Fehldiagnose Homo Oeconomicus? Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in Deutschland und Steuerungspotenzial von Selbstbeteiligungen [1. ed.] 9783756005024, 9783748938255

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Fehldiagnose Homo Oeconomicus? Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in Deutschland und Steuerungspotenzial von Selbstbeteiligungen [1. ed.]
 9783756005024, 9783748938255

Table of contents :
Cover
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Forschungsfrage
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Die Gesetzliche Krankenversicherung
2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV
2.1.1 Versicherungsprinzip, Versicherungspflicht und Finanzierung der GKV
2.1.2 Wirtschaftlichkeit
2.1.3 Sachleistungsprinzip
2.1.4 Solidaritätsprinzip
2.2 Anhaltender Reformbedarf
2.3 Andauernder Wandel – Gesetzliche Neuregelungen seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland
2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats
3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells
3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus
3.2 Moral hazard als gesundheitsökonomisches Verhaltensparadigma
3.3 Legitimation von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Steuerung der Nachfrage
3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland
3.4.1 Einfluss der Versicherungsmodalität
3.4.1.1 Pohlmeier & Ulrich (1995)
3.4.1.2 Geil et al. (1997)
3.4.1.3 Riphahn et al. (2003)
3.4.1.4 Hullegie & Klein (2010)
3.4.1.5 Schmitz (2012)
3.4.1.6 Zusammenfassung der Evidenz zur Wirkung der Versicherungsmodalität in Deutschland
3.4.2 Einfluss der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme
3.4.2.1 Grabka et al. (2005)
3.4.2.2 Augurzky et al. (2006)
3.4.2.3 Rückert et al. (2008)
3.4.2.4 Schreyögg & Grabka (2010)
3.4.2.5 Farbmacher &Winter (2013)
3.4.2.6 Farbmacher et al. (2013)
3.4.2.7 Kunz & Winkelmann (2017)
3.4.2.8 Zusammenfassung der vorliegenden Evidenz zur Wirkung der Praxisgebühr in Deutschland
3.4.3 Wahltarife
3.4.3.1 Felder & Werblow (2006)
3.4.3.2 Hemken et al. (2012)
3.4.3.3 Thönnes (2019)
3.4.3.4 Zusammenfassung der vorliegenden Evidenz zu Wahltarifen in Deutschland
3.5 Inanspruchnahme aus der neoklassischen Perspektive – Abgleich von Theorie und Empirie
4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive
4.1 Bestimmung der Überinanspruchnahme und Fehldeutung von moral hazard
4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen
4.2.1 Begrenzte Rationalität
4.2.2 Aufbereitung der Information (Framing)
4.2.3 Soziale Präferenzen
4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme
4.3.1 Allgemein
4.3.2 Empirische Evidenz zur Inanspruchnahme in Deutschland
4.3.2.1 Prädispositionen
4.3.2.1.1 Demografie
4.3.2.1.2 Sozialstruktur
4.3.2.1.2.1 Sozioökonomischer Status
4.3.2.1.2.2 Soziale Unterstützung
4.3.2.1.3 Gesundheitseinstellungen (Gesundheitskompetenz und Risikoeinstellung)
Gesundheitskompetenz
Risikoeinstellung
4.3.2.1.4 Psychologische Faktoren
4.3.2.2 Befähigende Ressourcen
4.3.2.2.1 Versicherung
4.3.2.2.2 Gemeindebezogen
4.3.2.3 Bedarf
4.3.2.4 Zusammenfassung der vorliegenden interdisziplinären Evidenz zur Inanspruchnahme in Deutschland
Alter und Geschlecht
Sozialstruktur (Sozioökonomischer Status und soziale Unterstützung)
Gesundheitseinstellungen
Psychologische Faktoren
Versicherung
Gemeindebezogen
Bedarf
4.4 Synthese der Erkenntnisse zur Inanspruchnahme in Deutschland und Ableitung der Hypothesen
4.4.1 Hypothesenbildung
Hypothese 1: Je höher die Bildung ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs.
Hypothese 2: Personen, die in einer festen Partnerschaft leben, haben eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit als Personen, die nicht in einer festen Partnerschaft leben.
Hypothese 3: Personen, die einen Beruf im Gesundheitswesen ausüben, weisen eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit auf als Personen, die keinen Beruf im Gesundheitswesen ausüben.
Hypothese 4: Je höher die Risikobereitschaft im Bereich Gesundheit ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen.
Hypothese 5: Je größer die Lebenszufriedenheit ist, desto geringer ist die Kontaktwahrscheinlichkeit.
Hypothese 6: Je höher das Einkommen ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs.
Hypothese 7: Personen, die in einer Stadt leben, haben eine höhere Kontaktwahrscheinlichkeit als Personen, die auf dem Land leben.
Hypothese 8: Das Vorliegen einer privaten Zusatzkrankenversicherung erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen.
Hypothese 9: Je schlechter der objektive Gesundheitszustand ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs.
Hypothese 10: Je schlechter die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustand ist, desto höher ist die Kontaktwahrscheinlichkeit.
5 Empirische Analyse
5.1 Datengrundlage und Operationalisierung
5.2 Deskriptive Statistik
5.3 Analyseverfahren
5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen
5.4.1 Bivariate Analysen
5.4.1.1 Bildung und Arztbesuche
5.4.1.2 Partnerschaft und Inanspruchnahme
5.4.1.3 Beruf im Gesundheitswesen und Inanspruchnahme
5.4.1.4 Risikoeinstellung und Inanspruchnahme
5.4.1.5 Lebenszufriedenheit und Inanspruchnahme
5.4.1.6 Einkommen und Inanspruchnahme
5.4.1.7 Region und Inanspruchnahme
5.4.1.8 Private Zusatzkrankenversicherung und Inanspruchnahme
5.4.1.9 Objektive Gesundheit und Inanspruchnahme
5.4.1.10 Subjektive Gesundheit und Inanspruchnahme
5.4.2 Multivariate Analysen
Prädisponierende Einflussfaktoren
Befähigende Einflussfaktoren
Bedarfsfaktoren
Hypothese 1: Je höher die Bildung ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs.
Hypothese 2: Personen, die in einer festen Partnerschaft leben, haben eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit als Personen, die nicht in einer festen Partnerschaft leben.
Hypothese 3: Personen, die einen Beruf im Gesundheitswesen ausüben, weisen eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit auf als Personen, die keinen Beruf im Gesundheitswesen ausüben.
Hypothese 4: Je höher die Risikobereitschaft im Bereich Gesundheit ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen.
Hypothese 5: Je größer die Lebenszufriedenheit ist, desto geringer ist die Kontaktwahrscheinlichkeit.
Hypothese 6: Je höher das Einkommen ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs.
Hypothese 7: Personen, die in einer Stadt leben, haben eine höhere Kontaktwahrscheinlichkeit als Personen, die auf dem Land leben.
Hypothese 8: Das Vorliegen einer privaten Zusatzkrankenversicherung erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen.
Hypothese 9: Je schlechter der objektive Gesundheitszustand ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs.
Hypothese 10: Je schlechter die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustand ist, desto höher ist die Kontaktwahrscheinlichkeit.
5.5 Diskussion der zentralen Ergebnisse und kritische Würdigung
6 Sozialpolitische Implikationen
7 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Anhang

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Die Reihe Wirtschafts- und Sozialpolitik wird herausgegeben von Prof. Dr. Rolf G. Heinze, Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Josef Schmid, Universität Tübingen Prof. Dr. Werner Sesselmeier, Universität Koblenz-Landau Band 27

Malina Müller

Fehldiagnose Homo Oeconomicus? Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in Deutschland und Steuerungspotenzial von Selbstbeteiligungen

Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Koblenz-Landau, Univ., Diss., 2022 u.d.T.: Fehldiagnose Home Oeconomicus? Analyse von Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme ambulanter medizinischer Dienstleistungen in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Steuerungspotenzials von Selbstbeteiligungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ISBN 978-3-7560-0502-4 (Print) ISBN 978-3-7489-3825-5 (ePDF)

1. Auflage 2022 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

15

1 Einleitung

17

1.1 Problemstellung

17

1.2 Forschungsfrage

20

1.3 Aufbau der Arbeit

21

2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

23

2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV 2.1.1 Versicherungsprinzip, Versicherungspflicht und Finanzierung der GKV 2.1.2 Wirtschaftlichkeit 2.1.3 Sachleistungsprinzip 2.1.4 Solidaritätsprinzip

23

2.2 Anhaltender Reformbedarf

32

2.3 Andauernder Wandel – Gesetzliche Neuregelungen seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland

38

2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats

51

3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

58

3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus

59

3.2 Moral hazard als gesundheitsökonomisches Verhaltensparadigma

69

3.3 Legitimation von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Steuerung der Nachfrage

72

3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland 3.4.1 Einfluss der Versicherungsmodalität 3.4.1.1 Pohlmeier & Ulrich (1995) 3.4.1.2 Geil et al. (1997) 3.4.1.3 Riphahn et al. (2003)

79 80 81 83 85

24 27 29 30

5

Inhaltsverzeichnis

3.4.1.4 Hullegie & Klein (2010) 3.4.1.5 Schmitz (2012) 3.4.1.6 Zusammenfassung der Evidenz zur Wirkung der Versicherungsmodalität in Deutschland 3.4.2 Einfluss der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme 3.4.2.1 Grabka et al. (2005) 3.4.2.2 Augurzky et al. (2006) 3.4.2.3 Rückert et al. (2008) 3.4.2.4 Schreyögg & Grabka (2010) 3.4.2.5 Farbmacher &Winter (2013) 3.4.2.6 Farbmacher et al. (2013) 3.4.2.7 Kunz & Winkelmann (2017) 3.4.2.8 Zusammenfassung der vorliegenden Evidenz zur Wirkung der Praxisgebühr in Deutschland 3.4.3 Wahltarife 3.4.3.1 Felder & Werblow (2006) 3.4.3.2 Hemken et al. (2012) 3.4.3.3 Thönnes (2019) 3.4.3.4 Zusammenfassung der vorliegenden Evidenz zu Wahltarifen in Deutschland

87 89 91 94 95 96 97 98 99 100 102 103 106 111 113 115 116

3.5 Inanspruchnahme aus der neoklassischen Perspektive – Abgleich von Theorie und Empirie

119

4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

122

4.1 Bestimmung der Überinanspruchnahme und Fehldeutung von moral hazard

123

4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen 4.2.1 Begrenzte Rationalität 4.2.2 Aufbereitung der Information (Framing) 4.2.3 Soziale Präferenzen

129 130 137 139

4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme 4.3.1 Allgemein 4.3.2 Empirische Evidenz zur Inanspruchnahme in Deutschland 4.3.2.1 Prädispositionen 4.3.2.1.1 Demografie 4.3.2.1.2 Sozialstruktur 4.3.2.1.2.1 Sozioökonomischer Status

6

142 142 146 146 146 150 151

Inhaltsverzeichnis

4.3.2.1.2.2 Soziale Unterstützung 4.3.2.1.3 Gesundheitseinstellungen (Gesundheitskompetenz und Risikoeinstellung) 4.3.2.1.4 Psychologische Faktoren 4.3.2.2 Befähigende Ressourcen 4.3.2.2.1 Versicherung 4.3.2.2.2 Gemeindebezogen 4.3.2.3 Bedarf 4.3.2.4 Zusammenfassung der vorliegenden interdisziplinären Evidenz zur Inanspruchnahme in Deutschland

155 158 161 164 164 166 173 177

4.4 Synthese der Erkenntnisse zur Inanspruchnahme in Deutschland und Ableitung der Hypothesen 4.4.1 Hypothesenbildung

182 187

5 Empirische Analyse

192

5.1 Datengrundlage und Operationalisierung

192

5.2 Deskriptive Statistik

199

5.3 Analyseverfahren

208

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen 5.4.1 Bivariate Analysen 5.4.1.1 Bildung und Arztbesuche 5.4.1.2 Partnerschaft und Inanspruchnahme 5.4.1.3 Beruf im Gesundheitswesen und Inanspruchnahme 5.4.1.4 Risikoeinstellung und Inanspruchnahme 5.4.1.5 Lebenszufriedenheit und Inanspruchnahme 5.4.1.6 Einkommen und Inanspruchnahme 5.4.1.7 Region und Inanspruchnahme 5.4.1.8 Private Zusatzkrankenversicherung und Inanspruchnahme 5.4.1.9 Objektive Gesundheit und Inanspruchnahme 5.4.1.10 Subjektive Gesundheit und Inanspruchnahme 5.4.2 Multivariate Analysen

212 212 212 214

5.5 Diskussion der zentralen Ergebnisse und kritische Würdigung

244

214 215 217 219 220 220 222 226 230

7

Inhaltsverzeichnis

6 Sozialpolitische Implikationen

250

7 Fazit und Ausblick

257

Literaturverzeichnis

261

Quellenverzeichnis

293

Anhang

299

8

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Finanzierung der GKV und des Gesundheitsfonds im Jahr 2020

26

Abbildung 2:

Gesundheitsausgaben in Milliarden Euro und Anteil am BIP von 2000 bis 2019

34

Abbildung 3:

Volkseinkommen, Arbeitnehmerentgelte und unbereinigte Lohnquote von 2000 bis 2019

36

Abbildung 4:

Phasen der Entwicklung des Gesundheitssystem Deutschlands

39

Abbildung 5:

Anteile verschiedener Leistungsträger an den Gesundheits-ausgaben von 2000 bis 2019

49

Abbildung 6:

Der Idealtypus des homo oeconomicus in der Neoklassik

61

Abbildung 7:

Budgetgerade

63

Abbildung 8:

Indifferenzkurve

64

Abbildung 9:

Indifferenzkurve und Budgetgerade

65

Abbildung 10: Konsumoptimum und Preis

66

Abbildung 11: Nachfragefunktion

67

Abbildung 12: Preiselastizitäten und ihre Finanzierungsund Steuerungs-funktion

75

Abbildung 13: Hypothetisches Beispiel zur Preiselastizität von Gesundheits-leistungen

76

Abbildung 14: Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen als zweistufiger Entscheidungsprozess

81

Abbildung 15: Simplifizierter Zusammenhang zwischen Versicherungsstatus und Inanspruchnahme

87

9

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 16: Bedeutung der Risikoaversion für die Inanspruchnahme

90

Abbildung 17: Wahrscheinlichkeitsverzerrung

131

Abbildung 18: Prospect-Theory-Wertefunktion

133

Abbildung 19: Idealtypen der Verhaltensökonomie und der Neoklassik

141

Abbildung 20: Health Behavior Model nach Andersen

143

Abbildung 21: Mögliche Einflussfaktoren der Inanspruchnahme

186

Abbildung 22: Verteilung der Inanspruchnahme

200

Abbildung 23: Anteil der jeweiligen Nutzerkategorie an allen Befragten

202

Abbildung 24: Durchschnittliche Anzahl an Arztbesuchen nach Nutzungs-kategorie im Zeitverlauf

203

Abbildung 25: Verteilung der Arztbesuche

204

Abbildung 26: Anzahl der durchschnittlichen Arztbesuche von 2010 bis 2018

205

Abbildung 27: Durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht

206

Abbildung 28: Korrelationsmatrix unabhängiger Variablen des Gesundheits-zustands

207

Abbildung 29: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Ausbildung

213

Abbildung 30: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Partnerschaft

214

Abbildung 32: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Beruf im Gesundheitswesen

215

Abbildung 32: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Risikoeinstellung

216

10

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 33: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Lebenszufriedenheit

218

Abbildung 34: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Äquivalenzeinkommen

219

Abbildung 35: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und der Region

220

Abbildung 36: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Krankenzusatzversicherung

221

Abbildung 37: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und MCS Score

222

Abbildung 38: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und PCS Score

224

Abbildung 39: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und chronischer Erkrankung

225

Abbildung 40: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Zufriedenheit mit Gesundheit

227

Abbildung 41: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Sorgen Gesundheit

228

Abbildung 42: Rootogram der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche Negbin Hurdle Modell

233

Abbildung 43: Einflussfaktoren der Kontaktwahrscheinlichkeit und der Kontaktfrequenz

247

A1:

Rootogram der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche Poisson Hurdle

299

A2:

Rootogram der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche Poisson Hurdle 2

300

11

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Zuzahlungsregeln des GMG

42

Tabelle 2:

Preiselastizitäten von Gesundheitsleistungen verschiedener Bereiche

74

Tabelle 3:

Zusammenfassung der empirischen Evidenz zum Einfluss des Versicherungsschutzes

93

Tabelle 4:

Zusammenfassung der empirischen Evidenz zum Einfluss der Praxisgebühr

103

Tabelle 5:

Inanspruchnahme der einzelnen Wahltarife im Jahresdurchschnitt 2020

109

Tabelle 6:

Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien zum Einfluss von Wahltarifen

118

Tabelle 7:

Übersicht der berücksichtigten Variablen und Wellen

193

Tabelle 8:

Zusammenfassung des Datensatzes

199

Tabelle 9:

Verteilung der Arztbesuche der letzten 3 Monate

201

Tabelle 10:

Entwicklung der durchschnittlichen Arztbesucher aller Befragten im Zeitverlauf

204

Tabelle 11:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche nach Bildungsgruppen

214

Tabelle 12:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche nach Kategorien der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit

216

Tabelle 13:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche nach Kategorien der Lebenszufriedenheit

218

Tabelle 14:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des Besitzes einer privaten Zusatzkrankenversicherung

221

13

Tabellenverzeichnis

Tabelle 15:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des MCS

223

Tabelle 16:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des PCS

224

Tabelle 17:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des Vorliegens einer chronischen Erkrankung

226

Tabelle 18:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit der Zufriedenheit mit der Gesundheit

227

Tabelle 19:

Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit der Sorgen über die Gesundheit

229

Tabelle 20:

Vergleich der Modellgüte verschiedener Modelle zur Inanspruchnahme

231

Tabelle 21:

Ergebnisse des Negbin Hurdle Modells

234

Tabelle 22:

Odds Ratios der unabhängigen Variablen

240

Tabelle 23:

Bestimmung der Kontaktwahrscheinlichkeit für verschiedene Szenarien

242

Tabelle 24:

Bestimmung der Anzahl an Arztbesuchen für verschiedene Szenarien

243

14

Abkürzungsverzeichnis

Abs. AMNOG AOK AOKN BBG BIP BRD DiD DMP EBM Eurostat GAR GBA GBE GKV GMG GKV-WSG GRG KHSG IGeL IQWiG KBV KHSG Kaufmännische Krankenkasse Morbi RSA NACE OECD PKV PS RHIE RDA RSA RVO SGB V SOEP SVR TK TSVG WHO ZI

Absatz Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz Allgemeine Ortskrankenkasse AOK Niedersachsen Beitragsbemessungsgrenze Bruttoinlandsprodukt Bundesrepublik Deutschland Difference-in-Difference Disease Management Programm Einheitlicher Bewertungsmaßstab Statistisches Amt der Europäischen Union Gesundheitsausgabenrechnung Gemeinsamer Bundesausschuss Gesundheitsberichterstattung Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz zur Modernisierung der GKV GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Gesundheits-Reformgesetz Krankenhausstrukturgesetz Individuelle Gesundheitsleistungen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Kassenärztliche Bundesvereinigung Krankenhausstrukturgesetz KKH morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich Nomenclature statistique des activités économiques dans la Communauté européenne Organisation for Economic Co-operation and Development Private Krankenversicherung Propensity Score RAND Health Insurance Experiment Regressions-Diskontinuitäts-Analyse Risikostrukturausgleich Reichsversicherungsordnung Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) Sozio-oekonomisches Panel Sachverständigenrat Techniker Krankenkasse Terminservice- und Versorgungsgesetz World Health Organization Zentralinstitut der kassenärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland

15

Abkürzungsverzeichnis

In der vorliegenden Arbeit wird auf eine geschlechterinklusive Sprache ge­ achtet. So wurden primär geschlechtsneutrale Formulierungen, wie „ärzt­ liches Fachpersonal“ oder „Versicherte“, verwendet. Dies umfasst auch intersexuelle und nicht-binäre Personen. Verweise auf die Geschlechtsaus­ prägungen männlich oder weiblich, insbesondere bei der Wiedergabe em­ pirischer Erkenntnisse, sind darauf zurückzuführen, dass die zugrunde liegende Datenbasis keine Abbildung weiterer Geschlechtsausprägungen ermöglicht.

16

1 Einleitung

1.1 Problemstellung Primäres Ziel der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stellt die Er­ haltung, Wiederherstellung oder Verbesserung der Gesundheit der Versi­ cherten dar. Die Gesundheitsversorgung orientiert sich dabei grundsätz­ lich an dem jeweiligen Versorgungsbedarf, die Finanzierung hingegen an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten (Leiber & Manougui­ an, 2009). Trotz einkommensabhängiger individueller Beiträge wird jedem Versicherten der gleiche Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt (Solidaritätsprinzip) (Burkhardt, 2013). Dieser universelle Zugang wird auch als „wesentlicher Leitgedanke“ (Bremer & Wübker, 2012, S. 226) des deutschen Gesundheitssystems verstanden, und der GKV eine „starke Verankerung solidarischer Elemente attestiert“ (Böckmann, 2009, S. 9). Aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel muss die Zielerreichung jedoch auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit erfolgen (Fleßa & Greiner, 2013). Dies gilt insbesondere, da steigende Ausgaben bei gleichzeitiger Erosion der Finanzierungsgrundlage die GKV vor eine Herausforderung stellen (Althammer et al., 2021). In den letzten Jahrzehn­ ten wurde dieser Herausforderung primär über die Anhebung der Beitrags­ sätze bei gleichzeitiger Ausgabenreduzierung begegnet (Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg, 2021a.), wobei die Ausgabenredu­ zierung seit Mitte der 1990er Jahre unter anderem über Selbstbeteiligun­ gen1 der Versicherten erzielt wurde (Butterwegge, 2018). Auch für die aktuelle Legislaturperiode wird die Notwendigkeit von Kostendämpfungsmaßnahmen unterstrichen und die Einführung weiterer oder die Erhöhung existierender Selbstbeteiligungen als Instrument in Betracht gezogen (Thomas, 2021). Zuletzt diskutiert wurden beispielsweise eine generelle Gebühr für den Besuch der Notaufnahme (Frankfurter All­

1 Unter Selbstbeteiligungen im weiteren Sinne wird der Anteil der Behandlungskos­ ten verstanden, den die Versicherten übernehmen. Dies schließt sowohl medizini­ sche Leistungen als auch frei verkäufliche Medikamente sowie Hilfsmittel und andere Direktzahlungen privater Haushalte ein. Im engeren Sinne werden unter Selbstbeteiligungen Zuzahlungen zu den im Rahmen der GKV erbrachten Leis­ tungen verstanden.

17

1 Einleitung

gemeine Zeitung, 2018), eine Kontaktgebühr für Patienten, die eine Kran­ kenhaus-Ambulanz während der Praxisöffnungszeiten aufsuchen (Sachver­ ständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2018b) oder Sanktionen im Falle einer häufigen Inanspruchnahme von Fachärzten, wie vom Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundes­ vereinigung (KBV), Andreas Gassen, zur Debatte gestellt (Süddeutsche Zeitung, 2019). Als Erklärung führt dieser an: „Die Gesundheitskarte funk­ tioniert wie eine Flatrate, und es gibt Patienten, die das gnadenlos aus­ nutzen" (Handelsblatt, 2019, o.S.). Hiermit greift er das wohl geläufigste Argument für Selbstbeteiligungen in der GKV auf. Der Versicherte wird bei dieser Argumentation als nutzenmaximieren­ der homo oeconomicus verstanden, der durch die Kostenabstinenz in der GKV zu einer Überinanspruchnahme2 überflüssiger Gesundheitsleis­ tungen verleitet wird (Breyer et al., 2013). Die durch Selbstbeteiligungen erzielte Auflösung der Kostenabstinenz gilt als geeignetes Instrument, um diesem Verhalten gegenzusteuern (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b). Denn gemäß der neoklas­ sischen Theorie bedingen Selbstbeteiligungen eine Kosten-Nutzen-Abwä­ gung, die zur Unterlassung von Leistungen mit geringerem Nutzen als die Selbstbeteiligung führt (Nguyen & Romeike, 2013). Selbstbeteiligun­ gen führen somit theoretisch zu einer Reduktion überflüssiger Leistungen und werden demnach als Maßnahme zur Ausgabenreduzierung der GKV betrachtet. Auf Basis empirischer Evidenz können hingegen keine eindeutigen Aus­ sagen zum Vorliegen von Überinanspruchnahme in der GKV oder zu den Effekten von in der Vergangenheit implementierten Selbstbeteiligungen getroffen werden (Reiners, 2019b). Es stellt sich die Frage, wie diese Dis­ krepanz zwischen Theorie und Empirie erklärt werden kann. Ein Erklärungsansatz, der in der Literatur diskutiert wird, ist, dass den Versicherten „[…] im Hinblick auf die eigene Gesundheit ein Kosten-Nut­ zen-Kalkül unterstellt [wird], das in der sozialen Realität nicht existiert“ (Gerlinger et al. 2007, S. 16). Bestärkt wird dies durch Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie, der Versorgungsforschung oder der Sozialepide­ miologie. Diese zeigen, dass Individuen zum einen nicht derart rational agieren, wie es das Idealbild des homo oeconomicus vorhersagt (Kahne­ man, 2012), und zum anderen, dass die Inanspruchnahme maßgeblich

2 Eine Überinanspruchnahme wird als Diskrepanz zwischen objektivem und subjek­ tiven Bedarf verstanden (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 447).

18

1.1 Problemstellung

vom Gesundheitszustand und weiteren sozioökonomischen Faktoren be­ einflusst wird (Babitsch et al., 2012). Aufgrund dessen wird der gesund­ heitsökonomischen Betrachtung stellenweise eine Komplexitätsreduktion der Inanspruchnahme und die Vernachlässigung von Erkenntnissen aus weiteren Disziplinen vorgeworfen (Marschall, 2015). Die Abweichung des beobachtbaren von dem theoretisch vorhergesag­ ten Verhalten ist hinsichtlich verschiedener Aspekte von Bedeutung. So können Reformen, die auf einem inadäquaten theoretischen Konstrukt aufbauen, ihre intendierten Wirkungen nicht erzielen oder gar mit negati­ ven Wirkungen einhergehen. Hinsichtlich des Steuerungs- und Kosteneinsparungspotenzials von Selbstbeteiligungen wird zum Beispiel darauf verwiesen, dass die Inan­ spruchnahme „eine der wesentlichen modifizierenden Einflussgrößen von Zivilisationskrankheiten“ (Keil et al., 2020, S. 18) darstellt und ein er­ schwerter Zugang die Inanspruchnahme verzögern oder verhindern könn­ te. Dies wiederum könnte zum Fortschreiten einer Erkrankung und zu einem späteren Zeitpunkt zu höheren Kosten in der GKV oder im Falle von hierdurch bedingter Erwerbsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu einer Verlagerung der Kosten hin zu weiteren Säulen der Sozialversiche­ rungen führen. Darüber hinaus deuten Erkenntnisse zu Selbstbeteiligun­ gen darauf hin, dass insbesondere Personen mit niedrigerem Einkommen auf die Einführung oder Erhöhung von Selbstbeteiligungen reagieren und ihre Inanspruchnahme reduzieren (Rückert et al., 2008). Infolgedessen wird eine Verstetigung oder Verschärfung sozialer Ungleichheit von Ge­ sundheit und Inanspruchnahme, die bereits trotz niedrigschwelligem Zu­ gang besteht, befürchtet und vor dem Hintergrund sozialstaatlicher Ziele diskutiert (Jacobs, 2015). Neben etwaigen unerwünschten Wirkungen wird zudem auch die gene­ relle Vereinbarkeit von Selbstbeteiligungen mit den Grundprinzipien der GKV angezweifelt, die im deutschen Gesundheitswesen das „institutionel­ le Versprechen“ darstellt, „in einer gesundheitlichen Krisensituation die notwendigen medizinischen Hilfen zu erhalten“ (Wendt, 2013, S. 344). Somit werden Selbstbeteiligungen mit dem Vorwurf konfrontiert, eine wirtschaftliche und ausreichende Versorgung sowie sozialstaatliche Ziele zu konterkarieren und dementsprechend kontrovers diskutiert. Eine Verortung in diesem Diskurs wird jedoch dadurch erschwert, dass für Deutschland aktuell kein systematischer Überblick über die Einfluss­ faktoren der Inanspruchnahme im Allgemeinen und den Wirkungen von Selbstbeteiligungen im Speziellen vorliegt. Eine systematische Übersicht ist jedoch notwendig, um eine informierte Einschätzung darüber zu geben

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1 Einleitung

können, ob Selbstbeteiligungen eine (sinnhafte) Reformmaßnahme für die GKV darstellen können. 1.2 Forschungsfrage Ziel dieser Arbeit ist es aufgrund dieses fehlenden Gesamtbildes in einem ersten Schritt eine Übersicht zu geben über: – Die Gestaltungsmerkmale und Ziele der GKV sowie deren Vereinbar­ keit mit Selbstbeteiligungen – Die Inanspruchnahme aus der neoklassischen Perspektive – Den Forschungsstand zu Selbstbeteiligungen in Deutschland – Die Inanspruchnahme jenseits der neoklassischen Perspektive – Den Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme im Allgemeinen Dieser theoretische Teil bildet die Grundlage für die Hypothesen des empi­ rischen Teils der Arbeit. Ziel des empirischen Teils ist es, Einflussfaktoren der Inanspruchnahme in Deutschland auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu untersuchen. Im Rahmen der Analyse wird neben ver­ schiedenen sozioökonomischen Faktoren und dem Gesundheitszustand auch der Einfluss privater Zusatzkrankenversicherungen berücksichtigt. Ein Fokus der Analyse liegt darin, zu prüfen, inwiefern ein größerer Versicherungsschutz mit einer höheren Inanspruchnahme einhergeht und wie groß der Einfluss des Versicherungsschutzes verglichen mit weiteren Faktoren, insbesondere dem Gesundheitszustand, ist. Auf Basis des empirischen und des theoretischen Teils wird letztendlich die Frage beantwortet: – Eignet sich der homo oeconomicus zur Erklärung der Inanspruchnahme in Deutschland? Die Beantwortung dieser Frage ist im Sinne einer evidenzbasierten Politik bedeutsam. Nur wenn Reformen auf einem adäquaten Verhaltensmodell aufbauen, können auf dieser Basis abgeleitete Anreize zur Verhaltenssteue­ rung die gewünschten Wirkungen entfalten und unerwünschte Wirkun­ gen vermieden oder zumindest reduziert werden. Die vorliegende Arbeit gibt einen umfassenden und systematischen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in Deutschland und insbesondere zur Wirkung von Selbstbeteiligungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Des Weite­ ren werden im zweiten Teil mögliche Einflussfaktoren der Inanspruchnah­ me, insbesondere der Gesundheitszustand oder private Zusatzkrankenver­

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1.3 Aufbau der Arbeit

sicherungen, empirisch untersucht und miteinander verglichen. Im Ergeb­ nis liefert die Arbeit somit eine aktuelle Faktenbasis zur Inanspruchnahme und den Wirkungen von Selbstbeteiligungen in Deutschland, die in die­ sem Umfang bisher nicht vorlag, und die für eine evidenzbasierte Politik­ gestaltung herangezogen werden kann. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Inanspruchnahme ambulanter Dienstleistungen in Deutschland, die Haus- und Facharztbesuche umfas­ sen. Stationäre Leistungen sowie die Qualität oder weitere Zugangsdimen­ sionen ambulanter Leistungen werden nicht explizit betrachtet. 1.3 Aufbau der Arbeit Im Anschluss an dieses einleitende Kapitel erfolgt im zweiten Kapitel eine Beschreibung der GKV. Zunächst werden der institutionelle Kontext und die Rahmenbedingungen der GKV dargelegt (2.1). Dieses Wissen ist erforderlich, um die Notwendigkeit von Reformen (2.2) und die Tragweite vorangegangener Reformen der GKV einschätzen zu können (2.3) und die Frage zu beantworten, inwiefern Selbstbeteiligungen mit der Grundidee der GKV vereinbart werden können (2.4). In Kapitel drei erfolgt ein umfassender Überblick über die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen aus neoklassischer Perspektive. In dieser Dis­ ziplin gilt der Versicherte als homo oeconomicus (3.1), der im Rahmen der Vollversicherung der GKV einem moral hazard3 unterliegt und über­ flüssige medizinische Leistungen in Anspruch nimmt (3.2.). Diese Annah­ me legitimiert Selbstbeteiligungen in der GKV als effektives Instrument zur Reduktion der Überinanspruchnahme (3.3). Es stellt sich jedoch die Frage, ob empirisch belegt werden kann, dass eine höhere individuelle finanzielle Beteiligung an Gesundheitsleistungen tatsächlich zu einer Re­ duktion der Inanspruchnahme führt. Um dies zu beantworten, folgt eine Übersicht der für Deutschland vorliegenden Evidenz zur Wirkung von Selbstbeteiligungen (3.4). Welche Schlussfolgerungen aus dem Abgleich von Theorie und Empirie gezogen werden können, wird darauffolgend erörtert (3.5).

3 An dieser Stelle soll moral hazard als die erhöhte Nachfrage aufgrund des Versiche­ rungsschutzes definiert werden. In der Gesundheitsökonomie liegt jedoch kein allgemeingültiges Verständnis von moral hazard vor, wie in Kapitel 3.2 dargelegt wird.

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1 Einleitung

Das vierte Kapitel betrachtet schließlich die Inanspruchnahme jenseits der neoklassischen Perspektive. Dies umfasst theoretische und empirische Aspekte, die in der neoklassischen Betrachtungsweise vernachlässigt wer­ den. So bleiben insbesondere die Fragen nach dem Ausmaß der ver­ meintlichen Überinanspruchnahme sowie das mit der Reduktion dieser Überinanspruchnahme verbundene Einsparpotenzial zumeist unbeantwor­ tet (4.1). Darauffolgend werden aus der Verhaltensökonomie bekannte Abweichungen vom Verhaltensmodell des homo oeconomicus dargelegt, die von der Neoklassik oftmals ausgeblendet werden (4.2). Anschließend wird ein Überblick über interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnah­ me gegeben (4.3). Am Ende des vierten Kapitels erfolgt eine Zusammen­ führung der interdisziplinären Erkenntnisse zur Inanspruchnahme, die als Basis der Hypothesen zur Inanspruchnahme der vorliegenden Arbeit dienen (4.4). Im darauffolgenden fünften Kapitel wird empirisch untersucht, wel­ che Faktoren die Inanspruchnahme in Deutschland beeinflussen. Es er­ folgt zunächst eine Übersicht der Datengrundlage und der Operationalisie­ rung (5.1). Nach der Darlegung deskriptiver Statistiken über die abhängige Variable der Inanspruchnahme (5.2) wird das Analyseverfahren (5.3) und die empirische Evidenz der Hypothesen dargelegt (5.4). Abschließend wer­ den die zentralen Ergebnisse diskutiert und kritisch gewürdigt (5.5). In Kapitel sechs werden die sozialpolitischen Implikationen der Ergeb­ nisse diskutiert. Das abschließende siebte Kapitel setzt die Ergebnisse in den Gesamtkon­ text der Arbeit und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsfragen.

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Deutschlands unterliegt seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland einem stetigen Wandel. Die Reformdebatte ist hierbei insbesondere von der Frage nach der er­ forderlichen, finanzierbaren und erwünschten Ausgestaltung zwischen Solidarität und Eigenverantwortung sowie der Frage nach der Implemen­ tierung wettbewerbsorientierter Strukturen geprägt (Böckmann, 2009b, S. 10). Forderungen nach einer Stärkung der Eigenverantwortung in Form von Selbstbeteiligungen in der GKV sind besonders umstritten (Holst, 2008b; Jacobs, 2015). Die Debatte scheint oftmals ideologisch geprägt und Befürworter und Kritiker ziehen auf Basis des institutionellen Rahmens der GKV, des Re­ formbedarfs, und der in den letzten Jahrzehnten implementierten Refor­ men in der GKV unterschiedliche Schlussfolgerungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Selbstbeteiligungen mit der GKV. Als Außenstehender gestaltet sich die Verortung innerhalb dieses Diskurses schwierig. So ist „systematisches Bezugswissen […] erforderlich, will die Beobachterin bzw. der Beobachter in diesem Gewirr eine eigene Orientierung entwickeln“ (Boeckh et al., 2017, XII). Aufgrund dessen erfolgt zunächst die Darlegung des Ziels, der Grund­ prinzipien und der Finanzierung der GKV (2.1). Zum Teil bedingen diese auch den Reformbedarf der GKV (2.2), der nachfolgend erörtert wird. Nach der Darlegung ausgewählter Reformen der GKV in den letzten Jahr­ zehnten (2.3) erfolgt am Ende des Kapitels eine Einordnung von Selbstbe­ teiligungen in der GKV in den sozialstaatlichen Kontext (2.4). 2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV Gemäß § 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) gilt die Aufrecht­ erhaltung, Wiederherstellung und Verbesserung der Gesundheit4 als Ziel

4 Auch wenn dieses Ziel präzise erscheint, sollte hierbei berücksichtigt werden, dass grundsätzlich verschiedene Definitionen existieren, die ein breites Verständnis von Gesundheit oder Krankheit aufzeigen. Hinsichtlich der Allokation sozialer Leistungen hat sich in der Sozialrechtsprechung Deutschlands auf Basis eines Ur­

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

der GKV (§ 1 SGB V). Die Zielerreichung wird maßgeblich von den ver­ schiedenen Grundprinzipien der GKV, die ebenfalls im SGB V definiert sind, beeinflusst. Zu nennen sind hier insbesondere das Versicherungs­ prinzip, das in Verbindung mit der Versicherungspflicht bestimmter Per­ sonengruppen und den daraus resultierenden Beiträgen die Finanzierungs­ basis der GKV bildet, das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, das Sachleistungs­ prinzip sowie das Solidaritätsprinzip. 2.1.1 Versicherungsprinzip, Versicherungspflicht und Finanzierung der GKV Art und Umfang sowie die Leistungsgewährung eines Systems werden unter anderem davon beeinflusst, ob das Kernprinzip der Versicherung, Versorgung oder Fürsorge vorherrscht (Althammer und Lampert 2014, S. 246). Die deutschen Sozialversicherungszweige sind primär durch das

teils des Bundessozialgerichts folgende Definition etabliert: „Unter Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder lediglich die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung oder zugleich (in Ausnahmefäl­ len auch allein) Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat“ (Rosenbrock & Gerlinger, 2015, S. 201). Kann entsprechend dieser Definition bei einer Person keine Krankheit festgestellt werden, gilt sie demnach als gesund. Diese Definition stellt die Gesund­ heit in engen Zusammenhang mit der Arbeitsfähigkeit, die in der erwerbszentrier­ ten Gesellschaft Deutschlands die materielle Existenz sichert, und deren Verlust ein soziales Risiko darstellt. Generell dient Gesundheit jedoch nicht nur als Vor­ aussetzung für die materielle Existenzsicherung, sondern auch als Grundlage für Selbstentfaltung sowie soziale und gesellschaftliche Teilhabe (Bäcker et al., 2020). So ist die in der von Deutschland unterzeichneten Verfassung der World Health Organization (WHO) aufgeführte Definition von Gesundheit umfassender und betrachtet Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (Verfassung der Weltgesundheitsorganisation. World Health Organization, 2014). Für die GKV dient die Definition der WHO von Gesundheit „ausdrücklich nicht als Maßstab“. Für die GKV dient die sozialgerichtliche Definition des Krankheitsbe­ griff dazu, über den „Versicherungsfall Krankheit „zu entscheiden und die Leis­ tungspflicht der Krankenversicherung auszulösen. Grundsätzlich unterliegt das gesellschaftlich vorherrschende Verständnis von Gesundheit und Krankheit jedoch einem stetigen Wandel und verändert sich entsprechend der in einer Gesellschaft vorherrschenden Normen und Werte (Dietz et al., 2015, S. 128). So passt sich auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung den gesellschaftlichen Veränderungen an und so wurden im Laufe der Jahre beispielsweise auch psychosomatische Erkran­ kungen, eingeschränkte Zeugungsfähigkeit, Alkoholismus oder geistige Behinde­ rungen als Krankheiten anerkannt (Bäcker et al., 2020).

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2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV

Versicherungsprinzip gekennzeichnet. Auch wenn das Grundprinzip der Versicherung auf alle Säulen der Sozialversicherung zutrifft, unterscheidet sich die Krankenversicherung hinsichtlich Struktur, Prinzipien sowie Fi­ nanzierung und Leistungsgewährung jedoch von der Renten- und Arbeits­ losenversicherung. Während die Renten beispielsweise sehr stark an die Beitragshöhe gebunden sind, gilt in der Krankenversicherung zunächst der medizinische Bedarf als Orientierung, die Abdeckung erfolgt über Beiträge, die kollektiv ausgerichtet sind (Schmid, 2017, S. 400). Da den aufgebrachten Mitteln der Beitragszahler ein gewisses Leistungsvolumen gegenübersteht wird bei der Gesetzlichen Krankenversicherung auch von einer „gruppenmäßigen oder kollektiven Äquivalenz“ gesprochen (Krochs­ kämper & Pimpertz, 2015, S. 109). Die Ausgestaltung der GKV als Pflichtversicherung bedingt, dass sich Arbeitnehmer mit einem Bruttoeinkommen unter einer bestimmten Bei­ tragsbemessungsgrenze (BBG) der GKV nicht entziehen können. Die Ver­ sicherungspflicht der Sozialversicherung im Allgemeinen und der GKV im Speziellen dient als Instrument des sozialen Ausgleichs (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Hiermit wird eine adverse Selektion der Versichertengemein­ schaft vermieden. Das bedeutet, dass Personen mit niedrigem Gesundheits­ risiko, die bei der Erhebung eines rein einkommensabhängigen Beitrags – verglichen mit Personen mit höherem Gesundheitsrisiko – niedrigere Beiträge zu entrichten hätten als bei risikoäquivalenten Beiträgen, dem System nicht fernbleiben können. Somit wird auch vermieden, dass ledig­ lich Personen mit hohem Risiko, für die eine Versicherung mit einen ver­ gleichsweise großen Nutzen einhergeht, in der Versichertengemeinschaft enthalten sind (Zimmermann, 2009, S. 215). Durch die Berücksichtigung von Beitragsbemessungsgrenzen soll auch sichergestellt werden, dass das Solidaritätsprinzip nicht überreizt und einen „konfiskatorischen Charak­ ter“ erhält und in Frage gestellt wird (Butterwegge, 2018, S. 30). Durch die BBG definiert der Staat, welche Teile der Bevölkerung er für schutzbedürftig hält und demnach eine finanzielle Absicherung gegen das Risiko „Krankheit“, bedürfen. Von der Versicherungspflicht ausgeschlos­ sen sind Personen, die der staatlichen Definition nach über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, und Personen, die über das Beihilfesystem der Beamten abgesichert sind (Gerlinger & Burkhardt, 2012a).5

5 Die genaue Definition und Abgrenzung der Schutzbedürftigkeit ist hierbei um­ stritten. Eine ausführliche Diskussion findet sich beispielsweise bei Gerlinger & Burkhardt (2012a).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Durch die Versicherungspflicht kann erreicht werden, dass der Bedarf gewisser Personen tatsächlich gedeckt wird. Denn es ist nicht zwingend notwendig, dass alle Personen ihren (zukünftigen) Bedarf und die Vorteile einer Versicherung erkennen, sondern möglich, dass Personen die Wahr­ scheinlichkeit eines (zukünftigen) Bedarfs unterschätzen. Zur Vermeidung einer späteren Inanspruchnahme von Sozialleistungen kann demnach ein allgemeines Interesse am Versicherungszwang legitimiert werden (Zim­ mermann, 2009, S. 216). Abbildung 1 stellt das Schema der Finanzierung der GKV und des Ge­ sundheitsfonds allgemein sowie die Einnahmen und Ausgaben im Jahr 2020 dar. Abbildung 1: Finanzierung der GKV und des Gesundheitsfonds im Jahr 2020

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg (2021d).

Die Versicherungsbeiträge stellen die Finanzierungsbasis der GKV dar. Seit dem Jahr 2015 ist der Beitragssatz, der paritätisch von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen wird, auf 14,6 % des Bruttoeinkommens fest­ geschrieben (Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg, 2021d). Dieser Beitragssatz gilt auch für Renten und wird zu gleichen Teilen von der Rentenversicherung und den Beziehern der Renten finan­ ziert. Die geringfügig entlohnte Beschäftigung (Minijobs) unterliegt eben­ falls der Beitragspflicht, Arbeitgeber zahlen auf diese Beschäftigung eine Pauschale von 13 %. Die Beiträge der Mitglieder fließen in den Gesund­

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2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV

heitsfonds ein. Aus diesem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen Pauschalen für ihre Mitglieder und in Abhängigkeit ihrer Mitgliederstruk­ tur Zu- oder Abschläge über den morbiditätsorientierten Risikostruktur­ ausgleich (morbi RSA), die die unterschiedlichen Krankheits- und somit Kostenrisiken zwischen den Krankenkassen ausgleichen sollen (Boeckh et al., 2017, S. 303). Neben den Beiträgen der Mitglieder fließen in diesen Gesundheitsfonds auch weitere finanzielle Mittel in Form eines Bundeszuschusses ein, der seit dem Jahr 2017 bei 14,5 Milliarden Euro liegt (Institut Arbeit und Qua­ lifikation der Universität Duisburg, 2021b). Im Jahr 2020 erhielt die GKV aufgrund der durch die Covid-19-Pandemie erhöhten Ausgaben einen zu­ sätzlichen Bundeszuschuss in Höhe von 3,5 Milliarden Euro (Institut Ar­ beit und Qualifikation der Universität Duisburg, 2021b). Darüber hinaus haben Krankenassen die Möglichkeit, einen Zusatzbeitrag zu erheben, falls die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht zur Kostendeckung ausreichen (Boeckh et al., 2017, S. 303). Dieser Zusatzbeitrag wird seit dem Jahr 2019 paritätisch von den Arbeitgebern und Versicherten getragen und lag im Jahr 2020 bei durchschnittlich 1,1 % (Institut Arbeit und Qualifika­ tion der Universität Duisburg, 2021b). Die Leistungsausgaben der GKV werden im Umlageverfahren finanziert, die laufenden Ausgaben eines Ab­ rechnungszeitraums müssen demnach über die Einnahmen dieses Abrech­ nungszeitraums abgedeckt werden (Boeckh et al., 2017, S. 301). Im Jahr 2020 lagen die Einnahmen der GKV insgesamt bei etwa 262,9 Milliarden Euro, der Bundeszuschuss bei etwa 17,5 Milliarden Euro (Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg, 2021d). Auch wenn die Versicherungspflicht eng mit dem Erwerbseinkommen verbunden ist, werden jedoch auch weitere Versichertengruppen, beispiels­ weise mitversicherte Familienangehörige, über die GKV abgedeckt (Stein­ meyer, 2015, S. 18). So waren im Jahr 2020 insgesamt rund 73,3 Millio­ nen Menschen in der GKV versichert, wovon etwa 78 % GKV-Mitglieder, und 22 % beitragsfrei GKV-Versicherte waren (Bundesministerium für Ge­ sundheit, 2021). Demnach waren im Jahr 2020 etwa 88 % der Bevölkerung in Deutschland der GKV versichert (Bundesministerium für Gesundheit, 2021; Statistisches Bundesamt, 2021b). 2.1.2 Wirtschaftlichkeit Die Leistungen, die zur Zielerreichung von der GKV finanziert werden, müssen entsprechend § 12 SGB V ausreichend und zweckmäßig sowie

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

wirtschaftlich sein. Begründet ist dies durch die begrenzten zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, die eine der größten Herausforderungen für die Zielerreichung der GKV darstellen (Fleßa & Greiner, 2013, S. 19). Somit muss „die Erzielung eines gegebenen Heilerfolgs mit geringstmögli­ chem volkswirtschaftlichen Ressourcenverbrauch“ erzielt werden (Breyer et al., 2013, S. 353). Die GKV verpflichtet die Ärzte sowie alle weiteren privaten und öffentlichen Anbieter dazu, bei existierenden Alternativen die günstigere zweckmäßige und ausreichende Leistung zu verordnen.6 Zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit dienen hierbei unter anderem Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) (Baas & Werthen, 2017, S. 184).7 Welche Leistungen im Rahmen der GKV für alle Versicherten als „notwendige Leistungen“ verstanden werden, wird im Rahmen des GKVLeistungskatalogs bestimmt. Dieser Leistungskatalog wird ebenfalls vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mittels verschiedener Richtlinien und Bezugnahme auf das SGB V bestimmt (Baas & Werthen, 2017, S. 185). Dieser Katalog unterliegt einer stetigen Überprüfung, um sicherzustellen, dass die darin enthaltenen Leistungen dem Gebot der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit folgen. Die in den einzelnen Versorgungsbereichen (ambulante Versorgung, Krankenhaus und Arzneimittel) enthaltenen Leis­ tungen werden auf jeweils unterschiedliche Art und Weise bestimmt.8

6 Ob die verschiedenen Anbieter bei verschiedenen Alternativen die günstigere, zweckmäßige und ausreichende Leistung verordnen, wird vor dem Hintergrund ei­ nes als intransparent betrachteten und daher Missbrauch anfälliges Leistungs- und Vergütungssystem des deutschen Gesundheitswesens kritisch betrachtet (Boeckh et al., 2017, S. 319). 7 Seit der Gesundheitsreform aus dem Jahr 2004 kann der G-BA zur Vorbereitung solcher Entscheidungen Aufträge zur Einholung externer Expertise vergeben. Hier­ für wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gegründet, das im Rahmen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes, kurz AMNOG, auch über die Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Zusatznutzens neuer Medikamente entscheidet und infolgedessen deren Preissetzung maßgeblich beeinflusst (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2016). 8 Während für die Konkretisierung im ambulanten Bereich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zuständig ist, ist für den stationären Bereich der Ausschuss Krankenhaus zuständig (Bundesministerium für Gesundheit, 2016b). Der ambulante Bereich ist hierbei vom sogenannten „Erlaubnisvorbehalt“ gekenn­ zeichnet, während der stationäre Bereich durch den „Verbotsvorbehalt“ gekenn­ zeichnet ist. Somit bestimmt im ambulanten Bereich die Frage nach der aus­ reichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten, unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse, die erstattungsfähigen Leistungen. Im stationären Bereich werden

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2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV

Neben dem einheitlichen Leistungskatalog der GKV können die einzel­ nen Krankenkassen je nach Ermessen über die Regelversorgung hinaus jedoch auch weitere Leistungen anbieten um sich von anderen Kranken­ kassen abzuheben (Baas & Werthen, 2017, S. 186). Die Bestimmung des Leistungskatalogs und insbesondere Kürzungen dieses Leistungskatalogs sind oft umstritten, ein „gesellschaftlicher Konsens über die anzuwenden­ den Verfahren und Kriterien zur Ausgrenzung von Leistungen ist schwer herzustellen“ (Dea et al., 2003, S. 5). Somit gestaltet sich die Definition des „Notwendigen“ trotz des Rahmens des SGB V und der Richtlinien schwierig und wird vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressour­ cen auch mit der Frage: „Wie weit soll die Solidarität gehen?“ (Burkhardt, 2012) konfrontiert. 2.1.3 Sachleistungsprinzip Die Bereitstellung der im Leistungskatalog enthaltenen medizinischen Sach- und Dienstleistungen erfolgt in Form des sogenannten Sachleis­ tungsprinzips. Patienten erhalten medizinische Leistungen, ohne in den Zahlungsvorgang involviert zu sein (Breyer et al., 2013, S. 438). Versicherte enthalten demnach für sie „kostenfreie“ Leistungen, während die Kran­ kenkassen und Organisationen sowie Verbände der Ärzte die Vergütung organisieren. Die Leistungserbringer schließen Verträge mit den Gesetzli­ chen Krankenkassen, die die Leistungserbringer dann direkt oder indirekt vergüten. Hiervon ausgenommen sind Zuzahlungen der Patienten als Ei­ genanteil für Arzneimittel, Fahrtkosten oder eine Klinikbehandlung nach § 61 SGB V (Baas & Werthen, 2017, S. 184). Durch das Sachleistungsprinzip soll gewährleistet werden, dass jeder Versicherte unabhängig seiner finanziellen Leistungsfähigkeit die für ihn erforderliche medizinische Leistungen enthält und hierfür keine finanziel­ le Vorleistung erbringen muss (Gerlinger & Burkhardt, 2012b). Die feh­ lende Kostentransparenz des Sachleistungssystems führt jedoch auch dazu, dass Versicherte im Regelfall keine Vorstellung über die Kosten einzelner Leistungen, und somit auch nicht über die Kosten, die sie verursachen,

Leistungen hingegen so lange erbracht, bis der G-BA sie aus dem Leistungskatalog ausschließt (Baas & Werthen, 2017, S. 185). Somit kann es vorkommen, dass Leis­ tungen im ambulanten Bereich explizit ausgeschlossen werden, während sie im stationären Bereich noch im Leistungskatalog enthalten sind und somit von der GKV bezahlt werden (Bundesministerium für Gesundheit, 2016b).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

besitzen. Dies kann möglicherweise zu einem mangelnden Kostenbewusst­ sein führen. Aufgrund dessen wird dem Sachleistungsprinzip häufig zu­ geschrieben, dass es eine Überinanspruchnahme von Leistungen bedingt und somit zu Unwirtschaftlichkeiten des Systems beiträgt (Gerlinger & Burkhardt, 2012b). 2.1.4 Solidaritätsprinzip Jeder GKV-Versicherte hat, je nach seinem gesundheitlichen Bedarf, prin­ zipiell den gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung, während die Beiträge je nach Höhe des Einkommens unterschiedlich ausfallen (Burk­ hardt, 2013). Ermöglicht wird dieser universelle Zugang durch die in der Gesellschaft heterogen verteilten Gesundheitsrisiken. Diese Heteroge­ nität der Gesundheitsrisiken führt dazu, dass in einer bestimmten Peri­ ode gewöhnlich lediglich ein Teil der Versicherten erkrankt und somit eine Umverteilung von den Gesunden zu den Kranken erfolgt. Über diese Umverteilung hinaus findet auch eine Umverteilung zwischen den Geschlechtern, den Generationen, Familien und Single- bzw. Zweiverdie­ ner-Haushalten sowie Personen mit hohen und niedrigen (beitragspflichti­ gen) Einkommen statt, da die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen mit verschiedenen Risiken einhergeht, die bei der Ausgestaltung des Beitrags nicht berücksichtigt werden (Moog & Raffelhüschen, 2006, S. 2). Insbesondere diese in der GKV implementierten Mechanismen der Um­ verteilung werden als Ausdruck der Solidarität verstanden. Dieses charak­ teristische „Einer für alle, alle für einen“-Prinzip der GKV erhält in der Bevölkerung eine breite Unterstützung. So zeigt die bevölkerungsrepräsen­ tative Umfrage „Meinungspuls Gesundheit“ der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2017, dass die überwiegende Mehrheit (84 %) nicht nur grundsätzlich mit dem Gesundheitswesen zufrieden oder sehr zufrieden ist, sondern dass 83 % das Solidarprinzip der GKV als „sehr gut“ oder „gut“ einschätzen. Die Zustimmung ist bei der Gruppe der 18- bis 39-Jährigen mit 88 % besonders hoch. Insgesamt 47 % aller Befragten wären sogar be­ reit, höhere Beiträge zu bezahlen, um das momentane Maß an Solidarität aufrecht zu erhalten (Techniker Krankenkasse, 2017). Im „Meinungspuls Gesundheit“ der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021 gaben gar 71 % der Befragten an, sie würden vor dem Hintergrund der steigenden Kosten im Gesundheitswesen eher höhere Beiträge bei stabilem Leistungs­ niveau als einen verringerten Leistungsumfang bei stabilen Beiträgen (Zu­ stimmung 22 %) in Kauf nehmen (Techniker Krankenkasse, 2021).

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2.1 Ziele, Grundprinzipien und Finanzierung der GKV

Streng betrachtet wies und weist die GKV jedoch auch Elemente auf, die das Solidarprinzip untergraben (haben). Hier kann zum einen die von 2004 bis 2012 zu entrichtende Praxisgebühr genannt werden, da mit dieser Versicherte, die aufgrund von Krankheit einen Arzt aufsuchen mussten, stärker belastet wurden als (gesunde) Versicherte, die keinen Arzt aufsuch­ ten. Zum anderen widerspricht auch die Zuzahlung zu Medikamenten, deren Ausmaß vom individuellen Gesundheitszustand beeinflusst wird, gegen das Solidarprinzip (Burkhardt, 2013). Auch wenn die GKV im Rahmen des SGB V als Solidargemeinschaft de­ finiert wird, und dies als wichtiges Merkmal der GKV angesehen werden kann, ist es jedoch kein „übergeordnetes Konstruktionsprinzip“, dessen konsistente Umsetzung und Aufrechterhaltung ein übergeordnetes Ziel darstellt (Burkhardt, 2013). Vielmehr kann es als ein besonders prägendes Merkmal der GKV betrachtet werden. Somit kann auch ein Abbau von Solidarität vor dem Hintergrund knapper Ressourcen gerechtfertigt sein (Burkhardt, 2013). Dennoch hat sich das Solidarprinzip als maßgebliches und richtungsweisendes Prinzip bei der Ausgestaltung der GKV etabliert. Das Verständnis über das Ausmaß der Solidarität, inwiefern Solidarität im jetzigen System (noch) existiert, und in welchem Maße sie aus- oder abgebaut werden soll, gestaltet sich unterschiedlich (Böckmann, 2009a; Drabinski, 2018; Gerlinger, 2017). Die Diskussion hierüber wird durch die Tatsache, dass sich die Definition von Solidarität aus dem Wortlaut des § 1 SGB V nicht eindeutig erschließt, erschwert. Auch über die in § 3 SGB V aufgeführte solidarische Finanzierung der GKV über die Beiträge der Mit­ glieder sowie Arbeitgeber kann keine Herleitung des Solidaritätsbegriffs in der GKV erfolgen. Einige Wissenschaftler merken in diesem Kontext an, dass im öffentlichen Diskurs kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Solidarität stattfinde, was dazu führe, dass weder über das Verständnis des Begriffs noch über das gewünschte oder mögliche Aus­ maß von Solidarität Konsens herrscht (Krochskämper & Pimpertz, 2015, S. 105). Auch wenn das Prinzip der Solidarität als Merkmal der GKV anerkannt ist, und unter Versicherten breite Zustimmung erhält, betont der erste Paragraf des SGB V einleitend jedoch auch die Wichtigkeit der Eigenver­ antwortung der Versicherten. Neben der Aufgabe der Erhaltung, Wieder­ herstellung oder Verbesserung der Gesundheit wird die Aufgabe, die Mit­ verantwortung der Versicherten zu stärken, explizit genannt. Die Eigenver­ antwortung der Versicherten, respektive eine Stärkung dieser, ist somit ein gesetzlich verankertes Ziel der Krankenversicherung. Durch welche Maßnahmen dieses Ziel erreicht werden soll, oder kann, bleibt offen und

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

bietet somit Interpretationsspielraum. Das bedeutet demnach auch, dass Maßnahmen, die der Stärkung der Eigenverantwortung dienen, aus der gesetzlichen Perspektive zunächst durch § 1 des SGB V legitimiert werden können. Insbesondere vor dem Hintergrund des steigenden Kostendrucks wird in diesem Zusammenhang teilweise auch die Frage gestellt, „ob es nicht doch von Bedeutung sein sollte, ob und in welchem Ausmaß indi­ viduelles Verhalten zu einer Krankheit beigetragen hat oder in Zukunft beitragen könnte“ (Schmitz-Luhn & Bohmeier, 2013, S. 176). 2.2 Anhaltender Reformbedarf Die GKV gilt seit Jahrzehnten als reformbedürftig. Als ursächlich für den Reformbedarf der GKV werden zumeist die seit den 1980er Jahren steigen­ den Ausgaben für Gesundheit aufgeführt (Althammer & Lampert, 2014, S. 264). Diese Ausgabenentwicklung wird auf verschiedene exogene und endogene Ursachen zurückgeführt. Exogene Ursachen9 sind nicht von der expliziten Ausgestaltung der GKV beeinflusst und umfassen beispielsweise die mit dem demografischen Wandel einhergehenden Veränderungen in der Morbiditätsstruktur, die sich durch eine Zunahme kostenintensiver chronischer und altersbedingter Krankheiten auszeichnet, oder den Ein­ fluss des technologischen Fortschritts. Endogene Ursachen haben ihren Ursprung hingegen in der expliziten Ausgestaltung der GKV und umfas­ sen beispielsweise die erwerbseinkommensabhängige Finanzierung, oder das Sachleistungsprinzip und die mit ihr verbundene Kostenintransparenz (Althammer & Lampert, 2014, S. 264–266). Der Einfluss der verschiedenen exogenen Ursachen auf die Ausgaben­ steigerung der vergangenen und zukünftigen Jahre kann unterschiedlich gut empirisch belegt und untersucht werden (Althammer & Lampert, 2014, S. 265). Insbesondere der viel beachtete Einfluss des demografischen Wandels auf die Ausgaben ist umstritten. So schätzen Repschläger et al. (2017) den Einfluss des demografischen Wandels zwar als erkennbaren, in der öffentlichen Debatte jedoch überinterpretierten Einflussfaktor ein. Sie zeigen auf Basis einer Analyse von Daten der Barmer Krankenkasse, dass

9 Weitere exogene Ursachen stellen dar: Ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein in der Gesellschaft sowie die Bereitschaft, mit steigendem Einkommen auch die Nachfra­ ge nach Gesundheitsleistungen zu erhöhen (Gesundheitsleistungen als superiores Gut), oder der mit einer Kostensteigerung einhergehende medizinisch-technische Fortschritt (Althammer & Lampert, 2014, S. 265).

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2.2 Anhaltender Reformbedarf

der Anteil des Ausgabenzuwachs der GKV, der auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist, in den Jahren 2007 bis 2010 bei 11 % lag (Rep­ schläger et al., 2017, S. 104). Auch Fleßa & Greiner (2013, S. 73) führen an, dass die Ausgabensteigerung aufgrund des technischen Fortschritts größer ist als die des demografischen Wandels. Auch wenn über das Ausmaß des demografischen Wandels auf den Anstieg der Gesundheitsausgaben Uneinigkeit herrscht, besteht jedoch Konsens dahin gehend, dass sich der demografische Wandel auf die Ausgaben auswirken wird. Obgleich sich somit die Prognosen über die zukünftige Entwicklung der Gesundheitsausgaben, beziehungsweise der Einfluss der einzelnen Ur­ sachen, unterscheiden, erscheint ein weiterer Anstieg der Gesundheitsaus­ gaben angesichts der Entwicklung der letzten Jahrzehnte wahrscheinlich. Abbildung 2 stellt die Entwicklung der Gesundheitsausgaben der GKV, aller Träger insgesamt, und des Anteils der Ausgaben am Bruttoinlands­ produkt (BIP) von 2000 bis 2019 dar.10

10 Die Definition der Gesundheitsausgaben in der Gesundheitsausgabenrechnung (GAR) erfolgt auf Grundlage der Kriterien des System of Health Accounts, einem Standard der von der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) und der World Health Organization (WHO) veröffentlicht wurde. Gemäß dieser werden in Deutschland Leistungen und Güter, die der Prävention, Behandlung, Rehabili­ tation und Pflege dienen sowie Investitionen der Einrichtungen des Gesundheits­ wesens als Gesundheitsausgaben definiert. Dies umfasst auch die Ausgaben für ärztliche Vorsorgeuntersuchungen oder für pflegerische Leistungen in Pflegehei­ men. Die GAR stellt ein sekundärstatistisches Rechenwerk dar, das verschiedene Datenquellen des Gesundheitswesens zur Bestimmung der Gesundheitsausgaben heranzieht. In der GAR werden lediglich die Ausgaben für den letzten Verbrauch von Gütern, Dienstleistungen und Investitionen berücksichtigt. Ausgaben für Vorleistungen, beispielsweise die Produktion von Arzneimitteln durch die Phar­ maindustrie und ihr Absatz an Apotheken werden somit nicht explizit wieder­ gegeben. Die Vorleistungen sind im speziellen Fall der Arzneimittel im Arznei­ mittelabgabepreis enthalten. Diese Ausgaben sind dann Bestandteil der GAR. Die GAR weist daneben auch Ausgaben für den „erweiterten Leistungsbereich des Gesundheitswesens“ aus. Sie stellen jedoch keinen Bestandteil der aggregier­ ten Größe der GAR dar. Hierunter fallen Einkommensleistungen, beispielswei­ se die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, oder Leistungen zum Ausgleich krankheitsbedingter Folgen (zum Beispiel Eingliederungshilfen für behinderte Menschen zur beruflichen Rehabilitation). Darüber hinaus werden Ausgaben für Forschung und Ausbildung im Gesundheitswesen unter diesem erweiterten Leistungsbereich erfasst (Statistisches Bundesamt Destatis, 2017, S. 3). Die Ge­ sundheitsausgaben im Sinne der GAR sind somit von den „Leistungsausgaben“ der GKV zu unterscheiden. So betrugen die Leistungsausgaben der GKV im Jahr

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Abbildung 2: Gesundheitsausgaben in Milliarden Euro und Anteil am BIP von 2000 bis 2019

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2021) und Statistisches Bundesamt (2021e). Anmerkung: BIP in jeweiligen Preisen.

Die Abbildung zeigt den allgemein anerkannten und vielfach diskutierten Anstieg der Gesundheitsausgaben auf. Die Summe der Gesundheitsausga­

2016 etwa 210 Milliarden Euro, die Gesundheitsausgaben der GKV nach der GAR jedoch etwa 207 Milliarden Euro.

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2.2 Anhaltender Reformbedarf

ben in Deutschland ist über alle Ausgabenträger von 214,7 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 410,8 Milliarden Euro im Jahr 2019 angestiegen. Dies entspricht einer Zunahme von 91,4 %. Die von der GKV getragenen Gesundheitsausgaben sind in diesem Zeitraum von 123 Milliarden Euro auf 233 Milliarden Euro angestiegen, was einer Zunahme von etwa 89 % entspricht. Dieser Anstieg wird zumeist als „Kostenexplosion“ des Gesund­ heitswesens bezeichnet (Breyer et al., 2013, S. 1).11 Der Anstieg der Ausgaben sollte jedoch nicht losgelöst, sondern auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Wirtschaftsleistung Deutschlands betrachtet werden. Denn auch diese ist in den letzten 20 Jahren stetig ge­ wachsen. So ist das BIP in den Jahren 2000 bis 2019 von 2.109 Milliarden Euro auf 3.473 Milliarden Euro angestiegen, was einer Zunahme von etwa 65 % entspricht (Statistisches Bundesamt, 2021e). Bei der Beurteilung der Höhe der Gesundheitsausgaben sollte demnach immer auch die Relation der Ausgaben zum BIP berücksichtigt werden. Auch wenn der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP im Zeitraum von 2000 bis 2019 zugenom­ men hat, sollte der Anstieg von 10,2 % auf 11,8 % eher als moderat statt als „explosionsartig“ bezeichnet werden12. Die Ausgaben stellen somit eventu­ ell nicht per se das Hauptproblem der GKV dar. Inwiefern die „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen stattgefunden hat und inwiefern sie ein „Problem“ darstellt, ist unter Ärzten und Ökonomen grundsätzlich umstritten (siehe beispielhaft hierfür Lichey et al., 2017). Aufgrund dessen wird neben der Ausgabenseite mittlerweile auch die Einnahmenseite der GKV verstärkt betrachtet. Denn auch wenn Deutschlands wirtschaftlicher Wohlstand seit dem Jahr 2000 stetig ange­ stiegen ist, haben nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße von dieser prosperierenden Wirtschaftslage profitiert. Insbesondere die größte Einnahmequelle der GKV, die beitragspflichtigen Einkommen der GKVVersicherten, sind aufgrund der Zunahme von atypischen Beschäftigungs­ formen (wie befristete Beschäftigung, Leih- bzw. Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung und Minijobs), nicht in gleichem Maße wie das BIP ge­ wachsen. So haben sich die beitragspflichtigen Einnahmen pro Versicher­ 11 Vor dem Hintergrund, dass sich jedoch die Menge der erbrachten Leistungen sowie die Leistungen an sich unterscheiden, sollte, so Breyer et al. (2013, S. 3), eher der Begriff „Ausgabenexplosion“ statt „Kostenexplosion“ gewählt werden. 12 Eine interessante Analyse, inwiefern „die Gesundheitswirtschaft“ hierbei gezielt als Wachstumsbranche gefordert und gefördert wurde, findet sich unter ande­ rem bei Beske (2016). Eine Kritik an der Bezeichnung des Gesundheitswesens oder des Gesundheitssystems als „Gesundheitswirtschaft“ findet sich bei Kranich (2015).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

tem der GKV von 1995 bis 2020 lediglich um etwa 51 % erhöht, während das BIP um 76 % gewachsen ist (Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg, 2021c). Dem Vorgehen, durch den Vergleich des BIPs mit den einnahmepflich­ tigen Einkommen der GKV-Versicherten den Schluss zu ziehen, die GKV habe ein Einnahmenproblem, wird teilweise kritisiert. Hauptkritikpunkt stellt das gewählte Basisjahr sowie die nicht adäquate Nutzung des BIPs dar. Vielmehr sollten das Volkseinkommen sowie die Arbeitsentgelte für eine Analyse genutzt werden (Schulze Ehring, 2006). Abbildung 3 stellt die Entwicklung des Volkseinkommens, der Arbeitnehmerentgelte und die daraus resultierende unbereinigte Lohnquote für die Jahre 2000 bis 2019 dar. Abbildung 3: Volkseinkommen, Arbeitnehmerentgelte und unbereinigte Lohn­ quote von 2000 bis 2019

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von Statistisches Bundesamt (2021e) und Statistisches Bundesamt (2021d)

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2.2 Anhaltender Reformbedarf

Es zeigt sich, dass im Zeitraum von 2000 bis 2019 sowohl das Volksein­ kommen als auch die Arbeitnehmerentgelte angestiegen sind. Auch wenn der Zuwachs auf den ersten Blick ähnlich groß erscheint, bleibt der An­ stieg der Arbeitsentgelte mit 66,1 % (von 1.117,41 Milliarden Euro auf 1.855,53 Milliarden Euro) etwas hinter dem Wachstum des Volkseinkom­ mens in Höhe von 68,6 % (von 1.547,24 Milliarden auf 2.608,22 Milliarden Euro) zurück. Dies spiegelt sich auch in einer rückläufigen unbereinigten Lohnquote wider. Auch auf Basis der Indikatoren Volkseinkommen und Arbeitnehmerentgelte zeigt sich demnach, dass die Arbeitnehmerentgelte nicht proportional zu Deutschlands Wirtschaftsleistung gestiegen sind. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird sich das Ein­ nahmeproblem in den nächsten Jahrzehnten vermutlich verstärken. So wird sich die Gruppe der Erwerbsfähigen, der 20- bis 66-Jährigen, deutlich reduzieren. Bis zum Jahr 2050 wird sich diese Gruppe voraussichtlich um 20 %, von etwa 52 Millionen auf etwa 43 Millionen Personen, verrin­ gern (Statistisches Bundesamt, 2021a). Diese Gruppe erwirtschaftet jedoch einen Großteil des BIPs und trägt am stärksten zu den Steuern und So­ zialversicherungen bei (Beske, 2016, S. 6). Demnach werden sich unter der Annahme der Aufrechterhaltung der sozialversicherungspflichtigen Einkommen als Finanzierungsbasis der GKV mit sehr hoher Wahrschein­ lichkeit nicht nur die Ausgaben aufgrund des demografischen Wandels erhöhen, sondern auch die Einnahmen verringern (Beske, 2016, S. 6). Auch wenn die Erosion der Einnahmenseite weitestgehend sowohl von Politik als auch Wissenschaft seit geraumer Zeit anerkannt wird (vgl. bspw. Sachverständigenrat für die Konzentrierte Aktion im Gesund­ heitswesen, 2003; Wasem, 2010), sehen einige Wissenschaftler in einer mangelhaften Steuerung von Angebot und Nachfrage eine weitere, Mitoder Hauptursache für den Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen (vgl. bspw. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund­ heitswesen, 2018b). Die Argumentation folgt hierbei der Annahme, dass GKV-Versicherte in dem bestehenden System durch ihre Beiträge einen Anspruch auf zum Großteil unentgeltliche Leistungen erhalten. Diesen Anspruch würden die Versicherten über die Versichertenkarte an die Ärzte sowie über Rezepte oder Überweisungen an Krankenhäuser oder Ärzte weiterreichen. Dies führe dazu, dass die Nachfrage nach medizinischen Leistungen nicht über den Preis gesteuert wird, beziehungsweise gesteuert werden kann. Diese Preisabstinenz, so die Argumentation, führe dazu, dass Versicherte ihre Nachfrage nach Leistungen bis zur „Sättigungsmenge“ ausweiten und die Nachfrage nicht auf Preisänderungen reagieren kann. Somit würden Kostensteigerungen im Gesundheitswesen vollständig in

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Form eines höheren Preises wiedergegeben nicht zu einer Einschränkung der nachgefragten Menge führen (Althammer & Lampert, 2014, S. 266). Diese Auffassung spiegelt sich auch in einem Teil der Reformen der letzten Jahrzehnte wider. Oftmals zielten diese auf die Aufhebung oder Lockerung der als teilweise problematisch betrachteten Preisabstinenz und explizit auf eine Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten ab. Nachfolgend wird die Entwicklung der GKV in den letzten Jahrzehnten mit besonderem Schwerpunkt auf eine Stärkung der Eigenverantwortung dargelegt. 2.3 Andauernder Wandel – Gesetzliche Neuregelungen seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland Die Entwicklung der GKV ist durch eine große Fülle an Reformen und Gesetzesinitiativen gekennzeichnet, und fügt sich somit gut in die „Dauer­ baustelle Sozialstaat“ ein (Bäcker, 2021). Diese Fülle kann zunächst einen desorganisierten und unzusammenhängenden Eindruck geben. Bei genau­ er Betrachtung und Auseinandersetzung mit dieser Vielzahl an Regelun­ gen kann jedoch eine gewisse Struktur erkannt werden. Abbildung 4 stellt eine Möglichkeit der Systematisierung nach Illing (2017) dar, die versucht die wichtigsten Schritte der Reformen der GKV seit Gründung der Bun­ desrepublik Deutschland (BRD) bis zum Jahr 2017 zu kategorisieren.13

13 Eine detaillierte Chronologie der Reformen des Gesundheitswesens findet sich bei Busse & Blümel (2014) oder Bäcker (2021).

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2.3 Andauernder Wandel

Abbildung 4: Phasen der Entwicklung des Gesundheitssystem Deutschlands

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Illing (2017).

Die Entwicklung der GKV seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) bis zum Jahr 2017 kann gemäß Illing (2017) demnach in fünf Perioden eingeteilt werden. Während nach der Gründung der BRD bis zum Ende der 1960er Jah­ re (1) zunächst die Wiederherstellung der Struktur der Selbstverwaltung im Zentrum stand, folgte anschließend bis zur Mitte der 1970er Jahre (2) der Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens und der GKV. Die Abmil­ derung der mit dieser Ausweitung verbundenen Ausgabensteigerungen stand in der dritten Phase ab Mitte der 1970er bis zum Ende der 1980er Jahre (3), im Fokus. Das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswe­

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

sen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG), verschiedene sogenannte „K-Ge­ setze“, und die Kürzung des Leistungskatalogs der GKV stellten Maßnah­ men dieser einsetzenden „Kostendämpfungspolitik“ dar. Die in der bis zum Jahr 2009 andauernden vierten Phase (4) angestoßenen strukturellen Reformen läuteten dann einen Pfadwechsel ein. Insbesondere die Imple­ mentierung wettbewerbsorientierter Strukturreformen und sektorenüber­ greifender Versorgungskonzepte sowie eine stärkere Privatisierung der Krankheitskosten führen dazu, dass diese in den 1990ern beschlossenen Reformen als Beginn eines Paradigmenwechsels gedeutet werden (Gerlin­ ger, 2014a; Leiber & Manouguian, 2009, S. 180; Manzei & Schmiede, 2014). Seit dem Jahr 2009 wird neben der omnipräsenten Kostenfrage verstärkt der Ausbau verschiedener Bereiche des Gesundheitswesens (Pfle­ ge, Prävention, Palliativversorgung) vorangetrieben. So zielt beispielsweise das im Jahr 2016 in Kraft getretene Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) auf eine Stärkung der Qualität in der Krankenhausversorgung, unter ande­ rem durch die Erhöhung der Anzahl der Pflegekräfte am Krankenbett, ab (Bundesministerium für Gesundheit, 2017). Die von Illing noch nicht berücksichtigte Zeitspanne zwischen 2018 und 2021 kennzeichnet sich zum einen durch eine Entlastung und Versorgungsverbesserung der Ver­ sicherten. So wurde mit dem 2018 beschlossenen und 2019 in Kraft ge­ tretenen GKV-Versichertenentlastungsgesetz die paritätische Finanzierung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags wiedereingeführt und mit dem im Jahr 2019 beschlossenen und in Kraft getretenen Terminservice- und Ver­ sorgungsgesetz (TSVG) das Mindestsprechstundenangebot erhöht, die offe­ nen Sprechstunden ausgebaut, und eine durchgehende Erreichbarkeit der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen beschlossen (Bä­ cker, 2021). Zum anderen wird mit dem Faire-Kassen-Wettbewerbsgesetz der RSA weiterentwickelt und die Struktur des GKV-Spitzenverbandes neu geordnet. Darüber hinaus kennzeichnet sich die Phase durch verschiedene Gesetze zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufgrund der COVID-19-Pandemie (Bäcker, 2021). Auch wenn neben der omnipräsenten Kostenfrage dem Ausbau ver­ schiedener Bereiche des Gesundheitswesens seit dem Jahr 2009 wieder mehr Aufmerksamkeit zuteilwird, sind die gesetzlichen Regelungen der kostendämpfenden vierten Phase mit Ausnahme der Praxisgebühr nach wie vor in Kraft und haben die GKV somit nachhaltig gestaltet. Diese oft als eine „Abkehr vom Sozialstaat“ interpretierten Reformen innerhalb der GKV fügen sich dabei in eine grundlegende, als Paradigmenwechsel ver­ standene, Umgestaltung des Sozialstaats ein. Insbesondere seit der rot-grü­ nen Koalition nach der Bundestagswahl im Jahr 1998 wurden solche Re­

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2.3 Andauernder Wandel

formen mit strukturveränderndem Charakter in verschiedenen Bereichen des Sozialstaats implementiert. Exemplarisch für diesen Paradigmenwech­ sel werden zumeist die Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente als private Ergänzung zur gesetzlichen Rentenversicherung (Ebert, 2009), sowie die dem Motto „Fördern und Fordern“ folgenden Hartz-Reformen des Arbeitsmarktes angeführt (Gerhardt, 2009).14 Analog zu dem Wandel in den anderen Zweigen der Sozialversicherung wurde auch im Bereich der Krankenversicherung die Frage „Fördern und Fordern auch in der Ge­ setzlichen Krankenversicherung?“ gestellt, und diskutiert ob das Credo des „Förderns und Forderns“ tatsächlich eine sinnhafte Aktivierungsstrategie im Gesundheitssystems darstellt (Sundmacher, 2006). Nachfolgend werden aufgrund dessen insbesondere Reformen ab Be­ ginn der 2000er Jahre umfassend dargelegt und vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes zwischen Solidarität und Eigenverantwortung diskutiert. Hierbei kommt insbesondere dem 2003 beschlossenen und 2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung der GKV (GMG) große Be­ deutung zu. Mit dem GMG wurde den Krankenkassen das Recht zur Erhebung eines Sonderbeitrags für die Finanzierung verschiedener Leis­ tungsbereiche in Höhe von 0,9 % eingeräumt sowie verschiedene Leis­ tungseinschränkungen beschlossen. Unter anderem Sehhilfen sowie nicht verschreibungspflichtige Medikamente sind seit Inkrafttreten des GMG nicht mehr erstattungsfähig. Zudem wurde die sogenannte Praxisgebühr und die Zuzahlung in allen Bereichen des Gesundheitswesens eingeführt (Bäcker, 2021, S. 212). Tabelle 1 gibt einen Überblick über die neben der Praxisgebühr in den verschiedenen Leistungsbereichen im Rahmen des GMG eingeführten Zuzahlungen. Abgesehen von der Praxisgebühr spiegelt die Tabelle die aktuellen Zuzahlungsregelungen wider.

14 Insbesondere die Entkoppelung der Leistungen im Falle der Arbeitslosigkeit vom vorherigen Einkommen bedeutet eine „deutliche Abkehr vom traditionellen Sozialversicherungsprinzip“ (Schmid, 2017, S. 397).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Tabelle 1: Zuzahlungsregeln des GMG Leistungsbereich

Höhe der Zuzahlung

Verschreibungspflichtige Arznei-, Verband- und Hilfsmittel

10 %, mindestens jedoch 5 € (jedoch nicht mehr als die Kosten des Mittels) und maximal 10 €

Heilmittel und häusliche Krankenpflege

10 % sowie 10 € je Verordnung, bei häuslicher Pflege auf die ersten 28 Tage begrenzt

Stationärer Sektor

10 € pro Tag, jedoch für maximal 28 Tage

Fahrtkosten und Haushaltshilfen Mindestens 5 €, maximal 10 € pro Tag / Fahrt Praxisgebühr

10 € bei der ersten Inanspruchnahme eines Quartals

Insgesamt

Nicht mehr als 2 % des Bruttoeinkommens (1 % für chronisch Kranke und EmpfängerInnen von Sozialhilfe)

Quelle: Eigene Darstellung nach Bäcker (2021).

Die Einführung der Praxisgebühr sollte explizit dazu dienen “die Eigen­ verantwortung des Versicherten zu stärken“ (Deutscher Bundestag, 2003, S. 84). Denn Deutschland galt und gilt als „high-use country“ (van Doors­ laer et al., 2006, S. 179) im Bereich der ambulanten Inanspruchnahme. Der jährliche Durchschnitt lag im Jahr 1996 bei sieben bis acht Arztbesuchen und war damit fast doppelt so hoch wie die Anzahl der durchschnittlichen jährlichen Besuche in Schweden, Schweiz, Finnland oder Frankreich (vgl. bspw. van Doorslaer et al., 2006, S. 179). Vor dem Hintergrund der An­ nahme, Versicherte würden häufig aufgrund sogenannter „Bagatellerkran­ kungen“ (Borgetto, 2006, S. 1973). Ausformuliertes Ziel dieser Maßnahme stellte somit die Reduktion der Arztbesuche dar (Linnekugel, 2012). Nicht zuletzt sollte, wie schon in den vorangegangenen Reformen, zudem eine Ausgabenreduktion erzielt werden. Durch „Instrumente wie differenzierte Praxisgebühren und Selbstbehalte“ erhoffte sich der damalige Bundeskanz­ ler Gerhard Schröder, die „Beiträge zur Krankenversicherung unter 13 Prozent zu drücken“ (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2003). Da die Summe der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlungen gemäß § 62 SGB V insgesamt jedoch nicht mehr als 2 % des Bruttoeinkom­ mens betragen durfte (Belastungsgrenze),15 wurde die Praxisgebühr als „sozial abgefedert“ (Deutscher Bundestag, 2003, S. 84) bezeichnet. Zudem führte der Bundestag (2003, S. 87) an, dass die “Belohnung der Versicher­

15 Bei chronisch Kranken war diese Zuzahlung auf 1 % des Bruttoeinkommens beschränkt.

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2.3 Andauernder Wandel

ten für rationales Verhalten in der vorgesehenen Art und Weise […] Gesunde und Kranke gleichermaßen von neu eingeführten Entscheidungs­ möglichkeiten profitieren“ ließe. Die Praxisgebühr wurde jedoch kontrovers diskutiert (siehe hierzu auch das Streitgespräch zwischen Wettig und Holst (Merten & Rabbata, 2008)). Im Fokus stand einerseits die Frage, ob überhaupt, und falls ja, lediglich „nicht notwendige“ Arztbesuche reduziert würden. Zudem wurde die Fra­ ge gestellt, inwiefern gesundheitliche Ungleichheit durch diese eingeführ­ te Zugangsbarriere verstärkt würde (Richter & Hurrelmann, 2006, S. 82). Die Praxisgebühr wurde im Jahr 2012 aufgrund verschiedener Gründe, nicht zuletzt auch aufgrund der nicht (in ausreichendem Maße) eingetrof­ fenen Reduktion der Arztbesuche, wieder abgeschafft. Die Abschaffung der Praxisgebühr wird unter Hinzunahme unterschiedlicher Argumente sowohl positiv als auch negativ beurteilt. Kritiker der Abschaffung verweisen zum einen darauf, dass die Aus­ gestaltung der Praxisgebühr, etwa die Höhe und der Zeitpunkt der Ent­ richtung, eine adäquate Entfaltung ihrer erhofften Wirkungen verhindert habe. Zum anderen wird auch auf Analysen von Befragungsdaten und Abrechnungsdaten der Krankenkassen hingewiesen, die einen statistisch signifikanten Effekt der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme nachwei­ sen und ihre Wirksamkeit demnach belegen konnten (Busse & Schreyögg et al., 2017; Farbmacher & Winter, 2013). Demgegenüber stehen Befür­ worter der Abschaffung, die diese Evidenz mit Verweis auf die Auswahl der Stichprobe, des Zeitpunkts der Analyse oder weiterer methodischer Details für nicht valide oder nicht aussagekräftig (genug) halten (Holst, 2008a; Reiners, 2017). Somit liegt bezüglich der Abschaffung der Praxisge­ bühr, analog zur Einführung der Praxisgebühr, kein Konsens vor. Neben der Praxisgebühr und weiteren Zuzahlungen wurde im Rahmen des GMG auch ein steuerfinanzierter Bundeszuschuss beschlossen, der langfristig der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wie der bei­ tragsfreien Versicherung von Kindern dienen soll (Illing, 2017, S. 96; Insti­ tut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg, 2018). Steuerfinan­ zierte Bundeszuschüsse waren bis dato aus der Arbeitslosen- und Renten-, nicht jedoch aus der Krankenversicherung bekannt.16

16 Greß (2015, S. 17) verweist in diesem Zusammenhang auch auf das Haushalts­ begleitgesetz aus dem Jahr 2004, das er als Beginn einer „systematischen Strate­ gie“ zur Entlastung des Bundeshaushalts zu Lasten der Versichertengemeinschaft betrachtet. Diese Strategie würde mit dem Versorgungsstärkungsgesetz, dem Prä­

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Um Versicherten die Möglichkeit zu geben, ihre in Anspruch genom­ menen Leistungen und deren Kosten nachvollziehen können, wurde Pa­ tienten im Rahmen des GMG darüber hinaus das Recht zugestanden, eine Quittung über ihre in Anspruch genommenen Leistungen zu erhal­ ten. Mit der sogenannten Patientenquittung verbunden war seitens po­ litischer Akteure einerseits das Streben nach größerer Transparenz und andererseits die Stärkung des Kostenbewusstseins der Versicherten (Illing, 2017, S. 198).17 Zudem wurde im Rahmen des GMG grundsätzlich die An­ wendung „privatversicherungstypischer Instrumente“ (Bäcker et al., 2010, S. 226) wie Kostenerstattung, Selbstbehalte und Wahltarife (für freiwillig Versicherte) ermöglicht. Die Einführung der neuartigen Strukturen wurde mit dem im Jahr 2007 beschlossenen und noch in diesem Jahr in Kraft getretenen GKV-Wettbe­ werbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) fortgesetzt und ausgebaut. Durch die Einrichtung eines Gesundheitsfonds, der durch einkommensunabhängige Pauschalen finanziert wird, sowie die Möglichkeit der Kassen, allen Versi­ cherten Wahltarife anzubieten, die einen individuellen Leistungsumfang zu individuellen Beiträgen ermöglichen, sollte der Wettbewerb zwischen den Kassen gestärkt werden (Leiber & Manouguian, 2009, S. 176).18 Die im Rahmen des WSG beschlossene Neuregelung hinsichtlich der Finanzierung über den Gesundheitsfonds trat zum 1. Januar 2009 in Kraft. Der Gesundheitsfonds löste die individuellen Beitragssätze der Kassen ab. An ihre Stelle trat ein einheitlicher Beitragssatz. Dem Bund wurde die Verwaltung des Gesundheitsfonds und die Allokation der gesammelten finanziellen Mittel an die einzelnen Krankenkassen zuteil.19 Verbunden

ventionsgesetz sowie dem Krankenhausstrukturgesetz weiterverfolgt (Greß, 2015, S. 17). 17 Die Meinungen über den Nutzen der Patientenquittung gehen hierbei stark aus­ einander, ausführliche Diskussionen finden sich beispielsweise bei Beske (2003), Weber (2006) oder Freytag et al. (2007). 18 Die verschiedenen Formen der Wahltarife werden unter 3.4.3 ausführlich erläu­ tert. 19 Jede Krankenkasse erhält aus dem Gesundheitsfonds eine Grundpauschale pro Versichertem. Da sich die Versichertengemeinschaften der einzelnen Kassen hin­ sichtlich ihres Risikos zu erkranken jedoch unterscheiden, wird diese Pauschale entsprechend der Risikostruktur der Versichertengemeinschaft durch Zu- oder Abschläge aus dem Gesundheitsfonds angepasst (Baas & Werthen, 2017, S. 187). Ein sogenannter Risikostrukturausgleich (RSA) wurde bereits 1996 im Zuge der freien Kassenwahl eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Umverteilung zwischen den Kassen, durchgeführt vom Bundesversicherungsamt (BVA), jedoch lediglich anhand der Merkmale Alter, Geschlecht, und Bezug einer Rente wegen

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2.3 Andauernder Wandel

wurde die Einführung des Gesundheitsfonds mit dem Zwang für die Krankenkassen, Zusatzbeiträge zu erheben, falls die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichen. Dieser Zusatzbeitrag wurde zunächst von den Arbeitnehmern getragen (Buntenbach, 2012, S. 78), seit dem 1. Januar 2019 jedoch wieder paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeit­ gebern finanziert (Bundesministerium für Gesundheit, 2019). Der Zusatz­ beitrag sollte als Wettbewerbsparameter der verschiedenen Krankenkassen, die verschiedenen Flexibilisierungsmaßnahmen zur Adjustierung dienen (Deutscher Bundestag, 2012). Es galt die Erwartung: „Die Krankenkassen werden zur Vermeidung eines Zusatzbeitrages verstärkte Anstrengungen entwickeln, wirtschaftlich und effizient zu handeln. Über besondere Ver­ tragsformen und Wahltarife werden sie hierfür mit den erforderlichen Instrumenten ausgestattet“ (Deutscher Bundestag, 2006, S. 163). Die Wahl­ tarife räumen den Krankenkassen beispielsweise das Recht ein, Patienten, die sich freiwillig zur Übernahme von Behandlungskosten bereit erklären, niedrigere Beitragssätze anzubieten. Neben der erhofften Wettbewerbsstär­ kung ging auch dieser Vorstoß mit der Überzeugung einher, solche Tarif­ ausgestaltungen würden die Eigenverantwortung der Bürger stärken und ein gesundheitsförderndes Verhalten begünstigen (Gerlinger, 2014a, S. 47). Dem Umstand, dass von den politischen Akteuren durch das WSG die Stärkung des Wettbewerbs gefördert wurde, um das originär solidarisch geprägte Gesundheitswesen zu steuern, wurde insofern besonderes Interes­ se zuteil, als dass „die Wettbewerbslogik […] dem normativen Postulat einer solidarischen Absicherung grundlegender Lebensrisiken ganz offen­ sichtlich entgegen“ steht (Böckmann, 2009b, S. 11).20

Erwerbsminderung (Gerlinger & Burkhardt, 2014). Seit dem Jahr 2009 wird auch der unterschiedlich hohe Versorgungsbedarf von Versicherten mit einer kosten­ intensiven chronischen oder schwerwiegenden Krankheit in Form des „morbi­ ditätsorientierten RSA“ berücksichtigt. Darüber hinaus erhalten alle Kassen wei­ tere finanzielle Mittel, um ihre sonstigen Ausgaben wie Verwaltungsaufgaben, decken zu können (Bundesministerium für Gesundheit, 2018a). In den Fonds fließen die Beitragssätze der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein. Ergänzt werden diese durch einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss (Bäcker, 2021, S. 207). 20 Die Einführung der Wahltarife ist zudem vor dem Hintergrund interessant, als dass diese Möglichkeit den Kassen bereits im Jahr 1997, im Rahmen des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes eingeräumt, kurze Zeit später, im Jahr 1998 nach dem Regierungswechsel, jedoch wieder abgesprochen wurde. Begründet wurde dies damit, dass sich die Einführung PKV-charakteristischer Merkmalen nicht mit den Prinzipien der solidarischen GKV vereinbaren ließen (Schulze Ehring & Weber, 2007, S. 2).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Wohingegen Wahltarife somit auf der einen Seite als ein geeignetes Instrument zur effizienten Ressourcenverwendung der GKV-Einnahmen betrachtet wurden (Hemken et al., 2011; Schulze Ehring & Weber, 2007), wurden sie auf der anderen Seite demnach auch mit einer gewissen Ent­ solidarisierung gleichgesetzt (Braun & Graf von der Schulenburg, 2007; Butterwegge, 2018; Winkelhake & John, 2000), die die GKV als Solidar­ gemeinschaft in Frage stellt oder gar gefährdet (Holst, 2008a). Unter anderem wurde eine „Risikoselektion bei den Versicherten und ein[em] Aussterben der Normaltarife“ befürchtet (Winkelhake & John, 2000, S. 75). Hierfür seien insbesondere die Vermischung guter Risiken und der effizienten Inanspruchnahme verantwortlich. Insbesondere Personen, die ohnehin wenig Leistungen in Anspruch nehmen, würden demnach freiwillige Wahltarife nutzen. Die erwünschten Anreizstrukturen könnten somit nicht greifen, vielmehr würden sich reine Mitnahmeeffekte zeigen, die von den Versicherten, bei denen die Anreizwirkung tatsächlich eine Verhaltensänderung bedingen kann, mitfinanziert werden. Nach Einschät­ zung von Winkelhake & John (2000) wären diese Mitnahmeeffekte erheb­ lich. Um einen rechnerischen Vorteil für alle Versicherten zu erzielen, müssten der Berechnung demnach eher unrealistische Annahmen über das potenzielle Einsparvolumen zu Grunde gelegt werden. Diese Bewertung teilen auch Gerlinger et al. (2007). Sie führen an, dass Wahltarife, die finanzielle Anreize setzen, im Wesentlichen vier Wirkungsketten unterlie­ gen. Zunächst werden dem GKV-System ceteris paribus Beitragsmittel entzogen. Hieran könne auch die Aufkommensneutralität aufgrund der Tatsache, dass lediglich Versicherte mit guten Risiken an den Wahltarifen teilnehmen werden und sich somit die Mitnahmeeffekte ergeben, nichts ändern (1). Darüber hinaus führen sie an, dass das individuelle Gesund­ heitsverhalten nicht dem Bild des homo oeconomicus entspricht und keinem Handlungskalkül unterliegt. Die Annahme, dass zu erwartende, potenzielle zukünftige Kosteneinsparungen ein gesundheitsbewussteres Verhalten bedingen, halten sie für unrealistisch (2). Auch die gewünschte Reduktion überflüssiger Leistungen betrachten die Autoren kritisch und merken an, dass Versicherte, die sich für Selbstbehalte entscheiden, nicht nur auf überflüssige, sondern auch auf notwendige Leistungen verzich­ ten (3). Als letzten Punkt führen auch Gerlinger et al. die Förderung der Risikoselektion seitens der Krankenkassen an (4) (Gerlinger et al. 2007, S. 17).

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2.3 Andauernder Wandel

Neben der Einführung der Wahltarife wurde durch die Änderung der Zuzahlungsregelungen bei chronisch Kranken21 auch bei diesen die Stär­ kung eines gesundheitsfördernden Verhaltens intendiert. Während chro­ nisch Kranke bis zum Jahr 2007 ohne weitere Bedingungen vorbehaltslos lediglich bis zu einem Prozent ihres Haushaltseinkommens für Zuzahlun­ gen aufwenden mussten, ist diese Begrenzung seit dem Jahr 2007 an eine Bedingung geknüpft. Versicherte, die nach dem 01.04.1972 geboren wurden, müssen nachweisen, dass sie an gewissen Früherkennungsmaß­ nahmen teilgenommen haben, um von der niedrigeren Zuzahlung für chronisch Kranke profitieren zu können und werden somit stärker zur Verantwortung hinsichtlich ihrer Versorgungskosten gezogen (Gerlinger, 2014a, S. 47). Diese Reformen werden mitunter so interpretiert, dass das soziale Risi­ ko Krankheit verstärkt der Verantwortung des Einzelnen zugeschrieben und ein nicht angemessenes Verhalten finanziell sanktioniert würde (Ger­ linger, 2014a, S. 47). Dies könne als ein Zeichen für die „veränderten Reziprozitäterwartungen im Bereich des Zugangs zu Solidarleistungen“ gedeutet werden (Leiber & Manouguian, 2009, S. 192). Solch eine enge Verknüpfung zwischen Leistung und Verhalten der Versicherten war bis dato eher in den weiteren Säulen der Sozialversicherung, beispielsweise der Arbeitslosenversicherung, vorzufinden (Leiber & Manouguian, 2009, S. 192). Das politische Ziel der Kostendämpfung in der Krankenversicherung wird somit zum Teil durch Reformen und Maßnahmen angestrebt, die den Versicherten die Rolle eines aktiven und rationalen Wettbewerbsmo­ tors, der Effizienzgewinne herbeiführen kann, zuschreiben. Deutlich wird dies unter anderem durch die Einführung von Wahltarifen, Patientenquit­ tung, sowie die Kürzung des Leistungskatalogs, die einen zweiten Markt

21 Die Definition einer chronischen Erkrankung beruhte auf einem Beschluss des G-BA vom 22.01.2004. Eine schwerwiegende chronische Erkrankung lag dem­ nach vor, wenn sie über einen Zeitraum von einem Jahr mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde. Darüber hinaus musste mindestens eines der drei Kriterien erfüllt sein: 1) Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe 2 oder 3, 2) ein Grad der Behinderung nach Schwerbehindertenrecht / Versorgungsrecht oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nach Unfallversicherungsrecht von min­ destens 60 %, 3) Erfordernis einer kontinuierlichen medizinischen Versorgung (ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Erkrankung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erwarten ist (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2004).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

für sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), auf dem sich der Patient zurechtfinden muss, schafft (Maier-Rigaud, 2013, S. 58). Als IGeL werden Leistungen bezeichnet, die privat bezahlt werden müssen, da sie gemäß der Definition des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über das vom Gesetzgeber definierte Maß einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Patientenversorgung hinausgehen. Sie sind vom Leis­ tungskatalog der GKV ausgeschlossen, da keine ausreichenden Belege für ihren Nutzen vorliegen oder bisher keine Nutzenbewertung durch den G-BA durchgeführt wurde. Zu den Leistungen zählen unter anderem verschiedene Zusatzvorsorgeuntersuchungen (Bundesministerium für Ge­ sundheit, 2016a). Greß (2015, S. 16) weist in diesem Kontext darauf hin, dass sich durch die Reformen „eine systematische Strategie zur Entlastung des Bundes­ haushaltes zulasten der Versichertengemeinschaft in der gesetzlichen Kran­ kenversicherung erkennen“ ließe. Er führt an, dass die Beitragszahler der GKV einen nennenswerten Beitrag zur Haushaltskonsolidierung liefern und die Bundesregierung die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufga­ ben an die GKV-Versicherte übertrage (Greß, 2015, S. 16). Inwiefern die von vielen Wissenschaftlern dargelegte und oftmals kriti­ sierte Entsolidarisierung auch empirisch belegt werden kann, wird nach­ folgend anhand der Entwicklung verschiedener Kennzahlen des Gesund­ heitswesen analysiert. Abbildung 5 stellt die Entwicklung der Verteilung der gesamten Gesundheitsausgaben eines Jahres auf die verschiedenen Leistungsträger im Zeitraum von 2000 bis 2019 dar. Bei Betrachtung der Anteile der verschiedenen Leistungsträger an der Summe der Gesundheitsausgaben zeigt sich zunächst, dass die GKV seit dem Jahr 2000 kontinuierlich den größten Teil an den Ausgaben, rund 57 Prozent, trägt. Dieser Anteil ist seit dem Jahr 2000 um 0,8 Pro­ zentpunkte gesunken. Den zweitgrößten Anteil der Gesundheitsausgaben tragen die privaten Haushalte. Ihr Anteil ist seit dem Jahr 2000 um etwa 0,6 Prozentpunkte gestiegen. Dies zeigt, dass der Anteil, den die privaten Haushalte an den gesamten Gesundheitsausgaben tragen, zugenommen hat. Es kann auch festgestellt werden, dass der Anteil, den die privaten Haushalte tragen insbesondere vom Jahr 2003 auf das Jahr 2004, das Jahr der Praxiseinführung, zugenommen hat. Der Anteil stieg damals von 13,3 auf 14,5 Prozent und pendelte bis zum Jahr 2012 um diesen Bereich her­ um ein. Die Abschaffung der Praxisgebühr im Jahr 2012 schlägt sich im Jahr 2013 in einem Rückgang der Belastung der Haushalte nieder, und der von den privaten Haushalten getragene Anteil fällt von 14,8 Prozent auf 13,9 Prozent. Grundsätzlich kann mittels dieser Daten jedoch ledig­

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2.3 Andauernder Wandel

lich eine Zunahme der Belastung privater Haushalte insgesamt festgestellt werden. Eine Schlussfolgerung auf die finanzielle Belastung der GKV-Ver­ sicherten im Speziellen kann nicht gezogen werden. Abbildung 5: Anteile verschiedener Leistungsträger an den Gesundheitsausgaben von 2000 bis 2019

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2021).

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Primärdaten zur adäquaten Einschätzung der Entwicklung von Zuzahlun­ gen von GKV-Versicherten liegen jedoch kaum vor. Eine seit dem Jahr 2000 jährlich durchgeführte Studie ermöglicht eine Betrachtung der Zu­ zahlungen von GKV-Versicherten im Zeitverlauf (Continentale Kranken­ versicherung a.G, 2017). Anzumerken ist hierbei, dass generell nach allen Leistungen gefragt wurde, die die Befragten selbst bezahlt haben. Es er­ folgt keine Unterscheidung nach Zuzahlungen im Sinne von § 61 SGB V und Selbstzahlungen wie beispielsweise IGeL. In den Antworten können auch Zahlungen der Befragten enthalten sein, die zum Beispiel für Kinder entrichtet wurden. Die Zuzahlungen pro Leistungsart basieren auf den Nennungen derer, die die Leistung in Anspruch nahmen. Die Gesamtsum­ me für Zuzahlungen bezieht sich auf alle Befragte und entspricht einem Durchschnittswert. Die Umfrage aus dem Jahr 2017 unter 1.195 GKV-Ver­ sicherten zeigt auf, dass grundsätzlich 90 Prozent der Versicherten private Ausgaben in verschiedenen Leistungsbereichen hatten. Am häufigsten fal­ len diese Ausgaben in der Apotheke (75 %) und beim Zahnarzt (59 %) an. Die Summe der Selbst- und Zuzahlungen der GKV-Versicherten der Stichprobe pro Jahr und pro Person belief sich im Jahr 2017 auf 448 Euro. Im Jahr 2012 lag dieser Durchschnittswert bei 344 Euro. Somit kann ein Anstieg von 104 Euro beobachtet werden. Interessant ist in diesem Kontext auch, dass insgesamt 32 Prozent der GKV-Versicherten angeben, von der Inanspruchnahme von Leistungen aufgrund der Zuzahlung abgesehen zu haben. Die Gründe hierfür liegen zum einen darin, dass die Leistungen als nicht mehr so wichtig betrachtet wurden (48 %), in einer mangelnden Zahlungsfähigkeit (35 %) oder gar beidem (12 %). Unter den Geringverdie­ nern ist die mangelnde Zahlungsfähigkeit für mehr als die Hälfte der Befragten der ausschlaggebende Grund (56 %). Diese repräsentative Um­ frage liefert somit Hinweise für eine zunehmende finanzielle Belastung von GKV-Versicherten durch Selbst- und Zuzahlungen. Teilweise führen diese unter Umständen zu einer Unterlassung der Inanspruchnahme von Leistungen. Dies scheint insbesondere bei Geringverdienern eine Rolle zu spielen. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Stichprobe im Verhältnis zur gesamten GKV-Versichertengemeinschaft klein ist und die Erkenntnisse somit nur als eine Tendenz gewertet werden können. Ebenfalls ein Anstieg der Zuzahlungen der GKV-Versichertengemein­ schaft kann auf Basis der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion festgestellt werden (Deutscher Bundestag, 2019a, 2019b). Die Antwort legt offen, dass die Zuzahlungen der Versicherten im Zeit­ raum von 2016 bis 2018 um 8,8 % gestiegen sind. In Summe beliefen sich die Zuzahlungen im Jahr 2018 auf 4,21 Milliarden Euro und stiegen somit

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2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats

seit Jahr 2016 um 342 Millionen Euro an. Ein Umlegen dieser gesamten Zuzahlungen auf die Versichertengemeinschaft resultiert jedoch in einer deutlich geringeren durchschnittlichen Zuzahlung pro GKV-versicherter Person als der im Rahmen der Continentale Studie ermittelte Wert. Im Jahresdurchschnitt waren im Jahr 2018 etwa 72,8 Millionen Menschen in der GKV versichert. Eine Berechnung auf Basis der Antwort der Bundesre­ gierung führt zu einer durchschnittlichen Belastung von etwa 58 Euro pro versicherter Person im Jahr 2018. Werden die etwa 13 Millionen mitversi­ cherten Kinder nicht berücksichtigt, erhöht sich die durchschnittliche Zu­ zahlung zwar auf etwa 70 Euro pro versicherter Person, liegt jedoch noch weit entfernt von den 448 ermittelten Euro in der Continentale Studie. Die Ursache hierfür könne in der unklaren Abgrenzung, beziehungsweise den unterschiedlichen Definitionen, von Selbst- und Zuzahlungen der Analysen begründet sein. Auch wenn die von der Bundesregierung mitge­ teilten Zuzahlungen bei einer Betrachtung pro GKV-versicherter Person gering erscheint, zeigt sich im Vergleich mit der Entwicklung der GKVAusgaben insgesamt ein stärkerer Zuwachs. Diese sind im Zeitraum von 2016 (218,1 Milliarden) bis 2018 (234,4 Milliarden) mit 7,5 % in einem geringeren Maß angestiegen als die Zuzahlungen der GKV-versicherten Personen (Statista, 2020). Solche Entwicklungen der GKV werden oftmals als unvereinbar mit dem sozialstaatlichen Grundgedanken der GKV interpretiert. Um die Ver­ einbarkeit von Reformen mit dem Sozialstaat einschätzen zu können ist es jedoch notwendig, den sozialstaatlichen Kontext vollumfassend zu berück­ sichtigen. 2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats Die GKV verkörpert einen Teil der sozialstaatlichen Absicherung sozialer Risiken in Deutschland. Neben der Arbeitslosen-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung stellt sie eine der fünf Säulen der Sozialversicherung dar. Das System der Sozialversicherung gründet sich auf das im Grundge­ setz verankerte Prinzip des Sozialstaats und ist Ausdruck dieses Prinzips (Art. 20 Abs. 1 GG). Die Sozialversicherung „dient insgesamt der sozialen Sicherung und dem sozialen Ausgleich, namentlich dem Schutz der so­ zialen Existenz gegen die Wechselfälle des Lebens“ (BVerfGE 28, 324, 348). Der Sozialstaat sichert die Gesellschaftsmitglieder somit gegenüber Lebensrisiken wie Krankheit, Alter, oder Arbeitslosigkeit ab.

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

Das System der sozialen Absicherung ist darauf zurückzuführen, dass gewisse Risiken, beispielsweise der Verlust der Arbeitsfähigkeit, in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft eine unmittelbare Existenzbe­ drohung darstellen (Althammer & Lampert, 2014, S. 246). Von einer rein privaten Vorsorge gegen gewisse Risiken wird in dem Sozialstaat Deutsch­ land aufgrund verschiedener Gründe abgesehen. So würde eine private Vorsorge oder Absicherung gegen solche Risiken mit der Bestimmung der Versicherungsprämien gemäß des Äquivalenz­ prinzips – jeder Versicherte erhält für seine eingezahlten Beiträge ein Äquivalent in der Versicherung – einhergehen. Dies könnte dazu führen, dass diese Absicherung für viele Menschen nicht finanzierbar wäre oder Individuen sich eventuell aufgrund falscher Präferenzen nicht für eine Ab­ sicherung entscheiden (Althammer & Lampert, 2014, S. 246). Würde der Staat die Absicherung gegen das Risiko Krankheit dem individuellen Auf­ gabenbereich überlassen, könnte die Nachfrage hinter dem gesellschaftlich erwünschten Ausmaß zurückbleiben, denn der Staat betrachtet Gesund­ heit als ein für die gesellschaftliche Wohlfahrt notwendiges Gut (Bauer & Gregor, 2007, S. 222). Gesundheit wird demnach als ein meritorisches Gut betrachtet, die Allo­ kation über einen unregulierten Markt würde nicht zufriedenstellend im Sinne der optimalen Ressourcenallokation erfolgen, und somit ein Markt­ versagen bedingen (Breyer et al., 2013, S. 179–180). Die Absicherung gegen solche Risiken erfolgt in Deutschland daher in Form der „Bildung von Kollektiven im Rahmen eines Sozialvertrages, d.h. staatlicher Regelungen zur Abdeckung von Risiken“ (Althammer & Lampert, 2014, S. 246). Somit wird durch das Gesetz der großen Zahl der Eintritt bestimmter Risiken kalkulierbar und eine Allokation der erforderlichen Mittel ermöglicht (Neumann & Schaper, 2008, S. 155 f). Der Zwang zur Beteiligung an den Sozialversicherungen wirkt einer un­ erwünschten unterbliebenen Risikovorsorge entgegen (Steinmeyer, 2015, S. 18). Da Menschen sowohl die Art als auch die Intensität und den Zeit­ punkt einer Erkrankung nur bedingt beeinflussen können, soll ihnen die Absicherung des Sozialstaats die Möglichkeit bieten, Leistungen jederzeit, unabhängig ihrer finanziellen Befähigung, in Anspruch nehmen zu kön­ nen. Dies soll durch die Ausgestaltung der GKV als Pflichtversicherung gewährleistet werden (Heintze, 2007, S. 11). Seit der Einführung der ersten Sozialversicherung Ende des 19. Jahrhun­ derts haben sich die sozialen Risiken der Gesellschaft, und somit auch die Anforderungen an die Absicherung gegen diese, jedoch gewandelt. Die Veränderung von Produktions- und Beschäftigungs- sowie der Lebensfor­

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2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats

men und Haushaltszusammensetzungen sowie der demografische Wandel erfordern eine stetige Anpassung des Sozialstaats an die sich verändernden Rahmenbedingungen (Hanesch, 2012, S. 21). Die Ausgestaltung des Sozi­ alstaats unterliegt somit seit der Einführung der Sozialversicherung einer gewissen Dynamik und die GKV wird seit 135 Jahren insbesondere von Selbstverwaltung, Wettbewerb und Solidarität geprägt (Busse & Blümel et al., 2017). Einige Wissenschaftler argumentieren jedoch, dass der Sozialstaat im klassischen Sinne bereits seit den 1970er Jahren nicht nur umgewandelt, sondern demontiert werde. Diesem Um- oder Abbau des Sozialstaats wird von mancher Seite gar jeglicher „Nutzen für die wirtschaftliche oder ge­ sellschaftliche Entwicklung des Landes“ abgesprochen (Butterwegge, 2018, S. 9). Seit den 1970er Jahren sei, so Hensen & Hensen (2008, S. 15), ein Diskurs zu beobachten, „der sich mit dem ökonomischen Wert von Sozialund Gesundheitsleistungen beschäftigt“. Der Diskurs wäre hierbei fiska­ lisch geprägt, bestehende Mechanismen der Umverteilung würden kritisch auf Schaden und Nutzen für die Volkswirtschaft geprüft und zunehmend würde auch die „Leistungsstruktur, bei welcher ‚ungerechtfertigte‘ Leis­ tungen oder falsch terminierte Leistungen betont werden, einschließlich einer Missbrauchsdiskussion über fälschlich in Anspruch genommene Leistungen“ im Fokus stehen (Blanke et al., 2000, S. 8). Insbesondere in den letzten 20 Jahren wird in diesem Kontext vor allem die Kürzung von Sozialleistungen kontrovers diskutiert (Schmid, 2017, S. 391). Im Be­ reich der Krankenversicherung wird den politischen Entscheidungsträgern überdies vorgehalten, die Intention ihrer reformpolitischen Bemühungen wäre primär eine monetäre Umsteuerung mit dem übergeordneten Ziel, Gesundheitsrisiken zu privatisieren (Hensen & Hensen, 2008, S. 13). Stel­ lenweise wird hierbei darauf verwiesen, dass die „Reformen der sozialen Sicherungssysteme […] in den letzten Jahren insbesondere mit ökonomi­ schen Ansätzen derart unterfüttert [wurden], dass eine einfache Anreiz­ kompatibilität und Quasimärkte in den Vordergrund der Betrachtung rückten“ (Sesselmeier, 2012, S. 104). Kühn merkt in diesem Kontext bereits im Jahr 1998 (S. 133) an: „Die Kassen verwandeln sich in Unternehmen mit den ökonomisch definierten Zielen: (relativ) niedriger Beitragssatz, fi­ nanzieller Spielraum für die Gewährung freiwilliger Leistungen, möglichst große Mitgliederschaft bei möglichst guter Risikostruktur. Eine wettbe­ werbsbedingte Entsolidarisierung findet in subtiler Form statt“. In diesem Zusammenhang muss jedoch beachtet werden, dass im Grundgesetz keine explizite Definition der Ausgestaltung des Sozialstaats erfolgt. So weist Rudzio (2018, S. 38) darauf hin:

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

„Was tatsächlich aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleiten ist, scheint da­ her begrenzt: die Unzulässigkeit einer Gesetzgebung, welche den Ein­ zelnen ohne ein Minimum an sozialer Sicherung seinem individuellen Schicksal überließe, darüber hinaus die allgemeine Forderung an den Gesetzgeber, sozialen Ausgleich zu fördern. Dies bedeutet, dass kein grundgesetzlicher Auftrag besteht, den Sozialstaat weiter auszubauen oder überhaupt erst noch zu verwirklichen. Vielmehr war und ist ihm mit dem bisherigen Stand sozialer Gesetzgebung in der Bundesrepu­ blik entsprochen worden. Ein Weniger wäre ebenso wie ein Mehr mit ihm vereinbar“. Der Parlamentarische Rat hat beim Sozialstaatsprinzip – anders als beim Rechtsstaatsprinzip – bewusst darauf verzichtet ein explizites Modell vor­ zugeben. Denn während die Prinzipien des Rechtsstaates zeitlos gültig sind, hängt soziale Gerechtigkeit als eine der zentralen Zielsetzungen des Sozialstaates von den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklun­ gen sowie den gesellschaftlichen Normen ab (Pötzsch, 2009). Die Grund­ ausrichtung sowie die angestrebten Ziele von Sozialpolitik müssen folg­ lich kontinuierlich an den sich verändernden normativen Kriterien wie Gerechtigkeit, sozialer Gleichheit oder Solidarität ausgerichtet und neu definiert werden (Börner et al., 2017, S. 333). Somit wird Sozialpolitik „notwendig umstritten und wandelbar bleiben, erstens aus normativen und zweitens aus praktischen Gründen, weil die Gruppen, an die sich praktische Sozialpolitik tatsächlich richtet, und weil die Ziele, Instrumente und Träger der Sozialpolitik sich durch den sozialen Wandel ändern“ (Boeckh et al., 2017, S. 5). Wie bereits dargelegt gilt die GKV als eine Sozialversicherung mit starker Solidarkomponente, deren primäres Ziel die Aufrechterhaltung, Wiederherstellung und Verbesserung der Gesundheit darstellt. Die Ausge­ staltung wurde jedoch bewusst vage gehalten, so dass die GKV an die sich verändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedin­ gungen angepasst werden kann. In den letzten Jahrzehnten wurde auf diesen Anpassungsbedarf mit einer Vielzahl an Reformen reagiert. Zusam­ mengefasst wurde ein Teil der Ausgaben dadurch vom Staat weg hin zu den privaten Haushalten verlagert, der Anstieg der Ausgaben konnte jedoch nicht aufgehalten werden. Die Entwicklung wird teilweise damit zusammengefasst, dass sich „seit Mitte der 1970er Jahre und insbesondere durch die Gesundheitsreformen seit der Jahrhundertwende […] die Tendenzen zur Aushöhlung des So­ lidarprinzips deutlich verstärkt“ haben (Gerlinger, 2014b). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Richtung bei der Entwicklung

54

2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats

der GKV zukünftig verfolgt werden wird. In Anbetracht der Entwicklung der letzten Jahrzehnte scheint eine weitere „programmatische und realpo­ litische Rücknahme staatlicher und eine Aufwertung individueller Verant­ wortung für die gesellschaftliche Wohlfahrt“ nicht unwahrscheinlich (Ger­ linger, 2014, S. 61). Steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen der GKV führen da­ zu, dass ökonomische Betrachtungsweisen stärker in den Mittelpunkt rücken. Obgleich auf die Herausforderung steigender Ausgaben und sin­ kender Einnahmen grundsätzlich mittels höherer Beitragssätze, Leistungs­ einschränkungen oder der Ausweitung von Steuermitteln reagiert werden kann (Beske, 2016, S. 15), betrachten beispielsweise die Gesundheitsökono­ men Fleßa & Greiner (2013, S. 85) Leistungskürzungen als unvermeidlich und merken an, dass „es nie ausreichend Ressourcen“ geben und die GKV somit „auch in Zukunft rationieren müssen“ wird. Dieser rationale Effizienzgedanke scheint jedoch nur schwer mit dem der Solidarität und Gerechtigkeit vereinbar. Nicht zuletzt aufgrund des­ sen werden die Reformen der letzten Jahrzehnte vor dem Hintergrund der Zielerreichung dieser normativen Merkmale und der theoretisch mög­ lichen sowie tatsächlich erzielten Effizienz der Reformen, diskutiert. Oft­ mals wird (gesundheits)ökonomischen Ansätzen, die eine stärkere Eigen­ verantwortung fordern, im Zuge der Debatte vorgehalten, sie ließen ethi­ sche Gesichtspunkte gänzlich unberücksichtigt. Hierbei gilt jedoch zu beachten, dass der ineffiziente Einsatz der nun einmal begrenzten finan­ ziellen Ressourcen dazu führt, dass die verfügbaren Ressourcen für andere, konkurrierende wichtige Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen (Bä­ cker et al., 2010, S. 115–117). Die Gesundheitsökonomie kann demnach auch als Instrument betrachtet werden, das zu einer effizienten, vielleicht gar „gerechten“ Ressourcenallokation beitragen kann. Somit kann Ansät­ zen, die auf eine Stärkung der Eigenverantwortung – im Sinne von Leis­ tungskürzungen der GKV und somit einer höheren Selbstbeteiligung – abzielen nicht per se die ethische Komponente abgesprochen werden. Diese ideellen Komponenten werden in Debatten über die Stärkung der Eigenverantwortung jedoch oftmals vernachlässigt, und es wird lediglich auf die Möglichkeit „sozial abgefederter“ Selbstbeteiligungen verwiesen. Doch auch wenn die Finanzierung der GKV aufgrund der sich verän­ dernden Rahmenbedingungen angepasst werden muss, sollten Reformvor­ schläge immer auch mit den ideellen Zielsetzungen von Sozialpolitik verbunden bleiben. Im Kontext höherer Selbstbeteiligungen sind hier ins­ besondere schichtspezifische Unterschiede bei Krankheitsbelastungen und ungleiche Zugangschancen in der Gesundheitsversorgung zu nennen, die

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2 Die Gesetzliche Krankenversicherung

trotz Sachleistungsprinzip und Versicherungspflicht bestehen (Dietz et al., 2015, S. 129). Diese Unterschiede in den Zugangschancen sollten, wenn nicht aus einer ideellen Motivation, dann aus einer gesamtsozialstaatlichen Perspektive heraus, berücksichtigt werden, denn das Gesundheitswesen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist ein „Teil sozialstaatlicher Tätigkeit“ (Hensen & Hensen, 2008, S. 3). Führen (zu) hohe Zuzahlungen zu einer Unterlassung notwendiger Inanspruchnahme, könnte sich das in einem grundsätzlichen schlechteren Gesundheitszustand und in der langfristigen Betrachtung im Zweifel lediglich in einer Verlagerung der Kosten auf andere Sozialversicherungen, wie beispielsweise der Rentenver­ sicherung, auswirken. Es kann somit festgehalten werden, dass sich die Ausgestaltung der GKV zwischen normativen Gerechtigkeitsvorstellungen einerseits und der begrenzten finanziellen Ressourcen andererseits bewegt. Es scheint, als hätten Beitragssatzstabilität und Kostendämpfung vorerst jedoch oberste Priorität (Busse & Riesberg, 2005, S. 219) und das Ziel, das soziale Lebens­ risiko Krankheit abzusichern konkurriere mit der Anpassung an die „wahr­ genommenen Erfordernissen einer globalisierten Ökonomie“ (Gerlinger, 2014a, S. 35). Grundsätzlich muss sich die Debatte jedoch nicht widerstandslos dem Ziel der Beitragssatzstabilität unterordnen. Denn "welcher Anteil der per­ sönlichen und gesellschaftlichen Reichtümer sozialpolitischer Umvertei­ lung unterworfen wird und wer von diesem Anteil besonders profitieren soll“, basiert immer auf einer Entscheidung, die von Politik und Gesell­ schaft gemeinsam getroffen werden muss (Dobner, 2007, S. 10). Eine ver­ antwortungsvolle Politik sollte es als Aufgabe sehen, eine geeignete Balan­ ce zu finden (Dobner, 2007, S. 10). Aber, so Butterwegge (2018, S. 10): „Wie es die Parteien mit der sozialen Gerechtigkeit halten und welche Reformen sie umzusetzen gedenken, um im Rahmen der künftigen Wohl­ fahrtsstaatsentwicklung mehr davon zu realisieren, bleibt die politische Gretchenfrage“. Prinzipiell ist es im Sinne evidenzbasierter Politik jedoch vor allem von Bedeutung, dass Maßnahmen, die an dem sensiblen Verhältnis zwi­ schen Solidarität und Eigenverantwortung ansetzen, auf einem theoreti­ schen Fundament aufbauen, das empirisch gesichert ist. Forderungen nach Selbstbeteiligungen beziehen sich auf die Theorie des nutzenmaxi­ mierenden homo oeconomicus, der durch eine Vollversicherung gegen die Absicherung des Krankheitsrisikos, wie sie die GKV darstellt, zu einer Überinanspruchnahme medizinischer Leistungen verleitet wird (Breyer et al., 2013, S. 248). Die neoklassische Güternachfrage wird somit auf die

56

2.4 Selbstbeteiligungen in der GKV im Kontext des Sozialstaats

Krankenversicherung übertragen und dient zur Erklärung und Analyse der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen sowie der Ableitung geeigne­ ter Instrumente zur Verhaltenssteuerung. Dieses theoretische Fundament wird nachfolgend dargestellt und dessen empirische Evidenz auf Basis der für Deutschland vorliegenden Studien zu Selbstbeteiligungen analysiert.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

„Ausgangspunkt der Analyse der Gesundheitsökonomie ist die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen“ (Fleßa & Greiner, 2013, S. 33). Diese Nachfrage wird zumeist mittels der neoklassischen Konsumtheorie beschrie­ ben (vgl. bspw. Breyer et al., 2013; Fleßa & Greiner, 2013; Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012; Schulenburg & Greiner, 2012), die auf dem Analysekonstrukt des rationalen und nutzenmaximierenden homo oecono­ micus beruht. Der Versicherte wird somit als rationaler Konsument betrach­ tet, der bestrebt ist, seinen Nutzen durch einen größtmöglichen Konsum an Gesundheitsleistungen zu maximieren. Originär wird das individuelle Handeln in der Neoklassik durch die Knappheit der Güter, die sich im Güterpreis ausdrückt, beschränkt. Die Absicherung gegen das Risiko Krankheit mittels der GKV setzt diesen Preismechanismus für den „Konsumenten“ jedoch außer Kraft. Dies führt der Theorie nach zu einer Überinanspruchnahme von Gesundheitsleistun­ gen. Gleichwohl sind auch die für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen begrenzt. Das ökonomische Prinzip verlangt allerdings „allgemein, dass ein gegebenes Maß an Bedürfnisbefrie­ digung mit möglichst geringem Aufwand an knappen Ressourcen erreicht wird“ (Breyer et al., 2013, S. 3). Die Gesundheitsökonomie sieht aufgrund dessen einen Teil ihrer Aufgabe in der Entwicklung von Systemen und Preisen, die zum einen positive Anreize für eine effiziente Ressourcenalloka­ tion geben und zum anderen die Knappheitsrelationen – die durch die Krankenversicherung außer Kraft gesetzt sind – entsprechend abbilden (Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012, S. 15). Selbstbeteiligungen werden als solch ein Instrument, das positive Anreize setzen und die die Knappheitsrelationen abbilden kann, betrachtet. Nachfolgend werden das der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zugrunde liegende Modell des homo oeconomicus (3.1), das daraus resultie­ rende Verhaltensparadigma des moral hazards in der GKV (3.2) und die

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3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus

daraus folgende Legitimation von Selbstbeteiligungen dargestellt (3.3).22,23 Anschließend wird die für Deutschland vorliegende Evidenz zu Selbstbetei­ ligungen anhand von Analysen zum Versicherungsstatus im Allgemeinen, Untersuchungen der von 2004 bis 2012 erhobenen Praxisgebühr, und der im Jahr 2007 eingeführten Wahltarife dargelegt (3.4). Abschließend werden die theoretischen Annahmen mit der empirischen Evidenz abgeglichen (3.5). 3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird in den konventionellen gesundheitsökonomischen Lehrbüchern24 und oftmals auch in gesundheits­ politischen Debatten mittels der klassischen Nachfragetheorie erklärt. Diese fokussiert sich auf das Individuum und betrachtet gemäß des methodologi­ schen Individualismus alle Handlungen mit ökonomischer Relevanz, die sich innerhalb einer Gesellschaft ereignen, als Ergebnisse individueller Entscheidungen und Handlungen (Piekenbrock & Hennig, 2013, S. 23). Die Handlung eines Individuums wird in diesem Zusammenhang mittels des Verhaltensmodells des homo oeconomicus erklärt. Dieser homo oeconomi­ cus kennzeichnet sich durch rationales Verhalten und vollständige Infor­ miertheit, was dazu führt, dass er bei Vorliegen einer Knappheitssituation die „beste Entscheidung“ treffen kann. Beeinflusst wird die Bewertung des „besten Ergebnisses“ maßgeblich von zwei Faktoren: – den Präferenzen, die die Wertschätzung der Individuen für verschie­ dene Alternativen ausdrückt. Die Wertung ist hierbei eindeutig, die

22 Ein weiteres etabliertes Modell der Gesundheitsnachfrage stellt die Gesundheits­ produktionsfunktion nach Grossmann dar, in dem Gesundheit ein Investitions­ gut darstellt. Hierbei stellt Gesundheit einen direkten Input für das individuelle Einkommen dar. Zudem wird dem „Gut Gesundheit“ auch die Funktion eines „Konsumguts“ zugeschrieben, das den Nutzen eines Individuums direkt beein­ flusst (Grossman, 2017). Dieses Modell wird in dieser Arbeit nicht betrachtet. 23 An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass in der Versorgungsforschung zwischen Nachfrage und Inanspruchnahme unterschieden wird. Die Nachfrage stellt dabei zunächst den Wunsch nach einer Versorgungsleistung dar und bildet den Entscheidungsprozess ab, der vor einer Inanspruchnahme stattfindet (Schrappe et al., 2017, S. 33). In der nachfolgenden Darlegung der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ist diese jedoch mit der Inanspruchnahme gleichzu­ setzten. 24 In dieser Arbeit werden unter den konventionellen Lehrbüchern beispielsweise Fleßa & Greiner (2013), Breyer et al. (2013) oder Schöffski & Graf von der Schu­ lenburg (2012) verstanden.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Präferenzen können in eine präzise Präferenzstruktur gebracht werden, und – dem Handlungsraum, der sich auch den zur Verfügung stehenden Al­ ternativen und durch verschiedene Restriktionen (wie beispielsweise dem Einkommen) ergibt (Marschall, 2015, S. 117). Diese beiden Faktoren werden mittels einer Entscheidungsregel bewertet, um ein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich der „besten Variante“ zu erhal­ ten. Die Wertschätzung der Alternativen erfolgt in Form des Nutzens der jeweiligen Alternativen. Eine höhere Bewertung oder Wertschätzung geht gemäß dieser Regel mit einem höheren Nutzen einher. Als Nutzen wird in der Ökonomie ein Maß verstanden, das die mit einem Güterbündel verbundene Zufriedenheit misst (Theiler, 2011, S. 38). Dies kann mathe­ matisch durch eine Nutzenfunktion U(x),

(1)

die jeder Alternative x einen Nutzwert zuordnet, dargestellt werden. In der neoklassischen Theorie handelt das Individuum aus Eigeninteresse und strebt nach der Maximierung seines Nutzens durch den Kauf von Gütern (Marschall, 2015, S. 117). Die Summe der Nutzenniveaus aller Individuen einer Gesellschaft stellt darauf aufbauend den Nutzen der Allgemeinheit dar (Rice et al., 2004, S. 29; Scheufen, 2018, S. 178). In Entscheidungssituationen wird das Individuum gemäß dieser Theorie stets die Alternative wählen, die nach seinem Wissensstand seinen Nutzen bei gegebenen Kosten maximiert, oder dazu führt, dass er sein Ziel zu minimalen Kosten erreicht. Sein Handeln ist von Risikoaversion geprägt, was bedeutet, dass er bei der Wahl zwischen Alternativen mit gleichem Nutzenerwartungswert die Variante mit dem geringeren Risiko hinsichtlich des Ergebnisses wählt. Der Nutzen einer weiteren, nicht gewählten Hand­ lungsalternative repräsentiert die Kosten einer Handlungsalternative (Op­ portunitäts- oder Alternativkostenkonzept) (Schöffski & Graf von der Schu­ lenburg, 2012, S. 15). Abbildung 6 stellt den Idealtypus eines Menschen der Neoklassik hin­ sichtlich verschiedener Dimensionen dar. Der homo oeconomicus agiert demnach losgelöst von seinem sozialen Status und sozialen Rahmenbedin­ gungen und wird als isoliertes Individuum betrachtet (Piekenbrock & Hennig, 2013, S. 23). Aufgrund dessen berücksichtigt er bei Entscheidungen auch keine weiteren Individuen, seine Nutzenfunktion, als Grundlage seiner Entscheidungen, wird nicht von weiteren Individuen beeinflusst. Der homo oeconomicus kennzeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass er unbe­

60

3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus

grenzt Informationen sammeln und verarbeiten kann. Aufgrund dessen trifft er Entscheidungen nicht unter Unsicherheit, sondern stets unter kalkulier­ barem Risiko. Hinzu kommt die Eigenschaft der perfekten Selbstkontrolle, seine rationalen Erwartungen und die Tatsache, dass der homo oeconomicus bei seiner Entscheidungsfindung nicht von Normen und Werten, wie bei­ spielsweise Fairness, beeinflusst wird (Schettkat, 2018, S. 20). Abbildung 6: Der Idealtypus des homo oeconomicus in der Neoklassik Neoklassik Sozialer Status

irrelevant, sozial isolierte Individuen

Nutzenfunktionen

unabhängig

Selbstkontrolle

perfekt

Informationssammlungs- und verarbeitungskapazität

hoch

Erwartungen

rational

Fairness

irrelevant

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schettkat (2018, S. 20).

Dieser rational agierende homo oeconomicus stellt in den Wirtschaftswis­ senschaften eine Grundlage der Beschreibung, Analyse und Prognose menschlichen Verhaltens dar. In der Gesundheitsökonomie wird dieses Konzept des individuellen Nutzenmaximierers auf das Gesundheitswesen übertragen. Für die Gesundheit und die Inanspruchnahme von Gesund­ heitsdienstleistungen ist bei dieser Übertragung primär das individuelle Verhalten verantwortlich, der Einfluss sozialer oder genetischer Prädisposi­ tionen bleibt in diesem Zusammenhang unberücksichtigt (Reiners, 2019a, S. 90). Neben dem Verhaltensmodell des homo oeconomicus werden auch die darauf aufbauenden Theorien zu Angebot und Nachfrage der Neoklassik bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen als Analysekonstrukt heran­ gezogen und Gesundheitsdienstleistungen zunächst wie weitere Konsum­ güter betrachtet. Für die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen bedeuten die Annahmen des homo oeconomicus explizit, dass Versicherte als Verbraucher verstanden werden, die die „richtige“ Entscheidung hinsichtlich notwendiger Gesund­ heitsleistungen treffen können, da sie über hinreichende Informationen über den Gesundheitszustand und (etwaige) notwendige Behandlungsalter­

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

nativen verfügen. Aufgrund der Rationalitätsannahme des homo oeconomi­ cus ist sich der Versicherte über die Konsequenzen seiner Entscheidungen vollständig bewusst und handelt dementsprechend rational. Seine Handlun­ gen, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, sind demnach rational. Diese Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen stellt den Ausgangs­ punkt der Gesundheitsökonomie dar. Die Nachfrage leitet sich aus den Bedürfnissen, aus „Mangelerlebnisse[n] mit Antriebscharakter“, der Indivi­ duen ab (Fleßa & Greiner, 2013, S. 33). Grundsätzlich haben Nachfrager demnach Bedürfnisse, die sie durch den Konsum von Gütern stillen. Damit aus einem Bedürfnis eine Nachfrage resultieren kann, müssen bestimmte Hürden (ausreichende Kaufkraft, befriedigende Qualität des Produkts, Er­ reichbarkeit des Gutes) überwunden werden (Marschall, 2015, S. 117). Der mögliche Konsum wird demnach durch das den Individuen zur Verfügung stehende Einkommen begrenzt. Je höher das Einkommen ist, desto mehr Güter können grundsätzlich von diesem Einkommen erworben werden (Fleßa & Greiner, 2013, S. 60). Diese Zusammenhänge können als Zahlungsbereitschaft interpretiert und mittels einer Nachfragefunktion dargestellt werden. Diese Nachfrage trifft auf einem Markt auf ein Güterangebot. Die Neoklassik folgt hinsicht­ lich des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage der Annahme, dass diese durch den Preismechanismus in einen Gleichgewichtszustand gelan­ gen, so dass die Märkte geräumt sind (Marschall, 2015, S. 118). Dieses Gleichgewicht führt zu einem effizienten Ergebnis auf dem Markt, was im Rahmen der technischen Effizienz bedeutet, dass die Verschwendung von Ressourcen vermieden wird und im Sinne der allokativen Effizienz meint, dass die Art und Menge der hergestellten Güter der Menge mit der höchsten Wertschätzung entsprechen (Marschall, 2015, S. 118). Entsprechend der Kosteneffektivität erfolgt dies zudem zu den geringstmöglichen Preisen. Diese Nachfragefunktion und die Reaktion der Nachfrage auf Preisände­ rungen, die sogenannte Preiselastizität, stellen den argumentativen Aus­ gangspunkt der Forderung nach Selbstbeteiligungen in Krankenversiche­ rungen im Allgemeinen und in der GKV im Speziellen dar. Aufgrund dessen wird nachfolgend die aus der Mikroökonomie stammende und in der Gesundheitsökonomie für Gesundheitsdienstleistungen angewandte Nach­ fragefunktion näher erläutert. Fleßa & Greiner (2013) folgen bei der Darlegung der „Grundlagen der Gesundheitsökonomie“ der Modellwelt der mikroökonomischen Haus­ haltslehre. Demnach kann ein Haushalt in einer Modellwelt mit zwei Gütern sein Einkommen (E) für zwei Güter, Gut 1 und Gut 2, verwenden. Die

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3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus

nachgefragte Menge (q) ergibt sich dabei aus dem Preis (p) der Güter. Somit ergibt sich folgende Einkommensfunktion E = p1 *q1 + p2 * q2 mit

(2)

p= Preis q= Menge.

Die sogenannte Budgetgerade, dargestellt in Abbildung 7, repräsentiert den geometrischen Ort der Kombination zweier Güter, die mit gleichen Ein­ kommen (und bei gegebenen Preisen) realisiert werden können (E = p1 q1 + p2 q2) (Theiler, 2011, S. 46). Erhöht sich das verfügbare Einkommen (E‘), erfolgt eine parallele Verschiebung der Budgetgeraden (E‘ = p1 q1 + p2 q2). Erhöht sich der Preis eines Gutes, dreht sich die Gerade. In Abbildung 7 erhöht sich der Preis p1 von Gut 1 auf p1‘, und die nachgefragte Menge q1 von Gut 1 verringert sich. Bei unverändertem Preis von Gut 2 bleibt die nachge­ fragte Menge q2 gleich. Somit verändert sich die Steigung der Budgetgeraden (E = p1‘ q1 + p2 q2). Abbildung 7: Budgetgerade

Quelle: Eigene Darstellung nach Fleßa & Greiner (2013, S. 62).

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Für welche der möglichen Kombinationen zweier Güter sich ein Individu­ um entscheidet, hängt von dem Nutzen ab, den ein Individuum den jeweili­ gen Gütern zuordnet. Die mittels des Konsums eines Gutes erzielte Bedürf­ nisbefriedigung nimmt mit jeder konsumierten Einheit des Gutes ab. Bei dem Konsum mehrerer Einheiten eines Gutes nimmt der Nutzen jeder zusätzlich verbrauchten Einheit demnach kontinuierlich ab. Dieser abneh­ mende Nutzen wird als Grenznutzen bezeichnet und stellt somit den Nutzen der zuletzt konsumierten Einheit eines Gutes dar (Theiler, 2011, S. 40). Darüber hinaus variiert die Definition des Nutzens verschiedener Güter individuell und hängt von verschiedenen Faktoren, beispielsweise den Präferenzen der Individuen, ab. Diese Präferenzen können sowohl den Kauf bestimmter Güter als auch die Bevorzugung gewisser Güter erklären (Thei­ ler, 2011, S. 44). Die Darstellung dieser Verbraucherpräferenzen wird über Indifferenzkurven, auch Isonutzenkurven genannt, dargestellt. Bezogen auf die Modellwelt mit zwei verschiedenen Gütern, stellt eine Isonutzenkurve den geometrischen Ort aller Kombinationen von Gut 1 und Gut 2 dar, die den gleichen Nutzen liefern (Fleßa & Greiner, 2013, S. 62; Theiler, 2011, S. 45). Abbildung 8: Indifferenzkurve

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Theiler (2011, S. 45).

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3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus

Abbildung 8 stellt zwei solcher Indifferenzkurven oder Isonutzenkurven (UI, UII) dar. Die ersichtliche negative Steigung der Indifferenzkurve stellt die Grenzrate der Substitution dar. Diese Grenzrate der Substitution gibt Aus­ kunft darüber, wie viel weniger oder mehr Einheiten eines Guts bei einem zusätzlichen oder geringeren Konsum des jeweils anderen Guts konsumiert werden müssen, um ein konstantes Nutzenniveau beizubehalten. Je weiter eine Indifferenzkurve vom Ursprung entfernt ist, desto größer ist ihr Nutzen (Theiler, 2011, S. 45). Die Indifferenzkurve UII weist somit einen größeren Nutzen als die Indifferenzkurve UI auf. Durch die Kombination der Indifferenzkurve mit der in Abbildung 7 dargelegten Budgetgeraden kann das für einen Nachfrager optimale Nut­ zenniveau ermittelt werden. Abbildung 9 zeigt die Budgetgerade sowie die Indifferenzkurven und das Konsumoptimum eines Individuums. Der Schnittpunkt der Budgetgeraden mit der Nutzenfunktion UII mit q1* und q2*stellt den bestmöglichen Nutzen dar, den ein Individuum mit dem ihm zur Verfügung stehenden Einkommen erzielen kann (Fleßa & Greiner, 2013, S. 64). Abbildung 9: Indifferenzkurve und Budgetgerade

Quelle: Eigene Darstellung nach Fleßa & Greiner (2013, S. 64).

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Erhöht sich der Preis eines Guts, beispielsweise von p1 zu p1‘, verringert sich bei gleichbleibendem Einkommen des Haushalts der realisierbare Konsum dieses Guts. Es findet wie in Abbildung 10 dargestellt eine Ver­ lagerung der Budgetgerade von E/p1* zu E/p1‘ statt. Das alte Optimum, bestehend aus der Kombination q1* und q2*, stellt nicht länger das Opti­ mum dar und ein neues Optimum, mit q1‘ und q2‘, wird angestrebt (Fleßa & Greiner, 2013, S. 65). Abbildung 10: Konsumoptimum und Preis

Quelle: Eigene Darstellung nach Fleßa & Greiner (2013, S. 65).

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3.1 Der Versicherte als homo oeconomicus

Dieser Zusammenhang zwischen Nachfrage und Preis eines Guts wird mittels der Nachfragefunktion (Abbildung 11) dargestellt (Fleßa & Grei­ ner, 2013, S. 66). Abbildung 11: Nachfragefunktion

Quelle: Eigene Darstellung nach Fleßa & Greiner (2013, S. 66).

Die Nachfragefunktion kennzeichnet sich durch einen negativen Zusam­ menhang zwischen Preis und Nachfrage. Das Ausmaß der Reaktion auf eine Preisänderung kann mittels der Steigung der Nachfragefunktion be­ stimmt werden. Diese sogenannte Elastizität der Nachfrage stellt das Ver­ hältnis der relativen Änderung der Nachfrage zur relativen Änderung des Preises dar (Fleßa & Greiner, 2013, S. 66): 𝐸=

𝑑𝑞/𝑞 𝑑𝑝/𝑝

(3)

wobei E = Elastizität, dq = marginale Veränderung der Menge dp = marginale Veränderung des Preises.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Die meisten Güter sind preiselastisch und reagieren unterschiedlich stark auf Preisveränderungen. Die Nachfrage nach gewissen Gütern, beispiels­ weise lebensnotwendigen Produkten, wird hingegen jedoch nicht vom Preis des Guts beeinflusst. Aufgrund dessen zeigt sich in Ländern ohne Krankenversicherung lediglich eine geringe Preiselastizität von Gesund­ heitsleistungen. Die Nachfrage nach einem Medikament wird sich nur kurzfristig reduzieren, langfristig werden Individuen jedoch, vorausgesetzt sie haben Budget zur Verfügung, dieses Budget umschichten und auf ein anderes Gut verzichten, da ein Medikament nicht substituierbar ist (Fleßa & Greiner, 2013, S. 67). Somit führt die Preisänderung eines Guts zu einer Änderung der Nachfrage nach einem anderen Produkt. Dieses Ver­ hältnis kann im Rahmen der sogenannten Kreuzpreiselastizität dargestellt werden. Grundsätzlich wird die Nachfrage als elastisch bezeichnet, wenn E > 1 ist, als unelastisch, wenn E < 1. Eine Elastizität von 1, E = 1 wird als „Einheitselastizität“ bezeichnet. Die Nachfrageelastizität ermöglicht es den Anbietern von Gütern, die Auswirkungen von Preisänderungen auf die Nachfrage abzuschätzen (Theiler, 2011, S. 197). Im Allgemeinen führt eine Einkommenserhöhung zu einer Erhöhung der Nachfrage. Lediglich bei wenigen Gütern führt eine Erhöhung des Einkommens zu einem Rück­ gang der Nachfrage. Solch eine negative Einkommenselastizität findet sich bei sogenannten inferioren Gütern, die bei einer Einkommenserhöhung durch höherwertigere, superiore Güter ersetzt werden. Beispielhaft kann hierfür die Substitution eines Metallzahns durch einen Keramikzahn ge­ nannt werden (Fleßa & Greiner, 2013, S. 68). Das Verständnis des Individuums als rationaler und nutzenmaximieren­ der Verbraucher in Kombination mit der Betrachtung von Gesundheits­ leistungen als Konsumgüter dient sowohl in der Gesundheitsökonomie als auch in der Gesundheitspolitik als Legitimation für die Forderung nach Selbstbeteiligungen. Die Annahme ist hierbei, dass Individuen bei Vorliegen einer Versicherung Gesundheitsleistungen übermäßig in An­ spruch nehmen. Denn Versicherungen setzen die bisher aufgeführten Preismechanismen außer Kraft. So führen Schöffski & Graf von der Schu­ lenburg (2012, S. 15) an, dass analog zu anderen Wirtschaftsbereichen, auch im Gesundheitswesen, Fehlanreize und Ineffizienzen bestehen. Zum Teil können ihrer Ansicht nach administrierte Preise als Erklärungsfaktor hierfür dienen. Diese sorgen dafür, dass Preise (und Löhne) nicht auf die Knappheit der Ressourcen reagieren (können/sollen/dürfen) (Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012, S. 15). Dies bedeute wiederum, dass das klassische Preissystem außer Kraft gesetzt werde und seine allokative

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3.2 Moral hazard als gesundheitsökonomisches Verhaltensparadigma

Steuerungsfunktion somit nicht entfalten kann (Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012, S. 15). Diese Aushebelung der Preismechanismen im Bereich der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird in der Theorie mit verschiedenen Pro­ blemen in Verbindung gebracht. Als eine der größten Herausforderun­ gen wird eine erhöhte Nachfrage aufgrund eines Versicherungsschutzes verstanden. Die Forderung nach einer Stärkung der Eigenverantwortung begründet sich primär auf die Theorie dieses sogenannten moral hazards. 3.2 Moral hazard als gesundheitsökonomisches Verhaltensparadigma Bei der Diskussion um moral hazard im Gesundheitswesen muss zunächst hervorgehoben werden, dass in der Gesundheitsökonomie ein heterogenes Verständnis von moral hazard vorliegt und sich dieses von dem Verständ­ nis des moral hazards in der klassischen Ökonomie unterscheidet. Grignon et al. (2018, S. 368) beschreiben diese Diskrepanz in ihrer historischen Analyse der Publikationen zu moral hazard in der Gesundheitsökonomie wie folgt: “[…] health economists have developed a specific literature on moral hazard that has not really communicated with the literature on moral hazard in mainstream economics”. Aufgrund dessen wird nachfol­ gend ein Überblick über die unterschiedlichen vorliegenden Auffassungen von moral hazard in der Gesundheitsökonomie gegeben und das Verständ­ nis von moral hazard in dieser Arbeit definiert. Die ursprünglich aus der dem Bereich der Feuerversicherung stammen­ de Annahme, eine Vollversicherung „verführe“ Menschen zu einem nut­ zenmaximierenden Verhalten, wurde in den 1960er Jahren von Pauly erstmals auch im Bereich der Krankenversicherung als Verhaltensannahme diskutiert (Arrow, 1951; Pauly, 1968). Pauly (1968) nimmt hierbei Bezug auf eine im Jahr 1951 von Arrow (1951) veröffentlichte Publikation; in der sich dieser für eine soziale Krankenversicherung ausspricht. Eine private Absicherung könne Personen mit niedrigem Einkommen benachteiligen, aber auch dazu führen, dass sich Personen mit hohem Einkommen nicht versichern, weil sie beispielsweise ihr Risiko als zu gering einschätzen. Pauly (1968) widerspricht Arrow (1951) nicht grundsätzlich und spricht sich nicht gegen eine soziale Krankenversicherung aus, fordert jedoch finanzielle Anreize in Form von Selbstbeteiligungen, um eine rationale Leistungsinanspruchnahme der Versicherten zu gewährleisten. Schulenburg (2012, S. 18) bezieht sich bei seiner Definition auf diese ur­ sprüngliche Kontroverse und ordnet das Phänomen des moral hazards wie

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

folgt ein: „Ist die Ausbeutung der Versicherung durch den Versicherten moralisch verwerflich (Arrows Position) oder rationales Verhalten (Paulys Position) oder beides (meine Position)?“, und ordnet den moral hazard demnach als Sachverhalt ein, der rational und moralisch verwerflich zu­ gleich sei. Auch Schreyögg & Busse (2017, S. 35) bewerten das Phänomen als „das moralische Fehlverhalten der Versicherten und ihrer behandeln­ den Ärzte bzw. Therapeuten, das zu einer höheren Inanspruchnahme als eigentlich notwendig führt und somit die Leistungsausgaben der Versiche­ rungen künstlich in die Höhe treibt“.25 In dieser Definition sticht die Erwähnung des Arztes, beziehungsweise des Therapeuten, hervor, da in vielen Definitionen lediglich das Verhalten von Patienten berücksichtigt wird. Breyer et al. (2013, S. 248) nehmen hingegen versicherungstheore­ tischen Bezug und verstehen unter moral hazard „[…] den Anreiz der Versicherten, sich nach Vertragsabschluss anders zu verhalten, weil sie einen Informationsvorsprung besitzen“ und weisen in einer Fußnote auch darauf hin, dass moral hazard “wenig treffend als ‚moralisches Risiko‘ ¨übersetzt“ wird und „Verhaltensrisiko“ das Problem besser erfasse, da das von der Versicherung getragene Risiko vom Verhalten des Versicherten nach Vertragsabschluss beeinflusst wird“. In dem Lehrbuch „Lehrbegriffe und Grundlagen der Gesundheitsökonomie“ wird moral hazard ähnlich, jedoch etwas weiter gefasst als „Änderung des persönlichen Verhaltens mit risikoreicheren Entscheidungen durch die Absicherung von Versicherun­ gen“ verstanden (Trambacz, 2016, S. 93). Fleßa & Greiner (2013, S. 74) gestalten ihre Definition präziser und definieren moral hazard als „das Phänomen erhöhter Nachfrage aufgrund eines Versicherungsschutzes“. Die Versicherung bedinge eine „VollkaskoMentalität“ der Versicherten, die dazu führe, dass Versicherte Gesund­ heitsleistungen in höherem Maße nachfragen als ohne Vorliegen einer Versicherung (Fleßa & Greiner, 2013, S. 74). Drabinski et al. (2008, S. 8) argumentieren, „[…] dass der Versicherte versucht, sich soviel [sic] wie möglich von seinem Finanzierungsbeitrag wieder zurückzuholen“.

25 An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass moral hazard in der Kranken­ versicherung gemäß der Theorie sowohl auf der Nachfrage-, also auch auf der Anbieterseite vorliegen kann. Hervorzuheben ist hierbei, dass der moral hazard auf der Angebotsseite zwar erwähnt wird (vgl. bspw. Deutscher Bundestag, 2012), jedoch keine wirklichen Maßnahmen zur Behebung dieser von den politischen Akteuren diskutiert werden. Auch Schreyögg & Busse (2017, S. 35–37) führen nach ihrer Definition, die auch die Angebotsseite berücksichtigt, lediglich tarifli­ che Instrumente zur Steuerung des Verhaltens der Versicherten an.

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3.2 Moral hazard als gesundheitsökonomisches Verhaltensparadigma

Zweifel und Manning (2000, S. 413) verstehen unter moral hazard im Bereich der Krankenversicherung ähnlich wie Fleßa und Greiner “the change in health behavior and health care consumption caused by in­ surance […]”, berücksichtigen jedoch neben den Auswirkungen auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen auch Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten. An diesem Punkt ist die bereits im Jahr 1972 von Ehrlich und Becker dargelegte Unterscheidung zwischen ex post und ex ante moral hazard hilfreich (Ehrlich & Becker, 1972). Somit kann auf Seite der Nachfrager in der Krankenversicherung grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Ausprägungen des moral hazards unterschieden werden: – Vor dem Schadenseintritt „Krankheit“ (ex ante moral hazard): Versi­ cherte bedingen durch einen ungesunden Lebensstil die Wahrschein­ lichkeit zu erkranken. Nach Breyer & Buchholz (2009, S. 209) heißt das, „[…] dass die Individuen zu viel rauchen, Alkohol trinken, sich ungesund ernähren, Motorrad fahren und ähnlich gefährliche Dinge tun – eben weil sie wissen, dass die Behandlung der aus diesen gesund­ heitsschädigenden Aktivitäten resultierenden Krankheiten oder Unfälle von der Versichertengemeinschaft bezahlt wird“. – Nach dem Schadenseintritt „Krankheit“ (ex post moral hazard): Versi­ cherte fragen Gesundheitsleistungen über den notwendigen Bedarf hi­ naus nach (Breyer et al., 2013, S. 248). Nach einem Schadensfall bemü­ hen Versicherte sich nicht darum, die Folgekosten zu begrenzen. Auch die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt als theoretisch möglich (Breyer & Buchholz, 2009, S. 208). Der Annahme, Menschen verhielten sich allein aufgrund der Tatsache, dass sie eine Versicherung besitzen, die das finanzielle Risiko einer Erkran­ kung trägt, bewusst gesundheitsschädigend wird jedoch nicht gleicherma­ ßen Beachtung geschenkt, wie der Annahme, dass Versicherte Gesund­ heitsleistungen „unachtsam“ in Anspruch nehmen (Grignon et al., 2018; Zweifel & Manning, 2000). Diskussionen über moral hazard in der Kran­ kenversicherung beziehen sich zumeist auf den ex post moral hazard. In dieser Arbeit wird unter moral hazard der ex post moral hazard auf der Nachfragerseite verstanden. Die aufgeführten Definition unterscheiden sich voneinander. Eine Ge­ meinsamkeit stellt jedoch die Annahme dar, dass Menschen den mone­ tären Wert medizinischer Leistungen bei Vorliegen einer Krankenversi­ cherung nicht adäquat einschätzen (können) und somit nicht in ihrer Nutzenkalkulation berücksichtigen, und ihr Verhalten dementsprechend anpassen. Ursächlich hierfür sei das auf die Umverteilung ausgelegte Ge­

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

sundheitswesen und die Abkopplung der Beiträge von den erhaltenen Leistungen, so die Argumentation (Reiners, 2019a, S. 90). Im Normalfall entscheide der Versicherte, ob er eine medizinische Leistung in Anspruch nimmt oder nicht. Bei der Überlegung berücksichtige er lediglich die in­ direkten Kosten, die mit der Inanspruchnahme der medizinischen Leistun­ gen verbunden sind, wie beispielsweise den Weg zum oder die Wartezeit beim Arzt. Die direkten monetären Kosten jedoch, die mit der medizini­ schen Leistung verbunden sind, berücksichtige er nicht, da diese von der Versicherung übernommen werden. Eine Vollversicherung setzt somit institutionelle Rahmenbedingungen, die den rational agierenden Versicherten zu einer Inanspruchnahme über­ flüssiger Leistungen animieren. Diese institutionellen Rahmenbedingun­ gen sollten, so die Fürsprecher von Selbstbeteiligungen, insofern angepasst werden, als dass Individuen ihre Inanspruchnahme abwägen und darüber nachdenken, ob diese tatsächlich „notwendig“ ist. „Da moralische Appelle nicht ausreichen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken, sind durch den institutionellen Rahmen sowie die Ausgestaltung präventiver Steue­ rungsinstrumente entsprechende Anreize auf individueller Ebene notwen­ dig“ (Scherenberg, 2011, S. 35). Vor dem Hintergrund des rationalen ho­ mo oeconomicus kann dies insbesondere durch die Aufhebung der Preis­ abstinenz, also durch Selbstbeteiligungen, erfolgen. 3.3 Legitimation von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Steuerung der Nachfrage Die theoretische Legitimation der Forderungen nach finanzieller Beteili­ gung der Versicherten an den Kosten ihrer medizinischen Leistungen stellt die aus der klassischen Nachfragetheorie stammende Preiselastizität dar. Hierbei wird angenommen, dass die Nachfrage, der „Konsum“, medizi­ nischer Leistungen ebenso wie die Nachfrage anderer Konsumgüter auf eine Preisänderung reagiert. Die Nachfrage N kann somit im Sinne der direkten Preiselastizität der Nachfrage als eine Funktion des Preises (ceteris paribus, c.p.) wie folgt beschrieben werden: N= f (P), c.p.

(4)

Diese Annahme führt dazu, dass die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen theoretisch durch eine Preisänderung gesteuert werden kann. Die Debatte über die Erzielung einer Preisänderung mittels Selbstbeteili­

72

3.3 Legitimation von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Steuerung der Nachfrage

gungen ist dabei von der Auffassung geprägt, dass nicht jede medizini­ sche Leistung in gleichem Maße auf eine Preisänderung reagiert. In der Gesundheitsökonomie gelten demnach nicht alle medizinischen Leistun­ gen als gleichermaßen preiselastisch und somit auch nicht als uneinge­ schränkt zur Steuerung mittels finanzieller Instrumente geeignet (Busse & Schreyögg et al., 2017, S. 35). Nach Birkner et al. (1999, S. 152) kennzeichnet sich eine preiselastische Nachfrage im Bereich des Gesundheitswesens dadurch, dass das Gut sub­ stituierbar oder verzichtbar ist, oder lediglich in bedingter Form Nutzen für den Versicherten stiftet. Zudem muss der Versicherte autonom über die Inanspruchnahme entscheiden und somit den Leistungserbringer be­ einflussen können (Birkner et al., 1999, S. 152). Demnach stellt eine medi­ zinische Leistung, die aufgrund einer akuten Lebensgefahr (beispielsweise eine Blinddarmoperation bei einem Blinddarmdurchbruch) erfolgt, keine preiselastische Gesundheitsleistung dar. Bei der Einteilung medizinischer Leistungen in verschiedene Kategorien der Preiselastizität wird zumeist auf die 1988 von Keeler et al. publizierten Erkenntnisse des RAND Health Insurance Experiments (RHIE) zurückge­ griffen (Keeler et al., 1988). Das RHIE diente der Untersuchung des Ein­ flusses verschiedenartig ausgestalteter Krankenversicherungsverträge mit unterschiedlichen Zuzahlungsmodalitäten auf die Inanspruchnahme me­ dizinischer Leistungen sowie der damit verbundenen Kosten. In diesem sozialen Experiment wurden zwischen den Jahren 1974 bis 1982 insgesamt 3.958 Bürger und ihre Familienangehörige, in Summe 5.089 Personen, aus sechs Städten der USA zufällig für einen Zeitraum von drei (70 %) oder fünf Jahren (30 %) einer Versicherung zugeteilt. Die Versicherungen unterschieden sich hinsichtlich der finanziellen Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten. Die Krankenversicherungsverträge beinhalteten ent­ weder keine oder verschiedenartig ausgestaltete finanzielle Beteiligungen an den in Anspruch genommenen medizinischen Leistungen. Die auf Basis des Experiments ermittelten Preiselastizitäten gelten in der gesundheitsökonomischen Literatur als Standard für die Zuordnung verschiedener medizinischer Leistungen zu unterschiedlichen Elastizitäts­ bereichen sowie als Beleg für einen zumindest geringfügig ausgeprägten moral hazard (Cutler & Zeckhauser, 2000, S. 584). Keeler et al. (1988) nehmen an, dass Versicherte medizinische Leis­ tungen aufgrund verschiedener Bedürfnisse in Anspruch nehmen, die verschiedenen Dimensionen zugeordnet werden können. Für diese Zu­ ordnung der in Anspruch genommenen Leistungen zu den einzelnen Dimensionen entwickeln die Autoren ein Gruppierungsverfahren, das die

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Diagnose, die Behandlungshistorie (initiale Behandlung, erneute oder rou­ tinemäßige Behandlung) und weiterführende Informationen zu bezoge­ nen Medikamenten, Tests und Hilfsmittel sowie die verstrichene Zeit zwi­ schen potenziell miteinander in Bezug stehenden Inanspruchnahmen be­ rücksichtigt. Auf Basis des Gruppierungsverfahrens wurden die jeweiligen Inanspruchnahmen den Kategorien „Krankenhausbehandlung“, „akute ambulante Behandlung“, „chronische Behandlung“, „Wellness Leistung“ und „zahnärztliche Behandlung“ zugeordnet (Keeler et al., 1988). Tabelle 2 stellt die auf Basis des RHIE ermittelten Preiselastizitäten für verschiedene Bereiche im Überblick dar. Tabelle 2: Preiselastizitäten von Gesundheitsleistungen verschiedener Bereiche Ambulant Selbstbeteiligung

Akut

Chro­ nisch

Wellness

Ambulant insgesamt

Statio­ när

Ambulant und stationär insgesamt

Dental

0–25 % SD

0,16 (0,02)

0,20 (0,04)

0,14 (0,02)

0,17 (0,02)

0,17 (0,04)

0,17 (0,02)

0,12 (0,03)

25–95 % SD

0,32 (0,05)

0,23 (0,07)

0,43 (0,05)

0,31 (0,04)

0,14 (0,10)

0,22 (0,06)

0,39 (0,06)

Quelle: Eigene Darstellung nach Keeler et al. (1988, S. 47). SD = Standardabwei­ chung.

Es ist ersichtlich, dass sich die ermittelten Preiselastizitäten zwischen den unterschiedlichen Selbstbeteiligungsvarianten unterscheiden. Die Preiselastizitäten sind bei Versicherten mit größerer Selbstbeteiligung (25– 95 %) höher als bei Versicherten mit einer niedrigen Selbstbeteiligung (0– 25 %). Der Unterschied zwischen den Gruppen ist bei akuten ambulanten Behandlungen (0,16 und 0,32), sogenannten Wellness-Behandlungen (0,14 und 0,43) und zahnmedizinischen Behandlungen (0,12 und 0,39) beson­ ders deutlich. Dies schlägt sich auch in einem Unterschied der Preiselasti­ zität des gesamten ambulanten Bereichs (0,17 und 0,31) nieder. Die Prei­ selastizitäten im Bereich der chronischen Behandlungen (0,20 und 0,23) und der stationären Behandlungen (0,17 und 0,14) unterscheiden sich zwischen den Versichertengruppen dagegen kaum (Keeler et al., 1988). Diese Preiselastizitäten werden zur Bestimmung preiselastischer und preisunelastischer Leistungsbereiche genutzt. Diese Einteilung stellt in der Diskussion um Selbstbeteiligungen die Grundlage für die Einteilung von Selbstbeteiligungen in solche, die lediglich eine reine Finanzierungsfunkti­ on erfüllen (können), und solche, die eine Steuerungs- und Finanzierungs­ funktion aufweisen (können), dar.

74

3.3 Legitimation von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Steuerung der Nachfrage

Die Grafik auf der linken Seite in Abbildung 12 spiegelt eine unelasti­ sche Nachfrage wider und zeigt, dass eine Preiserhöhung von P1 auf P2 die nachgefragte Menge Q1 nicht beeinflusst. So erhöht sich lediglich der Preis, den ein Individuum für diese Nachfrage zahlen muss. Bei gegebe­ nem Einkommen reduziert ein Nachfrager demnach entsprechend seiner Präferenzen die Nachfrage nach anderen Gütern, die Nachfrage nach der Gesundheitsleistung verändert sich nicht und wird somit nicht gesteuert. Somit haben Selbstbeteiligungen bei einer unelastischen Nachfrage einen Finanzierungs-, jedoch keinen Steuerungseffekt (Schreyögg, 2008). Abbildung 12: Preiselastizitäten und ihre Finanzierungs- und Steuerungsfunktion

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schreyögg (2008, S. 3).

Eine Selbstbeteiligung an Leistungen, deren Nachfrage elastisch ist, kann jedoch nicht nur eine Finanzierungs-, sondern auch eine Steuerungsfunkti­ on erfüllen wie die Grafik auf der rechten Seite in Abbildung 12 verdeut­ licht. Erhöht sich der Preis von P1 auf P2, reduziert sich die nachgefragte Menge von Q1 auf Q2. Eine Preiserhöhung bei elastischen Gesundheitsgü­ tern kann die Nachfrage somit steuern (Schreyögg, 2008, S. 3). Auf Basis der im RHIE ermittelten Preiselastizitäten sollten Selbstbe­ teiligungen somit vor allem im Bereich der akuten ambulanten Behand­ lungen, Wellness-Behandlungen und zahnmedizinischen Behandlungen eingesetzt werden. Hierbei gilt die Annahme, dass die Inanspruchnah­ me dieser Leistungen aufgrund des akuten Auftretens einer Erkrankung

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

grundsätzlich nicht lebensbedrohlich und somit „vermeidbar“ wäre. Die­ ser Argumentation folgten die politischen Entscheidungsträger sowohl bei der Ausgrenzung des Zahnersatzes aus dem GKV-Leistungskatalog als auch bei der Einführung der Praxisgebühr im Jahr 2002, die vornehmlich der Vermeidung von Arztbesuchen aufgrund von Bagatellerkrankungen dienen sollte (Brenner et al., 2005; Fuchs & Kirch, 2006). Versicherungstheoretisch kann diese Preiselastizität, der Zusammen­ hang zwischen den totalen Ausgaben (und der Inanspruchnahme) medizi­ nischer Leistungen und den Zuzahlungen, die Versicherte leisten müssen, mithilfe von Budgetgeraden und Indifferenzkurven beschrieben werden. Unter der Annahme, dass der individuelle Nutzen positiv mit den in An­ spruch genommenen Leistungen und dem nach Abzug der Zuzahlungen zur Verfügung stehenden Einkommen zusammenhängt, kann der für ein Individuum optimale Konsum von Gesundheitsleistungen wie in Abbil­ dung 13 dargestellt werden (Aron-Dine et al., 2013, S. 200). Abbildung 13: Hypothetisches Beispiel zur Preiselastizität von Gesundheitsleistungen

Quelle: In Anlehnung an Aron-Dine et al. (2013, S. 200).

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3.3 Legitimation von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Steuerung der Nachfrage

In der Grafik sind horizontal die Gesamtausgaben für in Anspruch ge­ nommene medizinische Leistungen, unabhängig vom Kostenträger, dar­ gestellt. Die vertikale Achse stellt die individuelle Selbstbeteiligung der Versicherten dar. In der Abbildung sind drei verschiedene Budgetgeraden dargestellt, die aus drei hypothetischen Selbstbeteiligungsvarianten und den damit verbundenen Zuzahlungen resultieren. Die X-Achse stellt eine sich aus einer Vollversicherung ergebende Budgetrestriktion dar, die keine Selbstbeteiligung der Versicherten vorsieht. Die gestrichelte Linie stellt die sich aus einer Selbstbeteiligung von 10 % resultierende Budgetbeschrän­ kung dar. Die sich darüber befindende gepunktete Linie repräsentiert einen Versicherungsvertrag mit einer 20%-igen Selbstbeteiligung. Unter der Annahme, dass der individuelle Nutzen positiv mit den in Anspruch genommenen Leistungen und dem (nach Abzug der Zuzahlungen) zur Verfügung stehenden Einkommen zusammenhängt, stellt der Berührungs­ punkt der Indifferenzkurve mit den sich aus den jeweiligen Selbstbeteili­ gungsvarianten ergebenden Budgets den für ein Individuum optimalen Konsum von Gesundheitsleistungen dar. Hierbei zeigt sich, dass die Inanspruchnahme und somit auch die Gesamtausgaben für medizinische Leistungen mit sinkender Selbstbeteili­ gung zunehmen. So liegen die Ausgaben in dieser modelltheoretischen Ausgestaltung bei einer Selbstbeteiligung von 20 % bei etwa 2.300 Euro, bei einer Selbstbeteiligung von 10 % bei etwa 3.300 Euro und bei einer Vollversicherung, respektive einer Selbstbeteiligung von 0 %, bei ungefähr 5.000 Euro. Die in dieser Grafik dargestellte Preiselastizität stellt gemäß der Theorie das Ausmaß des moral hazards dar. Die Autoren weisen hierbei jedoch darauf hin, dass dieser Zusammenhang mittels der Grafik sehr vereinfacht dargestellt wird, da nicht zwischen den bekannten unter­ schiedlichen Preiselastizitäten verschiedener Leistungsbereiche unterschie­ den wird und die meisten Versicherungsverträge mit Selbstbeteiligung da­ rüber hinauskeiner linearen Ausgestaltung folgen (Aron-Dine et al., 2013, S. 200). Vor dem dargelegten Hintergrund wird ersichtlich, dass insbesonde­ re eine „überflüssige“, durch die Vollversicherung hervorgerufene, Inan­ spruchnahme der Theorie nach durch eine Preisänderung beeinflusst wer­ den kann und Selbstbeteiligungen somit als Instrument zur Reduktion von moral hazard geeignet scheinen. Diese theoretische Legitimation führ­ te dazu, dass in Deutschland in den letzten Jahrzehnten verschiedenartig ausgestaltete Selbstbeteiligungen eingeführt wurden, um die Inanspruch­ nahme medizinischer Leistungen und die damit verbundenen Gesund­ heitsausgaben zu senken.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

So hat sich der Sachverständigenrat unter anderem im Jahr 2012 mit der (vermeintlichen) Überinanspruchnahme von Gesundheitsleistungen beschäftigt und auf Grundlage gesundheitsökonomischer Standardwerke darauf verwiesen, dass Patienten aufgrund des umfassenden Versicherungs­ schutzes „die Mehrzahl der Gesundheitsleistungen ohne merkliche eigene Ausgaben, d. h. zu Grenzkosten von nahezu Null“ erhielten (Deutscher Bundestag, 2012, S. 95–96). Im Fokus standen im Gutachten des Jahres 2012 Wettbewerbsgesichtspunkte und hierbei insbesondere die Empfeh­ lung, sich mit dem Thema Nutzerinformation und Nutzerkompetenz auseinander zu setzen, um Versicherte zu befähigen, einen Wettbewerb, beziehungsweise Wettbewerbsmechanismen, im Gesundheitswesen in An­ spruch nehmen zu können (Deutscher Bundestag, 2012, S. 98). Der Sach­ verständigenrat zur Entwicklung im Gesundheitswesen 2018 zieht aus dem Vorliegen von moral hazard weitreichendere Schlussfolgerungen. Er versteht unter moral hazard einen versicherungsbedingten Mehrkon­ sum, der den objektiv notwendigen Bedarf übersteigt. Hier sieht der Sach­ verständigenrat (SVR) einen relevanten Ansatzpunkt um die Inanspruch­ nahme medizinischer Leistungen gezielt über bestimmte Instrumente zu steuern (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Ge­ sundheitswesen, 2018a, S. 447). Als geeignetes Instrument betrachtet der SVR finanzielle Steuerungselemente wie eine Kontaktgebühr oder andere Formen der Selbstbeteiligung (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 435). Selbstbeteiligungen zielen auf einen Rückgang „inflationärer“ Inan­ spruchnahme von Gesundheitsleistungen ab. Eine größere Konsumenten­ souveränität fungiert dabei aus theoretischer Sicht als ein geeignetes Ins­ trument zur Senkung der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und kann somit eine Reduzierung der Gesundheitsausgaben erzielen. Die Verringerung der Solidarkomponente soll zu einer fiskalischen Stabilisie­ rung des Gesundheitssystems führen. Gemäß der Theorie führen Selbstbe­ teiligungen dazu, dass der Versicherte vor der Inanspruchnahme einer Leistung eine Kosten-Nutzen-Abwägung durchführt und Gesundheitsleis­ tungen von geringerem Nutzen als dem erforderlichen Eigenbetrag nicht in Anspruch nimmt (Nguyen & Romeike, 2013, S. 334). Demnach bewir­ ken Selbstbeteiligungen, dass „nicht oder nicht unbedingt notwendige Leistungen“ nicht mehr in Anspruch genommen werden. Über die Konsistenz dieser Theorie mit der Empirie herrscht jedoch Uneinigkeit. Primär stehen sich in dieser Diskussion Wissenschaftler, die Selbstbeteiligung fordern, und solche, die sie ablehnen gegenüber. Hier­ bei bedienen sich Vertreter beider Richtungen jeweils unterschiedlicher

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

empirischer Belege zur Untermauerung ihres Standpunktes. Ermöglicht wird dies durch eine nicht eindeutige Evidenz der bisher in Deutschland umgesetzten Maßnahmen, für die keine aktuelle systematische Übersicht vorliegt. Solch eine Übersicht wird nachfolgend gegeben. 3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland Die Anwendung von Selbstbeteiligungen als Instrument zur Ausgaben­ steuerung beruht auf der Überzeugung, dass eine systematische Überinan­ spruchnahme medizinischer Leistungen vorliegt, die es zu reduzieren gilt. Entsprechend der neoklassischen Theorie reagiert die Inanspruchnahme auf Preisänderungen, so dass Selbstbeteiligungen ein probates Mittel zur Reduktion der Inanspruchnahme darstellen. Vor dem Hintergrund anhal­ tender Überlegungen über die Einführung oder Erhöhung von Selbstbetei­ ligungen sowie für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist es jedoch von besonderem Interesse, ob die modelltheoretischen Annahmen auch der empirischen Beobachtung in Deutschland standhalten. In diesem Kon­ text ist es von besonderer Bedeutung, dass die empirische Überprüfung der Überinanspruchnahme grundsätzlich nur indirekt über die Wirkungen von Selbstbeteiligungen erfolgen kann (Reiners, 2006, S. 16). In Deutschland werden Daten zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen in Bezug auf diese Fragestellungen seit Mitte der 1990er Jah­ re empirisch analysiert. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt nicht oder nur in geringem Ausmaß vorhandenen Selbstbeteiligungen in der GKV wurde zur Beleuchtung der Wirkungen von Selbstbeteiligungen zunächst die strukturelle Besonderheit des deutschen Krankenversicherungssystems, das Nebeneinander der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherung (PKV), genutzt. Dabei wurde das Kostenerstattungsprinzip der PKV und die dem System inhärenten Anreize, als ein „weniger Versicherung als in der GKV“ interpretiert und das Inanspruchnahmeverhalten von GKV- und PKV-Versicherten miteinander verglichen. Denn während GKV-Versicher­ te ihre Leistungen in Form des Sachleistungsprinzips erhalten, gehen PKVVersicherte für medizinische Leistungen finanziell in Vorleistung und können sich die angefallenen Kosten von ihrer Versicherung zurückerstat­ ten lassen. In der PKV liegt somit keine Preisabstinenz vor, PKV-Versicher­ te sind sich somit der Kosten der von ihnen beanspruchten Leistungen bewusst. Darüber hinaus liegen in der PKV, je nach individueller Ausge­ staltung des Vertrags, ähnlich wie bei einer Auto-Versicherung Anreize vor, möglichst wenige Leistungen in Anspruch zu nehmen.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden verschiedene Formen der Selbstbeteiligung in der GKV mit dem Ziel der Steuerung der Inanspruch­ nahme implementiert. Hierunter fallen zum einen verbindlich eingeführ­ te Maßnahmen wie die Praxisgebühr und die Einführung verschiedener Wahltarife in der GKV. Die Wirkungen dieser Maßnahmen wurden stetig evaluiert und vor dem Hintergrund der Theorie des moral hazard disku­ tiert. Eine vollständige und aktuelle Übersicht über diese Studien exis­ tiert jedoch nicht. Aufgrund dessen werden nachfolgend die für Deutsch­ land vorliegenden Analysen zu den Effekten der Versicherungsmodali­ tät (3.4.1), der Praxisgebühr (3.4.2) und von Wahltarifen der GKV (3.4.3) auf die Inanspruchnahme dargelegt. Der Fokus liegt hier auch auf den jeweils angewandten Methoden um einen grundsätzlichen Überblick über die Analyseverfahren, aber auch die Heterogenität der Methoden und verwendeten Daten vor dem Hintergrund der Verallgemeinerbarkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse miteinander zu erlangen. 3.4.1 Einfluss der Versicherungsmodalität Der Anstieg der Ausgaben der Krankenkassen und unter anderem auch die Ergebnisse des RHIE führten seit Ende der 1980er Jahre dazu, dass der Einfluss des Versicherungsschutzes auf die Inanspruchnahme des Gesund­ heitswesens verstärkt diskutiert wurde. Die Analyse erfolgte zunächst je­ doch lediglich modelltheoretisch. Repräsentative Wiederholungsbefragun­ gen von Privathaushalten in Deutschland, wie das seit 1984 jährlich erho­ bene Sozio-oekonomische Panel (SOEP), das auch gesundheitsbezogene Informationen enthält, ermöglichten dann eine empirische Analyse der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen vor dem Hintergrund des Versicherungsstatus und weiterer Einflussfaktoren. Die theoretisch seit En­ de der 1970er Jahre verfügbaren Abrechnungsdaten der Krankenkassen wurden erst ab Beginn der 2000er Jahre im Rahmen der Evaluation der Pilotprogramme von Krankenkassen (Felder & Werblow, 2006), umgesetz­ ter Reformen wie die Einführung gesetzlich verpflichtender Wahltarife (Hemken et al., 2012) oder der Praxisgebühr (Farbmacher & Winter, 2013) genutzt. Eine Herausforderung bei der Analyse des Versicherungsstatus stellt die (Selbst-)Selektion der Gruppen dar. So kennzeichnet sich die Versicherten­ gemeinschaft der PKV durch Merkmale wie ein höheres Einkommen, ein jüngeres Alter und einen besseren Gesundheitszustand als die GKV-Ver­ sichertengemeinschaft aus (Stauder & Kossow, 2017; Wissenschaftliches

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

Institut der AOK, 2006). PKV- und GKV-Versicherte unterscheiden sich so­ mit deutlich hinsichtlich verschiedener wesentlicher für die Inanspruch­ nahme relevante Faktoren. Die Heterogenität dieser Gruppen muss dem­ nach durch statistische Verfahren berücksichtigt werden. Ähnlich gestaltet sich die Herausforderung bei der Analyse der Effekte von Zusatzversiche­ rungen bei GKV-Versicherten, da die Entscheidung über eine Zusatzversi­ cherung durch verschiedene Faktoren, insbesondere den Gesundheitszu­ stand, beeinflusst werden kann (Lange et al., 2017; Schmitz, 2011). 3.4.1.1 Pohlmeier & Ulrich (1995) Eine der ersten empirischen Analysen, aus denen der Einfluss des Versiche­ rungsschutzes auf die Inanspruchnahme abgeschätzt werden kann, führen Pohlmeier & Ulrich im Jahr 1995 durch. Die Autoren argumentierten erstmals, dass die Entscheidung einen Arzt aufzusuchen (Kontaktwahr­ scheinlichkeit), und die Entscheidung über die Häufigkeit der Arztbesuche (Kontaktfrequenz) von zwei verschiedenen Entscheidungsträgern getroffen werden. Während die Kontaktwahrscheinlichkeit von den Versicherten beeinflusst wird, entscheidet darauffolgend der Arzt über die Frequenz der Inanspruchnahme (Abbildung 14). Abbildung 14: Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen als zweistufiger Entscheidungsprozess

Quelle: Eigene Darstellung.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Mit Daten des SOEPs26 aus dem Jahre 1985 analysieren Pohlmeier & Ulrich (1995) die Anzahl an Hausarzt- und Facharztbesuchen27 unter Berücksichti­ gung des Versicherungsstatus (privat oder gesetzlich versichert), verschiede­ ner sozioökonomischer Variablen sowie der Arztdichte des jeweiligen Bun­ deslandes. Die Arztdichte kann theoretisch das Angebot an oder die Nach­ frage nach Leistungen beeinflussen. Die Arztdichte könnte nach Pohlmeier & Ulrich (1995) die Kontaktwahrscheinlichkeit auf der Nachfrageseite beeinflussen und zum anderen einen Hinweis für eine angebotsinduzierte Nachfrage darstellen, die sich auf die Kontaktfrequenz auswirkt. Um die mit einem Arztbesuch verbundenen Opportunitätskosten abzubilden, inkludie­ ren die Autoren zudem die Gemeindegröße.28 Hinsichtlich des Versicherungsstatus (PKV/GKV) zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Hausarzt aufzusuchen bei privat Versicherten etwas geringer ist als bei gesetzlich Versicherten. Auf die Kontaktfrequenz von Hausarztbesuchen sowie die Kontaktwahrscheinlichkeit oder Kontakt­ frequenz eines Facharztes wirkt sich der Versicherungsstatus jedoch nicht aus. Einen sehr starken Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einen Haus- oder Facharzt aufzusuchen und die Frequenz der Arztbesuche weist hingegen das Vorliegen chronischer Beschwerden auf. Personen mit chronischen Be­ schwerden tätigen 72 % mehr Hausarzt-, und 118 % mehr Facharztbesuche als Personen ohne chronische Beschwerden. Während ein höheres Einkom­ men die Wahrscheinlichkeit eines Hausarztbesuchs verringert, erhöht es die Wahrscheinlichkeit eines Facharztbesuchs. Dies kann gemäß Pohlmeier & Ulrich (1995) eventuell damit zusammenhängen, dass Personen mit höhe­ rem Einkommen eher PKV-versichert sind und im Unterschied zu GKVVersicherten keine Überweisung zu einem Facharzt benötigen. Die Arztdichte zeigt keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, einen Hausarzt aufzusuchen. Sie beeinflusst jedoch die Kontaktfrequenz der Haus­

26 Vor der Wiedervereinigung Deutschlands bildete das SOEP lediglich West­ deutschland ab. Die Aussagekraft für die gesamtdeutsche Bevölkerung ist für die­ sen Zeitraum demnach eingeschränkt. 27 Im Rahmen des SOEP wird die Anzahl der Haus- und Facharztbesuche in dem letzten Quartal vor dem Interview erfragt. Berücksichtigt werden alle Fachärzte bis auf Gynäkologen und Kinderärzte. 28 Pohlmeier & Ulrich (1995) führen nicht an, inwiefern sich die Gemeindegröße auf die Opportunitätskosten auswirken könnte. Denkbare Mechanismen könn­ ten sein: Bessere Infrastruktur in größeren Gemeinen, die einer kürzere Wegzeit bedeutet und somit sich somit positiv auf die Inanspruchnahme auswirken könn­ te, oder aber: Höhere Auslastung in größeren Gemeinden, die sich in einer länge­ ren (vermuteten) Wartezeit manifestiert und die Inanspruchnahme verringert.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

arztbesuche. Unter der Annahme, dass die Arztdichte nicht nur einen Indikator für das Angebot, sondern – ähnlich der Konzentrationsrate in der Betriebswirtschaftslehre – auch einen Indikator für den Wettbewerb zwi­ schen den Ärzten widerspiegelt, interpretieren die Autoren dies zumindest als Hinweis für eine angebotsinduzierte Nachfrage. Diese Schlussfolgerung wird dadurch gestützt, dass eine höhere Dichte an Ärzten zu einem gewissen Teil die Kontaktwahrscheinlichkeit eines Facharztes erklärt. Auch dies könnte, so Pohlmeier & Ulrich (1995), mit dem Umstand zusammenhängen, dass GKV-Versicherte für die Inanspruchnahme eines Facharztes eine Über­ weisung benötigen. Es wäre möglich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Überweisung mit einer höheren Verfügbarkeit von Ärzten (abgebildet durch die höhere Arztdichte des Bundeslandes) zunimmt. Die Analyse von Pohlmeier & Ulrich (1995) bestätigt die Hypothese des zweistufigen Prozesses und zeigt, dass die Entscheidung über die Kontakt­ wahrscheinlichkeit und die Kontaktfrequenz zwei voneinander unabhängi­ ge stochastische Prozesse verkörpern und somit separat analysiert werden sollten. Darüber hinaus demonstrieren sie, dass diese zwei Prozesse grund­ sätzlich von unterschiedlichen Variablen beeinflusst werden. Zudem wer­ den Hausarzt- und Facharztbesuche wohl von unterschiedlichen Einfluss­ faktoren bestimmt. Die Autoren gehen davon aus, dass eine Modellierung der Inanspruchnahme, die die Kontaktwahrscheinlichkeit und Kontaktfre­ quenz nicht als zwei voneinander unabhängige Prozesse betrachtet, dazu führt, dass die Ergebnisse der Modellierung maßgeblich auf die Kontakt­ wahrscheinlichkeit zurückzuführen sind. Sie führen an, dass die geringe Varianz der Kontaktfrequenz dazu führt, dass die Modellierung der Kon­ taktwahrscheinlichkeit Ergebnisse liefert, die etwaige Einflussfaktoren der Kontaktfrequenz überdeckt. Die Erkenntnis, dass die Entscheidung ob, und wie oft ärztliches Fachpersonal aufgesucht wird, als voneinander unabhän­ gige Prozesse modelliert werden sollte, wurde darauffolgend in verschiede­ nen Analysen berücksichtigt (vgl. bspw. Hullegie & Klein, 2010; Schmitz, 2012 bei der Analyse des Versicherungsschutzes). 3.4.1.2 Geil et al. (1997) Um die vorliegende Evidenz des Einflusses des Versicherungsschutzes auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen um den stationären Sektor zu erweitern, analysieren Geil et al. (1997) im Jahr 1997 Daten des SOEPs. Sie ziehen Daten der Jahre 1984 bis 1989 sowie 1992 und 1994 heran, um Determinanten der Hospitalisierung zu identifizieren. Geil et al. (1997)

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

reagieren damit auf die Debatte über steigende Gesundheitsausgaben, die von Forderungen stärkerer ökonomischer Anreize und Privatisierung von Gesundheitskosten geprägt war. Ende der 1990er Jahre wurde im Zuge dessen – trotz der theoretisch geringen Preiselastizität – auch diskutiert, ob der stationäre Sektor aufgrund seines großen Anteils an allen Gesundheits­ ausgaben (32 Prozent an den GKV- und 34 Prozent an den PKV-Ausgaben) durch monetäre Anreize gesteuert werden sollte. Geil et al. (1997) führen an, dass neben dem Versicherungsschutz jedoch höchstwahrscheinlich noch weitere Faktoren einen statistisch signifikanten und relevanten Einfluss auf die Hospitalisierungswahrscheinlichkeit haben. Aufgrund dessen berücksichtigen sie auch räumliche Faktoren wie die Distanz vom Wohnort zum nächsten Krankenhaus, die sich in der Analyse als signifikanter Einflussfaktor herausstellt. Bei Betrachtung der Subgruppe der chronisch Erkrankten verschwindet dieser Effekt jedoch. Die Autoren führen an, dass es möglich wäre, dass etwaige Überlegungen zu Transport­ kosten ab einem gewissen Grad an Beschwerden nicht mehr relevant sind. Kinder zu haben wirkt sich sowohl für Männer als auch für Frauen erhöhend auf die Anzahl der Nächte in einem Krankenhaus aus. Verheiratete Frauen weisen mehr Besuche als unverheiratete Frauen auf, bei Männern ist dieser Effekt umgekehrt. Der Versicherungsschutz der GKV weist – verglichen mit dem der PKV – keinen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit der Hospitalisierung auf. Im Allgemeinen scheinen die Familien- und Arbeitssi­ tuation und das Vorliegen einer chronischen Erkrankung wichtigere Ein­ flussfaktoren als der Versicherungstyp zu sein. Auch wenn die Analyse von Geil et al. (1997) den als preisunelastisch geltenden Bereich der Hospitalisierung betrachtet, wurden monetäre Anrei­ ze im stationären Bereich Ende der 1990er Jahre jedoch als potenziell wirksames Instrument zur Steuerung der Inanspruchnahme diskutiert. Geil et al. (1997) konnten diese Diskussion mit empirischen Daten bereichern und den Forschungsstand erweitern. Darüber hinaus diente die verwendete Methodik zahlreichen nachfolgenden Analysen als Vorlage und gilt mittler­ weile als ein Standardwerk der ökonometrischen Analyse von Paneldaten.29

29 „Variablen, welche die Häufigkeit von Ereignissen in einem Zeitintervall zählen, werden in der Ökonometrie als Zähldaten (engl. count data) bezeichnet“ (Pohl­ meier, 1994, S. 553). Hierunter fallen demnach die im Rahmen des SOEP abge­ fragten Arzt- und Krankenhausbesuche in den letzten drei Monaten. Geil et al. (1997) kombinieren das von Cameron & Trivedi (1986) als „NEGBIN II“ be­ zeichnete Modell für Zähldaten mit negativer Binomialverteilung mit dem von Hausman et al. (1984)entwickelten Panel Model für Zähldaten, das auch Pohl­

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

3.4.1.3 Riphahn et al. (2003) Auch Riphahn et al. (2003) analysieren die Nachfrage nach Gesundheitsleis­ tungen vor dem Hintergrund eines etwaigen Einflusses des Versicherungs­ status anhand von Daten des SOEPs. Die Autoren beziehen sich sowohl auf Pohlmeier & Ulrich (1995) als auch auf Geil et al. (1997) und weisen hierbei jedoch zum einen auf die aus ihrer Sicht ungeeigneten ökonometrischen Methoden zur Kontrolle unbeobachtbarer Heterogenität (Pohlmeier & Ulrich, 1995) und zum anderen auf die Auswahl eines ohnehin als unelas­ tisch geltenden Nachfragebereichs zur Modellierung der Preiselastizität medizinischer Dienstleistungen hin (Geil et al. 1997). Ziel ihrer Analyse ist aufgrund dessen die Entwicklung und Anwendung eines neuartigen ökonometrischen Verfahrens zur Kontrolle unbeobachtba­ rer Heterogenität. Hierbei stehen insbesondere die Aspekte der adversen Selektion und des moral hazards im Fokus. Auch wenn Riphahn et al. (2003) die Berücksichtigung der Hospitalisie­ rung bei Geil et al. (1997) kritisieren, analysieren auch sie neben der Anzahl der Arztbesuche die Anzahl der Nächte in einem Krankenhaus als abhängige Variable. Sie berücksichtigen hierbei jedoch auch das Vorliegen einer Zu­ satzversicherung, was ihrer Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit eines Kran­ kenhausaufenthalts begünstigen könnte. Die Autoren analysieren Daten der Jahre 1984 bis 1988, 1991 und 1994, für die sowohl Angaben zu Arztbesuchen als auch Hospitalisierungen vorliegen. Zur Untersuchung des Versicherungsstatus generieren Riphahn et al. (2003) zwei Indikatorvariablen. Einer dieser Indikatoren unterscheidet zwischen GKV- und PKV-Versicherten30, die zweite Indikatorvariable unterscheidet zwischen GKV-Versicherten ohne und mit privater Zusatzversicherung.31 Hinsichtlich der Kontrolle unbeobachtbarer Heterogenität orientieren sich Riphahn et al. (2003) an Geil et al. (1997), die durch die Kontrolle zufälliger Effekte in ihrer Analyse eine signifikante Verbesserung der Modellgüte erreichen konnten und erweitern deren Ansatz, indem sie einen Schätzer für

meier & Ulrich (1995) anwenden. Geil et al. (1997) bezeichnen ihr Model als „Random Effects NEGBIN Panel Model“. 30 Dieser Indikator umfasst in der Gruppe der GKV-Versicherten pflicht- und frei­ willig Versicherte (freiwillig in der GKV versichert sind zum Großteil Personen mit einem Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze, diese Gruppe ent­ sprach zu den betrachteten Zeitpunkten der Analyse etwa 15 %). 31 Zu diesem Zeitpunkt hatten etwa 2 Prozent aller GKV-Versicherten eine private Zusatzversicherung abgeschlossen.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Zufallseffekte generieren, der zeitgleich Einflussfaktoren auf Arztbesuche und Hospitalisierung kontrolliert. Signifikante Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme stellen die Zufrie­ denheit mit dem Gesundheitszustand (negativ), Grad der Behinderung (positiv) sowie das quadrierte Alter (positiv, nicht signifikant bei Hospitali­ sierungen von Frauen) dar. Auch Bildung stellt einen signifikanten Einfluss­ faktor dar. In Übereinstimmung mit Pohlmeier & Ulrich (1995) sowie Geil et al. (1997) zeigt die Analyse von Riphahn et al. (2003) bei Männern einen Rückgang der Inanspruchnahme mit zunehmendem Bildungsgrad. Konträr hierzu können sie bei Frauen jedoch keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Bildung und der Inanspruchnahme feststellen. Riphahn et al. (2003) können zudem keinen Effekt des PKV-Versiche­ rungsstatus oder bei GKV-Versicherten einer Zusatzversicherung auf die Hospitalisierungswahrscheinlichkeit oder auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs feststellen. Übereinstimmend mit Geil et al. (1997) deutet die Analyse von Riphahn et al. (2003) demnach darauf hin, dass Hospitalisie­ rungen grundsätzlich nicht durch monetäre Anreize gesteuert werden kön­ nen. Der zentrale Indikator der Autoren für das Vorliegen von moral hazard (PKV-versichert oder GKV-versichert oder PKV-versichert mit und ohne Selbstbeteiligung) kann die Nachfrage nach medizinischen Leistungen auch im Bereich der Arztbesuche nicht vorhersagen. Riphahn et al. (2003, S. 402) formulieren das Ergebnis folgendermaßen: „Our estimation results (see Table V) suggest that the insurance type, i.e. whether individuals are privately insured or covered by public health insurance, does not yield a statistically significant influence on the demand for health care”. Die Autoren führen jedoch mehrere Anzeichen auf, die ihrer Ansicht nach gegen die Schlussfol­ gerung sprechen, dass kein moral hazard bei der Inanspruchnahme vorliegt: 1) Eine Zusatzversicherung korreliert mit einer höheren Anzahl an Hos­ pitalisierungen. Die Autoren merken an, dass der Test auf Endogeni­ tät darauf hinweise, dass der positive Effekt zumindest zum Teil auf eine ex ante adverse Selektion zurückzuführen sein könnte, verweisen jedoch auch darauf, dass die Möglichkeit des ex-post moral hazards nicht ausgeschlossen werden kann. 2) Zusammenhänge, die auf eine individuelle Reaktion auf die mit Arzt­ besuchen einhergehenden Opportunitätskosten, hindeuten. So besu­ chen Selbstständige, für die ein Arztbesuch mit einem Einkommensver­ lust einhergeht, signifikant seltener einen Arzt. Die Autoren merken hierzu an: “The finding of significantly fewer doctor visits for this

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

group therefore confirms incentive effects in the demand for health care” (Riphahn et al., 2003, S. 402). Riphahn et al. (2003) schlussfolgern demnach aus den Ergebnissen zu Selbstständigen, dass Anreizeffekte bei der Nachfrage nach Gesundheitsleis­ tungen vorliegen. 3.4.1.4 Hullegie & Klein (2010) Nach der Einführung der Praxisgebühr im Jahr 2004 wurde die Inanspruch­ nahme in Deutschland einige Jahre vorwiegend vor dem Hintergrund der Wirkungen der Praxisgebühr untersucht. Erst im Jahr 2010 analysieren Hullegie & Klein (2010) den Einfluss des Versicherungsstatus allgemein auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erneut. Sie erweitern die bisherigen Analysen und die Debatte um einen weiteren Aspekt und führen an, dass Unterschiede in den Anreizstrukturen sowohl das Gesundheitsver­ halten als auch die Nachfrage nach medizinischen Leistungen beeinflussen könnten. Demnach könnte der Versicherungsstatus als unabhängige Varia­ ble die Inanspruchnahme entweder direkt oder indirekt über den Mediator „Gesundheitsverhalten“ beeinflussen (Abbildung 15). Dabei könnten die der PKV inhärenten höheren Eigenbeteiligungen – verglichen mit denen in der GKV – einen stärkeren Anreiz generieren, sich gesünder zu verhalten, um eine gute Gesundheit zu erzielen und die Notwendigkeit von Arztbesuchen gering zu halten. Bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Analysen unter­ suchten lediglich den direkten Einfluss (in der Abbildung mit c dargestellt), beziehungsweise formulierten diesen indirekten Zusammenhang nicht ex­ plizit. Abbildung 15: Simplifizierter Zusammenhang zwischen Versicherungsstatus und Inanspruchnahme

Quelle: Eigene Darstellung.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Hullegie & Klein (2010) analysieren zur Überprüfung ihrer Hypothese den Einfluss des Versicherungsstatus auf die Anzahl der Arztbesuche, die Anzahl der Hospitalisierungsnächte sowie die Selbsteinschätzung der Ge­ sundheit. Hierfür wenden sie ein in diesem Kontext neuartiges Design an und fassen die Variation des Einkommens um die Versicherungspflicht­ grenze als natürliches Experiment auf und nutzen dies als Kontrolle der Selektion in die PKV. Dies ermöglicht die Durchführung einer „Regressi­ ons-Diskontinuitäts-Analyse (RDA)“.32 Als Vorteil dieser Methodik führen sie an, die aus ihrer Sicht bei Geil et al. (1997), Pohlmeier & Ulrich (1995) und Riphahn (2003) nicht ausreichend berücksichtigte Selektion der PKV-Zugehörigkeit stärker einbeziehen zu können. Hullegie & Klein (2010) nutzen für ihre Analyse Daten des SOEPs der Jahre 1995 bis 2006 und berücksichtigen Personen aus Westdeutschland zwischen 25 und 55 Jahren mit einem Arbeitnehmervertrag. Im Widerspruch zu den Ergebnissen von Pohlmeier & Ulrich (1995) finden Hullegie & Klein (2010) keinen signifikanten Einfluss des Versiche­ rungsstatus auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs, allerdings auf die Anzahl der Arztbesuche. Sie sehen dies als Hinweis für als eine bessere ärztliche Versorgung von PKV-Versicherten oder ein stärker ausgeprägtes präventives Verhalten von PKV-Versicherten. In Übereinstimmung mit Geil et al. (1997) und Riphahn et al. (2003) finden sie weder einen Einfluss des Versicherungsstatus auf die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausauf­ enthalts noch auf die Anzahl der Nächte im Falle einer Hospitalisierung.

32 Eine RDA stellt ein inferenzstatistisches-experimentelles Verfahren dar, das an­ gewendet wird, um kausale Effekte der Veränderung einer Variablen auf die Veränderung anderer Variablen zu identifizieren. Der Ansatz nutzt die Tatsache, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, in diesem Fall zur PKV oder GKV, durch einen festgelegten Schwellwert beeinflusst wird, aus. Die Zu­ gehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe erhöht sich durch den Schwellwert diskontinuierlich. Die Analyse beruht auf der Annahme, dass Personen, die sich knapp ober- sowie knapp unterhalb des Schwellwerts befinden, sehr ähnlich sind und lediglich aufgrund des Schwellwerts in unterschiedlichen Gruppen befinden. Zeigt sich an diesem Schwellwert bei einer Ereignisgröße (zum Beispiel der Arztbesuche) ein Sprung, kann dies als kausaler Effekt der Maßnahme (Zuge­ hörigkeit zur PKV-Versicherung) interpretiert werden (Kugler et al., 2014, S. 17– 18).

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

3.4.1.5 Schmitz (2012) Schmitz (2012) untersucht, inwiefern Selbstbehalte in der PKV sowie Zu­ satzversicherungen bei GKV-Versicherten die Anzahl der Arztbesuche be­ einflussen. Im Fokus der Analyse steht die Frage, ob optionale Selbstbetei­ ligungen ein geeignetes Instrument darstellen, um die Effizienz der GKV zu erhöhen oder eher mit einer Auflösung des Risikopools einhergehen würden. Der Analyse von Pohlmeier & Ulrich (1995) folgend analysiert auch Schmitz (2012) die Kontaktwahrscheinlichkeit und die Kontaktfrequenz als zwei voneinander unabhängige Prozesse. Schmitz (2012) analysiert Wellen des SOEPs der Jahre 2002, 2004 und 2006. Diese Wellen bilden den Gesundheitszustand detaillierter als vorangegangene Wellen ab und beinhalten eine direkte Variable zu Risikoeinstellungen.33 Schmitz (2012) führt an, somit besser als bisherige Analysen unbeobachtete Faktoren, die die Wahl der Versicherung zu einer endogenen erklärenden Variable macht, reduzieren zu können. Endogenität könnte grundsätzlich, so Schmitz, aufgrund eines unzurei­ chenden beobachteten Gesundheitszustands oder der vorhandenen Risiko­ einstellungen von Versicherten auftreten. So würde sich eine Person, die vermutet, in der Zukunft viele Gesundheitsleistungen in Anspruch neh­ men zu müssen, vermutlich nicht für eine Versicherung mit Selbstbeteili­ gung entscheiden. Der Gesundheitsstatus könnte somit sowohl die Wahl der Versicherung als auch die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistun­ gen beeinflussen. Ähnlich könnte sich der Zusammenhang zwischen der Risikoeinstellung und der Inanspruchnahme ausgestalten (siehe Abbil­ dung 16 zur Verdeutlichung).

33 Schmitz nutzt für seine Analyse den sogenannten SF12-V2: „Der SF12-Fragebo­ gen ist ein aus dem SF36 hervorgegangener Kurzfragebogen zur Ermittlung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Der SF36 besteht aus insgesamt 36 Einzel­ fragen, die zunächst zu acht Subskalen und dann zu zwei übergeordneten Di­ mensionen (körperliche Gesundheit und geistige Gesundheit) zusammengefasst werden können (für Details siehe: Ware et al. 2001, sowie die im Literaturver­ zeichnis angegebenen Webseiten). Der SF12 beinhaltet nur 12 der 36 Items, um­ spannt aber trotzdem (mit jeweils einem oder zwei Einzelitems) das komplette Feld der acht Subskalen und der beiden Oberdimensionen ‚Physical health‘[sic] und Mental Health‘. Sowohl beim SF36 wie beim SF12 werden in der zweiten Version im Unterschied zu Version 1 bei allen Fragen 3–5 Antwortkategorien vorgegeben“ (Nübling et al., 2006, S. 2).

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Abbildung 16: Bedeutung der Risikoaversion für die Inanspruchnahme

Quelle: Eigene Darstellung.

So könnten risikoaverse Personen zum einen aufgrund ihres Sicherheitsbe­ strebens per se häufiger einen Arzt aufsuchen als risikoaffine Personen (Beispiel A) oder aber aufgrund besserer vorbeugender Maßnahmen eine bessere Gesundheit aufweisen, die sich in einem geringeren Bedarf und somit auch einer geringeren Anzahl an notwendigen Arztbesuchen nieder­ schlägt (Beispiel B). Letztendlich könnten risikoaverse Individuen grund­ sätzlich eher einen vollen Versicherungsschutz bevorzugen als risikoaffine Personen (Beispiel C). Unzureichende Informationen zu diesen Variablen könnten somit zu einer verzerrten Interpretation der Ergebnisse führen. Da sich PKV- und GKV-Versicherte in verschiedenen Aspekten, insbe­ sondere hinsichtlich der ihnen angebotenen Versicherungsverträge und des Gesundheitsstatus, unterscheiden (können), führt Schmitz (2012) für PKV- und GKV-Versicherte separate Regressionen durch. Mittels einer latenten Klassenanalyse identifiziert Schmitz zwei (drei) Klassen, die die Versicherten als „Viel- (Medium-) und Wenig-Nutzer“ kategorisieren.34 Der Einfluss des Versicherungsstatus unterscheidet sich zwischen diesen Klassen. Die Höhe der Inanspruchnahme (Nutzungsverhalten) moderiert demnach den Zusammenhang zwischen dem Versicherungsstatus und der Inanspruchnahme. Zusammenfassend kann sowohl für PKV- als auch für GKV-Versicher­ te festgestellt werden, dass sich der Versicherungsstatus lediglich bei We­

34 Bei GKV-Versicherten findet Schmitz zwei, bei PKV-Versicherten drei latente Klassen.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

nig-Nutzern (bei PKV-Versicherten auch bei Medium-Nutzern) auf die Inanspruchnahme auswirkt. Eine Selbstbeteiligung geht bei PKV-Versi­ cherten ausschließlich mit einer Abnahme der Kontaktwahrscheinlichkeit (- 7,1 Prozentpunkte) einher, bei GKV-Versicherten mit einer Zusatzversi­ cherung erhöht sich hingegen sowohl die Kontaktwahrscheinlichkeit als auch die Kontaktfrequenz leicht (+ 5,8 Prozentpunkte und + 0,5 durch­ schnittliche Arztbesuche). Demnach scheint ein höherer Versicherungs­ schutz die Inanspruchnahme anzuregen. Schmitz verweist jedoch darauf, dass die beobachteten Effekte sehr gering sind. Vor diesem Hintergrund empfiehlt er die modellierten Ergebnisse als Obergrenze des mit Selbst­ beteiligung erreichbaren Steuerungspotenzials zu betrachten (Schmitz, 2012). Grundsätzlich zeigt sich, dass Indikatoren, die den Gesundheitszustand abschätzen sowie bedingt die Risikoeinstellung der Versicherten, die In­ anspruchnahme beeinflussen. Eine geringere Risikoaversion reduziert bei PKV-Versicherten die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen. Die Kontaktfrequenz bleibt davon jedoch unbeeinflusst. Unter GKV-Versicher­ ten wirkt sich die Risikoeinstellung weder auf die Kontaktwahrscheinlich­ keit noch auf die Kontaktfrequenz aus. Durch weitere Tests zeigt Schmitz (2012), dass die Berücksichtigung der Risikoeinstellung (in Kombination mit weiteren sozioökonomischen Variablen) das Problem der Endogenität verringert. Aus dem Ergebnis, dass Personen, die eine hohe Inanspruch­ nahme zeigen, nicht auf Zuzahlungen reagieren, schlussfolgert Schmitz (2012), dass diese Personen unabhängig von der Zuzahlung einen Bedarf an Arztbesuchen haben und Zuzahlungen für diese Gruppe eher mit der Auflösung des Risikopools einhergehen als die Effizienz zu steigern. 3.4.1.6 Zusammenfassung der Evidenz zur Wirkung der Versicherungsmodalität in Deutschland Die dargelegten Studien zeigen zum einen, dass die Entscheidung ob, und die Entscheidung wie oft Individuen einen Arzt aufsuchen, in Form der Kontaktwahrscheinlichkeit und Kontaktfrequenz separat analysiert werden sollten. Darüber hinaus zeigt sich, dass Haus- und Facharztbesuche (Pohl­ meier & Ulrich, 1995) sowie die Inanspruchnahme von Hospitalisierun­ gen und Arztbesuchen von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden (Hullegie & Klein, 2010; Riphahn et al., 2003). Die Analysen des Einflusses des Versicherungsschutzes auf die Inan­ spruchnahme sowohl ambulanter als auch stationärer medizinischer

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Dienstleistungen zeigen, dass der Versicherungsschutz keinen (Hullegie & Klein, 2010; Schmitz, 2012; Riphahn et al., 2003) oder nur einen geringen (Pohlmeier & Ulrich, 1995; Geil et al., 1997) Einfluss auf die Inanspruch­ nahme hat. Darüber hinaus fällt auf, dass sich der Gesundheitszustand konsistent als signifikanter Einflussfaktor auf die Inanspruchnahme erweist (Pohlmeier & Ulrich, 1995; Geil et al., 1997; Riphahn et al., 2003; Schmitz, 2012). Auch sozioökonomische Faktoren wie der Erwerbsstatus, das Alter, das Geschlecht, aber auch Elternschaft beeinflussen die Inanspruchnahme. Faktoren, die das Angebot oder die mit dem Angebot oder den Rahmenbe­ dingungen verbundenen Opportunitätskosten abbilden, beeinflussen die Inanspruchnahme ebenfalls. Interessant ist auch, dass Riphahn et al. (2003) hinsichtlich des Einflus­ ses des Versicherungsstatus auf die Hospitalisierung zu gleichen Ergebnis­ sen kommen wie Geil et al. (1997), diese jedoch entgegengesetzt interpre­ tieren und trotz statistisch nicht signifikanter Ergebnisse das Vorliegen eines moral hazards durch die GKV-Versicherung nicht ausschließen. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Herausforderung der Selektion bei der Analyse des Versicherungsstatus im Zeitverlauf größere Aufmerksamkeit erhalten hat. Die angewandten Methoden zur Berücksichtigung der Selek­ tionseffekte variieren jedoch und erschweren somit auch die Vergleichbar­ keit der Ergebnisse miteinander. Tabelle 3 fasst die dargelegten Studien zusammen und listet die ab­ hängige, die jeweils berücksichtigten unabhängigen Variablen sowie die verwendete Datenbasis, Besonderheiten und Limitationen der jeweiligen Analyse auf. Grau hervorgehoben sind hierbei die signifikanten unabhän­ gigen Variablen. Die Tabelle zeigt zum einen das breite Spektrum der berücksichtigten unabhängigen und abhängigen Variablen auf. Darüber hinaus zeigt sich, dass Variablen, die den Einfluss des Versicherungsstatus abbilden, scheinbar lediglich in Subgruppen – wie etwa bei Versicherten, die ohnehin wenig medizinische Leistungen in Anspruch nehmen – einen signifikanten, jedoch kleinen, Effekt haben. Dabei wird eher die Kontakt­ wahrscheinlichkeit, also die Entscheidung, ob ärztliches Fachpersonal auf­ gesucht wird, als die Kontaktfrequenz beeinflusst.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

Tabelle 3: Zusammenfassung der empirischen Evidenz zum Einfluss des Versicherungsschutzes

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

3.4.2 Einfluss der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme Im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes wurde im Jahr 2004 die Praxisgebühr eingeführt. Beim ersten Besuch eines Arztes oder Zahnarztes im Quartal musste einmalig eine Gebühr in Höhe von 10 Euro entrichtet werden. Für darauffolgende, innerhalb dieses Quartals getätigte, Arztbe­ suche bei diesem Arzt wurde keine Gebühr erhoben. Im Falle eines Be­ suchs eines weiteren Hausarztes oder eines Facharztes ohne Überweisung mussten Versicherte jedoch erneut 10 Euro bezahlen. Die Gebühr musste von allen Versicherten ab der Vollendung des 18. Lebensjahres entrichtet werden. Bei Schutzimpfungen (§ 23 Abs. 9 SGB V), Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten (§ 25 SGB V) sowie zahnärztlichen Kon­ trollbesuchen (§ 55 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V) und der Schwangerschafts­ vorsorge entfiel die Gebühr (§ 196 Abs. 1 RVO). Bei der Evaluation der Praxisgebühr wurde insbesondere der Frage, ob durch die Praxisgebühr lediglich Finanzierungs- oder auch Steuerungs­ effekte, und falls ja, in welchen Gruppen, erzielt wurde, besondere Auf­ merksamkeit zuteil. Insbesondere eine Benachteiligung von Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status wurde befürchtet und die soziale Abfederung der Praxisgebühr hinterfragt (Brenner et al., 2005; Rückert et al., 2008). Eine erste deskriptive Analyse der Praxisgebühr zu Beginn des Jahres 2005 des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung in der Bundesre­ publik Deutschland (ZI) verglich die Arztkontakte und Behandlungsfälle (mindestens ein Arztkontakt pro Quartal) aus dem Jahr 2003 mit denen des Jahres 2004 (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, 2005). Die Stichprobenerhebung zeigte über die vier Quartale des Jahres 2004 einen Rückgang der Behandlungsfälle in allen Arztgruppen. Auch die Anzahl der Praxiskontakte wurde reduziert, jedoch in geringerem Maße. Die Daten zeigten, dass die Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme bei Fällen mit hohem Kontaktbedarf scheinbar einen geringeren Einfluss aufweist, und der Rückgang der Fallzahlen und der Arztkontakte insbesondere in der Gruppe der 20- bis 39-Jährigen fest­ zustellen war (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, 2005). Reiners & Schnee (2007) kommen in ihrer Analyse auf Basis von bevölkerungsrepräsentativen Befragungen im Querschnittsdesign der Bertelmanns Stiftung („Healthcare Monitor“) aus dem Jahre 2007 zu der Einschätzung, die Effekte der Praxisgebühr, respektive die von ihr ausgehende Steuerungswirkung, sei nicht gleichmä­ ßig verteilt. Wahrscheinlich seien Versicherte mit niedrigem sozio-ökono­

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

mischen Status eher von der Gebühr betroffen und würden Arztbesuche eher aufschieben oder vermeiden (Reiners & Schnee, 2007). Diese ersten Analysen waren jedoch rein deskriptiver Natur und bilde­ ten lediglich kurzfristige Effekte ab. Etwaige mittel- oder langfristige Effek­ te sowie weitere Einflussfaktoren wurden in den folgenden Jahren jedoch auf Basis umfangreicher Befragungsdaten, wie dem SOEP sowie mittels Abrechnungsdaten von Krankenkassen durch ökonometrische Verfahren untersucht. 3.4.2.1 Grabka et al. (2005) Die erste Analyse zu den Wirkungen der Praxisgebühr wurde bereits ein Jahr nach ihrer Einführung, im Jahr 2005, von Grabka et al. (2005) durchgeführt. Die Autoren vergleichen mittels logistischer Regressionen die im Rahmen des SOEPs erhobene Anzahl an Arztbesuchen im Jahr 2003, demnach im Jahr vor der Einführung der Praxisgebühr, mit der Anzahl der Arztbesuche im Jahr 2004, um eine etwaige durch die Praxisge­ bühr erzielte Verhaltensänderung zu untersuchen. Ihre Analysen zeigen, dass der Anteil von Personen, die einen Arzt aufsuchen, relativ konstant bleibt. Während im Jahr 2003 im Mittel etwa 70 % der Befragten angaben, in den letzten drei Monaten einen Arzt aufgesucht zu haben, lag dieser Anteil im Jahr 2004 bei etwa 68,8 %. Die durchschnittliche Zahl der Arzt­ kontakte in den letzten drei Monaten reduzierte sich von 2003 auf 2004 hingegen um 8,8 % von 3,9 auf 3,6 und wird von den Autoren als eine spürbare Reduktion interpretiert. Um die Gründe für diesen Rückgang zu ermitteln, betrachten die Autoren Personen, die im Jahr 2003 zum Arzt gingen und 2004 keinen Arzt aufsuchten, genauer. Einflussfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit, keinen Arzt aufzusuchen, oder weniger Arzt­ besuche als im Jahr 2003 in Anspruch zu nehmen, stellen zum einen das Alter, der subjektiv empfundene Gesundheitszustand, ein nicht vorhande­ ner Berufsabschluss und der Wohnort Westdeutschland dar. Die weiteren signifikanten Einflussfaktoren Vollzeit-Erwerbstätigkeit, Selbstständigkeit und männliches Geschlecht können nach Grabka et al. (2005) einen Hin­ weis auf vergleichsweise höhere Opportunitätskosten darstellen. Keinen Rückgang der Arztbesuche finden Grabka et al. (2005) bei Personen mit Schwerbehinderung oder schlechtem subjektiven Gesundheitszustand. Aus dieser Stabilität schlussfolgern die Autoren, dass die Inanspruchnah­ me notwendiger Arztbesuche durch die Praxisgebühr nicht beeinflusst wird und diese somit den intendierten steuernden Effekt erzielt hat. Auf

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Basis dieser Analyse, so die Autoren, können keine Hinweise für die Be­ nachteiligung von Personen mit geringem sozialem Status gefunden wer­ den. Interessant ist jedoch, dass sich in der Kontrollgruppe der PKV-Versi­ cherten ähnliche Effekte zeigen, obwohl die Praxisgebühr diese Gruppe nicht betrifft. Sie verweisen in diesem Kontext auf eine Analyse der Regu­ lierung des GKV-Arzneimittelmarkts von Busse et al. (2005), die gezeigt hat, dass sich in der GKV implementierte Reformen indirekt auch auf die PKV auswirken können. Des Weiteren merken die Autoren an, dass der Ef­ fekt nicht zweifelsfrei auf die Praxisgebühr zurückgeführt werden kann, da im gleichen Zeitraum nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel aus dem GKV Leistungskatalog entfernt wurden und die Notwendigkeit eines Arztbe­ suchs für einige Personen somit grundsätzlich nicht mehr gegeben war (Grabka et al., 2005). 3.4.2.2 Augurzky et al. (2006) Augurzky et al. (2006) analysieren die Einführung der Praxisgebühr als ein natürliches Experiment. Da PKV-Versicherte und jugendliche GKV-Versi­ cherte keine Praxisgebühr entrichten mussten, vergleichen die Autoren die Inanspruchnahme volljähriger PKV-Versicherter mit der Inanspruchnah­ me volljähriger GKV-Versicherter sowie die Inanspruchnahme 17-jähriger GKV-Versicherter mit der 17-jähriger PKV-Versicherter. Im Rahmen eines Difference-in-Difference-Ansatzes (DiD-Ansatz) zielen die Autoren darauf ab, den kausalen Effekt der Praxisgebühr auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs zu ermitteln. Die volljährigen PKV- sowie 17-jährigen GKVVersicherten stellen hierbei jeweils die Kontrollgruppe dar. Die Autoren nutzen wie Grabka et al. (2005) Daten des SOEPs der Jahre 2003 sowie 2005, um die Inanspruchnahme vor und nach Einführung der Praxisge­ bühr zu analysieren. Ihre deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass die Wahr­ scheinlichkeit des Arztbesuchs für erwachsene GKV-Versicherte zwischen 2003 und 2005 relativ konstant geblieben ist. Für jugendliche GKV-Versi­ cherte und PKV-Versicherte nahm die Wahrscheinlichkeit geringfügig zu. Die Angaben zur Anzahl der Arztbesuche der letzten drei Monaten sank von 2003 auf 2005 um 3 %. Mittels der DiD-Schätzung, die eine Kontrolle individueller Heterogeni­ tät ermöglicht, kann zusammenfassend jedoch kein signifikanter Effekt der Praxisgebühr auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs ermittelt werden. Augurzky et al. (2006) finden auch in ihren Subgruppenanalysen nach Geschlecht, Bildung, Einkommen oder Region keinen Effekt der Pra­

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

xisgebühr. Sie mutmaßen, dass dies auf die Ausgestaltung der Praxisgebühr zurückgeführt werden könnte und verweisen auf Daten aus Nordamerika, die zeigen, dass eine bei jedem Arztkontakt zu entrichtende Gebühr einen effektiveren Einfluss auf die Inanspruchnahme haben kann, selbst wenn die Gebühr deutlich geringer ist als die in Deutschland (Augurzky et al., 2006).35 3.4.2.3 Rückert et al. (2008) Rückert et al. (2008) untersuchen die Auswirkungen der Praxisgebühr mit Fokus auf eine Vermeidung oder Verschiebung eines Arzttermins auf Basis von sechs Wellen des „Healthcare Monitors“ aus den Jahren zwischen 2004 und 2006. Mittels logistischer Regressionsmodelle können die Autoren über alle Befragten hinweg einen Einfluss des Alters und des Einkommens, jedoch keinen Einfluss des Geschlechts oder des subjektiven Gesundheits­ zustandes auf die Vermeidung oder Verschiebung eines Arzttermins fest­ stellen. Ihre Analyse zeigt, dass nach der Einführung der Praxisgebühr insbeson­ dere jüngere Personen Arztbesuche hinausgezögert oder diese gar unterlas­ sen haben. Personen mit einer chronischen Erkrankung gaben seltener an, einen Arztbesuch vermieden oder aufgeschoben zu haben, der Unterschied zu Personen ohne chronische Erkrankung ist jedoch gering. Die Ergeb­ nisse der Autoren bestätigen die auf Basis des Healthcare Monitors von Reiners & Schnee (2007) gezogene Schlussfolgerung, dass Personen der niedrigsten Einkommensgruppe Termine eher hinauszögern oder nicht wahrnehmen als Individuen in höheren Einkommensgruppen. Sie berich­ ten 2,5 mal so häufig, einen Arzttermin vermieden oder aufgeschoben zu haben wie Individuen der höchsten Einkommensgruppe. Ihre Analyse zeigt grundsätzlich, dass der Anteil der Personen, die einen Arztbesuch aufschieben oder nicht wahrnehmen nach Einführung der Praxisgebühr zunächst zugenommen hat, sich im Jahr 2006 jedoch wieder auf dem Niveau vor Einführung der Praxisgebühr einpendelt. Der Zusammenhang zwischen Einkommen und der Inanspruchnahme oder Verzögerung von Arztbesuchen bleibt über alle Wellen und Analysen hinweg jedoch kon­ stant. Darüber hinaus zeigt sich auch, dass die Auswirkungen der Praxisge­ bühr je nach sozioökonomischer Gruppe unterschiedlich ausfallen. Die 35 Die Quelle dieser Erkenntnis für Nordamerika wird von den Autoren nicht angegeben.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Autoren verweisen auf die Notwendigkeit von Längsschnittdaten, um die Auswirkungen der Praxisgebühr adäquat einschätzen zu können. Insbe­ sondere Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsergebnisse sollten ihrer Einschätzung nach untersucht wer­ den. Sie vermuten, dass die Praxisgebühr auf beide Dimensionen negative Auswirkungen hat und diese somit zur Verstetigung oder Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheiten beitragen könnte (Rückert et al., 2008). 3.4.2.4 Schreyögg & Grabka (2010) Schreyögg & Grabka (2010) gehen in ihrer Analyse der Effekte der Pra­ xisgebühr ähnlich wie Augurzky et al. (2006) vor und betrachten die Praxisgebühr als ein natürliches Experiment und vergleichen im Rahmen einer DiD Schätzung PKV- mit GKV-Versicherten. Sie nutzen ebenfalls das SOEP, weiten den Beobachtungszeitraum jedoch aus und betrachten mit den Jahren 2002 und 2003 sowie den Jahren 2005 und 2006 die Inan­ spruchnahme jeweils zwei Jahre vor und zwei Jahre nach der Einführung der Praxisgebühr. Schreyögg & Grabka (2010) analysieren, inwiefern die Praxisgebühr grundsätzlich zu einer Reduktion der Arztkontakte geführt hat und überprüfen zudem, ob benachteiligte Gruppen in besonderem Maße von der Gebühr beeinflusst werden. Hinsichtlich der Reduktion der Arztbesuche betrachten sie zwei voneinander losgelöste Effekte. Zum einen, die Wahrscheinlichkeit überhaupt (zum ersten Mal in einem Quar­ tal) einen Arzt aufzusuchen und zum anderen die Entscheidung, wie oft darauffolgend in diesem Quartal ein Arzt oder eine Ärztin aufgesucht wird. Ihre Hypothese ist, dass die Anzahl der Arztbesuche sinken könnte, da die Transaktionskosten für die Beschaffung der Erlaubnis, einen ande­ ren Arzt aufzusuchen (Überweisung) gestiegen sind. Zusammenfassend können sie konträr zu Rückert et al. (2008) keine Reduktion der Wahr­ scheinlichkeit eines Arztbesuchs und somit auch keine abschreckende Wir­ kung der Gebühr für Personen mit niedrigem Einkommen oder einer chronischer Erkrankung feststellen. Dieser Unterschied kann vermutlich auf die unterschiedliche Datenbasis zurückgeführt werden (Schreyögg & Grabka, 2010).

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

3.4.2.5 Farbmacher &Winter (2013) Farbmacher & Winter (2013) nutzen zwei verschiedene Datenquellen und analysieren die Inanspruchnahme vergleichend auf Basis von Abrech­ nungsdaten der AOK Hessen und Daten des SOEPs. Während die Abrech­ nungsdaten eine exakte Auskunft über die Anzahl und den Zeitpunkt der Arztbesuche geben können, ermöglicht das SOEP die Berücksichtigung verschiedener sozioökonomischer Variablen und gewährt die Vergleich­ barkeit mit weiteren auf Basis des SOEPs durchgeführten Analysen. Um die Inanspruchnahme der Versicherten und der Befragten vor der Einfüh­ rung der Reform mit dem Verhalten nach der Reform zu vergleichen, nutzen Farbmacher & Winter (2013) Abrechnungsdaten der Jahre 2002 und 2004, und Daten des SOEPs der Jahre 2002 und 2003 sowie der Jahre 2005 und 2006. Die Abrechnungsdaten der AOK Hessen analysieren Farbmacher und Winter auf ähnliche Weise wie Augurzky et al. (2006) und vergleichen die Inanspruchnahme von 16- und 17-Jährigen mit der Inanspruchnahme von 19- und 20-Jährigen. Die SOEP Daten nutzen sie, um die Inanspruchnahme von 19- bis 60-jährigen GKV-Versicherten mit dem Inanspruchnahmeverhalten gleichaltriger PKV-Versicherter zu vergleichen, deren Inanspruchnahme nicht von der Einführung der Praxis­ gebühr beeinflusst werden sollte. Ihre Ergebnisse zeigen zunächst keine Effekte der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme auf Basis des SOEPs. Die Autoren erweitern die Analyse in einem nächsten Schritt jedoch um einen bis dato nicht berücksichtigten Aspekt. Die Autoren führen an, dass der Interviewzeitraum des SOEPs zumeist nicht mit dem Abrech­ nungsquartal der Krankenkassen übereinstimmt. Dies führe dazu, dass Personen, die beispielsweise Mitte August, also in der Mitte des dritten Ab­ rechnungsquartals (Juli, August, September) befragt werden, bei der Frage nach der Anzahl der Arztbesuche in den letzten drei Monaten Auskunft über die Inanspruchnahme von Mitte Mai bis Mitte August und somit auch über einen Teil des zweiten Quartals geben (April, Mai, Juni). Sie zei­ gen anhand der Abrechnungsdaten der AOK, dass 45 % der Versicherten bereits in der ersten Hälfte des zweiten Quartals einen Arzt aufgesucht haben und für einen nicht unerheblichen Teil der Befragten ein Besuch in der zweiten Hälfte des zweiten Quartal aufgrund der nicht linearen Ausgestaltung somit nicht (mehr) mit Kosten verbunden ist. Dieser „Mis­ match“ zwischen Abrechnungs- und Befragungsquartal führe dazu, dass in vorangegangenen Analysen eine heterogene Stichprobe untersucht wurde. Diese enthielt sowohl Versicherte, die die Praxisgebühr in untersuchtem Quartal bereits entrichtet haben, und für die ein Besuch mit keinen wei­

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

teren monetären Kosten verbunden ist, als auch Versicherte, die noch keinen Arzt aufgesucht haben, und für die ein Besuch mit der Zahlung der Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro verbunden wäre. Um für diesen Effekt zu kontrollieren, analysieren Farbmacher & Winter (2013) im nächsten Schritt ausschließlich Befragte, die am Ende eines Abrechnungsquartals befragt wurden. Werden lediglich diese Befrag­ ten berücksichtigt, können die Autoren einen 4%-igen Rückgang der Wahrscheinlichkeit einen Arzt aufzusuchen, feststellen. Auf Basis der Ab­ rechnungsdaten zeigt sich, dass der Effekt der Praxisgebühr bei den 16bis 20-Jährigen noch größer ist. So reduziert sich die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs in dieser Altersgruppe um 8 Prozent, was sich auch in einem Rückgang der Anzahl der Arztbesuche um 9 Prozent nieder­ schlägt. Farbmacher und Winter kritisieren, dass sich die Abschaffung der Praxisgebühr auf Analysen stützte, die das Mismatch von Abrechnungsund Befragungszeitraum nicht berücksichtigten. Aufgrund der von ihnen auf Basis eines um diesen Mismatch bereinigten Datensatzes gefundenen Effekte der Praxisgebühr heben sie hervor, dass auch kleine, einmalige Gebühren ihrer Analyse nach zumindest die kurzfristige Nachfrage nach Gesundheitsleistungen senken können. 3.4.2.6 Farbmacher et al. (2013) Im Jahr 2013 publizieren Farbmacher et al. (2013) mit weiteren Autoren eine zusätzliche Analyse der Praxisgebühr auf Basis von Abrechnungsdaten der größten Krankenkasse36 aus den Jahren 2002 bis 2005. Der Fokus der Analyse liegt auf der Nicht-Linearität der Praxisgebühr und die damit einhergehenden heterogenen Effekte in unterschiedlichen Gruppen (Farb­ macher et al., 2013). Die Autoren argumentieren analog zu Farbmacher & Winter (2013), dass die monetären Kosten der Gebühr lediglich beim ersten Besuch innerhalb eines Quartal anfallen, darauffolgende Besuche innerhalb dieses Quartals jedoch mit keinen weiteren Kosten verbunden sind. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass die Wirkung der Pra­ xisgebühr davon abhängt, wie vorausschauend Individuen handeln. Falls Individuen vorausschauend agieren, sollte ihre Reaktion auf die Praxis­

36 Die Autoren nennen die Krankenkasse nicht, verweisen jedoch darauf, dass ihre Stichprobe eine 18,75 prozentige Stichprobe aller hessischen Versicherten der Krankenkasse in Hessen abbildet. Wahrscheinlich nutzen die Autoren demnach, wie Farbmacher und Winter (2013), Abrechnungsdaten der AOK Hessen.

100

3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

gebühr von der erwarteten Wahrscheinlichkeit, einen Arzt besuchen zu müssen, abhängen. Bei Individuen, die erwarten innerhalb eines Quartals definitiv einen Arzt aufsuchen zu müssen, sollte die Praxisgebühr keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs, beziehungsweise des ersten und somit kostenpflichtigen Arztbesuchs eines Quartals, haben. Andere Personen werden jedoch davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich keinen Arztbesuch innerhalb eins Quartals benötigen werden. Dies führe dazu, dass diese Gruppe wahrscheinlich ein größeres Interesse daran habe, etwaige nicht zwingend notwendige Arztbesuche, zu vermeiden. Farbmacher et al. (2013) gehen demnach davon aus, dass es mindestens zwei Gruppen gibt, die unterschiedlich auf die Praxisgebühr reagieren. Mittels einer latenten Klassenanalyse identifizieren die Autoren zwei Klas­ sen, die unterschiedlich auf die Praxisgebühr reagieren. Insgesamt 64 Pro­ zent der Individuen können der Klasse zugeordnet werden, die nicht auf die Reformmaßnahme reagiert und 36 Prozent der Personen der Klasse, die auf die Praxisgebühr reagiert. Die Wahrscheinlichkeit dieser Gruppe keinen Arzt aufzusuchen, reduziert sich – verglichen mit der Wahrschein­ lichkeit im Jahr 2003 – im Jahr 2004 um sechs Prozentpunkte und im Jahr 2005 um acht Prozentpunkte. Die Analyse der individuellen Charakteristika der einzelnen Klassen zeigt, dass sich insbesondere bei Personen, die ihren Gesundheitszustand schlecht bewerten, die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs durch die Praxisgebühr nicht verändert. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass die Gebühr bei Individuen mit schlechtem Gesundheitszustand keine Verhal­ tensänderung bedingt, beziehungsweise, dass sich der Anreiz der Gebühr insbesondere bei gesunden Personen entfalten kann. Die Autoren weisen darauf hin, dass bei der Analyse von Gesundheitsreformen oftmals ledig­ lich der durchschnittliche Effekt betrachtet würde, ohne Heterogenität zu berücksichtigen, dies jedoch zu falschen Politikimplikationen führen könne.37

37 Sie verwiesen hierbei auf Winkelmann (2006), der die Effekte der verschärften Zuzahlungsregelungen für Medikamente – die mit der Gesundheitsreform 1997 einhergingen – auf die Anzahl der Arztbesuche mit Daten des SOEPs analysiert. Er führt eine Quantil-Regression durch und präsentiert Ergebnisse, die sich zwi­ schen unterschiedlichen Gruppen deutlich unterscheiden. Auch Winkelmann (2006) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Fokussierung auf Mittelwerte bei der Analyse von Reformen wichtige Effekte unberücksichtigt lässt.

101

3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

3.4.2.7 Kunz & Winkelmann (2017) Die jüngste Analyse des Einflusses der Praxisgebühr auf die Inanspruch­ nahme von Arztbesuchen stammt von Kunz & Winkelmann aus dem Jahr 2017. Kunz & Winkelmann (2017) nutzen Daten des SOEPs und be­ trachten die Inanspruchnahme von GKV- und PKV-Versicherten der Jahre 2003, 2005, 2011 sowie 2013 und berücksichtigen somit sowohl die Inan­ spruchnahme der Versicherten ein Jahr vor der Einführung als auch ein Jahr nach Abschaffung der Praxisgebühr. Die Zeiträume der Inanspruch­ nahme, in der keine Praxisgebühr erhoben wurde (2003 und 2013) sowie die Inanspruchnahme der PKV-Versicherten in diesem Zeitraum stellt in ihrer Analyse die Grundlage für eine Analyse mittels eines DiD-Ansatzes dar. Die Autoren orientieren sich an den bisher im Bereich der Effekte der Praxisgebühr etablierten Methoden, verweisen jedoch darauf, dass die nicht lineare Ausgestaltung der Praxisgebühr bisher nicht ausreichend be­ rücksichtigt wurde. So führen sie an, dass diese nicht nur zu einer Reduktion der Wahr­ scheinlichkeit eines ersten Arztbesuchs im Quartal führen kann. Sie ar­ gumentieren, dass der Zeitpunkt dieses ersten Arztbesuchs ebenso die Wahrscheinlichkeit der darauffolgenden Besuche reduzieren könnte. Sie nehmen an, dass die Praxisgebühr dazu führt, dass ein Besuch eher gegen Ende eines Quartals erfolgen wird (da die Versicherten versuchen, so lange wie möglich keinen Arzt aufzusuchen), was aufgrund der dann in einem Quartal noch verbleibenden Zeit die theoretisch realisierbare und tatsächlich realisierte Anzahl der darauffolgenden Besuche verringert.38 Da die etablierten Modelle zur Untersuchung der Inanspruchnahme die zwei Stufen des Prozesses jedoch als zwei voneinander unabhängige Prozesse betrachten, wenden sie zusätzlich ein dynamisches Modell an. Dieses be­ rücksichtigt die Pfadabhängigkeit des zweiten Besuchs durch die Modellie­ rung des ersten Besuchs im Quartal zu einem zufälligen Zeitpunkt. Kunz & Winkelmann (2017) können in keinem der von ihnen ange­ wandten Modelle einen Einfluss der Praxisgebühr auf die Inanspruchnah­ me feststellen. Sie führen an, dass ihre Ergebnisse denen von Augurzky et al. (2006) sowie von Schreyögg & Grabka (2010) entsprechen, jedoch

38 Auch wenn Kunz & Winkelmann (2017) nicht explizit darauf verweisen, scheint die Annahme vor dem Hintergrund der von Farbmacher & Winter (2013) ermit­ telten 45 %, die in der ersten Hälfte des Quartals Q2 im Jahr 2002 zum Arzt gingen, plausibel.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

noch weitere Einblicke in die Abhängigkeit zwischen dem ersten und darauf nachfolgenden Besuchen geben. 3.4.2.8 Zusammenfassung der vorliegenden Evidenz zur Wirkung der Praxisgebühr in Deutschland Von den vorgestellten sieben Analysen der Praxisgebühr der Jahre 2005 bis 2017 finden zwei Analysen (Grabka et al. 2005; Farbmacher & Winter 2013) für alle betrachteten Personen signifikante Effekte der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme von Arztbesuchen. Zwei weitere Analysen kön­ nen zwar signifikante, jedoch lediglich sehr geringe oder nur in Teilgrup­ pen vorhandene Effekte der Praxisgebühr auf die Inanspruchnahme zeigen (Farbmacher et al., 2013; Rückert et al., 2008). Drei weitere Analysen zei­ gen keinen Einfluss der Praxisgebühr auf die Wahrscheinlichkeit oder die Anzahl von Arztbesuchen (Augurzky et al., 2006; Kunz & Winkelmann, 2017; Schreyögg & Grabka, 2010).Tabelle 4 gibt einen Überblick über die Analysen zur Wirkung der Praxisgebühr.

Jahr 2017 2014

Winkelmann Kunz & Winkelmann Autor

Tabelle 4: Zusammenfassung der empirischen Evidenz zum Einfluss der Praxis­ gebühr Fragestellung

Fokus und Metho­ dik

Änderung der In­ anspruchnahme auf die Anzahl Arztbesuche pro Quartal

Besonderer Fokus auf die Modellie­ rung der Nicht-Li­ nearität der Zuzah­ lung.

Auswirkungen auf die Anzahl der Arztbesuche.

Kombination eines strukturellen Nach­ fragemodells der SOEP 2003 Nachfrage im und 2005 Gesundheitswesen mit DiD-Ansatz.

Daten

SOEP 2003, 2005, 2011, 2013

Ergebnis

In keiner der verschiedenen Modelle konnte ein statisti­ scher signifikanter Einfluss auf die Anzahl der Arztbesuche ge­ funden werden.

Bei Berücksichtigung unbeob­ achtbarer Heterogenität kein Effekt.

103

Jahr 2013 2010

Überprüfung, ob Anzahl der Arzt­ besuche effektiv reduziert wurde, und ob die Pra­ xisgebühr für Personen mit niedrigem Ein­ kommen und chronischer Er­ krankung ab­ schreckend wirkt.

104

2010

2013

Farbmacher et al. Autor

Untersuchung des Einflusses der Praxisgebühr mit besonderem Fokus auf die Be­ sonderheit von Umfragedaten

Farbmacher

Grabka & Schreyögg Farbmacher & Winter

3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells Fragestellung

Fokus und Metho­ dik

Daten

Ergebnis

Untersuchung, ob nichtlineare Preispläne hete­ rogene Auswir­ kungen auf die Nachfrage im Gesundheitswe­ sen haben. Ein­ fluss auf die Wahrscheinlichkeit, in einem Quartal keinen Arzt zu besu­ chen.

Fokus auf die Wir­ kung nicht-linearer Zuzahlungen bei unterschiedlichen Individuen. Annah­ me, dass die Ge­ bühr bei gesunden und kranken Indi­ viduen unterschied­ lich wirkt mit­ tels latenter Klas­ senanalyse.

Abrech­ nungs-daten der größten deutschen Krankenkas­ se 2002 bis 2005

Heterogene Auswirkungen. Für 36 % der Individuen er­ höhte sich die Wahrscheinlich­ keit keines Arztbesuchs um 7 Prozentpunkte, keine Ände­ rung für die weiteren 64 %. Demnach reagiert eine Grup­ pe stark während die ande­ re Gruppe gar nicht reagiert. Insbesondere die relativ Kran­ ken reagieren nicht. Im Durch­ schnitt Reduktion um 3,5 Pro­ zentpunkte. Signifikanter Ein­ fluss der Praxisgebühr auf die Wahrscheinlichkeit, keinen Arzt aufzusuchen.

Vergleich von AOK und SOEP Daten, getrennt nach Altersgrup­ pen. Regressions­ analyse und DiDAnsatz

SOEP 2002– 2003 und 2005– 2006, AOK Daten 2002 und 2004

Reduktion der Anzahl der Arztbesuche in der jüngeren Population um 9 %. Die Wahr­ scheinlichkeit, einen Arzt zu besuchen reduzierte sich über alle betrachteten Quartale hin­ weg um 4 bis 8 Prozentpunkte.

Betrachtung der Praxisgebühr als natürliches Experi­ ment. Vergleich von der Angabe der Arztbesuche zwischen PKV- mit GKV-Versicherten vor und nach Ein­ führung der Praxis­ gebühr mit DiDAnsatz.

SOEP Daten 2000–2003 und 2005– 2006

Keine Reduktion der Wahr­ scheinlichkeit eines Arztbe­ suchs und somit auch keine abschreckende Wirkung der Gebühr für schwache Bevölke­ rungsgruppen.

Einfluss auf Arzt­ kontakte und Einfluss des In­ Betrachtung als terviewtages und natürliches Experi­ Berücksichti­ ment, DiD-Ansatz. gung neuer Zu­ zahlungsregeln.

SOEP 2002– 2003 und 2005– 2006

Signifikanter, aber sehr gerin­ ger Effekt.

Jahr

Daten

Ergebnis

Insbesondere jüngere und ge­ sündere Individuen vermieden Vergleich der Frage Arztbesuche oder schieben die­ Effekt der Praxis­ nach Verzögerung se auf. Individuen in der gebühr auf Ver­ Sechs Umfra­ oder Verzicht eines niedrigsten Einkommensgrup­ zögerung oder gen (zwi­ Arztbesuchs mittels pe sind stärker betroffen als Vermeidung von schen 2004 stratifizierter Ana­ Individuen in höheren Ein­ Arztbesuchen. und 2006) lysen und logisti­ kommensgruppen. Chronisch Besonderer des Bertels­ scher Regressions­ Kranke der untersten Einkom­ Schwerpunkt auf mann He­ modelle. Schwer­ mensgruppe berichten 2.45 verschiedenen althcare Mo­ punkt auf Unter­ (95 % CI: 1,90–3,15) mal so Einkommens­ nitors gruppe mit chroni­ häufig einen Arzttermin ver­ gruppen. scher Erkrankung. mieden oder aufgeschoben zu haben als Individuen der höchsten Einkommensgruppe.

Praxisgebühr als natürliches Expe­ riment. Jugendli­ che und PKV-Versi­ SOEP 2003 cherte als Kontroll­ und 2005 gruppe. Vergleich der Arztbesuche im Jahr 2003 mit 2005 mit DiD-Ansatz.

Wahrscheinlichkeit des Arztbe­ suchs bleibt für erwachsene GKV-Versicherte relativ kon­ stant, für jugendliche GKVVersicherte und PKV-Versi­ cherte nimmt die Wahrschein­ lichkeit etwas zu. Anzahl der Arztbesuche in den letzten drei Monaten sank von 2003 auf 2005 geringfügig um 3 %. Zusammenfassend kein signifi­ kanter Effekt der Praxisgebühr auf die Wahrscheinlichkeit ei­ nes Arztbesuchs, wenn für in­ dividuelle Heterogenität kon­ trolliert wird. Kein Einfluss des Einkommens.

Vergleich der Arzt­ besuche 2004 im Vergleich zu 2003 SOEP 2003 mit verschiedenen und 2004 logistischen Regres­ sionen.

Rückgang der Arztbesuche im Jahre 2004 im Vergleich zum Jahr 2003. Anteil bleibt kon­ stant, auch bei schwerbehin­ derten Personen und Perso­ nen mit schlechtem Gesund­ heitszustand konstant. Schluss­ folgerung: Inanspruchnahme notwendiger Arztbesuche wird durch die Praxisgebühr nicht beeinflusst. Keine Hinweise für die Benachteiligung von Per­ sonen mit geringem sozialem Status.

2005

Kausalen Effekt auf Einfluss der Praxisgebühr auf Arztbesuche untersuchen

Grabka, Schreyögg & Busse

Fokus und Metho­ dik

2008

Fragestellung

2006

Augurzky et al.

Rückert et al. Autor

3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

Verhaltensände­ rung durch Pra­ xisgebühr

105

3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Auf Basis dieser Ergebnisse kann keine eindeutige Aussage darüber ge­ troffen werden, ob die Praxisgebühr lediglich einen Finanzierungs- oder auch einen relevanten Steuerungseffekt hatte. Erschwert wird dies durch die vielfältigen Methoden, die die Ergebnisse vermutlich stark beeinflussen und ihre Vergleichbarkeit erschweren. Aufgrund der in einem Großteil der Analysen nicht gefundenen oder gering ausgeprägten Effekte kann jedoch vermutet werden, dass die Effekte der Praxisgebühr eher gering waren. Das Weiteren kann nicht ermittelt werden, ob die Reduktion der Arzt­ besuche ausschließlich auf die Praxisgebühr oder auch auf den gleichzei­ tigen Ausschluss einiger Medikamente aus dem GKV Leistungskatalog zurückzuführen ist (vgl. bspw. Grabka et al., 2005). Interessant sind die heterogenen Effekte der Praxisgebühr in unter­ schiedlichen Gruppen. So unterscheiden sich die Effekte hinsichtlich des Geschlechts, des Gesundheitszustands und des Alters. Inwiefern auch not­ wendige Arztbesuche, insbesondere von vulnerablen Gruppen, vermieden werden, kann jedoch nicht beantwortet werden. Die Analyse auf Basis des Bertelsmann Healthcare Monitors von Rückert et al. (2008) gibt Hinweise, dass Personen mit niedrigerem Einkommen eher dazu neigen, Arztbesu­ che aufzuschieben oder zu vermeiden, auch wenn sie eine chronische Erkrankung haben. Schreyögg & Grabka (2010) finden jedoch keinen einkommensspezifischen Effekt der Praxisgebühr auf Basis des SOEPs. Etwaige langfristige Effekte auf die Gesundheit können mittels dieser Daten grundsätzlich nicht ermittelt werden. Auffällig ist jedoch, dass diese Problematik in keiner der Veröffentlichungen angesprochen wurde. 3.4.3 Wahltarife Wie in Kapitel 2.3 dargelegt, wurde den Gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetz einerseits die Pflicht zuteil und andererseits die Möglichkeit zugestanden, ihren Versicherten Wahltarife anzubieten. Tarife für besondere Versorgungsformen und KrankengeldWahltarife stellen obligatorische, alle weiteren Tarife optionale Tarife dar. Die verschiedenen Ausgestaltungsvarianten werden in § 53 SGB V definiert und können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Selbstbehalttarif: Mitglieder tragen selbst einen Teil der Kosten, die anderenfalls die Krankenkasse übernehmen würde. Die Mitglieder er­ halten hierfür eine vorab definierte Prämie (§ 53 Abs. 1 SGB V).

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

2. Tarife für die Nichtinanspruchnahme von Leistungen: Prämienzah­ lung, wenn bis auf Vorsorgeuntersuchungen keine weiteren Leistungen in Anspruch genommen werden (§ 53 Abs. 2 SGB V). 3. Tarife für die Teilnahme an besonderen Versorgungsformen: Die Kran­ kenkasse muss Versicherten, die an sogenannten besonderen Versor­ gungsformen (nach § 63 SGB V, § 73b SGB V, § 137f SGB V oder § 140a SGB V) teilnehmen, vergünstige Tarife oder eine Prämienzahlung an­ bieten (§ 53 Abs. 3 SGB V). Diese Tarife zielen auf eine patientenori­ entierte interdisziplinäre medizinische Versorgung ab, die durch eine enge Kooperation der verschiedenen Sektoren und unterschiedlichen Leistungserbringer (zum Beispiel Haus- und Fachärzte, ärztliche und nichtärztliche Leistungserbringer, Krankenhäuser, Medizinische Ver­ sorgungszentren, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Arztnet­ ze) erreicht werden soll. 4. Kostenerstattungstarife: Der Versicherte übernimmt zunächst die Ver­ gütung des Leistungserbringers und reicht die von ihm bezahlte Rech­ nung bei seiner Krankenkasse ein. Die Krankenkasse kann die Höhe der Erstattung variieren und hierfür verschiedene Prämien fordern (§ 53 Abs. 4 SGB V). Anspruch auf Erstattung besteht jedoch höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sach­ leistung zu tragen hätte. Die Kasse kann Abschläge vom Erstattungsbe­ trag für Verwaltungskosten von höchstens fünf Prozent abziehen. Die Wahl der Kostenerstattung kann auf ausgewählte Versorgungsbereiche beschränkt werden, zum Beispiel auf ambulante, stationäre oder zahn­ ärztliche Leistungen (Bundesministerium für Gesundheit, 2016b). 5. Tarife, die Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen beinhalten: Die Krankenkasse kann die Kosten für Arzneimittel, die von der Regelversorgung ausgeschlossen sind, übernehmen. Hierunter fallen nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) die phytotherapeutische, die homöopathische sowie die anthroposophische Therapierichtung. Sie darf in diesem Fall auch eine spezielle Prämienzahlung durch die Versicherten vorsehen (§ 53 Abs. 5 SGB V). 6. Krankengeld-Wahltarife: Die Gesetzlichen Krankenkassen müssen hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigen und Arbeitern, Ange­ stellten und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeits­ entgelt beschäftigt sind (Versicherte nach § 44 Abs. 2 Nummer 2 SGB V) und Versicherten, die bei Arbeitsunfähigkeit nicht mindestens sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts aufgrund des Entgeltfortzahlungsgesetzes, eines Tarifvertrags, einer Betriebsver­ einbarung oder anderer vertraglicher Zusagen keinen Anspruch auf

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

Krankengeld haben (Versicherte nach § 44 Abs. 2 Nummer 3 SGB V), gemeinsame Tarife anbieten, die einen Anspruch auf Krankengeld ent­ sprechend § 46 Satz 1 SGB V oder zu einem späteren Zeitpunkt entste­ hen lassen. Zudem müssen die Krankenkassen Tarife anbieten, die auch nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Versicherten diesen Anspruch ermöglichen. Die Krankenkasse hat entsprechend der Leistungserweiterung Prämien­ zahlungen des Mitglieds vorzusehen. Die Höhe der Prämienzahlung ist unabhängig von Alter, Geschlecht oder Krankheitsrisiko des Mitglieds festzulegen (§ 53 Abs. 6 SGB V). 7. Wahltarif mit eingeschränktem Leistungsumfang: Der Versicherte zahlt eine Prämie entsprechend der gewählten Leistungsbeschränkung (§ 53 Abs. 7 SGB V). Die Aufwendungen für jeden Wahltarif müssen aus Einnahmen, Einspa­ rungen und Effizienzsteigerungen aus den jeweiligen Wahltarifen nachhal­ tig finanziert werden. Die Beitragsberechnung muss auf einem versiche­ rungsmathematischen Gutachten basieren (§ 53 Abs. 9 SGB V). Bis auf die Teilnahme an besonderen Versorgungsformen haben alle Tarife seit dem Jahr 2011 eine Bindungsfrist von einem Jahr. Bei den Krankengeld- und Selbstbehalttarifen beträgt die Bindungsfrist drei Jahre. Mitglieder, deren Beiträge vollständig von Dritten getragen werden, haben lediglich die Möglichkeit einen Tarif der besonderen Versorgungsformen in Anspruch zu nehmen (AOK-Bundesverband, 2016). Auch wenn sich die Inanspruchnahme der Wahltarife seit deren Einfüh­ rung stetig erhöht hat, kann sie grundsätzlich jedoch als eher gering be­ trachtet werden (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 448). Tabelle 5 stellt die Inanspruchnahme der verpflichtenden und freiwilli­ gen Wahltarife nach § 53 SGB V im Jahresdurchschnitt für das Jahr 2020 dar.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

Tabelle 5: Inanspruchnahme der einzelnen Wahltarife im Jahresdurchschnitt 2020 § 53 SGB V Abs. 1 § 53 SGB V Abs. 2 § 53 SGB V Abs. 3 § 53 SGB V Abs. 4 § 53 SGB V Abs. 5 § 53 SGB V Abs. 6 § 53 SGB V Abs. 7

Teilnehmer

Anteil an allen GKV-Versicherten

471.650 136.020

0,6 % 0,2 %

14.451.693

19,7 %

Selbstbehalt Rückerstattung bei NichtInanspruchnahme Besondere Versorgungsfor­ men Kostenerstattung Übernahme gewisser Arz­ neimittel Krankengeld Leistungsbeschränkung

272.650 48

0,4 % 0,0 %

59.818 14.887

0,1 % 0,0 %

Gesamt

15.224.801

20,8 %

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von Bundesministerium für Gesundheit (2021).

Insgesamt nahmen im Jahresdurchschnitt 2020 etwa 15,2 Mio. GKV-Ver­ sicherte, in etwa 21 % aller GKV-Versicherten, einen der sieben Wahlta­ rife in Anspruch. Ein Großteil der Teilnehmer, etwa 95 % und somit ungefähr 14,4 Millionen Versicherte, nahmen einen Wahltarif nach § 53 Abs. 3 SGB V in Anspruch, der eine besondere, über die Regelversorgung hinausgehende, Versorgung umfasst. Selbstbehalt- und Kostenerstattungs­ tarife, denen das größte Potenzial für eine „sinnvolle Steuerung“ zugespro­ chen wurde und wird, nutzten in Summe 0,7 Millionen GKV-Versicherte. Dies entspricht einem Anteil von 4,9 % an den gesamten Teilnehmern an Wahltarifen und 1 % aller GKV-Versicherten. Interessant ist bei der Betrachtung der Wahltarife nach Absatz 1 und Absatz 2, dass mehr als drei Mal so viele Versicherte einen Selbstbehalttarif wählen, der, anders als Tarife, die eine Rückerstattung bei Nicht-Inanspruchnahme vorsehen, mit einem finanziellen Risiko für die Versicherten verbunden ist.39 Lediglich

39 Die Analyse dieser Zahlen kann an dieser Stelle nur bedingt Aufschlüsse über die wirklichen Anreizmechanismen der einzelnen Tarife geben. Auch wenn ein Großteil der Krankenkassen zur Gewinnung guter Risiken vermutlich zumindest einen Teil der freiwilligen Wahltarife anbietet, gibt es keine Übersicht über die von den einzelnen Krankenkassen angebotenen Wahltarife. So könnte beispiels­ weise der Unterscheid zwischen der Teilnehmerquote an Tarifen nach Abs. 1 und Abs. 2 zum einen auf eine Risikoaffinität bei Versicherten, die grundsätzlich an der Teilnahme an Wahltarifen interessiert sind, hindeuten. Auf Grund der Tatsache, dass Teilnehmer dieser Wahltarife im Durchschnitt jedoch jünger und

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

48 Versicherte nutzen im Jahr 2020 einen Wahltarif nach Absatz 5, der „Arzneimittel der besonderen Therapieeinrichtungen“ umfasst. Die Inan­ spruchnahme dieses Wahltarifs belief sich in den Jahren zuvor lediglich auf wenige Hunderte Versicherte, und wurde aufgrund dieser geringen Nachfrage im Rahmen des 2019 beschlossenen und in Kraft getretenen Ge­ setzes für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) eingestellt. Die in der Statistik aufgeführten 48 Personen sind somit wahrscheinlich die letzten Teilnehmer dieses Tarifs, die sich erst im Jahr 2019 für diesen entschieden hatten. Das Bundesversicherungsamt führt in einem 2018 veröffentlichten Son­ derbericht zum Wettbewerb in der GKV an, dass „die Evaluation der Wirt­ schaftlichkeit von Wahltarifen Schwierigkeiten bereitet und unwirtschaft­ liche Wahltarife nur auf Druck der Genehmigungsbehörden geschlossen werden“ (Bundesversicherungsamt, 2017, S. 146). Die Evaluation könne dabei kaum effizient durchgeführt werden, weswegen über eine Neurege­ lung nachgedacht werden sollte. Des Weiteren kritisiert das Bundesversi­ cherungsamt die unsystematischen Konkurrenzverhältnisses zwischen der GKV und der PKV und betrachtet den Wahltarif zum Selbstbehalt und der Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen kritisch. Im Gesamtergebnis „sieht das Bundesversicherungsamt die Notwendigkeit, den Fortbestand der Wahltarife in der GKV grundsätzlich zu überdenken“ (Bundesversiche­ rungsamt, 2017, S. 146). Inwiefern die geringe Teilnahme an den Wahltarifen insgesamt auf ge­ zielte Werbemaßnahmen der Krankenkassen bei lediglich „guten Risiken“ zurückzuführen ist, oder die Zurückhaltung einer Skepsis gegenüber den Wahltarifen zuzuschreiben ist, kann mittels vorliegender Daten nicht be­ antwortet werden. Ältere Umfragedaten weisen jedoch darauf hin, dass die öffentliche Wahrnehmung der Wahltarife eher negativ ist und sie als eine potenzielle Schwächung des Soildarsystems betrachtet werden (Schul­ ze Ehring & Weber, 2007). Es ist demnach möglich, dass nach wie vor Bedenken dieser Art bei den Versicherten bestehen und eine Teilnahme für diese unattraktiv erscheinen lässt. Die grundsätzlich geringe Inanspruchnahme der Wahltarife in der GKV führt dazu, dass eine valide Analyse dieser Wahltarife vor dem Hinter­

gesünder als Nicht-Teilnehmer sind, eventuell jedoch nicht in großem Ausmaß, da das bei ihnen zu erwartende Risiko relativ gering ist. Zum anderen könnte der Unterschied jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass mehr Krankenkassen einen Tarif nach Abs. 1 als einen Tarif nach Abs. 2 anbieten oder Tarife nach Abs. 1 von den Krankenkassen nachhaltiger beworben werden.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

grund der geringen Fallzahlen mit Paneldaten wie dem SOEP nicht mög­ lich ist. Aufgrund dessen wurden die Wahltarife seit deren Einführung pri­ mär mittels Routinedaten der Krankenkassen evaluiert. Die Wahltarife der gesetzlichen Krankenkassen unterliegen einer Evaluationspflicht. Sie müs­ sen alle drei bis fünf Jahre zumindest hinsichtlich ihrer Kosten evaluiert und dem Bundesversicherungsamt vorgelegt werden. Die Evaluationen sind grundsätzlich nicht frei verfügbar, in den letzten Jahren wurden je­ doch zumindest vereinzelt Analysen der Inanspruchnahme von Wahltari­ fen veröffentlicht. Ähnlich wie bei der Analyse des Versicherungsstatus allgemein (3.1) stellt die Selbstselektion der Teilnehmer eine große Herausforderung bei der Analyse freiwilliger Wahltarife dar. So nehmen insbesondere Perso­ nen mit guten Risikoprofil, die nicht als repräsentativ für die gesamte Versichertengemeinschaft der GKV betrachtet werden können, an solchen Wahltarifen teil. Somit kann eine etwaige niedrigere Inanspruchnahme nicht zwingend auf die Teilnahme am Wahltarif zurückgeführt werden (Werblow, 2002; Winkelhake & John, 2000). 3.4.3.1 Felder & Werblow (2006) Bereits vor der Implementierung der Wahltarife im Rahmen des GKVWSG führte die Techniker Krankenkasse (TK) im Jahr 2003 ein Pilotpro­ jekt zu Wahltarifen durch. Das Programm wurde von Felder & Werblow (2003) ausführlich evaluiert, Pütz & Hagist (2006) stellen die Ergebnisse des Pilotprogramms zusammenfassend dar. Das Pilotprogramm sollte der Untersuchung der Wirkung individueller Wahltarife im Kontext der soli­ darisch ausgerichteten GKV dienen. Zudem sollte gezeigt werden, dass Selbstbehalte einen positiven – im Sinne einer sparsameren Inanspruch­ nahme medizinischer Leistungen – Finanzierungseffekt hervorrufen und ex-post moral hazard reduzieren können. Das Pilotprojekt gewährleistete freiwillig versicherten Mitgliedern einen Beitragsnachlass (Bonus) in Höhe von 240 Euro im Jahr bei Bereitschaft der Übernahme von Kosten bis zu einem Selbstbehalt von 300 Euro pro Jahr. Angerechnet wurden auch die Leistungen der erwachsenen beitragsfrei Mitversicherten, der Selbstbehalt umfasste alle Leistungen, die die TK grundsätzlich hätte bezahlen müssen. Für Hausarzt- und Zahnarztbesuche wurde jedoch eine Pauschale von 20, beziehungsweise 40 Euro erhoben. Vorsorgeuntersuchungen und Leistun­ gen, die Kinder unter 18 Jahren in Anspruch nahmen, wurden nicht auf den Selbstbehalt angerechnet (Pütz & Hagist, 2006).

111

3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

In Summe nahmen etwa 10.000 Personen an dem Programm teil. Um die Effekte des Wahltarifs von denen mit der Selbstselektion der Teilneh­ mer verbundenen Effekte zu unterscheiden, berücksichtigen die Autoren bei der Analyse auch das Inanspruchnahmeverhalten in der Periode vor der Teilnahme an dem Pilotprojekt (die Jahre 2001 und 2002) sowie in­ dividualisierte Daten zu den erhaltenen medizinischen Behandlungen.40 Hinsichtlich der Programmteilnehmer zeigt sich, dass Männer ohne mit­ versicherte Familienangehörige in überdurchschnittlichem Maße an dem Pilotprojekt teilnahmen. Während in der Vergleichsgruppe 82 Prozent männlich waren, bestand die Gruppe der Teilnehmer zu 86 Prozent aus Männern. Von diesen hatten 12 Prozent mitversicherte Partner, wohinge­ gen dies in der Vergleichsgruppe der Nicht-Teilnehmer auf 35 Prozent der Mitglieder zutraf. Nach Pütz & Hagist (2006) stellt diese Gruppe die Grup­ pe mit der höchsten Wechselwahrscheinlichkeit zur PKV dar. Verglichen mit Nicht-Teilnehmern gehörten die Teilnehmer am Programm darüber hinaus vermehrt der Gruppe der 35–44-Jährigen an (52 % zu 36 %) und wiesen in größerem Ausmaß ein Bruttoeinkommen von über 5.000 Euro auf (71 % zu 63 %). Insgesamt 37 Prozent der Teilnehmer besuchten in den Jahren 2002 und 2003 keinen Arzt, weitere 50 Prozent besuchten seltener als drei Mal einen Arzt. Im Jahr 2002 hatten 56 Prozent der Teilnehmer Medikamentenausgaben unter 50 Euro (Pütz & Hagist, 2006). Im Schnitt zahlten die Teilnehmer des Programms 102 Euro Selbstbehalt im Jahr 2003. Etwa 35 Prozent der Teilnehmer stellten keine Rechnung an die TK und zahlten demnach keinen Selbstbehalt. 47 Prozent der Teilnehmer zahlten bis zu 240 Euro und profitierten aufgrund des Bonus somit von der Teilnahme am Tarif. Insgesamt 18 Prozent der Teilnehmer zahlten mehr als 240 Euro und somit mehr als den erhaltenen Bonus. Um bei der Überprüfung der Änderung der Inanspruchnahme zwischen einer Reduktion von moral hazard und einem Selektionseffekt unterschei­ den zu können, modellieren Felder & Werblow (2006) auf Basis des Inanspruchnahmeverhaltens der Jahre 2001 und 2002 das erwartete Ver­ halten der Teilnehmer sowie der Nicht-Teilnehmer für das Jahr 2003. Sie berücksichtigen die Kosten für Hospitalisierungen, Vorsorgeuntersuchun­ gen, Medikamente sowie Anzahl und Art der Arztbesuche. Hinsichtlich der Arztbesuche zeigt sich, dass Teilnehmer sowohl seltener zum Haus­

40 Während sozioökonomische und demografische Variablen für alle Teilnehmer und auch Nicht-Teilnehmer vorhanden waren, lagen die Daten der ambulanten Inanspruchnahme für etwa ein Fünftel der Teilnehmer der Regionen Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen vor (Pütz & Hagist, 2006, S. 228).

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

arzt (6,6 und 5,1 Besuche) als auch seltener zum Facharzt gingen (4,6 und 2,7 Besuche). Die Reduktion der Hausarztbesuche um 23,5 Prozent (1,6 Besuche weniger) und der Facharztbesuche um 42 Prozent (etwa 2 Besuche weniger) interpretieren Pütz & Hagist (2006) aufgrund des durchgeführten Matchings als Beleg für eine Reduktion von moral hazard. Felder & Werblow (2006) verweisen jedoch darauf, dass sich die Anzahl der Hausarztbesuche zwar reduzierte, jedoch kein Rückgang der individu­ ellen Wahrscheinlichkeit eines Hausarztbesuchs festgestellt werden kann. Hinsichtlich der Facharztbesuche kann neben der durchschnittlichen Re­ duktion der Konsultationen auch ein Rückgang der Wahrscheinlichkeit einer Konsultation von 23 Prozent festgestellt werden. 3.4.3.2 Hemken et al. (2012) Hemken et al. (2012) untersuchen den Einfluss eines Wahltarifs mit Selbstbeteiligung auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass die Inanspruchnahme von Versicherten mit Wahltarif geringer ist als die von Nicht-Teilnehmern (Hy­ pothese 1). Zudem gehen sie davon aus, dass die Inanspruchnahme von der Höhe der Selbstbeteiligung beeinflusst wird und eine höhere Selbst­ beteiligung die Inanspruchnahme in stärkerem Maße reduziert (Hypothe­ se 2). Für ihre Analyse nutzen sie Daten der AOK Niedersachsen (AOKN) aus den Jahren 2006 und 2009. Durch die Auswahl dieses Zeitraums soll gewährleistet werden, dass Versicherte bereits vor der Einführung der Wahltarife im Jahr 2007 bei der AOKN versichert waren und nicht auf­ grund des spezifischen Tarifs zur AOKN wechselten. Die Berücksichtigung des gesamten Kalenderjahres 2009 soll dabei, ergänzend zu der Analyse von Felder & Werblow (2006), zur Analyse mittelfristiger Wirkungen von Wahltarifen dienen. Der Wahltarif sieht die Zahlung eines Basisbonus vor. Dieser Bonus wird bei der Inanspruchnahme von Arztbesuchen, die mit der Verschrei­ bung von Medikamenten oder Heil- und Hilfsmitteleinhergehen, oder in eine Krankenhausbehandlung münden, reduziert. Diese Reduktion des Bonus stellt die Selbstbeteiligung der Versicherten dar. Sowohl der Bo­ nus als auch die Selbstbeteiligungen sind einkommensabhängig gestaffelt. Personen mit einem Einkommen von bis zu 2.000 Euro können einen Basisbonus von 140 Euro erreichen, ein Arztbesuch reduziert diesen Bonus pauschal um 35 Euro, eine Krankenhausbehandlung um 70 Euro. Der Wahltarif ist so ausgestaltet, dass ein Bonus ausgezahlt wird, wenn nicht

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

mehr als entweder drei Arztbesuche oder eine Krankenhausbehandlung erfolgt. Im Falle einer höheren Inanspruchnahme beträgt die maximale Summe der Zuzahlung je nach Tarif zwischen 80 und 120 Euro. Die Gruppe der Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer der Wahltarife un­ terschiedet sich stark. So sind Teilnehmer im Schnitt 14 Jahre jünger, in 75 % der Fälle männlich und nahmen im Jahr vor der Teilnahme weniger Leistungen in Anspruch, was sich in niedrigeren durchschnittli­ chen Kosten in Höhe von 1.200 Euro niederschlägt. Um diese Effekte der Selbstselektion zu berücksichtigen, führen Hemken et al. (2012) auf Basis der Variablen Alter, Geschlecht, Einkommen und beruflichem Status ein Matching zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern durch und vergleichen die Inanspruchnahme sowie die damit verbundenen Kosten von jeweils 2.511 Versicherten. Hemken et al. (2012) weisen darauf hin, dass die Inklusion mehrerer vermittelnder oder unabhängiger Variablen, grundsätzlich zwar die Isolierung der Selbstselektion verbessere, gleichzei­ tig jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Matching Partners verringere. Um die Komplexität zu reduzieren, führen die Autoren ein Propensity Score (PS) Matching durch. Für Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer wird dabei ein Propensity Score (PS) bestimmt, der die Wahrscheinlichkeit an dem Tarif teilzunehmen, oder nicht teilzunehmen, widerspiegelt. Die Individu­ en werden auf Basis dieser Wahrscheinlichkeiten miteinander gematcht. Der PS wird auf Basis der Variablen Alter, Geschlecht, Einkommen, beruf­ licher Status, Versicherungsstaus (pflicht- oder freiwillig versichert, Rent­ ner), der persönlichen Identifikationsnummer und der Inanspruchnahme im Jahr 2006 bestimmt. Die Analyse zeigt, dass sich die Ausgaben von den Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern unterscheiden. Im Jahr 2008 lag die durchschnittliche Differenz der Kosten bei 785 Euro, im Jahr 2009 bei 707 Euro. Hemken et al. (2012) weisen darauf hin, dass primär gesunde Individuen an dem Wahltarif teilnehmen und Selbstselektion vorliegt. Sie gehen jedoch da­ von aus, dass sie einen Großteil dieses Effekts isoliert und demnach für ihn kontrolliert haben. Somit interpretieren sie die Effekte als Beleg für das Potenzial von Selbstbeteiligungen zur Reduktion von moral hazard. Limitierend führen sie an, dass etwaige negative Effekte, die aufgrund aufgeschobener notwendiger Arztbesuche auftreten, nicht berücksichtigt werden konnten. Nichtsdestotrotz können ihrer Einschätzung nach die eingesparten Ressourcen für die Verbesserung der Effizienz in der Versor­ gung genutzt werden, auch wenn die Effekte aufgrund etwaiger weiterer, unbeobachtbarer Variablen, die die Inanspruchnahme beeinflussen kön­ nen, eventuell überschätzt werden.

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3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

3.4.3.3 Thönnes (2019) Auf Basis von Abrechnungsdaten zweier Krankenkassen analysiert Thön­ nes (2019) den Effekt des Wahltarifs „Rückerstattung bei Nicht-Inan­ spruchnahme“ auf die Inanspruchnahme der Teilnehmer und die damit verbundenen Kosten. Die Inanspruchnahme wird hierbei differenziert nach Wahrscheinlichkeit und Frequenz eines Haus- oder Facharztbesuchs analysiert. Für die Analyse werden Daten von Teilnehmern und NichtTeilnehmern des Tarifs der Jahre 2006 bis 2010 herangezogen, wobei die Daten der Jahre 2006 bis 2009 primär der Kontrolle verschiedener unab­ hängiger Variablen (bspw. der Inanspruchnahme vorangegangener Jahre) dienen und das Jahr 2010 für die Analyse der Inanspruchnahme genutzt wird. Um den Selektionseffekt zu berücksichtigen, führt die Autorin ver­ schiedene Matching Verfahren und Regressionen durch und nutzt einen Algorithmus, der unbeobachtbare Heterogenität entdeckt und insbesonde­ re in Form verschiedener Interaktionsterme berücksichtigt. Vor Bereini­ gung und Matching der Datensätze weisen die deskriptiven Statistiken auf erhebliche Unterschiede zwischen Teilnehmer und Nicht-Teilnehmern hin. Die Teilnehmer an dem Programm sind eher männlich und kenn­ zeichnen sich durch geringere medizinische Kosten in den Jahren 2006 bis 2008, was sich mit den von Felder & Werblow (2006) ermittelten Cha­ rakteristika der Teilnehmer an dem TK Pilotprogramm deckt. Eine Beson­ derheit der Analyse von Thönnes (2019) liegt in der Berücksichtigung von Diagnoseschlüsseln als unabhängige Variable. Dies ermöglicht erstmalig eine Analyse der Inanspruchnahme in Abhängigkeit der diagnostizierten Erkrankung. Unter der Annahme, dass Arztbesuche, die mit der Diagnose einer Erkältung41 einhergehen, grundsätzlich vermeidbar sind, betrachtet Thönnes (2019) demnach auch die Veränderung von Arztbesuchen, die mit der Diagnose einer Erkältung einhergehen. Ihre Analyse zeigt eine signifikante Reduktion der Wahrscheinlichkeit, einen Hausarzt aufzusuchen, um 2,6 Prozentpunkte. Die Wahrscheinlich­

41 Thönnes (2019) berücksichtigt die ICD-10 Klassifikation (englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) Klassifikation. Dabei betrachtet die Autorin zum einen den Code J00 „Akute Rhinopharyngitis [Erkältungsschnupfen]“ und zum anderen eine Aggregation der Codes J00-J06, die „Akute Infektionen der oberen Atemwege“ darstellen und die Diagnosen J01 „Akute Sinusitis“, J02 „Akute Pharyngitis“, J03 „Akute Tonsilitis“, J04 „Akute La­ ryngitis und Tracheitis“, J05 „Akute obstruktive Laryngitis [Krupp] und Epiglot­ titis“ und J06 „Akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege“.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

keit einen Facharzt zu besuchen, wird um 1,1 Prozentpunkte reduziert, ist jedoch lediglich auf einem Niveau von 10 % signifikant. Die Anzahl der Besuche bei einem Haus-, beziehungsweise Facharzt werden um jeweils 0,2 beziehungsweise 0,3 Besuche und somit um 3,5, beziehungsweise 7,5 Prozentpunkte reduziert. Die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufgrund ei­ nes Erkältungsschnupfens aufzusuchen, nimmt um 0,7 Prozentpunkte ab. Die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt wegen anderer akuter Infektionen der oberen Atemwege zu konsultieren, nimmt um 2,1 Prozentpunkte ab. Die Kosten können durch die geringere Inanspruchnahme um durchschnitt­ lich 7 Euro pro Teilnehmer bei Hausarztbesuchen reduziert werden. Die Kosten für Facharztbesuche hingegen werden nicht beeinflusst. Eine diffe­ renzierte Analyse der Auswirkungen in unterschiedlichen Gruppen zeigt, dass die Effekte des Wahltarifs bei Männern stärker sind. Der Einfluss in der Gruppe der Frauen auf Hausarztbesuche ist in der Subgruppenanalyse nicht mehr signifikant, ebenso wie der Einfluss der Diagnose „Erkältungs­ schnupfen“ (J06), sowie die mit einem Facharztbesuch verbundenen Kos­ ten. Auch die Betrachtung verschiedener Altersgruppen zeigt, dass nicht alle Versicherten in gleichem Maße auf den Wahltarif reagieren. Während unter 34-Jährige und 35- bis 49-Jährige sehr ähnlich auf den Wahltarif reagieren, zeigt sich bei Personen über 50 Jahren kein signifikanter Effekt einer Teilnahme an dem Tarif. Zusammenfassend wertet Thönnes (2015) ihre Ergebnisse zum einen als Beleg für das Vorliegen von moral hazard und zum anderen als Nachweis der Eignung dieses Wahltarifs zur Redukti­ on von moral hazard und Ausgaben. 3.4.3.4 Zusammenfassung der vorliegenden Evidenz zu Wahltarifen in Deutschland Die Analyse von Wahltarifen verdeutlicht zunächst, dass sich die Teil­ nehmer an Wahltarifen deutlich von den Nicht-Teilnehmern unterschei­ den. Somit kann ein Selektionseffekt grundsätzlich bestätigt werden. Im Rahmen der hier dargelegten Studien berücksichtigen die Autoren die­ sen Selektionseffekt über verschiedene statistische Verfahren. Dies ermög­ licht den Vergleich des Inanspruchnahmeverhaltens von Teilnehmern mit Nicht-Teilnehmern, die den Teilnehmern an Wahltarifen gleichen. Die Untersuchungen von Felder & Werblow (2006) sowie Hemken et al. (2012) zeigen unter Anwendung solcher Techniken, dass Teilnehmer eines Wahltarifs eine geringere Inanspruchnahme aufweisen und somit geringere Kosten verursachen als Nicht-Teilnehmer. Auch die Betrachtung

116

3.4 Empirische Evidenz zu Selbstbeteiligungen in Deutschland

von Thönnes (2019) bestätigt eine niedrigere Inanspruchnahme von Teil­ nehmern eines Wahltarifs. Durch die Berücksichtigung der Diagnosen die Analyse von Thönnes (2019) erstmalig eine Einschätzung darüber, ob „vermeidbare“ Arztbesuche reduziert werden. Dabei zeigt sich, dass der Rückgang der Inanspruchnahme nicht lediglich aufgrund vermeidbarer Besuche aufgrund von Erkältungen zurückgeführt werden kann. Tabelle 6 fasst die Kernaussagen der Studien zum Einfluss von Wahltarifen auf die Inanspruchnahme zusammen. Insbesondere die von Felder & Werblow (2006) publizierten Ergebnisse des Pilotprojekts der Techniker Krankenkasse werden von etlichen Auto­ ren als Beleg für das signifikante Kosteneinsparungspotenzial wählbarer Selbstbehalte herangezogen (vgl. bspw. Drevs & Nguyen, 2012; Hemken et al., 2011, 2012; Lange & Steinorth, 2012). Die Ergebnisse des Pilotpro­ jekts weisen jedoch nur eine eingeschränkte Verallgemeinerung auf. So führt Holst (2008) an, dass das Pilotprogramm lediglich einen sehr kleinen Anteil der ohnehin sehr spezifischen Gruppe der freiwillig in der GKV Versicherten, die sich durch ein überdurchschnittliches Einkommen aus­ zeichnen, berücksichtigt.

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Tabelle 6: Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien zum Einfluss von Wahltarifen

3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

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3.5 Inanspruchnahme aus der neoklassischen Perspektive

Die Übertragbarkeit auf die gesamte GKV-Versichertengemeinschaft stellt bei allen vorliegenden Analysen ein Problem dar. Wie dargelegt kann die Gruppe der Versicherten, die an Wahltarifen teilnimmt, nicht als re­ präsentativ für die GKV-Versichertengemeinschaft betrachtet werden. Die­ se Diskrepanz kann auch nicht mittels eines Matching-Verfahrens aufge­ löst werden. So kann auch nur für den Teil der GKV-Versicherten, die eben dieser Gruppe ähneln, eine Aussage getroffen werden. Somit könnte die Möglichkeit bestehen, dass die Inanspruchnahme vergleichsweiser jun­ ger, gesunder, und gutverdienender Männer durch monetäre Anreize ge­ steuert werden kann. Grundsätzlich wäre es jedoch auch möglich, dass notwendige Leistungen aufgrund des monetären Anreizes verschoben oder unterlassen werden. Inwiefern dies mitunter auch langfristige Effekte auf die Gesundheit haben könnte, kann mittels vorliegender Daten nicht eru­ iert werden So betrachten die hier vorgestellten Analysen lediglich ein oder zwei Jahre der Inanspruchnahme, und so können mit der Analyse lediglich kurzfristige Effekte abgebildet werden. Auch eine Analyse des Gesund­ heitszustands der Teilnehmer erfolgt nicht. Insbesondere vor dem Hin­ tergrund langfristiger potenzieller Auswirkungen einer reduzierten Inan­ spruchnahme wäre dieser Aspekt jedoch von besonderer Bedeutung. Nichtsdestotrotz zeigen die Analysen, dass die Teilnehmer eines Wahltarifs im Vergleich zu Nicht-Teilnehmern eine geringere Inanspruchnahme auf­ weisen. 3.5 Inanspruchnahme aus der neoklassischen Perspektive – Abgleich von Theorie und Empirie Der neoklassisch geprägten Sicht, Individuen würden unter einer Vollver­ sicherung überflüssige medizinische Dienstleistungen in Anspruch neh­ men, wird in gesundheitsökonomischen Lehrbüchern und in der gesund­ heitspolitischen Diskussion viel Raum geboten. Die Überinanspruchnah­ me in der Krankenversicherung kann dabei insbesondere mittels neoklassi­ scher Modelle theoretisch sehr gut ab- und hergeleitet und Forderungen nach Selbstbeteiligungen zur Reduktion dieser Inanspruchnahme somit legitimiert werden. Schulenburg & Wieland (1984, S. 631) schätzten die Effekte von Selbstbeteiligungen bereits im Jahr 1984 wie folgt ein: „Die Wirkung dieses Instruments wird besonders evident unter Zuhilfenahme der Modellwelt der Volkswirtschaftslehre“.

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3 Inanspruchnahme aus der Perspektive des neoklassischen Modells

So führen beispielsweise Breyer et al. (2013) in dem Kapitel „Optimale Ausgestaltung von Versicherungsverträgen“ die optimale Ausgestaltung bei Vorliegen von moral hazard auf 20 Seiten aus (ex ante und ex post). Hierbei bleiben die Autoren zu einem Großteil sehr mathematisch. Zu­ dem verweisen sie zur Verdeutlichung der Wirkungen von Selbstbeteili­ gungen auf den empirischen Zusammenhang zwischen Versicherungsde­ ckung und der Inanspruchnahme auf US-amerikanische Studien aus den 1970er und 1980er Jahren42, ziehen daraus jedoch auch Schlussfolgerun­ gen für die Krankenversicherung in Deutschland. Die Problematik liegt jedoch in der Diskrepanz zwischen dem theore­ tisch hergeleiteten und dem tatsächlichen, beobachtbaren Verhalten. So zeigt der Überblick der für Deutschland vorliegenden empirischen Evi­ denz zu verschiedenen Formen der Selbstbeteiligung, dass überwiegend geringe oder keine Effekte auf die Inanspruchnahme nachgewiesen wer­ den können. Da die Überinanspruchnahme grundsätzlich nur indirekt über eben diese Effekte nachgewiesen werden kann, stellt sich somit auch die Frage nach dem Ausmaß von moral hazard in der GKV (Reiners, 2006). Denn auch wenn die Theorie des moral hazards im Bereich des Gesund­ heitswesens plausibel klingt, kann empirisch nicht belegt werden, dass Menschen (im Zweifel unangenehme) medizinische Dienstleistungen le­ diglich in Anspruch nehmen, weil sie Beiträge bezahlen (Schmidt, 2010, S. 25). Auch wenn einzelne Analysen einen Steuerungseffekt von Selbstbetei­ ligungen auf die Inanspruchnahme zeigen und die mittels der neoklassi­ schen Nachfrage nach Gesundheitsleistungen vorhergesagten Effekte teil­ weise eintreten, scheint die Betrachtungsweise aus der neoklassischen Per­ spektive und das Modell des homo oeconomicus nicht geeignet zu sein, um die Inanspruchnahme vollständig abzubilden. Dies stellt jedoch keine gänzlich neue Erkenntnis dar, die Gesundheits­ ökonomen unbekannt ist. Sie sehen es jedoch nicht als ihre (alleinige) Auf­ gabe, sich dieser Herausforderung zu stellen. So verweisen beispielsweise Schöffski & Graf von der Schulenburg (2012) in ihrem Buch „Gesund­ heitsökonomische Evaluationen“ zum einen darauf, dass das Menschen­ bild in den gesundheitsökonomischen Analysen das des homo oeconomi­

42 Auch Breyer et al. (2013) verweisen auf das RAND Experiment und führen an, dass die Inanspruchnahme nach Gesundheitsleistungen signifikant auf den Versicherungsschutz reagiert. Sie verweisen in Ihrem Fazit jedoch darauf, dass der Zusammenhang in diesem Experiment trotzdem gering war.

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3.5 Inanspruchnahme aus der neoklassischen Perspektive

cus darstellt. Zum anderen merken sie jedoch an, dass sich Individuen im Allgemeinen, und somit auch Versicherte der GKV, nicht immer entspre­ chend den Grundannahmen dieses Idealbilds verhalten. Sie erkennen an, dass Individuen unter Umständen auch altruistisch, emotional, irrational und risikofreudig handeln. Sie führen jedoch an, dass die Erklärung dieses Verhaltes in Zusammenarbeit mit weiteren Disziplinen, wie der Psycho­ logie oder Sozialmedizin erfolgen muss, die für dieses Verhalten bereits spezifische Analyseverfahren entwickelt haben (Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012, S. 15).43 Vor dem Hintergrund bekannter systematischer Abweichungen vom Verhaltensmodell des homo oeconomicus im Allgemeinen und der Er­ kenntnisse der im vorangegangenen Kapitel dargelegten Erkenntnisse soll­ ten im Sinne besserer Verhaltensprognosen sowie zielgerichteter Politikin­ terventionen jedoch auch im Bereich der Gesundheitsökonomie heterodo­ xere Verhaltensmodelle in Betracht gezogen werden (vgl. bspw. Pesendor­ fer, 2006). Aufgrund dessen wird nachfolgend die Perspektive erweitert und die Inanspruchnahme jenseits der Neoklassik beleuchtet.

43 Ob der homo oeconomicus tatsächlich das adäquate Verhaltensmodell für die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen darstellt, wird auf den weiteren 500 Sei­ ten lediglich ein weiteres Mal, im Rahmen der kritischen Würdigung der Annah­ men der „qualitätskorrigierten Lebensjahre“, dem sogenannten QALY-Konzept, als letzter Punkt, aufgeführt (Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012, S. 96).

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

In der gesundheitsökonomischen Standardliteratur wird die Krankenversi­ cherung hinsichtlich nicht mit ihr intendierten und unerwünschten Wir­ kungen auf die Inanspruchnahme durchleuchtet. Als Analysekonstrukt wird hierfür der aus der Neoklassik bekannte homo oeconomicus heran­ gezogen. Dieses theoretische Idealbild eines Individuums dient in der Ge­ sundheitsökonomie – wie in vielen weiteren Disziplinen auch – vorherr­ schend als Konstrukt zur Erklärung und Analyse menschlichen Verhaltens und somit auch als Modell zur Ableitung geeigneter Instrumente zur Ver­ haltenssteuerung. Im Kontext der nicht intendierten Wirkung der Überinanspruchnahme tritt die mit dem Instrument „Selbstbeteiligung“ erwartete Verhaltensän­ derung überwiegend jedoch nicht oder lediglich in geringem Maße ein. Dies bedeutet, dass die nicht intendierten Wirkungen, genauer deren Ausmaß, in der gesundheitsökonomischen Literatur grundsätzlich nicht dargelegt werden (können). Die Problempräsentation bleibt somit zumeist theoretisch, zur Verdeut­ lichung der Dringlichkeit werden hypothetische Beispiele des Zusammen­ hangs zwischen Preiselastizität und der Nachfrage nach Gesundheitsleis­ tungen herangezogen (zum Beispiel Abbildung 13). Somit liegt es nahe, zunächst zu prüfen, ob das aus der Theorie abgeleitete Problem in der Realität tatsächlich ein Problem darstellt. Dieser Punkt wird in dem neo­ klassisch geprägten Diskurs zu Selbstbeteiligungen jedoch überwiegend ausgespart. Unter Umständen reagieren Versicherte jedoch nicht entspre­ chend dem Idealbild des homo oeconomicus und nehmen eine Kranken­ versicherung nicht über das notwendige Maß hinaus in Anspruch. Denn auch wenn der Erklärungsansatz des homo oeconomicus grund­ sätzlich auf Merkmalen basiert, die Menschen auszeichnen, bildet er als bewusst komplexitätsreduzierender Ansatz menschliche Eigenschaften de­ finitionsgemäß nicht vollumfänglich ab (Franz, 2004). Für die Beantwor­ tung bestimmter Fragestellungen ist dies kein Problem, insbesondere wenn diese Fragestellungen mittels des homo oeconomicus zutreffend beschrieben, analysiert und vorhergesagt werden können (Schlicht, 2020). Trifft dies jedoch nicht zu, stellt sich die Frage, wie diese Abweichungen erklärt werden können. Zur Erklärung solcher Abweichungen werden seit Jahrzehnten Erkenntnisse der Verhaltensökonomik genutzt, die eine

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4.1 Bestimmung der Überinanspruchnahme und Fehldeutung von moral hazard

Vielfalt möglicher Erklärungen anbieten. Stellt sich heraus, dass diese Erkenntnisse in einem speziellen Falle zur Begründung beobachteter Ab­ weichungen dienen, muss darauffolgende jedoch auch geprüft werden, ob alternative Erklärungsansätze existieren, die zur Beantwortung der spe­ zifischen Fragestellung besser geeignet scheinen (Franz, 2004). Denn, so Schlicht (2020, S. 8): „Ein Idealtyp kann nur entthront werden, wenn ihm ein anderer ‚besserer‘ Idealtyp entgegengesetzt wird“. Dabei muss je­ doch grundsätzlich berücksichtigt werden, dass ein solches Modell niemals falsch oder richtig, sondern immer nur irrelevant oder – sofern er zum Verständnis beiträgt – hilfreich sein kann (Schlicht, 2020, S. 8). Im Rahmen der unter 3.4 dargelegten Analysen zeigt sich, dass insbeson­ dere der Gesundheitszustand und sozioökonomische Faktoren einen signi­ fikanten Einflussfaktor der Inanspruchnahme darstellen. Diese Faktoren könnten demnach die Inanspruchnahme, beziehungsweise Heterogenität der Inanspruchnahme, erklären, und die Beeinflussung dieser Faktoren eventuell auch zur Verhaltenssteuerung dienen, sofern dies erreicht wer­ den soll. Aufgrund dessen wird die Inanspruchnahme in Disziplinen au­ ßerhalb der Gesundheitsökonomie als vielschichtiger Prozess betrachtet, der von eben diesen verschiedenen gesundheitlichen und sozioökonomi­ schen Faktoren beeinflusst wird. Dies erfolgt insbesondere mittels des Mo­ dells der Inanspruchnahme nach Andersen (Andersen, 1968). Im nachfolgenden Kapitel wird aufgrund dessen zunächst die Frage nach dem Vorliegen, und dem Ausmaß von moral hazard in der sozialen Krankenversicherung erörtert (4.1.). Anschließend werden Erkenntnisse der Verhaltensökonomie im Allgemeinen sowie im Kontext der Gesund­ heit dargelegt (4.2). Darauffolgend wird das interdisziplinär verwendete Modell zur Inanspruchnahme von Andersen erläutert sowie dessen empi­ rische Evidenz für Deutschland dargestellt (4.3). Abschließend werden die in diesem und dem vorangegangenen Kapitel vorgestellten theoreti­ schen und empirischen Erkenntnisse zur Inanspruchnahme zusammenge­ führt (4.4) und Hypothesen zur Inanspruchnahme generiert, die in dieser Arbeit untersucht werden. 4.1 Bestimmung der Überinanspruchnahme und Fehldeutung von moral hazard Die Nachfrageelastizitäten des RHIE gelten als Standard in der gesund­ heitsökonomischen Literatur und im Wesentlichen akzeptieren Ökono­ men und Gesundheitsökonomen, dass die klassische Krankenversicherung zu einem moral hazard bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

führt (Cutler & Zeckhauser, 2000). Aufgrund dessen finden Selbstbeteili­ gungen zur Verhaltenssteuerung von Versicherten in verschiedener Form Anwendung. Trotz dieser vielfältigen und langjährigen Anwendung dieses Instruments ist die Evidenz über das Steuerungspotenzial uneindeutig. Barros et al. (2008, S. 1006) fassen dies wie folgt zusammen: “The widespread usage—by health insurance companies, and govern­ ments—of copayments, coinsurance, and deductibles as mechanisms to control health-care spending reflects the belief that the demand for health care reacts to price. The literature, however, has not yet produced irrefutable evidence on the magnitude of this reaction”. Über das Ausmaß überflüssiger Inanspruchnahme von GKV-Versicherten, also einer Inanspruchnahme, die subjektiv, jedoch nicht objektiv als not­ wendig betrachtet wird (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Ent­ wicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 447), liegen keine belastbaren empirischen Daten vor. Zahlen, die das Ausmaß dieser (vermeintlichen) Überinanspruchnahme untermauern, beruhen zumeist auf individuellen Einschätzungen, über die darauffolgend oftmals eine öffentliche Auseinan­ dersetzung folgt. So gab der Vorstandsvorsitzende der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) Ingo Kailuweit im Jahr 2016 die Einschätzung, die Hälfte aller Arztbesuche sei überflüssig (Kautz, 2016). Diese Aussage wurde sowohl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) als auch von Patien­ tenvertretern kritisiert. Während der Vorstandsvorsitzende der KBV, An­ dreas Gassen, grundsätzlich Optimierungspotenzial in der Steuerung von Angebot und Nachfrage sieht, warnt er vor „purem Populismus“ und verweist darauf, dass vereinzelte Krankenkassen beispielsweise die Einho­ lung einer Zweitmeinung offensiv bewerben, was unter Umständen zu einer Erhöhung der Arztkontakte führen könne (aerzteblatt.de, 2016). Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz prangert die fehlen­ den Beweise für diese Aussage an und sieht die von den Krankenkassen erwünschte Steuerung der Patienten als „Albtraum für die Patienten“ (aerzteblatt.de, 2016). Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärztever­ bands führt in dieser von Kailuweit angestoßenen Debatte an, dass „sich kaum seriös schätzen [lässt], wie viele Arzt-Patienten-Kontakte tatsächlich überflüssig sind“, merkt allerdings an: „Natürlich gibt es immer wieder Patienten, die wegen nicht ganz so akuter Beschwerden zum Hausarzt gehen. Hier hilft in der Regel das vertrauensvolle Gespräch zwischen dem Patienten und seinem Hausarzt, denn häufig sind die Patienten schlicht­

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4.1 Bestimmung der Überinanspruchnahme und Fehldeutung von moral hazard

weg verunsichert und haben Angst. Das muss man ernst nehmen“ (Weber, 2016). Auch die Barmer Ersatzkrankenkasse verweist darauf, dass die durch­ schnittliche Anzahl an Arztbesuchen keine pauschale Aussagen über eine „zu hohe“ Inanspruchnahme erlaubt (Maydell et al., 2010). Die Kasse ermittelte auf Basis von Abrechnungsdaten ihrer Versicherten eine durch­ schnittliche Anzahl von 18,5 Arztbesuchen für die deutschen GKV-Ver­ sicherten im Jahr 2007 (BARMER Gmünder Ersatzkasse, 2010).44 Diese Zahl wurde darauffolgend an verschiedenen Stellen aufgegriffen und als Beleg für eine überhöhte Inanspruchnahme und die Wirkungslosigkeit der Praxisgebühr herangezogen (vgl. bspw. Fricke, 2010; van Borstel, 2010). Da die durchschnittlichen Arztkontakte nach Einschätzung der Barmer Er­ satzkasse eben jedoch keine Schlussfolgerunden über die Angemessenheit eines Arztbesuches oder die Streuung innerhalb der Versichertengemein­ schaft zulassen, sollte diese angestoßene Diskussion durch eine nach Alter, Geschlecht und Morbidität differenzierte Analyse „vertieft und erläutert“ werden (Maydell et al., 2010, S. 177).45 In dieser Analyse konnte gezeigt werden, dass maßgeblich vier Ereignis­ se mit einer sehr hohen Anzahl an Arztkontakten assoziiert sind. Versi­ cherte Personen, die im Betrachtungsjahr versterben, eine Pflegestufe auf­ weisen, an einem Disease Management Programm (DMP)46 teilnehmen, oder eine Erwerbsminderungsrente beziehen, weisen eine besonders hohe 44 Ein Arztkontakt ist definiert als jede Leistung für einen Versicherten an einem bestimmten Datum, die zu einer Abrechnung zwischen Arzt und Krankenkasse führt. Dies kann sowohl einen persönlichen als auch einen telefonischen Kontakt umfassen. Auch die Ausstellung eines Rezepts oder eine Laborleistung können einen Kontakt darstellen. Die Berücksichtigung dieser Leistungen als „Arztkon­ takt“ wird kritisiert und als verzerrend dargelegt. Werden dieses Leistungen her­ ausgerechnet reduziert sich die durchschnittliche Anzahl an Arztkontakten in Höhe von 18 Besuchen jedoch lediglich um 1,1 (Rezepte) oder 0,3 (Laborleistun­ gen) Besuche (Maydell et al., 2010). 45 Die für das Jahr 2008 ermittelte Anzahl der durchschnittlichen Arztkontakte im Barmer Arztreport beruhte aufgrund einiger Änderungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) auf einer Hochrechnung auf Basis des Abrechnungs­ jahres 2007. Für die detailliertere Analyse nutzen Maydell et al. (2010) Abrech­ nungsdaten der Barmer aus dem Jahr 2007 eines Bundeslandes und adjustieren diese an die Geschlechts- und Altersverteilung Deutschlands. Die durchschnittli­ che Anzahl an Arztkontakten beträgt nach dieser Adjustierung 18,7. 46 „Disease-Management-Programme (DMP) sind strukturierte Behandlungspro­ gramme, die chronisch Erkrankten dabei helfen sollen ihre Erkrankung in den Griff zu bekommen und die Lebensqualität zu verbessern und zu erhalten. Nicht zuletzt wurden DMP mit dem Ziel eingeführt, die ärztliche Behandlung langfris­

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Anzahl an Arztkontakten auf. So verursachen Versicherte, die im Verlauf des Jahres 2007 versterben durchschnittlich 63 Arztkontakte und somit eine deutlich höhere Anzahl als der Gesamtdurchschnitt. Da dieses Ereig­ nis jedoch lediglich auf 0,4 % der Versicherten zutrifft, beeinflusst dieser hohe Wert den Durchschnitt nur geringfügig (Maydell et al., 2010). Auch die Analyse der Arztkontakte in Abhängigkeit verschiedener Krankheiten aus dem morbi RSA zeigt darüber hinaus eine große Hetero­ genität auf. So weisen Versicherte mit Dialysestatus 201,7, Arztkontakte, Versicherte, die eine Transplantation der Lunge erhalten haben, 96,9 Arzt­ kontakte, und Patienten mit Lungenmetastasen durchschnittlich 72,9 Arzt­ kontakte pro Jahr auf. Ihre Arztkontakte liegen somit deutlich über den durchschnittlichen Arztkontakten von 18,7.47 Da der Anteil dieser Versi­ cherten an der Versichertengemeinschaft jeweils jedoch nicht mehr als etwa zwei Prozent beträgt, beeinflussen die Kontakte dieser Versicherten den Gesamtdurchschnitt ebenfalls nur geringfügig (Maydell et al., 2010). Dies trifft bei überdurchschnittlichen Arztkontakten aufgrund chroni­ scher „Volkskrankheiten“, die viele Versicherte betreffen, nicht zu. Auch wenn die durchschnittliche Anzahl der Arztkontakte geringer ist, stellen sie einen größeren Anteil der Versichertenjahre dar. So nehmen Versicher­ te mit Hypertonie durchschnittlich 31,9 Arztkontakte in Anspruch. Diese Zahl liegt deutlich über der durchschnittlichen Anzahl an Arztkontakten. Da sich der Anteil an Versichertenjahren mit Bluthochdruck auf 13,2 % der Versichertenjahre beläuft, erhöhen Versicherte mit Hypertonie den Durchschnitt mit 2,0 Arztkontakten erkennbar (Maydell et al., 2010). Der Vergleich von Versicherten mit und ohne eines der oben genannten vier Ereignisse (Tod, Pflegestufe, DMP, Erwerbsminderungsrente) oder eine der Krankheiten, die mit einem Morbiditätszuschlag einhergeht, ver­ deutlicht dies. Die Anzahl der durchschnittlichen Arztkontakte pro Jahr von Versicherten mit Ereignis oder Krankheit beträgt 32,6, während Versi­ cherte ohne Ereignis und ohne Krankheit 10,1 Arztkontakte aufweisen. Die durchschnittliche Anzahl an Arztbesuchen wird somit erkennbar von Personen beeinflusst, die überdurchschnittlich viele Arztkontakte aufwei­ tig zu verbessern. Sie werden auch ‚Chronikerprogramme‘ genannt“ (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, 2016). 47 Der Anteil der Versichertenjahre an der Gesamtstichprobe ist mit 0,11 % für Dia­ lysepatienten, 0,01 % für Transplantation der Lunge und 0,22 % Versicherten mit Lungenmetastasten jedoch ebenfalls gering. Arztkontakte aufgrund diese Erkran­ kungen beeinflussen den Gesamtdurchschnitt daher ebenfalls nur gering (Anteil am Gesamtdurchschnitt der Arztkontakte: Dialyse: 0,2 Arztkontakte, Lungen­ transplantation:0,01 Arztkontakte, Lungenmetastasen: 0,12 Arztkontakte).

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4.1 Bestimmung der Überinanspruchnahme und Fehldeutung von moral hazard

sen (Maydell et al., 2010). Somit ist die Aussagekraft der durchschnittli­ chen Anzahl an Arztbesuchen für eine Einschätzung der Überversorgung der gesamten Versichertengesellschaft begrenzt. Eine weitere Analyse von Abrechnungsdaten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) zeigt darüber hinaus, dass etwa 16 % der Patienten ungefähr 50 % der Arztbesuche in Anspruch neh­ men und sich diese Patienten durch versorgungsintensive Erkrankungen oder Behandlungen mit erhöhtem Nachsorgebedarf – wie eine erhaltene Organtransplantation, chronische Niereninsuffizienz oder bösartige Neu­ bildungen – kennzeichnen und aufgrund dessen durchschnittlich mehr als 40 Arztkontakte pro Jahr aufweisen (Riens et al., 2012, S. 6). Überflüssige Arztbesuche können auch in dieser Gruppe nicht ausgeschlossen werden, eine hohe Inanspruchnahme kann jedoch nicht per se mit einer Überinan­ spruchnahme gleichgesetzt werden (vgl. bspw. van den Bussche et al., 2016). Es scheint grundsätzlich jedoch plausibel anzunehmen, dass ein Großteil dieser Arztbesuche gerechtfertigter Weise erfolgt und keine Dis­ krepanz zwischen objektivem und subjektivem Bedarf vorliegt oder diese gering ist. Grundsätzlich wird die Frage nach dem Ausmaß von moral hazard sowie dem theoretisch damit einhergehenden Einsparungspotenzial in der Diskussion um Selbstbeteiligungen jedoch nicht gestellt und somit auch nicht beantwortet. Wie bereits unter 3.4 dargelegt, kann dies ohnehin lediglich indirekt über die Wirkungen von Selbstbeteiligungen auf das Verhalten der Versicherten abgeschätzt werden. Die Datenlage über eine mögliche Überinanspruchnahme der GKV aufgrund ihrer Ausgestaltung als „Vollversicherung“ ist demnach unzureichend und es kann die Frage gestellt werden, „ob Moral Hazard in der GKV eher ein Massenphänomen oder eher ein gefühltes Problem darstellt“ (Reiners, 2019a, S. 91). Thomas & Henderson (2016) führen in diesem Zusammenhang über­ dies an, dass der Begriff des moral hazards in der Gesundheitsökonomie inadäquat benutzt würde, da hierunter auch die „reine Überversorgung“ mit subventionierter Routineversorgung gezählt würde. Dies führe zu irre­ führenden Diskussionen (Thomas & Henderson, 2016). Die Autoren ver­ weisen darauf, dass die sozialen Krankenversicherungen der heutigen Zeit nicht mehr lediglich eine Versicherung für den Schadensfall, darstellen, sondern gleichzeitig subventionierte Routine- und Präventivversorgung umfassen. Dies führe dazu, dass moral hazard und Subventionen vermischt und teilweise widersinnige Anreize sowohl für Versicherte als auch Versi­ cherungsgesellschaften oder Ärzte geschaffen werden. Thomas & Hender­ son (2016) plädieren dafür, die seit Jahren erfolgende zusammenfassende

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Betrachtung von moral hazard und Subventionen in der unzureichend definierten Überklasse „moral hazard“ zu beenden und die Auswirkungen von Subventionen und Versicherung gesondert zu analysieren. Thomas & Henderson (2016) gehen nicht davon aus, dass eine Kranken­ versicherung keine Verhaltensänderung der Inanspruchnahme bewirkt, nehmen gar an, dass das Vorliegen einer Versicherung die Inanspruchnah­ me erhöht, kritisieren jedoch die Bezeichnung dieser Verhaltensänderung als „moral hazard“. Die Fehldeutung führe dazu, dass Wissenschaftler be­ stimmte Versionen des moral hazards (wie die erhöhte Inanspruchnahme aufgrund einer Versicherung, vgl. bspw. Nyman, 2004) als effizient und somit als positiv für die ökonomische Wohlfahrt betrachten. Thomas & Henderson (2016) greifen jedoch auch den eigentlichen Kern dieser miss­ bräuchliche Verwendung des Begriffs auf. Diese führe zu einer „Fehldia­ gnose“ der zu lösenden Probleme und somit auch zu unangemessenen Schlussfolgerungen über die optimale Ausgestaltung von Gesundheitspoli­ tik. Somit stellt sich die Frage, ob eine durch Selbstbeteiligung induzierte Reduktion der Inanspruchnahme tatsächlich eine – im Sinne der Theorie von moral hazard – rationale Reaktion von Individuen darstellt, oder eine notwendige medizinische Leistung verhindert (vgl. bspw. Reiners, 2006). Vorliegende empirische Analysen, die einen Rückgang der Inanspruchnah­ me medizinischer Leistungen beobachten, nutzen diesen jedoch konsistent als Beweis für das Vorliegen sowie eine Reduktion des moral hazard. Analysen, die sich jedoch dem Thema widmen, welcher Anteil der grund­ sätzlich im Rahmen der GKV nachgefragten Leistungen als „triviale“ oder „überflüssige“ Leistungen zu verstehen sind, liegen hingegen nicht vor. Implizit damit verbunden ist hierbei die Annahme, dass der rationale Versicherte lediglich die Nachfrage vermeintlich überflüssiger Leistungen reduziert. Im Kontext der (vermeintlichen) Überinanspruchnahme sollte auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass Versicherte bereit sind, über die Leistungen der GKV hinaus weitere medizinische Leistungen auf eigene Kosten in Anspruch zu nehmen. So zeigt sich, dass die Inanspruchnahme individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) in den letzten Jahren angestie­ gen ist. Laut Nuscheier & Thomasius (2006) kann die Inanspruchnahme dieser Leistungen primär zwei mögliche Gründe haben. Entweder beruht die Festlegung des GKV-Leistungskatalogs nicht auf solch einem großen Konsens wie vermittelt wird, und ein Teil der Ärzte betrachtet (gewis­ se) IGeL als notwendige Leistungen, oder die Ärzte betrachten IGeL als Einkommensquelle und schaffen aufgrund dessen gezielt eine Nachfrage

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

(angebotsinduzierte Nachfrage). Unabhängig von den Gründen der Inan­ spruchnahme zeigt sich jedoch, dass Versicherte bereit sind, sogar über die Vollversicherung hinaus, auf eigene Kosten, Gesundheitsleistungen in An­ spruch zu nehmen. Die grundsätzliche Sinnhaftigkeit dieser individuellen Leistungen ist jedoch umstritten (Schnell-Inderst et al., 2011). Insbesondere die Frage nach dem Nutzen und Schaden der verschiedenen IGeL, aber auch die Informiertheit des Patienten stehen bei dieser Diskussion im Fokus (Me­ dizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., 2017). Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Kranken­ kassen e.V. (MDS) hat auf diese Herausforderungen für Versicherte re­ agiert und einen „IGeL Monitor“ eingerichtet, der Nutzen und Schaden der IGeL bewertet und dem Versicherten eine informierte Entscheidung ermöglichen soll (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., 2020). Mit dieser Informationsquelle wird somit der Tatsache Rechnung getragen, dass Versicherte oder Patienten gewöhnlich nicht über ausreichend Informationen verfügen, um über die Inanspruch­ nahme solcher individuellen Gesundheitsleistungen entscheiden zu kön­ nen. Denn der Versicherte oder der Patient ist grundsätzlich nicht voll informiert und kann somit auch nicht rational über die Inanspruchnahme dieser Leistungen urteilen. 4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen Das Idealbild des homo oeconomicus ist, „sehr hilfreich und wichtig, um komplexe Probleme zu untersuchen und Vorhersagen zu machen“ und hat somit seine Daseinsberechtigung (Heiß, 2011, o. S.). Dies wird unter anderem durch die in Kapitel 3 dargelegten, die Realität vereinfachen­ den, Annahmen erzielt. Dies führt dazu, dass dem neoklassischen Kon­ strukt oftmals eine zu restriktive Betrachtung von Individuen vorgeworfen wird. Insbesondere das Rationalitätsprinzip, aber auch die Stabilität der Präferenzen wird kritisiert.48 Vor allem die Verhaltensökonomie hat da­ zu beigetragen, das vom Leitbild des homo oeconomicus abweichende

48 Dies führte dazu, dass das Idealbild des homo oeconomicus verschiedene Mo­ difikationen erfahren hat, die weitere Präferenzen oder den Einfluss von Insti­ tutionen berücksichtigen (zum Beispiel Homo oeconomicus maturus, Homo impatiens, Homo reciprans, Homo oeconomicus institutionalis (Yollu-Tok, 2010; Haupt, 2014)).

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

menschliche Verhalten zu analysieren und zu erklären. In der verhaltens­ ökonomischen Betrachtung werden solche Abweichungen vom Idealbild als „Normalfall“ verstanden, aufgrund der Abweichung vom Leitbild des homo oeconomicus jedoch als Anomalien bezeichnet. Die Beschreibung von mehr als 100 solcher Anomalien hat dazu geführt, dass verschiedene auf diesem Idealbild aufbauende Theorien eine Erweiterung erfahren ha­ ben.49 Die verschiedenen Verhaltensanomalien können mit verschiedenen Er­ gebnissen von Experimenten untermauert werden oder dem neoklassi­ schen Verständnis nach „irrationale Entscheidungen“ erklären. Im Bereich der Gesundheit spielen insbesondere die subjektive Bewertung von Wahr­ scheinlichkeiten, risikofreudiges Handeln, die Bedeutung des Referenz­ werts, das Framing sowie die Bedeutung von Fairness und Emotionen eine Bedeutung. Nachfolgend werden ausgewählte Verhaltensanomalien mit besonderer Bedeutung für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleis­ tungen dargelegt. 4.2.1 Begrenzte Rationalität Einen essentiellen Bestandteil der Verhaltensökonomik stellt die von Kah­ neman und Tversky 1979 auf Basis verschiedener Experimente begründete „Prospect Theory“ zur Beschreibung des Entscheidungsverhaltens unter Risiko dar (Kahneman & Tversky, 1979). Im Jahr 1992 entwickelten Tvers­ ky und Kahneman die Theorie zur „Cumulative Prospect Theory“ weiter (Tversky & Kahneman, 1992). Im Kern beziehen sich die Aussagen auf den Umgang von Individuen mit Wahrscheinlichkeiten und mit der Transfor­ mation objektiver Konsequenzen in subjektive Nutzenwerte (Fetchenhau­ er, 2018, S. 275). Konträr zu der Annahme der neoklassischen Nutzenerwartungstheorie geht die Prospect Theory nicht davon aus, dass die subjektive Bewer­ tung von Wahrscheinlichkeiten in einer linearen Form von den objekti­ ven Wahrscheinlichkeiten abgeleitet wird. Vielmehr werden kleine Wahr­ scheinlichkeiten über- und große Wahrscheinlichkeiten unterschätzt (Tver­ sky & Kahneman, 1992, S. 312). Abbildung 17 stellt diese Wahrscheinlich­ keitsverzerrung dar.

49 Siehe beispielsweise die "verhaltensökonomische" Lebenszyklustheorie als Erwei­ terung des ökonomischen Standardmodells der Lebenszyklushypothese des Spa­ rens von Shefrin und Thaler (2004).

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

Abbildung 17: Wahrscheinlichkeitsverzerrung

Quelle: Eigene Darstellung nach Tversky und Kahnemann (1992, S. 313).

Die x-Achse kennzeichnet die objektiven Wahrscheinlichkeiten, auf der y-Achse sind die subjektiven Wahrscheinlichkeitswerte abgebildet. Die durchgezogene Linie stellt die lineare Transformation der objektiven in subjektive Wahrscheinlichkeiten dar. Die gepunktete Linie W+ stellt die in Experimenten festgestellte subjektive Einschätzung der Wahrscheinlichkei­ ten von Gewinnen, die gestrichelte Linie W- die subjektive Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten von Verlusten dar. Die Abbildung verdeutlicht, dass die Einschätzung von Individuen über die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens verschiedener Ereignisse nicht analog zu den objektiven Wahr­ scheinlichkeiten eingeschätzt werden (Tversky & Kahneman, 1992). Spe­ zifischer zeigt sich, dass kleine Eintrittswahrscheinlichkeiten über- und große Eintrittswahrscheinlichkeiten unterschätzt werden. Diese Überbewertung kleiner Wahrscheinlichkeiten kann die Furcht vor unwahrscheinlichen Ereignissen, zum Beispiel die Angst von Eltern vor einer Missbildung bei ihrem ungeborenen Kind, erklären (Fetchenhauer,

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

2018, S. 276). Müller-Peters & Gatzert (2020), belegen diese Erkenntnis in einer Studie zur Risikowahrnehmung in den Bereichen „Auto und Mo­ bilität“, „Eigentum, Beruf und Familie“ sowie „Gesundheit und Leben“. Sie zeigen nicht nur, dass die Wahrscheinlichkeit seltener Ereignisse meist überschätzt wird, sondern dass insbesondere bei der subjektiven Einschät­ zung von Krankheitsrisiken persönliche Erfahrungen, wie die Erkrankung eines Familienmitglieds, eine bedeutende Rolle spielen. Rasiel et al. (2005) zeigen überdies, dass Patienten mit lebensbedrohli­ chen Erkrankungen zum einen risikofreudigere Entscheidungen bezüglich ihrer Behandlungen treffen als von der Nutzenerwartungstheorie hervor­ gesagt, und zum anderen, dass der Referenzpunkt des Patienten hinsicht­ lich seiner Gesundheit einen Schlüsselfaktor bei der Behandlungsentschei­ dung darstellt. Auch Dolan (1996) stellt fest, dass die aktuelle gesundheit­ liche Verfassung den Wert, den Individuen verschiedenen Gesundheitszu­ ständen zuschreiben, stark beeinflusst. Eine schlechtere gesundheitliche Verfassung geht dabei durchschnittlich mit einer höheren Bewertung von positiven Gesundheitszuständen einher. Neben der Erkenntnis, dass Individuen Wahrscheinlichkeiten subjektiv beurteilen, stellen Kahneman und Tversky mittels verschiedener weiterer Experimente fest, dass Individuen Gewinne und Verluste unterschiedlich bewerten. Bei Entscheidungen, die positive Ereignisse betreffen, verhalten sie sich risikoavers und neigen dazu, geringere sichere Zahlungen gegen­ über unsicheren höheren Zahlungen zu bevorzugen. Handelt es sich je­ doch um negative Ereignisse, tendieren Individuen eher zu risikofreudigen Entscheidungen. Sie würden sich eher für einen unsicheren höheren Ver­ lust entscheiden als einen sicheren kleinen Verlust zu wählen (Kahneman & Tversky, 1979). Dies wird mit der Wertefunktion, dargestellt in Abbil­ dung 18, abgebildet. Die Wertefunktion ist im Gewinnbereich konkav, im Verlustbereich hingegen konvex. Hiermit kommt zum Ausdruck, dass die positive subjek­ tive Bewertung eines Gewinns langsamer steigt als ihr objektiver Wert. Ein Gewinn von 100 Euro wird nicht doppelt so positiv bewertet wie ein Gewinn von 50 Euro. Auch im Verlustbereich wird der Verlust von 100 Euro analog nicht doppelt so negativ bewertet wie der Verlust von 50 Euro (Fetchenhauer, 2018, S. 278). Dies führt dazu, dass Individuen sich nicht wie unter 3.1 im Rahmen des neoklassischen Modells dargestellt, konsistent risikoavers verhalten.

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

Abbildung 18: Prospect-Theory-Wertefunktion

Quelle: Eigene Darstellung nach Kahneman & Tversky (1979, S. 274).

Darüber hinaus verläuft die Kurve im Verlustbereich steiler als im Ge­ winnbereich, was nach Kahneman & Tversky (1979, S. 279) bedeutet „A salient characteristic of attitudes to changes in welfare is that losses loom larger than gains. The aggravation that one experiences in losing a sum of money appears to be greater than the pleasure associated with gaining the same amount”. Ein Verlust von 100 Euro wird demnach in stärkerem Maße negativ bewertet als ein Gewinn von 100 Euro positiv bewertet wird. Dieser sogenannte „Verlustaversionskoeffizient“ scheint dabei in ver­ schiedenen Situationen unterschiedlich ausgeprägt zu sein und in Berei­ chen des Lebens, die eine bedeutendere Rolle als Geld spielen, besonders groß zu sein, wie Kahneman (2012, S. 430) unter Berufung auf ein von Richard Tahler durchgeführtes Experiment verdeutlicht. Hierbei wird ein Szenario angenommen, in dem eine Infektionswahrscheinlichkeit mit einer Krankheit von 1:1000 vorliegt. In einem ersten Szenario sollen Probanden die Zahlungsbereitschaft für einen Impfstoff angeben, der nur bei Verabreichung ohne Krankheitssymptome wirksam ist. Hierbei zeigen die Teilnehmer eine hohe Zahlungsbereitschaft. Das Risiko, an der

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Erkrankung zu sterben, wird zwar als unangenehm, jedoch als unwahr­ scheinlich betrachtet und die Zahlungsbereitschaft somit gedeckelt. Eine kleine Variation des Szenarios verändert jedoch die Zahlungsbereitschaft der Teilnehmenden. Hierbei werden die Teilnehmenden gefragt, welche Mindestsumme ihnen gezahlt werden müsste, um an einem Forschungs­ projekt teilzunehmen, bei dem ein Ansteckungsrisiko von 1:1000 vorliegt. In diesem Szenario ist es nicht möglich, einen Impfstoff zu erwerben. Die Mindestsumme, die die Befragten fordern, um an der (hypothetischen) Studie teilzunehmen liegt etwa 50-mal höher als die Zahlungsbereitschaft für einen Impfstoff. Nach Kahnemann spiegelt dies zwei menschliche Merkmale wider. Zunächst wird es als „unmoralisch“ betrachtet, seine Gesundheit für Geld zu gefährden, sie also zu verkaufen. Einen weiteren wichtigen Punkt, so Kahnemann, stellt jedoch die Tatsache dar, dass die Verantwortung für eine Infektion im zweiten Szenario der eigenen Hand­ lung zugeschrieben werden kann. Die Reue, die ein Mensch im zweiten Szenario bei einer Infektion zu erwarten hat, scheint eine bedeutende Rolle zu spielen. Demnach spielen auch Emotionen bei individuellen Ent­ scheidungen eine bedeutende Rolle (Kahneman, 2012, S. 431). Darüber hinaus verfügen Individuen in der Realität sowohl über be­ grenzte Informationen über die Preise als auch die Qualität von Gütern. Die Individuen müssen diese Informationen demnach zunächst sammeln. Hierbei stellt die Beurteilung der Qualität eine größere Herausforderung als die Beurteilung des Preises dar. So kann beispielsweise der Preis für einen neuen Fernseher relativ einfach bestimmt werden, über die Quali­ tät der Leistung unter bestimmten Bedingungen kann jedoch nicht ohne Weiteres geurteilt werden. Die Möglichkeiten der Qualitätsbeurteilungen sowie der damit verbundene Aufwand variieren jedoch zwischen verschie­ denen Gütern und sind im Bereich der Nachfrage nach Gesundheitsleis­ tungen begrenzt. Diese Erkenntnis basiert in den Grundansätzen auf Nelson, der im Jahr 1970 die neoklassische Haushaltstheorie um eine differenzierte Be­ trachtungsweise von Gütereigenschaften erweiterte (Nelson, 1970). Diese Erkenntnis stellt demnach keine Erkenntnis der Verhaltensökonomie dar. Nelson (1970) betont, dass die Qualitätsbeurteilung von Gütern grund­ sätzlich immer Informationen bedarf. Bei einigen Gütern können diese Informationen jedoch vor dem Kauf gesammelt und die Qualität des Guts somit beurteilt werden, beispielsweise bei dem Kauf eines Tischs. Da die notwendigen Informationen zur Qualitätsbeurteilung mittels einer Suche ermittelt werden, gelten diese Güter als „Suchgüter“. Bei weiteren Gütern kann die Qualität jedoch nicht über Informationsbeschaffung und

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

einen simplen Vergleich vorhandener Alternativen vor dem Kauf des Guts bestimmt werden. Die Qualitätsbeurteilung kann erst nach dem Kauf er­ folgen. Nelson nutzt das Beispiel des in Dosen abgepackten Thunfischs. Erst nach dem Kauf und dem Konsum verschiedener Marken kann die Marke mit der besten Qualität bestimmt werden. Die notwendigen Infor­ mationen können demnach erst nach der Erfahrung mit verschiedenen Alternativen eines Guts bestimmt werden. Diese Güter werden als „Erfah­ rungsgüter“ bezeichnet (Nelson, 1970, S. 311). Auch Restaurantbesuche und andere alltägliche Dienstleistungen wie ein Friseurbesuch fallen in die Kategorie der Erfahrensgüter. Die Klassifikation von Nelson in Suchgüter und Erfahrungsgüter wurde 1973 von Darby & Kany um die Kategorie der „Vertrauensgüter“ erweitert (Darby & Karni, 1973). Sie ergänzen die bis dato gängige Theorie der Nachfrage um eine Kategorie von Gütern, deren Qualität der Nachfrager selbst nach dem Konsum nicht beurteilen kann. Im Fokus ihrer Ausfüh­ rung liegen Reparaturarbeiten verschiedener Produkte und medizinische Leistungen.50 Die Tatsache, dass die Qualität einer Reparatur erst nach der ausgeübten Reparatur bewertet werden kann, bedeutet, dass das Sam­ meln von Informationen vor der Inanspruchnahme der Reparatur nicht ausreicht, um die Qualität einer spezifischen Reparatur zu bewerten. Dem­ nach muss das Gut, beziehungsweise die Dienstleistung, zunächst erwor­ ben werden, um die Qualität einschätzen zu können. Die Komplexität des Guts erschwert es dem Laien dann jedoch selbst nach dem Kauf des Guts die Qualität der Leistung zu beurteilen, der Nachfrager muss dem Anbie­ ter der Leistung oder des Guts vertrauen (Darby & Karni, 1973, S. 69). Die Informationsasymmetrie und das benötigte Vertrauen zwischen dem Anbieter und dem Nachfrager sind bei medizinischen Dienstleistungen besonders ausgeprägt. 50 Zur Erklärung des Sachverhalts nutzen sie die vermeintlichen Vorteile der Blind­ darmentfernung, die von dem Zustand des Organs abhängen, respektive insbe­ sondere bei einem erkrankten Organ zutreffen. Die Entfernung des Blinddarms wird sich jedoch nicht auf das Leben Konsumenten auswirken, unabhängig da­ von, ob vor der Entfernung tatsächlich eine Erkrankung des Organs vorlag oder nicht. Darby & Karni (1973) berücksichtigen bei ihrer Ausführung keine etwai­ gen Schmerzen, die beispielsweise mit der Entzündung des Blinddarms einherge­ hen können. Lagen Schmerzen vor, kann ein Patient nach der Entfernung jedoch nur schwer beurteilen, ob nun die Entfernung des Organs oder eine andere Maß­ nahme zur Genesung beigetragen hat. Lagen hingegen keine Schmerzen vor und legitimiert der Arzt die Empfehlung einer Blinddarmentfernung beispielsweise mit einer beginnenden Entzündung oder als präventive Maßnahme, kann ein Patient die Angemessenheit, oder auch Qualität der Operation nicht einschätzen.

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Arrow führte bereits 1963 in seinem Aufsatz „Uncertainty and the Welfare Economics of Medical Care“ Besonderheiten und Unterschiede von Gesundheitsdienstleistungen zu weiteren Konsumgütern auf, die zu einem Großteil auf mangelnde Informationen seitens der Konsumenten zurückgeführt werden können (Arrow, 1963). Hierbei sind insbesondere mangelnde Informationen über folgende Bereiche zu nennen: 1. Den Zeitpunkt des Bedarfs nach medizinischen Leistungen und deren Angemessenheit Während der Bedarf und somit auch die Nachfrage nach anderen Kon­ sumgütern abschätzbar ist (zum Beispiel der Bedarf nach Lebensmit­ teln), ist die Nachfrage nach medizinischen Leistungen nicht planbar. Weder der Zeitpunkt des Bedarfs noch die bei Bedarf zur Deckung not­ wendigen medizinische Leistungen sind von Seiten des Verbrauchers adäquat einschätzbar (Arrow, 1963, S. 948). Während das Individuum demnach im idealtypischen Modell klare Vorstellungen über das zur Bedürfnisbefriedigung benötigte Gut hat, ist der Bedarf an medizini­ schen Leistungen nicht nur unplanbar, sondern auch die Kenntnis über die Krankheit und somit auch die hierfür geeignete Behandlung. 2. Die Qualität der Leistungen Medizinische Leistungen stellen Dienstleistungen dar, die Produktion und der Konsum des Guts erfolgen zeitgleich. Dies bedeutet, dass der Konsument die Qualität des Produkts nicht vor dem Kauf oder dem Konsum bewerten kann (Arrow, 1963, S. 949). Das neoklassische Mo­ dell geht jedoch von vollkommener Transparenz des Marktes aus. In der Realität können Patienten ärztliche Leistungen vorab jedoch nicht bewerten. Auch andere Dienstleistungen, wie ein Restaurant- oder Friseurbesuch, weisen diese Besonderheit auf. Diese Dienstleistungen werden vergleichsweise jedoch relativ häufig in Anspruch genommen, so dass im Laufe der Zeit Erfahrungen über die Eigenschaften des Guts gemacht werden können. Zudem können Individuen auf Erfahrungen anderer zurückgreifen. Viele Dienstleistungen können demnach als Erfahrungsgüter bezeichnet werden (Weise et al., 1993, S. 170). Im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen kann bei der Bewertung von Gesundheitsleistungen jedoch nicht auf die Erfahrung anderer oder die eigene Erfahrung zurückgegriffen werden. Zum einen sind Gesund­ heitsleistungen sehr individuell und zum anderen werden sie zu selten in Anspruch genommen, um daraus Erkenntnisse hinsichtlich der Qua­ lität gewinnen zu können. Die Qualität der Leistung kann demnach selbst nach dem Konsum nicht tatsächlich eingeschätzt werden, die „Stichprobe“, die zu einer Beurteilung herangezogen werden könnte

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

ist, verglichen mit der Stichprobe beispielsweise vergangener Restau­ rantbesuche, zu klein (Breyer et al., 2013, S. 190). Arrow (1963, S. 951) formuliert dies folgendermaßen: „In most commodities, the possibility of learning from one’s own experience or that of others is strong because there is an adequate number of trials. In the case of severe illness, that is, in general, not true; the uncertainty due to inexperience is added to the intrinsic difficulty of prediction”. Die Qualität medizinischer Dienstleistungen kann demnach grundsätzlich aufgrund ihres Dienstleistungscharakters nicht vorab eingeschätzt werden. Während dieser Informationsmangel bei anderen Dienstleistungen durch die eigene oder die Erfahrung anderer abgemildert oder behoben werden kann, nehmen medizinische Dienstleistungen in der Kategorie der Dienst­ leistungen noch einmal eine Sonderposition ein. Zum einen werden sie selten in Anspruch genommen. Zum anderen kann, zumindest bei den meisten medizinischen Dienstleistungen, der Konsument die Qualität aufgrund der Komplexität medizinischer Prozesse auch nicht nach der Inanspruchnahme einschätzen. Sie stellen der Theorie nach somit keine Erfahrungs- sondern Vertrauensgüter dar. Über ihre Qualität kann der Konsument weder vor noch nach dem Konsum eine adäquate Einschät­ zung abgeben (Weise et al., 1993, S. 170). Mangelnde Informationen über den Bedarf der Dienstleistung an sich, sowie mangelnde Informationen über die Notwendigkeit sowie Qualität in Anspruch genommener Leistungen und eine grundsätzlich begrenzte Rationalität kumulieren sich demnach im Bereich medizinischer Dienst­ leistungen. 4.2.2 Aufbereitung der Information (Framing) Mit der Erkenntnis, dass Ärzte eher dazu neigen, ein riskantes Medika­ ment einzusetzen, wenn es mit den Worten „rettet 90 von 100 Menschen” als mit den Worten „tötet 10 von 100 Menschen” beworben wird, ver­ deutlichen Tversky & Kahneman bereits im Jahr 1981 die Relevanz der Aufbereitung der Information, auch als „Framing“ bezeichnet (Tversky & Kahneman, 1981). Mittlerweile stellt das gezielte Framing eine häufig verwendete Strategie zur Erhöhung der Effektivität von Gesundheitsbot­ schaften dar. Hierbei zeigt sich, dass eine Simplifizierung der Botschaft oder eine formale Änderung, wie die Betonung möglicher negativer Kon­

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

sequenzen, die Verarbeitung dieser Botschaft deutlich beeinflusst (Hastall & Sukalla, 2013, S. 201–202). Auch im Bereich der Krankenversicherung im Allgemeinen, und der Wirkung monetärer Anreize auf die Nachfrage nach Gesundheitsleistun­ gen im Speziellen, wird die Frage nach der Bedeutung des Framings diskutiert. So untersuchen Schmitz & Ziebarth (2017) den Einfluss der Darstellung von Versicherungsbeiträgen auf die Entscheidung von Versi­ cherten, ihre Krankenversicherung zu wechseln. Sie nutzen die gesetzliche Regelung aus dem Jahr 2009, die Versicherungen verpflichtete, ihre Prämi­ enunterschiede zum bundesweiten Referenzwert nicht mehr prozentual, sondern in absoluten Beträgen anzugeben. Mit Individualdaten des SOEPs und aggregierten und öffentlich zugänglichen Daten der Krankenkassen zeigen sie, dass sich die Nachfrageelastizität um das Vierfache erhöht, die Wechselbereitschaft der Versicherten demnach stark zunimmt wenn die Unterschiede in absoluten Beträgen angegeben werden.51 Einleitend führen die Autoren an, dass die geringe Wechselbereitschaft (vor der Reform) dazu führe, dass Krankenkassen keinen Anreiz haben, ihr Geld effizient einzusetzen, und ihre Kosten, beziehungsweise Prämien zu redu­ zieren. Abschließend konstatieren sie, dass eine Anpassung des Framings der Prämien eine einfach umzusetzende und kostengünstige Möglichkeit darstellt, um den Wettbewerb anzuregen und eventuell eine Reduktion der Gesundheitsausgaben zu erzielen. Hayen et al. (2018) zeigen ebenfalls, dass das Framing von monetä­ ren Anreizen in der Krankenversicherung die Inanspruchnahme von Ge­ sundheitsleistungen und somit auch die erzielbaren Kosteneinsparungen deutlich beeinflusst. Sie nutzen hierfür die Besonderheit gesetzlicher Vor­ gaben für niederländische Krankenversicherungen. Diese mussten ihren Versicherten in den Jahren 2006 und 2007 bei Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen einen Teil ihres Beitrags zurückerstatten. Ab dem Jahr 2008 wurden die Krankenversicherungen dann dazu verpflichtet, einen jährlichen Selbstbehalt zu erheben. Ihre Analyse zeigt, dass die Kostenre­ duktion bei Vorliegen von Selbstbehalten mit 36,2 % deutlich höher als der Rückgang von 17,5 % bei der Rückerstattung im Falle von Nicht-Inan­ spruchnahme ist. Die Autoren folgen bei ihrer Hypothese und auch der

51 Da die Reform der Darstellung preislicher Unterschiede zeitglich mit der Reform einheitlicher Prämien der Gesetzlichen Krankenversicherung erfolgte, können diese zwei Effekte nicht voneinander unterschieden werden. Schmitz und Zie­ barth (2017) verstehen jedoch auch die Einführung und damit verbundene Darle­ gung eines einheitlichen Beitragssatzes als Teil dieses Framings.

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

Interpretation der Ergebnisse der Theorie der Prospect Theory und führen an, dass Individuen stärker auf Verluste als auf Gewinne reagieren. Sie interpretieren diese Verlustaversion im Kontext der Selbstbeteiligung so, dass Individuen Zuzahlungen als Verluste, Rückerstattungen als Gewinne betrachten. Auch sie betonen die Bedeutung des Referenzwerts und ver­ muten aufgrund ihrer Ergebnisse, dass der Referenzwert der von ihnen betrachteten Individuen ihre finanzielle Situation nach Zahlung der Versi­ cherungsprämie darstellt. Somit werden weitere Zuzahlungen als Verlust wahrgenommen, auch wenn sich die Kosten für medizinische Leistungen grundsätzlich nicht unterscheiden. Hayen et al. (2018) zeigen, dass Zuzah­ lungen das größere Kosteneinsparungspotenzial aufweisen, und somit ein geeigneteres Instrument zur Reduzierung der Inanspruchnahme als eine Rückerstattung bei Nicht-Inanspruchnahme darstellen. Nichtsdestotrotz diskutieren sie die Frage, ob Zuzahlungen aus einer Wohlfahrtsperspektive bevorzugt werden sollten und führen an, dass Versicherte unter Umstän­ den den wahren Nutzen medizinischer Versorgung eventuell unterschät­ zen oder finanziell belastet werden könnten. 4.2.3 Soziale Präferenzen Neben der Erkenntnis der „bounded rationality“, also dass Menschen nur über eine begrenzte Rationalität verfügen, zeigen Kahneman et al. (1986) auch, dass die Entscheidungen von Individuen durch soziale Präfe­ renzen beeinflusst werden. Dies wird zumeist mittels verschiedenartiger Ausgestaltungen des sogenannten „Diktatorspiels“ oder „Ultimatumspiels“ untermauert. Die Grundidee des Experiments besteht darin, dass zwei Personen (A und B) einen Geldbetrag zwischen sich aufteilen sollen. Über die Aufteilung des Geldes entscheidet Person A. Das Geld wird jedoch nur ausgezahlt, wenn Person B der Aufteilung des Geldbetrags zustimmt. Die Teilnehmer haben während des Experiments keinen Kontakt, beide Partei­ en haben die gleichen Informationen über den Ablauf des Experiments. Verschiedene Wiederholungen des Experiments zeigen, dass Angebote, die unter 20 Prozent des Geldbetrags liegen von Person B tendenziell abgelehnt werden. Vor dem Hintergrund eines nutzenmaximierenden ho­ mo oeconomicus ist diese Entscheidung irrational. Spieler B müsste jeden Geldbetrag, der über 0 liegt, annehmen. Die Teilnehmer reagieren dem­ nach emotional auf ein Angebot, das sie als „unfair“ betrachten (Thaler, 2000). Interessant ist jedoch auch, dass Spieler A in vielen Fällen vom rationalen Verhalten des homo oeconomicus abweicht und einen fairen

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Betrag anbietet. Etwa zwei Drittel der Vorschläge sehen eine Abgabe von 40 bis 50 Prozent des Geldbetrags vor (Nowak et al., 2000). Die Tatsache, dass Emotionen und Fairness eine Rolle bei der Entschei­ dungsfindung spielen, könnte unter Umständen ein Grund dafür sein, dass Individuen nicht anstreben den höchsten Nutzen aus ihrem Kranken­ versicherungsbeitrag zu erhalten. Sie sind sich über die Funktionsweise von Solidarität bewusst und schätzen diese. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Versicherten das „Einer für alle, alle für einen“- Prinzip in der GKV unterstützt. Eine Umfrage unter GKV-Versicherten aus dem Jahr 1995 zeigt, dass diese grundsätzlich eine Überinanspruchnahme bei anderen Versicherten zwar für möglich halten, für sich selbst jedoch ausschließen. Dies widerspricht der Annahme, dass Versicherte sich unso­ lidarisch verhalten und Gesundheitsleistungen übermäßig konsumieren. Auch wenn diese Umfrage schon mehr als zwei Jahrzehnte alt ist, zeigen die unter 2.1.3 dargelegten Erkenntnisse, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sogar bereit wäre, höhere Beiträge zu bezahlen, um das momentane Maß an Solidarität aufrecht zu erhalten (Techniker Kranken­ kasse 2017). Experimente zeigen, dass Menschen von rationalem Verhalten abweichen, wenn sie dadurch eine gefühlte Ungerechtigkeit bestrafen oder vermeiden können. Auf die GKV bezogen könnte das bedeuten, dass Ver­ sicherte von dem rationalen Verhalten der Überinanspruchnahme abwei­ chen, da sie es als unfair empfinden würden, ein System in Anspruch zu nehmen, ohne es tatsächlich zu benötigen. Fuchs führt in diesem Kontext bereits 1976 (S. 359) die besondere Stellung der Sozialen Kranken­ versicherung an: “[…] people seem to want to take care of one another through programs such as national health insurance, as members of the same family do, although not to the same degree”. Die vom homo oeconomicus unterstellte Rationalität und umfangreiche Informiertheit lässt sich in der Realität somit nicht beobachten. Gemäß der Theorie der begrenzten Rationalität können Individuen nicht vollstän­ dig rational handeln. Die Grundannahme der begrenzten Rationalität ist, dass Individuen lediglich über eine „beschränkte kognitive Verarbei­ tungskapazität“ und nicht immer, beziehungsweise wohl eher selten, über vollständige Informationen verfügen (Scheufen, 2018, S. 8). Individuen nehmen darüber hinaus Rücksicht auf ihr Umfeld, werden von Emotionen und Vorstellungen von Fairness in ihren Entscheidungen beeinflusst. Ab­ bildung 19 stellt die Idealtypen der Verhaltensökonomie und der Neoklas­ sik hinsichtlich verschiedener Dimensionen gegenüber und verdeutlicht deren Unterschiede.

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4.2 Verhaltensökonomische Anomalien im Kontext von Gesundheitsleistungen

Abbildung 19: Idealtypen der Verhaltensökonomie und der Neoklassik Neoklassik

Verhaltensökonomie

Sozialer Status

irrelevant, sozial isolierte In­ dividuen

relevant, sozial integrierte Individuen

Nutzenfunktionen

unabhängig

abhängig

Selbstkontrolle

perfekt

nicht perfekt

Informationssammlungs- und verarbeitungskapazität

hoch

begrenzt

Erwartungen

rational

nicht rational

Fairness

irrelevant

relevant

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schettkat (2018, S. 20).

Die Diskrepanz zwischen dem theoretischen Verhaltensmodell eines In­ dividuums und dem empirisch beobachtbarem Individuum kann als An­ haltspunkt für die Erklärung unzutreffender – auf dem Verhaltensmodell des homo oeconomicus basierender – Verhaltensprognosen dienen. Mit­ tels einer unzureichend zutreffenden theoretische Grundlage können nur schwerlich exakte Prognosen über das Verhalten von Individuen erstellt werden. Weichen Individuen in ihrem tatsächlichen Verhalten von dem Idealbild des homo oeconomicus ab, können auch Reformen, die sich auf dieses Verhaltensmodell stützen, nicht die vorhergesagten Effekte erzielen. Ein aus Sicht des homo oeconomicus „irrationales“ Individuum kann durch Maßnahmen, die auf diese Rationalität abzielen, nicht beeinflusst werden. Die neoklassische Theorie sowie darauf aufbauende Reformen oder Re­ formvorschläge basieren jedoch auf der Annahme, dass Haushalte zu ihrer Bedürfnisbefriedigung zwischen verschiedenen Gütern wählen können und das idealtypische Individuum der Theorie bei der Entscheidungsfin­ dung über unbegrenzte Informationssammlungs- und Verarbeitungskapa­ zität verfügt, vollständige Informationen über die Eigenschaften der auf dem Markt vorhandenen Güter besitzt, und somit mühelos das für ihn optimale Gut oder Güterbündel wählen kann. Zur Auswahl der optima­ len aus verschiedenen Alternativen erfolgt demnach in der Theorie ein Vergleich von Produkteigenschaften wie dem Preis und der Qualität. In­ wiefern Konsumenten tatsächlich rational über ihren Konsum entscheiden (können) ist aufgrund der vorgestellten Erkenntnisse jedoch grundsätzlich

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

umstritten. Disziplinen neben der Neoklassik berücksichtigen dies und sind hinsichtlich der Annahmen des Idealtypus weniger restriktiv, was da­ zu führt, das vielfältigere Einflussfaktoren berücksichtigt werden können. 4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme 4.3.1 Allgemein Interdisziplinär ist konsensual anerkannt, dass die Inanspruchnahme maß­ geblich vom Gesundheitszustand beeinflusst wird, wie von Greiner mit folgender Aussage verdeutlicht wird: “Certainly, the decision to consult a doctor is mainly based on health status” (Greiner et al., 2018, S. 1). Da­ rüber hinaus beeinflussen demografische, sozioökonomische und psycho­ logische Faktoren die Inanspruchnahme. Dies kann zum Beispiel Sprach­ barrieren, Ethnizität, Beschäftigungsstatus, Autobesitz, Ängstlichkeit, aber auch schlechte bisherige Erfahrungen mit Behandlungen oder Medika­ menten umfassen (Greiner et al., 2018, S. 1). So wird in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie der Medizinsoziologie oder Versorgungsforschung der Einfluss weiterer sozia­ ler und lebensweltlicher Faktoren untersucht. Nicht immer wird in diesem Kontext auf ein theoretisches Modell Bezug genommen, zumeist orientie­ ren sich Analysen der Inanspruchnahme jedoch an dem Verhaltensmodell der Inanspruchnahme nach Andersen. Das Modell hat sich international als Bezugsmodell etabliert und gilt als eine der führenden erklärenden und beschreibenden Theorie der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen (Babitsch et al., 2012; Lengerke, 2013).52 Die erste Version des Modells wurde 1968 erstellt und in den vergange­ nen Jahrzehnten auf Basis aktueller Erkenntnisse stetig weiterentwickelt (Andersen, 1995, 2007; Andersen, 2008; Andersen et al., 2014; Andersen & Newman, 1973; Andersen & Ronald, 1986) und deckt ein breites Spek­ trum möglicher Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme ab. Abbildung 20 gibt einen Überblick über das Verhaltensmodell.

52 So ermitteln Babitsch et al. (2012) in ihrer systematischen Literaturrecherche 328 englisch- oder deutschsprachige Studien, die das Andersen Modell im Zeitraum 1998–2011 explizit verwendet haben.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Abbildung 20: Health Behavior Model nach Andersen

Quelle: Eigene Darstellung nach Andersen (1968, 1995).

Die in der Abbildung mit schwarzer Schrift hervorgehoben individuellen und sozialen Einflussfaktoren stellen den Kern des Modells dar.53 Diese individuellen und sozialen Einflussfaktoren können in die drei übergeord­ neten Dimensionen Prädispositionen, befähigende Ressourcen und Bedarf eingeteilt werden (Andersen, 1968). Unter Prädispositionen werden Faktoren verstanden, die die Neigung, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen, beeinflussen. Diese Fakto­ ren umfassen demografische Faktoren, die Sozialstruktur oder die Gesund­ heitseinstellungen von Personen (Andersen & Newman, 2005). Die befähigenden Ressourcen beschreiben Faktoren, die eine Inan­ spruchnahme von Gesundheitsleistungen ermöglichen. Sie stellen dem­ nach die notwendigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen dar. Hier kann zwischen persönlichen und familiä­ ren (z. B. Krankenversicherung, auch als „Kosten“ für die Inanspruchnah­ me interpretierbar) sowie gemeindezentrierten (z. B. Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen) Faktoren unterschieden werden. Auch wenn Individuen aufgrund ihrer Prädispositionen eine Veranlagung zur Inan­

53 Die in der Abbildung grau hinterlegten Einflussfaktoren berücksichtigen da­ rüber hinaus auch Umwelteinflüsse und die rückkoppelnden Auswirkungen einer bereits erfolgten Inanspruchnahme. So wirkt sich das Ergebnis der Inan­ spruchnahme auf den objektiven und subjektiven Gesundheitszustand sowie die Zufriedenheit mit dem System aus. Dies wirkt wiederum auf vorhandene Gesundheitseinstellungen und so mittelbar auf das Gesundheitsverhalten. Die Umweltbedingen wie beispielsweise das Gesundheitssystem oder das Ergebnis einer Inanspruchnahme beeinflussen demnach wieder die Inanspruchnahme. Sie findet im gesellschaftlichen Kontext statt. Sie sind insbesondere für Analysen im Zeitverlauf eines Landes oder für einen Ländervergleich interessant (Thode et al., 2005, S. 297).

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

spruchnahme aufweisen, müssen sie die Möglichkeit haben, Leistungen in Anspruch zu nehmen. Jede Voraussetzung, die es einer Person ermöglicht, Leistungen in Anspruch zu nehmen, wird als befähigender Faktor verstan­ den. Befähigende Faktoren ermöglichen den Zugang zu medizinischen Ressourcen (Andersen, 1995). Unter der Bedarfsdimension werden im Andersen Modell alle Bedürf­ nisse zusammengefasst, die von einem Laien oder einem Gesundheits­ dienstleister als behandlungswürdig betrachtet werden (Andersen, 1968). Hierbei kann zwischen dem objektiven und subjektiven Bedarf unterschie­ den werden. Der objektive Bedarf basiert auf einer professionellen Ein­ schätzung und objektiven Messgrößen (beispielsweise Blutdruck, Blutzu­ cker oder Körpertemperatur), die den körperlichen Zustand einer Person widerspiegeln (Andersen et al., 2014). Der subjektive Bedarf inkludiert die eigene Wahrnehmung und die emotionale Reaktion auf Symptome, Schmerzen und Sorgen über die eigene Gesundheit. Diese Wahrnehmung über das Ausmaß und die Wichtigkeit beeinflussen die Entscheidung, einen Arzt aufzusuchen. Die Etablierung als internationales Bezugsmodell wird insbesondere dem Umstand zugeschrieben, dass potenzielle Einflussfaktoren nicht nur systematisch analysiert, sondern die Einflussfaktoren der verschiedenen Di­ mensionen auch miteinander verglichen werden können. Lengerke (2013, o. S.) beschreibt dies als eine „aus sozialepidemiologischer Sicht zentrale Stärke“ des Modells. Klein & dem Knesebeck (2016) heben zudem hervor, dass die Berücksichtigung von Einflussfaktoren der prädisponierenden so­ wie befähigenden Dimension insbesondere für die Analyse von Ungleich­ heiten hilfreich ist. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass das Modell häufig verwendet wird, um die Inanspruchnahme von vulnerablen Perso­ nengruppen zu analysieren. Die generelle Offenheit des Modells hinsichtlich der Indikatoren, die genutzt werden können, um die jeweiligen Dimensionen abzubilden, spie­ gelt sich in einer breiten Varianz der verwendeten Variablen in empiri­ schen Untersuchungen wider. So zeigt eine systematische Übersichtsarbeit englischsprachiger Publikationen der Jahre 1998 bis 2011, die zur Analyse der Inanspruchnahme das Andersen Modell verwenden, dass substanzielle Unterschiede hinsichtlich der berücksichtigten Variablen bestehen (Bab­ itsch et al., 2012). Dabei zeigt sich jedoch, dass die Variablen Alter, Familienstand, Ge­ schlecht, Bildung und Nationalität als prädisponierende Faktoren, Ein­ kommen, Art der Versicherung, Vorhandensein eines Hausarztes als befä­ higende Faktoren sowie der objektiv gemessene als auch der subjektive

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Gesundheitszustand als Bedarfsfaktoren jedoch von der Mehrzahl der Stu­ dien analysiert werden (Babitsch et al., 2012). Darüber hinaus werden jedoch auch Variablen wie das Vertrauen in oder die Familiarität mit Gesundheitsorganisationen (Afilalo et al., 2004; Hammond et al., 2010), Kontrollüberzeugung allgemein (Hajek & König, 2017) oder Kontrollüberzeugung im Bereich Gesundheit (Ani et al., 2008), Einstellungen zur Gesundheitsversorgung (Insaf et al., 2010) oder die gene­ relle Lebenszufriedenheit (Thode et al., 2005) als prädisponierende Fakto­ ren betrachtet. Als befähigende Ressourcen werden mitunter auch die so­ zioökonomische Struktur der Nachbarschaft (Andersen et al., 2002; Chen et al., 2008; Stockdale et al., 2007), oder die Region (städtische/ländliche Wohngegend) (Nabalamba & Millar, 2007) analysiert. Die Bedarfsfaktoren werden oftmals um präzisere Angaben zum Vorliegen verschiedener spezi­ fischer Erkrankungen (Ani et al., 2008; Broyles et al., 1999; Hammond et al., 2010; Insaf et al., 2010), oder den Limitationen im täglichen Leben aufgrund gesundheitlicher Beschwerden ergänzt (Afilalo et al., 2004; Ani et al., 2008; Blackwell et al., 2009; Thode et al., 2005).54 Die grundsätzliche Offenheit des Modells hinsichtlich der Operationali­ sierung einzelner Dimensionen geht damit einher, dass das Modell keine Theorien zum Einfluss verschiedener Variablen vorgibt. Die Sinnhaftigkeit der Berücksichtigung einzelner Determinanten muss demnach stets durch eine Verknüpfung mit entsprechenden Theorien erfolgen (Gruber & Kie­ sel, 2009). Nachfolgend werden für Deutschland vorliegende Erkenntnisse über den Einfluss verschiedener Variablen der Dimensionen Prädispositio­ nen, befähigende Faktoren und Bedarfsfaktoren auf die ambulante Inan­ spruchnahme sowie theoretische Ansätze zur Erklärung des Einflusses der verschiedenen Variablen auf die Inanspruchnahme dargelegt.

54 Babitsch et al. (2012) identifizieren zudem eine Studie, die den Einfluss der Kultur auf die Nutzung des Gesundheitssystems älterer südasiatischer Kanadier mittels Fragen nach der Religion, der ethnischen Identität, sowie Glauben an traditionelle südasiatische Gesundheitseinstellungen analysieren. Die Autoren dieser Studie schlussfolgern aus ihrer Analyse, dass der Einfluss der kulturellen Faktoren ebenso stark ist wie der Einfluss der Bedarfsfaktoren (Surood & Lai, 2010). Auch wenn sich diese Analyse auf eine spezifische Minderheit in Kanada bezieht, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine Öffnung des Modells hin zu kulturellen Faktoren, insbesondere bei der Analyse der Inanspruchnahme von Migranten, wertvolle Erkenntnisse offenbaren könnte.

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

4.3.2 Empirische Evidenz zur Inanspruchnahme in Deutschland 4.3.2.1 Prädispositionen 4.3.2.1.1 Demografie Seit Jahrzehnten zeigen verschiedene Analysen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Gesundheit bestehen. In den meisten Län­ dern der Welt übersteigt die Lebenserwartung der Männer die der Frau­ en (Babitsch et al., 2014). Auf Basis der Sterbetafel der Jahre 2016/2018 liegt die durchschnittliche Lebenserwartung des Geburtsjahrgangs 2017 für Frauen in Deutschland bei 83,3 Jahren, für Männer bei 78,5 Jahren (Statistisches Bundesamt, 2019). Darüber hinaus erkranken Männer und Frauen jedoch auch an unterschiedlichen Krankheiten. Während Männer eher einen Herzinfarkt erleiden, leiden Frauen eher an Osteoporose, Rheu­ ma oder Depressionen (Regitz-Zagrosek, 2018). Erklärungsansätze für die Unterschiede in Mortalität und Morbidität umfassen neben weiteren Faktoren seit Jahrzehnten auch die Bedeutung der in vielen Ländern höheren Inanspruchnahme medizinischer Leistun­ gen von Frauen (Verbrugge, 1985; Waldron, 1998). Auch für Deutschland belegen verschiedene Analysen, dass Frauen eine höhere Inanspruchnah­ me aufweisen als Männer (Huber et al., 2007; Keil et al., 2020; Prütz & Rommel, 2017; Rattay et al., 2013; Thode et al., 2005). So zeigen beispiels­ weise Daten der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (2014, 2015, n=23.921), dass innerhalb eines Jahres 90,9 % der Frauen, jedoch lediglich 84,1 % der Männer einen Arzt aufsuchen (Rattay et al., 2013). Auch wenn das Geschlecht als Prädisposition für die Gesundheit und die Inanspruchnahme in den 1980er und 1990er Jahren noch keine Berücksichtigung in den Lehrbüchern fand, ist dieser Zusammenhang mittlerweile anerkannt und Forschungsgegenstand (Sieverding, 2010).55 Grundsätzlich können Analysen mit geschlechtsspezifischem Fokus nicht nur zur Beschreibung der geschlechtsspezifischen Inanspruchnahme her­ angezogen, sondern auch als frühzeitiger Indikator für eine eventuell un­

55 Dies verdeutlichen beispielsweise die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e.V. im Jahr 2018 (Deutsche Gesellschaft für ge­ schlechtsspezifische Medizin e.V., 2018), oder die von der Charité entwickelte Datenbank Gendermedizin, die sich mit biologischen und soziokulturell beding­ ten Geschlechterunterschieden im Bereich der Diagnostik, Klinik und Therapie befasst (Oertelt-Prigione et al., 2014).

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

gleiche Versorgung oder Fehlversorgung betrachtet werden, welcher somit zeitnah gegengesteuert werden könnte (Keil et al., 2020). In diesem Kontext ist die Unterscheidung zwischen „sex“ und „gender“ von Bedeutung. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Inanspruch­ nahme könnten sowohl aufgrund biologischer Unterschiede zwischen Männern und Frauen, in Form eines „biologischen Imperativs“ (sex), als auch aufgrund gesellschaftlich konstruierter Erwartungen (gender) zwischen den Geschlechtern bestehen (Sieverding, 2010; Thode et al., 2004). Biologische Unterschiede umfassen genetische Prädispositionen, wobei insbesondere auf die Fortpflanzung bezogene Unterschiede, die mit Schwangerschaft, Verhütung, Beschwerden aufgrund von Menstruation oder Klimakterium einhergehen, augenscheinlich sind (Sieverding, 2010). Kuhlmann (2016, S. 184) verweist in diesem Kontext jedoch darauf, dass vorliegende Daten zumeist lediglich nach Geschlecht „sortiert“ würden, um „eindeutige(n) Aussagen bipolarer Analysen“ zu erhalten und die „Komplexität der Lebenszusammenhänge von Frauen und Männern“ zu diesem Zwecke vernachlässigt würden. Dies erschwere die Aufklärung der Rolle des Gesundheitsversorgungssystems und die Verringerung von Ungleichheiten (Kuhlmann & Annandale (2012) nach Kuhlmann (2016, S. 183)). Die Behauptung der undifferenzierten Betrachtung können Bab­ itsch et al. (2014) anhand einer systematischen Literaturübersicht zum Einfluss des Geschlechts auf die Inanspruchnahme in Deutschland stützen. Zudem kommen sie zu der Erkenntnis, dass die Wechselwirkungen des Geschlechts mit weiteren Faktoren wie Einkommen oder Bildung kaum berücksichtigt werden (Babitsch et al., 2014). Die Fokussierung auf die biologischen Unterschiede führt dazu, dass die höhere Inanspruchnahme von Frauen mit der Notwendigkeit und Anzahl von Frauenarztbesuchen erklärt wird. Lademann et al. (2005) bei­ spielsweise zeigen auf Basis der Daten des Bundesgesundheitssurveys aus dem Jahr 1998 (BGS98) (2005, n=7.124), dass ein größerer Anteil von Frauen (24,5 %) als Männer (31,0 %) im Alter von 30 bis 44 Jahren in den letzten vier bis zwölf Monaten einen Arzt aufgesucht hat. Die Autoren schlussfolgern, dass sich der geschlechtsspezifische Unterschied der Inan­ spruchnahme unter Berücksichtigung der Inanspruchnahme von Gynäko­ logen jedoch relativiert, da 29,6 % der Frauen im Alter zwischen 30 und 44 Jahren bei ihrem letzten Arztbesuch einen Frauenarzt aufgesucht haben. Die Angaben beziehen sich jedoch lediglich auf den letzten Besuch und eignen sich somit nur bedingt, um den Einfluss von Frauenarztbesuchen auf die Inanspruchnahme aller Ärzte der letzten vier bis zwölf Monate abzuschätzen.

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Prinzipiell wird den biologischen Faktoren trotz des damit verbunde­ nen spezifischen Versorgungsbedarfs dennoch ein geringerer Anteil des ge­ schlechtsspezifischen Effekts der Inanspruchnahme zugesprochen als wei­ teren sozialen Faktoren wie Bildung oder Einkommen (Atzpodien et al., 2014). Zwei aktuelle Studien zeigen dennoch, dass auch die Berücksichtigung dieser Faktoren geschlechtsspezifische Unterschiede in der Inanspruchnah­ me nicht gänzlich erklären kann. So zeigen Daten einer städtischen Be­ völkerungsstudie (2012, 2013, n=2.244), dass Frauen häufiger Haus- und Fachärzte aufsuchen (98,3 % vs. 96,6 %) sowie präventive und gesundheits­ fördernde Maßnahmen (33,9 % vs. 19,7 %) eher in Anspruch nehmen als Männer, und dieser Zusammenhang auch unter Kontrolle des sozioökono­ mischen Status bestehen bleibt (Keil et al., 2020). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auf Basis der im Jahr 2008 durchgeführten Landesgesundheits­ studie (2008, n=1.246) auch für den ländlichen Raum (Röding & Elkeles, 2020). In dieser Analyse zeigt sich ebenfalls eine höhere Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Leistungen von Frauen, die nicht nur unter Kontrol­ le des sozialen Status, sondern auch unter Kontrolle des Gesundheitszu­ stands bestehen bleibt. Diese gar unter Kontrolle sozioökonomischer und gesundheitlicher Faktoren bestehende höhere Inanspruchnahme von Frauen könnte auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen hindeuten. So wird Frauen zum einen eine höhere Sensibilität für ihren Körper und eine größere Bereit­ schaft, Hilfe anzunehmen, zugesprochen (Sieverding, 2010). Untersuchun­ gen zeigen zum anderen, dass sich die Wahrnehmung, Bewertung und Kommunikation von Symptomen zwischen Männern und Frauen unter­ scheidet (Laubach & Brähler, 2001). Auch diese mit einem Geschlecht einhergehenden gesellschaftlich konstruierten Erwartungen könnten die Inanspruchnahme beeinflussen. Aufgrund dessen fordern in Übereinstimmung mit Kuhlmann (2016) auch weitere Wissenschaftler, dass das Geschlecht als horizontale Dimen­ sion, die das Leben formt und das gesellschaftlich vorherrschende Ge­ schlechterverhältnis repliziert, also der Einfluss sozialer Geschlechterrol­ len, stärker betrachtet werden sollte (Babitsch, 2009; Keil et al., 2020). Für Deutschland liegt mit der Studie von Thode et al. (2005) eine Analyse vor, deren Ergebnisse im Kontext dieses Erklärungsansatzes inter­ essant sind. Die Autoren zeigen auf Basis des BGS98 (n=7.124), dass das Geschlecht die Inanspruchnahme nicht nur direkt beeinflusst, sondern verschiedene Wechselwirkungen zwischen dem Geschlecht und weiteren Einflussgrößen vorliegen, die auf geschlechtsspezifische Wirkungen ver­

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

schiedener Einflussfaktoren hindeuten. Denn die Autoren finden nicht nur eine Wechselwirkung zwischen Alter und Geschlecht, sondern entde­ cken auch, dass Männer bei Verletzungen verhältnismäßig gar häufiger zum Arzt gehen als Frauen. Auch wenn diese Ergebnisse den Erklärungs­ ansatz über den Einfluss gesellschaftlich konstruierter Erwartungen auf die Inanspruchnahme nicht bestätigen können, deuten die Ergebnisse zumin­ dest darauf hin, dass der vermeintliche klare Zusammenhang zwischen Geschlecht und Inanspruchnahme komplexer sein könnte als in vielen Analysen der Inanspruchnahme propagiert. Grundsätzlich interessant ist, dass in älteren Bevölkerungsgruppen scheinbar keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Inanspruch­ nahme vorliegen, wie Prütz & Rommel (2017) auf Basis der Studie Ge­ sundheit in Deutschland aktuell (GEDA) (2014, 2015, n=23.921) feststel­ len. Der Anteil von Frauen und Männern, der angab in den letzten 12 Monaten mindestens einmal einen Arzt aufgesucht zu haben, weichte bei Personen ab 65 Jahren kaum voneinander ab (93,7 % der Männer und 94,0 % der Frauen). Die Autoren berücksichtigen jedoch nicht den Gesundheitszustand der Befragten. Eine Angleichung der Inanspruchnah­ me der Geschlechter im Lebensverlauf könnte unter Umständen jedoch erklären, wieso Heider et al. (2014) auf Basis der ESTHER Kohortenstudie, die Personen im Alter von 57 bis 84 Jahren umfasst (2008 – 2010, n=3.124), lediglich einen geringen Einfluss des Geschlechts auf die Inanspruchnah­ me finden. Das Alter wird im Kontext der Inanspruchnahme nicht nur im Zusam­ menhang mit dem Geschlecht, sondern auch als eigenständige prädispo­ nierende Variable untersucht. Der angenommene Zusammenhang und die Erklärungsansätze sind hier jedoch weniger komplex. So wird aufgrund eines sich im Lebensverlauf verschlechternden Gesundheitszustands und dem damit verbundenen erhöhten Versorgungsbedarf von einem positiven Zusammenhang zwischen Alter und Inanspruchnahme ausgegangen. Die­ ser angenommene Zusammenhang bestätigt sich auch in der Regel (Grab­ ka et al., 2005; Heider et al., 2014; Huber et al., 2007; Riphahn et al., 2003; Schmitz, 2012; Stentzel et al., 2016; Thode et al., 2005). Interessant ist hierbei, dass sich dieser Zusammenhang nicht linear gestaltet (Bergmann et al., 2005; Thode et al., 2004), wobei bei Patienten ab 70 Jahren kein weiterer Anstieg, sondern ein kleiner Rückgang beobachtet werden kann (Rattay et al., 2013). Rattay et al. (2013) merken in diesem Kontext an, dass sowohl Erkenntnisse vorliegen, dass dieser Rückgang darauf zurück­ zuführen sei, dass ein Arztbesuch für sehr alte Personen weniger gut zu bewältigen ist (Laubach & Brähler, 2001), oder/und zu einem gewissen

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Zeitpunkt ein Gewöhnungseffekt hinsichtlich körperlicher Einschränkung eintrifft (Hessel et al., 2000). Ähnlich argumentieren auch Tille et al. (2017), die auf Basis einer Bevölkerungsbefragungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2006–2016, n= 42.925,) feststellen, dass sehr häufige Arztbesuche (mehr als 10 mal pro Jahr) bei Personen ab 60 Jahren abneh­ men. Tille et al. (2017) führen an, dass trotz zunehmender Krankheitslast im Alter, Personen diesen Zustand nicht in gleichem Maße als Anlass se­ hen würden, einen Arzt aufzusuchen, was er in Anlehnung an Ferring (2015) als „Zufriedenheitsparadox“ beschreibt. 4.3.2.1.2 Sozialstruktur Unter der Dimension Sozialstruktur werden verschiedene Faktoren zusam­ mengefasst, die die Stellung einer Person in einer Gesellschaft bestimmen oder die Fähigkeiten der Problembewältigung und das Einsetzen vorhan­ dener Ressourcen zur Problembewältigung einer Person beschreiben (An­ dersen, 1968). Entsprechend des ersten, im Jahre 1968 entwickelten, Modells der In­ anspruchnahme medizinischer Leistungen (Andersen, 1968) wurden zur Abbildung dieser Dimension in den ersten Jahrzehnten der Anwendung des Modells in wissenschaftlichen Analysen primär die Faktoren Bildung, Beschäftigung und Ethnizität herangezogen. Von verschiedenen Wissen­ schaftlern wurde jedoch die Vernachlässigung sozialer Netzwerke, sozialer Interaktion, oder Kultur, kritisiert (vgl. bspw. Guendelman, 1991). Der Entwickler des Modells, Andersen, reagierte auf diese Kritik und ordnete diese Faktoren als durchaus angemessen zur Abbildung der Sozialstruktur ein (Andersen, 1995). Mittlerweile werden zur Abbildung der Sozialstruk­ tur vorwiegend die Faktoren Einkommen und Bildung, zumeist gemessen oder berücksichtigt in Form des sozioökonomischen Status, aber auch der Beruf oder soziale Netzwerke berücksichtigt (Thode et al., 2004, S. 17). Nachfolgend werden für Deutschland vorliegende Erkenntnisse zu diesen beiden Dimensionen dargelegt.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

4.3.2.1.2.1 Sozioökonomischer Status Der sozioökonomische Status56 gilt in Deutschland als größter Einfluss­ faktor auf die Gesundheit (Latzitis et al., 2011). Verschiedene Analysen zeigen, dass ein niedrigerer sozialer Status mit einer erhöhten Wahrschein­ lichkeit, eine Krankheit zu erleiden, oder früher zu sterben, einhergeht (Lampert & Kroll, 2006; Lampert & Kroll et al., 2007; Lampert & Saß et al., 2007; Mackenbach et al., 2008; Mielck, 2008; Wilkinson, 2003). Zu einem Teil kann dies wohl durch ein ungünstiges Gesundheitsverhalten erklärt werden. So rauchen Personen aus niedrigeren sozialen Schichten häufiger, sind mit größerer Wahrscheinlichkeit adipös und betätigen sich in geringerem Maße sportlich (Aue et al., 2016; Barber et al., 2017; Lam­ pert & Kroll, 2006).57 Diese gesundheitliche sozioökonomische Ungleichheit ist zum einen aufgrund der normativ angestrebten Vermeidung sozialer Ungleichheit

56 Operationalisiert wird der sozioökonomische Status zumeist durch einen Index, der je nach Studie eine Kombination von Einkommen, schulischer und/oder beruflicher Bildung, beruflicher Stellung und dem Krankenversicherungsstatus umfasst. Die Entscheidung, die genannten Faktoren isoliert zu untersuchen oder zu einem mehrdimensionalen Index zu kombinieren liegt bei den jeweils ausführenden Wissenschaftlern und hängt von der Fragestellung ab. Lampert et al. (2013) verweisen in diesem Kontext darauf, dass ein mehrdimensionaler Index grundsätzlich leichter verständlich ist und für die Analyse der Entwick­ lung gesundheitlicher Ungleichheit im Zeitverlauf geeignet scheint. Bei anderen Fragestellungen, wie der Bestimmung von Zielgruppen für Maßnahmen und Programme, kann die isolierte Betrachtung der einzelnen Komponenten sinnvol­ ler sein. So können „eher Rückschlüsse auf die Bedeutung von gesundheitsrele­ vanten Einstellungen und Verhaltensweisen, berufsbezogenen Belastungen und Ressourcen oder materiellen Lebensbedingungen“ erfolgen (Lampert et al. 2013, S. 635). Ein Großteil der für Deutschland vorliegenden Studien, die nachfolgend dargelegt werden, fasst Bildung und Einkommen zu einem Index zusammen. Die Unterschiede in der Operationalisierung erschweren die Vergleichbarkeit der vorliegenden Erkenntnisse zum Einfluss des sozioökonomischen Status (Lampert & Kroll, 2009) 57 Ob eine schlechtere Gesundheit den sozioökonomischen Status beeinflusst, (health selection Hypothese), oder aber der sozioökonomische Status den Ge­ sundheitszustand (social causation Hypothese), ist kausalanalytisch schwierig zu beantworten (Warren, 2009; Hoffmann et al., 2019). Denkbar wäre jedoch auch, dass sich diese Wirkungen im Lebensverlauf gegenseitig beeinflussen. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, inwiefern die zwischen Gesundheit und sozia­ lem Status beobachtbaren Zusammenhänge Faktoren zuzuschreiben sind, die sowohl den sozioökonomischen Status als auch die Gesundheit beeinflussen (in­ direkte Selektionshypothese) (Warren, 2009; Hoffmann et al., 2019).

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von Relevanz. Zum anderen wird sie jedoch auch unter dem Gesichts­ punkt der damit verbundenen ökonomischen Konsequenzen diskutiert. Denn eine schlechtere Gesundheit niedrigerer sozialer Schichten ist auch mit einer höheren Inanspruchnahme und somit auch mit höheren Kosten verbunden. So schätzen Mackenbach et al. (2008) auf Basis europäischer Daten, dass bis zu 20 % der Gesundheitsausgaben einem schlechteren Gesundheitszustand niedrigerer sozialer Schichten zugeschrieben werden können und sich die Kosten unter Berücksichtigung der damit verbunde­ nen Produktivitätsverluste und Ausgaben weiterer Sozialversicherungsträ­ ger auf 9 % des BIPs belaufen könnten. Auch für Deutschland zeigen verschiedene Analysen, dass Personen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status eine höhere Inanspruchnah­ me aufweisen. Dieser Unterschied bleibt auch bestehen, wenn der Gesund­ heitszustand berücksichtigt wird. So zeigen Lüngen et al. (2009) auf Basis einer Stichprobe der Wohnbevölkerung Deutschlands (2002, n=75.122, 2006, n=60.555), dass Personen aus niedrigeren sozialen Schichten eine hö­ here Anzahl an Arztkontakten aufweisen.58 Der Unterschied ist zwischen Frauen der unteren sozialen Schicht (durchschnittlich 4,88 Allgemeinarzt­ besuche pro Jahr) und der oberen sozialen Schicht (3,18) mit einer Dif­ ferenz von 1,7 Arztbesuchen größer als der Unterschied von 1,55 Arztbe­ suchen zwischen Männern der unteren (4,08) und Männern der oberen sozialen Schicht (2,53). Werden die Angaben zur Inanspruchnahme nach Alter und Gesundheitszustand standardisiert, reduziert sich dieser Unter­ schied in der Gruppe der Frauen auf 0,68 Arztbesuche (3,89 vs. 3,21) und in der Gruppe der Männer auf 1,05. Ein Teil der sozioökonomischen Un­ terschiede kann demnach mittels Unterschiede in der Morbidität und dem Alter erklärt werden, die schichtspezifischen Unterschiede werden jedoch nicht nivelliert und lassen auf gesundheitsunabhängige Mechanismen des sozioökonomischen Status schließen. Interessant ist, dass bei Frauen (etwa 60 %) ein größerer Anteil des schichtspezifischen Unterschieds durch Alter und Morbidität erklärt werden kann als bei Männern (etwa 35 %). Ähnliche Schlussfolgerungen lassen sich auch auf Basis einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1) (2008 – 2011, n=6.730) ziehen. Die Daten zeigen, dass Personen der niedrigsten sozioökonomi­ schen Gruppe eine um 9 % erhöhte Wahrscheinlichkeit besitzen, Vielnut­

58 Der soziale Status wird in Anlehnung an den Winkler-Index bestimmt. Berück­ sichtigt werden Einkommensgruppen sowie Äquivalenzeinkommen, Schul- und Berufsabschlüsse sowie (frühere) Erwerbstätigkeit.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

zer zu sein (Luppa et al., 2020).59 Die Berücksichtigung von psychosozia­ lem Stress, medizinischem Bedarf und selbsteingeschätztem Gesundheits­ zustand reduziert die Effektgröße des sozioökonomischen Status zwar um 51 %, hebt ihn jedoch nicht auf. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass die Berücksichtigung des Ge­ sundheitszustands bei der Analyse des sozioökonomischen Status auf die Inanspruchnahme von Bedeutung ist. Darüber hinaus spielt auch die Un­ terscheidung zwischen Haus- und Facharztbesuchen eine Rolle. So zeigt eine systematische Literaturrecherche zum Einfluss verschiede­ ner Indikatoren des sozioökonomischen Status auf die ambulante Inan­ spruchnahme (Klein et al., 2014)60, dass Personen mit niedrigerem sozio­ ökonomischen Status zwar häufiger einen Hausarzt, jedoch seltener einen Facharzt aufsuchen als Personen mit einem höheren Status (Baumeister et al., 2004; Bergmann et al., 2005; Lüngen et al., 2009; Or et al., 2008; Stirbu et al., 2011; Thode et al., 2005). Dieses Muster der Inanspruchnah­ me zeigt sich auch bei der Inanspruchnahme älterer Personen (Bremer & Wübker, 2012; Gruber & Kiesel, 2009). So zeigen Rattay et al. (2013) auf Basis der DEGS 1, (2008 – 2011, n=7.784), dass 80,5 % der Personen mit niedrigem Sozialstatus und 73,9 % der Personen mit hohem Sozialstatus in den letzten 12 Monaten einen Allgemeinarzt aufgesucht haben. Dieses Verhältnis kehrt sich bei der In­ anspruchnahme von Fachärzten verschiedener Richtungen jedoch um. Besonders ausgeprägt ist dieser Unterschied bei der Inanspruchnahme von Hautärzten (18,4 % vs. 25,8 %), Frauenärzten (56,8 % vs. 78,4 %) und Zahnärzten (56,0 % vs. 80,9 %), wobei insbesondere Zahn- und Frauenärz­ te als Facharztrichtungen betrachtet werden, die insbesondere präventive Maßnahmen anbieten (Rattay et al., 2013). Dies interpretieren Rattay et al. (2013) als Hinweis auf eine Ungleichheit im Bereich der Vorsorgeuntersu­ chungen.

59 Als Vielnutzer wurden die 1 % der Teilnehmer mit der höchsten Anzahl an Haus­ arztbesuchen definiert. Der sozioökonomische Status wurde auf Basis schulischer und beruflicher Qualifikation, des Berufstatus und des Netto-Äquivalenzeinkom­ men gemessen. 60 Klein et al. (2014) berücksichtigen Studien, die Bildung, Einkommen, berufli­ chen Status oder den Versicherungsstatus als unabhängige Variable berücksichti­ gen. Die Autoren identifizieren 57 Studien zur Inanspruchnahme ambulanter, stationärer und präventiver Leistungen im Zeitraum von 1998 bis 2012. Zur Inanspruchnahme ambulanter Leistungen werden insgesamt 24 Studien identifi­ ziert. (Klein et al., 2014).

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Ähnliche Ergebnisse finden auch Krause & Prütz (2020) für die haus­ ärztliche und gynäkologische Inanspruchnahme von Frauen zwischen 50 und 79 Jahren. Auf Basis der DEGS1 (2008 – 2011, n=2.278) ermitteln die Autoren, dass Frauen aus niedrigen oder mittleren sozialen Schichten mit durchschnittlich 5,5 und 4,8 Arztbesuchen innerhalb eines Jahres eine höhere durchschnittliche Inanspruchnahme aufweisen als Frauen der ho­ hen sozioökonomischen Gruppe mit 3,6 Arztbesuchen. Dies wird auch von einer höheren Kontaktwahrscheinlichkeit von Frauen der niedrigen (81,8 %) oder mittleren (84,7 %) Statusgruppe beeinflusst, die über der Kontaktwahrscheinlichkeit von Frauen aus der hohen Statusgruppe liegt (75,7 %). Dieses Verhältnis kehrt sich bei der Inanspruchnahme gynäkolo­ gischer Untersuchungen um. Während lediglich 47,1 % und 61,8 % der niedrigen bzw. mittleren sozioökonomischen Statusgruppe innerhalb ei­ nes Jahres einen Gynäkologen aufgesucht haben, beträgt dieser Anteil bei Frauen der hohen Statusgruppe 68,0 %. Die hieraus resultierenden durch­ schnittlichen Arztbesuche werden nicht aufgeführt. Womöglich könnten sich die unterschiedlich gerichteten Effekte des sozioökonomischen Sta­ tus auf die Inanspruchnahme aufheben und erklären, wieso Rattay et al. (2013), aber auch Prütz & Rommel (2017) auf Basis der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA 2014/2015-EHIS) (2014, 2015, n=23.921) keinen signifikanten Einfluss des sozioökonomischen Status auf die gesam­ te Anzahl an Arztkontakten feststellen können. Eine mögliche Erklärung für die höhere Inanspruchnahme von Fachärz­ ten von Personen mit höherem sozialen Status könnte darin liegen, dass Personen mit höherem sozioökonomischen Status eine höhere Bildung aufweisen und aufgrund dessen proaktiver und zielgerichteter bei der Su­ che nach medizinischer Versorgung sind, ihre Bedürfnisse besser artikulie­ ren können und eher eine Überweisung zu einem Facharzt einfordern, wenn sie dies für notwendig erachten (Or et al., 2008). Thode et al. (2004, S. 29) merken in diesem Kontext an, dass eine niedrige soziale Schicht als „Kumulation verschiedener deprivierender Umstände“ mit einer begrenz­ ten Anzahl an Handlungsalternativen für das „Bewältigungsverhalten“ ein­ hergehen könnte. Sie verweisen dabei auf mangelndes Wissen über zum Beispiel frei verkäufliche Medikamente, das dazu führen könnte, dass die Inanspruchnahme von Hausärzten – ohne deutliche Zugangshürden – bei Personen niedrigerer sozialer Schichten höher als die von Personen höherer sozialer Schichten sein könnte (bei gleicher Gesundheit) (Thode et al., 2004).

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

4.3.2.1.2.2 Soziale Unterstützung61 Soziale Netzwerke können als eine Art Bewältigungshilfe verstanden wer­ den, die die Nachfrage nach institutionellen Hilfen beeinflusst.62 Dies beinhaltet auch die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Hierbei wird angenommen, dass größere, unterstützende Netzwerke die Nutzung anderer Versorgungsstrukturen verringern, da entweder zunächst die Hilfe des Netzwerks in Anspruch genommen wird bevor institutionelle Hilfen in Anspruch genommen werden oder aber die bloße Existenz der sozia­ len Netzwerke ein „beruhigendes“ Gefühl bewirkt, was den Bedarf nach institutionellen Hilfen verringert (Pescosolido et al., 1998). Demnach wird angenommen, dass sich soziale Beziehungen sowohl positiv auf die allge­ meine Lebenszufriedenheit als auch den Gesundheitszustand auswirken könnten (Gruber & Kiesel, 2009; Huber et al., 2007).63 Doch auch wenn bereits in den 1980er und 1990er Jahren Kritik an der Vernachlässigung sozialer Netzwerke oder sozialer Unterstützung im Andersen Modell aufkam (vgl. Andersen, 1995), ist die vorliegende em­ 61 Andersen (2014) weist in einem Vorwort eines Sammelbandes zur Inanspruch­ nahme in Deutschland darauf hin, dass grundsätzlich die Notwendigkeit besteht, die verschiedenen Variablen systematisch als prädisponierende, befähigende oder Bedarfsfaktoren zu klassifizieren. Für ihn stellt soziale Unterstützung jedoch sowohl einen prädisponierenden als auch einen befähigenden Faktor dar. So müssten Individuen zunächst Familie und Freunde haben, um von ihnen Unter­ stützung erhalten zu können. Der Prozess der sozialen Unterstützung befähigt Personen dann jedoch erst zur Inanspruchnahme. Familie und Freunde müssen die Inanspruchnahme aktiv fördern oder die betroffene Person zu einem Arzt bringen, um die Inanspruchnahme tatsächlich zu befähigen. (Andersen, 2014, VI). 62 Je nach Datenverfügbarkeit werden soziale Netzwerke oder das Maß an sozialer Unterstützung über die Anzahl von Freunden oder Verwandten, vertrauenswür­ digen Personen, dem Vorhandensein einer Partnerschaft oder Ähnlichem opera­ tionalisiert. 63 Soziologische Erklärungsansätze fokussieren sich darauf, dass soziale Unterstüt­ zung die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Stresssituationen abmildern können, psychologische Erklärungsansätze fokussieren sich darauf, dass soziale Isolation eine kräftezehrende Situation darstellt, die zu einem schlechteren Ge­ sundheitszustand führt (Huber et al., 2007). Doch auch wenn angenommen wird, dass das Ausmaß sozialer Unterstützung mit der Gesundheit zusammen­ hängt (Jungbauer-Gans, 2002), und somit auch die Inanspruchnahme beeinflusst, sind die Zusammenhänge eher rudimentär erforscht. Dies führt dazu, dass Wis­ senschaftler für eine stärkere Berücksichtigung sozialer Netzwerke oder Unter­ stützung in der Forschung über Gesundheit, vor allem im Kontext gesundheitli­ cher Ungleichheit, plädieren (Klärner et al., 2020).

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

pirische Evidenz zur Überprüfung des angenommenen Zusammenhangs zwischen sozialen Netzwerken und der Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen limitiert und die Ergebnisse nicht eindeutig. Während Baumeister et al. (2004) den Familienstatus explizit als einen Indikator für die soziale Unterstützung untersuchen, wird der Beziehungsstaus in verschiedenen Analysen als demografische Variable berücksichtigt, jedoch nicht als Indikator sozialer Unterstützung interpretiert und mögliche Wir­ kungsmechanismen somit auch nicht theoretisch fundiert. Darüber hinaus werden soziale Netzwerke oder das Ausmaß sozialer Unterstützung mittels vielfältiger Variablen operationalisiert, was den mangelnden Konsens über die adäquate Operationalisierung unterstreicht und die Vergleichbarkeit der wenigen vorliegenden Studien erschwert. Eine Variable mit nachweis­ barem Einfluss scheint jedoch das Vorliegen einer Partnerschaft zu sein. So zeigen Baumeister et al. (2004) mittels Daten einer repräsentativen Erhebung in der Wohnbevölkerung Vorpommerns (Study of Health in Pomerania – SHIP) (1997–2001, n=4.310), dass das Ausmaß sozialer Unter­ stützung lediglich einen schwach ausgeprägten verringernden Einfluss auf die Inanspruchnahme aufweist, wohingegen jedoch Personen, die in einer festen Partnerschaft leben, deutlich weniger Arztbesuche in Anspruch neh­ men als Personen ohne festen Partner (4,3 versus 2,6).64 Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen auch Huber et al. (2007). Die Autoren analysieren den Einfluss sozialer Unterstützung auf die Inan­ spruchnahme mit Daten einer repräsentativen Erhebung in der Wohnbe­ völkerung Süddeutschlands (Monitoring trends and determinants on Car­ diovascular Diseases – MONICA) (1994 – 1995, n=4.856) und vergleichen den Einfluss verschiedener Variablen, die das Maß der sozialen Unterstüt­ zung65 abbilden können, miteinander. Wohingegen in der bivariaten Ana­ lyse alle Indikatoren der sozialen Unterstützung die Inanspruchnahme

64 Soziale Unterstützung wurde mittels des MOS Social Support Surveys (MOS-SSS) gemessen, der darauf abzielt, das Maß der Unterstützung anderer Personen zur Bewältigung belastender Situationen einzuschätzen. Es werden insgesamt 19 Items zur Messung der vier Aspekte „soziale Unterstützung“, „emotional-in­ formative Unterstützung“, „positive soziale Interaktionen“ und „liebevolle Unter­ stützung“ sowie eine weitere Frage zum Aspekt der strukturellen Dimension (Frage nach der Anzahl der nahen Verwandten und Freunde) erhoben (Sher­ bourne & Stewart, 1991). 65 Sie nutzen dafür den Social Network Index (SNI), der die Größe des vorhande­ nen Netzwerks und die Frequenz der Kommunikation mit diesem abbildet und einen Social Support Index (SSI), der die emotionale Verbindung zu bestehenden Kontakten und somit die qualitative Ebene der sozialen Beziehungen, erfasst.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

beeinflussen, zeigt sich in der multivariaten Analyse, dass lediglich der Indikator „Zusammenleben mit dem Partner“ einen statistisch signifikant negativen Einfluss auf die Inanspruchnahme hat. So besuchten Befragte mit Partner im letzten Jahr 11 % seltener einen Hausarzt oder Internisten auf als Personen, die allein leben.66 Sowohl die Ergebnisse von Huber et al. (2007) als auch die Ergebnisse von Baumeister et al. (2004) deuten darauf hin, dass das Zusammenleben mit einem Partner für eine starke Bindung steht, die größer ist als der Einfluss weiterer Kontakte. Diesen Ergebnissen stehen jedoch konträre Erkenntnisse aus weiteren Studien gegenüber. So zeigen Eibich & Ziehbarth (2014) in einer Analyse des SOEPs (2002, 2004, 2006, n=23.167), dass Personen, die verheiratet sind, geringfügig mehr Arztbesuche in den letzten drei Monaten aufweisen als unverhei­ ratete Personen.67 Ebenso auf Basis des SOEPs (1985, n=5.096) finden auch Pohlmeier & Ulrich (1995) einen kleinen erhöhenden Effekt des Beziehungsstatus auf die Kontaktwahrscheinlichkeit, sowie Schmitz (2012) (2002, 2004, 2006, n=51.870)68 einen geringen, aber signifikanten Effekt des Familienstandes auf die Kontaktwahrscheinlichkeit und Kontaktfre­ quenz bei GKV-Versicherten. Eine vergleichsweise aktuelle Analyse auf Basis des SOEPs (2002 – 2014, n=28.574), deren Fokus auf der Identifi­ kation von Determinanten einer hohen Inanspruchnahme69 liegt, zeigt wiederum, dass eine Heirat die Wahrscheinlichkeit, ein Vielnutzer zu sein erhöht (Hadwiger et al., 2019).

66 In der von den Autoren untersuchten Stichprobe weisen Personen, die mit ihrem Partner zusammenleben eine niedrigere IA von einem Hausarzt oder Internisten auf als Personen, die allein leben (4,3 vs. 5,2) Es ist nicht eindeutig, ob diese Per­ sonen eine Partnerschaft haben, jedoch nicht mit dem Partner zusammenleben. 67 Interessant ist jedoch, dass verheiratete Personen eine signifikant geringere Kran­ kenhausaufenthaltsdauer aufweisen als nicht verheiratete Personen. Die Autoren sehen hierin eine Bestätigung der Hypothese, dass ambulante und stationäre Inanspruchnahme zu einem gewissen Grad Substitute darstellen und eine höhere Inanspruchnahme ambulanter Leistungen den Bedarf an stationärer Leistungen vorbeugt Eibich & Ziebarth (2014). 68 Schmitz (2012) geben keine Informationen über Restriktionen hinsichtlich der berücksichtigten Altersgruppen, führen die Spannweite des Alters der berück­ sichtigten Personen jedoch nicht an. Je nach gruppe liegt das durchschnittliche Alter jedoch zwischen 44,9 und 49,13 Jahren. 69 Als Vielnutzer wurden Personen definiert, die mehr als 6 Arztbesuche in den letzten 3 Monaten aufwiesen. Dies entspricht dem 90 % Perzentil der Verteilung der Arztbesuche.

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Es liegen jedoch auch Analysen vor, die keinen signifikanten Effekt des Familienstandes auf die Inanspruchnahme feststellen können. Dies trifft sowohl auf die Analyse der Anzahl der Arztbesuche von Riphahn et al. (2003) auf Basis des SOEPs (1984–1984, 1991,1994, n=27.326), als auch die Analyse der Wahrscheinlichkeit einer Vielnutzung von Luppa et al. (2020) auf Basis der DEGS1 (2008 – 2011, n=7.956) zu. Zu den gleichen Erkenntnissen für ältere Personen im Alter von 85 bis 100 Jahren kommen auch Buczak-Stec et al. (2020) mit ihrer Analyse (AgeQualiDe, 2003 – 2004, n=861). Auch sie finden keinen Einfluss des Familienstatus (verheiratet/nicht verheiratet) auf die Wahrscheinlichkeit, ein Vielnutzer zu sein. 4.3.2.1.3 Gesundheitseinstellungen (Gesundheitskompetenz und Risikoeinstellung) Unter Gesundheitseinstellungen werden Einstellungen, Werte und Wissen über Gesundheit und Gesundheitsdienstleistungen verstanden, die die Wahrnehmung über den Bedarf, aber auch die Möglichkeiten der Inan­ spruchnahme beeinflussen können (Andersen, 1995). Laubach & Brähler (2001) verweisen im Rahmen einer von ihnen durchgeführten Studie zu Symptomwahrnehmung darauf, dass vor einer Inanspruchnahme schein­ bar komplexe Prozesse der Körperwahrnehmung und Symptombewertung stehen, die einen Teil dieser Gesundheitseinstellungen konstituieren. Gesundheitskompetenz Eine Gesundheitseinstellung, die insbesondere dazu geeignet scheint die Wissenskomponente über Gesundheit und Gesundheitsleistungen abzude­ cken, ist die „Gesundheitskompetenz“ oder „Health Literacy“. Verstanden werden darunter „Fähigkeiten und Fertigkeiten, Gesundheitsinformatio­ nen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und für gesundheitsbezogene Entscheidungen anzuwenden“ (Robert Koch-Institut, 2021, o.S.). Diese Fähigkeit kann im Rahmen des Verhaltensmodells nach Andersen als prä­ disponierende Ressource verstanden werden.70 Einer eingeschränkten Gesundheitskompetenz werden negative Auswir­ kungen auf die Gesundheit, das Gesundheitsverhalten und die Nutzung

70 Teilweise werden diese Fähigkeiten und Fertigkeiten auch als eigenständige Di­ mension des Zugangs zu Gesundheitsleistungen verstanden (Saurman, 2016).

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

und Kosten der Gesundheitsversorgung zugeschrieben (Hügler, 2013; Peli­ kan et al., 2018; Robert Koch-Institut, 2021). Auch aufgrund dieser mit unzureichender Gesundheitskompetenz verbundenen Kosten, aber auch als Maßnahme zur Verringerung sozialer Ungleichheit, wird die Förde­ rung der Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung als eine ge­ sellschaftliche Herausforderung betrachtet (Bittlingmayer et al., 2020; Hur­ relmann & Schaeffer, 2018; Schaeffer et al., 2020). Primär wird dabei angenommen, dass eine niedrige Gesundheitskompe­ tenz zu einer schlechteren Gesundheit führt, die eine erhöhte Inanspruch­ nahme bedingt. Ein besserer Gesundheitszustand aufgrund einer höheren Gesundheitskompetenz kann dabei durch eine höhere Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen (MacLeod et al., 2017), ein besseres Gesund­ heitsverhalten (Thode et al., 2004), eine bessere Therapietreue, oder Wis­ sen über Krankheiten (Cho et al., 2008) bedingt sein. Während der Ein­ fluss des aus dem angloamerikanischen Raum stammendenden Konzepts auf Gesundheit und Inanspruchnahme in vielen verschiedenen Ländern bereits seit Jahrzehnten untersucht wird, wurde das Konzept in Deutsch­ land bisher eher vernachlässigt (vgl. bspw. Vogt et al., 2016). Dies führt dazu, dass der Kenntnisstand über das in der deutschen Bevölkerung vorliegende Maß an Gesundheitskompetenz sowie Bereiche, die von der Gesundheitskompetenz beeinflusst werden, noch lückenhaft ist. Die limitierten für Deutschland vorliegenden Daten lassen jedoch schlussfolgern, dass die Gesundheitskompetenz in Deutschland schwach ausgeprägt ist und sich in den letzten Jahren verschlechtert hat. So zeigt ein Vergleich des ersten Health Literacy Survey (HLS-GER) (2014, n=2.000) (Schaeffer et al., 2017) mit dem zweiten Health Literacy Survey (HLS-GER 2) (2019 – 2020, n=2.151) (Schaeffer et al., 2021), dass der An­ teil der Bevölkerung, der eine inadäquate Gesundheitskompetenz aufweist von 54,3 auf 58,8 Prozent gestiegen ist.71 Die im Rahmen des HLS-GER 2 ermittelte Gesundheitskompetenz ist zudem sozial ungleich verteilt. So ist der Anteil von Personen mit inadäquater Gesundheitskompetenz bei

71 Die Health Literacy wird mittels des HLS-EU-Q47 Fragebogens erhoben. Der HLS-EU-Q47 erfasst die Schwierigkeiten bei der Bewältigung von 47 konkreten, gesundheitsrelevanten Informationsaufgaben und -anforderungen beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden gesundheitsrelevanter Informationen in verschiedenen Bereichen. Die Antworten werden zu einem Index zusammenge­ fasst, der auf 100 skaliert wird. Auf dieser Basis werden dann die Kompetenzni­ veaus festgelegt (0–50: inadäquat, >50–66,67: problematisch, >66,67–83,33: ausrei­ chend,>83,33–100: exzellent oder dichotomisiert. 0–66,67: gering und >66,67: hoch).

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Personen mit niedrigem Bildungsniveau (78,3 %), niedrigem Sozialstatus (71,9 %), einer chronischen Erkrankung (62,3 %) und mit Migrationshin­ tergrund (63,1 %) deutlich höher. Interessanterweise können zwischen Frauen und Männern keine Unterschiede hinsichtlich der Gesundheits­ kompetenz festgestellt werden. Die Ergebnisse des HLS-GER 2 zeigen zu­ dem, dass sich Personen mit hoher Gesundheitskompetenz durch eine ge­ sündere Ernährungsweise kennzeichnen, häufiger Sport treiben und ihren subjektiven Gesundheitszustand als besser einschätzen als Personen mit niedriger Gesundheitskompetenz (Schaeffer et al., 2021). Die schlechtere Einschätzung des Gesundheitszustands könnte erklären, wieso Personen mit einer schlechteren Gesundheitskompetenz signifikant häufiger einen Hausarzt aufsuchen (82,2 % vs. 87,9 %) oder Vielnutzer sind (mehr als 6 Arztbesuche pro Jahr, 27,8 % vs. 13,6 %) (Schaeffer et al., 2021). Eine Limitation dieser Zusammenhänge liegt jedoch in der bivariaten Analy­ se und der Vernachlässigung des objektiven Gesundheitszustandes, der sowohl eine schlechtere subjektive Gesundheitseinschätzung als auch eine höhere Inanspruchnahme erklären könnte. Die Ergebnisse spiegeln jedoch aus dem angloamerikanischen Raum vorhandenen Ergebnisse zu Health Literacy und Inanspruchnahme wider (Lee et al., 2004; MacLeod et al., 2017; Mantwill & Schulz, 2017; Rasu et al., 2015). Risikoeinstellung Neben der Gesundheitskompetenz könnte auch die Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit die Inanspruchnahme beeinflussen. Da medizinische Entscheidungen einen besonders großen Anteil von Risiko und Unsicher­ heit beinhalten, liegt es nahe, anzunehmen, dass die Risikoeinstellung auch für die Entscheidung über die Inanspruchnahme eine bedeutende Rolle spielt (Lutter et al., 2019). So könnte die Risikoeinstellung direkt das Bedürfnis nach einer Inanspruchnahme beeinflussen oder über das Gesundheitsverhalten und den Gesundheitszustand die Inanspruchnahme beeinflussen (Schmitz, 2012; Schmitz & Winkler, 2016). Verschiedene Stu­ dien aus dem angloamerikanischen Raum der letzten Jahre konnten den Einfluss der Risikoeinstellung auf das Gesundheitsverhalten untermauern (Anderson & Mellor, 2008; Barfoed et al., 2016). In Deutschland werden Risikoeinstellungen jedoch primär mit Hinblick auf ihre Bedeutung für den Abschluss von privaten Zusatzversicherungen analysiert (Lange et al., 2017; Schmitz, 2011; Schreyögg, 2004).

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Lutter et al. (2019) analysieren jedoch den Einfluss der Risikoeinstel­ lung72 auf die Inanspruchnahme im Rahmen einer Studie (2013–2014, n=1.823). Sie zeigen, dass eine erhöhte Risikobereitschaft im Bereich Ge­ sundheit, die Wahrscheinlichkeit in den letzten 3 Monaten einen Arzt aufgesucht zu haben signifikant reduziert, wohingegen die generelle Risi­ koeinstellung einen signifikanten Einfluss auf die Kontaktfrequenz hat. Die Erhöhung der Risikobereitschaft im Allgemeinen um eine Standard­ einheit reduziert die Anzahl der Arztbesuche dabei um 6 %. 4.3.2.1.4 Psychologische Faktoren In verschiedenen Disziplinen wird die Relevanz psychologischer Merkma­ le wie Kontrollüberzeugung, Persönlichkeit, Werte oder Lebenszufrieden­ heit, Optimismus oder Intelligenz für verschiedene sozioökonomische Er­ folgsgrößen („Lebenserfolg“) seit Jahrzehnten diskutiert und anerkannt (Kovaleva et al., 2012). Als mögliche Determinanten der Inanspruchnahme werden diese Merkmale jedoch selten berücksichtigt. Dies kann unter Umständen auch damit zusammenhängen, dass das Andersen Modell erst im Jahr 2000 im Rahmen der Erklärung der Inanspruchnahme wohnungs­ loser Personen um psychologische Faktoren ergänzt wurde (Gelberg et al., 2000). In den darauffolgenden Jahren wurden psychologische Faktoren in­ ternational zunächst für die Analyse des Inanspruchnahmeverhaltens wei­ terer vulnerabler Gruppen genutzt (Felsher et al., 2020; Stein et al., 2007). Vereinzelt wurden psychologische Faktoren in den letzten Jahren interna­ tional jedoch auch im Rahmen der allgemeinen Analyse des Inanspruch­ nahmeverhaltens berücksichtigt (Jesus & Xiao, 2014; Marijanović et al., 2017; Musich et al., 2020; Roddenberry & Renk, 2010). Grundsätzlich wird angenommen, dass die Selbsteinschätzung der Gesundheit von der individuellen Wahrnehmung, Präferenzen, emotionaler Verfassung und Werten abhängt, die von verschiedenen psychologischen Konstrukten oder der Persönlichkeit beeinflusst sein könnten (Bock et al., 2018; Campbell & Roland, 1996; Hajek et al., 2017c).

72 Die Risikoeinstellung wurde mit einer Frage zur allgemeinen Bereitschaft, Risi­ ken einzugehen (Zustimmung auf einer 11-Punkte-Skala von 0 „gar nicht bereit“ bis 10 „sehr bereit“) erfasst. Darüber hinaus wurde auch die spezifische Einstel­ lung zu Risiken in sechs weiteren Lebensbereichen erfasst. Die Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit wurde im Rahmen der Analyse auch berücksichtigt.

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

In Deutschland finden psychologische Faktoren im Rahmen der Analyse der Inanspruchnahme erst seit wenigen Jahren Berücksichtigung. Dabei wird der Einfluss auf die Inanspruchnahme im Allgemeinen (Bock et al., 2018), im Rahmen einer überdurchschnittlichen Inanspruchnahme (Ha­ jek et al., 2017a) sowie im Kontext der Inanspruchnahme präventiver Leistungen wie Krebsfrüherkennungsmaßnahmen (Hajek et al., 2017b) untersucht. Bock et al. (2018) untersuchen den Einfluss verschiedener psycho­ logischer Faktoren auf Basis des Deutschen Alterssurveys (DEAS) (2002,2008,2011, >40 Jahre, n=7.116) explorativ und zeigen, dass affekti­ ves und kognitives Wohlbefinden, Selbstwertgefühl und Optimismus die Anzahl der Arztbesuche beeinflussen, wenn soziodemografische Faktoren, selbsteingeschätzter Gesundheitszustand und die Anzahl chronischer Er­ krankungen konstant gehalten werden. Einige dieser psychologischen Faktoren scheinen auch die Wahrschein­ lichkeit, ein Vielnutzer73 zu sein, zu erhöhen. Dies zeigen Hajek et al. (2017a) in ihrer Analyse der vierten Welle des DEAS (2014, n=7.446). Dabei zeigt sich unter Kontrolle soziodemografischer Faktoren, der Morbi­ dität und dem Gesundheitsverhalten, dass eine geringere Lebenszufrieden­ heit, eine höhere negative Affektivität, eine niedrigere Selbstwirksamkeit, ein niedrigeres Selbstwertgefühl sowie ein höheres Maß an wahrgenomme­ nem Stress die Wahrscheinlichkeit, ein Vielnutzer zu sein, erhöhen. Ebenso auf Basis der vierten Welle des DEAS (2014, n=7.673) unter­ suchen Hajek et al. (2017b) den Einfluss psychologischer Faktoren auf die Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen. Sie zeigen, dass die Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen positiv mit einem geringeren Grad an Einsamkeit, kognitivem Wohlbefinden, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Selbstwertgefühl, Selbstregulation, Auto­ nomie, geringerem Stressempfinden, geringerer sozialer Exklusion und po­ sitiver Affektion (nicht aber negativer Affektion) korreliert, auch wenn für soziodemografische Faktoren, selbsteingeschätzten Gesundheitszustand, Morbidität und Gesundheitsverhalten kontrolliert wird. Darüber hinaus liegt für Deutschland auch eine weitere Analysen vor, die spezifisch die Bedeutung von Kontrollüberzeugungen als psychologi­ schen Einflussfaktor der Inanspruchnahme analysiert (Hajek & König, 2017). Kontrollüberzeugungen werden international seit Jahrzehnten als mögliche Determinante einer besseren Gesundheit untersucht (vgl. bspw. 73 Als Vielnutzer wurden die obersten 10 % der Verteilung definiert, dies entspricht mehr als 10 Arztbesuchen pro Jahr.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Wallston & Wallston, 1978). Die Kontrollüberzeugung ist ein psychologi­ sches Konzept, das erfasst, ob eine Person eine kausale Beziehung zwischen dem eigenen Verhalten und daraus resultierenden Konsequenzen oder Be­ lohnungen erkennt (Rotter, 1966). Die Kontrollüberzeugung beschreibt, in welchem Grad Personen annehmen, dass sie Ereignisse ihres Lebens selbst bestimmen können, beziehungsweise glauben, diese liegen außer­ halb ihrer Kontrolle. Die Kontrollüberzeugung kann intern oder extern orientiert sein, wobei Personen mit einer internen Kontrollüberzeugung davon überzeugt sind, dass ihr Leben das Ergebnis ihrer eigenen Entschei­ dungen und ihres eigenen Verhaltens ist. Personen mit externer Kontroll­ überzeugung sind hingegen davon überzeugt, dass Ereignisse ihres Lebens außerhalb ihrer persönlichen Kontrolle liegen (Richter et al., 2017). Allge­ mein wird angenommen, dass die Ausprägung der Kontrollüberzeugung das individuelle Verhalten entscheidend beeinflusst. So sehen Personen mit extern orientierter Kontrollüberzeugung wenig Sinn darin, sich darum zu bemühen, ihre Lebenssituation zu verbessern. Die Überzeugung, oh­ nehin keinen Einfluss auf aktuelle oder zukünftige Entwicklungen oder Ereignisse im Leben zu haben, verhindert derartige Bemühungen (Schultz & Schultz, 2017). Bezogen auf gesundheitliche Aspekte wird angenommen, dass eine interne Kontrollüberzeugung ein besseres Gesundheitsverhalten bedingt, welches zu einer besseren Gesundheit führt. Verschiedene internationale, aber auch für Deutschland vorliegende Studien belegen diesen Zusam­ menhang (Helmer et al., 2012; Nazareth et al., 2016; Bennett et al., 2017; Berglund et al., 2014). Unter der Annahme, dass Personen mit einer besseren Gesundheit einen niedrigeren Bedarf und somit eine geringere Inanspruchnahme aufweisen, könnte die Kontrollüberzeugung die Inan­ spruchnahme somit über den Einfluss auf die Gesundheit beeinflussen. Darüber hinaus könnte eine externe Kontrollüberzeugung, die Überzeu­ gung den Gesundheitszustand selbst nicht beeinflussen, beziehungsweise verbessern, zu können, die Inanspruchnahme begünstigen. Der Zusam­ menhang zwischen Kontrollüberzeugung und der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wird anders als der Zusammenhang zwischen Kon­ trollüberzeugung und dem Gesundheitsverhalten jedoch kaum untersucht (Kesavayuth et al., 2020). Studien der letzten Jahre aus dem angloameri­ kanischen Raum deuten jedoch darauf hin, dass eine höhere interne Kon­ trollüberzeugung mit einer niedrigeren Inanspruchnahme, die durch den Gesundheitszustand (Mautner et al., 2017) oder den Gesundheitszustand und Sozialkapital (Kesavayuth et al., 2020; Musich et al., 2020) moderiert wird, zusammenhängt.

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Für Deutschland liegt mit der Analyse von Hajek & König (2017) eine Längsschnittuntersuchung zum Einfluss der Kontrollüberzeugung auf die Inanspruchnahme vor. Auf Basis der SOEP Wellen der Jahre 2005 und 2010 (n=11.370) untersuchen die Autoren in Anlehnung an das An­ dersen Modell Determinanten der Inanspruchnahme.74 Sie finden signifi­ kante jedoch kleine Zusammenhänge zwischen der Kontrollüberzeugung und der Inanspruchnahme. Eine Zunahme der externen Kontrollüberzeu­ gung erhöht die Inanspruchnahme, eine Zunahme der internen Kontroll­ überzeugung reduziert die Inanspruchnahme hingegen nicht. Die Autoren nehmen an, dass eine höhere externe Kontrollüberzeugung mit der Über­ zeugung einhergeht, die eigene Gesundheit hänge von medizinischem Personal ab, was eine höhere Inanspruchnahme bedingen könnte. Eine Erklärung, wieso interne Kontrollüberzeugung keinen Einfluss auf die Inanspruchnahme aufweist, können die Autoren jedoch nicht liefern und plädieren für eine weitere Untersuchung des Zusammenhangs. 4.3.2.2 Befähigende Ressourcen 4.3.2.2.1 Versicherung Das Vorliegen einer Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. So wird im Rahmen des Andersen Modells angenommen, dass die Absicherung über eine Kranken­ versicherung einen positiven Einfluss auf die Inanspruchnahme hat. In Ländern wie Deutschland, in denen nur ein geringer Anteil der Bevölke­ rung keine Krankenversicherung besitzt, wird zumeist, wie unter 3.4.1 dargelegt, die Unterscheidung zwischen PKV und GKV-Versicherten, das Vorhandensein von Zusatzversicherungen bei GKV-Versicherten, oder die Höhe der Zuzahlungen bei PKV-Versicherten herangezogen, um den Ein­ fluss der Versicherung auf die Inanspruchnahme zu untersuchen. Dabei wird angenommen, dass höhere Zuzahlungen bei PKV-Versicher­ ten das Kostenbewusstsein erhöhen und die Inanspruchnahme tendenziell verringern, wohingegen der freiwillige Abschluss einer Zusatzversicherung von GKV-Versicherten eher als ein Faktor betrachtet wird, der die Inan­ spruchnahme erhöht (Schmitz, 2012).

74 Berücksichtigt wurden lediglich Personen mit einer Veränderung der Inan­ spruchnahme von 2005 zu 2010.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Wird lediglich die Unterscheidung zwischen GKV- und PKV-Versicher­ ten vorgenommen, kann entweder kein Einfluss der Versicherungsart (Hullegie & Klein, 2010; Riphahn et al., 2003), oder lediglich ein Einfluss auf die Kontaktwahrscheinlichkeit, jedoch nicht die Kontaktfrequenz fest­ gestellt werden (Pohlmeier & Ulrich, 1995). Analysen, die den Einfluss einer privaten Krankenzusatzversicherung auf die Inanspruchnahme von GKV- Versicherten untersuchen, können einen signifikant positiven Effekt auf die Inanspruchnahme nachweisen, jedoch lediglich bei Personen, die eine niedrige Inanspruchnahme aufweisen. Auf die Inanspruchnahme von Personen, die häufig einen Arzt aufsuchen, hat eine Zusatzversicherung hingegen keinen Einfluss (Schmitz, 2012). Diese Ergebnisse decken sich auch mit weiteren Analysen, die den Ein­ fluss der Versicherung nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines etwaigen moral hazards untersuchen. So finden Thode et al. (2005) auf Basis des BGS98 (1998, n=7.124) in ihrer bivariaten Analyse zwar einen negativen Zusammenhang zwischen einer PKV-Versicherung und der In­ anspruchnahme insgesamt (Haus- und Facharztbesuche), in der multiva­ riaten Analyse, in der dann auch der Gesundheitszustand berücksichtigt wird, kann jedoch nur noch ein Einfluss auf die Kontaktfrequenz von Männern festgestellt werden. Auf dieser Basis kann demnach nicht unein­ geschränkt von einem Einfluss des Versicherungsstatus auf die Inanspruch­ nahme (also Kontaktwahrscheinlichkeit und Kontaktfrequenz) beider Ge­ schlechter geschlussfolgert werden. Darauf deuten auch die Ergebnisse von Bergmann et al. (2005) hin, die in ihrer Analyse des telefonischen Gesundheitssurveys 2003 (2003, n=8.318) in der multivariaten Analyse keinen signifikanten Einfluss des Versichertenstatus auf die ambulante In­ anspruchnahme insgesamt finden. Auch für ältere Personen zeigt sich auf Basis der ESTHER Kohortenstudie (2008 – 2010, n=3.124), kein Zusam­ menhang zwischen dem Versicherungsstatus und der Inanspruchnahme (Heider et al., 2014). Interessant ist jedoch, dass sich bei Analysen, die (zusätzlich) eine Un­ terscheidung zwischen Haus- und Facharztbesuchen vornehmen, ähnliche Effekte wie die des sozioökonomischen Status zeigen. Privat versicherte Personen suchen seltener einen Haus-, jedoch häufiger einen Facharzt auf (Bergmann et al., 2005; Huber et al., 2007; Lüngen et al., 2009; Rattay et al., 2013). So berechnen Bergmann et al. (2005) für zwei fiktive Person, die sich lediglich durch den Versichertenstatus unterscheiden, eine hypo­ thetische Anzahl von Hausarztbesuchen. Für die PKV-versicherte Person ermitteln die Autoren einen Wert von 2,9 und für die GKV-versicherte Person einen Wert von 3,4. Eine äquivalente Berechnung für die Anzahl

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

an Facharztbesuchen wird nicht durchgeführt. Ob sich die versicherungs­ spezifische Inanspruchnahme von Haus- und Fachärzten ausgleicht und dies dazu führt, dass bei der Betrachtung der ambulanten Inanspruchnah­ me allgemein zumeist kein Einfluss des Versicherungsstatus festgestellt werden kann, ist dabei schwierig einzuschätzen. 4.3.2.2.2 Gemeindebezogen Unter befähigenden gemeindebezogenen Faktoren werden Faktoren zusam­ mengefasst, die die grundsätzliche Verfügbarkeit oder Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen abbilden. Oftmals werden diese Faktoren auch als angebotsseitige Faktoren bezeichnet. Hinsichtlich des Zusammenhangs gilt primär die Annahme, dass eine geringere Verfügbarkeit oder schlechtere Erreichbarkeit eine Zugangsbarriere darstellt, die die Inanspruchnahme erschwert und diese demnach reduziert (Andersen & Newman, 1973; Stent­ zel et al., 2018). Gemeindebezogene Faktoren werden in Analysen der Inanspruchnahme oftmals mittels der Arztdichte in einem Bundesland oder einer Region (Pohlmeier & Ulrich, 1995; Thode et al., 2004; Thode et al., 2005), der per Selbstauskunft ermittelten Erreichbarkeit eines Arztes zu Fuß (Greiner et al., 2018), oder auf Basis geografischer Informationssysteme und der Verknüpfung von Straßendaten, Netzwerkanalysen und Algorithmen ermittelten Erreichbarkeit operationalisiert (Stentzel et al., 2018). Die Arztdichte bildet die grundsätzliche Verfügbarkeit medizinischer Versorgung, oder auch das Versorgungsangebot, direkt ab. Deutschland weist im internationalen Vergleich sowohl bei Allgemeinärzten als auch bei Fachärzten eine hohe Arztdichte auf. So entfallen in Deutschland auf 1000 Einwohner durchschnittlich 1,7 Allgemeinärzte (OECD-Durchschnitt 1,1 Ärzte) und 4,1 Fachärzte (OECD-Durchschnitt 3,4) (Arentz, 2017). Im Vergleich der zwanzig wichtigsten OECD-Länder rangiert Deutschland damit bei der Facharztdichte auf dem vierten, und bei den Allgemeinärzten gar auf dem zweiten Platz (Arentz, 2017). Die grundsätzlich hohe Arztdichte könnte unter Umständen erklären, dass verschiedene Analysen keinen Ein­ fluss der Arztdichte auf die Inanspruchnahme nachweisen können. So finden Thode et al. (2005) auf Basis des BGS98 (1998, n=7.124)75 weder einen Einfluss der Arztdichte noch des Anteils der Allgemeinmediziner an allen

75 Thode et al. (2004) ergänzen die Daten des Deutschen Gesundheitssurveys mit aggregierten Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Informatio­ nen aus der vertragsärztlichen Abrechnung und um Indikatoren der Raument­

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Ärzten im Kreis des Wohnorts auf die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit von Arztbesuchen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei Pohlmeier & Ulrich (1995) auf Basis älterer Daten des SOEPs (1985, n=5.096). Pohlmeier & Ulrich (1995) finden keinen Einfluss der Arztdichte auf die Kontaktwahr­ scheinlichkeit, sondern lediglich auf die Kontaktfrequenz von Arztbesu­ chen. Es wäre jedoch auch möglich, dass nicht die Verfügbarkeit – das zumeist auf Kreis, oder gar Bundesländerebene erfasste Versorgungsangebot – son­ dern vielmehr die Erreichbarkeit ausschlaggebend für die Inanspruchnahme ist. Dieser Punkt wird zumeist in Untersuchungen diskutiert, die Unter­ schiede in der Inanspruchnahme zwischen städtischer und ländlicher Regi­ on oder zwischen Ost- und Westdeutschland betrachten. In diesen Untersu­ chungen dient oftmals die regionale Differenzierung der indirekten Abbil­ dung des Versorgungsangebots. Denn in Deutschland liegen deutliche regionale Unterschiede in der medizinischen Versorgung zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen ländlichen und städtischen Gebieten vor (Prütz et al., 2014). In Westdeutschland und städtischen Gebieten ist das Angebot an medizinischer Versorgung höher. Darüber hinaus unterscheidet sich jedoch auch die Erreichbarkeit der Versorgungsangebote zwischen Stadt und Land sowie Ost- und Westdeutschland. So ist in ländlichen Gebieten nicht nur das Angebot ambulanter medizinischer Dienstleistungen geringer, auch der öffentliche Nahverkehr ist in diesen Gebieten zumeist nur rudi­ mentär ausgebaut und um einen Haus- oder Facharzt aufsuchen zu können ist oft ein Auto erforderlich (Lampert & Kroll, 2006).76 wicklung, um die Angebotsseite abzubilden (Arztdichte, Anteil Ärzte einer be­ stimmten Fachgruppe an allen Ärzten eines Kreises). 76 Der Umstand, dass die (gute) Erreichbarkeit eines Haus- oder Facharztes von einem Autobesitz abhängt ist hierbei von Bedeutung. Auch wenn der Großteil der Bevölkerung ein Auto besitzt, und dieser Anteil in Regionen ohne adäquaten öffentlichen Nahverkehr höher ist, besitzen nicht alle Personen ein Auto.. So be­ saßen Anfang des Jahres 2018 insgesamt 78 % der privaten Haushalte in Deutsch­ land ein Auto (Statistisches Bundesamt (Destatis) und Wissenschaftszentrum Ber­ lin für Sozialforschung (WZB) 2018). In Haushalten mit 80-jährigen und älteren Haupteinkommenspersonen, die einen großen Anteil der Bevölkerung im ländli­ chen Raum darstellen (Stentzel et al., 2016), lag dieser Anteil jedoch bei lediglich 58 % (Statistisches Bundesamt (Destatis) und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) 2018). Auch in Ostdeutschland ist der Anteil an Haushal­ ten, die ein Auto besitzen geringer als im bundesweiten oder westdeutschen Durchschnitt. Im Jahr 2011 betrug der Anteil in Deutschland, ebenso wie im Jahr 2018, insgesamt 78 %, in Ostdeutschland lag dieser Anteil bei 71 % und in West­ deutschland bei 80 % (Statistisches Bundesamt (Destatis) und Wissenschaftszen­ trum Berlin für Sozialforschung (WZB) 2013). Somit wird das in Ostdeutschland

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

Die Definition „guter“ oder „schlechter“ Erreichbarkeit gestaltet sich jedoch grundsätzlich schwierig. Denn welcher Aufwand als zumutbar be­ trachtet werden kann ist nicht allgemein verbindlich oder gar rechtlich geregelt. Eine systematische Übersichtsarbeit zeigt jedoch, dass der als zu­ mutbar wahrgenommene zeitliche Aufwandbei 30 Minuten mit öffentli­ chen Verkehrsmitteln liegt (Voigtländer & Deiters, 2015). Die für Deutsch­ land vorliegenden Erkenntnisse zeigen, dass unter Berücksichtigung dieser Definition ein Großteil der Bevölkerung, einen Hausarzt in einer zumutba­ ren Zeit erreichen kann (Schang et al., 2017)77. Die Wegzeiten sind in ländlichen Regionen nichtsdestotrotz bis zu doppelt so hoch wie in städt­ ischen Gebieten (Schang et al., 2017).78,79 Interessanterweise zeigt sich hinsichtlich der Entfernung zu Fuß und der Inanspruchnahme ein vergleichbares Bild wie bei der Arztdichte. Greiner et al. (2018) finden keinen Einfluss der Entfernung eines Hausarztes auf die Inanspruchnahme. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Personen, die in ländlichen Gebieten leben, eine geringere Inanspruchnahme aufweisen als Personen, die in städtischen Gebieten leben. Diese Personen haben durch­ schnittlich 0,9-fach weniger Arztbesuche als Personen, die in städtischen und ländlichen Gebieten niedrigere Versorgungsangebot durch eine einge­ schränkte oder reduzierte Mobilität verstärkt. Aufgrund dessen wird insbesonde­ re die Unterscheidung zwischen Stadt oder Land in Analysen der Inanspruchnah­ me oftmals als Indikator für Mobilität interpretiert (Thode et al., 2004). 77 Schang et al. (2017) analysieren die zurückgelegten Wegzeiten der ambulanten Inanspruchnahme auf Basis einer in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführten Vollerhebung vertragsärztlicher Abrechnungsdaten von etwa 518 Millionen Ab­ rechnungsfällen. In 90,8 % der Fälle wurden Hausärzte aufgesucht, die – wenn auch nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, jedoch mit dem Auto – in un­ ter 30 Minuten erreicht werden können. 78 Auch eine Subgruppenanalyse der Study of Health in Pomerania (SHIP) der er­ wachsenen weiblichen Wohnbevölkerung Vorpommerns (25–88 Jahre, n=1.172) zeigt, dass 90 % der Teilnehmer eine Fahrzeit von fünf Minuten oder weniger mit dem Auto zum nächstgelegenen Hausarzt haben, mit öffentlichen Verkehrsmit­ teln erreichen etwa 83 % den nächsten Hausarzt in unter 60 Minuten (Mittelwert 17,2 Minuten, Standardabweichung 11,8 Minuten) und 2,5 % können einen Hausarzt nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen (Stentzel et al., 2018). 79 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Greiner et al. (2018), die auf Basis des SOEPs (2009, n=20.601) den Zugang zu und die Inanspruchnahme von ambulan­ ter Versorgung in Deutschland untersuchen. Die Autoren zeigen, dass etwa 70 % der Befragten einen Hausarzt in 20 Minuten zu Fuß erreichen können: Personen, die in ländlichen Gebieten leben haben jedoch verglichen mit Personen, die in städtischen Gebieten leben, eine 3,1-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, keinen Hausarzt in 20 Minuten zu Fuß erreichen zu können. Dies verdeutlicht die regio­ nalen Unterschiede in der Erreichbarkeit von Versorgungsangeboten.

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4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Gebieten leben (Greiner et al., 2018). Auch eine Analyse der ambulanten und stationären Inanspruchnahme auf Basis der DEGS 1 (2008 – 2011, n=7.784) zeigt, dass ein geringerer Anteil von Personen, die in ländlichen Gebieten80 wohnen, verglichen mit Personen, die in größeren Städten81 wohnen, einen Arzt aufsuchen. Der Unterschied zwischen Stadt (97,7 %) und Land (95,9 %) ist jedoch gering (Rattay et al., 2013).82 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Bergmann et al. (2005), die auf Basis des telefonischen Gesundheitssur­ veys 2003 (n=8.318) zeigen, dass Personen, die in Ballungsgebieten83 leben, eine 0,5-fach höhere Inanspruchnahme aufweisen. Stellt die Entfernung zu einem Hausarzt keinen Einfluss auf die Inan­ spruchnahme dar, stellt sich die Frage, durch welchen Mechanismus der Einfluss der Region erklärt werden kann. Schang et al. (2017) verweisen in diesem Kontext auf die komplexe Zusammenwirkung nachfrage- und ange­ botsseitiger Einflussfaktoren und merken an, dass unterschiedliche Wegzei­ ten nicht nur Ausdruck regionaler Versorgungsunterschiede, sondern auch unterschiedlicher Patientenpräferenzen darstellen können. Denn auch wenn regionale Versorgungsunterschiede, kombiniert mit einer schlechteren Erreichbarkeit, Unterschiede in der Inanspruchnahme theoretisch erklären können, liegen ebenfalls Untersuchungen vor, die darauf hinweisen, dass regionale Unterschiede in der Inanspruchnahme durch demografische und weitere Patientencharakteristika erklärt werden können. So zeigen Eibich & Ziebarth (2014) mittels Daten des SOEPs (2002, 2004, 2006, n=23.167), dass grundsätzlich eine regionale Varianz der ambu­ lanten Inanspruchnahme vorliegt. Die ambulante Inanspruchnahme variiert in den Bundesländern zwischen 90 % und 120 % des bundesweiten Durch­

80 Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern, ohne Umlandgemeinden von Kernstädten. 81 Kernstadt mit ≥100.000 Einwohner und Umlandgemeinden 82 Dieser Unterschied bezieht sich auf die Inanspruchnahme aller Ärzte, also Hausund Fachärzte und umfasst auch die Inanspruchnahme stationärer Ärzte wie Chirurgen. Bei der Betrachtung der Inanspruchnahme einzelner Facharztgrup­ pen zeigt sich jedoch, dass ein größerer Anteil von Personen, der in städtischen Gebieten lebt, seltener einen Hausarzt (77,7 % vs. 82,4 %), dafür jedoch ein grö­ ßerer Anteil Fachärzte aufsucht (beispielsweise Hals-Nasen-Ohren-Arzt: 15,6 % vs. 19,3 %). Eine Analyse der Inanspruchnahme von Fachärzten in elf europäischen Ländern weist ebenfalls darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Facharzt aufzusuchen von Personen, die in städtischen Gebieten leben höher ist als von Personen, die in ländlichen Gebieten leben. Dieser Unterschied bleibt auch nach Kontrolle des Gesundheitszustandes signifikant (Or et al., 2008). 83 Als Ballungsgebiet wurde eine Kernstadt mit weitere kleineren Orten, mit denen ein reger Pendleraustauscht besteht, definiert.

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4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

schnitts, insbesondere in den neuen Bundesländern liegt die Inanspruch­ nahme deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Diese Unterschiede verschwinden jedoch, wenn individuelle sozioökonomische Faktoren, wie das Alter, der Gesundheitsstatus oder das Gesundheitsverhalten und ange­ botsseitige Faktoren kontrolliert werden. Eine Analyse des Bestimmtheits­ maß R2 verschiedener Modelle zeigt, dass insbesondere die Aufnahme der individuellen sozioökonomischen Faktoren die Güte des Modells deutlich erhöht. Werden lediglich angebotsseitige Faktoren berücksichtigt, können weniger als 0,5 Prozent der regionalen Varianz der Inanspruchnahme erklärt werden. Durch die Aufnahme verschiedener individueller Faktoren84 kön­ nen mittels des Modells hingegen 20 Prozent der regionalen Varianz der ambulanten Inanspruchnahme erklärt werden. Den größten Anteil an der Erklärung der Varianz trägt hierbei die individuelle Gesundheit (Eibich & Ziebarth, 2014). Auch die Ergebnisse einer weiteren Analyse von Salm & Wübker (2020), die explizit die Bedeutung angebotsseitiger und nachfrageseitiger Faktoren auf die regionalen Unterschiede der Inanspruchnahme untersuchen, unter­ streichen die Bedeutung individueller Einflussfaktoren. Auf Basis von Daten verschiedener Betriebskrankenkassen der Jahre 2006 bis 2012 zeigen Salm & Wübker (2020), dass die regionalen Unterschiede im Bereich der ambulan­ ten Inanspruchnahme nur zu einem geringen Anteil – lediglich zu 9 % – durch angebotsseitige Faktoren, wie der Verfügbarkeit, erklärt werden können.85 Insgesamt 91 % können somit nachfrageseitigen Faktoren zuge­ schrieben werden. Die Autoren erklären die nachfrageseitige regionale 84 In den weiteren Modellen werden die Variablen Alter, Geschlecht, Anzahl der Kinder im Haushalt unter 14 Jahren, Familienstand, Bildung, Äquivalenzein­ kommen, Beschäftigungsstatus, Versicherungsstatus, Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten berücksichtigt. 85 Die Autoren nutzen für die Analyse die Daten von etwa 6,1 Millionen Versicher­ ten, von denen 203.000 Versicherte im Beobachtungszeitraum in eine Region mit einer über- oder unterdurchschnittlichen ambulanten Inanspruchnahme umge­ zogen sind. Die Analyse der umgezogenen Versicherten ermöglicht es, die Inan­ spruchnahme einer Person vor dem Hintergrund verschiedener regionaler Ange­ botsfaktoren zu untersuchen, im Rahmen einer weiteren Analyse wird die Varia­ tion in der Inanspruchnahme zwischen Regionen mit über- und unterdurch­ schnittlicher Inanspruchnahme herangezogen, um die Effekte angebotsseitiger und nachfrageseitiger Faktoren aller Versicherten zu bestimmen. Die repräsenta­ tive Analyse aller Versicherten zeigt, dass 78 % der Variation den Patientencha­ rakteristika zugeschrieben werden kann. Auch wenn dieser Anteil geringer als bei der Analyse der umgezogenen Versicherten ist, ist der Anteil, der durch die Ange­ botsfaktoren erklärt werden kann, auch in dieser Analyse deutlich kleiner als der, der durch die individuellen Charakteristika erklärt werden kann.

170

4.3 Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Inanspruchnahme

Varianz durch regionale Unterschiede in der Einstellung zur Inanspruch­ nahme des Gesundheitswesens und Unterschiede in der Gesundheit (Salm & Wübker, 2020). Andersen und Newman (1973) führen an, dass die Region oder die Unterscheidung zwischen Stadt und Land aufgrund der dort jeweils vor­ herrschenden Normen zum Gesundheitswesen und dessen Nutzung durch­ aus die Inanspruchnahme beeinflussen könnten. Demnach könnten ge­ meindebezogene Faktoren nicht ausschließlich die gemeindebezogene An­ gebotsstruktur, sondern auch die gemeindebezogene Nachfragestruktur abbilden. Auf Deutschland bezogen könnten Unterschiede in der Inan­ spruchnahme zwischen Ost- und Westdeutschland somit auch eine unter­ schiedliche Sozialisation oder ein unterschiedliches Arzt-Patientenverhältnis widerspiegeln (Lüschen et al., 1997; Thode et al., 2004).86 Im Kontext gemeindebezogener Faktoren wird auch der Einfluss der Deprivation einer Region auf die Morbidität oder Mortalität (vgl. bspw. Hofmeister et al., 2016), den Zugang (vgl. bspw. Ozegowski & Sundmacher, 2014) und die damit verbundene Inanspruchnahme (vgl. bspw. Kopetsch & Maier, 2018) diskutiert. Der Grad der regionalen Deprivation wird als ein Maß verstanden, das verdeutlichen soll, dass „gesellschaftliche Teilhabemög­ lichkeiten auch durch sozialräumliche Ressourcen und Belastungen beein­ flusst sein können“ (Robert Koch-Institut, 2018, S. 105). Die Deprivation einer Region eignet sich demnach zur Abschätzung sozialer Ungleichheit und bildet den Einfluss regionaler sozioökonomischer Strukturen ab, und kann sowohl unabhängig vom sozioökonomischen Status als auch als Ersatz des sozioökonomischen Status genutzt werden (Maier & Schwettmann, 2018). Bei der Analyse des Einflusses regionaler Deprivation auf die Inanspruch­ nahme werden zumeist zwei konträr gerichtete Hypothesen formuliert. So wird auf der einen Seite angenommen, dass Regionen mit höherer Depriva­ tion mit einem schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung verbun­ den sind, was sich negativ auf die Inanspruchnahme auswirken kann. Auf der anderen Seite steht die Annahme, dass ein höherer Grad regionaler Depriva­ tion mit einer schlechteren Gesundheit verbunden ist, was zu einem größe­

86 Interessant sind in diesem Kontext auch Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass Personen, die während der Teilung Deutschlands in Ost-Berlin lebten, auch Jahr­ zehnte danach eine schlechtere Gesundheit aufweisen als Personen, die in WestBerlin lebten. Der Einfluss von Bildung und eines gesunden Lebensstils auf die Gesundheit ist zudem bei Personen, die in Ost-Berlin lebten, geringer ausgeprägt als bei Personen, die in West-Berlin lebten (Hillen et al., 2000).

171

4 Inanspruchnahme jenseits der neoklassichen Perspektive

ren Bedarf und – trotz etwaigem schlechteren Zugang – zu einer höheren Inanspruchnahme führt. Für Deutschland liegen zwei Analysen vor, die jeweils eine der zwei Hypothesen bestätigen. So zeigen Kopetsch & Maier (2018) auf Basis regio­ nalisierter ambulanter Abrechnungsdaten und Arztzahldaten, dass ein posi­ tiver Zusammenhang zwischen regionalem Deprivationsstatus87 auf Kreis­ ebene sowie der ambulanten und stationären Inanspruchnahme vorliegt. Greiner et al. (2018) finden auf Basis des SOEP hingegen einen negativen Effekt der regionalen Deprivation88 auf die Inanspruchnahme.89 Wohinge­ gen Greiner et al. (2018) in ihrer Analyse – wie zu Beginn des Kapitels dargelegt – keinen Einfluss der Entfernung zu einem Hausarzt auf die Anzahl der Arztbesuche feststellen können, finden sie jedoch sowohl einen negati­ ven Einfluss der sozialen Benachteiligung des Wohngebiets als auch des ländliches Wohngebiet auf die Anzahl der Arztbesuche. Ein Grund für die 87 Der regionale Deprivationsstatus auf Kreisebene wurde mittels des vom Helm­ holtz Zentrum München entwickelten „German Index of Multiple Deprivation“ (GIMD) bestimmt. 88 Um den Grad der Deprivation abzubilden, wurden die Haushalte mittels ihrer Postleitzahlen dem GIMD 2010 zugeordnet. Das erste Quintil umfasst Haushalte, die in Gebieten mit der niedrigsten Deprivation wohnen, das fünfte Quantil um­ fasst Haushalte die gemessen am GIMD 2010 in Gebieten mit der höchsten De­ privation wohnen. Zur Bestimmung der Siedlungsstruktur (Stadt/Land) wurden Daten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung verwendet. Die Klassifizierung basiert auf dem Anteil der der Bevölkerung in Groß- und Mittel­ städten, die Bevölkerungsdichte der Kreisregion sowie die Bevölkerungsdichte der Kreisregion ohne Berücksichtigung der der Groß- und Mittelstädte in ihr. Es existieren vier verschiedene Siedlungsstrukturen: 1) Administrativ selbständige Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern (Einw.) 2) Stadtbezirke: Anteil der Bevölkerung in Groß- oder Mittelstädten von mindestens 50 % und Bevölkerungsdichte >150 Einw./km², oder Bezirke mit Be­ völkerungsdichte >150 Einw./km² unter Ausklammerung von Groß- oder Mittel­ städten. 3) Ländliche Kreise mit Bevölkerungskonzentration: Anteil der der Be­ völkerung in Groß- oder Mittelstädten von mindestens 50 % und einer Bevölke­ rungsdichte 0

(11)

Die Modelparameter β, γ sowie ein oder zwei Dispersionsparameter 𝜃 (abhängig davon, ob 𝑓 count oder 𝑓 count oder beide Modelle Negbin Verteilun­ gen aufweisen) werden mittels ML geschätzt, was die Spezifikation erlaubt, dass die Güte des Null- und des Zählmodell separat maximiert werden können (Zeileis et al., 2008, S. 6). Der dadurch resultierende Regressionszusammenhang ist definiert durch: Log(μi) = 𝑥𝑖𝑇 𝛽 + log (1- 𝑓 zero (0;zi,γ)) – log(1- 𝑓 count (0; 𝑥 i, 𝛽 )),

(12)

wobei erneut die kanonische Logarithmuslinkfunktion genutzt wird (Zei­ leis et al., 2008, S. 6). Hürdenmodelle relativieren die Annahme, dass die Werte Null und die über Null liegenden Werte auf einen gemeinsamen Prozess zurückzuführen sind. So können in beiden Modellen auch unterschiedliche unabhängige Variablen berücksichtigt werden. In Anbetracht der unter Kapitel 3 und 4 97 Die Hürde kann in diesen Modellen frei bestimmt werden. Zumeist wird als Hürde jedoch der Wert Null bestimmt. Die folgenden Ausführungen konzentrie­ ren sich auf diese Form des Modells.

211

5 Empirische Analyse

dargelegten empirischen Evidenz könnte dies bei der Inanspruchnahme und der Häufigkeit der Arztbesuche zutreffen. Denn wie Pohlmeier & Ulrich bereits im Jahr 1995 dargelegt haben, kann die Inanspruchnahme grund­ sätzlich als ein zweistufiger Prozess verstanden werden, wobei die erste Entscheidung, einen Arzt aufzusuchen von dem Patient, und die Frage nach der Häufigkeit der Arztbesuche primär von einem Arzt getroffen wird. Welches GLM zur Beleuchtung einer Fragestellung herangezogen werden sollte jedoch immer anhand verschiedener Kriterien entschieden werden. Zur Überprüfung der Hypothesen dieser Arbeit werden unter 5.4 die Ergeb­ nisse verschiedener GLM dargestellt und miteinander verglichen. 5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen Bevor der Einfluss der unabhängigen Variablen auf die Anzahl der Arztbe­ suche in einem multivariaten Modell untersucht wird, erfolgt zunächst ein Überblick über die bivariaten Zusammenhänge der verschiedenen unab­ hängigen Variablen mit der abhängigen Variable, um die partiellen Zusam­ menhänge aufzudecken und einen ersten Überblick zu gewinnen. 5.4.1 Bivariate Analysen Zur Analyse der bivariaten Zusammenhänge werden Boxplots verwendet. Aufgrund der starken Streuung der Arztbesuche, die in Abbildung 25 abgebildet ist, wird die abhängige Variable „Anzahl der Arztbesuche“ loga­ rithmiert. Darüber hinaus werden die unabhängigen metrischen Variablen in kategoriale Variablen transformiert. Zur Vereinheitlichung und Verein­ fachung der Kategorisierung wurde eine Funktion erstellt, die aufbauend auf den 25 % Quartilen der Verteilung der jeweiligen Variable eine neue katego­ riale Variable bildet. Dies erfolgt lediglich für die bivariaten Analysen, für die multivariate Analysen haben die gebildeten Kategorien keine Bedeutung. 5.4.1.1 Bildung und Arztbesuche Abbildung 29 stellt den Zusammenhang zwischen der Dauer der Ausbil­ dung in Jahren nach Kategorien und den logarithmierten Arztbesuchen dar. Die Ausbildung in Jahren wurde entsprechend der Verteilung der Variablen in die vier Quantile „7 bis 10“, „10,5 und 11“, „11,5 und 12“ und „mehr als 12“

212

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Jahre eingeteilt. Der Boxplot deutet darauf hin, dass der in Hypothese 1 vermutete Zusammenhang wahrscheinlich nicht stark ausgeprägt ist. Die Verteilung der Arztbesuche unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Kategorien der Ausbildungsdauer nur geringfügig. Es zeigt sich jedoch, dass der Median in der zweiten Kategorie, also bei Personen, deren Ausbildung 10,5 oder 11 Jahre beträgt etwas höher liegt als in den weiteren Gruppen. Abbildung 29: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Ausbildung

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen =73.595.

Aufgrund dessen werden die Arztbesuche nach Ausbildungsjahren anhand weiterer Lagemaße ausführlicher untersucht. Tabelle 11 stellt die Inan­ spruchnahme in den verschiedenen Ausbildungsgruppen dar. Dabei zeigt sich, dass sowohl der Mittelwert als auch der Median der Gruppe, die 10,5 oder 11 Jahre Ausbildung aufweist, höher liegen als in den weiteren Grup­ pen. Der Zusammenhang zwischen Ausbildungsjahren und Arztbesuchen scheint jedoch nicht linear zu sein. So zeigt sich, dass die Anzahl der durchschnittlichen Arztbesuche in der Gruppe mit 7 bis 10 Jahren Ausbil­ dung geringer ist als in der Gruppe derer, die 10,5 und 11 Jahre Bildung aufweisen.

213

5 Empirische Analyse

Tabelle 11: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche nach Bildungs­ gruppen 7 bis 10 Jahre

10,5 und 11 Jahre

11,5 bis 12 Jahre

mehr als 12 Jahre

Mittelwert

2,6

2,7

2,3

2,2

Varianz

17,5

17,5

12,7

10,6

Median

1

2

1

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 73.595.

5.4.1.2 Partnerschaft und Inanspruchnahme Die Betrachtung der Häufigkeitsverteilung zwischen der logarithmierten Anzahl der Arztbesuche und dem Vorhandensein einer festen Partnerschaft in Abbildung 30 zeigt keine Gruppenunterschiede in der Inanspruchnahme. Es scheint wahrscheinlich, dass das Vorliegen einer Partnerschaft nicht dazu beitragen kann, die Varianz der Arztbesuche zu erklären. Abbildung 30: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Partner­ schaft

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.858.

5.4.1.3 Beruf im Gesundheitswesen und Inanspruchnahme Abbildung 31 stellt die Anzahl der logarithmierten Arztbesuche für Perso­ nen, die einen Gesundheitsberuf ausüben, und Personen, die keinen Ge­

214

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

sundheitsberuf ausüben, dar. Es zeigt sich ein Unterschied hinsichtlich der Verteilung der Arztbesuche zwischen den Gruppen. Der Interquartilsab­ stand ist in der Gruppe der Personen mit Gesundheitsberuf größer als bei Personen ohne Gesundheitsberuf. Die Arztbesuche streuen in dieser Gruppe stärker. Auf Basis der bivariaten Betrachtung der Häufigkeitsverteilung könnte es demnach sein, dass ein Beruf im Gesundheitswesen zur Erklärung der Varianz der Arztbesuche beiträgt. Interessant ist jedoch, dass der Zusam­ menhang sich konträr zur aufgestellten Hypothese, dass Personen mit Gesundheitsberuf eine niedrigere Inanspruchnahme aufweisen, gestaltet. Personen mit Beruf im Gesundheitswesen kennzeichnen sich in dieser bivariaten Betrachtung durch eine höhere Inanspruchnahme als Personen ohne Beruf im Gesundheitswesen aus. Abbildung 32: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Beruf im Gesundheitswesen

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 37.511.

5.4.1.4 Risikoeinstellung und Inanspruchnahme Die Risikoeinstellung wurde entsprechend der 25 % Quartile der Verteilung der Risikoeinstellung in eine kategoriale Variable transformiert. So ergeben sich vier Kategorien, wobei die erste Kategorie Personen enthält, die angeben „gar nicht risikobereit“ im Bereich Gesundheit zu sein. Die zweite Kategorie umfasst Personen, die auf der Skala von „gar nicht risikobereit=0“ bis „sehr risikobereit=10“ den Wert 1 oder 2 ausgewählt haben. Das dritte Quantil umfasst Personen, die sich auf der Skala mit 3 und 4 verorten, die letzten 25 % Prozent umfassen Personen, die ihre Risikoeinstellung mit 5 oder höher

215

5 Empirische Analyse

bewerten. Abbildung 32 zeigt, dass sich die Häufigkeitsverteilung der Arzt­ besuche von Personen, die der ersten Kategorie zugeordnet werden von denen der anderen Kategorien unterscheidet. Die mittleren 50 Prozent der Verteilung nehmen mehr Arztbesuche in Anspruch als die mittleren 50 Prozent der weiteren drei Kategorien. Der Median ist dabei höher als der von Personen der Kategorie „3 bis 4“ und „mehr als 5“. Verglichen mit dem Median der Kategorie „1 bis 2“ zeigt sich jedoch kein Unterschied. Abbildung 32: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Risiko­ einstellung

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 17.192.

Tabelle 12 stellt weitere Lageparameter der Inanspruchnahme nach den verschiedenen Kategorien der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit dar. Tabelle 12: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche nach Kategorien der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit Mittelwert

0

1 bis 2

3 bis 4

mehr als 4

2,99

2,56

2,16

2,15

Varianz

23,38

15,00

10,13

12,85

Median

2

2

1

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 17.192.

Die Tabelle verdeutlicht den in Abbildung 32 festgestellten Unterschied der Inanspruchnahme zwischen den verschiedenen Kategorien der Risiko­ einstellung im Bereich Gesundheit. Personen, die sich als „gar nicht risiko­

216

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

bereit“ einschätzen, weisen mit 2,99 Arztbesuchen mehr Arztbesuche auf als Personen, die sich den weiteren Kategorien zuordnen. Den niedrigs­ ten Mittelwert der Inanspruchnahme zeigt die Gruppe der Personen, die ihre Risikoeinstellung mit 5 oder höher einschätzt. Diese Gruppe nimmt durchschnittlich 2,15 Arztbesuche in Anspruch. Auch der in Abbildung 32 erkennbare Unterschied hinsichtlich des Medians wird hier noch einmal deutlich. Der Median liegt bei Personen mit einer niedrigeren Risikobe­ reitschaft im Bereich Gesundheit (0–2) mit 2 Arztbesuchen höher als bei Personen mit einer höheren Risikobereitschaft (3 bis 10), bei welchen der Median der Arztbesuche bei 1 liegt. 5.4.1.5 Lebenszufriedenheit und Inanspruchnahme Für die Analyse des bivariaten Zusammenhangs zwischen der Lebenszu­ friedenheit und der Inanspruchnahme wird die Lebenszufriedenheit, die auf einer Skala von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zu­ frieden) gemessen wird, kategorisiert. Dabei zeigt sich, dass das dritte und das vierte 25 % Quantil der Verteilung den Wert 8 aufweisen, so dass die Lebenszufriedenheit in drei Kategorien eingeteilt wird. Personen, die ihre Lebenszufriedenheit zwischen „null und fünf“ einstufen, Personen, die ihre Lebenszufriedenheit mit „sechs oder sieben“ einstufen und Personen, die ihre Lebenszufriedenheit mit „acht oder höher“ bewerten und 50 % der Verteilung darstellen. Die Betrachtung der Arztbesuche in Abhängig­ keit dieser Kategorien zeigt Unterschiede in der Häufigkeitsverteilung der Arztbesuche auf. Personen, die ihre Lebenszufriedenheit schlechter ein­ schätzen, zeigen eine höhere Anzahl an Arztbesuchen auf. Abbildung 33 zeigt, dass die Gruppe, die ihre Lebenszufriedenheit am schlechtesten ein­ schätzt, auch die höchste Inanspruchnahme aufweist. Dies spiegelt sich darin wider, dass die mittleren 50 Prozent dieser Kategorie eine erkennbar höhere Anzahl an Arztbesuchen aufweisen, was sich auch in einem höhe­ ren Median widerspiegelt, der jedoch vergleichbar mit dem Median der Gruppe ist, die ihre Lebenszufriedenheit mit „sechs oder sieben“ bewertet.

217

5 Empirische Analyse

Abbildung 33: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Lebens­ zufriedenheit

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.120.

Tabelle 13 verdeutlicht diesen Unterscheid und zeigt, dass Personen, die ihre Lebenszufriedenheit eher schlecht einschätzen durchschnittlich häufiger einen Arzt aufsuchen. Personen, die ihre Lebenszufriedenheit mit „null bis fünf“ bewerten zeigen durchschnittlich 3,73 Arztbesuche auf. Je höher die Lebenszufriedenheit eingeschätzt wird, desto geringer ist auch die durch­ schnittliche Inanspruchnahme. So nehmen Personen, die ihre Lebenszufrie­ denheit mit „sechs bis sieben“ bewerten durchschnittlich 2,46 Arztbesuche in Anspruch, und Personen, die die Lebenszufriedenheit mit „acht oder höher“ bewerten lediglich 1,92 Arztbesuche in Anspruch. Tabelle 13 zeigt jedoch auch, dass die Varianz der Anzahl der Arztbesuche in der Gruppe, die ihre Lebenszufriedenheit eher schlecht einschätzen verglichen mit der Vari­ anz in den weiteren zwei Kategorien höher ist. Tabelle 13: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche nach Kategorien der Lebenszufriedenheit Mittelwert

0 bis 5

6 bis 7

8 und höher

3,73

2,46

1,92

Varianz

31,70

12,65

8,49

Median

2

2

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.120.

218

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Demnach kann zumindest auf Basis der bivariaten Analyse vermutet werden, dass die Lebenszufriedenheit einen Einfluss auf die Inanspruchnahme hat und somit einen Teil der vorliegenden Varianz in der Anzahl der Arztbesu­ che erklären kann. 5.4.1.6 Einkommen und Inanspruchnahme Abbildung 34 stellt die logarithmierte Anzahl der Arztbesuche nach ver­ schiedenen Einkommensgruppen dar. Das Äquivalenzeinkommen wurde entsprechend der 25 % Quantile kategorisiert, hieraus ergeben sich die Kategorien „bis 1.074 Euro“, „bis 1.460 Euro“, bis „2.000 Euro“ sowie eine weitere Kategorie, die alles über „2.000 Euro“ „bis 26.667 Euro“ abdeckt. Die Betrachtung der Verteilung der Inanspruchnahme nach Gruppen des Äqui­ valenzeinkommens zeigt keine erkennbaren Unterschiede zwischen den Kategorien des Äquivalenzeinkommens. Abbildung 34: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Äquivalenzeinkommen

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.767.

219

5 Empirische Analyse

Auf Basis der bivariaten Analyse kann somit vermutet werden, dass das Einkommen wahrscheinlich nicht in ausgeprägtem Maße zur Varianz der Arztbesuche beiträgt. 5.4.1.7 Region und Inanspruchnahme Auf Basis des bivariaten Zusammenhangs zwischen der Inanspruchnahme und der Region kann zunächst nicht festgestellt werden, dass sich die Verteilung der Arztbesuche zwischen Personen, die auf dem Land, und Personen, die in der Stadt wohnen, unterscheidet. So zeigt der in Abbil­ dung 35 dargelegte Boxplot keine ersichtlichen Unterschiede zwischen Personen, die im urbanen, und Personen, die im ländlichen Gebiet wohnen, hinsichtlich der logarithmierten Anzahl der Arztbesuche auf. Abbildung 35: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und der Region

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 59.326.

5.4.1.8 Private Zusatzkrankenversicherung und Inanspruchnahme Abbildung 36 stellt die Häufigkeitsverteilung der logarithmierten Arztbesu­ che für Personen mit und Personen ohne private Zusatzkrankenversiche­ rung dar. Dabei zeigt sich, dass der Median bei Personen mit Zusatzversiche­ rung über dem von Personen ohne Zusatzversicherung liegt und die mittle­ ren 50 Prozent der Verteilung in geringerem Maße streuen als bei Personen ohne Zusatzversicherung. Die Arztbesuche bei Personen mit Zusatzversi­

220

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

cherung weisen jedoch mehr Ausreißer auf als die Arztbesuche bei Personen ohne Zusatzversicherung. Abbildung 36: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Krankenzusatzversicherung

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.767.

Tabelle 14 stellt die Mittelwerte, die Varianz und den Median der Arzt­ besuche nach den Gruppen „Zusatzversicherung“ und „Keine Zusatzver­ sicherung“ dar und verdeutlicht, dass sich die durchschnittliche Anzahl an Arztbesuchen zwischen den Gruppen unterscheidet. Personen mit Zu­ satzversicherung nehmen mit durchschnittlich 2,51 Arztbesuchen etwas mehr Arztbesuche in Anspruch als Personen ohne Zusatzversicherung, die durchschnittlich 2,38 Arztbesuche in Anspruch nehmen. Auch der Median der Arztbesuche liegt bei Personen mit Zusatzversicherung mit zwei Arzt­ besuchen über dem der Personen, die keine Zusatzversicherung haben. In dieser Gruppe liegt der Median der Arztbesuche bei eins. Tabelle 14: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des Besitzes einer privaten Zusatzkrankenversicherung Zusatzversicherung

Keine Zusatzversicherung

Mittelwert

2,51

2,38

Varianz

14,81

12,95

Median

2

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.767.

221

5 Empirische Analyse

Auf Basis der bivariaten Analyse kann zunächst demnach vermutet wer­ den, dass das Vorliegen einer privaten Zusatzkrankenversicherung die In­ anspruchnahme beeinflusst, präziser, diese erhöht. 5.4.1.9 Objektive Gesundheit und Inanspruchnahme Zur Betrachtung des Zusammenhangs zwischen der Inanspruchnahme und der objektiven Gesundheit werden der MCS, der PCS sowie das Vor­ liegen einer chronischen Erkrankung betrachtet. Abbildung 37: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und MCS Score

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 75.307.

Abbildung 37 stellt die Inanspruchnahme nach verschiedenen Gruppen des MCS dar. Dieser wurde entsprechend der 25 % Quartile des MCS in die Kategorien „bis 44.8“, „bis 52.4“, „bis 57.6“ sowie bis „79,4“ eingeteilt. Ein höherer Score beschreibt dabei einen besseren Gesundheitszustand. Aus der Abbildung wird ersichtlich, dass sich die Inanspruchnahme zwi­ schen den verschiedenen Gruppen unterscheidet. Insbesondere die Gruppe des ersten Quantils „bis 44,8“, deren mentaler Gesundheitszustand am schlechtesten ist, zeigt eine höhere Inanspruchnahme auf. Die mittleren 50 Prozent der Verteilung nehmen mehr Arztbesuche in Anspruch als die mittleren 50 % der drei weiteren Kategorien, was sich auch in einem höheren Median widerspiegelt. Tabelle 15 verdeutlicht den Unterschied zwischen den einzelnen Kate­ gorien des MCS hinsichtlich der Anzahl der Arztbesuche. Personen, de­

222

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

ren mentaler Gesundheitszustand eher schlecht ist (bis 44,8) weisen mit durchschnittlich 3,44 Arztbesuchen mehr Arztbesuche auf als Personen der weiteren Kategorien, deren mentaler Gesundheitszustand besser ist. Auch der Median liegt mit 2 Arztbesuchen über dem Median der weiteren Kategorien des MCS, in welchen der Median der Arztbesuche bei 1 liegt. Interessant ist, dass ein besserer Gesundheitszustand jedoch scheinbar nicht linear mit einer geringeren Anzahl an Arztbesuchen verbunden ist. So weist die Kategorie „bis 79,4“, also die Kategorie mit Personen, deren mentaler Gesundheitszustand am besten ist, eine höhere Anzahl an durch­ schnittlichen Arztbesuchen auf als die Kategorie „bis 57,6“. Tabelle 15: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des MCS Bis 44,8

Bis 52,4

Bis 57,6

Bis 79,4

Mittelwert

3,44

2,23

1,84

2,09

Varianz

26,94

9,99

9,08

9,49

Median

2

1

1

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 75.307.

Abbildung 37 und Tabelle 15 zeigen, dass die Inanspruchnahme in Ab­ hängigkeit des mentalen Gesundheitszustands, gemessen mit dem MCS, variiert. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich bei der Analyse der Inanspruchnahme nach körperlichem Gesundheitszustand, gemessen mittels des PCS. Ein höherer Wert reflektiert auch bei dieser Variablen einen besseren Gesund­ heitszustand. Abbildung 38 stellt die logarithmierte Anzahl an Arztbesu­ chen nach Kategorien des PCS dar. Die Kategorisierung erfolgte anhand der 25 % Quantile des PCS. Dabei zeigt sich, dass Personen mit einem niedrigeren PCS eine höhere Inanspruchnahme aufweisen als die weite­ ren Kategorien. Je besser der körperliche Gesundheitszustand ist, desto weniger Arztbesuche werden in Anspruch genommen. Es zeigt sich auch, dass die 50 Prozent der mittleren Verteilung der Kategorie „bis 41,8“ und „bis 50,4“ weniger streuen als die mittleren 50 Prozent der Verteilung der Kategorien deren körperlicher Gesundheitszustand besser ist („bis 56,6“ und „bis 76,4“).

223

5 Empirische Analyse

Abbildung 38: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und PCS Score

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 75.307.

Tabelle 16 verdeutlicht den Unterschied zwischen den einzelnen Kategorien des körperlichen Gesundheitszustands. Die Anzahl der durchschnittlichen Arztbesuche liegt bei Personen, deren Gesundheitszustand eher schlecht ist („bis 44,8“) mit 4,5 deutlich höher als die durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche von Personen mit besserem körperlichen Gesundheitszustand. Konträr zu dem Muster der Anzahl der Arztbesuche nach Kategorien des MCS, also des mentalen Gesundheitszustands, zeigt sich hier ein linearer Zusammenhang zwischen dem körperlichen Gesundheitszustand und der Anzahl der Arztbesuche. Je besser der körperliche Gesundheitszustand, desto niedriger ist die Anzahl der durchschnittlichen Arztbesuche. Tabelle 16: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des PCS Mittelwert

Bis 44,8

Bis 52,4

Bis 57,6

Bis 79,4

4,50

2,39

1,56

1,16

Varianz

31,42

9,60

5,71

3,65

Median

3

2

1

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 75.307.

Tabelle 16 und Abbildung 38 zeigen somit, dass die Inanspruchnahme in Abhängigkeit des körperlichen Gesundheitszustands, gemessen anhand des PCS, variiert. Der Einfluss des körperlichen Gesundheitszustands scheint

224

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

dabei größer zu sein als der Einfluss der mentalen Gesundheit, gemessen mittels des MCS. Abbildung 39 stellt die logarithmierte Anzahl der Arztbesuche von Perso­ nen mit und Personen ohne chronische Erkrankung dar. Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der Arztbesuche zwischen diesen zwei Gruppen. Personen mit chronischen Erkrankungen zeigen eine höhere Inanspruchnahme auf als Personen ohne chronische Erkrankung. Der Me­ dian der Arztbesuche liegt bei Personen ohne chronische Erkrankung er­ kennbar unter dem Median der Arztbesuche von Personen mit chronischer Erkrankung. Auch die mittleren 50 Prozent der Verteilung der Arztbesuche liegen bei Personen mit chronischen Erkrankungen über denen von Perso­ nen ohne chronische Erkrankung. Abbildung 39: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und chroni­ scher Erkrankung

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.681.

Tabelle 17 verdeutlicht den Unterschied in der Anzahl der Arztbesuche anhand der Lageparameter Mittelwert, Varianz und Median. Während Personen ohne chronische Erkrankung durchschnittlich 1,5 Arztbesuche in Anspruch nehmen, liegt dieser Wert bei Personen mit chronischer Erkran­ kung bei 3,63 und ist somit mehr als doppelt so hoch wie bei Personen ohne chronische Erkrankung. Somit kann anhand der bivariaten Analyse festge­

225

5 Empirische Analyse

stellt werden, dass die Anzahl der Arztbesuche in Abhängigkeit des Vorlie­ gens einer chronischen Erkrankung variiert. Tabelle 17: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit des Vorliegens einer chronischen Erkrankung Chroniker

Kein Chroniker

Mittelwert

3,63

1,50

Varianz

22,75

6,28

Median

3

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.681.

Zusammenfassend zeigt sich, dass sich die Inanspruchnahme in Abhängig­ keit der objektiven Gesundheit – operationalisiert durch MCS, PCS und dem Vorliegen einer chronischen Erkrankung – unterscheidet. Auf Basis der bivariaten Analyse kann zunächst der Schluss gezogen werden, dass die objektive Gesundheit zur Erklärung der Varianz der Anzahl der Arztbesuche beiträgt. 5.4.1.10 Subjektive Gesundheit und Inanspruchnahme Zur Abbildung des subjektiven Gesundheitszustands werden die Variablen „Zufriedenheit mit der Gesundheit“ und „Sorgen über die eigene Gesund­ heit“ herangezogen. Die Variable „Selbsteinschätzung des Gesundheitszu­ stands (geszu)“ wird aufgrund der in Abbildung 28 dargelegten hohen Korrelation mit der Variablen „Sorgen über die eigene Gesundheit“ in der weiteren Analyse nicht weiter herangezogen, da nicht ausgeschlossen wer­ den kann, dass diese Variable dasselbe erfasst wie die Zufriedenheit mit der Gesundheit, deren Skala mit 0 bis 10 eine höhere Varianz aufweist als die der Frage nach dem Gesundheitszustand, die von 0 bis 5 reicht. Abbildung 40 stellt die logarithmierte Anzahl der Arztbesuche nach verschiedenen Kategorien der Zufriedenheit mit der Gesundheit dar. Die Lebenszufriedenheit wurde anhand der 25 % Quantile in die vier Kategorien „0 bis 4“, „5 bis 6“, „7“ und „8 und mehr“ eingeteilt. Eine höherer Wert reflektiert eine höhere Zufriedenheit mit der Gesundheit. Die Boxplots der verschiedenen Kategorien unterscheiden sich erkennbar. Personen mit einer höheren Zufriedenheit nehmen weniger Arztbesuche in Anspruch als Per­ sonen mit einer geringeren Zufriedenheit. Auch der Median der Gruppen

226

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

unterscheidet sich und nimmt mit steigender Zufriedenheit mit der Ge­ sundheit ab. Abbildung 40: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Zufriedenheit mit Gesundheit

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.182.

Tabelle 18 zeigt den Mittelwert, die Varianz und den Median der Anzahl der Arztbesuche nach den verschiedenen Kategorien der Zufriedenheit mit der Gesundheit. Tabelle 18: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit der Zufriedenheit mit der Gesundheit 0 bis 4

5 bis 6

7

8 und mehr

Mittelwert

4,84

2,77

1,94

1,35

Varianz

38,46

12,81

6,27

4,35

Median

3

2

1

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.182.

Dabei sticht insbesondere die Gruppe, die mit ihrem Gesundheitszustand eher unzufrieden ist („0 bis 4“), heraus. Diese Gruppe nimmt durchschnitt­ lich 4,84 Arztbesuche in Anspruch. Personen, die ihren Gesundheitszustand mit „5 bis 6“ etwas besser einschätzen, zeigen durchschnittlich 2,77 Arztbe­ suche, und somit durchschnittlich mehr als 2 Arztbesuche weniger auf als Personen, die ihre Zufriedenheit mit „0 bis 4“ bewerten. Die Differenz in den durchschnittlichen Arztbesuchen zu den weiteren Gruppen, deren Zufrie­

227

5 Empirische Analyse

denheit mit der Gesundheit höher ist, nimmt darauffolgend ab. So nehmen Personen, die die Zufriedenheit mit ihrer Gesundheit mit „7“ bewerten durchschnittlich 1,94, und Personen, die ihre Zufriedenheit mit „8 und mehr“ bewerten durchschnittlich 1,35 Arztbesuche in Anspruch. Somit kann auf Basis der Betrachtung des bivariaten Zusammenhangs zwischen Zufriedenheit mit der Gesundheit und der Inanspruchnahme zunächst geschlussfolgert werden, dass die Zufriedenheit mit der Gesundheit mögli­ cherweise zur Erklärung der Varianz der Arztbesuche beitragen kann. Als weiterer Indikator der subjektiven Gesundheit wird die Frage zu Sorgen über die eigene Gesundheit herangezogen. Die Variable umfasst Personen, die sich keine Sorgen machen, sowie Personen, die sich Sorgen über ihre Gesundheit machen. Personen, die sich Sorgen machen umfassen Personen, die sich etwas und große Sorgen machen. Abbildung 41 stellt den Zusammenhang zwischen der logarithmierten Anzahl der Arztbesuche nach Personen, die sich Sorgen über ihre Gesund­ heit machen, und Personen, die sich keine Sorgen über ihre Gesundheit machen, dar. Abbildung 41: Bivariater Zusammenhang zwischen Arztbesuchen und Sorgen Gesundheit

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.842.

228

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Der Boxplot zeigt, dass Personen, die sich Sorgen über ihre Gesundheit machen, mehr Arztbesuche in Anspruch nehmen als Personen, die sich keine Sorgen über ihre Gesundheit machen. Dies zeigt sich in einem höheren Median dieser Gruppe und darin, dass die mittleren 50 % der Verteilung höher liegen. Tabelle 19 verdeutlicht den Unterschied zwischen den Gruppen zusätz­ lich anhand des Mittelwerts, der Varianz und des Medians. Dabei zeigt sich, dass Personen, die sich Sorgen über ihre Gesundheit machen mit durchschnittlich 2,85 Arztbesuchen etwas mehr als doppelt so viele Arzt­ besuche in Anspruch nehmen wie Personen, die sich keine Sorgen über ihre Gesundheit machen. Auch die im Boxplot bereits erkennbare größere Streuung und der höhere Median in der Gruppe der Personen, die sich Sorgen über ihre Gesundheit machen, wird hier verdeutlicht. Tabelle 19: Mittelwert, Varianz und Median der Arztbesuche in Abhängigkeit der Sorgen über die Gesundheit Mittelwert

Sorgen

Keine Sorgen

2,85

1,26

Varianz

17,52

4,02

Median

2

1

Datengrundlage: Gepoolter Datensatz aus Wellen des SOEPs der Jahre 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018. Anzahl der Beobachtungen = 76.842.

Zusammenfassend zeigt sich, dass sich die Inanspruchnahme mit Hinblick auf die subjektive Gesundheit – operationalisiert durch die Zufriedenheit mit der Gesundheit und Sorgen über die Gesundheit – unterscheidet. Auf Basis der bivariaten Analyse kann zunächst der Schluss gezogen werden, dass der subjektive Gesundheitszustand zur Erklärung der Varianz der Anzahl der Arztbesuche beiträgt. In der bivariaten Analyse der unabhängigen Faktoren konnte gezeigt werden, dass die Inanspruchnahme in Bezug auf verschiedene Ausprägun­ gen der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit, der Lebenszufrieden­ heit, dem Vorliegen einer privaten Krankenzusatzversicherung sowie der objektiven und subjektiven Gesundheit variiert. Nachfolgend wird der Einfluss der verschiedenen unabhängigen Variablen auf die Inanspruch­ nahme mittels multivariater Verfahren untersucht.

229

5 Empirische Analyse

5.4.2 Multivariate Analysen Die verschiedenen unabhängigen Variablen wurden wie unter 5.3 darge­ legt mittels verschiedener GLM untersucht und hinsichtlich verschiedener Kriterien miteinander verglichen, um das geeignetste Modell auszuwählen. Im Rahmen der Selektion wurden die Informationskriterien nach Akaike (AIC) und Bayes (BIC) herangezogen, um die Güte der Modellanpassung der verschiedenen Modelle miteinander zu vergleichen. Das AIC wird auf Basis des Wertes der log-Likelihood bestimmt. Je höher der log-Likelihood-Wert ist, desto besser erklärt das Modell die abhängige Variable. Damit komplexere Modelle nicht als allgemein besser eingestuft werden, wird neben dem Wert des log-Likelihood auch die An­ zahl der geschätzten Parameter als „Strafterm“ berücksichtigt (Wollschlä­ ger, 2017, S. 202). Das AIC kann mittels folgender Formel beschrieben werden (Starke & Kluge, 2019, o. S.): 𝐴𝐼𝐶 𝑃 = − 2 𝑙 𝑝 + 2 𝑃

(13)

Dabei stellt P die Anzahl der im Modell enthaltenen Parameter dar und 𝑙 den Wert der log-Likelihoodfunktion. Das Modell mit dem kleinsten AIC wird bevorzugt (Wollschläger, 2017, S. 202). Die Berechnung des BIC ist der Berechnung des AIC sehr ähnlich. Auch das BIC zieht zur Bewertung der Modellgüte den log-Likelihood-Wert heran. Als Strafterm wird jedoch nicht nur die Anzahl der geschätzten Parameter, sondern auch die Anzahl der Beobachtungen herangezogen. Die Anzahl der Parameter wird mit dem natürlichen Logarithmus der Anzahl der Beobachtungen multipliziert. Somit hängt der Strafterm von der Stichprobengröße ab. Bereits ab einer Stichprobengröße von 8 bestraft das BIC komplexere Modelle stärker als das AIC. Analog zum AIC gilt auch beim BIC, dass kleinere Werte eine bessere Anpassung reflektieren und Modelle mit kleineren Werten demnach bevorzugt werden sollten (Wollschläger, 2017, S. 202). Das BIC ist definiert als (Starke & Kluge 2019, o. S.): 𝐵𝐼𝐶 𝑃 = − 2 𝑙 𝑝 + 𝑃 ln 𝑛

(14)

Der Einfluss der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable wur­ de mittels einer Poisson Regression und verschiedener Hurdle Modelle analysiert. Da bei Hurdle Modellen für das Hürdenmodell und das Zähl­ modell verschiedene Verteilungen herangezogen werden können, wurden

230

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

verschiedene Hurdle Modelle mit unterschiedlichen Verteilungen erstellt und miteinander verglichen. Berechnet wurde eine Poisson Regression mittels derer der Einfluss der verschiedenen Faktoren auf die Inanspruchnahme in einem Prozess modelliert wurde (Poisson Regression). Darüber hinaus wurden drei Hurdle Modelle berechnet, in der der Einfluss der verschiedenen unabhängigen Variablen auf die Wahrschein­ lichkeit, einen Arzt aufzusuchen (hurdle) und die Anzahl der Arztbesuche (count) separat modelliert wurden. Dabei wurden die Verteilungen für beide Stufen in den verschiedenen Modellen variiert. Im „Negbin Hurdle“ Modell wurde für die Hürdenkomponente eine Binomialverteilung (hurdle = binomial) und für das Zählmodell eine nega­ tive Binomialverteilung (count = negbin) definiert. Im „Poisson Hurdle“ Modell wurde für die Hürdenkomponente analog zu „Negbin Hurdle“ eine Binomialverteilung angenommen (hurdle = bi­ nomial) und für das Zählmodell eine Poissonverteilung (count = poisson) festgelegt. Im „Poisson Hurdle 2“ Modell wurde sowohl für die Hürden- (hurd­ le = poisson) als auch die Zählkomponente (count = poisson) eine Poisson­ verteilung bestimmt. Tabelle 20 stellt die log-Likelihood-Werte, das AIC und das BIC für verschiedene Modelle dar. Anhand dieser Kriterien, die zum Vergleich der Modelle miteinander herangezogen werden können, zeigt sich, dass das Negbin Hurdle Modell präferiert werden sollte. Sowohl AIC als auch BIC sind für dieses Modell niedriger. Zudem ist der log-Likelihood-Wert des Modells am höchsten. Tabelle 20: Vergleich der Modellgüte verschiedener Modelle zur Inanspruchnahme

log-Likelihood AIC BIC

Poisson Regression

Negbin Hurdle (hurdle = binomial, count = negbin)

Poisson Hurdle Poisson Hurdle 2 (hurdle = binomi­ (hurdle = poisson, al, count = pois­ count = poisson) son)

-1.6637,02 (df = 20) 33.314,04 33.454,69

-14.255,22 (df = 41) 28.592,44 28.880,78

-15.934,87 (df = 40) 31.949,74 32.231,05

-15.942,78 (df = 40) 31.965,56 32.246,86

df=degrees of freedom

Aufgrund der besseren Modellgüte des Negbin Hurdle Modells verglichen mit den weiteren berechneten Modellen wird für die Analyse nachfolgend

231

5 Empirische Analyse

das Negbin Hurdle Modell herangezogen. Auch wenn das Modell vergli­ chen mit den weiteren Modellen besser dazu geeignet ist, die Anzahl der Arztbesuche vorherzusagen, die relative Qualität des Modells also gut ist, kann auf Basis von AIC und BIC jedoch keine Einschätzung über die absolute Qualität des Modells gegeben werden. Die Bewertung der absoluten Güte von Zähldatenmodellen gestaltet sich jedoch herausfordernd. Eine Methode, die Modellgüte zu prüfen stellt der grafische Vergleich von beobachteten und mittels des Modells vor­ hergesagten Werte in einem Punktediagramm dar (Cameron & Trivedi, 1986). Die Interpretation solch einer Darstellung ist jedoch komplex und nicht intuitiv. Eine weitere, leichter verständliche Möglichkeit, die Güte solcher Modelle einzuschätzen, liegt in der grafischen Darstellung der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche mittels eines sogenannten Rootograms (Kleiber & Zeileis, 2016). Abbildung 42 stellt das Rootogram für das Negbin Hurdle Modell dar, das nach den in Tabelle 20 dargestellten Gütekriterien bevorzugt werden sollte. Die schwarze Linie bildet die mittels des Modells vorhergesagten Werte ab. Die Balken spiegeln die in der Stichprobe beobachteten Werte wider. Diese „hängen“ von der schwarzen Linie, die die vorhergesagten Werte darstellt, herunter. An Stellen, an denen die Balken nicht auf der x-Achse enden, weichen die Vorhersagen des Modells über die Arztbesuche von den tatsächlich beobachteten Werten ab. Das Rootogram zeigt, dass die überschüssigen Nullen mittels des Modells exakt vorhergesagt werden können. Das Modell überschätzt die Häufigkeit eines Arztbesuches und unterschätzt die Inanspruchnahme von zwei und drei Arztbesuchen. Die Inanspruchnahme von vier, fünf und sechs Arztbesuchen kann mittels des Modells sehr gut geschätzt werden. Für den Rest der Verteilung wechseln sich Über- und Unterschätzung des Modells ab, die Abweichungen kön­ nen jedoch als gering betrachtet werden.98

98 Die Rootograms des Poisson Hurdle und Poisson Hurdle 2 Modells finden sich im Anhang (Abbildung A1 und Abbildung A2).

232

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Abbildung 42: Rootogram der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche Negbin Hurdle Modell

Tabelle 21 stellt die Ergebnisse des Negbin Hurdle Modells für die Hür­ den- und die Zählkomponente dar. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kon­ taktwahrscheinlichkeit und die Kontaktfrequenz von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden.

233

5 Empirische Analyse

Tabelle 21: Ergebnisse des Negbin Hurdle Modells Hürdenmodell Koeffizienten

Standardfehler

Konstante

2,216

0,666

Alter

-0,004

0,002

Weiblich

0,550

Zählmodell p

Koeffizienten

Standardfehler

** *

2,980

0,421

-0,012

0,002

** * ** *

0,071

0,038

.

p

Dauer der Ausbildung in Jahren

0,045

. ** 0,052 * ** 0,011 *

0,000

0,008

Erwerbstätigkeit

-0,471

0,403

-0,160

0,217

Migrationshintergrund

-0,066

0,068

-0,100

0,051

Feste Partnerschaft

-0,009

0,067

0,069

0,047

Beruf im Gesundheitswesen

-0,107

0,079

0,020

0,053

Risikoeinstellung Gesundheit

-0,034

0,011 **

-0,003

0,007

Lebenszufriedenheit

0,020

0,020

0,020

0,013

Zusatzkrankenversicherung

0,146

0,057

*

0,086

0,039

*

Nettoäquivalenzeinkommen (log)

0,161

0,062 **

0,119

0,045

**

Stadt

0,057

0,052

0,083

0,037

Chronische Erkrankung

0,753

0,062

Erwerbsminderung

0,560

0,138

Krankenhausaufenthalt

0,498

0,106

MCS Score

-0,013

0,003

PCS Score

-0,040

0,005

Zufriedenheit Gesundheit

-0,093

0,019

Sorgen Gesundheit

0,168

0,044

** * ** * ** * ** * ** * ** * ** *

0,136

0,039

0,250

0,060

0,423

0,052

-0,018

0,002

-0,038

0,003

-0,071

0,012

0,138

0,033

*

* ** * ** * ** * ** * ** * ** * ** *

Signifikanzniveaus: .= 0,1, *=0.05, **=0,01, ***=0,001. Kursiv dargestellte Einfluss­ faktoren stellen Kontrollvariablen dar. Referenzkategorien: Geschlecht: Männer, Erwerbstätigkeit: nicht erwerbstätig, Migrationshintergrund: Kein Migrationshin­ tergrund. Feste Partnerschaft: Keine Partnerschaft, Beruf im Gesundheitswesen: Kein Beruf im Gesundheitswesen, Zusatzkrankenversicherung: Keine Zusatzkran­ kenversicherung, Stadt: Land, chronische Erkrankung: keine chronische Erkran­ kung, Erwerbsminderung. Keine Erwerbsminderung, Krankenhausaufenthalt: Kein Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr.

234

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Prädisponierende Einflussfaktoren Bei Betrachtung der prädisponierenden Einflussfaktoren auf die Kontakt­ wahrscheinlichkeit zeigen sich von den prädisponierenden Faktoren das Geschlecht und die Ausbildungsdauer als auf einem 0,01 Prozentniveau signifikante Einflussgrößen auf die Inanspruchnahme. Das Geschlecht und die Ausbildungsdauer haben einen positiven Effekt auf die Inanspruch­ nahme. Frauen haben demnach eine höhere Kontaktwahrscheinlichkeit als Männer, und eine längere Ausbildungsdauer wirkt sich erhöhend auf die Kontaktwahrscheinlichkeit aus. Darüber hinaus zeigt sich, dass Per­ sonen mit einer höheren Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit aufweisen und dieser Einfluss auf einem Niveau von 0,1 Prozent statistisch signifikant ist. Interessanterwei­ se nimmt die Kontaktwahrscheinlichkeit in der Analyse mit zunehmen­ dem Alter ab, dieses Ergebnis ist jedoch lediglich auf einem Niveau von 10 Prozent signifikant. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Einfluss einen Zufallsbefund darstellt, ist demnach hoch. Der Erwerbstätigenstatus, ein Migrationshintergrund, das Vorliegen einer festen Partnerschaft und die Lebenszufriedenheit haben keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Kontaktwahrscheinlichkeit. Nicht alle prädisponierenden Faktoren, die die Kontaktwahrscheinlich­ keit beeinflussen haben auch einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Kontaktfrequenz. So hat das Alter einen auf dem Niveau von 0,1 Pro­ zent statistisch signifikanten, positiven Einfluss. Interessanterweise zeigt sich bei höherem Alter eine geringere Kontaktfrequenz. Der Einfluss des Geschlechts auf die Anzahl der Arztbesuche ist im zweiten Schritt des Modells lediglich auf einem Niveau von 10 Prozent signifikant und die Wahrscheinlichkeit, dass der in der Stichprobe gefundene Einfluss zufällig ist, somit hoch. Die Risikoeinstellung und Dauer der Ausbildung, die einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Kontaktwahrscheinlichkeit aufweisen, zeigen keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Kontakt­ frequenz. Darüber hinaus zeigt sich, dass ein Migrationshintergrund, der als Kontrollvariable aufgenommen wurde, und keinen statistisch signifi­ kanten Einfluss auf die Kontaktwahrscheinlichkeit hat, einen auf einem 5 Prozent Niveau statistisch signifikanten Einfluss auf die Kontaktfrequenz aufweist. Personen mit Migrationshintergrund haben eine geringere An­ zahl an Arztbesuchen, wenn sie einen Arzt aufsuchen.

235

5 Empirische Analyse

Befähigende Einflussfaktoren Von den befähigenden Faktoren ist sowohl der Einfluss des Nettoäquiva­ lenzeinkommens als auch das Vorliegen einer Zusatzversicherung auf die Kontaktwahrscheinlichkeit statistisch signifikant. Das Nettoäquivalenzein­ kommen auf einem Niveau von 1 %, das Vorliegen einer Zusatzversiche­ rung auf einem Niveau von 5 %. Das Vorliegen einer Zusatzversicherung und ein höheres Einkommen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Arzt­ besuchs. Analog zur Kontaktwahrscheinlichkeit wirkt sich das Nettoäquivalenz­ einkommen (Signifikanzniveau: 1 %) und der Besitz einer Zusatzkranken­ versicherung (Signifikanzniveau: 5 %) auch auf die Kontaktfrequenz aus. Beide Einflussfaktoren erhöhen die Kontaktfrequenz. Konträr zur Kontakt­ wahrscheinlichkeit, ermittelt das Modell einen auf einem Niveau von 5 Prozent statistisch signifikanten Einfluss auf die Kontaktfrequenz. Woh­ nen Personen in der Stadt, haben sie eine höhere Anzahl an Arztbesuchen als Personen, die auf dem Land wohnen. Bedarfsfaktoren Von den Faktoren der Bedarfsdimension zeigen alle berücksichtigten Va­ riablen einen signifikanten Einfluss auf dem Niveau von 0,1 Prozent so­ wohl auf die Kontaktwahrscheinlichkeit als auch die Kontaktfrequenz. Das Vorliegen einer chronischen Erkrankung, einer Erwerbsminderung, einem Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr, ein niedrigerer MCS oder PCS Score und eine geringere Zufriedenheit mit der Gesundheit sowie Sorgen über die Gesundheit erhöhen die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen und die darauffolgende Anzahl an Arztbesuchen. Nachfolgend werden die Ergebnisse des Hürdenmodells genutzt um die in 4.4.1 aufgestellten Hypothesen hinsichtlich ihrer Gültigkeit zu prüfen. Hypothese 1: Je höher die Bildung ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs. Die Ergebnisse des Modells zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen in der betrachteten Stichprobe mit zunehmender Bildung steigt. Hypothese 1 kann somit nicht bestätigt werden.

236

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Hypothese 2: Personen, die in einer festen Partnerschaft leben, haben eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit als Personen, die nicht in einer festen Partnerschaft leben. Ob Personen in einer festen Partnerschaft leben oder nicht, zeigt in der multivariaten Analyse der vorliegenden Stichprobe keinen statistisch signi­ fikanten Einfluss auf die Kontaktwahrscheinlichkeit. Hypothese 2 kann demnach nicht bestätigt werden. Hypothese 3: Personen, die einen Beruf im Gesundheitswesen ausüben, weisen eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit auf als Personen, die keinen Beruf im Gesundheitswesen ausüben. Auf Basis der vorliegenden Stichprobe konnte nicht gezeigt werden, dass Personen, die einen Beruf im Gesundheitswesen ausüben, verglichen mit Personen, die keinen Beruf im Gesundheitswesen ausüben, eine statistisch signifikant reduzierte Wahrscheinlichkeit haben, einen Arzt aufzusuchen. Hypothese 3 wird demnach abgelehnt. Hypothese 4: Je höher die Risikobereitschaft im Bereich Gesundheit ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen. In der vorliegenden Stichprobe zeigt sich ein signifikanter Einfluss der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit auf die Kontaktwahrscheinlich­ keit. Je höher die Risikobereitschaft im Bereich Gesundheit ist, desto nied­ riger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztkontaktes. Hypothese 4 kann demnach bestätigt werden. Hypothese 5: Je größer die Lebenszufriedenheit ist, desto geringer ist die Kontaktwahrscheinlichkeit. Die Lebenszufriedenheit der Personen zeigt keinen statistisch signifikan­ ten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen. Hypothe­ se 5 wird auf Basis der vorliegenden Stichprobe somit abgelehnt. Hypothese 6: Je höher das Einkommen ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs. In der Analyse der Stichprobe weist das Einkommen einen statistisch signi­ fikanten, positiven Effekt auf die Kontaktwahrscheinlichkeit auf. Hypothe­ se 6 wird demnach nicht bestätigt.

237

5 Empirische Analyse

Hypothese 7: Personen, die in einer Stadt leben, haben eine höhere Kontaktwahrscheinlichkeit als Personen, die auf dem Land leben. In der Analyse konnte nicht festgestellt werden, dass Personen, die in der Stadt leben, eine höhere Kontaktwahrscheinlichkeit haben als Personen, die auf dem Land leben. Hypothese 7 wird somit abgelehnt. Hypothese 8: Das Vorliegen einer privaten Zusatzkrankenversicherung erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen. Das Vorliegen einer privaten Krankenzusatzversicherung erweist sich in der multivariaten Analyse als statistisch signifikanter Prädiktor der Kon­ taktwahrscheinlichkeit. Personen, die eine Zusatzversicherung haben, su­ chen mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Arzt auf als Personen ohne Zusatzversicherung. Hypothese 8 wird folglich bestätigt. Hypothese 9: Je schlechter der objektive Gesundheitszustand ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuchs. Die zur Abbildung des objektiven Gesundheitszustands verwendeten Indi­ katoren PCS und MCS beeinflussen die Kontaktwahrscheinlichkeit auf einem statistisch signifikanten Niveau. Je schlechter der Gesundheitszu­ stand – gemessen mittels dieser Instrumente – ist, desto höher ist die Inanspruchnahme. Demnach wird Hypothese 9 bestätigt. Hypothese 10: Je schlechter die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustand ist, desto höher ist die Kontaktwahrscheinlichkeit. Zur Abbildung des subjektiven Gesundheitszustands wurde die Zufrieden­ heit mit der Gesundheit und Sorgen über die Gesundheit herangezogen. Beide Faktoren zeigen in der multivariaten Analyse einen statistisch signi­ fikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt aufzusuchen. Hy­ pothese 10 wird auf Basis der vorliegenden Stichprobe demnach bestätigt. Die in der multivariaten Analyse ermittelten Koeffizienten können di­ rekt zur Überprüfung der Hypothesen herangezogen werden. Die Koeffi­ zienten ermöglichen es, Aussagen über die Richtung des Einflusses der unabhängigen Variablen auf die Kontaktwahrscheinlichkeit und Kontakt­ frequenz zu treffen. Durch Hinzuziehen der Signifikanzniveaus kann zu­ dem die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, dass die Hypothese fälschli­ cherweise abgelehnt wird.

238

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

Eine inhaltliche Interpretation der Koeffizienten des Modells und ein Vergleich der Stärke des Einflusses der verschiedenen unabhängigen Varia­ blen kann jedoch nicht direkt auf Basis der in Tabelle 21 dargelegten Koef­ fizienten erfolgen. Denn der y-Wert des Modells repräsentiert nicht direkt die abhängigle Variable, sondern ist definiert als Logarithmus der Chan­ cen, oder Odds, der abhängigen Variable (Manderscheid, 2017, S. 203– 204). Somit ist das Ergebnis des Modells das logarithmierte Chancenver­ hältnis, dass ein Ereignis eintritt, oder nicht eintritt. Dies bedeutet beispielsweise, dass die Koeffizienten der chronischen Erkrankung mit den Koeffizienten der Zusatzversicherung wie folgt mit­ einander verglichen werden können: Der Effekt, eine chronische Erkrankung zu haben, gegenüber dem Ef­ fekt keine chronische Erkrankung zu haben (Koeffizient: 0,753), auf die lo­ garithmierte Chance, einen Arzt aufzusuchen verglichen mit der Chance, keinen Arzt aufzusuchen, ist etwa fünfmal so hoch wie der Effekt, keine Zusatzversicherung zu haben, verglichen mit dem Effekt einer Zusatzversi­ cherung (Koeffizient 0,146). Diese Interpretation ist nicht nur umständlich und nicht intuitiv, sie kann im Zweifel auch zu einer Fehleinschätzung der Effekte führen. Zu­ dem gilt das Interesse vorrangig dem Einfluss der unabhängigen Variablen auf die Chance eines Arztbesuchs und nicht auf die Veränderung des Chancenverhältnisses. Die Regressionskoeffizienten b können jedoch durch Entlogarithmieren in sogenannte Odds Ratios umgerechnet und verständlicher interpretiert werden (Manderscheid, 2017, S. 205): Exp(b) = Odds Ratio

(15)

Odds Ratios stellen bei kategorialen Variablen das relative Chancenverhält­ nis des Eintreten eines Ereignisses im Vergleich zu einer Referenzkategorie und bei metrischen Variablen das relative Chancenverhältnis bei Zunah­ me einer metrischen Variablen um eine Einheit dar. Odds Ratios erlauben demnach eine Aussage darüber, um welchen Faktor die vorhergesagte Chance sich verändert, dass eine höhere Kategorie erreicht wird (in diesem Fall, dass ein Arztbesuch erfolgt), wenn sich die unabhängige Variable um eine Einheit erhöht (Wollschläger, 2017, S. 323). Odds Ratio Werte von 1 bedeuten, dass die Veränderung der unabhängigen Variable die Chance nicht beeinflusst, ein Odds Ratio Wert unter 1 bedeutet, dass sich die Chance verringert und ein Odds Ratio Wert von über 1, dass sich die Chance erhöht (Manderscheid, 2017, S. 101).

239

5 Empirische Analyse

Im Zählmodell beschreiben die Koeffizienten die Veränderung der Dif­ ferenz der Logarithmen der erwarteten Anzahl an Arztbesuchen bei Ver­ änderung der unabhängigen Variable um eine Einheit. Auch im Zählmo­ dell können die Koeffizienten durch Entlogarithmieren in Odds Ratios umgewandelt werden. Die Odds Ratios stellen die Veränderungsrate der Anzahl der Ereignisse dar, wenn sich die unabhängige Variable um eine Einheit verändert. Darüber hinaus können die Koeffizienten des Zählmo­ dells zudem in eine prozentuale Veränderung der erwarteten Anzahl der Arztbesuche bei Veränderung der unabhängigen Variable um eine Einheit wie folgt transformiert werden (Beaujean & Grant, 2016, S. 5)99: Prozentuale Veränderung in der erwarteten Anzahl = 100 × [exp (b × Δ) -1]

(16)

Tabelle 22 stellt die Odds Ratios für die signifikanten unabhängigen Varia­ blen im Hürden- und Zählmodell dar. Für das Zählmodell wird zudem die prozentuale Veränderung der erwarteten Anzahl an Arztbesuchen bei Veränderung der unabhängigen Variable um eine Einheit abgebildet. Tabelle 22: Odds Ratios der unabhängigen Variablen Hürdenmodell

Alter Weiblich Ausbildungsjahre

Zählmodell

Odds Ratio

Odds Ratio

Prozentuale Veränderung

1,00 1,73 1,05

0,99 1,07

-1,19 % 7,36 %

0,90

-9,55 %

Erwerbstätigkeit Migrationshintergrund Feste Partnerschaft Beruf im Gesundheitswesen Risikoeinstellung Gesundheit

0,97

Lebenszufriedenheit

1,02

Zusatzkrankenversicherung Nettoäquivalenzeinkommen (log)

1,16 1,18

1,09 1,13 1,09

9,03 % 12,63 % 8,61 %

2,12 1,75 1,64 0,99

1,15 1,28 1,53 0,98

14,54 % 28,36 % 52,62 % -1,78 %

Stadt Chronische Erkrankung Erwerbsminderung Krankenhausaufenthalt MCS Score

99 Auch die Odds Ratios des Hürdenmodells können theoretisch in eine prozentua­ le Veränderung der Chance transformiert, beziehungsweise derart ausgedrückt werden.

240

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen PCS Score Zufriedenheit Gesundheit Sorgen Gesundheit

0,96 0,91 1,18

0,96 0,93 1,15

-3,72 % -6,87 % 14,80 %

Aus den Odds Ratios wird ersichtlich, dass die Chance eines Arztbesuchs bei Vorliegen einer chronischen Erkrankung 2,1-fach höher ist als bei Personen, die keine chronische Erkrankung aufweisen. Die Chance, dass eine Person mit Zusatzversicherung einen Arzt aufsucht, liegt etwa 16 % höher als bei Personen, die keine Zusatzversicherung besitzen. Grundsätzlich gestaltet sich die Interpretation von Hürdenmodellen her­ ausfordernd. Atkins & Gallop (2007) empfehlen zur besseren Verständlich­ keit neben der Transformation der Koeffizienten in Odds Ratios und die Umrechnung in eine prozentuale Veränderung die Berechnung verschiede­ ner Szenarien, in denen für unabhängige Variablen von Interesse verschie­ dene Werte in der Regressionsgleichung eingesetzt werden. Somit wird nachfolgend der Einfluss der verschiedenen unabhängigen Variablen auf die Kontaktwahrscheinlichkeit (Hürdenmodell) sowie auf die Anzahl der Arzt­ besuche (Zählmodell) mittels verschiedener Szenarien verdeutlicht. Dies ermöglicht eine bessere Vorstellung der Einflussstärke der verschiedenen Variablen, insbesondere des Gesundheitszustand und einer Zusatzversiche­ rung. Tabelle 23 stellt die Kontaktwahrscheinlichkeit für verschiedene Szenari­ en dar. Berücksichtigt werden alle Variablen, die im Hurdle Modell als signifikante Einflussgrüßen ermittelt wurden. Die Werte in der Tabelle stellen die Ausprägung dar, die in der Regressionsgleichung zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuches implementiert wurde. Die ver­ schiedenen Szenarien unterschieden sich primär hinsichtlich des Gesund­ heitszustandes und des Vorliegens einer Zusatzversicherung. Die Variablen, deren Ausprägung verändert wurde, sind in der Tabelle grau hervorgehoben. In allen Szenarien sind die Personen 30 Jahre alt, weisen eine Ausbildungs­ dauer von neun Jahren, eine (mittelmäßig ausgeprägte) Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit von 5 auf, haben ein Nettoäquivalenzeinkommen von 1.460 Euro100, keine Erwerbsminderung, und hatten im vorangegangenen Jahr keinen Krankenhausaufenthalt.

100 Dies entspricht dem zweiten Quartil des Nettoäquivalenzeinkommens.

241

5 Empirische Analyse

Tabelle 23: Bestimmung der Kontaktwahrscheinlichkeit für verschiedene Szenarien Frau gesund ohne ZV

Frau gesund mit ZV

Frau Frau krank krank ohne ZV mit ZV

Mann gesund ohne ZV

Mann gesund mit ZV

1 30 1 9 5

1 30 1 9 5

1 30 1 9 5

1 30 1 9 5

1 30 0 9 5

1 30 0 9 5

0 7,29 0 0 0 52,4 50,4 6 0

1 7,29 0 0 0 52,4 50,4 6 0

0 7,29 1 0 0 44,8 41,8 4 1

1 7,29 1 0 0 44,8 41,8 4 1

0 7,29 0 0 0 52,4 50,4 6 0

1 7,29 0 0 0 52,4 50,4 6 0

Kontaktwahrscheinlichkeit 69 %

72 %

91 %

92 %

56 %

60 %

Konstante Alter Weiblich Ausbildungsdauer Risikoeinstellung Gesundheit Zusatzkrankenversicherung Äquivalenzeinkommen (log) Chronische Erkrankung Erwerbsminderung Krankenhausaufenthalt MCS PCS Zufriedenheit Gesundheit Sorgen Gesundheit

In Szenarien, in denen die Personen „gesund“ sind, wurden MCS und PCS Werte des zweiten Quantils der Verteilung der Scores (MCS:52,4, PCS:50,4), eine Zufriedenheit mit der Gesundheit von 6, keine chronische Erkrankung und „keine Sorgen über die Gesundheit“ angenommen. In Szenarien, in denen die Personen „krank“ sind, wurde wurden MCS und PCS Werte des ersten Quantils der Verteilung der Scores (MCS:44,8, PCS:41,8), eine Zufriedenheit mit der Gesundheit von 4, eine chronische Erkrankung und „Sorgen über die Gesundheit“ angenommen. Szenarien „mit ZV (Zusatzversicherung)“ und „ohne ZV“ unterscheiden sich lediglich in der Berücksichtigung des Vorliegens einer Zusatzversiche­ rung. Die Berechnungen zeigen, dass die Chance einer gesunden Frau ohne Zusatzversicherung einen Arzt zu besuchen bei 69 Prozent liegt. Das Vorlie­ gen einer Zusatzversicherung erhöht die Chance eines Arztbesuchs dieser fiktiven Frau auf 72 Prozent. Eine kranke Frau ohne Zusatzversicherung besucht mit einer Chance von 91 Prozent einen Arzt. Das Vorliegen einer Zusatzversicherung erhöht diese Chance auf 92 Prozent. Der Einfluss der Zusatzversicherung auf die Chance eines Arztbesuchs ist demnach sowohl bei gesunden als auch bei kranken Frauen gering. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands wie er in diesem Szenario definiert wurde, beeinflusst die Chance der Kontaktwahrscheinlichkeit stärker. So erhöht sich die Chan­

242

5.4 Empirische Evidenz der Hypothesen

ce der Kontaktwahrscheinlichkeit in Abhängigkeit des Gesundheitszustands sowohl bei Frauen mit als auch bei Frauen ohne Zusatzversicherung. Sie erhöht sich von 69 Prozent auf 91 Prozent bei Frauen ohne Zusatzversiche­ rung und bei Frauen mit Zusatzversicherung von 72 Prozent auf 92 Prozent. Interessant ist auch der Unterschied zwischen Männern und Frauen. So liegt die Chance bei gesunden Männern ohne Zusatzversicherung bei 56 Prozent, wohingegen sie bei gesunden Frauen ohne Zusatzversicherung bei 69 Prozent liegt. Ähnlich gestaltet sich auch der Unterschied zwischen gesunden Männern und Frauen mit Zusatzversicherung. Die Chance der Kontaktwahrscheinlichkeit von Männern liegt mit 60 Prozent unter der Chance der Kontaktwahrscheinlichkeit von Frauen mit 72 Prozent. Tabelle 24 stellt die in den verschiedenen Szenarien ermittelte Anzahl der Arztbesuche dar. Auch für diese Modellierung wurden lediglich die signifi­ kanten Einflussfaktoren auf die Kontaktfrequenz berücksichtigt. Somit werden die Ausbildung in Jahren sowie die Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit für die Ermittlung der Arztkontakte nicht berücksichtigt. Die weiteren Variablen wurden analog zur Modellierung der Kontaktwahr­ scheinlichkeit modelliert, beziehungsweise für die verschiedenen Szenarien modelliert. Tabelle 24: Bestimmung der Anzahl an Arztbesuchen für verschiedene Szenarien Frau gesund ohne ZV

Frau gesund mit ZV

Frau Frau krank krank ohne ZV mit ZV

Mann gesund ohne ZV

Mann gesund mit ZV

Konstante Alter Weiblich Migrationshintergrund Zusatzkrankenversicherung Äquivalenzeinkommen (log) Stadt Chronische Erkrankung Erwerbsminderung Krankenhausaufenthalt MCS Score PCS Score Zufriedenheit Gesundheit Sorgen Gesundheit

1 30 1 0 0 7,29 0 0 0 0 52,4 50,4 6 0

1 30 1 0 1 7,29 0 0 0 0 52,4 50,4 6 0

1 30 1 0 0 7,29 0 1 0 0 44,8 41,8 4 1

1 30 1 0 1 7,29 0 1 0 0 44,8 41,8 4 1

1 30 0 0 0 7,29 0 0 0 0 52,4 50,4 6 0

1 30 0 0 1 7,29 0 0 0 0 52,4 50,4 6 0

Anzahl der Arztbesuche

1,3

1,4

3,2

3,2

1,2

1,3

Die Berechnung der Anzahl der Arztkontakte für die verschiedenen Szenari­ en zeigt, dass der Einfluss des Gesundheitszustands – wie er in diesen

243

5 Empirische Analyse

Szenarien definiert wurde – auf die Anzahl der Arztkontakte stärker ist als das Vorliegen einer Zusatzversicherung. Für gesunde Frauen ohne Zusatzversi­ cherung werden mittels des Modells 1,3 Arztbesuche vorhergesagt. Bei Vorliegen einer Zusatzversicherung erhöht sich die Vorhersage auf 1,4 Arztbesuche. Für eine kranke Frau ohne Zusatzversicherung hingegen modelliert das Modell mit 3,2 Arztbesuchen mehr als doppelt so viele Arztbesuche wie für gesunde Frauen. Besitzen kranke Frauen eine Zusatz­ versicherung, erhöht das die vorhergesagte Anzahl der Arztbesuche nicht. Analog zu den Chancen der Kontaktwahrscheinlichkeit zeigt sich auch bei der Anzahl der Arztkontakte ein Unterschied hinsichtlich des Geschlechts. Verglichen mit gesunden Frauen werden für gesunde Männer 1,2 Arztbesu­ che vorhergesagt, was unter dem Wert der Frauen von 1,3 liegt. Der Effekt ist jedoch eher gering. Auch bei Männern wirkt sich das Vorliegen einer Zusatzversicherung leicht erhöhend auf die Kontaktfrequenz aus. Die An­ zahl der vorhergesagten Arztbesuche erhöht sich von 1,2 auf 1,3. 5.5 Diskussion der zentralen Ergebnisse und kritische Würdigung Die Ergebnisse der multivariaten Analyse zeigen, dass die prädisponierenden Faktoren Geschlecht, Bildung und Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit die Kontaktwahrscheinlichkeit signifikant beeinflussen. Mit einer Irrtums­ wahrscheinlichkeit von 0,1 (Geschlecht, Bildung) und 1 Prozent (Risikoein­ stellung) sind diese Ergebnisse kein Zufallsbefund und diese Faktoren stellen Einflussfaktoren auf die Kontaktwahrscheinlichkeit in der Grundgesamtheit der GKV-Versicherten in Deutschland dar. Eine höhere Risikobereitschaft verringert die Chance eines Arztbesuchs, Frauen haben eine höhere Chance einen Arzt aufzusuchen als Männer und eine längere Ausbildungsdauer erhöht die Chance eines Arztbesuchs. Da in der multivariaten Analyse auch der der Bedarf, also der Gesundheitszustand, berücksichtigt wurde besteht dieser Einfluss somit auch unter Kontrolle des für die Inanspruchnahme bedeutenden Gesundheitszustands. Hinsichtlich des Geschlechts könnten diese Ergebnisse auf geschlechtsspezifische Verhaltensmuster oder Wahr­ nehmungen von Symptomen hinweisen (Laubach & Brähler, 2001; Siever­ ding, 2010). Der Einfluss der Ausbildungsdauer könnte darauf hindeuten, dass sich Personen mit höherer Bildung besser im Gesundheitswesen zu­ rechtfinden, respektive für Personen mit weniger Bildung Barrieren existie­ ren, die ihnen den Zugang erschweren. Zugleich könnte dieses Ergebnis jedoch auch Ausdruck unterschiedlicher Präferenzen sein (vgl. bspw. Hoebel et al., 2016).

244

5.5 Diskussion der zentralen Ergebnisse und kritische Würdigung

Von den befähigenden Einflussfaktoren stellen sowohl das Vorliegen einer Zusatzversicherung (Signifikanzniveau von 5 %) als auch das Einkom­ men (Signifikanzniveau von 1 %) signifikante Einflussfaktoren auf die Kon­ taktwahrscheinlichkeit dar. Ein höheres Einkommen und das Vorliegen einer Zusatzversicherung erhöhen die Kontaktwahrscheinlichkeit. Die Er­ gebnisse zur Zusatzversicherung decken sich mit den für Deutschland bereits vorliegenden Erkenntnissen zum Einfluss von Zusatzversicherungen auf die Inanspruchnahme (Schmitz, 2012). Durch die Berücksichtigung der Risiko­ einstellung im Bereich Gesundheit als weitere unabhängige Variable, die sowohl für die Entscheidung über eine Zusatzversicherung als auch die Kontaktwahrscheinlichkeit von Bedeutung ist, kann zumindest geschluss­ folgert werden, dass auch unter Kontrolle dieser Variablen eine Zusatzversi­ cherung mit einer erhöhten Kontaktwahrscheinlichkeit einhergeht. Der in der multivariaten Analyse ermittelte Einfluss des Einkommens auf die Kontaktwahrscheinlichkeit, der somit auch unter Kontrolle der Bildung und des Gesundheitszustandes besteht, deckt sich mit den Ergebnissen von Eibich & Ziebarth (2014) und könnte ein Indiz dafür sein, dass monetäre Barrieren existieren, die die Inanspruchnahme hemmen. Dies könnte finan­ zielle Mittel für die Mobilität oder beispielsweise das Wissen, dass zu Medikamenten zugezahlt werden muss, beinhalten. Das Einkommen könn­ te auch mit einem Wohnort mit höherer Deprivation verbunden sein – der in vorliegender Analyse nicht berücksichtigt wurde – und somit einen Indika­ tor für eine schlechtere Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen dar­ stellen. Von den zur Abbildung der Bedarfsdimension berücksichtigten Indikato­ ren der Gesundheit erweisen sich alle Variablen als auf einem Niveau von 0,1 Prozent als statistisch signifikante Einflussgrößen auf die Kontaktwahr­ scheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Faktoren die Kontakt­ wahrscheinlichkeit auch in der Grundgesamtheit beeinflussen, liegt somit bei 99,9 %. Ein besserer Gesundheitszustand (höherer MCS und PCS sowie eine höhere Zufriedenheit mit der Gesundheit und weniger Sorgen über die Gesundheit) verringert die Chance eines Arztbesuchs. Dieses Ergebnis stimmt mit den Ergebnissen vielzähliger weiterer Analysen zur Inanspruch­ nahme in Deutschland überein (vgl. bspw. Welzel et al., 2017; Heider et al., 2014; Eibich & Ziebarth, 2014; Lüngen et al., 2009; Buczak-Stec et al., 2020). Auch die Variablen „Erwerbsminderung“ und „Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr“, die als Kontrollvariablen berücksichtigt wurden, weisen einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Chance, einen Arzt zu kontaktieren auf.

245

5 Empirische Analyse

Die Kontaktfrequenz wird konträr zur Kontaktwahrscheinlichkeit nicht von der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit und nicht von der Ausbil­ dungsdauer beeinflusst. Die Kontaktfrequenz wird hingegen jedoch davon beeinflusst, ob eine Person in der Stadt oder auf dem Land lebt, eine Erkenntnis, die auch weitere Analysen der Inanspruchnahme gezeigt haben (vgl. bspw. Greiner et al., 2018). Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ergebnis ein zufälliges Ergebnis darstellt, das lediglich für die Stichprobe gültig ist, liegt bei 5 Prozent. Grundsätzlich wäre es möglich, dass das in Städten höhere medizinische Angebot und die größere Mobilität eine Inanspruchnahme bequemer gestalten und Personen, die in einer Stadt wohnen, aufgrund dessen eine höhere Kontaktfrequenz aufweisen. Dass sich der Faktor Stadt nicht auf die Kontaktwahrscheinlichkeit auswirkt, könnte darin begründet liegen, dass Personen hauptsächlich einen Arzt aufsuchen, wenn ihr Ge­ sundheitszustand schlecht ist und Bequemlichkeit in diesem Fall keine Rolle spielt. Personen, die in der Stadt leben haben unter Kontrolle des Gesund­ heitszustandes eine höhere Kontaktfrequenz. Darüber hinaus beeinflusst ein Migrationshintergrund die Anzahl der Arztbesuche. Ein Migrationshinter­ grund wirkt sich reduzierend auf die Anzahl der Arztbesuche aus. Der negative Einfluss eines Migrationshintergrunds auf die Kontaktfrequenz könnte darauf zurückzuführen sein, dass Ärzte Ressentiments haben oder sich die Kommunikation mit migrantischen Patienten schwieriger gestaltet als bei Personen ohne Migrationshintergrund und ein Folgetermin aufgrund dessen seltener geplant wird. Es wäre auch möglich, dass Personen mit Migrationshintergrund eher schlechte Erfahrungen bei ihrem Termin ma­ chen und vereinbarte Folgetermine aufgrund dessen nicht wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen somit, dass die Kontaktwahrscheinlichkeit und die Kon­ taktfrequenz von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden und die Unterschiede Raum für Interpretation bieten. Abbildung 43 stellt die Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme gra­ fisch dar und verdeutlicht, dass sowohl Faktoren vorliegen, die beide Stufen der Inanspruchnahme gleichermaßen beeinflussen, als auch Faktoren, die lediglich den ersten Schritt, die Kontaktwahrscheinlichkeit, oder den zwei­ ten Schritt, die Kontaktfrequenz, beeinflussen.

246

5.5 Diskussion der zentralen Ergebnisse und kritische Würdigung

Abbildung 43: Einflussfaktoren der Kontaktwahrscheinlichkeit und der Kontaktfrequenz

Um den Einfluss der verschiedenen Variablen auf die Inanspruchnahme miteinander ins Verhältnis zu setzen und im Sinne einer besseren Nach­ vollziehbarkeit wurden die geschätzten Effekte des multivariaten Modells in einem weiteren Schritt mittels verschiedener Szenarien in fiktive Kon­ taktwahrscheinlichkeiten umgewandelt. Im Fokus stand dabei auch die Frage, wie groß der Einfluss einer Veränderung des Versicherungsstatus verglichen mit dem Einfluss einer Veränderung des Gesundheitszustands ist. Die verschiedenen Szenarien veranschaulichen, dass die Verschlechte­ rung des Gesundheitszustands, wie er in den vorliegenden Szenarien mo­ delliert wurde, einen stärkeren Effekt auf die Kontaktwahrscheinlichkeit hat als die Veränderung des Versicherungsstatus. Dieser Effekt zeigt sich auch bei der Kontaktfrequenz. Grundsätzlich bestätigen die Ergebnisse den Einfluss der Gesundheit auf die Inanspruchnahme. Bedeutend ist jedoch, dass sich sowohl das Einkom­ men als auch die Bildung auf die Kontaktwahrscheinlichkeit auswirken und Personen mit niedrigerer Bildung und niedrigerem Einkommen bei

247

5 Empirische Analyse

gleichem Gesundheitszustand eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit aufweisen. Bei der Einordnung der Ergebnisse sollten jedoch auch die Limitatio­ nen der Analyse berücksichtigt werden. So kann mittels des SOEP nicht zwischen Fach- und Hausarztbesuchen unterschieden werden. Die in die­ ser Arbeit unter Kapitel 3.4 und 4.3 dargelegten Erkenntnisse zur Inan­ spruchnahme zeigen jedoch, dass diese Differenzierung bedeutend ist (vgl. bspw. Klein et al., 2014). Zudem wurde durch die Betrachtung der Arzt­ besuche als abhängige Variable zwar die Inanspruchnahme ambulanter Dienstleistungen betrachtet, es konnte jedoch keine Unterscheidung zwi­ schen präventiven und kurativen Arztbesuchen vorgenommen werden. Darüber hinaus wurde das Vorliegen einer privaten Zusatzversicherung berücksichtigt, um den Effekt des Versicherungsstatus abzubilden. Auch wenn dies ein gängiges Vorgehen bei der Analyse der Versicherungsmo­ dalität darstellt, soll an dieser Stelle betont werden, dass private Zusatz­ versicherungen nicht mit einer sozialen Krankenversicherung oder Selbst­ beteiligungen im Rahmen der GKV gleichgesetzt werden können. Auch wenn im Rahmen des multivariaten Modells der Einfluss unbeobachtbarer Heterogenität zwischen den Versicherten berücksichtigt wird, bleibt die Tatsache bestehen, dass Versicherte eine Zusatzversicherung abschließen, um diese in Anspruch zu nehmen. Um die Endogenität der Entscheidung über eine Zusatzversicherung zu berücksichtigen, wurde die in diesem Kontext bedeutende Variable der Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit in die Analyse aufgenommen. In Anlehnung an wissenschaftliche Erkenntnisse wurde angenommen, dass die lediglich im Jahr 2010 erhobene Variable „Risikoeinstellung im Bereich Gesundheit“ eine stabile Persönlichkeitseinstellung darstellt (vgl. bspw. Schildberg-Hörisch, 2018 oder Schmitz, 2012). Inwiefern Risikoein­ stellungen im Allgemeinen und im Bereich Gesundheit tatsächlich zeitin­ variant sind, ist jedoch nicht abschließend geklärt. So liegen auch Erkennt­ nisse vor, die darauf hindeuten, dass sich diese Einstellung im Laufe der Zeit verändert, und sich insbesondere nach „Gesundheitsschocks“ adjus­ tiert (vgl. bspw. Schräpler et al., 2019). Darüber hinaus soll darauf verwiesen werden, dass auch die multiva­ riaten Analysen keine Kausalität belegen können. Insbesondere da die Inanspruchnahme die Gesundheit beeinflusst, welche als maßgeblicher Einflussfaktor für die verschiedensten Lebensbereiche gilt, können gegen­ teilige Wirkungsrichtungen und Wechselwirkungen nicht ausgeschlossen werden. So könnte beispielsweise auch die Inanspruchnahme die Zufrie­ denheit mit der Gesundheit beeinflussen und grundsätzlich verschiedene

248

5.5 Diskussion der zentralen Ergebnisse und kritische Würdigung

Wechselwirkungen bestehen. Zur Abbildung des objektiven Gesundheits­ zustandes wurde der MCS, der PCS und die Anzahl der chronischen Krankheiten berücksichtigt. Auch wenn der MCS und der PCS stellenwei­ se als objektive Gesundheitsindikatoren verstanden werden (vgl. bspw. Ziebarth, 2010; Hofmann & Mühlenweg, 2017), erfolgt die Differenzie­ rung zwischen objektiven und subjektiven Gesundheitsindikatoren in der Literatur nicht einheitlich (vgl. Andersen et al., 2007). Die Angaben beru­ hen jedoch generell auf einer Selbstauskunft der Befragten und ersetzen beispielsweise keine ärztliche Untersuchung. Inwiefern diese Indikatoren somit als objektiv gelten (können) oder nicht, kann nicht abschließend beantwortet werden.

249

6 Sozialpolitische Implikationen

Stellt der Gesundheitszustand wie in den Ergebnissen dargelegt den maß­ geblichen Einflussfaktor auf die Inanspruchnahme medizinischer Dienst­ leistungen dar, sollte dies bei der Ausgestaltung von Reformvorschlägen berücksichtigt werden. Werden durch Selbstbeteiligungen Versicherte, die tatsächlich krank sind, oder sich krank fühlen, aufgrund finanzieller Zu­ gangshürden von der Inanspruchnahme abgehalten, könnte dies langfristi­ ge gesundheitliche Folgen für die Versicherten haben, die sich im Zweifel auch auf andere Sozialversicherungen auswirken. So könnten höhere Zu­ zahlungen für GKV-Versicherte langfristig gar mit höheren Kosten für die GKV einhergehen, falls Patienten notwendige Arztbesuche aufschieben, die dann zu einem komplizierteren Krankheitsverlauf führen (vgl. hierzu auch Deutscher Bundestag, 2011). Langfristige Auswirkungen einer Unterlassung etwaiger notwendiger Gesundheitsleistungen werden in der Debatte über Selbstbeteiligungen zumeist jedoch nicht (ausreichend) betrachtet. Vielmehr wird auf interna­ tionale Analysen zurückgegriffen und deren Ergebnisse auf Deutschland übertragen. Insbesondere das im Jahr 1984 in den USA durchgeführte RAND Health Insurance Experiment (RHIE) wird hier beständig zur Legitimation von Selbstbeteiligungen herangezogen (siehe zum Beispiel Schöffski & Graf von der Schulenburg, 2012, S. 18; Hemken et al., 2012, S. 219; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 448). Doch auch wenn das RHIE noch immer als Beleg für die steuernde Wirkung von Selbstbeteiligungen genutzt wird, wurden bereits kurz nach der Veröffentlichung der Ergebnisse Bedenken hinsichtlich der Aussage­ kraft des Experiments geäußert (vgl. bspw. Pfaff, 1986). Kritisiert wurde unter anderem, dass lediglich das Verhalten der Patienten, jedoch nicht die Anpassungsreaktionen der Anbieter der Gesundheitsleistungen unter­ sucht wurden. Demnach wurden zwar die Effekte auf die Mengen, jedoch nicht auf die Preise der Anbieter erfasst. Vor dem Hintergrund, dass An­ bieter die Preise in den USA erhöhen können, stellt dies sowohl eine deutliche Einschränkung der Aussagekraft der Wirkungszusammenhänge als auch der Übertragbarkeit auf Deutschland dar. Darüber hinaus wird auch der kurze Beobachtungszeitraum von drei bis fünf Jahren kritisiert. Dieser Zeitraum sei eventuell zu kurz, um die Auswirkungen auf den

250

6 Sozialpolitische Implikationen

Gesundheitsstatus mittel- und langfristig abschätzen zu können (Pfaff, 1986, S. 273). Auch die Exklusion von Personen über 65 Jahren sowie das Auslassen verschiedener (Teil-)Ergebnisse in der Diskussion werden bean­ standet (Holst, 2008a, S. 31–34). So offenbart eine genauere Betrachtung der Ergebnisse, dass eine höhere Selbstbeteiligung auch mit einer deut­ lich geringeren Inanspruchnahme von Maßnahmen zur Früherkennung von Tumoren einherging. Demnach wurden nicht nur „unbegründete“, sondern auch medizinisch induzierte Behandlungen in geringerem Maße wahrgenommen (Holst, 2008, S. 31–34). Dow et al. (2000) verweisen zu­ dem darauf, dass sich die Versicherungen mit Selbstbeteiligungen insbe­ sondere bei Personen mit niedrigem Einkommen auf die gesundheitliche Versorgung und den gesundheitlichen Zustand auswirkte. Sie kennzeich­ neten sich, verglichen mit Personen, die keine Selbstbeteiligungen leisten mussten, durch schlechtere Blutdruckeinstellungen aus, korrigierten selte­ ner ihre Sehbeeinträchtigungen, litten häufiger an Anämie und wiesen eine schlechtere Zahngesundheit auf (Dow et al., 2000, S. 10). Somit zeigt sich, dass Schlussfolgerungen auf Basis der Ergebnisse des RHIE nicht uneingeschränkt übernommen werden sollten. Darüber hi­ naus stellt sich auch die Frage, inwiefern die Ergebnisse aus den USA auf Deutschland übertragen werden können. Nichtsdestotrotz ist der Einfluss des RHIE Experiments bis heute, mehr als 40 Jahre später, immens. Die in dieser Arbeit für Deutschland zusammengefasste vorliegende empirische Evidenz wird in (gesundheits-)politischen Diskussionen hin­ gegen selten (umfassend) berücksichtigt. So verweist beispielsweise der SVR zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten aus dem Jahr 2018 auf die veraltete empirische Evidenz im Bereich der Selbstbeteiligung und die Notwendigkeit aktueller Studien für Deutschland. In dem Gutachten werden jedoch lediglich zwei der in dieser Arbeit dargestellten Analysen, die Hinweise auf die Wirkung von Selbstbeteiligungen liefern könnten, berücksichtigt. Es bestünde demnach theoretisch die Möglichkeit, diese für Deutschland vorliegenden Analysen im Hinblick auf die potenziellen Steuerungseffekte von Selbstbeteiligun­ gen zu berücksichtigten. „Mit Blick auf europäische und internationale Er­ fahrungen“ schlussfolgert der SVR letztendlich jedoch, „dass Zuzahlungs­ regelungen grundsätzlich geeignet [scheinen], um in ausgewählten Berei­ chen sowohl positive Finanzierungs‐ als auch positive Steuerungseffekte zu erzielen“ (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Ge­ sundheitswesen, 2018b, S. 498). Der SVR führt jedoch auch an, dass eine Einführung von Selbstbeteiligungen grundsätzlich mit einer kritischen Prüfung des Verhältnisses zwischen dem administrativen und finanziel­

251

6 Sozialpolitische Implikationen

len Aufwand und den eingesparten Kosten einhergehen müsse. Dabei seien auch die Auswirkungen auf den Gesundheitszustand von Bedeutung. Der SVR verweist jedoch auch darauf, dass „eine Überinanspruchnahme medizinischer Leistungen (langfristig) auch negative Auswirkungen auf Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung haben kann“ (Sachver­ ständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 498). Somit könne „eine niedrigere Inanspruchnahme infolge von Selbstbeteiligungsregelungen auch positive Wirkungen haben“ (Sach­ verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018b, S. 498). Das Gutachten des SVR zeigt exemplarisch, dass bei der Diskussion über Selbstbeteiligungen in der GKV oftmals nicht die gesamte für Deutsch­ land vorliegende Evidenz betrachtet wird. Häufig werden Publikationen selektiv berücksichtigt oder auf europäische oder internationale Ergebnis­ se zurückgegriffen, deren Ergebnisse jedoch nicht uneingeschränkt auf Deutschland übertragen werden können. Auch wenn die Abschätzung langfristiger Effekte einer geringeren Inanspruchnahme auf den Gesund­ heitszustand herausfordernd ist, sollte der Einfluss einer Unterlassung not­ wendiger Besuche auf die Gesundheit und somit die Möglichkeit, dass sich Zuzahlungen in der GKV langfristig betrachtet wie ein „Bumerang“ (Holst, 2008a) negativ auf das Gesundheitswesen auswirken, berücksichtigt werden. Ob eine langfristige (nicht belegte) Überinanspruchnahme die gleichen langfristig negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Gesundheit der Bevölkerung haben könnte, wie der SVR es postuliert, kann auf Basis der vorliegenden Evidenz nicht eingeschätzt werden. Boeckh et al. (2017, S. 320) merken in diesem Kontext kritisch an, dass die Privatisierung der Gesundheitsausgaben, beziehungsweise eine Erhö­ hung der Zuzahlung der Versicherten, bei internationaler Betrachtung keine wirkliche Lösung darstelle. Es fände bei diesem Ansatz „keine reale Ausgabensenkung statt, sondern eine Umverteilung finanzieller Belastun­ gen“ (Boeckh et al., 2017, S. 320). Dies könne damit erklärt werden, dass ein Großteil der Versicherten nach Einführung einer finanziellen Eigenbe­ teiligung weiterhin das gleiche Maß an Leistungen in Anspruch nimmt wie vor der Einführung einer Selbstbeteiligung. Die Versicherten müssten dann jedoch mehr für ihre Gesundheit aufwenden, während die Kranken­ kassen sowie die Arbeitgeber aufgrund der paritätischen Finanzierung ent­ lastet würden (Boeckh et al., 2017, S. 320). Zu dieser Schlussfolgerung kommen auch Gericke et al. (2009), die einen Überblick über die Kostenbeteiligung in der GKV der Jahre 1883 bis 2008 geben und unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und Gerechtig­

252

6 Sozialpolitische Implikationen

keit analysieren. Sie zeigen, dass diese Maßnahmen weder die alloaktive Effizienz noch die Gerechtigkeit verbessert haben, sondern die Maßnah­ men lediglich zu einer Erhöhung der Gesundheitsausgaben von Patienten, Haushalten und Beschäftigten führte. Die finanzielle Situation der GKV hat dazu geführt, dass die vielfälti­ gen Herausforderungen im Bereich der Gesundheitsversorgung in den letzten Jahrzehnten verstärkt aus der gesundheitsökonomischen Perspekti­ ve betrachtet wurden. Vereinzelt wird dies als „problematisch“ betrachtet, da die Gesundheitsökonomie den Fokus auf Themen wie „Beitragssätze zur Krankenversicherung, […] die Anhebung der Eigenbeteiligung der Versicherten für Arztbesuche, Krankenhaus- und Kuraufenthalte oder Me­ dikamente“ lenke und „die Problematik der sozialen Ungleichheit in den Hintergrund gerückt“ (Dietz et al., 2015, S. 129) habe. Auch wenn die Finanzierung der GKV aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden muss, ist es nicht zwingend, dass dies über Leistungseinschränkungen oder Selbstbeteiligungen erfolgen muss. Denn: „…diese Position schließt die materiale Seite der Sozialpolitik mit ihrer ideellen kurz, indem sie Finanzfragen (die eine Leistungsein­ schränkung nahe legen können) mit Gerechtigkeitsfragen (die unter Umständen nur durch die Aufrechterhaltung oder gar Erweiterung sozialstaatlicher Leistungen beantwortet werden können) in eins setzt. So richtig es einerseits ist, dass der Umfang sozialstaatlicher Leistun­ gen von verfügbaren Ressourcen abhängig ist, so richtig ist es anderer­ seits auch, dass es eine gesellschaftliche und politische Entscheidung ist, welcher Anteil der persönlichen und gesellschaftlichen Reichtümer sozialpolitischer Umverteilung unterworfen wird und wer von diesem Anteil besonders profitieren soll. Sozialpolitik ist daher mit Gerech­ tigkeitsvorstellungen ebenso untrennbar verbunden, wie sie von finan­ ziellen Ressourcen abhängig ist“ (Dobner, 2007, S. 10). Somit sollten Reformvorschläge immer auch mit den ideellen Zielsetzun­ gen von Sozialpolitik verbunden bleiben und versuchen, einen Ausgleich zwischen der Mittelknappheit und den sozialstaatlichen Zielen herzustel­ len. So betont Boeckh et al. (2017, S. 7): „Sozialpolitik wird sich immer wieder danach befragen lassen müs­ sen, ob sie anstehende soziale Problemlagen angemessen erfasst und bearbeitet, Kompromisse findet zwischen Eigenverantwortung und ge­ samtgesellschaftlichem Ausgleich, ob sie in der Lage ist, notwendige Solidarität in der Gesellschaft zu organisieren und zu fokussieren“.

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6 Sozialpolitische Implikationen

Im Kontext höherer Selbstbeteiligungen sind hier speziell schichtspezi­ fische Unterschiede bei Krankheitsbelastungen und ungleiche Zugangs­ chancen in der Gesundheitsversorgung zu nennen, die trotz Sachleistungs­ prinzip und Versicherungspflicht bestehen (Dietz et al., 2015, S. 129). Insbesondere, dass Personen mit niedrigem Einkommen und Sozialstatus, die ohnehin bereits einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen, von Selbstbeteiligungen besonders betroffen scheinen, ist dabei von sozialpo­ litischer Relevanz. Auch in der Analyse der vorliegenden Arbeit zeigt sich, dass Personen mit niedrigerem Einkommen und weniger Bildung eine geringere Inanspruchnahme aufweisen als Personen mit höherem Einkommen und mehr Bildung. Vornehmlich diese Bevölkerungsgruppe sollte angesprochen und erreicht werden, um bestehende gesundheitliche Ungleichheit zu verringern, so wie es unter anderem in dem 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetz (PrävG) verankert ist (Bundesministerium für Gesundheit, 2018b; Lampert & Koch-Gromus, 2016). Tille et al. (2017, S. 63) warnen gar davor, ein „prinzipiell gerechtes“ Versorgungssystem durch Steuerungsmaßnahmen wie Zuzahlungen zu be­ einflussen. Dies berge die Gefahr, den Einfluss der Inanspruchnahme von den Bedarfsfaktoren hin zu bedarfsunabhängigen Faktoren zu verschieben, was die Versorgungsgerechtigkeit reduzieren könnte (Tille et al., 2017, S. 63). Diese Unterschiede in den Zugangschancen sollten, wenn nicht aus einer ideellen Motivation, dann aus einer gesamtsozialstaatlichen Perspek­ tive heraus, berücksichtigt werden, denn das Gesundheitswesen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist ein „Teil sozialstaatlicher Tätigkeit“ (Hensen & Hensen, 2008, S. 3). Führen (zu) hohe Zuzahlungen zu einer Unterlassung notwendiger Inanspruchnahme, könnte sich das in einem grundsätzlichen schlechteren Gesundheitszustand und in der langfristigen Betrachtung im Zweifel lediglich in einer Verlagerung der Kosten auf andere Sozialversicherungen, wie der Rentenversicherung, auswirken. Darüber hinaus sollte vor dem Hintergrund des Einflusses auf die so­ ziale Gerechtigkeit auch das Kosteneinsparungspotenzial von Selbstbetei­ ligungen im ambulanten Bereich ausreichend geprüft werden. So zeigt sich bei der Betrachtung der Kosten der GKV, dass ein großer Anteil der Kosten von einem kleinen Anteil der Versicherten verursacht wird. Die 20 Prozent der Versicherten mit den höchsten Ausgaben im ambulanten Bereich verursachen 58 Prozent der gesamten Ausgaben im ambulanten Bereich (Maydell et al., 2010). Bei Betrachtung der Ausgaben über alle Bereiche hinweg verstärkt sich diese Konzentration sogar noch. Insgesamt

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6 Sozialpolitische Implikationen

verursachen 20 Prozent aller Versicherten etwa 75 Prozent der Gesamtaus­ gaben (Maydell et al., 2010). Vor dem Hintergrund der Verteilung der Leistungsausgaben auf ein­ zelne Sektoren zeigt sich zudem, dass Selbstbeteiligungen, die die Inan­ spruchnahme des ambulanten Sektors beeinflussen, nicht an dem Sektor mit den höchsten Ausgaben ansetzen. Der Sektor mit dem größten Anteil an den Leistungsausgaben der GKV stellt grundsätzlich der Krankenhaus­ sektor dar. So entfielen im Jahr 2019 insgesamt 80,3 Milliarden Euro, etwa 33,5 % der gesamten Ausgaben, auf den Krankenhaussektor. Dieser Anteil ist damit fast doppelt so hoch wie der Anteil der Ausgaben für die ambulante ärztliche Versorgung in Höhe von 41,1 Milliarden Euro und Arzneimittel mit 41,0 Milliarden (Verband der Ersatzkassen, 2020). Ledig­ lich etwa 17 % der Ausgaben entfallen somit auf die ambulante ärztliche Versorgung. Ein großer Anteil der gesamten Gesundheitsausgaben konzentriert sich demnach auf einen kleinen Anteil an Versicherten. Diese „Vielnutzer“ wei­ sen zumeist chronische Erkrankungen oder eine andere besondere Versor­ gungssituation auf, deren Inanspruchnahme in der Regel keine überflüssi­ ge, und somit auch keine durch monetäre Selbstbeteiligungen steuerbare, Inanspruchnahme darstellt. Dies verdeutlicht auch eine Analyse der 1997 durchgeführten Reform der Zuzahlungsregeln verschreibungspflichtiger Medikamente, die mit einer Erhöhung der Zuzahlungen für Versicherte einherging. Während sich die Inanspruchnahme von Vielnutzern (erstes 25 % Quartil) um mehr als 16 % reduzierte, sank die Inanspruchnahme von Personen, die selten einen Arzt aufsuchen (90 % Quartil) lediglich um 6,9 %. Die Inanspruchnahme der „Vielnutzer“ ist verglichen mit Personen, die seltener einen Arzt aufsuchen demnach unelastisch (Winkelmann, 2006). Auch Hajek et al. (2021) zeigen auf Basis einer systematischen Über­ sichtsarbeit von Längsschnittstudien zu Vielnutzern, dass die Wahrschein­ lichkeit, eine besonders hohe Inanspruchnahme aufzuweisen, nicht vom Versicherungsstatus, sondern von einem grundsätzlich erhöhten Bedarf abhängt. Dies umfasst eine schlechte selbsteingeschätzte Gesundheit, ein­ geschränkte physische Fähigkeiten und psychische Erkrankungen. In Anbetracht der Konzentration der Ausgaben auf einen lediglich kleinen Anteil an Versicherten, deren Inanspruchnahme aufgrund chroni­ scher Erkrankungen oder bestimmter Versorgungsbedarfe wahrscheinlich eher nicht als überflüssige, durch monetäre Selbstbeteiligungen steuerbare Inanspruchnahme betrachtet werden kann, sollte das Einsparungs- und Steuerungspotential demnach selbst unter der Annahme der Hypothese

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6 Sozialpolitische Implikationen

von moral hazard in der ambulanten Versorgung als eher gering betrachtet werden. Trotz der gesundheitsökonomischen und gesundheitspolitischen Kosten-Nutzen-Perspektive wird im Kontext von Selbstbeteiligungen zu­ meist nicht die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis Einsparpoten­ ziale und etwaige langfristige Effekten zueinanderstehen. Auch wenn, wie in Kapitel 2.4 dargelegt, sowohl eine Ausweitung der Eigenverantwortung als auch der Solidarität mit den Prinzipien des Sozial­ staats vereinbar wären, sollten sich politische Entscheidungsträger somit eingängig damit auseinandersetzen, ob sie auf dieser Basis einen neuen Kompromiss zwischen Eigenverantwortung und Solidarität aushandeln möchten.

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7 Fazit und Ausblick

In dieser Arbeit wurde ein umfassender Überblick über die Einflussfakto­ ren auf die Inanspruchnahme in Deutschland gegeben. Dies erfolgte unter besonderer Berücksichtigung des Steuerungspotenzials von Selbstbeteili­ gungen in der GKV, da die Einführung oder Erhöhung von Selbstbeteili­ gungen als geeignetes Instrument der Verhaltens- und Ausgabensteuerung betrachtet werden. Im theoretischen Teil der Arbeit erfolgte dabei zunächst ein Überblick über die Betrachtung der Inanspruchnahme aus der neoklassischen Sicht sowie jenseits der Neoklassik. Dabei wurde ein Überblick der empirischen Evidenz zu den Wirkungen von Selbstbeteiligungen in Deutschland gege­ ben, der bis dato nicht vorlag. In Diskussionen über Selbstbeteiligungen wird zumeist auf veraltete Erkenntnisse zu Wirkungen von Selbstbeteili­ gungen aus weiteren Ländern zurückgegriffen und auf Deutschland über­ tragen. Auf Basis der betrachteten Evidenz scheinen diese Wirkungen in Deutschland jedoch nicht oder nicht in diesem Ausmaß einzutreffen. Die Ergebnisse der Modellierung der Einflussfaktoren auf die Inan­ spruchnahme für Deutschland auf Basis des SOEPs haben die aus sozi­ alwissenschaftlichen Disziplinen bekannten Ergebnisse bestätigt. Der sub­ jektive und der objektive Gesundheitszustand stellen die maßgeblichen Determinanten der Inanspruchnahme dar. Mittels verschiedener Szenarien auf Basis der Ergebnisse eines multivariaten Modells konnte auch gezeigt werden, dass eine Änderung des Gesundheitszustands die Inanspruchnah­ me stärker beeinflusst als eine Veränderung des Versicherungsstatus (das Vorliegen einer Zusatzversicherung). Dies kann so interpretiert werden, dass Versicherte die GKV demnach entsprechend ihrem maßgeblichen Ziel, der Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung der Gesundheit, in Anspruch nehmen. Diese Erkenntnis ist vor dem Hintergrund diskutierter Reformen wie eine generelle Gebühr für den Besuch der Notaufnahme (Frankfurter All­ gemeine Zeitung, 2018), eine Kontaktgebühr für Patienten, die eine Kran­ kenhaus-Ambulanz während der Praxisöffnungszeiten aufsuchen (Sachver­ ständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2018b, S. 452) oder Sanktionen im Falle einer häufigen Inanspruchnahme von Fachärzten (Handelsblatt, 2019), essenziell.

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7 Fazit und Ausblick

Gestaltet sich die Preiselastizität nach Gesundheitsleistungen unelas­ tisch, können Selbstbeteiligungen nicht den Steuerungseffekt erzielen, der mit ihnen intendiert wird. Vielmehr stellen Selbstbeteiligungen dann lediglich ein Finanzierungsinstrument dar. Solch ein Finanzierungsinstru­ ment sollte jedoch nicht unter dem Deckmantel der Verhaltenssteuerung eingeführt werden, sondern auch vor dem Hintergrund verteilungspoliti­ scher Aspekte diskutiert werden. Denn oftmals wird in der Diskussion der Aspekt, wessen Gesundheit durch finanzielle Zugangshürden besonders auf Spiel gesetzt wird, vernachlässigt. Insbesondere Personen aus den nied­ rigen Einkommensbereichen interessieren sich trotz umfassendem Schutz weniger für Ihre Gesundheit und nehmen Arztbesuche seltener wahr. Grundsätzlich kann die Frage, wie hoch der Anteil überflüssiger Arztbe­ suche in der GKV ist, nicht valide beantwortet werden. Somit kann nicht eingeschätzt werden, wie stark der Einfluss einer Versicherung auf die An­ zahl der Arztbesuche tatsächlich ist. Ob dieser Effekt dann jedoch negativ zu bewerten ist, kann pauschal nicht beantwortet werden. So gibt es nicht nur aus der GKV-Perspektive, sondern auch aus der Perspektive weiterer Sozialversicherungsträger, der Gesellschaft sowie der Volkswirtschaft auch ein „wünschenswertes Maß“ an Arztbesuchen. Vor dem Hintergrund der potenziell scheinbar geringen Einsparpoten­ ziale stellt sich jedoch die Frage, ob es zielführend ist, weitere Daten zur Klärung dieser Fragestellung zu sammeln oder ob nicht doch an ande­ ren Stellen des Gesundheitssystems nach Effizienzreserven gesucht werden sollte. Jacobs (2015, S. 445) merkt in diesem Kontext an: „Schließlich set­ zen Selbstbeteiligungen bei den Patienten an, obwohl die Leistungs- und Ausgabenentwicklung in der Gesundheitsversorgung ganz überwiegend von Faktoren bestimmt wird, die dem Sachverstand und Einfluss der Pati­ enten nur sehr begrenzt zugänglich sind“. Mit Hinblick auf Kosteneinsparungen sollte das Verhalten der Versi­ cherten somit zumindest nicht im Fokus stehen. Hinsichtlich der Einfluss­ faktoren auf die Inanspruchnahme scheint es eher geraten, schichtspezifi­ sches Verhalten im Sinne einer Unterversorgung zu betrachten, Determi­ nanten einer Vielnutzung zu analysieren und die Forschung zur Gesund­ heitskompetenz auszubauen sowie Maßnahmen zu ergreifen, um diese in der Bevölkerung zu verbessern. Gilt es als Ziel, die Inanspruchnahme zu steuern, weisen die Erkenntnisse dieser Arbeit darauf hin, dass die Ver­ besserung des Gesundheitszustandes geeignet scheint, um die Inanspruch­ nahme zu reduzieren. Diesen zu verbessern kann mittels verschiedener Wege, wie beispielsweise die Stärkung der Gesundheitskompetenz, oder dem Ausbau präventiver Maßnahmen gelingen.

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7 Fazit und Ausblick

Letztendlich gilt es, die Frage zu beantworten, ob sich der homo oeco­ nomicus zur Erklärung der Inanspruchnahme in Deutschland eignet. Mit Blick auf die theoretischen und empirischen Erkenntnisse dieser Arbeit, sollte hier ein klares „Nein“ stehen. Die Inanspruchnahme ist deutlich komplexer als mit dem Verhaltensmodell des homo oeconomicus abgebil­ det werden kann. Zudem soll an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden, dass es sich bei der GKV – wie in Kapitel 4.1 dargelegt wurde – nicht um eine klassische Versicherung handelt und die Anwendung des neoklassischen homo oeconomicus vielleicht dort aufhören sollte, wo es beginnt, sich um Sozialversicherungen zu handeln. Nichtsdestotrotz hat auch die empirische Analyse dieser Arbeit gezeigt, dass Versicherun­ gen die Inanspruchnahme beeinflussen. Dem homo oeconomicus in die­ sem Bereich gänzlich seine Legitimation abzusprechen, scheint somit zu vorschnell. Eventuell muss der homo oeconomicus im Rahmen der Inan­ spruchnahme jedoch noch seinen richtigen Einsatzort finden, wie Suchan­ ek & Kerscher (2007, S. 272–273) treffend formulieren: „Nach unserer Auffassung kann eine wissenschaftlich sinnvolle Lö­ sung dieser Diskrepanzen nicht darin bestehen, dieses Konzept auf­ zugeben; dazu ist sein heuristischer Wert viel zu groß. Statt dessen [sic] ist es zweckmäßig, den methodologischen Status dieses Konzepts (weiter) zu klären und auch und gerade in der Ausbildung den in­ strumentellen Charakter dieses Konzepts deutlich werden zu lassen. Ebenso wie der Arzt sinnvollerweise vereinfachende Modelle seines Patienten zur Diagnose möglicher Krankheiten nutzen sollte ohne deswegen die Patienten auf diese Modelle zu reduzieren, sollte es möglich sein, als Wirtschaftswissenschaftler das Modell des homo oe­ conomicus in einer sinnvoll interpretierten Weise fruchtbar zur Analy­ se von Anreiz(in)kompatibilitäten in unterschiedlichen Situationskon­ stellationen zu nutzen – und zugleich: Menschen als mit Würde und zur Freiheit begabte Subjekte ansehen zu können“. Inwiefern es die Gesundheitsökonomie schafft, den homo oeconomicus für ihre Zwecke anzupassen, bleibt jedoch abzuwarten.

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Anhang

A1: Rootogram der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche Poisson Hurdle

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Anhang

A2: Rootogram der vorhergesagten und beobachteten Arztbesuche Poisson Hurdle 2

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