Familiendiskriminierungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Gesetzesreformvorschläge zur Familienförderung im deutschen Arbeitsrecht [1 ed.] 9783428533244, 9783428133246

Die wissenschaftliche Diskussion übersieht bislang das Problem der Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen ihrer familiä

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Familiendiskriminierungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Gesetzesreformvorschläge zur Familienförderung im deutschen Arbeitsrecht [1 ed.]
 9783428533244, 9783428133246

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 290

Familiendiskriminierungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Gesetzesreformvorschläge zur Familienförderung im deutschen Arbeitsrecht

Von

Katharina Dahm

Duncker & Humblot · Berlin

KATHARINA DAHM

Familiendiskriminierungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 290

Familiendiskriminierungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Gesetzesreformvorschläge zur Familienförderung im deutschen Arbeitsrecht

Von

Katharina Dahm

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L 101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13324-6 ISBN 978-3-428-53324-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83324-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter

Vorwort Die wissenschaftliche Diskussion im deutschen Arbeitsrecht konzentriert sich auf Diskriminierungen wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale. Sie übersieht das Problem der Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen ihrer familiären Bindungen. Dabei bedarf die Familie angesichts der Überalterung der deutschen Gesellschaft jedweder Förderung. Der Fokus der vorliegenden Arbeit ist daher auf die Frage gerichtet, ob die praktische Sozialauswahl sowie die Regelungen der § 622 II BGB und der §§ 1a, 9, 10 KSchG (i. V. m. § 113 BetrVG a. E.) Familien diskriminieren. Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2009 vom Fachbereich der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Besonders danke ich meiner akademischen Lehrerin Frau Prof. Dr. Dagmar Kaiser für ihre ständige wissenschaftliche und persönliche Unterstützung während meiner Zeit als Mitarbeiterin an ihrem Lehrstuhl. Ihr eigenes Interesse an dem von mir untersuchten Rechtsgebiet und ihre ständige Diskussionsbereitschaft führten dazu, dass ich stets mit Freude an der Dissertation gearbeitet habe – ich hätte nicht besser motiviert und gefördert werden können. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Horst Konzen für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für seine vorbehaltlosen wissenschaftlichen und akademischen Ratschläge. Teile der vorliegenden Untersuchung beruhen auf einem Forschungsaufenthalt am Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin. Ich danke der Abteilung „Familie, Wohlfahrtspflege und Engagementpolitik“, insbesondere dem Referat „Familienfreundliche Arbeitswelt und Unternehmenskultur“, für die gewährten Einblicke in die Möglichkeiten der staatlichen und betrieblichen Familienförderung. Für gewinnbringende Gespräche und sorgfältiges Korrekturlesen danke ich Herrn RiArbG Dr. Wolfgang Kopke. Mein Dank gilt auch dem Deutschen Akademikerinnenbund, welcher die Drucklegung dieser Dissertation mit einem Druckkostenzuschuss unterstützt hat, sowie Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M. für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zum Sozial- und Arbeitsrecht des Verlags Duncker & Humblot.

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Vorwort

Ich widme diese Arbeit meiner Mutter, Frau Marita Dahm, die den Hauptpart der fürsorglichen Förderung in meiner Jugend- und Ausbildungszeit getragen hat. Ohne ihre liebevolle, aufopfernde Unterstützung und ihr Vertrauen wäre mir mein Werdegang unmöglich gewesen. Mainz, im Februar 2010

Katharina Dahm

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die demografische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerungsmöglichkeit des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effektivität einer Arbeitsrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der „Familie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Juristische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziologische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigener Definitionsansatz: Kindesunterhaltspflichten . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Kindesunterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatsächliche Erfüllung der gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gesetzliche Unterhaltspflicht für volljährige Kinder . . . . bb) Vertragliche Unterhaltsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Eltern mit beendeten Kindesunterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . ee) Großeltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Patchwork- und Stiefeltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Adoptiveltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Pflegeeltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Ältere“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Benachteiligung“ und „Diskriminierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis/Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 19 22 25 28 28 28 30 32 33 34

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick: Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Punkteschemata in der Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswertung der Rechtsprechung der letzten 25 Jahre . . . . . . . . . . . b) Verschwindend geringe Berücksichtigung der Unterhaltspflichten 3. Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 54 55 55 65 66 68 68

35 36 39 41 41 42 42 44 44 46 47 51 51

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Inhaltsverzeichnis

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aa) Die Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . (1) Der jüngere Arbeitnehmer als besserer Beschäftigter? . . . (2) Aktuelle Arbeitsmarktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 und § 5 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendbarkeit des AGG auf Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch § 10 AGG . . . cc) Rechtfertigung durch § 5 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anderweitige gesetzgeberische Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzzweck Sozialauswahl (§ 1 III KSchG) . . . . . . . . . . . (2) Schutzzweck Wartefrist (§ 1 I KSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schutzzweck § 1a II und § 10 I, II KSchG . . . . . . . . . . . . (4) Schutzzweck § 622 II S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Schutzzweck § 622 II S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unklare Rechtfertigungslage der vergleichbaren Normen . . . . cc) Möglichkeit der Wertungsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zirkelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachrücken der jüngeren Generation/Generationengerechtigkeit . . Betriebszugehörigkeit als Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB . . . . . . . Kein Ursprung im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammenhang der Unterhaltspflichten mit dem Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammenhang des Lebensalters mit dem Arbeitsverhältnis cc) Berücksichtigung sonstiger persönlicher Daten . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktikabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche (Kindes-)Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Irrelevanz der tatsächlichen Unterhaltszahlungen . . . . . . . . . . . cc) Umfang oder Anzahl der gesetzlichen Unterhaltspflichten („Doppelverdienst“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zeitpunkt der Feststellung der Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . ee) Feststellung der Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Angaben auf der Lohnsteuerkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Informationsobliegenheit des Arbeitgebers über die Lohnsteuerkarte hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Informationserlangung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . ff) Fehlerhafte Informationserlangung und Nachweismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 73 79 80 81 82 84 87 89 91 91 92 95 95 96 97 97 97 98 99 99 100 102 103 106 107 107 108 108 109 110 114 115 115 118 119 121 122

Inhaltsverzeichnis

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i) Das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Fürsorgepflicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Kollektivrechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimation staatlicher Gesetze durch Tarifrecht? . . . . . . . . . bb) Rechtmäßigkeit vergleichbarer tariflicher Wertungen . . . . . . . cc) Zirkelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzliche Diskriminierung durch § 622 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung § 622 II S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normzweck des § 622 II S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unklare Rechtfertigungslage der vergleichbaren Normen . . . bb) Zirkelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitnehmernachteile aus langer Betriebszugehörigkeit . . . . (1) Flexibilitätsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausgleichsbedarf des Flexibilitätsverlustes . . . . . . . . . . . . (3) Ausgleich per Gesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Belohnung des Beitrags zum Unternehmensgewinn . . . . . . . . cc) Entschädigung für die Enttäuschung des Bestandsvertrauens (1) Objektiv zu bewertender Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . (2) Verantwortung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zu berücksichtigendes Bestandsvertrauen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ausgleich für den Verlust des erarbeiteten Besitzstandes . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) §§ 10, 5 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kollektivrechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtfertigung § 622 II S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bessere Vermittelbarkeit junger Beschäftigter . . . . . . . . . . . . . . cc) Gewünschte Wanderschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 124 126 127 130 132 132 133 134 134 135 136 138 139 140 140 141 141 142 142 145 146 147 147 148 149 150 151 151 152 152 153 153 155 156 157 157 157 158 159 161

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Inhaltsverzeichnis c) Rechtfertigung durch § 10 oder § 5 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kollektivrechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nachrücken der jüngeren Generation/Generationengerechtigkeit . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG . . . . . . . . . . . . 1. Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abfindungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) §§ 9, 10 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtfertigung mittels Überbrückungsfunktion . . . . . . . . . (3) Befriedungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 1a KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nachteilsausgleich, § 113 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Abfindung im Austauschverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sozialer Besitzstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Enttäuschtes Bestandsvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betriebszugehörigkeit als Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB . . . . . . . d) Rechtfertigung durch §§ 10 oder 5 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kollektivrechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Nachrücken der jüngeren Generation/Generationengerechtigkeit . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 164 166 166 167 167 171 171 171 172 176 178 179 180 181 182 183 184 184 184 187 188 192 193 193

C. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 1 III KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterstützende Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Funktion des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 6 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kein Verstoß gegen Art. 2 I GG und das BDSG . . . . . . . . . . . . . . . . f) Abbau von Schutzvorschriften als effektivster Schutz älterer Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vorbildfunktion des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tarifpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) AGG-Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 195 195 196 197 200 200 204 205 207 208 208 210 211 211

Inhaltsverzeichnis

13

aa) Beendigung der AGG-Widrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine mittelbaren Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts . . (2) Auf Grund des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auf Grund der sexuellen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Wertungen der Unterhaltsrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Arbeitsrechtliche Wertungen/ArbVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Berücksichtigung der Personalstruktur bei der Sozialdatengewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Sicherungsmittel § 1 III S. 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis und Arbeitgeberbefragung . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 622 II S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterstützende Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des BVerfG zu § 622 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsrechtliche Wertungen (§ 1 III KSchG)/ArbVG . . . . . . . . . . c) Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verletzung der Unternehmerfreiheit aus Art. 12 I GG . . . . . . (1) Verfassungsmäßigkeit des § 14 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . (2) Vergleich mit anderen gesetzlichen Arbeitgeberbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebswirtschaftliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Leichtere Rekrutierung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Effizienzsteigerung/Kosten-Nutzen-Analyse . . . . . . . . . . . (3) Deutung des tatsächlichen Marktverhaltens? . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis und Arbeitgeberbefragung . . . . . . . . . . . . . . d) AGG-Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 622 II S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterstützende Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertungen des Arbeitsrechts/ArbVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. §§ 1a II und 10 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterstützende Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungerechtfertigte dreifache Berücksichtigung des Lebensalters . . b) Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211 212 212 213 214 215 216 217 218 219 220 220 221 221 223 225 226 227 227 228 230 231 232 233 233 234 234 235 235 235 236 237 237 238 239 239 241 242 243

14

Inhaltsverzeichnis c) AGG-Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 d) Wertungen des Arbeitsrechts/ArbVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

D. Endergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 1 III KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 622 II S. 1 und S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. §§ 1a II, 10 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247 248 250 252

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Befragung der Preisträger „Erfolgsfaktor Familie“ 2008 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fraport AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bau-Fritz GmbH&Co.KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Promeos GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. E-Mail Korrespondenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigene Anfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antwort des DGB-Bundesvorstands v. 7.10.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antwort der ver.di Bundesverwaltung v. 8.10.2008 . . . . . . . . . . . . . . . .

255 255 255 259 261 261 261 262 262

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

Abb. 2:

Entwicklung der Geburtenziffer von 1950 bis 2060 . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Abb. 3:

Gründe gegen (weitere) Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Abb. 4:

Kinderarmut nach Haushaltsformen und Erwerbsstatus der Eltern im europäischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

Veränderte Familienpolitik könnte Erfüllung des Kinderwunsches unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

Abb. 6:

Entwicklung der Familienformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Abb. 7:

Alter von Müttern und Vätern bei Geburt des ersten Kindes . . . . . . . .

48

Abb. 8:

Beschäftigung mit der Kinderfrage beschränkt sich auf fünf Jahre . . .

49

Abb. 9:

Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

Abb. 10: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland von 1950 bis 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Abb. 11: Erwerbslosenquote nach Altersgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

Abb. 5:

Abb. 12: Das Einkommen als wichtigstes Merkmal einer guten Arbeit . . . . . . . 104 Abb. 13: Frauen verdienen weniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Abb. 14: Tarifliche Unkündbarkeit und tarifliche Kündigungsfristen für Ältere 131 Abb. 15: Praxisbeispiele zur Abfindungsberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abb. 16: Familienfreundliche Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Abb. 17: Familienfreundliche Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

A. Einleitung „Kinder werden immer geboren.“ (Bundeskanzler a. D. Konrad Adenauer anlässlich der Rentenreform im Jahr 1957)

I. Problematik Der in Deutschland seit Jahren festzustellende demografische Wandel (zu diesem ausführlich unten S. 19 ff.) ist die grundlegende Entwicklung unserer Gesellschaft. Dadurch stehen die sozialen Sicherungssysteme Deutschlands vor existentiellen Problemen und die demografisch bedingten Aussichten für die Wirtschaft beängstigen:1 Die geburtenstarken Jahrgänge scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus und geburtenschwache Jahrgänge rücken nach, sodass ein erheblicher Arbeitskräftemangel zu erwarten ist. Ab 2025 ist von einem um ca. 15% gesunkenen Erwerbspotential auszugehen.2 Auch ohne die Auswirkungen der im Herbst 2008 beginnenden Wirtschaftskrise wird es allein auf Grund der demografischen Entwicklung ab 2020 zu einem negativen Wirtschaftswachstum von 0,25% pro Jahr kommen3 und das Brutto-Inlands-Produkt wird 2050 pro Kopf nur 39% höher als heute liegen; im Idealfall wäre es verdreifacht.4 Auf die demografische Entwicklung ist zum einen zu reagieren – etwa durch eine Neuordnung der Sozialsysteme. Zum anderen muss die Geburtenrate in Deutschland künftig wesentlich höher ausfallen.5 Dieses Ziel ist auch angesichts der im Herbst 2008 beginnenden Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise kein Luxus. Vielmehr verdeutlicht die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von kaum beeinflussbaren und kaum vorhersehbaren externen Faktoren, wie wichtig künftig eine verstärkte Konzentration auf die 1 Vgl. hierzu insgesamt: Klös/Seyda (2007) S. 29; IW/BMFSFJ, Triadevergleich (2007), S. 2 ff. 2 Huber/Kistler/Papies (2002) S. 11. 3 Statistisches Bundesamt, Datenreport 20042 S. 56 ff.; Schaible/Berger (2006) S. 18. 4 Schaible/Berger (2006) S. 18; IW/BMFSFJ, Triadevergleich (2007), S. 2 ff. 5 Gruescu/Rürup APuZ 2005, 4 f.; zu dieser Kausalkette ausführlich: IW/ BMFSFJ, Triadevergleich (2007), S. 8 ff. und 15 ff.; BMFSFJ/BDI/IW Bevölkerungsorientierte Familienpolitik (2004).

18

A. Einleitung

inländischen, eher zu beeinflussenden Faktoren Demografie und Familienförderung ist. Eine eigene Familie steht nach einer Emnid-Umfrage vom April 2007 mit 52% auf der Werteskala der Deutschen an erster Stelle.6 Auch die 15. Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2006 kommt zu dem Ergebnis, dass für 72% der Jugendlichen eine eigene Familie zum Lebensglück erforderlich sei.7 Werden die Zeiten wirtschaftlich rauer, sagen rund Dreiviertel der Menschen, dass die Familie der wichtigste Halt sei.8 So gingen die Scheidungszahlen mit Beginn der Wirtschaftskrise im Herbst 2008 zurück und die Zahl der Singlehaushalte blieb konstant.9 In erstaunlichem Missverhältnis zu diesem hohen Stellenwert der Familie steht die tatsächliche Geburtenrate von durchschnittlich 1,38 Kindern pro Frau im Jahr 2008; schon seit Jahren bewegt sich dieser Wert in Deutschland unter durchschnittlich 1,4 Kindern pro Frau (zur Geburtenrate unten S. 19 ff.).10 Dabei ermittelte das Institut für Demoskopie Allensbach 2007 eine gewünschte Kinderzahl von 2,0;11 auf einen durchschnittlichen Kinderwunsch von 2,2 Kindern bei Männern und 2,3 Kindern bei Frauen kam das Eurobarometer 2006 und einer tatsächlichen Kinderzahl von 0,6 steht nach einer TNS-Umfrage für die Zeitschrift „Spiegel“ im März 2009 unter 500 20- bis 35-Jährigen ein Kinderwunsch von durchschnittlich 2,0 Kindern gegenüber.12 Bei der Suche nach Gründen für die Diskrepanz zwischen dem hohen Stellenwert der Familie, dem Kinderwunsch und der realen Kinderzahl wurde das deutsche Arbeitsrecht bislang nur unzureichend berücksichtigt. Zwar ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf häufig Gegenstand von Untersuchungen. Damit wird jedoch allein die Durchführung der Erwerbs6 Andresen/Dürr/Supp/Voigt Sehnsucht nach Familie, in: Die Familie von morgen, Spiegel Special Nr. 4/2007, S. 7. 7 15. Shell-Jugendstudie 2006, durchgeführt unter 2.500 Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren (abrufbar unter: http://www.shell.com/static/de-de/downloads/ society_environment/shell_youth_study/2006/youth_study_2006_exposee.pdf). 8 So auch eine TNS-Umfrage im März 2009 unter 500 20- bis 35-Jährigen, für welche die Familie mit 45% das wichtigste im Leben ist, gefolgt von Gesundheit (24%) und Liebe (11%) (Sie lernen jemanden kennen, googeln Sie ihn?, Spiegel Heft 25 v. 15.6.09, S. 63). 9 BMFSFJ Pressemitteilung Nr. 367 v. 16.2.2009. 10 Ergebnisse der Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, abrufbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statis tiken/Bevoelkerung/GeburtenSterbefaelle/Tabellen/Content50/GeburtenZiffer,tem plateId=renderPrint.psml. 11 Institut für Demoskopie Allensbach, Einflussfaktoren auf die Geburtenrate – ein deutsch-französischer Vergleich (2007) S. 1. 12 Sie lernen jemanden kennen, googeln Sie ihn?, Spiegel Heft 25 v. 15.6.09, S. 64.

I. Problematik

19

tätigkeit von Eltern thematisiert; vor allem der Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit von Müttern nach Jahren der Kinderbetreuung. Nicht untersucht wurden bislang die Kernelemente des Arbeitsrechts, der Kündigungsschutz und das Abfindungsrecht. Der Fokus der vorliegenden Arbeit richtet sich daher auf den Zusammenhang zwischen diesen zentralen Arbeitnehmerschutzrechten und der Geburtenrate. Kann das deutsche Arbeitsrecht, insbesondere dessen Kernelemente des Kündigungsschutzes und des Abfindungsrechts zur Umsetzung des bestehenden Kinderwunsches motivieren und so eine Steigerung der Geburtenrate erreichen? Dabei wird eine bislang unbeachtete Schnittstelle des Arbeits- und Familienrechts beleuchtet: die Rolle der Unterhaltspflichten im deutschen Arbeitsrecht.

1. Die demografische Entwicklung Der Geburtenrückgang in Deutschland ist gepaart mit einer immer älter werdenden Gesellschaft. So wird im Jahr 2060 bereits jeder Dritte (34%) mindestens 65 Lebensjahre durchlebt haben, es werden doppelt so viele 70-Jährige leben wie Kinder geboren werden13 und das Verhältnis der über 60-Jährigen zu den Erwerbstätigen wird von 44% im Jahr 2002 auf 71% im Jahre 2030 und 78% im Jahr 2050 steigen (deutscher Altersquotient).14 Zur demografischen Entwicklung vgl. Abb. 1 S. 20. Ursächlich für diese Entwicklung sind zwar auch die steigende Lebenserwartung, die geringere Zuwanderung aus dem Ausland und die größere Abwanderung von (hochqualifizierten) Deutschen ins Ausland; wesentlich ist jedoch die geringe Geburtenrate:15 Diese betrug 2008 durchschnittlich 1,38 Kinder pro Frau,16 im Jahr 2007 lag die Rate bei 1,3717 und 2006 waren es nur 1,33 Kinder pro Frau.18 2005 waren es durchschnittlich 1,34 und im Jahr 1990 1,45 Kinder (zur Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland s. Abb. 2 auf S. 21). Auch im Vergleich zu anderen Industrieländern 13 Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (2009) S. 5 (abrufbar unter: http://www.desta tis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2009/Bevoelkerung/ pressebroschuere__bevoelkerungsentwicklung2009,property=file.pdf). 14 Statistisches Bundesamt, Datenreport 20042 S. 56 ff. 15 Ausführliche Daten und Fakten zu diesem Thema in Duschek/Wirth (2005). 16 Ergebnisse der Berechnung des Statistischen Bundesamtes, abrufbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statis tiken/Bevoelkerung/GeburtenSterbefaelle/Tabellen/Content50/GeburtenZiffer,tem plateId=renderPrint.psml. 17 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 52. 18 BMFSFJ Pressemitteilung Nr. 268/2008 v. 29.2.2008; Daten von Eurostat in Kullmann/Theile, Krieg um Zahlen, Spiegel v. 10.8.2009, S. 18, 19.

20

A. Einleitung am 31.12.1910

am 31.12.1950

Alter in Jahren

Alter in Jahren

100

100

Frauen

Männer

Frauen

Männer

90

90

80

80

70

70

60

60

50

50

40

40

30

30

20

20

10

10

0 1 000 750 500 250 Tausend Personen

0

0 0

250

500 750 1 000 Tausend Personen

1 000 750 500 Tausend Personen

am 31.12.2008

250

0

0

250

500 750 1 000 Tausend Personen

am 31.12.2008 und am 31.12.2060 Untergrenze der „mittleren“ Bevölkerung Obergrenze der „mittleren“ Bevölkerung

Alter in Jahren

Alter in Jahren

100

100

Frauen

Männer

Frauen

Männer

90

90

80

80

70

70

60

60 31.12. 2008

50 40

40

30

30

20

20

10

10

0 1 000 750 500 250 Tausend Personen

0

31.12. 2008

50

0 0

250

500 750 1 000 Tausend Personen

1 000 750 500 Tausend Personen

250

0

0

Quelle: Statistisches Bundesamt

Abb. 1: Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands19

250

500 750 1 000 Tausend Personen

I. Problematik

21

Zusammengefasste Geburtenziffern bis 2060

Ab 2009 Annahmen der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Kinder je Frau Kinder je Frau 3,0 3,0

2,5

2,5 ehem. DDR/neue Länder

2,0

2,0 1,6 Kinder je Frau

Deutschland

1,5

1,5

1,4 Kinder je Frau früheres Bundesgebiet 1,2 Kinder je Frau

1,0

1,0

0,5

0 1950

0,5

0 60

70

80

90

2000

10

20

30

40

50

60

20

Quelle: Statistisches Bundesamt

Abb. 2: Entwicklung der Geburtenziffer von 1950 bis 206021

schneidet Deutschland mit diesen Zahlen sehr schlecht ab: In Frankreich liegt der Wert bei 1,94 und in Großbritannien bei 1,78;22 Deutschland ist mit 8,3 Geburten je tausend Einwohner in der Europäischen Union hinsichtlich der Geburtenrate Schlusslicht.23 Schon lange befindet sich die Geburtenrate in Deutschland damit unterhalb der durchschnittlichen 2,1 Kinder je 19

Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (2009) S. 15, Schaubild 3 (abrufbar unter: http:// www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2009/Be voelkerung/pressebroschuere__bevoelkerungsentwicklung2009,property=file.pdf). 20 Der Geburtenanstieg in den 70er Jahren in der damaligen DDR ist mit der Einführung umfangreicher familienpolitischer Maßnahmen zu erklären – die pronatalistische Sozialpolitik der Jahre 1971 und 1976 (s. unten zur Beeinflussung der Geburtenziffer durch politische Maßnahmen S. 26 ff.). Die Geburtenziffer brach dort erst mit der Wende 1989 dramatisch ein; Staatliche Zentralverwaltung für Statistik, Statistisches Jahrbuch der DDR – Jahrgang 34 (1989). 21 Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (2009) S. 28, Schaubild 8 (abrufbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2009/ Bevoelkerung/pressebroschuere__bevoelkerungsentwicklung2009,property=file.pdf). 22 dpa, Zahl der Geburten nimmt ab, SZ v. 11.9.2007, S. 8.

22

A. Einleitung

Frau, die erforderlich wären, um die Bevölkerungszahl in Deutschland konstant zu halten (vgl. Abb. 2 S. 21). Stattdessen ist für 2050 nur noch eine Bevölkerung von 75,1 Millionen Menschen in Deutschland zu erwarten; 2003 waren es 82,5 Millionen, 2008 schon nur noch 82,1 Millionen – die niedrigste Geburtenrate in der EU ist in Deutschland mit einer der niedrigsten Sterbeziffern in der EU kombiniert.24

2. Steuerungsmöglichkeit des Arbeitsrechts Um eine Umsetzung des Kinderwunsches und damit eine Steigerung der Geburtenrate zu erreichen, ist nach den Gründen für die bewusst geringe Kinderzahl bzw. die bewusste Kinderlosigkeit zu fragen. (Vgl. hierzu Abb. 3 S. 23) Die wichtigsten Argumente gegen Kinder sind die Arbeitsplatzunsicherheit sowie die unsichere finanzielle Lage der Eltern;25 60% der kinderlosen Erwerbstätigen mit Partner sowie 57% der befragten Elternpaare mit zumindest einem erwerbstätigen Partner nennen als Hauptgrund für den Verzicht auf ein (weiteres) Kind die Sorge um den eigenen oder den Arbeitsplatz des Partners.26 „Die Angst vor dem Jobverlust hindert die Menschen daran, sich für ein Kind zu entscheiden“; die Deutschen sind kein risikofreudiges Volk.27 So geben auch 69% der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren die Sorge um den Arbeitsplatz als größte Zukunftsangst an.28 Da (arbeitslose) Eltern mit Kindern besonders armutsanfällig sind,29 sind diese 23 Daten von Eurostat in Kullmann/Theile, Krieg um Zahlen, Spiegel v. 10.8. 2009, S. 18, 19. 24 Amz/dpa/Reuters/AP, Deutsche kriegen weniger Kinder als alle anderen Europäer, Spiegel-online v. 3.8.2009, abzurufen unter: http://www.spiegel.de/politik/ deutschland/0,1518,640114,00.html. 25 Mohr ZfA 2007, 361, 375; Kopke ZPR 2009, 41, 43; ders. NJW 2006, 1040; Kullmann/Theile, Krieg um Zahlen, Spiegel v. 10.8.2009, S. 18, 20. 26 Bundesweite Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Es fehlt der Partner, F.A.Z. v. 12.1.2005, S. 1; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Kinderwünsche in Deutschland (2005/2006) S. 30 ff.; Kullmann/Theile, Krieg um Zahlen, Spiegel v. 10.8.2009, S. 18, 22; Kopke NJW 2006, 1040 spricht von 40% der Kinderlosen und 45% der Eltern. 27 Familiensoziologe Blossfeld in Kullmann/Theile, Krieg um Zahlen, Spiegel v. 10.8.2009, S. 18, 22. 28 15. Shell- Jugendstudie 2006 (abrufbar unter: http://www.shell.com/static/dde/ downloads/societyenvironment/shell_youth_study/2006/youth_study_2006_exposee. pdf). 29 Sind beide Eltern erwerbstätig, kann das Risiko für Kinder durch Arbeitslosigkeit der Eltern in Armut zu rutschen, halbiert werden (BMFSFJ Pressemitteilung Nr. 367 v. 16.2.2009 zum Familienreport 2009).

I. Problematik

23

Jeweils Prozentanteil der Antworten „trifft voll zu/trifft zu“ Basis: In Partnerschaft lebende 20- bis 49-Jährige ohne (weiteren) Kinderwunsch Ich habe keinen sicheren Arbeitsplatz Mein Partner hat keinen sicheren Arbeitsplatz Zukunft für mein Kind zu ungewiss Jetziger Lebensstandard wäre gefährdet Leben danach weniger genießen Kind verursacht zu hohe Kosten Unvereinbar mit eigenen Freizeitinteressen Finanzielle Situation erlaubt es nicht Ich bin/Mein Partner ist zu alt Unvereinbarkeit mit dem Beruf Mein Partner ist dagegen zu wenig Zeit für den Partner zu große Bindung an den Partner 0 Kinderlose

Eltern

10

20

30

40

50

60

70

in Prozent

Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Generations and Gender Survey 2005

30

Abb. 3: Gründe gegen (weitere) Kinder31

Sorgen in Zeiten von Massenentlassungen und Massenarbeitslosigkeit in einer profitorientierten, schnelllebigen Arbeitswelt auch berechtigt; so waren nach einer TNS-Umfrage für die Zeitschrift „Spiegel“ im März 2009 unter 500 Befragten zwischen 20 und 35 Jahren schon 48% einmal arbeitslos.32 Hinzu kommt die aktuell durch die Wirtschaftskrise nachlassende Konjunktur, welche die Anzahl der arbeitslosen Eltern und damit das Armutsrisiko für deren Familie erhöhen wird (zum Armutsrisiko Abb. 4 S. 24). 30 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Kinderwünsche in Deutschland (2005/2006), S. 32. 31 Vgl. zu dieser Thematik auch Höhn/Ette/Ruckdeschel (2005/2006) S. 32 f. 32 Sie lernen jemanden kennen, googeln Sie ihn?, Spiegel Heft 25 v. 15.6.09, S. 60.

24

A. Einleitung 70 62 63 60

56 52

in Prozent

50 38 37

40 34 30 20 13 10

7

21

18

16

18 14

10 6

4

6 6

2 2 4 1

K in de ra rm A ut lle in in er sg zi es eh am en t d ni ch te rw er A bs lle tä in tig er zi eh en d er w El er te bs rn tä be tig id en ic ht er w El er te bs rn tä ei tig ne rn ic ht er w er bs El tä tig te rn be id ee rw er bs tä tig

0

8

Deutschland (2001)

Frankreich (2000)

Großbritannien (2000)

Schweden (2000)

Quelle: Adema et al. 2005

Abb. 4: Kinderarmut nach Haushaltsformen und Erwerbsstatus der Eltern im europäischen Vergleich (2000/2001), Angaben in % pro Haushaltstyp33

Für Berufsanfänger verschärft sich die Lage durch oftmals nur befristete Arbeitsverhältnisse: So unterschrieben in Deutschland im Jahr 2007 57,5% der 15- bis 24-Jährigen einen befristeten Arbeitsvertrag. Zwar sah die Mehrheit der jungen Leute die begrenzte Vertragsdauer nicht als Nachteil, aber immerhin rund 37% der Betroffenen gaben an, nur befristet beschäftigt zu sein, weil kein unbefristeter Arbeitsplatz zu finden war.34 Weiterhin nehmen viele Hochschulabsolventen zuerst ein (befristetes) Praktikum in Kauf,35 wobei nur 22% der jungen Berufseinsteiger nach dem Praktikum 33 Rüling/Kassner (2007) S. 76 (abrufbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/do/ 04262.pdf). 34 Statistisches Bundesamt, Jugend und Familie in Europa (2009), S. 23. 35 Nach einer Studie der DGB-Jugend und der Hans-Böckler-Stiftung absolvierten 2002 bereits 40% der Akademiker nach ihrem Abschluss noch mindestens ein Praktikum, im Vergleich zu 25% des Jahrgangs drei Jahre zuvor (Grühn/Hecht [2007] S. 11 ff.); Gründinger (2009) S. 187 ff. m. w. N.

I. Problematik

25

übernommen wurden; meist sind diese auch anschließend auf Praktika, Leiharbeit oder Zeitverträge angewiesen.36 Zudem haben alle Neueingestellten die halbjährige Frist des § 1 I KSchG abzuwarten, ehe sie in den Genuss des Kündigungsschutzes gelangen und so einen gesicherten Arbeitsplatz erreichen. Außerdem wird meist eine halbjährige Probezeit vereinbart (§ 622 III BGB), in der eine gesetzliche Kündigungsfrist von nur zwei Wochen anstatt vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende besteht (§ 622 I BGB). Insbesondere Akademikerinnen, deren Kinderlosigkeit dramatisch gestiegen ist (41% der Akademikerinnen des Jahrgangs 1965 sind kinderlos37), erlangen daher infolge ihrer langen Ausbildungszeit oftmals erst mit weit über 30 Jahren eine halbwegs sichere Stelle.38 Mit einem verbesserten arbeitsrechtlichen Schutz der Familie könnte der Sorge von Eltern um den Arbeitsplatz und damit dem Hauptgrund gegen (weitere) Kinder entgegengetreten werden. In Betracht kommen dabei vor allem Verbesserungen des Kündigungsschutzes und des Abfindungsrechtes. Diese stellen die essentiellen Elemente zur (finanziellen) Absicherung des Arbeitsplatzes im deutschen Arbeitsrecht dar. Es geht also sowohl darum, den status quo über einen Familienschutz zu sichern – der Arbeitsplatz soll erhalten und so die bestehende Familie zumindest wirtschaftlich abgesichert werden – als auch darum, die Familie zu fördern, d.h. zur Familiengründung bzw. -erweiterung zu motivieren.39 Zwar liegt der Entscheidung, eine Familie zu gründen oder diese zu erweitern immer ein Motivbündel zu Grunde. Der angestrebte verbesserte, arbeitsrechtliche Schutz kann die Entscheidung der Eltern jedoch stark beeinflussen.40

3. Effektivität einer Arbeitsrechtsreform Aussagen von Kinderlosen und Eltern belegen die mögliche Effektivität einer Reform des Kündigungsschutzes und des Abfindungsrechts für Familien: Die Umsetzung ihres Kinderwunsches wäre unter veränderten Lebensund Arbeitsbedingungen anders ausgefallen.41 Solche positiven Auswirkun36

Gründinger (2009) S. 188. Statistisches Bundesamt, Kinderlosigkeit von Akademikerinnen im Spiegel des Mikrozensus, v. 6.6.2006. 38 Kopke NJW 2006, 1040 f. 39 Strick (2007) S. 79, 82 f., Rn. 10; Perz (2008) S. 221 und S. 223 fordert ein familienfreundlicheres Arbeitsrecht aus ökonomischen Gründen: „In den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit müsste das Sozialsystem nicht nur einen Arbeitnehmer, sondern die ganze Familie abfangen – im schlimmsten Fall über Jahrzehnte.“ 40 Strick (2007) S. 79, 92, Rn. 48. 37

26

A. Einleitung

gen familienpolitischer Maßnahmen auf die Geburtenrate bestätigt auch folgende Studie:

in Prozent

Jeweils in Prozent „stimme zu/stimme sehr zu“ auf die Antwortvorgabe: „Wenn die (familienpolitischen) Maßnahmen, die Sie für wünschenswert halten, eingeführt würden, hätte das Folgen für Ihr eigenes Leben?“ Basis: 20- bis 49-jährige Frauen 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

80

78 60

58 42 20

22

ohne (weiteren) Kinderwunsch 17

mit (weiterem) Kinderwunsch Es wäre leichter für mich, so viele Kinder zu haben, wie ich mir wünsche

Ich würde Es mir noch würde mir einmal ermöglichen, überlegen, mein erstes/ ob ich nicht nächstes doch ein Kind (weiteres) früher zu Kind möchte bekommen

Ich würde mich wahrscheinlich für ein Kind entscheiden

Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Generations and Gender Survey 2005

Abb. 5: Veränderte Familienpolitik könnte Erfüllung des Kinderwunsches unterstützen42

Auch Erfahrungen aus der Familienpolitik der neuen Bundesländer kommen zu dem Ergebnis, dass die Geburtenrate durch die Politik steuerbar ist. Wie bereits oben grafisch dargestellt (Abb. 2 S. 21), kam es in der DDR gegen Ende der 70er Jahre zu einer drastischen Geburtenerhöhung: Die Geburtenrate erhöhte sich von 1,5 Kindern je Frau (1976) auf 1,9 Kinder (1980).43 Zu erklären ist dies mit der pro-natalistischen Sozialpolitik der DDR, dem dreigliedrigen Unterstützungssystem für Familien: Erstens wurden „werktätige“ Frauen zeitlich entlastet und finanziell unterstützt, zwei41

Höhn/Ette/Ruckdeschel (2005/2006), S. 30. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Kinderwünsche in Deutschland (2005/2006), S. 64. 43 Maier (1997) S. 182 f. 42

I. Problematik

27

tens die Wohnbedingungen für Familien mit Kindern entscheidend verbessert und drittens Kinderbetreuungseinrichtungen ausgebaut;44 insgesamt wurden die unmittelbar durch das Kind verursachten Kosten gesenkt. Konkrete Maßnahmen: Geburtsprämie (1000 Ostmark, die an die Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen geknüpft waren), Schwangerschaftsurlaub bei vollem Lohnausgleich, verkürzte 40-Stunden-Woche für Mütter, monatliches Kindergeld, Erhöhung des Mindesturlaubs für Mütter, Recht auf bezahlte Freistellung im Krankheitsfall der Kinder, Elternzeit (bezahltes Babyjahr), Betreuungssystem (Kinderkrippe, Kindergärten und Schulhorte) sowie eine Bevorzugung von Familien bei der Wohnungsvergabe und Mietsenkungen für diese (vorrangig sollten künftig „Arbeiterfamilien mit drei und mehr Kindern und junge Ehepaare mit Wohnraum versorgt werden“45). Weiterhin gab es einen achtjährigen, zinslosen Kredit von bis zu 7.000 Ostmark für jedes Ehepaar bis zum 29. Lebensjahr der Partnerin. Dieser wurde vom Staat beim ersten Kind um 1.000, beim zweiten um 1.500 und beim dritten um 2.500 Ostmark getilgt.46 Allein bis zum 31.10.1972 wurden 20.270 Familien solche Kredite – in einem Gesamtumfang von ca. 100 Millionen Ostmark – gewährt; insgesamt nahmen im Jahr 1972 ca. 40.000 junge Eheleute diese finanzielle Unterstützung in Anspruch und in 1.300 Fällen wurde noch im selben Jahr ein Teilerlass auf Grund einer Kindesgeburt gewährt.47 Ungeachtet der Nachteile der Maßnahmen in der ehemaligen DDR,48 kann die generelle Möglichkeit, die Geburtenrate mit politischen Instrumenten zu beeinflussen, also nicht geleugnet werden. Davon ging auch der gesamtdeutsche Gesetzgeber aus, als er zum 1.1.2007 das erhöhte Elterngeld einführte.49 Dieses beträgt für nach dem Stichtag Geborene 67% des vor der Geburt durchschnittlich monatlich ver44

Maier (1997) S. 138. Verordnung zur Verbesserung der Wohnverhältnisse der Arbeiter, Angestellten und Genossenschaftsbauern v. 10.5.1972; Maier (1997) S. 139 ff. 46 Verordnung über die Gewährung von Krediten zu vergünstigten Bedingungen an junge Eheleute v. 10.5.1972 in der Fassung von Mai 1986; Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Schwund im Osten – Zuwachs im Westen, Newsletter 17 v. 4.10.2005. 47 Maier (1997) S. 147. 48 Etwa beinhalteten der Wohnungsbaukredit für unter 29-Jährige und die Bevorzugung junger Eltern bei der Wohnungsvergabe die Gefahr, dass sich viele Eltern früher als persönlich gewollt, für ein Kind entschieden, um in den Genuss der staatlichen (finanziellen) Prämien zu gelangen. Nur so konnten sich DDR-Bürger oftmals ein komfortableres Leben in einer eigenen Wohnung ermöglichen. Eine Familie wurde nicht mehr aus emotionalen und ideellen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen angestrebt; die Familie konnte zum Geschäft werden. 49 BGBl. I S. 2748. 45

28

A. Einleitung

fügbaren Netto-Erwerbseinkommens, höchstens jedoch 1.800,– e und mindestens 300,– e (§ 2 BEEG), für die Zeit von 12 (Elternzeit eines Elternteils; § 4 III BEEG) bzw. 14 Elternmonaten (Elternzeit beider Elternteile; § 4 I, II BEEG). Zwar wird mit der Reform des Elterngeldes auch eine frühere Wiedereingliederung der Mutter in den Arbeitsmarkt – schon nach einem, statt nach drei Jahren Elternzeit – sowie eine verstärkte Beteiligung der Väter an der frühen Kindererziehung bezweckt. Die Erhöhung der Geburtenrate war für die Gesetzesbegründung jedoch essentiell: Stolz wurde seitens des Gesetzgebers auf die Erhöhung der Geburtenrate um 2,5% in den ersten beiden Monaten des Jahres 2008 gegenüber dem Vorjahr50 und auf eine Erhöhung der Geburtenrate im Jahr 2007 von 1,33 auf 1,37 Kinder pro Frau hingewiesen.51 Damit verspricht eine arbeitsrechtliche Gesetzesreform Effektivität hinsichtlich der Erhöhung der Geburtenrate. Da sich die Diskrepanz zwischen Kinderwunsch und tatsächlicher Kinderzahl nicht nur mit einem Abschieben der Verantwortung seitens der Kinderlosen erklären lässt (zu den verschiedenen Gründen gegen (weitere) Kinder oben Abb. 3 S. 23), sollte politisch nichts unversucht bleiben, um die (arbeitsrechtlichen) Rahmenbedingungen für (potentielle) Eltern pro Familie auszugestalten. Zumal solche familienfreundliche Änderungen auf keinen Fall ein Absenken der Geburtenrate nachsichziehen werden.

II. Begriffsbestimmungen Um eine arbeitsrechtliche Gesetzesreform zu Gunsten der Familie auszugestalten, ist zunächst der Begriff der „Familie“ zu definieren. Auch die Begriffe „Ältere“ sowie „Benachteiligung“ und „Diskriminierung“ haben in den folgenden Ausführungen eine grundlegende Bedeutung, sodass auch diese vorab zu definieren bzw. voneinander abzugrenzen sind.

1. Der Begriff der „Familie“ a) Historische Bedeutung Mit Blick auf die historische Bedeutung des Begriffs „Familie“ ist festzuhalten, dass der lateinische Begriff „familia“ Hausgenossenschaft bedeutet; „famul“ ist lateinisch für Diener.52 Die Römer bezeichneten als Familie, 50 51 52

BMFSFJ Pressemitteilung Nr. 295/2008 v. 11.06.2008. BMFSFJ Pressemitteilung Nr. 315/2008 v. 20.08.2008. Kluge, Etymologisches Wörterbuch23 (1995), Stichwort Familie.

II. Begriffsbestimmungen

29

„was ein freier Bürger besaß“. Im mittelalterlichen Lehns- und Feudalwesen verstand man unter Familie „die Gesamtheit der einem Gutsherrn unterstellten Hörigen und Dienstmänner“.53 Dieser Hausgemeinschaft gehörten neben Gutsherr und -herrin (oftmals die zweite oder dritte Frau, da Frauen häufig im Kindbett starben) und den unverheirateten (Stief-)Kindern das Gesinde, Knechte und Mägde an. Ihr stand der „pater familias“, der Gutsherr als Hausvater vor.54 Die Hausgemeinschaft kann jedoch heute kein Kriterium für die Familienzugehörigkeit mehr sein. Verlassen Kinder nach dem Schulabschluss etwa den Haushalt der Eltern oder des alleinerziehenden Elternteils, endet damit nicht die Familienzugehörigkeit des ausziehenden Kindes. Verbringt das Kind ein Schuljahr im Ausland, ist es für diesen längeren Zeitraum dennoch ein Familienmitglied; die Familienzugehörigkeit kann nicht ruhen und ggf. wieder aufleben. Die früher nicht zur Disposition stehenden Reisemöglichkeiten und die heutige Globalisierung machen eine Übertragung des historischen Familienbegriffs unmöglich. Ferner kann der mit der vorliegenden Arbeit angestrebte arbeitsrechtliche Schutz der Familie auch nach dessen Sinn und Zweck nicht an dem Bestehen einer Hausgemeinschaft festgemacht werden: Das Kind, welches etwa im Ausland eine Ausbildung genießt oder in einem Internat untergebracht ist, wird von den Eltern ebenso (finanziell) getragen, wie das mit den Eltern in einem Haushalt lebende Kind. Die höhere finanzielle Absicherung der Eltern über einen verbesserten Kündigungsschutz und ein verbessertes Abfindungsrecht ist für Eltern in Hausgemeinschaft mit Kindern ebenso erforderlich wie für Eltern mit Kindern außerhalb ihres Haushalts. Gleiches gilt für das nach der elterlichen Trennung bei der Mutter lebende Kind, dessen Vater Kindesunterhalt zahlt. Auch hier lebt das Kind nicht mit dem Vater in Hausgemeinschaft. Für den finanziellen Unterhaltsaufwand des Vaters ist dieser jedoch auch durch einen verbesserten Kündigungsschutz und ein verbessertes Abfindungsrecht zu privilegieren und die künftigen Unterhaltszahlungen des Vaters sind mit einem besser geschützten Arbeitsplatz zu sichern. Zudem soll auch die Angst vor einer eventuellen Trennung vom Partner und vor der damit einhergehenden Auflösung der Haushaltsgemeinschaft mit dem Kind der Umsetzung des Kinderwunsches nicht entgegenstehen; auch danach soll der arbeitsrechtliche Schutz der Eltern bestehen. Die historische Herkunft des Begriffs „Familie“ ist nach Sinn und Zweck der vorliegenden Arbeit nicht hilfreich.55 Meyers Konversationslexikon5 (1893), Stichwort Familie; Kirchner/Michaëlis5 (1907), S. 199 f. (abrufbar unter: http://www.zeno.org/Kategorien/T/Band?fr=Fa milie). 54 Meier (2006) S. 10 f. 53

30

A. Einleitung

b) Juristische Bedeutung Juristisch wird der Begriff der Familie in den verschiedensten Gesetzen verwendet:56 § 1360 BGB erfasst mit „Familie“ die Ehepartner und die gemeinsamen Kinder; nur insoweit ist Familienunterhalt zu gewähren.57 Ebenso enthält § 1360a I BGB Andeutungen, dass „Familie“ die Gemeinschaft von Ehepartnern mit Kindern umfasst.58 § 1357 I S. 1 BGB meint mit dem Lebensbedarf der Familie lediglich denselben der Ehepartner und der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder (in Anlehnung an das Unterhaltsrecht nach §§ 1360, 1360a BGB59) – der Bedarf von Kindern einer Patchworkfamilie unterfällt der Schlüsselgewalt des § 1357 BGB etwa nicht.60 §§ 1616, 1626 BGB gehen in der Grundkonzeption von verheirateten Eltern mit Kind aus. Auch das standesrechtliche Familienbuch, welches nach der Eheschließung angelegt wird, enthält primär Daten über die verheirateten Eltern und die aus der Ehe hervorgehenden Kinder (§§ 12 I Nr. 1, 15 PStG).61 Die Rechtsprechung geht im Rahmen des Art. 6 I GG von einem engen Familienbegriff aus, der allein auf Eltern und ihre minderjährigen Kinder und nicht auf die Generationen-Großfamilie bezogen ist;62 die „in der Hausgemeinschaft geeinte engere Familie, das sind die Eltern mit ihren Kindern“.63 Als Kinder werden dabei eheliche und uneheliche Kinder, Adoptiv-, Stief- und Pflegekinder angesehen.64 Ob auch die Gemeinschaft eines 55

Zur Geschichte des Familienbegriffs vgl.: Müller-Freienfels FS Hinderling (1976), S. 111 ff.; Schwab (1975) S. 253 ff. 56 Weitere Beispiele sind § 1969 I S. 1 BGB, § 2 I HAG, § 80 I Nr. 2b BetrVG, § 178 I Nr. 1 ZPO oder § 759 ZPO; die zugehörige Kommentarliteratur geht auf den Begriff der Familie bzw. des Familienangehörigen nicht ein. 57 AnwK BGB/Kaiser (2005) Band 4, § 1360 Rn. 2; Palandt/Brudermüller68 (2009) § 1360 Rn. 1 f. 58 Drischmann (2007), S. 7. 59 MüKo/BGB/Wacke4 (2000), Band 7, § 1357 BGB Rn. 19. 60 Palandt/Brudermüller68 (2009) § 1357 Rn. 10 ff.; Schwab Familienrecht15 (2007) Rn. 162; ausführlich zu dieser Thematik Drischmann (2007) S. 1 ff. 61 Perz (2008) S. 3. 62 BVerfG 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – NJW 1989, 2195 ff.; Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Hofmann/Hopfauf GG11 (2008) Art. 6 Rn. 29; Dreier/Gröschner GG2 Band I (2004) Art. 6 Rn. 67. 63 BVerfG 31.5.1978 – 1 BvR 683/77 – BVerfGE 48, 327, 339; in diesem Sinne schon: BVerfG 8.6.1977 – 1 BvR 265/75 – BVerfGE 45, 104, 123; 29.7.1968 – 1 BvL 20/63 – BVerfGE 24, 119, 135; 29.07.1959 – 1 BvR 205/58 – BVerfGE 10, 59, 66. 64 BVerfG 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – NJW 1989, 2195 ff.; 30.6.1964 – 1 BvL 16/62 – BVerfGE 18, 97, 106; BVerfG 30.6.1964 – 1 BvL 16/62 – BVerfGE 18, 97, 105 f.; Dreier/Gröschner GG2 Band I (2004), Art. 6 Rn. 71.

II. Begriffsbestimmungen

31

Alleinerziehenden mit seinem Kind unter den Begriff der Familie i. S. des Art. 6 I GG zu subsumieren ist, lässt das BVerfG offen; es bezeichnet diese familiäre Gemeinschaft lediglich als „allgemein anerkannt“.65 Eine allgemeingültige juristische Definition kann aus der Verwendung des Wortes „Familie“ in Gesetzen und in der Rechtsprechung also nicht abgeleitet werden, vielmehr ist vor allem Sinn und Zweck der Norm, welche jeweils den Begriff der „Familie“ enthält, heranzuziehen.66 Stellt man mit der Rechtsprechung auf die Familie als Beistandsgemeinschaft ab,67 erschließt sich ferner nicht, warum Alleinerziehende oder auch Großfamilien keine Familie in juristischem Sinn sein sollen. Auch zwischen Alleinerziehenden und deren Kindern sowie zwischen den Mitgliedern einer Großfamilie ist von einer starken zwischenmenschlichen Bindung und einem großen Beistand der Personen untereinander auszugehen; die juristische Definition der Familie ist also auch deshalb nicht zu übertragen. Auch würde es Sinn und Zweck der vorliegenden Arbeit widersprechen, Alleinerziehende aus dem Begriff der „Familie“ auszugrenzen, da auch der/die Alleinerziehende für das Kind einen (finanziellen) Aufwand zu betreiben hat, der einen gesicherteren Arbeitsplatz rechtfertigt.68 Gerade Alleinerziehende tragen meist höhere Kosten als eine Hälfte eines Elternpaares und sind stärker von Armut bedroht: So bezogen im Sommer 2008 von allen Alleinerziehenden im erwerbsfähigen Alter mit minderjährigen Kindern 42,3% Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), im Vergleich zu 8,5% bei Paaren mit Kindern.69 Umgekehrt sind im Jahr 2008 11,7% der Arbeitslosen im Rechtskreis des SGB II Alleinerziehende gewesen.70 Die Sicherheit, auch nach einer eventuellen Trennung als Alleinerziehende(r) einen 65 Die Familieneigenschaft eines Vaters mit seinem nichtehelichen Kind wurde angenommen in BverfG 31.1.1989 – 1 BvL 17/87 – BVerfGE 79, 256, 257; 30.6.1964 – 1 BvL 16/62 – BVerfGE 18, 97, 106 (Mutter mit ihrem nichtehelichen Kind). 66 Schwab Familienrecht15 (2007) Rn. 3. 67 BVerfG 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – BVerfGE 80, 81, 95; 5.2.1981 – 2 BvR 646/80 – BVerfGE 57, 170, 178 („lebenslange Verpflichtung von Eltern und Kindern, einander Beistand zu leisten“). 68 Abzulehnen ist andererseits aber auch eine über den Schutz von Elternpaaren hinausgehende arbeitsrechtliche Privilegierung von Alleinerziehenden (so aber v. Hoyningen-Huene/Linck DB 1997, 41, 42 und Kittner AuR 1997, 182, 184). Denn allein die Unterhaltspflichten ändern sich nicht dadurch, dass ein Arbeitnehmer allein erzieht, nur der Aufwand steigt. Zudem haben auch Kinder von Alleinerziehenden zwei Unterhaltsschuldner nach §§ 1601 ff. BGB (Kaiser FS Birk [2008], S. 283, 305). 69 Bundesagentur für Arbeit, Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende (2008), S. 31. 70 Bundesagentur für Arbeit, Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende (2008), S. 12.

32

A. Einleitung

besonderen Kündigungsschutz und ein besonderes Abfindungsrecht zu erfahren, kann zu einer stärkeren Umsetzung des bestehenden Kinderwunsches und somit zu einer Steigerung der Geburtenrate führen. c) Soziologische Bedeutung In der Soziologie unterliegt die Begriffsbedeutung der Familie zwar korrespondierend zu den gesellschaftlichen Verhältnissen einem ständigen Wandel.71 Einige feste Definitionen lassen sich dennoch festhalten: So kann „Familie“ jegliche Blutsverwandtschaft umfassen; von einer Familienfeier wird etwa gesprochen, wenn Onkel, Tante, Cousin und weitläufigere Verwandte eingeladen sind.72 Diese Definition ist jedoch nicht einschlägig, wenn man etwa angibt, noch „bei seiner Familie“ zu wohnen. Relevant für die vorliegende Arbeit ist allein die Bedeutung des Begriffs der Familie als alltägliche Lebensform. In dieser Hinsicht unterscheidet die Familiensoziologie zwischen Kernfamilie (Gemeinschaft von Eltern und ihren unverheirateten, unmündigen Kindern)73 und Großfamilie (Gemeinschaften, die mit mehr als zwei Generationen in einem Haushalt leben;74 etwa Eltern, Kinder und Enkelkinder). Da die Kernfamilie im westlichen Kulturkreis das in der modernen Gesellschaft überwiegend vorkommende Modell darstellt (vgl. Abb. 6 S. 33), wird diese im täglichen Sprachgebrauch mit dem Begriff „Familie“ gleichgesetzt. Großfamilien, Alleinerziehende oder zwei zusammenlebende Elternteile (verheiratet oder nicht) mit jeweils eigenen und eventuell gemeinsamen Kindern (sog. Patchworkfamilie) stellen die gesellschaftliche Minderheit dar – auch wenn diese Lebensformen zunehmen (vgl. Abb. 6 S. 33).75 Daher sind diese Gemeinschaften der modernen Industriegesellschaft von der soziologischen Definition des Begriffs „Familie“ (noch) nicht erfasst.76 Die Familie als Kernfamilie, setzt traditionell drei Elemente voraus: eine auf Dauer angelegte Verbindung zwischen Mann und Frau, eine gemeinsame Haushaltsführung und mindestens ein gemeinsames Kind.77 Dem Ziel der Erhöhung der Geburtenrate würde es allerdings widersprechen, sich Schwab Familienrecht15 (2007) Rn. 2. Idel (2005) S. 16. 73 Idel (2005) S. 19. 74 Barabas/Erler2 (2002) S. 27 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen5 (2006) § 1 I Rn. 4 f. 75 Peuckert6 (2005) Wiesbaden, S. 29 ff. und S. 43 ff.; Statistisches Bundesamt, Leben und Arbeiten in Deutschland (2006); Drischmann (2007) S. 21 ff. 76 Hill/Kopp4 (2006) S. 13. 77 Hill/Kopp4 (2006) S. 12 f. 71 72

II. Begriffsbestimmungen

33

Ledige Kinder in Lebensformen am Hauptwohnsitz in Millionen von 1996 bis 2008 20 18 16

in Millionen

14 Ehepaare mit Kindern

12 10

Lebensgemeinschaften mit Kindern

8 6

Alleinerziehende

4 2

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

0

Quelle: Statistisches Bundesamt, Ergebnisse des Mikrozensus 1996–2008, Daten abrufbar auf der Genesis Online-Datenbank: Familienformen, Tabelle 12211-0605 (https://www-genesis.destatis.de/genesis/online).

Abb. 6: Entwicklung der Familienformen78

allein an dieser soziologischen Definition zu orientieren: das Kriterium des gemeinsamen Haushalts ist abzulehnen (s. oben S. 29). Ebenso sind Alleinerziehende nicht von dem arbeitsrechtlichen Schutz der Familie auszunehmen (s. oben S. 31 f.). Ferner sind die konkreten personalen Umstände der Eltern (verheiratet, verpartnert, getrennt lebend) für die Erhöhung der Geburtenrate irrelevant. d) Eigener Definitionsansatz: Kindesunterhaltspflichten Mangels einer allgemeingültigen Definition ist ein eigener Definitionsansatz zu entwickeln. Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen soll allein die notwendige (finanzielle) Fürsorge der Eltern/des allein erziehenden Elternteils für den Nachwuchs sein. Denn haben Eltern diesen finanziellen Aufwand zu bestreiten, ist ihnen hierfür zumindest ansatzweise ein Ausgleich zu gewähren und die tatsächliche Erfüllung dieses Aufwands über eine fortbestehende Erwerbsmöglichkeit abzusichern. So kann (potentiellen) Eltern die Sorge vor der finanziellen Ungewissheit der Zukunft mit Kind genommen, dem Hauptgrund für eine Entscheidung gegen (weitere) Kinder 78 Vgl. auch Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 28, Schaubild „Familien in Deutschland“.

34

A. Einleitung

(s. oben Abb. 3 S. 23) entgegengetreten und eine erhöhte Geburtenrate erreicht werden. Kinderlose Ehepaare sollen hingegen nicht dem Begriff der Familie im Sinne der vorliegenden Arbeit unterfallen. Da die Ehe auf Grund der modernen Lebensmodelle kein Garant für Nachwuchs (mehr) ist, rechtfertigt allein die Tatsache der Eheschließung keine besondere Unterstützung der Eheleute im Bereich des Kündigungsschutzes und des Abfindungsrechts.79 Die Fürsorgepflicht der Eltern kann an der Existenz ihrer Kindesunterhaltspflichten gemessen werden. An diese Kindesunterhaltspflichten sind daher der verbesserte Kündigungsschutz und das verbesserte Abfindungsrecht für Familien zu koppeln. Zu klären ist im Folgenden daher, welche Arten von Kindesunterhaltspflichten eine arbeitsrechtliche Privilegierung der Eltern mit sich bringen sollen: aa) Gesetzliche Kindesunterhaltspflichten Gesetzliche Kindesunterhaltspflichten (§§ 1601 ff. BGB) rechtfertigen einen verbesserten Kündigungsschutz und ein verbessertes Abfindungsrecht für Eltern: Diese Unterhaltspflichten bestehen dauerhaft, sind unabdingbar bis zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit des Kindes und können sogar nach diesem Zeitpunkt bei Arbeitslosigkeit des Kindes wieder aufleben;80 aus den gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten ergibt sich die zwingende (finanzielle) Fürsorge der Eltern für ihr Kind. Diese soll zumindest ansatzweise ausgeglichen und zudem abgesichert werden, die Angst der (potentiellen) Eltern vor dieser finanziellen Verantwortung durch einen sichereren Arbeitsplatz genommen werden (s. gerade oben S. 33 f.). Dass in einer intakten Ehe bzw. in einer intakten Lebenspartnerschaft (§ 5 LPartG) mangels Bedürftigkeit des Kindes nach § 1602 BGB keine Verwandtenunterhaltspflichten nach §§ 1601 ff. BGB bestehen, wenn die Eltern den Bedarf der Kinder im Rahmen des Familienunterhalts nach §§ 1360, 1360a BGB (§ 5 LPartG) abdecken,81 ist irrelevant. Denn ob die §§ 1601 ff. BGB durch die Pflicht der Eltern zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360a BGB (§ 5 LPartG) überlagert werden, ist für den Arbeitnehmer, der den Unter79 Kopke ZPR 2009, 41, 43; zur dahingehenden seit Jahren aktuellen Diskussion zur Abschaffung bzw. Veränderung des zur Familienförderung gedachten Ehegattensplittings vgl. Jachmann BB 2008, 591; dpa, Abschaffung des Ehegattensplitting, SZ v. 19.6.2006 (abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/238/401020/ text/); dpa, Streit ums Ehegattensplitting wird schärfer, Spiegel online v. 18.6.2006 (abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,422069,00.html). 80 Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 289 f. 81 BGH 20.11.1996 – XII ZR 70/95 – NJW 1997, 735; AnwK-BGB/Saathoff (2005) § 1601 Rn. 4.

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halt der Kinder mit seinem Erwerbseinkommen finanzieren muss, unbedeutend. Die rechtliche Herkunft seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht ist für ihn nicht ausschlaggebend.82 Ebenso wenig Bedeutung hat es, ob die Kindesunterhaltspflichten in Form von Barunterhalt durch eine Geldrente (§ 1612 BGB) oder in Form des Betreuungsunterhalts durch Naturalleistungen (§ 1606 III S. 2 BGB – in intakten Familien und für den Elternteil, bei welchem das Kind wohnt) erfüllt werden.83 Denn § 1606 III S. 2 BGB ordnet die Gleichrangigkeit von Betreuungsunterhalt und Barunterhalt ausdrücklich an.84 (1) Tatsächliche Erfüllung der gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten Unbeachtlich ist es, ob die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten auch tatsächlich erfüllt werden.85 Denn auch wenn der familienferne Elternteil (typischerweise der Vater, während das Kind bei der Mutter lebt) in der Vergangenheit keinen Barunterhalt leistete, so besteht die Möglichkeit künftiger Zahlungen: die unterhaltsberechtigte Person hat es in der Hand, den Unterhaltsanspruch gerichtlich durchzusetzen und zu vollstrecken;86 nach §§ 195, 199 BGB gilt für Unterhaltsansprüche die dreijährige Verjährungsfrist (zur besonderen Pfändbarkeit des Arbeitseinkommens bei Unterhaltsverpflichtungen vgl. §§ 850c, 850d ZPO).87 Auch hiernach ist also unklar, ob der bislang säumige Unterhaltsschuldner nicht künftig zur Zahlung gezwungen wird – auch zur Zahlung von Unterhaltspflichten für zurückliegende Zeiträume. Dies gilt auch, wenn das Kind staatlichen Unterhaltsvorschuss nach dem UVG erhält, da der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den familienfernen Elternteil dann in Höhe des gewährten Unterhaltsvorschusses mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf das jeweilige Bundesland – abhängig vom Wohnsitz des Kindes – übergeht (§ 7 I UVG). Versagt man dem säumigen Unterhaltsschuldner einen verbesserten Kündi82

Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 291. Davon geht auch das BAG aus, welches ohne weiteres bei einer geschiedenen Arbeitnehmerin davon ausgeht, dass deren Kindesunterhaltspflichten i. S. des § 1 III KSchG zu beachten sind. Das BAG differenziert nicht, ob die Mutter Unterhalt durch Betreuung und Pflege nach § 1603 III S. 2 BGB oder Barunterhalt leistet: BAG 09.05.1996 – 2 AZR 438/95 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 85 [unter Gründe B I 3]; Kaiser FS Birk (2008), S. 283, 293 f. 84 Palandt/Diederichsen68 (2009) § 1606 Rn. 8. 85 ErfK/Oetker9 (2009) § 1 KSchG Rn. 333; Bader NZA 1996, 1125, 1128; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; Strick (2007) S. 79, 88 Rn. 33; Kopke ZPR 2009, 41, 43. 86 Bütefisch (2000) S. 226. 87 Palandt/Heinrichs68 (2009) § 197 Rn. 5. 83

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gungsschutz, besteht für diesen eine ungehindert große Gefahr, dass seine Erwerbsmöglichkeit wegfällt; wird er arbeitslos, minimiert sich die Wahrscheinlichkeit der künftigen Unterhaltszahlungen jedoch.88 Allein die gesetzliche Verpflichtung ist daher für den Begriff der Eltern in der vorliegenden Arbeit ausschlaggebend (zu den hierfür sprechenden Praktikabilitätsgründen unten S. 108 ff.). (2) Gesetzliche Unterhaltspflicht für volljährige Kinder Zu klären bleibt, ob allein Eltern mit gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten für Kinder unter 18 oder unter 21 Jahren unter den schutz- und förderungswürdigen Familienbegriff im Sinne der vorliegenden Arbeit fallen.89 Für die Altersgrenze von 21 Jahren könnte sprechen, dass auch nur der Unterhalt gegenüber minderjährigen Kindern und gegenüber volljährigen, privilegierten Kindern unter 21 Jahren eine gesteigerte Unterhaltspflicht darstellt (§ 1603 II S. 2 BGB). Kommt es zu Mangelfällen, d.h. der Unterhaltsschuldner kann nicht alle Unterhaltsforderungen der Unterhaltsberechtigten erfüllen, gehen nach der Familienrechtsreform zum 1.1.2008 Kinder bis maximal 21 Jahren gemäß § 1609 BGB allen anderen Unterhaltsgläubigern vor.90 Gegen eine Altersgrenze von 18 oder 21 Jahren spricht jedoch, dass nach Vollendung des 21. Lebensjahres weiterhin gesetzliche Kindesunterhaltspflichten bestehen können:91 Solange sich das Kind in der Ausbildung befindet, hat dieses Anspruch auf Ausbildungsunterhalt.92 Dies gilt sogar für ein Studium, welches sich an eine abgeschlossene Berufsausbildung anschließt, mit welcher das Kind bereits wirtschaftlich selbstständig hätte leben können. Zwischen Studium und Ausbildung muss nur eine fachliche Verbindung bestehen,93 das Studium die Ausbildung vertiefen, ergänzen oder weiterführen (etwa ein Sportstudium nach der Ausbildung zur Physiotherapeutin, ein Wirtschaftsstudium nach einer Banklehre etc.).94 Erst nach 88

Strick (2007) S. 79, 88, Rn. 33. Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 292 f. für eine Altersgrenze von 21 Jahren hinsichtlich der Kindesunterhaltspflichten bei § 1 III KSchG; dies. NZA 2008, 665, 669 für eine Altersgrenze von 18 Jahren; ebenso Strick (2007) S. 79, 94, Rn. 57 ff. 90 Kinder sind am sozial schwächsten und am wenigsten in der Lage, sich selbstständig aus ihrer Bedürftigkeit zu befreien und sollen daher ihren Unterhalt nicht mit anderen teilen müssen (RegE, BT-Drs. 16/1830, S. 23; BT-Drs. 16/1830, S. 13). 91 Eine Altersgrenze sieht daher auch Perz (2008) S. 225 kritisch. 92 Palandt/Dieterichsen68 (2009) § 1610 Rn. 18 ff. 93 Palandt/Dieterichsen68 (2009) § 1610 Rn. 30; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 208. 94 BGH 23.10.1991 – XII ZR 174/90 – NJW 1992, 501 für ein Jurastudium im Anschluss an eine Banklehre; BGH 7.6.1989 – IVb ZR 51/88 – NJW 1989, 2253. 89

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Beendigung dieser Gesamtausbildung greift der Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung95 und erst nach Beendigung der Gesamtausbildung endet die Unterhaltspflicht – nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit. Lediglich der Rang der Kindesunterhaltspflicht im Mangelfall ändert sich also, sobald das Kind älter als 21 Jahre ist: Nach § 1609 Nr. 2 und Nr. 3 BGB gehen nun Unterhaltspflichten gegenüber Elternteilen/Ehepartnern vor; durch Barunterhalt zu erfüllen (§ 1606 III S. 2 BGB)96 sind die Kindesunterhaltspflichten aber grundsätzlich dennoch. Die bloße Rangänderung hat also außerhalb eines Mangelfalles für die Frage, ob die Eltern weiterhin auf Grund zu leistender Kindesunterhaltspflichten arbeitsrechtlich zu privilegieren sind, keine Bedeutung.97 Gegen die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten gegenüber Kindern über 21 Jahren könnte allerdings sprechen, dass die Förderung einer qualifizierten Ausbildung der Kinder über einen sicheren Arbeitsplatz der Eltern dem Arbeitgeber neben der Förderung der Geburtenerhöhung nicht mehr zuzumuten ist. Gegen diesen Einwand spricht jedoch das gesellschaftliche Interesse an bestmöglichst ausgebildeten Arbeitskräften. Allein die Geburtenrate zu erhöhen, ohne auch eine gute Ausbildung der Kinder zu sichern, ist nicht die Intention der vorliegenden Arbeit. Über einen besser geschützten und finanziell abgesicherten Arbeitsplatz lässt sich ein Studium etc. leichter finanzieren. Ferner profitiert der Arbeitgeber selbst von gut ausgebildetem Nachwuchs, und über den Weg eines verbesserten Kündigungsschutzes und eines verbesserten Abfindungsrechts kann von allen Arbeitgebern ein Beitrag zur Ausbildungssicherung verlangt werden (zur Frage der Zumutbarkeit des verbesserten Arbeitnehmerschutzes S. 217 ff. und S. 227 ff.). Ferner wird für eine Altersgrenze von 21 Jahren angeführt, dass Kinder in diesem Alter in der Regel ihre allgemeine Schulbildung – inklusive Abitur – abgeschlossen hätten, sodass diese grundsätzlich in der Lage seien, sich selbstständig zu finanzieren.98 Mit Ende der allgemeinen Schulausbil95

Perz (2008) S. 225. BGH 17.1.2007 – XII ZR 166/04 – NJW 2007, 1747. 97 Allenfalls kann diese Rangänderung für das Ausmaß der Familienförderung im Konkurrenzverhältnis zweier Arbeitnehmer relevant werden. Etwa wenn in einem Betrieb zwei Arbeitnehmer mit identischen Sozialdaten für eine Kündigung in Betracht kommen; beide haben zwei Kinder, ein Arbeitnehmer ein fünf- und ein siebenjähriges Kind, der andere Beschäftigte zwei studierende Kinder über 21 Jahre. Hier ist der Kollege mit den jüngeren Kindern vorrangig zu schützen. Seine Unterhaltspflichten gegenüber seinen minderjährigen Kindern gehen nach § 1609 BGB vor; er hat bis zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit seiner Kinder einen längeren Zeitraum zu finanzieren und für erwachsene Kinder ist es – etwa im Studium über eine Nebentätigkeit – leichter, ausbleibende Unterhaltszahlungen der Eltern aufzufangen als für minderjährige Kinder. 96

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dung habe eine Übergabe der Kinder an den Arbeitsmarkt stattgefunden, sodass im Folgenden dessen Instrumente griffen; sei es im Extremfall Arbeitslosengeld. Ob und wann tatsächlich ein Schulabschluss erreicht wurde, könne aus Praktikabilitätsgründen für den Arbeitgeber dahingestellt bleiben (zum Argument der Praktikabilität S. 108 ff.); pauschal das Alter von 21 Jahren sei entscheidend.99 Nimmt das Kind nach dem Abitur ein Studium auf, ist es jedoch nicht in der Lage, sich selbstständig zu finanzieren. Die Eltern sind weiterhin für seinen Unterhalt verantwortlich (zum Ausbildungsunterhalt s. gerade oben S. 36 f.), der Arbeitnehmer sichert durch sein Erwerbseinkommen die finanzielle Existenz dieses Kindes ab und ist daher arbeitsrechtlich zu privilegieren. Für eine Altersgrenze von 18 Jahren könnte sprechen, dass dem unterhaltsberechtigten Kind mit Erreichen des 19. Lebensjahres zwei Barunterhaltsschuldner zur Verfügung stehen; wird das Kind volljährig kann dessen Unterhaltsanspruch nicht mehr durch Betreuung erfüllt werden (§ 1606 III S. 2 BGB). Bei zwei Barunterhaltsschuldnern könnte es nicht mehr geboten sein, den Arbeitsplatz eines jeden der beiden Schuldner besonders zu schützen.100 Aus dem Blickwinkel der Motivation zur Familiengründung oder -erweiterung ist es jedoch dienlich als Eltern zu wissen, dass auch die finanzielle Existenz des Kindes über dessen 18. Lebensjahr hinaus durch einen verbesserten Kündigungsschutz und ein verbessertes Abfindungsrecht geschützt wird. Ohnehin könnte die Arbeitslosigkeit eines der beiden Barunterhaltsschuldner nur irrelevant sein, wenn der andere Barunterhaltsschuldner weiterhin erwerbstätig ist und für das Kind finanziell aufkommen kann. Allerdings kann auch der Arbeitsplatz dieses Barunterhaltsschuldners unsicher sein – hier greifen dieselben Argumente, mit denen auch die Berücksichtigung des Doppelverdienstes des anderen Elternteils abgelehnt wird (S. 112). Das Kind ist finanziell besser geschützt, wenn es auf zwei, statt auf einen Barunterhaltsschuldner zurückgreifen kann. Weiterhin ist eine Altersgrenze von 18 Jahren mit den obigen Argumenten gegen eine Altersgrenze von 21 Jahren, erst recht abzulehnen. Entscheidend sind demnach die bestehenden gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten, unabhängig vom Alter und vom Schulabschluss des Kindes.

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Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 292. So auch Strick (2007) S. 79, 93 f.; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 293. 100 Kaiser NZA 2008, 665, 669. 99

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bb) Vertragliche Unterhaltsverpflichtungen Ist der Arbeitnehmer vertraglich zum Kindesunterhalt verpflichtet, ist seine Privilegierung im Kündigungsschutz und im Abfindungsrecht ebenfalls in Erwägung zu ziehen; etwa wenn die Unterhaltspflichten aus §§ 1360 I, 1360a BGB vertraglich auf Stiefkinder erweitert werden101 oder nach langjährigem Zusammenleben mit einem Partner vertraglich Unterhaltsverpflichtungen für dessen Kinder übernommen werden. Auch mit einer freiwilligen Unterhaltsvereinbarung liegt eine bewusste, zu honorierende und abzusichernde Entscheidung zur Übernahme der finanziellen Verantwortung für ein Kind vor. Ziel der vorliegenden Arbeit ist insoweit nicht nur die bloße Erhöhung der Geburtenrate, sondern auch die Förderung einer bestmöglichen Kindheit. Die gesellschaftliche Verantwortung endet nicht mit der Geburt des Kindes (zur Sicherung der Ausbildung bereits S. 37). Weiterhin kann auch das Argument des Vertrages zu Lasten Dritter nicht grundsätzlich gegen die Beachtung von vertraglichen Unterhaltspflichten im Kündigungsrecht vorgebracht werden. Denn die Berücksichtigung von vertraglichen Unterhaltsansprüchen ist mit einer im Arbeitsvertrag – entgegen § 1 I KSchG – individuell vereinbarten Berücksichtigung von einer früheren Betriebszugehörigkeit (etwa in einem anderen Konzernunternehmen) für den Kündigungsschutz und das Abfindungsrecht vergleichbar.102 Auch hier wirkt sich eine vertragliche Vereinbarung u. U. zu Lasten Dritter/zu Lasten der Kollegen aus und dennoch ist diese vertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten nach herrschender Meinung ohne weiteres zulässig.103 Allerdings ist die vertragliche Unterhaltsverpflichtung im Unterschied zu gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten nicht zwingend dauerhaft:104 Zum einen wird die vertragliche Unterhaltsverpflichtung für Stiefkinder meist unter der auflösenden Bedingung des Fortbestehens der Haushaltsgemeinschaft mit dem Ehepartner und dem Stiefkind vereinbart. Da vertragliche Unterhaltsansprüche keiner besonderen Form bedürfen, kann diese auflösende Bedingung auch stillschweigend vereinbart werden.105 Sehr praxisrelevant KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 201. Kaiser FS Birk (2008), S. 283, 294 f. m. w. N. 103 LAG Köln 28.03.2001 – 8 Sa 405/00 – NZA-RR 2002, 85; v. HoyningenHuene/Linck14 (2007) § 1 Rn. 82; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 48; MüKo/ BGB/Hergenröder4 (2002), Band 4, § 1 KSchG Rn. 27 und 37; KR/Etzel8 (2007) § 1 KSchG Rn. 94 ff. und 112. 104 v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 452. 101 102

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ist es daher, dass sich der vertraglich unterhaltsverpflichtete Stiefelternteil von seinem Ehepartner trennt und so die vertragliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Stiefkind erlischt. Zum anderen kann eine Unterhaltsvereinbarung auch aus wichtigem Grund einseitig rückgängig gemacht werden, etwa bei schwerer Erziehbarkeit des Kindes (vgl. zu Pflegeeltern S. 44 ff.).106 Außerdem kann der unterhaltsverpflichtete Vertragspartner bei Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage, etwa durch Arbeitgeberkündigung seines Arbeitsverhältnisses, nach § 313 III BGB vom Unterhaltsvertrag zurücktreten.107 Im Unterschied dazu kann auf gesetzliche Unterhaltsansprüche für die Zukunft108 weder vollumfänglich noch teilweise verzichtet werden (§ 1614 I BGB).109 Vertraglich sind nur Modalitäten wie der Zahlungstermin, die Art der Unterhaltsgewährung, eine Stundung o. ä. festlegbar.110 Hinzukommt, dass diese Möglichkeit der Beendigung der Unterhaltspflichten nach § 313 III BGB eine Privilegierung des Unterhaltsschuldners im Abfindungsrecht und im Kündigungsschutz nach Sinn und Zweck dieses besonderen arbeitsrechtlichen Schutzes verbietet; wer keinen Unterhalt mehr zu zahlen hat, muss auch nicht gesondert geschützt werden. Ferner geht mit der Vereinbarung von vertraglichen Unterhaltspflichten keine Beendigung der Unterhaltspflichten der leiblichen Eltern einher;111 der Fall der zweifachen Unterstützung – eines leiblichen Elternteils und eines vertraglichen Unterhaltsschuldners – ist jedoch zu vermeiden. Auch aus formalen Gründen ist die Berücksichtigung von vertraglichen Unterhaltsansprüchen abzulehnen: Da diese stillschweigend vereinbart werden können und keiner besonderen rechtsgeschäftlichen Form bedürfen (s. oben S. 39 f.), kann etwa allein die langjährig praktizierte Aufnahme des Stiefkindes in das Haus eines Stiefelternteils und der dadurch geschaffene 105 Muscheler FamRZ 2004, 913, 917; Kaiser FS Birk (2008), S. 283, 295; Schwab Familienrecht15 (2007) Rn. 724; Göppinger/Wax/Hoffmann, Unterhaltsrecht9 (2008) Rn. 1399; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 201. 106 von der Weiden FuR 1991, 132, 136; Göppinger/Wax/Hoffmann, Unterhaltsrecht9 (2008) Rn. 1399 m. w. N. 107 Kaiser FS Birk (2008), S. 283, 295; Göppinger/Wax/Hoffmann, Unterhaltsrecht9 (2008) Rn. 1399; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 201. 108 OLG Koblenz 10.02.1987 – 15 UF 781/86 – MDR 1987, 497; Palandt/Diederichsen68 (2009) § 1614 Rn. 3. 109 OLG Naumburg 21.01.2003 – 14 WF 7/03 – NJW-RR 2003, 1089; OLG Köln 30.11.1982 – 4 UF 214/82 – FamRZ 1983, 750; Palandt/Diederichsen68 (2009) § 1614 Rn. 1. 110 Göppinger/Wax, Unterhaltsrecht9 (2008) Rn. 25. 111 Kaiser FS Birk (2008), S. 283, 295; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 201.

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Vertrauenstatbestand zu vertraglichen Unterhaltsansprüchen des Stiefkindes führen (Betreuungsunterhalt, der die tatsächliche Versorgung mit Nahrung, Wohnung, Kleidung und ein kleines Taschengeld deckt).112 Für die Praktizierung des verbesserten Kündigungsschutzes und des verbesserten Abfindungsrechts stellt sich demnach u. U. das Problem der Beweisbarkeit dieser vertraglichen, konkludent geschlossenen Unterhaltspflichten. Gesetzliche Unterhaltspflichten auf Grund der Verwandtschaft nach §§ 1601 ff. BGB und im Rahmen des Familienunterhalts nach §§ 1360, 1360a BGB lassen sich mit einer Geburts- bzw. Adoptionsurkunde nachweisen (zur Feststellung der Unterhaltspflichten S. 115 ff.).113 cc) Zwischenergebnis Allein ausschlaggebend für eine arbeitsrechtliche Privilegierung sind bestehende, gesetzliche Kindesunterhaltspflichten. Von dieser Definition der Familie/der förderungswürdigen Eltern ist im Folgenden auszugehen. Dies bedeutet im Einzelnen: dd) Eltern mit beendeten Kindesunterhaltspflichten Nach obiger Definition der schutzwürdigen Familie unterfallen Eltern, deren Kindesunterhaltspflichten beendet sind – die erwachsenen Kinder versorgen sich mittlerweile selbst –, keinem besonderen Kündigungsschutz und keinem besonderen Abfindungsrecht. Zwar spricht dagegen, dass diese Eltern ihre gesellschaftliche Verantwortung mit ihrem Nachwuchs bereits erfüllt haben und insoweit einen verbesserten arbeitsrechtlichen Schutz verdient hätten.114 Die Eltern mit bereits beendeten Kindesunterhaltspflichten sind im Zeitraum der unterhaltspflichtigen Elternschaft allerdings schon in den Genuss der arbeitsrechtlichen Privilegierung gekommen, sodass es zumutbar ist, sie nun in den nicht mehr privilegierten Gesellschaftsteil der „Älteren“ (s. gleich unten S. 47 ff.) einzuteilen. Es rutscht nun die nächste (Eltern-)Generation in die Privilegierung nach; es liegt ein in sich geschlossenes, faires System vor.115 Weiterhin geht es mit der Absicherung des Arbeitsplatzes nicht um eine vollständige Kompensation der Ausgaben der Eltern für ihr(e) Kind(er), um keine Garantie einer längeren Erwerbstätigkeit 112 Schwab Familienrecht15 (2007) Rn. 724; krit. Göppinger/Wax/Hoffmann, Unterhaltsrecht9 (2008) Rn. 1397; zum Streitstand bereits Conradi FamRZ 1980, 103, 105 ff. 113 Kleinebrink, DB 2005, 2522, 2524; Strick (2007) S. 79, 98 Rn. 70. 114 Für eine Privilegierung der Eltern mit beendeten Unterhaltspflichten Kopke ZPR 2009, 41, 43.

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und damit um keine höhere Rente für Eltern.116 Hauptsächlich die Erfüllung der bestehenden Kindesunterhaltspflichten und somit die finanzielle Existenz des Kindes soll abgesichert werden – aber nur so lange, wie das Kind auf die elterlichen Unterhaltszahlungen angewiesen ist, also noch nicht wirtschaftlich selbstständig ist. ee) Großeltern Mit der obigen Definition von Familie sind auch Großeltern grundsätzlich von der arbeitsrechtlichen Privilegierung ausgeschlossen; sie sind zwar als Verwandte in gerader Linie nach § 1601 BGB unterhaltspflichtig, aber gemäß § 1606 I, II BGB erst, wenn dazwischenstehende Verwandte – die Eltern als vorrangige Unterhaltsschuldner – wegfallen (zur Möglichkeit der Adoption oder der Pflegschaft vgl. unten S. 44 ff.). Treffen Großeltern ausnahmsweise die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten, greifen nach obiger Definition ein verbessertes Abfindungsrecht und ein verbesserter Kündigungsschutz; ihre Privilegierung ist in diesem Fall jedoch auch gerechtfertigt. Zwar haben die Eltern und nicht die Großeltern die zu belohnende Entscheidung für ein (weiteres) Kind getroffen, aber es gilt, die bestehenden gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten generationsübergreifend abzusichern. Denn das Wissen um diese generationsübergreifende, finanzielle Absicherung des Kindes, kann die Entscheidung der Eltern für ein weiteres Kind positiv beeinflussen. ff) Patchwork- und Stiefeltern Ebenso sind Patchwork- und Stiefeltern vom Begriff der Familie nicht umfasst. Beide treffen als Stiefvater oder -mutter sowie als neuer Partner/ neue Partnerin der leiblichen Mutter oder des leiblichen Vaters keine gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind des (Ehe)Partners aus einer früheren Beziehung. Denn in der intakten Ehe verpflichtet der Anspruch auf Familienunterhalt aus §§ 1360, 1360a BGB (§ 5 LPartG) die Eheleute/Lebenspartner nur dazu, den Unterhaltsbedarf der „gemeinsamen“ unterhaltsberechtigten Kinder zu decken; das erfasst die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder nur eines Ehepartners nicht.117 Weiterhin schulden Patchwork- und Stiefeltern auch mangels Verwandtschaft keinen Unter115 Waltermann NZA 2005, 1265, 1269; ders. ZfA 2006, 305, 326. Zu dem Gedanken, dass Jüngere in die Bevorzugung der Älteren und länger Beschäftigten nachrücken vgl. unten S. 99 f. 116 So aber Kopke ZPR 2009, 41, 43. 117 AnwK-BGB/Kaiser (2005) § 1360a Rn. 11 f.

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halt nach §§ 1601 ff. BGB.118 Somit entstehen per Gesetz auch keine durch einen besonderen arbeitsrechtlichen Schutz zu honorierende und abzusichernde Aufwendungen. Damit scheidet etwa der Patchworkvater oder der Stiefvater, der freiwillig Unterhalt leistet (vor allem durch die tatsächliche Versorgung des Kindes mit Lebensmittel, Kleidung, Wohnung sowie durch Betreuungsleistungen) aus. Zwar ist auch ein Stiefelternteil zu Elternzeit und Elterngeld nach dem BEEG berechtigt (§ 1 III S. 1 Nr. 2 BEEG, § 15 I S. 1 Nr. 1b BEEG),119 allerdings ist der unterschiedliche (Gesetzes-)Zweck des BEEG und der arbeitsrechtlichen Privilegierung im Sinne der vorliegenden Arbeit zu beachten: Das BEEG soll dazu beitragen, „dass sich ein Elternteil in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmet“ und dabei durch das BEEG finanziell abgesichert ist. Für Mütter und Väter soll mehr Wahlfreiheit zwischen der Tätigkeit für die Familie und der Erwerbstätigkeit geschaffen werden. Das BEEG würdigt also insbesondere die Betreuungsleistung von Eltern; ihre Erziehungsleistung wird durch das von Steuern finanzierte Elterngeld von der Gemeinschaft anerkannt.120 Dagegen sollen der (verbesserte) Kündigungsschutz und das (verbesserte) Abfindungsrecht die Zukunft von Eltern (finanziell) absichern, so die Zukunftsängste von Eltern verringern und zu einer höheren Geburtenzahl führen (s. oben S. 33 f.).121 Das BEEG verfolgt also eine andere Zielsetzung, aus diesem können hier für die Definition der „Familie“ keine Rückschlüsse gezogen werden. Der Ausschluss von Stief- und Patchworkeltern ist weiterhin dadurch gerechtfertigt, dass diese nicht die Entscheidung für die Geburt des Kindes getroffen haben. Allein die leiblichen Eltern können durch einen in Aussicht gestellten, arbeitsrechtlichen Schutz zu dieser Entscheidung motiviert werden. Zudem soll der Fall der zweifachen Unterstützung – etwa des leiblichen Vaters und des Stiefvaters – vermieden werden (zur Möglichkeit der Adoption durch Stiefeltern vgl. S. 44; rund 55% der im Jahr 2007 adoptierten Minderjährigen wurden von einem Stiefelternteil oder von Verwandten als Kind angenommen122).

Drischmann (2007) S. 265 ff.; Palandt/Brudermüller68 (2009) § 1360a Rn. 2; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 294; krit. zu dieser Unterhaltsrechtssituation Muscheler FamRZ 2004, 913; Peschel-Gutzeit FPR 2004, 47. 119 Rancke (2007) § 1 BEEG Rn. 2 ff. 120 Buchner/Becker8 (2008), Einf. BEEG Rn. 1; BT-Drs. 10/3792 S. 1. 121 In diesem Sinne auch Buchner/Becker8 (2008), Einf. BEEG Rn. 2; BT-Drs. 14/3553 S. 1. 122 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 306 v. 25.08.2008. 118

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A. Einleitung

gg) Adoptiveltern Durch die bestehenden gesetzlichen Unterhaltspflichten (§§ 1751 IV, 1754 I BGB)123 sind Adoptiveltern vom Begriff der Familie umfasst; auch diese können zu einer Adoptiventscheidung durch in Aussichtstellen eines abgesicherten Arbeitsplatzes motiviert werden. Zwar ist die Adoption nicht mit der Geburt eines Kindes und mit der Steigerung der Fertilitätsrate verbunden. Mit den durch die Adoption entstehenden, gesetzlichen Unterhaltspflichten liegt aber eine Entscheidung zur dauerhaften Übernahme der finanziellen Verantwortung für das Kind vor. Diese ist im Sinne einer bestmöglichen Kindheit für jedes Kind zu honorieren und durch einen geschützten Arbeitsplatz abzusichern (zu diesem Aspekt bereits S. 39). Hinzukommt, dass eine Adoption die Unterhaltspflichten der leiblichen Eltern beendet (§§ 1755 I BGB)124 und so die Gefahr der doppelten Privilegierung im Gegensatz zu Stiefelternteilen oder Patchworkfamilien nicht besteht. hh) Pflegeeltern Die Entscheidung zur Übernahme einer Pflegschaft ist zwar nicht mit der Geburt eines Kindes und daher nicht mit der Steigerung der Fertilitätsrate verbunden. Wie gerade hinsichtlich der Adoptiveltern festgestellt, darf es jedoch nicht zu einer bloß zahlenmäßigen Steigerung der Fertilitätsrate kommen, sondern muss auch ein Aufwachsen der Kinder in den bestmöglichen Umständen gefördert werden – etwa in Pflegefamilien. Insoweit wäre also eine Privilegierung der Pflegeeltern angebracht. Diese sind vom Begriff der Familie nach dessen obiger Definition (S. 41) allerdings nicht erfasst (zur Ablehnung der Übernahme der Wertung des § 15 I Nr. 1c BEEG S. 43): Im Unterschied zu Adoptiveltern, aber wie Stief- oder Patchworkeltern, treffen Pflegeeltern keine gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen nach §§ 1601 ff. BGB. Die Pflegeeltern sind faktisch aber nicht rechtlich die Eltern des Pflegekindes.125 Die rechtlichen Befugnisse der Pflegeeltern ergeben sich aus § 1688 BGB; die Verpflichtung zum Kindesunterhalt ist nicht aufgeführt.126 Zwar können den Pflegeeltern mit Zustimmung der Eltern (§ 1630 III S. 2 BGB) über § 1688 BGB hinaus weitergehende Rechte eingeräumt werden, jedoch grundsätzlich nur die Rechte und PflichPalandt/Diederichsen68 (2009) § 1754 Rn. 3; Schlüter Familienrecht12 (2006) Rn. 431. 124 Palandt/Diederichsen68 (2009) § 1755 Rn. 3; Schlüter Familienrecht12 (2006) Rn. 432. 125 Schwab Familienrecht15 (2007) Rn. 594. 126 Palandt/Diederichsen68 (2009) § 1688 Rn. 7 ff. 123

II. Begriffsbestimmungen

45

ten eines Pflegers (§§ 1630 III S. 3, 1909 I BGB), maximal kann die elterliche Sorge insgesamt,127 aber keine Unterhaltspflichten übertragen werden.128 Weiterhin lässt es § 1688 I S. 2 BGB zu, dass die Pflegeeltern die leiblichen Eltern im Namen des Kindes auf Unterhalt verklagen; im Umkehrschluss können auf die Pflegeeltern also keine Unterhaltspflichten zukommen. Eine arbeitsrechtliche Privilegierung ist auf Grund des durch den Träger der Jugendhilfe an die Pflegeeltern gezahlten Pflegegeldes (§ 1688 II BGB i. V. m. § 39 I, II S. 4, V, VI SGB VIII) auch nicht erforderlich: Die Bundesländer setzen das Pflegegeld gestaffelt nach dem Kindesalter und in Anlehnung an die unterhaltsrechtlichen Regelbeträge des BGB fest (§ 39 II SGB VIII). Nach einer Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, beträgt das Pflegegeld für ein Kind unter 7 Jahren 433,– e monatlich, unter 14 Jahren 496,– e und unter 18 Jahren 601,– e.129 Hinzu kommt eine monatliche Aufwandsentschädigung für die Erziehung i. H. v. ca. 200,– e und Sonderleistungen gemäß § 39 III SGB VIII (etwa für die EDV-Ausstattung des Kindes, für ein Fahrrad, ein Moped, den Führerschein, Zuschläge für eine Brille sowie 300,– e pauschal für einen Familienurlaub).130 Damit wird ein staatlich gesicherter, finanzieller Ausgleich für die Pflegschaft gewährleistet und der Kindesunterhalt ist von der Erwerbstätigkeit der Pflegeeltern bereits unabhängig. Die Sorge um die finanzielle Zukunft des Kindes auf Grund der eigenen oder der Arbeitsplatzunsicherheit des Partners (s. oben Abb. 3 S. 23) stellt sich insoweit bei Pflegeeltern nicht. Die Anrechnung des Kindergeldes auf das Pflegegeld (§ 39 VI SGB VIII) stellt dabei keinen derart großen finanziellen Einschnitt dar, dass die Schutzbedürftigkeit der Pflegeeltern im Sinne der vorliegenden Arbeit doch bejaht werden müsste.131 Würden die Pflegeeltern bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses privilegiert, bestünde zudem die Gefahr der Doppelprivilegierung. Denn die ge127

KG Berlin 08.02.2006 – 25 UF 74/05 – FamRZ 2006, 1291. Zur Definition der elterlichen Sorge vgl. § 1626 I BGB. Dabei umfasst der Begriff der Vermögenssorge nicht den Unterhalt des Kindes, sondern meint die Verwaltung des Kindesvermögens (Palandt/Diederichsen68 (2009) § 1626 Rn. 20; AnwK-BGB/Rakete-Dombek1 (2005), Band 4, § 1626 BGB Rn. 12. 129 Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/Winkler (2008) § 39 SGB VIII Rn. 24. 130 Vgl. die Richtlinien des Kreises Alzey-Worms in Rheinland-Pfalz unter: http://www.kreis-alzey-worms.de/verwaltung/ortsrecht/dokumente/50-Pflegegeld_ Vollzeitpflege.pdf. 131 Von einer gleich hohen Schutzbedürftigkeit der leiblichen und der Pflegeeltern auf Grund des zu geringen Pflegegeldes in der Sozialauswahl geht allerdings die Rechtsprechung aus: LAG Schleswig-Holstein 17.12.2008 – 3 Sa 290/08 – BB 2009, 661 [unter Gründe II 2 b dd]. 128

46

A. Einleitung

setzlichen Kindesunterhaltspflichten nach §§ 1601 ff. BGB obliegen bei einer übernommenen Pflegschaft weiterhin den leiblichen Eltern. Das Pflegegeld für die Pflegeeltern (dazu S. 45) ist gegenüber den Unterhaltspflichten der leiblichen Eltern nachrangig (§ 10 I SGB VIII); die leiblichen Eltern sind am Pflegegeld in angemessenem Umfang zu ihrem Einkommen zu beteiligen (§§ 91 I Nr. 5a; 92 I Nr. 5, 93 SGB VIII).132 Ohnehin käme eine arbeitsrechtliche Privilegierung der Pflegeeltern nur in Betracht, wenn eine Vollzeit-Dauerpflegschaft besteht (§ 33 SGB VIII), d.h. die Pflegeeltern als Vormund bestellt werden und die Rückführung des Pflegekindes in die leibliche Familie unterbleibt (§§ 1909 III, 1773 ff. BGB). Nur dann könnte von einer arbeitsrechtlich zu honorierenden Übernahme einer dauerhaften Verantwortung ausgegangen werden. Allerdings ist auch eine solche Dauerpflegschaft nicht unbedingt von Bestand; die Pflegschaft wird ständig vom Jugendamt der jeweiligen Kommune überprüft und kann jederzeit zum Wohl des Kindes beendet werden (§§ 1882 ff. BGB). Die Pflegschaft kann auch auf Wunsch der Pflegeeltern enden, etwa wenn sich diese Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nicht mehr gewachsen fühlen oder es Differenzen und Konflikte zwischen den Pflegeeltern selbst gibt.133 Auch hier besteht also ein relevanter Unterschied zu Adoptiveltern (oben S. 44) und eine Gemeinsamkeit mit Patchwork- und Stiefeltern (oben S. 42 f.), deren Engagement ebenso rein freiwillig und daher jederzeit beendet werden kann (vgl. S. 39 ff.). e) Zwischenergebnis Da es mit Blick auf die historische (oben S. 28 f.), die juristische (oben S. 30 ff.) und die soziologische Bedeutung (oben S. 32 f.) an einer allgemeingültigen, auf die vorliegende Arbeit übertragbaren Definition des Begriffs der „Familie“ fehlt, sind unter dieser im Rahmen eines eigenen Definitionsansatzes alle Eltern(teile) mit bestehenden – nicht nur tatsächlich erfüllten (oben S. 35 f.), gesetzlichen (oben S. 36 ff.) Kindesunterhaltspflichten zu verstehen. Dem Familienbegriff unterfallen also sowohl die klassische Kernfamilie mit Mutter-Vater-Kind(ern) als auch die leiblichen Eltern in Patchworkfamilien, Adoptiveltern, Lebenspartner mit Kindern, al132 Selbst wenn die Pflegschaft durch unterhaltsverpflichtete Personen übernommen wurde (etwa die Großeltern), haben die Unterhaltspflichten Bestand (§ 39 IV S. 4 SGB VIII) und das Pflegegeld an die Großeltern etc. wird um 30% gekürzt (Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching/Winkler [2008] § 39 SGB VIII Rn. 20; MüKo/BGB/Tillmanns5 [2008], Band 8, § 39 SGB VIII Rn. 8). 133 Landesjugendamt Rheinland-Pfalz, Pflegeeltern sein – eine Aufgabe für Sie? (2002), S. 19.

II. Begriffsbestimmungen

47

lein erziehende Frauen und Männer sowie Elternteile, bei denen sich der Nachwuchs nach der Trennung der Eltern nicht mehr aufhält.

2. „Ältere“ Nachfolgend wird häufig zwischen unterstützenswerten Eltern und nicht förderungswürdigen „Älteren“ differenziert. Der Begriff der „Älteren“ kann mangels Altersbegriff in Pädagogik und Soziologie nicht klar definiert werden. Der Alterungsprozess verläuft zu differenziert; zu viele soziale, biologische und psychologische individuelle Faktoren beeinflussen das Altern. So ist auch eine pauschale Koppelung des Alters an die Abnahme der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht geeignet, Beschäftigte als ältere Arbeitnehmer einzugruppieren.134 Zu bedeutend ist etwa das jeweilige Berufsfeld: FlugbegleiterInnen, Servicepersonal in der Gastronomie oder FernsehmoderatorInnen, FußballerInnen135 zählen z. B. früher zu älteren Arbeitnehmern als ÄrztInnen (zur Leistungsabnahme bei älteren Arbeitnehmern vgl. unten ab S. 70 ff.). Auch eine juristische Definition des Alters ist nicht zu finden; weder im AGG noch in der RL 2000/78/EG, obwohl das Alter dort als Diskriminierungsmerkmal eine zentrale Rolle spielt.136 Da eine allgemeingültige Definition des „älteren Arbeitnehmers“ damit nicht möglich ist,137 ist auch an dieser Stelle ein eigener Definitionsansatz zu entwickeln und dafür auf das Ziel der vorliegenden Arbeit abzustellen: Um der demografischen Entwicklung in Deutschland mit einer Erhöhung der Geburtenrate entgegen zu treten, sind unterhaltspflichtige Eltern zu unterstützen (s. oben S. 33 f.). Deren verbesserter arbeitsrechtlicher Schutz führt zu einer höheren (finanziellen) Absicherung der Familien. Die Zukunft ist etwas besser zu planen, sodass die Entscheidung für (weitere) Kinder weniger Mutes bedarf, vielmehr zu dieser durch einen verbesserten arbeitsrechtlichen Schutz motiviert wird. Keiner solchen finanziellen und psychischen Unterstützung bedürfen jedoch Kinderlose, denen eine Elternschaft biologisch nicht mehr möglich und deren Familiengründungsphase abgeschlossen ist. Mit Hinblick auf diese Zielsetzung der Arbeit sind damit „Ältere“ als (typischerweise) definitiv kinderlos Bleibende zu definieren. 134 135 136 137

Vgl. Kolhosser (2002) S. 12 ff. Gründinger (2009) S. 205. Scholz (2006) S. 37 f. Kolhosser (2002) S. 11, Fn. 55 m. w. N.

48

A. Einleitung 10

8

Prozent

6

4

2 Geschlecht [1] maennlich

0

[2] weiblich

15

20

25

30

35

40

45

Quelle: SOEP 2001, Berechnungen des DIW Berlin

Abb. 7: Alter von Müttern und Vätern bei Geburt des ersten Kindes138

Eine Differenzierung allein auf Grund der Entscheidung zur Kinderlosigkeit ist durch die unmögliche Überprüfbarkeit und die Revidierbarkeit dieser Entscheidung bis zur biologischen Unmöglichkeit praxisuntauglich. Als Differenzierungskriterium ist daher die typisierte Grenze der Elternschaft heranzuziehen. Diese wird für Frauen mit dem Eintreten der Menopause festgelegt. Schon mit dem Erreichen des 42./43. Lebensjahres endet jedoch die durchschnittliche weibliche Familiengründungs(oder -wachstums)phase; 96% der Frauen bekommen anschließend keinen Nachwuchs mehr (vgl. oben Abb. 7 und Abb. 8 S. 49). Gegen eine spätere Geburt spricht neben dem gesundheitlichen Risiko, dass der Altersanstieg auf Dauer zu einem Lebensstil führt (egozentrisch, freiheitsliebend, unabhängig etc.), der sich mit Kindern nicht mehr vereinbaren lässt.139 Zwar gibt es für die Vaterschaft keine biologische Grenze und es fehlt an umfangreichen Datenerhebungen bezüglich des Alters der Väter bei der Kindesgeburt.140 Aber auch bei Männern ist Nachwuchs nach 138 Schmitt (2004) S. 4 (abrufbar unter: http://www.diw.de/documents/publika tionen/73/diw_01.c.41162.de/diw_rn04-01-34.pdf). 139 Höhn/Ette/Ruckdeschel (2005/2006), S. 20; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Kinderwünsche in Deutschland (2005/2006), S. 20; Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 52.

II. Begriffsbestimmungen

49

Antwort „ja“ in Prozent auf die Frage: „Haben Sie in den letzten drei Monaten ernsthaft über ein (weiteres) Kind nachgedacht?“ Basis: 20- bis 49-jährige Männer und Frauen, die in einer Partnerschaft leben in Prozent 40 35 30 25 20 15 10 5 0 20−24 Jahre

25−29 Jahre

30−34 Jahre Männer

35−39 Jahre

40−44 Jahre

45−49 Jahre

Frauen

Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Generations and Gender Survey 2005

141

Abb. 8: Beschäftigung mit der Kinderfrage beschränkt sich auf fünf Jahre142

Erreichen der Mittvierziger die Ausnahme (s. Abb. 7 S. 48 und Abb. 8 gerade oben).143 Dies ist zum einen durch das typischerweise ähnlich liegende Alter der Partnerin und deren Fertilität (S. 48) begrenzt: Wenn das Kind geboren wird, ist der Vater durchschnittlich drei Jahre älter als die Mutter.144 Zum anderen nimmt auch mit steigendem Alter der Männer deren Fruchtbarkeit deutlich ab – eine Zeugung wird auf jeden Fall unwahrscheinlicher.145 So sind 17,9% der elterngeldberechtigten Männer unter 30 und über 60% der Männer zwischen 30 und 40 Jahren alt.146 Fälle eines „zwei140 Das Statistische Bundesamt lehnt eine solche Datenerhebung im Mikrozensus mit der Begründung der Unsicherheit der Vaterschaft und der daraus resultierenden Ungenauigkeit der Statistik ab. Jede Geburtenstatistik wird allein anhand der Mütter erhoben (vgl. etwa Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 52 f.); dies auch bemängelnd: Rürup/Gruescu (2003) S. 15. 141 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Kinderwünsche in Deutschland (2005/2006), S. 52. 142 Höhn/Ette/Ruckdeschel (2005/2006), S. 48; Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 56 zum Alter der Mutter; auch die Erhöhung der Geburtenrate durch Einführung des neuen Elterngeldes zum 1.1.2007 schlug sich überwiegend bei Frauen zwischen dem 33. und 37. Lebensjahr nieder (BMFSFJ Pressemitteilung Nr. 315/2008 v. 20.8.2008). 143 Schmitt (2004) S. 5. 144 Rürup/Gruescu (2003), S. 16. 145 Schmitt/Winkelmann (2005), S. 5 f.

50

A. Einleitung

ten Frühlings“ des Mannes, wobei die Mutter des Kindes wesentlich jünger ist, bleiben als (ggf. skandalträchtige) Ausnahme länger im Gedächtnis, stellen jedoch eine statistisch zu vernachlässigende Minderheit dar. Die biologische Grenze einer Elternschaft kann für die Abgrenzung von Älteren zu – im Sinne der vorliegenden Arbeit ebenfalls schutzwürdigen (s. oben S. 44) – Adoptiveltern nicht greifen; praktisch ist eine legale Kindesadoption jenseits des 40. Lebensjahres jedoch auch unmöglich.147 Für beide Geschlechter kann mit Erreichen des 50 Lebensjahres vom Abschluss der Familiengründung oder -erweiterung ausgegangen werden. Ab diesem Alter ist in Abgrenzung zu förderungswürdigen (potentiellen) Eltern von älteren Arbeitnehmern zu sprechen. Diesem Ergebnis entspricht auch die Definition älterer Arbeitnehmer durch die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD): „Als alternde oder ältere Arbeitnehmer werden Personen bezeichnet, die in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens stehen, aber das Pensionsalter nicht erreicht haben und noch gesund, d.h. arbeitsfähig sind;“148 praktisch sind dies ArbeitnehmerInnen ab 50 Jahren.149 In diese Richtung ist auch die ursprüngliche Fassung des U.S.-amerikanischen Antidiskriminierungsrechts (Age Discrimination in Employment Act; ADEA) zu verstehen: Danach waren vor Altersdiskriminierungen nur Personen ab dem 40. Lebensjahr geschützt.150 Außerdem wurden im Rahmen des § 128 AFG a. F., der mit dem heutigen § 147a SGB III vergleichbar ist, „Ältere“ vom Gesetzgeber151 und der Rechtsprechung152 als Arbeitnehmer zwischen 55 und 65 Jahren definiert.

146 Statistisches Bundesamt, Öffentliche Sozialleistungen: Statistik zum Elterngeld, Anträge von Januar 2007 bis Juni 2008. 147 Hinman, Als Rentner Eltern werden, NOVO-Magazin Heft 49, Nov./Dez. 2000 (abrufbar unter: http://www.novo-magazin.de/49/novo4920.htm). 148 Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (1967) S. 7. 149 Rheinland-pfälzisches Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit, Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Ziel 2-Gebiet (2004), S. 2 Fn. 1. 150 Fenske (1998) S. 34; Hebel (1992) S. 38. 151 BT-Drs. 7/2484 S. 1: „Grundsätzlich werden daher die 55- bis 65-jährigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als ältere Arbeitnehmer bezeichnet“. 152 BVerfG 23.1.1990 – 1 BvL 44/86, BvL 48/87 – NZA 1990, 161 [unter Gründe C II 1 d cc].

III. Zwischenergebnis/Vorgehensweise

51

3. „Benachteiligung“ und „Diskriminierung“ Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG verbietet nicht jegliche Benachteiligung und Bevorzugung (etwa von Familien bzw. von Älteren). Wie sich aus Art. 3 II S. 1 GG und Art. 3 III S. 1 GG entnehmen lässt, verbietet Art. 3 I GG nur die grundlose, ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.153 Daher wird im Folgenden erst nach Feststellung einer ungerechtfertigten Benachteiligung von einer Diskriminierung gesprochen,154 auch wenn die Begriffe „Benachteiligung“ und „Diskriminierung“ im deutschen Arbeitsrecht sonst teils synonym verwendet werden.155

III. Zwischenergebnis/Vorgehensweise Da die Sicherheit des Arbeitsplatzes die Sicherheit des Einkommens bestimmt und dieses ausschlaggebender Faktor für eine geplante Familiengründung oder -erweiterung ist, ist das Arbeitsrecht in seinen Kernelementen – im Kündigungsschutz und im Abfindungsrecht – auf Familiendiskriminierungen zu untersuchen. Bestehen solche, sind diese durch familienfördernde Maßnahmen zu ersetzen. Der Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz, Erwerbseinkommen, finanzieller Sicherheit und Umsetzung des Kinderwunsches ist zu nutzen: (Potentielle) Eltern sind durch arbeitsrechtliche Reformen zur Familiengründung oder -erweiterung zu motivieren, um so eine Geburtenerhöhung in Deutschland zu erreichen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, dahingehende arbeitsrechtliche Gesetzesreformvorschläge für das deutsche Arbeitsrecht zu unterbreiten. Dafür ist zunächst im zweiten Teil B die momentane arbeitsrechtliche Gesetzeslage für Familien im Bereich des Kündigungsschutzes und des Abfindungsrechts darzustellen: Familiendiskriminierungen durch § 1 III KSchG (B.I. ab S. 53), durch § 622 II BGB (B.II. ab S. 134) oder durch die gesetzlichen Abfindungsregelungen (B.III. ab S. 167). Dazu ist in Anlehnung an die Zwei-Stufen-Prüfung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 I, III GG156 in einem ersten Schritt die in Betracht kommende Benachteiligung aufzuzeigen und jeweils anschließend deren Rechtfertigung zu prüfen. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II – Grundrechte22 (2006) Rn. 428. Dies schlägt sich auch im – an der zweistufigen Prüfung des Art. 3 I GG angelehnten – Aufbau der vorliegenden Arbeit nieder (vgl. zur Vorgehensweise sogleich S. 51 unten). 155 So taucht der Begriff „Diskriminierung“ im AGG selbst nicht auf; dort wird etwa in § 2 AGG stets von (un)zulässigen Benachteiligungen gesprochen. Dennoch ist der Schutz vor „Diskriminierungen“ alleiniger Inhalt des AGG (MüKo/BGB/ Thüsing5 [2007], Band 1/2, § 1 AGG, Rn. 2 ff.). 153 154

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A. Einleitung

Im dritten Teil C werden Lösungsmöglichkeiten zur Beendigung der festgestellten Familiendiskriminierungen erarbeitet: Wie kann die gegebene Situation verändert werden, um zu einer Familienförderung zu gelangen? (C. I.: § 1 III KSchG ab S. 195; C. II.: § 622 II S. 1 BGB ab S. 221; C. III.: § 622 II S. 2 BGB ab S. 235; C. IV.: §§ 1a II und 10 KSchG ab S. 239.) Die gefundenen Gesetzesreformvorschläge werden mit Argumenten untermauert. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit – mit einer wortgenauen Darstellung der erarbeiteten Gesetzesreformvorschläge – befindet sich letztlich in Teil D (ab S. 247).

Epping, Grundrechte3 (2007) Rn. 688 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II22 (2006) Rn. 430. 156

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen Eine Familiendiskriminierung setzt eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Familie voraus (S. 51). Dabei kann die Benachteiligung sowohl unmittelbar als auch mittelbar erfolgen: mittelbare Benachteiligungen kommen im Kündigungsrecht und im Abfindungsschutz vor allem durch die Bevorzugung von Älteren, die kinderlos sind und bleiben oder keine der Fürsorge bedürfende Kinder mehr haben (s. oben S. 47 ff.) in Betracht. Zudem korreliert das Kriterium der Betriebszugehörigkeit mit dem Lebensalter, sodass die Privilegierung von betriebstreuen Arbeitnehmern wiederum zu einem Arbeitnehmerschutz für Ältere führt.1 Auch unter dem Blickwinkel der Betriebszugehörigkeit ist also auf mittelbare Diskriminierungen zu achten.2

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG Kommen für eine betriebsbedingte Kündigung mehrere Arbeitnehmer in Betracht, muss der Arbeitgeber unter allen horizontal vergleichbaren Kollegen eine (soziale) Auswahl nach § 1 III KSchG treffen. § 1 KSchG: Sozial ungerechtfertigte Kündigungen: (3) 1Ist ein Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; . . . (4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. 1

BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 56: „in der Natur der Sache“]; Rieble/Zedler ZfA 2006, 273, 283; Thüsing, Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.06.2007, S. 25; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26c. 2 Thüsing, Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.6.2007, S. 25.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

(5) 1Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatz 2 bedingt ist. 2Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. . . .

Zwar sind nach dem Gesetzeswortlaut des § 1 III KSchG Unterhaltspflichten genauso zu berücksichtigen wie das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit und eine eventuelle Behinderung. Da der Kündigungsschutz des § 1 III KSchG damit auch an die Unterhaltspflichten gegenüber Kindern angelehnt ist, liegt insoweit keine Familienbenachteiligung, sondern ein besonderer Kündigungsschutz für Familien vor. Allerdings überlässt der Gesetzgeber dem kündigenden Arbeitgeber die Gewichtung der vier Sozialdaten, sodass es über die Einräumung dieses gesetzlichen Bewertungsspielraums (zu diesem sogleich unten S. 55) zu einer faktischen Benachteiligung der Familie kommen könnte; schlägt der besondere Kündigungsschutz für (Kindes-)Unterhaltsschuldner nur durch, wenn es im Betrieb keine älteren Kollegen gibt?

1. Überblick: Sozialauswahl Die Sozialauswahl dient „der personellen Konkretisierung der zur Kündigung führenden dringenden betrieblichen Erfordernissen“.3 Die abstrakt weggefallenen Beschäftigungsmöglichkeiten müssen auf die Arbeitnehmer konkretisiert werden; Arbeitsmenge und betriebliche Beschäftigtenzahl müssen (wieder) zur Deckung gebracht werden.4 Entscheidend für diese Konkretisierung ist nicht, wessen Arbeitsplatz auf Grund der Rationalisierungsentscheidung des Arbeitgebers wegfällt, sondern § 1 III KSchG gibt mit vier zwingend zu beachtenden Auswahlkriterien den Rahmen für die konkrete Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers vor: Die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung sind an die vom abstrakten Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten betroffene Gruppe von Arbeitnehmern (den vergleichbaren, d.h. austauschbaren Arbeitnehmern)5 anzulegen. Häufig bedienen sich die Arbeitgeber in der Pra3 BAG 17.9.1998 – 2 AZR 725/97 – AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 19.5.1993 – 2 AZR 584/92 – AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969 [unter Gründe II 3 aa]; 7.2.1985 – BAG 2 AZR 91/84 – AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe IV 3 d bb]. 4 Berkowsky6 (2008) § 7 IV 1, Rn. 19. 5 Vgl. hierzu BAG 7.12.2006 – 2 AZR 748/05 – AP Nr. 88 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 2.3.2006 – 2AZR 23/05 – AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 2.6.2005 – 2 AZR 480/04 – AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 7.2.1985 – 2 AZR 91/84 – AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl;

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

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xis hierfür eines Punkteschemas – gebilligt von der Rechtsprechung: Hinsichtlich der vorgegebenen vier Kriterien werden jedem für die Kündigung in Betracht kommendem Arbeitnehmer Punkte vergeben; je länger die Betriebszugehörigkeit und je höher das Alter, um so mehr Punkte. Die Additionsergebnisse dieser Punkte werden unter den austauschbaren Kollegen verglichen; eine niedrigere Punktzahl bedeutet eine geringe Schutzbedürftigkeit und daher den Vorrang gegenüber den Kollegen bei der betriebsbedingten Kündigung. Für die Gewichtung der vier Auswahlkriterien untereinander steht dem Arbeitgeber dabei nach dem Gesetzeswortlaut („ausreichend berücksichtigt“) ein Bewertungsspielraum zur Verfügung, damit er individuell agieren kann.6 Er kann daher die konkrete Bewertung der Sozialdaten – das Punkteschema – eigenständig oder förmlich in einer Betriebsvereinbarung sowie in einem Tarifvertrag nach § 1 IV KSchG festlegen (s. dazu unten S. 56 ff.). Da das Gesetz dem Arbeitgeber den Beurteilungsspielraum gewährt, sind Gerichte nicht befugt, Punkteschemata zu verfassen.7

2. Punkteschemata in der Sozialauswahl a) Auswertung der Rechtsprechung der letzten 25 Jahre In den letzten Jahren billigte die Rechtsprechung zahlreiche, teils stark differierende Varianten der Sozialdatengewichtung. Das Vorgehen des Arbeitgebers mittels Punkteschemata erachtet die Rechtsprechung als grundsätzlich zulässig, da so eine objektive und durchschaubare Sozialauswahl und damit einhergehend Rechtssicherheit entstehe. Der Arbeitnehmer erkenne, warum bestimmte Personen belastet werden. Dem Einwand, die Auswahl sei unsystematisch oder willkürlich, könne so am ehesten vorgebeugt werden. Der Arbeitgeber binde sich auf diese Weise selbst.8 Über die verschiedenen Punkteschemata der Landesarbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts soll im Folgenden nach der Auswertung von ca. 300 Urteilen der letzten 25 Jahre ein Überblick gegeben werden – mit einem auf die Unterhaltspflichten gerichteten Augenmerk. Da viele Gerichtsurteile KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 614 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 442 ff.; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 349. 6 BAG 6.7.2006 – 2 AZR 442/05 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 69; 17.3.2005 – 2 AZR 4/04 – AP Nr. 71 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 5.2.2002 – 2 AZR 549/01 – AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 7 BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 27. 8 BAG 26.7.2005 – 1 ABR 29/04 – NJW-Spezial 2006, 275; LAG Hamm 21.9.2006 – 8 Sa 437/06 – n. v.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

in Tatbestand und Entscheidungsgründen nicht jegliche Aspekte des angewandten Punkteschemas angeben, treten in der folgenden Darstellung grundsätzlich nur solche Gerichtsentscheidungen auf, aus denen sich die Bewertung von mindestens drei Sozialkriterien ergibt; nur dann kann ein Eindruck von dem Verhältnis der Bewertung der Kriterien untereinander erreicht werden. Weiterhin wurde nachfolgend auf die Wiedergabe der Bewertung der meist nicht zur Debatte stehenden Schwerbehinderung verzichtet. Als zulässig wurden folgende Datengewichtungen beurteilt: Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

BAG 12.3.2009 2 AZR 418/07

1 Pkt. pro Jahr; max. 59 Pkt.

2 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 5 Pkt.; je Kind: 10 (!) Pkt.

LAG Rh.-Pfl. 11.12.2008 10 Sa 383/08

1 Pkt. pro Jahr

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 8 Pkt.; je Kind: 4 Pkt.

BAG 6.11.2008 2 AZR 23/07

Ab dem 18. Jahr: 1,5 Pkt. pro Jahr 1 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 5 Pkt.; je Kind: 7 (!) Pkt.

LAG Ddf 16.04.2008 2 Sa 1/08

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; max. 70 Pkt.

Ehepartner: 2 Pkt.; je Kind: 2 Pkt., wenn es auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist. Ist für das Kind dort nur ein halber Kinderfreibetrag eingetragen, ist dieses Kind nur mit 1 Pkt. zu bewerten.

BAG 17.1.2008 2 AZR 405/06

0,75 Pkt. pro Jahr

1 Pkt. pro Jahr

je Kind: 4 Pkt.; Ehepartner in Steuerklasse I: 4 Pkt.; Steuerklasse II: 8 Pkt.; Steuerklasse III: 8 Pkt.; Steuerklasse IV: 4 Pkt.; Steuerklasse V: 0 Pkt.; Pauschale Besteuerung: 0 Pkt.

LAG Nds 5.10.2007 16 Sa 270/07

Ab dem 18. Jahr: 1,5 Pkt. pro Jahr 1 Pkt. pro Jahr

Ebenso: LAG Nds 16.05.2008 16 Sa 1157/07

Ehepartner: 5 Pkt.; je Kind: 7 Pkt.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

57

Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

BAG 6.9.2007 2 AZR 387/06

1 Pkt. pro Jahr

1 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 4 Pkt.; je Kind: 2 Pkt.

BAG 19.6.2007 2 AZR 304/06

1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; max. 70 Pkt.

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Ehepartner: 4 Pkt.; je Kind: 5 Pkt. (nachweispflichtig); keine Deckelung 5 Pkt. pro Kind pro anerkannter Pflegestufe; max. 15 Pkt.

LAG Hamm 16.5.2007 2 Sa 1830/06

1 Pkt. pro Jahr

1 Pkt. pro Jahr

Je Kind: 4 Pkt.

LAG Berlin 13.4.2007 13 Sa 2208/06

1 Pkt. pro Jahr; max. 50 Pkt.

2 Pkt. pro Jahr

Je Kind: 10 Pkt.; je sonstiger unterhaltsberechtigter Person: 5 Pkt.

BAG 13.3.2007 9 AZR 433/06

Ab dem 20. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; 1 Pkt. pro Jahr; max. 30 Pkt. max. 30 Pkt.

Je Kind: 5 Pkt.; max. 30 Pkt.

BAG 13.03.2007 9 AZR 417/06

30 Jahre: 10 Pkt.

9 Jahre: 9 Pkt.

Je Kind: 10 (!) Pkt.

LAG Hamm 6.12.2006 2 Sa 867/06 Ebenso: 25.10.2006 2 Sa 365/06

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 8 Pkt.; je Kind: 4 Pkt.

BAG 9.11.2006 2 AZR 812/05

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 4 Pkt.; je Kind: 3 Pkt.

BAG 9.11.2006 2 AZR 509/05

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: Ehepartner: 4 Pkt.; 1,5 Pkt. pro Jahr; je Kind: 5 Pkt. ab dem 11. Jahr: max. 55 Pkt. für Kinder 2 Pkt. pro Jahr; max. 75 Pkt.

BAG 6.7.2006 2 AZR 442/05

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: Ehepartner: 4 Pkt.; 1,5 Pkt. pro Jahr; je Kind: 5 Pkt. ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; max. 75 Pkt. (Fortsetzung nächste Seite)

58

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

LAG Köln 2.2.2006 6 Sa 1287/05

1 Pkt. pro Jahr

1 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 4 Pkt.; je Kind: 1 Pkt.

LAG Hamm 21.7.2005 4 Sa 695/05

18. bis 65. Lebensjahr: pro Jahr 1,5 Pkt.

Pro Jahr 1,5 Pkt.

je Kind: 6 Pkt.; Steuerklasse I, unverheiratet: 5 Pkt.; Steuerklasse I, verheiratet: 10 Pkt.; Steuerklasse II, allein erziehend: 10 Pkt.; Steuerklasse III, Hauptverdiener: 10 Pkt.; Steuerklasse IV, V und VI, verheiratet, Zweitverdiener und Nebeneinkommen: 0 Pkt.

LAG Meckl.Vorpommern 24.5.2005 5 Sa 485/04

1 Pkt. pro Jahr

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 4 Pkt.; je Kind: 2 Pkt.

LAG Berlin 5.11.2004 6 Sa 1544/04

1 Pkt. pro Jahr

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 5 Pkt.; je Kind: 5 Pkt.

LAG Hamm 3.8.2004 19 Sa 728/04

12 Pkt. pro Jahr

60 Pkt. pro Jahr

Je unterhaltsberechtigter Person: 60 Pkt.

LAG Berlin 30.6.2004 4 Sa 433/04 Ebenso: 9.7.2004 6 Sa 591/04 Und: 20.8.2004 6Ca 17438/03

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; nur Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bis zum 55. Lebensjahr

Je unterhaltsberechtigter Person: 5 Pkt.

LAG Berlin 10.5.2004 10 Sa 2597/03

Zusätzliche, individuelle Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen über eine Härtefallregelung – auch wenn sich dadurch von Berechnungen anhand des Punkteschemas abweichende Resultate ergeben.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

59

Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

BAG 22.4.2004 2 AZR 244/03

1 Pkt. pro Jahr; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; nur Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bis zum 55. Lebensjahr

je unterhaltsberechtigter Person: 5 Pkt.; allein stehend: 5 Pkt.; verheiratet, Ehepartner ohne Einkommen: 8 Pkt.; verheiratet, Ehepartner mit Einkommen: 0 Pkt.

LAG Meckl.Vorpommern 30.10.2003 1 Sa 262/03

Ab dem 20. Jahr: 1 Pkt. pro Jahr

Pro Jahr 1 Pkt.

je Unterhaltspflicht: 10 (!) Pkt. Damit sei zwar eine hohe Bewertung der Unterhaltspflichten gegeben, diese überschreite jedoch nicht den Ermessensspielraum des Arbeitgebers. Eine Verzerrung zu Lasten älterer oder länger beschäftigter Arbeitnehmer liege nicht vor.

BAG 21.2.2002 2 AZR 581/00

48 Lebensjahre: 38 Pkt.

Pro Jahr 1 Pkt.

Ehepartner: 5 Pkt.; je Kind: 1,5 Pkt.

BAG 23.11.2000 2 AZR 533/99 So schon: LAG Mecklenburg-Vorpommern 29.7.1999 1 Sa 54/99

Bis 20 Jahre: Pro Jahr 1 Pkt. 0 Pkt.; 21–30 Jahre: 1 Pkt. insgesamt; 31–40 Jahre: 3 Pkt. insgesamt; 41–50 Jahre: 6 Pkt. insgesamt; 51–57 Jahre: 8 Pkt. insgesamt; über 57 Jahre: 10 Pkt. insgesamt.

Je unterhaltsberechtigter Person: 3 Pkt.

LAG Hamm 6.7.2000 4 Sa 233/00

Pro Jahr 1 Pkt.

Unterhaltspflicht in Steuerklasse III: 8 Pkt.

LAG Köln 3.5.2000 2 Sa 27200

Pro Jahr 1 Pkt. Pro Jahr 1 Pkt. Alter und Betriebszugehörigkeit wurden minder bewertet, da es um eine Ände-

Pro Jahr 1 Pkt.

Ehepartner mit eigenem Einkommen: 2 Pkt.; Ehepartner ohne eigenes Einkommen: 7 Pkt.; je Kind: 4 Pkt. (Fortsetzung nächste Seite)

60

Entscheidung

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

rungskündigung ging und somit dem Aspekt der schweren Vermittelbarkeit von älteren Arbeitnehmern nicht Rechnung zu tragen sei. LAG Hamm 23.3.2000 4 Sa 1554/99

0–20 Jahre: Pro Jahr 1 Pkt. 0,5 Pkt. pro Jahr; Ab 21 Jahren: 1 Pkt. pro Jahr

Ehepartner: 5 Pkt.; je Kind: 3 Pkt.

Klares Schwergewicht auf den Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern.

BAG 2.12.1999 2 AZR 757/98 LAG Thüringen Ab 21 Jahren: 30.11.1998 pro Jahr 1 Pkt. 8 Sa 366/98

Pro Jahr 1 Pkt.

Je unterhaltsberechtigter Person: 7 Pkt.

LAG Hamm 21.8.1997 4 Sa 166/97 Weiterhin vom Gericht vorgeschlagen:

Ab 25 Jahren: 1 Pkt. pro Jahr

Pro Jahr 2 Pkt.

Je unterhaltsberechtigter Person: 4 Pkt.

Ab 18 Jahren: 1 Pkt. pro Jahr

Pro Jahr 1 Pkt.

Je unterhaltsberechtigter Person: 5 oder 10 Pkt.

BAG 18.1.1990 2 AZR 357/89 Ebenso: 5.12.2002 2 AZR 549/01 Auf dieser Wertung des BAG basieren viele Entscheidungen der LAG z. B.: LAG Nds. 16.8.2002 10 Sa 409/02 und LAG Rh.-Pfl. 8.3.2002 8 Sa 1450/01

Pro Jahr 1 Pkt.; max. 55 Pkt.

Bis 10 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; ab dem 11. Jahr: 2 Pkt. pro Jahr; max. 70 Pkt.

Ehepartner: 8 Pkt.; je Kind: 4 Pkt.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

61

Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

BAG 20.10.1983 2 AZR 211/82

Ab 40 Jahren: 1 Pkt. pro Jahr

Pro Jahr 1 Pkt.

Je unterhaltsberechtigter Person: 1 Pkt.

BAG 24.3.1983 2 AZR 21/82

21–30 Jahre: 1 Pkt. pro Jahr; 31–40 Jahre: 2 Pkt. pro Jahr; 41–50 Jahre: 3 Pkt. pro Jahr; 51–60 Jahre: 5 Pkt. pro Jahr

Pro Jahr 4 Pkt.

Je Kind 5 Pkt.

Als unzulässig erachtet wurden seit 1983 folgende Punkteschemata: Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

LAG BaWü 10.4.2008 11 Sa 80/07

LAG Hamm 21.9.2006 8 Sa 437/06

Bis 20 Jahre: 0 Pkt.; 21–30 Jahre: 1 Pkt. insg.;

Pro Jahr 4 Pkt.

Unterhaltspflichten

Anmerkung

nicht (voll) berufsfähiger Ehepartner: bis zu 10 Pkt.; Alleinstehend (Kinder irrelevant): 5 Pkt.; voll berufsfähiger Ehepartner: 0 Pkt.; je weiterer unterhaltsberechtigter Person (etwa Kind): 7 Pkt.

Sozialauswahl fand in Altersverbänden statt, die nicht i. S. des § 1 III S. 2 KSchG erforderlich waren. Zudem Sozialauswahl ungenügend, weil Betriebszugehörigkeit nicht ausreichend berücksichtigt und Unterhaltspflicht tatsächlich falsch berechnet war. Generelle, schematische Punkteverteilung für Unterhaltspflichten sei in Ordnung.

je unterhaltsberechtigter Person: 5 Pkt.

Lebensalter zu gering bewertet; Unterhaltspflichten in

(Fortsetzung nächste Seite)

62

Entscheidung

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

31–40 Jahre: 2 Pkt. insg.; 41–50 Jahre: 4 Pkt. insg.; 51–55 Jahre: 5 Pkt. insg.; Über 56 Jahre: 5 Pkt. insg.

Anmerkung Ordnung, da 2 Jahre Betriebszugehörigkeit keine geringere Bedeutung als eine Unterhaltsverpflichtung aufwiesen.

BAG 18.10.2006 2 AZR 473/05

Bis 20 Jahre: 0 Pkt.; 21–30 Jahre: 1 Pkt. insg.; 31–40 Jahre: 2 Pkt. insg.; über 50 Jahre: 5 Pkt. insg.

Pro Jahr 5 Pkt.

je unterhaltsberechtigter Person: 5 Pkt.

Lebensalter sei zu gering bewertet: „marginale Berücksichtigung des unterschiedlichen Alters“.

LAG Nürnberg 4.10.2005 6 Sa 263/05

Alter geteilt durch den Faktor 10, d.h. 40 Jahre: 4 Pkt.

Anzahl der Jahre multipliziert mit 3, d.h. 10 Jahre: 30 Pkt.

Anzahl der Unterhaltsberechtigten mal 6, d.h. 2 Kinder = 12 Pkt.

Nicht vom Wertungsspielraum gedeckt, da Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten das Alter drastisch überwiegten.

LAG SachsenAnhalt 23.6.2005 7 Sa 183/05

21–30 Jahre: 1 Pkt. insg.; 31–40 Jahre: 2 Pkt. insg.; 41–50 Jahre: 4 Pkt. insg.; über 50: 5 Pkt. insg.

Pro Jahr 5 Pkt.

Pro unterhaltsberechtigter Person: 5 Pkt.

Die Bewertung der Betriebszugehörigkeit sei im Vergleich zum Alter nicht mehr im Rahmen des § 1 IV KSchG.

LAG Nds. 11.6.2001 5 Sa 1832/00

Pro Jahr 1 Pkt.; ab dem 11. Jahr 2 Pkt.; max. 55 Pkt.

Pro Jahr 1 Pkt.; max. 55 Pkt.

Ehepartner: 8 Pkt.; je Kind: 4 Pkt.

Der Schutz eines älteren Verheirateten stehe in keinem Verhältnis zur erworbenen Betriebsseniorität. Daran ändere auch Art. 6 I GG nichts.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

63

Entscheidung

Alter

Betriebszugehörigkeit

Unterhaltspflichten

Anmerkung

LAG Hessen 24.6.1999 3 Sa 1278/98

21–40 Jahre: 0,5 Pkt. pro Jahr; 51–56 Jahre: 0,2 Pkt. pro Jahr.

Geringere Pkt. ab dem 21. Dienstjahr – ähnlich wie beim Lebensalter.

Lediglich kindergeldberechtigte Kinder werden berücksichtigt. Keine Differenzierung danach, ob der Ehepartner eigenes Einkommen hat.

Dass der Arbeitnehmer bald Ruhegeld beantragen kann, dürfe nicht berücksichtigt werden (§ 41 IV S. 2 SGB VI). Die vorgenommene Beschränkung der Unterhaltspflichten ist dem Gesetz fremd.

Über Jahre kristallisierte sich also in der Praxis eine von der Rechtsprechung anerkannte Punktebewertung heraus, welche nun überwiegend als Grundmodell – mit leichten Variablen – eingesetzt wird: Betriebszugehörigkeit

1 Pkt.

in den ersten 10 Dienstjahren je Beschäftigungsjahr bis zum 55. Lebensjahr; max. 70 Pkt.

2 Pkt.

je Beschäftigungsjahr ab dem 11. Dienstjahr bis zum 55. Lebensjahr; max. 70 Pkt.

Lebensalter

1 Pkt.

je vollendetem Lebensjahr bis zum vollendeten 55. Lebensjahr; max. 55 Pkt.; teils erst Punkte ab dem 25. Lebensjahr; max. 35 Pkt.

Unterhaltsverpflichtungen

zwischen 3 und 6 Pkt.; meist 4 Pkt.

je unterhaltsberechtigtem Kind; teils max. 9 12 Pkt. für die Kinder insgesamt.

zwischen 4 und 8 Pkt.; meist 6 Pkt.

für den unterhaltsberechtigten Ehepartner – Doppelverdienerehe irrelevant.

5 Pkt.

für eine Schwerbehinderung bis 50%

1 Pkt.

je weitere 10% Schwerbehinderung, die über 50% liegt.

Schwerbehinderung

9

ArbG Stuttgart 11.2.2005 – 36 Ca 2336/04 – n. v.

64

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Durch diese große Anzahl sehr differierender, dennoch zulässiger Punkteschemata drängt sich der Eindruck eines „anything goes“ auf.10 Der Spielraum für eine rechtmäßige Sozialauswahl ist sehr weit und die Überprüfung seitens der Gerichte scheint großzügig zu erfolgen. Dies erklärt sich teilweise mit dem häufig stark begrenzten Prüfungsumfang – entweder nach § 1 IV KSchG, nach § 1 V KSchG oder nach § 123 InsO: – Nach § 1 IV KSchG wird die soziale Bewertung der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft, wenn die Gewichtung der Sozialkriterien untereinander vorher in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung festgelegt wurde. Eine fehlerhafte Sozialauswahl liegt in diesen Fällen nur vor, wenn einzelne Daten gar nicht, evident unzureichend oder klar übermäßig berücksichtigt wurden.11 – Werden die auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich benannt, beschränkt § 1 V KSchG sogar die Überprüfung der gesamten Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit – etwa auch die Herausnahme von Leistungsträgern aus der Auswahl nach § 1 III S. 2 KSchG.12 – Nach § 125 I S. 1 Nr. 2 InsO ist auch die Überprüfung der Sozialauswahl in der Insolvenz beschränkt. Ist eine Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) geplant und kam zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich benannt wurden, so ist diese Auswahl hinsichtlich Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten auch nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.13 Ist die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen, reicht ein krasses, offensichtliches Missverhältnis aus, um die vom Arbeitgeber vorgenommene Bewertung für unzulässig zu erklären. 10

Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 311. BAG 5.12.2002 – 2 AZR 697/01 – AP Nr. 60 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B I 3 c aa (1)]; 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – DB 2000, 1338; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 b aa]; Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 13/4612, S. 9; Baeck/Schuster NZA 1998, 1250, 1253; Bader NZA 1996, 1125, 1131. 12 BAG 12.4.2002 – 2 AZR 706/00 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 48; Begründung des RegE zum Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 19.12.2003, BT-Drs. 15/1204, S. 12; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 419; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 989; a. A.: U. Preis NJW 1996, 3369, 3372. 13 BAG 28.8.2003 – 2 AZR 368/02 – AP InsO § 125 Nr. 1; ErfK/Gallner9 (2009) § 125 InsO Rn. 9. 11

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

65

b) Verschwindend geringe Berücksichtigung der Unterhaltspflichten Der Auswertung der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass seit Jahrzehnten zwar pro unterhaltsberechtigter Person für die Sozialauswahl mehrere Punkte vergeben werden.14 Ein Kind zählt mit vier Punkten nach dem gängigen Punkteschema (s. oben Tabelle S. 63) allerdings nur so viel, wie zwei Beschäftigungsjahre (2 Jahre = 2 Punkte). Denn auch für das in dieser Zeit steigende Lebensalter werden Punkte vergeben (2 Jahre = 2 Punkte). Hierzu einige Rechenbeispiele, welche sich an der gängigen, durchschnittlichen Punktebewertung orientieren: • Ein verheirateter (6 Punkte), kinderloser 35-Jähriger (35 Punkte) mit zehn Jahren Betriebszugehörigkeit (10 Punkte) ist laut Punkteverteilung (51 Punkte) schutzwürdiger als ein verheirateter (6 Punkte) 26-Jähriger (26 Punkte), mit 21 Jahren eingestellt (5 Punkte) und Vater zweier Kinder (8 Punkte; insgesamt 45 Punkte). • Ein 45 Jahre alter, kinderloser, unverheirateter Beschäftigter, mit 29 Jahren eingestellt, erhält für sein Alter 45 Punkte und für die sechzehnjährige Betriebszugehörigkeit 22 Punkte (ab dem 11. Jahr pro Beschäftigungsjahr 2 Punkte) – insgesamt 67 Punkte. Eine verheiratete, dreifache Mutter (18 Punkte), 35 Jahre alt (35 Punkte) und ebenfalls mit 29 Jahren eingestellt (6 Punkte), erhält dagegen insgesamt nur 59 Punkte. • Auch die Sozialdaten einer 46 Jahre alten, zweifachen Mutter und einer 54-jährigen, ein Jahr länger im Betrieb beschäftigten, kinderlosen Frau sind als gleich gelagert angesehen worden.15 • In der Rangfolge ganz weit unten ist der/die eine Familie planende, 32 Jahre alte (32 Punkte), mit 28 eingestellte (4 Punkte), verheiratete Beschäftigte (6 Punkte; insgesamt 42 Punkte). Mit dem ersten Kind würde sich an deren/dessen Situation kaum etwas ändern (insgesamt 46 Punkte). Je höher Alter und Betriebszugehörigkeit des/der Kinderlosen, desto auffälligere Diskrepanzen entstehen zu (in der Regel jüngeren) Eltern. Zudem lässt die Rechtsprechung die Kündigung eines Arbeitnehmers, welcher entlassen wurde, obwohl er fünf Sozialpunkte mehr als sein vergleichbarer Kollege hatte, nicht an einer fehlerhaften Sozialauswahl scheitern – ein 14

LAG Hamm 21.8.1997 – 4 Sa 166/97 – n. v.; Etzel, Blick durch die Wirtschaft, F.A.Z. Nr. 203 v. 21.10.1996, S. 10. 15 BAG 9.5.1996 – 2 AZR 438/95 – AP Nr. 79 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe A I 3].

66

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

nach § 1 IV, V KSchG eingeschränkter Prüfungsmaßstab war dabei nicht entscheidend.16 Die (Kindes-)Unterhaltspflichten, meist nicht mit mehr als fünf Punkten bewertet, können auf diesem Weg in der Sozialauswahl sogar vollkommen unberücksichtigt bleiben. Auch im Bewusstsein eines meist angewandten beschränkten Prüfungsmaßstabs (vgl. S. 64) ist festzuhalten, dass Sozialauswahlen in der Vergangenheit kaum an der Bewertung der Unterhaltspflichten scheiterten (s. tabellarische Darstellung oben S. 61 ff.); vielmehr resultierte die Unrechtmäßigkeit meist aus einer mangelhaften Berücksichtigung der Kriterien Lebensalter oder Betriebszugehörigkeit – unbeachtet und kritiklos blieb bislang die geringe Bedeutung der Unterhaltspflichten. Allein das Arbeitsgericht Ludwigshafen17 beurteilte bislang das gängige Punkteschema (s. oben S. 63) auf Grund der Minderbewertung der Unterhaltspflichten als unsozial i. S. des § 1 III KSchG und damit als unvertretbar. Reaktionen der Rechtsprechung und der Literatur auf diese Entscheidung blieben weitgehend aus;18 ein weiterer Beleg für die bislang geringe Bedeutung des Kriteriums der Unterhaltspflichten.

3. Benachteiligung Bestehende Kindesunterhaltspflichten spielen mit meist vier Punkten in der praktischen Sozialauswahl keine, in keinem Fall eine ausschlaggebende Rolle.19 Obwohl die aktuelle Rechtsprechung sowie zahlreiche Literaturstimmen von der Gleichrangigkeit der in § 1 III KSchG genannten Kriterien ausgehen,20 ist ein praktischer Nachrang der Kindesunter16

BAG 31.5.2007 – 2 AZR 218/06 – n. v. [Rn. 53]; LAG Baden-Württemberg 10.4.2008 – 11 Sa 80/07 – n. v., das eine Betriebsvereinbarung, die einen Unterschied von 4 Punkten als unbeachtlich wertet, als rechtmäßig ansah; LAG Köln 14.1.2008 – 14 Sa 1079/07 – n. v. [Rn. 8]; LAG Hamm 16.03.2000 – 4 Sa 747/99 – n. v.: „Trennen bei einer Auswahl anhand einer Punktetabelle den entlassenen Arbeitnehmer und den weiterbeschäftigten Arbeitnehmer nur 5 Sozialpunkte, so kann nicht einmal von einer Fehlerhaftigkeit, geschweige denn von einer groben Fehlerhaftigkeit der getroffenen Sozialauswahl . . . die Rede sein.“; Berscheid AnwBl 1995, 8, 15. 17 ArbG Ludwigshafen 8.2.2005 – Ca 2824/04 – NZA-RR 2005, 423 ff. 18 Allein Ascheid/Oetker bezweifelte unter Hinweis auf das Urteil des ArbG Ludwigshafen, dass die Sozialdaten vom Arbeitgeber in ein billigenswertes Verhältnis gesetzt wurden, wenn die Unterhaltspflicht für ein Kind mit der Berufstätigkeit von zwei Jahren gleich gesetzt wird: ErfK/Ascheid/Oetker7 (2007) § 1 KSchG Rn. 491. In der 9. Auflage des ErfK (2009) ist diese Auffassung bereits nicht mehr zu finden. 19 Perz (2008) S. 216 ff.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

67

haltspflichten gegenüber den Kriterien Betriebszugehörigkeit und Lebensalter festzustellen.21 Eltern werden im Rahmen der Sozialauswahl unmittelbar benachteiligt.22 Hinzukommt, dass die hohe Punktebewertung des Lebensalters Jüngere – darunter typischerweise die Gruppe der Eltern – ebenfalls unmittelbar benachteiligt. Da eine höhere Betriebszugehörigkeit zwingend nur mit einem höheren Lebensalter erreicht werden kann, liegt auch eine mittelbare Benachteiligung der Jüngeren/der Eltern vor.23 Ebenso verhält es sich mit der Berücksichtigung der Schwerbehinderung,24 die auch eher Ältere bevorzugt.25 Der Schutz des § 1 III KSchG kommt somit in der Praxis überwiegend der älteren Generation zu Gute – unabhängig davon, ob Ältere auch Eltern sind. Der Arbeitsplatz von Eltern wird nicht verstärkt geschützt und jüngere, potentielle Familiengründer werden nicht durch eine besser gesicherte Arbeitsstelle in ihrer Entscheidung pro Familie unterstützt. Diese alleinige Bevorteilung der Älteren durch § 1 III KSchG bestätigt der Gesetzgeber in § 1 III S. 2 KSchG selbst, indem er dort dem Arbeitgeber Möglichkeiten einräumt, die strenge Sozialauswahl gegenüber Jüngeren wieder abzuschwächen (zu § 1 III S. 2 KSchG unten S. 219).26 Die Praxisrelevanz dieser Benachteiligung der Jüngeren/der Eltern zeigt sich zum einen darin, dass ca. 2/3 der Arbeitgeberkündigungen aktuell betriebsbedingt erfolgen27 und diese Kündigungsart auch angesichts der seit Herbst 2008 angespannten Wirtschaftssituation künftig nicht an Bedeutung 20 Statt vieler BAG 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B I 2 d aa (1)]; 2.6.2005 – 2 AZR 480/04 – AP Nr. 75 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B I 4 b aa (3)]; 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791; Linck (1990) S. 93. 21 Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Band 2 (1981) S. 728. 22 Für den umgekehrten Fall der mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Lebensalters durch die geringe Gewichtung der Unterhaltspflichten: Schleusener/ Suckow/Voigt2 AGG (2008) § 10 Rn 66. 23 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; LAG RheinlandPfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 56: „in der Natur der Sache“]; Thüsing, Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.06.2007, S. 25; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26 c; Rieble/Zedler ZfA 2006, 273, 283. 24 LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 63]; LAG Niedersachsen 13.7.2007 – 16 Sa 269/07 – LAGE § 2 AGG Nr. 3 [unter Gründe II 1.1.1.4.]; Mohr ZfA 2007, 361, 374. 25 Dreiviertel aller Schwerbehinderten sind älter als 55 Jahre: Statistisches Bundesamt, Schwerbehinderte Menschen, Fachserie 13 Reihe 5.1. (2007), S. 7. 26 Mohr SAE 2007, 353, 360; Thüsing BB 2007, 1506, 1507; Bauer/Krieger NZA 2007, 674 ff. 27 Pfarr/Ullmann/Bradtke/Schneider/Kimmich/Bothfeld, Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, Regam-Projekt (2005), S. 51; Bielenski/ Hartmannf/Pfarr/Seifert AuR 2003, 81, 86.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

verlieren wird.28 Zum anderen verlangt die wirksame, betriebsbedingte Kündigung nur dann keine Sozialauswahl unter den horizontal vergleichbaren Arbeitnehmern, wenn diese alle gekündigt werden und keine Weiterbeschäftigung mehr möglich ist (z. B. vollständige Betriebsschließung).29

4. Rechtfertigung Die festgestellte Ungleichbehandlung von Eltern, Jüngeren sowie Älteren, ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG nur vereinbar, wenn diese durch einen sachlich vertretbaren, nicht sachfremden Differenzierungsgrund gerechtfertigt werden kann.30 Die Rechtsprechung reicht für einen solchen Rechtfertigungsgrund vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung.31 Mehrere rechtfertigende Überlegungen kommen daher in Betracht: a) Normzweck Zunächst könnte der Normzweck des § 1 III KSchG die vorrangige Beachtung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Sozialauswahl rechtfertigen. Die Sozialauswahl dient dem Schutz des Arbeitnehmers (gegenüber seinen sozial stärkeren Kollegen). Da § 1 III KSchG das Sozialstaatsprinzip aus Artt. 20 I, 28 I GG konkretisiert,32 sollen die Arbeitsverhältnisse der schutzwürdigsten Beschäftigten gesichert werden.33 Schutzwürdig ist dabei, 28

Vgl. Pfarr/Ullmann/Bradtke/Schneider/Kimmich/Bothfeld, Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, Regam-Projekt (2005), S. 48 und 55. 29 BAG 27.10.2005 – 8 AZR 568/04 – EzA § 613a BGB 2002 Nr. 42; 7.3.2002 – 2 AZR 147/01 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 116. Erfolgt eine vollständige Betriebsschließung liegt häufig ein Sozialplan gem. § 112 BetrVG vor, so dass es zu Familiendiskriminierungen im Bereich der Abfindungshöhe kommt (s. unten ab S. 167). 30 St. Rspr.: BVerfG 15.7.1998 – 1 BvR 963/94 – BVerfGE 98, 365, 385; 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 158; 13.5.1986 – 1 BvL 55/83 – BVerfGE 72, 141, 150; 15.1.1969 – 1 BvR 723/65 – BVerfGE 25, 101, 105; 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 – BVerfGE 1, 14, 52. 31 Schmidt-Bleibtreu/Klein/Kannengießer (2008) Art. 3 GG11 Rn. 17. 32 BAG 5.12.1994 – 2 AZR 320/94 – AP Nr 66 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe B III 3 d) (4)]; LAG Hessen 22.1.2007 – 17 Sa 1318/06 – n. v. [Rn. 33]; LAG Berlin 10.9.1999 – 19 Sa 737/99 – EzA-SD 1999, Nr 23, 11 [unter Gründe I 2a)]; Gaul NZA 1992, 673, 679. 33 Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 286; APS/Preis2 (2004) Grundlagen A. Rn. 7.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

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wen die von ihm nicht verschuldete Kündigung auf Grund seines persönlichen Status und seines sozialen Umfeldes härter treffen würde als seine Kollegen;34 schutzwürdig ist, wer am meisten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist.35 Im Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander soll (soziale) Gerechtigkeit walten.36 Dies bestätigt auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum Kündigungsschutzgesetz 1951: Das KSchG sieht den Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers als schützenswerte Rechtsgüter an, da diese die Grundlagen der sozialen und wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers bilden. Das KSchG soll dem Arbeitnehmer diese Rechtsgüter in den Grenzen des sozial und wirtschaftlich Vertretbaren sichern.37 Mit diesem Normzweck wird der Sozialauswahl eine zukunftsorientierte Betrachtungsweise zu Grunde gelegt; entscheidend ist, wer auf seinen Arbeitsplatz künftig am stärksten zur Erhaltung seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz angewiesen ist, wie sich der künftige Bedarf des Arbeitnehmers gestaltet.38 Nicht ersichtlich ist, warum zur Bestimmung der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers dann jedoch überwiegend vergangenheitsbezogene Kriterien herangezogen werden – die zurückgelegte Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter (individuell-besitzstandswahrende Betrachtungsweise39) (zu diesem Argument hinsichtlich der zukunftsbezogenen Abfindung vgl. S. 172 ff.). Ausschlaggebend sollten vielmehr die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers sein – aus diesen ergibt sich überwiegend der künftige Bedarf des Arbeitnehmers (zukunftsorientierte Betrachtungsweise40). 34 BAG 5.5.1994 – 2 AZR 917/93 – AP Nr: 23 zu KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl; 7.2.1985 – 2 AZR 91/84 – AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 26.6.1964 – 2 AZR 373/63 – AP Nr. 15 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; 20.1.1961 – 2 AZR 495/59 – AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; Berkowsky6 (2008) § 7 III 2, Rn. 28 f. 35 BAG 4.5.2006 – 8 AZR 299/05 – AP BGB § 613a Nr. 304; 13.6.1986 – 7AZR 623/84 – AP Nr. 13 zu § 1KSchG 1969 Soziale Auswahl; 19.4.1979 – 2 AZR 425/77 – EzA Nr. 11 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; 26.6.1964 – 2 AZR 373/63 – AP Nr. 15 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung [LS 2]; 20.1.1961 – 2 AZR 495/59 – AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 36 Löwisch/Spinner KSchG9 (2004) § 1 Rn. 340. 37 BAG 29.3.1990 – 2 AZR 369/89 – AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [Gründe B II 7 a]; Begründung des RegE des KSchG 1951, RdA 1951, 61, 63. 38 Berkowsky6 (2008), § 7 IX 3, Rn. 163 f. 39 U. Preis (1987) S. 419 ff.; Klassen (2002) S. 13 f. 40 Klassen (2002) S. 13 f. und 15; MünchArbR/Berkowsky2 (2000) Band 2 § 135 Rn. 56.

70

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Die Praxis sieht im Sinne des Normzwecks von § 1 III KSchG ältere, lang beschäftigte Arbeitnehmer als schutzwürdigste Kollegen – gebilligt durch die Rechtsprechung (s. oben S. 56 ff.). Diese höchste Schutzbedürftigkeit der Älteren könnte auf Grund der heutigen gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Verhältnisse jedoch nicht (mehr) der Realität entsprechen. aa) Die Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer (1) Der jüngere Arbeitnehmer als besserer Beschäftigter? Einer größeren Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer entspräche es, wenn der jüngere Beschäftigte objektiv ein „besserer“ Arbeitnehmer wäre. Eine Umfrage unter Personalchefs verschiedener Branchen ergab jedoch, dass ältere Mitarbeiter mehrheitlich als verantwortungsbewusster, sorgfältiger, umsichtiger, erfahrener, qualitätsbewusster, zuverlässiger, pünktlicher, loyaler und umgänglicher als ihre jüngeren Kollegen eingestuft werden.41 Sie besitzen großes praktisches Wissen, sind führungsfähig, diszipliniert und weisen eine bessere Arbeitsmoral auf;42 vor allem die höhere Berufserfahrung hat bei der Weitervermittlung auf dem Arbeitsmarkt besonderen Wert.43 So schätzt die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeber, dass die deutsche Wirtschaft ohne die Erfahrung und das Know-how älterer Arbeitnehmer künftig ihr Wachstum und ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht sichern kann;44 Ältere gelten als Garanten für den Wissenstransfer. Dagegen stellen die geringeren Personalkosten (etwa für die Altersversorgung) für Jüngere kaum einen Pluspunkt dar.45 Auch die Rechtsprechung erkennt diese Argumentation an.46 Weitere Aspekte sprechen gegen die bessere Vermittelbarkeit eines jüngeren Arbeitnehmers: Dem subjektiv höheren Krankheitsrisiko entspricht 41

57 von 88 befragten Unternehmen in Deutschland gaben dies an (Huber/Kistler/Papies [2002] S. 55 f.). 42 Huber/Kistler/Papies (2002) S. 60. 43 Berkowsky6 (2008), § 7 IX 3 b, Rn. 176; Rost ZIP 1982, 1396, 1397; Klassen (2002) S. 17; Wank (1992) S. 123. 44 Lüderitz (2005) S. 23. 45 So schon BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB [unter Gründe B II 6]; für einen Ausgleich des dämpfenden Effekts des Lebensalters durch langjährige Berufserfahrung auch Schneider (2006) S. 27; Huber/Kistler/Papies (2002) S. 7. 46 Mit zunehmendem Alter steigen Qualifikation, sowie menschliche und berufliche Erfahrung gewinnbringend: BAG 12.10.1979 – 7 AZR 959/77 – AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe III 2 a)]; LAG Niedersachsen 13.7.2007 – 16 Sa 269/07 – LAGE § 2 AGG Nr. 3 [unter Gründe 1.1.1.4].

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

71

zum einen kein durchschnittlich höherer Krankenstand älterer Arbeitnehmer. Ältere Beschäftigte waren etwa im Bereich des Handwerks – welches typischerweise einen höheren körperlichen Einsatz verlangt – 2006 durchschnittlich 1,1 mal krank, die unter 30-Jährigen hingegen 1,5 mal; 46% der über 50-Jährigen waren 2006 im Bereich des Handwerks gar nicht krankgeschrieben, von den Jüngeren waren nur 41,8% nicht krankgeschrieben.47 Ältere haben ein geringeres Freizeitunfallrisiko und auch Arbeitsunfälle passieren bei jüngeren, unerfahrenen Mitarbeitern häufiger als bei Älteren.48 Zum anderen greift das Argument der geringeren Restnutzungszeit der Humankapitalinvestition bei Älteren im Zeitalter des schnellen technologischen Wandels kaum noch; es ist von einer generell begrenzten Nutzungsdauer der erworbenen Kenntnisse auszugehen.49 Weiterhin wird ein Kausalzusammenhang zwischen dem kalendarischen Alter und dem Abbau der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit (das „Defizit-Modell“50) seit den späten sechziger Jahren verneint bzw. können evtl. eintretende Leistungseinschränkungen durch andere mit dem Alter wachsende Fähigkeiten – insbesondere intellektuelle Eigenschaften – kompensiert werden;51 von einem Leistungswandel statt einer Leistungsminderung ist auszugehen (s. Abb. 9 S. 72):52 Die Problematik der sich verschlechternden Wahrnehmungsfähigkeit kann etwa durch geeignete Maßnahmen wie Brille, verbesserter beleuchteter Arbeitsplatz, guter Abstand zum PC etc. entschärft, die Abnahme der psychomotorischen Reaktionsfähigkeit durch persönliches Training aufgehalten,53 veraltete Fachkenntnisse und -fähigkeiten durch Weiterbildung ausgeglichen und dem veränderten Lernverhalten älterer Beschäftigter mit didaktischen Mitteln entsprochen werden. Leistungs- und Lernprobleme sind also keine altersbedingten Abbauvorgänge, sondern Resultate von Mängeln der Arbeitsorganisation auf 47 Studie der Innungskrankenkassen zur Arbeitsunfähigkeit im Handwerk, Ältere Arbeitnehmer: Weniger aber länger krank, Ärztliche Praxis v. 23.8.2007 (abrufbar unter: http://www.aerztlichepraxis.de/artikel_politik_krankenkassen_krankenstand_ 1187863523.htm). Wenn ältere Arbeitnehmer erkrankt sind, ist jedoch die Regenerationsphase häufig länger als bei jüngeren Kollegen. 48 Wirtschaftskammer Österreich, Ältere Arbeitnehmer im Betrieb – Das Potenzial des Arbeitsmarktes der Zukunft (2002) S. 4. 49 Kolhosser (2002) S. 41 f. 50 Gründinger (2009) S. 204. 51 Kolhosser (2002) S. 31 und S. 35 ff. 52 BT-Drs. 14/8800 v. 28.3.2002, S. 47 (abzurufen unter: http://dip21.bundes tag.de/dip21/btd/14/088/1408800.pdf); Huber/Kistler/Papies (2002) S. 26; Gründinger (2009) S. 203 ff. 53 Kolhosser (2002) S. 74 f.

72

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Mit steigendem Lebensalter erhöhen sich folgende Fähigkeiten bis zum individuellen Maximum:

Mit steigendem Lebensalter bleiben folgende Fähigkeiten erhalten:

Mit steigendem Lebensalter verringern sich folgende Fähigkeiten:

• • • • •

• Widerstandsfähigkeit gegen physische Dauerbelastungen • Allgemeinwissen • Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung • Aufmerksamkeit • Konzentrationsfähigkeit • Merkfähigkeit (Langzeitgedächtnis) • Widerstandsfähigkeit gegen übliche Belastungen • Lernfähigkeit (unter bestimmten didaktischen 54 Voraussetzungen)

• Muskelkraft • Beweglichkeit • Widerstandsfähigkeit gegen kurzzeitige physische Belastung oberhalb der Dauerbelastungsgrenze • Anpassung an klimatische Umweltbedingungen • Sehvermögen • Hörvermögen • Tastsinn • Geistige Beweglichkeit und Umstellungsfähigkeit • Reaktionsvermögen • Widerstandsfähigkeit gegen hohe psychische Dauerbelastung • Abstraktionsvermögen • Kurzzeitgedächtnis • Risikobereitschaft • Schnelligkeit von Bewegungsabläufen

• •

• • • • • • •



Geübtheit Erfahrung Urteilsvermögen Gesprächsfähigkeit Fähigkeit zum dispositiven Denken Selbstständigkeit Genauigkeit bei geringem Komplexitätsgrad der Aufgabe Fähigkeit zur menschlichen Zusammenarbeit Verantwortungsbewusstsein Zuverlässigkeit Ausgeglichenheit Beständigkeit menschliche Reife/ Weisheit positive Einstellung zur Arbeit und höhere Motivation Sicherheitsbewusstsein

Quelle: Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände

Abb. 9: Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter

Arbeitgeberseite.55 Ältere Arbeitnehmer verlieren nur dann an Flexibilität und Leistungsfähigkeit, „wenn sie lediglich mit Routineaufgaben betraut und mit ihrer Arbeit unterfordert sind“56. Dabei ist es für den Arbeitgeber 54 Arbeitsmarktforschung Rheinland-Pfalz, Bericht Nr. 35 (2004) S. 9; Kolhosser (2002) S. 109 f. 55 Arbeitsmarktforschung Rheinland-Pfalz, Bericht Nr. 35 (2004) S. 9. 56 Gründinger (2009) S. 204.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

73

stets kostenintensiver, neue, unerfahrene Arbeitnehmer einzuarbeiten, als den Arbeitsplatz altersgerecht umzugestalten etc. Selbst wenn die physische Leistungsfähigkeit abnimmt und dem nicht mit geeigneten Maßnahmen entgegen gewirkt werden kann, ist dies in einer immer stärker wissensorientierten Gesellschaft und in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft außerdem zunehmend irrelevant.57 Im Ergebnis kann somit von keiner automatischen, branchenübergreifenden, pauschalen Leistungsabnahme mit zunehmendem Alter gesprochen werden. Dies gaben im Rahmen einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit auch 55% der befragten Personalverantwortlichen an58 und sieht auch die Rechtsprechung so.59 Ältere sind damit objektiv keinesfalls schlechtere Arbeitnehmer,60 sodass deren Chancen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt hiernach nicht schlechter als dieselben der Jüngeren sind. Dies wird dadurch belegt, dass die Erwerbstätigenquote in keiner anderen Altersgruppe so stark gewachsen ist, wie in der Gruppe der 55–64 Jährigen.61 Eine unterschiedliche Schutzbedürftigkeit von älteren und jüngeren Beschäftigten ist insoweit nicht gegeben. (2) Aktuelle Arbeitsmarktlage Auch eine Betrachtung der aktuellen Arbeitsmarktlage führt zu dem Ergebnis, dass ältere Beschäftigte keinen stärkeren Schutz als die Jüngeren bedürfen:62 Die Jahre zwischen 1960 und 1973 werden als Phase der Vollbeschäftigung bezeichnet. Nachdem 1960 mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 8% eine Arbeitslosenquote von 1,3% erreicht worden war, konnte dieser Wert in den 60er Jahren beibehalten werden – allein 1966/67 57

Börsch-Supan, WSI Mitteilungen 8/2006, S. 418. Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Mitteilung aus der Arbeitsmarkt und Berufsforschung Ausgabe 4/2001. 59 LAG Niedersachsen 13.7.2007 – 16 Sa 269/07 – LAGE § 2 AGG Nr. 3 [unter Gründe II 1.1.1.4]; ArbG Osnabrück 5.2.2007 – 3 Ca 724/06 – NZA 626, 629; a. A. BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [Rn. 54], welches sich auf die Systeme der Kranken-, Lebens- und Rentenversicherung beruft, denen jeweils eine Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit mit dem Alter zu Grunde liegen würde. Eine Umstellung dieser Systeme sei noch nicht verlangt worden. 60 Arbeitsmarktforschung Rheinland-Pfalz, Bericht Nr. 35 (2004) S. 5 f. Fn. 17. 61 Puch, STATmagazin Januar 2009, Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer, S. 2; auch SZ v. 16.11.2009, S. 17: „Ältere Arbeitnehmer erobern die Betriebe“; Jahresarbeitsmarktbericht der BA, 56. Jahrgang (2007), S. 91. 62 LAG Bremen 22.11.2006 – 2 Sa 205/06 – AE 2007, 146 [Rn. 88]. 58

74

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen 6.000

5.000

Rezession, Anpassungsprobleme der ostdeutschen Wirtschaft

Bundesgebiet 1 Westdeutschland Ostdeutschland

in Tausend

4.000

3.000

Rezession durch Ölpreiskrise Abbau der Nachkriegsarbeitslosigkeit

2.000

Rezession durch Ölpreiskrise Vollbeschäftigung, zwischenzeitlich milde Rezession

1.000

0 1950 1

1955

1960

1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005 2008

Bundesgebiet: bis 1949 ohne Berlin (West) und Saarland, bis 1958 ohne Saarland, bis 1990 Bundesgebiet West (ohne das Gebiet der ehemaligen DDR).

Quelle: Informationsangebot der Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Abb. 10: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland von 1950 bis 200763

(Konjunktur- und Strukturkrise, „milde Rezession“ s. Abb. 10 oben) stieg die Quote auf 2,1%. Es herrschte ein Arbeitskräftemangel, sodass ausländische „Gastarbeiter“ angeworben werden mussten.64 Dass unter der arbeitsmarktpolitischen Lage in den 70er Jahren allein der ältere Arbeitnehmer als schützenswerter Beschäftigter in Betracht kam, ist verständlich. Von einer problemlosen Eingliederung Jüngerer, kann in der heutigen Phase der Massenarbeitslosigkeit65 im Vergleich zur damaligen Vollbeschäftigung allerdings nicht mehr ausgegangen werden.66 Dies belegt ein Vergleich der Arbeitslosen-67 bzw. der Erwerbslosenquote der verschie63 Abrufbar unter: http://www.pub.arbeitsagentur.de/hst/services/statistik/interim/ analytik/grafikanalysen/jzeitreihen.shtml. 64 Schader Stiftung, Arbeitslosigkeit, http://www.schader-stiftung.de/gesellschaft_ wandel/441.php. 65 Schader Stiftung, Arbeitslosigkeit; http://www.schader-stiftung.de/gesellschaft_ wandel/441.php. 66 Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84 m. w. N. 67 Zur Arbeitslosenquote der verschiedenen Altersgruppen vgl. den Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit 2007, 56. Jahrgang, S. 194. Danach ist der Ar-

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

75

denen Altersgruppen. Dafür sind die absoluten Bevölkerungszahlen einer Altersgruppe zu ermitteln (Addition der männlichen und weiblichen Bevölkerung) und diese zu den Zahlen der Erwerbslosen68 in der jeweiligen Altersgruppe in Beziehung zu setzen (s. Abb. 11 S. 76 ff.). Die Problematik der Arbeitslosigkeit gestaltet sich nach diesen Zahlen eindeutig altersunabhängig, sodass auf Grund des Alters keine unterschiedliche Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer anzunehmen ist.69 Bereits 1990 führte das BAG aus, dass man nicht generell sagen könne, ein 55-jähriger Ingenieur habe beispielsweise im Vergleich zu einem 39-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr.70 Zwanzig Jahre später gilt dies noch mehr.71 Auch Rechtsprechung und Gesetzgeber gehen etwa im Rahmen des § 622 II S. 2 BGB davon aus, dass die jüngere Generation hinsichtlich der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Probleme hat: Die kürzeren Kündigungsfristen für unter 27-Jährige sollen (angeblich) zu deren besseren Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt führen (vgl. unten bei § 622 II S. 2 BGB S. 158).72 Weiterhin sind Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung von Jugendlichen nach § 10 S. 3 Nr. 1 AGG eine zulässige Altersdiskriminierung (zu § 10 S. 3 Nr. 1 AGG unten S. 163 f.); auch dies weist seitens beitslosenbestand der unter 30-Jährigen mit dem der Arbeitnehmer über 55 Jahre zu vergleichen und die Arbeitslosenquote der 40–45-Jährigen ist am höchsten. 68 Erwerbslos sind nach ILO-Definition Personen, die sich in den letzten vier Wochen aktiv um eine Arbeitsstelle bemüht haben und innerhalb von zwei Wochen für die Tätigkeit zur Verfügung stehen. Auf die Arbeitslosenmeldung kommt es nicht an: Eine Tätigkeit von weniger als 15 Wochenstunden ist nach ILO-Definition eine Erwerbstätigkeit; Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 79. Die Aussagekraft von Erwerbslosen- und Arbeitslosenzahlen ist gleichbedeutend, Erwerbslosenzahlen ermöglichen internationale Vergleiche (Erklärung der Berechnung von Arbeitslosenquoten und Bezugsgrößen der BA: http://www.pub.arbeitsagentur.de/ hast/services/statistik/interim/grundlagen/berechnung-aloquote/index.shtml); Hartmann/Riede, Erwerbslosigkeit nach dem Labour-Force-Konzept, Arbeitslosigkeit nach dem SGB: Gemeinsamkeiten und Unterschiede (2005). 69 LAG Bremen 22.11.2006 – 2 Sa 205/06 – AE 2007, 146 [Rn. 88]: „. . . das im Kündigungsschutzgesetz festgelegte Merkmal des Alters im Rahmen der sozialen Auswahl wegen der veränderten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt kein Indikator dafür ist, wie leicht oder wie schwer ein anderer Arbeitsplatz gefunden werden kann. Das Alter eines Arbeitnehmers ist deshalb nicht gleichzusetzen mit sozialer Schutzbedürftigkeit. Arbeitslosigkeit betrifft inzwischen alle Altersgruppen. Jüngere Arbeitnehmer können in diesem Zusammenhang für sich reklamieren, dass sie durch Arbeitslosigkeit in einer ihr weiteres Leben bestimmenden Phase des Aufbaus einer Familie besonders hart getroffen werden.“; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 a cc]. 70 BAG 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – NZA 1990, 729, 730. 71 Kopke, ZRP 2009, 41, 42. 72 LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68].

76

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Jahr

Altersgruppe

Bevölkerung

Erwerbslose

Anteil in %

1999

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.384.000 5.107.000 6.639.000 6.664.000 6.047.000 5.723.000 4.743.000 5.923.000 5.665.000

325.000 390.000 498.000 493.000 465.000 445.000 406.000 801.000 139.000

7,413% 7,637% 7,501% 7,398% 7,690% 7,776% 8,560% 13,524% 2,454%

2000

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.455.000 4.761.000 6.454.000 6.823.000 6.168.000 5.717.000 4.945.000 5.498.000 5.956.000

314.000 318.000 429.000 477.000 427.000 421.000 402.000 658.000 137.000

7,048% 6,679% 6,647% 6,991% 6,923% 7,364% 8,129% 11,968% 2,300%

2001

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.545.000 4.549.000 6.187.000 6.914.000 6.325.000 5.776.000 5.366.000 5.017.000 6.049.000

314.000 327.000 417.000 484.000 449.000 433.000 433.000 587.000 154.000

6,909% 7,188% 6,740% 7,000% 7,099% 7,497% 8,069% 11,700% 2,546%

2002

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.608.000 4.378.000 5.952.000 6.924.000 6.508.000 5.860.000 5.518.000 4.723.000 6.137.000

384.000 353.000 456.000 543.000 524.000 483.000 481.000 512.000 193.000

8,333% 8,063% 7,661% 7,842% 8,052% 8,242% 8,717% 10,841% 3,145%

Abb. 11: Erwerbslosenquote nach Altersgruppen

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG Jahr

Altersgruppe

77

Bevölkerung

Erwerbslose

Anteil in %

2003

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.710.000 4.409.000 5.595.000 6.876.000 6.683.000 5.899.000 5.628.000 4.637.000 5.959.000

457.000 429.000 508.000 602.000 595.000 541.000 555.000 540.000 227.000

9,703% 9,730% 9,080% 8,755% 8,903% 9,171% 9,861% 11,645% 3,809%

2004

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.716.000 4.447.000 5.226.000 6.697.000 6.853.000 6.025.000 5.671.000 4.680.000 5.762.000

511.000 476.000 513.000 613.00 649.000 602.000 600.000 549.000 253.000

10,835% 10,704% 9,816% 9,153% 9,470% 9,992% 10,580% 11,731% 4,391%

2005

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.915.000 4.808.000 5.091.000 6.665.000 7.212.000 6.138.000 5.592.000 4.802.000 4.987.000

529.000 479.000 458.000 547.000 628.000 543.000 527.000 475.000 175.000

10,763% 9,963% 8,996% 8,207% 8,708% 8,847% 9,424% 9,892% 3,510%

2006

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.882.000 4.941.000 4.846.000 6.443.000 7.262.000 6.240.000 5.687.000 5.156.000 4.539.000

455.000 464.000 402.000 503.000 561.000 501.000 503.000 493.000 164.000

9,320% 9,391% 8,296% 7,807% 7,725% 8,016% 8,845% 9,562% 3,613%

(Fortsetzung nächste Seite)

78

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

(Fortsetzung Abb. 11) Jahr

Altersgruppe

Bevölkerung

Erwerbslose

Anteil in %

2007

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.873.000 4.901.000 4.712.000 6.154.000 7.296.000 6.349.000 5.726.000 5.294.000 4.435.000

387.000 396.000 340.000 404.000 467.000 427.000 407.000 428.000 145.000

7,942% 8,080% 7,216% 6,565% 6,401% 6,704% 7,108% 8,085% 3,269%

2008

20 25 30 35 40 45 50 55 60

bis bis bis bis bis bis bis bis bis

unter unter unter unter unter unter unter unter unter

25 30 35 40 45 50 55 60 65

Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

4.878.000 4.948.000 4.683.000 5.822.000 7.233.000 6.572.000 5.837.000 5.402.000 4.363.000

353.000 339.000 307.000 340.000 407.000 381.000 360.000 359.000 125.000

7,237% 6,851% 6,556% 5,840% 5,627% 5,791% 6,168% 6,646% 2,865%

Quelle: GENESIS-Online-Datenbank des Statistischen Bundesamtes, basierend auf dem Mikrozensus Deutschland, Tabelle 12211-0003 (abrufbar unter: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online), Stand vom 23.11.2009.

des Gesetzgebers auf eine Beschäftigungsproblematik unter jüngeren Arbeitnehmern hin.73 Hinzukommt, dass die derzeitige Arbeitslosigkeit nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass in wenigen Jahren auf Grund der demografischen Bevölkerungsentwicklung ein starker Mangel an Arbeitskräften herrschen wird (zur Entwicklung des Erwerbspotentials s. oben S. 17).74 Unterstellt man für Ältere Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, so wird der Arbeitgeber also sowohl auf Grund des Führungskräftemangels75 73 Die Verbesserung der Beschäftigungssituation speziell für jüngere Arbeitnehmer wurde Deutschland von der EU empfohlen (EU-Kommission, Analyse der deutschen Reformprogramme für Wachstum und Beschäftigung [2007] S. 6 [Rn. 19]). 74 Bach/Hummel/Klinger/Spitznagel/Zika IAB-Kurzbericht 20/2009, S. 5; Strybny Anm. zu EuGH 22.11.2005 – C-144/04 – BB 2005, 2748, 2754. 75 Schmitz (2006) S. 22; Klös/Seyda (2007) S. 29, 35 und 37 ff.; Wittkämper/Wilhelm BDA-Spezial zu Personal Heft 11 November 2007 S. II f.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

79

als auch auf Grund des generellen Mangels an Erwerbstätigen76 ältere Arbeitnehmer bei Neueinstellungen berücksichtigen müssen.77 Auch dieser Ausblick steht der hohen Schutzbedürftigkeit der älteren Beschäftigten im Rahmen der Sozialauswahl entgegen. bb) Zwischenergebnis Die generell höhere Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern ist abzulehnen: Die Arbeitslosigkeit erfasst alle Arbeitsgruppen, wobei jüngere Arbeitnehmer für sich reklamieren können, dass sie durch die Arbeitslosigkeit in einer ihr weiteres Leben bestimmenden Phase – dem Aufbau einer Familie – besonders hart getroffen werden.78 Zwar mag es ältere Arbeitnehmer geben, die Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche haben – auch künftig trotz der demografischen Entwicklung; vor allen Dingen in Bereichen der körperlichen Arbeit (der jedoch in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft immer mehr zu vernachlässigen ist, oben S. 73). Ebenso wie es Einzelfälle und kleinere Gruppen von jungen Arbeitnehmern gibt, die sich ihre Stelle auf Grund hervorragender Qualifikationen aussuchen können.79 Jede gesetzliche Regelung muss allerdings notwendigerweise verallgemeinern; generalisierende Betrachtungen sind erforderlich, ebenso wie pauschalisierte Ergebnisse.80 Dabei darf jedoch nicht wie bisher von der kleineren Gruppe der tatsächlich schutzbedürftigeren älteren Arbeitnehmer ausgegangen werden;81 „es geht nicht an, eine größere Zahl von Betroffenen ohne rechtfertigenden Grund stärker zu belasten.“82

76 Exemplarisch: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Den Wandel gestalten (2008); IW/BMFSFJ Triadevergleich (2007), S. 5 ff. 77 Kopke ZRP 2009, 41, 42; BT-Drs. 14/8800 v. 28.3.2002, S. 47, abzurufen unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/088/1408800.pdf. 78 LAG Bremen 22.11.2006 – 2 Sa 205/06 – AE 2007, 146 [Rn. 88]; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 673. 79 Kopke ZRP 2009, 41, 42. 80 St. Rspr. BVerfG 31.5.1988 – 1 BvR 520/83 – BVerfGE 78, 214, 226 f. m.w.N; FG Baden-Württemberg 18.6.2007 – 6 K 425/04 – DStRE 2008, 405: „Der Gesetzgeber darf sich dabei grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen.“ 81 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter C I 4 f]; 2.7.1969 – 1 BvR 669/64 – BVerfGE 26, 265, 275 f. 82 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter C I 4 f]; 15.10.1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39, 50.

80

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Die Arbeitsmarktzahlen rechtfertigen keine vorrangige Berücksichtigung des Lebensalters in der Sozialauswahl für die Gesamtheit der älteren Arbeitnehmer mit dem Hinweis auf deren besondere Schwierigkeiten bei der Stellensuche. Der Normzweck des Schutzes der sozial schwachen Arbeitnehmer gebietet im Zusammenhang mit der momentanen und künftig zu erwartenden Arbeitsmarktsituation keine vorrangige Berücksichtigung des Lebensalters in der Sozialauswahl.83 b) Gesetzesbegründung Auch die Gesetzesbegründung zur Einführung der Sozialauswahl kann die praktische Familienbenachteiligung nicht rechtfertigen. Vorläufer der heutigen Regelung des § 1 III KSchG ist § 13 S. 2 der Demobilmachungsverordnung (DemVO)84 vom 12.2.1920.85 Danach waren „das Lebens- und Dienstalter sowie der Familienstand des Arbeitnehmers derart zu berücksichtigen, dass die älteren eingearbeiteten und diejenigen mit unterhaltsbedürftigen Angehörigen möglichst in ihrer Arbeitsstätte zu belassen sind.“ Zwar wurde damit in § 13 S. 2 DemVO nicht hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Sozialkriterien differenziert, sondern diese wurden vielmehr als gleichrangig verstanden, aber auch eine besondere Familienförderung lässt sich § 13 S. 2 DemVO nicht entnehmen. Dabei ist zu beachten, dass diese ersten Kündigungsbeschränkungen nach Ende des Ersten Weltkrieges zu einem Zeitpunkt erfolgten, als sechs Millionen Arbeitskräfte durch Entlassung aus dem Heeresdienst frei wurden und diese wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern waren.86 Eine Massenarbeitslosigkeit sollte verhindert und zugleich das bestehende Millionenheer mit dieser Rückführung demobilisiert werden.87 Dass auf Grund der damaligen gesellschaftlichen Probleme und Verhältnisse zu Zeiten der Vollbeschäftigung bei der Entwicklung der Sozialauswahl kein Schwerpunkt auf die Familienförderung gelegt wurde, ist offensichtlich – dies war nicht erforderlich. Diese Argumentation ist heute – 80 Jahre später – jedoch nicht mehr zutreffend (s. zur Entwicklung des Arbeitsmarktes oben S. 73 ff.).88

83 84 85 86 87 88

Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3, Rn. 171. RGBl. I, S. 213. Knoll (2001) S. 30; U. Preis (1987), S. 14; Linck (1990) S. 5 f. Göller (1974) S. 52; Knoll (2001) S. 30; Wüllenweber (1965) S. 40. Wüllenweber (1965) S. 40; Hueck/Nipperdey7 (1963) Band I, S. 16. Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3, Rn. 170.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

81

c) § 10 und § 5 AGG Werden Ältere in der Sozialauswahl privilegiert, erfolgt dies zwingend auf Kosten der Jüngeren, die zu Gunsten der Älteren vorrangig betriebsbedingt gekündigt werden.89 Diese Benachteiligung der Jüngeren ist grundsätzlich gemäß §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG unzulässig. Diskriminierungsverbote auf Grund des Alters beinhalten sowohl den Schutz der Jüngeren als auch den Schutz der Älteren.90 Ausnahmsweise könnte die Ungleichbehandlung nach § 10 S. 1 und S. 2 AGG bzw. durch das Regelbeispiel des § 10 S. 3 Nr. 1 AGG zulässig oder durch § 5 AGG als positive Maßnahme gerechtfertigt sein. § 10 AGG Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters: 1

Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. 2Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. 3Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: 1. die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicher zu stellen. . . . § 5 AGG Positive Maßnahmen Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20 benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.

Nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG a. F. durfte das Lebensalter im Rahmen der Sozialauswahl unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigt werden: § 10 AGG a. F. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters: 6. eine Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl anlässlich einer betriebsbedingten Kündigung im Sinne des § 1 KSchG, soweit dem Alter kein genereller Vorrang gegenüber anderen Auswahlkriterien zukommt, sondern die Besonderheiten des Einzelfalls und die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Beschäftigten, insbesondere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheiden.

89 90

Kopke ZRP 2009, 41. Wendeling-Schröder/Stein (2008) § 1 AGG Rn. 66 m. w. N.

82

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Um den Widerspruch zu § 2 IV AGG aufzuheben, wurde diese Regelung aufgehoben (hierzu gleich S. 83). Allein daraus kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass die Berücksichtigung des Alters im Rahmen von § 1 III KSchG keinesfalls mehr zulässig ist;91 dass § 1 III KSchG das Alter als ein Kriterium für die Sozialauswahl nennt, genügt vielmehr als gesetzgeberische Entscheidung.92 Eine korrekte Sozialauswahl ist nun über § 10 und § 5 AGG, anstatt über § 10 S. 3 Nr. 6 AGG zu finden.93 aa) Anwendbarkeit des AGG auf Kündigungen Einer Anwendung des AGG auf § 1 III KSchG steht § 2 IV AGG nicht entgegen. Zwar bestimmt § 2 IV AGG nach seinem Wortlaut, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. § 2 AGG Anwendungsbereich: (4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

Insofern kämen §§ 5, 10 AGG nicht zur Anwendung. Allerdings ist § 2 IV AGG nach der Rechtsprechung94 und der herrschenden Meinung in der Literatur95 europarechtskonform auszulegen,96 sodass Kündigungen an den §§ 1–10 AGG zu messen sind. Berkowsky6 (2008) § 7 IX 2, Rn. 168. KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn 197. 93 Hanau ZIP 2006, 2189, 2192 und 2198; Löwisch BB 2006, 2582 für ein Ergebnis mit dem Inhalt des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG a. F.; Freckmann BB 2007, 1049, 1052. 94 BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361, 367 [Rn. 28 ff.]; LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 61 f.]; LAG Niedersachsen 13.7.2007 – 16 Sa 274/07 – ZIP 2008, 132; AG Osnabrück 5.2.2007 – 3 Ca 724/06 – NZA 2007, 626 ff. [unter Gründe II 2 d aa]. 95 Sagan NZA 2006, 1257; Bauer/Preis/Schunder NZA 2006, 1261; Bayreuther DB 2006, 1842, 1843; Diller/Krieger/Arnold NZA 2006, 887; Wisskirchen DB 2006, 1491, 1495. 96 Zu den Stimmen, die entsprechend der Mangoldentscheidung des EuGH eine (teilweise) Unanwendbarkeit des § 2 IV AGG fordern vgl. BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361, 367 [ab Rn. 31 und Rn. 33]; LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 61] m. w. N.; Bauer/Göpfert/ Krieger2 (2008) § 2 AGG Rn. 60 m. w. N. Auch nach der Mangoldentscheidung ist jedoch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 2 IV AGG vorrangig zu einer Verdrängung des nationalen Rechts durch primärrechtliche Grundsätze. Für eine uneingeschränkte Anwendung des § 2 IV AGG sogar Löwisch BB 2006, 2189, 2190. 91 92

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

83

Hierfür spricht zum einen das Gesetzgebungsverfahren: § 10 S. 3 Nr. 6 und Nr. 7 AGG a. F. (zum Gesetzestext des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG a. F. s. oben S. 81) befassten sich mit der Zulässigkeit von kündigungsschutzrechtlichen Vorgaben nach dem AGG und standen damit im eklatanten Widerspruch zu § 2 IV AGG. Der Gesetzgeber entschied, dass § 10 S. 3 Nr. 6 und Nr. 7 AGG a. F. angesichts des § 2 IV AGG leer liefen und daher als „Bereinigung von Redaktionsversehen“ zu streichen seien;97 § 2 I Nr. 2 AGG und § 10 S. 3 Nr. 1 AGG wurden bewusst belassen,98 obwohl sich beide Normen ebenfalls mit „Entlassungsbedingungen“ beschäftigen.99 Wollte man § 2 IV AGG im Sinne eines gänzlichen Anwendungsausschlusses verstehen, würde damit also unterstellt, das Gesetz träfe in ein und derselben Vorschrift (§ 2 AGG) zwei diametral gegensätzliche Anwendungsbefehle.100 Zum anderen spricht auch die Gesetzesgeschichte für eine Anwendung des AGG auf Kündigungen: Die Richtlinie 2000/78/EG bezieht sich in ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich auf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen101 – dies ergibt sich etwa aus Art. 3 I c) der RL 2000/78/EG.102 Wenn ein Gesetz zur Umsetzung dieser RL eingeführt wird und demnach die Bekämpfung von diskriminierenden Kündigungen bezweckt, kann dieses Gesetz nicht derart ausgelegt werden, dass es die Anwendung der Diskriminierungsverbote auf Kündigungen verbietet.103 § 2 IV AGG verbietet demnach nicht die Anwendung der §§ 1–10 AGG auf Kündigungen, sondern stellt klar, dass das AGG nicht als „zweites Kündigungsrecht“ (§ 134 BGB i. V. m. AGG) neben das bisherige Kündigungsrecht gestellt werden soll:104 Die im nationalen Kündigungsrecht vorgesehenen Rechtsfolgen sind ausreichend105 und die richterrechtlich entwickelten 97 BT-Drs. 16/3007 vom 18.10.2006, S. 22; die Regelungen wurden mit Art. 8 des am 18.10.2006 beschlossenen Entwurfs zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes aufgehoben. 98 Für § 10 S. 3 Nr. 6 und Nr. 7 vgl. BT-Drs. 16/3007 vom 18.10.2006, S. 22. 99 EuGH 11.7.2006 – C-13/05 – [Chacon Navas] NZA 2000, 839. 100 BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361, 367 [Rn. 36]. 101 EuGH 11.7.2006 – Rs. C 13/05 – [Chacon Navas] NZA 2000, 839 [Tz. 36 und 37]; Reichold/Heinrich Anm. zu EuGH 11.7.2006 – Rs C-13/05 – [Chacon Navas] JZ 2007, 196, 197; Benecke (2007) S. 61, 70 f. 102 Löwisch BB 2006, 2582. 103 BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361, 367 [Rn. 37]; Freckmann BB 2007, 1049. 104 BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361, 367 [Rn. 37]; LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 62]; Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 2 AGG Rn. 57 ff.; Bayreuther DB 2006, 1842 f. 105 Vgl. dazu BT-Drs. 16/2022 S. 12; Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 2 AGG Rn. 59; Freckmann BB 2007, 1049, 1050.

84

B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Diskriminierungsverbote (vor allem im Bereich des Sonderkündigungsschutzes), die nicht ohne Weiteres unter § 1 AGG fallen würden (etwa Betriebsräte, Wehrpflichtige), gelten weiter.106 bb) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch § 10 AGG Die Bevorzugung des relativ Älteren – einhergehend mit einer Benachteiligung der Jüngeren – müsste für ihre Rechtfertigung nach § 10 S. 1 und S. 2 AGG i. V. m. § 10 S. 3 Nr. 1 AGG107 ein legitimes Ziel verfolgen sowie objektiv angemessen sein. Auch die Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels müssten erforderlich und angemessen sein.108 Fraglich ist bereits die Verfolgung eines legitimen Ziels mit § 1 III KSchG: Rechtsprechung109 sowie Teile der Literatur erkennen die Bevorzugung der älteren Arbeitnehmer als legitimes Ziel an.110 Ältere Arbeitnehmer hätten wegen ihres Alters typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und seien deshalb besonders zu schützen;111 die Integration der Älteren in den Arbeitsmarkt sei ein allgemeinwohlbezogenes Ziel. Zwar sei diese Betrachtung der Arbeitsmarktlage pauschal und die individuelle Situation des Beschäftigten werde nicht berücksichtigt, allerdings sei dies bei der Berücksichtigung der Arbeitsmarktchancen unvermeidbar.112 Es genüge, wenn man sich an Wahrscheinlichkeiten orientiere und es bestehe unbestritten ein Erfahrungswert, dass mit steigendem Lebensalter die Vermitt106

BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361, 367 [Rn. 39]. Die Einschlägigkeit des Regelbeispiels des § 10 S. 3 Nr. 1 AGG entbindet nicht von einer Prüfung des § 10 S. 1 und S. 2 AGG. Dies ergibt sich aus dem Wort „können“ in § 10 S. 3 AGG anstatt einem „sind“ (Bauer/Göpfert/Krieger2 [2008] § 10 AGG Rn. 25). 108 Wedeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 6 ff.; Däubler/Bertzbach/ Brors2 (2008) § 10 AGG Rn. 20 ff. 109 Vgl. nur BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361; LAG RheinlandPfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v.; LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 65] m. w. N.; Spinner RdA 2008, 153, 156 Fn. 22 m. w. N. zur Rechtsprechung. 110 Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84; Hoyningen-Huene/Linck14 (2007) § 1 KSchG Rn. 923; Waltermann NZA 2005, 1265, 1269; Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 247; Hanau ZIP 2006, 2189, 2198; Rieble/Zedler ZfA 2006, 273, 299; Däubler/Bertzbach/Brors AGG2 (2008) § 10 Rn. 100; Spinner RdA 2008, 153, 156. 111 LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 54]; LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 65 m. w. N. und Rn. 69]. 112 BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [Rn. 46]; LAG RheinlandPfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 54]LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 65] m. w. N.; Annuß BB 2006, 325, 326; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84. 107

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lungschancen auf dem Arbeitsmarkt sinken würden.113 Ferner gebe § 1 III KSchG vier gleichgewichtig zu berücksichtigende Kriterien vor, sodass dem Lebensalter für die Sozialauswahl ohnehin keine ausschlaggebende Bedeutung zukomme.114 Dabei verkennt die Rechtsprechung jedoch, dass der Schutz der Älteren zwar unzweifelhaft ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel darstellen kann,115 dieser Schutz jedoch mangels Schutzbedürftigkeit der Älteren nicht erforderlich ist:116 Heute kann nicht mehr von einer besonderen Vermittlungsschwierigkeit der älteren Arbeitnehmer ausgegangen werden. Die gleichwertige Schutzbedürftigkeit von Älteren und Jüngeren ergibt sich aus den Arbeitsmarktzahlen der letzten Jahre (s. oben S. 73 ff.) und aus der demografischen Entwicklung Deutschlands: Der Arbeitgeber wird in der Zukunft auf Grund des starken Rückgangs der Zahl der potentiell Erwerbstätigen (S. 17) für Neueinstellungen auf ältere Arbeitnehmer zurückgreifen müssen (zu diesem Argument schon S. 78 f.).117 Ferner ist keine typische Leistungsabnahme mit dem Alter festzustellen, bzw. kann dieser entgegengewirkt werden (S. 70 ff.). Dies mag für einige Personen und Tätigkeitsfelder nicht zutreffen, aber auch für diese Argumentation muss eine pauschale Betrachtung genügen, wenn dies umgekehrt für die Behauptung der Schutzbedürftigkeit der Älteren auch ausreichen soll. Dies bestätigen Stimmen in der Literatur, die Ältere nicht pauschal als schutzbedürftiger ansehen, sondern eine Einzelfallabwägung verlangen. Die bisherige lineare Punktevergabe für Lebensalter und Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Sozialauswahl (zum typischen Punkteschema oben S. 63) sei angesichts des Altersdiskriminierungsverbots für Jüngere unzulässig – auch wenn anschließend an die schematische Punktevergabe eine Gesamtabwägung stattfinde.118 Für eine lineare, pauschale Punktevergabe fehle es 113

BAG 6.9.2007 – 2 AZR 387/06 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 169; 19.6.2007 – 2 AZR 304/06 – AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 16; Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 45j; a. A. Annuß BB 2006, 325, 326. 114 BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [Rn. 44 und 47]; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 54]. 115 EuGH 22.11.2005 – C-144/04 – AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG [Rn. 60]. 116 Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662 stellt fest, dass die Chancen der Jüngeren auf dem Arbeitsmarkt jedenfalls nicht schlechter sind als dieselben der Älteren und geht dennoch von dem Schutz der Älteren als legitimes Ziel i. S. des § 10 S. 1, S. 2 AGG aus. 117 Kopke ZRP 2009, 41, 42. 118 Kamanabrou RdA 2007, 199, 202; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662; Annuß BB 2006, 325, 326; Bayreuther DB 2006, 1842, 1845; Temming NZA 2007, 1193, 1197; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2586; v. Hoyningen-Huene/ Linck KSchG14 (2008) § 1 Rn. 938; a. A. für eine Zulässigkeit der bisherigen linea-

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an einem legitimen Ziel. Dies bestätigt § 10 S. 3 Nr. 6 AGG a. F.119 Diese Regelung erlaubte eine Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl, soweit dem Alter kein genereller Vorrang gegenüber anderen Auswahlkriterien zukam, sondern die Besonderheiten des Einzelfalles und die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Beschäftigten, insbesondere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, entschieden.120 Ist auch der Ablehnung der pauschal höheren Schutzbedürftigkeit der Älteren zuzustimmen, so ist die stattdessen in der Literatur geforderte Einzelfallabwägung abzulehnen: Mit dieser wäre die aktuelle Struktur des Arbeitsmarktes, die ausgeübte Tätigkeit und die Region, in welcher der Arbeitnehmer Beschäftigung sucht, einzubeziehen.121 Durch diese weiteren zu beachtenden Kriterien würde die Sozialauswahl für den Arbeitgeber wesentlich erschwert, das Ergebnis derselben unsicher und die Sozialauswahl damit weniger praktikabel.122 Dem steht jedoch das Interesse des Gesetzgebers an einer rechtssicheren Sozialauswahl entgegen; erkennbar an der Einführung der beschränkten Überprüfung der Sozialauswahl gem. § 1 V S. 2 KSchG im Jahr 1996. Stattdessen ist die pauschal hohe Bedeutung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit durch eine Aufwertung der Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl abzubauen (zum eigenen Lösungsvorschlag de lege ferenda vgl. S. 195 ff.). Neben der Schutzbedürftigkeit der Älteren ist auch das Argument abzulehnen, das Lebensalter sei in der Sozialauswahl nur eines von vier gleichrangigen Kriterien, so dass der Schutz der Älteren nicht übermäßig ausren Punkteverteilung: BAG 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – NZA 2007, 549, 552; LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 67 ff.]; LAG Niedersachsen 9.11.2007 – 16 Sa 311/07 – NZA-RR 2008, 348; Löwisch/Röder/Krieger BB 2008, 610, 611; Freckmann BB 2007, 1049, 1052. 119 Wendeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 28; Däubler/Bertzbach/Brors AGG2 (2008) § 10 Rn. 100 m. w. N.; Annuß BB 2006, 325, 326; Spinner RdA 2008, 153, 156; AG Osnabrück 3.7.2007 – 3 Ca 199/07 – NZA 2007, 982, 986; Löwisch/ Röder/Krieger BB 2008, 610, 611; Temming NZA 2007, 1193, 1199; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662. Die Streichung des § 10 S. 3 Nr. 6 a. F. wird teilweise auch so verstanden, dass nun die lineare Bepunktung wie bisher möglich sei: Freckmann BB 2007, 1049, 1052; Mohr ZfA 2007, 361, 377. 120 Der Gesetzgeber entschied, dass § 10 S. 3 Nr. 6 AGG a. F. angesichts des § 2 IV AGG leer liefe und daher zu streichen sei (BT-Drs. 16/3007 vom 18.10.2006, S. 22). 121 Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662; Gaul/Naumann ArbRB 2007, 15, 17. 122 LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 73], welches die Einzelfallbetrachtung als unpraktikabel und rechtsunsicher bezeichnet und statt einer Einzelfallabwägung die Bildung von Altersgruppen in der Sozialauswahl empfiehlt; hierzu vgl. Freckmann BB 2007, 1049, 1052. Fn 28 m. w. N.; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662 Fn 64 m. w. N.

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falle.123 Zwar mag dies den Idealvorstellungen der Rechtsprechung124 und der Literatur125 entsprechen, in der Praxis kommt dem Lebensalter jedoch zum einen selbst hohe Bedeutung zu, zum anderen wird es mittelbar über die mit dem Lebensalter korrelierende Betriebszugehörigkeit berücksichtigt.126 Ebenso bevorzugt auch die Berücksichtigung der Schwerbehinderung eher ältere Arbeitnehmer;127 die Unterhaltspflichten, die ein mögliches Gegengewicht zur Bevorzugung der Älteren darstellen könnten, werden kategorisch unterbewertet (s. oben S. 66 f.). Letztlich ist die Familienförderung mit dem Ziel der Geburtenerhöhung, um die Auswirkungen des demografischen Wandels zu mildern, auf jeden Fall auch i. S. des § 10 S. 1 und S. 2 AGG ein legitimes Ziel der Allgemeinheit128 und keinesfalls kann von einem überwiegenden Interesse am (angeblich legitimen) Schutz der Älteren ausgegangen werden. Eine Rechtfertigung über § 10 AGG scheidet demnach aus; es fehlt mangels Schutzbedürftigkeit der Älteren bereits an einem legitimen Ziel.129 cc) Rechtfertigung durch § 5 AGG Nachdem eine Rechtfertigung der Bevorteilung der Älteren zu Lasten der Jüngeren durch § 10 AGG abzulehnen ist, kommt der subsidiäre Auffangtatbestand des § 5 AGG als Rechtfertigungsgrund in Betracht.130 Die Be123

Zu diesem Argument auch Annuß BB 2006, 325, 326; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84; Kamanabrou RdA 2007, 199, 202. 124 BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [Rn. 47]; 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – NZA 2007, 549 [Rn. 28]; 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 8.8.1985 – 2 AZR 64/84 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 125 HK/Dorndorf4 (2001) § 1 Rn 1065 m. w. N. 126 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; LAG RheinlandPfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 56: „in der Natur der Sache“]; Thüsing, Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.06.2007, S. 25; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26 c; Rieble/Zedler ZfA 2006, 273, 283. 127 LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 63]. 128 In diesem Sinne auch Leuchten NZA 2002, 1254, 1259; Hanau ZIP 2006, 2189, 2198 geht von mindestens gleichwertigen Schutzinteressen der Jüngeren auf Grund der Familiengründung aus. 129 Zu diesem Ergebnis gelangt auch HWK/Quecke3 (2008) § 1 KSchG Rn. 347, weil es weder ein legitimes Ziel noch ein verhältnismäßiges Mittel sei, durch Altersdiskriminierung von der eigentlich gebotenen Sozialauswahl bis zur Grenze der groben Fehlerhaftigkeit abzuweichen (a. A. KR/Pfeiffer8 (2007) AGG Rn. 123). 130 Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 10 und 51; WendelingSchröder/Stein (2008) § 5 AGG Rn. 4 und Rn. 23.

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günstigung der Älteren könnte als positive Maßnahme i. S. des § 5 AGG zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile für diese Personengruppe gerechtfertigt sein.131 § 5 AGG rechtfertigt Maßnahmen, die dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber gesellschaftliche Ungleichheiten beseitigen bzw. zumindest verringern.132 Die Gruppe der Älteren müsste demnach derart faktisch benachteiligt werden, dass eine formale Gleichstellung und Diskriminierungsverbote nicht genügen, um für Ältere annähernd die gleichen Chancen wie für Jüngere (auf dem Arbeitsmarkt) sicherzustellen.133 Ständige, nicht zeitnah abzuschaffende Nachteile der Älteren, die dazu führen, dass diese im Arbeitsleben schlechtere Chancen als Jüngere haben, sind jedoch auf Grund der Arbeitsmarktlage und auf Grund der demografischen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten nicht mehr zu erkennen. Auch wird die demografische Entwicklung künftig dazu führen, dass Arbeitgeber ältere Arbeitnehmer mangels jüngerem, zur Verfügung stehendem Personal bei Neueinstellungen berücksichtigen müssen (vgl. S. 85). Demnach fehlt es an durch positive Maßnahmen i. S. des § 5 AGG zu verhindernden oder auszugleichenden Nachteilen. Zumal positive Maßnahmen nicht im Sinne einer Generationen übergreifenden, gesellschaftlichen Gerechtigkeit auf Nachteile gestützt werden können, die eine frühere Generation von Älteren erlitten hat (etwa die frühere besonders schwere Vermittelbarkeit Älterer); der aktuelle soziale Kontext ist vielmehr ausschlaggebend.134 So verlangen einige Literaturstimmen im Zusammenhang mit § 5 AGG, eine Abschaffung der pauschalen Bevorzugung der Älteren im Rahmen des § 1 III KSchG. Stattdessen soll eine Einzelfallabwä131 MüKo/BGB/Thüsing5 (2007), Band 1/2, § 5 AGG Rn. 22; Bayreuther DB 2006, 1842, 184; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84; Waltermann ZfA 2006, 305, 317 und 322. Zwar wurde § 5 AGG für die Rechtfertigung des § 14 III TzBfG a. F. nicht herangezogen (EuGH 22.11.2005 – C-144/04 – AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG), dies ergibt sich allerdings daraus, dass sich die sachgrundlose Befristung für Ältere, wie sie § 14 III TzBfG vorsah, tatsächlich nicht zweifellos auf die Beschäftigungslage der Älteren positiv auswirkte. Zu viele Faktoren wie die Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes oder die persönliche Situation des Arbeitnehmers beeinflussen zudem die Möglichkeit der befristeten Beschäftigung. Dahingegen steht für die Sozialauswahl zweifellos fest, dass derjenige mit einer höheren Schutzbedürftigkeit für eine Kündigung nicht in Betracht kommt (Bayreuther DB 2006, 1842, 1845 und Wolff BB 2006, Nr. 37, Die erste Seite). 132 St. Rspr. des EuGH, etwa EuGH 11.11.1997 – RS. C-409/95 – NZA 1997, 1337 [Rn. 26]; Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 2; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 83. 133 s. dazu die amtliche Begründung zu § 5 AGG: BT-Drs. 16/1780, S. 23 ff.; MüKo/BGB/Thüsing5 (2007), Band1/2, § 5 AGG Rn. 5; Schneider-Sievers FS Wißmann (2005), S. 588, 595. 134 Wank Beilage NZA Heft 22/2004, S. 16, 24; Sacksofsky ZESAR 2004, 212; Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 22.

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gung erfolgen (zu dieser Einschätzung im Rahmen des § 10 AGG vgl. S. 85 f.). Ergebe diese die konkrete Schutzbedürftigkeit des älteren Arbeitnehmers, sei dessen Bevorzugung nach § 5 AGG gerechtfertigt.135 Solch eine Einzelfallabwägung ist allerdings aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit abzulehnen (s. oben S. 86). Stattdessen ist die pauschal hohe Bedeutung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit durch eine Aufwertung der Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl abzubauen (zu diesem Lösungsvorschlag vgl. unten ab S. 195 ff.).136 Andere Literaturstimmen rechtfertigen im Rahmen des § 5 AGG die Bevorzugung der Älteren dahingehend, dass jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren Arbeitnehmern bei der Sozialauswahl nicht per se keine Chance hätten. Neben dem Lebensalter seien vielmehr noch drei andere Kriterien im Rahmen des § 1 III KSchG zu beachten.137 Die vier Sozialkriterien werden in der Praxis jedoch nicht gleichgewertet. Vielmehr privilegieren Betriebszugehörigkeit und Schwerbehinderung die Älteren mittelbar und eine mögliche Privilegierung der Jüngeren über das Kriterium der Kindesunterhaltspflichten findet nicht statt (s. oben zu § 10 AGG S. 86 f.). Auch § 5 AGG rechtfertigt damit die vorrangige Bedeutung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter im Rahmen des § 1 III KSchG nicht.138 d) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen Für die ausschlaggebende Wirkung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter in der Sozialauswahl könnte die enge Bindung eines stärkeren Arbeitnehmerschutzes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses an diese Kriterien seitens des Gesetzgebers sprechen; für die Unterhaltspflichten ist eine solche gesetzliche Anknüpfung außer in § 1 III KSchG nicht zu finden. Zum einen erhöht sich mit zunehmender Betriebszugehörigkeit der Bestandsschutz: Der Bestandsschutz des KSchG ist an die Erfüllung einer halbjährigen Wartefrist geknüpft (§ 1 I KSchG)139 und Kündigungsfristen 135 Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 247; Waltermann NZA 2005, 1265, 1269; Annuß BB 2006, 325, 326; Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 59 m. w. N. 136 Kopke ZRP 2009, 41, 43. 137 Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84; Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 59. 138 Willemsen/Schweibert NZA 2583, 2586; Löwisch BB 2006, 2582. 139 Für eine Anlehnung der Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG an § 1 I KSchG etwa BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 794: „So wird etwa die besondere Bedeutung der Betriebszugehörigkeit aus §§ 1 I, 9, 10 II KSchG, § 622 II BGB abgeleitet.“

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verlängern sich gemäß § 622 II S. 1 BGB bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.140 Auch ein höheres Lebensalter führt zu größerem Bestandsschutz. Dies folgt aus dem Umkehrschluss des § 622 II S. 2 BGB141 und ist § 622 II S. 1 BGB mittelbar zu entnehmen, da Betriebszugehörigkeit und Lebensalter korrelieren. Die nur sechsmonatige Wartefrist im Rahmen des § 1 I KSchG kann unter dem Aspekt des Lebensalters vernachlässigt werden, da sie altersunabhängig gilt und durch die sechsmonatige Kürze kein hinreichender Bezug zum Merkmal Lebensalter besteht.142 Zum anderen erhöht sich mit steigender Betriebszugehörigkeit und mit einem Lebensalter von mindestens 50 Jahren der Abfindungsanspruch (vgl. §§ 1a II, 10 I, II KSchG; § 113 I a. E. BetrVG).143

140 Für eine Anlehnungen der Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG an § 622 II S. 1 BGB: BAG 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe II 2 c)]; LAG Hamm 3.8.2004 – 19 Sa 728/04 – n. v.; B. Preis DB 1986, 746, 747; Linck (1990) S. 87. 141 Für eine Bewertung des Lebensalters erst ab dem 25. Lebensjahr: BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; mit Hinweis auf § 622 II S. 2 BGB lehnt das LAG Hessen ein Punkteschema ab, welches Arbeitnehmern vom 21. bis zum 40. Lebensjahr mit 0,5 Punkten pro Lebensjahr mehr als doppelt so viel Punkte zubilligte wie Arbeitnehmern vom 51. bis zum 56. Lebensjahr (LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74 ff. Rn. 44); LAG Hamm 21.8.1997 – 4 Sa 166/97 – n. v. Rn. 83; U. Preis (1987), S. 422; B. Preis DB 1986, 746, 747. 142 KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26 b. 143 Für eine Anlehnungen der Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG an §§ 1 a, 10 KSchG: BAG 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – NZA 1990, 729, 733; 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 34 [unter Gründe B II 4 a]; LAG Hamm 3.8.2004 – 19 Sa 728704 – n. v.; LAG Niedersachsen 11.6.2001 – 5 Sa 1832/00 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 37 [Gründe II 3 a cc]; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 76 („Notwendig kohärent mit dem vorgerückten Lebensalter wird das 21. bis 30. Dienstjahr bei der Punktevergabe mit weniger als der Hälfte der Bewertung der Dienstjahre 1 bis 10 berücksichtigt. Auch dies ist allein zur vorbeschriebenen, der Sozialauswahl fremden Zweckverfolgung geschehen und mit klaren gesetzlichen Wertungen (§ 622 II BGB, §§ 1 I, 10 KSchG) sowie mit der rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht zu vereinbaren.“); Wank RdA 1987, 129, 144; U. Preis (1987) S. 422; Rost ZIP 1982, 1396, 1397; B. Preis DB 1986, 746, 747; Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 709, 727; Schiefer NZA-RR 2002, 169, 178. Dabei ist festzuhalten, dass bezüglich § 1a KSchG in der Literatur stets nur auf die Parallelen zu § 10 KSchG, wie es der Gesetzestext selbst handhabt (§ 1a II S. 2 KSchG), hingewiesen wird (Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 404; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1a Rn. 25 ff.; APS/Ascheid2 (2004) § 1a KSchG Rn. 10 und 12; Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3 a, Rn. 173.

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aa) Schutzzweck Diese Koppelung des Arbeitnehmerschutzes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses an Betriebszugehörigkeit und Lebensalter in anderen Normen könnte auf § 1 III KSchG allerdings nur übertragen werden, wenn alle Regelungen denselben Schutzzweck verfolgen und insoweit eine Vergleichbarkeit vorliegt.144 (1) Schutzzweck Sozialauswahl (§ 1 III KSchG) Als Schutzzweck der Sozialauswahl kommt sowohl das Prinzip der Solidarität unter den Arbeitnehmern als auch der Arbeitnehmerschutz in Betracht: Der Solidaritätsgedanke zwischen den Arbeitnehmern wird im Arbeitsrecht sowohl im Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem, als auch innerhalb des Betriebes im Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander angesprochen.145 Beschäftigten werden Einschränkungen im Interesse der Kollegen auferlegt; etwa Kurzarbeit mit entsprechender Lohnverringerung für alle, anstatt Kündigung eines Teils der Belegschaft.146 Um diesem Prinzip des Arbeitsrechts zu dienen, könnte ein sozial weniger schützenswerter Arbeitnehmer seine betriebsbedingte Kündigung im Verhältnis zu einem sozial schützenswerteren Arbeitnehmer in Kauf zu nehmen haben. Diesem Prinzip kann nicht entgegen gehalten werden, dass Solidarität als Zusammengehörigkeitsgefühl von Individuen und Gruppen, welches sich in gegenseitiger Unterstützung und Hilfe äußert, dem Grundgedanken nach nur freiwillig erfolgen kann und keine Anordnung (über § 1 III KSchG) möglich ist.147 Denn mit Einführung des Solidaritätszuschlags zur Einkommenssteuer im Jahr 1991 durch das SolZG ist offensichtlich, dass zumindest der Anschein dieses gesellschaftlichen Verhaltens vom Gesetzgeber angeordnet werden kann. Auch die Pflichtgemeinschaft in Versicherungen der klassischen Risikobereiche (Krankheit, Unfall, Altersvorsorge und Arbeitslosigkeit) in Form einer Gesellschaft des „Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit“ (VVaG), welche das Solidaritätsprinzip institutionalisieren, spricht für die Möglichkeit der Anordnung einer Solidarität. 144 § 4 BurlG knüpft zwar den Urlaubsanspruch an den sechsmonatigen Bestand des Arbeitsverhältnisses, ist aber mangels Regelung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses etwa nicht zu berücksichtigen (Zum Schutzzweck des § 4 BUrlG vgl. Neumann/Fenski, BUrlG9 [2003] § 4 BUrlG Rn. 1). 145 Berger-Delhey ZTR 1989, 349 ff. 146 Kissel (2002) § 24 Rn. 35; Plander ZTR 1989, 135, 140 f. 147 „Solidarität konstituiert sich aus freien Stücken“ (Hondrich/Koch-Arzberger [1994]).

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Dennoch wird der Solidaritätsgedanke im Arbeitsrecht mangels Bestimmtheit und Schärfe des Begriffs abgelehnt; „es handelt sich vielmehr um ein soziologisches Phänomen, aber [um] kein Rechtsprinzip“.148 Ähnlich dem Sozialstaatsprinzip ist darin kein konkretes Gebot enthalten, sondern ein allgemeiner Gedanke, der in Ermessens- und Gestaltungsentscheidungen des Gesetzgebers lediglich einfließen kann.149 So verwarf das BAG die Entwicklung des Arbeitskampfrisikos aus der Solidarität der Arbeitnehmer.150 Die Literatur weist zudem daraufhin, dass dieser Solidaritätsgedanke in die Nähe klassenkämpferischen Denkens führe, wenn man sie über konkrete, nachweisbare Gruppeninteressen hinaus auf die gesamte Arbeitnehmerschaft erstrecke. Diese Idee wurde schon in den 60er Jahren als überholt tituliert.151 Letztlich ist zu beachten, dass der Schutzzweck der Sozialauswahl nur in der Verwirklichung dieses Prinzips liegen könnte, wenn die auswählende Kündigungsentscheidung bei den Arbeitnehmern selbst liegen würde. Nur dann könnten diese Solidarität zeigen und den sozial Stärksten unter ihnen als zu kündigenden Arbeitnehmer bestimmen. Allerdings entscheidet allein der Arbeitgeber über die Sozialauswahl. Die Sozialauswahl folgt also nicht dem Prinzip der Arbeitnehmersolidarität. Sie verfolgt vielmehr Arbeitnehmerschutz (gegenüber den sozial stärkeren Kollegen) – sie konkretisiert das Sozialstaatsprinzip aus Artt. 20 I, 28 I GG, in dem der sozial schutzbedürftigste Arbeitnehmer Bestandsschutz erfährt (s. oben zum Normzweck des § 1 III KSchG S. 68 ff.). Die §§ 1–14 KSchG dienen, mit Ausnahme der Abfindungsregelungen in §§ 1a, 9 und 10 KSchG, generell dem Arbeitnehmerschutz.152 (2) Schutzzweck Wartefrist (§ 1 I KSchG) § 1 I KSchG setzt für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des KSchG grundsätzlich die Erfüllung einer sechsmonatigen Wartefrist voraus. Eine solche Frist war im Betriebsrätegesetz vom 4.2.1920 noch nicht vorgesehen und belief sich dann im nachfolgenden AOG vom 20.1.1934 (Ge148

Gamillschegg Band I (1997), § 27 I 1 c) Fn. 17 m. w. N. BVerfG 13.01.1982 – 1 BvR 848/77 – NJW 1982, 1447, 1449. 150 BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79 – DB 1981, 321 [unter Gründe I 2 a 1: „Die Vorstellung der Solidarität aller Arbeitnehmer, unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit und jeder Interessensverschiedenheit, läuft auf eine reine Fiktion hinaus“]; RG 6.2.1923 – III 93/22 – RGZ 106, 272, 275 f. 151 Wiedemann RdA 1969, 321, 326; Raiser (1975) S. 93 f.; Biedenkopf (1970) S. 18 f.; Ballerstedt AuR 1966, 225, 231. 152 v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 4; Löwisch/Spinner9 (2004) Vor § 1 Rn. 1; KDZ/Kittner7 (2008) § 1 KSchG Rn. 3. 149

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setz zur Regelung der nationalen Arbeit) auf ein Jahr. Am 1.9.1969 erhielt § 1 KSchG schließlich den heutigen Wortlaut durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.8.1969 (BGBl. I, 1106).153 Hinsichtlich der Berechnung der Wartezeit ist seitdem auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abzustellen, wohingegen nach der vorherigen Gesetzeslage noch die tatsächliche Beschäftigung ausschlaggebend war.154 Vor der letzten Gesetzesänderung wurde der Sinn und Zweck der Wartefrist unbestritten in der Möglichkeit der Erprobung des Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers gesehen – mithin nicht im Arbeitnehmerschutz.155 Nach der Gesetzesänderung sah die Rechtsprechung den Gesetzeszweck darin, dass der „Arbeitnehmer erst durch eine gewisse Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb oder Unternehmen das Recht auf eine Arbeitsstelle erwerben soll [. . .].“ Die Erprobung des Arbeitsverhältnisses stehe nicht mehr im Vordergrund, da nach der Gesetzesänderung längere Beschäftigungsunterbrechungen den Lauf der Wartefrist nicht mehr hinderten.156 So sei es nach der Gesetzesänderung möglich, ein halbes Jahr beschäftigt zu sein, ohne jemals tatsächlich gearbeitet zu haben – etwa auf Grund einer Krankheit. Das Kennenlernen von Mitarbeiter und Arbeitgeber im Sinne einer Erprobung sei nicht mehr garantiert.157 Dieser Rechtsprechung ist entgegenzuhalten, dass die neue Irrelevanz von Beschäftigungsunterbrechungen für die Erfüllung der Wartefrist den Zweck des § 1 I KSchG nicht beeinflusst:158 Die Gesetzesänderung verfolgt allein eine größere Rechtssicherheit hinsichtlich der Berechnung der Wartefrist, denn das Abstellen auf die tatsächlich ununterbrochene Beschäftigung führte zu großen Praxisproblemen.159 Zudem ist ein Kennenlernen des ArbeitnehMüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 21; v. HoyningenHuene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 80. 154 KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 6. 155 Gesetzesbegründung RdA 1951, 61, 63; „Die Dreimonatsfrist ist zu kurz, um einen Arbeitnehmer kennen zu lernen. . . . Es erscheint daher . . . notwendig, die Frist von drei Monaten auf sechs Monate zu verlängern.“ (Stellungnahme der Bundesrates zum RegE RdA 1951, 178.) 156 BAG 22.5.2003 – 2 AZR 426/02 – AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit [unter Gründe I 2 a]; 20.8.1998 – 2 AZR 83/98 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit [unter Gründe II 1]; 16.2.1995 – 8 AZR 714/93 – NZA 1995, 881, 883; 12.2.1981 – 2 AZR 1108/78 – AP Nr. 1 zu § 5 BAT [unter Gründe II]; 6.12.1976 – 2 AZR 470/75 – AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit [unter 3 a-c der Gründe]; APS/Dörner2 (2004) § 1 KSchG Rn. 22 und 27. 157 BAG 12.2.1981 – 2 AZR 1108/78 – AP Nr. 1 zu § 5 BAT [Gründe II]; 23.9.1976 – 2 AZR 309/75 – AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit [Gründe I 2 c]; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 81; HK/Dorndorf4 (2001) § 1 Rn. 60. 158 KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 6. 153

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mers und eine Einschätzung seiner künftigen Arbeitsleistung im Sinne einer Erprobung des Arbeitsverhältnisses auch bzw. gerade dann möglich, wenn der Beschäftigte nicht tatsächlich arbeitet:160 Einen innerhalb der Wartefrist, etwa auf Grund von Krankheit, oftmals fehlenden Arbeitnehmer wird kein Arbeitgeber als Mitarbeiter weiter beschäftigen wollen.161 Außerdem entspricht es nicht den sonstigen arbeitsrechtlichen Regelungen, dass „der Arbeitnehmer erst durch eine gewisse Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb oder Unternehmen das Recht auf eine Arbeitsstelle [erwirbt].“ Denn unabhängig von der Erfüllung der Wartefrist nach § 1 I KSchG hat der Beschäftigte schon vorher ein Beschäftigungsrecht (und einen Entlohnungsanspruch) aus § 611 BGB162 und seine Kündigung wird seit dem 1. Arbeitstag an §§ 125, 138, 242 BGB i. V. m. Art. 12 I GG gemessen.163 Zudem stünde das angebliche Recht auf einen Arbeitsplatz in keinem Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz, wie sich aus der Unabhängigkeit der Probezeitdauer (nach § 622 III BGB bis zu sechs Monaten) von dem Bestandsschutz des KSchG erkennen lässt.164 Der Zweck des § 1 I KSchG ist also weiterhin in der Möglichkeit der Erprobung des Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers zu sehen. Um die Beschäftigung in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit zu fördern, sollen Arbeitgeber nicht durch einen vom ersten Arbeitstag an greifenden, durch das KSchG erweiterten Kündigungsschutz vor Neueinstellungen abgeschreckt werden.165 159 BAG 22.5.2003 – 2 AZR 426/02 – AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit [unter Gründe I 2 a]; Begründung des RegE zum 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz, BT-Drs. V/3913 Anlage 128, S. 8. 160 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 390. 161 Diesem Ergebnis entspricht BAG 15.3.1978 – 5 AZR 831/76 – DB 1744: „Der Arbeitgeber soll sich in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses darüber schlüssig werden, ob der Arbeitnehmer persönlich und fachlich geeignet ist und die erwarteten Leistungen erbringen kann.“ Auch der 7. Senat spricht – entgegen dem 2. Senat (s. oben Fn. 157) – lediglich von einer Abschwächung des ursprünglichen Gesetzeszwecks (BAG 15.8.1984 – 7 AZR 228/82 – NJW 1985, 2158 f.) und auch der 2. Senat stellt fest, dass die Wartezeit des § 1 I KSchG „gerade dazu da sei, dem Arbeitgeber Gelegenheit zur Überprüfung seiner Einstellungsentscheidung zu gewähren.“ (BAG 1.7.1999 – 2 AZR 926/98 – AP Nr. 10 zu § 242 Kündigung [Gründe II 2 und 5]). Für dieses Ergebnis auch Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 35; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 899. 162 KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 6. 163 BAG 22.5.2003 – 2 AZR 426/02 – AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit [Gründe II 1]; ErfK/Kiel9 (2009) § 13 KSchG Rn. 18 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 13 Rn. 52 ff. und 79 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 899; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 12. 164 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 6.

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Insoweit ist § 1 KSchG über eine Begünstigung des Arbeitgebers durch die Möglichkeit der Erprobung des Arbeitsverhältnisses eine arbeitsmarktregulierende Funktion zuzuschreiben. Ein Schutzgedanke gegenüber dem Arbeitnehmer ist hier im Vergleich zu den anderen genannten Regelungen nicht zu erkennen. (3) Schutzzweck § 1a II und § 10 I, II KSchG § 1a II KSchG gibt die Abfindungsberechnung für den Fall vor, dass der Arbeitnehmer auf seine Klagemöglichkeit gegen die betriebsbedingte Kündigung verzichtet. § 10 I, II KSchG regelt die Abfindungsberechnung für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Gerichtsurteil (ausführlich S. 167 ff.). § 113 BetrVG verweist für die Abfindungsberechnung im Falle eines Nachteilsausgleich auf § 10 KSchG. Zwar kann i. S. des § 1a II KSchG eine anders berechnete, höhere oder niedere Abfindungsvereinbarung geschlossen werden bzw. der Richter zu einer höheren oder niederen Abfindung verurteilen als dies § 10 I, II KSchG vorsieht. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung bestehen jedoch mit § 1a II und § 10 I, II KSchG (im Zusammenhang mit § 9 KSchG und § 113 BetrVG) im Interesse des Arbeitnehmers verschiedene gesetzliche Anspruchsgrundlagen für eine Abfindung. Auch der Schutzzweck eines solchen Anspruchs auf Abfindung ist im Arbeitnehmerschutz zu sehen.166 (4) Schutzzweck § 622 II S. 1 BGB § 622 II S. 1 BGB schränkt mit den Kündigungsfristen und -terminen die Vertragsbeendigungsfreiheit des Arbeitgebers ein. Da aber keine Kündigungsgründe begrenzt, sondern allein die Kündigungsfristen verlängert werden, wird eine Stabilisierung und Fixierung des Arbeitsmarktes über die Erschwerung einer Kündigung nicht angestrebt.167 Die gesicherte Personalplanung des Arbeitgebers kommt nur für die Kündigungsfrist des § 622 I BGB (ausführlicher S. 125 f.) als Gesetzeszweck in Betracht,168 denn § 622 II S. 1 BGB verlängert ausschließlich die Kündigungsfrist des Arbeitgebers und bezweckt daher allein Arbeitnehmerschutz. Dieser Arbeitnehmerschutz ergibt sich auch aus der bloßen Abhängigkeit der verlängerten 165 166 167

v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 81 (Fn. 167) m. w. N. KR/Spilger8 (2007) § 1a KSchG Rn. 10. BAG 25.11.1971 – 2 AZR 62/71 – AP Nr. 11 zu § 622 BGB [unter Gründe

2 d]. 168

MüKo/BGB/Hesse4 (2005), Band 4, § 622 BGB Rn. 3.

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Kündigungsfristen von in der Person des Arbeitnehmers selbst liegenden Gründen (Betriebszugehörigkeit; ausführlich dazu unten ab S. 134).169 (5) Schutzzweck § 622 II S. 2 BGB Der Zweck der Regelung des § 622 II S. 2 BGB ergibt sich aus mehreren Aspekten: Zum einen soll der mit einem Arbeitgeberwechsel einhergehende Verlust des bislang erreichten Kündigungsschutzes einem Wechsel des Betriebes bzw. des Arbeitgebers nicht entgegenstehen; die Mobilität junger Beschäftigter soll durch keinen Kündigungsschutz eingeschränkt werden.170 Vielmehr soll der junge Arbeitnehmer bei verschiedenen Arbeitgebern Erfahrungen sammeln, so seine Persönlichkeit entwickeln, sich fortbilden und somit – auch zu seinem eigenen Wohl – zu einem qualifizierten und für den Arbeitsmarkt attraktiven Arbeitnehmer heranwachsen (ausführlicher zur Gesetzesbegründung unten S. 157 ff.). Weiterhin wird angenommen, Arbeitnehmer, die jünger als 25 Jahre sind, hätten auf Grund ihres jungen Alters kaum Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt;171 im Gegensatz zu älteren Arbeitnehmern bräuchten sie für die Stellensuche daher nicht mehr Zeit durch verlängerte Kündigungsfristen (dazu ausführlich S. 157 f.).172 Auch soll durch kürzere Kündigungsfristen die Vermittelbarkeit junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt gefördert werden (S. 158; zur Überlegung, dass kürzere Kündigungsfristen zur besseren Vermittelbarkeit nicht nötig wären, wenn jüngere Arbeitnehmer weniger Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt hätten schon oben S. 75).173 Das Ziel einer möglichst kurzen Arbeitslosigkeit für schutzbedürftige Arbeitnehmer ist als Arbeitnehmerschutz (dieser Personengruppe) zu verstehen; ebenso wie die erzwungene Wanderschaft (S. 159 ff.), die zum Wohl des jungen Beschäftigten erfolgen soll.

169

Richardi ZfA 1971, 73, 81. BAG 2.12.1999 – 2 AZR 139/99 – NZA 2000, 720, 721; Kurzprotokoll Nr. 92 S. 13 in Verbindung mit Kurzprotokoll Nr. 94, S. 21. 171 MünchArbR/Wank2 (2000) Band 2, § 119 Rn. 40. 172 BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB; LAG Schleswig-Holstein 28.5.08 – 3 Sa 31/08 – BB 2008, 1785; LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 62 und 79]; LAG Berlin-Brandenburg 24.07.2007 – 7 Sa561/07 – NZA-RR 2008, 17 [Rn. 42]; Wank (1992) S. 121 und 123. 173 LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68]. 170

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(6) Zwischenergebnis Ein gleichlaufender Schutzzweck ist zwischen der Sozialauswahl i. S. des § 1 III KSchG, den Regelungen zur Abfindungshöhe nach §§ 1a, 10 KSchG und den Kündigungsfristen nach § 622 II BGB festzustellen. Insoweit kommt eine Übertragung der Koppelung des Arbeitnehmerschutzes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses an Betriebszugehörigkeit und Lebensalter in §§ 1a, 10 KSchG und in § 622 BGB in Betracht; § 1 III KSchG könnte an diese anzulehnen sein. Allein die Wartefrist gemäß § 1 I KSchG kann mangels identischen Schutzzwecks nicht als anderweitige gesetzgeberische Wertung berücksichtigt werden. bb) Unklare Rechtfertigungslage der vergleichbaren Normen Die Regelungen zur Abfindungshöhe nach §§ 1a, 10 KSchG und die Kündigungsfristen nach § 622 II BGB als Rechtfertigungsgrund für die nachrangige bzw. fehlende Berücksichtigung der Unterhaltspflichten im Rahmen des § 1 III KSchG heranzuziehen, erscheint jedoch sehr fraglich. Denn um diese Normen als Maßstab zu nutzen, müssten diese selbst gerechtfertigt sein. Dies ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit noch zu hinterfragen. Insoweit bleiben die Ergebnisse abzuwarten (für § 622 II S. 1 BGB unten S. 135 ff.; für § 622 II S. 2 BGB S. 157 ff.; für § 1a, 10 KSchG S. 171 ff.). cc) Möglichkeit der Wertungsübertragung Gegen eine Übertragung der Wertung aus § 622 II BGB und §§ 1a II, 10 KSchG auf § 1 III KSchG spricht zudem, dass diese Regelungen das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen, es bei der Sozialauswahl hingegen um das Konkurrenzverhältnis mehrerer Arbeitnehmer untereinander geht. Demnach liegt innerhalb des Arbeitnehmerschutzes eine gänzlich anders gelagerte Situation vor.174 Fraglich ist zudem, ob § 1 III KSchG einer Auslegung anhand anderer gesetzlicher Wertungen überhaupt zugänglich ist. Das BAG entschied für einen Interessenausgleich mit Namensliste hinsichtlich § 1 V KSchG in der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung: „Wenn die Rechtsprechung vor InKraft-Treten des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes (. . .) aus § 10 KSchG hergeleitet hat, der Dauer der Betriebszugehörigkeit sei BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 794; HWK/Quecke3 (2008) § 1 KSchG Rn. 368. 174

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unter den Sozialkriterien Priorität einzuräumen (. . .), so ist daran zu § 1 V KSchG in der Fassung des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht mehr festzuhalten (. . .). § 1 V KSchG a. F. stellt eine in sich geschlossene Regelung dar, die den Rückgriff auf § 10 KSchG verbietet.“175 Diese Rechtsprechung zu § 1 V KSchG ist auf § 1 III KSchG zu übertragen, denn auch § 1 III KSchG ist mit der abschließenden Aufzählung der vier in der Sozialauswahl zu beachtenden Kriterien (s. oben S. 54 f.) eine eigenständige, in sich geschlossene Regelung. Es bedarf somit keines Rückgriffs auf anderweitige gesetzliche Wertungen. Meinungen, welche diese Rechtsprechungsübertragung ablehnen, beziehen sich nicht auf den aktuellen, sondern den ehemals gültigen Gesetzestext des § 1 III KSchG in der Fassung vom 25.8.1969176 oder denselben in der Fassung vom 19.12.1998,177 – gültig bis zum 24.12.2003.178 Diese älteren Gesetzesfassungen gaben in § 1 III KSchG keine konkreten Auswahlkriterien für die Sozialauswahl vor. Vielmehr war eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, „wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.“ Bei diesem offenen Wortlaut sind die Annahme einer Regelungslücke und die Auslegung dieser anhand von anderweitigen Normen nachzuvollziehen. Dies ist aber bei dem heutigen klaren Wortlaut nicht mehr erforderlich; es liegt stattdessen eine in sich geschlossene Regelung vor.179 dd) Zirkelschluss Ohnehin würde eine Begründung der vorrangigen Beachtung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit in § 1 III KSchG mit § 622 II BGB und §§ 1a, 10 KSchG zu einem Zirkelschluss führen: Es ist unmöglich bezüglich der Rechtfertigung des § 1 III KSchG auf die Wertungen der § 622 II BGB und §§ 1a, 10 KSchG zu verweisen, wenn diese sich ihrerseits mit der Handhabung bezüglich § 1 III KSchG rechtfertigen (zur Rechtfertigung des § 622 II S. 1 BGB mit § 1 III KSchG vgl. unten S. 139 ff.; zu § 622 II S. 2 BGB vgl. unten S. 161 f. und zu §§ 1a, 10 KSchG S. 187).

175 BAG 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl [Gründe II 2 b]; LAG Rheinland-Pfalz 8.3.2002 – 8 Sa 1450/01 – AiB 2004, 176 BGBl. I S. 1317. 177 BGBl. I S. 3843. 178 BGBl. I S. 3002. 179 BAG 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl [Gründe II 2 b]; LAG Rheinland-Pfalz 8.3.2002 – 8 Sa 1450/01 – AiB 2004, Bader NZA 1996, 1125, 1128; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1095.

Nr. 42 443 f.

Nr. 42 443 f.;

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ee) Zwischenergebnis Zwar ist hinsichtlich § 1 III KSchG, §§ 1a, 10 KSchG und § 622 II BGB ein gleichlaufender Schutzzweck festzustellen. Jedoch liegt innerhalb des Arbeitnehmerschutzes hinsichtlich § 1 III KSchG einerseits und §§ 1a, 10 KSchG und § 622 II BGB anderseits eine gänzlich anders gelagerte Situation vor (S. 97) und die Rechtfertigungslage der vergleichbaren Normen §§ 1a, 10 KSchG und § 622 II BGB ist ungeklärt, sodass deren Wertung bezüglich der Unterhaltspflichten nicht ohne eine Überprüfung ihrer Rechtfertigung (S. 97) übertragen werden kann. Dem steht ferner ein entstehender Zirkelschluss entgegen (S. 98). Andere arbeitnehmerschützende Kündigungsschutz- und Abfindungsregelungen können die Familienbenachteiligung im Rahmen der Sozialauswahl nicht rechtfertigen. e) Nachrücken der jüngeren Generation/Generationengerechtigkeit Die Benachteiligung der Jüngeren sowie der Arbeitnehmer mit einer kürzeren Betriebszugehörigkeitsdauer in § 1 III KSchG könnte dadurch gerechtfertigt sein, dass Lebensalter und Betriebszugehörigkeit keine relativ festen Daten sind (wie etwa Geschlecht oder Religion), sondern einer ständigen linearen Entwicklung unterliegen: Rücken die erst kürzer beschäftigten, jüngeren Arbeitnehmer in die privilegierte Situation der betriebstreuen, älteren Beschäftigten in der Sozialauswahl nach, würde ein in sich geschlossenes, faires, gerechtfertigtes System vorliegen.180 Allerdings ist dieses zwingende Nachrücken zumindest hinsichtlich des Aspekts der Betriebszugehörigkeit zu verneinen: Auf Grund der seit Jahrzehnten fehlenden Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt (zur Arbeitsmarktsituation S. 73 ff.) kann nicht jeder neu Beschäftigte später selbstverständlich eine längere Betriebszugehörigkeit aufweisen. Alltäglich sind vielmehr Praktikumsstellen statt Arbeitsverhältnisse sowie befristete Arbeitsverhältnisse (S. 24 f.), Kündigungen und daraus resultierend ständig neue Arbeitgeber oder nicht für die Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigende Vertragsverhältnisse; die nachrückende Generation kann ihre Bedürfnisse auf dem Arbeitsmarkt nicht gleichermaßen wie ihre Vorgänger-Generation erfüllen.181 Insoweit ist die Generationengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt gestört; es fehlt an einem in sich nachrückenden und damit fairen System, 180 181

Waltermann NZA 2005, 1265, 1269; ders. ZfA 2006, 305, 326. Gründinger (2009) S. 182 ff.

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sodass auch hiernach die Benachteiligung der kürzer Beschäftigten nicht gerechtfertigt ist. f) Betriebszugehörigkeit als Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB Die besondere Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit als ein Aspekt der Familienbenachteiligung in § 1 III KSchG könnte durch den Charakter der Betriebszugehörigkeit als Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB gerechtfertigt sein. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob die Betriebszugehörigkeit ein geschütztes Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB darstellt, steht trotz zahlreichen, wiederholten Forderungen des Schrifttums182 aus. Ausdrücklich offen gelassen hat das BAG diese Frage in einer Entscheidung im Jahr 1998.183 Zuvor hatte es in einem obiter dictum zwar Argumente für ein Rechtsgut i. S. des § 823 BGB genannt, aber auch bereits festgestellt, dass § 823 I BGB das Vermögen nicht schützt.184 Untere Instanzen lehnen die Betriebszugehörigkeit als geschütztes Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB ab.185 Dem ist zu folgen. Denn zwar spricht die Stärke des Betriebszugehörigkeitsschutzes über das KSchG186 sowie über § 613a BGB187 für die Einordnung der Betriebszugehörigkeit als geschütztes Rechtsgut nach § 823 I BGB. Weiterhin ist ein absolut geschütztes Recht des Arbeitgebers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anerkannt,188 sodass, um im Arbeitskampf Parität zu erreichen, als Gegengewicht zu diesem Recht des Arbeitgebers aus § 823 I BGB auch ein geschütztes Recht des Arbeitnehmers (die absolut geschützte Betriebszugehörigkeit) aus § 823 I BGB erforderlich sein könnte.189 Der entgegen dem Arbeitgeberschutz viel ausgeprägtere Arbeitnehmerschutz bedarf jedoch keiner zusätzlichen Unterstützung durch ein Arbeitnehmerrecht aus § 823 I BGB.190 Zudem ist seit der dahingehenden 50 182

Edenfeld Anm. zu BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823

BGB. 183 BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823 BGB [unter Gründe B III 1]. 184 BAG 30.9.1970 – 1 AZR 535/69 – AP Nr. 2 zu § 70 BAT [LS]. 185 OLG Koblenz 23.1.2003 – 5 U 13/03 – NZA 2003, 438, 439; LG Frankfurt a. M. 26.10.1999 – 2/26 O 166/98 – NJW-RR 2000, 831 [LS]. 186 Hueck/Nipperdey7 (1963) Band I, S. 381 Nachweis 3. 187 Herschel DB 1973 S. 80, 82. 188 Hueck/Nipperdey7 (1963) Band I, S. 381 Nachweis 3. 189 Nipperdey FS Sitzler (1956) S. 79, 92 ff. 190 Edenfeld Anm. zu BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823 BGB m. w. N.

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Jahre zurückliegenden Forderung von Nipperdey keine fehlende Parität zwischen den Tarifvertragsparteien festzustellen. Als Arbeitskampfmaßnahmen haben sich vielmehr Streik und Aussperrung als paritätisch bewährt – auch ohne ein Arbeitnehmerrecht aus § 823 I BGB.191 Eine rein äußerliche Symmetrie der Haftungsgrundlagen ist nicht erforderlich.192 Die Betriebszugehörigkeit ist zwar mittelbar vermögenswert: Etwa führt eine auf Grund der Betriebszugehörigkeit verlängerte Kündigungsfrist nach § 622 II S. 1 BGB (zu § 622 II S. 1 BGB S. 134 ff.) zu einer verlängerten Entgelterwerbsmöglichkeit. Auch schlägt sich die Dauer der Betriebstreue etwa in der Abfindungshöhe nieder (§§ 1a, 10 KSchG [i. V. m. § 113 I BetrVG]; s. dazu ausführlich S. 167 ff.). § 823 I BGB umfasst jedoch das Vermögen nicht als geschütztes Rechtsgut.193 Ein sonstiges Recht i. S. des § 823 I BGB muss zudem wie die normierten Beispiele Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum absolut sein und nicht nur relativ existieren.194 Demnach müsste die Betriebszugehörigkeit auf Grund des Zuweisungsgehalts von Jedermann beachtet werden und dem Rechtsinhaber eine Herrschaftsmacht zugewiesen sein, nach der alle anderen von der Einwirkung auf das absolute Recht ausgeschlossen sind.195 Anders als etwa der parallel zu sehende (gerade oben S. 100) eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb ist das Arbeitsverhältnis jedoch ein relatives Schuldverhältnis (§ 611 BGB).196 Eine Ausschlussfunktion kann diesem nicht beigemessen werden; das Arbeitsverhältnis besteht allein in Beziehung zum Arbeitgeber.197 Der Arbeitnehmer hat weiterhin keine Herrschaftsmacht über seinen Arbeitsplatz,198 sondern kann gekündigt werden (§ 620 II BGB) und unterliegt dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO). Nichts anderes ergibt § 613a BGB, der allein die Partei des schuldrechtlichen Vertrages auf Arbeitgeberseite austauscht.199 Letztlich lässt sich das Recht des Arbeitnehmers aus § 823 I BGB auch nicht wie 191

Wiedemann RdA 1961, 1, 3 ff. Edenfeld Anmerkung zu BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823 BGB m. w. N. 193 BAG 30.9.1970 – 1 AZR 535/69 – AP Nr. 2 zu § 70 BAT [unter Gründe 3 b]; Herschel DB 1973 S. 80, 82; Palandt/Sprau68 (2009) § 823 Rn. 11 und Einf v § 823 Rn. 1. 194 Vgl. nur Palandt/Sprau68 (2009) § 823 Rn. 11. 195 St. Rechtsprechung seit RG 29.2.1904 – VI 311/03 – RGZ 57, 353, 356. 196 BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823 BGB [unter Gründe B III 1 b) bb]; OLG Koblenz 23.1.2003 – 5 U 13/03 – NZA 2003, 438, 439. 197 Vgl. die ausführliche Untersuchung dieses Aspekts bei Ebert (1990). 198 Edenfeld Anmerkung zu BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823 BGB. 199 BAG 4.6.1998 – 8 AZR 786/96 – AP Nr. 7 zu § 823 BGB [unter Gründe B III 1 b) bb]. 192

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das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Arbeitgebers aus Grundrechten herleiten; ein Recht auf einen Arbeitsplatz folgt aus Art. 12 I GG nicht.200 Auch die maßgebliche Rolle der Betriebszugehörigkeit für die Stärke des Kündigungsschutzes ist zu vernachlässigen. Der Kündigungsschutz würde sonst der Betriebszugehörigkeit die Stellung eines sonstigen Rechts i. S. des § 823 I BGB verschaffen. Diese Rechtsstellung würde hier wiederum die Anknüpfung des gesetzlichen Kündigungsschutzes (§ 1 III KSchG) an die Betriebszugehörigkeit legitimieren. Ein abzulehnender Zirkelschluss würde entstehen. Das Recht am Arbeitsplatz ist damit kein durch § 823 I BGB geschütztes sonstiges Recht.201 g) Kein Ursprung im Arbeitsverhältnis Die nachrangige Bewertung der Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl könnte mit dem fehlenden Ursprung dieser im Arbeitsverhältnis begründet werden.202 Die Unterhaltspflichten sind ausschließlich der privaten Lebensgestaltung des Arbeitnehmers zuzurechnen und keine vertragsbezogenen Interessen.203 Im Gegensatz dazu hat die Betriebszugehörigkeit ihren Ursprung 200 BVerfG 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90 – AP Nr. 70 zu Art 12 GG [LS 1]; Dreier/Wieland GG2 (2004) Band I, Art. 12 Rn. 39; Jarass/Pieroth GG9 (2007) Art. 12 Rn. 18. 201 Zum Streitstand vgl. auch Riesenhuber JZ 1999, 715 ff.; so auch Berkowsky6 (2008) § 1IX, Rn. 59. 202 Vgl. BAG 5.4.2001 – 2 AZR 159/00 – AP Nr. 171 zu § 626 BGB [unter Gründe B I 2 d: „Der der Privatsphäre zuzurechnende Umstand, dass die Klägerin gegenüber einem Kind unterhaltspflichtig ist, hat vor diesem Hintergrund allenfalls marginale Bedeutung“]; 20.1.2000 – 2 AZR 378/99 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 38; 27.2.1997 – 2 AZR 302/96 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 36; LAG Düsseldorf 21.1.2004 – 12 Sa 1188/03 – LAGE KSchG § 1 Sozialauswahl Nr. 43 [unter Gründe II 3 b aa: „außerhalb der vertraglichen Pflichtenstruktur des Arbeitsverhältnisses“]; LAG Mecklenburg-Vorpommern 29.7.1999 – 1 Sa 54/99 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 46; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 77; Linck (1990) S. 87 und S. 93; Wank (1992) S. 122; B. Preis DB 1998, 1761, 1763; Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3 c, Rn. 181; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 286; dies. FS Konzen (2006) S. 381, 382 und 395. 203 Für die Nichtbeachtung der Unterhaltspflichten im Rahmen der Interessenabwägung einer außerordentlichen Kündigung aus diesen Gründen: BAG 2.3.1989 – 2 AZR 280/88 – NZA 1989, 755, 756; KR/Fischermeier8 (2007) § 626 BGB Rn. 241; für die Nichtbeachtung bei der Interessenabwägung im Rahmen einer

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in der arbeitsvertraglichen Beziehung selbst und weist daher den stärkst möglichen Bezug zum Arbeitsverhältnis auf; die Betriebszugehörigkeit ist erdient.204 Der fehlende Ursprung der Unterhaltspflichten im Arbeitsverhältnis könnte allerdings dadurch unbeachtlich sein, dass neben den sozialen Umständen, die aus der arbeitsvertraglichen Beziehung selbst herrühren, im Rahmen der Sozialauswahl auch die personalen Bezüge des Arbeitsverhältnisses – etwa die Unterhaltspflichten – ausschlaggebend sind, wenn diese nur in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen.205 Denn das Gesetz selbst gibt den personalen Charakter des Arbeitsverhältnisses vor: Der Arbeitsvertrag beinhaltet nach § 613 BGB eine Pflicht zur höchstpersönlichen Diensterbringung und der Arbeitnehmer erbringt seine Arbeitsleistung auf Grund des Weisungsrechts des Arbeitgebers nach § 106 GewO in persönlicher Abhängigkeit.206 Besteht ein Zusammenhang zwischen den Unterhaltspflichten und dem Arbeitsverhältnis, sind die Unterhaltspflichten gegenüber der Betriebszugehörigkeit also nicht als nachrangig zu bewerten. aa) Zusammenhang der Unterhaltspflichten mit dem Arbeitsverhältnis Ein Zusammenhang zwischen dem Arbeitsverhältnis und den Kindesunterhaltspflichten des Arbeitnehmers ist festzustellen: Das Arbeitsverhältnis dient überwiegend der wirtschaftlichen Existenzabsicherung des Arbeitnehmers und dessen Familie;207 das Arbeitsentgelt ist ein Hauptgrund für die Erbringung der Arbeitsleistung.208 Dies bestätigt auch folgendes Schaubild, welches das verlässliche und sichere Einkommen als wichtigstes Kriterium für einen guten Arbeitsplatz erkennen lässt:

krankheitsbedingten Kündigung: Oetker Anm. zu BAG 6.9.1989 – 2 AZR 224/89 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 28; Lepke11 (2003) Rn. 146 m. w. N.; Schwerdtner DB 1990, 375, 378; Weber/Hoß DB 1993, 2429, 2434; ErfK/Oetker9 (2009) § 1 KSchG Rn. 136; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 199. 204 B. Preis DB 1998, 1761, 1763; Linck (1990) S. 87; Wank (1992) S. 122; U. Preis (1987) S. 420. 205 U. Preis (1987) S. 420; Wank (1992) S. 122. 206 U. Preis (1987) S. 129. 207 Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 286 und 292; U. Preis (1987) S. 420; Linck (1990) S. 93; Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3 c, Rn. 182; Perz (2008) S. 206. 208 Künzl ZTR 1996, 385, 390.

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Quelle: INIFES/INQA 2005; Hans-Böckler-Stiftung 2005

Abb. 12: Das Einkommen als wichtigstes Merkmal einer guten Arbeit209

Andere Zwecke als die Existenzabsicherung der Familie sind in der Persönlichkeitsentfaltung und in der Selbstverwirklichung durch die Arbeitsleistung zu sehen. Allerdings sind diese Arbeitszwecke auch nach dem obigen Schaubild (Abb. 12) gegenüber der Existenzsicherung eindeutig nachrangig210 und können vor allem ausgeschlossen werden, wenn dem Arbeitnehmer für das finanzielle Überleben keine berufliche Alternative bleibt: die ausgelastete Hausfrau und mehrfache Mutter, ohne deren Erwerbstätigkeit das Einkommen der Familie nicht gesichert wäre; Wochenend- oder Nachttätigkeiten neben einer vollen, aber nicht ausreichend vergüteten Arbeitsstelle etc.211 Diesen Zusammenhang zwischen Unterhaltspflichten und Arbeitsverhältnis bestätigt die Rechtsprechung: Das BAG kennt sowohl für die verhaltensbedingte als auch für die krankheitsbedingte Kündigung an, dass Unterhaltspflichten – wie die Dauer der Betriebszuge209 Grafik aus Böckler Impuls 20/2005 „Einkommen, Spaß und Sicherheit“ (abrufbar unter: http://www.boeckler.de/32015_57700.html). 210 Diese Reihung des Sinn und Zwecks der Arbeit bestätigt eine TNS-Forschung unter 500 Befragten zwischen 20 und 35 Jahren (Sie lernen jemanden kennen, googeln Sie ihn?, Spiegel Heft 25 v. 15.6.09, S. 60): Für 48% bedeutet Arbeit Geld, nur für 26% Erfüllung, für 13% Spaß für 9% Karriere und für 4% Ansehen. 211 Vgl. die Zusammensetzung des durchschnittlichen Monatseinkommens eines Haushaltes: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 549 f.

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hörigkeit – das Gewicht des Arbeitnehmerinteresses an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes beeinflussen.212 Ein Zusammenhang zwischen Unterhaltspflichten und Arbeitsverhältnis ist ferner dadurch gegeben, dass § 1 III KSchG als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips den sozialen Schutz des Arbeitnehmers umfasst (zum Schutzzweck des § 1 III KSchG S. 91 f.). Spätestens mit der Einführung der „sozialen Aspekte“ in den Kündigungsschutz durch das KSchG 1951, soll sowohl die wirtschaftliche, als auch die soziale Existenz des Arbeitnehmers gesichert werden.213 Dabei wird als Synonym für die soziale Existenz teilweise die Familie gesehen.214 Es ist jedoch zu beachten, dass das Arbeitsrecht mangels Bezug zum Arbeitsverhältnis nicht jeden Unterhaltsgläubiger des Beschäftigten schützt. Vielmehr sind allein die Unterhaltsgläubiger in den Arbeitnehmerschutz einzubeziehen, an deren Wohlergehen und finanzieller Absicherung der Arbeitnehmer ein gesteigertes persönliches Interesse hat. Dem entspricht, allein die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten in der Sozialauswahl stärker zu gewichten (S. 33 f.). Denn die finanzielle Absicherung des geschiedenen Ehepartners liegt oftmals nicht mehr im gesteigerten Interesse des Arbeitnehmers. Dahingegen besteht an der finanziellen Absicherung des Nachwuchses stets ein gesteigertes persönliches Interesse und damit ein besonderes Näheverhältnis – unabhängig davon, ob der Nachwuchs nach der Trennung der Eltern beim anderen Elternteil aufwächst.215 Dies belegt die im Vergleich zur Zahlungswilligkeit gegenüber Ex-Ehepartnern signifikant höhere Bereitschaft Kindesunterhalt zu leisten.216 Damit rechtfertigt das besondere Näheverhältnis von Eltern zu ihren Kindern/zu ihrem Kind einen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsverhältnis und den Kindesunterhaltspflichten des Arbeitnehmers. Etwas anderes könnte nur für den Fall anzunehmen sein, dass der Arbeitnehmer tatsächlich keinen Unterhalt leistet und damit anscheinend auf kein besonderes Näheverhältnis zu seinem Kind/zu seinen Kindern zu schließen ist. Zum einen ist die Zahlungsmoral der Kindesunterhaltsschuldner in Deutschland aller212 BAG 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 42; 7.11.2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; 20.1.2000 – 2 AZR 378/99 – NZA 2000, 768, 770; 27.2.1997 – 2 AZR 302/96 – AP § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 36 [unter Gründe II 3]; 5.7.1990 – 2 AZR 154/90 – AP Nr. 26 zu § 1 KSchG Krankheit [unter Gründe II 3 c]; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 356 zur krankheitsbedingten Kündigung und Rn. 411 zur verhaltensbedingten Kündigung. 213 Begründung des RegE des KSchG 1951 in RdA 1951, 61, 63; ebenso BAG 29.3.1990 – 2 AZR 369/89 – AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [Gründe B II 7 a]. 214 Linck (1990) S. 93; Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3 c, Rn. 180. 215 Kaiser NZA 2008, 665, 668 f. 216 Kaiser NZA 2008, 665, 668 f.; RegE, BT-Drs. 16/1830 S. 23.

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dings sehr hoch,217 sodass hier insoweit eine Pauschalisierung dahingehend möglich ist, dass grundsätzlich ein Näheverhältnis besteht (zu den Voraussetzungen einer Pauschalisierung vgl. S. 79 f.). Zum anderen bedeutet die ausbleibende Unterhaltszahlung nicht automatisch eine Störung des Näheverhältnisses zum Kind. Dieses kann trotzdem im gesteigerten persönlichen Interesse des Arbeitnehmers stehen und die Unterhaltszahlung etwa auf Grund von finanziellen Schwierigkeiten des Unterhaltsschuldners unfreiwillig ausbleiben. Ferner ist allein die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung ausschlaggebend und die tatsächliche Unterhaltszahlung ist irrelevant (S. 35 ff.).218 bb) Zusammenhang des Lebensalters mit dem Arbeitsverhältnis Würde man den Nachrang der Unterhaltspflichten gegenüber der Betriebszugehörigkeit mit dem fehlenden Ursprung der Unterhaltspflichten in dem Arbeitsverhältnis rechtfertigen, wäre zudem unklar, weshalb das Lebensalter im Vergleich mit der Betriebszugehörigkeit als gleichrangig angesehen wird. Denn auch das Lebensalter hat seinen Ursprung nicht im Arbeitsverhältnis, sondern ist ein vom Arbeitsverhältnis völlig unabhängiges Kriterium219 und auch im Gesetz findet sich außer im Rahmen der Sozialauswahl keine nennenswerte Verknüpfung zwischen Lebensalter und Arbeitsverhältnis.220 Es fehlt ebenso wie hinsichtlich der Unterhaltspflichten an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis.221 Da das Arbeitsverhältnis nach § 613 BGB höchstpersönlich ist, soll die Verbindung zwischen Lebensalter und Arbeitnehmer jedoch genügen.222 Mit dieser Argumentation ist jedoch auch die gleichrangige Berücksichtigung der Unterhaltspflichten in § 1 III KSchG zu fordern: Ebenso wie das Lebensalter sind Kindesunterhaltspflichten unmittelbar mit der Person des Arbeitnehmers verknüpft, sodass über den personalen Charakter des Arbeitsverhältnisses 217 93,5% der Väter, die sich mit der Mutter das Sorgerecht teilen, gaben an, Kindesunterhalt zu leisten. 86,7% der Mütter bestätigten dies (Deutscher Kinderschutzbund, Kinderschutz Aktuell 3/03, S. 19). 218 Ganz hM: ErfK/Oetker9 (2009) § 1 KSchG Rn. 333; Bader NZA 1996, 1125, 1128; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094. 219 Künzl ZTR 1996, 385, 390. 220 U. Preis (1987) S. 423. 221 LAG Mecklenburg-Vorpommern 29.7.1999 – 1 Sa 54/99 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 46 („Eine stärkere Gewichtung zu Gunsten der Betriebszugehörigkeit ist nicht zu beanstanden, weil es sich dabei gerade um das betriebsbezogene Element der Sozialauswahl handelt, während das reine Lebensalter für den Arbeitgeber eher zufällig ist, . . .“); Künzl ZTR 1996, 385, 390. 222 Wank (1992) S. 122; Linck (1990) S. 89.

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(§ 613 BGB; S. 103) auch bezüglich der Unterhaltspflichten ein mittelbarer Zusammenhang besteht.223 cc) Berücksichtigung sonstiger persönlicher Daten Auch mit Blick auf den in der Sozialauswahl zu beachtenden Gesundheitszustand des Arbeitnehmers ist das Argument der nur geringeren Bedeutung der Unterhaltspflichten auf Grund des fehlenden Ursprungs im Arbeitsverhältnis erst recht nicht nachzuvollziehen: Im Rahmen des § 1 III KSchG ist der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers sowohl unmittelbar (v. a. Berufskrankheiten oder gesundheitliche Folgen von Arbeitsunfällen)224 als auch mittelbar über das Kriterium der Schwerbehinderung zu berücksichtigen. Dabei nennt § 1 III KSchG die Schwerbehinderung sogar explizit als zu beachtendes Sozialkriterium; der fehlende Ursprung dieses persönlichen Datums im Arbeitsverhältnis wird im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung nicht angesprochen – von den seltenen Fällen einer arbeitsplatz- oder berufsbedingten Schwerbehinderung abgesehen. Es ist nicht ersichtlich, warum nur manche persönliche Daten trotz fehlender unmittelbarer Verbindung zum Arbeitsverhältnis in großem Umfang berücksichtigt werden sollen. dd) Zwischenergebnis Der alleinige Ursprung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis rechtfertigt keine Benachteiligung der Familien. Denn auch zwischen den zu erfüllenden (Kindes-)Unterhaltspflichten und dem Arbeitsverhältnis kann ein mittelbarer Zusammenhang festgestellt werden (S. 103 ff.) – ein mittelbarer Zusammenhang wie zwischen dem Arbeitsverhältnis und dem Lebensalter (S. 106 f.). Weder der Betriebszugehörigkeit noch dem Lebensalter ist insoweit in § 1 III KSchG eine Vorrangstellung gegenüber den Unterhaltspflichten einzuräumen; dies ergibt auch die Berücksichtigung sonstiger persönlicher Daten in der Sozialauswahl (S. 107).

U. Preis (1987) S. 232 f. und S. 420; Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3 c, Rn. 181. BAG 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Begründung des RegE, BR-Drs. 421/03, S. 15; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 678n; HWK/Quecke3 (2008) § 1 KSchG Rn. 381; a. A. Willemsen/ Annuß NJW 2004, 177, 178. 223 224

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h) Praktikabilität Betriebszugehörigkeit und Lebensalter könnten gegenüber den (Kindes-) Unterhaltspflichten leichter festzustellen und zu berechnen sein, sodass die Praktikabilität deren Einbeziehung in die Sozialauswahl die praktische, höhere Bewertung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter rechtfertigen könnte.225 Zu klären ist demnach die Praktikabilität der Feststellung der (Kindes-)Unterhaltspflichten, auch wenn das Argument der Praktikabilität ohnehin eine nur sehr schwache Begründung ist.226 aa) Gesetzliche (Kindes-)Unterhaltspflichten § 1 III KSchG setzt ein rechtstechnisches Verständnis der Unterhaltspflichten voraus:227 In einer Sachverständigenanhörung des zuständigen Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz (seit 1.10.1996 in Kraft) wurde der zuerst vorgeschlagene Begriff der „Unterhaltslasten“ für § 1 III KSchG durch den Begriff der „Unterhaltspflichten“ ersetzt.228 Nur mit diesem Begriffsverständnis kann Rechtssicherheit erreicht werden.229 Freiwillig gezahlte Unterhaltsleistungen – etwa gegenüber Stiefkindern230 – sind demnach nicht zu beachten (zu weiteren Argumenten s. auch oben die Überlegungen, welche Kindesunterhaltspflichten im Sinne der vorliegenden Arbeit zu privilegieren sind S. 33 ff.).231 Die alleinige Relevanz der gesetzlichen (Kindes-)Unterhaltspflichten spricht insoweit für eine praktikable 225 Pauly MDR 1997, 513, 514; Künzl ZTR 1996, 385, 390; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 407 Fn. 132 m. w. N. zu diesem Argument hinsichtlich der Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bei Sozialplanabfindungen und S. 411. 226 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 408. 227 Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1103 f.; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 369; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 941; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 716; KDZ/Kittner/Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 483; KR/Griebling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 675 f.; Linck (1990) S. 92; Bütefisch (2000) S. 225 f.; Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; Falkenberg DB 1984, 1984, 1988. 228 Löwisch, Gutachten des Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, 13. Wahlperiode, Ausschussdrs. 629, S. 9; Klassen (2002) S. 35. 229 Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; Wlotzke BB 1997, 414, 417; Linck (1990) S. 90 ff.; a. A. Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 294, nach der „Pflichten“ begrifflich auch durch einen freiwillig vereinbarten Vertrag entstehen können. 230 Zur nicht erforderlichen Einbeziehung von Unterhaltsleistungen gegenüber Stiefkindern in § 1 III KSchG vgl. Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 294 f. 231 APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 718; Bütefisch (2000) S. 250.

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Feststellung derselben; freiwillige Unterhaltszahlungen wären dagegen für den Arbeitgeber kaum nachzuvollziehen. bb) Irrelevanz der tatsächlichen Unterhaltszahlungen Weiterhin ist die tatsächliche Leistung des (Kindes-)Unterhalts irrelevant;232 dementsprechend ist diese nicht vom Arbeitgeber nachzuprüfen und führt zu keinen Praktikabilitätsproblemen. Denn ein gesetzwidriges Verhalten des Arbeitnehmers – die unterlassene Erfüllung der Unterhaltspflichten – darf keine Auswirkungen auf die Sozialauswahl haben, da die betriebsbedingte Kündigung allein in der Sphäre des Arbeitgebers liegt.233 Hätte der Gesetzgeber eine Berücksichtigung der tatsächlichen Unterhaltszahlungen in § 1 III KSchG gewünscht, wäre dies ferner mit „tatsächliche Unterhaltsleistungen“ statt mit „Unterhaltspflichten“ auszudrücken gewesen.234 Auch der Umstand der Ablehnung des Vorschlags in den Ausschussberatungen, den Begriff der „Unterhaltspflichten“ durch „Unterhaltslasten“ zu ersetzen (s. gerade oben S. 108), spricht gegen eine Berücksichtigung der tatsächlichen Unterhaltsleistungen. Nur so kann außerdem eine derart rechtssichere Sozialauswahl erreicht werden, wie es der Gesetzgeber mit der Einführung des § 1 V S. 2 KSchG (Beschränkung der Unwirksamkeit der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz; seit 1.10.1996 in Kraft) verfolgt hat; die Sozialauswahl soll berechenbar sein.235 Die Beachtung von tatsächlichen Kindesunterhaltszahlungen liefe dem entgegen.236 Da somit die tatsächliche Erfüllung der Unterhaltspflichten irrelevant ist (zu den bereits im Rahmen der Definition der Kindesunterhaltspflichten vorgebrachten Argumenten vgl. oben S. 35 f.), ergeben sich auch insofern keine Einschränkungen der Praktikabilität des Sozialkriteriums der Unterhaltspflichten in § 1 III KSchG.

232 Bader NZA 1996, 1125, 1128; v. Hoyningen-Huene/Linck DB 1997, 41, 42; Kittner AuR 1997, 182, 185; Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; Wlotzke BB 1997, 414, 417; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; a. A. U. Preis NZA 1997, 1073, 1084 ohne verständliche Begründung. 233 Bütefisch (2000) S. 225; APS/Kiel3 (2007) § 1 KSchG Rn. 723 m. w. N.; Preis RdA 1999, 311, 317; Wlotzke BB 1997, 414, 417. 234 Kleinbrink DB 2005, 2522; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 319. 235 Kopke ZRP 2009, 41, 43. 236 Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

cc) Umfang oder Anzahl der gesetzlichen Unterhaltspflichten („Doppelverdienst“) Auch die Frage, ob es im Rahmen der Sozialauswahl auf den schwerer festzustellenden konkreten Umfang oder die leichter festzustellende Anzahl der Kindesunterhaltspflichten ankommt, hat Konsequenzen für die Praktikabilität der Berücksichtigung dieser im Rahmen des § 1 III KSchG. Aus dem bisherigen Wortlaut des § 1 III KSchG „Unterhaltspflichten“ anstatt „Zahl der Unterhaltsberechtigten“ oder „Höhe der Unterhaltspflichten“ lässt sich nichts folgern.237 Für eine Berücksichtigung des Umfangs spricht sich jedoch die ganz herrschende Meinung aus;238 bei einer alleinigen Berücksichtigung der Anzahl der Unterhaltspflichten würden diese bloße Statistik bleiben.239 Dagegen wird vorgebracht, die in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer müssten in ihrer Tätigkeit horizontal vergleichbar sein, d.h. ohne eine Änderung des Arbeitsvertrages im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers die Tätigkeit des Kollegen übernehmen können, sodass diese in der Regel etwa gleich viel verdienten. Es könne also davon ausgegangen werden, dass die Höhe der Unterhaltszahlungen der vergleichbaren Arbeitnehmer auf Grund des ähnelnden Einkommens in etwa gleich sei; es sei allein auf die Anzahl der Unterhaltsverpflichtungen abzustellen.240 Ob der Umfang der Unterhaltspflichten berücksichtigt werden soll, ist zusammenhängend mit der Frage nach der Berücksichtigung eines etwaigen „Doppelverdienstes“ zu beantworten. Ist das Erwerbseinkommen des anderen Elternteils/des Ehepartners – also der „Doppelverdienst“ – relevant, so ist der konkrete Umfang der Unterhaltspflichten und nicht deren Anzahl ausschlaggebend.241 237

Klassen (2002) S. 36; a. A. Mohr ZfA 2007, 361, 382, der den Wortlaut so versteht, dass es allein auf den Bestand der Unterhaltspflichten ankommt, nicht aber auf deren Höhe. 238 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; 21.1.1999 – 2 AZR 624/98 – NZA 1999, 866, 868 f.; LAG Köln 29.7.2004 – 5 Sa 63/04 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 45a [unter Gründe 1]; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 943; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1105; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 676; KDZ/Kittner/Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 483b; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 382. 239 KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 676; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 389; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 948. 240 Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 291 f. die ein anderes Ergebnis lediglich in Erwägung zieht, wenn ausnahmsweise Vollzeit – und Teilzeitarbeitnehmer miteinander vergleichbar sind, die auf Grund des unterschiedlichen Leistungsumfangs unterschiedlich verdienen; dies. KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 210.

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Rechtsprechung und Literatur argumentieren teilweise, dass die für die Sozialauswahl relevante soziale Position des Arbeitnehmers von der wirtschaftlichen Lage des Arbeitnehmers und damit von den Einkommensverhältnissen des Ehepartners abhänge; dessen Einkommen sei daher zu berücksichtigen.242 So wurde jedoch in den 80er Jahren argumentiert als § 1 III KSchG statt den vier konkreten Kriterien nur die Berücksichtigung der „sozialen Aspekte“ vorschrieb (zum damaligen Gesetzeswortlaut vgl. S. 105); der Doppelverdienst wurde ohne klaren Stellenwert in die „Gesamtabwägung“ eingestellt.243 Das BAG lehnt aktuell die zwingende Berücksichtigung des Doppelverdienstes eines Ehepaares wegen Verstoßes gegen Art. 6 I GG ab; der Arbeitgeber dürfe durch die Sozialauswahl nicht dazu verpflichtet werden, einen Arbeitnehmer nur wegen seiner familiären Bindung – dem Einkommen des Partners – zu kündigen.244 Um eine Schlechterstellung der Ehe gegenüber der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft zu vermeiden, müsste i. S. des Art. 6 I GG zudem auch das Einkommen des Partners der nichtehelichen Lebensgemeinschaft berücksichtigt werden. Dem steht jedoch entgegen, dass die Partner einer Lebensgemeinschaft keine gesetzlichen Unterhaltspflichten treffen und vertragliche Unterhaltspflichten ohne weiteres aufgelöst werden können bzw. bei einer (konkludenten) Vereinbarung mit der Auflösung der Lebensgemeinschaft entfallen (zur Irrelevanz der vertraglichen Unterhaltspflichten S. 39 ff. und S. 108 f.).245 Weiterhin wäre konsequenterweise bei der Berücksichtigung des Doppelverdienstes auch die hohe Pension der Großmutter, die im Haushalt des Arbeitnehmers lebt und als gesetzliche Unterhaltsschuldnerin für diesen in Betracht kommt, in die Sozialauswahl einzustellen; ebenso wie der Ferienjob-Verdienst des Kindes des Arbeitnehmers. Dies wäre jedoch weder mit der Praktikabilität und der Rechtssicherheit (mehr dazu sogleich) noch mit Sinn und Zweck des § 1 III KSchG zu vereinbaren.246 Weder Arbeitgeber noch Kollegen wissen meist, ob und wie viel der Partner des Arbeitnehmers/der andere Elternteil des Kindes verdient,247 sodass 241

Zu diesem Argumentationsaufbau vgl. Bütefisch (2000) S. 227. BAG 8.8.1985 – 2 AZR 464/84 – AP Nr 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe III 2 c cc]; 24.03.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; 30.11.1956 – 1 AZR 260/55 – AP Nr. 26 zu § 1 KSchG; v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 450 Fn. 12 m. w. N. zur Literatur. 243 v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 450. 244 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791 [Rn. 55]; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 297 m. w. N. zur Rechtsprechung. 245 v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 452. 246 v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 451 f. 247 BAG 21.1.1999 – 2 AZR 624/98 – NZA 1999, 866 [Rn. 21]. 242

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

auch hiernach die Berücksichtigung des konkreten Unterhalts zu einer großen Rechtsunsicherheit in der Sozialauswahl führen würde.248 Eine solche Rechtsunsicherheit gilt es jedoch i. S. des Gesetzgebers zu vermeiden – erkennbar an der Einführung des § 1 V S. 2 KSchG (Beschränkung der Unwirksamkeit der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz; seit 1.10.1996 in Kraft, s. S. 86 und S. 109). Berücksichtigt man, ob das zweite Einkommen zur Versorgung der Familie ausreicht, schließt sich eine mittelbare Frauendiskriminierung an (§§ 1, 3 II, 7 I AGG), was wiederum gegen eine generelle Berücksichtigung des Doppelverdienstes spricht.249 Frauen verfügen derzeit im Regelfall über ein niedrigeres Einkommen als der Ehepartner. Für sie greift demnach in der Sozialauswahl häufiger das Argument, ihr Einkommen sei für die Existenz der Familie nicht ausschlaggebend. Damit sind Frauen häufig weniger schutzwürdig und kommen öfter für die betriebsbedingte Kündigung in Betracht.250 Hiergegen kann auch nicht vorgebracht werden, dass in der Sozialauswahl nur solche Arbeitnehmer miteinander verglichen werden können, die auf horizontaler Ebene eine austauschbare Arbeitsleistung erbringen, d.h. ohne eine Änderung des Arbeitsvertrages, im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers, die Tätigkeit des Kollegen übernehmen können, sodass die vergleichbaren Arbeitnehmer insofern finanziell ähnlich stehen.251 Denn die Vergleichbarkeit der weiblichen und männlichen Beschäftigten bezieht sich allein auf die ausgeübte Tätigkeit: Frauen erhalten für dieselbe Tätigkeit nicht das Gehalt der Männer – auch wenn Frauen dieselbe Stundenzahl leisten (s. Abb. 13 S. 113; gender-pay-gap: 23,2 %). Selbst wenn das zweite Einkommen für die Ernährung der Familie ausreichen sollte, ist außerdem nicht sicher, dass dieses zweite Arbeitsverhältnis dauerhaft ist. Bei einer Beachtung des Doppelverdienstes wäre demnach auch zu berücksichtigen, ob der zweite Verdiener auch vor einer baldigen Kündigung steht bzw. wie sich dessen Arbeitsverhältnis entwickeln wird.252 248 BAG 21.1.1999 – 2 AZR 624/98 – NZA 1999, 866 [Rn. 21]; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 297. 249 v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 451 m. w. N. 250 Strick (2007) S. 79, 89 f., Rn. 40 ff.; MüKo/BGB/Hergenröder5 (2009), Band 4, § 1 KSchG Rn. 360; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 944 f.; Bütefisch (2000) S. 231 ff. 251 Für diesen Ansatz aber Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 299 f., die ein anderes Ergebnis lediglich in Erwägung zieht, wenn ausnahmsweise Vollzeit – und Teilzeitarbeitnehmer miteinander vergleichbar sind, die auf Grund des unterschiedlichen Leistungsumfangs unterschiedlich verdienen; dies. KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 214. 252 LAG Köln 3.5.2000 – 2 Ta 1/01 – NZA-RR 2002, 438 f.; MüKo/BGB/Hergenröder5 (2009), Band 4, § 1 KSchG Rn. 360; Strick (2007) S. 79, 91 Rn. 43; Schwerdtner ZIP 1984, 10, 16; für den beschränkten Aussagewert der Tatsache,

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Quelle: www.frauenlohnspiegel.de 2006, © Hans-Böckler-Stiftung 2006

Abb. 13: Frauen verdienen weniger253

Dies ist weder mit der beabsichtigten Rechtssicherheit der Sozialauswahl vereinbar (s. S. 111 f.) noch praktikabel.254

dass im Zeitpunkt der Kündigung ein zweites Arbeitsverhältnis besteht auch Klinkhammer AuR 1984, 64; Bütefisch (2000) S. 229 ff. mit der Einschränkung, dass dies bereits im Kündigungszeitpunkt sehr wahrscheinlich sein muss; v. HoyningenHuene NZA 1986, 449, 451 ff. 253 Grafik aus Böckler Impuls 13/2006 „Frauen verdienen weniger“ (abrufbar unter: http://www.boeckler.de/32015_83566.html).

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Mit der Verneinung der Berücksichtigung des Doppelverdienstes ist der Umfang der Unterhaltspflichten irrelevant. Ausschlaggebend ist vielmehr die Anzahl der (Kindes-)Unterhaltspflichten. Da diese Anzahl leichter festzustellen ist als der konkrete Umfang der Höhe der Unterhaltspflichten, ist auch insoweit die Praktikabilität der Einbeziehung der Unterhaltspflichten nicht gegenüber derselben von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter eingeschränkt. dd) Zeitpunkt der Feststellung der Unterhaltspflichten Zudem ist allein auf die gesetzlichen (Kindes-)Unterhaltspflichten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen:255 Nur konkret abzusehende oder angelegte künftige Unterhaltspflichten genügen nicht, selbst wenn z. B. die Geburt oder Adoption eines Kindes noch vor Ablauf der Kündigungsfrist erfolgen soll256 – auch dies ist leicht praktikabel. Die gegenteilige Ansicht argumentiert mit dem Prognoseprinzip: Erst künftig entstehende Unterhaltspflichten seien zu beachten, wenn diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während des Laufs der Kündigungsfrist entstehen.257 Gegen die Anwendung des Prognoseprinzips an dieser Stelle spricht allerdings, dass dieses zwar für die Beurteilung des Kündigungsgrundes – für die Betriebsbedingtheit der Kündigung – anzuwenden ist, die Sozialauswahl als Unterelement dieser Kündigung jedoch nicht davon erfasst ist.258 Weiterhin würde die Beachtung zukünftiger Unterhaltspflichten der Rechtsprechung des BAG zuwiderlaufen,259 welche für die 254 Meisel ZfA 1985, 238; APS/Kiel3 (2007) § 1 KSchG Rn. 724; v. HoynigenHuene NZA 1986, 449, 451; mit Bedenken auch Schwerdtner ZIP 1984, 10, 16; Klinkhammer AuR 1984, 64; Strick (2007) S. 79, 91 Rn. 43. 255 Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; Bader NZA 1996, 1125, 1128; Stahlhacke/ Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1103; KDZ/Kittner/Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 483 b; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 382; LAG RheinlandPfalz 8.3.2002 – 8 Sa 1450/01 – AiB 2004, 443 f.; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 203. 256 Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 185. 257 ArbG Berlin 16.2.2005 – 9 Ca 27525/04 – BB 2006, 1455 [unter Gründe I 2 c]; für die Berücksichtigung von zukünftigen Unterhaltspflichten bei bestehender Schwangerschaft: Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 369; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 717; auf Grund mangelnder Entscheidungserheblichkeit offen gelassen: BAG 23.11.2000 – 2 AZR 533/99 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 46 [unter Gründe B III 4 e cc]. 258 APS/Kiel3 (2007) § 1 KSchG Rn. 723; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 307; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 203. 259 Dieses Problem eingestehend: ArbG Berlin 16.2.2005 – 9 Ca 27525/04 – BB 2006, 1455 [unter Gründe I 2 c].

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Wirksamkeit der Kündigung allein auf deren Zugang abstellt.260 Außerdem wäre in die Sozialauswahl konsequenterweise einzustellen, dass die Unterhaltspflichten mit dem Wegfall des Arbeitseinkommens künftig sinken oder gar entfallen; dies wäre sinnwidrig.261 Aus den genannten Gründen kommt es auch nicht darauf an, ob die Unterhaltspflichten eine erhebliche Zeit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus bestehen:262 Es kann etwa nicht vorhergesagt werden, ob Kinder sterben oder eine Ausbildung frühzeitig beendet oder abgebrochen wird. ee) Feststellung der Unterhaltspflichten Auch wenn es allein auf die Anzahl der gesetzlichen Unterhaltspflichten bei Zugang der Kündigungserklärung ankommt und die tatsächlichen Unterhaltszahlungen außer Betracht bleiben, könnten Betriebszugehörigkeit und Lebensalter dennoch praktikabler sein: Betriebszugehörigkeit und Lebensalter sind mit einem Blick in die Personalakte festzustellen bzw. leicht zu berechnen.263 Fraglich ist also, wie praktikabel die Informationserlangung bezüglich der Unterhaltspflichten der Beschäftigten für den Arbeitgeber ist. (1) Die Angaben auf der Lohnsteuerkarte Kein Praktikabilitätsunterschied wäre festzustellen, wenn sich der Arbeitgeber auf die Eintragung der Unterhaltspflichten in der Lohnsteuerkarte verlassen könnte: Der Arbeitnehmer gibt seine Lohnsteuerkarte zu Beginn des neuen Jahres beim Arbeitgeber ab; diese verbleibt daraufhin in den Personalunterlagen, sodass auch bezüglich der Unterhaltspflichten ein Blick in diese reichen könnte. Dass der Arbeitgeber derart auf die Eintragungen in der Lohnsteuerkarte vertrauen darf, vertritt auch eine Ansicht in Literatur und Rechtspre260 St. Rspr.: BAG 21.4.2005 – 2 AZR 241/04 – BAGE 114, 258; 12.4.2002 – 2 AZR 256/0 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; 30.5. 1985 – 2 AZR 321/84 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 550 und 235 m.w.N. 261 Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 369. 262 BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21 [unter Gründe C I: „. . . andererseits besuchen aber die beiden Kinder der Klägerin eine weiterführende Schule, woraus sich größere und längerfristigere Belastungen ergeben können.“]; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 717; Stahlhacke/ Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1103; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 307. 263 Berkowsky6 (2008) § 7 X, Rn. 213 ff.; in diesem Sinne auch B. Preis DB 1998, 1761, 1763.

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chung:264 Der Arbeitnehmer müsse, wenn er seine Lohnsteuerkarte überreicht, ohne den Arbeitgeber über abweichende Daten aufzuklären, von einem Vertrauen des Arbeitgebers auf diese Angaben ausgehen.265 Von dem Arbeitgeber könne kein darüber hinausgehendes Verhalten verlangt werden;266 er habe die erforderlichen Detailkenntnisse nicht und könne sie auch nicht besitzen.267 Es sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, den Unterhaltspflichten nachzugehen; eine falsche oder unrichtige Lohnsteuerkarte sei schließlich der Sphäre des Arbeitnehmers zuzurechnen.268 Zudem sei allein bei der Verdachtskündigung eine Anhörung des Arbeitnehmers zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich.269 Gegen diese Vorgehensweise ist die häufige Unrichtigkeit der Angaben auf der Lohnsteuerkarte einzuwenden:270 Etwa finden sich Unterhaltsansprüche von Kindern aus nebenehelichen Verhältnissen nicht auf der Lohnsteuerkarte (vgl. § 39 III EStG).271 Eingetragen werden zudem nur Kinder, die am 1.1. des jeweiligen Jahres noch keine 18 Jahre alt sind – unabhängig von der konkreten Unterhaltsberechtigung nach §§ 1601 ff. 264 Explizit für die Abfindungsberechnung (Sozialplan) allein anhand der in die Lohnsteuerkarte eingetragenen Unterhaltspflichten: BAG 12.03.1997 – 10 AZR 648/96 – AP Nr. 111 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 3 b]; LAG BadenWürttemberg 9.11.1990 – 15 Sa 86/90 – LAGE § 1 KSchG 1972 Nr. 25; Fischermeier NZA 1997, 1089, 1094; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 380; Berkowsky6 (2008) § 7 X, Rn. 215; KR/Griebling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 678 d, der eine Nachforschungspflicht nur annimmt, „wenn Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Vollständigkeit und Richtigkeit der vorliegenden Daten bestehen“; Giesen ZfA 1997, 145 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck DB 1997, 41, 42. 265 BAG 6.7.2006 – 2 AZR 520/05 – AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 [unter Gründe B II 2 a aa]; 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 51 [unter Gründe B I 2 b]; LAG Rheinland-Pfalz 12.07.2005 – 5 Sa 1031/04 –; LAG Baden-Württemberg 9.11.1990 – 15 Sa 86/90 – LAGE § 1 KSchG 1972 Nr. 25 [unter Gründe II 2]; KR/Griebling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 678d. 266 Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 380. 267 Berkowsky6 (2008) § 7 X Rn. 215. 268 BAG 12.03.1997 – 10 AZR 648/96 – AP Nr. 111 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 3 c]. 269 KR/Griebling8 (2007) Rn. 678d. 270 Hierfür anhand zahlreicher Beispiele: Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 308 ff.; explizit gegen die Berücksichtigung der Lohnsteuerangaben für die Abfindungsberechnung im Rahmen von Sozialplänen aus dem Grund der Unvollständigkeit: v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 948; Spinner RdA 2008, 153, 156; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 205. Beispiele aus der Rechtsprechung: LAG Düsseldorf 4.11.2004 – 11 Sa 957/04 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 47 [unter Gründe A II3 b) bb (3)]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 d aa]; LAG Rheinland-Pfalz 8.3.2002 – 8 Sa 1450/01 – AiB 2004, 443 f. 271 v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 948.

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BGB – und zudem lediglich in den Steuerklassen I bis IV, nicht in der Steuerklasse V und nicht in der Steuerklasse VI (§ 39 III S. 1 Nr. 2 EStG). Sind die Kinder älter als 18 Jahre, werden sie nur auf Antrag in die Lohnsteuerkarte eingetragen (§ 39 IIIa S. 1 EStG).272 Grundsätzlich wird ein Kind zudem mit einem Kinderfreibetrag von 0,5 eingetragen (§ 39 III S. 2 Nr. 2a EStG). Sind die Eltern miteinander verheiratet und steuerlich zusammen veranlagt, erhöht sich dies auf „1“ (§ 39 III S. 1 Nr. 2b i. V. m. § 32 VI S. 2 EStG).273 Ebenso, wenn das Kind Halbwaise ist oder nur von einer einzelnen Person adoptiert wurde (§ 39 III S. 1 Nr. 2b EStG). Daraus ergibt sich für die Praxis, dass bei einem Ehepaar mit Steuerklassenkombination III und V, Kinder nur bei dem Partner der Steuerklasse III berücksichtigt werden. Die Lohnsteuerkarte des Anderen weist keine Kinder aus, obwohl er unterhaltsverpflichtet ist. Oder der für die Kündigung in Betracht kommende Arbeitnehmer wird auf Grund der „1“ mit zwei Kindern berücksichtigt, ist aber tatsächlich nur einmal Vater/Mutter. Da sich ebenso die Zuteilung des Kindergeldes nach den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte richtet, kann auch aus dem ausgezahlten Kindergeld vom Arbeitgeber nicht stets folgerichtig auf die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers geschlossen werden.274 Gleiches gilt hinsichtlich der Berücksichtigung von Kindern für den Ortszuschlag im öffentlichen Dienst. Hinzukommt, dass die Angaben der Lohnsteuerkarte, wie oben bereits bezüglich des Kindesalters angesprochen, nach § 39 III b S. 1 EStG den Verhältnissen zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres entsprechen. Zwar sind Änderungen hinsichtlich Steuerklasse und Kinderfreibeträgen nach § 39 IV S. 1 EStG sofort beim Finanzamt anzugeben. Ein aktueller Stand ist allein auf Grund des zeitlichen, bürokratischen Aufwandes der Ausgabe einer korrigierten Lohnsteuerkarte jedoch nicht immer gewährleistet.275 272

Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 309. Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 308; zur Problematik der eingetragenen Kinderfreibeträge auch BAG 17.1.2008 – 2 AZR 405/06 – AP Nr. 96 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [Rn. 23]. 274 Nicht beanstandet wurde die Orientierung der Sozialauswahl an der Eintragung des Kindergeldes auf der Lohnsteuerkarte von BAG 6.7.2006 – 2 AZR 442/05 – NZA 2007, 139 und LAG Berlin 9.7.2004 – 6 Sa 591/04 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 45; für eine fehlende Aussagekraft der Kinderfreibeträge auf der Lohnsteuerkarte: BAG 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 51 [unter Gründe B I 2 c]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 d aa]; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 76: Grob fehlerhafte Gewichtung der Unterhaltspflichten, wenn lediglich kindergeldberechtigter Nachwuchs im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigt wurde; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 206. 275 LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 d aa: „zumal die Lohnsteuerkarte ohnehin nur 273

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Würde der Arbeitgeber sich allein auf Eintragungen in der Lohnsteuerkarte verlassen, käme es also häufig zu einer falschen Berechnung der Unterhaltspflichten276 (zur Ausnahme der Beachtung der Angaben in der Lohnsteuerkarte für den Fall, dass dem Arbeitgeber keine anderen Sozialdaten zur Verfügung gestellt werden S. 119). (2) Informationsobliegenheit des Arbeitgebers über die Lohnsteuerkarte hinaus Aus den dargestellten Gründen (ab S. 115) ist für den Arbeitgeber eine Informationsobliegenheit hinsichtlich der Unterhaltspflichten seiner Beschäftigten über die Informationen per Lohnsteuerkarte hinaus zu fordern.277 Unterlässt es der Arbeitgeber, sich über die Lohnsteuerkarte hinaus Kenntnis von den Unterhaltspflichten zu verschaffen und kommt es so zu einer fehlerhaften Sozialauswahl, kann der Arbeitnehmer dies innerhalb der Klagefrist geltend machen.278 Die fehlende Nachforschung hinsichtlich der Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers stellt daher keine Pflichtverletzung des Arbeitgebers dar; der Arbeitgeber erkundigt sich vielmehr aus eigenem Interesse an einer wirksamen Kündigung vor Ausspruch der Kündigung über die Unterhaltspflichten seiner Mitarbeiter (Obliegenheit des Arbeitgebers).279 Nachdem eine Informationserlangung seitens des Arbeitgebers erfolglos versucht wurde (zu den Möglichkeiten dieser sogleich S. 119 f.), wechselt die Obliegenheit, die richtigen Sozialdaten mitzuteilen, auf den die Verhältnisse widerspiegelt, die zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung vorlagen“]; Liese DB 1990, 2065, 2066. 276 Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 308. 277 BAG 06.07.2006 – 2 AZR 442/05 – AP Nr. 82 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B II 3 d aa]; LAG Rheinland-Pfalz 12.7.2006 – 10 Sa 121/06 – n. v. [LS]; 8.3.2002 – 8 Sa 1450/01 – AiB 2004, 443 [LS]; LAG Düsseldorf 4.11.2004 – 11 Sa 957/04 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 47 [LS]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 d aa]; LAG Rheinland-Pfalz 8.3.2002 – 8 Sa 1450/01 – AiB 2004, 443 f.; LAG Hamm 29.3.1985 – 2 Sa 560/85 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 1 [unter II 2 c aa und bb]; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 725; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 389; Bütefisch (2000) S. 238 ff.; ErfK/Oetker9 (2009) § 1 KSchG Rn. 306; v. Hoyningen-Huene/ Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 948; Spinner RdA 2008, 153, 156 f.; inkonsequent ist es, auf die falschen Angaben in der Lohnsteuerkarte hinzuweisen und gleichzeitig ein Vertrauen auf diese seitens des Arbeitgebers anzunehmen. So aber statt vieler BAG 17.1.2008 – 2 AZR 405/06 – AP Nr. 96 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [Rn. 23]; Kleinebrink DB 2005, 2522, 2524. 278 LAG Hamm 29.3.1985 – 2 Sa 560/85 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 1 [unter Gründe II 2 c aa und bb]; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 309 m. w. N.

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Arbeitnehmer (zur Möglichkeit des Abwälzens dieser Obliegenheit durch eine Betriebsvereinbarung auf den Arbeitnehmer sogleich S. 120).280 Kommt der Arbeitnehmer dieser Obliegenheit dann in angemessener Frist nicht nach, kann sich der Arbeitgeber ausnahmsweise auf die Angaben in der Lohnsteuerkarte verlassen (§ 162 BGB analog) bzw. auf anderweitig ohnehin bekannte Angaben zurückgreifen (etwa Angaben aus der Personalakte zur zweimaligen Elternzeit).281 Der Arbeitnehmer kann sich auf seine tatsächliche Unterhaltssituation bzw. auf die wegen falscher Unterhaltsangaben für ihn negativ ausfallende Sozialauswahl im Kündigungsschutzprozess auf Grund seines widersprüchlichen Verhaltens nicht mehr berufen (§ 242 BGB).282 Da Unterhaltspflichten die hohe Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers belegen, wird der Arbeitnehmer diese Obliegenheit aus eigenem Interesse erfüllen. Bemüht sich der Arbeitnehmer um keine Mitteilung seiner Unterhaltspflichten, ist davon auszugehen, dass er an einem erweiterten Kündigungsschutz nicht interessiert ist und im Vergleich zu seinen Kollegen ist ihm ein Arbeitsplatzverlust eher zuzumuten. (3) Informationserlangung des Arbeitgebers Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer bezüglich dessen Unterhaltspflichten befragen – nach der Phase der Vertragsanbahnung, schriftlich oder mündlich;283 auch standardisierte Fragebögen sind unter Beachtung des § 94 BetrVG möglich.284 In kleineren Betrieben kostet diese Befragung auf Grund der geringen Beschäftigtenzahl nicht unverhältnismäßig viel Zeit. Massenentlassungen in größeren Unternehmen nehmen ohnehin eine Vorlaufzeit in Anspruch (Bsp.: § 17 KSchG); in dieser Vorlaufzeit können Gespräche mit den Arbeitnehmern geführt oder Fragebögen nach § 94 BetrVG 279 31

Zur Differenzierung zwischen Rechtspflicht und Obliegenheit vgl. Brox/Walker (2007) Rn. 616; Wieling AcP 176 (1976), 334 ff.; Palandt/Heinrichs68 (2009) Einl. v. § 241 Rn. 13; Kleinebrink DB 2005, 2522, 2523. 280 Kleinebrink DB 2005, 2522, 2524. 281 Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 187; APS/Kiel3 (2007) § 1 KSchG Rn. 734. 282 LAG Köln 3.5.2000 – 2 Sa 272/00 – NZA-RR 2001, 247; 248; v. HoyningenHuene NZA 1986, 449, 452; Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 187 m. w. N.; Löwisch/ Spinner9 (2004) § 1 Rn. 380; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 389; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 725; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 678d m. w. N.; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2008) § 1 Rn. 951; Linck (1990) S. 82. 283 Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 187; APS/Kiel3 (2007) § 1 KSchG Rn. 734; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1106; a. A. Berkowsky6 (2008) § 7 X, Rn. 215: „Umfragen unter den von einer Kündigungslage betroffenen Arbeitnehmern braucht der Arbeitgeber jedenfalls nicht zu starten“. 284 Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 310; Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 187.

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ausgewertet werden.285 Ob der Arbeitgeber die Daten erst aus Anlass der Kündigung oder bereits kurz nach der Einstellung erfragt, bleibt ihm überlassen. Da sich auch eine Schwerbehinderung im Gegensatz zu Lebensalter und Betriebszugehörigkeit nicht unbedingt aus der Personalakte ergibt, bietet es sich an, beide Fragen parallel zu klären.286 Ändern sich die sozialen Umstände nach der Befragung, liegt es am betroffenen Arbeitnehmer, seine geänderten Sozialdaten dem Arbeitgeber rechtzeitig mitzuteilen.287 Alternativ verpflichtet der Arbeitgeber den Befragten arbeitsvertraglich, den Arbeitgeber über eine Änderung der persönlichen Verhältnisse zu informieren – hierauf darf der Arbeitgeber sich dann verlassen.288 Einem solchen arbeitsvertraglichen Inhalt steht § 309 Nr. 12 BGB nicht entgegen. Zwar verbietet diese Vorschrift eine Änderung der Beweislast zu Lasten des Arbeitnehmers, allerdings geht es hinsichtlich der Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl nicht um eine Rechtspflicht, sondern um eine Obliegenheit (s. gerade oben S. 118). Durch eine entsprechende vertragliche Regelung macht der Arbeitgeber aus der Obliegenheit des Arbeitnehmers lediglich eine vertragliche Pflicht.289 Auch besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, in einer Betriebsvereinbarung seine Unterrichtung durch den Arbeitnehmer über dessen Sozialdaten festzulegen und so die Obliegenheit der rechtzeitigen und richtigen Information auf die Beschäftigten abzuwälzen.290 Orientiert man sich an dieser Vorgehensweise, ist die Feststellung der Unterhaltspflichten für den zunächst mit der Nachforschungsobliegenheit belasteten Arbeitgeber kein unzumutbares, kompliziertes Verfahren. Eine bloße Befragung des Arbeitnehmers zu dessen Unterhaltspflichten genügt – sogar nur der Versuch einer Informationserlangung.

285 Für die Möglichkeit einer gewissen Vorlaufzeit der Arbeitnehmerbefragung im Rahmen von Massenentlassungen auch BAG 06.07.2006 – 2 AZR 442/05 – AP Nr. 82 Zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B II 3 d aa]. 286 Zur Erkundigungspflicht des Arbeitgebers über evtl. Schwerbehinderungen: APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 725 c. 287 BAG 06.07.2006 – 2 AZR 442/05 – AP Nr. 82 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [Gründe B II 2 a aa]; 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 51 [unter Gründe B I 2 b]; 29.1.1997 – 2 AZR 292/96 – EzA § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 27 [unter Gründe II 1 b]. 288 Spinner RdA 2008, 153, 157; Kleinebrink DB 2005, 2522, 2525. 289 Kleinebrink DB 2005, 2522, 2525. 290 Für das Beispiel einer Arbeitsordnung, nach welcher der Arbeitnehmer verpflichtet ist, seine persönlichen Verhältnisse unter Vorlage von Nachweisen der Personalabteilung mitzuteilen: BAG 29.1.1997 – 2 AZR 292/96 – EzA § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 27 [unter Gründe II 1 b].

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ff) Fehlerhafte Informationserlangung und Nachweismöglichkeiten Da die Sozialdaten Betriebszugehörigkeit und Lebensalter ohne Mitwirkung des Arbeitnehmers mit einem Blick in die Personalakte festgestellt werden können, besteht bei diesen für den Arbeitgeber ein geringeres Risiko der falschen Informationserlangung. Auch damit könnte die geringere Bewertung der Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl gerechtfertigt werden. Zu klären ist demnach, welche Konsequenzen eine fehlerhafte Information über die Unterhaltspflichten für den Arbeitgeber hat und welche Nachweismöglichkeiten es gibt, um Fehlinformationen auszuschließen. Kaum praxisrelevant ist der Fall, dass der Arbeitnehmer auf das Informationsverlangen des Arbeitgebers zu seinen Ungunsten geringere als den Tatsachen entsprechende Unterhaltspflichten angibt. Lediglich an den Fall eines verheimlichten Kindes, etwa aus einem nebenehelichen Verhältnis, ist zu denken. Möchte der/die Beschäftigte seine/ihre Unterhaltszahlungen geheim halten, ist jedoch auch mit keinem späteren Kündigungsschutzprozess wegen nicht ausreichend berücksichtigter Unterhaltspflichten zu rechnen. Konsequenzen für den Arbeitgeber ergeben sich aus dieser Fallvariante nicht. Verschweigt der Arbeitnehmer versehentlich Unterhaltspflichten, etwa weil die Vaterschaft zum Kündigungszeitpunkt noch nicht bekannt ist, kann er sich in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht auf seine tatsächliche Unterhaltssituation bzw. auf die wegen zu geringer Unterhaltsangaben für ihn negativ ausfallende Sozialauswahl im Kündigungsschutzprozess berufen – wegen treuwidrigen Verhaltens nach § 242 BGB.291 Gibt der Arbeitnehmer bewusst mehr gesetzliche (Kindes-)Unterhaltspflichten an, als er wahrheitsgemäß zu erfüllen hat, könnte der Arbeitgeber auf Grund dieser wahrheitswidrigen Angaben in der Sozialauswahl einen Kollegen als weniger schützenswert erachten, der sonst für eine Kündigung nicht in Betracht gekommen wäre. Wird dieser Kollege gekündigt, wird der Arbeitgeber den eventuellen Kündigungsschutzprozess gegen diesen auf Grund der fehlerhaften Sozialauswahl verlieren. Dem unwirksam Gekündigten wäre Annahmeverzugslohn zu zahlen und dieser wäre wieder einzustellen.292 Es entstehen demnach für den Arbeitgeber Belastungen, die gegen eine höhere Bewertung der (Kindes-)Unterhaltspflichten sprechen könnten. Allerdings hat zum einen das BAG die so genannte „Dominotheorie“ aufgegeben.293 Führte ein Fehler bei der Ermittlung der Punktzahlen für die 291

LAG Köln – 2 Sa 272/00 – 3.5.2000 NZA-RR 2001, 247, 248; Schiefer NZA-RR 2002, 169, 178 f. 292 Zu diesen Rechtsfolgen: Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 187; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 725; Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 311.

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Sozialauswahl dazu, dass auch nur einem Arbeitnehmer, der bei richtiger Ermittlung der Punktzahlen zur Kündigung angestanden hätte, nicht gekündigt wurde, so wurden die Kündigungen aller gekündigten Arbeitnehmer vor der Aufgabe der „Dominotheorie“ als unwirksam angesehen.294 Nach der aktuellen Rechtsprechung besteht nun nicht mehr die Gefahr, dass sich beliebig viele zur gleichen Zeit gekündigte, sozial schwächere Kollegen auf den Auswahlfehler auf Grund von falsch angegebenen Unterhaltspflichten berufen; insofern ist der mögliche Schaden begrenzt. Zudem hat der lügende Arbeitnehmer gegen seine arbeitsvertraglichen Schutzpflichten aus § 242 BGB verstoßen, sodass der Arbeitgeber gegen diesen einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund295 und einen Schadensersatzanspruch (Kosten des verlorenen Kündigungsschutzprozesses und Annahmeverzugslohnzahlungen an den gekündigten Arbeitnehmer) hat.296 Der Arbeitgeber trägt also kein Risiko, was über das allgemeine Risiko, dass Arbeitnehmer gegen die wirksame Kündigung erfolglos klagen, hinausgeht. gg) Zwischenergebnis Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht hinsichtlich der Unterhaltspflichten ein verlässliches, gerecht verteiltes, keinen großen Aufwand forderndes und daher zumutbares Informationssystem (s. oben ab S. 115 ff.). Der Arbeitgeber bedarf vor allem für die Angaben des Arbeitnehmers bezüglich dessen Unterhaltssituation keiner Nachweise, da er selbst bei einer bewussten Falschinformation durch den Arbeitnehmer keinen Risiken ausgesetzt ist (oben S. 121 f.). Ferner ist allein die Anzahl (S. 110 ff.) der bestehenden (in Abgrenzung zu den tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen, S. 109), gesetzlichen (oben S. 108 f.) Kindesunterhaltspflichten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs (S. 114 f.) relevant. Damit ist die Feststellung der Unterhaltspflichten gegenüber dem Blick in die Personalakte für Betriebszugehörigkeit und Lebensalter nicht erwähnenswert schwieriger. Auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität folgt keine vorrangige Berücksichtigung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit gegenüber den (Kindes-)Unterhaltspflichten in § 1 III KSchG. 293 BAG 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – SAE 2008, 78 ff. unter ausdrücklicher Aufgabe der bisherigen gegenteiligen Rechtsprechung. 294 BAG 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – BAGE 47, 80 ff.; 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – BB 1990, 1274. 295 Bütefisch (2000) S. 241. 296 MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 389; KR/Griebling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 678e; Schiefer NZA-RR 2002, 169, 178 f.

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i) Das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis Der Arbeitsvertrag regelt als Dienstvertrag nach § 611 BGB die Leistung von Arbeit gegen Zahlung einer Vergütung. Diese Hauptleistungspflichten stehen im Synallagma, sodass es sich beim Arbeitsvertrag um einen Austauschvertrag handelt.297 Es könnte also gerechtfertigt sein, Ältere im Rahmen der Sozialauswahl im Austausch für die mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses ansteigende Arbeitnehmernachteile (zum Flexibilitätsverlust ausführlich bei § 622 II S. 1 BGB ab S. 142) zu privilegieren, ebenso wie im Austausch für die mit der Betriebszugehörigkeit steigende, vom Arbeitnehmer erbrachte Betriebstreue298 oder für das wachsende Bestandsvertrauen des Arbeitnehmers, welches mit einer Kündigung enttäuscht wird (ausführlich bei § 622 II S. 1 BGB ab S. 148).299 Weiterhin könnte die vorrangige Berücksichtigung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit in § 1 III KSchG dazu dienen, den Beitrag der älteren, betriebstreuen Arbeitnehmer zum Unternehmensgewinn zu belohnen (dazu ausführlich bei § 622 II S. 1 BGB ab S. 147) oder im Austausch für den mit der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter steigenden Besitzstand, den der Arbeitnehmer durch die Kündigung verlieren würde, erfolgen (ausführlich bei § 622 II S. 1 BGB ab S. 152). Für die Sozialauswahl ist allerdings zu beachten, dass das Synallagma des Arbeitsverhältnisses nur zwischen den Arbeitsvertragsparteien – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – besteht. Die Sozialauswahl gestaltet dagegen das interne (Konkurrenz-)Verhältnis zwischen den Arbeitnehmern (s. oben S. 54 f. und S. 97).300 Für die Sozialkonkurrenz und das schutzwürdige Interesse eines Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes i. S. des § 1 III KSchG ist der Beitrag der Kollegen zum Unternehmensgewinn sowie deren Vertrauen auf den Arbeitsplatz etc. irrelevant (zu den verschiedenen Aspekten des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis daher erst unten bei § 622 II S. 1 BGB ab S. 141).301 Auch der Charakter des Austauschverhältnisses kann die Familienbenachteiligung in § 1 III KSchG nicht rechtfertigen.

297 ErfK/Preis9 (2009) § 611 BGB Rn. 3 und 5; APS/Preis5 (2004) § 611 BGB Rn. 4; vgl. Greiner RdA 2007, 22, 26; Söllner AcP Band 167 (1967) 132, 137 ff. 298 Kamanabrou RdA 2007, 199, 202. 299 BVerfG 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969; Kamanabrou RdA 2007, 199, 202. 300 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791. 301 Kaiser FS Konzen (2006), S. 381, 401.

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j) Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Wächst die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für seine Beschäftigten korrelierend zur Betriebszugehörigkeit, könnte sich die linear steigende, hohe Bewertung der Betriebszugehörigkeit in § 1 III KSchG aus dieser Fürsorgepflicht ergeben. Als Fürsorgepflicht des Arbeitgebers wird die Gesamtheit seiner Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer bezeichnet. Lehre und Rechtsprechung konstruierten dieses „personenrechtliche Gemeinschaftsverhältnis“ bereits im Jahr 1931;302 seitdem wird die Fürsorgepflicht mit dem besonderen Näheverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien begründet: der Beschäftigte sei ggf. jahrzehntelang bei demselben Arbeitgeber beschäftigt (Dauerschuldverhältnis) und durch die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers aus § 106 GewO dessen betrieblicher Organisationshoheit ausgeliefert.303 Inhaltlich verbergen sich hinter der Fürsorgepflicht jedoch keine von § 241 II BGB abweichenden Nebenpflichten: Die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten – etwa Lohnberechnung oder Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen als allgemeine Vertragsförderpflicht304 – sichern, wie in jedem Schuldverhältnis, nur die Erfüllung der Hauptleistungspflichten und schützen die Rechtsgüter des Vertragspartners – etwa die Schutzpflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer als allgemeine Rücksichtnahmepflichten aus § 241 II BGB;305 die Nebenpflichten tragen im Arbeitsverhältnis nur einen gesonderten Namen.306 Für ein Wachstum der Fürsorgepflicht korrelierend zur Betriebszugehörigkeit spricht allerdings § 147a SGB III.307 Hiernach trifft den Arbeitgeber hinsichtlich des von der Bundesagentur für Arbeit an den gekündigten Arbeitnehmer gezahlten Arbeitslosengeldes eine Rückzahlungspflicht, wenn er die Kündigung des Arbeitnehmers verursacht hat, der Arbeitnehmer über 57 Jahre alt und ein langjährig Beschäftigter des Arbeitgebers ist. Wie die Vorgängernorm § 128 AFG a. F. wird § 147a SGB III mit dem erhöhten Kündigungsschutzbedarf älterer Arbeitnehmer gerechtfer302 MüKo/BGB/Müller-Glöge5 (2009), Band 4, § 611 BGB Rn. 981 m. w. N.; MünchArbR/Blomeyer2 (2000), Band 1, § 94 Rn. 4 ff. und 9. 303 Kaiser ZfA 2000, 205, 220. 304 MünchArbR/Blomeyer2 (2000), Band 1, § 94 Rn. 12. 305 MüKo/BGB/Müller-Glöge5 (2009) Band 4, § 611 BGB Rn. 986. 306 ErfK/Preis9 (2009) § 611 BGB Rn. 615; Gotthardt (2003) Rn. 29; Kaiser ZfA 2000, 205, 220. 307 Zu § 128 AFG a. F.: BAG 26.6.1990 – 1 AZR 263/88 – NZA 1991, 111 [unter Gründe II]; BVerfG 23.1.1990 – 1 BvL 44/86 und 48/87 – NZA 1990, 161 [unter Gründe C II 1 d cc].

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tigt.308 Diese Einschätzung des Arbeitsmarktes sowie die generell erhöhte Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer ist jedoch inzwischen abzulehnen (s. oben S. 70 ff.); die Wertung des ungerechtfertigten § 147a SGB III ist an dieser Stelle nicht auf die Fürsorgepflicht zu übertragen. Vielmehr ist mit dem oben dargestellten Verständnis der Fürsorgepflicht deren Anstieg mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu verneinen: Der zugewiesene Arbeitsbereich des Arbeitnehmers, die ihm angewiesenen Aufgaben und die Betriebsmittel haben keinen Bezug zur Länge des Arbeitsverhältnisses. Die Organisationshoheit des Arbeitgebers hat allein für haftungsrechtliche Fragen Konsequenzen.309 Weiterhin ist mit Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages sofort ein Dauerschuldverhältnis gegeben und dieser Charakter verstärkt sich auch nicht im Laufe der Vertragszeit. Unterstellt man dennoch ein Wachstum der Fürsorgepflicht korrelierend zur Betriebszugehörigkeit, ist die Gegenseitigkeit des Dauerschuldverhältnisses310 zu beachten. Auch jeder Arbeitnehmer partizipiert an der beschriebenen Nähe im Arbeitsverhältnis, sodass zeitgleich zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch die des Arbeitnehmers steigen würde.311 Etwa wären i. S. einer besseren Bedarfsplanung für den Arbeitgeber seitens der Arbeitnehmer nach der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Kündigungsfristen einzuhalten. Dem widerspricht allerdings § 622 II BGB, der verlängerte Kündigungsfristen nur für Arbeitgeber vorsieht (vgl. lediglich die Regelung des § 622 VI BGB zur Arbeitnehmerkündigung). Etwas anderes folgt auch nicht aus § 620 II BGB. Auf den ersten Blick ergeben sich aus dieser Regelung für beide Parteien des Arbeitsverhältnisses verlängerte Kündigungsfristen;312 der Wortlaut des § 622 II S. 1 BGB („Für eine Kündigung des Arbeitgebers beträgt die Kündigungsfrist . . .“) steht dem allerdings entgegen.313 Weiterhin stellt § 620 II BGB einen verweisenden Rechtssatz dar, 308 BVerfG 23.1.1990 – 1 BvL 44/86 und 48/87 – NZA 1990, 161 [unter Gründe C II 1 d cc: „Die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer bedeutet meist die Vorstufe zum endgültigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Darin liegt der Unterschied zu den jüngeren Arbeitnehmern, die von der Arbeitslosigkeit nicht in gleicher Weise betroffen sind.“]. 309 Dieser Aspekt wird über die Figur des innerbetrieblichen Schadensausgleichs im Rahmen der Haftung des Arbeitnehmers für Sachschäden berücksichtigt; vgl. etwa die ausführlichen Darstellungen bei Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht6 (2008), § 20 II 1. c) S. 236; Junker, Arbeitsrecht7 (2008) Rn. 295, S. 163 ff. 310 ErfK/Preis9 (2009) § 611 BGB Rn. 3 und 5; APS/Preis2 (2004) § 611 BGB Rn. 4; vgl. Greiner RdA 2007, S. 22, 26; ausführlich zum Synallagma im Arbeitsverhältnis: Söllner AcP Band 167 (1967) 132, 137 ff. 311 Für die Existenz dieser Kaiser ZfA 2000, 205, 219 (beidseitige Treuepflicht). 312 Vgl. BAG – 2 AZR 62/71 – 25.11.1971 AP Nr. 1 zu § 622 BGB; Richardi ZfA 1971, 73, 78 Fn. 14 m. w. N.

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der daher kein materiell-rechtliches Prinzip der Gleichheit der Kündigungsfristen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber enthalten kann.314 Auch sollen die verlängerten Kündigungsfristen allein dem Arbeitnehmerschutz dienen (s. oben S. 95 f.), was jedoch bei einer Beachtung dieser Fristen für die Arbeitnehmerkündigung in sein Gegenteil verkehrt werden würde.315 Eine mit der Betriebszugehörigkeit ansteigende Fürsorgepflicht ist auch nach Betrachtung des Mietvertrages als ein dem Arbeitsvertrag ähnelndes Dauerschuldverhältnis316 nicht anzunehmen; beide Rechtsbereiche sichern die Grundlagen der sozialen und wirtschaftlichen Existenz (vgl. zum Schutzzweck des § 622 II S. 1 BGB S. 95 f.).317 Auch im Mietrecht entsteht das Dauerschuldverhältnis bereits mit Abschluss des unbefristeten Mietvertrages, ohne dass die Pflichten aus diesem analog einer mit der Beschäftigungsdauer ansteigenden Fürsorgepflicht wachsen; allein die Kündigungsfrist des Vermieters verlängert sich (§ 573c BGB). Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist kein Rechtfertigungsgrund für die vorrangige Bewertung der Betriebszugehörigkeit – und mittelbar des Lebensalters – in § 1 III KSchG. k) Kollektivrechtliche Wertungen Die nachrangige Bewertung der Unterhaltspflichten bei Durchführung der Sozialauswahl könnte durch entsprechende kollektivrechtliche Wertungen gerechtfertigt sein.318 Auf Grund des Erfordernisses eines gleichlaufenden Schutzzweckes kommen als Rechtfertigungsgrund vor allem Kollektivregelungen in Betracht, die dem Kündigungsschutz des Arbeitnehmers dienen (zu den Abfindungs313 Palandt/Weidenkaff68 (2009) § 622 Rn. 4 und 14; MünchArbR/Wank2 (2000) Band 2, § 119 Rn. 32; Staudinger/Preis14 (2002), Buch 2, § 622 BGB Rn. 55; MüKo/BGB/Hesse4 (2005), Band 4, § 622 BGB Rn. 24. 314 Vgl. BAG 25.11.1971 – 2 AZR 62/71 – AP Nr. 1 zu § 622 BGB; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft3 (1995), S. 197 ff. 315 BAG 25.11.1971 – 2 AZR 62/71 – AP Nr. 1 zu § 622 BGB [unter Gründe 2 d]; zu diesem Ergebnis gelangten auch schon das ArbG Wuppertal 15.1.1970 – 4 Ca 1484/69 – DB 1970, 1088; Thies BB 1970, 265 f.; Richardi ZfA 1971, 73, 77 ff. 316 Für den Charakter des Mietverhältnisses als Dauerschuldverhältnis: Palandt/ Weidenkaff68 (2009) Einf. v. § 535 Rn. 1. 317 Für die Ähnlichkeit von Arbeitsrecht und Mietrecht vgl. Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 286. 318 Für eine Anlehnung an die Auffassung der Tarifvertragsparteien Linck (1990), S. 87.

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regelungen, die nicht dem Kündigungsschutz, aber auch dem Schutz des Arbeitnehmers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses [zu diesem Schutzzweck des § 1 III KSchG oben ab S. 91] dienen unten ab S. 167).319 Mangels Regelung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kann mit einer Entgelterhöhung, gestaffelt nach Betriebszugehörigkeit und wachsendem Alter, ebenso wie mit einem Zusammenhang zwischen Betriebszugehörigkeit und tariflichen (oder betrieblichen) Versorgungsansprüchen nicht argumentiert werden.320 Auch eine altersabhängige Erhöhung der Urlaubstage (etwa nach § 26 I TVöD/§ 26 I TV-L) scheidet als Argument aus, da diese im Arbeitgeberinteresse einer altersbedingten Leistungsabnahme bzw. Leistungsausfällen (zu diesen oben S. 70 ff.) entgegenwirken soll.321 Auch vereinbarte Pensionsgrenzen, bei deren Erreichen das Arbeitsverhältnis automatisch endet, dienen nicht dem Arbeitnehmerschutz.322 Vielmehr wird dem Arbeitgeber der Nachweis fehlender Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen des § 1 I KSchG erlassen. Weiterhin ist die Anlehnung an kollektivrechtliche Wertungen dahingehend einzuschränken, dass der Kündigungsschutz meist tariflich geregelt ist und der Tarifvorrang des § 77 III BetrVG eine Regelung dieser Thematik in Betriebsvereinbarungen verbietet, um der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie (Art. 9 III GG) Rechnung zu tragen.323 aa) Legitimation staatlicher Gesetze durch Tarifrecht? Eine Anlehnung der praktischen Ausfüllung des Bewertungsspielraums des § 1 III KSchG an Tarifregelungen kommt in Betracht, da der normative Teil eines Tarifvertrages Rechtsnormen mit unmittelbarer und zwingender Wirkung (§§ 1 I, 4 I TVG) enthält, diese Gesetzesqualität durch Art. 9 III TVG garantiert wird324 und der Wille der Tarifvertragsparteien daher sehr bedeutsam ist.325 So verweist der Gesetzgeber in arbeitsrechtlichen Gesetzesbegründungen häufig auf dem Gesetzestext entsprechende Tarifregelungen, über die in der Praxis bereits seit Jahren Konsens besteht. Diese Akzeptanz beweise, dass die bestehenden Tarifregelungen allen Interessen im Arbeitsrecht gerecht würden; diesen guten Kompromiss lohne es, ins Gesetz zu übernehmen. Etwa galt die Regelung der Kündigungsfristen in § 11 des 319 320 321 322 323 324 325

Linck (1990) S. 78. a. A. U. Preis (1987) S. 422. Neumann/Fenski, BUrlG9 (2003) § 4 BUrlG Rn. 1. Lüderitz (2005) S. 22 f. DKK/Berg11 (2008) § 77 Rn. 62 ff.; Fitting24 (2008) § 77 Rn. 67 ff. Löwisch/Rieble2 (2004) Grundl. Rn. 39. Linck (1990) S. 78.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

MTV der chemischen Industrie vom 24.6.1992 als Maßstab für § 622 BGB in seiner heutigen Fassung vom 7.10.1993 (Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG326).327 Bereits 1969 ist dieser Zusammenhang hinsichtlich § 622 II BGB zwischen Tarifregelungen und Gesetzestext zu finden.328 Aus dieser Gesetzgebungspraxis lässt sich jedoch kein Legitimationszusammenhang zwischen Gesetzen und Tarifverträgen erkennen. Diesen Zusammenhang hat die Rechtsprechung vielmehr verneint: Die Tatsache, dass zahlreiche tarifliche Kündigungsfristen in ihrer Länge zwischen Arbeitern und Angestellten differenzierten, konnte nach Ansicht des BVerfG den Verstoß des damaligen § 622 BGB gegen Art. 3 GG nicht rechtfertigen.329 Diskriminiert die vorrangige Berücksichtigung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit im Rahmen des § 1 III KSchG die Familien und die Jüngeren, liegt damit ein Verstoß gegen Art. 3 I GG und gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG vor, der auch nicht durch die alleinige Anknüpfung der tariflichen Kündigungsfristen an Betriebszugehörigkeit und Lebensalter gerechtfertigt werden kann.330 Denn gegenüber dem Tarifrecht ist jedes zwingende331 staatliche Recht vorrangig;332 die Tarifvertragsparteien sind kein gesetzgebendes Bundesorgan,333 sondern dem staatlichen Gesetzgeber nachgeordnete Rechtsetzungsberechtigte. Daher ist der Tarifvertrag im Verhältnis zum Gesetzesrecht als die schwächere Rechtsquelle anzusehen 326

BGBl. I 1668. APS/Linck2 (2004) § 622 BGB Rn. 12; BT-Drs. 12/4902 S. 7. 328 BT Drs. V/3913 – Anlage 1 – S. 10, Anlagenband 128: „Ähnliche Kündigungsfristen sind bereits in zahlreichen Tarifverträgen verankert“; für diesen Zusammenhang auch Klassen (2002) S. 17. 329 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 4 c]; eine zulässige Orientierung der tariflichen Kündigungsfristen an der Gesetzeslage wurde jedoch im selben Urteil bejaht. 330 Zu diesem Argument vgl. BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 4]. 331 Unbeachtet bleibt hier die Möglichkeit des einseitig zwingenden Arbeitnehmerschutzrechtes, welchem im Einzelfall günstigere kollektivrechtliche Regelungen vorgehen können. Denn dieses Günstigkeitsprinzip weist keinen Zusammenhang zu der grundsätzlichen Rangfolge der verschiedenen Rechtsquellen und deren Legitimationszusammenhang untereinander auf (vgl. hierzu Wiedemann7 [2007] Einl. Rn. 350 ff.). 332 BAG 26.9.1984 – 4 AZR 343/83 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG; 25.4.1979 – 4 AZR 791/77 – AP Nr 49 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte; Wiedemann7 (2007) Einl. Rn. 414; Löwisch/Rieble2 (2004) § 1 Rn. 201; Hueck/Nipperdey7 (1967) Band II/1, S. 392. 333 BVerfG 23.3.1965 – 2 BvN 1/62 – NJW 1965, 1371. 327

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

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– unabhängig davon, ob es sich dabei um Verfassungsrecht des Bundes oder der Länder, um zwingende bundes- oder landesgesetzliche Bestimmungen oder auch um Rechtsverordnungen von Bund und Ländern handelt.334 Damit Tarifverträge staatlichen Regelungen vorgehen und diese damit rechtfertigen könnten, müsste dies ausdrücklich gesetzlich geregelt sein.335 An diesem Ergebnis ändert auch die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 III GG nichts, da die rechtlichen Befugnisse Einzelner nicht durch deren Zusammenschluss erweitert werden können.336 Lediglich staatliches Recht ohne Außenwirkung hat gegenüber Tarifregelungen keinen Vorrang, etwa bloße Verwaltungsvorschriften oder Geschäftsordnungen;337 § 1 III KSchG fehlt es jedoch nicht an einer Außenwirkung und geht deshalb dem Tarifrecht vor. Tarifregelungen können keine Gesetzeslage rechtfertigen. Die Tarifregelungen sind ohnehin kein Hinweis darauf, dass die Gesetzeslage von den Tarifvertragsparteien gebilligt wird und damit in den Tarifregelungen der starke, zu berücksichtigende Wille der Tarifvertragsparteien zu finden ist. Denn trotz tariflicher Einigung können im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses zahlreiche tatsächliche Gegenstimmen existieren oder sich diese danach bilden. Schließt man dennoch von den bestehenden tariflichen Regelungen auf eine Billigung der dort festgeschriebenen Rechtslage, kann diese Billigung auch allein auf dem jahrzehntealten tariflichen Usus beruhen. Etwa sind sowohl Arbeitgeber als auch die Gewerkschaften seit Jahrzehnten an Kündigungsfristen gewöhnt, die an die Betriebszugehörigkeit gekoppelt sind. Diese übliche Verknüpfung wird meist ohne Reflexion in neue Tarifverträge übernommen; über die wahre Interessenslage der beteiligten Kreise lässt sich daher etwa aus den Regelungen der Kündigungsfristen kaum etwas entnehmen.338 334 BAG 26.9.1984 – 4 AZR 343/83 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG [Rn. 23]; Löwisch/ Rieble2 (2004) § 1 Rn. 201; Wiedemann7 (2007) Einl. Rn. 414. 335 Löwisch/Rieble2 (2004) § 1 Rn. 202. 336 BVerfG 15.12.1999 – 1 BvR 2161/93 – NJW 2000, 1251; 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u. a. – AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG [unter Gründe C III 2]; 24.2.1971 – 1 BvR 438/68 u. a. – AP Nr. 22 zu Art 9 GG. 337 Löwisch/Rieble2 (2004) § 1 Rn. 204. 338 Dies ergaben auch Telefoninterviews mit verschiedenen Tarifvertragsparteien: Telefoninterview v. 26.6.2008 mit einem Vertreter der Fraport AG (S. 255 ff.); Auskunft per Mail v. 7.10.2008 seitens des DGB-Bundesvorstands (S. 262); Auskunft per Mail v. 8.10.2008 von der Verd.i-Bundesverwaltung (S. 262). Mangels öffentlicher Protokolle über die Tarifvertragsabschlüsse kann die genaue Motivation der Tarifvertragsparteien nicht anderweitig belegt werden; Tarifpolitik ist oftmals nicht (öffentlich) begründbar (zu diesem Ergebnis gelangt auch Kaiser FS Konzen [2006] S. 381, 382).

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Letztlich könnten die tariflichen Wertungen schon deshalb nicht ohne weiteres als Maßstab für die Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG herangezogen werden, da deren Rechtmäßigkeit selbst in Frage steht und es bei einer Rechtfertigung des § 1 III KSchG mit den tariflichen Wertungen zu einem Zirkelschluss kommen würde: bb) Rechtmäßigkeit vergleichbarer tariflicher Wertungen Betriebszugehörigkeit und Lebensalter des Arbeitnehmers spielen hinsichtlich des tariflichen Kündigungsschutzes vor allem im Rahmen tariflich verlängerter Kündigungsfristen und bei tariflicher (ordentlicher) Unkündbarkeit eine Rolle. Beispiele hierfür ergeben sich aus der Abb. 14 S. 131. Um diese Regelungen als Rechtfertigung der Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG heranzuziehen, müssten diese ihrerseits rechtmäßig sein.339 Bezüglich der tariflichen (ordentlichen) Unkündbarkeit bestehen dahingehend jedoch Bedenken: Zum einen könnte die (tarifliche) ordentliche Unkündbarkeit, die allein an ein bestimmtes Alter und eine bestimmte Betriebstreue anknüpft und Unterhaltspflichten nicht berücksichtigt, selbst wegen Diskriminierungen von Familien unrechtmäßig sein.340 Die tarifliche Unkündbarkeit könnte Jüngere – darunter viele Eltern mit Unterhaltspflichten – auf Grund des Alters ungerechtfertigt benachteiligen (Verstoß gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG i. V. m. § 7 I AGG; zur Anwendbarkeit des AGG entgegen § 2 IV AGG auf das Kündigungsrecht vgl. S. 82 ff.).341 Zum anderen besteht die Möglichkeit, diese tariflich unkündbaren Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.342 Dadurch vermindern sich wiederum die Chancen der jüngeren Kollegen – darunter tendenziell besonders viele Löwisch/Rieble2 (2004) § 1 Rn. 205. Rieble NZA 2003, 1243, 1244, der im Zusammenhang mit der tariflichen Unkündbarkeit mit Blick auf Art. 6 GG von einer rechtlich unhaltbaren Familienbenachteiligung spricht; HWK/Quecke3 (2008) § 1 KSchG Rn. 344. 341 BAG 5.6.2008 – 2 AZR 907/06 – NZA 2008, 1120 [Rn. 31]; MüKo/BGB/ Thüsing5 (2007), Band 1/2, § 10 AGG Rn. 41 ff.; Leuchten NZA 2002, 1254, 1259; Hanau ZIP 2006, 2189; Wiedemann[Thüsing]7 (2007) Einl. Rn. 162 zur Frage der Altersdiskriminierung. 342 Höchstrichterlich ist die Frage der Einbeziehung tariflich Unkündbarer in die Sozialauswahl bislang noch ungeklärt: In einem obiter dictum lehnt das BAG (17.5.1984 – 2 AZR 161/83 – AP Nr. 3 zu § 55 BAT [unter Gründe III 2 a bb]) die Vergleichbarkeit von ordentlich Kündbaren und tariflich Unkündbaren und damit deren parallele Einbeziehung in die Sozialauswahl ab; ohne jede Auseinandersetzung mit dieser Streitfrage: BAG 15.12.1994 – 2 AZR 320/94 – AP Nr. 66 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe B II 2]; ebenso 17.9.1989 – 2 AZR 419/97 – AP Nr. 148 zu § 626 BGB; für eine Einbeziehung: ArbG Cott339 340

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

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Quelle: WSI-Tarifarchiv 2005; Stand 30.6.2004; © Hans-Böckler-Stiftung 2005

Abb. 14: Tarifliche Unkündbarkeit und tarifliche Kündigungsfristen für Ältere343

Eltern – auf die Beibehaltung ihres Arbeitsplatzes. Etwa verdrängt ein 53-Jähriger mit drei Jahren Betriebszugehörigkeit, der nach § 4.4. MTV Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden unkündbar ist,344 eine 40-jährige Mutter von vier Kindern mit zehn Jahren Betriebszugehörigkeit, die noch keine tarifliche Unkündbarkeit erreicht hat. Auf diese Problematik der negativen Konsequenz von tariflicher Unkündbarkeit auf die Sozialauswahl jüngerer Kollegen wies auch § 10 S. 3 Nr. 7 AGG a. F. ausdrücklich hin:345 bus 17.5.2000 – 6 Ca 38/2000 – AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 [unter Gründe 2]; Mauer/Schüßler BB 2001, 466, 469; Löwisch DB 1998, 877; MünchArb/Berkowsky2 (2000) Band 2, § 139 Rn. 108; gegen eine Einbeziehung: LAG Bandenburg 29.10.1998 – 3 Sa 229/98 – NZA-RR 1999, 360, 362; Zwanziger DB 2000, 2166 ff.; Pauly ZTR 2006, 578 ff. 343 Grafik aus Böckler Impuls 17/2005 „Ältere Beschäftigte: Kündigungsschutz und Fristen“ (abrufbar unter: http://www.boeckler.de/32015_49019.html). 344 Die Zulässigkeit dieser tariflichen Regelung ausdrücklich offen lassend BAG 5.6.2008 – 2 AZR 907/06 – NZA 2008, 1120 Rn. 30 m. w. N. zum Streitstand. 345 Für eine gemeinschaftsrechtskonforme Einschränkung der ordentlichen Unkündbarkeit bzw. für die erforderliche Aufnahme von Ausnahmetatbeständen in die Tarifnorm auf Grund der hier dargestellten Überlegungen: BAG 5.6.2008 – 2 AZR 907/06 – NZA 2008, 1120 [Rn. 31].

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

§ 10 AGG a. F. Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters 7. die individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarung der Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit, soweit dadurch nicht der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 III KSchG grob fehlerhaft gemindert wird. . . .

Hinsichtlich der tariflichen Kündigungsfristen bestehen ebenfalls Rechtmäßigkeitsbedenken; diese könnten auch auf Grund einer Benachteiligung der Jüngeren gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG i. V. m. § 7 I AGG (zur Anwendbarkeit des AGG entgegen § 2 IV AGG S. 82 ff.) verstoßen. Argumente für eine Rechtfertigung dieser Benachteiligung könnten in der Belohnung der Betriebstreue346 oder im Austausch für den Flexibilitätsverlust zu sehen sein (hierzu sogleich bei § 622 II S. 1 BGB ab S. 141). Ob tariflich verlängerte Kündigungsfristen ebenso wie die tarifliche (ordentliche) Unkündbarkeit rechtmäßig sind, kann jedoch offen bleiben, da auch an dieser Stelle wieder der sonst entstehende Zirkelschluss entscheidend ist: cc) Zirkelschluss Bereits die tariflichen Kündigungsfristen und deren alleinige Anknüpfung an die Betriebszugehörigkeit werden mit den gesetzlichen Regelungen begründet.347 Die Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG kann daher nicht umgekehrt mit bestehenden tariflichen Regelungen gerechtfertigt werden.348 dd) Zwischenergebnis Auch kollektivrechtliche Wertungen, die ebenfalls allein ältere und länger Beschäftigte privilegieren, rechtfertigen die Familienbenachteiligung im Rahmen der Umsetzung der Sozialauswahl nicht; deren Rechtfertigung steht selbst in Frage (oben S. 130 ff.). Zudem können Tarifverträge nicht zur Rechtfertigung benachteiligender gesetzlicher Regelungen herangezogen werden (s. oben S. 127 ff.). Es gilt vielmehr, den Zirkelschluss (gerade oben S. 132) der Begründung der tariflichen Regelungen mit den gesetz346 Für die dahingehende Rechtfertigung der Anknüpfung der tariflichen Unkündbarkeit: BAG 13.3.1997 – 2 AZR 175/96 – AP Nr. 54 zu § 2 BeschFG 1985 [unter Gründe B II 2 c]. 347 Vgl. etwa BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 4 c: „Sie orientieren sich ersichtlich an der bestehenden gesetzlichen Regelung.“] 348 Mit diesem Argument schließt auch BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 4 c] eine Legitimation des Gesetzes durch tarifliche Regelungen aus.

I. Gesetzliche Diskriminierung durch § 1 III KSchG

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lichen Wertungen und der Rechtfertigung der Umsetzung des Gesetzes mit den tariflichen Wertungen in der Praxis zu durchbrechen.

5. Zwischenergebnis § 1 III KSchG gewährt dem Arbeitgeber hinsichtlich der Sozialdatengewichtung in der Sozialauswahl einen Ermessensspielraum. Diesen nutzt die Praxis seit Jahrzehnten für eine vorrangige Bewertung der Kriterien Lebensalter und Betriebszugehörigkeit. Keines der Argumente für diese besondere Bedeutung der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters überzeugt jedoch: Weder gebietet es der Normzweck, allein ältere, betriebstreue Arbeitnehmer in der Sozialauswahl zu privilegieren (oben S. 68 ff.), noch folgt dies aus der Gesetzesbegründung (oben S. 80). Auch können weder § 10 AGG (oben S. 84 ff.) noch § 5 AGG (oben S. 87 ff.) die Benachteiligung der Familien rechtfertigen; ebensowenig wie andere gesetzgeberische (oben S. 89 ff.) oder kollektivrechtliche (oben S. 126 ff.) Wertungen. Da Familien auch nicht gezwungener Maßen in die Privilegierung der Älteren, Betriebstreuen nachrücken (oben S. 99 f.) und die Betriebszugehörigkeit zudem kein schützenswertes Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB darstellt (S. 100 ff.), ist für die praktische Ausnutzung des Bewertungsspielraums des § 1 III KSchG zu Lasten der Familien kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich. Daran ändert auch der Ursprung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis (oben S. 102 ff.) und der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis nichts (oben S. 123). Da die Fürsorgepflicht nicht mit der Betriebszugehörigkeit steigt, ergibt sich auch hieraus kein gerechtfertigter Vorrang der Betriebszugehörigkeit (S. 124 ff.). Mit der wesentlich höheren Bewertung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit in den – von der Rechtsprechung gebilligten – Punkteschemata zur Durchführung einer Sozialauswahl liegt eine Familiendiskriminierung vor. Dies bestätigt die Praktikabilität der Feststellung der Anzahl der bestehenden, gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten (oben S. 108 ff.) – auch hieraus ergibt sich gegenüber Lebensalter und Betriebszugehörigkeit kein die Minderbewertung der Unterhaltspflichten rechtfertigender Unterschied.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

II. Gesetzliche Diskriminierung durch § 622 II BGB Als eine die Familie diskriminierende arbeitsrechtliche Norm kommt auch § 622 II BGB in Betracht. § 622 BGB Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen: (1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. (2) 1Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen 1. zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats, 2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats, 5. zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats, 6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats, 7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. 2

Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. . . .

1. Benachteiligung Gemäß § 622 II S. 1 BGB ist nach zweijährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses statt einer vierwöchigen Kündigungsfrist zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats vom Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende zu beachten; anschließend ist in sieben Stufen gestaffelt, eine maximal siebenmonatige Kündigungsfrist zum Monatsende (nach 20-jähriger Betriebszugehörigkeit) zu erreichen. Da etwa ein 30-Jähriger jedoch keine fünfzehnjährige Betriebszugehörigkeit aufweisen kann,349 benachteiligt § 622 II S. 1 BGB mittelbar jüngere Arbeitnehmer, darunter die überwiegende Zahl der (potentiellen) Eltern. Hinzukommt, dass nach § 622 II S. 2 BGB bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit i. S. des § 622 II S. 1 BGB allein die Zeit der Beschäftigung nach der Vollendung des 25. Lebensjahres berücksichtigt wird: So schützt den 26-Jährigen, der seit dem acht Jahre zurück liegenden Berufs349 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; LAG RheinlandPfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 56: „in der Natur der Sache“]; Rieble/ Zedler ZfA 2006, 273, 283; Thüsing Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.06.2007, S. 25; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26 c.

II. Gesetzliche Diskriminierung durch § 622 II BGB

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beginn bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist, auf Grund des § 622 II S. 2 BGB keine ihm nach § 622 II S. 1 Nr. 3 BGB zustehende, dreimonatige Kündigungsfrist zum Monatsende, sondern allein die Grundkündigungsfrist des § 622 I BGB – vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats. Im Vergleich weist ein 55-jähriger Kollege mit zwei Jahren Betriebszugehörigkeit bereits eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende auf (§ 622 II S. 1 Nr. 1 BGB). Die Praxisrelevanz des § 622 II S. 2 BGB beweist die ständige Rechtsprechung, welche den in Tarifverträgen nicht weiter definierten Begriff der Betriebszugehörigkeit im Zusammenhang mit verlängerten Kündigungsfristen stets als Betriebszugehörigkeit des Beschäftigten nach dessen vollendetem 25. Lebensjahr auslegt.350 Nach § 622 II BGB partizipieren also (potentielle) Eltern unterhalb der Altersgrenze von 27 Jahren gar nicht und anschließend kaum am Privileg der verlängerten Kündigungsfristen.351 Im Gegenzug zu dem verstärkten Kündigungsschutz für Ältere sind die Kündigungsfristen für Jüngere kurz gehalten, um die wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeber durch die längeren Fristen bei Älteren auszugleichen.352 Dabei fällt die Frage der Familiengründung und -erweiterung typischerweise in den Abschnitt um das 27. Lebensjahr (s. Abb. 7 S. 48 und Abb. 8 S. 49); ein durch längere Kündigungsfristen besser gesicherter Arbeitsplatz könnte gerade in dieser Lebensphase einen wichtigen Anreiz für eine Elternschaft bieten. Das Schutzinteresse der Familien wird im Vergleich zu dem der Älteren nicht gleichberechtigt anerkannt. Die Regelung des § 622 II BGB benachteiligt Familien.

2. Rechtfertigung § 622 II S. 1 BGB Die Untersuchung der Rechtfertigung der Familienbenachteiligung in § 622 II S. 1 BGB konzentriert sich im Folgenden auf bislang noch nicht behandelte Rechtfertigungsgründe oder auf Abweichungen von der bisherigen Argumentation. So ist die Betriebszugehörigkeit als Schutzgut i. S. des § 823 I BGB mit der aktuellen Rechtsprechung353 und den oben 350 BAG 12.11.1998 – 2 AZR 80/98 – NZA 1999, 489 f.; ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 9. 351 Richardi ZfA 1971, 73, 79 f. 352 BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75 und 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB [unter Gründe A III], wonach die kürzeren Kündigungsfristen der Arbeiter gegenüber den Angestellten damit zu begründen sind, dass ein Gleichlauf dieser Fristen noch größere Belastungen der Arbeitgeber bedingt hätte; BAG 25.11.1971 – 2 AZR 62/71 – AP Nr. 11 zu § 622 BGB [unter Gründe 2 d].

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

genannten Argumenten (zu § 1 III KSchG oben ab S. 100) abzulehnen; die alleinige Anknüpfung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit kann hierdurch nicht gerechtfertigt werden. Auch der Ursprung der Betriebszugehörigkeit (zu § 1 III KSchG oben ab S. 102) rechtfertigt die Familiendiskriminierung in § 622 II S. 1 BGB nicht. Da die Unterhaltspflichten ebenso praktikabel festzustellen sind wie die Betriebszugehörigkeit, erfolgt auch hieraus keine gerechtfertigte alleinige Anknüpfung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit (dazu oben im Rahmen des § 1 III KSchG ausführlich ab S. 108); ebensowenig wie aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (s. oben bei § 1 III KSchG S. 124 ff.). Da nicht jeder Arbeitnehmer im Laufe seines Berufslebens in den Genuss gesetzlich verlängerter Kündigungsfristen nach § 622 II S. 1 BGB kommt, sondern es an einer Generationengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt fehlt,354 kann auch der Gedanke des Nachrückens der Jüngeren, kürzer Beschäftigten in die privilegierte Stellung der Älteren, länger Beschäftigten nicht die alleinige Anknüpfung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB rechtfertigen (ausführlich hierzu bereits oben bei § 1 III KSchG S. 99 f.); es fehlt an einem in sich nachrückenden und damit fairen System.355 Ausführlicher darzustellen sind folgende Überlegungen: a) Normzweck des § 622 II S. 1 BGB Ein Rechtfertigungsgrund könnte sich aus dem Normzweck des § 622 II S. 1 BGB ergeben. Die vom Arbeitgeber zu beachtenden Kündigungsfristen dienen der sozialen Abfederung des Arbeitnehmers. Arbeitslosigkeit und damit fehlendes Einkommen sollen vermieden werden, indem dem Arbeitnehmer mit der Zeitspanne zwischen Kündigungszugang und Ende des Arbeitsverhältnisses – noch während des alten, bestehenden Arbeitsverhältnisses (§ 629 BGB) – die Möglichkeit eingeräumt wird, nach einer sich unmittelbar an das alte Arbeitsverhältnis anschließenden, neuen Stelle zu suchen.356 Dabei ermöglichen die verlängerten Kündigungsfristen eine längere und damit eine mehr Erfolg versprechende Suche nach einem neuen Arbeitsplatz; es besteht eine größere Chance auf einen nahtlosen Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis357 und die für einen Arbeitsplatzwechsel er353 OLG Koblenz 23.1.2003 – 5 U 13/03 – NZA 2003, 438, 439; LG Frankfurt a. M. 26.10.1999 – 2/26 O 166/98 – NJW-RR 2000, 831 [LS]. 354 Gründinger (2009) 182 ff. 355 Waltermann NZA 2005, 1265, 1269; ders. ZfA 2006, 305, 326. 356 ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 1; MüKo/BGB/Hesse4 (2005), Band 4, § 622 BGB Rn. 3 („erleichterte Arbeitsplatzsuche“); Kaiser FS Konzen (2006), S. 381, 385 f. m. w. N. zum Normzweck.

II. Gesetzliche Diskriminierung durch § 622 II BGB

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forderlichen Dispositionen im privaten Bereich können rechtzeitig getroffen werden.358 Alternativ wird dem Arbeitnehmer mit der Kündigungsfrist Zeit gegeben, sich auf das zukünftige Einkommen (Arbeitslosengeld und Abfindung) einzustellen.359 Im Hinblick auf diesen Normzweck des § 622 II S. 1 BGB ist die mangelnde Aufnahme der Familien in den Schutz der verlängerten Kündigungsfristen nicht nachzuvollziehen: Sind es doch die Eltern, welche neben ihrem eigenen Lebensunterhalt den Kindesunterhalt finanzieren müssen.360 Die Bedeutung des Arbeitsplatzes für die Existenzsicherung ist umso höher, je mehr Unterhaltsverpflichtungen existieren. Zudem können Kinderlose auf Grund einer höheren zeitlichen und örtlichen Flexibilität besser nach einer neuen Arbeitsstelle suchen und finden diese auf Grund größerer Kompromissfähigkeit hinsichtlich Zeit und Ort schneller – auf bestehende Kinderbetreuungsmöglichkeiten (Einrichtungen oder betreuende Großeltern) ist etwa keine Rücksicht zu nehmen.361 Stattdessen gewährt § 622 II S. 1 BGB Älteren längere Kündigungsfristen: Älteren, die meist keinen Kindesunterhaltspflichten (mehr) nachzukommen, sondern maximal den Ehepartner zu versorgen haben; Älteren, die im Gegensatz zu Jüngeren – darunter besonders viele Eltern – ihren Existenzaufbau bereits abgeschlossen haben.362 Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen sind dementsprechend von Älteren leichter zu verkraften; oftmals besteht ein finanzielles Polster, auf welches kurze Zeit zurückgegriffen werden kann;363 Jüngere haben dagegen angeschafften Immobilienbesitz typi357 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 3]; 16.11.1982 – 1 BvL 16/75 und 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB [unter Gründe B II 2 und 4]; 25.11.1971 – 2 AZR 62/71 – AP Nr. 11 zu § 622 BGB [unter Gründe 2. c.]. 358 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 3]. 359 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 385; für eine rechtzeitige Einstellung auf das Ende des Arbeitsverhältnisses auch Erman/Belling12 (2008) Band I, § 622 BGB. 360 BAG 20.1.1961 – 2 AZR 495/59 – NJW 1961, 940, 941: „Der Verlust des Arbeitsplatzes führt unter Umständen zu einem Einschnitt in die Lebensexistenz nicht nur des Arbeitnehmers selbst, sondern einer größeren Zahl von Menschen, für die er wirtschaftlich verantwortlich oder doch mitverantwortlich ist. Diese Umstände unbeachtet zu lassen, wäre gerade nicht sozial.“ 361 Kopke NJW 2006, 1040, 1041. 362 BAG 19.10.1999 – 1 AZR 838/98 – AP Nr. 135 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe I 1 b cc]; 18.1.1990 – 2 AZR357/89 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe II 4 b dd]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 a cc]; ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 9. 363 Vgl. BAG 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – BB 1990, 1274; Seidel ZTR 1996, 449, 451; ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 9.

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scherweise noch nicht abbezahlt. Weiterhin ist der bis zur Rente zu überbrückende Zeitraum mit fortgeschrittenem Alter wesentlich kürzer als derselbe bei jüngeren Kollegen.364 Auf einen nahtlosen Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis sind Eltern finanziell also mindestens genauso stark wie Ältere angewiesen.365 Auch der Normzweck der sozialen Abfederung rechtfertigt keine alleinige Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen in § 622 II S. 1 BGB an die Betriebszugehörigkeit. b) Gesetzesbegründung Durch das „Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz“ vom 14.8.1969366 wurde erstmals eine verlängerte Kündigungsfrist für Arbeiter und Angestellte367 eingeführt und die Kündigungsfristen erstmals nach der Betriebszugehörigkeit gestaffelt368 – zuvor waren seit 1926 in § 622 II BGB allein die Angestellten privilegiert.369 Beim Inkrafttreten dieses damaligen § 622 II BGB wurde argumentiert, dass der Gesetzgeber 1926 noch allein von einer Schutzbedürftigkeit der älteren Angestellten ausgegangen sei. Die Auffassung über die Schutzbedürftigkeit Älterer habe sich seit 1926 jedoch gewandelt, 1969 sei daher auch ein besonderer Kündigungsschutz für ältere Arbeiter erforderlich:370 „[die Verlängerung der Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer erscheint] mit Rücksicht auf die in jüngster Zeit geführten Debatten über die Schutzwürdigkeit der älteren Arbeitnehmer . . . sozialpolitisch notwendig, aber auch wirtschaftlich vertretbar.“371 Zur Staffelung an364

LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 a cc]. 365 BAG 23.8.1988 – 1 AZR 284787 – AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG [unter Gründe III 3 a]. 366 BGBl. I S. 1106. 367 Diese Fassung von 1969 räumte Angestellten noch eine längere Kündigungsfrist als Arbeitern ein, was schließlich mit Beschluss des BVerfG v. 30.5.1990 (– 1 BvL 2/83 – AP BGB Nr. 28 zu § 622 BGB) auf Grund des Verstoßes gegen Art. 3 I GG als verfassungswidrig erklärt wurde. Seine heutige Fassung erhielt § 622 II BGB mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) v. 7.10.1993 (BGBl. I 1668). 368 APS/Linck2 (2004) § 622 BGB Rn. 1. 369 Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten v. 9.7.1926. 370 BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB [unter Gründe A III 5]. 371 BT-Drs. V/4376, Anlagenband 132, S. 3; zur Entstehungsgeschichte des Ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes BAG 25.11.1971 – 2 AZR 62/71 – AP Nr. 11 zu § 622 BGB [unter Gründe 2b: „lag dem Gesetzgeber daran, durch die Verlängerung der Kündigungsfristen den Arbeitsplatz der länger im Arbeitsverhältnis stehen-

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hand der Betriebszugehörigkeit hieß es nur: „Ähnliche Kündigungsfristen sind bereits in zahlreichen Tarifverträgen verankert.“372 (zur Übertragung der kollektivrechtlichen Wertungen in arbeitsrechtliche Gesetze und umgekehrt vgl. bereits oben zu § 1 III KSchG ab S. 126). Es wurde und wird mit dem Fortbestand der Regelung des § 622 II S. 1 BGB bis heute angenommen, dass ältere Arbeitnehmer durch die besonders ihnen im Anschluss an die Kündigung drohende Dauerarbeitslosigkeit erhöht schutzbedürftig seien (zu diesem Gedanken vgl. schon oben zu § 1 III KSchG S. 70 ff.).373 Seit Erlass der Regelung im Jahr 1969 hat sich der Arbeitsmarkt jedoch wiederum verändert; von einem vorrangigen Schutz älterer Arbeitnehmer ist nicht mehr auszugehen (s. oben S. 70 ff.). Die Gesetzesbegründung kann die heutige Bevorzugung der Älteren gegenüber der ebenso schützenswerten Gruppe der Familien nicht mehr rechtfertigen. c) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen Die Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen allein an die Betriebszugehörigkeit könnte sich aus der sonstigen gesetzgeberischen Bindung eines stärkeren Arbeitnehmerschutzes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses an dieses Kriterium ergeben; so spielt die Betriebszugehörigkeit im Rahmen des § 1 III KSchG und im Abfindungsrecht nach §§ 1a II, 10 KSchG eine Rolle. Für diese Normen konnte bereits der gleichlaufende Schutzzweck festgestellt werden (s. oben S. 91 ff.; zum Ausscheiden einer Parallelwertung der Wartefrist des § 1 I KSchG mangels gleichlaufenden Schutzzweckes oben S. 92 ff.). Zu beachten ist allerdings, dass der Wortlaut des § 1 III KSchG die gleichrangige Beachtung der Unterhaltspflichten vorsieht (zum Wortlaut den Arbeiter zu schützen. Die verlängerten Fristen sind nämlich nur für diejenigen Arbeiter eingeführt worden, die nach Vollendung des 35. Lebensjahres längere Zeit dem Betrieb angehört haben. [. . .], sind es ausschließlich Gründe, die in der Person des Arbeiters liegen, von denen der Gesetzgeber die Erhöhung der Kündigungsfristen abhängig gemacht hat. Diese für die Verlängerung der Fristen maßgeblichen Gesichtspunkte deuten darauf hin, dass Zweck des Gesetzes nur der Schutz der älteren Arbeiter, nicht aber die Stabilisierung des Arbeitsmarktes, d.h. die Erschwerung der Kündigung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gewesen ist.“]; vgl. auch Richardi ZfA 1971, 73, 79 f. 372 BT-Drs. V/3913, Anlagenband 128, S. 10. 373 BAG 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – NZA 2000, 531, 533; Stellungnahme des Bundesministers im Beschluss des BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB; Falkenberg BB 1970, 537, 538; Richardi ZfA 1971, 73, 80 (Fn. 28 m. w. N.).

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von § 1 III KSchG vgl. S. 197 ff.).374 Nur die Praxis kommt durch das vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Sozialdatengewichtung in § 1 III KSchG seit Jahrzehnten zu einem Vorrang der Betriebszugehörigkeit – gebilligt von der Rechtsprechung (s. dazu S. 56 ff.). Nur dieser praktische Usus könnte also zur Rechtfertigung des § 622 II S. 1 BGB herangezogen werden. aa) Unklare Rechtfertigungslage der vergleichbaren Normen Nur rechtmäßige Normen und Auslegungen derselben können selbst einen Rechtfertigungsgrund darstellen. Daher ist es abzulehnen, den praktischen Usus im Rahmen des § 1 III KSchG als Rechtfertigungsgrund für § 622 II S. 1 BGB heranzuziehen; diese praktische Handhabung der Sozialauswahl bewertet selbst Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ungerechtfertigt hoch und ist dementsprechend familiendiskriminierend (vgl. oben zu § 1 III KSchG ab S. 53). Auch §§ 1a, 10 KSchG müssten ihrerseits gerechtfertigt sein. Diese Rechtmäßigkeit ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit noch zu hinterfragen (ab S. 167), insoweit bleibt das Endergebnis der Untersuchung von §§ 1a, 10 KSchG abzuwarten. bb) Zirkelschluss Ungeachtet der Rechtfertigungslage der §§ 1a und 10 KSchG, ist eine Begründung der alleinigen Anknüpfung des § 622 II S. 1 BGB an die Betriebszugehörigkeit mit der von der Rechtsprechung gebilligten praktischen Durchführung des § 1 III KSchG und den Normen §§ 1a, 10 KSchG abzulehnen. Denn der Rang der Betriebszugehörigkeit in der Sozialauswahl nach § 1 III KSchG wird ebenso mit der gesetzgeberischen Wertung in § 622 II S. 1 BGB erklärt375 wie die Anknüpfung der Abfindungsberech374 BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [Rn. 47]; 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – NZA 2007, 549 [Rn. 28]; 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 8.8.1985 – 2 AZR 464/84 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 24.3.1983, 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; HK/Dorndorf4 (2001) § 1 Rn 1065 m. w. N. 375 Für eine Anlehnungen der Sozialdatengewichtung innerhalb § 1 III KSchG an § 622 II S. 1 BGB: BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 794: „So wird etwa die besondere Bedeutung der Betriebszugehörigkeit aus §§ 1 I, 9, 10 II KSchG, § 622 II BGB abgeleitet“; 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe II 2 c]; LAG Hamm 3.8.2004 – 19 Sa

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nung an die Betriebszugehörigkeit in §§ 1a, 10 KSchG.376 Mit der Rechtfertigung des § 622 II S. 1 BGB in die umgekehrte Richtung entstünde ein Zirkelschluss. cc) Zwischenergebnis Andere gesetzliche Regelungen, die den Arbeitnehmerschutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenfalls an die Betriebszugehörigkeit anlehnen, können die Familienbenachteiligung in § 622 II S. 1 BGB nicht rechtfertigen: Zwar besteht hinsichtlich § 622 II S. 1 BGB, § 1 III KSchG und §§ 1a, 10 KSchG ein gleichlaufender Schutzzweck (oben S. 139), aber § 1 III KSchG ist seinerseits ungerechtfertigt (S. 140) und die Rechtfertigung von § 1a KSchG und § 10 KSchG bleibt abzuwarten (unten ab S. 167). Ferner würde ein abzulehnender Zirkelschluss entstehen (s. S. 140 f.). d) Das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis Der Arbeitsvertrag ist als Dienstvertrag nach § 611 BGB auf die Leistung von Arbeit gegen Vergütung gerichtet; diese Hauptleistungspflichten stehen im Synallagma, sodass es sich beim Arbeitsvertrag um einen Austauschvertrag handelt. Durch den Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis377 (insoweit schon oben zu § 1 III KSchG S. 123) sind mehrere Rechtfertigungsgründe für die alleinige Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB denkbar:

728/04 – n. v.; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 76: „Die Gewichtung des Lebensalters nach Maßgabe des vorgenannten Protokolls ist aber auch deshalb mit gesetzlichen Wertungen nicht vereinbar, weil die Punktetabelle Arbeitnehmern vom 21. bis zum 40. Lebensjahr mit 0,5 Punkten pro Lebensjahr mehr als doppelt so viele Punkte zubilligt wie Arbeitnehmern vom 51. bis zum 56. Lebensjahr, die pro Lebensjahr nur noch 0,2 Punkte erhalten. Demgegenüber geht das Gesetz (§ 622 II BGB) jedenfalls bis zum 25. Lebensjahr von einer sehr geringen sozialen Schutzbedürftigkeit aus.“; Linck (1990) S. 74 und 87; B. Preis DB 1986, 746, 747. 376 LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 76; KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 45; Löwisch/Spinner9 (2004) § 10 Rn. 10. 377 ErfK/Preis9 (2009) § 611 BGB Rn. 3 und 5; APS/Preis5 (2004) § 611 BGB Rn. 4; vgl. Greiner RdA 2007, S. 22, 26; Söllner AcP Band 167 (1967) 132, 137 ff.

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aa) Arbeitnehmernachteile aus langer Betriebszugehörigkeit Auf Grund des Austauschverhältnisses könnte der Arbeitnehmer für Verluste und Nachteile, welche er auf Grund seiner Betriebstreue zu Gunsten des Arbeitgebers in Kauf nimmt, neben der nur die Arbeitsleistung entlohnenden Vergütung zu entschädigen sein – etwa über verlängerte Kündigungsfristen. Fraglich ist allerdings, ob der Arbeitnehmer überhaupt auszugleichende Nachteile aus seiner Betriebstreue erfährt und ob deren Anzahl und Schwere korrelierend mit der Betriebszugehörigkeit wachsen. Nur in diesem Fall könnte eine Rechtfertigung für die alleinige Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit gegeben sein. (1) Flexibilitätsverlust Als ein an die Betriebstreue gekoppelter Nachteil wird ein Flexibilitätsverlust vertreten; der Arbeitnehmer verliere bei längerer Betriebszugehörigkeit seine tätigkeitsspezifische wie seine persönliche Flexibilität.378 Der Arbeitnehmer binde sich und ggf. seine Familie über Jahre hinweg an einen Wohnsitz bzw. an ein Einzugsgebiet. Er entwickele ein soziales Netz in Nachbarschaft, Freundeskreis und Vereinen, was zum Flexibilitätsverlust führe; ebenso wie die langjährig vertraute Arbeitsumgebung und die gleich bleibenden Kollegen (persönlicher Flexibilitätsverlust).379 Der Arbeitnehmer verzichte zudem auf Fortbildung und Höherqualifizierung durch Einarbeitung in andere Unternehmen, neue Branchen etc. (tätigkeitsspezifischer Flexibilitätsverlust).380 Sowohl im persönlichen als auch im beruflichen Umfeld käme es zu keinen neuen Erfahrungen und im Falle einer Kündigung würde es Älteren mangels Flexibilität wesentlich schwerer fallen, sich neu zu orientieren, einzuarbeiten etc.381 Dem Anstieg des tätigkeitsspezifischen Flexibilitätsverlustes mit zunehmender Betriebszugehörigkeit ist entgegenzuhalten, dass die Ursache dieses Flexibilitätsverlustes nicht im rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses, 378 BAG 2.12.1999 – 2 AZR 139/99 – NZA 2000, 720; Wank (1992) S. 125 f.; ders. NZA 1993, 961, 965; Berkowsky6 (2008), § 7 IX 3 b, Rn. 175. 379 BAG 6.2.2003 – 2 AZR 623/01 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 51 [unter Gründe II 1 b) bb (1)]. 380 So rechtfertigt das BAG den Einfluss der Betriebszugehörigkeit auf die Abfindungshöhe in Sozialplänen mit der zunehmenden Verengung der Qualifikation des Arbeitnehmers auf die spezifischen Bedürfnisse des bisherigen Betriebes (BAG 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – NZA 2003, 1287, 1289; 14.8.2001 – 1 AZR 760/00 – NZA 2002, 451, 452). 381 Künzl ZTR 1996, 385, 390; Wank (1992) S. 124 f.; Klassen (2002) S. 15.

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sondern in dem ausgeübten Weisungsrecht des Arbeitgebers, welcher den Arbeitnehmer über Jahre hinweg zur selben Tätigkeit verpflichtet, liegt.382 § 622 II S. 1 BGB erfasst mit der Betriebszugehörigkeit jedoch bloß den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses – in Anlehnung an die Berechnung der Wartefrist nach § 1 KSchG.383 Dieses Verständnis der Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB führt außerdem dazu, dass auch ein Arbeitnehmer, der tatsächlich kaum im Betrieb gearbeitet hat (Krankheit, Elternzeit, Streik, Mutterschutz, Wehrdienst etc.) mit verlängerten Kündigungsfristen entschädigt wird.384 Mangels Tätigkeitsausführung kann bei diesem ein tätigkeitsspezifischer Flexibilitätsverlust jedoch nicht eintreten. Zudem definiert sich Betriebszugehörigkeit i. S. des § 622 II S. 1 BGB – wiederum in Anlehnung an § 1 I KSchG – als Dauer des Arbeitsverhältnisses im Unternehmen,385 sodass auch ein Arbeitnehmer, der über mehrere Jahre zwischen verschiedenen Tätigkeiten, Abteilungen und Branchen in einem Unternehmen wechselte, durch verlängerte Kündigungsfristen privilegiert wird; hier liegt jedoch kein Flexibilitätsverlust, sondern ein Flexibilitätszuwachs vor. Gegen den generellen Eintritt eines Flexibilitätsverlustes spricht, dass die Praxis die Qualität des Arbeitnehmers oftmals höher bewertet, wenn er statt mehreren, verschiedenen Arbeitgebern, eine lange Betriebszugehörigkeit aufweist;386 es wird vermutet, dass der Arbeitgeber mit den Leistungen des Arbeitnehmers zufrieden war und ein Wechsel des Beschäftigten nicht erforderlich war. Zudem wird Betriebstreue als Synonym für Zuverlässigkeit und Beständigkeit des Arbeitnehmers verstanden (s. oben zur Untersuchung, ob der jüngere Arbeitnehmer der bessere Beschäftigte ist ab S. 70).387 Hinzu kommt, dass auch die gesetzlichen Regelungen auf keinen Flexibilitätsverlust schließen lassen. Von einem solchen wäre auszugehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Zeit der ablaufenden Kündigungsfrist umschulen und fortbilden müsste. § 629 BGB sieht allerdings nur vor, dass dem Arbeitnehmer für die Arbeitsplatzsuche ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wird.388 382

Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 397. Palandt/Weidenkaff68 (2009) § 622 BGB Rn. 14; Berkowsky6 (2008) § 7 X, Rn. 213; ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 9; MüKoBGB/Hesse5 (2009), Band 4, § 622 BGB Rn. 26; Wank NZA 1993, 961, 965; ausführlich zur Definition des Begriffs der Betriebszugehörigkeit im Kündigungsschutz und im Abfindungsrecht auch Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 382 ff. 384 Erman/Belling12 (2008) Band I, § 622 Rn. 6. 385 Palandt/Weidenkaff68 (2009) § 622 BGB Rn. 14; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 7 und 10. 386 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 397. 387 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 408. 383

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Gegen einen Ausgleich des angeblichen Flexibilitätsverlustes über verlängerte Kündigungsfristen spricht zudem, dass es ohne einen solchen Kündigungsschutz für den Arbeitnehmer geringere Arbeitsplatzsicherheit gäbe, sodass der Arbeitnehmer, um seine berufliche Attraktivität für den Arbeitsmarkt auszubauen und zu erhalten, gezwungen wäre, sich fortzubilden und weiterzuentwickeln; der Ausgleich über verlängerte Kündigungsfristen bedingt also den angeblichen Flexibilitätsverlust.389 Sinnvoller wäre eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu Maßnahmen, welche der fehlenden Attraktivität des Arbeitnehmers für den Arbeitsmarkt auf Grund dessen angeblichen Flexibilitätsverlusts entgegenwirken (Fortbildungszwang etc., vgl. gerade oben zu § 629 BGB S. 143). Gegen einen mit der Betriebszugehörigkeit steigenden Flexibilitätsverlust auf Grund hoher persönlicher Bindungen ist zum einen wieder die Definition der Betriebszugehörigkeit als rechtlicher Bestand des Arbeitsverhältnisses vorzubringen; ein Arbeitnehmer, der tatsächlich kaum im Betrieb gearbeitet hat (Krankheit, Elternzeit etc.), kann bei einer Kündigung noch keinen Verlust der vertrauten Kollegen und der betrieblichen Umgebung als auszugleichenden Nachteil glaubhaft machen. Weiterhin sind Ältere – trotz langer Beschäftigungszeit – auf Grund erwachsener bzw. keiner Kinder zeitlich und örtlich flexibler; bei der Wahl des neuen Arbeitsplatzes ist etwa keine Orientierung an bestehenden Kinderbetreuungseinrichtungen erforderlich, die Nachteile eines Schulwechsels sind nicht abzuwägen etc.390 Generell ist die Annahme eines Flexibilitätsverlustes auf Grund persönlicher Bindungen abzulehnen, da damit eine pauschale Betrachtung der persönlichen Bindungen einhergeht; einzelne Beschäftigte sind jedoch nach zwei Jahren emotional so gebunden wie andere Kollegen nach fünf Jahren oder wie diese es nie sein werden.391 Ferner ist die Immobilität der Menschen meist allein deren Trägheit geschuldet, unabhängig von äußeren Faktoren und Umständen. Längere Kündigungsfristen als Ausgleich für den erlittenen Flexibilitätsverlust sind insgesamt abzulehnen. Weder ist ein Flexibilitätsverlust anzunehmen, noch ist ersichtlich, warum dieser proportional zur Betriebszugehörigkeit (verstanden als rechtliches Beschäftigungsverhältnis im Unternehmen) steigen soll.392 ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 629 BGB Rn. 4 ff.; Palandt/Weidenkaff68 (2009) § 629 Rn. 2. 389 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 386. 390 Kopke ZRP 2009, 41, 43. 391 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 402. 392 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 408. 388

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(2) Ausgleichsbedarf des Flexibilitätsverlustes Einen mit der Betriebszugehörigkeit steigenden Flexibilitätsverlust unterstellt, ist die Frage zu klären, ob dieser einen auszugleichenden Nachteil des Arbeitnehmers darstellt. Gegen einen nachteiligen persönlichen Flexibilitätsverlust spricht, dass ein aufgebautes soziales Netz, welches den Arbeitnehmer bindet, vorteilhaft ist. Diese soziale Absicherung ist das Ergebnis von jahrelangen Freundschaften, Hobbies etc. und ist mehr ein Lebensziel denn ein auszugleichender Nachteil. Diese Einschätzung belegt die steigende Zahl von Tages- und Wochenendpendlern: Innerhalb von 10 Jahren stieg die Quote der Vollzeitbeschäftigten, die in unterschiedlichen Stadtbzw. Landkreisen wohnen und arbeiten, von 31% auf 39%. Besonders hoch ist der Anteil von Pendlern unter den Hochqualifizierten – im Westen 56% und im Osten 39%.393 Das aufgebaute soziale Netz wird nicht zu Gunsten eines neuen Lebensmittelpunktes in Nähe der (neuen) Arbeitsstelle aufgegeben, sondern lieber eine weite Anreise zum Arbeitsplatz in Kauf genommen. Ein derart positiv zu wertender Flexibilitätsverlust auf Grund des bestehenden sozialen Netzes bedarf auf keinen Fall des Ausgleichs. Zudem setzt ein auszugleichender Nachteil des Arbeitnehmers voraus, dass dieser aufopfernd allein zu Gunsten des Arbeitgebers in Kauf genommen wird; die Betriebstreue müsste Ausdruck der Loyalität zum Arbeitgeber sein. Sie ist häufig aber lediglich Folge dessen, dass der Arbeitnehmer keine bessere Anstellung findet oder in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit zu froh über einen (sicheren) Arbeitsplatz ist, um diesen zu wechseln;394 eine lange Betriebszugehörigkeit wird heute als Glück und Vorteil für den Arbeitnehmer gesehen. Es fehlt an einem freiwilligen Verzicht auf die Wahrnehmung beruflicher Veränderungschancen.395 Interessant ist im Zusammenhang mit der freiwilligen Loyalität auch die Rechtsprechung des BAG zu Arbeitsverhältnissen in den neuen Bundesländern: Ein eigenes Sozialdatum der Betriebszugehörigkeit im Rahmen des § 1 III KSchG wurde abgelehnt, da „eine freie Wahl des Arbeitsplatzes in der ehemaligen DDR praktisch nicht bestand. Die Berufsausbildung im Anschluss an die Ausbildung war weitgehend vorgegeben.“396 393

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Mehr Pendler, SZ v. 17.4.2008, S. 20. 394 Kopke NJW 2006, 1040, 1041; ders. ZRP 2009, 41, 42. 395 Bütefisch (2000), S. 208; B. Preis DB 1986, 746, 749; für eine Staffelung der Kündigungsfristen des § 622 II BGB anhand der Betriebszugehörigkeit, um die Betriebstreue zu belohnen, aber Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 27. 396 BAG 29.08.1996 – 8 AZR 35/95 – EzA Art 20 Einigungsvertrag Soziale Auswahl Nr. 1 [unter Gründe B II 1 e]; 19.01.1995 – 8 AZR 914/93 – AP Nr. 12 zu Art 13 Einigungsvertrag [unter Gründe B III 3].

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Auch bei einem unterstellten Flexibilitätsverlust, der linear zur Betriebszugehörigkeit steigt, ist die Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen in § 622 II S. 1 BGB allein an die Betriebszugehörigkeit mangels Ausgleichsbedarf des Flexibilitätsverlustes abzulehnen. (3) Ausgleich per Gesetz? Auch wurde die Entlohnung des Arbeitnehmers von den Arbeitsvertragsparteien bzw. den Tarifparteien privatautonom festgelegt. Es scheint demnach sehr fraglich, ob der Gesetzgeber mit der Regelung des § 622 II BGB in dieses frei ausgehandelte Synallagma eingreifen darf, will und sollte.397 Teils wird mit dem tatsächlichen Willen des Arbeitgebers, die Betriebstreue generell zu belohnen, argumentiert; der Gesetzgeber greife diesen Willen des Arbeitgebers in § 622 II BGB nur auf. Dass der Arbeitgeber die Betriebstreue belohnen will, ergebe sich aus den praxisüblichen Rückzahlungsklauseln, an welche Fort- oder Ausbildungen des Arbeitnehmers meist gekoppelt sind.398 In diesen verpflichtet sich der Beschäftigte bei einem früher als vereinbarten Verlassen des Betriebes auf seine Initiative hin, die (anteiligen) Kosten der Aus- oder Fortbildung zu übernehmen. Ist die Zeitspanne, in welcher der Arbeitnehmer zu einer Rückzahlung verpflichtet ist mit Blick auf die Höhe der erhaltenen finanziellen Unterstützung angemessen, billigt auch die Rechtsprechung diese Rückzahlungsklauseln.399 Der Arbeitnehmer soll an den Betrieb gebunden werden. Die Rückzahlungsklauseln bezwecken jedoch keine Belohnung der Betriebstreue – dies resultiert schon aus der für die Wirksamkeit der Klauseln nach der Rechtsprechung erforderlichen, begrenzten Dauer der Rückzahlungsverpflichtung;400 meist beträgt diese nur einige Monate oder wenige Jahre – eine wirklich lange Beschäftigung des Arbeitnehmers kann so nicht 397

Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 387. Wank (1992) S. 125. 399 Beträgt die Aufwendung des Arbeitgebers nicht mehr als 100,– e, ist eine Rückzahlungsklausel stets eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers (§ 307 I BGB); zwischen 100,– e und einem Monatsgehalt ist eine Rückzahlung bei Ablauf des Arbeitsverhältnisses vor dem 1. Quartal des Folgejahres möglich (BAG 28.3.2007 – 10 AZR 261/06 – AP Nr. 265 zu § 611 BGB Gratifikation); ein Monatsverdienst oder mehr: Keine Beendigung vor Ablauf des ersten Halbjahres kann vereinbart werden (vgl. insgesamt Junker Arbeitsrecht7 (2008) § 4 Rn. 251); Ausbildungskosten in Höhe von 27.541, 67 e ermöglichen eine Bindung des Sparkassenangestellten von drei Jahren (BAG 5.6.2007 – 9 AZR 604/06 – AP Nr. 40 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe). 400 Etwa BAG 5.6.2007 – 9 AZR 604/06 – AP Nr. 40 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; 28.3.2007 – 10 AZR 261/06 – AP Nr. 265 zu § 611 BGB Gratifikation. 398

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gesichert werden. Dem Arbeitgeber geht es vielmehr um eine mehr kurzals langfristige Amortisierung seiner Aus- oder Fortbildungsausgaben. Das Beispiel der Rückzahlungsklauseln kann nicht als Rechtfertigung für ein gewünschtes Einmischen des Gesetzgebers in das Synallagma des § 611 BGB herangezogen werden. Auch hiernach ist also ein Ausgleich des (angeblichen) Flexibilitätsverlustes durch § 622 II S. 1 BGB abzulehnen. (4) Zwischenergebnis Ein Ausgleich des Flexibilitätsverlustes auf Arbeitnehmerseite über die Dauer der Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB ist abschließend abzulehnen. Weder liegt ein Flexibilitätsverlust vor (oben S. 142 ff.) noch besteht für diesen Ausgleichsbedarf (oben S. 145 f.) noch hätte ein Ausgleich per Gesetz zu erfolgen (S. 146 f.). Hieraus ergibt sich kein Rechtfertigungsgrund für die mittelbare Benachteiligung von Familien in § 622 II S. 1 BGB. bb) Belohnung des Beitrags zum Unternehmensgewinn Der Gedanke des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis kann weiterhin dahingehend aufgegriffen werden, dass der Arbeitnehmer mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit einen größeren Beitrag zum Unternehmensgewinn leistet:401 Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wächst und der Arbeitgeber spart die Einarbeitung einer neuen Kraft. Hinzukommen evtl. immaterielle Aspekte wie Betriebsklima, Betriebsfrieden etc., zu denen der Arbeitnehmer seit Jahren beiträgt und so den Unternehmensgewinn vergrößert. Dieser Gedanke kann jedoch nur greifen, wenn die Betriebszugehörigkeit nicht mehr als bloßer rechtlicher Bestand des Arbeitsverhältnisses verstanden wird (zu dieser momentan gültigen Definition der Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB bereits oben S. 143). Denn ein Arbeitnehmer, der keine tatsächliche Arbeitsleistung erbringt, leistet auch keinen entlohnenswerten Beitrag zum Unternehmensgewinn. Zudem ist auch hier die pauschale Betrachtung, dass mit längerer Beschäftigungsdauer der Beitrag zum Unternehmensgewinn linear steigt, zu kritisieren. Denn von der Bevorzugung des § 622 II S. 1 BGB werden auch Arbeitnehmer erfasst, die etwa in Verlustjahren des Unternehmens beschäftigt waren oder eine mangelhafte, für eine ordentliche Kündigung noch nicht genügende Arbeitsleistung 401 BAG 6.2.2003 – 2 AZR 623/01 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 51 [unter Gründe II 1 b bb (1)]; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1097; B. Preis DB 1986, 746, 749.

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erbrachten. Auch kann von einem durch den einzelnen Arbeitnehmer erwirtschafteten Unternehmensgewinn, der eine Höhe erreicht hat, die es zu entlohnen gilt, nicht bereits nach zwei Jahren (§ 622 II S. 1 Nr. 1 BGB) ausgegangen werden. Eine Belohnung des Beitrags zum Unternehmensgewinn im Rahmen des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis ist als Rechtfertigungsgrund für § 622 II S. 1 BGB abzulehnen.402 cc) Entschädigung für die Enttäuschung des Bestandsvertrauens Je länger das Beschäftigungsverhältnis existiert, desto größer sollen das Vertrauen des Arbeitnehmers auf dessen Fortbestand und der Vertrauensmissbrauch seitens des Arbeitgebers sein, wenn ein langjährig Beschäftigter dennoch gekündigt wird.403 Dementsprechend könnten verlängerte Kündigungsfristen im Austausch für das zerstörte Vertrauen entschädigen und so die alleinige Anknüpfung des § 622 II S. 1 BGB an die Betriebszugehörigkeit und damit die Familienbenachteiligung rechtfertigen. Je größer das erschütterte Vertrauen, desto größer die negative Überraschung des Arbeitnehmers und desto höher dessen Bedarf an Orientierungszeit, d.h. an verlängerten Kündigungsfristen.404 Die arbeitnehmerschützende Berücksichtigung des Vertrauensprinzips im Kündigungsrecht hat drei Voraussetzungen: Es setzt einen objektiv zu bewertenden Vertrauenstatbestand, die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diesen Vertrauenstatbestand sowie die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers voraus. Allein der Zeitablauf, also die bloße Dauer der Betriebszugehörigkeit, reicht nicht aus.405 402 Eine Beteiligung des Arbeitnehmers am Unternehmensgewinn wäre als Belohnung passender; etwa eine Gewinnbeteiligung, die zusätzlich zum Gehalt ausgezahlt wird, Kapitalbeteiligungen durch Genussrechte, stille Beteiligungen oder Aktienoptionsprogramme. Den gesetzlichen Ausbau der Mitarbeiterbeteiligung prüft auch der Gesetzgeber: Reuters, SZ v. 19./20.4.2008, S. V2/13; Knoppik, Ein Stück vom Kuchen SZ v. 19./20.4.2008, S. V2/13. Bislang regelt der Gesetzgeber mit dem 5. VermögensbildungsG lediglich, inwieweit er solche Beteiligungen steuerrechtlich begünstigt und subventioniert. Hierzu auch: Löwisch FS Däubler (1999) 473 ff.; Loritz ZfA 1998, 543 ff. 403 U. Preis (1987) S. 372; Klassen (2002) S. 15 f.; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 709; Bütefisch (2000) S. 207 m. w. N. in Fn. 56 zur Sozialauswahl. 404 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 386 m. w. N. 405 Canaris (1971), S. 491 ff.; Preis (1987) S. 359; Hübner BGB AT2 (1996) Rn. 586; vgl. auch die Rspr. zum Direktionsrecht, nach welcher allein der Zeitablauf ohne weitere Umstände ungeeignet ist, Arbeitnehmervertrauen zu begründen (BAG 15.9.2009 – 9 AZR 757/08 – DB 2009, 2551 [Rn. 54 m. w. N.]).

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(1) Objektiv zu bewertender Vertrauenstatbestand Bereits ein objektiver Vertrauenstatbestand ist für die überwiegende Zahl der Arbeitsverhältnisse jedoch zu verneinen. Denn der Vertrauenstatbestand muss so beschaffen sein, dass ein unbeteiligter Dritter aus diesem auf eine bestimmte Rechtslage Rückschlüsse zöge.406 Dabei ist der konkrete Sachverhalt, die konkrete tatsächliche und rechtliche Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Vertragsbeziehung ausschlaggebend.407 Die alleinige Existenz eines Arbeitsvertrages und die tatsächliche Beschäftigung reichen seit einigen Jahren allerdings nicht mehr, um ein Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu begründen: Durch zahlreiche Massenentlassungen – auch bei großen (Traditions-)Unternehmen, mit deren Problemen Beschäftigte und Öffentlichkeit nicht rechneten (etwa Opel, AEG, Nokia, Telekom, Siemens, Agfa) – ist in den letzten Jahren wohl jedes Arbeitnehmervertrauen auf den Fortbestand der Beschäftigung zerstört worden. Diese Lage hat sich durch die Weltwirtschaftskrise seit Herbst 2008 verschärft: Zahlreiche große Traditionsunternehmen schließen (Schiesser408, Rosenthal,409 Pfaff410, Quelle411) oder standen 2009 kurz vor der Insolvenz (wie etwa Opel und Conti). Das deutsche Arbeitnehmer seit Jahren allgegenwärtig mit der (betriebsbedingten) Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen, lässt sich auch aus dem Konsum- und Anlegeverhalten der Bevölkerung in Deutschland entnehmen: Statt auf Grund der Beständigkeit des Arbeitsplatzes das Einkommen maßvoll auszugeben, wird überwiegend für schlechtere Zeiten gespart und vorgesorgt; 2007 kletterte das Sparvolumen auf einen Rekordwert von 166 Milliarden e; 5% mehr als noch 2006;412 von 558.607 Mill. e Spareinlagen von inländischen Privatpersonen im Jahr 2001 kletterte dieser Wert auf 571.075 Mill. e Spareinlagen im Jahr 2006.413 Ein Vertrauenstatbestand aus Sicht eines objektiven Dritten könnte höchstens dort anzunehmen sein, wo betriebsbedingte Kündigungen tariflich U. Preis (1987) S. 359; Hübner, BGB-AT2 (1996) Rn. 587. U. Preis (1987) S. 360. 408 dpa, Schiesser meldet Insolvenz an, Spiegel-online v. 6.2.2009. 409 Rosenthal insolvent – 1700 Mitarbeiter vor Scherbenhaufen, Manager-Magazin v. 9.1.2009 (abrufbar unter: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/arti kel/0,2828,600436,00.html). 410 Stieber, Nähmaschinen-Hersteller Pfaff ist zahlungsunfähig, Welt-online v. 11.9.2008. 411 dpa, Warenhäuser schließen: Letzter Verkaufstag bei Quelle, merkur-online v. 19.12.2009. 412 http://www.focus.de/finanzen/altersvorsorge/sparverhalten_aid_136830.html. 413 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 441. 406 407

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(etwa in Rationalisierungsschutzabkommen) oder betrieblich ausgeschlossen worden sind. Jedoch schließt eine drohende Insolvenz auch ein Festhalten der Arbeitgeber an diesen tariflichen oder betrieblichen Abkommen aus. Selbst wenn der Arbeitnehmer aber entgegen der Entlassungspraxis der Unternehmen in den letzten Jahren und entgegen der Wirtschaftskrise nicht von vornherein am Fortbestand seines Arbeitsplatzes zweifelt (etwa Angestellte im öffentlichen Dienst), so ist zu vermuten, dass der Arbeitnehmer zunehmend mit seiner Betriebszugehörigkeit nicht auf seinen Arbeitsplatz, sondern auf die gesetzlichen Kündigungsschutzregelungen vertraut, die ihm mit steigender Betriebszugehörigkeit einen stärkeren Schutz gewähren. Der Arbeitnehmer vertraut immer stärker darauf, dass er nicht als erster gekündigt, sondern auf Grund seines gewachsenen Kündigungsschutzes bevorzugt behandelt wird. Er vertraut also nicht wie bei der Rechtsscheinhaftung oder dem Grundsatz der betrieblichen Übung auf den Schein einer tatsächlich nicht bestehenden Sach- oder Rechtslage, sondern auf das dem Kündigungsrecht unterstellte Prinzip, dass eine längere Betriebszugehörigkeit zu einem besseren Arbeitnehmerschutz führt. Damit vertraut der Arbeitnehmer nur darauf, entsprechend der Gesetzeslage behandelt zu werden. Es sind die Normen des Kündigungsrechts selbst, die ein etwaiges Vertrauen der Arbeitnehmer auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begründen, sodass der Norminhalt des § 622 II S. 1 BGB nicht wiederum mit dem Arbeitnehmervertrauen gerechtfertigt werden kann. Es entstünde ein Zirkelschluss – diese Erklärung wäre tautologisch.414 Auch unter diesem Blickwinkel fehlt es demnach an einem Vertrauenstatbestand. (2) Verantwortung des Arbeitgebers Weiterhin würde es dementsprechend auch an einer Verantwortung des Arbeitgebers für diesen Vertrauenstatbestand durch die gesetzlichen Kündigungsschutzregelungen fehlen: Nicht der Arbeitgeber hat durch sein Verhalten das Vertrauen des Arbeitnehmers (konkludent) veranlasst, sondern der Gesetzgeber. Da dem Arbeitgeber also das Vertrauen des Arbeitnehmers nicht zuzurechnen ist, hat der Arbeitgeber auch die Enttäuschung des Arbeitnehmervertrauens durch seine Arbeitgeber-Kündigung nicht durch eine hohe Bewertung der Betriebszugehörigkeit im Rahmen der verlängerten Kündigungsfristen auszugleichen. Es fehlt demnach auch an der zweiten Voraussetzung des Vertrauensprinzips im Kündigungsrecht.415

414 415

Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 388 und 399. Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 388 und 399.

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(3) Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers Bezüglich der dritten Voraussetzung des Vertrauensprinzips ist festzuhalten, dass die Kündigungsfristen des § 622 II BGB für jede ordentliche Kündigung des Arbeitgebers gelten – irrelevant, ob betriebs-, personen- oder verhaltensbedingt gekündigt wird. Geht es um eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitnehmers, welche nach der ganz überwiegenden Meinung eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt,416 ist die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers jedoch wesentlich geringer einzustufen, als dies etwa bei einer betriebsbedingten Kündigung der Fall ist417 – die Frage, ob der Arbeitnehmer bei einem schuldhaften Fehlverhalten auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vertrauen darf, sei dahingestellt. Würde man die Anknüpfung des § 622 II S. 1 BGB an die Betriebszugehörigkeit mit dem Vertrauensprinzip rechtfertigen, wären die Kündigungsfristen daher je nach Kündigungsart unterschiedlich zu gestalten. Dies sieht § 622 II S. 1 BGB jedoch nicht vor. (4) Zu berücksichtigendes Bestandsvertrauen des Arbeitgebers Gegen eine Rechtfertigung des § 622 II S. 1 BGB mit dem seitens des Arbeitgebers zu entschädigenden Vertrauensmissbrauch lässt sich zudem anbringen, dass ein mit der Betriebszugehörigkeit steigendes Bestandsvertrauen auch auf der Seite des Arbeitgebers anzunehmen wäre: Dieser verlässt sich auf die fortgesetzte Erwerbstätigkeit seiner Arbeitnehmer, verzichtet ggf. auf die Ausbildung/Umschulung von Ersatzkräften. Auch das durch eine Arbeitnehmerkündigung enttäuschte Vertrauen des Arbeitgebers wäre im Rahmen des Arbeitsvertrages als Austauschverhältnis auszugleichen. Dem widerspricht allerdings, dass § 622 II BGB gesetzlich verlängerte Kündigungsfristen allein für die Arbeitgeberkündigung festlegt. Tariflich und individualvertraglich kann dies auch für den Arbeitnehmer erfolgen (§ 622 VI BGB)418 (S. 125 f.). 416 Zuletzt BAG 24.6.2004 – 2 AZR 63/03 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; 21.1.1999 – 2 AZR 665/98 – EzA § 626 n. F. BGB Nr. 178; Bitter/Kiel RdA 1995, 26, 33; v. Hoyningen-Huene Anm. zu BAG 21.1.1999, AP BGB § 626 Nr. 151; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 475; APS/ Dörner2 (2004) § 1 KSchG Rn. 275 f.; P. Preis DB 1990, 630, 631; Stahlhacke/ Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1168a; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 205; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 96, KR/Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 395 f.; HK/Dorndorf4 (2001) § 1 Rn. 531, 536 f.; a. A. Kaiser FS Otto (2008) S. 173, 205; gegen das Verschulden als Tatbestandsmerkmal Büdenbender SAE 2000, 89, 91 f.; MünchArbR/Berkowsky2 (2000) Band II, § 137 Rn. 32 ff. 417 U. Preis (1987) S. 374 f. 418 ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 19 ff.

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(5) Zwischenergebnis Unabhängig davon, ob ein Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses durch die bloße Existenz eines andauernden Arbeitsverhältnisses in Deutschland in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit abgelehnt oder bejaht wird, liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Vertrauensprinzips im Kündigungsrecht nicht vor: Weder ist das (angebliche) Bestandsvertrauen des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber zuzurechnen (oben S. 150) noch ist das Bestandsvertrauen des Arbeitnehmers schützenswert (oben S. 151). Zudem wäre auch das Bestandsvertrauen des Arbeitgebers zu berücksichtigen (oben S. 151). dd) Ausgleich für den Verlust des erarbeiteten Besitzstandes Weiterhin wird vertreten, dass für den Arbeitnehmer mit der Arbeitgeberkündigung des Arbeitsverhältnisses ein unfreiwilliger Verlust des erarbeiteten Besitzstandes (finanzielle Rechtsvorteile wie Gehaltsstaffelungen, Gratifikationen, Zuwendungen, Betriebsrentenansprüche etc.) eintrete. Den gelte es zu entschädigen.419 Den Besitzstand verdiene sich der Arbeitnehmer mit der Dauer seiner Beschäftigung, sodass die Betriebszugehörigkeit mit dem Besitzstandsverlust korreliere;420 der Verlust träfe auf Grund der Höhe der Vorteile einen lang Beschäftigten härter als einen Neuangestellten, der diese Vorteile noch nicht beanspruchen kann.421 Diesem Ansatz sind mehrere Aspekte entgegenzuhalten: Zum einen besteht für Arbeitnehmer kaum noch die Möglichkeit, sich einen sozialen Besitzstand zu erarbeiten. Viele Betriebe sind im Rahmen des globalen Wettbewerbs und der verhaltenen Konjunktur der letzten Jahre in Deutschland nicht mehr bereit, dem Arbeitnehmer zusätzlich zum Gehalt weitere finanzielle Leistungen anzubieten; von einem Verlust des sozialen Besitzstandes ist nicht unkritisch auszugehen. Zudem wächst der Ausgleichsbedarf für den sozialen Besitzstand nicht proportional mit der Betriebszugehörigkeit. Dem Arbeitnehmer wird mit der Kündigung kein geldwertes Gut entzogen, sondern die künftige Möglichkeit einem geregelten Entgelterwerb nachzugehen – inkl. des Ausbaus seines sozialen Besitzstandes. Nicht ersichtlich ist, warum für den Ausgleich dieses künftigen Verlustes das vergangenheitsStahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1096; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 709 m. w. N. 420 LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 77; B. Preis DB 1998, 1761, 1763; Mohr ZfA 2007, 361, 378. 421 U. Preis (1987), S. 373 und 422; Vogt DB 1984, 1467, 1469. 419

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bezogene Kriterium der Betriebszugehörigkeit ausschlaggebend sein soll (zu diesem Gedanken vgl. ausführlich zur Abfindung S. 172 ff.). Ferner ist auch der soziale Besitzstand kein absolut geschütztes Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB, für dessen Verlust kein Ausgleich in Form von Schadensersatz zu gewähren ist (zu § 823 I BGB vgl. oben S. 100 ff.). Auch sind länger Beschäftigte mit einem größeren, erarbeiteten sozialen Besitzstand auf dessen künftigen Erwerb nicht stärker angewiesen als Arbeitnehmer, die nur einen geringen oder keinen Besitzstand aufweisen. Denn jeder Arbeitnehmer stellt sich auf die Gesamtsumme seines Verdienstes ein und passt seinen Lebensstandard diesem Einkommen an. Es ist also nicht davon auszugehen, dass kürzer Beschäftigte unter dem Aspekt des erarbeiteten Besitzstandes von einer Kündigung wirtschaftlich weniger hart betroffen sind als Langzeitbeschäftigte und dementsprechend der Verlust des sozialen Besitzstands in geringerem Umfang auszugleichen ist. Dies wird dadurch bestätigt, dass dem Arbeitnehmer, der wegen seiner kurzen Betriebszugehörigkeit eine Versorgungszusage erst seit weniger als fünf Jahren hat, noch keine unverfallbare Ruhegeldanwartschaft nach § 1b I S. 1 BetrAVG zusteht; er wird von einer Kündigung sogar finanziell härter getroffen, als ein Arbeitnehmer, der diese Absicherung schon erhält – zumal derartige Anwartschaften der länger Beschäftigten sich auch wiederum positiv in der Abfindungsberechnung wieder finden (S. 183). Auch eine Entschädigung für den Besitzstandsverlust kann die Regelung des § 622 II S. 1 BGB nicht rechtfertigen. ee) Zwischenergebnis Auch der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis liefert keinen Rechtfertigungsgrund für die Benachteiligung der Familien in § 622 II S. 1 BGB. Weder ist der lang Beschäftigte, Ältere über verlängerte Kündigungsfristen für seinen Beitrag zum Unternehmensgewinn pauschal zu belohnen (oben S. 147 f.) noch ist er für den Verlust des erarbeiteten Besitzstandes (oben S. 152 f.), das enttäuschte Bestandsvertrauen (oben S. 148 ff.) oder die aus der langen Betriebszugehörigkeit entstehenden Arbeitnehmernachteile (oben S. 142 ff.) zu entschädigen. e) §§ 10, 5 AGG Die alleinige Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an Betriebszugehörigkeit und Lebensalter in § 622 II S. 1 BGB stellt eine Benachteiligung der Jüngeren auf Grund des Alters dar (s. oben S. 134 f.) und ist daher grundsätzlich gemäß §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG unzulässig. Die Un-

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gleichbehandlung zwischen Älteren und Jüngeren könnte jedoch ausnahmsweise als positive Maßnahme i. S. des § 5 AGG oder als zulässige Ungleichbehandlung auf Grund des Alters nach § 10 AGG gerechtfertigt sein (zur Anwendung des AGG auf das Kündigungsrecht S. 82 ff.). Die Ungleichbehandlung in § 622 II S. 1 BGB rechtfertigt die Literatur überwiegend gem. § 10 AGG;422 ältere Arbeitnehmer seien im Rahmen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen besonders schutzbedürftig, sodass deren Schutz ein legitimes Ziel i. S. des § 10 AGG darstelle.423 Im Gegensatz zur Sozialauswahl, bei welcher auf die Kündigung der Älteren zu Lasten der Jüngeren verzichtet wird, würden sich längere Kündigungsfristen für Ältere nicht direkt und zwingend nachteilig auf jüngere Beschäftigte auswirken, sodass auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des § 622 II S. 1 BGB keine Bedenken bestünden.424 Zudem stellen verlängerte Kündigungsfristen im höheren Alter nach Ansicht der Literatur angesichts der schwierigen Arbeitsmarktlage für Ältere positive Maßnahmen i. S. des § 5 AGG dar.425 Teils wird dies auch mit einem nach einer langen Betriebszugehörigkeit eintretenden Flexibilitätsverlust begründet.426 Das Argument der besonderen Schutzbedürftigkeit von älteren Arbeitnehmern ist jedoch abzulehnen (vgl. oben zur Gesetzesbegründung des § 1 III KSchG S. 70 ff. und zu § 10 AGG bei § 1 III KSchG S. 84 ff.). Ebenso ist ein mit längeren Kündigungsfristen auszugleichender Flexibilitätsverlust durch eine lange Betriebszugehörigkeit nicht festzustellen (oben S. 142 ff.). Auch ist nicht ersichtlich, warum der überwiegende Teil der Literatur im Rahmen des § 622 II S. 1 BGB eine auszugleichende faktische Benachteiligung von Älteren i. S. des § 5 AGG annimmt, § 5 AGG bei § 622 II S. 2 BGB dann jedoch nicht als Rechtfertigungsgrund heranzieht (s. dazu ab S. 162).

422 Vgl. nur Löwisch FS Schwerdtner (2003) S. 769, 771; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2586; Wiedemann/Thüsing NZA 2002, 1234, 1241; Löwisch/ Caspers/Neumann (2003) S. 53. 423 Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 27; Wendeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 25 m. w. N. 424 Wendeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 25 m. w. N.; Wiedemann/ Thüsing NZA 2002, 1234, 1240. 425 Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 58 m. w. N.; WendelingSchröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 23; MüKo/BGB/Thüsing5 (2007), Band 1/2, § 10 AGG Rn. 41; Wiedemann/Thüsing NZA 2002, 1234, 1240. 426 Däubler/Bertzbach/Hinrichs AGG2 (2008) § 5 Rn. 58.

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f) Kollektivrechtliche Wertungen Der vorrangige besondere Kündigungsschutz der länger Beschäftigten in § 622 II S. 1 BGB könnte durch den besonderen tariflichen (zur Überlegung, dass allein tarifrechtliche Kündigungsschutzregelungen als kollektivrechtliche Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen vgl. oben zu § 1 III KSchG S. 127) Kündigungsschutz dieser Personengruppe gerechtfertigt sein.427 Tariflicher Bestandsschutz dient ebenso wie § 622 II S. 1 BGB (S. 95 f.) dem kündigungsrechtlichen Arbeitnehmerschutz, sodass die Voraussetzung des gleichlaufenden Schutzzwecks für eine Parallelwertung gegeben ist (zum fehlenden gleichlaufenden Schutzzweck bei tariflich gestaffelten Entgelterhöhungen, tariflichen Pensionsgrenzen etc. vgl. S. 126 f.).428 Tarifliche Kündigungsfristen und tarifliche Regelungen zur (ordentlichen) Unkündbarkeit, welche (neben dem Lebensalter) die Betriebszugehörigkeit der Beschäftigten berücksichtigen (für Beispiele s. Abb. 14 S. 131), sind jedoch nicht als Rechtfertigungsgründe für die alleinige Anknüpfung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit in § 622 I S. 1 BGB heranzuziehen: Zum einen können zwingende staatliche Gesetze nicht mit nachrangigen Tarifregelungen legitimiert werden (vgl. ausführlich S. 127 ff.). Weiterhin steht die Rechtmäßigkeit von tariflichen Kündigungsfristen und von der tariflichen (ordentlichen) Unkündbarkeit in Frage (Verstoß gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG, vgl. S. 130 ff.). Dies kann ungeklärt bleiben, da mit den tariflichen Kündigungsschutzregelungen als Maßstab für § 622 II S. 1 BGB ein Zirkelschluss entstehen würde: Die tariflichen Kündigungsregelungen würden mit der Gesetzeslage gerechtfertigt und umgekehrt. Diesen Zirkelschluss gilt es zu durchbrechen (S. 132). Kollektivrechtliche Wertungen rechtfertigen die mittelbare Familienbenachteiligung in Form der Bevorzugung von ausschließlich länger Beschäftigten in § 622 II S. 1 BGB nicht.

427 So galt die Regelung der Kündigungsfristen in § 11 des MTV der chemischen Industrie v. 24.6.1992 als Maßstab für § 622 BGB in seiner heutigen Fassung v. 7.10.1993 (APS/Linck2 [2004] § 622 BGB Rn. 12; BT-Drs. 12/4902 S. 7). Auch in der Gesetzesbegründung der Einführung von gestaffelten, verlängerten Kündigungsfristen mit dem ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz v. 14.8.1969 ist dieser Zusammenhang zu finden: „Ähnliche Kündigungsfristen sind bereits in zahlreichen Tarifverträgen verankert.“ (BT-Drs. V/3913, Anlagenband 128, S. 10); für diesen Zusammenhang auch Klassen (2002) S. 17. 428 Linck (1990) S. 78.

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3. Zwischenergebnis Durch die an die Betriebszughörigkeit gekoppelten Kündigungsfristen werden jüngere Beschäftigte, die noch keine längere Betriebszugehörigkeit aufweisen können, mittelbar benachteiligt. Dabei fallen vor allem (potentielle) Eltern in diese Gruppe der Jüngeren. Für diese Familienbenachteiligung in § 622 II S. 1 BGB ist kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich: Der Normzweck der sozialen Abfederung deckt die Ungleichbehandlung nicht, da Familien auf diese stärker als Ältere – nicht mehr zum Kindesunterhalt Verpflichtete oder kinderlos Bleibende – angewiesen sind (oben ab S. 136). Auch die Gesetzesbegründung – die höhere Schutzbedürftigkeit der Älteren – kann auf Grund der heutigen Arbeitsmarktlage nicht mehr zur Rechtfertigung übertragen werden (oben ab S. 138) und der Verstoß des § 622 II S. 1 BGB gegen das Altersdiskriminierungsverbot gemäß §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG kann weder über § 10 AGG, noch über § 5 AGG gerechtfertigt werden (oben ab S. 153). Auch rücken die Familien nicht zwingend in die Privilegierung des § 622 II S. 1 BGB nach (oben S. 136) und es ist nicht ausschlaggebend, dass allein die Betriebszugehörigkeit ihren Ursprung im Arbeitsverhältnis hat (S. 136). Ebensowenig wie die Unterhaltspflicht ist die Betriebszugehörigkeit zudem ein Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB (oben ab S. 135) und auch die Feststellung der Anzahl der gesetzlichen, bestehenden Kindesunterhaltspflichten gestaltet sich nicht weniger praktikabel als die Feststellung der Betriebszugehörigkeit (oben S. 136). Auch der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis rechtfertigt die mittelbare Familienbenachteiligung nicht (oben ab S. 141). Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers wächst nicht mit der Beschäftigungsdauer, so dass sich auch hieraus keine besondere Bedeutung der Betriebszugehörigkeit ergibt (S. 136). Vielmehr sind für § 622 II S. 1 BGB Wertungen anderer Gesetze (§§ 1a II, 10 KSchG) sowie Maßstäbe aus kollektivrechtlichen Vereinbarungen reflektionslos übernommen worden (zu einer fehlenden Rechtfertigung des § 622 II S. 1 BGB durch diese gesetzlichen bzw. kollektivrechtlichen Regelungen oben ab S. 139 bzw. S. 155). Eine seit Jahrzehnten nicht hinterfragte, gleich gebliebene Handhabung der Kündigungsfristen lässt die arbeitsmarktpolitische Veränderung und die demografische Entwicklung der Gesellschaft unbeachtet. Mangels rechtfertigender Gründe für die Benachteiligung der Eltern diskriminiert § 622 II S. 1 BGB Familien.

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4. Rechtfertigung § 622 II S. 2 BGB Auf Grund des Zusammenspiels von § 622 II S. 1 und S. 2 BGB kann hinsichtlich einiger Rechtfertigungsgründe, die nicht nur an die Betriebszugehörigkeit, sondern auch (mittelbar) an das Lebensalter anknüpfen (das Argument des Schutzgutes i. S. des § 823 I BGB ist mangels Bedeutung der Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 2 BGB etwa zu vernachlässigen), auf die Ausführungen zu § 622 II S. 1 BGB verwiesen werden: Etwa ist der Normzweck mit der sozialen Abfederung des Gekündigten identisch,429 sodass aus diesem auch hinsichtlich § 622 II S. 2 BGB keine Rechtfertigung für die Familienbenachteiligung folgt (s. oben S. 135 ff.). Ferner spricht keine fehlende Praktikabilität dafür, Unterhaltspflichten auch im Rahmen des § 622 II S. 2 BGB außer Acht zu lassen (vgl. S. 108 ff. zu § 1 III KSchG) und ein mit dem Lebensalter steigender Flexibilitätsverlust, ist über den Arbeitsvertrag als Austauschverhältnis nicht auszugleichen (vgl. S. 141 ff. zu § 622 II S. 1 BGB). Im Folgenden wird allein auf bislang noch nicht diskutierte oder im Lichte des § 622 II S. 2 BGB anders zu betrachtende Aspekte eingegangen. a) Gesetzesbegründung aa) Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer Die unmittelbare Benachteiligung von Arbeitnehmern unter 25 Jahren in § 622 II S. 2 BGB wird mit deren fehlender Schutzbedürftigkeit begründet: Verlängerte Kündigungsfristen seien für Arbeitnehmer unter 27 Jahren (§ 622 II S. 1 plus S. 2 BGB) nicht erforderlich. Diesen sei nach einer Arbeitgeberkündigung stets eine problemlose Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt möglich. Ältere Arbeitnehmer bräuchten für die Stellensuche dagegen mehr Zeit und seien durch die ihnen drohende Dauerarbeitslosigkeit erhöht schutzbedürftig.430 Alle Argumente, die für eine Steigerung der Kündigungsfristen gemäß § 622 II S. 1 BGB sprächen, träfen auf junge Arbeitnehmer i. S. des § 622 I S. 2 BGB nicht zu.431 ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 1; MüKo/BGB/Hesse4 (2005), Band 4, § 622 BGB Rn. 3 („erleichterte Arbeitsplatzsuche“); Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 385 f. m. w. N. zum Normzweck. 430 BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB; LAG Schleswig-Holstein 28.5.08 – 3 Sa 31/08 – BB 2008, 1785; LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 62 und 79]; LAG Berlin-Brandenburg 24.07.2007 – 7 Sa 561/07 – NZA-RR 2008, 17 [Rn. 42]; Wank (1992), S. 121 und 123; MünchArbR/Wank2 (2000) Band 2, § 119 Rn. 40. 429

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Seit Erlass des Gesetzes ist jedoch eine Veränderung der Gesellschaftsverhältnisse festzustellen: Die erforderliche Familienförderung muss angesichts der demografischen Entwicklung ins Zentrum jeglicher Politik rücken (vgl. oben S. 19 ff.). Auch die Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer (dazu ausführlich S. 70 ff.) führen dazu, dass die Ungleichbehandlung von jüngeren und älteren Arbeitnehmern in § 622 II S. 2 BGB unter dem Aspekt der höheren Schutzbedürftigkeit von Älteren nicht mehr zu rechtfertigen ist. bb) Bessere Vermittelbarkeit junger Beschäftigter Die Einführung einer Altersschwelle für verlängerte Kündigungsfristen wurde weiterhin damit begründet, dass kürzere Kündigungsfristen für Jüngere zu deren besseren Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt führen. Zwar können kürzere Kündigungsfristen Arbeitnehmer grundsätzlich für den Arbeitgeber attraktiver werden lassen;432 jedoch ist kaum anzunehmen, dass die nach § 622 I BGB vierwöchige Kündigungsfrist zum Fünfzehnten oder zum Monatsende für einen 22-Jährigen diesen gegenüber einem 27-Jährigen, für dessen Kündigung der Arbeitgeber nach § 622 II Nr. 1 BGB eine Frist von einem Monat zum Monatsende berücksichtigen muss, wesentlich attraktiver macht. Zieht der Arbeitgeber eine Neueinstellung in Betracht, sind es vor allem die Regelungen des § 622 III BGB und des § 1 I KSchG, die den Arbeitgeber zu einer tatsächlichen Neueinstellung motivieren: die sechsmonatige Probezeit, in welcher innerhalb von 2 Wochen gekündigt werden kann und die sechsmonatige Wartefrist bevor für den neu Beschäftigten das KSchG greift, ermöglichen dem Arbeitgeber ein „gefahrloses“ Erproben des Arbeitnehmers.433 Hinzu kommt, dass eine angeblich höhere Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer (s. S. 70 ff.) im Widerspruch zu einer erforderlichen besseren Vermittelbarkeit der Jüngeren steht: Wenn allein Ältere auf dem Arbeitsmarkt Wiedereingliederungsschwierigkeiten haben, bedarf es durch § 622 II S. 2 BGB keiner Verbesserung der Vermittelbarkeit von Beschäftigten unter 25 Jahren.

431

Wank (1992) S. 124 bzw. 126. LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68]. 433 LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68: „gleichwohl ist die beschäftigungspolitische Wirkung von Kündigungsfristen nicht belegt.“]; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206. 432

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cc) Gewünschte Wanderschaft Die Einführung des § 622 II S. 2 BGB wurde zudem mit der gewünschten Mobilität junger Arbeitnehmer begründet: Nach einem Vorschlag im Gesetzgebungsverfahren sollte die Betriebszugehörigkeit erst ab dem 30. Lebensjahr für die Verlängerung der Kündigungsfristen beachtet werden. Diese Altersschwelle erschien jedoch „im Interesse der gewünschten Mobilität der Arbeitnehmer als zu niedrig angesetzt“, sodass anschließend für Arbeiter durch das „Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz“ vom 14.8.1969434 eine Altersschwelle von 35 Lebensjahren festgesetzt wurde – für Angestellte eine Grenze von 25 Jahren.435 Eine Herabsetzung der Altersschwelle für Arbeiter auf 25 Jahre erfolgte nur, da das BVerfG die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten als mit Art. 3 I GG unvereinbar erklärte.436 Die Altersgrenze des § 622 II S. 2 BGB ist im Zusammenhang mit dem in der Vergangenheit erforderlichen Mindestalter von 20 bzw. 18 Jahren für die persönliche Anwendbarkeit des KSchG zu sehen.437 Der fehlende vorherige Kündigungsschutz sollte die Heranwachsenden zur Wanderschaft ermutigen;438 der über die Betriebszugehörigkeit erarbeitete Kündigungsschutz sollte junge Arbeitnehmer nicht von der Aufgabe des bisherigen Arbeitsverhältnisses abhalten und nicht zum Verbleib in nur einem Betrieb verleiten (s. bereits zum Schutzzweck des § 622 II S. 2 BGB S. 96).439 Durch kurzfristige Arbeitgeberkündigungen sollte der junge Beschäftigte zu schnellen Arbeitgeberwechseln gezwungen werden und der Anfang des Berufslebens von verschiedenen Arbeitgebern und Betrieben geprägt sein und zahlreiche Erfahrungen gesammelt werden. Auf diese Art könne der junge 434

BGBl. I S. 1106. Kurzprotokoll der 92. Sitzung des Ausschusses für Arbeit v. 2.6.1969, S. 13 in Verbindung mit dem Kurzprotokoll Nr. 94, S. 21; eine Darstellung der Gesetzesbegründungen findet sich in BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75 und 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB [unter Gründe A I]. 436 BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75 und 1 BvL 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB. 437 Das Bundeskündigungsschutzgesetz idF v. 10.08.1951 (BGBl. I 1951, 499) verlangte ein Alter von 20 Jahren für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereiches des KSchG (§ 1 I KSchG). Im Gesetzgebungsverfahren war sogar eine Altersgrenze von 25 Jahren gefordert worden (Hueck RdA 1951, 281, 282; Hueck KSchG6 (1968) § 1 Rn. 21). 1969 wurde das Mindestalter durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz v. 14.8.1969 (BGBl. I S. 1106) auf 18 Jahre reduziert (v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG12 (1997) Einl. Rn. 38) (zur Aufhebung dieser Altersgrenze vgl. S. 160 f.). 438 Hueck/Nipperdey7 (1963) Band I, S. 630. 439 BAG 2.12.1999 – 2 AZR 139/99 – NZA 2000, 720, 721. 435

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Arbeitnehmer seine Persönlichkeit am besten entwickeln, sich gut fortbilden und somit zu einem qualifizierten und für den Arbeitsmarkt attraktiven Arbeitnehmer heranwachsen; eine eingeschränkte Mobilität junger Arbeitnehmer wolle der Gesetzgeber nicht unterstützen oder begründen.440 Dieser Argumentation ist aus heutiger Sicht zwar noch unter dem Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung und der beruflichen Fortbildung zuzustimmen. Allerdings gibt es kaum noch eine Wanderschaft vorsehende (Handwerker-)Berufe und in Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit gibt es wesentlich weniger postgraduierten-Praktika als in anderen Regionen.441 Auch dies belegt, dass der junge, durchschnittliche Arbeitnehmer auf Grund der angespannten Arbeitsmarktsituation an einem leicht möglichen Arbeitsplatzwechsel nicht interessiert ist; die junge Generation erlebt keine selbstbestimmte Freiheit in der Arbeitswelt, sondern eine wachsende, beklemmende Unsicherheit, in der ein früh sicherer, unbefristeter (S. 24 f.) Arbeitsplatz als seltenes Privileg betrachtet wird.442 Es liegt zudem weder im finanziellen noch im gesamtgesellschaftlichen Interesse des deutschen Staates, der heranwachsenden Generation die soziale Beständigkeit und Absicherung durch eine leicht mögliche Arbeitgeberkündigung zu nehmen. Eine Förderung der betrieblichen Veränderung bei jüngeren Arbeitnehmern über § 622 II S. 2 BGB wäre nur vertretbar, wenn damit nicht die Gefahr der Arbeitslosigkeit einherginge.443 Dies ist bei der heutigen Arbeitsmarktsituation im Vergleich zur Vollbeschäftigung bei Einführung des § 622 II S. 2 BGB (vgl. die Daten zur Arbeitslosigkeit von jüngeren Arbeitnehmern in Abb. 11 S. 76 ff.) nicht mehr der Fall. Von einer Gefahr der Arbeitslosigkeit geht auch § 622 II S. 2 BGB aus, der zu einer besseren Vermittelbarkeit jüngerer Arbeitnehmer führen soll (S. 158).444 Zum anderen sind Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung von Jugendlichen nach § 10 S. 3 Nr. 1 AGG eine zulässige Altersdiskriminierung (zu § 10 S. 3 Nr. 1 AGG unten S. 163 f.). Fraglich ist ohnehin, ob die Altersgrenze des § 622 II S. 2 BGB nicht mit Aufhebung des Mindestalters für die Anwendbarkeit des KSchG (Gesetz zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes vom 5.7.1976445) abzuschaffen gewesen wäre; beide Regelungen thematisierten den verringerten Kündigungsschutz für jüngere Arbeitnehmer zu Gunsten einer Wander440

BAG 2.12.1999 – 2 AZR 139/99 – NZA 2000, 720, 721. Gründinger (2009) S. 185. 442 Gründinger (2009) S. 185. 443 So schon Hueck zur ersten Fassung des KSchG aus dem Jahre 1951 (RdA 1951, 281, 283). 444 LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68]. 445 BGBl. I S. 1769. 441

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schaft, sodass ein Gleichlauf dieser Regelungen – ein einheitlicher persönlicher Schutzbereich des deutschen Kündigungsschutzes – wünschenswert gewesen wäre (zur sonstigen gesetzgeberischen Abwertung des Lebensalters im Kündigungsrecht vgl. S. 200 ff.).446 b) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen Die Bindung des Arbeitnehmerschutzes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses an das Lebensalter könnte der sonstigen gesetzgeberischen Wertung entsprechen: § 1 III KSchG und §§ 1a, 10 KSchG knüpfen unmittelbar an das Lebensalter an – § 622 II S. 1 BGB mittelbar über die Betriebszugehörigkeit, die mit dem Lebensalter korreliert. Ein gleichlaufender Schutzzweck der genannten Normen ist festzuhalten (S. 91 ff.). Im Rahmen des § 1 III KSchG ist zu beachten, dass allein die Praxis, gebilligt von der Rechtsprechung, von einer hohen Bewertung des Lebensalters neben der Betriebszugehörigkeit ausgeht. Der Gesetzgeber geht von einer Gleichrangigkeit der in § 1 III KSchG genannten Sozialdaten aus (zum Wortlaut von § 1 III KSchG vgl. S. 197 ff.).447 Nur der praktische Usus könnte also zur Rechtfertigung des § 622 II S. 1 BGB herangezogen werden. Allerdings stellt sich auch an dieser Stelle die Problematik eines Zirkelschlusses (oben S. 98 und S. 140 f.), denn auch im Rahmen des § 1 III KSchG wird auf die Wertung des § 622 II S. 1 BGB abgestellt.448 Der überwiegende Schutz der Älteren in der Sozialauswahl ist zudem selbst nicht gerechtfertigt (s. oben S. 68 ff.), sodass dieser Usus hier nicht als Maßstab für § 622 II S. 2 BGB herangezogen werden kann. Gleiches gilt für § 622 II S. 1 BGB (S. 135 ff.). Hinsichtlich §§ 1a, 10 KSchG bleibt das Endergebnis der Normuntersuchung abzuwarten (unten S. 171 ff.); auch 446 Die Altersgrenze des KSchG wurde abgeschafft, da das Alter des Arbeitnehmers nichts an der Sozialwidrigkeit der Kündigung ändern könne (vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG12 [1997] Einl. Rn. 54). 447 BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [Rn. 47]; 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – NZA 2007, 549 [Rn. 28]; 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 8.8.1985 – 2 AZR 464/84 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 24.3.1983, 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; HK/Dorndorf4 (2001) § 1 Rn 1065 m. w. N. 448 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – NZA 1990, 729, 734; 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B II 4 a]; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 76; LAG Hamm 21.8.1997 – 4 Sa 166/97 – n. v.; U. Preis (1987) S. 422; B. Preis DB 1986, 746, 747.

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hier bestehen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Normen jedoch Bedenken (S. 97). Eine Rechtfertigung der Benachteiligung Jüngerer – darunter sehr viele (potentielle) Eltern – folgt demnach nicht aus der Wertung des Gesetzgebers in anderen rechtmäßigen Normen. c) Rechtfertigung durch § 10 oder § 5 AGG Unter 25-Jährige können gemäß § 622 II S. 2 BGB unabhängig von ihrer Betriebszugehörigkeit nicht in den Genuss der verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 II S. 1 BGB kommen. Eine Ungleichbehandlung liegt damit in zweifacher Hinsicht vor:449 Sowohl von jüngeren Arbeitnehmern gegenüber älteren Arbeitnehmern als auch von älteren Arbeitnehmern, die bereits in jüngeren Jahren bei dem jetzigen Arbeitgeber arbeiteten, gegenüber Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis dort erst nach dem 25. Lebensjahr aufgenommen haben. Diese Ungleichbehandlung ist grundsätzlich gemäß §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG unzulässig, könnte jedoch ausnahmsweise auf Grund der höheren Schutzbedürftigkeit der Älteren nach § 10 AGG zulässig oder als positive Maßnahme für ältere Beschäftigte i. S. des § 5 AGG gerechtfertigt sein.450 Zum einen ist jedoch die höhere Schutzbedürftigkeit älterer Beschäftigter abzulehnen, sodass es an einem legitimen Ziel i. S. des § 10 AGG oder an einem auszugleichenden Nachteil i. S. des § 5 AGG fehlt (zu § 1 III KSchG S. 84 ff.).451 Zum anderen profitieren die angeblich schutzbedürftigen Älteren nicht von der fehlenden Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit von unter 25-Jährigen für die Berechnung der Kündigungsfristen. Diese untergeordnete Bedeutung des Schutzes der Älteren zeigt auch der Schutzzweck des § 622 II S. 2 BGB, welcher überwiegend in der gewünschten Wanderschaft und in der besseren Vermittelbarkeit von jüngeren Arbeitnehmern liegt (S. 159 ff.). Hinzukommt, dass „Ältere“, die am besonderen Kündigungsschutz des § 622 II S. 1 BGB (theoretisch) partizipieren, durch die Altersgrenze des § 622 II S. 2 BGB als Beschäftigte über 25 Jahren definiert werden. Die Argumentation der Schutzbedürftigkeit durch angeblich schlechtere Arbeitsmarktchancen auf Grund von fehlender 449 LAG Schleswig-Holstein 28.5.2008 – 3 Sa 31/08 – BB 2008, 1785 [Rn. 48]; LAG Berlin-Brandenburg 24.7.2007 – 7 Sa 561/07 – NZA-RR 2008, 17 [Rn. 39]. 450 Vgl. MüKo/BGB/Thüsing5 (2007), Band1/2, § 10 AGG Rn. 41. 451 LAG Schleswig-Holstein 28.5.2008 – 3 Sa 31/08 – BB 2008, 1785 [Rn 50]; LAG Berlin-Brandenburg 24.7.2007 – 7 Sa 561/07 – NZA-RR 2008, 17 [Rn. 43]; Löwisch FS Schwerdtner (2003) S. 769, 771.

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Flexibilität und Mobilität, nachlassendem Leistungsvermögen etc. passt auf einen 28-jährigen Beschäftigten jedoch nicht. Warum gerade die Altersgrenze von 25 Jahren dazu geeignet sein soll, zwischen einem Arbeitnehmer, der auf verlängerte Kündigungsfristen (etwa auf Grund einer zu versorgenden Familie) angewiesen ist und seinem jüngeren Kollegen (der auch bereits mit 24 Jahren Familienvater sein kann) pauschal und generalisierend zu differenzieren, ist nicht ersichtlich.452 Dies gilt ebenso für die Altersschwellen früherer Gesetze – bei 35 und bei 30 Lebensjahren (S. 159).453 Als Rechtfertigungsgrund ist auch die Förderung der beruflichen Eingliederung Jugendlicher nach § 10 S. 3 Nr. 1 AGG abzulehnen: Zum einen ist zu bezweifeln, dass § 622 II S. 2 BGB geeignet ist, die berufliche Eingliederung Jugendlicher zu fördern; der Arbeitgeber macht seine Einstellungsentscheidung wohl kaum von der Länge der Kündigungsfrist abhängig, zumal diese nach § 622 II Nr. 1 BGB zunächst nur von vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende (§ 622 I BGB) auf einen Monat zum Monatsende verlängert ist (schon S. 158).454 Zum anderen kann der „Jugendliche“ auf Grund des § 622 II S. 2 BGB bis zu einem Alter von 27 Jahren keine verlängerte Kündigungsfrist erreichen. In diesem Alter ist jedoch von keinem „Jugendlichen“ mehr auszugehen455 – weder nach dem allgemeinen noch nach dem juristischen Sprachgebrauch: Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist jugendlich, wer ein Teenager ist, also Kinder zwischen zehn 452 So auch LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68 mit dem Hinweis auf fehlende Untersuchungen zur typischen und generellen Betroffenheit der Arbeitnehmer ab dem vollendeten 25. bzw. 27. Lebensjahr]. In Rn. 72 geht das LAG Düsseldorf in derselben Entscheidung jedoch von einer Einschätzungsprärogativen und einem weiten Spielraum des Arbeitgebers aus, der eine Altersgrenze von 25 Jahren als Stichtag ermöglicht. Diese Pauschalisierung sei nötig, da die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sehr unterschiedlich seien und sich ständig wandelten, so dass nur eine Stichtagsregelung praktikabel sei. Zudem sei der sachliche Rechtfertigungszwang für die Begünstigung der klar schutzwürdigen Gruppe der älteren Arbeitnehmer nicht zu überspannen. 453 LAG Schleswig-Holstein 28.5.2008 – 3 Sa 31/08 – BB 2008, 1785 [Rn. 51 und 53]. 454 Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; a. A. LAG Düsseldorf 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – ZIP 2008, 1786 [Rn. 68], wonach kürzere Kündigungsfristen die personalwirtschaftliche Flexibilität erhöhen und das Risiko der wirtschaftlichen Belastung verringern, die aus der Vergütungspflicht gegenüber einem Arbeitnehmer resultiert, für dessen Beschäftigung in der Kündigungsfrist kein Bedarf mehr gesehen wird. Zu der Unbeachtlichkeit dieses geringen finanziellen Aufwandes, der also kaum die Arbeitgeberentscheidung beeinflussen wird, S. 225 f. Letztlich gibt das LAG Düsseldorf aber selbst an, dass gleichwohl die beschäftigungspolitische Wirkung von Kündigungsfristen nicht belegt sei [Rn. 68]. 455 Kamanabrou RdA 2007, 199, 206.

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und neunzehn Jahren. Juristisch ist ein Jugendlicher, wer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist (§ 7 I Nr. 2 SGB VIII und § 1 II JGG). So soll § 10 S. 3 Nr. 1 AGG nach der Literatur auch nur die Förderung von 15- bis 18-Jährigen erfassen.456 Ein Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung in § 622 II S. 2 BGB, der für 25-Jährige, nicht aber für 27-Jährige greift, ist nicht ersichtlich. § 622 II S. 2 BGB beinhaltet eine diskriminierende Vorenthaltung längerer Kündigungsfristen für jüngere Arbeitnehmer.457 Auch die Bundesregierung prüft daher momentan, ob § 622 II S. 2 BGB geändert werden muss.458 Dahingestellt bleiben kann die Frage, ob § 622 II S. 2 BGB damit unwirksam,459 unanwendbar460 oder als Regelung, die bereits vor der RL 2000/78/EG erlassen wurde, weiter gilt und vom Gesetzgeber zu korrigieren bzw. aufzuheben ist.461 Denn eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung in § 622 II S. 2 BGB liegt weder nach § 10 AGG noch nach § 5 AGG vor. d) Kollektivrechtliche Wertungen Die Anknüpfung des Kündigungsschutzes an das S. 2 BGB könnte den Wertungen des tariflichen allein tarifrechtliche Kündigungsschutzregelungen Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen vgl. S. zes entsprechen. Eine solche Anlehnung kommt in

Lebensalter in § 622 II (zur Überlegung, dass als kollektivrechtliche 127) KündigungsschutBetracht, weil § 622 II

Däubler/Bertzbach/Brors2 (2008) § 10 AGG Rn 42 m. w. N. Lukas, Wieder fällt ein alter Zopf, F.A.Z. v. 1./2.12.2007, S. C2; ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 9; Annuß BB 2006, 325, 326; Schleusener NZA 2007, 358, 359 f.; U. Preis NZA 2006, 401, 406; Waltermann NZA 2005, 1265, 1269 f.; Löwisch FS für Schwerdtner (2003) 769, 771; Reichold/Hahn/Heinrich NZA 2005, 1270, 1275; Löwisch BB 2006, 2189; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 663. 458 BT-Drs. 16/6316, S. 15. 459 So der EuGH in der Mangoldentscheidung vom 22.11.2005 – C-144/04 – AP Nr. 1 zu RL 2000/78/EG. 460 LAG Schleswig-Holstein 28.5.2008 – 3 Sa 31/08 – BB 2008, 1785 [LS 2]; LAG Berlin-Brandenburg 24.7.2007 – 7 Sa 561/07 – NZA-RR 2008, 17 [LS 2]; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 663 m. w. N. 461 Zum Vorlagebeschluss des LAG Düsseldorf vom 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07 – DB 2007, 2655 an den EuGH vgl. das anhängige Verfahren EuGH 11.3.08 – C-555/07 – n. v.; übereinstimmend zum Vorlagebeschluss mit dem LAG Düsseldorf: LAG Rheinland-Pfalz 31.7.2008 – 10 Sa 295/08 – LAGE § 622 BGB 2002 Nr. 4; zum Streitstand m.w.N: Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 104 und Wedeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 26. 456 457

II. Gesetzliche Diskriminierung durch § 622 II BGB

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S. 2 BGB wie der tarifliche Kündigungsschutz den Bestandsschutz des Arbeitnehmers verbessern will (zum Schutzzweck des § 622 II S. 2 BGB S. 96). Zum einen enthalten einige tarifliche Kündigungsregelungen den Wortlaut des § 622 II S. 2 BGB (etwa § 11 VII des MTV für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 25.7.2003462 oder § 12 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4.7.2002 i.d.F vom 17.12.2003) oder verweisen explizit auf diese Norm. Selbst wenn eine ausdrückliche Verweisung auf § 622 II S. 2 BGB fehlt („Es gelten die gesetzlichen Bestimmungen des § 622 BGB“ – etwa § 49 Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk i. d. F. vom 6.12.1995), wird die Beschäftigungsdauer für die tariflichen, verlängerten Kündigungsfristen nach der Rechtsprechung nicht ab Beginn des Arbeitsverhältnisses, sondern erst ab Beginn des 25. Lebensjahres berechnet;463 denn „wenn Tarifvertragsparteien einen gesetzlichen Begriff aus einer einschlägigen Vorschrift (§ 622 BGB) verwenden, ist im Zweifel davon auszugehen, dass sie diesen Begriff in seiner gesetzlichen Bedeutung verwenden wollen.“464 Diese Auslegung entspreche nach eingeholter Auskunft der Gerichte dem Willen der Tarifvertragsparteien.465 Die tariflich geregelte Nichtbeachtung von Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr kann für eine Rechtfertigung der gesetzlichen Wertung des § 622 II S. 2 BGB jedoch nicht herangezogen werden. Die tariflichen Kündigungsregelungen, welche auf § 622 II S. 2 BGB Bezug nehmen, verdeutlichen, dass sich die Tarifvertragsparteien an den gesetzlichen Regelungen orientieren. Dies bestätigt die Rechtsprechung mit der dargestellten Auslegung an Hand des Willens der Tarifvertragsparteien (gerade oben S. 165), wenn die tarifliche Kündigungsregelung nicht explizit § 622 S. 2 BGB erwähnt. Um einen Zirkelschluss zu vermeiden, kann die Gesetzeslage also nicht ihrerseits mit den tariflichen Regelungen legitimiert werden (s. bereits oben zu § 1 III KSchG S. 132 und zu § 622 II S. 1 BGB S. 155). Ohnehin können Tarifregelungen auf Grund ihrer Nachrangigkeit gegenüber zwingendem staatlichen Recht nicht zur Rechtfertigung desselben herangezogen werden (ausführlich zu § 1 III KSchG ab S. 127). Hinzukommt, dass die tarifliche Nichtbeachtung von Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr ebenso wie § 622 II S. 2 BGB eine Diskriminierung auf Grund des Alters bedeuten könnte, diese gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG verstößt, damit solche 462

LAG Köln 15.2.2005 – 9 (2) Sa 1090/04 – AE 2006, 59. BAG 12.11.1998 – 2 AZR 80/98 – NZA 1999, 489 f.; ErfK/Müller-Glöge9 (2009) § 622 BGB Rn. 9. 464 BAG 12.11.1998 – 2 AZR 80/98 – NZA 1999, 489 f. [unter Gründe II 2]. 465 BAG 12.11.1998 – 2 AZR 80/98 – NZA 1999, 489 f. [unter Gründe II 4]. 463

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Tarifnormen nach § 7 I, II AGG unwirksam sind und nicht als Rechtfertigungsgrund für § 622 II S. 2 BGB dienen können. Dies kann hier jedoch auf Grund des fehlenden Legitimationszusammenhangs zwischen tariflichen und gesetzlichen Regelungen sowie auf Grund des zu vermeidenden Zirkelschlusses ungeklärt bleiben. e) Nachrücken der jüngeren Generation/Generationengerechtigkeit Auch der Gedanke des Nachrückens der jüngeren Arbeitnehmer in die privilegierte Stellung der Älteren466 kann nicht als sachlicher Grund für die Benachteiligung der Jüngeren in § 622 II S. 2 BGB angeführt werden. Zwar ist mit Ausnahme von tragischen Fällen davon auszugehen, dass alle Arbeitnehmer im Laufe ihrer Berufstätigkeit die Altersgrenze von 27 Jahren erreichen werden, sodass im Unterschied zur langen Betriebszugehörigkeit ein Nachrücken insofern gewährleistet ist und Generationengerechtigkeit vorliegt (anders bei § 1 III KSchG und § 622 II S. 1 BGB S. 99 f. und S. 136). Allerdings führt das Lebensalter nach § 622 II S. 2 BGB nur im Zusammenhang mit § 622 II S. 1 BGB zu verlängerten Kündigungsfristen. Dass nach dem 27. Lebensjahr eine längere Betriebszugehörigkeit erreicht wird, hängt wiederum von der individuellen, nicht beeinflussbaren Arbeitsmarktlage ab. Ein Nachrücken der jüngeren Generation ist nicht in jedem Fall gewährleistet; etwa dann nicht, wenn ein Arbeitnehmer zunächst im Anschluss an sein Ausbildungsverhältnis lange im selben Betrieb beschäftigt ist und danach schneller seine Stellen wechselt.

5. Zwischenergebnis Da § 622 II BGB nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Verhältnissen entspricht, kann die in § 622 II BGB enthaltene mittelbare Familienbenachteiligung nicht (mehr) gerechtfertigt werden: Weder ist die Gesetzesbegründung heute noch aktuell und somit zur Rechtfertigung heranzuziehen (S. 157 ff.), noch ergibt sich die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aus § 5 oder § 10 AGG (oben S. 162 ff.). Andere, das Lebensalter honorierende, gesetzliche Regelungen zum Schutz des Arbeitnehmers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses können mangels eigener Rechtfertigung nicht übertragen werden (S. 161 f.) oder deren Rechtfertigungsprüfung steht noch aus (zu §§ 1a, 10 KSchG noch unten ab S. 171); 466

Waltermann NZA 2005, 1265, 1269 und ders. ZfA 2006, 305, 326.

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG

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weiterhin würde ein Zirkelschluss entstehen (oben S. 161). Auch rücken Jüngere nicht zwingend in die Bevorteilung des § 622 II S. 2 BGB nach (oben S. 166), ist die Anzahl der bestehenden, gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten nicht weniger praktikabel feststellbar als das Lebensalter (oben S. 108 ff. und S. 157) und folgt auch aus dem Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis (Flexibilitätsverlust; oben S. 157) keine Rechtfertigung des § 622 II S. 2 BGB. Kollektivrechtliche Wertungen können nicht zur Legitimation staatlicher Gesetze herangezogen werden (S. 164 ff.). Auch § 622 II S. 2 BGB ist familiendiskriminierend.

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG Eine gesetzliche Diskriminierung (potentieller) Eltern könnte sich weiterhin aus § 1a II und § 10 KSchG ergeben. § 1a Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung: (2) 1Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. 2§ 10 Abs. 3 gilt entsprechend. 3Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden. § 10: Höhe der Abfindung: (1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. (2) 1Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. 2. . . (3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 II), an Geld und Sachbezügen zusteht.

1. Benachteiligung Die Abfindung in den Fällen des § 9 KSchG oder des § 113 BetrVG (Verweis auf § 10 KSchG in § 113 I a. E. BetrVG) ist gemäß § 10 KSchG nach Monatsverdienst, Lebensalter und Betriebszugehörigkeit zu staffeln. § 1a II KSchG berechnet die Abfindung für den Fall des § 1 I KSchG nach Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Dies könnte eine Benachteiligung der Jüngeren – darunter besonders viele (potentielle) Eltern – nach sich ziehen: Unmittelbar ist dies hinsichtlich des Lebensalters der Fall, mittelbar über die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit, da nur Arbeitnehmer mit höherem Lebensalter eine höhere Anzahl von Beschäftigungsjahren aufweisen können.467 Zusätzlich sind Gehaltsstaffelungen auf Grund der Betriebszugehörigkeit (und auch des Lebensalters) üblich,468 sodass der zu berücksichtigende Monatsverdienst zu einer weiteren Erhöhung der Abfindungen für ältere Arbeitnehmer führt. Damit kommt Jüngeren auch das Verdienstmerkmal oftmals nicht im selben Umfang wie Älteren zu Gute. Im Gegensatz zu § 1a II KSchG469 setzt § 10 I, II KSchG dabei lediglich Höchstgrenzen hinsichtlich der konkreten Abfindungshöhe fest und gewährt sonst einen richterlichen Ermessensspielraum – unter Bindung an den Grundsatz der Angemessenheit der Abfindung.470 § 10 II KSchG ist nicht abschließend;471 im Interesse einer höchstmöglichen Flexibilität der Abfindungsberechnung ist vielmehr im Einzelfall offen, welche Umstände von den Parteien berücksichtigt und wie die Faktoren untereinander bewertet werden.472 Streng formal wird in § 10 KSchG damit nur ein äußerer Rahmen für die Abfindungsberechnung vorgegeben. Es scheint daher auf den ersten Blick schlüssig, in § 10 KSchG keine (un)mittelbare Benachteiligung der Jüngeren – darunter besonders viele Eltern – gegenüber den Älteren zu sehen.473 467 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; 23.8.1988 – 1 AZR 284787 – AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 3 a]; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 56: „in der Natur der Sache“]; Thüsing, Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.06.2007, S. 25; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26 c; Rieble/Zedler ZfA 2006, 273, 283.; Bengelsdorf Anm. zu den Urteilen des BAG v. 26.7.1988 – 1 AZR 156/87 – und v. 23.8.1988 – 1 AZR 284/87 – SAE 1989, 168, 175. 468 Eine Anlehnung der Entgelthöhe an die Betriebszugehörigkeit sieht etwa § 16 IV TVöD vor: „Die Beschäftigen erreichen die jeweils nächste Stufe . . . nach folgenden Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit innerhalb derselben Entgeltgruppe bei ihrem Arbeitgeber: Stufe 2 nach einem Jahr in Stufe 1, Stufe 3 nach zwei Jahren in Stufe 2, Stufe vier nach drei Jahren in Stufe 3, Stufe 5 nach vier Jahren in Stufe 4 und Stufe 6 nach 5 Jahren in Stufe 5 [. . .].“ 469 Die Gesetzesbegründung spricht ausdrücklich von einem „Standardverfahren“, vgl. BT-Drs. 15/1204 S. 9; HaKo/Fiebig2 (2004) § 1a KSchG Rn. 16; KR/Spilger8 (2007) § 1a KSchG Rn. 127. 470 BAG 19.08.1982 – 2 AZR 230/80 – AP Nr. 9 zu § 9 KSchG 1969; Löwisch/ Spinner9 (2004) § 10 Rn. 10; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 10 Rn. 7 f. 471 KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 23. 472 KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 5; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 10 Rn. 7 f. 473 So z. B. Waltermann ZfA 2006, 305, 317 und 323.

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG

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Die ausdrückliche Nennung von „Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst“ wirkt sich jedoch auf die praktische Festsetzung der Abfindungshöhe erheblich aus: Der Wortlaut des § 10 KSchG impliziert diesen Daten seitens des Gesetzgebers ein besonders hohes Gewicht. Dies zeigt etwa die in der Rechtsprechung weit verbreitete Faustformel „pro Beschäftigungsjahr ein halber Bruttomonatsverdienst“.474 Nach einer Datenerhebung aus den Jahren 1997/1998 wenden 75% der Arbeitsrichter diese Berechnungsformel an.475 Weitere Aspekte werden auf Grund der fehlenden gesetzlichen Nennung als unwichtig abgetan und nur nebenbei beachtet:476 etwa die Kündigungsart, die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers,477 der Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers,478 die Kündigungsverursachung auf Seiten des Arbeitnehmers (§ 9 I KSchG),479 ein Vergleich mit den bei einer betriebsbedingten Kündigung einschlägigen tariflichen Abfindungsregelungen,480 oder die Sanktionsfunktion für den Arbeitgeber.481 Keine oder nur eine untergeordnete Berücksichtigung finden auch die (Kindes)Unterhaltspflichten.482 Ausschlaggebend für die Abfindungsberechnung nach § 10 KSchG sind also trotz Ermessensspielraum des Arbeitgebers Betriebszugehörigkeit, Monatsverdienst und Lebensalter; § 1a II KSchG beschränkt sich auf die Abfindungsberechnung anhand von Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst. Eine gesetzliche Benachteiligung der Jüngeren – darunter sehr viele (potentielle) Eltern – gegenüber den Älteren ist damit in § 1a II und in § 10 KSchG festzustellen.483 MünchArbR/Berkowsky2 (2000) Band II, § 150 Rn. 20; Kaiser FS Konzen (2006), S. 381, 401. 475 Hümmerich NZA 1999, 342, 344. 476 KFA-ArbR/Bröhl2 (2009) § 10 KSchG Rn. 10 für die Betriebszugehörigkeit als Bemessungsfaktor von „größtem Gewicht“; ebenso KR/Spilger8 (2007) § 10 Rn. 45; vgl. auch die tabellarische Datenerhebung zur gerichtlichen Abfindungspraxis bei Hümmerich NZA 1999, 342, 348 ff. 477 LAG Baden-Württemberg 12.3.2003 – 4 Sa45/02 – n. v.; Löwisch/Spinner9 (2004) § 10 Rn. 18. 478 Hümmerich NZA 1999, 342, 345 ff. 479 BAG 20.11.1997 – 2 AZR 803/96 – n. v.; LAG Schleswig-Holstein 22.1. 1987 – 4 Sa 409/86 – NZA 1987, 601. 480 LAG Mecklenburg-Vorpommern 29.6.07 – 3 Sa 61/06 – n. v. 481 LAG Hessen 15.8.06 – 13 Sa 521/06 – n. v.; LAG Schleswig-Holstein 25.2. 04 – 3 Sa 491/03 – NZA-RR 2005, 132. 482 Lediglich der Familienstand des Arbeitnehmers wird nebenbei erwähnt: BAG 25.11.1982 – 2 AZR 21/81 – AP Nr. 10 zu § 9 KSchG 1969; vgl. auch die tabellarische Datenerhebung zur gerichtlichen Abfindungspraxis bei Hümmerich NZA 1999, 342, 348 ff.; Löwisch/Spinner9 (2004) § 10 Rn. 12; v. Hoyningen-Huene/ Linck KSchG14 (2007) § 10 Rn. 20. 483 So auch Däubler/Bertzbach/Brors2 (2008) § 10 AGG Rn. 129. 474

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Die Praxisrelevanz dieser gesetzlichen Familienbenachteiligung erhöht sich dadurch, dass die Bundesrepublik Deutschland das ILO-Übereinkommen Nr. 158 über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von 1982484 bislang nicht ratifizierte.485 Daher greift Art. 12 I Nr. a des ILO-Übereinkommens Nr. 158 als Anspruchsgrundlage für eine Abfindung in Deutschland nicht und die Normen §§ 1a, 9, 10 KSchG sowie § 113 I BetrVG sind weiterhin die einzigen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen für eine Abfindungszahlung.486 Die mit diesen Anspruchsgrundlagen in Zusammenhang stehenden Regelungen zur Abfindungshöhe in § 1a II und § 10 I, II KSchG dienen somit als ausschließlicher Maßstab für die Abfindungsberechnung – unabhängig von der Rechtsgrundlage der Abfindung.487 So orientieren sich mangels Alternativen auch die Betriebs- und Tarifpartner (betriebliche Sozialplanabfindungen nach § 112 BetrVG, Tarifsozialpläne und tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen) an § 1a II und § 10 KSchG.488 Abfindungen, die im Rahmen von freiwilligen Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen oder (außer-)gerichtlichen Vergleichen zur Beendigung eines kündigungsschutzrechtlichen Prozesses vereinbart werden, liegen mit der Berechnung nach der „Faustformel“ (pro Beschäftigungsjahr ein halber Bruttomonatsverdienst) die Faktoren Lebensalter und Betriebszugehörigkeit zu Grunde.489 Die Relevanz der familienbenachteiligenden Abfindungsberechnung in freiwilligen Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen zeigt sich wiederum daran, dass etwa 50% der Verfahren vor den Arbeitsgerichten und ca. 70% der Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten durch Vergleich beendet werden.490

484 Der Text des Übereinkommens ist abrufbar unter: http://www.ilo.org/ilolex/ german/docs/convdisp1.htm. 485 Begründung der Bundesregierung v. 21.10.92 in BT-Drs. 12/3495. 486 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge8 (2007) II. 3. e, Rn. 106. 487 Dabei gibt Art. 12 Abs. 1 a) des ILO-Übereinkommens Nr. 158 aus 1982 auch nur vor, dass die Abfindung „sich unter anderem nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Höhe des Entgelts richtet“ (http://www.ilo.org/ilolex/german/ docs/convdisp1.htm). 488 Löwisch/Caspers/Neumann (2003) S. 30 m. w. N. 489 BAG 06.12.1984 – 2 AZR 348/81 – AP Nr. 14 zu § 61 KO [unter Gründe B II 2 b bb]; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge8 (2007), IV 18. Rn. 325 ff.; eine Übersicht zu den Faustformeln für die Abfindungsberechnung bei arbeitsgerichtlichen Vergleichen findet sich bei Schubert2 (2004) § 12 Rn. 42, der die Praxis von 85 Gerichten auswertet. 490 Höland/Kahl/Zeibig (2007) S. 57; vgl. auch die Ergebnisse des Projekts REGAM, Hans-Böckler-Stiftung (2004), S. 7.

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG

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2. Rechtfertigung Die Untersuchung eventueller Rechtfertigungsgründe für die Familienbenachteiligung bei der gesetzlichen Abfindungsberechnung beschränkt sich im Folgenden auf bislang in der vorliegenden Arbeit noch nicht angesprochene Gründe oder auf neue Teilaspekte. So ist bezüglich der Ablehnung des Rechtfertigungsgrundes der mit der Betriebszugehörigkeit steigenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auf die Ausführungen im Rahmen des § 1 III S. 1 KSchG zu verweisen (oben ab S. 124). Auch rechtfertigt der Ursprung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis die überwiegend an Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ausgerichtete Abfindung nicht (zu § 1 III KSchG S. 102 ff.); ebenso wenig wie die fehlende ausschließliche Praktikabilität bei Betriebszugehörigkeit und Lebensalter, denn auch die Unterhaltspflichten sind leicht feststellbar (S. 108 ff.). Folgende Überlegungen sind ausführlicher darzustellen: a) Abfindungszweck Die besondere Gewichtung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter bei der Abfindungsberechnung könnte der Zweck der Abfindung rechtfertigen. Hinsichtlich dieses Zwecks ist je nach Abfindungsart zu differenzieren:491 aa) §§ 9, 10 KSchG Die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG wird dem Arbeitnehmer für den Fall gewährt, dass seine Kündigung sozial ungerechtfertigt, also unwirksam ist, sein Arbeitsverhältnis aber dennoch beendet wird – durch gerichtliches Urteil. Dem Arbeitnehmer muss die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen sein.492 Dabei soll die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG dem Arbeitnehmer sowohl helfen, die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zur Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit finanziell zu überbrücken, als auch beide Parteien des Arbeitsverhältnisses befrieden.

491

Kraus (2005) S. 38. BAG 06.12.1984 – 2 AZR 348/8 – AP Nr. 14 zu § 61 KO [unter Gründe B II 2 b aa]; 15.12.1960 – 2 AZR 79/59 – AP Nr. 21 zu § 3 KSchG; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 401. 492

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

(1) Zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion Die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG ist ein „vermögensrechtliches Äquivalent für den Verlust des Arbeitsplatzes“493 – für alle mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Vermögens- und Nichtvermögensschäden494 (etwa Unbequemlichkeiten am neuen Arbeitsplatz, der erforderliche Wohnungswechsel, sonstige Übergangsschwierigkeiten495). Dabei entschädigt die Abfindung weder für die zurückliegende Kündigung noch für entgangenes Arbeitsentgelt, sondern allein für die nicht mehr bestehende Möglichkeit des zukünftigen Arbeitsentgelterwerbes.496 Dem entspricht, dass der Arbeitsplatz kein Schutzgut i. S. des § 823 I BGB ist und die Abfindung daher nicht rückwärts gerichtet als deliktischer Schadensersatz für den Verlust dieses Schutzgutes durch die Kündigung gezahlt wird (s. oben zu § 823 BGB S. 100 ff.).497 Die Abfindung sichert anstelle des Arbeitsentgelts den künftigen Lebensunterhalt des Arbeitnehmers. So verneint das BAG für Abfindungen eine Beitragspflicht zur Sozialversicherung: Die Abfindung sei kein Entgelt für die Zeit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern soll den mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen Wegfall der Arbeitsvergütung für die Zukunft ausgleichen. Gegenteiliges sei nur ausnahmsweise bei individuell gegebenen Anhaltspunkten der Fall.498 Auch das BSG teilt diese Ansicht: „. . . soll die Abfindung den Arbeitnehmer dafür entschädigen, dass er seine bisherige Beschäftigung nicht fortsetzen kann, mithin gehindert ist, aus dieser Beschäftigung künftig Arbeitsentgelt zu erzielen.“499 Etwas an493 BAG 06.12.1984 – 2 AZR 348/8 – AP Nr. 14 zu § 61 KO [unter Gründe B II 2 b aa]; 22.4.1971 – 2 AZR 205/70 – AP Nr. 24 zu § 7 KSchG; 15.12.1960 – 2 AZR 79/59 – NJW 1961, 623; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 10 KSchG Rn. 4. 494 BAG 12.6.2003 – 8 AZR 341/02 – AP Nr. 16 zu § 628 BGB [unter Gründe II 1 a (2)]; 06.12.1984 – 2 AZR 348/81 – AP Nr. 14 zu § 61 KO [unter Gründe B II 2 b aa]; KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 11; Löwisch/Spinner9 (2004) § 10 Rn. 11. 495 BVerfG 12.05.1976 – 1 BvL 31/73 – AP Nr. 1 zu § 117 AFG. 496 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 403 und dies. FS Schwab (2005) S. 495, 504 f. 497 BAG 6.12.1984 – 2 AZR 348/8 – EzA Nr. 17 zu § 9 KSchG n. F. [unter Gründe B II 2 b aa]; v. Hoyningen-Huene/Linck14 (2007) § 10 Rn. 4; APS/Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 38. 498 BAG 9.11.1988 – 4 AZR 433/88 – AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969 (mit zust. Anm. Brackmann); anders noch 6.12.1984 – 2 AZR 348/81 – EzA Nr. 17 zu § 9 KSchG n. F. [unter Gründe B II 2 b aa]; Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 505. 499 BFH 16.10.2002 – XI R 23/00 – n. v.; BSG 21.2.1990 – 12 RK 20/88 – NZA 1990, 751, 752; LSG Nordrhein-Westfalen 20.10.2005 – L2 KR 18/04 – n. v.

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG

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deres gelte nur, wenn es sich um unechte Abfindungen handele – um Nachzahlung eines während der Beschäftigung (zurückliegend) verdienten Entgelts.500 Die Zukunftsorientierung der Abfindung bestätigt § 143a SGB III (früher § 117 AFG): Nach dieser Regelung ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (teilweise), wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung beendet wurde, da Doppelleistungen vermieden werden sollen. Weil Arbeitslosengeld neben einer gezahlten Abfindung also nicht mehr erforderlich ist, ist vom selben Zweck der beiden Leistungen auszugehen: Ebenso wie das Arbeitslosengeld sichert die Abfindung den künftigen Lebensunterhalt.501 Auch die tatsächlichen Konsequenzen einer Kündigung belegen die Zukunftsbezogenheit der Abfindung: Der Gekündigte bedauert etwa kaum den Verlust des bislang erreichten Kündigungsschutzes oder der ggf. erworbenen Gratifikationen. Vielmehr fällt für den Arbeitnehmer allein der Verlust der künftigen Erwerbsmöglichkeit durch die Kündigung ins Gewicht;502 das ausbleibende Arbeitsentgelt führt zu (finanziellen) Problemen und Unsicherheiten in der Zukunft. Gegen diese zukunftsorientierte Überbrückungsfunktion der Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG könnte allerdings sprechen, dass eine Abfindung nach dieser Zweckdefinition bei ausbleibender Arbeitslosigkeit des gekündigten Arbeitnehmers nicht oder nur gekürzt zu zahlen wäre. Es gibt keinen zu überbrückenden Zeitraum und der Verlust der zukünftigen Entgelterwerbsmöglichkeit ist nicht zu spüren, wenn der Gekündigte eine sich unmittelbar an das alte Arbeitsverhältnis anschließende neue Arbeitsstelle findet – mit ähnlicher Vergütung. Wie bei dem nach § 143a SGB III ausbleibenden Arbeitslosengeld bei Abfindungszahlung ist bei fehlender Arbeitslosigkeit kein Lebensunterhalt zu sichern (zu § 143a SGB III vgl. 500 BSG 28.1.1999 – B 12 KR 6/98 R- BB 1999, 1928, 1929; 21.2.1990 – 12 RK 20/88 – NZA 1990, 751. 501 Vgl. BSG 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R – AP Nr. 19 zu § 117 AFG [unter Gründe II 1]; BAG 9.11.1988 – 4 AZR 433/88 – AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969 zu § 117 AFG [„Die Zuordnung der Abfindung zu der Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses wird auch durch § 117 AFG bestätigt. Danach ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld in einem bestimmten Umfang, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist vorzeitig gegen Zahlung einer Abfindung beendet wurde. Die Abfindung wird insoweit vom Gesetz als eine Leistung für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses angesehen, die deshalb die Zahlung von Arbeitslosengeld entbehrlich macht“]; BSG 21.5.1980 – 7 RAr 81/79 – AP Nr. 2 zu § 117 AFG [unter Gründe II 2 a]; a. A.: APS/Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 39; LSG Brandenburg 3.11.2004 – L 4 KR 25/03 – n. v. 502 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 403.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

S. 173). Dennoch wird die tatsächliche Arbeitslosigkeit bzw. die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers in der Abfindungspraxis kaum beachtet; der Arbeitgeber schuldet die Abfindung meist unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer tatsächliche Entgelteinbußen erleidet.503 So schreibt § 112 V S. 2 Nr. 2 BetrVG auch die Berücksichtigung der konkreten Arbeitsmarktlage für die Höhe der Abfindung (in Sozialplänen nach § 112 BetrVG) nur für die Einigungsstellen verbindlich vor. Diese fehlende Konsequenz in der praktischen Umsetzung der Überbrückungsfunktion der Abfindung verändert jedoch nicht den Abfindungszweck. Denn wird eine Abfindung trotz einer im unmittelbaren Anschluss an die gekündigte Beschäftigung beginnenden neuen Tätigkeit mit ähnlicher Vergütung gezahlt, ist die Abfindung seitens des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber zurückzuerstatten – auf Grund treuwidrigen Verhaltens nach § 242 BGB.504 Es ist nach der Rechtsprechung möglich, dem Arbeitnehmer, der bereits eine neue, sich unmittelbar anschließende Beschäftigung gefunden hat oder der kurz vor der Rente steht, im Rahmen von Sozialplänen keine oder nur eine verringerte Abfindung zukommen zu lassen505 – dies sieht § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ausdrücklich vor (zu § 10 S. 3 Nr. 6 vgl. S. 185 f.).506 Dass diese Wertung dem geltenden Arbeitsrecht entspricht und damit die Überbrückungsfunktion der Abfindung zu bejahen ist, zeigt sich an §§ 11 S. 1 Nr. 12, 12 KSchG, § 615 BGB und § 316 II BGB: Wird ein Arbeitsverhältnis trotz Antrag des Arbeitnehmers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG nicht gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben, sondern besteht es fort, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit nach der Entlassung trotz mangelnder Arbeitsleistung Arbeitsentgelt zahlen. Hierauf wird jedoch angerechnet, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Arbeit verdient hat (§ 11 S. 1 Nr. 1 KSchG).507 Wie im Rah503

Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 510 m. w. N. Für die Berücksichtigung einer sich im Kündigungszeitpunkt konkret abzeichnenden und mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Neubeschäftigung des Gekündigten im Rahmen der Sozialauswahl: LAG Köln 3.5.2000 – 2 Sa 272/00 – LAGE § 1 Soziale Auswahl Nr. 33 [unter Gründe 3]; ErfK/Kania9 (2009) § 10 KSchG Rn. 7; KR/Spilger8 (2007) Rn. 55. 505 BAG 5.10.2000 – 1 AZR 48/00 – AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 2c]; 24.11.1993 – 10 AZR 311/93 – AP Nr. 72 zu § 112 BetrVG 1972 [II 2b der Gründe]; 28.10.1992 – 10 AZR 489/91 – EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 66 [unter Gründe II 1]; 23.8.1988 – 1 AZR 284/87 – AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972 [III 3a der Gründe]; 26.7.1988 – 1 AZR 156/87 – AP Nr. 45 zu § 112 BetrVG 1972; 14.2.1984 – 1 AZR 574/82 – AP Nr. 21 zu § 112 BetrVG 1972; 17.2.1981 – 1 AZR 290/78 – SAE 1982, 43. 506 ErfK/Kania9 (2009) § 112a BetrVG Rn. 24. 507 ErfK/Kiel9 (2009) § 11 KSchG Rn. 4; Löwisch/Spinner9 (2004) § 11 Rn. 8 ff.; KFA-ArbR/Bröhl2 (2009) § 11 KSchG Rn. 7 ff. 504

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men des § 615 BGB (§ 615 S. 2 BGB) hat der Arbeitgeber nur den tatsächlich ausgefallenen Verdienst zu zahlen.508 Dies ist auch dem allgemeinen Prinzip des § 326 II S. 2 BGB zu entnehmen.509 Speziell auf den Fall der Kündigung und des Abschlusses eines neuen, sich unmittelbar an das alte Arbeitsverhältnis anschließenden Arbeitsvertrages passt § 12 KSchG: Wird das Arbeitsverhältnis trotz Antrag des Arbeitnehmers nach § 9 KSchG nicht durch Gerichtsurteil aufgelöst, ist aber der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen, kann der Arbeitnehmer die Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses unter bestimmten Voraussetzungen verweigern. Der entgangene Verdienst ist dem Arbeitnehmer in diesem Fall gemäß § 12 S. 4 KSchG nur für die Zeit zwischen Entlassung und Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses zu gewähren.510 Eine Doppelleistung des Arbeitsentgelts aus dem alten und dem neuen Arbeitsverhältnis ist damit gesetzlich insoweit ausgeschlossen. Zwar befassen sich die genannten Normen mit der Entgeltfortzahlung statt mit Abfindungszahlungen. Auch in §§ 11, 12 KSchG und § 615 BGB geht es jedoch wie bei Abfindungszahlungen um Arbeitnehmerschutz – um die finanzielle Absicherung des Arbeitnehmers.511 Die Wertung des Gesetzgebers, dass eine Doppelleistung des Entgelts zu vermeiden und die tatsächliche Beschäftigung zu beachten ist, kann also übertragen werden. Insbesondere weist § 9 KSchG gesetzessystematisch mit §§ 10, 11 und 12 KSchG eine gemeinsame Ausgangssituation auf. Dass die Praxis die tatsächliche Arbeitslosigkeit bzw. Beschäftigung des Gekündigten oftmals nicht bewertet, ist mit einer erforderlichen Pauschalisierung der Abfindungsberechnung zu erklären: Vor allem bei einer mehrmonatigen Kündigungsfrist kann im Zeitpunkt der konkreten Abfindungsvereinbarung und -berechnung noch nicht abschließend geklärt werden, ob der Arbeitnehmer eine neue Beschäftigung mit ähnlich hohem Entgelt finden wird oder der künftige Lebensunterhalt für eine bestimmte Dauer zu überbrücken ist. Häufig kann hierüber nur eine Prognose abgegeben werden.512 Dass eine solche von der Praxis durchgeführt und beachtet wird, bestätigt wiederum den Zweck der Abfindung als ÜberbrückungsZu § 615 BGB: KFA-ArbR/Kamanabrou2 (2009) § 615 BGB Rn. 63 f. Palandt/Grüneberg68 (2009) § 326 Rn. 13. 510 Löwisch/Spinner9 (2004) § 11 Rn. 8 ff.; ErfK/Kiel9 (2009) § 12 KSchG Rn. 9 ff.; KFA-ArbR/Bröhl2 (2009) § 12 KSchG Rn. 10. 511 Zur Deckungsgleichheit von § 11 KSchG und § 615 BGB: BAG 24.9.2003 – 5 AZR 500/02 – AP Nr. 4 zu § 11 KSchG 1969 [unter Gründe II. 1.]; 16.5.2000 – 9 AZR 203/99 – AP Nr. 7 zu § 615 BGB Böswilligkeit. 512 Für eine solche Prognose für die Aufstellung von Sozialplänen: Berenz NZA 1993, 538, 540. 508 509

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hilfe.513 Ferner wird den Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich der Abfindungszahlung ein weiter Spielraum eingeräumt.514 Wird eine Abfindung trotz fehlender Arbeitslosigkeit gezahlt, sind daraus also keine Rückschlüsse auf den Abfindungszweck zu ziehen. Vielmehr ist daran zu denken, dass der Arbeitnehmer bei einer Anschlussbeschäftigung auf Grund der zu erfüllenden Wartefrist des § 1 I KSchG zunächst nicht in den Genuss des Schutzes des KSchG kommt und insofern die Anschlussbeschäftigung minderen Wert als die beendete, vergangene Beschäftigung aufweist. (2) Rechtfertigung mittels Überbrückungsfunktion Der Zweck der Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG ist in einer Überbrückungsfunktion zu sehen. Dieser Zweck könnte die alleinige Berechnung der Abfindung nach den Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst nur rechtfertigen, wenn die so (un)mittelbar privilegierte Gruppe der Älteren einen erhöhten Überbrückungsbedarf aufweist, insbesondere länger arbeitslos ist als Jüngere.515 Mag dies im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses auch der Fall gewesen sein,516 so ist dies angesichts der heutigen gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Verhältnisse jedoch abzulehnen: Zum einen greift die Massenarbeitslosigkeit branchen- und altersunabhängig (zu § 1 III KSchG S. 73 ff.), zum anderen kann der Ältere in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr als pauschal schlechter und damit als schwerer vermittelbar als jüngere Arbeitnehmer bewertet 513 BAG 5.10.2000 – 1 AZR 48/00 – AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 2c: „Die Betriebspartner müssen sich am Zweck der Sozialplanleistungen ausrichten, der darin besteht, mit einem begrenzten Volumen möglichst allen von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe bis zu einem ungewissen neuen Arbeitsverhältnis oder bis zum Bezug von Altersrente zu ermöglichen; mangels Vorhersehbarkeit der später tatsächlich eintretenden Nachteile ist dabei eine Pauschalierung zulässig.“]; 24.11.1993 – 10 AZR 311/93 – AP Nr. 72 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 2b]; 23.8.1988 – 1 AZR 284/87 – AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 3a]. 514 BAG 14.8.2001 – 1 AZR 760/00 – AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 1a]; 16.3.1994 – 10 AZR 606/93 – AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972; Löwisch/Kaiser5 (2002) § 112 Rn. 14. 515 BAG 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – NZA 2003, 1287; 14.08.2001 – 1 AZR 760/00 – NZA 2002, 451; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 407; KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 40 und Rn. 49. 516 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. V/3913 zu Art. 1, Nr. 7, S. 9: „Hierdurch soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass diese Arbeitnehmer in aller Regel erheblich schwieriger wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden können. Die höhere Abfindung soll dazu beitragen, dass diese Arbeitnehmer die häufig längere Zeit bis zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses – ggf. nach Inanspruchnahme von Fortbildungsmaßnahmen- besser überbrücken können.“

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werden (zu § 1 III KSchG S. 70 ff.). Es ist auch nicht ersichtlich, warum die zukunftsbezogene Abfindung anhand des vergangenheitsbezogenen Kriteriums der Betriebszugehörigkeit zu berechnen sein soll – die Betriebszugehörigkeit in der Vergangenheit hat nichts mit den künftigen Nachteilen und Problemen des Gekündigten zu tun.517 Vielmehr ist zu beachten, dass Eltern mit dem Wegfall der künftigen Erwerbsmöglichkeit auf Grund der nötigen Versorgung des Nachwuchses einen höheren Überbrückungsbedarf aufweisen – steigend mit zunehmender Kinderzahl. Die Abfindung muss nicht nur den Lebensunterhalt des ehemaligen Arbeitnehmers, sondern auch denselben des Kindes/der Kinder abdecken.518 Weiterhin befinden sich Jüngere – darunter besonders viele Eltern – noch im Aufbau ihrer Existenz, über welche der Ältere in der Regel bereits verfügt.519 Etwa ist die erworbene Immobilie noch nicht abbezahlt; Jüngere weisen ein geringeres finanzielles Polster auf, welches zur Überbrückung herangezogen werden kann.520 Der bis zur Rente zu überbrückende, längere Zeitraum von Jüngeren ist zudem nicht mit dem kürzeren, bis zur Rente zu überbrückenden Zeitraum der Älteren zu vergleichen. Dieser höhere künftige Bedarf der Familie muss für die zukunftsbezogene Abfindung mit Überbrückungsfunktion ausschlaggebend sein.521 Aus dem insoweit betrachteten Abfindungszweck folgt keine Rechtfertigung der alleinigen Anknüpfung der Abfindungshöhe an Betriebszu517

Kraus (2005) S. 40; Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 501; dies. FS Konzen (2006) S. 381, 403. 518 Dies erkannte das BAG schon in seinem Urteil v. 20.1.1961 (– 2 AZR 495/59 – NJW 1961, 940, 941): „Der Verlust des Arbeitsplatzes führt unter Umständen zu einem Einschnitt in die Lebensexistenz nicht nur des Arbeitnehmers selbst, sondern einer größeren Zahl von Menschen, für die er wirtschaftlich verantwortlich oder doch mitverantwortlich ist. Diese Umstände unbeachtet zu lassen, wäre gerade nicht sozial.“ 519 BAG 19.10.1999 – 1 AZR 838/98 – AP Nr. 135 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe I 1 b cc]; 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe II 4 b dd]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 a cc]; Seidel ZTR 1996, 449, 451. 520 LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 a cc]. 521 Bengelsdorf Anm. zu den Urteilen des BAG vom 26.7.1988 – 1 AZR 156/87 – und 23.8.1988 – 1 AZR 284/87 – SAE 1989, 168, 171 und 174; Lingscheid (2004), S. 249 f.; für eine Berücksichtigung der Unterhaltspflichten bei Abfindungsberechnungen auf Grund des Überbrückungszwecks auch ErfK/Kania9 (2009) § 112 BetrVG Rn. 27; DKK/Däubler11 (2008) § 112a Rn. 49h und 95; für eine Relativierung der Bedeutung der Betriebszugehörigkeit bei Arbeitnehmer, die trotz ihrer Jugend in gleicher Weise auf Überbrückungshilfen angewiesen sind: Löwisch Anm. zu BAG 23.8.1988 – 1 AZR 284787 – AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972.

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gehörigkeit und Monatsverdienst bzw. an Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst. (3) Befriedungsfunktion Außer Acht gelassen werden darf zudem nicht die Befriedungsfunktion jeglicher Abfindungszahlung:522 Der auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses enttäuschte Arbeitnehmer wird über eine finanzielle Unterstützung besänftigt und auch das Vergeltungsbedürfnis, verursacht durch die als ungerecht empfundene Kündigung, mit einer finanziellen Belastung des Arbeitgebers etwas bedient – nicht selten ist vor den Räumen des Arbeitsgerichts ein „jetzt muss er wenigstens zahlen“ zu hören. Um dieser Befriedungsfunktion gerecht zu werden, ist die Abfindung anhand von plausiblen und eindeutigen Kriterien zu berechnen.523 Die Bemessung der Abfindung muss der Belegschaft und den Kollegen vermittelbar sein, nur so kann auch der soziale Frieden im Betrieb aufrechterhalten werden. Die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Monatsverdienst haben zwar den Vorzug hoher Transparenz und Praktikabilität,524 sodass hiernach die Abfindungsberechnung allein anhand der drei Kriterien gerechtfertigt sein könnte. Da jedoch im Sinne der vorliegenden Arbeit allein die Anzahl der gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten ausschlaggebend (S. 110 ff. und S. 34 ff.) und daher zu ermitteln sein soll, ist auch insoweit eine hohe Transparenz und Verständlichkeit gewährt und damit der Befriedungsfunktion Genüge getan. Vielmehr ist zu beachten, dass arbeitsvertraglich jederzeit eine Anrechnung von betriebsfremden Beschäftigungszeiten vereinbart werden kann.525 Hierüber ist also eine Manipulation des KriteriVon einer Genugtuungsfunktion spricht APS/Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 28 m. w. N.; ebenso U. Preis Beilage zu NJW Heft 21/2008, S. 9, 11; für die Sozialplanabfindung: BAG 31.5.2005 – 1 AZR 254/04 – AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 1 b bb]; 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 2 a]; 14.08.2001 – 1 AZR 760/00 – AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 1 a]; Fitting24 (2008) §§ 112, 112a Rn. 123. 523 BAG 31.5.2005 – 1 AZR 254/04 – AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 1 b bb]. 524 BAG 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 2 a]; 14.08.2001 – 1 AZR 760/00 – AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 1 a]; 16.3.1994 – 10 AZR 606/93 – AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 2 a]; 23.4.1985 – 1 ABR 3/81 – AP Nr. 26 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe B II 3]; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206. 525 LAG Köln 28.03.2001 – 8 Sa 405/00 – NZA-RR 2002, 85; v. HoyningenHuene/Linck14 (2007) § 1 Rn. 82; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1 Rn. 48; MüKo/ BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 27 und 37; KR/Etzel § 1 KSchG Rn. 94 ff und 112. 522

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ums der Betriebszugehörigkeit möglich. Hingegen sind die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten kaum manipulierbar.526 bb) § 1a KSchG Im Rahmen des § 1a KSchG wird die Abfindung als Gegenleistung für den Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gezahlt.527 Sie ist das Äquivalent für die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses ohne den Versuch einer Aufrechterhaltung über einen Kündigungsschutzprozess. Die für den Arbeitnehmer durch die Kündigung eintretenden (im)materiellen Nachteile sollen ausgeglichen oder gemildert werden;528 also ebenso wie bei § 10 KSchG für die verlorene künftige Erwerbsmöglichkeit entschädigt und im Rahmen der Überbrückungsfunktion der künftige Lebensunterhalt gesichert werden.529 Die Zukunftsbezogenheit der Abfindung nach § 1a KSchG ergibt sich zudem aus der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsfreiheit dieser Abfindung – diese greift wie bei §§ 9, 10 KSchG (vgl. oben S. 173).530 Da also der Zweck der Abfindung nach § 1a II KSchG und nach §§ 9, 10 KSchG übereinstimmt,531 ist auch die Familienbenachteiligung in § 1a KSchG insoweit nicht gerechtfertigt. Auch mit der Abfindungsberechnung anhand Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst in § 1a II KSchG liegt eine Familiendiskriminierung vor. 526

Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 411. Rolfs ZIP 2004, 333, 342; Kraus (2005) S. 38; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 404; Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 504; Hergenröder/v. Wickede RdA 2008, 364 f. 528 BAG 19.6.2007 – 1 AZR 340/06 – AP Nr. 4 zu § 1a KSchG 1969 [unter Gründe II 2 b bb: „Zwar will die Regelung des § 1a KSchG vor allem Kündigungsschutzklagen vermeiden und für den Arbeitgeber wegen der Ungewissheit der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglichst bald Planungssicherheit herstellen. Das vom Gesetz dafür vorgesehene Mittel – die Schaffung von Abfindungsansprüchen für den gekündigten Arbeitnehmer – dient jedoch seinerseits dem Zweck, die wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitsplatzverlustes auszugleichen oder zu mildern. Gesetzeszweck und Leistungszweck sind insoweit verschieden, wenn auch funktional aufeinander bezogen.“]; KR/Spilger8 (2007) § 1a KSchG Rn. 84. 529 Kraus (2005) S. 38 m. w. N. in Fn. 115. 530 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge8 (2007) VIII Rn. 3 (fehlende Beitragspflicht jeglicher Abfindung). 531 KR/Spilger8 (2007) § 1a KSchG Rn. 84, der auf die Rechtsprechung zu § 10 KSchG verweist und insoweit einen übereinstimmenden Zweck hinsichtlich § 1a und § 10 KSchG feststellt. Aus einer mangelnden Besprechung des Abfindungszwecks etwa bei v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007), aber aus zahlreichen Verweisen auf § 10 KSchG kann auch in der weiteren Literatur auf die Annahme dieser Parallele geschlossen werden. Arbeitsrechtlich erörtert wird der Abfindungszweck für § 1a KSchG kaum (Kaiser FS Schwab [2005] S. 495, 509). 527

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cc) Nachteilsausgleich, § 113 BetrVG Weicht der Arbeitgeber von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, haben Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, nach § 113 I BetrVG gegen den Arbeitgeber einen Abfindungsanspruch. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsänderung einen Interessenausgleich nicht einmal versucht (§ 113 III BetrVG). Die Abfindung ist dabei jeweils nach § 10 KSchG zu berechnen. § 113 BetrVG weist damit gegenüber dem Arbeitgeber einen Sanktionszweck auf532 und soll zudem die Rechte des Betriebsrats sichern sowie das Interessenausgleichsverfahren garantieren.533 Gegenüber dem Arbeitnehmer greift ein Kompensationszweck: Der Arbeitgeber hat den Versuch unterlassen, einen Interessenausgleich herbeizuführen und so Entlassungen zu vermeiden bzw. die wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer abzumildern.534 Weiterhin wird Zweckidentität der Abfindung nach § 113 BetrVG mit der Sozialplanabfindung nach § 112 BetrVG angenommen535 und auch die Sozialplanabfindung entschädigt nicht für in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistungen und den Verlust des Besitzstandes, sondern ist wie die Abfindung nach §§ 9, 10 und 1a II KSchG zukunftsorientiert (zu §§ 9, 10 S. 171 ff.; zu § 1a II KSchG S. 179 f.):536 Seit dem Einfügen des 532 BAG 13.6.1989 – 1 AZR 819/87 – AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 [unter Gründe III 1]; Richardi,11 (2008) § 113 Rn. 2. 533 BAG 4.12.2002 – 10 AZR 16/02 – AP Nr. 2 zu § 38 InsO [unter Gründe II 2 b]; 20.11.2001 – 1 AZR 97/01 – AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 [unter Gründe II 1 a m.w.N]; 24.1.1996 – 1 AZR 542/95 – AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG 1972 [unter Gründe II 1]; vgl. Begründung zum RegE BT-Drs. VI/1786 S. 55; GK-BetrVG/Oetker8 (2005), Band II, § 113 Rn. 3 ff.; Löwisch/Kaiser5 (2002) § 113 Rn. 1; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 404. 534 BAG 20.11.2001 – 1 AZR 97/01 – AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 [unter Gründe II 1 b]; 29.11.1983 – 1 AZR 523/82 – AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 [unter Gründe 2]; vgl. Begründung zum RegE BT-Drs. VI/1786 S. 55; Fitting24 (2008) § 113 Rn. 2. 535 BAG 4.12.2002 – 10 AZR 16/02 – AP Nr. 2 zu § 38 InsO [unter Gründe II 2 b]; 20.11.2001 – 1 AZR 97/01 – AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 [LS und unter Gründe II 1 b]; zudem wird die Sozialplanabfindung wegen Zweckidentität nach der st. Rspr. auf den gesetzlichen Nachteilsausgleich angerechnet: BAG 13.6.1989 – 1 AZR 819/87 – AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 [unter Gründe III 3 a]; 13.12.1978 – GS 1/77 – AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe IV A 3]; Fitting24 (2008) § 113 Rn. 2; Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 503; dies. FS Konzen (2006) S. 381, 405, auch mit Nachweisen zur Kritik; a. A. DKK/Däubler11 (2008) § 113 Rn. 60. 536 BAG 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – NZA 2003, 1287, 1289; 14.8.2001 – 1 AZR 760/00 – NZA 2002, 451, 452; 16.3.1994 – 10 AZR 606/93 – NZA 1994, 1147, 1148 [unter Gründe II 2 a].

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Absatzes V in § 112 BetrVG im Jahr 1985 besteht Einigkeit537 darin, dass die Sozialplanabfindung der Überbrückung bis zur Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses und der finanziellen Absicherung der bis dahin andauernden Arbeitslosigkeit dient. Alternativ soll das im Rahmen einer neuen Arbeitsstelle eventuell künftig geringer ausfallende Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers aufgefangen werden.538 Dies belegt auch die sozialversicherungsrechtliche Beitragsfreiheit der Sozialplanabfindung (zu §§ 9, 10 KSchG S. 173 ausführlich).539 Hinzukommt, dass auch ein völliger oder teilweiser Ausschluss von Sozialplanleistungen möglich ist, wenn der Gekündigte vorgezogenes Altersruhegeld erhalten kann:540 Der Ältere ist in diesem Fall wirtschaftlich gesichert, eine Überbrückungshilfe durch Zahlung einer Sozialplanabfindung nicht erforderlich – diese Möglichkeit sieht auch § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ausdrücklich vor (zur AGG-Konformität unten ab S. 184). In Anlehnung an diesen Zweck der Sozialplanabfindung nach § 112 BetrVG steht auch bei dem Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG die Überbrückungs- und Vorsorgefunktion im Vordergrund. Auch die Familienbenachteiligung in § 113 BetrVG ist durch den Abfindungszweck daher nicht gerechtfertigt. dd) Zwischenergebnis Die alleinige Abfindungsberechnung anhand Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst bzw. anhand von Monatsverdienst und Be537 Ob der Sozialplan vergangenheitsbezogen ausgleichen oder zukunftsbezogen überbrücken sollte, war bis dahin umstritten; das BAG betonte beide Zwecke nebeneinander: BAG 23.4.1985 – 1 ABR 3/8 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 26 [unter Gründe B II 2 mit einer ausführlichen Darstellung des damaligen Streitstandes in der Literatur]; GS 13.12.1978 – GS 1/77 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 6 [unter Gründe II B 3]; vgl. auch Fitting24 (2008) §§ 112, 112a Rn. 120 ff. 538 BAG 31.5.2005 – 1 AZR 254/04 – AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe II 1 b bb]; 21.10.2003 – 1 AZR 407/02 – AP Nr. 163 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe I 1]; 14.8.2001 – 1 AZR 760/00 – AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe III 1 a]; 9.11.1994 – 10 AZR 281/94 – AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972; Löwisch/Kaiser5 (2002) § 112 Rn. 14; ErfK/Kania9 (2009) § 122 BetrVG Rn. 12; Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 500. 539 LAG Hamm 23.11.1984 – 16 Sa 948/84 – DB 1985, 446, 447; Kaiser FS Schwab (2005) S. 495, 507; zur fehlenden Beitragspflicht jeglicher Abfindung vgl. Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge8 (2007) VIII Rn. 3. 540 BAG 28.10.1992 – 10 AZR 489/91 – EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 66 [unter Gründe II 1]; 26.7.1988 – 1 AZR 156/87 – AP Nr. 45 zu § 112 BetrVG 1972; 14.2.1984 – 1 AZR 574/82 – AP Nr. 21 zu § 112 BetrVG 1972; ErfK/Kania9 (2009) § 112a BetrVG Rn. 24.

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triebszugehörigkeit kann weder mit der Befriedungsfunktion (vor allem oben S. 178 f.) noch mit der zukunftsorientierten Überbrückungs- und Vorsorgefunktion (vor allem oben S. 172 ff.) jeglicher Abfindung gerechtfertigt werden. Die Regelungen zur Abfindungshöhe (§§ 1a, 10 KSchG) sind insoweit familiendiskriminierend. b) Die Abfindung im Austauschverhältnis Da das Arbeitsverhältnis ein synallagmatisches Schuldverhältnis darstellt (s. schon S. 123),541 könnte der Arbeitnehmer für im Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu Gunsten des Arbeitgebers in Kauf genommene Nachteile (etwa für den Flexibilitätsverlust [s. oben S. 142 ff.]),542 für die Enttäuschung durch den Bruch seines Vertrauens in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeber-Kündigung (s. oben S. 148 ff.) und für den Verlust des sozialen Besitzstandes durch die Kündigung (s. oben S. 152 f.)543 zu entschädigen sein. Ferner könnte er als Ausgleich für die geleistete Betriebstreue für seinen erwirtschafteten Gewinnanteil zu belohnen sein (s. oben S. 147 f.).544 Wenn sowohl diese zu entschädigenden als auch diese zu belohnenden Faktoren mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit und daher mit dem Lebensalter steigen, könnte hiermit eine Privilegierung der älteren, länger Beschäftigten im Rahmen der Abfindungsberechnung gerechtfertigt sein. Hiergegen sprechen jedoch zum einen die bereits im Rahmen des § 622 II S. 1 BGB vorgebrachten Argumenten (ab S. 142 zum Flexibilitätsverlust, ab S. 148 zum enttäuschten Vertrauen, ab S. 152 zum Verlust des sozialen Besitzstandes und ab S. 147 zum erwirtschafteten Gewinnanteil).545 Zum anderen ist Folgendes zu beachten: APS/Preis2 (2004) § 611 BGB Rn. 4; vgl. Greiner RdA 2007, S. 22, 26. So rechtfertigt das BAG den Einfluss der Betriebszugehörigkeit auf die Abfindungshöhe in Sozialplänen mit der zunehmenden Verengung der Qualifikation des Arbeitnehmers auf die spezifischen Bedürfnisse des bisherigen Betriebes (BAG 12.11.2002 – 1 AZR 58/02 – NZA 2003, 1287, 1289; 14.8.2001 – 1 AZR 760/00 – NZA 2002, 451, 452); Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 407. 543 Dies spricht auch das BVerfG an: „Grundsätzlich ist jedoch diesen Abfindungen auch gemeinsam, dass sie nicht nur nach entgangenem Arbeitsentgelt bemessen werden, sondern dass in ihnen auch Elemente der Ablösung sozialer Besitzstände enthalten sind.“ (BVerfG 12.5.1976 – 1 BvL 31/73 – NJW 1976, 2117 [unter Gründe C I 2]); KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 45 und Rn. 47; APS/Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 23; Löwisch/Spinner9 (2004) § 10 Rn. 12. 544 APS/Biebl2 (2002) § 10 KSchG Rn. 23; MüKo/BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 10 KSchG Rn. 19; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206. 541 542

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aa) Sozialer Besitzstand Würde der Verlust des sozialen Besitzstandes entschädigt, würde damit der Wegfall von Vorteilen aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis vergütet und dies dem Abfindungszweck – der Zukunftsbezogenheit der Abfindung (s. oben ab S. 172) – zuwiderlaufen. Denn damit würde der Wegfall von Vorteilen aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis vergütet und die Abfindung wäre vergangenheitsbezogen. Dagegen wird zwar vorgebracht, dass der Verlust des sozialen Besitzstandes ein Nachteil sei, der sich erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auswirke und daher die Abfindung als Entschädigung für diesen Nachteil sehr wohl zukunftsbezogen sei; wenn der Arbeitnehmer Anwartschaften oder Rechte auf Sonderzahlungen verlieren würde, spüre der Arbeitnehmer dies etwa erst in der Zukunft – im jeweiligen Monat, in welchem die Sonderzahlung ausbleibt. Allerdings werden etwa Sonderzahlungen in das Monatsgehalt einberechnet,546 sodass sich diese bereits derart in der Abfindungsberechnung niederschlagen. Ein darüber hinausgehender Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstandes über die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit ist nicht erforderlich (schon S. 152 f.).547 Zudem fällt der Verlust von Gratifikationen, Jubiläumszulagen, eines etwas erhöhten – weil nach Betriebszugehörigkeit gestaffelten – Entgeltes etc. gegenüber dem Verlust der künftigen Entgelterwerbsmöglichkeit kaum ins Gewicht (bereits S. 173).548 Auch wenn sich der soziale Besitzstand nicht als Sonderzahlung im Monatsgehalt niederschlägt, genügt es also, wenn das monatliche Grundeinkommen der Abfindungsberechnung zu Grunde gelegt wird.549 Die Berechnung der Abfindung nach der Betriebszugehörigkeit kann daher nicht im Rahmen des Austauschverhältnisses als Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstands gerechtfertigt werden.

545 Mit der Verneinung des Arguments der zu entlohnenden Betriebstreue kommt auch Brors zu einer mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Alters: Däubler/ Bertzbach/Brors2 (2008) § 10 AGG Rn. 134. 546 Für den Einbezug von Sonderzahlungen: APS/Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 16 und 18; darüber hinausgehend auch für den Einbezug von Gratifikationen: Löwisch/Spinner9 (2004) § 10 Rn. 3; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 403 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 547 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 405 und 407. 548 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 403. 549 Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 407.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

bb) Enttäuschtes Bestandsvertrauen Gegen eine Entschädigung für das zerstörte Bestandsvertrauen des Arbeitnehmers mittels der Abfindung spricht weiterhin, dass sich dieses Bestandsvertrauen im Zeitpunkt der Abfindungsberechnung durch die erfolgte Kündigung bereits als unbegründet und nicht mehr schützenswert dargestellt hat. Warum für den Bruch des bereits enttäuschten Vertrauens entschädigt werden soll, ist nicht ersichtlich.550 Auch aus dem Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis ergibt sich keine Rechtfertigung der Familienbenachteiligung bei der Abfindungsberechnung. c) Betriebszugehörigkeit als Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB Da eine Bewertung der Betriebszugehörigkeit als sonstiges Recht i. S. des § 823 I BGB mit der aktuellen Rechtsprechung abzulehnen ist,551 rechtfertigt auch diese starke Stellung der Betriebszugehörigkeit als Schutzgut nicht die Familienbenachteiligung im Rahmen der Abfindungsberechnung gem. §§ 1a II, 9, 10 KSchG. Gerade bei der Anknüpfung der Abfindungsberechnung an die Betriebszugehörigkeit wird zudem das vermögensrechtliche Element der Betriebszugehörigkeit deutlich; das Vermögen ist jedoch mangels Absolutheit gegenüber jedermann nicht vom Schutz des § 823 I BGB umfasst (zu diesem und weiteren Argumenten vgl. S. 100 ff.). d) Rechtfertigung durch §§ 10 oder 5 AGG Mit der Abfindungsberechnung anhand von Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst (§§ 9, 10 KSchG) oder nur anhand von Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst (§ 1a II KSchG) werden Ältere und Jüngere – darunter besonders viele (potentielle) Eltern – auf Grund des Alters ungleich behandelt. Dies ist grundsätzlich gemäß §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG unzulässig, könnte jedoch nach § 10 AGG ausnahmsweise zulässig oder als positive Maßnahme i. S. des § 5 AGG gerechtfertigt sein. (Für das Abfindungsrecht stellt sich die Problematik der Anwendbarkeit des AGG [§ 2 IV AGG] nicht; zur Anwendbarkeit auf das Kündigungsrecht vgl. S. 82 ff.) 550

Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 408. OLG Koblenz 23.1.2003 – 5 U 13/03 – NZA 2003, 438, 439; LG Frankfurt a. M. 26.10.1999 – 2/26 O 166/98 – NJW-RR 2000, 831 [LS]. 551

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Da der Zweck der gesetzlichen Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG und nach § 1a II KSchG mit dem Zweck der Sozialplanabfindung vergleichbar ist (zum Abfindungszweck S. 171 ff.), kann auch hinsichtlich der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung in § 1a II und §§ 9, 10 KSchG durch § 10 oder § 5 AGG auf die Pro- und Contra-Argumente zur AGG-Konformität von Sozialplanabfindungen zurückgegriffen werden.552 Teils wird in der Literatur argumentiert, die Erhöhung der Abfindung mit dem Lebensalter sei eine positive Maßnahme i. S. des § 5 AGG.553 Auch hier ist jedoch entgegenzuhalten, dass es an auszugleichenden Nachteilen der älteren Beschäftigten fehlt (zu § 1 III KSchG S. 87 ff.). Weiterhin ist zu bezweifeln, ob erhöhte Abfindungsberechnungen für Ältere überhaupt als Ausgleich für die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt gedacht sind. Eher ist von einem Ausgleich der konkreten Nachteile des Arbeitnehmers auf Grund dessen Arbeitsplatzverlustes auszugehen.554 Ferner wird vertreten, dass die Abfindungsstaffelung anhand Lebensalter und Betriebszugehörigkeit eine angemessene, typisierende Reaktion auf die schlechteren Berufsaussichten für Ältere sei, diese damit i. S. des § 10 S. 1 und S. 2 AGG ein legitimes Ziel verfolge und hiernach gerechtfertigt sei.555 Auch ein legitimes Ziel i. S. des § 10 AGG ist jedoch mangels erhöhter Schutzbedürftigkeit der älteren, betriebstreuen Beschäftigten nicht festzustellen (s. oben zu § 1 III KSchG S. 84 ff.). Andere wenden das Regelbeispiel des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG auf die Abfindungsberechnung an: § 10 AGG Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters 6. Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

Das Risiko der Arbeitslosigkeit nehme mit dem Alter „erkennbar“ zu, so dass über § 10 S. 3 Nr. 6 AGG auch eine erhöhte Abfindung für Ältere zu552

Löwisch/Caspers/Neumann (2003) S. 32. MüKo/BGB/Thüsing5 (2007), Band1/2, § 10 AGG Rn. 36. 554 Däubler/Bertzbach/Brors2 (2008) § 5 AGG Rn. 60. 555 So zu § 10 KSchG Annuß BB 2006, 325, 326; Löwisch FS Schwerdtner (2003) S. 769 ff.; Däubler/Bertzbach/Brors2 (2008) § 10 AGG Rn. 108. 553

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

lässig sei.556 Hinzu komme, dass nicht allein das Lebensalter für die Abfindungsberechnung ausschlaggebend sei, sondern auch die Betriebszugehörigkeit in der Praxis berücksichtigt werde und diese kein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG darstelle.557 Gegen eine Zulässigkeit nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ist allerdings einzuwenden, dass die älteren Arbeitnehmer heute auf dem Arbeitsmarkt keine schlechteren Chancen als Jüngere mehr haben (S. 70 ff.). Damit berücksichtigt die alleinige Staffelung der Abfindung nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit nicht die tatsächliche, „erkennbare“ Arbeitsmarktsituation, wie es § 10 S. 3 Nr. 6 AGG jedoch vorschreibt. Zwar erlaubt „erkennbar“ eine pauschale Einschätzung der Arbeitsmarktlage, etwa unter zur Hilfenahme der Daten der Bundesagentur für Arbeit.558 Gerade diese (Abb. 11 S. 76 ff.) belegen jedoch, dass Ältere heute pauschal gesehen keine wesentlich schlechteren Arbeitsmarktchancen mehr aufweisen.559 So wird in der Literatur auch angenommen, dass eine lineare Steigung der Abfindungen, wie sie in der Praxis Usus ist (vgl. S. 63), nicht mit § 10 S. 3 Nr. 6 AGG zu vereinbaren ist.560 Weiterhin ist zu beachten, dass die Familienförderung selbst ein legitimes Ziel i. S. des § 10 AGG darstellt, so dass die Schutzbedürftigkeit der Familie i. S. des § 10 AGG zumindest gleichrangig ist, d.h. ohnehin nicht allein die angebliche Schutzbedürftigkeit der Älteren zu beachten ist. Geradezu grotesk ist das Argument, die Betriebszugehörigkeit mindere die Bedeutung des Lebensalters und es liege keine AGG-widrige Ungleichbehandlung auf Grund des Alters vor; das Lebensalter korreliert zwingend mit einer ansteigenden Betriebszugehörigkeit, sodass es sowohl unmittelbar (in § 10 KSchG) als mittelbar (in § 10 und in § 1a II KSchG) für die Abfindungshöhe berücksichtigt wird. Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Älteren und Jüngeren hinsichtlich der Abfindungshöhe ist weder nach § 10 AGG noch nach § 5 AGG ersichtlich.

So auch Däubler/Bertzbach/Brors2 (2008) § 10 AGG Rn. 129; Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 53. 557 Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 53. 558 Wendeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 59 m. w. N. 559 So aber Wendeling-Schröder/Stein (2008) § 10 AGG Rn. 58. 560 Schleusener/Suckow/Voigt2 AGG (2008) § 10 Rn. 57 ff.; Wendeling-Schröder/ Stein (2008) § 10 AGG Rn. 60; für eine wie bisher übliche Berechnung der Abfindung nach Bruttomonatsgehalt  Betriebszugehörigkeit  Faktor ( Lebensalter) aber Bauer/Göpfert/Krieger2 (2008) § 10 AGG Rn. 56; Däubler/Bertzbach/Brors2 (2008) § 10 AGG Rn. 133 m. w. N. 556

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e) Anderweitige gesetzgeberische Wertungen Die Familienbenachteiligung durch die Abfindungsberechnung anhand von Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst (§ 10 KSchG) bzw. anhand von Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst (§ 1a II KSchG) könnte durch die sonstige gesetzgeberische Bewertung der Kriterien Lebensalter und Betriebszugehörigkeit im Arbeitnehmerschutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein (zum selben Schutzzweck der in Betracht kommenden Normen vgl. ab S. 91).561 § 1 III KSchG sowie § 622 II S. 1 und S. 2 BGB können mangels eigener Rechtfertigung (zu § 1 III KSchG S. 68 ff. und zu § 622 II S. 135 ff. und S. 157 ff.) nicht als Maßstab herangezogen werden. Hinzukommt, dass der Wortlaut des § 1 III KSchG nicht von einer Bevorzugung der Kriterien Betriebszugehörigkeit und Lebensalter ausgeht, dies ist allein in der Praxis Usus – seit Jahrzehnten mit Billigung der Rechtsprechung (vgl. oben S. 55 ff.). Auch geht es bei §§ 1a, 10 KSchG um die Abfindungsberechnung bei beidseitiger, einverständlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses – der Arbeitnehmer beantragt nach § 10 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und verzichtet in § 1a II KSchG auf einen Kündigungsschutzprozess. Bei der Sozialauswahl ist die Wirksamkeit der einseitig beschlossenen Arbeitgeberkündigung bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedoch umstritten, sodass die praktische Gewichtung der Sozialdaten im Rahmen des § 1 III KSchG nicht auf die Abfindungsberechnung nach §§ 1a, 10 KSchG übertragen werden kann.562 Einer Rechtfertigung durch vergleichbare Normen des Arbeitnehmerschutzes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht zudem die Gefahr eines Zirkelschlusses entgegen (oben S. 98 und S. 140 f. sowie S. 161 f.).563

KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 45. 562 Linck (1990) S. 74 f. 563 So wird im Rahmen des § 1 III KSchG bereits in umgekehrter Richtung auf § 10 KSchG abgestellt: 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – NZA 1990, 729, 73 f.; 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 34 [unter Gründe B II 4 a]; LAG Hamm 3.8.2004 – 19 Sa 728704 – n. v.; LAG Niedersachsen 11.6.2001 – 5 Sa 1832/00 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 37 [Gründe II 3 a cc]; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 76; Wank RdA 1987, 129, 144; U. Preis (1987) S. 422; Löwisch NZA 1996, 1009, 1010; APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 709, 727; B. Preis DB 1986, 746, 747; Rost ZIP 1982, 1396, 1397. Dabei ist festzuhalten, dass bezüglich § 1a KSchG in der Literatur stets nur auf die Parallelen zu § 10 KSchG, wie es das Gesetz selbst handhabt (§ 1a II S. 2 KSchG), hingewiesen wird (Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 404; Löwisch/Spinner9 (2004) § 1a Rn. 25 ff.; APS/Ascheid2 (2004) § 1a KSchG Rn. 10 und 12. 561

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Auch hiernach ist die Familienbenachteiligung in §§ 1a, 10 KSchG nicht gerechtfertigt. f) Kollektivrechtliche Wertungen Die familienbenachteiligende Abfindungsberechnung in §§ 1a II, 10 KSchG könnte durch kollektivrechtliche Wertungen gerechtfertigt sein.564 Kollektivrechtliche Abfindungsberechnungen finden sich sowohl in Tarifverträgen (tarifliche Sozialpläne oder Rationalisierungsschutzabkommen) als auch in Betriebsvereinbarungen (meist Sozialpläne nach § 112 BetrVG; vgl. § 112 I S. 3 BetrVG). Diese kollektivrechtlichen Abfindungen schützen ebenso wie die gesetzlichen Abfindungen nach §§ 1a II, 10 KSchG den Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sodass eine Parallelwertung in Betracht kommt (zum Schutzzweck ab S. 91). Tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen legen die Abfindungsberechnung für den Fall von betriebsbedingten Kündigungen aus Rationalisierungsgründen fest. Einige Praxisbeispiele:565 Tarifbereich

Abfindungsberechnung

Bankgewerbe Ost und West

Vor vollendetem 40. Lebensjahr und zwischen 5 und 15 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelt zwischen 1 und 3 Monatseinkommen; nach 40 vollendeten Lebensjahren und 10 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelt zwischen 4 und 14 Monatseinkommen

Bekleidungsindustrie West

Über 28 Lebensjahre und 10 Jahre Betriebszugehörigkeit bis über 55 Jahre und 25 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelt zwischen 1 und 12 Monatseinkommen

Chemische Industrie West und Ost

Nach vollendetem 40./45./50./55./60. Lebensjahr und 10/15/20/ 25/25 Jahren Betriebszugehörigkeit jeweils 1/2/3/4/6 Monatseinkommen

Deutsche Bahn AG

Betriebszugehörigkeit zwischen 5 und 29 Jahren, Alter zwischen 25 und 61 Jahren: Abfindungsspanne zwischen 1.891,78 und 21.167,48 e; zwischen 62. und 65. Lebensjahr Grundbetrag multipliziert mit Faktor 0,8/0,6/0,4/0,2 für das vollendete 62./63./64./65. Lebensjahr

Deutsche Post AG

Betriebszugehörigkeit zwischen 3 und 25 Jahren und Altersstaffel von 40. bis 55. Lebensjahr: gestaffelte Abfindung zwischen 2–18 Monatseinkommen

KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 45. Die im Folgenden erwähnten Tarifverträge sind im Internet einzusehen: www.tarifvertrag.de; www.igbau.de; www.igbce.de; www.igmetall.de; www.ngg.net; www.verdi.de/tarifbewegung. 564 565

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG

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Tarifbereich

Abfindungsberechnung

Druckindustrie

Zwischen 40. und 58. Lebensjahr und zwischen 10 und 25 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelte Abfindung zwischen 5–12 Monatsgehältern

Holzverarbeitende Industrie

Zwischen 45. und 64. Lebensjahr und 10 bis 25 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelt 3–9 monatliche Durchschnittsverdienste

Metallindustrie

2–9 monatliche Arbeitsverdienste, gestaffelt nach Lebensjahren (40–64) und Betriebszugehörigkeit (10–25 Jahre)

Öffentlicher Dienst Gemeinden West

Zwischen 40. und 55. Lebensjahr und 3–25 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelte Abfindung zwischen 2–18 Monatseinkommen

Süßwarenindustrie West

Nach vollendetem 45. Lebensjahr 2–5 und nach vollendetem 60. Lebensjahr 9–12 Monatsverdienste, gestaffelt nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit

Textilindustrie Baden-Württemberg

Zwischen 28 und 55 Lebensjahren und 10 bis 25 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelt zwischen 1 und 12 Durchschnittsmonatsverdiensten

Versicherungsgewerbe Ost und West

Vor vollendetem 40. Lebensjahr und zwischen 5 und 15 Jahren Betriebszugehörigkeit: gestaffelt zwischen 1 und 3 Monatseinkommen; zwischen 40. und 58. Lebensjahr und zwischen 10 und 28 Jahren Betriebszugehörigkeit: zwischen 4 und 16 Monatseinkommen

Quelle: WSI-Tarifarchiv 2002

Abb. 15: Praxisbeispiele zur Abfindungsberechnung566

Die tarifliche Abfindungsberechnung orientiert sich in der Praxis ausnahmslos an Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Monatsverdienst des Gekündigten. Gleiches gilt für Abfindungsberechnungen in Betriebsvereinbarungen – meist in Sozialplänen:567 Eine gängige Formel berechnet die Abfindungshöhe dort nach Betriebszugehörigkeitsdauer multipliziert mit einem von den Betriebspartnern ausgehandelten Bruchteil der Bruttomonatsvergütung;568 oder es wird ein Grundbetrag festgesetzt, zu dem je nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ein flexibler Betrag addiert wird, wobei ein Durchschnitt von einem Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr 566 Bispinck (2002) S. 31 f.; eine ähnliche Auflistung dieser Tarifverträge findet sich auch bei Löwisch/Casper/Neumann S. 30 f. 567 Eine Aufstellung der verschiedenen, üblichen Abfindungsberechnungen in Sozialplänen findet sich bei Friedemann (1997), etwa Rn. 516 und 521 ff. 568 Etwa die Berechnung in BGH 13.11.1997 – IX ZR 37/97 – NJW 1998, 749 ff.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

von der Rechtsprechung gebilligt wird (zur gleich berechneten „allgemeinen Faustformel“ – auch in gerichtlichen Vergleichen – vgl. bereits oben S. 169 f.).569 Alternativ wird das Produkt von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit häufig durch einen festgelegten Divisor (zwischen 25 und 150) geteilt, so dass die Abfindungshöhe auch hier linear mit dem Alter steigt.570 Konkrete Beispiele aus Tatbestandsdarstellungen der aktuellen Rechtsprechung: – „Die Abfindung wird nach der Formel Betriebszugehörigkeit  BruttoMonatsgehalt  Faktor = Abfindung berechnet. Der Faktor beträgt für MitarbeiterInnen bis zum vollendeten 35. Lebensjahr 0,5; bis zum vollendeten 45. Lebensjahr 0,55; bis zum 50. Lebensjahr 0,65 und bis zum 57. Lebensjahr und älter 0,75.“571 – Betriebszugehörigkeit in vollen Jahren  Brutto-Monatsgehalt  0,5.572 – Ein Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr bzw. 1/12 je Beschäftigungsmonat (zu dieser in der Praxis sehr relevanten Abfindungsfaustformel – auch in Vergleichen – vgl. schon oben S. 169 f.).573 – Länger Beschäftigte erhalten eine Abfindung von 8.180,– e; an Arbeitnehmer über 55 Jahre mit mehr als 20 Jahren Betriebszugehörigkeit werden 12.250,– e gezahlt.574 Zwar werden unterhaltsberechtigte Kinder teils bei der Abfindungsberechnung berücksichtigt. Die Relevanz dieser ist aber – gemessen an den restlichen Berechnungsgrößen – als sehr gering einzustufen. Etwa: „Die Abfindung beträgt 30% eines durchschnittlichen Monatsgehalts pro vollendetem Halbjahr der Betriebszugehörigkeit. Zusätzlich erhalten Mitarbeiter, die länger als 12 Monate im Unternehmen beschäftigt sind und das 25. Lebensjahr vollendet haben, 50% eines durchschnittlichen Monatsgehalts; bei Vollendung des 30. Lebensjahres 75%; bei Vollendung des 40. Lebensjahres 100%; bei Vollendung des 50. Lebensjahres 150% und 200% bei Vollendung des 55. Lebensjahres. Pro unterhaltsberechtigtem Kind wird ein Zuschlag von 500,– DM gezahlt.“575 569 Vgl. die Berechnungen in BAG 27.10.1987 – 1 ABR 9/86 – AP Nr. 41 zu § 112 BetrVG 1972 und 22.5.1979 – 1 ABR 17/77 – AP Nr. 4 zu § 111 BetrVG 1972. 570 DKK/Däubler11 (2008) § 112a Rn. 96. 571 BAG 19.10.1999 – 1 AZR 838/98 – AP Nr. 135 zu § 12 BetrVG 1972. 572 Dienstvereinbarung eines Krankenhauses: BAG 19.6.2007 – 1 AZR 340/06 – NZA 2007, 1357. 573 BAG 15.5.2007 – 1 AZR 370/06 – ZIP 2007, 1575. 574 Sozialplan eines Hafenbetriebes: LAG Mecklenburg-Vorpommern 30.10. 2003 – 1 Sa 262/03 – n. v.

III. Gesetzliche Diskriminierung nach §§ 1a II und 10 KSchG

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Insoweit stimmen die tariflichen und betrieblichen Regelungen mit der gesetzlichen Regelung der §§ 1a, 10 KSchG überein. Dennoch scheidet eine Rechtfertigung der gesetzlichen Familienbenachteiligung über die bestehenden kollektivrechtlichen Regelungen aus: Zum einen können Tarifregelungen nicht zur Legitimation von zwingenden staatlichen Gesetzen herangezogen werden (vgl. zu § 1 III KSchG ab S. 127 ausführlich). Zum anderen enthalten zwar auch Betriebsvereinbarungen nach § 77 IV BetrVG Normen mit unmittelbarer und zwingender Wirkung. Auch diese sind jedoch gegenüber jeglichem zwingendem, staatlichen Recht nachrangig,576 zumal keine die Rechtsstellung der Betriebspartner stärkende Norm – ähnlich Art. 9 III GG für die Tarifparteien – existiert; vielmehr legen § 87 I a. E. BetrVG und § 77 III BetrVG schon für bestimmte Themenbereiche die Nachrangigkeit von Betriebsvereinbarungen gegenüber dem Tarifrecht fest.577 Weiterhin würde durch eine Rechtfertigung der §§ 1a II, 10 KSchG mit familienbenachteiligenden Kollektivregelungen zum Arbeitnehmerschutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zirkelschluss entstehen; unmöglich kann sich aber der Gesetzgeber auf die Tarifoder Betriebspraxis berufen578 und sich die Betriebspartner und Tarifvertragsparteien ihrerseits an die gesetzlichen Regelungen anlehnen.579 Auch steht einer Übertragung der kollektivrechtlichen Wertungen ein mangelndes Bewusstsein der Tarifvertragsparteien oder der Betriebspartner für die familienbenachteiligenden, kollektivrechtlichen Abfindungsregelungen entgegen. Die Tarifvertragsparteien und Betriebspartner orientieren sich ausschließlich an den gesetzlichen Regelungen, berufen sich auf einen jahrzehntealten Usus, sodass deren Abfindungsvereinbarungen kein Indiz für das mangelnde Interesse der Tarifvertragsparteien/der Betriebspartner an einer familienfreundlicheren Abfindungsberechnung darstellen (vgl. zu § 1 III KSchG S. 129).580 575

Sozialplan eines Computerfachmarktes: BAG 13.3.2007 – 1 AZR 262/06 – AP Nr. 183 zu § 112 BetrVG 1972; Sozialplan eines Hafenbetriebes: BAG 24.8.2004 – 1 AZR 23/03 – n. v. 576 Fitting24 (2008) § 77 Rn. 53; DKK/Berg11 (2008) § 77 Rn. 10; Löwisch/Kaiser5 (2004) § 77 Rn. 25. 577 DKK/Berg11 (2008) § 77 Rn. 11; Löwisch/Kaiser5 (2004) § 77 Rn. 55 und § 87 Rn. 34 ff. 578 KR/Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 45. 579 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge8 (2007) IV. Rn. 325; Löwisch/ Caspers/Neumann (2003) S. 30 m. w. N.; v. Hoyningen-Huene betont, dass die Regelung des BRG 1920 der Praxis bis heute als Abfindungsberechnungsmaßstab dient (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 [2007] § 10 Rn. 17). 580 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 4 c].

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Daher kommt es nicht mehr darauf an, ob die typische (tarifliche oder betriebliche) Abfindungsberechnung wegen einer ungerechtfertigten Benachteiligung Jüngerer – darunter besonders viele Eltern – gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG verstößt581 und ggf. nach §§ 7 I, II i. V. m. § 1 AGG unwirksam ist.582 Die fehlende Rechtmäßigkeit der tariflichen/betrieblichen Abfindungsberechnungen, die es verbieten würde, diese Regelungen als Maßstab für §§ 1a II, 10 KSchG heranzuziehen, ist irrelevant. Auch kollektivrechtliche Wertungen in Tarifverträgen (Rationalisierungsschutzabkommen und tarifliche Sozialpläne) oder in Sozialplänen nach § 112 BetrVG können die Familienbenachteiligung in §§ 1a, 10 KSchG nicht rechtfertigen. g) Nachrücken der jüngeren Generation/Generationengerechtigkeit Der Gedanke des Nachrückens der jüngeren, erst kurz beschäftigten Generation mit noch geringerem Monatsgehalt in einen höheren Abfindungsanspruch der Älteren, länger Beschäftigten mit einem höheren Monatsgehalt kann nicht als Rechtfertigungsgrund für die gesetzliche Familienbenachteiligung in §§ 1a II, 10 KSchG dienen.583 Zum einen ist auch hinsichtlich der Abfindung nicht sicher, ob der Arbeitnehmer je eine längere Betriebszugehörigkeit erreichen wird und damit in den Genuss einer höher bemessenen Abfindung kommen wird; insoweit liegt keine Generationengerechtigkeit vor (zu § 1 III KSchG sowie § 622 II BGB vgl. oben S. 99 f. und S. 166). Zum anderen tritt auch eine erneute Abfindungssituation nicht zwingend ein – auf jeden Fall wird die Abfindung im Rahmen einer anderen, evtl. ungünstigeren Abfindungsvereinbarung berechnet werden; die Bevorteilung der Älteren und Betriebstreuen kann viel geringer ausfallen. Ein zwingendes Nachrücken in die verpasste Privilegierung ist nicht gegeben. 581 Zwar ist die Abfindung nicht als Entgelt i. S. des § 2 I Nr. 2 AGG zu verstehen, ist aber i. S. des § 2 I Nr. 2 AGG unter „Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Beendigung eines Beschäftigunsgverhältnisses“ zu subsumieren; nur für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden Abfindungen vereinbart. 582 Gegen einen Verstoß: Löwisch/Caspers/Neumann (2003) S. 32; v. HoyningenHuene/Linck KSchG14 (2007) § 10 Rn. 19; KR/Spilger8 (2007) § 1a KSchG Rn. 129 und § 10 Rn. 40, der jedoch auch in § 1a KSchG Rn. 129 vertritt, dass Kündigungen wegen § 2 IV AGG nicht dem AGG unterfallen; zweifelnd und für eine europarechtskonforme Auslegung des § 10 KSchG: KFA-ArbR/Bröhl2 (2009) § 10 KSchG Rn. 7; DKK/Däubler11 (2008) Rn. 49a ff. (v. a. Rn. 49d m. w. N.); Annuß BB 2006, 325, 326 f., der ausdrücklich die Formel „Lebensalter  Betriebszugehörigkeit  Bruttomonatsgehalt“ angreift. 583 Für diese Idee Waltermann NZA 2005, 1265, 1269 und ders. ZfA 2006, 305, 326.

IV. Zwischenergebnis

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3. Zwischenergebnis Auch die Familienbenachteiligung in §§ 1a II, 10 KSchG kann nicht gerechtfertigt werden: Weder durch den Abfindungszweck der Überbrückungsoder der Befriedungsfunktion (oben S. 172 ff. und S. 178 f.) noch durch § 10 AGG oder § 5 AGG (oben S. 184 ff.). Die kollektivrechtlichen oder gesetzgeberischen Wertungen sind mangels eigener Rechtfertigung bzw. auf Grund eines entstehenden Zirkelschlusses nicht zu übertragen (oben S. 187 und S. 191); zudem können tarifliche Regelungen nicht zur Legitimation staatlicher Gesetze herangezogen werden (oben S. 191). Da Jüngere auch nicht zwingend in die günstigeren Abfindungsberechnungen nachrücken (gerade oben S. 192), die Betriebszugehörigkeit nicht als Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB besonders schützenswert ist (oben S. 184), der Ursprung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis nicht ausschlaggebend ist (oben S. 171), Ältere und Betriebstreue nicht über das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis besonders zu belohnen oder zu entschädigen sind (oben S. 182 ff.), die Feststellung der Anzahl der gesetzlichen, bestehenden Unterhaltspflichten nicht weniger praktikabel ist (oben S. 171) und keine mit der Betriebszugehörigkeit steigende Fürsorgepflicht eine höhere Abfindung für Betriebstreue verlangt (oben S. 171), ist §§ 1a, 10 KSchG familiendiskriminierend. Maßnehmend an den Wertungen des §§ 1a II, 10 KSchG durchzieht daher das gesamte Abfindungsrecht, d.h. sämtliche gesetzliche Abfindungsberechnungen des deutschen Arbeitsrechts eine Familiendiskriminierung (zu dieser Praxisrelevanz S. 169 f.).

IV. Zwischenergebnis Als Ergebnis der Untersuchungen in Teil B ist festzuhalten, dass in den deutschen Arbeitsgesetzen ungerechtfertigte, mittelbare wie unmittelbare Benachteiligungen von (potentiellen) Eltern zu finden sind: § 1 III KSchG bzw. der dortige Ermessensspielraum, der in der Praxis zu Lasten der Familien genutzt wird, diskriminiert Familien unmittelbar, indem ein unterhaltspflichtiges Kind mit meist vier Punkten in der Sozialauswahl keine, in keinem Fall eine ausschlaggebende Rolle spielt (oben S. 66 ff.) und Rechtfertigungsgründe hierfür nicht ersichtlich sind (oben ab S. 68). § 622 II BGB benachteiligt Familien in S. 1 mittelbar durch die Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit und in S. 2 mittelbar durch die Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an das Lebensalter (oben S. 134 f.); weder für S. 1 (oben S. 135 ff.) noch für S. 2 (oben S. 157 ff.) greift ein Rechtfertigungsgrund, sodass auch hier die Familie gesetzlich diskriminiert wird.

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B. Arbeitsrechtliche Familiendiskriminierungen

Ebenso verhält es sich mit der Abfindungsberechnung in §§ 1a, 10 KSchG, die nach dem Gesetzeswortlaut allein anhand von Betriebszugehörigkeit und Monatsverdienst bzw. an diese beiden Kriterien und anhand des Lebensalters zu erfolgen hat. Durch die fehlende Nennung der Unterhaltspflichten werden Familien unmittelbar sowie durch die Kriterien Monatsverdienst, Lebensalter und Betriebszugehörigkeit mittelbar benachteiligt (oben S. 167 ff.). Auch hierfür fehlt es an Rechtfertigungsgründen (oben ab S. 171), sodass die Familie gesetzlich diskriminiert wird. Die Praxisrelevanz dieser Familiendiskriminierung ist besonders bedeutend, da sich sämtliche Abfindungsberechnungen in Deutschland, unabhängig von der Rechtsgrundlage, an §§ 1a und 10 KSchG orientieren (oben S. 169 f.). Für die Beseitigung dieser Familiendiskriminierungen sind im nächsten Kapitel (Teil C ab S. 195) praxistaugliche, effektive Lösungsmöglichkeiten zu entwerfen.

C. Lösungsmöglichkeiten Da die angesprochenen Familienbenachteiligungen nicht gerechtfertigt werden können, gilt es, diese Diskriminierungen i. S. einer Familienförderung abzuschaffen.

I. § 1 III KSchG 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung Um die Diskriminierung von Eltern durch die praktische Handhabung des Auswahlermessens im Rahmen der Sozialauswahl zu beenden, sollten gesetzliche Kindesunterhaltspflichten nach dem Gesetzestext „insbesondere“ zu beachten sein und das Kriterium „Lebensalter“ in § 1 III KSchG gestrichen werden (Änderungen des Gesetzestexts sind kursiv hervorgehoben und auch Streichungen des bisherigen Gesetzestextes sind kenntlich gemacht):1 § 1 KSchG: Sozial ungerechtfertigte Kündigungen (3) 1Ist ein Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Schwerbehinderung und die Unterhaltspflichten – insbesondere die Anzahl der bestehenden gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten des Arbeitnehmers – nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; . . .

„Insbesondere“ lässt dem Arbeitgeber hinsichtlich der Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten einen Bewertungsspielraum: Er kann die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten aufwerten, etwa deren Bewertung im Punkteschema (S. 54 ff.) verdoppeln oder verdreifachen oder für das Kriterium Betriebszugehörigkeit eine maximal vom Arbeitnehmer im Punkteschema zu erreichende Höchstpunktzahl festlegen (etwa max. 15 Punkte). Die jetzige Unverhältnismäßigkeit der Gewichtung von Betriebszugehörigkeit und Kindesunterhaltspflichten würde über solche Maximalgrenzen nivelliert (z. B. acht Punkte für zwei Kinder gegenüber 15 Pkt. für die Betriebszuge1 Zu dem weitergehenden Vorschlag, nur noch Unterhaltspflichten gegenüber Kindern zu beachten und Unterhaltspflichten gegenüber dem Ehepartner unberücksichtigt zu lassen: Strick (2007) S. 79, 94 Rn. 60.

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C. Lösungsmöglichkeiten

hörigkeit anstatt acht Punkten gegenüber etwa 25 Punkten für die Betriebszugehörigkeit). „Insbesondere“ soll der Praxis ermöglichen, die genannten Varianten zu erfahren und individuell auf verschiedene Fallgestaltungen zu reagieren. Kontrolliert durch die Rechtsprechung könnten so neue Punktebewertungen für die Sozialauswahl erprobt und schließlich an das Ziel der Familienförderung angepasste Punkteschemata erarbeitet werden. Als Beispiel für eine gerichtliche Überprüfung soll die Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 8.2.2005 dienen. Danach ist ein Punkteschema unvertretbar, wenn es der besonderen Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern mit Kind nicht hinreichend Rechnung trägt: Es könne nicht als „sozial“ angesehen werden, wenn ein 31-Jähriger mit zehn Jahren Betriebszugehörigkeit 41 Punkte erhalte, ein 26-Jähriger mit zwei Kindern, ebenfalls mit 21 Jahren eingestellt, indes nur 39 Punkte, wenn also ein Kind mit vier Punkten nur soviel „Wert“ sei, wie zwei Jahre Berufstätigkeit.2 Die Klarstellung, dass allein die „Anzahl“ der Kindesunterhaltspflichten für die Sozialauswahl zu berücksichtigen ist, soll Diskussionen um die Einbeziehung des Umfangs der Kindesunterhaltspflichten vermeiden (dazu ausführlich oben S. 110 ff.). Weiterhin soll damit verdeutlicht werden, dass die Verpflichtung zur Kindesunterhaltszahlung nicht nur einmal pro Elternpaar geltend gemacht werden kann: Jeder Elternteil bekommt jedes Kind im Rahmen der Sozialauswahl für die Schutzwürdigkeit gegenüber den Kollegen angerechnet – unabhängig davon, ob die Familie intakt ist, bei wem das Kind lebt etc.3 Denn jeder Elternteil ist zum Bar- oder zum Betreuungsunterhalt verpflichtet. „Bestehende gesetzliche“ Kindesunterhaltspflichten soll darauf hinweisen, dass die tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Arbeitnehmers ebenso wie vertragliche Unterhaltspflichten unbeachtlich sind (vgl. S. 35 f. und S. 39 ff.).

2. Unterstützende Argumente Für die Gesetzesänderung spricht neben dem Ersatz der Familiendiskriminierung durch eine Familienförderung, dass sich aus der Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten keine Praktikabilitätsprobleme ergeben (S. 108 ff.), denn nur die Anzahl der gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten ist in der Sozialauswahl zu berücksichtigen (gerade oben S. 196). Freiwillig 2 ArbG Ludwigshafen 8.2.2005 – 8 Ca 2824/04 – BB 2005, 672 [LS 1]; ebenso noch ErfK/Ascheid/Oetker7 (2007) § 1 KSchG Rn. 491. 3 Strick (2007) S. 79, 98 Rn. 70.

I. § 1 III KSchG

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gezahlte Unterhaltsleistungen – etwa gegenüber Stiefkindern (S. 39 ff.)4 – sind zwar kaum nachzuweisen, aber auch nicht zu beachten.5 Insbesondere entsteht durch eine vorrangige Berücksichtigung der Kindesunterhaltspflichten kein größerer Aufwand für die Arbeitsvertragsparteien: Auch nach der bisherigen Praxis zu § 1 III KSchG mussten die Unterhaltspflichten festgestellt werden; sie wurden nur nachrangig bewertet. Da auch weder die Höhe der Kindesunterhaltspflichten noch vertragliche Unterhaltspflichten zu berücksichtigen sind, wird der Arbeitsrichter nicht zu einem „Familienrichter im Nebenamt“.6 Die Streichung des Kriteriums Lebensalter beendet dessen ungerechtfertigte doppelte Beachtung in der Sozialauswahl:7 Bislang schlägt sich das Alter neben der unmittelbaren Berücksichtigung noch mittelbar über die Betriebszugehörigkeit8 und die Schwerbehinderung9 nieder. Zu diesen Argumenten kommen folgende Überlegungen: a) Wortlaut Der bisherige Wortlaut des § 1 III KSchG deutet auf keinen Nachrang der Unterhaltspflichten gegenüber den Kriterien Alter und Betriebszugehörigkeit hin, sodass dieser einer Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG nicht entgegensteht. Zwar lässt die sehr weite Formulierung des § 1 III S. 1 KSchG („ausreichend berücksichtigt“) keine Rückschlüsse aus dem Wortlaut zu.10 Aber die gesetzliche Reihenfolge der Sozialkriterien in § 1 III KSchG lässt keine ge4 Zu der Thematik der nicht erforderlichen Einbeziehung von Unterhaltsleistungen gegenüber Stiefkindern in § 1 III KSchG vgl. Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 294 f. 5 APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 718; Bütefisch (2000) S. 250. 6 So aber Giesen ZfA 1997, 145, 150, der daher eine Ausdifferenzierung der Unterhaltspflichten im Rahmen des § 1 III KSchG ablehnt. 7 So auch U. Preis in seinem Gutachten (B) zum 67. Deutschen Juristentag, Erfurt 2008 (Beilage zu NJW Heft 21/2008, S. 9, 11). 8 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 795; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2008 – 10 Sa 383/08 – n. v. [Rn. 56: „in der Natur der Sache“]; Thüsing, Sozialauswahl zwischen Scylla und Charybdis, F.A.Z. v. 13.06.2007, S. 25; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 26 c; Rieble/Zedler ZfA 2006, 273, 283. 9 LAG Düsseldorf 16.4.2008 – 2 Sa 1/08 – ZIP 2009, 190 [Rn. 63]; LAG Niedersachsen 13.7.2007 – 16 Sa 269/07 – LAGE § 2 AGG Nr. 3 [unter Gründe II 1.1.1.4.]; Mohr ZfA 2007, 361, 374. 10 Löwisch spricht von einer „elastischen“ Formulierung: Löwisch BB 2006, 2582.

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C. Lösungsmöglichkeiten

wünschte unterschiedliche Gewichtung der Sozialdaten erkennen.11 Denn durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9.199612 wurden zunächst drei Kriterien – ohne das Kriterium der Schwerbehinderung – in § 1 III KSchG eingefügt. Diese drei Kriterien wurden dabei ohne Rangfolgenangabe in einer alphabetischen Reihenfolge aufgezählt.13 Hieran änderte sich auch durch das „Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte“ vom 19.12.199814 nichts.15 Ebenso blieb es durch das „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 24.12.200316 bei einer fehlenden Rangfolge aus dem Wortlaut.17 Auch aus dem Verständnis von „Sozial-“Auswahl (von lat. socius = gemeinsam, verbunden, verbündet) folgt kein anderes Ergebnis. Sozial ist ein „indefinibles definiens“ – der Begriff kann auf Grund seiner Weite und der mangelnden Klarheit des Begriffs kaum oder nur schlecht definiert werden.18 Dennoch hat jeder „billig und recht Denkende“ eine bestimmte Vorstellung davon, was sozial oder unsozial ist.19 Sozial bedeutet gesellschaftlich, die Gesellschaft – zwischenmenschliche Beziehungen – betreffend oder Hilfsbereitschaft verheißend.20 Folgerungen für die Auslegung des Begriffs „sozial“ in § 1 III KSchG lassen sich hieraus nicht ziehen.21 Für eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten lässt sich nur generell fest11 BAG 2.6.2005 – 2 AZR 480/04 – AP Nr. 75 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe B I 4 b) bb) 3]; 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe III 4]; 23.11.2000 – 2 AZR 533/99 – NZA 2001, 601; 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe II 2 c]; Bader NZA 1996, 1125, 1128; Möhn BB 1995, 563, 564; Wlotzke BB 1997, 414, 417; Gaul/Lunk NZA 2004, 184 ff.; Hümmerich/ Spirolke NZA 1998, 797, 801 ff.; Berkowsky6 (2008), § 7 IX 4 a, Rn. 211; KR/ Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 678 ff.; KFA-ArbR/Kaiser2 (2009) § 1 KSchG Rn. 164. 12 In Kraft seit dem 1.10.1996, BGBl. 1996 I S. 1476. 13 B. Preis DB 1998, 1761, 1763; Bader NZA 1996, 1125, 1128; v. HoyningenHuene/Linck DB 1997, 41, 42; Wlotzke BB 1997, 414; Klassen (2002) S. 56. 14 In Kraft seit 1.1.1999, BGBl. 1998 I S. 3843. 15 Knoll (2001) S. 47; Unterhaltspflichten wurden wie bereits vor 1996 wieder unter den Begriff der „sozialen Gesichtspunkte“ subsumiert, dabei war auch weiterhin formell kein Vorrang eines Sozialkriteriums anzunehmen. 16 In Kraft seit 1.1.2004, BGBl. I S. 3002. 17 Praktisch wurde die Reform der Reform zurückgenommen, um die Sozialauswahl doch mit dem 1996 eingeschlagen Weg einfacher und berechenbarer zu machen (Berkowsky6 [2008], § 7 I 2, Rn. 11, der von einem irritierenden Verhalten des Gesetzgebers an dieser Stelle spricht). 18 Vgl. Stern2 (1984) Band I, § 21 II 1, S. 891 Fn. 91 m. w. N. 19 Hunn ArbuR 1955, 301, 304. 20 Stern2 (1984) Band I, § 21 II 1, S. 892. 21 Linck (1990) S. 65; Bader NZA 1996, 1125, 1128; Berkowsky6 (2008) § 7 III 1, Rn. 25; U. Preis, Prinzipien (1987) S. 415.

I. § 1 III KSchG

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halten, dass die Familie als Gesellschaftsform heutzutage Unterstützung bedarf, i. S. der Sozialauswahl hilfsbedürftig ist (s. oben S. 17 ff.) – mehr als die Älteren (zur Schutzbedürftigkeit dieser s. S. 70 ff.). Ferner geht es mit der Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG um die gesellschaftlichen Erfordernisse. Dies entspräche dem Sinngehalt des Begriffs „sozial“ mehr als die Hochbewertung von Alter und Betriebszugehörigkeit.22 Da durch § 1 III KSchG auch das Sozialstaatsprinzip konkretisiert und verwirklicht wird,23 ist auf die rechtliche Bedeutung des Wortes „sozial“ in Art. 20 I GG hinzuweisen. Sozial wird von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang als „Schutz des Schwächeren“ beschrieben;24 „sozial“ erfordert einen Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze und Ungleichheiten.25 Für soziale Sicherheit und Ordnung ist zu sorgen; soziale Missstände sind zu bekämpfen und soziale Fürsorge obwalten zu lassen.26 Typischerweise ist die Familie, belastet durch die hohen Kosten der Familiengründung und sich erst im finanziellen Aufbau befindend, ein schwächeres Glied der Gesellschaft27 – zumindest typischerweise schwächer als der bereits über Jahrzehnte finanziellen Ertrag schöpfende, ältere Arbeitnehmer (etwa mit inzwischen erlangtem Immobilieneigentum etc.). Im Sinne der Gerechtigkeit nach Art. 20 I GG sind die Opportunitätskosten von Kindern durch die gesamte Gesellschaft aufzufangen. Über eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten könnte ein Gegengewicht für die finanziellen Risiken einer Familie geschaffen werden und die Sozialauswahl in § 1 III KSchG an die Definition von „sozial“ i. S. des Art. 20 I GG heranrücken.28

Berkowsky6 (2008) § 7 IX 3, Rn. 171 f. BVerfG 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 [unter Gründe B I 3 b cc]; BAG 15.12.1994 – 2 AZR 320/94 – AP Nr. 66 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [Gründe B III 3d (4)]; Gaul NZA 1992, 673, 679; Kittner AuR 1997, 182, 183; U. Preis (1987) S. 417; Hamer PersR 1993, 159, 160. 24 BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232; 11.6.1991 – 1 BvR 239/90 – BVerfGE 84, 192, 195 f.; 22.6.1977 – 1 BvL 2/74 – BVerfGE 45, 376, 387 f.; 5.6.1973 – 1 BvR 536/72 – BVerfGE 35, 202, 236; 14.5.1969 – 1 BvR 615/67, 1 BvR 303/68 – BVerfGE 26, 16, 37. 25 BVerfG 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 255; 24.5.1977 – 2 BvR 988/75 – BVerfGE 44, 353, 375; 12.05.1976 – 1 BvL 31/73 – NJW 1976, 2117; Stern2 (1984), Band I, S. 896; Knoll (2001) S. 67. 26 Degenhart23 (2007) Rn. 566, S. 206. 27 Vgl. Bundesregierung, 3. Armuts- und Reichtumsbericht (2008), S. 90 ff. 28 So sieht auch das ArbG Ludwigshafen in der momentanen praxistypischen Minderbewertung der Unterhaltspflichten eine „nicht soziale“ Auswahl (8.2.2005 – 8 Ca 2824/04 – NZA-RR 2005, 423). 22 23

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C. Lösungsmöglichkeiten

b) Systematik Eine entscheidende, vorrangige Bedeutung der Betriebszugehörigkeit regelt der Gesetzgeber – wie etwa in § 1 I KSchG – regelmäßig ausdrücklich.29 § 1 III KSchG nennt die vier Sozialkriterien jedoch, ohne einen Vorrang eines der Kriterien ausdrücklich zu regeln. Zudem ist nicht plausibel, weshalb die Betriebszugehörigkeit zwei Absätze nach § 1 I KSchG wiederholt eine ausschlaggebende Wirkung erfahren sollte,30 warum die Hürde der (längeren) Betriebszugehörigkeit für den personalen Anwendungsbereich des KSchG und dann wiederum im Rahmen des KSchG selbst – in der Sozialauswahl – überwunden werden soll. Dem Merkmal der Betriebszugehörigkeit ist vielmehr mit § 1 I KSchG Genüge getan.31 Damit steht auch die Gesetzessystematik einer Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten nicht entgegen. c) Funktion des Arbeitsrechts Das Arbeitsrecht weist eine enge Verbindung zum Arbeitsmarkt und zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf. Dies bestätigt der Gesetzgeber etwa in der Begründung zum Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9.1996.32 In dieser stellt er darauf ab, dass auf die tief greifenden Veränderung des Arbeitsmarktes – auf den internationalen Wettbewerb und auf die hohe Arbeitslosigkeit – zu reagieren sei.33 Ebenso argumentierte der Gesetzgeber bereits zur Einführung des Erstens Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz v. 14.8.1969:34 Verlängerte Kündigungsfristen seien nicht mehr nur allein für ältere Angestellte, sondern auch für ältere Arbeiter erforderlich; „in so langen Zeiträumen [von 1926 bis 1969] [seien] die allgemeinen Auffassungen zu gesellschaftlich relevanten Sachverhalten starken Änderungen unterworfen“.35 29

Möhn BB 1995, 563. Diesen systematischen Erwägungen steht der unterschiedliche Schutzweck von § 1 I KSchG und § 1 III KSchG (oben S. 92 ff.) nicht entgegen. 31 Möhn BB 1995, 563; den umgekehrten Schluss zieht Linck (1990) S. 74: aus § 1 I KSchG folgert er die hohe Bedeutung der Betriebszugehörigkeit auch in § 1 III S. 1 KSchG. 32 BGBl. I S. 1476. 33 BT-Drs. 13/4612 S. 8; mit der Einfügung der zu beachtenden drei Sozialkriterien in § 1 III KSchG sollte z. B. die Rechtssicherheit bezüglich der Wirksamkeit einer Kündigung und damit die Arbeitgeberinteressen gestärkt werden. 34 BGBl. I S. 1106. 35 BVerfG 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 36/79 – AP Nr. 16 zu § 622 BGB [unter Gründe A III 5]. 30

I. § 1 III KSchG

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Von dieser Funktion des Arbeitsrechts geht auch die Rechtsprechung aus; beispielhaft ist eine Entscheidung von 1983: „Noch entscheidender ist aber, dass das Gewicht der verschiedenen Sozialdaten nicht unveränderlich feststeht, sondern u. a. abhängt von der industriellen, arbeitsmarktpolitischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklung. Darauf hat die Rechtsprechung Rücksicht zu nehmen. [. . .] Von der heutigen Massenarbeitslosigkeit sind dagegen sehr viele jüngere Arbeitnehmer betroffen. Daher hat das Auswahlkriterium des Lebensalters [für § 1 III KSchG] an Bedeutung verloren.“36 Um dem gesellschaftlichen Wandel Genüge zu tun, gewichtete die Rechtsprechung die zu beachtenden Sozialkriterien je nach arbeitsmarktpolitischer und wirtschaftlicher Lage in der Vergangenheit unterschiedlich. Fraglich ist, welche Tendenz dieser Entwicklung bezüglich der Unterhaltspflichten zu entnehmen ist und ob als Reaktion auf die demografische Entwicklung und die veränderte heutige Arbeitsmarktlage nicht wieder eine Anpassung der Sozialdatengewichtung erforderlich ist. In den 60er und 70er Jahren wurde das Lebensalter als das gewichtigste Kriterium für die Sozialauswahl eingestuft: Zur Zeit der damaligen Vollbeschäftigung in Deutschland, wurden die Chancen eines älteren und damit physisch schwächeren Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt eindeutig schlechter als die eines Jüngeren gewertet (zur verschwindenden Bedeutung der körperlichen Kräfte in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft S. 73).37 Etwa wurde der achtjährige Altersunterschied zwischen zwei Arbeitnehmern von 35 bzw. 43 Jahren als entscheidender Faktor hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit angesehen,38 und ein 30-Jähriger mit zehn Jahren Betriebszugehörigkeit gegenüber einem 60 Jahre alten Arbeitnehmer mit zwei Jahren Beschäftigungsdauer als weniger schutzbedürftig eingestuft.39 Die Unterhaltspflichten standen in der Sozialauswahl hinten an, was auch ein Wertungsvorschlag von Müller aus dem Jahr 1975 zeigt:40 Pro unterhaltsberechtigter Person sah ein von ihm entwickeltes Punkteschema zur Sozialauswahl nur einen Punkt vor. Dies wurde auch in keinster Weise kritisiert.41 36 BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe B IV 2 b]. 37 BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung: „. . . so können diese Entscheidungen [der 60er und 70er Jahre] nur vor dem Hintergrund der damals bestehenden Hochkonjunktur verstanden werden, in der es regelmäßig nur die alten, im Arbeitsprozess verbrauchten Arbeitnehmer schwer hatten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden“. 38 BAG 26.6.1964 – 2 AZR 373/63 – BAG AP Nr. 15 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 39 BAG 20.1.1961 – 2 AZR 495/59 – NJW 1961, 940. 40 Müller DB 1975, 2130, 2133. 41 Rost ZIP 1982, 1396, 1399.

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C. Lösungsmöglichkeiten

Am Ende der 70er Jahre rückte in den Vordergrund, dass ein höheres Lebensalter (42 Jahre gegenüber 28 Jahren) mit einer größeren Berufserfahrung einhergehe und das höhere Alter daher mit dieser aufgewogen werde; eine erste Zurückdrängung des Merkmals Lebensalter war zu erkennen.42 1983 wurde der Betriebszugehörigkeit auf Grund der arbeitsmarktpolitischen Entwicklung endgültig mehr Bedeutung beigemessen als dem Lebensalter: „Von der heutigen Massenarbeitslosigkeit sind dagegen sehr viele jüngere Arbeitnehmer betroffen. Daher hat das Auswahlkriterium des Lebensalters an Bedeutung verloren.“43 An die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten wurde gedacht, weiterhin hatten Betriebszugehörigkeit und Alter jedoch gemeinsam gegenüber den Unterhaltspflichten Priorität.44 Abgeschwächt wurde dieser Standpunkt im Jahr 1985: Alter und Betriebszugehörigkeit kamen gegenüber den Unterhaltspflichten kein genereller Vorrang mehr zu. Teils wurde sogar von einem „im Einzelfall zu bestimmenden vorrangigen Stellenwert der Unterhaltsverpflichtung“ gesprochen.45 1990 wurde vom BAG dann erkannt, dass in Zeiten großer Arbeitslosigkeit besonders jüngere, familiengründende Arbeitnehmer auf den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses angewiesen seien. Die pauschale Bewertung, dass ein 55-Jähriger im Gegensatz zu einem 39-Jährigen keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt mehr habe, treffe – so das BAG – nicht mehr zu.46 1995 entschied das BAG deutlich zu Gunsten bestehender Unterhaltspflichten. Trotz 23 Jahren Altersunterschied und trotz einer um fünf Jahre kürzeren Betriebszugehörigkeit nahm das BAG die stärkere Schutzbedürftig42 BAG 12.10.1979 – 7 AZR 959/77 – AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 7. 43 BAG 8.8.1985 – 2 AZR 464/84 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 24.3.1983 – 2 AZR21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 44 BAG 18.10.1984 – 2 AZR 543/83 – NZA 1985, 423: „§ 10 KSchG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber für die rechtlich relevante Schutzbedürftigkeit der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter Priorität einräumt, und zwar der Betriebszugehörigkeit noch vor dem Lebensalter. Demgemäß hat der Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl zunächst die Betriebszugehörigkeit und dann das Lebensalter zu berücksichtigen. Darüber hinaus besteht ein Mindestkonsens darüber, dass die Unterhaltsverpflichtungen bei der Auswahl Berücksichtigung finden müssen.“ 45 BAG 8.8.1985 – 2 AZR 464/84 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl: Das BAG bestätigte die Kündigung eines 55-Jährigen, der in Doppelverdiener-Ehe und ohne Unterhaltsgläubiger lebte, obwohl es unstreitig jüngere vergleichbare Arbeitnehmer mit kürzerer Betriebszugehörigkeit gab, die aber als Alleinverdiener bis zu drei Unterhaltsberechtigte zu versorgen hatten. 46 BAG 18.1.1990 – 2 AZR 357/89 – NZA 1990, 729, 733.

I. § 1 III KSchG

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keit des Vaters eines Kindes gegenüber einem Kinderlosen an: „Vorliegend war nämlich der Kläger zwar deutlich älter und länger beschäftigt [. . .]. Im Gegensatz zum Kläger ist aber [der andere Arbeitnehmer] einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Die soziale Schutzwürdigkeit des Klägers hebt sich damit unter Berücksichtigung aller Sozialdaten nicht so stark [. . .] ab.“47 1999 entschied das BAG zu § 1 V KSchG in der Fassung des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.9.1996, dass der Betriebszugehörigkeit auch gegenüber den Unterhaltspflichten keine Priorität zukomme: „Durch die ausgesprochene Kündigung wurden allein der Kläger und seine Ehefrau sozial betroffen, auf den Arbeitsplatz der drei anderen Arbeitnehmer hingegen war jeweils eine fünf- bzw. sechsköpfige Familie angewiesen. Dieser Unterschied in den Unterhaltspflichten ist so gravierend, dass die Betriebspartner sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums gehalten haben, wenn sie entscheidend auf die Unterhaltspflichten abgestellt haben.“48 Diese Möglichkeit der ausschlaggebenden Wirkung der Unterhaltspflichten wurde in den folgenden Jahren von der Rechtsprechung bestätigt (vgl. zudem die obige Darstellung der zulässigen Punkteschemata S. 56 ff.).49 Das Lebensalter verlor also auf Grund der zunehmenden Arbeitslosigkeit über die Jahrzehnte hinweg an Bedeutung; die Unterhaltspflichten befinden sich demgegenüber auf dem Vormarsch. Es erscheint demnach nur angebracht, die Gesellschaftsentwicklung auch weiterhin für die Sozialauswahl nach § 1 III KSchG zu beachten und damit durch eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten auf die demografische Entwicklung in Deutschland zu reagieren. Damit einhergehend entschied das Arbeitsgericht Ludwigshafen im Jahr 2005, dass das bisher gängige Punkteschema – ein Punkt pro vollendetem Lebensjahr sowie pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit, 4 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind sowie 8 Punkte für einen unterhaltsberechtigten Ehepartner (zum gängigen Schema S. 63) vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich geforderten Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 I GG) nicht vertretbar sei (zu Art. 6 I GG sogleich unten S. 204 f.). Der Ver47 BAG 7.12.1995 – 2 AZR 1008/94 – AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl [unter Gründe II 3 c]. 48 BAG 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – NZA 2000, 531, 533. 49 BAG 2.6.2005 – 2 AZR 480/04 – NZA 2006, 207, 210; 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 49 [unter B III 5]; 2.12.1999 – 2 AZR 757/98 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 42 [Gründe 2 b]; LAG Köln 3.5.2000 – 2 Sa 272/00 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 33 [unter Gründe 3] mit dem Hinweis, dass teils sogar vertreten werde, „den Unterhaltspflichten müsste als härtestes soziales Datum ein Vorrang eingeräumt werden“.

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C. Lösungsmöglichkeiten

antwortung für einen gesellschaftlichen Wandel, welcher dem dramatischen Geburtenrückgang und seinen katastrophalen Folgen entgegenwirke, würden die Unternehmen und die Rechtsprechung mit der Verwendung und Akzeptanz dieses Punktesystems nicht gerecht.50 d) Art. 6 I GG Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes „ausreichend berücksichtigt“ im Wortlaut des § 1 III KSchG (S. 55) müssen allgemeine Wertvorstellungen und Grundrechte herangezogen werden.51 Art. 6 I GG enthält eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden, privaten und öffentlichen Rechts52 und stellt eine Grundsatznorm dar, die bei Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts – insbesondere bei Generalklauseln – zu beachten ist.53 Daher rechtfertigt es Art. 6 I GG, den Ermessensspielraum des Arbeitgebers in § 1 III KSchG dahingehend zu konkretisieren, dass Kindesunterhaltspflichten bei der Bestimmung der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers besonders zu berücksichtigen sind.54 Eine Aufwertung der Unterhaltspflichten in § 1 III KSchG würde damit der Auslegung des Begriffs „ausreichend berücksichtigt“ i. S. des Art. 6 I GG entsprechen. Da die Familie die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft und deren Bedeutung höher als jede andere menschliche Bindung ist, folgt aus Art. 6 I GG zudem eine Schutzpflicht des Staates gegenüber der Familie.55 Auch 50

ArbG Ludwigshafen 8.2.2005 – 8 Ca 2824/04 – NZA-RR 2005, 423. BVerfG 4.5.1971 – 1 BvR 636/68 – BVerfGE 31, 58, 67; 29.7.1968 – 1 BvL 20/63, 1 BvL 31/66 – BVerfGE 24, 119, 135; 17.1.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55, 72 f. 52 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 794 f.; BVerfG 29.7.1968 – 1 BvL 20/63, 31/66, 5/67 – BVerfGE 24, 119, 135; 17.1.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 [unter Gründe II 2]; LAG Düsseldorf 4.11.2004 – 11 Sa 957/04 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 47 [unter Gründe III 3 f]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 b bb]; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6, Rn. 3, S. 267. 53 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 794 f.; BVerfG 7.6.1967 – 1 BvR 76/62 – BVerfGE 22, 93, 98; LAG Düsseldorf 4.11.2004 – 11 Sa 957/04 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 47 [unter Gründe III 3 f]; LAG Niedersachsen 28.5.2004 – 10 Sa 2180/03 – LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44a [unter Gründe II 1 b bb]; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6 Rn. 4 S. 268, Müller-Terpitz JZ 2006, 991, 993. 54 Lingemann BB 2000, 1835, 1836; für eine Beeinflussung der Sozialauswahl unter dem Aspekt des Doppelverdienstes durch Art. 6 I GG auch Gaul/Lunk NZA 2004, 184, 185. 51

I. § 1 III KSchG

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aus der historischen Betrachtung des Art. 119 II der Weimarer Reichsverfassung ergibt sich dieser Schutzauftrag: „Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge.“56 Diesem Schutz ist seitens des Staates in zweierlei Weise Rechnung zu tragen: Er hat Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch sich selbst und vor anderen Kräften zu wahren sowie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.57 Dabei kann der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit selbst bestimmen, wie er diesem Schutzauftrag konkret nachkommen will; es gilt nur der Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft erwarten kann.58 Dieser Schutzauftrag des Art. 6 I GG kann deshalb u. a. über die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten im Rahmen der Sozialauswahl erfüllt werden.59 e) Kein Verstoß gegen Art. 2 I GG und das BDSG Eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG verstößt weder gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 I GG; § 75 II BetrVG) noch gegen das BDSG. Gibt der Arbeitnehmer die Anzahl seiner gesetzlichen Kindesunterhalts55 BVerfG 17.1.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 [unter Gründe II 2]; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6, Rn. 3, S. 267. 56 BVerfG 7.7.1992 – 1 BvL 51/86, 1 BvL 50/87, 1 BvR 873/90, 1 BvR 761/91 – BVerfGE 87, 1, 35; 21.10.1980 – 1 BvR 179/78, 1 BvR 464/78 – BVerfGE 55, 114, 126; 17.1.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55, 76; Müller-Terpitz JZ 2006, 991, 993; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6, Rn. 3, S. 267. 57 BVerfG 17.1.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 [unter Gründe II 3]; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6 Rn. 10 S. 270. Eine Pflicht jegliche die Familie betreffende finanzielle Last auszugleichen, resultiert hieraus nicht, es geht vielmehr um ein generelles Gebot positiver Förderung: BVerfG 7.5.1968 – 1 BvR 133/67 – BVerfGE 23, 258, 264; 6.5.1975 – 1 BvR 332/72 – BVerfGE 39, 316, 326; Müller-Terpitz JZ 2006, 991, 993. 58 BVerfG 18.3.1970 – 1 BvR 498/66 – BVerfGE 28, 104, 113 f.; 7.5.1968 – 1 BvR 133/67 – BVerfGE 23, 258, 264; 10.5.1960 – 1 BvR 190/58, 1 BvR 363/58, 1 BvR 401/58, 1 BvR 409/58, 1 BvR 471/58 – BVerfGE 11, 105, 126; SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6, Rn. 10, S. 270. 59 BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 49 [unter Grüne B III 5]; ArbG Ludwigshafen 8.2.2005 – 8 Ca 2824/04 – NZA-RR 2005, 423; Kopke NJW 2006, 1040, 1041; HK/Dorndorf4 (2001) § 1 Rn. 1067; Linck (1990) S. 91; Bütefisch (2000) S. 224 f.; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1103; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 941; MüKo/BGB/ Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 382; zur Umsetzung des Schutzauftrages vgl. auch Kirchhof NJW 2002, 3677 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11 (2008) Art. 6, Rn. 11, S. 270; Löhning FamRZ 2009, 930 f.

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C. Lösungsmöglichkeiten

pflichten bekannt, liegt damit die erforderliche Einwilligung i. S. des § 4a BDSG vor.60 Möchte der Arbeitnehmer keine Auskunft erteilen, ist ihm dies wegen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I GG61) möglich;62 die Informationsobliegenheit (s. S. 118) des Arbeitgebers bezüglich der Anzahl der gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten des Arbeitnehmers ist nicht mit einer Auskunftspflicht des Arbeitnehmers gleichzusetzen.63 Zwar kann sich der Arbeitnehmer in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht mehr auf die verschwiegenen Umstände berufen (S. 121 f.),64 sodass allein der Beschäftigte durch die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten begünstigt wird, der „tiefste Einblicke in seine Privatsphäre“ gestattet.65 Schutzwürdige Belange des Arbeitnehmers werden mit dieser Öffnung der Intimsphäre66 allerdings nicht verletzt. Die Bekanntgabe der Unterhaltspflichten dient allein dem Arbeitnehmerschutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Selbst wenn eine Abwägung des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen und des Arbeitgeberinteresses an einer ordnungsgemäßen Kündigung für die Veröffentlichung eines jeden persönlichen Datums verlangt wird,67 wird diese zu Gunsten der Offenlegung ausfallen: Der Arbeitnehmer selbst hat ein berechtigtes Interesse an der Bekanntgabe der Daten – er möchte am Arbeitnehmerschutz partizipieren.68 Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist auch erforderlich und geeignet, um die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zu ermitteln. Zu60

Rasch DB 1982, 2296, 2297. Zwar kommt eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsrecht nicht in Betracht, die verfassungsrechtlichen Wertungen sind jedoch mittelbar zu beachten; vgl. grundlegend BAG 27.2.1985 – GS 1/84 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BverfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 – BVerfGE 34, 269, 280; 24.2.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173, 199 f.; 26.2.1969 – 1 BvR 619/63 – BVerfGE 25, 256, 263; 6.11.1968 – 1 BvR 501/62 – BVerfGE 24, 278, 282; 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 205 f. 62 Kleinebrink DB 2005, 2522, 2523; Fröhlich LAG Report 2005, 257, 259. 63 BAG 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 51 [unter Gründe B I 2 b: „Dem Kläger stand es frei, diese Gründe seinem Arbeitgeber mitzuteilen“] Für das Fehlen einer rechtlichen Handhabe des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer, wenn dieser die Sozialdatenmitteilung verweigert: ErfK/Oetker9 (2009) § 1 KSchG Rn. 306. 64 APS/Kiel2 (2004) § 1 KSchG Rn. 725; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 951. 65 Linck (1990) S. 81; Wank RdA 1987, 129, 144; vgl. zum Eingriff in die Individualsphäre des überlebenden abfindungsberechtigten Ehegatten: BAG 13.11. 1985 – 4 AZR 269/84 – NJW 1987, 461, 462. 66 Meisel ZfA 1985, 213, 238 f. und ders. Anm. zu BAG 24.03.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 67 So etwa Linck (1990) S. 81 f. 68 LAG Berlin 6.7.1982 – 11 Ca 212/82 – DB 1983, 125. 61

I. § 1 III KSchG

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dem könnte der Arbeitgeber verpflichtet werden, die für die Durchführung der Sozialauswahl erforderlichen Daten von allen Arbeitnehmern nach Abschluss des Auswahlverfahrens zu löschen. Die Beeinträchtigung wäre dann erst recht verhältnismäßig.69 Auch die bisherige Rechtslage verlangt ferner für die Sozialauswahl die Angabe von persönlichen Daten wie Lebensalter und Schwerbehinderung und auch bislang erfolgte die Sozialauswahl zudem stets anhand der Unterhaltspflichten; teils wird sogar der Umfang der Unterhaltspflichten und eine Berücksichtigung des Doppelverdienstes befürwortet (s. oben ab S. 110), obwohl dies die Bekanntgabe von sehr persönlichen Daten erfordert – ein Verstoß gegen das BDSG und eine Verletzung von Art. 2 I GG standen bislang nie entgegen.70 Einer bloßen Aufwertung der Berücksichtigung der Kindesunterhaltspflichten steht somit ein Verstoß gegen das BDSG oder gegen Art. 2 I GG erst recht nicht entgegen; vielmehr geht die arbeitsrechtliche Regelung des § 1 III KSchG mit der Anordnung der Einbeziehung der Unterhaltspflichten dem BDSG vor.71 Eine Aufwertung der Unterhaltspflichten in § 1 III KSchG verstößt nicht gegen Art. 2 I GG und das BDSG. f) Abbau von Schutzvorschriften als effektivster Schutz älterer Arbeitnehmer Geht man von einer Schutzbedürftigkeit der älteren Arbeitnehmer aus (anders aber oben ab S. 70), ist nach dem Grund für deren (angeblich) problematische Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu fragen. Eine unbedingt abfallende Leistungsfähigkeit im Alter ist nicht festzustellen bzw. kann dieser entgegengewirkt werden. Ohnehin wäre diese in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft zu vernachlässigen (s. oben S. 70 ff.). Es drängt sich anhand der vielfachen Schutzmechanismen für ältere Beschäftigte der Gedanke auf, dass diese Schutzmechanismen (auch) Grund für die angeblich schwierige Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sind. Längere Kündigungsfristen, vorrangiger Schutz bei der Sozialauswahl, mehr Urlaubstage, Verdienstsicherungen, Altersfreizeit, Gehaltsstaffelungen nach Seniorität, tarifliche (ordentliche) Unkündbarkeit etc. sind für viele Unternehmer (kostenintensive) Gründe, um keine älteren Arbeitnehmer einzustellen bzw. diese vor Erreichen einer bestimmten Altersgrenze zu ent69

Linck (1990) S. 96. BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe B III 2 c]; Rost ZIP 1982, 1396, 1405. 71 LAG Berlin 6.7.1982 – 11 Ca 212/82 – DB 1983, 125. 70

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C. Lösungsmöglichkeiten

lassen.72 Es ist also anzunehmen, dass der vorhandene Schutz für Ältere erst deren (angeblich) höhere Schutzbedürftigkeit begründet. Auch nach der Ansicht, die einen erhöhten Schutz der Älteren (auf Kosten der Jüngeren) befürwortet, ist es daher im Sinne der Älteren, diese Vorteile abzubauen bzw. zu verringern;73 etwa sind die Kindesunterhaltspflichten, die überwiegend Jüngere treffen, in der Sozialauswahl besonders zu berücksichtigen. g) Vorbildfunktion des Gesetzgebers Mit der Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG könnte der Gesetzgeber als Vorbild für die Betriebs- und Tarifvertragsparteien agieren; diese könnten zu innovativen, familienfreundlichen Regelungen der Sozialauswahl nach § 1 IV KSchG motiviert werden (zur Üblichkeit des Wechselspiels zwischen Tarifverträgen und Gesetz s. bereits oben S. 127 ff.). Denn familienpolitische Regelungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen stellen die Minorität: aa) Tarifpolitik Eine Auswertung von 115 Tarifverträgen aus 30 verschiedenen Branchen ergab, dass nur 13 Flächen- und 11 Firmentarifverträge die Thematik der Familie aufgreifen – meist nur in geringem Umfang (s. Abb. 16 S. 209).74 Hinzu kommen unmittelbar familiendiskriminierende Regelungen.75 Zudem erfasst die Familienpolitik der Gewerkschaften seit Jahren typischerweise dieselben thematischen Bereiche der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (etwa verringerte Arbeitszeit, Elternzeit, die Betreuung kranker Kinder, die Rückkehr in den Beruf nach der Familienphase). Eine Entwicklung – angepasst an die neuen gesellschaftlichen (demografischen) Erfordernisse – ist seit den 90er Jahren kaum zu vernehmen. Es wird von einem „beunruhigenden tarifpolitischen Stillstand“ gesprochen.76 72 Für einen zu kostenintensiven Senioritätsschutz ArbG Osnabrück 5.2.2007 – 3 Ca 724/06 – NZA 2007, 626, 629; Gründinger (2009) S. 200 f. und S. 208 m. w. N. 73 Rieble/Zedler ZfA 2006 273, 301; Wank (1992) S. 128; U. Preis Beilage NJW Heft 21/2008, S. 9. 74 Die im Folgenden erwähnten Tarifverträge sind im Internet einzusehen: www. tarifvertrag.de; www.igbau.de; www.igbce.de; www.igmetall.de; www.ngg.net; www. verdi.de/tarifbewegung. 75 § 14 RTV des Dachdeckerhandwerkes sieht etwa im Bezug auf die Kindernotbetreuung im Rahmen des § 616 S. 1 BGB ein Weniger als die gesetzliche Regelung (in Verbindung mit § 45 SGB V) vor: „Grundsätzlich wird in Abweichung von § 616 BGB nur für die wirklich geleistete Arbeitzeit gezahlt.“ 76 Klenner, Hans-Böckler-Stiftung, Impuls 8/2005, 5; Lindecke, Hans-BöcklerStiftung, Mitbestimmung 10/2005, 26, 29.

I. § 1 III KSchG

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Quelle: WSI-Tarifhandbuch 2005, © Hans-Böckler-Stiftung 2005

Abb. 16: Familienfreundliche Tarifverträge77

77 Grafik aus Böckler Impuls 08/2005 „Familienfreundliche Tarifverträge“ (abrufbar unter: http://www.boeckler.de/32015_35732.html).

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C. Lösungsmöglichkeiten

bb) Betriebspolitik

Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2005, © Hans-Böckler-Stiftung 2005

Abb. 17: Familienfreundliche Betriebsvereinbarungen78

Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man hinsichtlich der Betriebspolitik – trotz der Regelung des § 80 I Nr. 2b BetrVG: Nach einer Studie der WSI hat nur jeder 13. Betrieb eine Betriebsvereinbarung zum Thema Familienfreundlichkeit und Familienförderung abgeschlossen (Abb. 17 S. 210). Weniger als ein Drittel der Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und einem Betriebsrat hat sich generell mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Dabei ist zu beachten, dass sich die familienpolitisch aktiven Unternehmen nicht auf verschiedene Branchen, Betriebsgrößen und Regionen verteilen und auch viele familienfreundliche Regelungen aus stets denselben Unternehmen stammen. Meist sind es vielmehr große Betriebe in der Branche „Banken und Versicherungen“ in Westdeutschland oder es sind Vereinbarungen aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes – meist der Kommunalverwaltung. Mit Abstand folgt das produzierende Gewerbe. Dort sind insbesondere die großen Automobil- und Fahrzeughersteller vertreten.79 78 Grafik aus Böckler Impuls 17/2005 „Familie und Beruf – im Betrieb erst selten geregelt“ (abrufbar unter: http://www.boeckler.de/32015_49016.html).

I. § 1 III KSchG

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cc) Zwischenergebnis Die Möglichkeiten der tariflich oder betrieblich geregelten, familienfreundlichen Sozialauswahl sind nicht ausgeschöpft; stattdessen werden seit Jahrzehnten übliche Punkteschemata unreflektiert in neue Tarifverträge oder neue Betriebsvereinbarungen übernommen (§ 1 IV KSchG). In Anlehnung an einen neugestalteten § 1 III KSchG könnte es in der Tarif- und Betriebspolitik zu einem Umdenken pro Familie kommen – eventuell nicht nur im Rahmen des Kündigungsrechts.80 Die Chance, Tarifvertragsparteien und Betriebspartner durch eine familienfreundliche Gestaltung des § 1 III KSchG auf die Möglichkeit einer familienfördernden Betriebs- und Tarifpolitik hinzuweisen, sollte sich der Gesetzgeber nicht entgehen lassen. h) AGG-Konformität aa) Beendigung der AGG-Widrigkeit Die in der Praxis übliche, abstrakt-lineare Einbeziehung von Alter und Betriebszugehörigkeit in die Sozialauswahlen ist nicht mit §§ 1, 2 I Nr. 1 AGG zu vereinbaren (s. oben ab S. 81). Eine Aufwertung der Unterhaltspflichten im Rahmen des § 1 III KSchG würde die ausschlaggebende Wirkung der (un)mittelbar diskriminierenden Kriterien Lebensalter und Betriebszugehörigkeit verringern, sodass das Antidiskriminierungsrecht insoweit Raum für die Zurückdrängung dieser traditionell starken Sozialdaten schafft.81

79 Lindecke, Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmung 10/2005, 26, 28; Klenner, WSI-Mitteilungen 5/2004, 277, 281; Maschke/Zurholt (2006) S. 112 f. 80 Zur dahingehenden Intention des Gesetzgebers vgl. Hoffmann-Flüter (2005); Pfahl/Reuß (2005). 81 Rieble BB 2006 Nr. 30, Die erste Seite; Kopke NJW 2006, 1040 ff.; für die Zulässigkeit der bisherigen Praxis hinsichtlich § 1 III KSchG nach dem AGG aber: U. Preis NZA 2006, 401, 409 Fn. 91 m. w. N.; Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 249; Brors AuR 2005, 41, 43; Linsenmaier RdA 2003, Sonderbeilage zu Heft 5, 22, 32; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 84; Thüsing NZA 2001, 1061, 1064; Wiedemann/ Thüsing NZA 2002, 1234, 1241 (der sich auf die Tradition der Einbeziehung beruft); Waltermann NZA 2005, 1265, 1268; Reichold/Hahn/Heinrich NZA 2005, 1270, 1275.

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C. Lösungsmöglichkeiten

bb) Keine mittelbaren Diskriminierungen Die Aufwertung der Unterhaltspflichten im Rahmen der Sozialauswahl führt auch ihrerseits nicht zu mittelbaren Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts, des Alters oder auf Grund der sexuellen Identität. (1) Mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts Eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts könnte dahingehend vorliegen, dass überwiegend Männer Unterhaltszahlungen leisten und somit nur bei diesen Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl berücksichtigt werden; eine ebenso alte und gleich lang beschäftigte Mutter würde weniger Sozialpunkte erreichen und wäre bevorzugt betriebsbedingt zu kündigen. 82 Allerdings sind nach dem Gesetzesreformvorschlag allein die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten aufzuwerten (s. oben S. 195 f.). Das überwiegend Männer an Frauen den nachehelichen Unterhalt nach §§ 1570 ff. BGB leisten,83 ist also irrelevant. Bedeutend ist allein, dass Männer zu Kindesunterhaltspflichten gleichermaßen wie Frauen verpflichtet sind: Sind die Eltern getrennt und lebt das Kind – wie typischerweise – bei der Mutter, kommt der Vater seiner Unterhaltspflicht aus §§ 1601 ff. BGB in der Regel durch Zahlung einer Geldrente gem. § 1612 BGB nach. Ist die Mutter zu Gunsten der Kinderbetreuung nur teilzeiterwerbstätig, ist sie unabhängig von ihrem (geringen) Einkommen ebenso nach den §§ 1601 ff. BGB zum Kindesunterhalt verpflichtet. Diesen erfüllt sie meist durch den so genannten Betreuungsunterhalt (§ 1606 III S. 2 BGB). Da Geldrente und Betreuungsunterhalt gleichrangig sind, ergeben sich aus den verschiedenen Unterhaltsarten keine Unterschiede (s. oben S. 35) und die Unterhaltspflichten der Mutter sind ebenso wie die Unterhaltspflichten des Vaters in der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Weiterhin kommt es nach dem Gesetzesreformvorschlag allein auf die Anzahl der Unterhaltspflichten an (S. 195 f.), sodass sich das typischerweise geringere Einkommen der Frau – sei es durch Teilzeitbeschäftigung, sei es durch geringere Bezahlung (Abb. 13 S. 113) – 82

Zu diesem Gedanken hinsichtlich der ehelichen Unterhaltspflichten v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 451; B. Preis DB 1986, 746, 747 Fn. 11; U. Preis (1987) S. 424 f.; KDZ/Kittner-Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 484; Klassen (2002) S. 40 ff.; Mohr ZfA 2007, 361, 383; Linck (1990) S. 95. 83 2005 waren es in Schleswig-Holstein 22,6% der Frauen, die von Unterhaltszahlungen Angehöriger lebten, aber nur 4,1% der Männer (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Mikrozensus 2005, Mitteilung v. 15.11.2006 [abrufbar unter: www.statistik-nord.de]).

I. § 1 III KSchG

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nicht niederschlägt. Es fehlt an einer mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Dies ist ebenso der Fall, wenn der Bedarf der Kinder in einer intakten Ehe im Rahmen des Familienunterhalts nach §§ 1360, 1360a BGB (§ 5 LPartG) abgedeckt wird, sodass Kindesunterhaltspflichten aus §§ 1601 ff. BGB mangels Bedürftigkeit i. S. des § 1602 BGB nicht mehr bestehen.84 Denn die Kindesunterhaltspflichten nach §§ 1601 ff. BGB bestehen grundsätzlich auch in dieser Situation; sie werden nur von der Pflicht der Eltern zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360a BGB (§ 5 LPartG) überlagert. In der Sozialauswahl würden daher für Vater und Mutter die gleichen Unterhaltspflichten nach §§ 1601 ff. BGB bzw. nach §§ 1360, 1360a BGB berücksichtigt – für die Mutter typischerweise in Form des Betreuungsunterhalts nach § 1606 III S. 2 BGB. Ohnehin würde eine mittelbare Diskriminierung dem Gesetzesreformvorschlag nicht entgegenstehen: Denn eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts verhinderte auch die bisherige Berücksichtigung der Unterhaltspflichten nach der aktuellen Fassung des § 1 III KSchG nicht – obwohl Bedenken geäußert wurden85 und nach der aktuellen Rechtslage die ehelichen Unterhaltspflichten gegenüber den Kindesunterhaltspflichten mindestens gleichrangig – meist jedoch vorrangig – bewertet werden (s. oben S. 56 ff.). Hinsichtlich der ehelichen Unterhaltspflichten ist typischerweise der Mann Unterhaltsschuldner (gerade oben S. 212), sodass nach der aktuellen Rechtslage eher auf eine mittelbare Diskriminierung zu schließen ist als auf Grund des Gesetzesreformvorschlags. Selbst bei Annahme einer mittelbaren Benachteiligung wäre diese weiterhin durch die gesellschaftliche Erforderlichkeit der Familienförderung (s. oben S. 17 ff.) gerechtfertigt – so wie bislang der alleinige Schutz der Älteren über § 1 III KSchG gerechtfertigt war. (2) Auf Grund des Alters Gegen die vorgeschlagene Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG spricht auch keine damit einhergehende mittelbare Diskriminierung von Älteren.86 84 BGH 20.11.1996 – XII ZR 70/95 – NJW 1997, 735; AnwK-BGB/Saathoff (2005) § 1601 Rn. 4. 85 v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 451; B. Preis, DB 1986, 746, 747 Fn. 11; U. Preis (1987) S. 424 f.; KDZ/Kittner-Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 484; Klassen (2002) S. 40 ff. 86 Diesen Gedanken aufwerfend: Benecke (2007) S. 61, 72; abl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 203.

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C. Lösungsmöglichkeiten

Zum einen ist daran zu denken, dass ältere Eltern früher selbst als Eltern mit noch bestehenden Unterhaltspflichten in den Genuss eines verbesserten Kündigungsschutzes nach § 1 III KSchG kamen – insoweit greift hier das Argument des Nachrückens der jüngeren Generation in umgekehrter Richtung (s. oben S. 99 f. und S. 41 f.). Zum anderen erfolgt die Sozialauswahl auch nach der vorgeschlagenen Gesetzesänderung weiterhin anhand des Kriteriums der Betriebszugehörigkeit, sodass der Schutzaspekt der Älteren nicht verloren geht. Auch die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten nach der aktuellen Rechtslage des § 1 III KSchG ist zudem nicht diskriminierend.87 Als Rechtfertigungsgrund für die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten kommt hinzu, dass diese durch die demografische Entwicklung in Deutschland erforderlich ist, also ein legitimes Ziel für eine Ungleichbehandlung auf Grund des Alters nach § 10 S. 1 und S. 2 AGG vorliegt. Dies wird dadurch belegt, dass keine Diskriminierung durch familienfördernde Maßnahmen wie Elterngeld oder steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten etc. angenommen wird. Auch diese Familienförderung wird mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG gerechtfertigt, dessen Grundlagen durch die demografische Entwicklung gefährdet werden.88 Da etwa die Renten der Älteren im Rahmen des Sozialstaatsprinzips von der jüngeren Generation finanziert werden, ist es auch rechtspolitisch nicht vertretbar, Maßnahmen zur Erhöhung der Geburtenrate und damit zur Absicherung des Generationenvertrages eine damit einhergehende Diskriminierung Älterer entgegen zu halten. (3) Auf Grund der sexuellen Identität Nur aus jeder achten gleichgeschlechtlichen Beziehung gehen nach einer Schätzung des BMFSFJ Kinder hervor.89 Durch die vorgeschlagene Gesetzesänderung könnten die typischerweise kinderlosen Homosexuellen auf Grund ihrer sexuellen Identität mittelbar diskriminiert werden.90 Homosexuelle sind jedoch nicht per se kinderlos, vor allem nicht lesbische Paare; ihnen steht die Möglichkeit einer Stiefkindadoption nach § 9 VII LPartG 87 KDZ/Kittner/Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 483 a; Kamanabrou RdA 2007, 199, 203, die auf den Rechtfertigungsgrund Art. 2 II b der RL 2000/78/EG hinweist. 88 Brosius-Gersdorf JZ 2007, 326, 336. 89 Rieble BB 2006, Nr. 30, Die erste Seite; genaue Statistiken sind auf Grund der immer noch großen „Dunkelziffer“ bezüglich Homosexualität nur selten und oftmals nicht repräsentativ. 90 Benecke (2007) S. 61, 72; Mohr ZfA 2007, 361, 383 f.; Lingscheid (2004) S. 264 f.

I. § 1 III KSchG

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offen. Zudem ist die Versagung des besoldungsrechtlichen Verheiratetenzuschlags bei eingetragenen Lebenspartnerschaften nach dem BVerfG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.91 Typischerweise würden wegen der erforderlichen Kindererziehung bei Ehepaaren höhere Unterhaltspflichten als bei Lebenspartnern anfallen. Das Gesetz darf also typisieren92 und dementsprechend zwischen Eltern und typischerweise kinderlosen Lebenspartnerschaften differenzieren, ohne damit zu diskriminieren. Auch wird eine Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung nicht für Elterngeld o. ä. Familienförderungen diskutiert, die ebenfalls typischerweise nicht Homosexuellen zu Gute kommen.93 Außerdem diskriminierte auch die bisherige Beachtung der Kindesunterhaltspflichten nach § 1 III KSchG nicht mittelbar auf Grund der sexuellen Identität. Ohnehin wäre diese Benachteiligung auf Grund des gesellschaftlichen Erfordernisses einer verstärkten Familienförderung gerechtfertigt.94 Rechtspolitisch ist es nicht vertretbar, Maßnahmen zur Erhöhung der Geburtenrate und damit zur Sicherung des Generationenvertrages eine mittelbare Diskriminierung auf Grund der sexuellen Identität entgegen zu halten. Denn auch Homosexuelle sind etwa auf die von der jüngeren Generation finanzierte Altersversorgung angewiesen und müssen dabei auf Grund häufiger (ungewollter) eigener Kinderlosigkeit meist auf die Altersversorgung durch Kinder Anderer zurückgreifen. i) Wertungen der Unterhaltsrechtsreform Bislang ist es – mit Billigung des BAG – üblich, Unterhaltspflichten gegenüber dem Ehepartner in der Sozialauswahl für die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers stärker als Kindesunterhaltspflichten zu berücksichtigen (vier bis sechs Punkte pro Kind gegenüber acht Punkten für den Ehepartner, oben S. 63). Mit der Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten würde diese praktische Handhabung durchbrochen. Dem entsprechen die Wertungen der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen Unterhaltsreform:95 In Mangelfällen, wenn der Unterhaltsschuldner nicht 91

BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 1830/06 – JZ 2008, 792, 794. Anm. Classen JZ 2008, 794 zu BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 1830/06 – JZ 2008, 792, 794. 93 Brosius-Gersdorf JZ 2007, 326, 336. 94 KDZ/Kittner/Deinert7 (2008) § 1 KSchG Rn. 483 a; Mohr ZfA 2007, 361, 384, der auf das Interesse der Kinder an den Unterhaltszahlungen als Rechtfertigungsgrund abstellt. 95 Kaiser FS Birk (2008) S. 283, 289 ff. und dies. NZA 2008, 665, 668 f.; Strick (2007) S. 79, 91 Rn. 45. 92

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C. Lösungsmöglichkeiten

alle Unterhaltsforderungen der Unterhaltsberechtigten erfüllen kann, wird dem Kindesunterhalt nun ein Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen eingeräumt (§1609 Nr. 1 BGB). Denn Kinder sind wirtschaftlich am schwächsten und können ihre wirtschaftliche Lage nie aus eigener Kraft verbessern.96 Dieser Vorrang der Kindesunterhaltspflichten vor ehelichen Unterhaltspflichten wird auch durch die gesteigerte Unterhaltspflicht in § 1603 II BGB deutlich.97 Die bisherige gleich starke oder sogar mindere Bewertung der Kindesunterhaltspflichten gegenüber den ehelichen Unterhaltspflichten ist somit auch in Anbetracht der Unterhaltsreform aufzugeben;98 die gleich starke oder geringere Beachtung der Kindesunterhaltspflichten ist grob fehlerhaft i. S. des §§ 1, IV, V KSchG.99 j) Arbeitsrechtliche Wertungen/ArbVG Eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten entspräche den sonstigen familienfreundlichen Regelungen des Arbeitsrechts (etwa Elternzeit und Elterngeld nach § 15 IV BEEG, §§ 1, 2 BEEG; § 275 III BGB i. V. m. § 616 S. 1 BGB für die notwendige Pflege des schwer erkrankten Kindes; Beachtung der familiären Begebenheiten bei der Urlaubsgewährung nach § 7 I BUrlG; Familienförderung seitens des Betriebsrates nach § 80 I Nr. 2b und § 96 II S. 2 BetrVG100). So könnte eine einheitliche, familienfreundliche Wertung des Arbeitsrechts hergestellt werden. Da es bislang generell an einer einheitlichen Rechtsstruktur und daher an Transparenz und Verständlichkeit im Arbeitsrecht fehlt, wird seit Jahren ein neues, das gesamte bisherige Arbeitsrecht umfassende Arbeitsvertragsgesetz (ArbVG) gefordert. Zu diesem liegt seit 2007 ein Diskussionsentwurf vor;101 dabei ist § 117 ArbVG zu beachten: § 17 ArbVG (Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung) (1) Ist einem Arbeitnehmer aus betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 115 II gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Unternehmens96

RegE, BT-Drs. 16/1830, S. 13 und S. 23. Staudinger/Engler/Kaiser14 (2000), Buch 4, § 1603 BGB Rn. 215. 98 Perz (2008) S. 223 f. und S. 226. 99 Kaiser NZA 2008, 665, 668 f. 100 Einen guten Überblick über die familienfreundichen Regelungen im Arbeitsrecht gibt Perz (2008) S. 4 ff. und S. 65 ff. 101 Zu dem Arbeitsvertragsgesetzesentwurf von Henssler und U. Preis vgl. www. arbvg.de oder NZA Beilage zu Heft 23/2006 S. 6 ff. 97

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zugehörigkeit und die im Zeitpunkt der Kündigung bestehenden und dem Arbeitgeber bekannten Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, . . .

In § 117 I ArbVG wird für die Sozialauswahl nur noch auf Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und dessen Unternehmenszugehörigkeit abgestellt.102 Auch der ArbVG-Entwurf wertet die Unterhaltspflichten auf. k) Arbeitgeberinteressen Zu fragen ist, ob dem Arbeitgeber eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG zugemutet werden kann – also eine eventuelle Verletzung der Arbeitgeberrechte aus Art. 12 I GG103 gerechtfertigt wäre. Für eine Zumutbarkeit spricht, dass im Rahmen des Kündigungsschutzes kein anderer Adressat als der Arbeitgeber denkbar ist.104 Die höhere Bewertung der Kindesunterhaltspflichten führt außerdem nur zu einer höheren sozialen Schutzwürdigkeit des Elternteils im Vergleich zu den Kollegen; für den Arbeitgeber ändert sich nur die Rangfolge der für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmer. Ohnehin wird der Arbeitgeber aber durch die Vorschrift des § 1 III KSchG in seiner grundsätzlichen Kündigungsfreiheit (Art. 12 I GG und § 620 II BGB) eingeschränkt. Welches konkrete Sozialkriterium für diese Einschränkung nun ausschlaggebend ist – Betriebszugehörigkeit, Alter, Schwerbehinderung oder Unterhaltspflichten – spielt für ihn keine Rolle. Die Sozialauswahl belastet den Arbeitgeber mehr durch den damit verbundenen Verwaltungsaufwand als durch die Einschränkung in der konkreten Kündigungsentscheidung.105 Hinzukommt, dass mit einer Aufwertung der Unterhaltspflichten eine Überalterung des Betriebes vermieden werden kann106 und an der Aufrechterhaltung oder der Schaffung einer homogenen Altersstruktur betriebswirtschaftliche Arbeitgeberinteressen bestehen; nur so kann eine Mischung zwischen erfahrenen Kräften und zukunftssicherndem Nachwuchs im Unternehmen erreicht werden.107 Die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten im 102

Mohr ZfA 2007, 361, 375. Art. 14 I GG wird durch Art. 12 I GG als sachnäheres Grundrecht verdrängt. Art. 14 I GG schützt das Erworbene, die Ergebnisse geleisteter Arbeit, Art. 12 I GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst (BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe 4]). 104 Perz (2008) S. 221. 105 Perz (2008) S. 222. 106 Perz (2008) S. 224. 107 BAG 12.3.2009 – 2 AZR 418/07 – NZA 2009, 1023 Rn. 45; 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 Rn. 54. 103

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C. Lösungsmöglichkeiten

Rahmen des § 1 III KSchG erhöht die Schutzbedürftigkeit von Jüngeren – diese treffen typischerweise Kindesunterhaltspflichten. Jüngeren ist damit im Rahmen der Sozialauswahl eine Kündigung unzumutbarer als nach der aktuellen Rechtslage, die allein zum Schutz der Älteren führt. Diese Vorgehensweise zur Erreichung einer ausgewogenen Personalstruktur könnte für den Arbeitgeber noch interessanter werden, wenn ihm hierfür kein sonstiges Sicherungsmittel zur Verfügung steht.108 aa) Keine Berücksichtigung der Personalstruktur bei der Sozialdatengewichtung Die ganz herrschende Meinung lehnt es ab, bereits bei der Gewichtung der Sozialdaten nach § 1 III S. 1 KSchG die unerwünschte Überalterung des Betriebes einfließen zu lassen – die Sozialauswahl sei sonst grob fehlerhaft.109 Dem ist zuzustimmen, da eine Vermischung der Tatbestände des § 1 III S. 1 und S. 2 KSchG mit der Gesetzessystematik, der ratio legis und der Entstehungsgeschichte des KSchG unvereinbar ist:110 Der Wortlaut des § 1 III S. 1 KSchG lässt nicht erkennen, dass bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer neben sozialen Gesichtspunkten auch noch betriebliche Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen sein sollen.111 Diese sind allein bei Vorliegen der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 1 III S. 2 KSchG (s. sogleich S. 219) zu beachten. Zwar verneint § 125 I Nr. 2 InsO die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl für den Fall, dass eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Hier ist aber der besondere Umstand des Konkursfalles, für den eine zusätzliche Erleichterung geschaffen werden soll, zu beachten; die Personalstruktur spielt für die Unternehmenssanierung eine wichtige Rolle112 – es geht um einen praktischen Neuanfang.113 § 1 III KSchG ist mit dieser Situation nicht zu vergleichen.114 108

Seidel ZTR 1996, 449, 451. BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Linck (1990) S. 73; Meisel ZfA 1985, 213, 232. 110 BAG 24.3.1983 – 2 AZR 21/82 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [unter Gründe V 2 a-d]; LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 75; Klassen (2002) S. 33. 111 KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 628. 112 BAG 7.5.1998 – 2 AZR 536/97 – NZA 1998 933, 936; MüKo/InsO/Löwisch/ Caspers2 (2008), Band 2, § 125 InsO Rn. 1; KR/Weigand8 (2007) § 125 Inso Rn. 1 ff. 113 Löwisch BB 1996, 1009, 1011. 114 LAG Hessen 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98 – NZA-RR 2000, 74, 75. 109

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bb) Das Sicherungsmittel § 1 III S. 2 KSchG Mit der Neufassung des § 1 III S. 2 KSchG zum 1.1.2004115 hat der Gesetzgeber grundsätzlich anerkannt, dass die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur ein berechtigtes betriebliches Interesse im Rahmen der Sozialauswahl darstellt.116 Allerdings garantiert § 1 III S. 2 KSchG lediglich eine gleichwertige Personalstruktur, der status quo soll gesichert117 und nicht die Korrektur personalpolitischer Versäumnisse des Arbeitgebers ermöglicht werden; die Voraussetzungen der verhaltens- und personenbedingten Kündigung würden sonst umgangen.118 Ebenso verhält es sich mit der von § 1 III S. 2 KSchG umfassten Möglichkeit, Altersverbände zu bilden119 und in diesen – meist bei Massenkündigungen120 – jeweils die Sozialauswahl durchzuführen.121 Soll die Personalstruktur nicht nur erhalten, sondern verbessert werden, muss der Arbeitgeber Sachgründe hierfür vortragen und es darf keine Anhaltspunkte für Kündigungen bestimmter „unliebsamer Arbeitnehmer“ geben.122

115

Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003, in Kraft seit 1.1.2004, BGBl. I S. 3002. 116 BAG 6.7.2006 – 2 AZR 442/05 – NZA 2007, 139; 20.4.2005 – 2 AZR 201/04 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 60; 23.11.2000 – 2 AZR 533/99 – NZA 2001, 601. 117 BAG 6.7.2006 – 2 AZR 442/05 – NZA 2007, 139; 20.4.2005 – 2 AZR 201/04 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 60; 23.11.2000 – 2 AZR 533/99 – NZA 2001, 601; LAG Bremen 22.11.2006 – 2 Sa 205/06 – AE 2007, 146 [Rn. 86]. 118 Löwisch BB 1996, 1009, 1011. 119 Zur Zulässigkeit der Bildung von Altersverbänden auch nach Erlass des AGG vgl. BAG 6.11.08 – 2 AZR 523/07 – NZA 2009, 361 [LS 3]; LAG Niedersachsen 13.7.2007 – 16 Sa 269/07 – LAGE § 2 AGG Nr. 3; LAG Berlin-Brandenburg 13.4.07 – 13 Sa 2208/06 – n. v.; LAG Bremen 22.11.2006 – 2 Sa 205/06 – AE 2007, 146; Mohr SAE 2007, 353, 361; a. A. ArbG Osnabrück 5.2.2007 – 3 Ca 724/06 – NZA 2007, 626. 120 Für diese stellt § 112a BetrVG einen bloßen Anhaltspunkt dar. 121 BAG 6.9.2007 – 2 AZR 387/06 – AP Nr. 169 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; 9.11.2006 – 2 AZR 509/09 – AP Nr. 1 zu § 311a BGB; 6.7.2006 – 2 AZR 442/05 – NZA 2007, 139 [unter Gründe B II 3 c aa]; 22.9.2005 – 2 AZR 208/05 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 142; 20.4.2005 – 2 AZR 201/04 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 60 [unter II 1 b]; 23.11.2000 – 2 AZR 533/99 – NZA 2001, 601; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 645. 122 BAG 22.9.2005 – 2 AZR 208/05 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 142; Kamanabrou ZfA 2006, 659, 699.

220

C. Lösungsmöglichkeiten

cc) Zwischenergebnis und Arbeitgeberbefragung Allein die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten im Rahmen des § 1 III KSchG ermöglicht es dem Arbeitgeber eine Verjüngung der Belegschaft zu erreichen: Die Personalstruktur kann weder bereits bei der Sozialdatengewichtung Berücksichtigung finden (oben S. 218) noch kann über die Sicherung des status quo hinaus i. R. des § 1 III S. 2 KSchG agiert werden (oben S. 219). Damit stehen einer Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in § 1 III KSchG nicht nur keine zu beachtenden Arbeitgeberinteressen entgegen, sondern die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten dient sogar den Interessen der Arbeitgeber. Dies bestätigt auch eine im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführte Befragung der Preisträger des vom Bundesministerium für Familie, Soziales, Frauen und Jugend durchgeführten Wettbewerbs „Erfolgsfaktor Familie 2008“:123 Die Preisträger stimmen der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zu bzw. können deren Gegenargumente und Bedenken entkräftet werden (vgl. die von den Unternehmen ausgefüllten Fragebögen mit Anmerkungen im Anhang ab S. 255).

3. Zwischenergebnis Zahlreiche Argumente sprechen neben der Beendigung der Familiendiskriminierung durch Einführung einer familienfördernden Sozialauswahl für die vorgeschlagene Gesetzesänderung des § 1 III KSchG: Die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten ist praktikabel (oben S. 196 f.), das Lebensalter ist nicht unmittelbar sowie mittelbar über die Betriebszugehörigkeit in § 1 III KSchG zu berücksichtigen und daher aus dem Gesetzeswortlaut zu streichen (oben S. 197), der Wortlaut (oben S. 197 ff.) und die Systematik des § 1 III KSchG (oben S. 200) sprechen ebenso für eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten wie die Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 200 ff.). Weiterhin entspricht die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten den Wertungen des Art. 6 I GG (oben S. 204 f.) sowie des sonstigen Arbeitsrechts (oben S. 216) und den Arbeitgeberinteressen (oben S. 217 ff.). Auch eine Verletzung des BDSG oder des Art. 2 I GG (oben S. 205 ff.) steht der vorgeschlagenen Gesetzesänderung nicht entgegen. Vielmehr könnte mit dieser § 1 III KSchG AGG-konform gestaltet werden (oben S. 211 ff.) und der Gesetzgeber würde mit der Reform pro Familie als Vorbild für Betriebspartner und Tarifvertragsparteien agieren (oben S. 208 ff.). Schließlich fordert die Unter123

http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=368.

II. § 622 II S. 1 BGB

221

haltsrechtsreform zum 1.1.2008 auch die vorgeschlagene Änderung des § 1 III KSchG (oben S. 215 f.). Herausragendes Argument für eine Reform des § 1 III KSchG ist jedoch die Veränderung des Arbeitsmarktes dahingehend, dass Ältere nicht mehr als pauschal schutzwürdiger zu bezeichnen sind (S. 70 ff.).124 Selbst bei Ablehnung dieser Einschätzung ist ferner zuzugeben, dass ein Abbau der (für den Arbeitgeber teuren) Schutzvorschriften für Ältere, deren (angebliche) Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nur verringern kann (oben S. 207 f.).

II. § 622 II S. 1 BGB 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung Es liegt fern, eine vollständige Neuregelung oder gar Aufhebung des § 622 II S. 1 BGB zu verlangen: Die Koppelung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit wird von den Arbeitsvertragsparteien als gerecht empfunden und zudem in fast ganz Europa praktiziert.125 Das den verlängerten Kündigungsfristen zu Grunde liegende Senioritätsprinzip greift etwa in Dänemark,126 Finnland,127 Griechenland,128 Irland,129 Österreich130 und in den Niederlanden.131 Wenn andere Kriterien zu beachten sind (etwa die Einkommenshöhe in Belgien,132 der Kündigungsgrund in Estland,133 die Position des Arbeitnehmers in Frankreich,134 die Position und Vergütung des Arbeitnehmers in Großbritannien,135 die Beschäftigungsposition in Italien136), ist dennoch weiterhin die Betriebszugehörigkeit für die Berechnung der Kündigungsfristen ausschlaggebend. 124 Löwisch/Caspers/Neumann (2003) S. 50; Mohr SAE 2007, 353, 359 f.; ders. ZfA 2007, 361, 378, mit der Forderung, „die Sozialauswahl so flexibel zu gestalten, dass sich jüngere Arbeitnehmer gegen Ältere durchsetzen können.“ An dieser Flexibilität fehlt es, wie anhand der gängigen Punkteschemata (oben S. 56 ff.) dargestellt, jedoch. 125 MünchArbR/Berkowsky2 (2000) Band 2, § 131 Rn. 60 ff. 126 EuropArbR/Steinrücke/Würtz2 (2007) Dänemark Rn. 108. 127 EuropArbR/Palm2 (2007) Finnland Rn. 133 ff. 128 EuropArbR/Kerameos/Kerameus2 (2007) Griechenland Rn. 104. 129 EuropArbR/Erken2 (2007) Irland Rn. 72 ff. 130 EuropArbR/Pelzmann2 (2007) Österreich Rn. 137. 131 EuropArbR/van Gijzen2 (2007) Niederlande Rn. 134. 132 Wank (1992) S. 84 f.; EuropArbR/Matray/Hübinger2 (2007) Belgien Rn. 128 ff. 133 EuropArbR/Hagström/Greinoman2 (2007) Estland Rn. 110. 134 EuropArbR/Temin-Soccol/Welter2 (2007) Frankreich Rn. 135. 135 EuropArbR/Harth/Taggart2 (2007) Großbritannien Rn. 57 ff. 136 EuropArbR/Radoccia2 (2007) Italien Rn. 316.

222

C. Lösungsmöglichkeiten

Eine Herabsetzung der Fristen für Ältere würde allein deren Kündigungsschutz mindern, somit die Ungleichbehandlung zwischen Jüngeren und Älteren beenden, aber nicht zur angestrebten Familienförderung führen. Eine Ausdehnung der Fristen für alle Jüngeren würde zu einer überproportionalen Ausweitung des Kündigungsschutzes führen. In § 622 II S. 1 BGB ist vielmehr i. S. der vorliegenden Arbeit das Kriterium der Kindesunterhaltspflichten aufzunehmen: § 622 BGB: Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen (2) . . . 2Die Kündigungsfrist verlängert sich für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers um mindestens zwei Monate. 3Für S. 2 gilt § 23 I S. 2 bis S. 4 KSchG entsprechend. . . .

Die Vorgabe „mindestens“ soll das Begehren des Gesetzgebers nach möglichst umfangreichen Fristverlängerungen ausdrücken, diese aber in den (finanziellen) Spielraum des Arbeitgebers stellen (zur Ausnahme für Kleinbetriebe sogleich unten, S. 222 f.). Dabei spricht für die Untergrenze von „zwei“ Monaten als Fristverlängerung pro Kind, dass nach der gängigen Punktebewertung bei der Sozialauswahl ein Kind bislang mit zwei Jahren Betriebszugehörigkeit gleichgesetzt wird (s. S. 65 f.). Diese Bewertung diskriminiert Familien (oben S. 66 ff.), sodass der Wert eines Kindes im Arbeitsrecht mindestens zu verdoppeln ist. Ist ein Kind so viel Wert wie vier Jahre Betriebszugehörigkeit, ist das Arbeitsverhältnis nach dem Maßstab des § 622 II Nr. 1 BGB um zwei Monate zu verlängern – § 622 II Nr. 1 BGB verlängert die Kündigungsfrist bei zwei Jahren Betriebszugehörigkeit um einen Monat. Weiterhin sollen nur die gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten, allein deren Anzahl („ jede“) und nicht die tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Arbeitnehmers („bestehende“) Berücksichtigung finden (S. 34 ff., S. 110 ff. und S. 35 f.). Irrelevant ist, ob die Familie intakt oder die Eltern getrennt sind und bei wem das Kind lebt.137 Jedes Elternteil bekommt jedes Kind voll für die Verlängerung der Kündigungsschutzfrist angerechnet (vgl. hierzu bereits zur Änderung des § 1 III KSchG S. 196). Außerdem ist ein Augenmerk auf die kleinen Betriebe zu richten: Beschäftigt der Arbeitgeber etwa nur einen oder zwei Arbeitnehmer und hat er das Arbeitsverhältnis von einem Vater zweier Kinder auf Grund der neuen familienfördernden Kündigungsfristen vier Monate länger aufrecht zu erhalten, können diese zusätzlichen vier Monatsgehälter den Betrieb in Zahlungsschwierigkeiten bringen (zur Zumutbarkeit der Arbeitgeberbelastung 137

Strick (2007) S. 79, 98 Rn. 70.

II. § 622 II S. 1 BGB

223

noch unten S. 227 ff.). Zwar erhält der Arbeitgeber bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers einen Gegenwert für seine Lohnzahlung. Praktisch wird der Arbeitnehmer jedoch oftmals freigestellt oder der Arbeitgeber erhält nach der Kündigung eine Krankmeldung des Arbeitnehmers oder eine mindere Leistung. Auf dieses finanzielle Risiko ist für Kleinbetriebe zu achten.138 Für diese ist daher von den verlängerten Kündigungsfristen eine dem § 23 I S. 2 bis S. 4 KSchG entsprechende Ausnahme zu machen.139

2. Unterstützende Argumente Für die dargestellte Gesetzesänderung spricht neben einem Ersatz der Familiendiskriminierung durch eine familienfördernde Maßnahme, dass der existierende Schutz für Ältere deren Schutz erst in dieser Stärke erforderlich macht (vgl. zu § 1 III KSchG oben S. 207 f.). Selbst bei Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Älteren (anders oben S. 70 ff.) ist es daher in deren Sinn, die Vorteile Älterer im Rahmen des § 622 II S. 1 BGB zu verringern – etwa durch eine Koppelung der Kündigungsfristen auch an die Kindesunterhaltspflichten. Eine erforderliche Reaktion des Kündigungsrechts auf den gesellschaftlichen (demografischen) Wandel ergibt sich zudem aus der Funktion des Arbeitsrechts (s. zu § 1 III KSchG S. 200 ff.). Den Arbeitsvertragsparteien entsteht durch die Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in § 622 II S. 1 BGB auch kein Mehraufwand an Datenermittlung: Entweder sind die Kindesunterhaltspflichten bei betriebsbedingten Kündigungen ohnehin für die Sozialauswahl zu beschaffen oder die Unterhaltspflichten sind in die Interessenabwägung der personen-140 oder verhaltensbedingten141 Kündigung einzustellen. Ebenso verlangt § 242 138

Kritisch Weber BB 1992, 1345, 1346, die nicht von einer unbedingten Finanzschwäche kleiner Unternehmen gegenüber mittelständischen Betrieben oder Großunternehmen ausgeht. 139 Unter diesem Aspekt sah auch § 10 LFZG bis zum 31.12.2005 eine Kostenerstattung für Kleinbetriebe im Rahmen des § 14 MuSchG vor (zu § 10 LFZG ausführlich BVerfG 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – AP Nr. 23 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe A I 4]); zu einer solchen Ausnahme von Kleinbetrieben im Rahmen von Diskriminierungsverboten auch Wisskirchen (1994), S. 158. 140 BAG 20.1.2000 – 2 AZR 378/99 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47; 29.7.1993 – 2 AZR 155/93 – AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; 5.7.1990 – 2 AZR 154/90 – AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 210 und 275; Junker7 (2008) Rn. 367 S. 205 f.; v. HoyningenHuene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 286; Hoß MDR 1999, 777, 781 f. und 783. 141 BAG 27.4.2006 – 2 AZR 415/05 – AP Nr. 203 zu § 626 BGB; 16.12.2004 – 2 ABR 7/04 – AP Nr. 191 zu § 626 BGB; 5.4.2001 – 2 AZR 159/00 – AP Nr. 171

224

C. Lösungsmöglichkeiten

BGB bei einer ordentlichen Kündigung in Kleinbetrieben (§ 23 KSchG) oder vor Ablauf der Wartefrist nach § 1 I KSchG eine Berücksichtigung der Unterhaltspflichten142 (zur Praktikabilität der Feststellung der Kindesunterhaltspflichten schon S. 108 ff.). Die erforderliche Feststellung der Kindesunterhaltspflichten verstößt auch weder gegen das BDSG noch gegen Art. 2 I GG. Denn § 1 III KSchG schreibt die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten im Kündigungsschutz seit Jahrzehnten vor, der Datenschutz wurde in diesem Zusammenhang nie problematisiert (vgl. oben S. 207).143 Hinzukommt, dass allein die Anzahl der gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten relevant sein soll, sodass detaillierte, private Arbeitnehmerangaben, die eine Berechnung des Umfangs der Unterhaltspflichten erfordern würde, nicht erforderlich sind. Außerdem sind auch die Daten Lebensalter und Betriebszugehörigkeit persönlich; nach der aktuellen Fassung des § 622 II BGB sind diese dennoch zur Berechnung der Kündigungsfristen heranzuziehen. Mit der Berücksichtigung der Unterhaltspflichten bei der Berechnung der verlängerten Kündigungsfristen käme der Gesetzgeber zudem seinem Schutzauftrag gegenüber Ehe und Familie aus Art. 6 I GG nach (vgl. hierzu ausführlich S. 204 f.)144 und würde für die Tarifvertragsparteien als Vorbild agieren (vgl. S. 208 ff.); diese könnten so zu familienfreundlicheren Regelungen der Kündigungsfristen über § 622 IV BGB veranlasst werden – vielleicht auch zu einem familienfreundlichen Umdenken in der gesamten Tarifpolitik145 (zur Tarifsperre des § 77 III BetrVG hinsichtlich betrieblichen Regelungen zum Kündigungsschutz S. 127 und zum üblichen Wechselspiel zwischen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen oben S. 127 ff.). Ferner bestätigen § 1609 Nr. 1 und § 1603 II BGB die alleinige Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten; diese gehen nach der Unterhaltsrechtsreform zum 1.1.2008 den ehelichen Unterhaltspflichten vor (dazu oben bei § 1 III KSchG S. 215 f.). zu § 626 BGB; 27.2.1997 – 2 AZR 302/96 – AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; 2.3.1989 – 2 AZR 280/88 – AP Nr. 101 zu § 626 BGB; KR/Griebeling8 (2007) § 1 KSchG Rn. 210 und 411; v. Hoyningen-Huene/ Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 474. 142 BAG 28.8.2003 – 2 AZR 333/02 – AP Nr. 17 zu § 242 BGB; 21.2.2001 – 2 AZR 15/00 – AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung; Junker7 (2008) Rn. 345, S. 194 f. 143 Zur Zulässigkeit der verhältnismäßigen Befragung nach Unterhaltspflichten im Rahmen des § 1 III KSchG: v. Hoyningen-Huene NZA 1986, 449, 452. 144 Linck (1990) S. 91; Bütefisch (2000) S. 224 f.; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 1103; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 1 Rn. 941; MüKo/ BGB/Hergenröder4 (2005), Band 4, § 1 KSchG Rn. 382. 145 Zu dieser Intention des Gesetzgebers vgl. Hoffmann-Flüter (2005).

II. § 622 II S. 1 BGB

225

Zu diesen bereits im Rahmen des § 1 III KSchG vertieft dargestellten Argumenten und Teilaspekten kommen folgende Überlegungen hinzu: a) Rechtsprechung des BVerfG zu § 622 BGB a. F. 1990 entschied das BVerfG, dass die damalige Fassung des § 622 II BGB mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG unvereinbar sei, soweit hiernach die Kündigungsfristen für Arbeiter kürzer seien als für Angestellte. Diese Rechtsprechung könnte nun auf die aktuelle Fassung des § 622 II BGB, die dortige Benachteiligung der Familien und den insoweit vorliegenden Verstoß gegen Art. 3 I GG übertragen werden. § 622 BGB a. F. sah für Arbeiter in § 622 II S. 1 BGB a. F. eine zweiwöchige und für Angestellte nach § 622 I BGB a. F. eine sechswöchige Kündigungsfrist vor. Für Angestellte galten zudem feste Kündigungstermine – Schluss des Kalendervierteljahres bzw. das Monatsende. Die Kündigung des Arbeiters war dagegen erst nach längerer Betriebszugehörigkeit an Termine gebunden. Das BVerfG sah dies als mit Art. 3 I GG unvereinbar an, da der Normzweck der Kündigungsfristen – die soziale Abfederung (s. oben S. 136 f.)146 – einer Differenzierung zwischen diesen Arbeitnehmergruppen in § 622 BGB a. F. entgegenstehe: Ein unterschiedlicher Bedarf an sozialer Abfederung sei auf Grund des Personalstatus Angestellter oder Arbeiter nicht zu erkennen.147 Es sei nicht ersichtlich, warum Angestellten durch eine längere Kündigungsfrist mehr Zeit und damit größere Erfolgsaussichten für die Stellensuche eingeräumt werden solle. Insbesondere würden Angestellte nicht längere Zeit für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz benötigen als geringer spezialisierte Arbeiter; aus den Arbeitsmarktzahlen lasse sich keine gruppenspezifische Schwierigkeit der Angestellten bei der Stellensuche ableiten, die der Gesetzgeber durch längere Kündigungsfristen auszugleichen habe.148 Zwar folge aus der Ausweitung der verlängerten Kündigungsfristen auf Arbeiter, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach seinem Kündigungsentschluss länger als nach der bisherigen Rechtslage unerwünscht aufrechterhalten und finanzieren müsse. Diese Mehrbelastung des Arbeitgebers stehe der erforderlichen Änderung des § 622 II BGB a. F. jedoch nicht entgegen. Das Argument der Verteuerung dürfe nicht zur 146 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 3]. 147 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 3]. 148 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter Gründe C I 3 und 4 f].

226

C. Lösungsmöglichkeiten

Aufrechterhaltung der bestehenden Benachteiligung auf Kosten der bislang benachteiligten Arbeitnehmer führen.149 Dieses Ergebnis der Rechtsprechung unterstützt die Aufnahme des Kriteriums der Unterhaltspflichten in § 622 II S. 1 BGB: Auch Jüngere – darunter zahlreiche Eltern – werden hinsichtlich der Kündigungsfristen gegenüber länger Beschäftigten i. S. des Art. 3 I GG ungerechtfertigt benachteiligt (s. oben ab S. 134 ff.), sodass diese Differenzierung auf Grund des Verstoßes gegen Art. 3 I GG aufzuheben und das Kriterium der Unterhaltspflichten in § 622 II BGB einzufügen ist. Auch die einzelnen Argumente der Entscheidung des BVerfG sind zu übertragen: Eltern bedürfen durch die Entwicklung der Gesellschaft (S. 19 ff.) und des Arbeitsmarktes (s. oben ab S. 73) heute einer mindestens ebenso hohen sozialen Abfederung wie Ältere, lang Beschäftigte (zum höheren Bedarf einer sozialen Abfederung auf Grund bestehender Kindesunterhaltspflichten s. oben ab S. 136). Auch dürfen die für den Arbeitgeber durch die Verlängerung der Kündigungsfristen entstehenden (geringen) Folgekosten (zur Arbeitgeberbelastung s. unten S. 227 ff.) nicht davon abhalten, die bestehende Diskriminierung zu beenden (zu weiteren Argumenten, mit denen das BVerfG eine Rechtfertigung der Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten ablehnte vgl. oben: etwa keine Rechtfertigung durch tarifliche Regelungen [S. 155] oder durch die Gesetzesbegründung [oben ab S. 138 f.]). b) Arbeitsrechtliche Wertungen (§ 1 III KSchG)/ArbVG Die Einführung der Kindesunterhaltspflichten in § 622 II S. 1 BGB entspricht als familienfördernde Maßnahme den familienfreundlichen Regelungen des sonstigen Arbeitsrechts (zu diesen S. 216); vor allem ist an dieser Stelle zu beachten, dass eine Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in § 622 II S. 1 BGB den Wertungen des § 1 III KSchG entsprechen würde: § 1 III KSchG schreibt die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten in der Sozialauswahl bereits seit 1920 vor (vgl. hierzu S. 80) und dient ebenso dem Arbeitnehmerschutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wie § 622 II S. 1 BGB (zum parallelen Schutzzweck s. oben S. 91 ff.). Da nach § 1 III KSchG ein Arbeitnehmer ggf. auf Grund seiner bestehenden Unterhaltspflichten nicht betriebsbedingt gekündigt werden kann, ist es erst recht 149 BVerfG 30.5.1990 – 1 BvL 2/83 – AP Nr. 28 zu § 622 BGB [unter C I 4 g]; so bereits das BVerfG zur Frage, ob die gesetzlich vorgeschriebene, unterschiedliche Berechnung der Beschäftigungsdauer bei Arbeitern und Angestellten als Voraussetzung der Verlängerung von Kündigungsfristen mit dem Grundgesetz vereinbar ist: 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – AP Nr 16 zu § 622 BGB [Rn. 103].

II. § 622 II S. 1 BGB

227

möglich, die verlängerten Kündigungsfristen, die eine Kündigung nicht ausschließen, sondern deren Konsequenzen nur hinauszögern, an die Kindesunterhaltspflichten zu koppeln. Auch die Rechtsprechung zu § 1 III KSchG, nach welcher die Betriebszugehörigkeit nur in einer Gesamtabwägung ein korrektes Bild über die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers garantiert und nach der die Betriebszugehörigkeit eine ambivalente Größe ist, deren soziale Wertigkeit von anderen Faktoren abhängt, ist auf § 622 II S. 1 BGB zu übertragen.150 Neben der Betriebszugehörigkeit sind die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 II S. 1 BGB an die Kindesunterhaltspflichten zu koppeln. Mit dem Ersatz der Familiendiskriminierung durch eine familienfördernde Maßnahme käme es zu einer einheitlichen, widerspruchsfreien Wertung des deutschen Arbeitsrechts. Ein solches einheitliches Arbeitsrecht wird seit Jahren mit einem die verschiedenen arbeitsrechtlichen Gesetze zusammenfassenden, leichter zu praktizierenden Arbeitsvertragsgesetz (ArbVG) gefordert.151 Auch diesem berechtigten Verlangen würde die vorgeschlagene Änderung des § 622 II S. 1 BGB entgegenkommen. c) Arbeitgeberinteressen Nach dem Gesetzesreformvorschlag muss der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach seinem Kündigungsentschluss bei Eltern länger als nach der bisherigen Rechtslage unerwünscht aufrechterhalten und finanzieren. Andererseits könnte sich die familienfreundliche Änderung des § 622 II S. 1 BGB für den Arbeitgeber betriebswirtschaftlich rentieren. Zu klären ist demnach, inwiefern einer Neufassung des § 622 II S. 1 BGB Arbeitgeberinteressen entgegenstehen könnten. aa) Verletzung der Unternehmerfreiheit aus Art. 12 I GG Durch die verlängerten Kündigungsfristen steht eine Verletzung der Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers gemäß Art. 12 I GG in Frage.152 Die Berufsausübung der Arbeitgeber ist dadurch berührt, dass ihnen durch die 150

BAG 5.12.2002 – 2 AZR 549/01 – NZA 2003, 791, 794; Möhn BB 1995,

563. 151

Der Diskussionsentwurf eines ArbVG von Henssler und Preis ist einzusehen unter www.arbvg.de oder NZA Beilage zu Heft 23/2006 S. 6 ff. 152 Art. 14 I GG wird durch Art. 12 I GG als sachnäheres Grundrecht verdrängt. Art. 14 I GG schützt das Erworbene, die Ergebnisse geleisteter Arbeit, Art. 12 I GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst (BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe 4]).

228

C. Lösungsmöglichkeiten

Neufassung des § 622 II S. 1 BGB finanzielle Lasten aufgebürdet werden (s. gerade oben S. 227 f.); denn Art. 12 I GG schließt die Abwehr übermäßig belastender und unzumutbarer gesetzlicher Auflagen und Abgaben mit ein.153 Gesetzliche Regelungen der Berufsausübung sind statthaft und bleiben im Rahmen der dem Gesetzgeber durch Art. 12 I S. 2 GG eingeräumten Regelungsbefugnis, wenn sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet sowie erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird.154 Hierfür lässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber im Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen ein erhebliches Maß an Freiheit.155 Es räumt ihm bei der Festlegung der zu verfolgenden arbeits-, wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele eine weite Gestaltungsfreiheit ein,156 die noch größer ist, wenn die Regelung wie hier keinen unmittelbaren berufsregelnden Charakter hat.157 Der Gesetzgeber darf Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen.158 (1) Verfassungsmäßigkeit des § 14 MuSchG Die Zuschusspflicht des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG verstößt nach der Rechtsprechung nicht gegen Art. 12 I GG:159 Die Mutterschutzkosten des Arbeitgebers seien mit 0,15% der Gesamtbruttolohnsumme des Arbeitgebers nicht übermäßig160 und dem Arbeitgeber dürften Kosten auferlegt werden, welche sonst die Gemeinschaft zu tragen hätte.161 153

BVerfG 15.12.1987 – 1 BvR 563/85 – BVerfGE 77, 308, 334. BVerfG 23.1.1990 – 1 BvL 44/86, 1 BvL 48/87 – BVerfGE 81, 156, 188; 15.12.1987 – 1 BvR 563/85, u. a. – BVerfGE 77, 308, 332; 12.2.1986 – 1 BvR 1770/83 – BVerfGE 72, 26, 31; 19.11.1985 – 1 BvR 38/78 – BVerfGE 71, 183, 196. 155 Grundlegend BVerfG 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 405 (Apothekenurteil). 156 BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe II 2 a]. 157 BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe II 2 a] m. w. N. 158 BVerfG 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 406 (Apothekenurteil). 159 BAG 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – AP Nr. 23 zu § 14 MuSchG 1968; 23.4.1974 – 1 BvL 19/73 – AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG 1968. 160 BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe II 2 b cc]. 154

II. § 622 II S. 1 BGB

229

Übermäßige Kosten kommen auch angesichts der alleinigen Verlängerung der Kündigungsfristen für gesetzliche Kindesunterhaltspflichten nicht auf den Arbeitgeber zu – zumal im Gegensatz zu § 14 MuSchG nicht die Geburt jedes Arbeitnehmer-Kindes Kosten für den Arbeitgeber verursacht, sondern nur ein Kind, dessen Eltern(teil) der Arbeitgeber kündigen möchte. Weiterhin soll § 622 II S. 1 BGB nach dem Gesetzesreformvorschlag nicht für Kleinbetriebe greifen; für diese Arbeitgeber wäre eine finanzielle Überbelastung jedoch am wahrscheinlichsten (s. zum Gesetzesvorschlag S. 222 f.). Auch eine vergleichende Gesamtbetrachtung der Ausgaben des Bundes für die Familienförderung und der dahingehenden Arbeitgeberbelastungen kommt zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitgeber keine übermäßigen Kosten auferlegt werden:162 Der Bund erhöhte seine Ausgaben für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Haushaltsjahr 2008 auf 6, 2 Milliarden e um 18% (!).163 Zudem wurde auch die Verfassungsmäßigkeit des BEEG, des § 616 BGB oder der bisherigen Regelung des § 622 II S. 1 BGB bislang nie auf Grund übermäßiger Kosten für den Arbeitgeber in Frage gestellt. Weiterhin ist die Regelung der Berufsausübung durch den vorgeschlagenen § 622 II S. 1 BGB mit der Familienförderung und der Erhöhung der Geburtenrate durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt – wie auch § 14 MuSchG mit dem Wohl der Mutter und des Kindes.164 Die Belastungen des Arbeitgebers sind auch deshalb verhältnismäßig, da der Gesetzgeber mit der Familienförderung seinem Schutzauftrag aus Art. 6 I GG nachkommt (zu § 1 III KSchG S. 204 f.) und ein Beitrag jedes Arbeitgebers zur Familienförderung dem sozialen System Deutschlands entspricht. Von diesem sozialen System profitiert der Arbeitgeber an anderer Stelle – etwa im Fall angemeldeter Kurzarbeit zur Überbrückung finanzieller Schwierigkeiten des Betriebes (§ 170 I Nr. 1 SGB III) durch Zahlung von staatlichem Kurzarbeitergeld als Entgeltersatzleistung (§§ 116, 169 ff. SGB III);165 die Unternehmen tragen in Deutschland gesellschaftliche und 161 BVerfG 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – AP Nr. 23 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe C 2 b cc (2)]. 162 BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe II 2 b bb]; BVerfG 3.7.1985 – 1 BvL 13/83 – BVerfGE 70, 242, 247 f. 163 Schaubild zum Haushaltsplan 2008, SZ v. 19.9.2007 S. 19. 164 BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe II 2 b]. 165 Gerade von dieser Möglichkeit der Vermeidung einer Insolvenz durch Beantragung von Kurzarbeit machen im Jahr 2009 zahlreiche Arbeitgeber im Rahmen der weltweiten Wirtschaftskrise Gebrauch: 24.000 Betriebe zeigten im März 2009 aus konjunkturellen Gründen Kurzarbeit an (Bundesagentur für Arbeit, Monatsbericht März 2009 S. 8 f.). Im ersten Quartal 2009 wurden insgesamt für 1,7 Mill.

230

C. Lösungsmöglichkeiten

soziale Mitverantwortung.166 Ein dahingehender erzwungener Beitrag von allen Arbeitgebern ist angemessen, zumal das Eigenengagement der Betriebe schon lange sehr weit hinter den gesellschaftlichen Bedürfnissen und hinter den betrieblichen Möglichkeiten zurück bleibt (zu den wenigen familienfreundlichen Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen vgl. ab S. 208). So wie die Mutterschutzkosten nicht ausschließlich vom Staat getragen werden können, sondern auf mehrere Träger (Bund, Krankenversicherung und Arbeitgeber) verteilt werden müssen,167 ist auch hinsichtlich der Kosten für die Familienförderung bzw. für die Reduzierung des demografischen Effekts zu verfahren. In Anlehnung an die Verfassungsmäßigkeit des § 14 MuSchG ist auch der vorgeschlagene, geänderte § 622 I S. 1 BGB verfassungskonform. (2) Vergleich mit anderen gesetzlichen Arbeitgeberbelastungen Auch andere verfassungskonforme, gesetzliche Arbeitgeberbelastungen sprechen für eine Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesänderungsvorschlags. Dabei sind nur solche Normen in den Vergleich einzubeziehen, die ebenfalls ausschließlich – wie verlängerte Kündigungsfristen für die Arbeitnehmerkündigung – Interessen des Arbeitnehmers dienen. § 11 BUrlG und § 3 I EntgfzG dienen auch dem Arbeitgeberinteresse – volle, zufriedenstellende Arbeitsleistung kann über Jahre hinweg nur ein gesunder, sich regelmäßig erholender Arbeitnehmer erbringen – und scheiden daher für einen Vergleich aus. § 2 I EntgfzG gewährt dem Arbeitnehmer einen Entgeltfortzahlungsanspruch trotz fehlender Arbeitsleistung an Feiertagen; § 616 BGB greift aus „sozialpolitischer Rücksichtnahme“ bzw. aus „Gründen der Humanität“168 als Lohnanspruch, wenn etwa der Arbeitnehmer sein erkranktes Kind pflegt und daher keine Arbeitsleistung erbringen kann;169 nach § 15 II S. 4 BEEG muss der Arbeitgeber zwölf Monate der dreijährigen Elternzeit Arbeitnehmer Anträge auf Kurzarbeit gestellt (Haas, Kurzarbeit verhindert Schlimmeres, SZ v. 1.4.2009, S. 17). 166 Von einer solchen Mitverantwortung sind auch durchschnittlich 71% der Unternehmen überzeugt; nur 22% sehen sich nicht in dieser Rolle. Befragt wurden im März 2008 vom Institut für Demoskopie Allensbach 508 repräsentativ ausgewählte Unternehmen und Betriebe; 7% machten keine Angaben; Kopke NJW 2006, 1040, 1041. 167 BAG 1.11.1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968 [unter Gründe II 1]; BVerfG 23.4.1974 – 1 BvL 19/73 – AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG 1968. 168 So zu § 616 BGB: MüKo/BGB/Henssler4 (2005), Band 4, § 616 BGB Rn. 2. 169 Die Erkrankung des Kindes darf jedoch nicht den Zeitraum des § 126 II SGB III überschreiten.

II. § 622 II S. 1 BGB

231

bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes gewähren – der Arbeitnehmer ist vollständig oder teilweise (§ 15 IV BEEG) von der Pflicht zur Arbeitsleistung zu befreien, sodass den Arbeitgeber erhebliche organisatorische Folgen (Vertretungskraft mit befristetem Arbeitsvertrag) treffen.170 bb) Betriebswirtschaftliche Betrachtung Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ist nicht nur verfassungskonform, sondern liegt darüber hinaus im betriebswirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers. Dies lässt bereits die Tatsache erkennen, dass familienorientierte Maßnahmen in Deutschland von „Top to down“ eingeführt werden: Initiator der Neuerungen ist in 72% der Fälle der Arbeitgeber; nur selten die Arbeitnehmervertretung (2,8%) oder ein Team aller Parteien (12,8%).171 Dabei greifen die Argumente der geringeren Fluktuation der (hoch qualifizierten) Arbeitnehmer aus familienfreundlichen Betrieben172 und des dadurch entstehenden Vorteils der Senkung der Wiederbeschaffungskosten173 bei einer gesetzlich zwingenden Familienförderung nicht: Müssen alle Arbeitgeber den erhöhten Kündigungsschutz für Eltern nach § 622 II S. 1 BGB anbieten, ist dieser bessere Schutz kein Grund, den aktuellen Arbeitgeber zu wechseln. Auch der Vorteil eines positiven Images sowie einer besseren Akzeptanz der Firma in der breiten Öffentlichkeit durch freiwillige Familienfreundlichkeit scheidet bei der gesetzlich fixierten Familienförderung aus.174

170 Da dem Arbeitgeber, um die persönliche Betreuung des Kindes durch dessen Mutter nach § 15 II S. 4 BEEG zu ermöglichen, mehr zugemutet wird als dem Vater, der nur in den ersten drei Jahren Betreuungsunterhalt an seine Ex-Frau zu zahlen hat (§§ 1570, 1615 l BGB), wird in diesem Zusammenhang sogar von einer Überstrapazierung der Arbeitgeberpflichten gesprochen: Kaiser NZA 2008, 665, 666. 171 Dilger/Gerlach/Schneider, Thesenpapier FFP Münster (2006) S. 11. 172 Juncke FFP-Arbeitspapier Nr. 1/2005, S. 11; Gerlach/Schneider/Juncke, FFP – Arbeitspapier Nr. 3 (2007), S. 26 f. 173 BMFSFJ, Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen (2005) S. 14 ff. 174 75% der Führungskräfte gehen von einem Imagegewinn des Unternehmens durch eine familienfreundlichere Personalpolitik aus (Studie „profit und Familienfreundlichkeit“ – Führungskräftebefragung zur Familienfreundlichkeit von Unternehmen, im Auftrag der Hessenstiftung – Familie hat Zukunft, der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände e. V. und der Arbeitgeberverbände Hessen Metall und Hessen Chemie; durchgeführt von der IGS Organisationsberratung GmbH Köln im Jahre 2007 [abrufbar unter: www. igs-beratung.de]).

232

C. Lösungsmöglichkeiten

(1) Leichtere Rekrutierung in Deutschland Jedoch ist gegenwärtig abzusehen, dass es auf Grund der demografischen Veränderung der deutschen Gesellschaft zu einer Reduktion des Erwerbspersonenpotenzials kommen wird. Früher als in anderen Ländern innerhalb der EU wird es in Deutschland zu einem Fachkräftemangel kommen;175 ab 2025 ist von einem um ca. 15% gesunkenen Erwerbspotential auszugehen.176 Trotz hoher Arbeitslosigkeit werden Spezialisten daher zukünftig auf dem europäischen Arbeitsmarkt stark umkämpft sein (vgl. S. 78 f.).177 Eine gesetzlich normierte familienfreundliche Personalpolitik kann von deutschen Arbeitgebern als Wettbewerbsvorteil benutzt werden, um (auf dem europäischen Arbeitsmarkt) ausländische Fachkräfte als Arbeitnehmer zu gewinnen,178 denn die Attraktivität eines Unternehmens steigt mit dessen Familienfreundlichkeit.179 Diese These belegt eine Untersuchung der bislang bestehenden familienfreundlichen Tarifregelungen: Nach der Auswertung von 115 Tarifverträgen aus 30 verschiedenen Branchen, sind familienfreundliche Regelungen vor allem in solchen Bereichen zu finden, in denen ein großer Bedarf an fachlich hoch qualifizierten Arbeitnehmern besteht. In diesen kann auf weibliche Arbeitskräfte keinesfalls verzichtet werden (etwa in der Chemischen Industrie und der IT-Branche),180 sodass insbesondere junge Frauen und Mütter durch die familienfreundliche Tarifpolitik von der (Rückkehr zur) Berufstätigkeit überzeugt werden sollen. In diese Richtung geht auch eine im April/Mai 2002 von TNS EMNID im Auftrag der Bundesregierung durchgeführte Umfrage: 89% der familienorientiert agierenden Betriebe sehen für sich durch diese Familienpolitik Vorteile im Wettbewerb um qualifiziertes Fachpersonal.181 175

Schmitz (2006) S. 22; Klös/Seyda (2007) S. 29, 35 und 37 ff.; Wittkämper/ Wilhelm, BDA-Spezial zu Personal Heft 11 (2007), S. II f. 176 Huber/Kistler/Papies (2002) S. 11. 177 Wieners/Schneider, FFP- Arbeitspapier Nr. 2 (2006), S. 1 m. w. N.; hier sei auf das Beispiel der Ingenieure hingewiesen, deren Arbeitslosenquote von Dez. 2006 – Febr. 2008 um 22% auf insgesamt 4,4% sank (Bundesagentur für Arbeit, Mitteilung 02/2008). 178 Da es mit dem Gesetzesvorschlag um eine zwingende gesetzliche Familienförderung geht, würde es insoweit zu keinem Wettbewerb unter den Arbeitgebern in Deutschland kommen, sodass eine bessere Rekrutierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ausgeschlosen ist. Dieser Effekt würde aber durch eine betriebliche oder tarifliche Familienförderung eintreten, durch die sich die Arbeitgeber untereinander abgrenzen. 179 Juncke, Arbeitspapier Nr. 1/2005, S. 9; Wingen (1997) S. 142; Kramer (1998) S. 37. 180 Klenner WSi Tarifhandbuch (2005), S. 41, 61; zur Erforderlichkeit der Nutzung des weiblichen Erwerbspotenztials generell: Huber/Kistler/Papies (2002) S. 80 ff.

II. § 622 II S. 1 BGB

233

Als Nebeneffekt erlangt der Arbeitgeber Beschäftigte, welche durch die Elterneigenschaft erworbene Kompetenzen gewinnbringend für den Betrieb einsetzen können.182 (2) Effizienzsteigerung/Kosten-Nutzen-Analyse Herrscht ein familienfreundliches Betriebsklima – sei es durch gesetzliche oder durch freiwillige Regelungen – führt dies zu einer Motivationssteigerung der Mitarbeiter; eine dadurch verbesserte Qualität der Arbeit bestätigen 70% der durch Beruf&Familie zertifizierten familienfreundlichen Unternehmen in Deutschland.183 Zudem weist ein motivierter, zufriedener Mitarbeiter durchschnittlich ein Drittel weniger Fehlzeiten auf.184 Zu diesem Ergebnis der Kosten-Nutzen-Analyse kommt auch eine vom BMFSFJ in Auftrag gegebene Expertise des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2006: Familienpolitische Maßnahmen steigern die Wertschöpfung der Unternehmen in den nächsten Jahrzehnten spürbar; langfristig ist eine familienpolitische Wachstumsdividende von fast 25% zu erwarten.185 (3) Deutung des tatsächlichen Marktverhaltens? Fraglich ist, warum sich solche betriebswirtschaftlich sinnvolle, familienfreundliche Maßnahmen über den Wettbewerbsprozess des Marktes nicht von selbst verbreiten. Fällt die Kosten-Nutzen-Analyse für den Arbeitgeber doch nicht positiv aus186 oder liegt ein „Marktversagen“ vor? Die zögerliche Einführung familienfreundlicher Maßnahmen ist mit Informationsdefiziten der Unternehmer sowie mit der u. a. hieraus resultierenden Unsicherheit bezüglich des situationsgerechten Einsatzes, der Höhe und der Struktur der Kosten solcher Maßnahmen erklärbar. Staatseingriffe, wie die vorgeschla181 TNS Emnid, Kundenbefragung „Beruf&Familie“ – bereits zertifizierte Unternehmen, S. 32 (abrufbar unter: http://www.beruf-und-familie.de/system/cms/data/ dl_data/ca181c0b361219871325235ec0ec2586/FFP_Arbeitspapier_01_2005.pdf). 182 Resch (2007) S. 103, 108 f. 183 TNS Emnid, Kundenbefragung „Beruf&Familie“ – bereits zertifizierte Unternehmen, S. 32 unter 2.2.2. (abrufbar unter: http://www.beruf-und-familie.de/system/ cms/data/dl_data/ca181c0b361219871325235ec0ec2586/FFP_Arbeitspapier_01_2005. pdf (dort auf S. 32 unter 2.2.2.). 184 Bröckermann3 (2003) S. 377; BMFSFJ, Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen, (2005) S. 19 ff. 185 BMFSFJ, Wachstumseffekte einer bevölkerungsorientierten Familienpolitik (2006). 186 Althammer (2007) S. 45, 54.

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C. Lösungsmöglichkeiten

gene Gesetzesänderung des § 622 II S. 1 BGB, sind daher zunächst erforderlich, um eine familienfreundlichere Betriebs- und Tarifpolitik anzustoßen (zur Vorbildfunktion des Gesetzgebers bereits S. 208 ff.).187 cc) Zwischenergebnis und Arbeitgeberbefragung Der Änderung des § 622 II S. 1 BGB entgegenstehende Arbeitgeberinteressen können nicht aufgetan werden; die Gesetzesreform liegt vielmehr – auch als staatliches Aufbruchzeichen und gutes Beispiel (S. 208 ff.) – im betriebswirtschaftlichen Interesse der Arbeitgeber. Die kostensenkende Wirkung und die Ertragsrelevanz einer familienfreundlichen Personalpolitik erlangt vor allem in Zeiten der seit Beginn der Wirtschaftskrise im Herbst 2008 nachlassenden, schwachen Konjunktur enorme Bedeutung. Dieses Ergebnis bestätigt auch eine im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführte Befragung der Preisträger des vom BMFSFJ durchgeführten Wettbewerbs „Erfolgsfaktor Familie 2008“:188 Die Preisträger stimmen der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zu bzw. können deren Gegenargumente und Bedenken entkräftet werden (vgl. im Anhang ab S. 255). d) AGG-Konformität § 622 II S. 1 BGB verstößt mit den allein für ältere Beschäftigte verlängerten Kündigungsfristen gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG (zur fehlenden Rechtfertigung nach § 10 oder § 5 AGG S. 153 f.). Diese Diskriminierung Jüngerer auf Grund ihres Alters könnte mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung beendet werden. Die Aufnahme des Kriteriums der Kindesunterhaltspflichten in § 622 II S. 1 BGB ist auch selbst AGG-konform. Es fehlt ebenso an einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen auf Grund des Geschlechts, wie an einer solchen von Älteren auf Grund des Alters und von Homosexuellen auf Grund der sexuellen Identität (vgl. hierzu bei § 1 III KSchG S. 212 ff.). Zudem folgt die verstärkte Ausrichtung des Kündigungsschutzes an den Kindesunterhaltspflichten dem Endziel der Familienförderung, um die gesellschaftlichen Strukturen Deutschlands aufrecht zu erhalten. Dieses Ziel dient dem Allgemeinwohl und wäre somit ohnehin für etwaige mittelbare Diskriminierungen als Rechtfertigung i. S. des § 10 S. 1, S. 2 187

Gerlach/Schneider/Juncke, FFP-Arbeitspapier Nr. 3 (2007), S. 8 ff. Informationen zu diesem Wettbewerb unter: http://www.erfolgsfaktor-familie. de/default.asp?id=368. 188

III. § 622 II S. 2 BGB

235

AGG ausreichend. Weiterhin wird auch für andere familienfördernde Maßnahmen – wie etwa das Elterngeld – keine Diskriminierung von Älteren und Homosexuellen diskutiert (vgl. zu § 1 III KSchG S. 214 und S. 215).

3. Zwischenergebnis Das Vorhaben, die gesetzlich verlängerte Kündigungsfrist künftig neben der Betriebszugehörigkeit an den Kindesunterhaltspflichten des zu Kündigenden auszurichten, wird durch zahlreiche Argumente unterstützt: Die vorliegende Familiendiskriminierung (oben S. 134 ff.) könnte so durch eine familienfördernde Maßnahme ersetzt werden. Die Einbeziehung der Kindesunterhaltspflichten wäre praktikabel (oben S. 223 f.) und der Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 223) und den Wertungen des Art. 6 I GG (oben S. 224) sowie den arbeitsrechtlichen Regelungen (oben S. 226 f.) könnte so ebenso wie der Rechtsprechung zu § 622 BGB a. F. (oben S. 225 f.) entsprochen werden. Die Ausrichtung der verlängerten Kündigungsfristen an den Kindesunterhaltspflichten würde ferner durch die erforderliche Feststellung dieser nicht gegen das BDSG oder gegen Art. 2 I GG verstoßen (S. 224), sondern vielmehr den Verstoß des § 622 II S. 1 BGB gegen das AGG beenden (oben S. 234 f.) und das bereits seit dem 1.1.2008 neu geltende Unterhaltsrecht umsetzen (oben S. 224). Der Gesetzgeber würde sich weiterhin mit der Reform des § 622 II S. 1 BGB als Vorbild für die Betriebspartner und die Tarifvertragsparteien hinsichtlich eines familienfreundlichen Kündigungsrechts betätigen (oben S. 224) und diese Reform würde auch den Arbeitgeberinteressen entsprechen (oben S. 227 ff.). Hinzukommt, dass selbst bei Ablehnung der Einschätzung, dass Ältere auf Grund der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Arbeitsmarktlage nicht stärker als Jüngere im Kündigungsrecht zu schützen sind, zuzugeben ist, dass ein Abbau der (für den Arbeitgeber teuren) Schutzvorschriften für Ältere, deren (angebliche) Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nur verringern kann (oben S. 223).

III. § 622 II S. 2 BGB 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung Die Familiendiskriminierung durch § 622 II S. 2 BGB könnte mit der Aufhebung der Mindestaltersgrenze des § 622 II S. 2 BGB beendet werden. Jüngere Arbeitnehmer – darunter besonders viele Eltern – kämen früher in den Genuss von verlängerten Kündigungsfristen; Familien würden so mittel-

236

C. Lösungsmöglichkeiten

bar gefördert. § 622 II BGB würde unter Beachtung des Reformvorschlags zu § 622 II S. 1 BGB (oben S. 221 ff.) insgesamt wie folgt lauten: § 622 BGB: Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen (2) . . . 2Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. 2

Die Kündigungsfrist verlängert sich für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers um mindestens zwei Monate. 3Für S. 2 gilt § 23 I S. 2 bis S. 4 KSchG entsprechend. . . .

2. Unterstützende Argumente Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung würde die bestehende, mittelbare Familiendiskriminierung in § 622 II S. 2 BGB durch eine mittelbare Familienförderung ersetzt; mittelbar würde so dem Schutzauftrag des Art. 6 I GG nachgekommen (zu diesem bereits S. 204 f.). Auch das der Gesetzgeber mit Abschaffung des § 622 II S. 2 BGB als Vorbild für ein familienunterstützendes Arbeitsrecht agieren würde (zu dieser Vorbildfunktion schon zu § 1 III KSchG S. 208 ff.) spricht für die Gesetzesänderung; ebenso wie die Tatsache, dass so i. S. der Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 200 ff.) auf die mittlerweile fehlende besondere Schutzbedürftigkeit der Älteren (oben S. 70 ff.) reagiert würde. Diese notwendige Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel wurde schon für die Gesetzesreform 1969 zum Anlass genommen (oben S. 138 f.). Die Streichung des § 622 II S. 2 BGB ergibt sich auch aus der ausreichenden (mittelbaren) Berücksichtigung des Lebensalters über die Betriebszugehörigkeit, an welche die verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 II S. 1 BGB gebunden sind (vgl. zur Streichung des Lebensalters bei § 1 III KSchG S. 197). Weiterhin verstößt § 622 II S. 2 BGB mit der Benachteiligung der Jüngeren auf Grund des Alters gegen §§ 1, 2 I Nr. 2 AGG (S. 162 ff.),189 sodass auch die momentan fehlende AGG-Konformität für die familienpolitisch notwendige Aufhebung der Norm spricht – ebenso wie die Tatsache, dass eine dem § 622 II S. 2 BGB entsprechende Regelung in keinem anderen europäischen Arbeitsgesetz zu finden ist.190 MüKo/BGB/Thüsing5 (2007), Band1/2, § 10 AGG Rn. 27 m. w. N.; Hanau ZIP 2006, 2189, 2192; Schleusener NZA 2007, 358 ff.; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2586; Waltermann NZA 2005, 1265, 1269 f.; Reichold/Hahn/Heinrich NZA 2005, 1270, 1275; U. Preis NZA 2006, 401, 408 und 410; Löwisch FS für Schwerdtner (2003) S. 769, 771; Annuß BB 2006, 325, 326. 190 Wank (1992) S. 87. 189

III. § 622 II S. 2 BGB

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Außer diesen bereits im Rahmen des § 1 III KSchG und/oder des § 622 II S. 1 BGB erwähnten Argumenten sind noch folgende Teilaspekte und Überlegungen vertieft darzustellen: a) Arbeitgeberinteressen Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage müsste der Arbeitgeber jüngere Arbeitnehmer nach der Gesetzesreform bis zum Ablauf der Kündigungsfrist länger beschäftigen und finanzieren – meist ohne dafür eine (entlohnenswerte) Gegenleistung zu erhalten (oben bei § 1 III KSchG S. 223). Das dem Arbeitgeber dieser Nachteil verfassungsgemäß auferlegt werden darf, wurde bereits im Rahmen des § 622 II S. 1 BGB dargestellt (ab S. 227). Hinzukommt, dass es durch den Wegfall der Altersgrenze in § 622 II BGB praktisch nicht zu erheblich verlängerten Kündigungsfristen kommen wird – nur wenn der Arbeitnehmer schon vor seinem 25. Lebensjahr lange Zeit beim Arbeitgeber beschäftigt war. Daher ist an dieser Stelle auch keine Ausnahme von der Aufhebung des § 622 II S. 2 BGB für Kleinbetriebe vorzusehen (vgl. zur Ausnahme für diese im Rahmen des § 622 II S. 1 BGB oben S. 222 f.). Ferner ist zu verneinen, dass die kurze Kündigungsfrist für unter-27-Jährige zur Entlastung des Arbeitgebers eingeführt wurde und nun dieses Arbeitgeberinteresse einer Änderung des § 622 II S. 2 BGB entgegensteht. Denn zur Entlastung des Arbeitgebers wäre alternativ zur Einführung des S. 2 in § 622 II BGB etwa eine Verkürzung der Fristen für Ältere möglich gewesen (zum Schutzzweck des § 622 S. 2 BGB vgl. S. 96).191 b) Wertungen des Arbeitsrechts/ArbVG Zum einen ist der Schutz von Jüngeren – darunter besonders viele (potentielle) Eltern – über die Abschaffung des § 622 II S. 2 BGB im Sinne zahlreicher sonstiger familienfreundlicher Arbeitsrechtsregelungen (eine Aufzählung dieser oben S. 216); durch die Aufhebung des § 622 II S. 2 BGB käme es zu einer einheitlichen, widerspruchsfreien Wertung im deutschen Arbeitsrecht. Eine solche Vereinfachung des Arbeitsrechts wird seit Jahren auch mit einem alle bisherigen verschiedenen Arbeitsgesetze zusammenfassenden, leichter zu praktizierendem Arbeitsvertragsgesetzbuch (ArbVG) gefordert. Für ein solches ArbVG liegt ein Diskussionsentwurf vor,192 welcher eine 191

Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; Löwisch FS Schwerdtner (2003) S. 769,

771. 192 Diskussionsentwurf von Henssler und Preis, einzusehen unter www.arbvg.de oder NZA Beilage zu Heft 23/2006 S. 6 ff.

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C. Lösungsmöglichkeiten

dem § 622 II S. 2 BGB entsprechende Regelung nicht mehr vorsieht. Auch diesem Begehren des ArbVG würde mit der Aufhebung des § 622 II S. 2 BGB also entsprochen. Zum anderen wurde auch die Altersgrenze für die Anwendbarkeit des KSchG abgeschafft: Das Bundeskündigungsschutzgesetz in der Fassung vom 10.8. 1951193 verlangte ein Mindestalter von 20 Jahren (§ 1 I KSchG a. F.); 1969 wurde das Mindestalter durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.8.1969194 auf 18 Jahre reduziert und schließlich durch das Gesetz zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes vom 5.7.1976195 abgeschafft. Weiterhin verlor das Kriterium „Lebensalter“ für die Rechtsprechung im Rahmen der Sozialauswahl, welche denselben Schutzzweck wie § 622 II BGB verfolgt (s. oben S. 91 ff.), entsprechend den gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Verhältnisse an Bedeutung (vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung zu § 1 III KSchG S. 200 ff.); dem Alter kommt in der Sozialauswahl nicht mehr die entscheidende Rolle zu.196 Diese arbeitsrechtliche Wertung im Kündigungsrecht unterläuft aber § 622 II S. 2 BGB; dieser stagniert seit seinem Erlass.197 § 622 II S. 2 BGB passt mit der herausragenden Bedeutung des Lebensalters nicht mehr in das heutige System des Kündigungsrechts.198

3. Zwischenergebnis Nach Ablehnung aller Rechtfertigungsgründe für § 622 II S. 2 BGB und nach den vorgebrachten Argumenten für eine Abschaffung des § 622 II S. 2 BGB, ist der alleinige Zweck dieser Norm in der ungerechtfertigten Vorenthaltung des Bestandsschutzes für junge Arbeitnehmer zu sehen; dies ist kein AGG-konformes (oben S. 236), legitimes Ziel aus den Bereichen der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik.199 Die damit einhergehende 193

BGBl. I 1951, 499. BGBl. I 1969, 1106. 195 BGBl. I 1976, 1769. 196 Möhn BB 1995, 563; Rost ZIP 1982, 1396, 1397. 197 Zwar wurde die Altersgrenze von 35 Jahren in § 622 II S. 2 Hs. 2 BGB a. F. auf 25 Jahre gesenkt. Dies geschah jedoch nur, da das BVerfG die alte Altersgrenze im Vergleich zur Altersgrenze von 25 Jahren für Angestellte als verfassungswidrig erklärte: BVerfG 16.11.1982, 1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79, BVerfGE 62, 256 ff. 198 Staudinger/Preis14 (2002), Buch 2, § 622 BGB Rn. 8. 199 Hanau ZIP 2006, 2189, 2192; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 385 (Fn. 25); Löwisch FS Schwerdtner (2003) S. 769, 771; Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 247; Reichold/Hahn/Heinrich NZA 2005, 1270, 1275; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2586. 194

IV. §§ 1a II und 10 KSchG

239

Diskriminierung (potentieller) Eltern ist durch Aufhebung der Norm zu beenden, der Kündigungsschutz des § 622 II S. 1 BGB vielmehr im Sinne der Familienförderung auch auf die Personengruppe der unter-27-Jährigen zu erweitern. Hinzukommt, dass eine zweifache Berücksichtigung des Lebensalters in § 622 II BGB – unmittelbar in § 622 II S. 2 BGB und mittelbar über die Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB – unangemessen ist. Ferner würde die Streichung des § 622 II S. 2 BGB der Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 236), der abnehmenden Bewertung des Lebensalters im Arbeitsrecht (oben S. 238) sowie den Arbeitgeberinteressen (oben S. 237) entsprechen und der Arbeitgeber würde mit der Familienförderung durch die Gesetzesreform für die Tarifvertragsparteien und die Betriebspartner hinsichtlich des Kündigungsrechts als Vorbild agieren (oben S. 236).

IV. §§ 1a II und 10 KSchG 1. Vorschlag einer Gesetzesänderung Um die Familiendiskriminierung in §§ 1a und 10 KSchG (s. oben S. 167 ff.) durch eine Familienförderung zu ersetzen, ist die Anzahl („ jede“) der bestehenden (zur Irrelevanz der tatsächlichen Unterhaltsleistung S. 35 f.) gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten des gekündigten Arbeitnehmers als Kriterium für die Abfindungsberechnung in §§ 1a, 10 KSchG aufzunehmen (zur alleinigen Berücksichtigung der Anzahl der bestehenden gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten vgl. S. 110 ff. und S. 34 ff.).200 Zu denken ist an eine Mindesterhöhung der bisherigen Abfindungsberechnung um zwei Monatsgehälter pro gesetzlicher Kindesunterhaltspflicht. Die Mindestangabe soll den Wunsch des Gesetzgebers nach einer möglichst umfangreichen Berücksichtigung der Familienzugehörigkeit des Arbeitnehmers bei der Abfindungsberechnung verdeutlichen, dies aber über einen Mindestrahmen hinaus in den (finanziellen) Spielraum des Arbeitgebers stellen (zur Ausnahme von Kleinbetrieben zudem sogleich unten S. 240). Für „zwei“ Monatsgehälter spricht, dass die bisherige Wertschätzung des Kindes im Arbeitsrecht – ein Kind entspricht zwei Jahren Betriebszugehörigkeit (S. 65 f.) – mindestens zu verdoppeln ist: § 622 II S. 1 Nr. 1 BGB verlängert die Kündigungsfrist bei zwei Jahren Betriebszugehörigkeit um einen Monat, vier Jahre entsprechen also zwei Monaten. Ebenso verhält 200 Für eine ständige Einbeziehung der Unterhaltspflichten in die Abfindungsberechnungen auch DKK/Däubler11 (2008) § 112a Rn. 95.

240

C. Lösungsmöglichkeiten

es sich in § 1a II KSchG, wo das Arbeitsverhältnis mittels Abfindungszahlung bei einer einjährigen Betriebszugehörigkeit um 0,5 Monate fingiert wird; vier Jahre entsprechen auch nach diesem Maßstab zwei Monatsverdiensten. Die Abfindungsberechnung kann mit einer Formulierung wie „Jede gesetzliche bestehende Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers ist angemessen zu berücksichtigen“ nicht in den Ermessensspielraum der Praxis – kontrolliert durch die Rechtsprechung – gestellt werden. Denn die Abfindung nach § 1a KSchG muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Ausspruch der Kündigung derart anbieten, dass dieser das Abfindungsangebot durch ein bloßes „Ja“ annehmen kann. Zwar muss der Arbeitgeber in seinem Hinweis auf die mögliche Abfindung nicht die betragsmäßige Höhe dieser angeben;201 ein Hinweis auf die gesetzliche Abfindungshöhe nach § 1a II KSchG ist ausreichend.202 Fehlt es in § 1a II KSchG aber an einer transparenten Berechnungsgrundlage, sondern sind Kindesunterhaltspflichten nur „angemessen“ zu berücksichtigen, kann der Arbeitnehmer die Abfindungshöhe selbst nicht berechnen. Mangels Kenntnis über die exakte Abfindungshöhe kann er nicht abschließend darüber entscheiden, ob er gem. § 1a II KSchG gegen Zahlung einer Abfindung auf sein Klagerecht verzichten möchte. Die zwei Monatsverdienste pro Kind reichen als Berechnungsgrundlage hingegen aus. Aus Gründen der einheitlichen Abfindungsberechnung ist die konkrete Erhöhung um mindestens zwei Monatsgehälter auch in § 10 KSchG aufzunehmen, auch wenn hier der Arbeitsrichter nach § 10 KSchG (i. V. m. § 9 KSchG oder § 113 BetrVG) eine Abfindung unter angemessener Berücksichtigung der Kindesunterhaltspflichten festzusetzen vermag. Da eine für einen zweifachen Vater um vier Monatsgehälter erhöhte Abfindung einen kleinen Betrieb in Zahlungsschwierigkeiten bringen kann, ist auch von dieser familienfreundlichen Abfindungsberechnung für Betriebe mit weniger als zehn Arbeitnehmer eine Ausnahme zu machen (s. oben zu § 622 II S. 1 BGB S. 222 f.). Da § 1a II und § 10 KSchG nach § 23 I S. 2 KSchG jedoch ohnehin nicht für Kleinbetriebe greifen,203 ist dies in § 1a II und § 10 KSchG nicht ausdrücklich aufzunehmen. 201 BAG 19.6.2007 – 1 AZR 340/06 – AP KSchG 1969 § 1a Nr. 4; Bader NZA 2004, 65, 71; Raab RdA 2005, 1, 6; Thüsing/Wege JuS 2006, 97, 101; U. Preis DB 2004, 70, 72; APS/Ascheid/Hesse3 (2007) § 1a KSchG Rn. 6. 202 APS/Ascheid/Hesse3 (2007) § 1a KSchG Rn. 6; Willemsen/Annuß NJW 2004, 177, 182; ErfK/Oetker9 (2009) § 1a KSchG Rn. 11; MüKo/BGB/Hergenröder5 (2009), Band 4, § 1a KSchG Rn. 14. 203 Däubler NZA 2004, 177, 178; Rolfs ZIP 2004, 333, 334; MüKo/BGB/Hergenröder5 (2009), Band 4, § 1a KSchG Rn. 8; ErfK/Oetker9 (2009) § 1a KSchG Rn. 3.

IV. §§ 1a II und 10 KSchG

241

Zudem ist das Kriterium des Lebensalters in § 10 II KSchG zu streichen. Insgesamt ergibt sich für § 1a KSchG und § 10 KSchG folgender Wortlaut: § 1a KSchG Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung (2) 1Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses; für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers ist die Abfindung um mindestens zwei Monatsverdienste zu erhöhen. 2§ 10 Abs. 3 gilt entsprechend. 3Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden. § 10 KSchG Höhe der Abfindung (1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. (2) 1Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und Hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. 2

Für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers ist die Abfindung um mindestens zwei Monatsverdienste zu erhöhen.

2. Unterstützende Argumente Für die vorgeschlagene Gesetzesänderung sprechen neben dem Ersatz der Familiendiskriminierung durch eine Familienförderung weitere Argumente: So liegt der Gedanke, dass der Arbeitgeber einem Mitarbeiter früher als notwendig kündigt, um eine höhere Abfindung auf Grund des sonst erreichten höheren Alters und der längeren Beschäftigung zu vermeiden, nicht fern.204 Selbst bei Annahme einer erhöhten Schutzbedürftigkeit Älterer (dagegen oben ab S. 70) ist daher zu beachten, dass der existierende Schutz für die älteren Arbeitnehmer deren angebliche Schutzbedürftigkeit nur verstärkt. Es ist also im Sinne der älteren, länger Beschäftigten, ihre Vorteile im Rahmen der Abfindungsberechnung gegenüber jüngeren Kollegen zu verringern (zu § 1 III KSchG S. 207 f.). Die vorgeschlagene Änderung der §§ 1a, 10 KSchG bedeutet auch keinen Mehraufwand durch die Feststellung der Kindesunterhaltspflichten, da diese für jede Art der Kündigung ohnehin festzustellen sind (oben ab S. 223 f.). Außerdem verstößt diese Datenfeststellung nicht gegen das BDSG oder Art. 2 I GG (zu § 1 III KSchG S. 205 ff.). 204

Löwisch/Casper/Neumann (2003) S. 33.

242

C. Lösungsmöglichkeiten

Für die Einbeziehung der Unterhaltspflichten spricht neben Art. 6 I GG (zu § 1 III KSchG S. 204 f.), dass die Funktion des Arbeitsrechts eine Reaktion des Abfindungsrechts auf den gesellschaftlichen Wandel erfordert (zu § 1 III KSchG S. 200 ff.). § 1609 Nr. 1 und § 1603 II BGB bestätigen die alleinige Berücksichtigung der Kindesunterhaltspflichten; diese gehen nach der Unterhaltsrechtsreform zum 1.1.2008 den ehelichen Unterhaltspflichten vor (dazu oben bei § 1 III KSchG S. 215 f.). Mit einer Reform der §§ 1a und 10 KSchG könnte der Gesetzgeber weiterhin als familienfreundliches Vorbild auch die tarifliche (Rationalisierungsschutzabkommen und tarifliche Sozialpläne) sowie die betriebliche (Sozialpläne nach § 112 BetrVG) Abfindungspolitik beeinflussen (vgl. oben zu § 1 III KSchG S. 208 ff.). Außer diesen bereits im Rahmen des § 1 III KSchG und/oder des § 622 II BGB erwähnten Argumenten sind noch folgende Teilaspekte und Überlegungen vertieft darzustellen: a) Ungerechtfertigte dreifache Berücksichtigung des Lebensalters Die Streichung des Lebensalters aus § 10 II KSchG ergibt sich zum einen aus der ausreichenden (mittelbaren) Berücksichtigung dieses Kriteriums über die Betriebszugehörigkeit (vgl. S. 197). Zum anderen sind nach Alter und Betriebszugehörigkeit gestaffelte Tariflöhne üblich,205 sodass auch der für die Abfindungsberechnung relevante Bruttomonatsverdienst mittelbar auf dem Kriterium Lebensalter beruht. Hinzukommen können in den Monatsverdienst einberechnete, geleistete Treue-Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter206 – ebenfalls orientiert an der Betriebszugehörigkeit, d.h. mittelbar am Alter angelehnt. Lediglich bei Sonderzahlungen mit Gratifikationscharakter (etwa Weihnachts- oder Urlaubsgeld und Jubiläumsgeschenke) ist umstritten, ob diese für die Festsetzung des abzugeltenden Monatsverdienstes im Rahmen der §§ 1a und 10 KSchG einzubeziehen sind.207 205 Etwa § 16 IV TVöD: „Die Beschäftigen erreichen die jeweils nächste Stufe [. . .] nach folgenden Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit innerhalb derselben Entgeltgruppe bei ihrem Arbeitgeber: Stufe 2 nach einem Jahr in Stufe 1, Stufe 3 nach zwei Jahren in Stufe 2, Stufe 4 nach drei Jahren in Stufe 3, Stufe 5 nach vier Jahren in Stufe 4 und Stufe 6 nach fünf Jahren in Stufe 5 [. . .].“ 206 APS/Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 16 und 18. 207 Dagegen: v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 (2007) § 10 Rn. 16.; APS/ Biebl2 (2004) § 10 KSchG Rn. 16; Stahlhacke/Preis/Vossen9 (2005) Rn. 2018; KR/ Spilger8 (2007) § 10 KSchG Rn. 33; Brill DB 1981, 2326, 2331; dafür: Löwisch/ Spinner9 (2004) § 10 Rn. 3; ErfK/Kiel9 (2009) § 10 KSchG Rn. 3; Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 403 m. w. N. für beide Ansichten.

IV. §§ 1a II und 10 KSchG

243

Ferner verlangt auch der Abfindungszweck – den Arbeitnehmer für den Verlust der zukünftigen Entgelterwerbsmöglichkeit zu entschädigen (oben ab S. 171) – nur eine Bemessung der Abfindung an dem bislang erhaltenen Monatsentgelt; für dieses soll überbrückend ein Ausgleich gewährt werden. Eine dreifache Berücksichtigung des Alters ist keinesfalls vertretbar. Das Kriterium des Lebensalters ist aus § 10 II KSchG zu streichen. 208 b) Arbeitgeberinteressen Eine höhere Abfindungsleistung würde den Arbeitgeber finanziell belasten. Diese Auferlegung von Kosten der Familienförderung in §§ 1a II, 10 KSchG ist jedoch verfassungsgemäß (oben ab S. 227). Vor allem ist zu beachten, dass eine Abfindung nach §§ 1a oder 10 KSchG nach § 23 I S. 2 KSchG ohnehin nur in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern in Betracht kommt und die Zahlung einer Abfindung in den Fällen des § 1a KSchG (§ 1a I S. 2 KSchG) und des § 9 I S. 2 KSchG ohnehin freiwillig erfolgt – unabhängig davon, dass die Reform der §§ 1a, 10 KSchG auch die Faustformel für die sonstige praktische Abfindungsberechnung beeinflussen soll. Zudem ist zu beachten, dass die Preisträger des Wettbewerbs „Erfolgsfaktor Familie 2008“209 der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zustimmen bzw. deren Gegenargumente und Bedenken entkräftet werden können (vgl. S. 255 ff.). c) AGG-Konformität Die vorgeschlagene Gesetzesänderung würde zudem den AGG-Verstoß der §§ 1a und 10 KSchG (§§ 7 II, I, 2 I Nr. 2, 1 AGG) aus dem Weg räumen (vgl. S. 184 ff.). Mit der Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in die Abfindungsberechnung nach §§ 1a, 10 KSchG liegt wiederum keine ungerechtfertigte mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (s. S. 212 f.), auf Grund des Alters210 (s. S. 213 f.) und auch nicht auf 208

Kaiser FS Konzen (2006) S. 381, 403. http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=368. 210 DKK/Däubler11 (2008) § 112a Rn. 49h; zudem stellt auch der Vorschlag der Kürzung der Abfindung von Älteren ab einem gewissen Höchstbetrag zu Gunsten von Jüngeren nach der Rechtsprechung keine mittelbare Diskriminierung der Älteren dar: BAG 2.10.2007 – 1 AZN 793/07 – DB 2008, 69 [unter Gründe I 2 a: kein Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 I, II, Art. 6 RL 2000/78/EG]; 19.10.1999 – 1 AZR 838/98 – AP Nr. 135 zu § 112 BetrVG 1972 [unter Gründe I 1]; 23.8.1988 – 1 209

244

C. Lösungsmöglichkeiten

Grund der sexuellen Identität vor (s. S. 214 f.);211 eine Diskriminierung von Älteren und Homosexuellen wird auch für bislang bestehende familienfördernde Maßnahmen – wie etwa das Kindergeld – nicht erwähnt.212 Relevant ist zudem, dass die Abfindungsprivilegierung der Älteren nicht beendet wird, das Kriterium der Betriebszugehörigkeit wird weiterhin große Bedeutung haben – lediglich das Kriterium des Lebensalters wird gestrichen. Weiterhin wären mittelbare Benachteiligungen auf Grund der gesellschaftlich dringend erforderlichen Familienförderung ohnehin gerechtfertigt (S. 213). d) Wertungen des Arbeitsrechts/ArbVG Die Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in §§ 1a II und 10 KSchG würde zum einen den sonstigen familienfreundlichen Wertungen des Arbeitsrechts entsprechen (zu deren Aufzählung bereits oben S. 216); vor allem die Wertung des § 1 III KSchG ist zu beachten: Nach § 1 III KSchG sind die Unterhaltspflichten im Rahmen der Sozialauswahl zu beachten und diese dient ebenso dem Arbeitnehmerschutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wie §§ 1a II, 10 KSchG (zum gleichlaufenden Schutzzweck oben S. 91 ff.), sodass die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten auf §§ 1a, 10 KSchG zu übertragen ist. Zum anderen würde mit der Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in §§ 1a II, 10 KSchG eine widerspruchsfreie, einheitliche Wertung des deutschen Arbeitsrechts pro Familie entstehen; bereits seit Jahren wird dies auch mit dem Ruf nach einem neuen Arbeitsvertragsgesetz gefordert, welches alle bisherigen Arbeitsgesetze vereinheitlichen und damit das Arbeitsrecht praktikabler machen soll. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Diskussionsentwurf eines neuen ArbVG213 in § 120 die Abfindungsberechnung wie folgt regelt: § 120 ArbVG (Höhe der Abfindung) (1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu 18 Monatsentgelten festzusetzen. In begründeten Ausnahmefällen kann die Obergrenze des Satzes 1 überschritten werden.

AZR 284787 – AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG [unter Gründe III 3 a]; eine Diskriminierung ablehnend auch Plagemann Anm. zu BAG 23.8.1988 – 1 AZR 284787 – EwiR 1989, 229, 230. 211 DKK/Däubler11 (2008) § 112a Rn. 49h. 212 Brosius-Gersdorf JZ 2007, 326, 336. 213 Von Henssler und U. Preis zur Diskussion gestellt; aktueller Diskussionsstand einsehbar unter www.arbvg.de oder NZA Beilage zu Heft 23/2006 S. 6 ff.

IV. §§ 1a II und 10 KSchG

245

(2) Als Monatsentgelt ist anzusetzen, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, an Geld und Sachbezügen zusteht. (3) Vergleichbare Leistungen aus einem Sozialplan und Nachteilsausgleichsansprüche sind auf die Abfindung anzurechnen.

Eine Anknüpfung der Abfindungshöhe an Lebensalter und Betriebszugehörigkeit fehlt in § 120 ArbVG; die Abfindungshöhe bis zu 18 Monatsentgelten steht nach dem Entwurf vielmehr im absolut freien Ermessen. Begründet wird dies mit der Europarechtswidrigkeit der bislang erfolgten Anknüpfung der Abfindungshöhe an das Lebensalter (RL 2000/78/EG; zur AGG-Konformität der §§ 1a II, 10 KSchG s. oben S. 184 ff.). Die Anhebung der Obergrenze auf 18 Monatsentgelte erweitere den Handlungsspielraum der Arbeitsgerichtsbarkeit und genüge, um auch bei längeren Beschäftigungsverhältnissen hinreichende Abfindungsbeträge erzielen zu können.214 Die Abwertung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit durch die Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in die gesetzlich normierte Abfindungsberechnung entspräche dieser Wertung des ArbVG.

3. Zwischenergebnis Für den Gesetzesvorschlag, die Kindesunterhaltspflichten als Abfindungsbemessungsfaktor in § 1a KSchG und in § 10 KSchG – und damit in den gesamten Usus der Abfindungsberechnung – aufzunehmen sprechen gute Gründe: Die Familiendiskriminierung in §§ 1a und 10 KSchG würde beendet, ebenso wie die AGG-Widrigkeit (oben S. 184 ff.), und durch eine familienfördernde Maßnahme ersetzt. Ferner ist unverständlich, warum das Lebensalter unmittelbar und mittelbar über die Betriebszugehörigkeit sowie den Monatsverdienst für die Abfindungshöhe berücksichtigt werden soll (oben S. 242 f.). Eine Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in §§ 1a, 10 KSchG entspräche auch der Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 200 ff.), den sonstigen arbeitsrechtlichen Wertungen – vor allem § 1 III KSchG (oben S. 244) – und Art. 6 I GG (oben S. 204 f.) sowie den Wertungen der Unterhaltsrechtsreform aus dem Jahre 2008 (oben S. 215 f.) und den Arbeitgeberinteressen (oben S. 243). Gleichzeitig würde der Gesetzgeber mit einer Reform der §§ 1a, 10 KSchG als Vorbild für die Betriebspartner und die Tarifvertragspartner hinsichtlich familienfreundlicher Abfindungsberechnungen agieren (oben S. 208 ff.). Die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten ist zudem praktikabel (oben S. 196 f.) und die erforderliche Fest214

Entwurfsbegründung unter www.arbvg.de.

246

C. Lösungsmöglichkeiten

stellung der Unterhaltspflichten der Eltern verstößt auch weder gegen das BDSG noch gegen Art. 2 I GG (oben S. 205 ff.). Hinzu kommt, dass selbst bei Ablehnung der Einschätzung, dass Ältere auf Grund der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Arbeitsmarktlage nicht stärker als Jüngere bei der Abfindungsberechnung zu privilegieren sind, zuzugeben ist, dass ein Abbau der (für den Arbeitgeber teuren) Schutzvorschriften für Ältere, deren (angebliche) Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nur verringern kann (oben S. 207 f.).

D. Endergebnis Die wissenschaftliche Diskussion im deutschen Arbeitsrecht konzentriert sich auf Diskriminierungen wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderungen, Alter und sexuelle Identität).1 Sie übersieht das Problem der Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen ihrer familiären Bindungen. Vielmehr scheint es, als würde die Schutzwürdigkeit der mehrheitlich heterosexuellen Eltern zu Gunsten verschiedener Minderheiten aus dem Focus gedrängt.2 Dabei spielt die Familie angesichts der Überalterung der Gesellschaft in der gesellschaftspolitischen Diskussion gegenwärtig eine besondere Rolle: Die sich zuspitzende demografische Entwicklung in Deutschland verlangt durch ihre wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen (ausführlich ab S. 17) eine schnellstmögliche Erhöhung der Geburtenrate. Dabei fehlt es nicht am Kinderwunsch der Deutschen, sondern dieser wird auf Grund der finanziell unsicheren Zukunft – vor allem aus Angst vor dem Verlust der Erwerbstätigkeit – nicht oder nur hinsichtlich einer kleineren Kinderanzahl als gewünscht umgesetzt: 60% der kinderlosen Arbeitnehmer in einer Partnerschaft und 57% der befragten Eltern nennen als Hauptgrund für den Verzicht auf ein (weiteres) Kind die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz oder den des Partners (Abb. 3 S. 23). Die vorliegende Arbeit untersucht, ob diesem Sicherheitsbedürfnis der Eltern und der Jüngeren, denen eine Familiengründung biologisch noch möglich ist (potentielle Eltern), mit einem besonderen Schutz ihrer Erwerbstätigkeit entsprochen wird. Oder benachteiligen die Kündigungs- und Abfindungsregeln (§ 1 III KSchG, § 622 II S. 1 und S. 2 BGB sowie 1

Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Vergleich des Antidiskriminierungsrechts von 25 EU-Mitgliedsstaaten: Cormack/Bell (2005) S. 20. 2 So etwa der Fall, in dem ein Unternehmen von seinem (vorgeblich) homosexuellen Betriebsratsvorsitzenden zum Verzicht auf die geplante Errichtung eines Betriebskindergartens gebracht wurde: Auf Grund meist kinderloser homosexueller Paare hatte der Betriebsratsvorsitzende in einer solchen Einrichtung mit kostenfreien Plätzen für Kinder der Betriebsangehörigen eine mittelbare Entgeltdiskriminierung Homosexueller gesehen und für diese anstelle der Kindergartennutzung eine Ausgleichszahlung beansprucht. Um diese zu umgehen und aus dem Unverständnis, sich für sein soziales Engagement rechtfertigen zu müssen, wurde die beabsichtigte Kinderbetreuungseinrichtung vom Arbeitgeber nicht errichtet. (Rieble BB 2006, Heft 30, Die erste Seite; Benecke [2007] S. 61, 73.)

248

D. Endergebnis

§§ 1a II, 10 KSchG) Arbeitnehmer mit Familie? Kann die Geburtenrate ggf. über einen verbesserten Schutz der Familie bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesteigert werden?

I. § 1 III KSchG Eine Auswertung der Rechtsprechung der letzten 25 Jahre ergibt, dass ein Kind mit meist vier Punkten für die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen des § 1 III KSchG ebenso viel zählt wie zwei Beschäftigungsjahre (zwei Punkte) – mit den Beschäftigungsjahren steigt gleichzeitig das Lebensalter um zwei Jahre (nochmals zwei Punkte) (zu dieser Benachteiligung oben S. 66 ff.). Die Argumente für diese vorrangige Bedeutung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter gegenüber den Unterhaltspflichten und für die damit einhergehende (un)mittelbare Benachteiligung von (potentiellen) Eltern überzeugen nicht: – Der Normzweck, dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zu sichern, der am stärksten auf ihn angewiesen ist, gebietet es nicht mehr, ältere, betriebstreue Arbeitnehmer in der Sozialauswahl zu privilegieren. Der jüngere Arbeitnehmer ist dem Arbeitslosigkeitsrisiko heute ebenso ausgeliefert, wie der ältere Arbeitnehmer (oben S. 68 ff.). – Auch die Gesetzesbegründung der Sozialauswahl (zu § 13 S. 2 DemVO v. 12.2.1920) kann die Privilegierung der Älteren und der Betriebstreuen nicht mehr rechtfertigen (oben S. 80). – Weder § 10 AGG (S. 84 ff.), § 5 AGG (S. 87 ff.) noch die gesetzgeberischen Wertungen in § 1 I KSchG, § 622 II BGB oder §§ 1a II, 10 KSchG (oben S. 89 ff.) begründen die Benachteiligung von Familien. – Auch eine Rechtfertigung durch tarifliche Regelungen scheidet aus: Diese können nicht zur Legitimation staatlicher Gesetze herangezogen werden (oben S. 126 ff.). – Die Betriebszugehörigkeit stellt kein schützenswertes Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB dar (S. 100 ff.) und ist daher gegenüber Kindesunterhaltspflichten nicht vorrangig zu schützen. – Wegen § 613 BGB ist auch der Ursprung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis unbedeutend (oben S. 102 ff.). – Ebenso rechtfertigt der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis keine Familienbenachteiligungen (oben S. 123).

I. § 1 III KSchG

249

– Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers wächst nicht mit der Betriebszugehörigkeitsdauer; hieraus ergibt sich keine besondere Bedeutung der Betriebszugehörigkeit (S. 124 ff.). – Da jüngere (potentielle) Eltern nicht zwingend in die Privilegierung älterer, betriebstreuer Arbeitnehmer nachrücken, fehlt es an einer rechtfertigenden Generationengerechtigkeit (oben S. 99 f.). – Die Feststellung der Anzahl der bestehenden, gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten (oben S. 108 ff.) ist ebenso praktikabel wie dieselbe von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit. Die Familie wird in der Praxis bei der Ausübung des Ermessensspielraums der Sozialauswahl ungerechtfertigt benachteiligt. Diese Familiendiskriminierung gilt es durch eine Gesetzesänderung zu beseitigen und angesichts der demografischen Entwicklung der deutschen Bevölkerung durch eine familienfördernde Maßnahme zu ersetzen (zum Gesetzesreformvorschlag ausführlich oben S. 195 ff.). Die Regelung des § 1 III KSchG ist wie folgt umzugestalten (Änderungen des bisherigen Gesetzeswortlauts sind kursivgedruckt; entsprechende Streichungen sind kenntlich gemacht): § 1 KSchG: Sozial ungerechtfertigte Kündigungen (3) 1Ist ein Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Schwerbehinderung und die Unterhaltspflichten – insbesondere die Anzahl der bestehenden gesetzlichen Kindesunterhaltspflichten des Arbeitnehmers – nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; . . .

Für diese Gesetzesänderung sprechen weitere Argumente: – Das Arbeitsrecht weist seit jeher eine enge Verbindung zum Arbeitsmarkt und zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf, sodass auch die Funktion des Arbeitsrechts die vorgeschlagene Gesetzesänderung als Reaktion auf die demografische Entwicklung verlangt (oben S. 200 ff.). – Die bestehende Regelung des § 1 III KSchG verstößt gegen §§ 1, 2 I Nr. 1 AGG. Die vorgeschlagene Fassung des § 1 III KSchG ist hingegen AGG-konform (oben S. 211 ff.). – Die Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten in der Sozialauswahl entspricht den Wertungen des Art. 6 I GG (oben S. 204 f.) und der Unterhaltsrechtsreform zum 1.1.2008 (oben S. 215 f.). – Auch das sonstige Arbeitsrecht (etwa §§ 1, 2, 15 IV BEEG, §§ 275 III BGB i. V. m. § 616 S. 1 BGB, § 80 I Nr. 2b BetrVG) schützt die Familie (oben S. 216).

250

D. Endergebnis

– Wortlaut (oben S. 197 ff.) und Systematik des § 1 III KSchG (oben S. 200) sprechen für eine Aufwertung der Kindesunterhaltspflichten. – Der Gesetzesvorschlag verletzt weder das BDSG noch Art. 2 I GG (oben S. 205 ff.). – Das Lebensalter ist in § 1 III KSchG nicht unangemessen zweifach (unmittelbar sowie mittelbar über die Betriebszugehörigkeit) zu berücksichtigen und daher aus dem Gesetzeswortlaut zu streichen (oben S. 197). – Die Gesetzesänderung steht im Interesse der Arbeitgeber (oben S. 217 ff.). – Der Gesetzgeber würde mit der Reform als Vorbild für Betriebspartner und Tarifvertragsparteien agieren (oben S. 208 ff.), die über die Vereinbarung von familienfreundlichen Punkteschemata (§ 1 IV KSchG) zu einem familienfördernden Arbeitsrecht beitragen können. – Wird weiterhin an der pauschal höheren Schutzbedürftigkeit Älterer festgehalten (anders oben S. 70 ff.), ist zuzugeben, dass der vorhandene Schutz für Ältere (längere Kündigungsfristen, vorrangiger Schutz bei der Sozialauswahl, mehr Urlaubstage, Verdienstsicherungen etc.) für viele Unternehmer der (kostenintensive) Grund ist, keine älteren Arbeitnehmer einzustellen, bzw. diese vor Erreichen einer bestimmten Altersgrenze zu entlassen. Ein Abbau der Schutzvorschriften für Ältere würde deren (angeblich schwierige) Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtern (oben S. 207 f.).

II. § 622 II S. 1 und S. 2 BGB Jüngere Beschäftigte werden durch an die Betriebszughörigkeit gekoppelte Kündigungsfristen mittelbar benachteiligt (§ 622 II S. 1 BGB) und § 622 II S. 2 BGB beschränkt verlängerte Kündigungsfristen im Zusammenspiel mit § 622 II S. 1 BGB auf Arbeitnehmer über 27 Jahre. Dabei fallen vor allem (potentielle) Eltern in die Gruppe der Jüngeren (zur Benachteiligung oben S. 134 f.). Auch diese Familienbenachteiligung ist nicht gerechtfertigt: – Der Normzweck der sozialen Abfederung der Kündigung deckt die Ungleichbehandlung nicht. Familien sind auf diese stärker als Ältere ohne Kindesunterhaltspflichten angewiesen (oben ab S. 136 ff. und S. 157). – Die Gesetzesbegründung der höchsten Schutzbedürftigkeit von Älteren (§ 622 II S. 1 BGB) und der gewünschten Wanderschaft für Jüngere (§ 622 II S. 2 BGB) kann auf Grund der heutigen Arbeitsmarktlage nicht mehr zur Rechtfertigung herangezogen werden (oben ab S. 138 und ab S. 157). – Weder § 10 oder § 5 AGG (oben ab S. 153 f. und 162 ff.) noch Wertungen anderer arbeitnehmerschützender Gesetze (§§ 1a II, 10 KSchG für

II. § 622 II S. 1 und S. 2 BGB

251

§ 622 II S. 1 BGB oben ab S. 139 und §§ 1 III, 1 a II, 10 KSchG für § 622 II S. 2 BGB ab S. 161) rechtfertigen die Ungleichbehandlung. – Auch der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis rechtfertigt die mittelbare Familienbenachteiligung nicht (oben ab S. 141 und S. 157). – Auf Grund des § 613 BGB ist es unbedeutend, dass die Kindesunterhaltspflichten ihren Ursprung nicht im Arbeitsverhältnis haben (S. 136) und die Feststellung der bestehenden gesetzlichen Anzahl der Kindesunterhaltspflichten ist ebenso praktikabel wie die Feststellung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter (S. 136 und S. 157). Hieraus erfolgt keine gerechtfertigte alleinige Anknüpfung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit – Die Betriebszugehörigkeit ist kein besonders schützenswertes Rechtsgut i. S. d. § 823 I BGB (S. 135 f. und vgl. S. 157). – Kollektivrechtliche Vereinbarungen können nicht zur Legitimation des § 622 II S. 1und S. 2 BGB herangezogen werden (S. 155 und S. 164 ff.). – Die hohe Bedeutung der Betriebszugehörigkeit ergibt sich auch nicht aus einer mit der Beschäftigungsdauer steigenden Fürsorgepflicht (S. 136 und vgl. S. 157). – Familien rücken nicht zwingend in die Privilegierung des § 622 II S. 1 und S. 2 BGB nach, sodass es an einer rechtfertigenden Generationengerechtigkeit fehlt (S. 136 und S. 166). § 622 II BGB ist unter dem Aspekt der Familienförderung wie folgt zu ändern (ab S. 221 und ab S. 235): 622 BGB: Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen (2) 2Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. Die Kündigungsfrist verlängert sich für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers um mindestens zwei Monate. 3Für S. 2 gilt § 23 I S. 2 bis S. 4 KSchG entsprechend. . . .

Für diese Gesetzesänderung sprechen folgende Gründe: – Die Gesetzesänderung entspricht der Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 223 und S. 236) und den Wertungen des Art. 6 I GG (oben S. 224 und S. 236). – Die Gesetzesänderung in § 622 II S. 1 BGB setzt das seit dem 1.1.2008 geltende Unterhaltsrecht um (oben S. 224). – Eine zweifache Berücksichtigung des Lebensalters in § 622 II BGB (unmittelbar in § 622 II S. 2 BGB und mittelbar über die Betriebszugehörigkeit in § 622 II S. 1 BGB) ist unangemessen (oben S. 236).

252

D. Endergebnis

– Das sonstige Kündigungsschutzrecht kennt keine Altersgrenze wie in § 622 II S. 2 BGB mehr; die Bedeutung des Lebensalters hat sich verringert (oben S. 238). – Neben weiteren arbeitsrechtlichen Regelungen (etwa §§ 1, 2, 15 IV BEEG, § 275 III BGB i. V. m. § 616 S. 1 BGB, § 80 I Nr. 2b BetrVG) verlangt auch § 1 III KSchG, für den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers dessen Kindesunterhaltspflichten zu berücksichtigen (S. 226 f. und 237). – Die bisherige AGG-widrige Gesetzeslage wird durch die AGG-konforme Gesetzesänderung beendet (oben S. 234 f. und S. 236). – Die Gesetzesänderung verstößt nicht gegen das BDSG oder gegen Art. 2 I GG (S. 224). – Auch die Rechtsprechung zu § 622 II BGB a. F. (oben S. 225 ff.) fordert die Gesetzesänderung. – Die vorgeschlagene Reform des § 622 II BGB entspricht den Arbeitgeberinteressen (oben S. 227 ff. und S. 237). – Der Gesetzgeber agiert mit der Reform des § 622 II BGB gegenüber den Betriebspartnern und den Tarifvertragsparteien als Vorbild für ein familienfreundliches Kündigungsrecht über § 622 IV BGB oder § 622 V BGB (oben S. 224 und S. 236). – Selbst bei Festhalten an der Ansicht, dass Ältere weiterhin am schutzbedürftigsten sind, ist zuzugeben, dass ein Abbau des für den Arbeitgeber teuren Senioritätsschutzes, die (angeblichen) Probleme der Älteren bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nur verringern kann (oben S. 223).

III. §§ 1a II, 10 KSchG Neben die unmittelbare Benachteiligung von jüngeren (potentiellen) Eltern über das Lebensalter und die mittelbare Benachteiligung über die Betriebszugehörigkeit, tritt im Abfindungsrecht die mittelbare Diskriminierung auf Grund des Verdienstmerkmals (vgl. § 10 oder § 1 a II KSchG). Denn praxisüblich sind Gehaltsstaffelungen auf Grund der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters (s. oben S. 167 ff.). Diese Familienbenachteiligung in der gesetzlichen Abfindungsberechnung kann nicht gerechtfertigt werden: – Die Überbrückungs- sowie die Befriedungsfunktion der Abfindung rechtfertigen die Benachteiligung nicht (oben S. 172 ff. und S. 178 f.). – Ebenso können weder § 10 AGG oder § 5 AGG (oben S. 184 ff.) noch kollektivrechtliche (oben S. 188 ff.) oder anderweitige gesetzgeberische

III. §§ 1a II, 10 KSchG

253

Wertungen (§ 622 II BGB, § 1 III KSchG) zur Rechtfertigung herangezogen werden (S. 187 f.). – Jüngere rücken auch nicht zwingend in die günstigeren Abfindungsberechnungen nach, sodass es an einer rechtfertigenden Generationengerechtigkeit fehlt (oben S. 192). – Die Betriebszugehörigkeit ist kein Rechtsgut i. S. des § 823 I BGB (oben S. 184). – Der Ursprung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis ist nicht ausschlaggebend; § 613a BGB (oben S. 171). – Ältere und Betriebstreue sind nicht auf Grund des Charakters des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis besonders zu belohnen oder zu entschädigen (oben S. 182 ff.). – Eine mit der Betriebszugehörigkeit steigende Fürsorgepflicht rechtfertigt keine höhere Abfindung für Betriebstreue (oben S. 171). – Die Feststellung der bestehenden gesetzlichen Anzahl der Kindesunterhaltspflichten ist ebenso praktikabel wie die Feststellung der Betriebszugehörigkeit (S. 171). Maß nehmend an den Wertungen der §§ 1a II, 10 KSchG durchzieht das gesamte Abfindungsrecht, d.h. auch sämtliche vertragliche Abfindungsberechnungen, eine Familiendiskriminierung (zur Praxisrelevanz der §§ 1a II, 10 KSchG oben S. 169 f.). Die Regelungen der §§ 1a II, 10 KSchG sind familienfreundlich zu reformieren (S. 239 ff.): § 1a KSchG: Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung (2) 1Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses; für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers ist die Abfindung um mindestens zwei Monatsverdienste zu erhöhen. 2§ 10 Abs. 3 gilt entsprechend. 3Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden. § 10 KSchG: Höhe der Abfindung (1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. (2) 1Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. 2

Für jede bestehende gesetzliche Kindesunterhaltspflicht des Arbeitnehmers ist die Abfindung um mindestens zwei Monatsverdienste zu erhöhen.

254

D. Endergebnis

Für diesen Gesetzesvorschlag sprechen weitere Gründe: – Eine Aufnahme der Kindesunterhaltspflichten in §§ 1a, 10 KSchG entspricht der Funktion des Arbeitsrechts (oben S. 242), den sonstigen arbeitsrechtlichen Wertungen (vor allem § 1 III KSchG; oben S. 244) sowie Art. 6 I GG (oben S. 242). – Die Wertungen der Unterhaltsrechtsreform aus dem Jahre 2008 werden beachtet (oben S. 242). – Die AGG-widrigen Regelungen §§ 1a II, 10 KSchG werden durch AGGkonforme Neuregelungen ersetzt (oben S. 243 f.). – Das Lebensalter wird nicht mehr unverhältnismäßig dreifach (unmittelbar sowie mittelbar über Betriebszugehörigkeit und Gehaltsstaffelung) in der gesetzlichen Abfindungsberechnung berücksichtigt (oben S. 242 f.). – Die erforderliche Feststellung der Kindesunterhaltspflichten verstößt weder gegen das BDSG noch gegen Art. 2 I GG (oben S. 241). – Der Gesetzesänderungsvorschlag entspricht den Arbeitgeberinteressen (oben S. 243). – Der Gesetzgeber agiert mit einer Reform der §§ 1a, 10 KSchG gegenüber den Betriebspartnern und den Tarifvertragspartnern als Vorbild für eine familienfreundliche Abfindungsberechnung im Rahmen des § 10 KSchG und der §§ 112, 113 BetrVG (oben S. 242). – Selbst bei einem Festhalten an der Ansicht, dass Ältere am schutzbedürftigsten sind, ist zuzugeben, dass ein Abbau der (für den Arbeitgeber teuren) Schutzvorschriften für Ältere, deren (angebliche) Probleme bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nur verringern kann (oben S. 241). Die Durchführung der vorgeschlagenen Gesetzesreformen wäre ein klares Signal für die Bereitschaft des Staates, die wirtschaftliche Existenz von Familien stärker zu schützen und könnte so zu einer Steigerung der Geburtenrate beitragen.3 Keinesfalls dürfen die bisherigen Familiendiskriminierungen im Arbeitsrecht in der Weise aufrecht erhalten werden, dass die überragende Bedeutung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig im Rahmen der verlängerten Kündigungsfristen des § 622 II BGB und bei §§ 1a II, 10 KSchG und in § 1 III KSchG sowie in den meisten Betriebsvereinbarungen und den meisten Tarifverträgen zu finden ist.4 An so manchen bislang gefestigten arbeitsrechtlichen Grundsätzen kann nicht mehr festgehalten werden. 3 4

Kopke ZPR 2009, 41, 43. Kopke NJW 2006, 1040, 1042; ders. ZRP 2009, 41, 42.

Anhang I. Befragung der Preisträger „Erfolgsfaktor Familie“ 2008 Um einen Eindruck von der Akzeptanz der Gesetzesreformvorschläge zu erhalten und um zu überprüfen, ob die Bedenken und Argumente der Arbeitgeber hinsichtlich der Verbesserung des Kündigungsschutzes und des Abfindungsrechts für Familien in der vorliegenden Arbeit ausreichend berücksichtigt wurden, sind die drei Preisträger des staatlichen Projekts „Erfolgsfaktor Familie“ aus dem Jahr 20081 zu den Gesetzesreformvorschlägen befragt worden: • Fraport AG (Frankfurt a. M.; ca. 20.000 Mitarbeiter (2008); Transport- und Logistikunternehmen; www.fraport.de); Gesamtsieger in der Kategorie Großunternehmen. • Bau Fritz GmbH&Co.KG (Erkheim/Allgäu; ca. 240 Mitarbeiter (2008); Produktion von Holzhäusern; www.bau-fritz.de); Gesamtsieger in der Kategorie mittlere Unternehmen. • Promeos GmbH (Erlangen; ca. 35 Mitarbeiter (2008); Herstellung von Verbrennungssystemen; www.promeos.com); Gesamtsieger in der Kategorie Kleinunternehmen. Als Preisträger des Wettbewerbs „Erfolgsfaktor Familie“ betreiben diese Unternehmen bereits eine familienfreundliche Politik. Die Betriebsleitungen haben sich mit den Vor- und Nachteilen einer solchen Politik auseinandergesetzt und können daher bisherige Erfahrungen mit dieser einbringen. Die Interviews wurden telefonisch durchgeführt, nachdem den Gesprächspartnern zum Einblick in die Thematik zuvor der vorformulierte Fragebogen zur Verfügung gestellt worden war. Im Interview wurden die Fragen dieses Fragebogens wortwörtlich gestellt (s. sogleich unten) und die Antworten der Interviewpartner sinngemäß sofort notiert (s. unten in kursivem Druck):

1. Fraport AG Das Telefoninterview fand am 26.6.2008 ab 15:45 Uhr statt und wurde mit Herrn Frank Benner, Leiter Tarifpolitik, Reporting, Betreuung Leitende & AT der Fraport AG, geführt. Bei dem abgedruckten Interview handelt es sich um die persönliche Meinung von Herrn Benner und um keine offizielle Stellungnahme der Fraport AG: " Gibt es in Ihrem Unternehmen eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifver-

trag, der die Bewertung der Sozialkriterien in der Sozialauswahl vorgibt (§ 1 IV KSchG)? 1

http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=368.

256

Anhang

Zwar gab es bislang im Unternehmen keine betriebsbedingten Kündigungen, Sozialkriterien wurden jedoch in einem Tarifvertrag für die Übertragung eines Frachtgeschäfts auf ein Tochterunternehmen festgelegt. Auch in diesem Rahmen gab es keine Entlassungen, sondern es wurde von den Beschäftigten eine 0–3%ige Verdiensteinschränkung (netto) hingenommen und Um- bzw. Versetzungen auf andere freie Arbeitsplätze wurden vorgenommen. Ausschlaggebend für die Priorität bei Versetzungsmaßnahmen war eine Bewertung anhand eines Punkteschemas – ähnlich wie der Sozialauswahl. " Wie gestaltet sich danach die Bewertung der Unterhaltspflichten (v. a. im Ver-

gleich zu Betriebszugehörigkeit und Lebensalter)? Begründung? Folgende Punkteverteilung lag dem soeben erwähnten Tarifvertrag zu Grunde: Betriebszugehörigkeit – 3 Punkte pro Jahr; Alter – 2 Punkte pro Jahr ab dem 18. Lebensjahr; Ehe – 5 Punkte; je Kind – 5 Punkte. " Bei einer Minderbewertung der Unterhaltspflichten gegenüber Betriebszuge-

hörigkeit und Lebensalter: Wie lässt sich dies mit der sonst praktizierten Familienfreundlichkeit Ihres Unternehmens vereinbaren? Durch eine überwiegende Beachtung der Unterhaltspflichten entstünde eine Schieflage, denn der lang Beschäftigte ist schließlich der mit den besten Betriebskenntnissen, sodass der Arbeitgeber das größte Interesse an dessen Erhalt hat! " Was würde seitens Ihres Unternehmens gegen eine Aufwertung der Unterhalts-

pflichten im Rahmen der Sozialauswahl sprechen? Zum Beispiel sollte es nicht sein, dass ein Arbeitnehmer mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit und zwei erwachsenen Kindern weniger Schutz erhält, als ein zwei Jahre lang Beschäftigter, der zwei junge Kinder hat. Der Ältere hat seine gesellschaftliche Verpflichtung mit der Erziehung und Ernährung von zwei Kindern erfüllt. Das Lebensalter kann als Sozialkriterium gestrichen werden (ist nur für die tarifliche Unkündbarkeit relevant – das Kriterium wird sonst nicht mehr gebraucht), auch die Zielsetzung der Familienförderung ist in Ordnung, aber die Unterhaltspflichten dürfen keinen Schwerpunkt („insbesondere“) der Sozialauswahl darstellen. [Anm.: Der im Beispiel angeführte Ältere hätte den besonderen Schutz der Unterhaltspflichten während der Zeit der Kindererziehung auch erfahren; dies ist ein Nachrücken der Generationen, s. oben S. 41 f. und S. 214. Weiterhin bleibt das Kriterium der Betriebszugehörigkeit erhalten – dieser Schutz für Ältere geht nicht verloren.] " Werden bezüglich der verlängerten Kündigungsfristen in Ihrem Unternehmen die

gesetzliche Regelung oder tarifliche Vereinbarungen angewandt? § 34 TVöD ist maßgebend. " Bei Bestehen tariflich geregelter Kündigungsfristen: An welche Faktoren sind

die verlängerten Kündigungsfristen geknüpft? Begründung? Das Kriterium der Beschäftigungszeit ist ausschlaggebend. Auslöser war hierfür der Bestandsschutzgedanke – wer länger da ist, soll länger geschützt werden.

I. Befragung der Preisträger „Erfolgsfaktor Familie“

257

" Bei einer alleinigen Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an Betriebs-

zugehörigkeit und Lebensalter: Wie lässt sich dies mit der sonst praktizierten Familienfreundlichkeit Ihres Unternehmens vereinbaren? Die Anknüpfung der Kündigungsfristen an die Betriebszugehörigkeit wurde bisher noch nie hinterfragt. Dies wurde auch in Tarifverhandlungen noch nie problematisiert und angesprochen. Der Jüngere kann sich schneller auf ein neues Arbeitsverhältnis einstellen, er muss weniger geschützt werden. Der Ältere – ab Ende 40 – muss zudem derzeit länger nach einer neuen Arbeitsstelle suchen, er ist schlechter vermittelbar. [Anm.: Die angeblich fehlende Flexibilität bei Älteren (s. oben S. 142 ff.) und die leichtere Arbeitsplatzsuche für Jüngere (s. oben S. 70 ff.) wurde in der vorliegenden Arbeit als Rechtfertigungsgrund für Familiendiskriminierungen abgelehnt.] " Was würde seitens Ihres Unternehmens gegen eine Anknüpfung der verlängerten

Kündigungsfristen neben der Betriebszugehörigkeit an die Unterhaltspflichten sprechen? Familienfreundlichkeit sollte während des Arbeitsverhältnisses im Vordergrund stehen – nicht bei der Beendigung dessen. Zudem sollten die Unterhaltspflichten bei der personen- und verhaltensbedingten Kündigung keine Rolle spielen, diese sind nur im Rahmen der Sozialauswahl für die betriebsbedingte Kündigung vorgesehen. Dort genügt jedoch auch die Beachtung in der Sozialauswahl, nicht noch in den Kündigungsfristen. Außerdem kann ein kleineres Unternehmen an einer etwa durch zwei Kinder um vier Monate verlängerten Kündigungsfrist Bankrott gehen. Eine vier Monate längere Kündigungsfrist bedeutet vier Monatsgehälter, die ohne Arbeitsleistung mehr gezahlt werden müssen. Insofern wäre über eine Ausnahme von Kleinbetrieben nachzudenken. Unterhaltspflichten resultieren weiterhin allein aus der Privatsphäre des Arbeitnehmers; sie haben keinen Ursprung im Arbeitsverhältnis. Dieses private Risiko von Kindern darf nicht auf den Arbeitgeber abgewälzt werden. Älter wird dagegen jeder; das Alter unterliegt – im Gegensatz zur Familienplanung – nicht der privaten Disposition. [Anm.: Auch die Rolle der Unterhaltspflichten in den anderen Kündigungsarten wurde in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen, s. oben S. 104 f. und S. 223 f. Zudem sieht der Gesetzesreformvorschlag für § 622 II S. 1 BGB eine Ausnahme für Kleinbetriebe vor (s. oben S. 223) und §§ 1a, 10 KSchG sind in diesen nach § 23 I S. 2 KSchG ohnehin nicht anwendbar (s. oben S. 241). Zu dem Argument des Ursprungs der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis s. ebenfalls die Gegenargumente ab S. 102. Da die Zukunft der deutschen Sozialsysteme und der deutschen Wirtschaft u. a. von einer Erhöhung der Geburtenrate abhängt, handelt es sich bei der Kinderfrage heute zudem um kein „Privatvergnügen“ mehr (s. S. 17 ff.). Dass die Familienförderung nicht nur bei der Durchführung der Erwerbstätigkeit (Vereinbarkeit von Familie und Beruf), sondern vor allem bei der Beendigung derselben im Vordergrund stehen muss, ergibt sich aus dem Hauptgrund gegen eine Familiengründung oder -erweiterung: Der Angst vor dem Arbeitsplatzverlust (s. Abb. 3 S. 23).]

258

Anhang

" Nach welchen Faktoren berechnen sich in Ihrem Unternehmen Abfindungen (Ra-

tionalisierungsschutzabkommen oder betrieblicher Usus)? Maßstab des §§ 1a, 10 KSchG? Faustformel pro Beschäftigungsjahr ein halber Bruttomonatsverdienst? Bei der Fraport AG ging es bislang stets um die freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Berücksichtigt für die Abfindungsberechnung wurden dabei das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit und das Monatseinkommen. " Warum werden die Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers nicht oder

kaum beachtet? Der Arbeitsvertrag wurde nur mit dem Arbeitnehmer geschlossen, nicht mit dessen Familie. Die private Lebensplanung des Arbeitnehmers sollte keine Relevanz für die Höhe einer Abfindung haben. Unterhaltspflichten werden schließlich schon über § 1 III KSchG beim Arbeitsplatzverlust berücksichtigt. Außerdem würde dies für den Arbeitgeber zu teuer werden. Es sollte lieber über eine Änderung der Steuerpolitik an dieses Problem der Abfindungsberechnung herangegangen werden. [Anm.: Zum mittelbaren Zusammenhang zwischen den Unterhaltspflichten und dem Arbeitsverhältnis wird oben ab S. 103 Stellung genommen. Die (finanzielle) Zumutbarkeit der Gesetzesreformvorschläge für den Arbeitgeber wird oben ab S. 217 und S. 227 sowie auf S. 243 untersucht.] " Bei einer Minderbewertung der Unterhaltspflichten: Wie lässt sich dies mit der

sonst praktizierten Familienfreundlichkeit Ihres Unternehmens vereinbaren? Der Schwerpunkt liegt auf der Dauer des Arbeitsverhältnisses – auf der Betriebszugehörigkeit. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ausschlaggebend, nicht der Schutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. " Was würde seitens Ihres Unternehmens gegen eine Anknüpfung der Höhe des

Abfindungsanspruchs an bestehende Unterhaltspflichten des zu kündigenden Arbeitnehmers sprechen? Es sollte lieber gegen die sachgrundlose Befristung der Arbeitsverhältnisse von jungen Menschen und die daraus resultierende Arbeitsplatzunsicherheit vorgegangen werden! [Anm.: Die Thematik der Befristung von (potentiellen) Eltern wird oben S. 24 f. erwähnt, auf Grund der Beschränkung der Thematik der vorliegenden Arbeit auf die Kernelemente des Arbeitsrechts, den Kündigungsschutz und das Abfindungsrecht, jedoch nicht vertieft.]

I. Befragung der Preisträger „Erfolgsfaktor Familie“

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2. Bau-Fritz GmbH&Co.KG Das Telefoninterview fand am 23.4.2009 ab 9:30 Uhr statt und wurde mit Herrn Meyer, Geschäftsleitung der Bau-Fritz GmbH, geführt: " Gibt es in Ihrem Unternehmen eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifver-

trag, der die Bewertung der Sozialkriterien in der Sozialauswahl vorgibt (§ 1 IV KSchG)? Nein. " Wie gestaltet sich danach die Bewertung der Unterhaltspflichten (v. a. im Ver-

gleich zu Betriebszugehörigkeit und Lebensalter)? Begründung? – " Bei einer Minderbewertung der Unterhaltspflichten gegenüber Betriebszuge-

hörigkeit und Lebensalter: Wie lässt sich dies mit der sonst praktizierten Familienfreundlichkeit Ihres Unternehmens vereinbaren? – " Was würde seitens Ihres Unternehmens gegen eine Aufwertung der Unterhalts-

pflichten im Rahmen der Sozialauswahl sprechen? Wenn der Arbeitnehmer erst kurz beschäftigt ist, kann noch nicht abgesehen werden, ob er sich gut in den Betrieb eingliedert und, ob er überhaupt bei dem Arbeitgeber bleiben möchte. Bei einem langjährigen Beschäftigten ist dies sicher. Zudem muss die Betriebstreue belohnt werden. [Anm.: Das Argument der Belohnung der Betriebstreue rechtfertigt keine bevorzugte Berücksichtigung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit, s. oben S. 123 f. und S. 141 ff.] " Werden bezüglich der verlängerten Kündigungsfristen in Ihrem Unternehmen die

gesetzliche Regelung oder tarifliche Vereinbarungen angewandt? Einschlägig ist der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe. [Anm.: Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4. Juli 2002 in der Fassung vom 20.8.2007: 1.2 Verlängerte Kündigungsfristen: Die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber erhöht sich, wenn das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen 3 Jahre bestanden hat, auf 1 Monat zum Monatsende, 5 Jahre bestanden hat, auf 2 Monate zum Monatsende, 8 Jahre bestanden hat, auf 3 Monate zum Monatsende,

260

Anhang

10 Jahre bestanden hat, auf 4 Monate zum Monatsende, 12 Jahre bestanden hat, auf 5 Monate zum Monatsende, 15 Jahre bestanden hat, auf 6 Monate zum Monatsende, 20 Jahre bestanden hat, auf 7 Monate zum Monatsende. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt. " Bei Bestehen tariflich geregelter Kündigungsfristen: An welche Faktoren sind

die verlängerten Kündigungsfristen geknüpft? Begründung? Nur an die Betriebszugehörigkeit und an das Lebensalter. Dies entspricht den gesetzlichen Vorgaben. [Anm.: Zur Wechselwirkung von Tarifverträgen und Gesetzen oben S. 127 ff.] " Bei einer alleinigen Anknüpfung der verlängerten Kündigungsfristen an Betriebs-

zugehörigkeit und Lebensalter: Wie lässt sich dies mit der sonst praktizierten Familienfreundlichkeit Ihres Unternehmens vereinbaren? – " Was würde seitens Ihres Unternehmens gegen eine Anknüpfung der verlängerten

Kündigungsfristen neben der Betriebszugehörigkeit an die Unterhaltspflichten sprechen? Nichts, dies wäre zu begrüßen. Evtl. Mehrausgaben des Arbeitgebers sind von diesem aus gesellschaftlicher Verantwortung zu tragen. Bislang hat die Bau-Fritz GmbH mit einer familienfreundlichen Betriebspolitik auch durchweg positive Erfahrungen gemacht. Das Unternehmen bietet Ferienbetreuung und eine Kindertagesstätte an. Dadurch ist es gelungen, bessere Arbeitnehmer zu rekrutieren und viele Eltern sind für einen (schnelleren) Wiedereinstieg zu gewinnen, wovon das Unternehmen nur profitiert. Auch die Kunden stehen dieser Familienfreundlichkeit positiv gegenüber. Diese Betriebspolitik ist die beste Werbemaßnahme. Der Bekanntheitsgrad des Unternehmens ist immens gestiegen – nicht nur in der Region, sondern auch national. [Anm.: Zu den Arbeitgeberinteressen und den positiven Auswirkungen einer familienfreundlichen Betriebspolitik vgl. oben S. 231 ff.] " Nach welchen Faktoren berechnen sich in Ihrem Unternehmen Abfindungen

(Rationalisierungsschutzabkommen oder betrieblicher Usus)? Maßstab des §§ 1a, 10 KSchG? Faustformel pro Beschäftigungsjahr ein halber Bruttomonatsverdienst? Bislang mussten keine Abfindungen praktiziert werden. " Warum werden die Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers nicht oder

kaum beachtet? –

II. E-Mail Korrespondenzen

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" Bei einer Minderbewertung der Unterhaltspflichten: Wie lässt sich dies mit der

sonst praktizierten Familienfreundlichkeit Ihres Unternehmens vereinbaren? – " Was würde seitens Ihres Unternehmens gegen eine Anknüpfung der Höhe des

Abfindungsanspruchs an bestehende Unterhaltspflichten des zu kündigenden Arbeitnehmers sprechen? Nichts.

3. Promeos GmbH Auskunft per Mail v. 29.5.2009 von Fr. Dr. Nicola A. Mögel, Beauftragte für Familienfragen der Promeos GmbH: Ihren angehängten Fragebogen habe ich erhalten und versucht, Antworten zu finden. Letztlich muss ich Ihnen mitteilen, dass die Fragen nicht auf die Situation eines kleinen KMU [Anm.: Kleine und mittlere Unternehmen] zutreffen. Als Unternehmen ohne gewerkschaftliche Beteiligung/Betriebsrat und damit tarifrechtlicher Bindung gilt für die Beschäftigten der promeos GmbH der gesetzliche Kündigungsschutz. Selbstverständlich versucht die Geschäftsleitung auch in der derzeitigen Wirtschaftskrise bei betriebsbedingten Kündigungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit familiärer Verantwortung weitgehend zu verschonen.

II. E-Mail Korrespondenzen 1. Eigene Anfrage . . . „Tarifliche Kündigungsfristen werden meist wie in § 622 II S. 2 BGB nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit berechnet und auch Abfindungen in Rationalisierungsschutzabkommen sind an diese Kriterien geknüpft – wie die gesetzliche Abfindungsberechnung in §§ 1a, 10 KSchG. In beiden Fällen lässt das Gesetz abweichende tarifliche Anknüpfungspunkte für diese Berechnung zu, diese Möglichkeit wird jedoch nicht genutzt. Ich überlege nun, warum etwa Unterhaltspflichten nicht verstärkt als weiteres Sozialkriterium für Kündigungsfristen und Abfindungshöhe berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber argumentiert hinsichtlich der ausschlaggebenden Wirkung von Betriebszugehörigkeit und Lebensalter mit der jahrzehntelangen tariflichen Tradition – dies sei der Wille der Tarifvertragsparteien. Umgekehrt ist jedoch auch anzunehmen, dass sich die Tarifvertragsparteien meist an den gesetzlichen Regelungen orientieren, sodass meiner Ansicht nach ein nicht rechtfertigender Zirkelschluss besteht. Können Sie mir die Motivation der Gewerkschaften hinsichtlich der ausschließlichen Anknüpfung von Kündigungsfristen und Abfindungshöhe an Alter und Betriebszugehörigkeit erklären? Gibt es überhaupt eine Motivation oder werden tatsächlich allein die gesetzlichen Maßstäbe aus Tradition und damit relativ reflek-

262

Anhang

tionslos übernommen? Finden sich Informationen hierüber ggf. in Protokollnotizen zu Tarifverträgen?“ . . .

2. Antwort des DGB-Bundesvorstands v. 7.10.2008 . . . „Die Anknüpfung bei Kündigungsfristen und Abfindungshöhe an den Parameter Betriebszugehörigkeit ist aus unserer Sicht dadurch gerechtfertigt, dass die betroffene Person durch die längere Tätigkeit in einem Betrieb größere Umstellungsschwierigkeiten bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz haben wird als eine Person, die kürzer in einem Betrieb angestellt war. Das von Ihnen vorgeschlagene Kriterium der Unterhaltpflichten wird bereits bei der betriebsbedingten Kündigung und im Rahmen des Sozialplans regelmäßig berücksichtigt. Eine Berücksichtigung von Unterhaltspflichten bei Kündigungsfristen erscheint nicht sachgerecht. Protokollnotizen oder sonstige schriftliche Festlegungen in Tarifverträgen sind mir hierzu nicht bekannt.“ . . . (Bereich Tarifpolitik, DGB-Bundesvorstand, Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin)

3. Antwort der ver.di Bundesverwaltung v. 8.10.2008 . . . „Die Gründe, warum bei Kündigungsfristen und Abfindungshöhe auf die Kriterien Alter und Betriebszugehörigkeit abgestellt wird, haben m. E. folgenden Hintergrund: Es sind objektiv feststellbare und abgrenzbare Kriterien. Auf der einen Seite soll damit Betriebstreue belohnt werden. Die soziale Verpflichtung des Arbeitgebers wächst mit der Dauer, mit der der Arbeitnehmer für das Unternehmen und den Betrieb tätig war. Dies wurzelt in einem bestimmten sozialen Verständnis und der Fürsorgeverpflichtung, die der Arbeitgeber gegenüber langjährig Beschäftigten hat. Das Kriterium des Alters reflektiert die unterschiedlichen Chancen, die ältere ArbeitnehmerInnen auf dem Arbeitsmarkt haben. Andere Kriterien wie z. B. Unterhaltspflichten gehen bei der Frage der sozialen Abwägung bei Kündigungen in der Regel in die soziale Auswahl bei Kündigungen ein. Bei Abfindungsregelungen spielen sie in Sozialplänen durchaus eine Rolle, wie die Familiensituation insgesamt. Bei Kündigungsfristen ist dies allerdings nicht der Fall. Abweichende tarifliche Regelungen dazu sind mir auch nicht bekannt.“ . . . (Bereichsleitung Tarifpolitische Grundsatzabteilung, ver.di Bundesverwaltung, Berlin)

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Sachregister Abbau von Schutzvorschriften 207 f., 223, 241 Abfederung siehe soziale Abfederung Abfindung 89, 167 ff., 239 ff. – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 174, 181, 185 ff., 192 – Angemessenheit 168 ff. – Anspruchsgrundlagen 170 – Befriedungsfunktion 178 f. – Betriebliche Abfindung siehe betriebliche Abfindung – Diskriminierung 167 ff. – Gesetzesreform 239 ff. – Kollektivrechtliche Beispiele 188 ff. – Praktikabilität 178 – Schutzzweck 95 – Tarifliche Abfindung siehe tarifliche Abfindung – Transparenz 178 f. – Überbrückungsfunktion 172 ff. – Zweck siehe Abfindungszweck Abfindungsangebot (§ 1a KSchG) 240 Abfindungsberechnung 170, siehe auch Abfindung – Gesetzesreformvorschlag 239 ff. – Kollektivrechtliche Beispiele 167 ff., 188 ff. Abfindungshöhe 170, siehe auch Abfindung und Abfindungsberechnung Abfindungszweck 171 ff., 243 – § 1a KSchG 179 f. – §§ 9, 10 KSchG 171 ff. – Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG) 180 f. Absolut geschütztes Rechtsgut siehe Rechtsgut Abwanderung 19

Abwicklungsvertrag siehe Aufhebungsvertrag ADEA siehe Age Discrimination in Employment Act Adoption 43, 44, 46, 50 – Stiefkind 215 Adoptionsurkunde 41 Ältere siehe Alter – Definition 47 ff. – Schutzmechanismen 207 f. Age Discrimination in Employment Act 50 AGG siehe Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Alleinerziehende 30 ff. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – § 5 AGG 81 f., 87 ff., 153 f., 162 ff., 184 ff. – § 10 AGG 75, 81 f., 84 ff., 131 f., 153 f., 160, 162 ff., 174, 184 ff., 214, 234 f. – § 10 S. 3 Nr. 1 75, 81 ff., 160, 163 f., 184 ff. – § 10 S. 3 Nr. 6 174, 181, 185 f. – § 10 S. 3 Nr. 6 a. F. 81 ff. – § 10 S. 3 Nr. 7 a. F. 81 ff., 131 f. – Abfindung (§§ 9, 10 KSchG) 174, 181, 184 ff., 192, 243 f. – Alter siehe Alter – Anwendbarkeit 82 ff. – Auslegung 82 ff. – Berufliche Eingliederung siehe berufliche Eingliederung – Betriebliche Abfindungen 192 – Europarechtskonformität 82 f. – Gesetzgebungsverfahren 83 f.

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Sachregister

– Kündigungsfrist (§ 622 II BGB) 153 ff., 162 ff., 234 f., 236 – Legitimes Ziel 84, 86 f., 154, 162, 185 f., 214, 234 f., siehe auch § 10 AGG – Sozialauswahl 81 ff., 211 ff. – Sozialplan 185 f. – Tarifliche Abfindung 192 – Tarifliche Kündigungsfrist 131 f., 155, 165 f. – Tarifliche Unkündbarkeit 130 ff., 155 – Wortlaut 82 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 205 ff., 224, 241 – Persönlichkeitsentfaltung 104 – Persönlichkeitsentwicklung 160 Allgemeinwohl 228, 229, 234 f. Alter 47 ff., 70 ff., 157 ff., 201 ff., 207, 238, 242 f. Altersdiskriminierung siehe Diskriminierung Altersgrenze siehe auch Mindestalter – Anwendbarkeit des KSchG 159 f. – Kindesunterhalt 36 ff. Altersquotient 19 Altersruhegeld 181, siehe auch Altersversorgung Altersschwelle siehe Altersgrenze Altersstruktur siehe homogene Altersstruktur Altersverband 219 Altersversorgung 215, siehe auch Rente Alterungsprozess 47 ff., 70 ff. Anderweitige Beschäftigung 174 f. Angemessenheit der Abfindung 168 ff. Angestellte 128, 135, 138 f., 159, 200 f., 225 f. Annahmeverzugslohn (§ 615 BGB) 121 f., 174 f. Anrechnung – Anderweitiger Verdienst 174 f. – Vordienstzeiten 39, 178 f.

Anschlussbeschäftigung 174, 176 ff., siehe auch Arbeitsplatzsuche Anwartschaft 153, 183, siehe auch Besitzstand Anwendbarkeit – AGG 82 ff. – KSchG 159 f. Anzahl der Unterhaltspflichten 110 ff., 178, 196, 206, 212 f., 222, 224, 239 Arbeiter 128, 135, 138 f., 159, 200 f., 225 f. Arbeitgeberbefragung 220, 234, 243, 255 ff. Arbeitgeberbelastung 227 ff., siehe auch Arbeitgeberinteresse Arbeitgeberinteresse 217 ff., 227 ff., 237 f., 243 f. Arbeitgeberverantwortung 150 f., 230 Arbeitnehmernachteil 142 ff., 179, 185 Arbeitnehmerschutz 89 ff., 126 f., 187 f., siehe auch Schutzzweck – § 823 BGB 100 f. – Abfindung 95, 175, 244 – Kündigungsfristen 95 f., 139, 161, 227 – Sozialauswahl 92 f., 227, 244 – Wartefrist 93 ff. Arbeitskampfparität 100 f. Arbeitskräftemangel 17, 78 f., 232, siehe auch Erwerbspotential Arbeitslosengeld 38, 137, 173 f., 186 – Rückzahlungspflicht des Arbeitgebers 124 Arbeitslosigkeit 73 ff., 76 ff., 137, 160, 186, 232 Arbeitsmarktlage 73 ff., 124 f., 139, 158, 160, 176, 186, 200, siehe auch Schutzbedürftigkeit Arbeitsplatzsuche 136 ff., 143, 144, 157, siehe auch Stellensuche Arbeitsplatz(un)sicherheit 22 ff., 144, 160, siehe auch Zukunftsangst und siehe Arbeitsmarktlage

Sachregister Arbeitsrechtliche Wertungen 216, 226 f., 237 f., 244 – Familienfreundlichkeit 216 Arbeitsunfall 107, siehe auch Unfallrisiko Arbeitsvertragsgesetz 216 f., 226 f., 237 f., 244 f. ArbVG siehe Arbeitsvertragsgesetz Armutsrisiko 23 f. Attraktivität des Arbeitnehmers 143 f., 158, 160 Aufhebungsvertrag 170 f. Auflagen 227 ff. Auflösende Bedingung 39 f. Auflösung des Arbeitsverhältnisses (§ 9 KSchG) 175 Ausbildung 36 f. – Rückzahlungsklauseln 146 f. Ausbildungsunterhalt 36 ff. Ausgewogene Personalstruktur siehe Personalstruktur Auskunftspflicht 115 ff., 205 ff. Auslegung 140 – 1 III KSchG 97 f., 204 f., siehe auch Ermessen – AGG 82 ff. – Sozial 198 f. – Tarifvertrag 135, 165 f. Außergerichtlicher Vergleich siehe Vergleich Austauschbarkeit der Arbeitnehmer 54 f., 112 Austauschverhältnis 123, 141 ff., 157, 182 ff. Auszugleichender Nachteil siehe Nachteil Barunterhalt 35, 37 f., 212 ff. BDSG siehe Bundesdatenschutzgesetz Bedarfsplanung des Arbeitgebers 95, 125, 151 Bedürftigkeit (Unterhalt) 30, 34, 42, 213

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BEEG siehe Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit Beendete (Kindes)Unterhaltspflichten 41 f. Befriedungsfunktion 178 f. Befristetes Arbeitsverhältnis 24 f., 88, 99, 231 Beispiele – Abfindung 167 ff., 188 ff. – Kündigungsfrist 131 – Punkteschema 55 ff., 65 Beistandsgemeinschaft 31 Belastung des Arbeitgebers 227 ff., siehe auch Arbeitgeberinteressen Belohnung des Arbeitnehmers 147 f. Benachteiligung – § 1 III KSchG 66 ff. – §§ 1a, 10 KSchG 167 ff. – § 622 II BGB 134 f. – mittelbare siehe mittelbare Benachteiligung – unmittelbare siehe unmittelbare Benachteiligung Berechnung des Unterhalts 115 ff., siehe auch Feststellung Berechtigtes betriebliches Interesse siehe betriebliches Interesse Berufliche Eingliederung (§ 10 S. 3 Nr. 1 AGG) 75, 160, 163 f. Berufsanfänger 24 f., 134 f. Berufsausübung (Art. 12 GG) 227 ff. Berufsbeginn 134 f., siehe auch Berufsanfänger Berufserfahrung 70, 202 Berufskrankheit 107 Beschäftigungszeiten 92 ff., 165 f., siehe auch Betriebszugehörigkeit – betriebsfremde 39, 178 f. Besitzstand 123, 152 f., 181, 182 ff. Bestandsschutz 89 f., 92, 94, 155 Bestandsvertrauen – Arbeitgeber 95, 125, 151 – Arbeitnehmer 123, 148 ff., 182, 184

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Sachregister

Betreuungsunterhalt 35, 40 f., 196, 212 f., 231 Betriebliche Abfindung 188 ff., siehe auch Sozialplan und siehe auch Interessenausgleich – AGG 192 Betriebliches Interesse 218 f. Betriebsänderung 64 f., 180 f., siehe auch Sozialplan und siehe auch Interessenausgleich Betriebsbedingte Kündigung 54 ff., 151, 195 ff. Betriebsfremde Beschäftigungszeiten 39, 178 f. Betriebsfrieden 147 Betriebsklima 147, 233 Betriebspolitik 210, 233 f., siehe auch Betriebsvereinbarung und siehe auch Personalpolitik Betriebstreue 123, 141 ff., 182 Betriebsvereinbarung 55, 64, 120, 127, 188 ff., 191 – Familienfreundlichkeit 210 Betriebswirtschaftliche Interessen 231 ff., siehe auch Arbeitgeberinteresse Betriebszugehörigkeit 92 ff., 142 ff., siehe auch Beschäftigungszeiten Beurteilungsspielraum siehe auch Ermessen – Abfindung 168 ff., 176 – Sozialauswahl 54 ff., 195 f. Bevölkerung 19 ff., siehe auch Demografie und siehe auch Erwerbspotential Bundesdatenschutzgesetz 205 ff., 224, 241 – Einwilligung 206 Bundesverfassungsgericht 225 ff. BVerfG siehe Bundesverfassungsgericht Chancen auf dem Arbeitsmarkt 73 ff., 81 f., 84 ff., 87 ff., 130 f., 162 f., 185 f., 201 ff., siehe auch Schutz-

bedürftigkeit und Arbeitsmarkt sowie Arbeitslosigkeit – Einzelfallabwägung 85 f., 89 Daten siehe Sozialdaten und siehe persönliche Daten – Ermittlung 223 f., siehe auch BDSG, siehe Feststellung und siehe Mehraufwand Dauerarbeitslosigkeit 139, 157 Dauerschuldverhältnis 124 ff. DDR siehe Deutsche Demokratische Republik Definition – Ältere 47 ff. – Benachteiligung 51 – Diskriminierung 51 – Familie 28 ff. Demobilmachungsverordnung 80 Demografie 17 ff., 78, 85, 88, 158, 201, 214, 223, 232 DemVO siehe Demobilmachungsverordnung Deutsche Demokratische Republik 21, 26 f., 145 Dienstleistungsgesellschaft 73, 176 f., 207 Diskriminierung siehe mittelbare und siehe unmittelbare Diskriminierung Dominotheorie 121 f. Doppelleistung (Arbeitsentgelt) 173, 175 Doppelte Privilegierung 43, 44, 45 f. Doppelverdienst 38, 110 ff., 202, 204, 207, 224 Dreifache Berücksichtigung 242 f. Effektivität – Gesetzesreform 25 ff. – Schutz Älterer 207 f., 223, 241 Effizienzsteigerung 233 f. Ehe 27, 30, 33, 34, 37, 39 f., 42 f., 110 ff. (Doppelverdienst), 116 f., 203, 204 ff., 213, 215, 216 f., 224,

Sachregister siehe auch Grundgesetz (Art. 6 I GG) und nachehelicher Unterhalt Einarbeitung (neuer Arbeitnehmer) 147 Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb siehe Gewerbebetrieb Eingeschränkter Prüfungsmaßstab 64, 65 f. Einigungsstelle 174 Einkommen 35, 38, 46, 110 ff., 137, 153, 168 – Frauen 112 f., 212 f. – Pfändbarkeit 35 – Zweck 103 ff. Einstellung siehe Neueinstellung Elterngeld 27 f., 43, 49, 214, 215, 216, 235 Elternzeit 27 f., 43, 110, 119, 143 f., 216, 230 f. Entgangener Verdienst siehe Verdienstausfall Entgelteinbußen 174 Entgelterhöhung 127 Entgeltfortzahlung 230 Entschädigung des Arbeitnehmers 123, 141 ff., 148 ff. Erfolgsfaktor Familie 255 ff. Erfüllung der Unterhaltspflichten 35 f., 106, 109, 196, 222 Ermessen siehe auch Beurteilungsspielraum – Abfindung 168 ff., 176 – Sozialauswahl 54 ff., 64, 204 Erprobung des Arbeitsverhältnisses 92 ff., 158, siehe auch Probezeit Erwerbslosigkeit 73 ff., 76 ff., siehe auch Arbeitslosigkeit Erwerbsmöglichkeit 172 ff., 177, 179, 183 Erwerbspotential 17, 78 f., 85, 88, 232 Europa 221, 236 Europarechtskonformität – Abfindung 245

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– Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 82 ff. Existenzaufbau 137 f., 177 Existenzsicherung 103 ff., 137 Fachkräftemangel siehe Erwerbspotential und Arbeitskräftemangel Falsche Unterhaltsangaben 121 Familie 28 ff., siehe auch Familienunterhalt Familienerweiterung siehe Familiengründung Familienform 33 Familienfreundliche Betriebsvereinbarung 210 Familienfreundliche Gesetzesregelung 216 Familienfreundlicher Tarifvertrag 208 f. Familiengründung 47 ff., 135 Familienrechtsreform siehe Unterhaltsrechtsreform Familienunterhalt 30, 34 f., 41, 42, 213, siehe auch Ehe Faustformel 169 f., 189 f., 243 Fehlerhafte Sozialauswahl 61 ff., 66, 121 f., siehe auch grobe Fehlerhaftigkeit Fehlinformation (über Unterhaltspflichten) 121 Fehlverhalten des Arbeitnehmers 151 Fehlzeiten 233 Fertilität 48 ff. Fertilitätsrate siehe Geburtenrate Feststellung der Unterhaltspflichten 114 ff. Finanzielle Rechtsvorteile siehe Rechtsvorteile Finanzielles Polster 137 f., 177 – Täuschung durch den Arbeitnehmer 121 Flexibilität 72, 137 Flexibilitätsverlust 123, 142 ff., 154, 157, 162 f., 182

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Sachregister

– Ausgleichsbedarf 145 f. – Gesetzlicher Ausgleich 146 f. Fluktuation 231 Formfreiheit 39 f. Fortbildung 96, 142 ff., 160 – Rückzahlungsklausel 146 f. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (§ 9 KSchG) 171 ff. Fragebogen (§ 94 BetrVG) 119 f. Frauen – Diskriminierung 112 f., 212 f., 234, 243, siehe auch mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – Einkommen 112 f., 212 f. – Geburtenrate 48 ff. – Unterhaltspflichten 212 f. Freiwillige Unterhaltspflicht siehe vertragliche Unterhaltspflicht Fruchtbarkeit 48 ff. Führungskräftemangel 78 f., 232, siehe auch Erwerbspotential Fürsorgepflicht – Arbeitgeber 124 ff., 136, 171 – Eltern 33 f. Funktion des Arbeitsrechts 200 ff., 223, 236, 242 Geburtenrate 17 ff., 34 ff. Geburtenziffer siehe Geburtenrate Geburtsurkunde 41 Gehaltsstaffelung 127, 152, 155, 168, 183, 207, 242 Geheimhaltungsinteresse 206 Geldrente 35, 212 f. Geldwertes Gut 152 Generalklausel (Art. 6 I GG) 204 Generationengerechtigkeit 41 f., 99 f., 136, 166, 192, 214, 215 Generationenvertrag 214, 215 Gerichtlicher Vergleich siehe Vergleich Gesamtausbildung 36 f. Geschütztes Rechtsgut siehe Rechtsgut Gesellschaftliche Verantwortung 37, 39

Gesellschaftsentwicklung siehe gesellschaftlicher Wandel Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit 27 f., 43, 44, 216, 229, 230 f. Gesetzesänderung – § 1 III KSchG 195 f. – §§ 1a, 10 KSchG 239 ff. – § 622 II S. 1 BGB 221 ff. – § 622 II S. 2 BGB 235 f. Gesetzesbegründung siehe auch Schutzzweck und Normzweck – § 1 III KSchG 80 – §§ 1a, 10 KSchG siehe Abfindungszweck – § 622 II S. 1 BGB 138 f. – § 622 II S. 2 BGB 157 ff. Gesetzesqualität 127 Gesetzesreformvorschlag siehe Gesetzesänderung Gesetzessystematik siehe Systematik Gesetzeswortlaut siehe Wortlaut Gesetzeszweck siehe Normzweck Gesetzgeberische Wertung 89 ff., 139 ff., 161, 187 f. Gesetzgebungsverfahren – AGG 83 f. Gesetzliche Auflage siehe Auflage Gesetzliche Kindesunterhaltspflicht 34 ff., 178, 195 f., 206, 212, 222, 229, 239, siehe auch Unterhaltspflicht Gesteigerte Kindesunterhaltspflicht 36, 215 f., siehe auch Unterhaltsrechtsreform Gesteigertes persönliches Interesse 105 f., siehe auch Näheverhältnis Gesundheit 107 Gewerbebetrieb 100 ff., siehe auch Rechtsgut § 823 BGB Gewichtung der Sozialdaten siehe Sozialdaten GG siehe Grundgesetz Gleichrangigkeit – Legitime Ziele 186

Sachregister – Sozialdaten 54, 66 f., 80, 85, 86 f., 89, 106, 139 f., 161, 187 – Unterhaltsarten 35, 212 f. Gratifikation 183, 242 Grobe Fehlerhaftigkeit 64 f., 112, 216, 218 Großeltern 42, 46, 111, 137 Großfamilie 30 f., 32 f. Grundgesetz – Art. 1 GG 205 f. – Art. 2 I GG 205 f., 224, 241 – Art. 3 I GG 50 f., 128, 159, 225 f. – Art. 6 I GG 30 f., 111, 130, 203, 204 f., 224, 229, 236, 242 – Art. 12 I GG 217 f., 227 ff., siehe auch Unternehmerfreiheit – Art. 14 GG 217 – Art. 20 I GG siehe Sozialstaatsprinzip Haus(halts)gemeinschaft 28 f., 39 f., 42 f. Herrschaftsmacht 101 Höchstpersönlich siehe personaler Charakter Höchstpunktzahl 195 Höherqualifizierung 142, siehe auch Fortbildung Homogene Altersstruktur 218 ff., siehe auch Personalstruktur Homosexualität 214 f., 235, 243 f. Humankapitalinvestition 71 ILO-Übereinkommen siehe International Labour Organization – Übereinkommen Immobilie 137 f., 177, 199 Immobilität 144, siehe auch Mobilität Individuell-besitzstandswahrende Betrachtungsweise 69 Informationelle Selbstbestimmung 205 ff. Informationserlangung 115 ff. – Täuschung durch den Arbeitnehmer 121

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Informationsobliegenheit 118 ff., 206 Insolvenz 64, 150, 218 Intakte Ehe 34, 35, 42, 196, 213, 222 Interessenausgleich 54, 64, 97 f., 180 f. International Labour Organization-Übereinkommen 170 Intimsphäre 206 Jugendamt 46 Jugendliche 75, 160, 163 f. Kernfamilie 32 f. Kinder siehe Kindesunterhalt Kinderarmut 24 Kinderbetreuung 19, 27, 137, 144, 208, 212, 247 – Kosten 214 Kinderfreibetrag 117 Kindergeld 27, 45, 117, 244 Kinderlosigkeit 47 f., siehe auch Demografie Kinderwunsch 18 f., 22 ff., 25 f., 47 ff. Kindesunterhalt 33 ff., siehe Unterhalt – gesetzlich 34 ff., 196, 206, 222, 229, 239, siehe auch gesetzliche Kindesunterhaltspflichten – vertraglich 39 ff. – Volljährige 36 ff. – Vorrang 36 f., 215 f. Klagefrist des Arbeitnehmers 118 Klagerecht des Arbeitnehmers 240, siehe auch Kündigungsschutzklage Kleinbetrieb 119, 223, 224, 229, 237, 239, 240 Koalitionsfreiheit 129, siehe auch Tarifautonomie Kollektivrecht 126 ff., 155, 164 ff., 188 ff., siehe auch Tarifrecht Kompensationszweck 180 Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern 97, 123 Konkurs 218, siehe auch Insolvenz

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Sachregister

Kosten siehe auch Arbeitgeberinteresse – § 622 II BGB 229 f. – § 622 II BGB a. F. 226 – Alleinerziehende 31 – Aus- und Fortbildung 146 – Familie 23, 27, 199, siehe auch Opportunitätskosten – Kinderbetreuung 214 – Mutterschutz 228 ff. – Personal 70, 73, 231 – Schutz für Ältere 208 Kosten-Nutzen-Analyse 233 f. Krankenstand 70 f. Krankheitsbedingte Kündigung 104 f. KSchG siehe Kündigungsschutzgesetz Kündigungsfreiheit 217 Kündigungsfristen 75, 89 f., 125 f., 134 ff., 200 f., 221 ff. – AGG 153 f., 162 ff. – Diskriminierung 134 ff. – Gesetzesbegründung 138 f., 157 ff. – Gesetzesreform 221 ff. – Kollektivrechtliche Wertungen 155, 164 ff. – Normzweck 136 ff. – Schutzzweck 95 ff. – Tarifliche siehe Tarifliche Kündigungsfristen Kündigungsschutzgesetz – Anwendbarkeit 159 f. Kündigungsschutzklage 179, 240, siehe auch Kündigungsschutzprozess Kündigungsschutzprozess 118 f., 121 f., 187, 206 Kündigungszugang 114 f. Künftige Erwerbsmöglichkeit siehe Erwerbsmöglichkeit Kurzarbeit 229 f. Langzeitarbeitslosigkeit 139, 157 Lebensalter siehe Alter Lebenserwartung 19

Lebenspartnerschaft 34, 42, 213, 214 f. Lebensunterhalt 172 ff., 177 Legitimation(szusammenhang) 127 ff., 165 f., 191 Legitimes Ziel 81, 84 ff., 154, 162, 185 f., 214, 234 f. Leiharbeit 24 f. Leistung der Unterhaltszahlung siehe Erfüllung der Unterhaltspflichten Leistungsabnahme 47, 70 ff., 127 siehe auch Leistungsfähigkeit Leistungsfähigkeit 47, 70 ff., 85, 127, 158, 163, 207 f. Leistungsträger 64, 218 f. Linear 85 f., 99, 124, 146, 147, 186, 190, 211 Lohnspiegel 113 Lohnsteuerkarte 115 ff. Loyalität 145 Männer 48 ff., 212 f. Mangelfall 36 ff., 216 Manipulation 178 f. Marktverhalten 233 f. Massenentlassungen 119 f., 150, 219 Mehraufwand 197, 217, 223 f., 241 Menopause 47 ff. Mietverhältnis 126 Mindestalter 159, 160 f., 236, 238, siehe auch Altersgrenze Mittelbare Benachteiligung 53, 67, 134, 147, 156, 157, 167, 168 f., 176, 211, 212 ff., 234 f., 243 f., siehe auch mittelbare Diskriminierung Mittelbare Diskriminierung 211, 212 ff., 234 f., 243 f., siehe auch mittelbare Benachteiligung – Alter 213 f., 234 f., 243 f. – Geschlecht 112 f., 212 f., 234 f., 243 f., siehe auch Frauendiskriminierung

Sachregister – sexuelle Identität 214 f., 234 f., 243 f. Mitverantwortung des Arbeitgebers 150 f., 230 Mobilität 96, 159 f., 162 f., siehe auch Immobilität Monatsverdienst 167 ff., 178, 183, 187, 190, 239 f., 242 Motivation – der Arbeitnehmer 233 – zu Neueinstellungen 158, 163, siehe auch Einstellungen – zur Elternschaft 25, 33 f., 44, 47 – zur Familienfreundlichkeit 208 ff. Motivbündel 25 MuSchG siehe Mutterschutzgesetz Mutter 212 f., 228 ff., siehe auch Frauen Mutterschaftsgeld 228 ff. Mutterschutzgesetz 228 ff. Nachehelicher Unterhalt 212 f., 215 f. Nachforschungspflicht des Arbeitgebers 118 ff., siehe Informationsobliegenheit Nachrang – Tarifregelungen 165 f., 191, siehe Legitimationszusammenhang – Unterhaltspflichten 36 f., 215 f. Nachrücken der jüngeren Generation 41 f., 99 f., 136, 166, 192, siehe auch Generationengerechtigkeit Nachteil – Auszugleichende Nachteile (§ 5 AGG) 87 ff., siehe auch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz § 5 AGG – des Arbeitgebers 142 ff. Nachteilsausgleich 95, 180 f. – Arbeitsvertragsgesetz 244 f. Nachweismöglichkeit 121 f. Näheverhältnis – Arbeitsverhältnis 124 ff. – Familie 105 f.

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Namensliste 97 f. Naturalleistung 35, 41 Nebeneheliches Verhältnis 116, 121 Nebenpflicht 124, siehe auch Fürsorgepflicht Neueinstellung 158, 163 Nichtvermögensschaden 172 Normzweck siehe auch Gesetzesbegründung und siehe auch Schutzzweck – § 1 III KSchG 68 ff. – § 622 II S. 1 BGB 136 ff. OECD siehe Organisation for Economic Cooperation and Development Offenlegung der Unterhaltspflichten 206 f. Opportunitätskosten 199 Ordentliche Unkündbarkeit siehe Unkündbarkeit Organisation for Economic Cooperation and Development 50 Organisationshoheit 124 f. Ortszuschlag 117 Patchworkeltern 30, 32 f., 42 f., 44, 46 Pensionsgrenzen 127 Persönliche Daten 103 ff., 205 ff., 224 Persönliche Flexibilität 142 ff., siehe auch Flexibilität Persönlichkeitsrecht 206, siehe Allgemeines Persönlichkeitsrecht Personalakte 115, 119, 120, 121, siehe Praktikabilität Personaler Charakter 103, 106 f. Personalkosten 70, 73, 231 Personalplanung 95, siehe auch Bedarfsplanung Personalpolitik 219, 232, 234 Personalstatus 225 ff., siehe auch Arbeiter und siehe Angestellte Personalstruktur 218 ff. Personenbedingte Kündigung 151, 223

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Sachregister

Personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis 124 Pfändbarkeit des Arbeitseinkommens 35 Pflegeeltern 44 ff. – Aufwandsentschädigung 45 – Dauerpflegschaft 46 – Elterliche Sorge 44 f. – Pflegegeld 45 f. Pflichtverletzung des Arbeitnehmers 151 Positive Maßnahme 87 ff., 162 ff., 184 ff., siehe auch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz § 5 Praktikabilität 86, 109 f., 112 f., 136, 157, 171, 178, 196 f. – § 1 III KSchG 38, 108 ff., 196 – §§ 1a, 10 KSchG 171, 178 – § 622 II BGB 136, 157, 224 – Kindesunterhaltspflichten 38, 108 ff., 196 – Schutzbedürftigkeit Älterer 86 Praktikum 24 f., 99, 160 Praxisrelevanz 39 f., 67 f., 121, 135, 170, 190 Preisträger 255 ff. Privatautonomie 146 Privatsphäre 206 Privilegierung – Eltern 33 ff. – Kinder 36, siehe auch Unterhaltsrechtsreform Probezeit 25, 94, 158 Prognose 114 f., 175 Punkteschema 55 ff. Qualifizierung 142 ff., 160 Qualität der Arbeit 233 Rang der Unterhaltspflicht 37 – Gleichrangigkeit 35, 212 f. – Vorrang 215 f., 36 f., siehe auch Mangelfall Rationalisierungsentscheidung 54 f.

Rationalisierungsschutzabkommen 149 f., 170, 188 ff., 242 Recht auf informationelle Selbstbestimmung siehe informationelle Selbstbestimmung Rechtlicher Bestand siehe Bestand des Arbeitsverhältnisses Rechtsetzungsberechtigung 128 Rechtsgut – § 1 III KSchG 69 – § 823 BGB 100 ff.; 135 f.; 157, 184 – Abfindungszweck 172 – Fürsorgepflicht 124 – Sozialer Besitzstand 153 Rechtsquelle 128 Rechtssicherheit 55, 86, 108, 109, 111 f., 113 Rechtsvorteil (finanziell) 152 Regelbeispiel (§ 10 S. 3 AGG) 81, 84, 185 Regelbeträge (Pflegegeld) 45 Regelungslücke 97 f. Rekrutierung 232 f. Rente 41 f., 138, 177, 214, 215, siehe auch Pensionsgrenzen und siehe Altersruhegeld Restnutzungszeit 71 Risiko für den Arbeitgeber 122, siehe auch Arbeitgeberinteresse Rückerstattung siehe Erstattungsanspruch Rücktritt (Unterhaltsvereinbarung) 40 Rückzahlungsklauseln 146 f. Ruhegeldanwartschaft 153 Sanktionsfunktion 169, 180 Schadensersatz 122, 153, 172 Scheidungszahlen 18 Schlüsselgewalt 30 Schulbildung 29, 37 ff. Schuldhafte Pflichtverletzung siehe Pflichtverletzung Schutzauftrag des Staates siehe Schutzpflicht

Sachregister Schutzbedürftigkeit 68 ff., 85, 88 f., 124 f., 139, 151, 157 f., 162 f., 185 ff., 201 ff., 207 f., 223, 236, siehe auch Wiedereingliederung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt sowie Vermittelbarkeit – Einzelfallabwägung 85 f., 89 Schutzgut siehe Rechtsgut Schutzmechanismen für Ältere 207 f. Schutzpflicht des Staates 205, 224, 236 Schutzwürdigkeit siehe Schutzbedürftigkeit Schutzzweck siehe auch Gesetzesbegründung – § 1 I KSchG 92 ff. – § 1 III KSchG 68 ff., 91 f., siehe auch Normzweck – §§ 1a, 10 KSchG 95 – § 622 II S. 1 BGB 95 f., 136 ff., siehe auch Normzweck – § 622 II S. 2 BGB 96 f. Schwerbehinderung 54, 63, 67, 87, 89, 107, 120, 197, 198, 207, 217 Selbstverwirklichung 104 Solidarität 91 f. Sonderkündigungsschutz 84, siehe auch tarifliche Unkündbarkeit und Mutterschutz Sonderzahlungen 183, 242 Sozial 198 f. Sozialauswahl 53 ff., 195 ff. – AGG 81 ff. – Diskriminierung 66 ff. – Gesetzesbegründung 80 – Gesetzesreform 195 ff. – Kollektivrechtliche Wertungen 126 ff. – Normzweck 68 ff. – Praktikabilität 108 ff. – Schutzzweck 91 f. Sozialdaten 54 ff., 65 ff., 187, 197 f.

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Soziale Abfederung 136 ff., 157, 225 Soziale Verantwortung der Arbeitgeber 229 f. Sozialer Besitzstand siehe Besitzstand Soziales Netz des Arbeitnehmers 142, 145 Sozialkonkurrenz 97, 123 Sozialplan 170, 174, 180 f., 188 f., 242 – AGG 185 f. – ArbVG 244 f. Sozialpunkte 54 ff., siehe auch Punkteschema und Sozialdaten Sozialstaatsprinzip 68 f., 92, 105, 199, 214 Sozialsystem 17, 25, 73, 229 Sozialversicherung 172, 179, 181 Spielraum 195 f., 222, 239, siehe auch Beurteilungsspielraum Standesrecht 30 Status quo – Familienförderung 25 – Personalstruktur 219 f. Stellensuche 136 f., 157, 225, siehe auch Arbeitsplatzsuche Sterbeziffer 22 Steuerklasse 117 Steuerungsmöglichkeit 22 ff. Stiefeltern siehe Stiefkind Stiefkind 39 ff., 42 f., 46, 197 – Adoption 214 f. Stillschweigend 39 f. Störung der Geschäftsgrundlage 40 Studium 36 ff. Synallagma 123, 141 ff., 146, 182 Systematik 175, 200, 218 Tätigkeitsspezifische Flexibilität 142 ff., siehe auch Flexibilitätsverlust Tarifautonomie 127, 129, 191, siehe auch Koalitionsfreiheit

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Sachregister

Tarifliche Abfindung 169, 188 ff., 242, siehe auch Tarifsozialplan und Rationalisierungsschutzabkommen – AGG 192 Tarifliche Kündigungsfrist 126 ff., 155, 165 – AGG 155, 165 f. Tarifliche Unkündbarkeit 130 ff., 155 Tarifpolitik 208 ff., 224, 232, 233 f. Tarifrecht 126 ff., 155, 165 f., 191, 208 ff. Tarifsozialplan 170, 188, 242, siehe auch Sozialplan Tarifsperre 224 f., siehe auch Tarifvorrang Tarifvertrag 55, 64, 188, 224, 232 f., siehe auch Tarifrecht – Auslegung 135, 165 f. – Billigung 129, siehe auch Wille bei Tarifvertragsparteien – Familienfreundlichkeit 208 f. Tarifvertragsparteien 127 ff., 191 f., 208 ff. – Wille 129, 165 f., 191 Tarifvorrang 127, 155, 164, 191, 224 f. Tatsächliche Unterhaltszahlungen 35 f., 106, 196, 222 Teilzeit 212 f. Transparenz siehe auch Praktikabilität – Abfindung 240 – ArbVG 216, siehe auch Arbeitsvertragsgesetz – Sozialauswahl 178 f. Treu und Glauben (§ 242 BGB) 94, 122, 223 f. Treuwidriges Verhalten 119, 121, 174, siehe auch Treu und Glauben Überalterung des Betriebs 218 ff., siehe auch Personalstruktur Überbrückungsbedarf 177 Überbrückungsfunktion 172 ff. Umfang der Unterhaltspflichten 110 ff., 207, 224

Unfallrisiko 71 Unkündbarkeit 130 ff., 155 Unmittelbare Benachteiligung 53, 67, 157, 168 f., 176, 208, 211 Unmittelbare Diskriminierung 208, 211, siehe auch unmittelbare Benachteiligung Unrichtige Unterhaltsangaben – Arbeitnehmer 121 f. – Lohnsteuerkarte 116 ff. Unterhalt – Ausbildungsunterhalt 36 ff. – Auskunftspflicht 114 ff., 205 ff. – Barunterhalt siehe Barunterhalt – Bedürftigkeit 30, 34, 42, 213 – Beendete Unterhaltspflichten 41 f. – Berechnung 115 ff., siehe auch Feststellung – Betreuungsunterhalt siehe Betreuungsunterhalt – Beweisbarkeit 41, siehe auch Praktikabilität – Ermittlung 223 f., siehe auch Bundesdatenschutzgesetz, siehe Feststellung und siehe Mehraufwand – Familienunterhalt siehe Familienunterhalt – Feststellung der Unterhaltspflicht 114 ff. – Gesteigerte Unterhaltspflicht 36, 215 f. – Informationserlangung 114 ff. – Kindesunterhalt siehe Kindesunterhalt – Nachehelicher Unterhalt siehe nachehelicher Unterhalt – Rang des Unterhaltsanspruchs 36 f., siehe auch Vorrang – Verjährung 35 – Vertraglicher Unterhalt siehe vertragliche Unterhaltspflichten – Verwandtenunterhalt siehe Verwandtenunterhalt

Sachregister – Verzicht siehe Verzicht – Vorrang 36 f., 215 f. Unterhaltsart 35, 212 f. Unterhaltsbedarf siehe Bedürftigkeit Unterhaltsrechtsreform 36 ff., 215 f., 224, 242 Unterhaltsvereinbarung 39 ff. Unterhaltsvorschuss 35 Unternehmensgewinn 123, 147 f., 182 Unternehmerfreiheit 217, 227 ff. Unzumutbarkeit 228 ff., siehe auch Arbeitgeberinteresse – § 9 KSchG 171 Urlaub 91, 127, 207, 216, 230 Urlaubsgeld 242 Ursprung im Arbeitsverhältnis 102 ff., 136, 171 UVG siehe Unterhaltsvorschuss Verantwortung des Arbeitgebers – Soziale Verantwortung 230 – Vertrauenstatbestand 150 f. Verdachtskündigung 116 Verdienst siehe Einkommen Verdienstausfall 174 f. Vereinbarkeit von Familie und Beruf 18 f. Vergangenheitsbezug 69, 152 f., 177, 180 Vergleich 170 Vergleichbare Arbeitnehmer 54 f., 68, 108, 112 Vergleichbare Normen siehe gesetzgeberische Wertungen Vergütung 123, 141, siehe auch Einkommen Verhaltensbedingte Kündigung 104 f., 122, 151, 223 Verheiratetenzuschlag 215 Verjährung (Unterhaltsanspruch) 35 Verjüngung der Belegschaft 218 ff. Verlängerte Kündigungsfrist siehe Kündigungsfristen

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Verlustjahre 147 f. Vermittelbarkeit 70 ff., 84 f., 88, 96, 158, 160, 162 f., 176 f., siehe auch Schutzbedürftigkeit Vermögen 100 f., 184 Vermögensrechtliches Äquivalent 172 Vermögensschaden 172 Versorgungsanspruch 127 Versorgungszulage 153 Verständlichkeit 178, siehe auch Transparenz und siehe auch Befriedungsfunktion Vertrag zu Lasten Dritter 39 Vertragliche Unterhaltspflicht 39 ff. – Auflösende Bedingung 39 f. – Beweisbarkeit 41 – Formfreiheit 39 f. – Stiefkind/Stiefeltern 39 f. Vertrauen des Arbeitnehmers siehe Bestandsvertrauen Vertrauensmissbrauch siehe Bestandsvertrauen Vertrauenstatbestand 40 f., 148 ff. Verwaltungsaufwand 217 Verwandtenunterhalt (§§ 1601 ff.) 34 f., 41, 42 f. Verwandtschaft 32, siehe auch Verwandtenunterhalt Verzicht – Klagemöglichkeit (§ 1a KSchG) 179, 240 – Unterhalt 40 Verzugslohn siehe Annahmeverzugslohn Volljährigkeit 36 ff. Vorbildfunktion 208 ff., 224, 233 f., 236, 242 Vordienstzeit 39, siehe betriebsfremde Beschäftigungszeit Vorgezogenes Altersruhegeld siehe Altersruhegeld Vormund 46

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Sachregister

Vorrang im Mangelfall 36 f., 215 f. Vorsorgefunktion 182, siehe auch Überbrückungsfunktion Wachstumsdividende 233 Wanderschaft 96, 159 ff., 162 f. Wartefrist 25, 39, 89 f., 139, 143, 158, 176, 224 – Schutzzweck 92 ff. Weihnachtsgeld 242 Weimarer Reichsverfassung (Art. 6 I GG) 204 f. Weisungsrecht 101, 103, 110, 112, 124, 142 f. Wertschöpfung 233 Wertungsübertragung 97 f., siehe auch gesetzgeberische Wertungen Wettbewerbsvorteil 232 f. Widersprüchliches Verhalten 119, 121, 174, siehe auch Treu und Glauben Wiedereingliederung – Ältere 70 ff., 158, 207 f. – Eltern 18 f., 28 – Jüngere 74 ff., 96, 157, 158, 160 – Jugendliche 160, 163 f. Wiedereinstieg v. Müttern 18 f., 28

Wortlaut – § 1 III KSchG 54, 55, 93, 98, 110, 139 f., 187, 197 ff., 204, 218, siehe auch Gleichrangigkeit – § 2 IV AGG 82 f. – § 10 KSchG 169 – § 622 II BGB 125, 165 – Sozial 198 f. Zahlung des Unterhalts siehe Erfüllung der Unterhaltspflichten Zeitarbeit 24 f. Zirkelschluss 98, 102, 130, 132, 140 f., 150, 155, 161, 165 f., 187, 191 Zugang der Kündigung 114 f. Zukunftsangst 22 ff. Zukunftsbezug 172 ff., 177, 179, 183, siehe auch Vergangenheitsbezug Zukunftsorientierte Betrachtungsweise 69, siehe auch Zukunftsbezug Zumutbarkeit 228 ff., siehe auch Arbeitgeberinteresse Zusammenhang Unterhaltspflichten und Arbeitsverhältnis 103 ff. Zuwanderung 19 Zuweisungsgehalt 101