen weiterführen könnte, möchte ich kurz die methodische Vorgangsweise erläutern. Den methodologischen Standpunkt, den ich dabei einnehmen werde, ist der der Metaposition, das heißt des Auf-DistanzGehens, um sich den Konflikt beider Parteien anzuschauen, ohne Partei zu ergreifen. Damit ist keine rein reflexive "Neutralität" gemeint, sondern das, was man in der Therapie und der "ThirdParty-Intervention" mit dem Wort "Allparteilichkeit" bezeichnet, nämlich eine gleiche empathische Wertschätzung, gleiche Offenheit und Würdigung für die Standpunkte aller Konfliktparteien. Als Metaposition entspricht dieser Ansatz der so genannten "philosophischen" bzw. "phänomenologischen" Einstellung im Gegensatz zur "natürlichen Einstellung". Sie ist, so wie Edmund Husserl zeigt, mit einer gewissen phänomenologischen und transzendentalen Reduktion verbunden, welche die Metaebene überhaupt erst möglich macht und erschließt.2 Diese Ebene wurde schon von Pythagoras angesprochen als er gefragt wurde, was denn ein Philosoph sei. Pythagoras antwortete, dass das Leben einem Festspiel gleiche,3 an dem drei Gruppen von Menschen 2 Edmund Husserl, "Phenomenology," Journal of the British Society for Phenomenology 2 (1971): 77-90. 3 Siehe Diogenes Laërtius, The Lives and Opinions of Eminent Philosophers. Trans. C. D. Yonge, London: George Bell & Sons, 1895, VIII, VI.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

teilnehmen: Die Spieler, die für sie parteiergreifenden Zuschauer und die Beobachter des Gesamtgeschehens. Der Philosoph gehört zur letzte Gruppe: Er betrachtet das Geschehen aus der Distanz und reflektiert darüber. Der Begriff "Theoria" ("Schau"), mit dem dieses kontemplative Verhalten bezeichnet wird, ist ein Hinweis auf das Zuschauen bei den Spielen.4 Roman Braun drückt etwas Ähnliches aus, wenn er sich auf Spinozas Begriff "sub specie aeternitatis" bezieht,5 der in gewisser Hinsicht diese Metaposition des Philosophen charakterisiert. Die phänomenologisch-hermeneutische Ebene, die sich nach Husserl auch durch "Vorurteilslosigkeit" auszeichnet und die ich hier in meiner Ausgangsposition übernehmen möchte, ermöglicht zwar das Beschreiben gewisser allgemeiner Strukturen (Verhaltensmuster), aber dies alleine reicht nicht aus. Es bedarf auch eines kontextbezogenen und empathischen Vorganges, das heißt einer Art Zusammenspiel von Distanz und Nähe, von reflexiver Metaebene und kontextuellem (empathischem, verständnisorientiertem) Sich-Versetzens in die Positionen der streitenden Parteien. Deswegen ist die Kombination mit den schon erwähnten psychologischen, therapeutischen und kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen, also eine inter- und transdisziplinäre Vorgangsweise hier vonnöten. 2. Das Drama-Dreieck Das Drama-Dreieck kommt ursprünglich aus der Transaktionsanalyse und wurde zuerst von Stephen Karpman 1968 in einem Artikel über Märchen verdeutlicht.6

4

Siehe Daniel Franklin Pilario, Back to the rough grounds of praxis. Leuven: Peeters Publishers, 2005, 4. 5 Siehe Baruch Spinoza, Ethik, nach geometrischer Methode dargelegt. Teil 5, Lehrsatz 29. 6 Stephen B. Karpman, "Fairy tales and script drama analysis," Transaction Bulletin, 7 (26) 1968, 39-43, online: http://www.karpmandramatriangle.com/ pdf/DramaTriangle.pdf

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

In seiner Märchenanalyse zeigt Karpman, dass es drei Hauptrollen gibt, die sich immer wiederholen, nämlich die des Verfolgers/Täters (the Persecutor), des Opfers (the Victim) und des Retters (the Rescuer). Diese bilden eine Art Drama, wobei die Rollen nicht fix bleiben, weil die Akteure sie im Verlaufe des Spiels wechseln. Anders gesagt, das Opfer kann je nachdem zum Verfolger seines Verfolgers oder seines Retters werden oder gar zum Retter seines Retters, der Retter zum Täter oder zum Opfer, der Täter wiederum zum Retter oder zum Opfer usw. Karpmann beschreibt das folgenderweise: In the Pied Piper, the hero begins as Rescuer of the city and Persecutor of the rats, then becomes Victim to the Persecutor mayor’s double-cross (fee withheld), and in revenge switches to the Persecutor of the city’s children. The mayor switches from Victim (of rats), to Rescuer (hiring the Pied Piper), to Persecutor (double-cross), to Victim (his children dead). The children switch from Persecuted Victims (rats) to Rescued Victims, to Victims Persecuted by their Rescuer (increased contrast). (…) Drama compares to transactional games, but drama has a greater number of events, a greater number of switches per event, and one person often plays two or three roles at once. Games are simpler and there is one major switch, i.e. in 'I'm Only Trying to Help You' there is one rotation (counterclockwise) in the drama triangle: the Victim switches to Persecutor and the Rescuer becomes the new Victim.7

7

Ebenda.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

Das Drama-Dreieck wurde später von Eric Berne, der es "Karpman's Triangle" nannte, weiter ausgearbeitet und verwendet, um die Erwachsenenspiele8 zu erklären. Danach hat es eine Menge Anwendungen und Modifikationen bei verschiedenen Autoren aus diversen Richtungen gefunden, inklusive bei Roman Braun, auf dessen Trinergy®-Strategie9 ich mich hier speziell beziehen und diese als Erklärungsmodell benützen werde. Ich habe dieses Erklärungsmodell aus zwei Gründen gewählt. Zum Ersten, weil es sich meines Erachtens im beschriebenen Konflikt tatsächlich um ein Drama bzw. Dramaverhalten handelt. Zum Zweiten, weil es Verhaltensmuster veranschaulicht, die so archetypisch sind, dass sie allen Gesellschaften und Kulturen zugrunde liegen und deshalb gerade bei interkulturellen Zusammenstößen originäre, allgemeine und "gemeinsame", d. h. nicht kulturellbedingte Aktion-Reaktions-Muster aufzudecken vermag. Wie äußern sich nun diese Rollen im Drama-Dreieck? Es gibt verschiedene Beschreibungen der drei Rollen in der Transaktionsanalyse und auch in der Trinergy®-Strategie, die mehr oder weniger miteinander übereinstimmen. Ich werde versuchen sie hier zusammenfassend zu präsentieren. Der Verfolger/Täter wird als derjenige beschrieben, der das Opfer angreift und zur Rechenschaft ziehen will. Er meint zu wissen "wo es lang geht" und was das Opfer braucht. Er versucht seine Vision der Dinge mit Härte durchzusetzen und verletzt dabei die Gefühle und die Werte des Opfers. Roman Braun erläutert dies folgendermaßen: Täter verletzen durch ihr Handeln die Werte anderer; sie schaffen in den Augen ihrer Opfer Win-lose-Situationen. Ihre Einstellung ist: "Ich weiss, wo es lang geht, doch die anderen sind zu dumm, das zu verstehen". Thomas Har8

Siehe Eric Berne, Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1967. 9 Roman Braun, Helmut Gawlas, Fritz Maywald, Führen ohne Drama. Die 8 größten Führungsirrtümer gelöst durch Trinergy®-Strategien. Wien: Linde Verlag, 2005.

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ris, der Direktor der Internationalen Vereinigung für Transaktionsanalyse, brachte die Einstellung des Täters in die Kurzform: "Ich bin ok, du bist nicht ok." Hinter der Einstellung des Täters steht der Wert, Macht auf andere auszuüben und damit die Dinge unter Kontrolle zu haben.10 Das Opfer ist derjenige, dem etwas vorgeworfen wird, der für etwas verantwortlich gemacht wird oder der für andere etwas büßen soll. Wenn das Opfer diese Rolle übernimmt und sich als Opfer fühlt, dann nimmt es die anderen entweder als Verfolger oder als Retter wahr. Es gibt anderen die Schuld dafür, dass es ihm schlecht geht und schiebt somit die Verantwortung auf andere ab. Das Opfer fühlt sich hilflos, unfähig das Problem oder die Situation alleine zu lösen, zu verändern, und sucht Hilfe bei einem Retter. Roman Braun erläutert: Auch diese Rolle setzt nach Thomas Harris eine Einstellung voraus: "ich bin nicht ok, du bist ok." (…) Opfer suchen Hilfe nicht bei sich selbst, sondern von außen. Hätten sie die Idee, sich selbst helfen zu können, wären sie nicht Opfer.11 Man sollte jedoch zwischen wirklichen und vermeintlichen Opfern unterscheiden: Vermeintliche Opfer, d.h. die sich als Opfer hinstellen, nehmen Hilfe von einem Retter nicht an, sondern spielen das Spiel, um die Rolle des Hilfebedürftigen aufrecht erhalten zu können. Der Retter ist derjenige, der, oft ohne gebeten worden zu sein, helfend aktiv wird und die Verantwortung für den Ausgang aus der Situation übernimmt. Der Retter meint auch, ebenso wie der Verfolger/Täter, zu wissen "wo es lang geht", das heißt worin die angebliche Lösung besteht und versucht nach außen gesehen dem Opfer zu helfen, ihm beizustehen. Je nach Überzeu10 11

Roman Braun, Helmut Gawlas, Fritz Maywald, Führen ohne Drama, 83. Ebenda.

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gungskraft beherrscht der Retter die Situation für eine Weile und führt die anderen auf seine Wege. Die Hilfe bzw. die Befreiung des Opfers geschieht aber um den Preis seiner Abhängigkeit, wobei er dem Opfer vermittelt, dass es ohne ihn nicht geht. Es geschieht aber, dass durch den Eingriff des Retters der Konflikt nicht wirklich gelöst, sondern vertieft wird: "Konflikte werden erst stabil oder verstärken sich sogar" – schreibt Roman Braun – "wenn jemand da ist, der die dritte Rolle für sich in Anspruch nimmt".12 Die Retter-Einstellung nach Harris ist: "Ich bin nicht ok, du bist nicht ok", sprich die ganze Welt ist nicht ok. Retter entlasten vielleicht das Opfer, machen es aber nicht handlungsfähiger, weil sie selbständiges Handeln und Finden der Lösung sowie das Übernehmen der eigenen Verantwortung vorweg nehmen. An einem Seminar (NLP-Impulstag) erläuterte Roman Braun zusätzlich seine These, dass wenn der Retter eingreift, die Situation oft schlimmer wird. Nach Braun ist der Retter derjenige, der eingreift indem er Partei ergreift. Der Retter sucht sich sein Opfer. Indem er das Handeln dem Opfer aus der Hand nimmt, macht er das Opfer kleiner als es ist und sich wiederum groß. Alle drei – Täter, Opfer und Retter – üben Macht aus, aber das Opfer ist in der schwächsten Position, deshalb steht es im unteren Teil des Drama-Dreiecks. Die Retter-Rolle ist die gefährlichste, nach Braun, weil die meisten Kriege aus der RetterPosition heraus beginnen. An dieser Stelle möchte ich aufmerksam machen, dass es sowohl vermeintliche Opfer, als auch vermeintliche Retter und vermeintliche Täter geben kann. So könnte sich zum Beispiel unter der Maske eines Retters ein Täter verbergen, also jemand, der von vornherein Täter ist, ohne erst die Rolle wechseln zu müssen, um in die Täter-Position zu kommen. Diese drei Rollen sind jedoch nicht fix, denn sie wechseln ständig unter den Spielern. Dadurch entsteht eine Drama-Dynamik, die die eigentliche Dramatik, das heißt die Eskalation des 12

Ebenda.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Konfliktes ausmacht.13 Das Drama muss auch nicht unbedingt zwischen drei Personen stattfinden, es kann sich auch zwischen zwei Menschen abspielen, wobei das Opfer zum Beispiel zum Selbstretter wird, oder auch alleine, wenn das Drama im eigenen Kopf stattfindet.14 Häufig ist in diesem Rollenwechsel jedoch nicht mehr klar, wer wofür verantwortlich ist und womit es angefangen hat. Sachlichkeit, Ziel und Aufgabe – alles verschwindet in diesem dramatischen Dreieck. Zurück bleibt dann das dynamische und verwirrende Hin- und Herschieben von Verantwortung, Schuld, Ärger, Wut, Enttäuschung und Ohnmacht. Diese drei Rollen sind, so Roman Braun, nicht primär negativ oder böse. Drama-Rollen sind Gewohnheiten, deren wir uns bewusst werden müssen, um den Konflikt zu lösen. Sie sind die Schattenseiten unserer Primär-Energien (Licht), wobei in Konflikten nicht irgendeine "negative Energie" zum Vorschein kommt, sondern die in ihnen schlummernden Primär-Energien, die blockiert und nicht genutzt werden.15 Dem Täter liegt die Energie des Machers zugrunde. Dieser "hat Durchsetzungskraft, nimmt eine Idee zur Hand, setzt sie um in konkrete Planung und macht sie real. Er schaut in die Zukunft und will dort die Dinge verwirklicht sehen."16 Dem Opfer liegt die Primärenregie der Muse zugrunde: "Kreativität und Flexibilität sind ihre Stärke, in jeder Situation findet sie originelle Lösungsansätze. Ihre Zeit ist das Hier und Jetzt."17 Dem Retter liegt wiederum die Energie des Mentors zugrunde, dessen Stärke das Einfühlungsvermögen ist: "Er leistet Hilfe zur Selbsthilfe und wirkt damit nicht nur kurativ sondern auch generativ. Sein Feedback ist unterstützend und fördernd."18

13 14 15 16 17 18

Ebenda, 84. Ebenda, 86-87. Ebenda, 90. Ebenda, 112. Ebenda. Ebenda.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

Das Bewusstwerden, die Entwicklung und Nutzung der Primär-Energien sind der Schlüssel für die Auflösung des DramaDreiecks. Nach außen wirkt der Macher als "Aktiver", er arbeitet mit der so genannten Landkarte (Tatsachen); der Mentor als "Sensibler" bewertet und arbeitet mit der "Legende" (Werte, Glaubenssätze); die Muse zeigt sich als "Flexibler", sie arbeitet mit den Emotionen, die sich wiederum auf den Körper auswirken. Braun veranschaulicht dies in dem erwähnten Seminar durch folgende Dreieck-Modelle (komplexer dargestellt als in seinem Buch19), bei denen die Veränderung der Dynamik-Drehrichtung klar zum Ausdruck kommt:

19

Ebenda, 91.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Die Auflösung des Dramas wird, nach Roman Braun, durch die Anwendung einer 6-er Strategie20 möglich, die in den folgenden Schritten besteht: x Erkennen der Drama-Dynamik; x Erraten der aktuellen Rolle des anderen; x Erforschen der Wahrnehmungen, Werte und Emotionen des anderen; x Eröffnen (Mitteilen) der eigenen Wahrnehmungen, Werte und Emotionen; x Ersinnen gemeinsamer Ziele; x Beschaffen erster gemeinsamer Ergebnisse. 3. Analyse der Drama-Dynamik des feministischen Ost-West-Konfliktes Der bereits im vorigen Teil angesprochene Konflikt zwischen den "Westfeministinnen" und den "osteuropäischen" Frauenforscherinnen ist Ausdruck einer Drama-Dynamik, die ich hier nun ausführlicher auslegen und analysieren möchte. Die "Westfeministinnen", die Anfang der 1990er Jahre uneingeladen nach "Osteuropa" kamen, um den "Ostfrauen" die Augen bezüglich ihrer "jahrzehntelangen Unterdrückung im Patriarchat" zu öffnen, nahmen eine vermeintliche Retter-Position ein. Vermeintlich, weil die "Rettung", die sie den "Ostfrauen" anboten, ohne darum gebeten worden zu sein, mit einer TäterRolle als Missionarinnen verknüpft war, durch welche sie ihre Vorstellungen von Gender und Geschlechterrollen durchsetzen wollten. Einfacher gesagt, traten sie zugleich als Retter und Täter auf, indem sie, wohl wissend "wo es lang geht" und aus der Position des "Überlegenen", zu bewerten und anzuklagen begannen. Somit – anstatt zu helfen, wie es ihre deklarierte Intention war – lösten sie ein Drama aus, das in manchen Fällen so 20

Ebenda, 96-113.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

eskalierte, dass es zu einem Bruch und Abbruch der Kommunikation führte. Ich werde anhand zweier Textauszüge die DramaDynamik präsentieren, um das Verhalten und die Sichtweisen beider Parteien klarer zu machen. Der eine Textauszug ist aus einem Artikel von Claire Wallace (Standpunkt einer "Westfeministin") und der andere von Hana Havelková (Standpunkt einer Frauenforscherin aus "Osteuropa"), beide veröffentlicht in der Nummer 9 der Zeitschrift Transit, die dem Thema "Ex Occidente Lux? Westliche Theorien – Östliche Wirklichkeiten" gewidmet war. Wallace beschreibt das Geschehnis auf folgende Weise: Die feministische Bewegung hat sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Formen und Schattierungen entfaltet und eine Fülle an Ideen und Perspektiven in verschiedenen Disziplinen (sowohl alten als auch neuen) gestiftet, die sich wechselseitig befruchteten. (…) In der Anfangsphase des Umbruchs [in Osteuropa] waren westliche Intellektuelle daher in der Position der Stärkeren. Geld für Konferenzen und Stipendien aufzubringen, war ihnen ebenso möglich wie die inhaltlichen Schwerpunkte gemäß ihren eigenen Anliegen zu setzen. Hier bot sich die Gelegenheit, ihren osteuropäischen 'Schwestern' zu 'helfen', die sich gerade aus autoritären Gesellschaften freikämpften. Das war eine Sache, für die frau sich einsetzen konnte, eine Gelegenheit, den Weg zu weisen und die gelernten Lektionen weiterzugeben, ein gutes Beispiel zu zeigen und zu demonstrieren, was sie 'im Westen' bereits erreicht hatten. Wenn auch mit den besten Intentionen angegangen, konnte dies von der anderen Seite im besten Falle als Bevormundung, im schlimmsten als Imperialismus gesehen werden. Dieses Ungleichgewicht an Ressourcen spiegelte sich auch in einem zahlenmäßigen Ungleichgewicht wider. Der weitreichende Einfluß des Feminismus in einigen intellektuellen Milieus Westeuropas stand in Kontrast zu dem mangelnden Interesse bei der Mehrheit der osteuropäischen Intellektuellen. Und den wenigen Interessierten wurden westliche Fragestellungen aufgenötigt. Wie eine Tschechin bemerkte, fühlten 155

Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

sich die östlichen Frauen wie Tiere im Zoo, die bei Konferenzen und Treffen ausgestellt wurden. Sie hatten außerdem das Gefühl, daß ihren eigenen Vorstellungen kein Gehör geschenkt wurde. Ich möchte damit nicht sagen, daß osteuropäische Frauen keine ausgeprägten Standpunkte zum Thema Geschlecht hätten, ganz, im Gegenteil. Sie interessierten sich jedoch mehr für die Frage der Mutterschaft und die Möglichkeit einer 'weiblichen' Alternative, und sie lehnten die konventionelle Politik und die entsprechenden Arbeitsrollen ab. Dies kam westlichen Feministinnen nicht eben zupaß, hatten sie doch selbst viele Jahre für die entgegengesetzten Ziele gekämpft, für die Befreiung von der Mutterrolle etwa oder für mehr politische Repräsentation.21 Schauen wir uns diesen Textauszug mittels des DramaDreiecks nun durch die Lupe eines close readings an. Die Passage beginnt mit einem Selbstlob: "Die feministische Bewegung hat sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Formen und Schattierungen entfaltet und eine Fülle an Ideen und Perspektiven in verschiedenen Disziplinen (...) gestiftet". Daraufhin folgt ein Aufmerksammachen auf die eigene Überlegenheit, die Wallace als Position des Stärkeren bezeichnet und zwar sowohl in intellektueller (know how) als auch in materieller Hinsicht (finanzielle Ressourcen). Der Stärkere sucht sich dann einen Schwachen, ein "Opfer" aus, dem er seine Hilfe anbieten kann: "Hier bot sich die Gelegenheit, ihren osteuropäischen 'Schwestern' zu 'helfen', die sich gerade aus autoritären Gesellschaften freikämpften." Die Hilfe wird jedoch nicht nur um des Opfers willen angeboten, sondern auch, um die Überlegenheit anschaulich zu demonstrieren: "Das war eine Sache, für die frau sich einsetzen konnte, eine Gelegenheit, den Weg zu weisen und die gelernten Lektionen weiterzugeben, ein gutes Beispiel zu zeigen und zu demonstrieren, was sie 'im Westen' bereits erreicht hatten." Was dann an dieser 21

Claire Wallace, "Eine Westfeministin geht in den Osten", Transit, Heft 9, Sommer, 1995, 130-131.

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Stelle folgt ist das Drama schlechthin – die Zurückweisung der Hilfe, wobei der Dramaauslöser selbst nicht klar zum Vorschein kommt. Wallace interpretiert diese Zurückweisung der angebotenen Hilfe, die eigentlich ein Flop für den "Helfer" war, aus der Position eines Retters ("wir wollten ja nur helfen"): "Wenn auch mit den besten Intentionen angegangen, konnte dies von der anderen Seite im besten Falle als Bevormundung, im schlimmsten als Imperialismus gesehen werden." Zugleich nimmt sie die Position des Täters ein ("Ich weiß, wo es lang geht, doch die anderen sind zu dumm, das zu verstehen", d.h. "Ich bin ok, du bist nicht ok.") – sie klagt die Opfer an, dass sie Mangel an Interesse und ein Unverständnis dafür zeigen, dass sie ja krank sind, weswegen sie sich auch nicht kurieren lassen wollen; jeder Eingriff seitens dem Retter/Kurator/Arzt wird von den "Opfern" als Täter-Eingriff erfasst und abgewiesen: "Dieses Ungleichgewicht an Ressourcen spiegelte sich auch zahlenmäßig wider. Der weitreichende Einfluss des Feminismus in einigen intellektuellen Milieus Westeuropas stand in Kontrast zu dem mangelnden Interesse bei der Mehrheit der osteuropäischen Intellektuellen. Den wenigen Interessierten wurden westliche Fragestellungen aufgenötigt. Wie eine Tschechin bemerkte, fühlten sich die östlichen Frauen wie Tiere im Zoo, die bei Konferenzen und Treffen ausgestellt wurden…" Es ist interessant, dass Wallace in dieser Passage ihres Artikels aus der Position einer "dritten Person" schreibt: Auf der einen Seite gibt es die "osteuropäischen Schwestern" und auf der anderen Seite die "Westfeministinnen", die sie immer als "sie" bezeichnet so als ob sie selbst nicht zu Letzteren gehören würde, was somit im Gegensatz zu dem Titel ihres Artikels ("Eine Westfeministin geht in den Osten") steht. Diese Position einer angeblich neutralen "dritten Person" ist, meines Erachtens, das Resultat ihrer Bemühungen, nicht voreingenommen zu erscheinen. Außerdem musste sie, nach den kritischen Auseinandersetzungen mit den "Ostleuten", gewisse Schwachstellen der feministischen Legende

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einsehen, also bemühte sie sich, ein besseres bzw. mehr Verständnis für die Situation der "Ostfrauen" und ihre Denkweise aufzubringen, und ihnen gegenüber eine gewisse Wertschätzung explizit auszudrücken, da diese den Mangel an Respekt beklagten: "Ich habe mich bemüht, die mir angebotenen Perspektiven ernst zu nehmen und sie zu verstehen, was mir wiederum erlaubt hat, einige meiner Vorstellungen zu überdenken."22 Überdenken heißt jedoch nicht korrigieren oder gar Fehler einzugestehen. Und das ist verständlich: Wallace ist natürlich nicht bereit ihre grundlegenden feministischen Glaubenssätze aufzugeben. Also sucht sie, nach einer gewissen Korrektur ihrer Landkarte und Legende, weiterhin nach Bestätigung ihrer ursprünglichen These der grundlegenden Bedeutung der Genderperspektive für die Transformation der postkommunistischen Gesellschaften: Durch das Diskutieren mit StudentInnen und KollegInnen bin ich gegenüber einigen Ideen der feministischen Bewegung, so wie sie auf postkommunistischen Erfahrungen angewendet werden, kritisch geworden; aber das hat mir auch geholfen zu erkennen, wo und in welcher Weise die Berücksichtigung von Geschlecht in diesem Kontext notwendig ist (…) Mir wurde oft gesagt, daß man in der postkommunistischen Welt über wichtigere und dringendere Dinge als Geschlecht nachzudenken habe – z. B. über die politische und wirtschaftliche Transformation. Über die Geschlechterverhältnisse zu diskutieren, lenke nur ab; man habe, anders als einige westliche WissenschafterInnen in ihren Gesellschaften, Besseres zu tun. Es ist sicher richtig, daß Osteuropa schwerwiegenden Problemen gegenübersteht, von drohenden oder bestehenden Kriegen über ethnische Spannungen, den sozialen Folgen der rapiden Privatisierung bis zum täglichen Überleben. Anzunehmen, dass Geschlecht irrelevant für diese Fragen sei, ist doch ein Irrtum. Das Hauptproblem besteht gerade im Fehlen einer kritischen Geschlechterperspektive [der Kursiv ist 22

Ebenda, 129.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

von mir] in vielen maßgeblichen Theorien über den Übergang vom Kommunismus.23 Von dieser Position aus beginnt sie von Neuem aus der Retter-Position heraus zu zeigen, was alles nicht verstanden und missverstanden wurde (wobei manches ja auch stimmt), bis sie am Ende des Artikels zur folgenden Schlussfolgerungen kommt: "Die Frauen in Osteuropa ringen darum, diese Veränderungen zu verstehen und ihre Erfahrungen zu verarbeiten". Dieser Satz klingt zuerst wie eine Wertschätzung bzw. "Streicheleinheit" für die "Ostfrauen", zur gleicher Zeit vermittelt er mit diesem "Ringen" um Verständnis und Selbstverständnis, dass sie noch in der Dunkelheit sind, mangels eben einer kritischen Geschlechterperspektive, die sie volens nolens vom Retter brauchen. Und mit dem nächsten Satz spricht Wallace die an, die es endlich verstanden haben, dass sie den Retter und seine Lösungen brauchen: Inzwischen tritt jedoch eine neue Generation junger Frauen ins intellektuelle Leben, die sich nur relativ fern an das kommunistische System erinnern. Diese jungen Frauen sind die Generation mit der besten Ausbildung, die bisher aus diesem Teil Europas hervorging [das Kursive ist von mir] und sie haben gesehen, wie ihre Mütter alle notwendigen produktiven und reproduktiven Funktionen erfüllten und nutzten, um soziales Leben überhaupt erst zu ermöglichen. Sie genießen und nutzen die Pluralität von Geschlechtsidentitäten und werden kaum zum 'Heimchen am Herd' zurückkehren, um das klassische Muster der Kleinfamilie zu erfüllen, selbst wenn sie in Gesellschaften leben, die durch zunehmende Militarisierung und wachsenden Nationalismus geprägt sind.24 Es mag sein, dass Wallace mit ihrer Huldigung der "neuen Generation" den jungen Frauen Mut geben wollte, sich weiter mit dem Feminismus auseinander zu setzen. Da sie das aber auf Kos23 24

Ebenda, 129 und 131. Ebenda, 144.

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ten der älteren Frauengeneration macht, riskiert sie damit ein neues Drama auszulösen. Die jungen Frauen werden der älteren Frauengeneration entgegen gesetzt, wobei letztere indirekt als minderwertig abgestempelt wird: Die jungen Frauen erinnern sich nicht an das "kommunistische System", sie sind also nicht davon infiziert, im Gegensatz zu der älteren Frauengeneration; sie haben die beste Ausbildung, also haben die anderen Frauen keine so gute, weil eben "kommunistisch" geprägt; sie genießen die Pluralität der Geschlechtsidentitäten, das heißt sie wissen zu leben, während ihre Mütter, reduziert von Wallace auf produktive und reproduktive Funktionen, die sie unter dem Sozialismus erfüllten, nur das Leben ermöglichten. Die Frage, ob zu einer "Pluralität der Geschlechtsidentitäten" nicht auch die Möglichkeit "hinter dem Herd" zu sitzen gehören sollte, stellt sich Wallace dabei nicht, denn dagegen haben die Feministinnen ja gekämpft. Nach dem Lob der neuen Generation junger "Ostfrauen" und der Erniedrigung ihrer Mütter, endet der Artikel mit Selbstlob: Viel wird inzwischen getan, um Gleichgesinnte [das Kursive stammt von mir] aus verschiedenen Ländern und Institutionen in West und Ost zusammenzubringen. Netzwerke werden geschaffen und Mittel aufgetrieben, um die Eigeninitiative von Frauen aus der Region zu fördern. Ich hoffe, dass auch die vorliegenden Überlegungen ein wenig zum Verständnis zwischen den Frauen im Westen und im ehemaligen Osten beitragen.25 Es handelt sich also um das Zusammenbringen von Gleichgesinnten! Das heißt Zusammenarbeit mit "Ostfrauen", die die Glaubenssätze des Täter-Retters (die Unterdrückung der Frauen vom Patriarchat unter dem Kommunismus und die notwendige Genderperspektive für die Erfassung jeglicher sozialer, ökonomischer und politischer Probleme) dezidiert akzeptieren, die den Retter als überlegen und notwendig anerkennen ("ohne dich komme ich 25

Ebenda.

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nicht klar") und ihm auf den Wegen und Lösungen, die er für das Opfer als richtig ansieht, gehorsam folgen. Logische Konsequenz: Wer nicht Gleichgesinnter ist, der bekommt eben keine Mittel für seine Aktivitäten und auch keine Einladungen für Zusammenarbeit und gemeinsame Treffen. Und genau das passierte schließlich in "Osteuropa": Politik diktiert Wissenschaft und Kultur, Gelder von "westlichen" Institutionen (welcher Art auch immer) kommen Projekten zu, die der Politik/Ideologie dieser Institutionen dienen und sie nicht kritisieren. Die Frage, die man jetzt salopp stellen könnte lautet: Ist es (oder wieso sollte es) diesbezüglich in "Osteuropa" anders (sein) als in "Westeuropa"? Dass die Politik die Wissenschaft schlechthin bestimmt, darüber wurde in beiden Teilen Europas schon viel geschrieben, dies ist auch nicht unser Hauptanliegen. Das eigentliche Problem ist die fragliche Retter-Position, die darum bemüht ist eine Art Abhängigkeit von einem angeblich "befreienden" ("erlösenden"), jedoch zutiefst "dominanten" Diskurs zu etablieren. Dies wurde – wie bereits erwähnt – von der bekannten jugoslawischen Autorin Slavenka Drakuliü ohne Umschweife folgendermaßen ausgedrückt: The problem was that we could not let our American sisters tell us what to do in our countries, and that's exactly what they wanted to do.26 In ihrem bereits mehrfach zitierten Artikel "Real existierender Feminismus" hat Hana Havelková diesen Konflikt aus ihrer Perspektive zusammenfasst und auf den Punkt gebracht: Feministisch denkende Frauen, vorwiegend Amerikanerinnen (…) kamen, bewerteten und begannen zu belehren. Ich habe selbst Dutzende von Gesprächen erlebt, unter vier Augen oder in Gruppen, bei denen es immer um ein und dasselbe ging: von ihrer Seite die Feststellung, dass unsere Gesellschaft sexistisch und patriarchalisch 26

Slavenka Draculiü, "What we learned from Western Feminists," Transitions, 5, January, 1998/1, 42-47.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

sei, die Frauen zweitrangige Bürger, außerdem konservativ, unfrei und diskriminiert usw.; von unserer Seite die Ablehnung dieser Diagnose in allen Punkten. Keineswegs weil sich keine Belege für diese Feststellung hätten finden lassen, sondern weil alle diese Begriffe in unserem Kontext etwas andere Konnotationen haben und jeder Begriff in ein allgemeineres, übergeordnetes gesellschaftliches Problem eingebunden, "eingeschrieben" ist, von dem man ihn theoretisch nicht ohne weiteres isolieren kann. Vor allem haben wir diejenigen, die uns zu belehren suchten, darauf aufmerksam gemacht, dass sie unsere Wirklichkeit durch das Prisma ihrer eigenen Erfahrung und einer verinnerlichten feministischen Optik lesen. Das Resultat dieser mühseligen Diskussionen war Enttäuschung auf beiden Seiten: auf ihrer, weil wir uns nicht belehren lassen wollen, und auf unserer, weil sie die große Verschiedenheit unserer gelebten Erfahrung nicht respektieren, nicht fähig sind, ihr zu trauen und sie ernst zu nehmen. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, dass keine gemeinsamen Sitzungen mehr stattfinden: Sie haben die ihren, und wir haben die unseren.27 Schauen wir uns das Gesagte wieder durch das Prisma des Drama-Dreiecks genauer an. Der erste Satz als Ganzes, "sie kamen, bewerteten und begannen zu belehren" erinnert an das bekannte "veni, vidi, vici" und verweist somit auf das Verhalten eines Eroberers, eines Täters. "Sie kamen" besagt, dass die "Westfeministinnen" uneingeladen gekommen sind und sich eine Landkarte machten. Sie "bewerteten" steht für eine bestimmte Legende, die sie sich danach machten. "Und begannen zu belehren" kündigt das Hineinschlüpfen in die Retter-Täter-Rolle, wobei sie die Ostfrauen gleich als Opfer hinstellten. Der Knackpunkt, sprich der Dramauslöser des Konfliktes, besteht gerade in dem Akt des Belehrens, der prompt zur Anklage der "Ostfrauen" wurde: "Ich habe selbst Dutzende von Gesprächen erlebt (...), bei 27

Siehe Hana Havelková, "Real existierender Feminismus", Transit. Europäische Revue, Heft 9, Sommer 1995, 147.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

denen es immer um ein und dasselbe ging: von ihrer Seite die Feststellung, dass unsere Gesellschaft sexistisch und patriarchalisch sei, die Frauen zweitrangige Bürger, außerdem konservativ, unfrei und diskriminiert usw." Was an dieser Stelle herauskommt, ist eine Reihe von Beschuldigungen und starken, ja starren Wertungen seitens der Belehrenden (Retter-Täter), bei dem die Opfer klein gemacht werden, in eine Kinder-Ich-Rolle und in eine Ohnmachtsposition hineingedrängt werden. Dies geschieht aus der Position des Täters als Ankläger, jedoch unter der Maske des Retters, der dem Opfer klar machen will, dass es "ohne ihn nicht kann" und seine Hilfe unbedingt braucht. Dabei passiert aber eine Verletzung der Werte und Gefühle der "Ostfrauen", die die "Westfeministinnen" ausschließlich in ihrer Täter-Rolle wahrnehmen und identifizieren. Sie reagieren auf den Täter, indem sie die Opferrolle, in die sie gedrängt wurden und werden, sofort vehement zurückweisen, womit sie zum Selbstretter werden: "Von unserer Seite die Ablehnung dieser Diagnose in allen Punkten". Was folgt, ist der Versuch der "Ostfrauen" sich noch zusätzlich aus der Situation zu retten, indem sie sich bemühen den Disput auf die Sachebene zu verlagern und die Missverständnisse bezüglich der Landkarte und der Interpretation der "Westfeministinnen" anzusprechen: "Keineswegs weil sich keine Belege für diese Feststellung hätten finden lassen, sondern weil alle diese Begriffe in unserem Kontext etwas andere Konnotationen haben und jeder Begriff in ein allgemeineres, übergeordnetes gesellschaftliches Problem eingebunden, 'eingeschrieben' ist, von dem man ihn theoretisch nicht ohne weiteres isolieren kann." Das Bemerkenswerte hier ist, dass die "Ostfrauen" die "Westfeministinnen" auf ihre Wahrnehmungstäuschungen und (Vor)Urteile, die kulturell und sozial bedingt sind, explizit hinweisen: "Vor allem haben wir diejenigen, die uns zu belehren suchten, darauf aufmerksam gemacht, dass sie unsere Wirklichkeit durch das Prisma ihrer eigenen Erfahrung und einer verinnerlichten feministischen Optik lesen." Dieser Selbstrettungsversuch der "Ostfrauen" brach-

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

te aber wenig, denn der Täter-Retter blieb bei seiner Position. In seinem hohen Selbstwertgefühl, überzeugt von seiner Überlegenheit an Wissen und Können, behandelte der vermeinte Retter die "Ostfrauen" weiterhin als Opfer, das heißt als unterlegen und unmündig, sprich als nicht ebenbürtig, nicht gleichwertig, was wiederum von den "Ostfrauen" als Mangel an Respekt (Opferrolle) empfunden wurde: "Das Resultat dieser mühseligen Diskussionen war Enttäuschung auf beiden Seiten: auf ihrer, weil wir uns nicht belehren lassen wollen, und auf unserer, weil sie die große Verschiedenheit unserer gelebten Erfahrung nicht respektieren, nicht fähig sind, ihr zu trauen und sie ernst zu nehmen." Was aus dieser dramatischen Kommunikation, die zum Schluss als unproduktiv abgebrochen wurde zurückbleibt, ist wie in den meisten DramaSituationen schlussendlich nur Ärger, Wut, Enttäuschung und Ohnmacht. Wenn wir beide Textauszüge vergleichen, so sehen wir gewisse Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen sowohl in Blinkwinkel auf die Problemstellung, als auch in der Beschreibung und, natürlich, in der Deutung. Ich möchte nun zusammenfassend auf ein paar wesentliche Wahrnehmungs- und Interpretationsunterschiede aufmerksam machen: x Der Ausgangspunkt – die Ankunft der "Westfeministinnen" – wird von beiden Seiten verschieden wahrgenommen und dargestellt: die "Westfeministinnen" behaupten, sie seien gekommen, um zu helfen (Retter), manche "Ostfrauen" aber sehen das als ideologischen Eingriff bzw. als manipulative Einmischung (Täter) und den Gast, der sich als Gast benehmen sollte, als auftretend wie ein Herr im eigenen Hause; x Die "Westfeministinnen" meinen, sie könnten mit ihrem Befreiungsdiskurs zur Emanzipation der "Ostfrauen" beitragen (Retter), dieser wird aber so angewandt, dass er von den "Ostleuten" als ein dominanter, sprich "imperia-

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

listischer" oder "post-kolonialer" Herrschaftsdiskurs aufgefasst wird (Täter); x Die "Westfeministinnen" gehen von der (falschen) Annahme aus, dass der Feminismus ein "Westprodukt" sei (da sie ihn auf die sogenannte "zweite Welle" des Feminismus reduzieren), für den sie allein das "Patent" zu haben glauben, und vergessen oder ignorieren dabei, dass es Frauenbewegungen und "feministische" Richtungen bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in "Osteuropa" gegeben hat;28 die "Ostfeministinnen" vergessen dies auch zum Teil, da sie im "Feminismus" eine "westliche Ideologie" sehen, was dazu führt, dass sie (bemüht, sich selbst aus der Opferrolle zu retten) die Etikettierung "Feministin" abweisen und sich lieber als "Frauenforscherinnen" bezeichnen; x Die "Westfeministinnen" sehen sich als Autorität im gegebenen Wissensbereich (Retter), sie gehen von ihrer Überlegenheit an know how aus, aus der heraus sie zu belehren beginnen (Täter bzw. Eltern-Ich); die "Ostfrauen" (an)erkennen sie aber nicht als Autorität (Selbstrettung bzw. Kindheits-Ich), sie sehen keine Überlegenheit, sondern Unwissen, Unverständnis und Verzerrung der realen Verhältnisse in den post-kommunistischen Gesellschaften und deuten an, dass die "Westfeministinnen" eher diejenigen sind, die etwas zu lernen haben (das "tatsächliche Opfer") und nicht diejenigen, denen es gebührt andere über ihrer eigenen Situation zu belehren; x Die "Westfeministinnen" sind von einer "Position des Stärkeren" (der Überlegenheit) ausgegangen, weil sie ein sehr hohes Selbstbewusstsein hatten, d.h. nach der DiltsPyramide einen Selbstwert und ein Selbstverständnis, das sehr hoch in den Einstellungen/Werten angelegt war; 28

Manche haben diese Sicht später revidiert, as man teilweise auch im Artikel von Claire Wallace sieht (siehe Claire Wallace, op.cit., 143).

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

sie bewerteten die "Ostfrauen" als "zweitrangige Bürger" mit "mangelndem Selbstbewusstsein" (Opfer), diese aber schätzten ihren Selbstwert und ihr Selbstverständnis genauso hoch ein, weswegen es letztendlich zu einem Zusammenstoß zwischen Retter und Selbstretter, zwischen Ankläger (Täter) und Gegenkläger (Täter) und schlussendlich zum Abbruch des Kontakts kam. 4. Wege der Auflösung des feministischen Ost-West-Dramas Der oben beschriebene und mittels des Drama-Dreiecks analysierte Konflikt zeigt, dass die Drama-Dynamik durch einen Abbruch der Kommunikation beendet wurde. Die Frage ist, hätte man es auch anders machen können, ohne die Kommunikation und somit die Beziehung zueinander abzubrechen? Beide Parteien haben sich anfangs bemüht eine Lösung zu finden und einander zu erklären, was auf der Landkarte bzw. in der Legende des anderen nicht stimmt, jedoch ohne Erfolg. Warum? Wie schon gezeigt wurde, hatten sowohl die "Westfeministinnen" als auch die "Ostfrauen" ein hohes Selbstwertverständnis, ein Eltern-Ich-Selbstbewusstsein, beharrten auf ihren eigenen Argumenten und Legenden, und behandelten den anderen wiederum als "Kind". Diese Situation erinnert an das Spiel "Ich versuche dir nur zu helfen" (IVEDIH-Spiel), mit dessen Hilfe Eric Berne das psychologische Paradigma Eltern-Ich/KindheitsIch untersucht und folgendermaßen beschreibt: Eltern-Ich: "Du siehst wie kompetent ich bin"; Kindheits-Ich: "Ich werde dafür sorgen, dass du dich inkompetent fühlst."29 Dieses Spiel wird im philosophischen und im sozialwissenschaftlichen Diskurs sehr oft gespielt. Man hat eine These, die man aus der Täter-AnklägerPosition mit allen Mitteln beweisen und durchsetzen will und 29

Eric Berne, Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. 1967, 233.

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"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

wenn man auf Kritik stößt, verhärten sich die Positionen der Streitparteien, anstatt Tatsachen und Argumente zu überprüfen. Das Eingeständnis von Fehlern und Fehlinterpretationen kommt meistens nicht in Frage, dafür ist man sich wiederum zu gut. Erfolgt doch einmal die Einsicht eines Irrtums, ist man gnädigerweise bereit, einige Argumente und Gedanken der Gegenpartei in das eigene vorgefertigte Konzept einzufügen, damit es aussieht, als seien sie von jeher die eigenen gewesen; oder es wird nebenbei behauptet (wie im Fall Wallace), man hätte einiges "überdacht", und sei zu dem Ergebnis gelangt, man sei ohnehin auf dem richtigen Weg gewesen. Um es mit Einstein zu sagen: Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom. Was ich damit zum Ausdruck bringen will ist, dass ein Dialog nur dann funktionieren und ein Disput nur dann konstruktiv und generativ sein kann, wenn die teilnehmenden Parteien "guten Willen" zeigen und Interesse daran haben, sich den Dingen aus mehreren Perspektiven (die der anderen oder des anderen) zu nähern und die eigenen Thesen ständig neu zu hinterfragen, zu prüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Wenn eine der Parteien auf ihre vorgefertigte Meinung besteht ("Meine Meinung steht fest – bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen!") und mit allen Mitteln an ihr festhält bzw. sie den anderen aufzuzwingen versucht (Täter), dann kann die Drama-Dynamik nicht positiv aufgelöst werden. Einen Versuch ist es zwar immer wert, aber allzu große Hoffnungen sollte man sich besser nicht machen. Gehen wir vom hypothetischen Idealfall aus, dass beide Parteien diesen "guten Willen" hatten (wenn sie ihn nicht hatten, dann war das Scheitern unausweichlich). Die Bemühungen dem Opponenten zu zeigen, dass seine Landkarte und seine Legende nicht korrekt sind, das heißt den Konflikt auf die Sachebene zu bringen und zu lösen, sind meines Erachtens nicht so sehr wegen mangelhafter Überzeugungskraft missglückt, sondern wegen Mangel an pacing. Keine der Streitparteien hatte versucht, den

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anderen dort abzuholen wo er war. Dafür wären gewisse communication skills wie Sensibilität für die Wahrnehmungen, Emotionen und Denkweise des Opponenten, Empathie, positives feedback etc. notwendig gewesen. Pacing wäre der erste erforderliche Schritt. Bevor ich die 6-er Strategie von Roman Braun anwende, möchte ich jedoch kurz auf einige Fehler, die von beiden Seiten gemacht wurden, aufmerksam machen und zeigen wie man sich diese hätte ersparen können. Die "Westfeministinnen" hätten nicht als "Helfer" (Retter) auftreten, sondern Interesse an dem was in Osteuropa geschieht, aufbringen sollen (Macher). Anders gesagt, wäre es angebracht gewesen, eine Bereitschaft zu zeigen, selbst etwas lernen zu wollen, und auf diese Weise – sprich nicht nur verbal – Respekt für die Erfahrungen der "Ostfrauen" zu bekunden (Mentor). Als Gegenleistung und reziproken Austausch hätten die "Westfeministinnen" dann Kurse in ihrem eigenen Spezialgebiet anbieten können (Macher-Mentor), um das Interesse ihrer "osteuropäischen" Kolleginnen und den StudentInnen an den feministischen Theorien und Strategien zu wecken und ihnen Impulse zu geben, sich etwas aus ihrer Erfahrung und ihrem Wissen zu holen (Muse), was sie selbst als wichtig empfinden. Die "Ostfrauen" ihrerseits hätten in manchen Fällen nicht so vehement reagieren und die Hilfe des "Retters" abweisen sollen. Sie hätten diese dorthin lenken können, wo es für sie sinnvoll gewesen wäre. Wenn wir nun die 6-er Strategie von Roman Braun anwenden, dann könnte die Auflösung des Dramas folgendermaßen aussehen: x

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Erkennen: Hier geht es darum, das Drama und die Drama-Dynamik zunächst einmal zu erkennen. In diesem Fall bedeutet es zu sehen, dass der Diskurs bei weitem die Sachebene überschritten hatte, dass infolge von starken Wertungen und verletzten Werten bereits die Gefühlsebene angegriffen war, und die Atmosphäre sich wesentlich verschlechtert hatte. Wenn seitens der Teilnehmer also

"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

x

x

Sätze fallen wie etwa, dass man sich wie ein Tier im Zoo fühle, das bei diesem Treffen ausgestellt werde, dann wird klar, dass es hier nicht mehr um Wissenschaft geht. Es geht nicht mehr um die Sache selbst, sondern um etwas anderes. Erraten: Ziel ist es zu erraten, wer welche Rolle spielt. Die "Ostfrauen" sahen in den "Westfeministinnen" keinen Retter, sondern einen Täter, ein belehrendes ElternIch oder einen "vermeintlichen Retter"; sie errieten ziemlich schnell die Rolle der Gegenpartei, wiesen aber die Opferrolle bzw. das Kindheits-Ich, das man ihnen aufzwingen wollte, zwar äußerlich ab, übernahmen sie aber auch zum Teil, besonders zum Schluss, als sie sich als nicht anerkannt und ohnmächtig fühlten und daraufhin zurückzogen. Die "Westfeministinnen" wiederum merkten, dass die "Ostfrauen" die Opferrolle nicht spielen wollten, schätzten sie aber weiterhin als Opfer ein, die ihre Hilfe brauchten, aber es nicht einsahen, und behandelten sie dementsprechend. Dabei verkannten sie deren Täter-Rolle sowie ihre Macher-Mentor-Versuche. Erforschen: Hier geht es darum die Landkarte, die Legende und die Emotionen des anderen genauer zu erforschen, dann eine Unterbrechung zu machen, um das Drama zu stoppen, danach den anderen durch eine bestimmte Strategie abzuholen und das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, in der die Trinergy®Position eingeleitet wird. Das alles hängt aber davon ab, in welcher Rolle der andere uns begegnet. Die "Ostfrauen" haben zwar die Landkarte und die Legende der "Westfeministinnen" zu erforschen versucht, aber sie haben deren Emotionen nicht genau erkannt. Bei den Emotionen der "Westfeministinnen" ging es um bestimmte Wertverletzungen. Ganz einfach und allgemein ausgedrückt, ihre Gefühle wurden dadurch verletzt, dass

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sie für etwas (z. B. Emanzipation) und gegen jemanden (z. B. Patriarchat = Feind) gekämpft hatten und deswegen auch bestimmte soziale und politische Forderungen stellten, welche die "Ostfrauen" als inakzeptabel betrachteten und deswegen in entgegengesetzter Richtung argumentierten. Da die "Ostfrauen" sich anfangs in der Landkarte und der Legende der "Westfeministinnen" nicht auskannten, haben sie Positionen eingenommen, die für die "Westfeministinnen" ein "rotes Tuch" waren. Genau dasselbe machten aber auch die Westfeministinnen, bis irgendwann beide Seiten eingesehen haben, dass sie von ganz verschiedenen Dingen redeten, obwohl sie die gleichen oder ähnliche Begriffe verwendet haben. Genau diese Kreuzungspunkte waren die Dramaauslöser, nicht die einzigen, aber aus wissenschaftlicher Hinsicht die wesentlichen. Durch die Differenzen, die zwischen den beiden Parteien hier heftige Emotionen ausgelöst haben, ohne dass sich diese der Wertverletzungen beim anderen bewusst waren, verhärteten sich die Positionen; dabei wurde übersehen, dass man gerade an diesen Kreuzungspunkten der Divergenz hätte gemeinsam arbeiten sollen, weil man nur dadurch eine reziproke Bereicherung mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen hätte gewinnen können. Dazu wäre es notwendig gewesen, nach dem Erforschen der Landkarte, der Legende und der Emotionen des anderen, sich auf die Metaebene zu begeben und von dort aus die Positionen der Streitparteien nochmals in Betracht zu ziehen. Um den anderen (das DU) zur nächsten trinergetischen Position zu führen, schlägt Roman Braun hier folgende Strategie: x x

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STOPP (die Art, wie das Drama gestoppt wird, d. h. Unterbrecher); START (Richtungsänderung des Gesprächs);

"Westfeministinnen" und "osteuropäische" Frauenforscherinnen

x x

FORTSETZUNG des trinergetischen Kreislaufes; STIL der Intervention.

Diese Strategie hängt aber davon ab in welcher Rolle uns der andere begegnet. In dem Drama, das ich mir aus der Position der "Ostfrauen" anschauen möchte, weil sie ja diejenigen wären, die aus dem Drama hätten aussteigen müssen, um den Konflikt eventuell aufzulösen, ist das deswegen so kompliziert, weil die Rolle der "Westfeministinnen" nicht so eindeutig war. Deshalb werde ich zwei Varianten in Betracht ziehen. Die "Westfeministinnen" treten als Retter auf, hinter dem sich eigentlich ein Täter verbirgt. Da sie unbedingt als Retter gelten wollen, wäre es aus der Position der "Ostfrauen" angebracht, zuerst den Retter anzusprechen. Der STOPP könnte dann folgendermaßen eingeführt werden: "Moment mal, das ist uns jetzt wichtig!" Aus der Mentor-Ecke soll das Gespräch zur Muse geführt werden, d. h. es soll eine Frage über seine Befindlichkeit kommen, die den Retter dazu führt nachzudenken, welche Rolle er als Mentor leisten könnte: "Um was geht es Euch? Wieso wollt Ihr uns helfen? Wieso regt es Euch so auf, dass manche Ostfrauen 'zuhause hinter dem Herd' bleiben wollen? Auch wenn wir 'zweitrangige Bürger' sind, Ihr müsst ja hier nicht leben, was bewegt Euch?" Mit solchen Fragen könnte man versuchen, zu den Emotionen und den wahren Beweggründen vorzudringen, um danach über einen Lösungsversuch zu diskutieren: "Wie stellt ihr Euch die Lösung in der jetzigen Situation vor?" Im Fall, dass die "Westfeministinnen" den "Ostfrauen" als Täter begegnen, müsste der STOPP dann anders aussehen: "Moment mal, wir möchten das jetzt besser verstehen…" Danach müsste man sie zur Macher-Ecke und von dort zum Mentor führen: "Sie sind also der Meinung, dass wir unter dem Sozialismus unterdrückt wurden…" Es geht hier darum, sich in die Position des Täters zu versetzen und anzuschauen welche Werte bei ihm verletzt wurden. Der Stil, der hier verwendet wird, soll nach

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

Braun nicht das Fragen, sondern das Raten sein: "Und sie meinen, wir könnten die Probleme lösen wenn wir…" x

Eröffnen: Mit diesem Schritt soll man, nach Roman Braun, dem Gegenüber die Möglichkeit geben, sich von uns ein vollständiges Bild zu machen. Dies geschieht durch eine Vertrauen fördernde Maßnahme, in dem vom DU zum ICH gewechselt wird.

Wenn die "Westfeministinnen" den "Ostfrauen" als Retter begegnen, dann sollte die Fortsetzung hier bei der Muse (Emotion) sein: "Es kommt Unmut und Widerstand auf [Gefühl], wenn man uns als 'unterdrückt' oder 'zweitrangige Bürger' abstempelt [Landkarte]. Uns ist es wichtig, dass unsere Erfahrungen ernst genommen und unsere Leistungen anerkannt werden [Legende]". Wenn die "Westfeministinnen" den "Ostfrauen" als Täter begegnen, dann sollte die Fortsetzung hier bei dem Mentor [Legende] sein: "Uns ist es wichtig, dass unsere Erfahrungen ernst genommen und unsere Leistungen anerkannt werden [Legende]. Deshalb kommt Unmut und Widerstand auf [Gefühl], wenn man uns als 'unterdrückt' oder als 'zweitrangige Bürger' abstempelt [Landkarte]". x

30

Ersinnen: Nach diesen vier Schritten wären nach Roman Braun "beide Welten offen gelegt, nun können beide daran gehen, Lösungswege zu ersinnen, die kurativ wirken (also das aktuelle Problem lösen), und vielleicht generativ (eine Lösung für zukünftige ähnliche Probleme sind)."30 Wie das genau aussehen könnte, dafür gibt Braun kein Beispiel. In unserem Fallbeispiel stelle ich mir vor, dass die "Ostfrauen" den "Westfeministinnen" sagen hätten können: "Es wäre schön uns auszutauschen damit wir voneinander lernen", um dann konkret den Weg zu weisen, auf dem die "Westfeministinnen" ihnen wirklich behilflich sein könnten: z. B. mit Zurverfü-

Roman Braun, op.cit., 109.

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gungstellung von Spezialliteratur, feministischen (Einführungs-)Kursen, Austauschprogrammen, bei denen auch "osteuropäische" Lehrende als guest professors im Westen unterrichten könnten, gemeinsamen Forschungsprojekten usw.31 Ich möchte jedoch speziell darauf hinweisen, dass wenn es in solchen Fällen um finanzielle Unterstützung geht, man sich gut überlegen sollte, ob und inwiefern solche "Hilfe" wünschenswert ist, denn bekanntlich führt dies zu einer direkten Abhängigkeit, die das "Opfer" an den "Retter" endgültig bindet. x

Erschaffen: Hier geht es darum, Ideen gemeinsam in Handlungen umzusetzen und die Ergebnisse nach bestimmten Abständen auf die Erwartungen hin zu prüfen bzw. zu verändern/verbessern. Solche Handlungen könnten sein: die Errichtung von Bibliotheken mit Spezialliteratur, Austausch- und Forschungsprogramme, Vorlesungen etc. Ein gutes Beispiel für funktionierende Ost-WestAktivitäten ist meines Erachtens, das Network of EastWest Women (http://www.neww.org, NEWW), wobei dort das Wort "Feminismus" gänzlich fehlt und es nicht wirklich um einen wissenschaftlichen Austausch geht. Zurzeit laufen im NEWW hauptsächlich Projekte zur Implementierung der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union. 5. Schlussbemerkung

Das rechtzeitige Erkennen des Dramas (Dramaauslöser und Drama-Dynamik) ist unter anderem deshalb so wichtig, weil solche Konflikte immer wieder zu beobachten sind und zwar nicht nur im Bereich der feministischen Theorie und der Frauen31

Dies wurde zum Teil in anderen Fällen auch gemacht, aber nicht in dem gegebenen Streitfall.

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Feministische Philosophie: Geschichte und Aktualität

forschung oder im Ost-West-Diskurs überhaupt, sondern auch innerhalb der meisten human- und sozialwissenschaftlichen Debatten, wo verschiedene Denkweisen aufeinander prallen. Aus dem Fallbeispiel, das wir untersucht haben, zeichnet sich ein Muster ab, das sich nach der Wende 1989 schnell durchgesetzt und verfestigt hat. Nämlich die Behandlung der "Osteuropäer" als "Opfer" bzw. als unmündiges Kindheits-Ich, dem man immer wieder alles erklären muss und das ständig etwas nachholen soll. Die Diagnose der "Westfeministinnen", die Frauen seien "zweitrangige Bürger" unter dem Realsozialismus gewesen, hat sich letztendlich nicht so sehr bestätigt wie die Tatsache, dass die "Ostleute" nach 1989 zu zweitrangigen Bürgern Europas "gemacht wurden". Diese Retter- oder Eltern-IchRolle wurde von vielen im Osten als Mangel an Respekt und Wertschätzung, empfunden. Dazu kam, dass der vermeinte Retter seine Stärke immer wieder dazu verwendet hat, seine Position (Ideologie, politische Linie, ökonomische Interessen etc.) durchzusetzen (Täter), was zu Asymmetrien und Paradoxien führte, wo man das Gegenüber in die Rolle des Unmündigen hineindrängte (ihn bestimmte) und zugleich von diesem Verantwortung (Selbstbestimmung) verlangte. Aufgrund dieser Ungleichwertigkeit entstanden verschiedene Konflikte, die sich auch in den wissenschaftlichen Debatten spiegelten, und die eines klar zeigen: Dieses kontraproduktive Spiel "Ich versuche dir nur zu helfen" kann nicht ewig andauern, Wege müssen gesucht werden, um die Debatten auf die Ebene des Erwachsenen-IchDiskurses zweier ebenbürtiger Kommunikationspartner zu bringen. In dieser Hinsicht finde ich die Anwendung der Trinergy®Strategie für die Auflösung des Drama-Dreicks äußerst hilfreich.

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Die folgenden Gespräche und Interviews sind in der Periode 1998-2001 entstanden. Das Gespräch mit Herta Nagl-Docekal wurde Anfang 1998 am Institut für Philosophie an der Universität Wien aufgenommen. Den unmittelbaren Anstoß dazu bildete die bevorstehende internationale Konferenz zum Thema "Die Feministische Philosophie: Perspektiven und Debatten",1 die April 1998 in Sofia stattfand. Das Gespräch mit Hedwig Meyer-Wilmes fand während der 8. Konferenz der European Society of Women in Theological Research (15-20 August 1999) an der evangelischen Akademie in Hofgeismar statt. Die Interviews mit den Kolleginnen aus den postkommunistischen Ländern kamen in der Periode 2000-2001 zustande. Sie waren Bestandteil des Teilprojektes "Gender Studies in Osteuropa: Schwerpunkt Philosophie", das vom Gender-Kolleg an der Universität Wien im Rahmen des Projektes "Gender – Rupture – Society" realisiert wurde.2 Die Interviews wurden von mir unter Mitarbeit von Susanne Moser durchgeführt und werden hier zum ersten Mal veröffentlicht.

1

Siehe Sigrid Berka, Susanne Moser, Yvanka Raynova (Hrsg.), Die Feministische Philosophie: Perspektiven und Debatten. Sofia: Nauka i izkustvo, 2000. Referentinnen an der Konferenz waren Herta Nagl-Docekal, Cornelia Klinger, Hedwig Meyer-Wilmes, Alison Jagger und Yvanka B. Raynova. 2 Siehe hier den zweiten Teil des ersten Kapitels "Geschichte und Entwicklungen der feministischen Philosophie und der philosophischen Geschlechterforschung in 'Osteuropa'".

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Feministische Philosophie – Frauenforschung – Gender Studies. Im Gespräch mit Herta Nagl-Docekal* Y. R.: Wenn man sich die Fachliteratur genauer ansieht, fällt einem auf, dass man fast keine Hinweise darüber findet, wie und von wem der Begriff "feministische Philosophie" zum ersten Mal eingeführt worden ist. Könnten Sie uns etwas Näheres darüber sagen? H. N.-D.: Im ersten Sammelband zum Thema – Feminism and Philosophy1 – sind die beiden Begriffe Feminismus und Philosophie getrennt. Offensichtlich haben die Herausgeber damals den Begriff "feminist philosophy" noch nicht gekannt, sonst hätten sie ihn gewiss im Titel des Buches verwendet. Es war dies der erste Sammelband, der nicht interdisziplinär gestaltet, sondern ausschließlich dem Thema "Philosophie und Feminismus" gewidmet war. Ob in einem der Beiträge zu diesem Band der Begriff "feminist philosophy" bereits verwendet wird, kann ich nicht sagen. Ist dies nicht der Fall, ist es ein gutes Indiz dafür, dass damals der Begriff noch nicht existiert hat. Y. R.: Nun, Alison Jaggar behauptet, dass sie die Erste war, die über feministische Philosophie geschrieben hat. Wer kommt jetzt zuerst, Carol Gould oder Alison Jagger?2 H. N.-D.: Ich sehe hier keinen Widerspruch, sondern einen Unterschied in der Akzentsetzung. Carol Gould hat sicher das * Herta Nagl-Docekal ist Professorin am Institut für Philosophie der Universität Wien. 1 Siehe Carol C. Gould, Marx W. Wartovsky (Hrsg.), Feminism and Philosophy. Toward a Theory of Liberation. New York: Putnam's Sons, 1976. 2 Meine Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass die ersten Beiträge zum Thema feministische Philosophie von Hilde Hein und Alison Jaggar stammten (siehe Yvanka Raynova "Feministische Philosophie? Genealogie einer umstrittenen Ehe", in: Sigrid Berka, Susanne Moser, Yvanka Raynova (Hrsg.), Die Feministische Philosophie: Perspektiven und Debatten, Sofia: Nauka i izkustvo, 2000, 127-128; siehe den ersten Paragraph im ersten Kapitel hier). Wichtig war es mir also, wie Herta Nagl-Docekal das sieht.

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Feministische Philosophie – Frauenforschung – Gender Studies

erste Buch zum Thema – den eben zitierten Aufsatzband – (mit)herausgegeben. Der Anspruch, den Alison Jaggar – u. a. in ihrem Wiener Interview3 – erhebt, geht dahin, dass sie die Erste war, die im Rahmen der American Philosophical Association (APA) einen Vortrag über feministische Philosophie gehalten hat. Da sie diesen Anspruch gewiss zu Recht erhebt, lässt sich also sagen: Es war Carol Gould, die das erste Buch veröffentlichte, und Alison Jagger, die den ersten Vortrag im Rahmen der APA – also vor einem großen öffentlichen Fachforum – gehalten hat. Y. R.: In dem Einleitungsbeitrag zu Feministische Philosophie machen Sie einen wichtigen Unterschied zwischen "philosophischer Frauenforschung" und "feministischer Philosophie".4 Könnte man daraus schließen, dass der Begriff "feministische Philosophie" ein breiter gefasster Begriff ist als der Begriff "philosophische Frauenforschung", zum einen, weil er sich auf beide Geschlechter bezieht und, zum anderen, weil er alle Bereiche der Philosophie umfasst? H. N.-D.: Inwiefern der Begriff "philosophische Frauenforschung" enger ist, möchte ich an einem Beispiel erläutern. Im deutschsprachigen Bereich erschien auf diesem Gebiet zuallererst der Band Was Philosophen über Frauen denken, herausgegeben von Annegret Stopczyk.5 Es ging also zunächst – und das ist nahe liegend – darum, die klassischen Werke der Philosophie, angefangen bei den Griechen, daraufhin zu untersuchen, wo die Frauen vorkommen. Das heißt, man hat erkundet, was Plato, Aristoteles und andere über die Frauen, über die Ehe und das Geschlechterverhältnis insgesamt denken. Diese Suche nach dem Thema "Frau" war eine genuine Aufgabe der philosophi3 "Feministische Philosophie – ein Randproblem? Mit den amerikanischen Philosophinnen Seyla Benhabib und Alison Jaggar sprachen Herta NaglDocekal und Herlinde Pauer-Studer", in: Falter, 27, 1990, 8-9. 4 Herta Nagl-Docekal, "Was ist Feministische Philosophie?", in: ders. (Hrsg.) Feministische Philosophie, Wien-München: Oldenbourg, 1990, 11-12. 5 Annegret Stopczyk, Was Philosophen über Frauen denken, München: Matthes und Seitz, 1980.

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

schen Frauenforschung. Dagegen ist der Begriff "feministische Philosophie" insofern weiter, als diese auch aufzeigt, wo die Frauen nicht vorkommen, obwohl sie thematisiert werden müssten. Feministische Philosophie fragt etwa: Wo gibt es Gerechtigkeitsbegriffe, die einen Ausschluss der Frauen implizieren? Dies ist z. B. der Fall in der gesamten ursprünglichen Tradition der liberalistischen Gerechtigkeitstheorie, wo allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien zwar entwickelt, jedoch nicht auf die Frauen angewendet werden. Man denke hier an die Geschichte des Begriffs "Staatsbürgerschaft" – der moderne Staatsbürger war zuerst nur als Mann gedacht. Das heißt, wenn man ausschließlich betrachtet, was bei den Philosophen über die Frauen geschrieben steht, entdeckt man manche Probleme nicht, nämlich die Leerstellen, an denen die Frauen nicht berücksichtigt werden. Y. R.: Heißt das, man müsste die philosophische Frauenforschung durch die feministische Philosophie erweitern, wobei der dritte Moment dann die positive Ausarbeitung von alternativen philosophischen Begriffen, Konzeptionen und Geschlechtermodellen wäre? H. N.-D.: Man kann natürlich feststellen, dass der Sprachgebrauch nicht einheitlich ist. Es ist eine Sache, die Begriffe "philosophische Frauenforschung" und "feministische Philosophie" genau zu unterscheiden – wie wir es eben getan haben, doch zugleich verhält es sich so, dass der Ausdruck "philosophische Frauenforschung" oft auch für weitergehende Projekte verwendet worden ist, die man heute als "feministische Philosophie" bezeichnet. Dazu ein Beispiel: Am Philosophischen Institut der Universität Wien haben wir in den achtziger Jahren eine Arbeitsgruppe für philosophische Frauenforschung gegründet. Die Wahl des Namens lag nur daran, dass die Institutskonferenz eine Arbeitsgruppe unter dem Titel "feministische Philosophie" nicht bewilligt hätte. Dies war zumindest unsere Befürchtung. Das heißt, wir haben eine "harmlosere" Bezeichnung gesucht, da "Feminismus" damals ein so anstößiger Begriff war. Heute ist 180

Feministische Philosophie – Frauenforschung – Gender Studies

jedoch der Begriff "Frauenforschung" insgesamt kaum mehr in Gebrauch. Im englischen Sprachraum ist dies anders. Die Women's Studies gibt es bis jetzt an den amerikanischen Universitäten, und in diesem Rahmen wird natürlich auch feminist theory betrieben, nicht nur Frauenforschung im engen Sinn. Kurz gesagt: Ursprünglich hat sich der Begriff "Frauenforschung" deshalb entwickelt, weil es noch um ein viel eingeschränkteres Projekt gegangen ist; als dann immer mehr und weitergehendere Fragen hinzukamen, hat sich auch die Bezeichnung verändert – feministische Philosophie, Gender Studies, Geschlechterforschung. Zugleich aber bleibt ein Terminus wie Women's Studies bis heute aktuell. Y. R.: Ist aber der Begriff "Gender Studies" nicht ein breiterer Begriff als "feministische Philosophie", da er nicht nur mit philosophischen Fragestellungen zu tun hat? Philosophie ist ja nur einer der Forschungsbereiche der Gender Studies. H. N.-D.: Darauf möchte ich zwei Antworten geben. Die eine geht dahin, dass von Anfang an alle Bezeichnungen, über die wir gesprochen haben, nicht nur das Fach Philosophie betrafen: "Frauenforschung" hat es etwa in der Soziologie und in der Geschichtswissenschaft genauso gegeben wie in der Philosophie. Was den Begriff "feministische Philosophie" betrifft, so steht er im Zusammenhang mit dem Begriff "feministische Theorie", der als allgemeine Bezeichnung für die Auseinandersetzung mit theoretischen Fragen wiederum in der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Psychoanalyse usw. verwendet wird. Genauso kann man sagen, dass Gender Studies, wie die Women's Studies, in all diesen Fächern vertreten sind, und dass es auch den Anspruch der Gender Studies in der Philosophie gibt. Das heißt also, alle Begriffe, die wir bis jetzt verwendet haben, haben den weiten interdisziplinären Aspekt, dass sie sich in vielen Bereichen der geistes- und humanwissenschaftlichen Forschung finden. Auch die Abfolge von der Frauenforschung zur feministischen Forschung war überall dieselbe, wie z. B. in der Geschichtswissenschaft die

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Ablösung der "Frauengeschichte" durch die "feministische Geschichtswissenschaft" zeigt. Nun zum zweiten Teil meiner Antwort hinsichtlich der Gender Studies. Man könnte auch dazu übergehen, die Bezeichnung "feministische Philosophie" durch "Gender Studies im Fach Philosophie" zu ersetzen. Aber zugleich ist zu bedenken, dass es bei der Differenz zwischen feministischer Philosophie und Gender Studies schon noch einmal um einen Unterschied fachlicher Art, nicht nur um einen terminologischen Unterschied, geht. Was in den Gender Studies im Vordergrund steht, ist, dass man nicht mehr die Frauen fokussiert, auch nicht unter dem Thema "Benachteiligung der Frauen" oder "Geschlechterhierarchie", sondern in einem weiteren Sinne die Beziehung zwischen den Geschlechtern in allen Lebensbereichen untersucht. Das heißt, die Genderforschung setzt dezidiert auf die Einbeziehung beider Geschlechter. Darum ist es wichtig gewesen, dass man vom Terminus "feministisch" noch einmal abgeht. Gender Studies sind nicht nur Frauenforschung, aber auch nicht nur feministische Forschung, sondern nehmen eine Erweiterung auf beide Geschlechter vor. Zum anderen haben Frauen die Genderforschung aus feministischer Perspektive gerade deshalb kritisiert und daran erinnert, dass über beide Geschlechter auch Philosophen gesprochen haben, die die Meinung vertreten, der öffentliche Bereich stehe nur den Männern zu, und die häusliche Sphäre sei das eigentliche Reich der Frauen. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass mit dem allgemeinen Begriff "Gender Studies", auch dort, wo er nur auf philosophische Forschungen bezogen wird, der kritische, emanzipatorische Impuls, der mit der feministischen Forschung verbunden ist, verloren geht. Das muss nicht so sein, aber das kann so sein. Die Gender Studies könnten in der Philosophie und in anderen Disziplinen dazu führen, dass der gesellschaftskritische Impetus ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher kann man nicht einfach sagen: Jetzt ist der zeitgemäße Ausdruck "Gender Studies" und nicht mehr

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"feministische Philosophie" oder "feministische Geschichtswissenschaft" etc., da hier stets eine thematische Spannung besteht. Y. R.: Worin besteht dann der Unterschied zwischen feministische Forschung und Frauenforschung? H. N.-D.: Um die Antwort gleich mit einer Anekdote zu verbinden: An der medizinischen Fakultät der Universität Wien wurde zunächst seitens der Gynäkologen behauptet: "Wir machen ja immer schon Frauenforschung". Dies führte zu einer zugespitzten Situation, als das Wissenschaftsministerium ein Sonderbudget für Lehraufträge auf dem Gebiet der Frauenforschung zur Verfügung stellte und die medizinische Fakultät dieses Geld für gynäkologische Forschungen in Anspruch nahm. Ich möchte also hinsichtlich Ihrer Frage darauf verweisen, dass immer zu beachten ist, in welchen Kontext ein Begriff gehört. Wenn man heute, egal wo im deutschen Sprachraum, den Begriff "Frauenforschung" verwendet, so ist für alle – auch für dem Feminismus nicht zugeneigte Wissenschaftler – klar, dass damit ein feministisches Forschungsprojekt gemeint ist. In diesem Sinne waren bereits die ersten Ansätze der Frauenforschung in den frühen siebziger Jahren, die sich noch auf einfache Anfangsfragen beschränkten, von einem feministischen politischem Interesse getragen, unabhängig davon, wie sie sich nannten. Kurz: Wenn heute von Frauenforschung die Rede ist, weiß jeder, dass dieser Begriff vom Anfang der siebziger Jahre an feministisch gemeint war. Andere die Frauen betreffenden Themenbereiche werden nicht Frauenforschung genannt. Wenn etwa an der Juridischen Fakultät über Scheidungsgesetze oder Abtreibungsbestimmungen gesprochen wird, würde heute niemand sagen, das sei Frauenforschung. Y. R.: Ich verstehe, aber ich will dennoch auf meine eigentliche Frage zurückkommen: Was ist der Unterschied zwischen einem feministischen Wissen und einer Forschung von Frauen über Frauen, die keine feministische Methodologie anwendet? 183

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Denn unter dem "realen Sozialismus" gab es ja auch Frauenforschungen, aber sie waren nicht feministisch und oft waren sie sogar antifeministisch. Damit ist auch eine ursprünglichere Frage verbunden, nämlich, wo liegt der Unterschied zwischen einer feministischen Bewegung und einer Frauenbewegung? Ist jede Frauenbewegung auch schon eine feministische Bewegung? H. N.-D.: Zum Teil habe ich diese Fragen schon beantwortet. Das Thema "Frau" ist natürlich das breitere Thema, wie ja auch das Beispiel der Gynäkologie zeigt. Jetzt haben Sie aber das Thema etwas anders formuliert, indem Sie es auf den Begriff "Frauenbewegung" bezogen haben. Dazu würde ich sagen, dass alle Frauenbewegungen, die sich diesen Namen gegeben haben, für mich unter den Begriff "Feminismus" fallen, da sie alle ihren Ausgangspunkt darin hatten, dass die bestehende Lage von Frauen als eine Lage der Benachteiligung beurteilt wurde. So ging es etwa den Frauen in der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert bzw. zur Jahrhundertwende um die Forderung "gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Im Rahmen der Gewerkschaftsbewegung im deutschsprachigen Raum forderten Frauen in den zwanziger Jahren besondere Mutterschutzbestimmungen; sie setzten sich dafür ein, dass nach einer Geburt die Frau noch eine gewisse Zeit lang Lohnfortzahlungen erhält. Diese Beispiele stammen aus dem Gebiet des Arbeitsrechts, doch gilt dasselbe hinsichtlich des Themas "Staatsbürgerschaft". Die Bewegung, die sich im Zuge der Forderung nach dem Frauenwahlrecht in ganz Europa bzw. der ganzen Welt ausbildete, war getragen von dem feministischen Gedanken: Als Staatsbürger müssen Männer und Frauen gleich behandelt werden, und dies gilt sowohl für das aktive als auch das passive Wahlrecht. Damit will ich sagen, dass, angefangen von Olympe de Gouges zur Zeit der Französischen Revolution, der Kern der von Frauen erhobenen Forderungen für mich dem Begriff "Feminismus" entspricht – es ging damals wie heute um ein Auflehnen gegen die Benachteiligung der Frauen auf Grund ihres Geschlechts. Ein weiteres Beispiel von Diskriminierung ist, dass es 184

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das ganze 19. Jahrhundert hindurch kein Frauenstudium an Europäischen Universitäten gab. Auf Grund ihres Geschlechts blieben selbst die begabtesten Frauen von den höheren Schulen und den Universitäten ausgeschlossen. Als dann Frauen in Österreich bereits studieren durften, wurde den ersten promovierten Wiener Medizinerinnen das Recht verweigert, ihren Beruf auch auszuüben. So war der Kampf der Frauenbewegung auch auf diesem Gebiet "feministisch", insofern die Benachteiligung von Frauen die zentrale Herausforderung bildete. Natürlich gibt es auch Vereine von Frauen, die sich treffen, um abends zusammen zu stricken. Dagegen habe ich selbstverständlich nichts einzuwenden, aber es gilt doch zu bedenken, dass Frauen durch einen Verein dieser Art eher in ihrer traditionellen Situierung bestärkt als dazu angeregt werden, sich damit kritisch auseinander zu setzen. Y. R.: Nehmen wir aber das Etikett "Ismus", das heißt den Feminismus als eine Art wissenschaftlichen Diskurs, der nach 1968 entstanden ist. Dieser Feminismus im engeren Sinne, der dazu beigetragen hat, dass man unter "Feminismus" auch weitläufig nur ein Produkt des "Westens" versteht, ist ja doch etwas ganz anderes als das, was zu diesem Zeitpunkt in den "osteuropäischen" Staaten als Frauenforschung im Rahmen der marxistischen Ideologie betrieben wurde. Es gab ja Frauenverbände und Frauenzeitschriften auch unter dem Sozialismus, nur die Frage ist ob sie auch feministisch waren. H. N.-D.: Ich sehe schon das Problem, aber ich muss dazu sagen, dass ich die Lage in den sozialistischen Ländern nicht genug kenne. Daher kann ich nur von meiner allgemeinen Perspektive ausgehend festhalten, dass ich mich stets dagegen ausgesprochen habe, den Begriff "Feminismus" sehr eng zu definieren, da dies immer dazu führt, dass manche ein Definitionsmonopol in Anspruch nehmen: "Wir sind die eigentlich Feministischen und ihr anderen seid ja im Grunde gar nicht feministisch". Dabei kommt es auch oft zu einer emotionalisierten Ausgrenzung und Polarisierung, die ich für kontraproduktiv halte. Ich 185

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denke also, dass man von Fall zu Fall im Einzelnen untersuchen muss, was die jeweilige Stoßrichtung der Argumentation ist. Die Bezeichnung "feministisch" ist dann gerechtfertigt, wenn das Interesse auf – ich sage das jetzt sehr allgemein – "Gerechtigkeit für Frauen" gerichtet ist, sei es in der innerfamiliären Aufteilung von Hausarbeit und Erziehung, sei es am Arbeitsplatz oder in der Politik. Ich teile auch die Meinung von Nancy Fraser, dass es hinsichtlich der "Gerechtigkeit für Frauen" überdies zu beachten gilt, wie die Freizeit verteilt wird. Warum gibt es so viele Männer in Kegelklubs und an Stammtischen? Wie empirische Untersuchungen zeigen, arbeiten Frauen in der Regel viel mehr Stunden pro Tag als Männer. Das heißt, es geht im Feminismus darum, die Asymmetrien auf Grund des Geschlechts in allen Bereichen der Gesellschaft zu beseitigen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch Folgendes erwähnen: Am Beginn der neunziger Jahre haben wir hier in Wien eine kleine Tagung zum Thema "Feminismus in West- und Osteuropa" veranstaltet, zu der wir Philosophinnen aus den Nachbarländern – aus Ungarn und damals noch der Tschechoslowakei – einluden. Damals ist mir klar geworden, dass man die im Westen entwickelten Kategorien der feministischen Kritik nicht einfach auf andere Länder übertragen darf. Ich denke, heute eine feministische Debatte in Osteuropa – wenn ich das so pauschal geographisch sagen darf – aufzunehmen, kann nicht in der Form geschehen, dass Kategorien, die im Blick auf westliche Verhältnisse entwickelt wurden, einfach zur Anwendung gebracht werden. Dazu ein Beispiel. Ein Schwerpunkt der westlichen feministischen Debatte zum Thema "Familie" war eben die Tatsache, dass nach wie vor die häusliche Sphäre als das Reich der Frau gesehen wird, im Sinne des "klassischen" Modells der Frau als Hausfrau und Mutter. Die Erfahrung in Osteuropa war hingegen eine ganz andere; wie ich von Tschechien gehört habe, waren dort seit dem zweiten Weltkrieg 90% der Frauen berufstätig. Daher war dort die Familie nicht "das Reich der Frau" im Sinne

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der Gegenüberstellung zur öffentlichen Sphäre als Welt des Mannes. Die westliche feministische Kritik würde daher nicht greifen, sollte sie einfach auf die Realität der sozialistischen Länder nach dem zweiten Weltkrieg umgelegt werden. Dem entspricht andererseits, dass sich hierzulande spezifische Probleme hinsichtlich der Kinderbetreuung stellen. Speziell in Tirol müssen Frauen nach wie vor darum kämpfen, dass ein ausreichendes Budget für Kindergartenplätze zur Verfügung gestellt wird, um die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern zu ermöglichen. Es ist bis heute nicht zu einer wirklichen Lösung dieses des Problems gekommen; entweder wird der Kindergarten nur für vier Stunden eingerichtet, während die Frauen beruflich länger arbeiten müssen, oder es gibt, insbesondere im ländlichen Bereich, überhaupt zu wenig Kindergärten. Dieses Problem hat in den sozialistischen Ländern offenbar nie in dieser Form existiert, denn es gab dort Werkskindergärten in einem Ausmaß, das bei uns nur ein Traum geblieben ist. Ich möchte noch ein Beispiel aus einem anderen Teil der Welt hinzufügen. Als ich in Berlin Gastprofessorin war, nahmen eine Reihe männlicher Kollegen aus Südkorea, die mit Forschungsstipendien für Philosophie nach Deutschland gekommen waren, an meiner Lehrveranstaltung zur feministischen Philosophie teil. Sie berichteten mir anschließend über die Anliegen von Feministinnen in Südkorea. Das sind komplett andere Anliegen, als wir sie hier kennen. In erster Reaktion nimmt sich z. B. die von Koreanerinnen erhobene Forderung nach einer gesetzlich verfügten Bestrafung von Ehebruch aus westfeministischer Sicht als sehr konservativ aus. Doch geht es, so wie mir die Lage geschildert wurde, darum, dass die Frauen ökonomisch in solchem Maß abhängig sind, dass es eben sehr wichtig ist, ob ein Mann für seine Familie weiter finanziell aufkommt oder nicht. Auch im Blick auf die Pensionsaussichten und insgesamt die Altersperspektive der Frauen in Südkorea erscheint es durch-

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aus nicht abwegig, wenn dort unter dem Titel "Feminismus" ganz andere Forderungen erhoben werden. Man kann also nicht generell sagen: "Der Feminismus fordert dies und jenes"; vielmehr bedeutet ein feministisches Engagement, in jedem Land konkret zu untersuchen, ob und, wenn ja, auf welche Weise Frauen auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt sind. Freilich gibt es auch allgemeine, auf alle Länder anwendbare Forderungen, wie das Recht auf Wohnung bzw. alle Ansprüche, die unter dem Titel "Menschenrechte" formuliert sind. Wo es hingegen regional konkreter wird, z. B. in arbeitsrechtlichen Fragen, scheinen mir allgemeine Forderungen nicht angebracht. Ich möchte dies erneut an einem Beispiel aus Österreich erläutern. In den zwanziger Jahren forderten Feministinnen in den Gewerkschaften das Nachtarbeitsverbot für Frauen. Der Leitgedanke war dabei: Frauen, die nachts arbeiten, kommen in der Früh nach Hause und können nicht schlafen gehen, weil die Kinder gerade aufstehen und versorgt werden müssen. Das Verbot der Nachtarbeit für Frauen war somit ein Teil der Mutterschutzforderung. Heute fordern hingegen feministische Gewerkschafterinnen im gleichen Land die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots, da es für Nachtarbeit finanzielle Zuschläge gibt, das heißt, eine Möglichkeit mehr zu verdienen, die den Männern offen steht, aber nicht den Frauen. Verwiesen wird u. a. darauf, dass es alleinstehende Frauen gibt, die keine kleinen Kinder haben und genauso gut in der Nacht arbeiten und untertags schlafen können wie Männer. Was ich damit zeigen will, ist, dass sich der Inhalt der Forderungen zwar geändert hat, das Motiv aber in beiden Fällen ein legitim feministisches ist, da es jeweils darum ging bzw. geht, zu einer konkreten Benachteiligung von Frauen in unserem Land, hier und jetzt, eine Gegenstrategie, mittels einer Rechtsnovellierung, zu finden. Y. R.: Aber geht es im Feminismus nicht um etwas mehr, als nur um die Abschaffung der Benachteiligung der Frauen, nämlich um den Abbau der patriarchalen gesellschaftlichen 188

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Strukturen und die Dekonstruktion der patriarchalen Denkmuster, etwas, was meines Erachtens Weitgreifenderes ist? Es geht jetzt nicht darum, neue Ausschlüsse zu produzieren, aber Tatsache ist, dass nach dem zweiten Weltkrieg, obwohl in den sozialistischen Ländern sehr viel für die Frauen getan wurde, die offiziellen Frauenverbände oft nur rein ideologische Funktionen zu erfüllen hatten. Damit haben sie nicht so sehr feministischen Zielsetzungen gedient, sondern einer Männerpolitik und einer Ideologie, die sich im Endeffekt als patriarchal erwiesen hat. H. N.-D.: Ich sehe jetzt noch nicht, wo wir beide hier einander widersprechen würden, denn der Begriff "patriarchale Strukturen" bezieht sich aus meiner Sicht ja auf nichts anderes als eine Asymmetrie zum Vorteil der Männer. Wenn es nun Frauenverbände gab, die nichts gegen die Benachteiligung von Frauen unternommen haben, so gehörten sie ohnehin nicht zu einer feministischen Bewegung. Einen Zusammenschluss von Frauen würde ich, wie gesagt, nur dann "feministisch" nennen, wenn das Ziel verfolgt wird, bestehende Asymmetrien, in denen Frauen benachteiligt sind, zu durchbrechen. Damit sind, jetzt ins Positive gewendet, sehr unterschiedliche Anliegen verbunden. Es geht zum einen um Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung von Frauen und Männern, wie ich dies anhand der Beispiele des Wahlrechts, des Zugangs zur Schul- und Universitätsbildung, oder auch der freien Wahl des Wohnsitzes erläutert habe. Doch diese formale Seite reicht nicht aus. Sie ist nur der erste Schritt, da sich, jedenfalls in den westlichen Ländern, gezeigt hat, dass auch dort, wo die formalrechtliche Gleichstellung der Frauen schon erfolgt ist, die tatsächliche Inklusion von Frauen noch immer prozentuell sehr niedrig ist. So ist interessant, dass es heute im österreichischen Parlament weniger Frauen gibt als 1920, unmittelbar nach der Einführung des passiven Wahlrechts für Frauen. Dieser niedrige Prozentsatz von Frauen im Parlament steht in eklatantem Widerspruch zur Zahl der Frauen in der Gesamtbevölkerung. Ich denke, vielleicht war es das, was Sie 189

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mit dem Thema "patriarchale Strukturen" ansprechen wollten. Aber dazu würde ich sagen, dass die Aufgabe einer Frauenbewegung – im Sinne einer feministischen Zielsetzung – nur in mehreren Schritten umgesetzt werden kann. Zuerst wären einmal die rechtlichen Bürden zu beseitigen, wo die Gesetze nach wie vor eine Benachteiligung von Frauen zulassen. Es war in Österreich z. B. lange möglich, Stellenausschreibungen geschlechtlich zu spezifizieren und etwa zu formulieren: "Hilfsarbeiterin gesucht" oder "Betriebsleiter gesucht", wobei die Differenz zwischen niedrigem und höherem Lohn auf der Hand liegt. So etwas kann man auf rechtlichem Weg beseitigen, indem festgelegt wird, dass alle Posten geschlechtsneutral ausgeschrieben werden müssen. Damit ist es möglich, gegen eine andere Art der Ausschreibung zu klagen. Das heißt, mittels des Rechts kann – und muss – viel getan werden zur Gleichstellung von Frauen. Aber das reicht, wie sich gezeigt hat, nicht aus, um die Dominanz der Männer im öffentlichen Leben zu überwinden. Wenn man etwa betrachtet, wie schwer es für Künstlerinnen ist, eine Galerie zu finden, die sie ausstellt, oder ein Museum, das ihre Werke kauft, wird unmittelbar deutlich, dass über die formale Gleichberechtigung hinaus noch etwas geschehen muss. Hier würde ich das Thema der Dekonstruktion ansiedeln, das heißt die Zielsetzung, Denktraditionen bewusst zu machen, die mit deformierten Bildern von dem, was man sich als typisch "weiblich" oder typisch "männlich" vorzustellen hat, operieren. Aber ich sehe das nicht als Widerspruch zum vorher Gesagten, sondern beziehe es darauf, dass noch viele weitere Schritte zu tun sind im Zeichen der Frage: "Was muss alles geschehen, um die bestehenden Asymmetrien abzubauen und den Frauen volle Anerkennung zu sichern?" Y. R.: Noch eine letzte Frage. Sie geben zwar keine strikte Definition von feministischer Philosophie, aber sie benützen folgende Formel: "Feministische Philosophie ist Philosophieren

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am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau."6 Doch nehmen wir an, dass eines Tages, nach zwei- oder dreihundert Jahren, die Frauen völlig "befreit" sind und es keine Geschlechterasymmetrie mehr gibt (vielleicht gäbe es ja dann auch keine "Frauen" und kein Geschlecht). Heißt das, dass man dann auch keine feministische Philosophie mehr brauchen wird? Anders gesagt, würde die Befreiung der Frau das Ende der Feministischen Philosophie bedeuten? H. N.-D.: Ich würde an diesem Punkt differenzieren zwischen (feministischer) Frauenbewegung und feministischer Philosophie als einer theoretischen Aktivität. Als Alison Jaggar zum ersten Mal in Wien war, hat sie in dem vorhin zitierten Interview die Frauenbewegung als etwas "Transitorisches" bezeichnet, das seine Aufgabe erfüllen kann, so wie die Sklavenaufstände im antiken Rom ihre Aufgabe erfüllt hatten, sobald die Sklavenbefreiung vollzogen war, und wie Bauernaufstände hier in Mitteleuropa nicht mehr notwendig waren, sobald die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben wurde. Wenn also ein politisches Ziel voll umgesetzt ist, hat sich die diesbezügliche Form politischer Aktivität erübrigt, und man kann sich mit anderen Problembereichen in der Gesellschaft auseinandersetzen. Anders verhält es sich aber in der Theoriebildung. Menschliche Dinge haben es so an sich, dass Rückfälle nie auszuschließen sind. Die Gefahr, dass bestimmte Gruppierungen in eine Machtposition gelangen, die es ihnen ermöglicht, andere Menschen wieder zu versklaven, kann man nie als zur Gänze beseitigt betrachten. Deshalb wird man auch zu keinem Zeitpunkt sagen können: "Jetzt sind die Frauen für immer befreit", sondern man muss stets vor einer Wiederaufnahme allzu bekannter Unterdrückungsmechanismen warnen. Dazu ein aktuelles Beispiel: Selbst konservative Juristen sprechen heute explizit davon, dass es in Europa eine neue Form der Versklavung gibt, insofern im Kon6 Herta Nagl-Docekal, "Was ist Feministische Philosophie?", in: ders. (Hrsg.), Feministische Philosophie, Wien: Oldenbourg, 1990, 11.

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text der internationalen Organisierung von Prostitution Frauen über Grenzen verschoben und gezwungen werden, unter Bedingungen völliger Rechtlosigkeit zu leben. Die gängige These, dass in Europa die Sklaverei vor vielen hundert Jahren ihr Ende gefunden hat, ist also damit zu konfrontieren, dass ein solches Ende in der Geschichte nie etwas Endgültiges ist. So könnte es vielleicht einmal dazu kommen, dass es keinen aktuellen Bedarf für eine feministische Bewegung gibt, weil es selbstverständlich geworden ist, dass Frauen in allen Berufsgruppen und politischen Funktionen gleichberechtigt partizipieren. Aber der Umstand, dass man stets vor Rückfällen auf der Hut sein muss, bringt eine permanente Aufgabe für die Theoriebildung mit sich. Ich denke hier daran, dass Philosophie und die Geisteswissenschaften den Charakter eines Präsenthaltens von historischen Erfahrungen haben. Für die Rezeption der Geschichte der Philosophie bleibt die feministische Perspektive relevant, die nicht in Vergessenheit geraten lässt, was in den rechts- und moralphilosophischen oder anthropologischen Schriften der Klassiker der Philosophie an misogynen oder androzentrischen Formulierungen anzutreffen ist. Doch auch, wenn man an die Philosophie der Zukunft denkt, bleibt diese kritische Aufgabe bestehen: Die neu entwickelten Ansätze – in der philosophischen Anthropologie, in der Rechts- und Moralphilosophie, etc. – werden jeweils kritisch zu überprüfen sein im Zeichen der Frage, welche Konsequenzen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse sie nach sich ziehen könnten.

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Feministische Theologie in Europa. Im Gespräch mit Hedwig Meyer-Wilmes* Y. R.: Beginnen wir mit der Frage nach dem Anfang: Wie ist die European Society for Women in Theological Research (ESWTR) entstanden? Was waren die Anstöße dazu, und was sind die Hauptanliegen oder die Zielsetzungen? H. M.-W.: Die ESWTR entstand 1986. Wir haben einen Kongress in der Schweiz organisiert, der zum Stiftungskongress wurde. Die Teilnehmenden waren größtenteils Frauen aus den Akademien – sie arbeiteten dort als Pfarrerinnen und Theologinnen – und ein paar Universitätsfrauen. Der Anstoß dazu kam eigentlich vom ökumenischen Rat der Kirchen – das ist ein großer Zusammenschluss aller protestantischen und orthodoxen Kirchen weltweit. Dort gab es schon seit längerer Zeit eine Gruppe von Frauen, die sich mit der Frauenfrage in der Kirche beschäftigten und die schon seit Jahren versuchten, über eine angemessene Beteiligung von Frauen in den entsprechenden Kommissionen etwas zur Gleichberechtigung von Mann und Frau im kirchlichen Bereich zu tun. Zur Gründung der ESWTR kam es eigentlich durch die Diskussion, inwieweit Frauenthemen in der Theologie Eingang finden können und sich die Situation in den Kirchen, ähnlich wie die gesellschaftliche Entwicklung, verändern sollte. Es gibt bei den Theologinnen eigentlich eine große Gruppe, die entweder bekennend oder in Sozialgruppen aktiv sind oder eben wissenschaftlich arbeiten, so dass man das Bedürfnis hatte, diese unterschiedlichen Interessen in entsprechende Gesellschaften zu gießen und durch die Existenz dieser Gesellschaften den bestehenden Problemen Ausdruck zu verleihen. So kam es 1986 zum Aufbau der Europäischen Gesellschaft für Theologische Forschung von Frauen und zwei *

Hedwig Meyer-Wilmes ist Professorin an der Theologiefakultät der Universität Radboud Universiteit Nijmegen und ehemalige Präsidentin der European Society for Women in Theological Research (ESWTR).

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Jahre später zur Bildung des Christlichen Forums für Frauen in Europa. Das Interessante ist, dass diese Stiftungsgeschichte in der Theologie in Europa sozusagen einmalig ist, weil unsere Gesellschaft überhaupt die erste europäische Gesellschaft für Theologie und Religion ist. Im Laufe der letzten Jahre sind noch weitere entstanden. Y. R.: Was für welche sind entstanden, weitere Gesellschaften für Theologie oder speziell für feministische Theologie? H. M.-W.: Für Theologie überhaupt! Für die feministische Theologie sind wir sowieso die einzige Gesellschaft, aber es gab in der gesamten Theologie keine europäischen Gesellschaften und das sage ich deswegen, weil das Interesse der Frauen, die Mitglieder geworden sind, natürlich damit zu tun hat, dass sie eben feministische Theologie betrieben und thematisieren wollten, aber dass es auch ein europäisches Interesse war, weil die europäische Theologie eigentlich sehr starke Traditionen hat. Obwohl die feministische Theologie hauptsächlich durch die Rezeption amerikanischer Werke gelebt hat – die ersten wurden schon in den siebziger Jahren übersetzt – bekam man schon sehr bald das Gefühl, dass der Weg der Europäerinnen, was die Themen und die Ausrichtungen betrifft, doch ein anderer ist. Man war überzeugt, dass bei diesem großen amerikanischen Gewicht in der Frauendebatte es notwendig ist eine eigene Struktur zu bilden, die dem europäischen Gesichtspunkt Ausdruck verleiht. Y. R.: In einem der ESWTR-Jahrbücher gibt es einen Beitrag,1 in dem die Geschichte der feministischen Theologie in zwei Perioden geteilt wird: Von den sechziger Jahren bis 1974, und von 1974 bis heute. Sie haben erwähnt, dass in den siebziger Jahren hauptsächlich amerikanische Werke ins Deutsche übersetzt wurden. Wie interpretieren Sie eigentlich die Geschichte? Geht es 1

Siehe Catharina Halkes, "Towards a History of Feminist Theology in Europe," in: Annette Esser, Luise Schottroff (Hrsg.), Feministische Theologie im europäischen Kontext. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1993, 11-36.

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in dieser ersten Periode wirklich nur um eine Rezeption vom Amerikanischen, z. B. von Mary Daly? H. M.-W.: Mary Daly hat sicher eine große Rolle gespielt, weil sie in einer sehr radikalen sprachlichen Form die männlichen Gottesbilder seziert hat. Aber ich denke, wenn man nach den Faktoren fragt, dann würde ich die Einteilung ein bisschen anders machen. Von feministischer Theologie spricht man eigentlich erst seit Ende der siebziger Jahre – deswegen habe ich vorhin den Weltrat der Kirchen erwähnt; genauer genommen seit einer weltweiten Sexismuskonferenz, die 1974 in Berlin stattfand. Dort wurden auch die feministischen Theologinnen der ersten Stunde, wie z. B. Elisabeth Nortwand-Wendl aus Deutschland und Catharina Halkes aus den Niederlanden, als Referentinnen eingeladen. Das waren aber Frauen, die auch in ökumenischen Zusammenhängen eine Rolle spielten. Also, wenn man fragt, wieso in Europa zu diesem Zeitpunkt von feministischer Theologie die Rede ist, dann muss man sagen, dass es drei Faktoren dafür gibt. Das ist zum Ersten die Sichtbarwerdung der gesellschaftlichen Frauenbewegung; zum Zweiten das gute Unterfutter, das der Weltrat der Kirchen, also die ökumenische Bewegung eigentlich für die Organisation der Frauen und den Kontext geschaffen hatte, aus dem heraus sich dann die feministisch-theologische Debatte weiter entwickelte; zum Dritten kommt dann ein Faktor der gerade in den deutschsprachigen Ländern auch nicht zu verachten ist – die Wirkung des zweiten Vatikanischen Konzils (1964), wodurch die Frage der Beteiligung von Laien in der Kirche thematisiert wurde und die menschenrechtliche Diskussion innerhalb der Kirche in Europa startete, so dass es eigentlich von der Entwicklung her nur ein kleiner Schritt war, die Frauenfrage zu stellen. Diese drei Bewegungen haben das Gelände der feministischen Theologie gebildet, so dass es dann ziemlich schnell in Europa zu dieser Veränderung kam, die von den Einzelstimmen und Einzelkämpfern hin zu so etwas wie einer Bewegung führte.

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Y. R.: Sie haben erwähnt, dass die feministische Theologie von der ökumenischen Bewegung gekommen ist, an der die Orthodoxen schon am Anfang teilnahmen. Aber in der Orthodoxie sind die Frauen viel später zur Theologie gekommen und werden auch heute schwer zugelassen. Wie sieht es damit aus? H. M.-W.: Nun als Gruppe bekamen die Orthodoxen eigentlich erst in den letzten Jahren Macht und Einfluss im Weltrat der Kirchen. Es gab bis in die achtziger Jahre immer nur einzelne Kirchen, die sich angeschlossen haben. Deshalb wäre das Antirassismusprogramm der achtziger Jahre in der heutigen Konstellation des Weltkirchenrates auch gar nicht möglich gewesen. Insofern war die Situation im Weltkirchenrat zu der Zeit anders als heute. Y. R.: Bedeutet das einen Rückschritt – Rückschritt sowohl für die Theologie, als auch für den Feminismus? Und wäre er nur der Orthodoxie zu verdanken? Ich weiß nicht was sie für einen Einfluss hat, aber die russische Kirche wehrt sich ja gegen die Ökumene. H. M.-W.: Ja ich denke, heute ist die Situation, zumindest auf internationalem Niveau, schwieriger geworden. Die russische Orthodoxie wehrt sich tatsächlich gegen die ökumenische Bewegung, weil sie sie weiterhin mit westlichem, mit individualistischem Gedankengut identifiziert sieht. Das heißt der ganze Befreiungspathos – ich sage einmal der achtziger Jahre – und die Hoffnung, dass Demokratisierung automatisch Emanzipation erzwingt, was es zum Teil ja auch tut, ist in den westeuropäischen Ländern in Krise geraten, in dem Sinne, dass man auch um die Risiken dieser Entwicklung weiß. In so einer Situation kommt es leicht zur Konsolidierung der postkommunistischen Länder, wo anzahlmäßig die meisten orthodoxen Kirchen sind, die auch viel nationaler orientiert sind, als die westlichen Kirchen. Es geht aber auch um unterschiedliche Prozesse – Orthodoxie in Ungarn ist etwas ganz anderes als Orthodoxie in Russ196

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land. Auch Orthodoxie in Deutschland wird anders gelebt, sodass das Problem sich eigentlich verschärft, weil die Orthodoxie als solche kein homogener Block ist, wie man in den siebziger Jahren noch von den religiösen Traditionen immer geredet hat – es gab den Protestantismus, den Katholizismus, die Orthodoxie. Heute sind die Kirchen auch von dem Ausdifferenzierungsprozess betroffen, nur bei denen, die ganz klar organisiert sind fällt das einfach nicht so auf. Das ist ja auch das Problem mit dem Islam. Islamische Frauen haben an unserer Konferenz berichtet, dass der Islam eben nicht institutionell organisiert ist, dass er zersplittert ist. Y. R.: Inwieweit ist die These, bzw. das Bedenken der russischen Kirche berechtigt, dass die Ökumene eigentlich gar nicht den Dialog der Weltregionen anstrebt, sondern die Kontrolle und die Allmacht des Vatikans? Es gibt auch bulgarische Geistliche, die befürchten, dass ein Anschluss an die ökumenische Bewegung zum Verlust der Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche führen würde. H. M.-W.: Das ist völlig unmöglich, das kann nicht passieren, weil die ökumenische Bewegung nicht durch den Katholizismus getragen wird, also sicher nicht durch die katholische Amtskirche. Die letztere hat es auch nie für nötig gefunden, weil sie ja nach ihrem Verständnis die einzig wahre Kirche ist. Sie ist auch gar nicht Mitglied des Weltkirchenrates. Wenn ich versuche die Begründung dieser These zu verstehen, so scheint es mir, dass sie etwas damit zu tun hat, dass die orthodoxe Kirche in Russland das erste Mal in einer Situation ist, wo sie ihre Identität öffentlich präsentieren darf, und dass ich mir vorstellen kann, dass das auch ein Bedrohungsgefühl ist. Und vielleicht ist es auch faktisch eine Bedrohung, wenn man dann gleich wieder in der ökumenischen Bewegung aufgehen soll, was andere als Prozess verteilt über hundert Jahre mitgemacht haben. Es ist irgendwo verständlich, aber ich denke, dass es nur mit einer Phantasie zu tun hat über das, was Ökumene ist. Das relativiert 197

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sich aber wenn man in der Ökumene drin ist, denn es ist nicht mehr so, auch in den Diskussionen, wie es vor Jahren war. Niemand spricht mehr von der Einheit der Kirchen, das hat man in den Sechzigerjahren auch in der Theologie noch getan. Es wird vielmehr von der Verschiedenheit der Kirchen, von der Differenz der kirchlichen Gruppierungen gesprochen. Der ökumenische Prozess bedeutet eigentlich im Moment einen Konsolidierungsprozess von kirchlichen Institutionen gegenüber der Gesellschaft. Das wiederum ist eigentlich ein Modell, das von der Erfahrung in säkularisierten Gesellschaften lebt, die einerseits die Religion einschließt, aber andererseits faktisch ausschließt, indem sie keinen Einfluss mehr hat. Insofern kann ich diese Schwierigkeiten auch verstehen, denn das Ökumenemodell, das auf internationaler Ebene eine Rolle spielt, lebt immer noch sehr stark von dieser westlichen Situation. Y. R.: Schauen wir uns also die Differenzen näher an. Man erlebt sie auch an diesem Kongress sehr stark – sowohl auf der Mikroebene der westeuropäischen Theologie, d. h. der sehr unterschiedlichen Interessen und Aktivitäten der westlichen Theologinnen, als auch auf der Makroebene der Repräsentantinnen der "ersten" und "dritten" Welt, des Ostens und des Westens, des Südens und des Nordens. Einige Thesen wurden sehr stark angegriffen, eigentlich nur weil sie aus dem nicht-westeuropäischen Kontext der dritten Welt kommen – ich hörte manche Theologinnen verächtlich sagen: "Das ist bei uns schon vor dreißig Jahren gewesen ..." Wozu also Theologinnen aus verschiedenen Ländern zusammen bringen bzw. ungleichzeitige und inkommensurable Diskurse aufeinander stoßen zu lassen? Kann man überhaupt, oder ist es eine Utopie, an eine gemeinsame feministischtheologische Strategie denken? H. M.-W.: Ich werde zuerst mit den Unterschieden beginnen und dann auf die feministisch gefärbte Strategie eingehen. Diese Einschätzung – ich sage das jetzt mal ganz grob, – dass hier bei den Lesungen, bei den Vorträgen so ein Eindruck 198

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entsteht, und Frauen auch wirklich sagen: "Bestimmte Verhältnisse, die hier geschildert werden, die waren bei uns vor dreißig Jahren" – das ist dieses historische "Nachholmodell". Doch dieses Modell, nach dem der Osten unsere Entwicklung noch einholen muss, stimmt überhaupt nicht! Das merkt man auch durch die Organisation solcher Konferenzen. In den Diskussionen, wo das Thema Ost-West thematisiert wird, ist das schon deutlich geworden. Und da hat sich auch innerhalb der ESWTR etwas geändert – es wurde bis zu dieser Konferenz immer wie selbstverständlich von "Ost" und "West" geredet, aber jetzt haben die sogenannten "osteuropäischen" Theologinnen angefangen im letzten Jahr auch sich selber als Gruppe zu vernetzen. Sie haben also die Erfahrung gemacht, dass in ihrer Gruppe sie mindestens so viele Differenzen haben, wie in der großen Gruppe der Ost- und Westeuropäerinnen. Das ist insofern ganz heilsam, weil so eine Erfahrung einen auch sehr schnell ausscheren lässt aus dieser allgemeinen politischen Polemik und Einschätzung. Hier nun wiederum ist durch die Muslimfrauen die geographische und politische Zuordnung von "Ost" und "West" in Frage gestellt worden. Zum Beispiel, wenn an dieser Konferenz Frauen aus "asiatischen" Ländern teilnehmen, so hat das mit dem Selbstbild derjenigen zu tun, die zwar in Asien sind, aber sich dann als zwischen Asien und Europa begreifen. Das heißt die Definitionen von Europa, was "Ost" und "West" betrifft, werden am Ende dieser Konferenz sehr genau unterschieden werden müssen. Die traditionell politische Einteilung ist die geographische, doch unter den religiösen Gesichtspunkten sieht es noch mal ganz anders aus. Das Problem einer solchen Gesellschaft, wie die ESWTR, ist es eigentlich, dass wir keine Statusgesellschaft sind, die sich nur aus der Gruppe der Hochschullehrerinnen rekrutieren kann, denn das sind nur 20% der Mitglieder von 518. Anders gesagt, dadurch, dass die institutionelle Anbindung wegfällt, wird die Identitätsfrage noch wichtiger.

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Die nationale Identität, die europäische Identität und die Geschlechteridentität sind also das, was die Frauen als Fragen und als Material einbringen – und sie gehören nicht zu den Privilegierten dieser Gesellschaft und da mache ich mir auch keine Illusionen, wenn ich von Visionen für diese Gesellschaft spreche. Doch ich denke, es ist schon viel gewonnen, und es ist auch eine Erfahrung, die viele Frauen erzählen. Wenn man von so einer Konferenz zurückkommt, gerade wenn man das erste Mal da ist und es nicht mehr als Bedrohung empfindet, sieht man, dass es so viele Unterschiede gibt. Doch das, was ich hier gelernt habe ist nicht nur, dass es Unterschiede gibt, sondern dass es auch eine andere Form von Diskussion, von Dialog gibt. Die Dialoge kranken daran, egal, ob es die politischen Dialoge sind, oder die jüdisch-christlichen, oder die muslimisch-christlichen, dass immer so getan wird, als ob die Partner gleich seien. Die Machtproblematik, die im Feminismus so eine wichtige Rolle spielt, wird da ausgeblendet. Und weil sie im Feminismus eine wichtige Rolle spielt, kommen dann immer auch die Diskussionen, welche Positionen innerhalb des Machtgefälles wir einnehmen? Bloß, wenn man in dieser Diskussion stecken bleibt, bleibt man auch in der Selbstbeschreibung stecken: "Ja wir Osteuropäerinnen kommen immer zu kurz, oder müssen noch etwas einholen". Aber wenn man es hinbekommt von der Situation der betreffenden Länder auszugehen, was ja in dieser Konferenz auch versucht wurde, dann entsteht auch Verständnis dafür, dass es sehr wohl für die Polinnen z. B. eine Revolution ist, dass endlich eine Frau wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät geworden ist. Noch einmal, ich finde, dass die Ungleichzeitigkeiten von Entwicklungen, gar nichts mit Nachholen zu tun haben. Die sind inzwischen über Europa so verbreitet und so unterschiedlich. Die postkommunistischen Länder sind da noch mal anders in der Entwicklung als die zentraleuropäischen, und das sollte auch wahrgenommen werden.

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Y. R.: Wenden wir uns nun wieder der Theorie zu. Was kann die feministische Theologie der Theologie als solche bringen? Und womit würde sie den Frauen helfen? H. M.-W.: Was die Frauen angeht, ist das sehr unterschiedlich. Ich werde versuchen, dies vorerst soziologisch zu begründen. Ich denke, dass die Frauen die einzigen sind, die sich im Moment für Religion interessieren, zumindest in einer sichtbaren Weise. Das hat damit zu tun, dass in den ehemals kommunistischen Ländern die Frauen größtenteils diejenigen gewesen sind, die ihre Kinder immer noch religiös erzogen, und dass in den westlichen säkularisierten Ländern die Religion so unwichtig geworden ist, dass die Frauen sich dieses Territoriums angeeignet haben. Man sieht in den Kirchen so gut wie keine Männer mehr, die Kirchen waren sozusagen gezwungen mit den Frauen zu arbeiten. Die Frauen in den westlichen Kirchen sind Frauen in einer Männerkirche, was die Leitung betrifft, aber faktisch sind sie eine Frauenkirche. Seit dem letzten Jahrhundert hat sich rapid die Tendenz entwickelt, dass die Priester als einzige Männer in der Kirche bleiben. Durch die feministische Theologie haben die Frauen ein Sprachrohr gefunden, um die Widersprüche, die sie vorfinden, anzusprechen. Frauen erziehen die Kinder, sie zelebrieren die Gottesdienste, sie haben keinerlei Einflussmöglichkeiten in den obersten hierarchischen Ebenen. Weil dieser Widerspruch gerade in einer emanzipierten demokratischen Gesellschaft immer größer und größer wird, entsteht irgendwann der Punkt, wo (z. B. jetzt in Deutschland) eine Frau Bischöfin werden muss. Die ganze Hierarchie wird somit lächerlich, weil alles so unplausibel ist. Die Versuche von päpstlicher Seite in Rom diesen Prozess zu stoppen, die scharfen Reaktionen die da kommen, sind im Grunde genommen ein Ausdruck dafür, dass die Machthabenden etwas sehen, was sich entwickelt und was sie nicht mehr aufhalten können. Also, Diskussionsverbote im 20. Jahrhundert schaden ja mehr der Kirche als den Frauen. Insofern denke ich, dass die feministische Theologie 201

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erstmals für die Frauen das gebracht hat, dass sie ihre Vision von Kirche, ihre Partizipation an den verschiedenen Religionen praktisch sichtbar gemacht haben durch Publikationen und das Öffentlichmachen in den liturgischen Kreisen. Die Frauen haben versucht, die gesellschaftlich erzwungene Privatisierung der letzten 200 Jahre wieder aufzubrechen, versucht, religiöse Themen wieder in den gesellschaftlichen Diskurs zu heben, weil die Kirchen sie nicht auf die höhere Ebene zugelassen haben. Auf der letzten Weltfrauenkonferenz von Peking gab es Papiere, welche die Religionen fast nicht genannt haben, auch bei den ganzen sozialen Fragen in bestimmten Ländern, wo zum Beispiel auch die Beschneidung hineinfallen würde, die ja offensichtlich ein religiöses Problem ist, also wo die Religion als Faktor überhaupt nicht in die Analyse einging, weil das eben von den Verfasserinnen der Texte als ein folkloristisches Phänomen wahrgenommen wird, wo aber die Strategien in den einzelnen Ländern gar nicht anders zu formulieren sind, wenn man Religion als unwichtig oder privat betrachtet. Das heißt es gibt verschiedene Entwicklungen, wo die Frauen auch versucht haben – indem sie auf solche Publikationen verwiesen und auch indem sie ihre Analyse feministisch genannt haben – die religiösen Inhalte wieder in den gesellschaftlichen Raum und die feministischen Inhalte in den kirchlichen Raum zu bringen. Das ist eigentlich das Besondere. Heute ist es völlig selbstverständlich, dass in den Kirchen auch Texte oder Sätze gewählt werden – und Kirchen haben ja eine total formalisierte Sprache – wo es angenommen wird, dass Gott auch als weiblich vorgestellt und imaginiert werden kann. Es wird an all die Geschichten der Frauen in der Bibel erinnert, die über fast ein Jahrtausend überhaupt nicht bekannt waren – das Buch Ruth, Miriam, die nicht nur eine Schwester von Moses war, sondern auch eine Stammesführerin. Ich sehe den Verdienst der feministischen Theologie darin: Sie hat die Atmosphäre für die Debatte geschaffen, sie hat einen Kontext eingebracht, so dass in

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die Gesellschaft hinein Religion wieder thematisierbar wurde und in die Religion hinein die Gesellschaft. Y. R.: Ja, aber wieweit reichen diese Debatten? Sind sie in der männerdominierten "akademischen" Theologie überhaupt hörbar? Welche Bedeutung kommt hier der Gesellschaft für feministische Theologie zu? H. M.-W.: Also, ich würde das nicht so allgemein sagen, denn es ist länderspezifisch und das muss man auch zur Kenntnis nehmen. Die deutschen Theologen können es sich leisten, die gesamte Befreiungstheologie, die feministische Theologie, eigentlich alle Theologiekonzepte, die sich gesellschaftlich öffnen und nicht mehr nach diesem alten Konzept von theologischen Schulen Theologie betreiben, einfach zu ignorieren. Und das hat ganz bestimmte Gründe. In Holland können sie es sich nicht leisten, weil die holländischen Fakultäten über Studiengelder finanziert werden, das heißt die Studenten haben dort eine ganz andere Macht. Man ist auf die Interessen der Studierenden angewiesen, von da her ist die Bereitschaft auch größer, solche Fächer, wie feministische Theologie zu installieren – was es sonst ja auch nirgendwo gibt. Durch diesen Prozess entstand in Holland auch der Umstand, dass die Theologen es sich nicht leisten können, die Publikationen von Frauen nicht zu kennen, weil sie über diese in den Examina abfragen müssen. Diese Ignoranz geht nur in Deutschland. Damit will ich nicht verhehlen, dass es auch dort Entwicklungen gibt. So ein Fanatiker wie der Befreiungstheologe Leonardo Boff kann sich immer noch leisten, ein Buch über das weibliche Antlitz Gottes zu schreiben und keine einzige feministische Studie darüber zu zitieren. Doch das ist eine Beschränkung, die sich langfristig auch rächt. Man hört von Verlagen, dass sie nur noch bereit sind, feministisch systematisch-theologische Kompendien zu publizieren, weil sie sagen, die systematisch theologischen Kompendien der Männer sind so öde, dass sie sowieso nicht gelesen werden. Wir haben als Theologinnen den Vorteil, dass wir nicht nur zu akademischen Vorträgen eingeladen wer203

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den, sondern auch in Kirchengemeinden und in entsprechende Organisationen. Und dort hört man immer wieder, dass Frauen und nicht Männer eingeladen werden, weil sie eben etwas zu sagen haben. Insofern kann man auf der einen Seite diesen Zustand sehen, dass wir in bestimmten Zusammenhängen nicht zitiert werden, aber auf der anderen Seite machen sich damit die männlichen Kollegen unwichtig. Y. R.: Wie sieht die Situation in Frankreich aus? H. M.-W.: In Frankreich ist sie ganz fürchterlich in dieser Hinsicht. Aber Frankreich ist auch zu, was das Theologische betrifft. Die französische Theologie, manchmal wie auch die französische Philosophie – da kennen Sie sich besser aus – kann es sich leisten, so zu tun, als ob sie nur aus sich selbst heraus bestehen könnte. Die Tendenz die ganze angelsächsische und deutsche Diskussion nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist ja bei allen Wissenschaften da, nicht nur bei der Theologie. Aber die neuen Perspektiven und Aufbrüche kommen eben aus den Ländern, die sich die Ignoranz nicht leisten können. Y. R.: Wird sich durch die Erweiterung der Europäischen Union etwas für die Theologie ändern? Werden sich die Globalisierungsprozesse positiv auf die feministische Theologie auswirken, sodass sie ein Teil des europäischen Denkweges wird? Wird man damit auch die diesbezüglichen Differenzen der europäischen Länder überwinden können, oder glaubst du, wird das alles weiterhin spezifisch bleiben? H. M.-W.: Ich denke ja, weil gewisse Änderungen schon stattfinden. Zum einen ist klar, dass solche europäische Konferenzen von der EU finanziert werden. Die ganzen Zuschüsse, die nötig sind, um Übersetzungen, Reisen von Osteuropäerinnen zu finanzieren, sind überhaupt möglich, weil das auf der politischen Tagesordnung der reichen Länder Europas steht. Zum anderen denke ich nicht, dass man daraus schließen kann, dass die euro-

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päische Vereinigung auf die Frauen, geschweige denn auf die Theologinnen, gewartet hat. Es gibt da noch einen ganz wichtigen Punkt, nämlich, dass durch die schwierige Situation der Frauen in den jeweiligen europäischen Ländern (und sie ist ja sogar in den reichen Ländern und in den politisch dominanten Ländern schwierig) sich auch so etwas als Gegeneffekt gebildet hat und das schon seit den siebziger Jahren – man internationalisiert sich, weil man eben dann eine andere Form von Präsentation hat. Das heißt, die Frauenzusammenhänge sind selbst in Holland international und das ist eine Direktive, die jetzt erst an den Universitäten ausgegeben wird und wo ich merke, dass wir hier schon längst einen Schritt voran sind. Y. R.: Es gab auf der Konferenz den Aufruf von Schwester Dr. Mary John Mananzan zur radikalen Dekonstruktion des Globalisierungsbegriffes als ideologischer Begriff. Was meinen Sie dazu bzw. wie stehen Sie zur Globalisierung? H. M.-W.: Ich werde hier nicht so sehr auf ihre These eingehen. Ich hatte Probleme damit. Globalisierung ist zum einen ein beschreibender Begriff einer Entwicklung, die man jetzt überall sehen kann; zum anderen, von den Konsequenzen her, ist es ein Begriff, der auch zu einer politischen oder moralischen Bewertung führt. Die Kirchen sind immer schon gut international vernetzt gewesen. Die Kenntnisse dessen was wir hier so an Wirtschaftspolitik haben sind eigentlich, zumindest im deutschsprachigen Raum, schon seit dreißig Jahren ein Thema, auch zu Fragen wie z. B. was der technische Fortschritt mit sich bringt. Die Globalisierung hat allgemein dazu geführt – und das haben andere Feministinnen, hauptsächlich Soziologinnen und Philosophinnen, schon viel früher deutlich gemacht, – dass Arbeitsplätze einerseits vernichtet werden, andererseits geschaffen werden, aber in einer bestimmten Qualifikation. Das heißt, dass man immer mehr flexible Arbeit braucht und dass das alte Bild des Proleta205

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riers zerfällt. Dies hat zur Folge, dass als Faktor der technischen Entwicklung (es gibt auch andere Faktoren, auf die ich jetzt nicht eingehen will) eine riesengroße Arbeitslosigkeit entsteht. Das Interessante für mich ist die Diskussion über bezahlte Hausarbeit, die wir vor zwanzig Jahren im Feminismus hatten; da ist ein Aufsatz von Claudia von Werlhof 2, an den ich immer denken muss bei solchen Diskussionen. Auf der einen Seite wollte man die Tätigkeit von Frauen dem Proletarier gleichsetzen, was ja berechtigt war, um deutlich zu machen, dass es eine gesellschaftlich wichtige Arbeit ist; doch auf der anderen Seite wurde klar, dass die historisch bedingte Notsituation der Frauen, d. h. nicht an sicheren Stellen arbeiten zu können, dazu geführt hat, dass Frauen viel besser als Männer gelernt haben von drei Jobs zu leben, um zu überleben, worunter man heute Flexibilität versteht. Das hat in dem genannten Artikel zur folgenden Konstatierung geführt: Globalisierung bedeutet auch eine Zersetzung von sicheren Arbeitsplätzen, eine Veränderung des Inhaltes von Arbeit. Das ist die eine Seite. Und gleichzeitig argumentieren die Kirchen und auch manche Theologen, so war das auch in diesem Vortrag: jeder Mensch hat ein Recht auf Arbeit, jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung – was auch stimmt. Nur – und das ist das Problem – der moralische Skandal wird irgendwie gar nicht mehr so deutlich, wenn man so tut, als ob es nur um ein Arbeitspartizipationsproblem geht, wo man dann im Gegenzug sagt, dass es so und so viele Gruppen gibt, die sich gegen die Globalisierung wehren. Deshalb kommt mir das vor, gerade was unsere kirchlichen Initiativen betrifft, wie ein Kampf gegen Räder einer Windmühle, wo die Windmühle längst schon ein Hochhaus ist. Man kämpft aber immer weiter und das ist für mich gerade in der Globalisierungsdebatte oft der neuralgische Punkt. Sie wird auch in der Theologie allgemein immer noch 2

Claudia von Werlhof, "Der Proletarier ist tot. Es lebe die Hausfrau?" In: Claudia von Werlhof, Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies (Hrsg.), Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit. Reinbek: Rowohlt, 1983, 113-136.

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sehr stark an die Technikkritik angeknüpft und von daher wird die Diskussion geführt. Diese Kritik ist berechtigt, solange man nicht so tut, als ob das nur schlecht ist, und als ob man das durch kleine Gruppeninitiativen lösen könnte. Wir haben ja das Glück als Wissenschafterinnen nicht immer gleich die praktischen Hinweise geben zu müssen, in welcher Form die Gesellschaft neu zu organisieren ist und wie diese Gruppen aussehen müssen. Aber in der Theologie allgemein und auch in der feministischen Theologie ist es noch nicht gelungen einerseits zu sehen, dass die Globalisierung eine Beschreibung eines Prozesses ist, dem wir alle ausgesetzt sind, und andererseits zu fragen was das zum Beispiel für die Religion bedeutet. Globalisierung bedeutet, dass Religion sich nicht mehr für sich selbst definieren kann. Es bedeutet, dass Christen, Muslime in Kontexte verpflanzt sind, wo die Religion nicht mehr geographisch angebunden ist, dass sie ständig auch mit anderen Glaubensgemeinschaften zu tun haben. Das sind die Konsequenzen von der Globalisierung und die muss man dann auch als Theologin bedenken und nicht einfach nur davor stehen und sagen: "Globalisierung ist schlecht." Y. R.: Kehren wir zum Thema der Konferenz zurück – "Zeit-Utopie-Eschatologie". Worin besteht das Interesse an der Eschatologie heute, in dieser Zeit? Was für Bedeutung kann sie für die feministische Theologie im aktuellen Kontext haben? H. M.-W.: Wenn man so an die Tradition der Theologie und der Philosophie denkt, als die Lehren von den "letzten Dingen", vom "Grund", dann hat das alles in der feministischen Theologie bisher noch keine Rolle gespielt. Es war kein Thema. Ich denke, dass die Frage nach den letzten Ursachen der Entwicklung mit dem Umstand verbunden ist, dass das Jahrtausend zu Ende geht. Wenn man zurückschaut, was in den letzten zwanzig, dreißig Jahren in der feministischen Theologie passiert ist, dann fällt einem auf, dass die Eschatologie eigentlich gar kein Thema gewesen ist und dann fragt man sich: wieso? Diese Konferenz hat, für mich zumindest, eine kleine Antwort in die207

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ser Hinsicht gegeben. Mir sind zwei Dinge aufgefallen. Die Tatsache, dass die Eschatologie kein feministisches Thema war hängt damit zusammen, dass alles, was mit Veränderung zusammenhängt, mehr zukunftsorientiert ist und die Frage nach dem Anfang einfach weniger Relevanz hat. Sie kann aber noch kommen. Es ist auffällig, dass auf dieser Konferenz die Frage nach der Eschatologie über den Verweis auf apokalyptische Texte, sowohl jüdischer Art als auch christlicher Couleur, beantwortet wurde; denn es hätten ja auch prophetische Texte sein können, und für das neue Jahrtausend wäre das ja nahe liegend. Das fand ich eben sehr interessant, denn in allen theologischen Vorträgen, sowohl bei den christlichen als auch bei den jüdischen, stand die Apokalypse im Zentrum und ich habe mich gefragt: wieso? Die Erklärung, die ich dafür habe ist, dass die apokalyptischen Bilder – Bilder des dramatischen Lebens von Menschen die in einer Situation leben, wo sie in totalen Paradoxien festsitzen – Ausdruck eines schweren Lebensgefühls sind. Dieser Verweis auf apokalyptische Quellen, die übrigens in diesem Jahrhundert immer nur in besonderen Situationen für die Theologie interessant geworden sind (z. B. nach dem ersten und nach dem zweiten Weltkrieg, dann am Ende dieses Jahrhunderts), bezeugt scheinbar das Bedürfnis nach einer Aktualisierung und einer Neulektüre dieser Texte. Das Hauptinteresse darin hängt mit der heutigen Situation der Frauen, insbesondere mit der Gewalt gegen Frauen zusammen. Scheinbar leben wir in Westeuropa in Frieden, doch ständig überall rundherum ist Krieg und Gewalt. Diese widersprüchliche Wirklichkeit der Situation der Frauen wird so stark reflektiert, dass man dann auch die religiösen Bilder sucht, die dazu passen. Das war für mich eine wichtige Erkenntnis, die ich von dieser Konferenz mitnehmen werde. Die Frauen aus Europa, die hier versammelt sind, gehen also nicht in das neue Jahrtausend mit dem Gefühl des Propheten, dass das Reich Gottes schon kommt, sondern eher mit dem Ge-

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fühl, dass diese Zeit, diese Dramen, diese "Schreie der Toten unter dem Altar", diese "Reiter, die Verderben bringen", ja faktisch Verbilderungen3 von Kriegen sind, von kaputter Natur, die ausdörrt – in der Offenbarung des Johannes geht die Natur ja auch kaputt. Auf der anderen Seite aber hat man nicht das Gefühl, dass die Wirklichkeit mit der Apokalypse zusammenfällt. Das bedeutet, dass man in diesem Bild auch die ganzen Ambivalenzen zur Kenntnis nimmt. Das war für mich etwas sehr Wichtiges. Wenn man also von "Zeit-Utopie-Eschatologie" spricht, so muss man vor Augen haben, was hier an Diskussionen und an Hauptvorträgen gelaufen ist. Die Frauen und Theologinnen in dem apokalyptischen Drama dieses Jahrtausends sehen, auf der einen Seite, sehr wohl wie dramatisch die heutigen Entwicklungen sind und sie weisen diese Haltung von frommen, religiösen Menschen zurück, die da sagen: "Das gehört halt zur Welt dazu". Auf der anderen Seite, bleiben sie nicht beim Schrecken, bei den Verstorbenen und den gruseligen Reiter der Apokalypse, sondern sie nehmen auch wahr, dass die Reiter eine Posaune haben, dass die Toten schreien. Wir haben also eine neue Deutung von religiösen Texten, wo man nicht nur in der Dunkelheit verbleibt, sondern aus der aktuellen postmodernen Situation heraus die Ambivalenz, die schon in den apokalyptischen Bildern ist, wahrnimmt und thematisiert. Y. R.: Aber worauf können wir heutzutage hoffen, dass unser Horizont optimistischer wird? Auf welche Strategien können wir setzen, damit sich dieses apokalyptische Bild ein bisschen zerstreut?

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Diese bildhaften Schilderungen weisen auf die eindrucksvolle Neulektüre der Apokalypse von Luzia Sutter Rehmann – eine der Hauptreferentinnen der 8. ESWTR-Konferenz; siehe Luzia Sutter Rehmann. "Die Verwandlung wahrnehmen, wenn sie geschieht (Offb 6,2-17; 8,7-13)", in: Zeit-Utopie-Eschatologie. Peeters, Leuven, 1999, 17-26.

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H. M.-W.: Ich denke, wenn man es auf Strategien begrenzt, dass es eine Strategie wäre diese Bilder zuzulassen und, wie Religionen es oft tun, diese Wirklichkeit nicht gleich glätten. Das ist fast eine therapeutische Strategie, bedeutet aber nach innen geguckt ziemlich viel, weil man dann auch nicht mehr lügen darf über den Zustand der Welt und der Kirchen. Eine andere Strategie wäre, dass man die Vision einer gerechten Welt angesichts der ganzen Ungerechtigkeit nicht verlässt. Das wäre dann z. B. eine Strategie des sich immer wieder Treffens, sich immer wieder Vernetzens, nicht nur im intellektuellen Umgang. "Zeit" ist ja auch ein Thema besonders bei solchen Konferenzen, die sehr "voll" sind – die Frauen machen am Morgen und am Abend die Liturgie, aber sie schaffen es auch die Gedanken zu konzentrieren, Vorträge zu halten. Für mich ist das auch eine Strategie nach der richtigen Vision nach zu denken, sich die Frage zu stellen was für eine Gesellschaft Europa realisiert und zu realisieren hat. Persönlich arbeite ich daran und möchte in zwei Jahren einen Vortrag machen, in dem ich die Europa-Vision religiös interessierter Frauen diskutiere, in einer Sprache, die sich auf die politischen Erklärungen anderer Gesellschaften oder Vereinigungen, wie die UNO, bezieht und gleichzeitig auch das Moment des Religiösen thematisiert. Das ist zwar keine "große" Strategie, aber ich weiß, dass das ganz wichtig ist und dass es zu den Aufgaben einer Gesellschaft wie die ESWTR gehört. Wenn das also klappt, könnten wir wieder ein bisschen Hoffnung schöpfen. Y. R.: Somit kommen wir auch zur letzten Frage. Wie Sie schon angedeutet haben, nach zwei Jahren wird die nächste, 9. Konferenz der ESWTR zum Thema "Feministische Theologien, Feministische Theorien und ihre politischen Implikationen/Auswirkungen" in Salzburg stattfinden. Welche Erwartungen haben Sie diesbezüglich? H. M.-W.: Es wäre zu erörtern inwieweit sich feministische Theorien mit postmodernen Theorien decken und ob der Befreiungsimpuls der feministischen Theologie, die ja in der Mehr210

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zahl immer sehr befreiungstheologisch und politisch argumentiert, in einer postmodernen Analyse noch aufgehoben ist. Die Vorbereitungsgruppe hat auch den Auftrag bekommen, die Hauptvorträge und die Sektionen dem Thema gemäß zu gestalten. Das Interesse an dieser Konferenz war quantitativ das größte und ich denke, dies hängt auch mit der Theorie zusammen. Sie sind ja die erste Philosophin, die hier einen Hauptvortrag gehalten hat. Das ist ja unglaublich, wenn man bedenkt wie viele Frauen mit ihren Projekten genau auf dieser Grenze zwischen Theologie und Philosophie stehen, und insofern haben Sie etwas vorgetragen, was gar nicht thematisiert wird. Es war eine große Gruppe der systematischen Theologinnen, der philosophisch Interessierten, die gesagt haben, wir möchten mehr solche Vorträge, die uns auch die Analyse erleichtern, die auch Dekonstruktivismus und Geschlechterdifferenz eben nicht nur im Kontext von gesellschaftskritischer Analyse sehen. Ich erwarte mir also positive Veränderungen in dieser Hinsicht. Ich denke auch, dass es gut ist, dass die nächste Konferenz in Österreich stattfindet. Österreich ist Zentraleuropa. Auch wenn es wieder deutschsprachig ist, hat es doch einen ganz anderen Stand.

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Feminist Philosophy in the former Yugoslavia An Interview with Rada Ivekoviü* Question: Which ruptures emerged in the field of philosophy in the former Yugoslavia after the fall of 1989? Have any laws been changed? Have special fields of philosophy been renamed? Answer: I would start by saying that I shall not represent any country whatsoever. I think it is clumsy to suppose that people should represent countries after what happened in 1989, especially when it comes to defunct countries. Why go further into fragmentation and, in the case of such countries as the countries of my origin, into obvious ethnicization, since we have ethnocracies in power in that area now. There is no other reference to a "country" but ethnic in that area of the Balkans now, and also further than that to a fair, though lesser, extent, in the former socialist countries of the SU, as well as some others. The answers I can give, are either general or they refer to several new states. Amongst them, Bosnia-Herzegovina, Croatia, Slovenia and Serbia are most familiar to me. Kosovo, unfortunately, is completely left out of the picture, but some friends of mine would have better information about this. Moreover, the fact that I have been living in France has estranged me a lot from that area, I do not have all the information any more, and, in many cases, I am tempted to answer with an eye on France where some similar processes are going on, albeit in a less acute form. The turning point of 1989 actually affects the whole of Europe (and the rest of the world as well, of course). The law system of the former Yugoslavia was inherited by all successor states. Changing the laws is a slow process, but it is under way. Regarding women, their reproductive rights (the *

Rada Ivekoviü is Professor of philosophy at the University of VincennesSaint-Denis, Paris VIII.

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right to abortion, etc.) and labour rights have especially been menaced to various degrees. There is a strong tendency of nationalists and ethnocracies to abolish these rights. Universities have lost their freedom to various degrees. The case of Serbia is the most blunt one (with a new law on the universities under Milosevic), but the Tudjman regime in Croatia had found ways to cut the autonomy of universities, and Bosnia and Herzegovina has permeated the positions of responsibilities, deans and chairs with politically faithful people. It is hoped that this may change with the new governments in power in Croatia and in Serbia. Question: Have workplaces been lost, have they been occupied by other people? Answer: Workplaces have been lost in the whole area due to various reasons: a witch-hunt for intellectuals who have not supported the nationalists or were thought (rightly or wrongly) to sympathize with the communists or with the previous socialist regime; a witch-hunt for members of the "wrong or other ethnicity"; pressure through threats to life or to family; people evicted from their flats for more or less the same reasons, or because someone from the new elite wanted that flat; campaigns of denigration, witch-hunt, deletion through the media; chauvinistic attacks of all sorts; lack of protection from the state in the face of menaces and attacks by various militias, crusader squads, mafias; a great deal of people have left simply because of the dangers of war and because of the difficulty to physically survive under siege, or under ethnic ostracism, etc; because their houses were bombed; because they had family on the "other side" and were therefore under suspicion, etc. People were not always persecuted overtly by state authorities, but also by all sorts of informal groups, militias, whereupon they were not protected by the state. In many cases (Croatia, Serbia, Bosnia-Herzegovina), other people, nearer to the new elites, have taken those posts. At the same time, there has been a particularly nasty witchhunt for women intellectuals: expressly so in Croatia, but also in 213

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Serbia, and a general increase of misogyny, antifeminism, violence against women and children, a general enormous setback for women in the whole region of the former Yugoslavia. In contrast to this, this has pushed the feminist movements into a new, though limited, public view and to activism ranging from feminism to politics and the humanitarian sector, etc. Question: Was there any contact to western feminist theories and theorists in the field of philosophy before the changes of 1989? Answer: Yes there was, a lot, in various parts of the former Yugoslavia. The new feminist movement (as opposed to the pre-World War Two movements, and to the women's movements connected with the liberation movement in World War Two and further with a certain "state feminism") developed mainly from the second part of the nineteen-seventies, in constant dispute and interaction with state feminism, with the official socialistworker's-control-ideology, later with nationalisms, and in exchange with mainly western feminists (basically in the USA, France, Italy, Germany). Books were accessible; all relevant foreign authors were read, discussed and known to small feminist groups. Some direct contacts had been established with those feminists abroad who were interested in what was going on here. They had been invited to meetings and conferences from 1978 onwards. One of the first of these feminist conferences was held in the autonomous Student's Cultural Centre in Belgrade in 1978, under the title "Drugca zena, novi pristup?" ("Comrade woman, a new approach?") and was violently attacked by the regime and also by "independent" misogynists and machos in the press. Although collaboration was established with relevant feminist work abroad, our feeling at that time was not that the majority of western feminists understood at all what was at stake here and what our problems and also our theoretical framework was: we had to define ourselves towards the dominant selfmanagement, vaguely "Marxist" (although "soft") ideology, and 214

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to theorize the inclusion/exclusion of women therefrom, and the gender-blindness of that theory. We did not have to fight for abortion, the right to divorce or civic autonomy. NB: the "women's movement" was a modest one, confined, as elsewhere, to university feminists. It was nevertheless intellectually very lively and had recorded exchanges with other groups of independent intellectuals, such as the "Praxis" group, the "Covjek i sistem" ("Man and the System") group, with the go-between intellectuals (between the Party and "dissenting" intellectuals), with some progressive intellectuals in the Party (rather rarely progressive when it came to women, but generally egalitarian and gender-blind), with (women) intellectuals close to the official women's organization (Konferencija za drustvenu aktivnost zena: "Conference for the Social Activity of Women"), etc. Question: Was there any theorizing of gender before the changes in 1989? If yes, which publications can you name? Answer: As I mentioned before, yes. It would be difficult for me to give you a whole bibliography which is, after all, quite extensive. I can give you my own. If you require a complete bibliography, you will have to collect it from different sources I can give you. Moreover, separate and different feminist bibliographies have been published in recent years by different feminist groups (I know of some of these publications in Belgrade and in Zagreb; there may be others, I am sure), with different focuses. To give you a broader idea of that period, I am sending you another attachment with an interview of mine on the topic. Question: Is there any institutionalization of gender studies? Answer: Yes, Women's Studies Centres. Informally, we had started regular working meetings and some seminars since 1979 in Zagreb (within the Section "Zena I drustvo", "Women and Society" of the Sociological Association in Croatia) and in Belgrade within the group "Zena i drustvo" of the Student's Cultural Centre 215

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soon thereafter). Some of the topics and debates were concentrated on philosophy. In Zagreb, we had first organized a seminar of feminist reading of philosophy (organized by me; Blazenka Despot gave very important contributions, especially the readings of Hegel; others gave other lectures), and soon thereafter one of a feminist reading of history and sociology (lead by Lydia Sklevicky). Each of us who were at university gave also informal feminist courses. This came naturally at the Sociology Department in Zagreb (younger faculty members as Vesna Pusic, Vjeran Katunaric, Jasna Gardun and others taught there), but was also done at the Philosophy Department through my courses, which were tolerated (one year I gave a course on Luce Irigaray, Julia Kristeva and French feminism in general, within the framework of the "philosophie de la différence", by the end of the eighties). Many other feminist interventions were tolerated by feminist teachers at university, at first in Zagreb, later in Belgrade, Novi Sad and elsewhere, but not institutionalized. "Institutionalization" came after the turning point in the shape of NGOs/ Centres for Women's Studies. Question: Is there any institutionalization of gender studies especially in the field of philosophy? Answer: I don't think there is a separate institutionalization of feminist philosophy. But within feminist theory, women's studies and the like, philosophy is regularly tackled. There are women's studies institutions or groups (NGOs) now in Belgrade, Novi Sad, (Serbia), Zagreb (Croatia), Skopje (Macedonia), Sarajevo (Bosnia and Herzegovina), Ljubljana (Slovenia) and probably elsewhere. These are animated partly by feminists who also work or have worked at university, in research institutes or at high schools, and who are sociologists, anthropologists (Zarana Papic in Belgrade), political scientists (Biljana Kasic in Zagreb), ethnologists (Zeljka Jelavic in Zagreb), philosophers (Dasa Duhacek, Branka Arsic in Belgrade; Nadezda Cacinovic, Maja Uzelac in Zagreb; Eva Bahovec, Renata Salecl, Maja Milcinski 216

Feminist Philosophy in the former Yugoslavia

in Ljubljana; Teuta Arifi in Skopje/Tetovo), psychologists (Mirjana Ule in Ljubljana), literary people/philologists (Jasmina Lukic in Belgrade/Zagreb; Svetlana Slapsak in Ljubljana/Belgrade; Katarina Kolozova in Skopje) and many others. It remains to be seen which of these teachers and many others (the youngest batch would be unknown to me) which diplomas have been delivered in the feminist field, and also, in each case of a Women's Studies Centre which "diplomas" can be delivered, if at all. Some of these scholars work in the feminist field on a completely individual and autonomous base, not related to any local institution or even informal group. The "diplomas" delivered by the Centres are, I think, still informal and not recognized by a university, but this may also change. You ask if there are publications. There are too many to be mentioned, and I do not have a general bibliography. Question: Are there special departments or institutes which were founded only for gender studies? Answer: Ask directly at the gender or women's studies centres for the documentation of each. I can say this much: NO new possibilities have been created for women philosophers in gender studies or in anything. I think there is no relation whatsoever between the Women's Studies Centres and the Academies of Sciences, which are still the strongholds of macho gerontocracy, furthermore mainly linked to the new national(ist) elites. Question: How would you describe the reception of western gender studies? Answer: Reception from western gender/women's studies takes place directly and also through many, though insufficient translations into the languages of the former Yugoslavia. They come from different languages: English/American, French, German, and, you forget, Italian (most relevant to us at that time). Also some from the Spanish speaking area. But your question is inadequate for us: you should also ask if anything 217

Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

comes from the Third World area, which is in a way more relevant to the Balkans and I think to a great extent to Eastern Europe. In this respect, I mean the excellent work of Indian feminists in the first place, who have dealt with violence, partition, nation, ethnicity, identity, religion in an autonomous way. That work is of great help in our conditions and efforts are being made to start translating more of it. Some contacts exist and have existed all the way. Moreover, the experience of Palestinian women, and the experience of "women in Black", Palestinian and Israeli, is important, as well as similar. I am not aware of journals for feminist philosophy, but the feminist journals are indebted a lot to feminist philosophy, both local and translated. So are some other general cultural journals (and have been since the seventies/eighties) where feminists have access. Besides, there are special issues, other publications, collections of articles, etc. The feminist journals publishing theoretical articles I can think of at this time are: Delta in Ljubljana; Zenske Studije and Profemina in Belgrade, Kruh I ruze and Treca in Zagreb; but there are others, too. There have always been special issues in other journals, starting from the seminal Marksizam u svetu No. 8-9, 1981 (Belgrade), a special issue "Studije o zeni i zenski pokret" ed. by Rada Ivekoviü, which published (foreign) texts by Luce Irigaray, Julia Kristeva, Rosaria Manieri, Sheila Rowbotham, MariaAntonietta Macciocchi, Chiara Saraceno, Betty Friedan, Kate Millett, Haydee Birgin, Ida Magli, Benoite Groult, Claude Meillassoux, Marjorie Mbilinyi, Juliet Mitchell, Ulrike Prokop, Silvia Bovenschen, Casey Miller & Kate Swift, Natalija Baranskaja, Lydia Sklevicky (she published one of the first local bibliographies), etc. Some were published before, and many other special issues were published later on. It may be more difficult today, after the advent of nationalisms and ethnocracies, to have such special numbers published. But nowadays there are feminist journals, thanks partly to the NGOs and money which came in from abroad during the war.

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Feminist Philosophy in the former Yugoslavia

Question: Do you think that the experiences, which have been made in politics and society since the changes in 1989 – in a professional way as well as in private life – have had any influence on the reception of western feminist philosophy and theory? Are there any new feminist theories in your country which have arisen after these experiences? Answer: Frankly, I think that this question is totally irrelevant to us. The major experience we had is dislocation, partition, war, and from that feminists have learned a lot and have been induced to work on the relation of gender and nation. Individual papers have been published, and have been published a lot abroad, for obvious reasons, but some in the countries, too. More of it is to be expected over the next few years, and work is under way. Conditions have not been very propitious for work in the Balkans over the past 10 years. Before the events following 1989 (partition and war), yes, there was some relevant work, especially regarding women and self-management (good work had been done by the philosopher Blazenka Despot, and others; all pre-1989 work, because since the collapse that topic has no sense any more). That was not at all sought or asked for by anyone abroad, and I believe that very little of it, almost nothing at all, was published abroad. Moreover, there has been a continuity of reception of feminist (or any other) theories from before 1989. The year 1989, in the case of the former Yugoslavia, hasn't changed anything in the access to feminist theories, except that it made it slower or interrupted it for a time because of the war. Bookshops with foreign books hardly exist, as compared to before, quite to the contrary of what is suggested by the questions. Question: Which contacts to western feminist scholars have been opened for you since the changes in 1989? How and where did they occur?

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Answer: These contacts were in principle possible but as erratic before as they are now. The war attracted a lot of NGOs, brought in some money and help from foreign NGOs and feminist organizations, including some "activist tourism". All this enabled some new contacts, some of which came unexpected and are excellent. In the meantime, the internet has contributed a lot to contacts at some levels. Before the war we sometimes had the opportunity to meet university women at conferences in the country or at the conferences abroad we attended. There was also the Inter-University Centre in Dubrovnik which attracted scholars from many countries and from all parts of the former Yugoslavia, and where some feminist courses were organized by some of us. These activities were interrupted by the conflict but are starting again, although they haven't reached the importance they had before yet, and, furthermore, the starting point is now limited to one republic as host country (Croatia). There were other international opportunities, too, and travelling was possible for Yugoslav feminists until it was, for a time, interrupted or made difficult by the war(s) over the past 10 years. Question: Is there anything you want to tell us besides these questions? Answer: Yes! Please do not classify me in any successor state, nation or country of the former Yugoslavia, or in the latter either. I do not have a country. Furthermore,, I suggest you revise some of your questions (like this one on one's country, precisely; or the one focusing on western feminism making it sound like a norm), because it means taking over, unquestioned, a conceptual framework which is not at all neutral as you may want to think. Some people have resisted ethno-nationalism and may not be pleased to be labelled, though I am aware that the term "country" you used deliberately is softer than "state" or "nation". You could answer that "state" and "nation" are not the same, but the "ethnic pluralism" arrived at in my countries of origin is unfortunately 220

Feminist Philosophy in the former Yugoslavia

one where the nation is a community with a strong appeal to a (rather non-democratic, for the time being) state, and not a society. This is more and more the case everywhere, after all. A community has a vertical hierarchical construction as opposed to a society. I can't go further into theoretical arguments here because I would end up writing a paper.

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Feministische Philosophie in Tschechien. Ein Interview mit Hana Havelková* Frage: Welche Brüche entstanden durch die Wende 1989 im Wissenschaftsgebiet der Philosophie: Wurden Gesetze verändert, Bereiche umbenannt, gingen Arbeitsplätze verloren? Wurden diese umbesetzt, neu besetzt? Antwort: Das Gesetz von der Akademie der Wissenschaften wurde erneuert. Die Struktur der Verwaltung wurde verändert im Sinne einer größeren Autonomie der einzelnen Institute und es wurden Selbstverwaltungsgremien gebildet, wie der Akademische Tag und der Wissenschaftliche Rat. Daneben wurde die Grantakademie der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik gegründet. Danach wurde auch die Grantagentur der Tschechischen Republik gegründet, die den gesamten wissenschaftlichen Betrieb sowohl an der Akademie der Wissenschaften als auch an den Universitäten fördert. Einige Institute der Akademie der Wissenschaften wurden aufgelöst, z. B. das Institut für Geschichte und das Institut für Wissenschaftstheorie, andere wurden reorganisiert. Die Akademie der Wissenschaften entließ fast die Hälfte der Forscher und zwar diejenigen, die entweder zu eng mit dem alten Regime verbunden waren, oder deren Leistung nicht mehr dem Standard entsprach. Die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei alleine war kein Grund für eine Entlassung. Ein kleiner Teil der Forscher ging als Fachleute ins Ausland, ein Teil in die Unternehmenssphäre. Die Anzahl der Forscher in den einzelnen Instituten wurden außerdem quotenmäßig reduziert, wobei es sich gleichzeitig um einen Generationenwechsel handelte: Ein großer Teil der Forscher war schon in einem sehr hohen Pensionsalter. Deswegen hatte dieser Wechsel keinen ausgesprochen konfliktuellen Charakter. Von der Reor*

Hana Havelková ist Soziologieprofessorin an der Fakultät für Humanwissenschaften der Charles University in Prag.

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Feministische Philosophie in Tschechien

ganisation profitierten im Allgemeinen die naturwissenschaftlichen Institute. Wie schon vor der Wende gibt es in Tschechien nach wie vor in den meisten wissenschaftlichen Bereichen, inklusive der Philosophie, das alte Dualsystem, das nach sowjetischem Modell unter dem kommunistischen Regime eingeführt worden war. Dieses Modell besteht in der Trennung von Forschung und Lehre, wobei das einzige Institut für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften in Prag existiert. Für die Forschung sind vor allem die Institute der Akademie der Wissenschaften (AdW) zuständig und deren wissenschaftliche Mitarbeiter sind nicht verpflichtet zu unterrichten. Es gibt jedoch einen Vertrag, nach welchem die Fakultäten diese Forscher als Gastlektoren einladen können; diese Vorlesungen werden aber nicht honoriert. Die Assistenten, Dozenten und Professoren an den Universitäten haben hohe Unterrichtspflichten (ein Assistent hat, neben weiteren Konsultationsstunden, 12 Stunden wöchentlich "vor der Tafel" zu stehen, ein Dozent 10 Stunden); ihre Forschungstätigkeit und ihre Veröffentlichungen stellen deshalb nicht das Grundkriterium ihrer Leistung dar. Zu den lokalen Spezifika gehört sicherlich auch die Belohnungsfrage. Die sehr niedrigen Gehälter der Hochschullehrer und der Forscher tragen zu der großen Zahl der sogenannten Nebenaufträge bei, d.h. dass die Lehrer außer an der eigenen Fakultät noch an anderen unterrichten. Diese Praxis geht auf Kosten der intensiveren Forschungs- und Publikationstätigkeit und bremst meines Erachtens die Entwicklung neuer Forschungsbereiche. Die Bereiche wurden nicht nur umbenannt, sondern es kam zu einem wirklichen Strukturwandel. So wurden im Institut für Philosophie der AdW, die vorherigen Abteilungen Historischer Materialismus, Dialektischer Materialismus und Geschichte der Philosophie, Logik und die Abteilung für die marxistisch-leninistische Ausbildung der Doktoranden und jungen Forscher, durch folgende Abteilungen ersetzt: Politische Philosophie, Wis-

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

senschaftstheorie, Geschichte der Philosophie, Comeniusstudien, Analytische Philosophie, Logik, Editionsabteilung. An den Fakultäten wurden die Lehrstühle umbenannt und der Unterricht der Geschichte der Philosophie zugunsten der Systematischen Philosophie reduziert. An den meisten Fakultäten sind die Institute für Philosophie in die Bereiche Systematische Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichte der Philosophie und Religionswissenschaft gegliedert. Für die Ausbildung in Logik entstanden selbständige Institute. Was das kommunistische Erbe betrifft, so sind für unser Thema die an die ideologischen Begrenzungen anknüpfenden thematischen Begrenzungen von Belang. Die Forscher hatten nämlich Strategien entwickelt, den ideologischen Fallen auszuweichen. Zu diesen gehörten: Spezialisierung auf die Geschichte der Philosophie (womöglich weit zurück in die Vergangenheit), oder auf "rein" methodologische Fragen oder auf reine Logik, Analytische Philosophie, oder evtl. auch auf das Studium der gegenwärtigen philosophischen Strömungen, dem jedoch immer eine kritische Stellung hinzugefügt werden musste. Die stärkste thematische Einschränkung und größte Forschungslücke bestand unter diesen Umständen in der philosophischen Verarbeitung der realen gesellschaftlichen Probleme. Weder die Dissidentenphilosophen brachten diese Themen in den Fachbereich zurück, denn sie waren meistens auf die heideggersche Lehre spezialisiert, und die gesellschaftlichen Themen wurden eher im Geiste Patoþka's Thematisierung der Freiheitsfragen als Gerechtigkeitsfragen behandelt. Moral- und Politische Philosophie wurde erst allmählich mittels Übersetzungen präsent. Diese Lücke umfasst natürlich auch alle Geschlechterfragen und dazu kommt noch die Ausschließung der Geschlechterfrage im intellektuellen Milieu der tschechischen Gesellschaft im Allgemeinen. Der Grund dafür liegt in der Gleichsetzung dieser Frage mit der sozialistischen Ideologie. Ironischerweise war jedoch in Wirklichkeit die "Frauenfrage" auch nicht Teil der Forschungs-

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Feministische Philosophie in Tschechien

programme der kommunistischen philosophischen Abteilungen und zwar aus zwei Gründen: Sie wurden erstens offiziell als praktisch "gelöst" angesehen, zweitens, als Sozialfragen zu eng an der Realität und deswegen als ideologisch heikel betrachtet. Frage: Gab es im Fachbereich Philosophie vor der Wende Bezug zu westlichen feministischen Theorien? Wenn ja, zu welchen AutorInnen, WissenschafterInnen? Gab es direkte, persönliche Kontakte? Antwort: Nein, es gab keinen solchen Kontakt, denn die Kontakte mit den westlichen Kollegen waren im Allgemeinen sehr gering. Da war die Situation in der Tschechoslowakei anders als z. B. in Polen oder Ungarn, wo das kommunistische Regime in den zwei letzten Dekaden doch mehr geöffnet und auch liberaler war und Leute viel mehr in den Westen reisen konnten. Bulgarien und Rumänien haben wieder viel mehr als die Tschechoslowakei ihre wissenschaftliche Jugend unterstützt und den jungen Leuten Auslandsstipendien ermöglicht (d.h. gestattet). Die Tschechoslowakei ist das nach der Sowjetunion isolierteste kommunistische Land gewesen, nachdem die Grenzen im Herbst 1969 geschlossen wurden, und zwar um die massive Emigration nach der Invasion 1968 zu beenden. Die Zeit danach, offiziell "die Normalisierung" genannt, war dazu auch noch kulturell sehr repressiv. Während der achtziger Jahre wurde das Gesellschaftsklima etwas freier, die Ausreisepolitik jedoch nicht. Besonders die Wissenschaftler, die keine Parteimitglieder waren (zu diesen habe ich gehört), konnten das Land in Richtung Westen nicht verlassen. Ich hatte eher zufällig Herta Nagl bei ihrem Besuch in Prag kennen gelernt, vor der Wende konnte aber unsere Zusammenarbeit nur beschränkt stattfinden. Mit feministischen Themen fing ich mich erst nach der Wende an zu befassen.

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Frage: Gab es vor der Wende theoretische Auseinandersetzungen mit dem Problem des Geschlechterverhältnisses? Wenn ja, welche Publikationen könnten Sie uns diesbezüglich nennen? Antwort: Im Bereich der Philosophie nicht. In der Soziologie gab es seit den siebziger Jahren viele quantitative Studien über die Verwandlungen des sozialen Status der Frauen, d.h. der Ausbildungsentwickelung der Frauen, ihrer Position auf dem Arbeitsmarkt u. a., doch die meisten Studien erforschten das Thema Frau bloß im Zusammenhang mit den Problemen von Familie oder Scheidung. Diese Forschungen waren jedoch nicht im Geringsten unter dem Einfluss von feministischen Theorien oder Methoden. Die komplexeste Thematisierung der Geschlechterfrage (später auch von den westlichen "Gender Studies" beeinflusst) finden wir bei einem Mann, dem Soziologen Ivo Možný aus der Masaryk-Universität in Brno (Brünn). Zu erwähnen ist seine hervorragende und einzigartige Monographie Die Familie der Hochschulsabsolventen (veröffentlicht 1984 auf Tschechisch mit englischer Zusammenfassung), die der Dynamik der Zweikarrierenfamilie gewidmet war und neue Themen eröffnete. Informationsreich und von komparativem Wert (die Autorin war und ist in Westdeutschland verheiratet) ist auch das Buch von Alena Köhler-Wagnerová "Die Frau im Sozialismus – Beispiel CSSR (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1974, auf Deutsch). Frage: Gibt es eine Institutionalisierung von Gender Studies im Fachbereich Philosophie? Wenn ja, in welcher Form? Seit wann, an welchen Universitäten oder sonstigen Institutionen Ihres Landes? Wer sind die zuständigen ProfessorInnen? Welche Diplomarbeiten und Dissertationen liegen im Bereich der feministischen Philosophie vor? Gibt es spezielle Arbeitsgruppen? Welche Veröffentlichungen gibt es im Bereich der feministischen Philosophie und wo sind sie erschienen? Und wie steht es in anderen Fachbereichen?

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Feministische Philosophie in Tschechien

Antwort: Nein, gibt es nicht. Seit 1990 existiert eine Forschungsgruppe (vier bis fünf Forscherinnen) am Institut für Soziologie der Akademie der Wissenschaften in Prag, "Soziale Stellung der Frauen" genannt, heute "Gender und die Gesellschaft". Diese wurde von Anfang an von Marie ýermáková geleitet. Soziologische Forschungen zur sozialen Stellung der Frauen werden auch im "Forschungsinstitut des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik" betrieben. Seit 1998 gibt es ein sogenanntes "Kabinett für Gender Studies" bei der Abteilung Sozialarbeit an der Philosophischen Fakultät in Prag, eine kleine Gruppe (ohne Professorin), die ein ergänzendes Gender-Programm für die genannte Abteilung zusammenstellt. Es gibt bisher noch kein selbstständiges Bakkalaureat- oder Magister- oder Doktoratsprogramm, auch keine Abteilungen an den tschechischen Universitäten, die sich speziell mit der Geschlechterproblematik befassen. Doch gibt es mehrere individuelle Vorlesungen an einzelnen Fakultäten. Der Grund für diese Situation ist die bislang sehr kleine Zahl an Fachfrauen, die feministisch orientiert sind: zwei Historikerinnen, etwa fünf Soziologinnen, eine Philosophin (falls ich eine bin), eine Psychologin, eine Kunsthistorikerin usw. Dank unserer einzelnen Kurse gibt es junge Frauen, die an unseren Vorlesungen über feministische Themen stark interessiert sind. Einige absolvierten das Gender Studies Programm an der CEU in Budapest. Danach aber verschwinden sie meistens im Westen, wo sie weitere Ausbildungen, aber auch andere Lebenspläne realisieren. Die tschechische feministische Szene weitet sich nur langsam, nach und nach, aus. Eine Fachangestellte für Feministische Forschung gibt es bislang nur in der oben erwähnten Arbeitsgruppe am Institut der Soziologie. Aufgrund dieser Situation erweist sich die Gründung eines interdisziplinären Magisterprogramms als die beste Lösung sowohl für die Zusammenarbeit der bisherigen Einzelgängerinnen aus den einzelnen Fächern, als auch für die Stellenchancen des interessierten "Nachwuchses". Die humanwissenschaftliche Fakultät,

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

wo ich arbeite, scheint dafür gut geeignet zu sein und ich habe die Gründung eines solchen Programms in kurzer Zeit vor. Frage: Gibt es eigens für Gender Studies gegründete Abteilungen oder Institute? Wenn ja, wann wurden sie gegründet und von wem? Wie werden sie finanziert? Wurden dadurch neue Freiräume und Möglichkeiten für Wissenschafterinnen eröffnet? Wie ist das Verhältnis zu den bisherigen Institutionen an den Universitäten oder sonstigen bisherigen Institutionen wie z. B. Akademien der Wissenschaften? Gibt es Diplomarbeiten und Dissertationen oder auch sonstige Publikationen? Antwort: 1991 wurde das "Gender Studies Center" (weiter GSC) in Prag gegründet, mit dem Statut einer Stiftung. Das Hauptziel der Stiftung war die Gründung einer Bibliothek für Gender- und Feministische Studien. Es muss betont werden, dass es vorher so gut wie keine feministischen Publikationen in den tschechischen Bibliotheken gab, samt der Universitäts- oder Staatsbibliothek. Im Katalog der Bibliothek des Instituts für Philosophie der AdW fand ich heute noch nur vier (!) feministische Titel. Die Bibliothek des GSC ist demzufolge die einzige derartige Quelle mit dieser Literatur in der Tschechischen Republik und hat im Moment etwa viertausend Bücher in vielen Sprachen, meistens aber in Englisch. Das GSC hat nie als Äquivalent eines Uni-Zentrums für Gender Studies funktioniert und meines Erachtens ist sein Name eigentlich irreführend. Das GSC organisierte jedoch in seinen ersten Jahren einen aus einzelnen Vorlesungen (von verschiedenen Fachleuten) zu Genderfragen zusammengestellten Kurs, der in den tschechischen Universitäten "herumreiste" und erste Bruchteile der feministischen Sichtweise anbot. Seit einigen Jahren lädt das GSC Fachleute zur Geschlechterproblematik ein (nicht immer feministisch orientiert), um eine Vorlesung für die Öffentlichkeit zu halten, diese sind jedoch nicht sehr gut besucht. Ab und zu finanziert das GSC Publikationen (Broschüren) zu Geschlechterfragen (wie z. B. die Resultate der Beijing Konferenz). Die Gruppe um das GSC ver228

Feministische Philosophie in Tschechien

steht sich als aktivistisch, nicht akademisch. Für die Wissenschafterinnen ist das GSC – mit der Ausnahme der Bibliothek – praktisch ohne Bedeutung. Die Diplomarbeiten können beim GSC nicht entstehen, die Bibliothek versucht jedoch, möglichst viele Kopien von Diplomarbeiten zu Geschlechterthemen aus den Fakultäten zu sammeln. Das GSC war von den Akademikerinnen JiĜina Šiklová, Marie ýermáková und Hana Navarová gegründet worden. Finanziert war es zu Beginn teilweise vom East-West Women's Network mit dem Sitz in Washington (repräsentiert u. a. durch Prof. Ann Snitow). Die Hauptfinanzierung kam jedoch und kommt bis zum heutigen Tag von der deutschen Frauen-Stiftung, die in die Heinrich-Böll-Stiftung integriert wurde. Da das GSC bislang nur geringe Fundraising-Aktivitäten betrieben hat, bleibt diese Finanzierungsquelle praktisch die einzige und das GSC ist von ihr abhängig. Zu betonen ist, dass es mit einigen Ausnahmen (z. B. Nadace pro rozvoj obcanské spolecnosti – eine Stiftung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft, die kleinere Projekte fördert) keine finanzielle Unterstützung des GSC aus den tschechischen Quellen bisher gegeben hat. Frage: Wie würden Sie die Rezeptionsschwerpunkte von westlicher Genderforschung beschreiben? Eher aus dem angelsächsischen, dem französischen, dem amerikanischen, dem deutschen oder dem sonstigen Sprachraum? Gibt es Übersetzungen bestimmter Texte und wenn ja, welche? Gibt es Zeitschriften speziell für feministische Philosophie oder Theorie bzw. gibt es solche Schwerpunkte in anderen Zeitschriften? Von wem werden sie finanziert? Antwort: Es ist sehr schwierig, direkt von Rezeptionsschwerpunkten zu sprechen. Wie schon oben erwähnt, gibt es nicht viele feministisch orientierte Fachleute und die Rezeption ist demnach sehr individualisiert und hängt von den Sprachkenntnissen ab. Die meisten tschechischen Fachleute beherrschen wenigstens zwei Fremdsprachen, meistens Englisch und Deutsch 229

Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

oder Französisch (die beiden letzten sind besonders bei den Philosophen häufig in Gebrauch), und die ältere Generation auch noch Russisch. Die jüngere Generation ist mehr auf Englisch hin orientiert. In der Bibliothek des GSC überwiegen stark die Englisch geschriebenen Titel. Diese stammen aber nicht zwangsläufig aus dem angloamerikanischen Sprachraum zu kommen, sondern kommen z. B. auch aus Skandinavien. Die nordische feministische Literatur stellt dann besonders für die Soziologie eine wichtige Quelle und Inspiration dar. Das andere "Zugangstor" ist natürlich die Übersetzungspolitik. Hier möchte ich die außerordentliche Rolle der slowakischen feministischen Zeitschrift Aspekt auch für die tschechische Szene hervorheben, die in Bratislava herausgegeben wird. Diese Zeitschrift (genauer gesagt die sie betreibende NGO-Stiftung) wurde noch in der Zeit der Existenz der Tschechoslowakischen Föderation gegründet, gleichzeitig mit dem GSC in Prag und als dessen Partner. Sie ist auch bis heute von der gleichen Quelle wie das GSC finanziert worden (d. h. von der Frauen-Stiftung bzw. Heinrich-Böll Stiftung). Es wurde vorgesehen, dass sie als Veröffentlichungsforum auch für tschechische Autoren/Innen dienen soll. Dies ist tatsächlich der Fall, obwohl nach der Trennung der Anteil der slowakischen Beiträge natürlich viel größer ist. Zum großen Teil besteht der Inhalt der Zeitschrift aus Übersetzungen der wichtigsten feministischen Beiträge – der klassischen sowie der zeitgenössischen. Und es ist offensichtlich, dass die Übersetzungspolitik der Zeitschrift auf möglichst große Ausgewogenheit hin zielt. Beiträge aus dem angloamerikanischen oder deutschen Sprachraum, aus dem italienischen, nordischen (samt finnländischen), französischen, aber auch aus postkommunistischen Ländern stammende Literatur ist hier bunt vertreten. Die Übersetzungen sind entweder auf Slowakisch oder Tschechisch – für die Tschechen und Slowaken gegenseitig ohne weiteres verständlich. Die Übersetzungen aus der Zeitschrift Aspekt wurden zur Hauptquelle für die Seminartexte, die meine Kolle-

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Feministische Philosophie in Tschechien

ginnen und ich in den Seminaren benutzen. Ihre Auswahl für das Studium konzentriert sich dann mehr auf die konkreten Themen, den Sprachräumen nach ist sie eklektisch. Dieselbe Politik praktiziert die Gruppe Aspekt auch in ihrer Herausgebertätigkeit (die Edition wird meistens durch die Stiftung Pro-Helvetia finanziert). Ihre neueste bedeutende Tat stellt die Übersetzung von Carole Pateman's Sexual Contract dar. Dem Sprachraum nach war auch die einzige monothematische Nummer der Tschechischen Philosophischen Zeitschrift eklektisch, die ich und meine Kollegin Jirina Smejkalova-Strickland als Gastherausgeberinnen zusammengestellt haben (Filosoficky casopis 1992/5). Zur Illustration die Namen der Autorinnen in dieser Nummer (die bisher keine Fortsetzung gehabt hat) der Reihenfolge der Artikel nach: H. Havelková, H. Nagl-Docekal, P. Horská / J. Pešková, A. Vodáková, A. M. Jaggar, M. Le Doeuff, J. Smejkalová-Strickland, E. List, R. Braidotti, C. C. Gould, J. Flax. Gerade die Ausgewogenheit der Sprachräume und der thematischen Kreise wurde zum Schlüssel für die Auswahl. Zu bemerken ist, dass die Idee einer solchen feministischen Nummer vonseiten der Leitung der Philosophischen Zeitschrift kam. Später wurden in dieser Zeitschrift aus der feministischen Literatur nur noch im Rahmen der zu präsentierenden zeitgenössischen Moralund Politischen Philosophie folgende Autorinnen bekannt gemacht: Susan M. Okin und Seyla Benhabib. Eine spezielle philosophische feministische Zeitschrift oder ein anderes Forum für feministische Philosophie gibt es nicht (in Aspekt werden jedoch häufig auch philosophische Texte veröffentlicht). Im Moment versucht eine Gruppe, zu der auch ich gehöre, eine rein feministische tschechische kulturell-wissenschaftliche (interdisziplinäre) Zeitschrift zu gründen. Programm und Konzept wurden veröffentlicht, im Moment werden Finanzierungsmöglichkeiten gesucht. Den eklektischen Charakter der Feminismusrezeption bei uns betrachte ich übrigens als einen an sich signifikanten Zug der Entwicklung des tschechischen feministischen Diskurses. Dies

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

bedeutet neben der unterschiedlichen praktischen Ausgangslage auch einen unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkt (siehe dazu u. a. meinen Artikel "Real existierender Feminismus" in Transit: Europäische Revue 1995, Nr. 9, 146-157, herausgegeben vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien). Was die sonstige Herausgabe an feministischen Büchern betrifft, so ist die Publikation der Übersetzung von Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht im Jahr 1966 zu erwähnen, die von Jan Patoþka persönlich durchgesetzt, editiert und mit einem umfangreichen Nachwort versehen wurde. Diese Veröffentlichung rief seinerzeit lebhafte Diskussionen in der kulturellen Öffentlichkeit hervor, die aber infolge der sowjetischen Invasion samt vieler anderer Themen beendet wurde. Heutzutage werden nur mehr einzelne und eher klassische feministische Titel herausgegeben, so z. B. Virginia Woolfs Ein eigenes Zimmer oder vor kurzem Female Eunuch von Germaine Greer oder eine Anthologie mit Auszügen aus klassischen feministischen Texten der 70er und Anfang der 80er Jahre aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum sowie weiteren englischsprachigen Ländern. Die Spezialisten sind daher sowohl in der Philosophie als auch in anderen Fachbereichen auf vorwiegend fremdsprachige Lektüre angewiesen. Vielleicht überraschenderweise gibt es bei uns jedoch einen rein feministischen Verlag, genannt "One Woman Publisher" oder auch "Verlag Marie Chribková", wirklich nur von einer Frau geführt. Der Verlag funktioniert ohne jedes Grundkapital und ist auf die finanzielle Unterstützung der einzelnen Titel durch die Sponsoren angewiesen und so ist hauptsächlich Geld der bremsende Faktor. Feministischen Titeln zugeneigt ist auch der Soziologische Verlag (SLON) in Prag. Auch die Soziologische Zeitschrift ist feministischen Beiträgen gegenüber offen (siehe vor allem die zwei feministischen Nummern 1995/1, Gastherausgeberinnen Marie Cermáková und Hana Havelková, und auf Englisch

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Feministische Philosophie in Tschechien

in Czech Sociological Review 1999/2, Gastherausgeberin Marie Cermáková – beide unter derselben Redaktion). Frage: Haben sich Ihrer Meinung nach die Erfahrungen, die seit der Wende1989 sowohl in politischer, gesellschaftlicher als auch beruflicher und privater Hinsicht gemacht wurden, auf die Rezeption von westlich-feministischer Philosophie und Theorie besonders ausgewirkt? Wenn ja, auf welche Weise? Gibt es neue feministische Theorieansätze, die daraus entstanden sind? Wenn ja, um welche handelt es sich und wurden sie bereits im Westen publiziert? Antwort: Die erste Frage ist besonders schwierig, weil sie irgendwie unserer Situation nicht entspricht – die Frage selbst setzt eine gewisse Logik (im Sinne westlicher Erfahrung) voraus, nach der die Dinge hier nicht verlaufen. In der Wirklichkeit haben sich gleich nach der Wende diejenigen für die westlich-feministischen Theorien interessiert, die die gesellschaftliche und philosophische Relevanz der Geschlechterproblematik sowieso (ohnehin) bereits erkannt und anerkannt hatten. Diese Fachleute hatten ja die theoretischen Ansätze immer mit der sozialen Realität zu verbinden versucht. Die (aktivistische) Frauenbewegung dagegen ist bei uns nach wie vor sehr schwach gewesen und hat bisher ihrerseits auf die realen Probleme der Frauen nur wenig aufmerksam gemacht. Die Thematisierung konkreter praktischer Probleme taucht so erst in letzter Zeit seitens einzelner Journalisten auf, die sich an die (feministische) ExpertInnen wenden und ihre (bzw. unsere) Forschungsresultate verwenden. Dies geschieht aber auf der populären Ebene. Eine massivere Rezeption der westlichen Theorien wird dadurch nicht herbeigeführt. Und umgekehrt gilt, dass diese Rezeption von den realen Transformationsprozessen unabhängig ist – wie wir gesehen haben, ging sie diesen voraus. Die Kluft zwischen den realen Problemen der Frauen und dem Interesse an feministischen Themen ist immer noch sehr groß und wird durch das negative Bild des Feminismus, welches die tschechischen Medien seit 1989 verbreiten, nur noch größer. 233

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So werden die realen Probleme (z. B. das zunehmend bekannt werdende Phänomen der "domestic violence") eher auf einer pragmatischen, vom Feminismus abgetrennten Ebene behandelt. Das Interesse an feministischen Theorien wächst eher bei den Frauen und Männern aus der jüngeren Generation, die die Möglichkeit eines Aufenthalts im Westen hatten. Eher beeinflusst der Kontakt mit dem westlichen Alltags- und Kulturdiskurs die Feminismusrezeption in positiver Weise, als der Kontakt mit dem tschechischen Alltag. Dazu ist der Vollständigkeit halber noch hinzuzufügen, dass der tschechische Transformationsprozess bislang noch keine für die Frauen drastischen Folgen mit sich gebracht hat, wie etwa eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit der Frauen oder Abtreibungsprobleme (im Unterschied zu Polen oder den deutschen Ostländern). Ohne einen derartigen Funken entwickelt sich der tschechische feministische Diskurs auf eine stark individualisierte Art und Weise (wird sozusagen nicht in größere Strömungen kanalisiert) und immer mehr als seltsames Kulturinteresse. Zu den anderen zwei Fragen: Ich habe an mehreren Stellen betont, dass wegen der absoluten Absenz eigener Theorien die westlichen Theorien an die lokale (postkommunistische) Realität angepasst werden mussten. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die einzelnen westlichen Begriffe hier andere Konnotationen beinhalten und die statistischen Daten anders gelesen und interpretiert werden müssen. Grundsätzlich neue Theorien wurden hier aber, nach meiner Kenntnis, bisher nicht gebildet und es gibt auch keine große Notwendigkeit das zu tun. Persönlich habe ich in meinen Veröffentlichungen (meistens im Ausland, denn ironischerweise ist diese Diskussion bloß auf dem Boden des westlichen feministischen Diskurses möglich, kaum aber hier, wo dieser Diskurs so gut wie nicht existiert, immer die unterschiedliche Grundstruktur der Geschlechterprobleme bei uns betont, mit dem Vorbehalt jedoch, dass diese, da sie zum großen Teil ein kommunistisches Erbe ist, nur vorübergehend sein mag.

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Feministische Philosophie in Tschechien

Die Unterschiede im Forschungsaufkommen liegen deshalb eher auf der empirischen Ebene als auf der Grundlagenebene. Im Allgemeinen ist aber auch klar, dass die Kontextualisierung der mutmaßlichen Universalität der westlichen feministischen Theorien durch ihre Konfrontation mit der osteuropäisch-postkommunistischen Erfahrung eine zusätzliche Dimension angenommen hat, etwa die der Identität einer "Bürgerin zweiten Ranges" im europäischen Raum aufgrund der ökonomischen Situation und der insgesamt hohen Armut der Bevölkerung, was die Rangordnung der Lebensprobleme auch hinsichtlich der Geschlechterfragen beeinflusst. Auch die unterschiedliche Geschichte spielt eine Rolle. Im Grunde kann ich hier keine befriedigenden Antworten geben, dafür ist der Raum zu klein. Außerdem habe ich ausführliche Artikel zu diesem Thema publiziert. Frage: Welche Kontakte zu westlichen feministischen Theoretikerinnen haben sich für Sie seit der Wende ergeben? Wann, wie und wo fanden sie statt? Antwort: Hier kann ich ganz kurz antworten – da sind heute sehr viele Kontakte sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten oder Kanada, die gelegentlich von Nutzen sind. Aber nicht alle können permanent gleich aufrechterhalten werden. Dies war nur dank der vielen Einladungen zu internationalen Konferenzen nach 1989 möglich, an denen ich teilgenommen habe. Für diese Möglichkeit bleibe ich für immer sehr dankbar. Was jedoch die wissenschaftliche Diskussion betrifft, so hat sich allmählich herausgestellt, dass unser unterschiedlicher gesellschaftlicher Kontext viel besser unter Sozialwissenschafterinnen aus anderen postkommunistischen (und gleichzeitig ja meistens auch osteuropäischen) Ländern gegenseitig mitteilbar und verständlich ist, und so formt sich nach und nach die Zusammenarbeit an konkreten Projekten auf der sogenannten Ost-Ost-Basis. Auf die westlichen Theorien, Konzepte, Methodologien stützen wir uns nichtsdestoweniger in gleicher Weise weiter.

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Feministische Philosophie in der Slowakei. Ein Interview mit Zuzana Kiczková* Frage: Welche Brüche entstanden durch die Wende 1989 im Wissenschaftsgebiet der Philosophie: Wurden Gesetze verändert, Bereiche umbenannt, gingen Arbeitsplätze verloren? Wurden diese umbesetzt, neu besetzt? Antwort: Die Situation auf dem Lehrstuhl für Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Komensky-Universität ist folgende: Einige Bereiche wurden erhalten. Starke Positionen vor der Wende 1989 hatten Logik und Methodologie. Einige Bereiche wurden umstrukturiert, z. B. Ethik, Epistemologie, die mittelalterliche Philosophie wurde mit Hilfe von Dozent Erwin Waldschütz von der Universität Wien neu konzipiert. Frage: Gab es im Fachbereich Philosophie vor der Wende 1989 Bezug zu westlichen feministischen Theorien? Wenn ja, zu welchen AutorInnen, WissenschafterInnen? Gab es direkte, persönliche Kontakte? Antwort: Nein. Absolut kein Kontakt, es gab keine Information über feministische Philosophie und die AutorInnen waren auch völlig unbekannt. Unter den Büchern, welche Kollegen aus dem Westen manchmal heimlich mitgebracht haben, war keine einzige Publikation über die feministische Problematik oder über Geschlechterverhältnisse. Frage: Gab es vor der Wende theoretische Auseinandersetzungen mit Geschlechterverhältnissen? Wenn ja, welche Publikationen können Sie diesbezüglich angeben? Antwort: Vor der Wende gab es theoretische Auseinandersetzungen über Geschlechterverhältnisse nur im Rahmen der *

Zuzana Kiczková ist Professorin an der philosophischen Fakultät der Comenius Universität in Bratislava.

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Feministische Philosophie in der Slowakei

offiziellen Emanzipationskonzeption der Frauen. In den meisten soziologischen Artikeln wurde das Problem der Doppelbelastung der Frauen behandelt. Kurz vor der Wende erschien das Buch Moderni rodina (Die moderne Familie) des tschechischen Soziologen Ivo Možný, wo schon im 5. Kapitel anders als bisher über das Patriarchat und die Probleme der Frauen geschrieben wurde. Die slowakische Übersetzung von Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht aus dem Jahre 1968 blieb vergessen, unerwünscht und theoretisch ungenützt. Frage: Gibt es eine Institutionalisierung von Gender Studies im Fachbereich Philosophie? Wenn ja, in welcher Form? Seit wann, an welchen Universitäten oder sonstigen Institutionen Ihres Landes? Wer sind die zuständigen ProfessorInnen? Welche Diplomarbeiten und Dissertationen im Bereich feministische Philosophie liegen vor? Gibt es spezielle Arbeitsgruppen? Welche Veröffentlichungen und wo gibt es im Bereich der feministischen Philosophie? Antwort: In der Slowakei gibt es keine Institutionalisierung von Gender Studies. Einiges was regelmäßig läuft, sind die Vorlesungen: Einführung in die feministischen Studien (Theorien) an der Philosophischen Fakultät der Komensky-Universität in Bratislava. Es sind zwei Stunden in der Woche, seit dem Studienjahr 1990 bis heute. Die Vorlesungen sind für StudentInnen der ganzen Fakultät und Universität bestimmt. Die Themen der Vorlesungen ändern sich in jedem Semester. Die Vortragenden (Organisation und Leitung): Doz. PhDr. Zuzana Kiczková, CSc. und Doz. PhDr. Etela Farkašová, CSc., seit 1996 auch PhDr. Marianna Szapuová, CSc. Alle sind Philosophinnen. Manche Vorlesungsreihen wurden interdisziplinär konzipiert und als Vortragende wurden dann Ethnologinnen, Kulturologinnen, Literaturwissenschafterinnen, Politologinnen, u. a. eingeladen. Im Bereich feministische Philosophie liegen sechs Diplomarbeiten und eine Dissertation vor.

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Es gibt einige Veröffentlichungen (auf Slowakisch): x

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Herta Nagl-Docekalová, Brigitte Weishauptová, Evelyn Fox-Kellerová, Lorraine Codeová: Štyri poh'lady do feministickej filozofie, Archa, Bratislava 1994 Elisaheth Badinter: Materská láska, Aspekt, Bratislava 1998 Zuzana Kiczková: Príroda:vzor žena!? HĐadanie alternatív v ekofeminizme. Aspekt, Bratislava 1998 Rohvory Aspektu z rokov 1993-1998. Aspekt, Bratislava 1998 Elisabeth Badinter, XY. Identita mužskosti. Aspekt, Bratislava 1999 Naomi Wolf, Mýtus krásy. Aspekt: Bratislava 2000 Zuzana Kiczková, Otázky rodovej identity vo výtvarnom umení, architektúre, filme a literatúre. Univerzita Komenského, Bratislava 2000 Carole Pateman, Sexuálna zmluva. Aspekt: Bratislava 2000

Es gibt viele Artikel (bzw. Übersetzungen) in der Zeitschrift Aspekt von folgenden AutorInnen: H. Cixous, U. Gerhard, H. Nagl-Docekal, I. M. Yong, M. Daly, C. Pateman, A. Günter, I. Birkhan, S. Hoagland, C. J. Adams, L. Kaplan Duhan, F. Olsen, M. S. Kimmel, M. Vodrážka, D. Borrillo, S. Walczevska, A. Godenzi, J. Benjamin, G. Pollock, A. Bergen, J. Bloomer, A. Rich, M. Wittig, J. Butler, S. Hark, M. Sichtermann, A. Lorde, B. Duden, E. Grosz, L. Nead, R. Salecl, M. Wollstonecraft, L. Irigaray, Ch. Thürmer-Rohr, C. Gilligan, L. Muraro, F. Collin, L. Busheikin, V. Woolf, E. Bronfen, T. Olsen, u.a. Frage: Gibt es speziell für Gender Studies gegründete Abteilungen oder Instituten? Wenn ja, wann wurden sie gegründet und von wem? Wie werden sie finanziert? Wurden dadurch neue Freiräume und Möglichkeiten für Wissenschafterinnen geschaffen? Wie ist das Verhältnis zu den bisherigen Institutionen an 238

Feministische Philosophie in der Slowakei

den Universitäten oder sonstigen bisherigen Institutionen wie z. B. Akademien der Wissenschaften? Gibt es Diplomarbeiten und Dissertationen oder auch sonstige Publikationen? Antwort: In anderen Fachbereichen gibt es keine Institutionalisierung von Gender Studies. Es gibt keine Abteilungen oder Institute für Gender Studies, aber es gibt viele Vorlesungen und Seminare zur Genderproblematik. Sie werden von den Frauen von der feministischen Assoziation Aspekt (Jana Cviková und Jana JuráĖová), welche die Zeitschrift Aspekt und Bücher in der Edition Aspekt herausgeben, organisiert. Sie werden von der Heinrich Böll Stiftung und Pro Helvetia finanziert. Die Zeitschrift Aspekt bietet auch für junge Wissenschafterinnen die Möglichkeit ihre Studien zu veröffentlichen. Die Philosophinnen E. Farkašová, Z. Kiczková und M. Szapuová, zusammen mit Jana Cviková und Jana JuráĖová realisieren Lehrveranstaltung für LehrerInnen an Gymnasien und Mittelschulen mit dem Ziel der Gendersensibilisierung und der Dekonstruktion von Genderstereotypen in den Lehrbüchern und Lernprozessen. Das Verhältnis zur Akademie der Wissenschaften ist sporadisch, bis heute haben wir (Philosophinnen) vier Vorlesungen zu verschiedenen Themen in Feministischer Philosophie gehalten. Frage: Wie würden Sie die Rezeptionsschwerpunkte von westlicher Genderforschung beschreiben? Eher aus dem angelsächsischen, dem französischen, dem amerikanischen, dem deutschen oder sonstigen Sprachraum? Gibt es Übersetzungen bestimmter Texte und wenn ja, welche? Gibt es Zeitschriften speziell für feministische Philosophie oder Theorie bzw. gibt es solche Schwerpunkte in anderen Zeitschriften? Von wem werden sie finanziert? Antwort: Die Rezeptionsschwerpunkte von westlicher Genderforschung – wie die oben erwähnten Namen von Feministinnen zeigen, sind verteilt. Doch in Lehrveranstaltungen werden 239

Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

eher Texte aus dem deutschen und amerikanischen Sprachraum benützt. Der Rest der Fragen wurde im Punkt 2 beantwortet. Frage: Haben sich Ihrer Meinung nach die Erfahrungen, die seit der Wende1989 sowohl in politischer, gesellschaftlicher als auch beruflicher und privater Hinsicht gemacht wurden, auf die Rezeption von westlich-feministischer Philosophie und Theorie besonders ausgewirkt? Wenn ja, auf welche Weise? Gibt es neue feministische Theorienansätze, die daraus entstanden sind? Wenn ja, um welche handelt es sich und wurden sie bereits im Westen publiziert? Antwort: Die Rezeption von westlich-feministischer Philosophie und Theorie wird auch noch nach 10 Jahren in den philosophischen und intellektuellen Kreisen skeptisch aufgenommen und oft mit negativen Konnotationen verbunden. Außer den zähen Vorurteilen, die immer noch stärker als rationelle Argumentation sind, spielt meiner Meinung nach eine (negative) Rolle die Nichtakzeptanz (sogar Ablehnung) von postmodernen Ideen und Initiativen, die "ein alternatives und pluralistisches Vorfeld” auch für eine positivere Rezeption der feministischen Philosophie vorbereiten könnten. Die feministischen Theorieansätze bestehen im Versuch, die methodologische Tragfähigkeit der Kategorien des Öffentlichen und Privaten in den Bedingungen der Gesellschaftstransformation zu überprüfen, um die Sensibilisierung für Machtmechanismen und Machtasymmetrien von der Genderperspektive her zu ermöglichen (thematisiert in Zuzana Kiczkova: "What Do we Need Feminist Theories for? – Or the Private and the Public Revisited," in: Gender in Transition in Eastern and Central Europe. Berlin: trafo, 2001). Frage: Welche Kontakte zu westlichen feministischen Theoretikerinnen haben sich für Sie seit der Wende ergeben? Wann, wie und wo fanden sie statt? 240

Feministische Philosophie in der Slowakei

Antwort: Meine Kollegin Etela Farkašová und ich haben an mehreren Frauenkonferenzen im Westen aktiv teilgenommen. Wir haben sehr gute Kontakte mit mehreren feministischen Theoretikerinnen, doch die besten sind die mit denjenigen Philosophinnen, die in Bratislava waren und Vorträge hielten: Herta Nagl-Docekal, Ingvild Birkhan, Ursula Kubes-Hofmann, Ute Gerhard, u. a. Im Sommersemester 1996 waren Doz. Etela Farkašová und Dr. Zuzana Kiczková als Gastprofessorinnen an der Universität Wien am Institut für Philosophie eingeladen. Sie hatten im Rahmen der Blockveranstaltungen die Vorlesungen mit dem Titel: "Konstruktion und Funktion verschiedener Frauenbilder in der philosophischen, politischen und lebenspraktischen Reflexion". Sehr gute Kontakte mit Dr. Ingvild Birkhan mündeten in eine sehr erfolgreiche interdisziplinäre städteübergreifende Ringlehrveranstaltung im Wintersemester 1998-1999, für 15 Studierende der Universität Wien, der Akademie der bildenden Künste und der Universität für angewandte Kunst Wien, sowie für 15 Studierende an der Philosophischen Fakultät der KomenskyUniversität. Vortragende in der ersten dreitägigen Blockveranstaltung in Wien waren: Doris Guth, Daniela Hammer-Tugendhat, Almut Krapf, Andrea B. Braidt und Ingvild Birkhan. In der zweiten Blockveranstaltung in Bratislava war die slowakische Seite durch folgende Vortragende vertreten: Zdenka Kalnická, Monika Mitašová, Zuzana Kiczková, Marianna Szapuová, Etela Farkašová, Mila Haugová. Die Texte der Ringlehrveranstaltung "Fragen der Geschlechtsidentität mit besonderer Berücksichtigung ästhetischer Theorien” wurden in der slowakischen Sprache als Buchdokumentation im Jahre 2000 herausgegeben. Dieses sinnvolle Projekt unterstützten finanziell: BMWV, die Aktion Österreich-Slowakische Republik und das Österreichische Kulturzentrum in Bratislava (siehe Interuniversitäre Koordinationsstelle für Frauenforschung Wien: Kostprobe 1993-1999, 21-22 oder Information, 45-47).

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Feminist Philosophy in Slovenia An Interview with Eva D. Bahovec* Question: Which ruptures emerged in the field of philosophy during the period after the political and social changes in 1989: Have laws been changed? Have special fields been renamed? Have workplaces been lost, have they been occupied by other people? Answer: There were, as it seems, actually less major changes in philosophy after 1989 than in some other countries; the intellectual life in Slovenia was quite different from what might be considered as a typical eastern European one. The so-called Western Marxism, the Frankfurt School, etc. as opposed to what Marcuse has called "Soviet Marxism" on the one hand, and, on the other hand, the philosophy of structuralism and poststructuralism, Lacanian psychoanalysis, the analytical philosophy, etc., have been part of the university curricula for a long time before 1989. However, the phenomenological and existentialist traditions were actually – in the most massive part – suppressed (they had been part of the university curriculum, but within a larger scope of the so-called "contemporary bourgeois philosophy", and not taught by the leading specialists in the field: Tine Hribar, Ivan Urbancic, etc.). It was only after 1989 that Professor Tine Hribar (who used to be teaching at the Faculty for Social Studies, where he had been a victim of a "Berufsverbot"/an employment ban for years), the leading existentialist philosopher in Slovenia, got a post at the Department of Philosophy at the Faculty of Arts. Later, he got an assistant, Dean Komelj (and together with some others started to publish a specialized journal called Phanomena), etc. Furthermore, a new post was established for the Asian and *

Eva D. Bahovec is Senior Researcher at the Centre for Women Studies, Institute of Educational Research and Associate Professor at the Department of Philosophy, Faculty of Arts, University of Ljubljana.

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Feminist Philosophy in Slovenia

Oriental philosophies. As for feminist philosophy, the newly introduced optional subject for philosophy students is being taught without any official arrangements (contract, payment, etc.). Question: Was there any contact to western feminist theories and theorists in the field of philosophy before the changes in 1989? If yes, to which authors, to which scholars? Answer: The contacts with the so-called Western Feminist Theory were established before 1989. For example, contacts were established with authors working in the field of feminism and psychoanalysis (with the editors of the English journal m/f Elisabeth Cowie, Parveen Adams); the presentation of m/f in the Slovene philosophical journal Problemi was prepared and published as a special issue in 1988. Also, contacts were established with some representatives of contemporary French philosophy and psychoanalysis. Question: Was there any theorizing of gender before the changes in 1989? If yes, which publications can you mention? Answer: There was a relatively long tradition of women and gender studies within the scope of empirical sociology, related mostly to the Faculty of Social Studies; however, no thorough theoretical polemics seemed to take place. Question: Is there any institutionalization of gender studies in the field of philosophy? If yes, in which way, at which university or other institution in your country? Can you tell us the name of the professors? Are there any dissertations in the field of feminist philosophy? Do special research groups and seminars exist? Which publications exist in the field of feminist philosophy? The institutionalization of gender studies is related to the following institutions: 1) The Faculty of Arts (Filozofska fakulteta), University of Ljubljana (Askrceva 2, Ljubljana); in 1998 a new graduate program was introduced by three departments (Philosophy, Sociology, German Language), called "Graduate Interdisciplinary Pro243

Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

gram in Women Studies and Feminist Theory". This seems to be the only specialized and autonomous program in the field; 6 graduate students and 2 PhD students have been enrolled. Also, seminars and lectures have been organized for other interested graduate students (not actually enrolled in our program), for the professors at the Faculty of Arts, and others. In some other graduate programs at the Faculty of Arts (i. e. programs of other departments), one of the subjects of the "Graduate Interdisciplinary Program in Women Studies and Feminist Theory" (namely the "Introduction to Feminist Theory"), has been introduced as an optional subject in the so-called individual programs. This has been established for some 10 graduate students, enrolled in other programs/departments (mainly in literary studies, carried out by Professor Neva Slibar). An undergraduate optional subject in feminist philosophy (in the first year it was called "Feminism, Psychoanalysis and Philosophy", and in the second year "Women Studies and Philosophy") was introduced in 1999 at the Department of Philosophy, Faculty of Arts, University of Ljubljana. Until now, several seminars and one diploma (on Luce Irigaray's philosophy) have been finished, while several others are in the making. The subject has been introduced and carried out by Eva D. Bahovec. Different essays on feminist philosophy have been published in the journal for women studies and feminist theory Delta (published since 1995). 2) The Faculty of Social Studies (Fakulteta za družbene vede), University of Ljubljana (Kardeljeva plošþad 5, Ljubljana): Themes on women studies and gender studies, as well as some optional subjects have been introduced by the group gathered at the Center for Gender and Politics (related to sociology of the family, social psychology, etc.). At the Faculty of Social Studies a rather large number of seminars and diplomas, mainly in empirical sociology, have been given over the last two decades – mainly by Professor Maca Jogan and her assistants and

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Feminist Philosophy in Slovenia

collaborators (Tanja Rener, Mirjana Ule, etc.). Moreover, there seems to be a growing interest in women studies and feminist theory in the scope of the Faculty of Social Studies program in Cultural Studies, introduced a couple of years ago by Professor Ales Debeljak and some others. 3) ISH – Graduate Faculty in Humanities (ISH Fakulteta za podiplomski humanisticni studij, Breg 12, Ljubljana): Some of the themes from women studies and feminist theory have been integrated into the program called "Anthropology of Gender", coordinated by Professor Svetlana Slapsak. The program "Feminist Theory" (coordinated by Svetlana Slapsak and Eva D. Bahovec) which was introduced in 1995, was abolished in 1997. 4) A research center called Center for Women Studies was established at the Institute of Educational Research (Gerbiceva 62, Ljubljana) in 1993. The research projects have been sponsored by the Slovene Ministry of Education and the Ministry of Science. 5) A research center on gender and politics was established at the Peace Institute (Metelkova 6, Ljubljana) a couple of years ago. The research projects have been sponsored by the Open Society Institute (Soros), the Slovene Ministry of Science, etc. Essays in gender studies have been published in several journals which are not specialized in women or gender studies (sometimes as special issues, for example of Problemi-Razprave, Casopis za kritiko znanosti, Sociološke raziskave, etc.). The above mentioned program on women studies and feminist theory at the Faculty of Arts has been institutionalized as a special, autonomous program, but not as a special department (professors from several departments are involved; those who do not have a post at the faculty, do not have any contracts, etc.). Question: How would you describe the reception of western gender studies? Do they come from English, French, American, German or other theories? 245

Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Answer: The mainstream would be based on the Anglo-Saxon and American tradition. The main translations include major "feminist" works by Christine de Pizan, Mary Wollstoncraft, Virginia Woolf, Simone de Beauvoir. Also, short essays by Julia Kristeva, Jacqueline Rose, Shoshana Felman, Joan Copjec, Luce Irigaray, Rosi Braidotti, Judith Butler, Donna Haraway, etc. have been translated. The books and book collections have been published by several publishing houses (Krtina, Analecta, Delta, c/f, Cankarjeva založba, Studentska zalozba, Visibilia, etc.) and by the Journal for Women Studies and Feminist Theory Delta as well as some others (Problemi, Casopis za kritiko znanosti, Lesbo, Socioloske razprave, etc.). The essays in feminist philosophy have been published mainly in the Journal for Women Studies and Feminist Theory Delta; the journal is published by the means of financial support from the Slovene Ministry of Culture. Question: Do you think that the experiences which have been made in politics and society since the changes in 1989 – in a professional way as well as in private life – have had any influence on the reception of western feminist philosophy and theory? Answer: This is a rather complex issue. There have been several new influences, but it is difficult to pin them down or relate them directly to the political changes in 1989; in Slovenia, the intellectual life seemed to be "western-oriented" for quite some time before 1989. Question: Which contacts to western feminist scientists have been opened for you since the changes in 1989? When, how and where did they occur? Answer: Before 1989 I made contacts with the psychoanalytic feminist journal m/f (cf. above). After 1989 I got in touch with the Network of East-West-Women and Ann Snitow as its director, but no really "two-sided" collaboration came out of it at that time. I have tried to get in contact with some other women 246

Feminist Philosophy in Slovenia

studies, east-west networks, universities, etc. The Slovene contacts with the Budapest Central European University were, at least at first, established within as what seemed to be a somehow closed community, mostly of empirically-minded social scientists; the contacts did not really spread into the field of philosophy and feminist theory in Slovenia. The same kind of problems seemed to be – at least at some points – related to the Slovenian Open Society Institute (the Soros Foundation) in relation to the financial support for some younger scholars in the field, publications, etc. As it seems, the Bureau for Women's Politics of the Slovene Government was not much of a help, either; we have asked them to help us to install a specialized institute on women studies via the Slovene Ministry of Science – as early as in 1993 – but this still seems to be no more than a dream. Also, some other problems seem to be present in relation to the Bureau's establishing the connections with the institutions of the European Union, their non-involvement in the issues "women and science" while focusing mainly on the issues of "women and politics", etc. In 1995 I joined the International Association for Women Philosophers (led at that time by Professor Linda McAllistair), and have attended two of the conferences. (My theoretical essay "War and Sexual Difference", presented at the Vienna conference, was published in the publication Krieg/War by Fink Verlag in 1997. The essay presented at the Boston conference is still a work in progress). In 1995 I was invited to the Vienna InterUniversity Coordination Center for Women Studies, directed at that time by Professor Ingvild Birkhan. The activities of the Center were presented in one of the 1996 issues of Delta. Via their help, the contacts have been established with the slovaque feminist journal Aspect (also presented in Delta in 1996), the Prague Center for Women Studies, etc. Also, a short essay on Women Studies in Slovenia was published in the Newsletters of the Austrian University Coordination Centers for Women Studies (last year, a shortened version of my interview with Rosi

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Braidotti was published in the Newsletters, as well). In 1998 I established contacts with the "Athena – Advanced Thematic Network in Activities in Women's Studies in Europe" (dealing with the university women studies, textbooks, etc.) sponsored by the European Commission and coordinated by Rosi Braidotti (the contacts have been established directly, via the internet). Still in progress. In 1999 I attended the Cinquantenaire du Deuxieme sexe conference in Paris – my essay is supposed to be published in the French and in the English version of the Proceedings (at the conference, I made contacts with Christine Delphy.) In 2000 I joined the Simone de Beauvoir Studies Society (and made contacts with the president, Jolanda Patterson) and attended the May Meeting at Trent University in Canada. Since 1989, I have been invited to give a lecture in the U.K. (where I have made contacts with Lynne Segal), USA (contacts with Claire Moses), Austria (contacts with Ingvild Birkhan, Marie-Louise Angerer and others) and Croatia (actually, I gave a lecture at Rijeka University, but I have made contacts with Biljana Kašiþ, the director of the Zagreb Center for Women Studies). Recently, I was invited to write an essay for the special issue on feminist theory of the Austrian Journal for East-West Philosophical Exchange Mesotes (published by Maria Fürst and Jürgen Trinks).

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Feministische Philosophie in Ungarn. Ein Interview mit Maria Joó* Frage: Welche Brüche entstanden durch die Wende 1989 im Wissenschaftsgebiet der Philosophie: Wurden Gesetze verändert, Bereiche umbenannt, gingen Arbeitsplätze verloren? Wurden diese umbesetzt, neu besetzt? Antwort: Der Marxismus ist vom offiziellen Lehrplan als Pflichtstudium (3 Semester lang für alle Studenten der Geisteswissenschaften) verschwunden. In den 80er Jahren haben wir unter seinem Deckmantel Philosophiegeschichte unterrichtet. Am Lehrplan für FachstudentInnen figuriert auch Marx, er ist aber zurzeit eher unbeliebt bei den Studenten. Es gab keine Namensänderungen, Arbeitsplätze gingen kaum verloren (insgesamt nur 10% Kürzungen). Frage: Gab es im Fachbereich Philosophie vor der Wende 1989 Bezug zu westlichen feministischen Theorien? Wenn ja, zu welchen AutorInnen, WissenschafterInnen? Gab es direkte, persönliche Kontakte? Antwort: Kontakte zur feministischen Theorie gab es auch vorher, durch mich und meine Interessen. Ich habe von meiner Studienzeit in Tübingen her vor allem deutsche Kontakte. Ich habe mit Evelyn Fox Kellers Reflections on Gender and Science und Wie männlich ist die Wissenschaft (herausgegeben von Nowotny/Hauser) bei Suhrkamp als Erste feministische Bücher gelesen, das war Mitte oder Ende der 80er Jahre, also 5 Jahre nach dem Erscheinen der genannten Bücher. Frage: Gab es vor der Wende theoretische Auseinandersetzungen mit Geschlechterverhältnissen? Wenn ja, welche Publikationen können Sie diesbezüglich angeben? *

Maria Joó ist Professorin am Institut für Philosophie der Eötvös Lorand Universitat (ELTE) in Budapest.

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Antwort: Einige Bücher von ungarischen Autorinnen sind erschienen, vor allem in Soziologie: H. Sas Judit, NĘies nĘk, férfias férfiak (Weibliche Weiber, männliche Männer) Budapest 1984 Akademiai Kiadó und Ferge Zsuzsas Aufsatze. Bücher von anderen Autoren: Simone de Beauvoir, Evelyn Sullerot, M. Mead. Geschlecht kam öfter im Rahmen der Probleme der Familie vor. Der erste ungarische Bericht über feministische Themen war eine tendenziös antifeministische Darstellung im Jahr 1988, von einem Soziologen zusammengestellt, der bekannt geworden war durch seine Klagen gegen Frauen in Scheidungsprozessen (siehe Hernadi Miklos, Igenek es nemek, Budapest: Minerva 1988, auf Deutsch: Pro und Kontra, Materialien aus feministischen Diskussionen) Frage: Gibt es eine Institutionalisierung von Gender Studies im Fachbereich Philosophie? Wenn ja, in welcher Form? Seit wann, an welchen Universitäten oder sonstigen Institutionen in Ungarn? Wer sind die zuständigen ProfessorInnen? Welche Diplomarbeiten und Dissertationen im Bereich feministische Philosophie liegen vor? Gibt es spezielle Arbeitsgruppen? Welche Veröffentlichungen und wo gibt es im Bereich feministische Philosophie? Antwort: Ein Institut für Gender Studies oder Women Studies gibt es in Ungarn nicht. Es gibt Programme für Geschlechterforschung innerhalb traditioneller Fachbereiche. Veranstaltungen von mir gibt es regelmäßig: Seminare, Vorlesungen. Leider gibt es noch keine Diplomarbeiten. Ich leite eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe von Dozentinnen und postgraduierten Studentinnen seit 3-4 Jahren. Veröffentlichung gibt es eine von mir, die sowohl auf Ungarisch als auch auf Deutsch erschienen ist: Maria Joó: "Die Liebe zum Ähnlichen, Platonischer Eros und Feminismus", in: Gymnasium. Zeitschrift für antike Kultur, Heidelberg 1997/2. Auf Ungarisch ist es in der ältesten Fachzeitschrift für Philosophie – Magyar Filozófiai Szemle – 1996 erschienen.

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Feministische Philosophie in Ungarn

Auch in anderen Fachbereichen wie Soziologie, Psychologie, Anglistik, Literaturwissenschaft, gibt es keine eigenen Abteilungen für Gender Studies, nur spezielle Programme nach freier Wahl. Eine Diplomarbeit gibt es in Soziologie. Das Verhältnis der Geschlechterforschung und den Institutionen? Es gibt Toleranz mit gelegentlicher, minimaler finanzieller Unterstützung nach vielen ergebnislosen Bewerbungen für sogenannte "Drittmittel". Frage: Wie würden Sie die Rezeptionsschwerpunkte westlicher Genderforschung beschreiben? Eher aus dem angelsächsischen, dem französischen, dem amerikanischen, dem deutschen oder sonstigen Sprachraum? Gibt es Übersetzungen bestimmter Texte und wenn ja, welche? Gibt es Zeitschriften speziell für feministische Philosophie oder Theorie bzw. gibt es solche Schwerpunkte in anderen Zeitschriften? Von wem werden sie finanziert? Antwort: Die Rezeption des Feminismus und den Gender Studies in der Philosophie kommt hauptsächlich aus dem deutschen, dem französischen und dem angelsächsisch Raum. In anderen Fachbereichen ist eher amerikanischer und angelsächsischer Einfluss spürbar. Bei den Übersetzungen gibt es ca. 8-10 Bücher, aber keine in Philosophie. Die Autoren sind: Nancy Chodorow, Naomi Wolf, Madonna Kolbenschlag, Rosalind Miles, George Duby, Bourdieu. Es gibt einige Sammelbände (Partiarchat? Hrsg. von M. Hadas, Budapest 1994) und Sonderhefte von Zeitschriften. Manche Artikel von bekannten Feministinnen wie Cornelia Klinger, Julia Kristeva, Sandra Harding u. a. erschienen in verschiedenen Zeitschriften. Frage: Haben sich Ihrer Meinung nach die Erfahrungen, die seit der Wende1989 sowohl in politischer, gesellschaftlicher als auch beruflicher und privater Hinsicht gemacht wurden, auf die Rezeption von westlich-feministischer Philosophie und Theorie besonders ausgewirkt? Wenn ja, auf welche Weise? Gibt es 251

Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

neue feministische Theorieansätze, die daraus entstanden sind? Wenn ja, um welche handelt es sich und wurden sie bereits im Westen publiziert? Antwort: Dazu kann ich keine kurze und klare Antwort geben. Tatsache ist, dass in diesen 10 Jahren sich eine Gruppe von Hochschuldozentinnen (ca. 30-40 Frauen) bildete, die daran arbeiten Gender Studies in dem gegebenen institutionellen Rahmen zu unterrichten. Es gibt ein Netzwerk, wir treffen uns auch in Form von Konferenzen. Mit Hilfe von internationalen Kontakten bemühen wir uns, uns zu erhalten und auch zu institutionalisieren. Frage: Welche Kontakte zu westlichen feministischen Theoretikerinnen haben sich für Sie seit der Wende ergeben? Wann, wie und wo fanden sie statt? Antwort: Der erste Kontakt war eine Einladung von Prof. Herta Nagl im Jahr 1991 an das Institut für Philosophie in Wien zum Symposium "Frauen aus Osteuropa". Dadurch ist ein für mich wichtiger Kontakt zum Wiener Philosophinnen Club und zu einzelnen Personen wie Frau Nagl, Alice Pechriggl und Elizabeth Nemeth entstanden. Ich habe meine Arbeit in einem Vortrag im Jahr 1995 im Philosophinnen Club vorgestellt, um ein Expertinnenpublikum zu haben, das ich in Budapest als einzige Philosophin, die sich mit Feminismus beschäftigt, nicht haben kann. Ich bemühe mich gelegentlich nach Wien zu kommen, um auch die feministische Fachliteratur im IWM lesen zu können, die wir nicht haben, abgesehen von meiner eigenen kleinen Sammlung. Andere Personen, die gelegentlich im Collegium Budapest Institut for Advanced Studies eingeladen wurden, waren Cornelia Klinger und Helga Nowotny. Seit 1997/98 haben wir mit Alice Pechriggl einen kleinen internationalen Kreis gebildet, wo wir die antike Philosophie, die Geschlechterthematik und die moderne Philosophie miteinander in Verbindung gebracht haben. Wir haben uns zweimal in Wien Januar 1999 und 2000 und einmal in Bergen/Norwegen 252

Feministische Philosophie in Ungarn

am Philosophischen Institut der Universität getroffen. Unsere Kollegin dort ist Prof. Vigdis Songe-Moller. Ich habe noch Kontakte in Deutschland mit Prof. Marion Heinz und Dr. Friderike Kuster von Siegen, mit denen ich zwei Jahre zusammengearbeitet habe während meiner Stipendiatenzeit in Wuppertal zwischen 1991-1993. Außerdem bin ich Mitglied der Internationalen Assoziation von Philosophinnen seit 1992, so habe ich viele Philosophinnen kennengelernt. Ich war auf den IAPh Kongressen in Amsterdam, Wien, Boston. In Budapest gibt es ein Programm an der Central European University (Program on Gender and Culture), das die Möglichkeit bietet, einige GastprofessorInnen zu hören und da gibt es auch eine Sammlung an feministischen Büchern. Unsere Bemühungen bekamen oft eine finanzielle Unterstützung von diesem Programm in Form von "small grants", summer university courses etc. Bis jetzt war dieses Programm verständlicherweise amerikanisch orientiert. Die amerikanische Orientierung scheint manchmal fast eine Kolonisation zu sein, die der Rezeption von feministischer Theorie in Osteuropa eher hinderlich als förderlich ist. Über die kulturelle Kolonisation gab es eine öffentliche Diskussion in Fachzeitschriften, die in weiteren wissenschaftlichen Bereichen erscheint. Darum bemühe ich mich eher eine europäische Variante des Feminismus hier vorzustellen, die in Wien eminenterweise vertreten ist.

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Feministische Philosophie in Polen. Ein Interview mit BoĪena Choáuj* Frage: Welche Brüche entstanden durch die Wende 1989 im Wissenschaftsgebiet der Philosophie: Wurden Gesetze verändert, Bereiche umbenannt, gingen Arbeitsplätze verloren? Wurden diese umbesetzt, neu besetzt? Antwort: Es gab keine Veränderungen dieser Art. Frage: Gab es im Fachbereich Philosophie vor der Wende 1989 Bezug zu westlichen feministischen Theorien? Wenn ja, zu welchen AutorInnen, WissenschafterInnen? Gab es direkte, persönliche Kontakte? Antwort: Nein, es gab keine Kontakte zu feministischen Theorien; die ersten datieren erst seit 1991. Es handelt sich aber eher um Bekanntmachung mit Texten als um Kontakte zu Wissenschafterinnen. Frage: Gab es vor der Wende theoretische Auseinandersetzungen mit Geschlechterverhältnissen? Wenn ja, welche Publikationen können Sie diesbezüglich angeben? Antwort: Nein, vor der Wende gab es keine Auseinandersetzungen mit Geschlechterverhältnissen. Frage: Gibt es eine Institutionalisierung von Gender Studies im Fachbereich Philosophie? Wenn ja, in welcher Form? Seit wann, an welchen Universitäten oder sonstigen Institutionen in Polen? Wer sind die zuständigen ProfessorInnen? Welche Diplomarbeiten und Dissertationen im Bereich feministischer Philosophie liegen vor? Gibt es spezielle Arbeitsgruppen? Welche Veröffentlichungen und wo gibt es im Bereich der feministischen Philosophie? *

BoĪena Choáuj ist Professorin am Institut für Germanistik und am Gender Studies Zentrum der Warschauer Universität.

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Antwort: Nein, nicht im Fachbereich Philosophie, sondern im Rahmen des Programms "Gender Studies" (Postgraduiertes Studium an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften) an der Warschauer Universität, das interdisziplinär angelegt ist und seit 1996 existiert. Sonst werden in einzelnen Philosophischen Instituten Seminare zu Women's Studies angeboten, eher fakultative Seminare (Dr. Pakszys in Posen; Institut für Philosophie und Sozialwissenschaften an der Akademie der Wissenschaften in Warschau, einige Konferenzinitiativen der Mitarbeiterinnen des Philosophieinstitutes in Danzig, in Bialystok). Nur ich und Prof. Fuszara bestimmen als zuständige Personen das Programm für Gender Studies jedes Jahr neu. Ansonsten gibt es noch einzelne Personen, die sich mit dieser Problematik beschäftigen: Prof. Zofia Rosinska (Institut für Philosophie an der Warschauer Universität) Prof. Jolanta Brach-Czaina (Universität Bialystok); Dr. Slawomira Walczewska (Frauenzentrum Krakau), Dr. Elzbieta Pakszys (Institut für Philosophie an der Posener Universität), ich bin mir nicht sicher, ob ich alle Personen genannt habe. Es gibt keine Verzeichnisse der Diplomarbeiten und Dissertationen, weil beides nicht publiziert wird. Ich kenne nur eine Ausnahme: Slawomira Walczewska: Damy, rycerze i feministki (Krakau 1999). Es gibt spezielle Arbeitsgruppen bzw. Forschungsgruppen, die sich mit Frauenproblematik beschäftigen, die jedoch meistens im Bereich der Soziologie tätig sind. An anderen polnischen Universitäten gibt es noch keine Gender Studies, auch keine Women's Studies. Gender Studies an der Warschauer Universität wurden von Bozena Choluj und Malgorzata Fuszara 1996 gegründet. Dieses Studium gehört zur Struktur der Universität, jedoch nicht finanziell, es wird von außen finanziert (PHARE, Ford Stiftung). Die Hauptseminare, die die Forscherinnen den StundentInnen anbieten sind Freiräume für neue Forschung. Wir laden die Mitarbei-

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

terinnen und Mitarbeiter aller Institute, von denen wir wissen, dass sie sich mit der feministischen Problematik in ihren Bereichen beschäftigen, zur Durchführung von 2-3 Seminaren ein (im Laufe von 2-3 Semestern, d. h. ein Hauptseminar pro Semester). Diplomarbeiten und Dissertationen entstehen in den einzelnen Instituten, die ein regelrechtes Studium führen, nicht aber im Rahmen des Nachdiplomstudiums. Wir suchen nur entsprechende Personen, und vermitteln sie an die interessierten Studierenden, wenn diese eine Arbeit über feministische Problematik schreiben möchten. Die meisten Publikationen stammen jedoch von den einzelnen Wissenschafterinnen selbst. Frage: Wie würden Sie die Rezeptionsschwerpunkte von westlicher Genderforschung beschreiben? Eher aus dem angelsächsischen, dem französischen, dem amerikanischen, dem deutschen oder sonstigen Sprachraum? Gibt es Übersetzungen bestimmter Texte und wenn ja, welche? Gibt es Zeitschriften speziell für feministische Philosophie oder Theorie bzw. gibt es solche Schwerpunkte in anderen Zeitschriften? Von wem werden sie finanziert? Antwort: Rezeptionsschwerpunkte waren am Anfang aus dem französischen, dann dem amerikanischen und deutschen Sprachraum. Es gibt sehr wenige Übersetzungen, unter anderem von Rich, Woolf, kleine Passagen aus Butler. Wenn eine genaue Liste benötigt wird, kann ich sie nachliefern, aber zu einem späteren Termin. Es gibt keine feministischen philosophischen Zeitschriften etwa wie Die Philosophin, worunter wir sehr leiden. Jetzt ist Katedra (eine Akademische Gender Studies-Zeitschrift) gerade im Entstehen; sie wird von der Ford Stiftung finanziert Frage: Haben sich Ihrer Meinung nach die Erfahrungen, die seit der Wende1989 sowohl in politischer, gesellschaftlicher als auch beruflicher und privater Hinsicht gemacht wurden, auf die Rezeption von westlich-feministischer Philosophie und Theorie besonders ausgewirkt? Wenn ja, auf welche Weise? Gibt es neue 256

Feministische Philosophie in Polen

feministische Theorieansätze, die daraus entstanden sind? Wenn ja, um welche handelt es sich und wurden sie bereits im Westen publiziert? Antwort: Ohne westlich-feministische Philosophie und Theorie gäbe es keine Gender Studies – das Konzept habe ich ausgearbeitet nach der eingehenden detaillierten Lektüre von Judith Butler Das Unbehagen der Geschlechter. Ihr Konzept der performativen Akte versuche ich jetzt auf literarische Texte und ihr Lesen zu übertragen, was in dem Sinne noch nicht gemacht worden ist. Genau dazu wird ein Text von mir für eine Publikation in Österreich geplant. Es gibt auch einen eigenständigen Text von Jolanta Brach-Czaina: Szczeliny istnienia (Risse des Seins) leider noch nicht ins Deutsche übersetzt. Die feministischen Theorien haben einen besonders großen Einfluss auf die Entwicklung der NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und im Bereich der Textanalysen. Frage: Welche Kontakte zu westlichen feministischen Theoretikerinnen haben sich für Sie seit der Wende ergeben? Wann, wie und wo fanden sie statt? Antwort: Zu der Internationalen Assoziation der Philosophinnen, durch einen Kongress in Wien, an dem ich mit Referat, dann mit Publikation teilgenommen habe; zum Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien und zu Cornelia Klinger (durch Einladung meiner Person), und mit Ursula Konnertz und Astrid Mankowsky als Redakteurinnen der Philosophin in Tübingen (durch meine Lektüre der Zeitschrift und Korrespondenz).

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Feminist Philosophy in Romania An Interview with Mihaela Miroiu* Question: Which ruptures emerged in the field of philosophy at the time after the political and social changes in 1989? Answer: Before 1989 a good tradition in teaching Epistemology and Analytic Philosophy existed in Romania. The great absences were Moral Philosophy and Political Philosophy in a normal, non-dogmatic framework. Then, after 1989, there was continuity in the logical and epistemological tradition and a significant revival of Social, Moral and Political Philosophy (especially at Bucharest University). Of course, all the dogmatic approaches were eliminated, even if they were not dominant in a significant manner. Question: Have laws been changed? Have special fields been renamed? Have workplaces been lost, have they been occupied by other people? Answer: Yes, the laws have been changed. At Bucharest University there are 3 Departments: History of Philosophy and Philosophy of Culture, Theoretical Philosophy (this means Logic and Epistemology), Moral and Political Philosophy. Lecturers who were too dogmatic or incompetent were eliminated by their students at the beginning of 1990 (January). Some of them just established other private faculties. The majority of the newcomers were around the age of 34-38 and, at that stage, mostly having PhD's in Epistemology or Logic. From 1974 – 1990 there was a law which prohibited the access, as teachers, to the University. Question: Was there any contact to western feminist theories and theorists in the field of philosophy before the changes of 1989? If yes, to which authors or/and scholars? *

Mihaela Miroiu is Professor at the Faculty of Political Science, National School of Political Studies and Public Administration in Bucharest.

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Feminist Philosophy in Romania

Answer: No, there was none. Question: Was there any theorizing of gender before the changes in 1989? If yes, which publications can you name? Answer: No. There were just some tendencies amongst the artist circles. Question: Is there any institutionalization of gender studies in the field of philosophy? If yes, in which way, at which university or other institutions in your country? Can you tell us the name of the professors? Are there special research groups or seminars? Which publications exist in the field of feminist philosophy and where? Answer: An optional course at the Facutly of Philosophy (1994-1998) was given by me. I had a PhD in Philosophy with a feminist topic. My students had Diplomas with such kind of topics. As far as the philosophical publications are concerned, there are two books, and I am the author of both: The Thoughts of the Shadow: Contemporary Approaches in Feminist Philosophy and Convenio. On Nature, Women and Morals. Anca Manolache wrote a significant book on Feminist Orthodox Theology: The Feminine Image in the Christ Church. The ANA Society for Feminist Analyses made a journal AnaLize which published articles on feminist philosophy, amongst others. Question: Are there special departments or institutes which were founded only for gender studies? If so, when were they founded and by whom? How are they financed? Answer: Yes, in Bucharest at the Faculty of Political Science of the National School for Political Studies and Public Administration. It was founded in 1998. I was the founder, together with other colleagues. It is financed by the Ministry of Education and by means of a few research grants.

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Feministische Philosophie und Frauenforschung in Zentral- und Osteuropa

Question: Have new possibilities been created for woman philosophers in gender studies? Answer: Yes, but very few women are studying in Romania. Most of them are abroad. Question: How is the relation to the existing institutes at the university or to other institutions like for example the Academy of Sciences? Answer: There are none with the Academy of Sciences. Question: Are there any bachelor works and dissertations or other publications in gender studies? Answer: Yes, an M.A., the publication I mentioned already (AnaLize). Question: How would you describe the reception of western gender studies? Answer: Very good as a genus proximus. Question: Do they come from English, French, American, German or other theories? Answer: Mostly from English and American. Question: Do translations into your language exist and if so, which are they? Are there journals especially for feminist philosophy or theory, and if not, are there special issues in other journals? How are they financed? Answer: In Feminist Philosophy there are two anthologies (readers): The Anonymous Half and Sofia. I was the editor of both. Since 2000 one of the main publishing houses, Polirom, has a special collection called "Gender". Some articles on Feminist Philosophy were published in other reviews: Crisis, No. 22, Revista de Cercetari Sociale, Sfera Politicii, Dilema. Question: Do you think that the experiences, which have been made in politics and society since the changes of 1989 – in 260

Feminist Philosophy in Romania

a professional way as well as in private life – have had any influence on the reception of Western Feminist Philosophy and Theory? If yes, can you tell us in which way? Answer: Yes, I do. Without the changes in the last 10 years it would have been impossible to believe that Feminist Philosophy even exists or could be a topic. In the same time, our approach in Feminist Philosophy had to take into account the differences. Answer: Are there any new feminist theories in your country which have emerged as a consequence from these experiences? If yes, please tell us more about it and whether they have been published in the west yet? Answer: Yes, there are, I told you already about it. However, very few were published in the west due to the politics of translations: usually, the financial support focused on the reversal translation according to an unwritten principle: "The knowhow comes from the west." Question: Which contacts to western feminist scholars have been opened for you since the changes in 1989? When, how and where did they occur? Answer: I have a strong contact with the Program on Gender and Culture at the CEU in Budapest. I have contacts with the International Association of Women Philosophers, and there are also individual connections between the staff at the M.A. program in Gender Studies and other Western specialists.

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Bibliographische Hinweise zum Rereading des "westlichen"/ feministischen Kanons NB: Es handelt sich um philosophische Beiträge, die in der Periode 1980-2005 veröffentlicht wurden. Die vorgelegte Literaturliste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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CHRISTINA VON BR AUN UND INGE STEPHAN (HG.)

GENDER@WISSEN EIN HANDBUCH DER GENDER-THEORIEN

Auch Wissen hat ein Geschlecht. Für die Wissenschaft von der Antike bis in die Gegenwart ist Geschlecht eine Kategorie von grundlegender Bedeutung. Das Standardwerk zu den Gender-Theorien, das hier in einer überarbeiteten und um das Themenfeld „Zeugung“ erweiterten Auflage vorgelegt wird, zeigt, dass Geschlechtercodes und Geschlechternormen in jeder Form des Wissens eingelagert sind. Geschlecht bietet deshalb einen geeigneten Schlüssel, die unbewussten Fundamente unseres modernen Wissens zu hinterfragen. Es geht um Identität, Körper, Reproduktion, Sexualität, Macht und Gewalt, Performanz und Repräsentation, Lebenswissenschaften und Gentechnologie wie um Natur und Kultur, Sprache und Semiotik oder Gedächtnis. Die Beiträge behandeln die Entwicklungsgeschichte dieser Begriffe und Bereiche, deren Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte, die Anbindung an allgemeine politische und wissenschaftliche Debatten sowie die Querverbindungen zu anderen Feldern und Debatten (Queer-, Cultural-, Media- und Postcolonialstudies). 2. ÜBERARBEITETE UND ERGÄNZ TE AUFLAGE 2009. 397 S. BR. 150 X 215 MM. ISBN 978-3-8252-2584-1

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