Europäische Stadtgeschichte: Ausgewählte Beiträge 9783412215620, 9783412209841

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Europäische Stadtgeschichte: Ausgewählte Beiträge
 9783412215620, 9783412209841

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¨ DTEFORSCHUNG STA Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster begru¨ndet von Heinz Stoob in Verbindung mit

U. Braasch-Schwersmann, M. Kintzinger, B. Krug-Richter, A. Lampen, E. Mu¨hle, J. Oberste, M. Scheutz, G. Schwerhoff und C. Zimmermann herausgegeben von

We r n e r F r e i t a g Reihe A: Darstellungen Band 86

¨ ISCHE EUROPA STADTGESCHICHTE ¨ HLTE BEITRA ¨ GE AUSGEWA

von Peter Johanek

herausgegeben von We r n e r F r e i t a g und M e c h t h i l d S i e k m a n n

2012 ¨ HLAU VERLAG WIEN KO ¨ LN WEIMAR BO

Erscheint gleichzeitig als Vero¨ffentlichungen der Historischen Kommission fu¨r Westfalen, Neue Folge 8

Gefo¨rdert aus Mitteln der Kulturstiftung der Westfa¨lischen Provinzial Versicherung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Die Stadt Wien mit ihrer na¨chsten Umgebung zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Sie ist von einer Mauer umgeben; im Innern sind die Kirchen, die Hofburg, die Universita¨t und das „Paradeyß“, der landesfu¨rstliche Lustgarten, eingetragen. Der albertinische Plan gilt als einer der a¨ltesten Stadtpla¨ne des Mittelalters in Europa. Anonyme Federzeichnung. Kopie aus dem spa¨ten 15. Jahrhundert nach einer Vorlage von 1421/22. Copyright Wien Museum © 2012 by Bo¨hlau Verlag GmbH & Cie, Wien Ko¨ln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Ko¨ln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzula¨ssig. Redaktion: Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, Mu¨nster http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte Layout und Satz: Peter Kramer Buch & Satz, Mu¨nster Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mo¨rlenbach Gesetzt aus der Linotype Stempel Garamond 10pt. Gedruckt auf chlor- und sa¨urefreiem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-412-20984-1

INHALT

Zur Einfu¨hrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Redaktionelle Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X

Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

I.

Von der bu¨rgerlichen Selbstvergewisserung im 19. Jahrhundert zur Stadtgeschichtsforschung

Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert .

3

Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff (Ausblicke), Darmstadt 1992, S. 81–100, Anm. S. 193–202

Stadtgeschichtsforschung. Leistungen und Perspektiven der media¨vistischen Stadtgeschichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Schauplatz Mittelalter Friesach. Ka¨rntner Landesausstellung 2001, Bd. 1: Einfu¨hrung, hg. v. Land Ka¨rnten, Klagenfurt 22001, S. 115–135

Stadtgeschichtsforschung – ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz

47

Europa¨ische Sta¨dte im Mittelalter, hg. v. Ferdinand Opll/Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beitra¨ge zur Wiener Stadtgeschichte 52), Innsbruck 2010, S. 45–92

Die o¨sterreichische Stadtgeschichtsforschung zur mittelalterlichen Epoche. Leistungen – Defizite – Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

¨ sterreich, NF 5 (2000), Pro Civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in O S. 7–22

II.

Handel und Gewerbe

Merchants, Markets and Towns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . The New Cambridge Medieval History, Vol. III: c. 900–c. 1024, ed. by Timothy Reuter, Cambridge 1999, pp. 64–94. © Cambridge University Press. Reprinted with permission.

117

VI

Inhalt

Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfalen wa¨hrend des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

Stadt und Eisen, hg. v. Ferdinand Opll (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 11), Linz/Donau 1992, S. 15–36

Die mittelalterlichen Fernha¨ndler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

Sozialgeschichte der baltischen Deutschen, hg. v. Wilfried Schlau, Ko¨ln 1997, S. 31–45

III. Sta¨dtische Verfassung Bu¨rgerka¨mpfe und Verfassung in den mittelalterlichen deutschen Sta¨dten .

191

Einwohner und Bu¨rger auf dem Weg zur Demokratie. Von den antiken Stadtrepubliken zur modernen Kommunalverfassung, hg. v. Hans Eugen Specker (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 28), Ulm/Stuttgart 1997, S. 45–73

Adel und Stadt im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216

Adel und Stadt. Vortra¨ge auf dem Kolloquium der Vereinigten Westfa¨lischen Adelsarchive e. V. vom 28.–29. Oktober 1993 in Mu¨nster, Red. Gunnar Teske (Vereinigte Westfa¨lische Adelsarchive e. V., Vero¨ffentlichung 10), Mu¨nster 1998, S. 9–35

Residenzenbildung und Stadt bei geistlichen und weltlichen Fu¨rsten im Nordwesten Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Historia Urbana 5 (1997), S. 91–108

Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire. City-States in Pre-Modern Germany? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

A Comparative Study of Thirty City-""State Cultures. An Investigation Conducted by the Copenhagen Polis Centre, ed. M. H. Hansen, Copenhagen 2000, pp. 295–319

IV. Zentrenbildung, Sta¨dtenetze und Landesherrschaft Fru¨he Zentren – werdende Sta¨dte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291

Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, u. Mitarb. v. Nicola Karthaus hg. v. Jo¨rg Jarnut/Matthias Wemhoff (MittelalterStudien 13), Mu¨nchen 2006, S. 511–538

Landesherrliche Sta¨dte – kleine Sta¨dte. Umrisse eines europa¨ischen Pha¨nomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

Landesherrliche Sta¨dte in Su¨dwestdeutschland, hg. v. Ju¨rgen Treffeisen/Kurt Andermann (ObrhStud 12), Sigmaringen 1994, S. 9–25

Die Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft . . . . . . . . . . . . . Zentrum und Peripherie in der Gemania Slavica. Beitra¨ge zu Ehren von Winfried Schich, hg. v. Doris Bulach/Matthias Hardt (Forschungen zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropa 34), Stuttgart 2008, S. 295–316

336

Inhalt

Entstehung und Entwicklung des Sta¨dtenetzes in Oberschlesien . . . . . .

VII 358

Stadtgeschichte Oberschlesiens. Studien zur sta¨dtischen Entwicklung und Kultur einer ostmitteleuropa¨ischen Region vom Mittelalter bis zum Vorabend der Industrialisierung, i. A. der Stiftung Haus Oberschlesien hg. v. Thomas Wu¨nsch, Berlin 1995, S. 57–74

V.

Sta¨dtisches Geschichtsbewusstsein und sta¨dtische Identita¨ten

Geschichtsbild und Geschichtsschreibung in den sa¨chsischen Sta¨dten im 15. und 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375

Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellung Kulturhistorisches Museum Magdeburg 28. Mai bis 25. August 1996, Braunschweigisches Landesmuseum Ausstellungszentrum Hinter Aegidien 17. September bis 1. Dezember 1996, hg. v. Matthias Puhle (Magdeburger Museumsschriften 4), Magdeburg 1996, Bd. 1: Aufsa¨tze, S. 557–574

¨ berlieferung in Inszenierte Vergangenheit. Vom Umgang mit geschichtlicher U den deutschen Sta¨dten des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395

Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter, hg. v. Matthias Ohm/Thomas Schilp/Barbara Welzel (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 7), Bielefeld 2006, S. 39–48

Fest und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

422

Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Media¨vistenverbandes, hg. v. Detlef Altenburg/Jo¨rg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff, Sigmaringen 1991, S. 525–540

Schriften von Peter Johanek 2002 bis 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441

Index der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447

¨ HRUNG ZUR EINFU

Peter Johanek la¨sst sich „nicht in eine bestimmte Kategorie des Historikerseins einordnen, er entzieht sich mit der Breite seiner Interessen wie seiner Arbeiten einer allzu eindeutigen Kategorisierung vo¨llig.“ Diese Charakterisierung durch Ferdinand Opll1 hat auch nach 10 Jahren nichts von ihrer Gu¨ltigkeit verloren (siehe das Schriftenverzeichnis am Ende dieses Bandes). Dennoch unternimmt das Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte anla¨sslich des 75. Geburtstages von Peter Johanek den Versuch, einen charakteristischen Teil seines weiten Schaffens zu „isolieren“, indem es 18 Beitra¨ge zur Stadtgeschichte und Stadtgeschichtsforschung zum Wiederabdruck bringt.2 Dass die Stadtgeschichte einen zentralen Platz in Johaneks wissenschaftlichem Oeuvre einnimmt, steht in ¨ bernahme der Leitung des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨denger Verbindung zur U tegeschichte im Jahre 1984 als Wissenschaftlicher Direktor, die er bis zum Jahre 2007 innehatte. In dieser Zeit band er das Institut – auch aufgrund seiner zahlreichen Berufungen und Mitgliedschaften in nationalen und internationalen Forschungsgemeinschaften – europaweit in stadtgeschichtliche Projekte ein. Besonders sind hier die Atlasarbeiten der „Commission Internationale pour l’Histoire des Villes“ zu nennen. Auch etliche Titel der Institutsreihe „Sta¨dteforschung“, deren gescha¨ftsfu¨hrender Herausgeber er von Band 35 bis Band 76 war, geben Zeugnis von dieser europa¨ischen Perspektive. So ist der Wiederabdruck einer Sammlung seiner Aufsa¨tze in dieser Reihe auch als Ehrung und Dank gedacht. Nach wie vor ist es Peter Johanek ein Anliegen, Aspekte der Stadtgeschichte zu erforschen, sie in Vero¨ffentlichungen zuga¨nglich zu machen und in der Lehre weiterzugeben – das Institut und seine Mitarbeiter nehmen diese „Geschenke“ mit Freude an und hoffen auf viele weitere Jahre wissenschaftlicher Communio. Die Historische Kommission fu¨r Westfalen bekundet ihrem langja¨hrigen Ersten Vorsitzenden Peter Johanek ihren Dank, indem sie die vorliegende Aufsatzsamm-

1 Ferdinand Opll, Laudatio auf Peter Johanek, in: Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kul-

tur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburtstag, hg. v. Wilfried Ehbrecht, Angelika Lampen, Franz-Joseph Post und Mechthild Siekmann, Ko¨ln/Weimar/Wien 2002, S. XIV. 2 Nachdrucke von Aufsa¨tzen Johaneks zu weiteren Themenbereichen finden sich in: Was weiter wirkt ... ¨ berlieferung und Schriftkultur des Mittelalters, hg. v. Antje Sander-Berke Recht und Geschichte in U und Birgit Studt, Mu¨nster 1997.

X

Redaktionelle Vorbemerkungen

lung, die auch westfa¨lische Bezu¨ge aufweist, in ihre Publikationen aufnimmt und finanziell fo¨rdert. Der Kulturstiftung der Westfa¨lischen Provinzial Versicherung ist fu¨r die Gewa¨hrung eines Zuschusses zu danken, welcher die Drucklegung ermo¨glichte. Die freundliche Unterstu¨tzung durch Verlage und Leihgeber erleichterte die Verwirklichung des Bandes. Mu¨nster, am 28. 8. 2012

Werner Freitag und Mechthild Siekmann

REDAKTIONELLE VORBEMERKUNGEN

Im vorliegenden Band werden bereits publizierte Aufsa¨tze nachgedruckt. Es handelt sich um ungeku¨rzte Wiedergaben einschließlich aller Abbildungen. Korrekturen am Original betreffen lediglich Druckfehler. Da dieser Sammelband im Rahmen der Reihe „Sta¨dteforschung“ erscheint, wurden gewisse Vereinheitlichungen vorgenommen. Hierbei legte die Redaktion besonderen Wert auf das Gesamt-Layout des Bandes und die Geschlossenheit des einzelnen Beitrags, ohne eine Angleichung an die Zitierweise der Reihe anzustreben. Die im Original erwa¨hnte, zwischenzeitlich erschienene Literatur wurde um die bibliographischen Angaben erga¨nzt. Die Beitra¨ge sind in ihrer jeweiligen Rechtschreibung belassen. Bei einigen Aufsa¨tzen wurden Literaturhinweise, die in den Text eingebunden waren, in Anmerkungen verwandelt (a-Fußnoten, so dass die Nummerierung unvera¨ndert blieb). ❦ Die Redaktion dankt Peter Johanek sehr herzlich fu¨r viele gemeinsame Jahre, in denen wir rund 50 Bu¨cher bearbeitet und vero¨ffentlicht haben. Er begleitete uns und unsere Arbeit immer mit Vertrauen und Wertscha¨tzung, gewa¨hrte hohe Eigenverantwortung, wusste Rat und Antwort auch bei den entlegensten Fragen. Der umfangreiche Index zu dieser Aufsatzsammlung, den er wie bei allen fru¨heren Ba¨nden der Reihe pru¨fte und korrigierte, ist dafu¨r ein Beispiel. Seine Kenntnisse und Fa¨higkeiten in den scho¨nen Ku¨nsten, besonders der Literatur und Musik, und seine Freude sie zu teilen, ließ manche trockene Arbeit unvermutet zu einem heiteren, unvergesslichen Erlebnis werden.

X

Redaktionelle Vorbemerkungen

lung, die auch westfa¨lische Bezu¨ge aufweist, in ihre Publikationen aufnimmt und finanziell fo¨rdert. Der Kulturstiftung der Westfa¨lischen Provinzial Versicherung ist fu¨r die Gewa¨hrung eines Zuschusses zu danken, welcher die Drucklegung ermo¨glichte. Die freundliche Unterstu¨tzung durch Verlage und Leihgeber erleichterte die Verwirklichung des Bandes. Mu¨nster, am 28. 8. 2012

Werner Freitag und Mechthild Siekmann

REDAKTIONELLE VORBEMERKUNGEN

Im vorliegenden Band werden bereits publizierte Aufsa¨tze nachgedruckt. Es handelt sich um ungeku¨rzte Wiedergaben einschließlich aller Abbildungen. Korrekturen am Original betreffen lediglich Druckfehler. Da dieser Sammelband im Rahmen der Reihe „Sta¨dteforschung“ erscheint, wurden gewisse Vereinheitlichungen vorgenommen. Hierbei legte die Redaktion besonderen Wert auf das Gesamt-Layout des Bandes und die Geschlossenheit des einzelnen Beitrags, ohne eine Angleichung an die Zitierweise der Reihe anzustreben. Die im Original erwa¨hnte, zwischenzeitlich erschienene Literatur wurde um die bibliographischen Angaben erga¨nzt. Die Beitra¨ge sind in ihrer jeweiligen Rechtschreibung belassen. Bei einigen Aufsa¨tzen wurden Literaturhinweise, die in den Text eingebunden waren, in Anmerkungen verwandelt (a-Fußnoten, so dass die Nummerierung unvera¨ndert blieb). ❦ Die Redaktion dankt Peter Johanek sehr herzlich fu¨r viele gemeinsame Jahre, in denen wir rund 50 Bu¨cher bearbeitet und vero¨ffentlicht haben. Er begleitete uns und unsere Arbeit immer mit Vertrauen und Wertscha¨tzung, gewa¨hrte hohe Eigenverantwortung, wusste Rat und Antwort auch bei den entlegensten Fragen. Der umfangreiche Index zu dieser Aufsatzsammlung, den er wie bei allen fru¨heren Ba¨nden der Reihe pru¨fte und korrigierte, ist dafu¨r ein Beispiel. Seine Kenntnisse und Fa¨higkeiten in den scho¨nen Ku¨nsten, besonders der Literatur und Musik, und seine Freude sie zu teilen, ließ manche trockene Arbeit unvermutet zu einem heiteren, unvergesslichen Erlebnis werden.

¨ RZUNGEN UND SIGLEN VERZEICHNIS DER ABKU

Bf. Bgm. cf. col., cols. Ebf. Fam. Fst. Gem. Gf. Gfst. Hz. Kg. Kl. Ks. Lfg. AASS AbhAkGo¨tt AFWL AKG AlemJb ¨ stG ArchO ArchSchlesKG BeitrGDortmund BerrDtLdkd BGStM BiblDHI Rom BllDtLG BremJb BrschwWerkstu¨cke ChrDtSt ClassHFrance DALV DD Lothar Die alte Stadt ZSSD DtStAtl DtStB FDtLdkd FMSt Fonti FontRerAustr

Bischof Bu¨rgermeister confer column, columns Erzbischof Familie Fu¨rst Gemahl, Gemahlin Graf Großfu¨rst Herzog Ko¨nig Kloster, Klasse Kaiser Lieferung

Lgf. Mgf. n. ND NF p., pp. Phil.-Hist. Kl. Rh. S. sq., sqq. T. viz. vol.

Landgraf Markgraf nota, note Neudruck, Nachdruck Neue Folge (= N. F.) pagina(e), page(s) Philosophisch- bzw. Philologisch-Historische Klasse Ratsherr Seite, Sohn et sequens/sequentes ([fort-]folgende) Teil, Tochter videlicet (namely, na¨mlich) volumen, volume

Acta Sanctorum Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Go¨ttingen, Phil.-Hist. Klasse Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe Archiv fu¨r Kulturgeschichte Alemannisches Jahrbuch Archiv fu¨r o¨sterreichische Geschichte Archiv fu¨r schlesische Kirchengeschichte Beitra¨ge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark Berichte zur deutschen Landeskunde Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bla¨tter fu¨r deutsche Landesgeschichte Bremisches Jahrbuch Braunschweiger Werkstu¨cke Chroniken der deutschen Sta¨dte Les classiques de l’histoire de France au moyen aˆge Deutsches Archiv fu¨r Landes- und Volksforschung I diplomi die Ugo e die Lotario, die Berengario II e di Adalberto (secolo X), hg. v. L. Schiaparelli (Fonti 38), Rom 1924 Die alte Stadt. Zeitschrift fu¨r Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege Deutscher Sta¨dteatlas Deutsches Sta¨dtebuch Forschungen zur deutschen Landeskunde Fru¨hmittelalterliche Studien Fonti per la storia d’Italia Fontes rerum austriacarum

XII FontRerBoh FOsteurG FSGA MA GermSacra GuG GWU HansGbll HansUB HessJb HistSt HZ JbFrkLdF JbGesNdsKG JbKo¨lnGV JbRG JbUnivBreslau JbVGWien JbwestdtLG JbWirtschG JbWittheitBremen JGMOD LexMA Lu¨nebBll MainfrkJb MdtF MGH MGH Cap MGH Const MGH DD MGH DD Arn MGH DD HII MGH DD HIII MGH DD HIV MGH DD KoII MGH DD KoIII MGH DD LD MGH DD LoIII MGH DD OI MGH DD OII MGH DD OIII MGH Schriften MGH SS MGH SSrG MGH SSrG i. u. s. MGH SSrG ns MGH SSrM ¨G MIO MittStadtAKo¨ln MMS MonBo NArchSa¨chsG NDB NdsJb NdtMitt Nu¨rnbF

Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen Fontes rerum bohemicarum Forschungen zur osteuropa¨ischen Geschichte Ausgewa¨hlte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters – Freiherr-vom-Stein-Geda¨chtnisausgabe [A] Germania Sacra Geschichte und Gesellschaft, Zeitschrift fu¨r historische Sozialwissenschaft Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hansische Geschichtsbla¨tter Hansisches Urkundenbuch Hessisches Jahrbuch fu¨r Landesgeschichte Handbuch der historischen Sta¨tten Deutschlands Historische Zeitschrift Jahrbuch fu¨r fra¨nkische Landesforschung Jahrbuch der Gesellschaft fu¨r Niedersa¨chsische Kirchengeschichte Jahrbuch des Ko¨lnischen Geschichtsvereins Jahrbuch fu¨r Regionalgeschichte Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universita¨t zu Breslau Jahrbuch des Vereins fu¨r die Geschichte der Stadt Wien Jahrbuch fu¨r westdeutsche Landesgeschichte Jahrbuch fu¨r Wirtschaftsgeschichte Jahrbuch der Wittheit zu Bremen Jahrbuch fu¨r die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands Lexikon des Mittelalters Lu¨neburger Bla¨tter Mainfra¨nkisches Jahrbuch fu¨r Geschichte und Kunst Mitteldeutsche Forschungen Monumenta Germaniae Historica MGH Capitularia MGH Constitutiones MGH Diplomata MGH DD Arnulf MGH DD Heinrich II. MGH DD Heinrich III. MGH DD Heinrich IV. MGH DD Konrad II. MGH DD Konrad III. MGH DD Ludwig d. Deutsche MGH DD Lothar III. MGH DD Otto I. MGH DD Otto II. MGH DD Otto III. Schriften der Monumenta Germaniae Historica MGH Scriptores MGH Scriptores rerum Germanicarum MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum MGH Scriptores rerum Germanicarum, Nova series MGH Scriptores rerum Merovingicarum ¨ sterreichische Geschichtsforschung Mitteilungen des Instituts fu¨r O Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Ko¨ln Mu¨nstersche Mittelalter-Schriften Monumenta Boica Neues Archiv fu¨r sa¨chsische Geschichte und Altertumskunde Neue Deutsche Biographie Niedersa¨chsisches Jahrbuch fu¨r Landesgeschichte Niederdeutsche Mitteilungen, Lund Nu¨rnberger Forschungen

Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen NumZ ObrhStud OsnMitt PL PP PublGesRhGkd QDHansG RA Ch S RecSocBodin RegImp RH RhArch RhVjbll SbbSa¨chsAkLeipzig SoesterZ StF A StF B StF C THF VGesFrkG VHKomHess VHKomNds VHKomWestf VKo¨lnGV VKomGLdkdBW VL VL2 VMPI VNdsG VProvIWLdke VSWG VuF WdF WestfF WestfStAtl WestfUB WestfZ ZAachGV ZAM ZArcha¨ol ZBayLG ZBergGV ZfG ZGO ZHF ZKunstG ZRGG ZVLu¨bG ZWu¨rttLG

XIII

Numismatische Zeitschrift Oberrheinische Studien Osnabru¨cker Mitteilungen Patrologiae Latinae tomus, accurante J.-P. Migne Past & Present Publikationen der Gesellschaft fu¨r Rheinische Geschichtskunde Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte Recueil des actes de Charles III le Simple, roi de France, 893–923, hg. v. P. Lauer, Paris 1949 Recueil de la Socie´te´ Jean Bodin pour l’histoire comparative des institutions Regesta Imperii, Die Regesten des Kaiserreichs Revue Historique Rheinisches Archiv Rheinische Vierteljahrsbla¨tter Sitzungsberichte der Sa¨chsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Soester Zeitschrift Sta¨dteforschung, Reihe A: Darstellungen Sta¨dteforschung, Reihe B: Handbu¨cher Sta¨dteforschung, Reihe C: Quellen Trierer Historische Forschungen Vero¨ffentlichungen der Gesellschaft fu¨r Fra¨nkische Geschichte Vero¨ffentlichungen der Historischen Kommission fu¨r Hessen und Waldeck Vero¨ffentlichungen der Historischen Kommission fu¨r Niedersachsen und Bremen Vero¨ffentlichungen der Historischen Kommission fu¨r Westfalen Vero¨ffentlichungen des Ko¨lnischen Geschichtsvereins Vero¨ffentlichungen der Kommission fu¨r geschichtliche Landeskunde in Baden-Wu¨rttemberg Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl. Vero¨ffentlichungen des Max-Planck-Instituts fu¨r Geschichte Vero¨ffentlichungen zur niedersa¨chsischen Geschichte Vero¨ffentlichungen des Provinzialinstituts fu¨r westfa¨lische Landes- und Volkskunde Vierteljahrschrift fu¨r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vortra¨ge und Forschungen Wege der Forschung Westfa¨lische Forschungen Westfa¨lischer Sta¨dteatlas Westfa¨lisches Urkundenbuch Westfa¨lische Zeitschrift Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Zeitschrift fu¨r Archa¨ologie des Mittelalters Zeitschrift fu¨r Ara¨cha¨ologie Zeitschrift fu¨r bayerische Landesgeschichte Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins Zeitschrift fu¨r Geschichtswissenschaft Zeitschrift fu¨r die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift fu¨r Historische Forschung Zeitschrift fu¨r Kunstgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung fu¨r Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift des Vereins fu¨r Lu¨beckische Geschichte und Altertumskunde Zeitschrift fu¨r wu¨rttembergische Landesgeschichte

¨ RGERLICHES MITTELALTERLICHE STADT UND BU GESCHICHTSBILD IM 19. JAHRHUNDERT [Erstabdruck: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff (Ausblicke), Darmstadt 1992, S. 81–100, Anm. S. 193–202]

Am Sonntag, den 24. September 1826, schreibt ein junger Maler aus Dresden an seine Braut in Bremen. Die Verlobung ist gerade zustande gekommen, nach langem Widerstand des Brautvaters und jahrelanger Trennung der Liebenden. Auf die Zustimmung des Brautvaters hin, war der junge Mann von Rom nach Bremen geeilt, hatte im August 1826 einige Wochen im Elternhaus der Braut, im Pfarrhaus von St. Anschari in Bremen, zugebracht. Nun ist er bereits wieder vier Wochen von ihr getrennt, sinnt u¨ber die Gespra¨che nach, die sie in Bremen u¨ber ihre zuku¨nftige Verbindung gefu¨hrt haben und beantwortet so den ersten Brief, den er von seiner Braut erhalten hat. Wilhelm von Ku¨gelgen schreibt an Julie Krummacher. „Dann schriebst Du“, so setzt er hin, „ich solle doch die Bremer nicht so gar verachten. Mein liebes Herz, wenn ich das ta¨te, so verdiente ich allerdings Streiche, und wenn ich mich manchmal unversta¨ndig ausdru¨cke, so schreibe das doch ja nicht auf Rechnung meines Herzens. Kaufleute waren mir allerdings fru¨her unter allem Volk diejenigen, mit denen ich am wenigsten gern umging. Du weißt, daß ich dem Adel angeho¨re, dessen eigentu¨mlicher Charakter von alters her dem der Kaufleute entgegengesetzt war, daher sie denn auch in besta¨ndiger Fehde miteinander gelegen haben, solange man in Deutschland noch einen Arm frei ru¨hren konnte. Was dem einen Teil groß erschien, erschien dem anderen dumm, was der eine fu¨r die ho¨chste ma¨nnliche Tugend hielt, der perso¨nliche Mut, war dem anderen etwas Unnu¨tzes und wurde verlacht. So waren und sind sie in ihrem Grundcharakter sehr verschieden, und noch jetzt betrachtet der eine Stand den anderen mit Vorurteilen. Unter solchen bin ich aufgewachsen und habe oft Widerwillen gegen Kaufleute gefu¨hlt, wo ich mir selbst keinen anderen Grund angeben konnte, als daß sie eben Kaufleute waren; nur soviel fu¨hlte ich immer, daß sie von meiner gewohnten Umgebung ganz verschieden waren und mich fremdartig ansprachen. Jedoch bemu¨he ich mich ernstlich, solche Vorurteile in mir auszurotten, so schwer dies auch ist. Etwas ganz anderes aber ist es mit den Bremern, fu¨r die ich nur die gro¨ßte Achtung haben kann. Der Kaufmannsgeist wird bei ihnen u¨berwogen durch das freireichssta¨dtische Wesen, das in gewisser Hinsicht, weil es aus offener Opposition gegen den Adel entstanden ist und sich gehalten

4

Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert

hat, einen dem Adel gleichen, nach Unabha¨ngigkeit und Selbsta¨ndigkeit durch eigene Kraft strebenden Sinn ausspricht.“1 Der als tiefe Dichotomie empfundene Gegensatz zwischen Adel und Bu¨rgertum, den Wilhelm von Ku¨gelgen hier gleichsam als soziale Grundkategorie formulierte, hatte schon im Vorfeld der Verlobung eine Rolle gespielt. Friedrich Adolph Krummacher, der Vater der Braut, der bekannte religio¨se Schriftsteller und fru¨here Superintendent des Fu¨rstentums Anhalt-Bernburg, der den Hofdienst kannte und die Adelswelt dieser kleinen deutschen Ho¨fe, widersetzte sich aus ganz verschiedenen Gru¨nden der Verbindung seiner Tochter mit dem jungen Maler, der einst la¨ngere Zeit in seinem Haus erzogen worden war. Der Mutter Ku¨gelgens jedoch schrieb er mit einem gewissen Stolz als Hauptgrund seines Widerstandes: „Wilhelm ist ein Edelmann und ich nicht“2. Helene von Ku¨gelgen, eine geborene Zoege von Manteuffel, hatte dem von ihr bewunderten, ja tief verehrten Kirchenmann daraufhin entgegengehalten, daß dieses „von“ ihren Kindern „weder Rittergu¨ter noch Wohlhabenheit“ gegeben habe. „Sie mu¨ssen alle gottlob arbeiten, wenn sie leben wollen“, meinte sie und auch die Malerei Wilhelms sei „ein bu¨rgerliches Gewerbe“3. In der Tat ist in der sozialen Wirklichkeit, in die die beiden Familien sich eingebettet und in ihrer beruflichen Ta¨tigkeit eingebunden fanden, der von Ku¨gelgen und Krummacher beschworene Gegensatz kaum zu entdecken. Das gilt auch fu¨r die rein genealogischen Argumente, die von beiden Seiten ha¨tten geltend gemacht werden ko¨nnen, jedenfalls was die jeweils va¨terliche Linie angeht. Die Ku¨gelgen wie die Krummacher stammten von einer langen Linie landesherrlicher Beamten her: Rentmeister und Saalschultheißen im rheinischen Linz und Bacharach die einen, Schloßwachtmeister im westfa¨lischen Tecklenburg die anderen. Das kaiserliche Patent, das den Vater Wilhelm Ku¨gelgens in den erblichen Adelsstand erhoben hatte, war u¨berdies nur wenige Jahre vor dem Ende des Alten Reichs von Franz II. unterzeichnet worden.4 Der Eindruck, den die Beschreibung der sozialen Befindlichkeit der Familien Ku¨gelgen und Krummacher vermittelt, wird durch die moderne sozialgeschichtliche Forschung u¨ber das ausgehende 18. und das 19. Jahrhundert auch fu¨r die gro¨ßeren Zusammenha¨nge besta¨tigt. Ganz offenbar geho¨ren beide Familien jener „privilegierten, staatsnahen und staatsbewußten Fu¨hrungsschicht“ an, die besonders in Preußen, aber auch anderwa¨rts aus einer Verschmelzung der besitzenden, wirtschaftlich Ta¨tigen und gebildeten Bu¨rgerschichten und Teilen des Adels sich bildete.5 Es ist dieser

1 Wilhelm von Ku¨gelgen, zwischen Jugend und Reife des Alten Mannes 1820–1840, hg. v. Johannes Wer-

ner, Leipzig 1925, S. 123f.

2 Ebd., S. 88, zitiert in einem Brief der Mutter an Krummacher, 9. Jan. 1826. 3 Ku¨gelgen, Zwischen Jugend und Reife, S. 88. 4 Zur Familie Ku¨gelgen vgl. Wilhelm von Ku¨gelgen, Jugenderinnerungen eines alten Mannes 1802–1820,

hg. v. Johannes Werner, Leipzig 1924, S. XVIII–XXIII; zur Familie Krummacher Bernhard Paul Schlemann, Friedrich Adolf Krummachers Jugend und Jungmannesjahre, Diss. (Masch.) Mu¨nster 1929, S. 1–7. 5 Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwandlung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 21975, S. 115; vgl. dazu und auch zu den im folgenden zitierten Formulierungen Utz Haltern, Bu¨rgerliche Gesellschaft. Sozialtheoretische und

Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert

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Prozeß, der in den Jahren um 1800 den herko¨mmlichen Stand des alten Stadtbu¨rgertums erheblich erweiterte, mit dem Ergebnis, daß das Bu¨rgertum, wenn man es als „die Summe der nichtadeligen, nichtba¨uerlichen und nichtuntersta¨ndischen Kra¨fte“ faßt, als eine so heterogen zusammengesetzte Schicht der Gesellschaft erscheint, daß „von einer Einheit nichts zu erkennen ist“6. Bu¨rger und bu¨rgerlich bezog sich demnach um 1800 auf ein sehr heterogenes Konglomerat sozialer Kategorien.7 Unter ihnen war jene, der die Ku¨gelgen und die Krummacher ganz offensichtlich angeho¨rten – das Bildungsbu¨rgertum – relativ homogen.8 Dennoch sahen sich auch deren Angeho¨rige geno¨tigt, sich ihrer selbst durch Chiffren wie „adelig“ oder „kaufma¨nnisch/bu¨rgerlich“ in ihrer gesellschaftlichen Existenz zu versichern. Es unterliegt keinem Zweifel, dass es sich um Chiffren handelt, die auf Geschichte und historisches Herkommen von Individuen und Gruppen verweisen. Auch werden diese Chiffren von Wilhelm von Ku¨gelgen so gebraucht, daß der durch sie gekennzeichnete Antagonismus dennoch als u¨berwindbar erscheint. Er selbst hat in jenem Brief9 vom „freireichssta¨dtischen Wesen“ gesprochen, das dem Adel gleich oder doch ebenbu¨rtig erscheine. Nur wenige Monate zuvor hatte er in ganz a¨hnlicher Weise aus Venedig geschrieben, ganz u¨berwa¨ltigt von dem Eindruck, den diese Stadt auf ihn machte: „Ich versetzte mich im Geiste in die blu¨henden Zeiten der Republik, es war mir, als sa¨he ich um mich herum das lebendige Treiben der reichen, ma¨chtigen Stadt, als sa¨he ich die Edelleute in ihrem schwarzen Staatskleide, wie sie Hand in Hand mit den alten ehrwu¨rdigen Kaufherren unter den Hallen einhergingen und sich u¨ber das Wohl des Staates besprachen“.10 Es mag sein, daß die Grundworte nicht unabsichtlich vertauscht sind: Edelleute und Kaufherren. Da ist sie wieder, die Ebenbu¨rtigkeit der beiden Sta¨nde. Sie scheinen vereint, um den Staat zu regieren; vereint trotz des scheinbar so tiefen Gegensatzes. Fast zur gleichen Zeit hat der ganz anders geartete Charles Sealsfield, der aus Met¨ sterreich nach Amerika geflohen war, den britischen Nationalcharakter als ternichs O „Kaufmanns- und Aristokraten-Zwittersinn“ gekennzeichnet und ihm positive Zu¨ge zuerkannt.11 Die Szene, die Ku¨gelgen hier malt, verweist dagegen nachdru¨cklich auf

¨ bersozialhistorische Aspekte (Ertra¨ge der Forschung), Darmstadt 1985, der einen ausgezeichneten U blick u¨ber die Forschung bietet; hier S. 79. 6 So eine griffige Formulierung von Franklin Kopitzsch, Sozialgeschichte der deutschen Aufkla¨rung als Forschungsaufgabe, in: ders. (Hg.), Aufkla¨rung, Absolutismus und Bu¨rgertum in Deutschland, Mu¨nchen 1976, S. 25; vgl. Haltern, Bu¨rgerliche Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 78. 7 Ju¨rgen Kocka, Bu¨rgertum und Bu¨rgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom spa¨ten 18. zum fru¨hen 20. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Bu¨rger und Bu¨rgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Go¨ttingen 1987, S. 21–63, hier S. 27; sowie ders., Bu¨rgertum und bu¨rgerliche Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Europa¨ische Entwicklungen und deutsche Eigenarten, in: ders./Ute Frevert (Hg.), Bu¨rgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europa¨ischen Vergleich, Bd. 1, Mu¨nchen 1988, S. 11–76; vgl. auch Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bu¨rgerwelt und starker Staat, Mu¨nchen 1983, S. 255–271. 8 Kocka, Bu¨rgertum und bu¨rgerliche Gesellschaft (wie Anm. 7), S. 12 mit Literatur. 9 Wie Anm. 1. 10 Ku¨gelgen, Zwischen Jugend und Reife (wie Anm. 1), S. 104. 11 Charles Sealsfield (Karl Postl), Der Legitime und die Republikaner, Leipzig o. J., S. 138 (10. Kap.): „Es liegt nun einmal im britischen Charakter jener abstoßende starre Zug, der sich so gern isoliert,

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ferne Vergangenheit, auf das Mittelalter. Sie beschwo¨rt eine Stadt des Mittelalters und ihren vorbildlichen Charakter, die vergangene Existenz einer blu¨henden Zeit. Ku¨gelgen schla¨gt damit eins der Leitmotive bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im 19. Jahrhundert an. Es ist jedoch notwendig, noch einen Augenblick bei jenen beiden Chiffren „adelig“ und „kaufma¨nnisch/bu¨rgerlich“ zu verweilen, mit denen Ku¨gelgen, Krummacher und ihresgleichen ihre gesellschaftliche Welt u¨berschaubar zu machen suchten, auch wenn sie die soziale Wirklichkeit mit solchen Unterscheidungen nicht recht trafen. Der Gebrauch dieser Chiffren in vergleichbarer Funktion reicht u¨ber jene Fu¨hrungsschicht des Bildungsbu¨rgertums hinaus, und sie haben im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bereits eine la¨ngere Geschichte in der intellektuellen und publizistischen Auseinandersetzung der vorangegangenen Jahrzehnte. Sie la¨ßt sich in den deutschen Zeitschriften bis in die siebziger und sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts zuru¨ckverfolgen.12 Es ist fast u¨berflu¨ssig anzumerken, daß die Franzo¨sische Revolution und ihre Auswirkungen auf Deutschland diese Diskussion befeuert haben. Doch wenn sich diese Diskussion um Adel und Bu¨rgertum auch sehr differenziert und nicht selten auf hohem Niveau vollzog, so erstarrten die Begriffe im Gebrauch doch im Grunde zu Stereotypen, die automatische Wertungen evozierten. Es sind Wertun¨ ußerungen gen von holzschnittartigem Charakter, und sie schwingen auch in den A Ku¨gelgens und Krummachers mit. Selbstversta¨ndlich war die große Umwa¨lzung in Frankreich nicht schlechthin eine bu¨rgerliche Revolution.13 Doch im Versta¨ndnis vieler Zeitgenossen war sie eben dies und im Gebrauch der zitierten Chiffren hat sie die vulga¨r- oder popula¨rbegriffliche Dichotomie sicherlich verscha¨rft. Das la¨ßt sich auch an der Beurteilung beobachten, die Sta¨dte in jener Zeit erfahren. Fast regelma¨ßig fließen den von der Aufkla¨rung und den Traditionen der Franzo¨sischen Revolution gepra¨gten Intellektuellen des Biedermeier und Vorma¨rz die Wertungen adelig = feudal, schlicht und bu¨rgerlich = fortschrittlich, gut in die Feder, vor allem, wenn es um Hof- und Residenzsta¨dte geht. So wettert Carl Julius Weber, der Verfasser der „Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen“, gegen Mannheim, die pra¨chtige fru¨here Residenzstadt der pfa¨lzischen Wittelsbacher, und ihre Elitenkultur: „Die Pfalz“ – so schreibt er im gleichen Jahr 1826 wie Ku¨gelgen – „bleibt

und scharf in sich selbst einzwa¨ngt, jener schroffe, unbeugsame aristokratische Sinn, der sich selbst und nur sich selbst im Auge hat. Wir wu¨rden ihn verdammen, diesen selbstsu¨chtigen Kaufmann- und Aristokraten-Zwittersinn, ... wenn er nicht eine so achtbare Grundlage und so große Dinge bewirkt ha¨tte. Es liegt dieser Gefu¨hllosigkeit eine Verstandesreife zu Grunde, die nur durch vielfa¨ltig u¨berstandene Ka¨mpfe und Gefahren, durch lange Anschauung, durch vielfa¨ltig angestellte Vergleiche zwischen Wirklichkeit und Ta¨uschung, durch kra¨ftig bewirktes Gelingen und erka¨mpften Genuß von positiven Rechten und Freiheiten erwuchs; ein Gefu¨hl, das zur Selbstachtung geworden, ein bereits ho¨herer, edlerer Nationalstolz, der sich nicht to¨richt sklavischerweise auf gewonnene Schlachten und den Ruhm eines sogenannten Kriegshelden, sondern auf ein positives, selbsterworbenes Recht gru¨ndet, der bereits in die Klassen des Volkes gedrungen, und, ungeachtet des aristokratisch-kastischen Beigeschmacks, der sicherste Bu¨rge fortschreitender Freiheit ist.“ Der Roman erschien zuerst Zu¨rich 1833. 12 Vgl. Johanna Schultze, Die Auseinandersetzung zwischen Adel und Bu¨rgertum in den deutschen Zeitschriften der letzten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts (1773–1803) (Historische Studien 163), Berlin 1925; ich entnehme dieser Schrift im folgenden eine Reihe von Zitaten. 13 Vgl. nur Haltern, Bu¨rgerliche Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 79ff.

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ein ewiges, lebendiges Beispiel, wohin Intoleranz und Beamtendruck fu¨hren. Das Eden Deutschlands war fu¨r Tausende von genu¨gsamen und fleißigen Deutschen eine Ho¨lle durch Pfaffen und Beamte, wa¨hrend Carl Theodor bis in den Himmel erhoben wurde“ – gemeint sind die kulturellen Leistungen des Mannheimer Hofes –, „denn sein Hof war gla¨nzend, er that alles fu¨r Kunst; fremde Schauspieler, Ta¨nzer, Sa¨nger und Pfeiffer schwammen im Fett, und nu¨tzliche Pfa¨lzer hatten kaum Kartoffeln!“14 Adel, Hof, gla¨nzend, Fremde – bu¨rgerlich, fleißig, nu¨tzlich, vaterla¨ndisch: Das sind hier die pointiert nebeneinander gesetzten Stereotypen, mit denen eine Residenzstadt, die fu¨rstliche Stadt, herabgesetzt und karikiert wird. Ebenso deutlich wird diese Tendenz in der Beschreibung, die Levin Schu¨cking im „Malerischen und romantischen Westphalen“ von der Stadt Barmen gab: „Noch im ersten Decennium des vorigen Jahrhunderts bestand Barmen bloss aus 36 ‚Ho¨fen‘ und etwa 200 ebenfalls zerstreut stehenden und meist kleinen andern Ha¨usern, was noch nicht wohl der Anfang einer Stadt genannt werden kann. Von da an aber entwickelte es eine solche Regsamkeit und selbstscho¨pferische Kraft, dass es schon bald nachher aus mehreren ansehnlichen Flecken ... bestand, und jetzt zu einer ... Fabrik- und Handelsstadt ersten Ranges herangewachsen ist und 30,000 Einwohner za¨hlt, – ein Wachsthum, der jedenfalls bewundernswu¨rdiger ist, als der des gleich jungen Petersburg, denn dieses wuchs durch die Macht der Czaaren, Barmen einzig und allein durch seinen Gewerbfleiss!“15 Gewerbefleiß – das ist eines der wichtigen Schlu¨sselwo¨rter, die die erste Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts mit Stadt und Bu¨rgerlichkeit verbindet, mit bu¨rgerlichem Charakter und der ihm innewohnenden Kraft, mit bu¨rgerlicher Mentalita¨t. Es verschla¨gt dabei nichts, daß wirtschaftliche und technische Impulse im vorangegangenen Jahrhundert in der Realita¨t eher von den geschma¨hten Residenzsta¨dten ausgegangen waren, als von den politisch zwar weiterhin selbsta¨ndigen Reichssta¨dten, deren Wirtschaft jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stagnierte und deren gesellschaftliches Gefu¨ge weitgehend erstarrt war. Dennoch sah man den Gewerbefleiß als spezifisch bu¨rgerliche Tugend an. Bu¨rgerliche Mentalita¨t, gepra¨gt durch diese Tugend, erschien als die Kraft, die nach Ansicht vieler, und zwar sehr verschiedenartiger gesellschaftlicher Kra¨fte das neue Zeitalter gestalten sollte. So sah es etwa auch Franz Grillparzer in seinem Drama vom Aufstieg des Hauses Habsburg, in „Ko¨nig Ottokars Glu¨ck und Ende“, das am 18. Februar 1825 – u¨ber ein Jahr vor Ku¨gelgens Brief – zum ersten Male ¨ sterreicher greift die beiden Chiffren „Adel“ und „Bu¨ru¨ber die Bu¨hne ging. Der O gertum“ ebenfalls auf und wandelt sie zu Epochenbegriffen. Gemeint ist der Monolog Ko¨nig Rudolfs im 3. Akt. Man schreibt das Jahr 1275, Ko¨nig Ottokar ist politisch und milita¨risch ausmano¨vriert. Zwar darf er Bo¨hmen und Ma¨hren als Lehen des ¨ sterreich und Steier, Reichs aus Ko¨nig Rudolfs Hand entgegennehmen, doch auf O

14 Carl Julius Weber, Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen, Stuttgart 1826–28, 31855, Bd. 1,

S. 199f. Ich entnehme dieses und das na¨chste Beispiel der Darstellung von Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848, Bd. II: Die Formenwelt, Stuttgart 1972, S. 243; dort eine Fu¨lle weiterer Beobachtungen. 15 Ferdinand Freiligrath/Levin Schu¨cking, Das malerische und romantische Westphalen, Barmen/Leipzig 1841, ND Hildesheim 1974, S. 321; vgl. dazu Sengle, Biedermeierzeit (wie Anm. 14), S. 254.

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auf Ka¨rnten und die Windische Mark soll er verzichten. Ottokar stra¨ubt sich, und Rudolf von Habsburg, der soeben die transpersonale Natur des Kaisertums erla¨utert hat, sucht ihn von dieser Position aus zur Einsicht zu bewegen. Er verweist Ottokar seinen „eitlen Drang der Ehre“, seinen Ehrgeiz, seine Streitlust – alles adelige, fu¨rstliche Tugenden – und mahnt ihn: Die Welt ist da, damit wir alle leben, Und groß ist nur der ein alleinge Gott! Der Jugendtraum der Erde ist getra¨umt, Und mit den Riesen, mit den Drachen ist Der Helden, der Gewaltgen Zeit dahin. Nicht Vo¨lker stu¨rzen sich wie Berglawinen Auf Vo¨lker mehr, die Ga¨rung scheidet sich, Und nach dem Zeichen sollt es fast mich du¨nken Wir stehn am Eingang einer neuen Zeit. Der Bauer folgt in Frieden seinem Pflug, Es ru¨hrt sich in der Stadt der fleißge Bu¨rger, Gewerb und Innung hebt das Haupt empor, In Schwaben, in der Schweiz denkt man auf Bu¨nde, Und raschen Schiffes strebt die muntre Hansa Nach Nord und Ost um Handel und Gewinn. Ihr habt der Euren Vorteil stets gewollt; Go¨nnt ihnen Ruh, Ihr ko¨nnt nichts Beßres geben!16 In diesem Monolog hat Grillparzer eine Analogie von mittelalterlichem Geschehen und der eigenen Zeit aufgestellt, und die Gleichung ist perfekt konstruiert, geht auf ohne Rest. Man weiß, daß Grillparzer in Ottokars Hybris und Sturz das Schicksal Napoleons pra¨figuriert sehen wollte und es nachzuzeichnen suchte.17 Hier jedoch ist wichtiger, daß er mit Ottokar-Napoleon, in dem er nicht den Vollstrecker einer bu¨rgerlichen Revolution erblickte, auch die archaische Welt der adeligen Feudalordnungen stu¨rzen sah und als Ergebnis ein bu¨rgerliches, ein sta¨dtisches Zeitalter gewerblichen und kaufma¨nnischen Wettbewerbs, eine neue Zeit der bu¨rgerlichen Tugenden ¨ hnliches oder wenigheraufziehen wa¨hnte oder doch wu¨nschte, es mo¨chte so sein. A stens Vergleichbares meinte er im 13. Jahrhundert, in jener Zeit beobachten zu ko¨nnen, in der Ko¨nig Rudolf die Grundlagen fu¨r die Herrschaft des Hauses Habsburg legte. In der Tat erkennt ja auch die historische Forschung gerade in diesem Jahrhundert, leicht u¨ber 1300 hinaus verschoben, die entscheidende Periode der mittelalterlichen Urbanisierung.18 In keinem anderen Jahrhundert der europa¨ischen Geschichte 16 Franz Grillparzer, Ko¨nig Ottokars Glu¨ck und Ende, in: ders., Sa¨mtliche Werke. Historisch-kritische

Gesamtausgabe, hg. v. August Sauer/Reinhold Backmann, I, 3, Wien 1931, S. 114.

17 Vgl. etwa Alfred Doppler, Ko¨nig Ottokars Glu¨ck und Ende. Das Verha¨ltnis von dargestellter Zeit,

Zeit der Darstellung und gegenwa¨rtiger Rezeption, in: Robert Pichl (Hg.), Grillparzer und die europa¨ische Tradition, Wien 1987, S. 23f. 18 Vgl. nur Heinz Stoob, Stadtformen und sta¨dtisches Leben im spa¨ten Mittelalter, in: Ders. (Hg.), Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, Ko¨ln/Wien 21985, S. 151–187.

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davor oder danach ist die Zahl der Sta¨dte so stark und schnell angestiegen wie eben damals. Erst das 19. Jahrhundert sah eine vergleichbare Entwicklung mit allerdings ganz anders strukturierten Formen von Versta¨dterung und sta¨dtischem Wachstum, die freilich noch nicht absehbar waren, als Grillparzer sein Drama niederschrieb. Dort aber ist Ko¨nig Rudolf der Prophet dieses Umbruchs der Zeiten, und Grillparzer fand diese Rolle vorgegeben im Quellenstoff, in zahlreichen Anekdoten der mittelalterlichen Chroniken.19 So stilisierte er Rudolf zum Bu¨rgerko¨nig, dessen Bild er seinem Monarchen Franz II., dem letzten Kaiser des Alten Reichs und dem ersten ¨ sterreichs, gleichsam als Spiegel vorzuhalten suchte, auch wenn er wenig von Kaiser O ihm erhoffte.20 Grillparzers Ko¨nig Rudolf jedenfalls ist ein Ko¨nig mit Bu¨rgertugenden, jeder Zoll ein Ko¨nig, und zwar ein starker Ko¨nig. Das heißt auch: Ein Ko¨nig, ein Monarch erscheint als Garant des neuen bu¨rgerlichen Zeitalters; ein Monarch ist es, der dessen Anbruch verku¨ndet. Das gilt es im Geda¨chnis zu behalten. Franz Grillparzer griff, um Entwicklungen seiner Gegenwart zu interpretieren, um seine politischen und sozialen Anschauungen zu verdeutlichen, ebenso aufs Mittelalter zuru¨ck wie Wilhelm von Ku¨gelgen, wenn dieser das alte Venedig und seine vermeintliche Harmonie von Adel und Kaufmannschaft beschwor oder in seine Jugendentwu¨rfe zur Illustration von de la Motte Fouque´s Roman „Der Zauberring“ Reminiszenzen an die eigene Familientradition einflocht, an jenen sagenhaften ersten Ritter Ku¨gelgen, der in der Mu¨nsterschen Stiftsfehde sein Leben verloren haben soll.21 Grillparzer und Ku¨gelgen standen damit nicht allein, sondern bekanntlich vollzieht ja die Zeit um 1800 eine lang anhaltende, gelegentlich vehement verlaufende, oft emotional geto¨nte Aneignung des Mittelalters.22 Sie hat ihre wissenschaftliche Seite, auf die noch einzugehen sein wird; hier kann es mit dem Hinweis auf die Begru¨ndung des großen Quellenwerks der Monumenta Germaniae Historica durch den Freiherrn vom Stein und andere Gleichgesinnte im Jahre 1819 sein Bewenden

19 Dazu Willi Treichler, Mittelalterliche Erza¨hlungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg (Geist

und Werk der Zeiten 26), Bern 1971, bes. S. 26ff.; Thomas Martin, Das Bild Rudolfs von Habsburg als ‚Bu¨rgerko¨nig‘ in Chronistik, Dichtung und moderner Historiographie, in: BllDtLG 112 (1976), S. 203–228. 20 Vgl. die beißende Kritik in einem fragmentarischen Nekrolog auf Franz I., in: Grillparzer, Werke (wie Anm. 16), I/13, S. 162f.; dazu Doppler, Ko¨nig Ottokar (wie Anm. 17), S. 24f. Im u¨brigen sei darauf verwiesen, daß Grillparzer auch der allgemeinen Mittelalterbegeisterung ablehnend gegenu¨berstand, vgl. seine Bemerkungen u¨ber die „abgeschmackte Nu¨rnbergerei“ und den „mittelhochdeutschen Unsinn“, in seiner Selbstbiographie, Werke (wie Anm. 16), I, 13, S. 243 u. 258. 21 Vgl. Ku¨gelgen, Jugenderinnerungen (wie Anm. 4), Abb. gegenu¨ber S. 337 u. die Erla¨uterungen S. XXI sowie Ku¨gelgen, Zwischen Jugend und Reife (wie Anm. 1), S. 69. 22 Hier genu¨gen wenige Hinweise: Frantisˇek Graus, Lebendige Vergangenheit. U ¨ berlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Ko¨ln/Wien 1975, sowie Paul Frankl, The Gothic, Princeton 1960, S. 447–479; W. D. Robson-Scott, The literary background of the Gothic revival in Germany, Oxford 1965. Vergleichbare Entwicklungen vollziehen sich auch außerhalb Deutschlands vgl. Graus (wie oben); Ju¨rgen Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffs und der Mittelalterbewertung von der zweiten Ha¨lfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Mu¨nchen 1972; Janine R. Dakyns, The middle ages in French literature, Oxford 1973; Alice Chandler, A dream of order. The medieval ideal in nineteenth-century English literature, London 1971.

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haben.23 Diese Aneignung vollzieht sich in der Entdeckung der konkreten mittelal¨ berreste, der poetischen, der bildlichen, vor allem aber der aus dem Mittelterlichen U alter u¨berkommenen Bausubstanz der Burgen, Kirchen und Sta¨dte. Diese geschichtliche Erinnerung, aufgesucht in Legenden, Sagen, Anekdoten und Epen, evoziert ¨ berlieferung, die gesammelt und betrachtet wird, hat selbstverdurch die dingliche U sta¨ndlich auch politische Implikationen. Heinz Gollwitzer hat vor u¨ber einem Jahrzehnt in einem wegweisenden Vortrag konstatiert: „Liberalismus und Konservativismus, politischer Katholizismus und Sozialismus lebten nicht nur von ihren Lehrmeinungen, sondern auch von der Anschaulichkeit ihres jeweiligen Geschichtsbildersaales, ihren historischen Repertoires, ihren im Sinne der diversen Ismen zurechtgelegten historischen Erinnerungen“.24 In das Arsenal der Bilder aus der Geschichte, insonderheit aus dem Mittelalter, griff man zuru¨ck und gab damit auch den Chiffren „adelig“ und „bu¨rgerlich“ ein mit Leben erfu¨lltes Verweisfeld.25 Daher kommt – und das ist die Rechtfertigung fu¨r die Art der hier bisher und auch im folgenden zumeist vorgezeigten Quellenstu¨cke – neben der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung und ¨ ußerungen auch und vor allem den literarischen und den theoretisch-politischen A ¨ ußerungen der ku¨nstlerischen Zeugnissen wie den unmittelbaren, oft reflexartigen A allta¨glichen Lebenswelt des 19. Jahrhunderts u¨ber das Mittelalter – ein hoher Quellenwert zu. Grillparzer und vielen anderen erschienen Stadt und Bu¨rger des Mittelalters als leuchtendes Vorbild. Selbstversta¨ndlich war das keineswegs. Die Auseinanderset¨ berlieferung und U ¨ berresten aus dem Mittelalter, wie zung mit mittelalterlicher U sie allenthalben sichtbar waren, vollzog sich oft nicht anders, als es in den Maßnahmen des Hattinger Bu¨rgers Rautert sichtbar wird, den die Eingliederung der Grafschaft Mark in das Großherzogtum Berg 1808 zum Maire, zum Oberhaupt seiner

23 Vgl. etwa den immer noch lesenswerten U ¨ berblick von Ernst Schulin, Der Einfluß der Romantik auf

die deutsche Geschichtsforschung, in: GuG 13 (1962), S. 404–423; Harry Bresslau, Geschichte der Monumenta Germaniae historica, Hannover 1921. 24 Heinz Gollwitzer, Zum Fragenkreis Architekturhistorismus und politische Ideologie, in: ZKunstG 42 (1979), S. 1–14, hier S. 1, Hervorhebung von mir. 25 Gollwitzers Vorstellung vom „Geschichtsbildersaal“ wird belegt durch eine u¨beraus große Zahl von fu¨r ein breites Publikum bestimmten Werken, die sich bemu¨hen, Geschichte in Bildern darzustellen, von denen hier nur einige aufgeza¨hlt werden ko¨nnen: Leopold Chimani/Franz Sto¨ber, Historischer Bildersaal oder Darstellung beru¨hmter Ma¨nner und merkwu¨rdiger Begebenheiten, Wien 1817; Rudolf Foss/Julius Stahl, Die Geschichte des deutschen Volkes in fu¨nfzehn Bildern dargestellt von Karl Heinrich Hermann, Gotha 1854; Adolf Schmitz/Wilhelm Lindenschmidt, Die deutsche Geschichte in Bildern. Fu¨nfzig hervorragende Ereignisse der alten, mittleren und neuen Zeit, Berlin 1861/62; Adolf Ba¨r, Bildersaal deutscher Geschichte. Zwei Jahrtausende deutschen Lebens in Bild und Wort, Stuttgart 1890; Max Herzig, Deutsche Gedenkhalle. Bilder aus der vaterla¨ndischen Geschichte, Berlin/Leipzig 1907; Die Idee des Geschichtsbildersaales verko¨rpert sich bes. anschaulich in ihrer Realisation auf der Bu¨hne vgl. etwa: Bildersaal vaterla¨ndischer Geschichte, in lebenden Bildern dargestellt auf dem Erbhuldigungsfeste der Ritterschaft am 18. Oktober 1840 im ko¨niglichen Opernhaus. Berlin, Berlin 1840; a¨hnlich erscheint im Schlußakt von Bedrich Smetanas vaterla¨ndischer Oper ‚Libuse‘ eine Abfolge von Bildern aus der bo¨hmischen Geschichte. – Eine analoge Funktion erfu¨llt die Ausmalung historischer oder o¨ffentlicher Geba¨ude, von denen hier nur auf die Kaiserpfalz in Goslar hingewiesen sei, dazu: Monika Arndt, Die Goslarer Kaiserpfalz als Nationaldenkmal. Eine ikonographische Untersuchung, Hildesheim 1976; vgl. auch unten mit Anm. 91.

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Heimatstadt emporgetragen hatte. Vor dem Hintergrund dessen, was sich in Frankreich im Verlauf der Revolution abspielte, erscheint es fast als normaler Vorgang, daß er die mittelalterliche Georgskirche zu Hattingen unter Mithilfe des Pfarrers und der Kirchenmeister vollsta¨ndig ausra¨umen und den Innenraum im klassizistischen Stil bewußt antimittelalterlich neu gestalten ließ.26 Doch auch die Stadtbefestigung rief in ihm nicht die Erinnerung an die Bu¨rger des Mittelalters und ihren Gewerbefleiß wach, sondern er sah in den Mauern und Tu¨rmen nur Verkehrshindernisse und Schlimmeres. Am 28. Ma¨rz 1810 stellte er beim Departements-Pra¨fekten des Arrondissements Hagen Antrag auf Abbruch des Weiltores und begru¨ndete ihn folgendermaßen: „Zum Behuf der Stadtwege ko¨nnte der Thurm des Weilthores vorteilhaft genutzt werden, und wozu nu¨tzt er? Zu nichts, er macht das erste Entree in die Stadt schmutzig und finster, im Angedenken der Zeiten des Faustrechts macht er nur einen la¨cherlichen Contrast mit dem Zustand unserer friedlichen Stadt. Auch sein Untergang ist von mir beschlossen, wenn Sie, wie ich hoffe, es bewilligen.“27 Der Maire Rautert stand mit solchen Ansichten nicht allein; die Belege ließen sich ha¨ufen. Faustrecht, Zeitalter des Faustrechts – das ist ein anderes Schlu¨sselwort des Mittelalterversta¨ndnisses, wie es die Journale der Aufkla¨rung gerne gebrauchen und das zu ihren Schuldzuweisungen an diese Geschichtsperiode geho¨rt, ebenso wie der Vorwurf der geistigen Barbarei und der von der Kirche verschuldeten Unwissenheit und Unmu¨ndigkeit der Menschen. Von diesem Standpunkt aus bietet das Mittelalter nur „ein trauriges Gema¨lde der Verwilderung, der steigenden Barbarei, der Zu¨gellosigkeit, des Trotzes auf ko¨rperliche Sta¨rke und den Gebrauch der Waffen, der Gewaltta¨tigkeit gegen die Schwa¨cheren, der Verachtung aller Ordnung“. So sieht es die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ im Jahre 1792. Die Aussage bezieht sich auf den Adel des Mittelalters, auf der anderen Seite bemerkt das Journal etwas, was der Maire Rautert von Hattingen beim Anblick von Stadttor und Stadtmauer nicht sehen wollte: „Die Geschichte der Sta¨dte dagegen ist das angenehmere und lehrreichere Gema¨lde des immer emporstrebenden Fleisses, der ihre Rechte stark fu¨hlenden und mit kaltem Mute verfechtenden Menschheit, und der vernu¨nftigen Ordnungsliebe, welche die Notwendigkeit billiger und weiser Gesetze erkennt und sich ihnen bereitwillig unterwirft“.28 Einer a¨hnlichen Sicht bereiteten die Romantiker den Weg, als sie neben der modernen Stadt, die ihnen Lebenselixier war,29 auch die Stadt des Mittelalters entdeckten. Die Stadt der Sta¨dte aus dem deutschen Mittelalter wurde fu¨r sie Nu¨rnberg, die Stadt Du¨rers und des Hans Sachs. Sie wurde es nicht zuletzt unter dem Einfluß der Schriften Wilhelm Heinrich Wackenroders, der im Sommer des Jahres 1793 als Erlangener Student das romantische Grunderlebnis im Bamberger Dom erfahren

26 Vgl. Heinrich Eversberg, Die neue Stadt Hattingen. Landschaft und Geschichte, Hattingen 1980,

S. 184.

27 Ebd., S. 164; zur widerspru¨chlichen Beurteilung der mittelalterlichen Stadttore im fru¨hen 19. Jahrhun-

dert vgl. auch Udo Mainzer, Stadttore im Rheinland, Ko¨ln 1973, S. 199–206. 28 Zitiert nach Schultze, Auseinandersetzung (wie Anm. 12), S. 159. 29 Vgl. dazu Marianne Thalmann, Romantiker entdecken die Stadt, Mu¨nchen 1965, die jedoch auf die

Mittelalterrezeption durch die Romantik nicht eingeht.

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hatte und kurz darauf seinen Eltern in Berlin u¨ber einen Besuch in Nu¨rnberg berichtete: „Nu¨rnberg ist eine Stadt, wie ich noch keine gesehen habe und hat ein ganz ¨ ußeren wegen, in der Art romanbesonderes Interesse fu¨r mich. Man kann sie, ihres A tisch nennen.“30 Es ist demnach zu allererst das a¨ußere Geha¨use der als mittelalterlich empfundenen Stadt, in der kein neues Geba¨ude zu stehen scheint, das den jungen Studenten fasziniert. Dadurch wird er in eine Stimmung versetzt, die ihn erwarten la¨ßt, „immer einem Ritter oder einem Mo¨nch, oder einem Bu¨rger in alter Tracht zu begegnen, denn die neue Tracht paßt gar nicht zu dem Kostu¨m in der Bauart“31. ¨ hnlich empfand drei Jahrzehnte nach Wackenroder der spa¨ter so einflußreiche A Maler Ludwig Richter, als er im Sommer 1826 auf der Heimreise von Rom – die er u¨brigens zum Teil gemeinsam mit Wilhelm von Ku¨gelgen absolvierte – die Stadt Rothenburg ob der Tauber betrat, deren Namen er aus den Ma¨rchen des Musa¨us kannte: „Die Geschichte (des Musa¨us) hatte mir immer ganz besonders gefallen, und jetzt war ich ganz unverhofft in ihr romantisches Gebiet gekommen. Der Abend da¨mmerte bereits, als ich in die engen, holperigen Straßen trat. Die Ha¨user mit den hohen, spitzen Giebeln, die Stockwerke immer das darunterliegende u¨berragend, altertu¨mliche Schilder und Innungszeichen, gotische Kapellen und Kirchen, aber selten ein paar Menschen in den Gassen, alles so still in dieser Da¨mmerstunde. Ich glaubte, plo¨tzlich ins Mittelalter versetzt zu sein, besonders als ich in die Herberge trat. Eine kleine gotische Tu¨re, zwei Stufen abwa¨rts in den Hausflur zu steigen, die Gaststube ein niedriger Raum mit kleinen Fenstern und runden Scheiben. An den Tischen saßen einige Ma¨nner in Kleidern, die auch aus Großvaters Zeiten zu seien schienen, bei ihrem Bier in hohen Zinnkru¨gen, wie ich sie nur aus Albrecht Du¨rer kannte.“32 Die Ingredienzien der Beschreibung sind die gleichen wie bei Wackenroder, und Nu¨rnberg ist durch die Nennung Du¨rers gegenwa¨rtig. Das von den Romantikern gezeichnete Bild mittelalterlicher Sta¨dte wies jedoch weit hinaus u¨ber die von Wackenroder und Richter empfundene, als erste Reaktion geschilderte, nahezu unverbindliche Ru¨ckversetzung in eine idyllische Vergangenheit. Wackenroder selbst hat die vergleichsweise nu¨chternen Beobachtungen seines Briefes an die Eltern umgesetzt in eine enthusiastische Interpretation, die vor allem zur Programmschrift romantischen Kunstversta¨ndnisses geriet: „Nu¨rnberg! du vormals weltberu¨hmte Stadt! Wie gerne durchwanderte ich deine krummen Gassen; mit welcher kindlichen Liebe betrachtete ich deine altva¨terlichen Ha¨user und Kirchen, denen die feste Spur von unsrer alten vaterla¨ndischen Kunst eingedru¨ckt ist!“33 Wackenroders „kunstliebender Klosterbruder“, dem er diese Worte als ‚Herzensergießungen‘ in den Mund legt, preist hier das beginnende 16. Jahrhundert, das allerdings mit dem Mittelalter untrennbar verbunden erscheint, charakterisiert jene Zeit, „da du, Nu¨rnberg, die lebendig-wimmelnde Schule der vaterla¨ndischen Kunst

30 Wilhelm Heinrich Wackenroder, Werke und Briefe, hg. v. Gerda Heinrich, Mu¨nchen/Wien 1984,

S. 50.

31 Ebd., S. 49. 32 Ludwig Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers, hg. v. Heinrich Richter (Volksausgabe

des Du¨rerbundes), Leipzig o. J., S. 303f.

33 Wackenroder, Werke und Briefe (wie Anm. 30), S. 182.

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warst, und ein recht fruchtbarer, u¨berfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte“34. Es geht um Kunst in Wackenroders Nu¨rnberg-Panegyrik, doch es geht selbstversta¨ndlich um mehr. Ku¨gelgens Mutter za¨hlte, dem Versta¨ndnis ihrer Zeit folgend, die Malkunst, die ihr Sohn ausu¨bte, zu den bu¨rgerlichen Beta¨tigungen35, und auch die Nu¨rnberg-Interpreten und Nu¨rnberg-Enthusiasten des 19. Jahrhunderts36 sahen sie eingebettet in die Tradition des mittelalterlichen Handwerks dieser Stadt. Niemand hat das deutlicher werden lassen als Richard Wagner in seinen „Meistersingern“, in deren drittem Akt, im Schlußbild der Festwiese, die „heil’ge deutsche Kunst“ durch die versammelten Nu¨rnberger Handwerker vollzogen und gepriesen wird.37 Das Bild Nu¨rnbergs ist das der „treuen fleißigen Stadt“. So steht es in der Titelkartusche einer von Eduard Ille 1866 fu¨r Ko¨nig Ludwig II. von Bayern auf Schloß Berg gemalten Nu¨rnberg-Verherrlichung zu lesen.38 Der Maler u¨bernahm hier einige Verse aus Max von Schenkendorfs Lied auf die deutschen Sta¨dte von 1814 und verband sie mit der bildlichen Darstellung der Meistersingerthematik: Wenn einer Deutschland kennen und Deutschland lieben soll, Wird man ihm Nu¨rnberg nennen der edlen Ku¨nste voll, Dich, nimmer noch veraltet, du treue fleißige Stadt, Wo Du¨rers Kraft gewaltet und Sachs gesungen hat.39 Im Bild Nu¨rnbergs, wie es Ille dargestellt hat, vereinigt sich fu¨r den Betrachter sta¨dtische, bu¨rgerliche Kunst mit sta¨dtischem Gewerbefleiß. Sie ruht auf ihm auf. Auch der Weg, den die romantische Wertung der mittelalterlichen Stadt mit der Detour einer Betrachtung ihrer Kunst nahm, endete bei diesem Zielpunkt: dem Gewerbefleiß, bei der wirtschaftlichen Beta¨tigung der mittelalterlichen Sta¨dte. Sie wiederum wurde als Metapher genommen, die die Notwendigkeiten der eigenen Zeit beschwor und deren Aktivita¨ten anschaulich werden ließ. Die Charakteristik mittelalterlichen Sta¨dtewesens und Bu¨rgertums, wie sie die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ von 1792 formuliert hatte, findet sich hier Zug fu¨r Zug wieder.40

34 Ebd. 35 Vgl. oben bei Anm. 3. 36 Dazu Ludwig Grote, Die romantische Entdeckung Nu¨rnbergs, Nu¨rnberg 1967; Du¨rers Gloria.

Kunst. Kult. Konsum [Ausstellungskatalog], Berlin 1971; Dieter Ba¨nsch, Zum Du¨rerbild der literarischen Romantik, in: Marburger Jahrbuch fu¨r Kunstwissenschaft 19 (1974), S. 259–274; Matthias Mende, Das Du¨rer-Denkmal in Nu¨rnberg, in: Hans-Ernst Miltig/Volker Plagemann, Denkma¨ler im 19. Jahrhundert (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 20), Mu¨nchen 1972, S. 163–181; Dieter Wuttke, Nu¨rnberg als Symbol deutscher Kultur und Geschichte (Gratia 16), Bamberg 1987. 37 Zu den Meistersingern vgl. Richard Wagner, Die Musikdramen. Mit einem Vorwort von Joachim Kaiser, Hamburg 1971, S. 492f.; Peter Johanek, „Du treue, fleißige Stadt“. Nu¨rnberg, das Sta¨dtewesen des Mittelalters und Richard Wagners Meistersinger, in: Bayreuther Festspiele 1986, Programmheft VII. 38 Vgl. Detta und Michael Petzet, Die Richard Wagner-Bu¨hne Ko¨nig Ludwigs II. Mu¨nchen-Bayreuth (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 8), Mu¨nchen 1970, S. 170f. mit Abb. 300, sowie Johanek, Nu¨rnberg (wie Anm. 37), S. 20f. 39 Max von Schenkendorf’s sa¨mmtliche Gedichte. Erste vollsta¨ndige Ausgabe, Berlin 1837, S. 255. 40 Vgl. oben mit Anm. 28.

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Dabei ist es frappierend zu sehen, wie Industrie und Technik in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, ja bis weit in dieses Jahrhundert hinein, sich fu¨r die Zeitgenossen in einer fu¨r uns Heutige nur schwer nachzuvollziehenden Weise mit ¨ berresten des Mittelalters zu einer Einheit zusammenden romantisch u¨berho¨hten U binden ließen. Man braucht nur an das bekannte Bild der Harkortschen Fabrik in der Ruine der Burg Wetter zu denken, das Alfred Rethel 1834 gemalt hat.41 Hier baut ein Bu¨rger in die Burg hinein, auf die Tru¨mmer des Feudalschlosses seinen Gewerbebetrieb, so wie ganz analog in Achim von Arnims Roman „Die Kronenwa¨chter“ der ta¨tige Berthold seine Tuchmanufaktur auf den Ruinen des Barbarossa¨ berlegung, mo¨gliPalastes in der Stadt Waiblingen errichtet.42 Offenbar mit voller U cherweise einer perso¨nlichen Anordnung Ko¨nig Friedrich Wilhelms IV. von Preußen folgend, hat man in den fu¨nfziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnbru¨cke u¨ber den Rhein unmittelbar auf den gotischen Chor des Ko¨lner Doms als Richtpunkt zugefu¨hrt und mit neugotischen Turm- und Portalbauten versehen.43 Der „Central- und Personenbahnhof“ wurde neben den Dom gesetzt, dessen vom preußischen Ko¨nig gefo¨rderte Vollendung als Kro¨nung deutscher und sta¨dtischer Architektur wie als Symbol der nationalen Einheit empfunden wurde.44 Mittelalterliche Kunst und moderne Technik als Symbol von Gewerbe, Verkehr und Handel sollten hier zusammenklingen, oder ihr Nebeneinander wurde doch „als spannungsreiche Konfrontierung von Einst und Jetzt genossen.“45 Gerade die Bahnho¨fe, deren Empfangsgeba¨ude und Hallen nicht selten die Gotik zitierten, wenn sie schon nicht ga¨nzlich in deren Formenschatz oder im Stil der sogenannten „Deutschen Renaissance“, die zahlreiche gotische Formenelemente enthielt, gebaut und ausgestattet wurden,46 konnten das „Lebendig-wimmelnde“, durch das Wackenroder die mittelalterliche Stadt gekennzeichnet sah, in die Gegenwart des 19. Jahrhunderts transportieren. Das „Lebendig-wimmelnde“ vermochte auch das Markt- und Messegeschehen ins Geda¨chtnis zu rufen, das fu¨r die mittelalterliche 41 Vgl. Rolf Fritz, Ein unbekanntes Jugendwerk von Alfred Rethel, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 20

(1958), S. 213–224; Industriebilder aus Westfalen. Gema¨lde, Aquarelle, Druckgrafik 1800–1960 (Ausstellungskatalog), Redaktion Siegfried Kessemeier/Jochen Luckhardt, Mu¨nster 1979, S. 56; den Bemerkungen auf S. 13 vermag ich nicht zuzustimmen. 42 Achim von Arnim, Die Kronenwa¨chter, hg. v. Paul Michael Lu ¨ tzler (Achim von Arnim Werke in sechs Ba¨nden 2) (Bibliothek deutscher Klassiker), Frankfurt a. M. 1989, S. 55ff. 43 Vgl. Ulrich Krings, Bahnhofsarchitektur. Deutsche Großstadtbahnho¨fe des Historismus (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 46), Mu¨nchen 1985, S. 345; dort auch S. 343–395 zu allen Fragen des Ko¨lner Bahnhofbaus. 44 Karl Hampe, Wilhelm I., Kaiserfrage und Ko¨lner Dom. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der Reichsgru¨ndung, Stuttgart 1936; Ludger Kerssen, Das Interesse am Mittelalter im deutschen Nationaldenkmal (Arbeiten zur Fru¨hmittelalterforschung 8), Berlin/New York 1975; Der Ko¨lner Dom im Jahrhundert seiner Vollendung. 3 Bde.: Ausstellung der Historischen Museen in der Josef-HaubrichKunsthalle Ko¨ln, 16. Okt. 1980 bis 11. Jan 1981, hg. v. Hugo Borger, Ko¨ln 1980. 45 So Gu¨nter Bandmann, Die Galleria Vittorio Emmanuele II in Mailand, in: ZKunstG 29 (1966), S. 109, Anm. 79, im Hinblick auf die Ko¨lner Verha¨ltnisse; vgl. dazu Krings, Bahnhofsarchitektur (wie Anm. 43), S. 388. 46 Eine U ¨ bersicht u¨ber diese Bauten bei Krings, Bahnhofsarchitektur (wie Anm. 43), zur „Deutschen Renaissance“ ebd., S. 393f., sowie jetzt die knappe Charakterisierung bei Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, 1. Bd.: Arbeitswelt und Bu¨rgergeist, Mu¨nchen 1990, S. 720.

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Stadt neben Handwerk und Gewerbe als charakteristisch galt, so wie fu¨r Wilhelm von Ku¨gelgen der Kaufmann der Bu¨rger par excellence gewesen war. Bu¨rgerlicher Handel fehlt denn auch nicht in jenem Bild, das sich das 19. Jahrhundert von der mittelalterlichen Stadt machte. Auch auf diesem Feld fand man die als verpflichtend angesehenen Vorbilder in jener fernen Vergangenheit. Franz Grillparzer sah in Ko¨nig Rudolfs Vision der neuen Zeit die „muntre Hansa“ nach Handel und Gewinn streben, und schon der alte Justus Mo¨ser hatte noch tief im 18. Jahrhundert in seinen „Patriotischen Phantasien“, als er „Gedanken u¨ber den Verfall der Handlung in den Landsta¨dten“ niederschrieb, unwillig gemeint: „Wir mu¨ßen uns scha¨men, wenn wir an unsere Vorfahren in der deutschen Kompagnie gedenken“47. Er meinte die Hanse, und zu ihr und ihrem Wettbewerbssystem lenkte er die Blicke zuru¨ck. An dieser Vergangenheit sollte sich die Gegenwart orientieren, und es ist sicher kein Zufall, daß eine der ersten großen Gesamtdarstellungen, die die mittelalterbegeisterte Historiographie des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat, eine Geschichte der Hanse gewesen ist.48 Es ist die Geschichte des mittelalterlichen Kaufmanns, die in popula¨rer Geschichtsdarstellung wieder und wieder erza¨hlt und veranschaulicht worden ist, so daß sie zum Gemeingut des Bildungsbu¨rgertums werden konnte, das immer sta¨rker auch auf das Besitzbu¨rgertum und Wirtschaftsbu¨rgertum einwirkte. Zu den wirkungsma¨chtigsten Beispielen dieses Schrifttums geho¨ren Gustav Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“, und auch er hat selbstversta¨ndlich die deutsche Stadt des Mittelalters zu seinem Thema gemacht. In dem Kapitel „Auf den Straßen einer Stadt“ heißt es u¨ber den reisenden Kaufmann des 14. Jahrhunderts, u¨ber den Hansekaufmann: „Aber derselbe Mann war an Weltklugheit leicht den Fu¨rsten und Bischo¨fen u¨berlegen, er kannte Sprache, Recht, Sitten der fremden Vo¨lker, war an ein hartes Leben in Gefahren und unsicherem Rechtsschutz gewo¨hnt, za¨h, gewandt, unerschrocken. Er wußte in der Fremde mit jedermann zu verkehren, mit dem Ko¨nig und dem wilden Reiter in einsamer Herberge; u¨berlegen wußte er seinen Vorteil zu verfolgen, mit spa¨hem Auge und unabla¨ssiger Selbstbeherrschung. Und er brachte heim, was einen Zauber ausu¨bte, wie ihn unsere geldreichere Zeit gar nicht begreift. Die Kostbarkeiten, die er mit sich fu¨hrte, waren Sehnsucht und Poesie von jedermann, durch ihn kam alles Seltene und ganz Unerho¨rtes in die Landschaft; er besaß das Geld, womit man die Ho¨chsten der Erde gewinnen konnte, den Papst, daß er Nonnen verheiratete, den Kaiser, daß er ganze Haufen Unedler zu Rittern machte und Pate stand bei den Kindern eines Bu¨rgers. Geld erwarb, wie man klagte, die Liebesgunst edler Frauen und alle denkbare Herrlichkeit der Welt. Der Kaufmann verlieh und verschenkte, er gewann guten Willen, wo er ihn nur brauchte, kaufte Ha¨user und Gu¨ter und machte einen großen Teil der Bu¨rger abha¨ngig von seinem Wohlstand und

47 Justus Mo¨ser’s sa¨mmtliche Werke. Neugeordnet und aus dem Nachlasse desselben gemehrt von B. R.

Abeken. Erster Theil: Patriotische Phantasien von Justus Mo¨ser, hg. v. seiner Tochter J. W. J. v. Voigts, geb. Mo¨ser. Erster Theil. Neue vermehrte Ausgabe, Berlin 1842, S. 94. 48 Georg Sartorius, Geschichte des Hansischen Bundes, Go¨ttingen 1802–1808.

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seinem Gescha¨ft. Seine Erfahrung und seine Geldmittel waren der Stadt in gefa¨hrlicher Zeit unentbehrlich, und er wußte wieder zu machen, daß die Stadt ihre ganze Kraft daransetzte seine Gescha¨fte zu fo¨rdern.“49 Das lange Zitat macht deutlich, worin Gustav Freytag die bewegende Kraft erkannte, u¨ber die der mittelalterliche Kaufmann verfu¨gte. Er erkannte sie im Geld. Mit diesem Instrument wurde fu¨r ihn der Kaufmann zum entscheidenden Movens der Gesellschaft des Mittelalters und zum Vorbild fu¨r die eigene Zeit, der er daru¨ber hinaus den Kaufmannsroman ‚Soll und Haben‘ schrieb. Im Gegensatz dazu hat etwa Richard Wagner, zeitlebens mit den antikapitalistischen Affekten des radikalen Demokraten von 1848 behaftet, aus dem Nu¨rnbergbild seiner Meistersinger das Patriziat und die Kaufleute eliminiert, in grobem Widerspruch zur sozialen und verfassungsrechtlichen Wirklichkeit der Stadt um das Jahr 1500. Er verabscheute die Macht des Geldes, die er in Patriziat und Kaufleuten verko¨rpert sah. In solchen Nuancen wird sichtbar, daß das Bild der mittelalterlichen Stadt durch die Interpreten des 19. Jahrhunderts vielfa¨ltig auszulegen war, die sich aus dem „Geschichtsbilder-Saal“, wie ihn Heinz Gollwitzer beschworen hat,50 auf ganz verschiedenartige Weise zu bedienen verstanden, um neue Geschichtsbilder zusammenzusetzen und als historisch gesa¨ttigte Identifikationsmuster anzubieten. Vergleichbares la¨ßt sich auch bei den unterschiedlichen Wegen beobachten, auf denen Richard Wagner und Gustav Freytag eine Lo¨sung des Dilemmas herbeizufu¨hren suchten, das Wilhelm von Ku¨gelgens Brief an Julie Krummacher von 1826 bloßlegte.51 Es ging dort im Grunde darum, wie eine Verso¨hnung von Adel und Bu¨rgertum in der deutschen Gesellschaft zu bewerkstelligen sei, und es kann kein Zweifel bestehen, daß diese Frage eine außerordentlich wichtige Rolle spielt, wenn die Mentalita¨tsgeschichte des 19. Jahrhunderts, zumal die Geschichte seiner Emotionen zur Debatte steht.52 E. Th. A. Hoffmann, dessen Novelle „Meister Martin der Ku¨fer und seine Gesellen“ eines der Vorbilder fu¨r Wagners „Meistersinger“ und gerade fu¨r das StolzingProblem abgab, hatte dieses Dilemma offenbar fu¨r unauflo¨sbar gehalten und es beim Gegensatz belassen.53 Bei Richard Wagner ergibt sich die Lo¨sung durch Eingliederung des Adels in das als „Meisters Gild“ charakterisierte Bu¨rgertum. Walter von Stolzing muß – wenn auch widerstrebend – als „Meister selig sein“ und nicht anders. Er integriert sich in das Bu¨rgertum durch seine Leistung in der Kunst.

49 Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 2. Bd., 1. Abt.: Vom Mittelalter zur Neuzeit

(Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe, 2.4), Leipzig/Berlin o. J., S. 115.

50 Vgl. oben mit Anm. 24. 51 Vgl. Anm. 1. 52 Zur Sozialgeschichte dieser Beziehungen unter weitgehender Ausklammerung der mentalita¨tsge-

schichtlichen Faktoren vgl. jetzt die zusammenfassende Betrachtung von Werner Mosse, Adel und Bu¨rgertum im Europa des 19. Jahrhunderts. Eine vergleichende Betrachtung in: Ju¨rgen Kocka (Hg.), Bu¨rgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europa¨ischen Vergleich, Bd. 2, Mu¨nchen 1988, S. 276–314, sowie Arno J. Mayer, Adelsmacht und Bu¨rgertum. Die Krise der europa¨ischen Gesellschaft 1848–1914, Mu¨nchen 1984. 53 E. T. A. Hoffmann Werke, neudurchgesehen und revidiert von Herbert Kraft/Manfred Wacker, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1967, S. 379–435.

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Gustav Freytag, der in seinen politischen Aufsa¨tzen nicht gerade zimperlich mit den Privilegien des Adels umging, suchte einen anderen Weg. Er pra¨sentierte in den „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“ gleichsam eine genetische Lo¨sung, die den Kaufmann innerhalb der Bu¨rgerschaft, als deren herausragender Repra¨sentant er erschien, gleichwohl eine Sonderstellung zuwies. Dabei argumentierte Freytag mit den historischen Fakten, wie sie sich ihm darstellten und zog aus der Beschreibung des Kaufmannsstandes als Konsequenz: „Es war also natu¨rlich, daß er (der Kaufmann) mit dem u¨brigen aristokratischen Teil der Stadtbevo¨lkerung eng verwuchs. Auch die Familien alter Lehnsleute und Burgmannen in der Stadt trieben Kaufmannschaft. Der eine Sohn trug den Schild und besaß Lehngu¨ter, der andere ritt mit den Frachtwagen auf der Straße; wer nicht selbst reisen wollte, legte einen Teil seines Vermo¨gens in Genossenschaft zum Handel an, oder er ließ seine So¨hne, Vettern, Diener reisen und saß als großer Herr im Rate“.54 Kurz, und das ist die Quintessenz: „Ritterbu¨rtige der Stadt und Kaufleute sind eng verschwa¨gert“55, oder man kann sagen: Sie gehen Hand in Hand und besprechen sich u¨ber das Wohl im Staat: die Vorstellung Ku¨gelgens u¨ber das alte Venedig.56 Freytags Darlegungen muten u¨berraschend modern an, wenn man sie neben die Forschungen zur stadtgesessenen Ministerialita¨t ha¨lt, die die deutsche Media¨vistik in den letzten Jahrzehnten vorgelegt hat.57 Doch diese betreffen die Realita¨t des Mittelalters. Vorstellung wie sie Gustav Freytag publikumswirksam formulierte, stellten dem Bu¨rgertum der zweiten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts ein außerordentliches Identifikationspotential bereit, wenn es darum ging, adelige Lebensformen zu rezipieren und dennoch „bu¨rgerliches“ Selbstversta¨ndnis zu bewahren.58 Mit Gustav Freytag und mit Richard Wagners „Meistersinger“ ist unversehens bereits die zweite Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts in den Blick geraten. Doch das kann deutlich machen, daß die Kraft des Bildes von der mittelalterlichen Stadt, wie es um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entdeckt worden war, ungebrochen durch die Turbulenzen der Jahrhundertmitte weiterlebte. Allerdings muß sich der Blick

54 Freytag, Bilder (wie Anm. 48), S. 115. 55 Ebd., S. 116. 56 Vgl. oben mit Anm. 10. 57 Vgl. etwa Knut Schulz, Ministerialita¨t und Bu¨rgertum in Trier. Untersuchungen zur rechtlichen und

sozialen Gliederung der Trierer Bu¨rgerschaft vom ausgehenden 11. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts (RhArch 66), Bonn 1968; Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow (Hg.), Stadt und Ministerialita¨t (VKomGLdkdBW B 76), Stuttgart 1973; Thomas Zotz, Bischo¨fliche Herrschaft, Adel, Ministerialita¨t und Bu¨rgertum in Stadt und Bistum Worms (11.–14. Jahrhundert), in: Herrschaft und Stand. Untersuchungen zur Sozialgeschichte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Josef Fleckenstein (VMPI 51), Go¨ttingen, S. 92–136; u¨ber ritterliche Beta¨tigung von Bu¨rgern zuletzt ders., Adel, Bu¨rgertum und Turnier in deutschen Sta¨dten vom 13.–15. Jahrhundert, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beitra¨ge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, hg. v. Josef Fleckenstein (VMPI 80), ¨ sterreich, in: Go¨ttingen 1985, S. 450–499; Herwig Weigl, Sta¨dte und Adel im spa¨tmittelalterlichen O Oberdeutsche Sta¨dte im Vergleich. Mittelalter und fru¨he Neuzeit, hg. v. Joachim Jahn/Wolfgang Hartung/Immo Eberl (Regio. Forschungen zur schwa¨bischen Regionalgeschichte 2), Sigmaringendorf 1989, S. 74–100. 58 Vgl. zu diesen Vorga¨ngen Mayer, Adelsmacht (wie Anm. 52), bes. S. 86–91, allerdings mit stark polemischer Tendenz.

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noch einmal auf die Anfa¨nge dieses Rezeptionsvorganges richten, denn das Bild von der mittelalterlichen Stadt wa¨hrend des 19. Jahrhunderts bietet noch einige weitere Facetten u¨ber die wirtschaftlichen und sozialen Chiffren hinaus, die bislang ins Auge zu fassen waren. Es ging bei dieser Rezeption selbstversta¨ndlich auch um Politik. Wilhelm von Ku¨gelgen sprach von der reichssta¨dtischen Freiheit, vom „freireichssta¨dtischen Wesen“, und auch diese Freiheit des Bu¨rgertums ließ sich aus der mittelalterlichen Stadt herleiten. Die Zeitgenossen des Jahres 1826 meinten sie in den mittelalterlichen Zusta¨nden rein und unverfa¨lscht zu erkennen, wa¨hrend sie in den am Ende des Alten Reichs realiter existierenden Reichssta¨dten nur Karikaturen ihrer selbst ¨ hnlich sah man ja auch das Kaisertum vollkommener als in der unmiterblickten. A telbaren Vergangenheit der Jahre vor 1806 in jenem fernen „Schwa¨bischen Zeitalter“ verko¨rpert, dem auch die Minnelieder und Epen der ritterlichen Kultur entstammten: in der Stauferzeit.59 Friedrich Ru¨ckerts 1816 niedergeschriebene Ballade vom „Alten Barbarossa“ machte den Stauferkaiser wieder popula¨r, doch als in der „Stunde der gro¨ßten Bedra¨ngnis“ im Winter 1807/08 Johann Gottlieb Fichte seine „Reden an die deutsche Nation“ hielt, da lenkte er den Blick nicht auf die Kaiser, sondern auf die Reichssta¨dte und die Bu¨rgerfreiheit des Mittelalters.60 Wie sehr fu¨r jene Zeit das Mittelalter und der Freiheitsdrang der Sta¨dte und ihrer Bu¨rger zusammengeho¨rten, la¨ßt sich an einer Baumaßnahme des preußischen Kronprinzen, des spa¨teren Ko¨nigs Friedrichs Wilhelm IV., ablesen. Bei einem Besuch in Kolberg in Hinterpommern im Jahr 1826 hatten ihn die Stadtverordneten um Unterstu¨tzung bei der Neuerrichtung ihres Rathauses gebeten, das bei der Verteidigung der Stadt gegen die Franzosen zersto¨rt worden war. Bekanntlich ist dieser zur Legende gewordene Widerstand Kolbergs von der Bu¨rgerschaft der Stadt getragen worden. Die Unterstu¨tzung wurde gewa¨hrt, und auf Wunsch des Kronprinzen lieferte Friedrich Schinkel die Pla¨ne fu¨r einen gotischen Backsteinbau. Schinkel knu¨pfte damit keineswegs an eine bestehende Tradition an, auch blieb dieser Bau lange ohne Nachfolge. Die Wahl des Baustils beruht ganz offenbar auf dem Wunsch des Kronprinzen, hier ein Monument der nationalen Freiheit zu schaffen. Schinkel empfand die Gotik als spezifisch deutschen Baustil und hatte ihn bereits 1821 genutzt, um im Berliner Kreuzberg-Denkmal die Idee der Nation auszudru¨cken. Nun schuf er in Kolberg der durch ihren Widerstand gegen Napoleon zum Symbol gewordenen Bu¨rgerschaft ein gotisches, mittelalterliches Geha¨use sta¨dtischer Repra¨sentation.61

59 Vgl dazu Heinz Gollwitzer, Zur Auffassung der mittelalterlichen Kaiserpolitik im 19. Jahrhundert. –

Eine ideologie- und wissenschaftsgeschichtliche Nachlese, in: Dauer und Wandel der Geschichte. Festgabe fu¨r Kurt von Raumer, hg. v. Rudolf Vierhaus/Manfred Botzenhart, Mu¨nster 1966, S. 483–512; Klaus Schreiner, Friedrich Barbarossa – Herr der Welt, Zeuge der Wahrheit, die Verko¨rperung nationaler Macht und Herrlichkeit, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur. Katalog der Ausstellung Stuttgart 1977, Bd. V, hg. v. Reiner Haussherr/Christian Va¨terlein, Stuttgart 1979, S. 521–579, hier S. 539ff.; Elisabeth Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871–1918, Mu¨nchen/Wien 1969. 60 So treffend herausgearbeitet von Schreiner, Friedrich Barbarossa (wie Anm. 59), S. 536–540. 61 Vgl. Charlotte Kranz-Michaelis, Ratha¨user im deutschen Kaiserreich 1871–1918 (Materialien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 23), Mu¨nchen 1976, S. 25–27.

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Die im Kolberger Rathausbau verko¨rperte Symbolik, die sich zu ihrer Einkleidung des bu¨rgerlichen Mittelalters bediente, blieb freilich nur eine vereinzelte, noch dazu von Fu¨rstenwillen bestimmte Arabeske. Sie zielte zudem auf eine besondere Art von Freiheit, auf die Freiheit von Fremdherrschaft, wie sie im Kampf gegen das Frankreich Napoleons in den Vordergrund geru¨ckt war. Wenn man aber um 1800 das mittelalterliche Bu¨rgertum neu entdeckte, dann kamen noch ganz andere Zusammenha¨nge in den Blick. Es ging um die freiheitliche Verfassung des Staates. Bekanntlich neigt die neuere Forschung dazu, in der Franzo¨sischen Revolution im wesentlichen einen Kampf um eine „neue politische, verfassungsrechtliche Ordnung“ zu sehen.62 Das belegen auch die Aussagen aus jener lebhaften Publizistik um Adel und Bu¨rgertum, und in der „Deutschen Monatsschrift“ heißt es 1795: „Unter Revolution verstehe ich weder eine sinnliche (physische) noch eine intellektuelle, sondern eine moralische, und zwar nicht eine moralische (in das Gebiet des Gewissens geho¨rige), sondern eine politisch rechtliche, unter dem a¨ußeren Recht stehende Umbildung. Ich unterscheide sie von Aufruhr und Aufstand ... Sie ist eine gewaltsame und ga¨nzliche Uma¨nderung der Grundsa¨tze einer Verfassung.“63 Das nachrevolutiona¨re deutsche Bu¨rgertum suchte nun die Freiheit, die die Prinzipien ihres Staates gestalten sollte, in der alten deutschen Sta¨dtefreiheit und in den Korporationen, die die mittelalterliche Stadt mit genossenschaftlichem Leben gefu¨llt hatten: in den Einungen, den Gilden, den Zu¨nften.64 Karl Friedrich Eichhorn, 1781 geboren, der seine Rechtsstudien in Go¨ttingen noch zu den Fu¨ßen von Johann Stephan Pu¨tter und August Ludwig Schloezer absolviert hatte, sah in der mittelalterlichen Stadt das historische Herz der deutschen Gesellschaft. In seiner „Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte“, die zuerst von 1808–1823 erschien und immer wieder aufgelegt wurde, findet sich im Anschluß an die Darlegung der Rechtsverha¨ltnisse des entstehenden Rittertums der lapidare Satz: „Ein gleichzeitiges gu¨nstiges Ereigniß fu¨r die Erhaltung der alten anstammten Freiheit war aber die Entstehung der Sta¨dte im inneren Deutschland.“65 Der Begru¨nder der historischen Rechtsschule war u¨berzeugt, daß er bei geduldiger historischer Arbeit die unverfa¨lschten freiheitlichen Prinzipien des Rechts in den mittelalterlichen Zusta¨nden eingeschlossen finden wu¨rde, wie etwa im Herz einer

62 Haltern, Bu¨rgerliche Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 89. 63 Zitiert nach Schultze, Auseinandersetzung (wie Anm. 12), S. 168, Anm. 111. 64 Selbstversta¨ndlich handelt es sich nicht um eine auf Deutschland beschra¨nkte Entwicklung, vgl. etwa

fu¨r Frankreich Dakyns, Middle ages (wie Anm. 22), S. 14; dazu die Feststellung von Bernard Guene´e, Histoire et culture historique dans l’occident me´die´val, Paris 1980, S. 10: „Plus tard, au de´but du XIXe sie`cle, les libe´raux scrute`rent les temps ou`, dans les communes, la liberte´ avait fait ses premiers pas“. 65 Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Bd II, Go¨ttingen 51843, S. 77f., ¨ ber den Ursprung 224 a; wa¨hrend der Arbeit an diesem Werk publizierte er auch einen Aufsatz: U der sta¨dtischen Verfassung in Deutschland, in: Zeitschrift fu¨r geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815), S. 147–247; 2 (1816), S. 165–237; zu Eichhorn vgl. im u¨brigen Ernst Wolfgang Bo¨ckenfo¨rde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Berlin 1961, S. 49f.; Wolfgang Sellert, Karl Friedrich Eichhorn, „Vater der deutschen Rechtsgeschichte“, in: Juristische Schulung 1981, S. 799ff.

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Blumenzwiebel,66 ebenso wie Jakob Grimm, der Philologe, sich auf diesem Wege an eine Zeit heranzutasten suchte, in der die reine Sprache der alten Deutschen aufzuspu¨ren war. Den Anha¨ngern der historischen Rechtsschule von Karl Friedrich Eichhorn bis Otto von Gierke erschien die mittelalterliche Stadt als das fruchtbarste Feld fu¨r solche Forschungen. Auch Otto von Gierke hat in seinem „Genossenschaftsrecht“, das 1868, im Vorfeld der Reichsgru¨ndung, erstmals erschienen war, die „altgermanische freie Genossenschaft“ als Grundlage der Stadtgemeinde bezeichnet, die sich durch den Gedanken der freien Einung, des gewillku¨rten Zusammenschlusses von nicht von Geburt aufeinander verwiesenen Individuen zu ihrer spezifisch mittelalterlichen Form ausbildete.67 Von dieser galt es zu lernen, denn diese freien Einungen, die Gierke in seiner Zeit am schlu¨ssigsten beschrieb, sprengten die fu¨rstliche Feudalordnung, die als Widerpart der germanischen Freiheit angesehen wurde. Die Historiker des Rechts, die hier stellvertretend fu¨r alle die vielen stehen mu¨ssen, die sich damals mit der Geschichte der deutschen Sta¨dte bescha¨ftigten, mochten sich in ihren Ansichten u¨ber die Sprengkraft der mittelalterlichen Zusammenschlu¨sse und Konjurationen besta¨tigt fu¨hlen, wenn sie in den Quellen zur Londoner Kommunebildung von 1191 Umschreibungen wie „ein Krebsgeschwu¨r im Volke, ein Schrecknis fu¨r das Reich, ein Schauder fu¨r die Geistlichkeit“68 fanden oder wenn Guibert von Nogent im fru¨hen 12. Jahrhundert von der communio als einem pessimum nomen sprach.69 Das ist der gelehrte Hintergrund, wie er sich aus der Bescha¨ftigung der Juristen und Rechtshistoriker mit der Stadt des Mittelalters ergab. In dem damit vorgegebenen Rahmen hat sich auch die Diskussion und das Ringen um die rechte Ordnung in Staat, Wirtschaftsverfassung und kommunaler Selbstverwaltung wa¨hrend des 19. Jahrhunderts immer wieder vollzogen.70 Dabei handelte es sich keineswegs ausschließlich um eine Diskussion gelehrter Spezialisten, abgehoben von politischer Realita¨t, sondern

66 So Mack Walker, German home towns. Community, state and general estate 1648–1971, Ithaca/Lon-

don 1971, S. 251f. 67 Otto von Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (Das deutsche Genossenschafts-

recht, Bd. I), Berlin 1868, S. 250; zu Gierke vgl. J. D. Lewis, The Genossenschaftstheory of Otto von Gierke: A Study in Political Thought, Madison, Wisc. 1935; Hans Georg Mertens, Otto von Gierke. Zum 50. Todesjahr des großen Germanisten, in: Juristische Schulung 1971, S. 508–511. 68 The Chronicle of Richard of Devizes of the Time of King Richard the First, ed. John T. Appleby, Edinburgh 1963, S. 49: Communia est tumor plebis, timor regni, tepor sacerdotii. 69 Guibert de Nogent, Autobiographie, ed. Edmond-Rene´ Labande, Paris 1981, S. 320; zu communia als Kampfruf der Aufsta¨ndischen in Laon 1112, S. 336. 70 Ihr Gang ist hier nicht zu verfolgen; verwiesen sei auf die grundlegende Arbeit von Bo ¨ ckenfo¨rde, Verfassungsgeschichtliche Forschung (wie Anm. 65) sowie auf die gedankenreichen und materialgesa¨ttigten Darlegungen von Klaus Schreiner, „Kommunalbewegung“ und „Zunftrevolution“. Zur Gegenwart der mittelalterlichen Stadt im historisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Stadtverfassung. Verfassungsstaat. Pressepolitik. Festschrift fu¨r Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz Quarthal/Wilfried Setzler, Sigmaringen 1980, S. 139–168, und Otto Gerhard Oexle, Die mittelalterliche Zunft als Forschungsproblem. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Moderne, in: BllDtLG 118 (1982), S. 1–44; fu¨r die Wende vom 19. zum 20. Jh. vgl. auch Luise Schorn-Schu¨tte, Stadt und Staat. Zum Zusammenhang von Gegenwartsversta¨ndnis und historischer Erkenntnis in der Stadtgeschichtsschreibung der Jahrhundertwende, in: Die alte Stadt. ZSSD 10 (1983), S. 228–266.

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von den hier gea¨ußerten Anschauungen und oft nur vermeintlich historisch abgesicherten Grundsa¨tzen floß nicht wenig in Denkschriften, Gremiendebatten, ja selbst in die Kodifikationen der kommunalen Selbstverwaltung ein.71 Vor allem aber: Jene, die die Diskussion oft genug mit politischen Engagement fu¨hrten, waren Universita¨tsprofessoren, juristische Hochschullehrer, die wiederum die Juristen ausbildeten, die in ihrer beruflichen Zukunft staatliche Administration und sta¨dtische Selbstverwaltung trugen. Die Juristen des 19. Jahrhunderts sind offenbar ungleich sta¨rker durch die historisch begru¨ndete Interpretation des Rechts geformt worden als ihre Nachkommen in unserer Zeit, in deren Studium der Rechtsgeschichte keine zentrale Rolle mehr zukommt. Auch außerhalb der Jurisprudenz hat wa¨hrend des 19. Jahrhunderts die historische Fachliteratur der Gelehrten noch sta¨rker ins Bildungsbu¨rgertum hineinzuwirken vermocht, bevor die zunehmende Spezialisierung der wissenschaftlichen Forschung seit der Jahrhundertwende dem Laien den Zugang verschloß. Grundlegende Gesamtdarstellungen der mittelalterlichen Geschichte waren im 19. Jahrhundert durchaus auch fu¨r die Lektu¨re des „allgemein Gebildeten“ gedacht,72 und Johann Friedrich Bo¨hmer hat selbst in seine Kaiser-Regesten politische Polemik einfließen lassen, die unter Hinweis auf mittelalterliche Geschehnisse die Verha¨ltnisse seiner Gegenwart zu treffen suchte.73 Es ist vielleicht bezeichnend, daß gerade aus der ersten großen Darstellung sta¨dtischer Geschichte, die das 19. Jahrhundert vorlegte – aus der eher ledernen und umsta¨ndlich erza¨hlten „Geschichte des hansischen Bundes“ von Georg Sartorius – im Jahr 1817 Auszu¨ge in Verse gebracht wurden. Der Hamburger

71 Das gilt beispielsweise bereits fu¨r die preußische Sta¨dteordnung des Freiherrn vom Stein, in der neben

den Einflu¨ssen der Aufkla¨rung auch Vorstellungen u¨ber die „Wiederbelebung genossenschaftlichkommunaler Freiheit“ wirksam wurden, die sich am Bild von der mittelalterlichen Stadt orientierten, vgl. Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart 1969, S. 92f. 72 Wilhelm von Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, 6 Bde., der erste Bd. erschien zuerst 1855; zahlreiche Auflagen und Volksausgaben, vgl. zum Bucherfolg Hermann Heimpel, in: NDB 6 (1964), S. 381; die Baronin von Spitzemberg schrieb sich das Verdienst zu, durch ihre Giesebrecht-Lektu¨re Bismarck zu seinem Wort vom Canossagang angeregt zu haben, vgl. Harald Zimmermann, Der Canossagang von 1077. Wirkungen und Wirklichkeit, Wiesbaden 1975, S. 7f. Die Baronin mischte, wie ihr Tagebuch ausweist, die Lektu¨re historischer Romane mit der des Giesebrechtschen Werks, vgl. Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg, geb. Freiin von Varnbu¨hler. Aufzeichnungen aus der Hofgesellschaft des Hohenzollernreichs, hg. v. Rudolf Vierhaus, Go¨ttingen 1963, S. 134f. 73 Vgl. J. F. Bo ¨ hmer, Regesta Imperii V, Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV., Friedrich II., Heinrich (VII.), Conrad IV., Heinrich Raspe, Wilhelm und Richard. 1198–1272, neu hg. v. Julius Ficker, Innsbruck 1881/82 (ND Hildesheim 1971), Nr. 4860a, S. 910 zur Hinrichtung Konradins: „Gedenke wie unbarmeliche der ku¨nik Chuonrat wart verderbet, davon noch allen diutschen vu¨rsten eiset (schaudert) sagt der Misna¨re. Ja wohl! Aber gethan haben sie nichts um die blutthat zu ra¨chen, denn Deutschland fu¨hlte sich nur wenig noch als einheit. Grossentheil durch schuld der Staufer. Diese aber endeten so kla¨glich in demselben land, welches sie siebenzig iahre fru¨her mit nicht minderer grausamkeit erworben, ... welches sie der deutschen heimat zu deren unwiederbringlichen schaden (daran wir noch leiden) vorgezogen hatten.“ Julius Ficker hat die 1849 niedergeschriebenen Sa¨tze Bo¨hmers pieta¨tvoll beibehalten, obwohl er im Streit um die mittelalterliche Kaiserpolitik eine andere Position einnahm (vgl. Friedrich Schneider [Hg.], Universalstaat oder Nationalstaat. Macht und Ende des Ersten Deutschen Reiches. Die Streitschriften von Heinrich von Sybel und Julius von Ficker zur deutschen Kaiserpolitik des Mittelalters, Innsbruck 1941).

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Literat Georg Nikolaus Ba¨rmann hat damals ein vieraktiges Schauspiel „Alexander von Soltwedel oder der Hansa Begru¨ndung“ verfaßt und u¨ber die Bu¨hne des Hamburger Stadttheaters gehen lassen74. Gerade dieses letzte, ein wenig abstruse Beispiel vermag die Vielfalt der Wege anzudeuten, auf denen die Gedanken der Gelehrten – der Historiker, Altertumsforscher, Philologen und Juristen der historischen Schule – u¨ber die in der sta¨dtischen Gemeinde des Mittelalters zugleich bewahrten und verko¨rperten Freiheit zum Allgemeingut werden konnten, wenn auch in vergro¨berter Form oder in Abbreviatur. Literatur, bildende Kunst und auch das Theater75 haben jeweils das ihrige dazu beigetragen, den „Geschichtsbildersaal“ auszustatten, dem die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ihre historischen Vorstellungen entnahm. Es darf als ausgemacht gelten, daß in den Ko¨rperschaften der sta¨dtischen Selbstverwaltung sich im Laufe des Jahrhun¨ berzeugung herausgebildet hatte, sich auf eine Tradition berufen zu derts die feste U ko¨nnen, die aus der Stadt und der Bu¨rgerschaft des Mittelalters herzuleiten war. Es verschlug dabei wenig, daß dieser Strang in der Realita¨t bru¨chig war und daß das jeweilige Selbstversta¨ndnis der Kommune die einstige Wirklichkeit stark verzeichnen mochte. Erst von der Jahrhundertmitte an und versta¨rkt im zweiten Kaiserreich von 1871 haben die deutschen Sta¨dte ihrem Selbstversta¨ndnis auch in baulicher Repra¨sentation bei der Errichtung neuer Ratha¨user Ausdruck gegeben. Das mag damit zusammenha¨ngen, daß erst in dieser Zeit das Wachstum der Sta¨dte und das damit verbundene Anschwellen der Aufgaben in der sta¨dtischen Leistungsverwaltung Neubauten no¨tig machte.76 Nun aber entdeckten die Sta¨dte und ihre politischen Fu¨hrungsgruppen den Symbolwert des Rathauses neu und spielten Bu¨rgerfreiheit der Gegenwart gegen vergangene Fu¨rstenwillku¨r aus. So jedenfalls klingt es bei der Einweihung des neuen Kasseler Rathauses 1909: „Stolz blickt das neue Haus herab auf das seiner Ru¨ckfront ¨ ußeren gegenu¨berliegende alte, nu¨chterne Ratsgeba¨ude, das in seinem bescheidenen A nur allzusehr dem Geist der Zeit entspricht, indem es entstanden ist, dem Geist der von Fu¨rsten abha¨ngigen, nach unten bevormundenden Amtsgewalt. Im Gegensatze dazu erscheint das neue Rathaus als ein Palladium sta¨dtischer Freiheit, als ein stattliches Denkmal des wiedererstarkten, kra¨ftigen Bu¨rgertums, als ein wu¨rdiges Symbol seiner in der Selbstverwaltung wurzelden Bedeutung seiner Macht und seiner 74 Vgl. Paul Alfred Merbach, Die Hanse im deutschen dichterischen Schrifttum (Pfingstbla¨tter des Han-

sischen Geschichtsvereins 24), Lu¨beck 1934, S. 8f.; zu Sartorius, Anm. 48.

75 Vgl. zur Rolle von Theaterauffu¨hrungen bei der Propagierung politischer Symbole, insbesondere der

¨ ber die Bedeutung der politischen Symbole im NationalNationalhymen, Elisabeth Fehrenbach, U staat, in: HZ 213 (1971), S. 296–357, hier S. 30f. u. 316ff.; zu beachten sind auch die Festzu¨ge, die ha¨ufig mit historischen Einlagen angereichert wurden, vgl. etwa Bernward Deneke, Zur Rezeption historisierender Elemente in volkstu¨mlichen Festlichkeiten der ersten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nu¨rnberg 1973, S. 107–135; Wolf Hartmann, Der historische Festzug. Seine Entstehung und Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Mu¨nchen 1976; Klaus Tenfelde, Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzuges, in: HZ 235 (1982), S. 45–84. 76 Zum Rathausbau vgl. Kranz-Michaelis, Ratha¨user (wie Anm. 61); Ekkehard Mai/Ju¨rgen Paul/Stephan Waetzoldt (Hg.), Das Rathaus im Kaiserreich. Kunstpolitische Aspekte einer Bauaufgabe des 19. Jahrhunderts, Berlin 1982; Martin Damus, Das Rathaus. Architektur- und Sozialgeschichte von der Gru¨nderzeit zur Postmoderne, Berlin 1988.

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Rechte.“ 77 Wann die alte Kraft des Bu¨rgertums geblu¨ht hatte, meinte man ebenfalls zu wissen und brachte es auch den Sta¨dten – wie etwa Papenburg – zum Ausdruck, deren Geschichte nicht in das Mittelalter zuru¨ckreichte: „Jedes aufstrebende Gemeinwesen, das aus eigener Kraft eine stufenma¨ßig von Erfolgen begleitete Entwicklung genommen und mit dem Bewußtsein seiner Sta¨rke den festen Willen zur Erreichung immer gu¨nstigerer Lebensbedingungen verbindet, hat von jeher nach einem gewichtigen a¨ußeren Zeichen als dem Denkmal seiner bisherigen Erfolge und einem ragenden Memento fu¨r Gegenwart und Zukunft gestrebt. Aus dieser Empfindung heraus sind in den Sta¨dten des Mittelalters und der neueren Zeit jene bald herrisch und trotzig anmutenden, bald vom Hauche der Romantik umspielten Rathausbauten entstanden, in denen wir so gern den jeweiligen genius loci verko¨rpert finden.“78 Aus solcher Gesinnung heraus haben die Magistrate der deutschen Sta¨dte in faszinierender Vielfalt auf Bauformen des Mittelalters und der „Deutschen Renaissance“ zuru¨ckgegriffen, die man als legitime Vollenderin und Kro¨nung des Mit¨ berreste im Stadtbild oft genug telalters ansah, wa¨hrend genuine mittelalterliche U der Modernisierung und Straßenerweiterung zum Opfer fielen, so daß der Hattinger Maire Rautert vom Anfang des Jahrhunderts seine rechte Freunde daran gehabt ha¨tte.79 Die Neubauten und Neuplanungen jedoch ließen die Bu¨rgerwelt des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit wieder erstehen, ob man nun erhaltene mittelalterliche Ratha¨user neugotisch restaurierte, wie das Alte Rathaus in Mu¨nchen80, die Yperner Tuchhallen und andere fla¨mische Ratha¨user zitierte oder ins Moderne u¨bersetzte wie in Hamburg, Wien und im Mu¨nchener Neuen Rathaus81 oder ob man die Stilformen mischte, wobei bald das eine oder das andere u¨berwog.82 Selbst als man nach der Jahrhundertwende Formen des Barock und des Klassizismus zu bevorzugen begann,83 suchte man nicht selten hinter ihnen die vertrauten „altdeutschen“ Reminiszenzen. In Papenburg etwa, wo man sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg fu¨r „Nordisches Barock“ entschieden hatte, beurteilte der Realgymnasiallehrer Karl Ahrens die Leistung des Architekten: „Er bringt in die im u¨brigen machtvoll wirkende Fassade ein stimmungsvolles, durchaus poetisch anmutendes Moment, weckt eine ferne Erinnerung an alte, hohe Renaissanceha¨user mit vertra¨umten Erkern und kleinen, halb erblindeten Fensteraugen ...“84 Noch einmal werden hier die Assoziationen heraufbeschworen, wie sie Heinrich Wackenroder und Ludwig Richter

77 Rathaus-Gedenkblatt. Beilage zum Casseler Tageblatt und Anzeiger zur Einweihung des Neuen Cas-

seler Rathauses 9. Juni 1909, S. 6; zit. bei Kranz-Michaelis, Ratha¨user (wie Anm. 61), S. 100. 78 Festschrift zur Einweihung des neuen Rathauses der Stadt Papenburg im Juni 1913, Papenburg 1913,

S. 273.

79 Vgl. oben mit Anm. 26 u. 27. 80 Julius Fekete, Denkmalpflege und Neugotik im 19. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel des Alten Rat-

hauses in Mu¨nchen (Miscellanea Bavarica Monacensia 96), Mu¨nchen 1981. 81 Vgl. dazu Damus, Rathaus (wie Anm. 76), S. 33–37; sowie die bei Kranz-Michaelis, Ratha¨user (wie

Anm. 61), S. 103, 158f. u. 165 verzeichnete Literatur. 82 Kranz-Michaelis, Ratha¨user (wie Anm. 61), S. 100, sowie der Katalog der Rathausbauten S. 148–175. 83 Kranz-Michaelis, Ratha¨user (wie Anm. 61), S. 101. 84 Festschrift Papenburg (wie Anm. 78), S. 279.

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beim Anblick Nu¨rnbergs und Rothenburgs empfanden, obwohl die bauliche Realita¨t wenig Anhaltspunkte dafu¨r bot. Ein letzter und recht bezeichnender Zug bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndisses im Kaiserreich, wie es sich in dessen Rathausbauten spiegelt, sei noch hervorgehoben. Bereits Franz Grillparzer hatte Ko¨nig Rudolf als Ku¨nder und Garanten bu¨rgerlicher Freiheiten und Tugenden gezeichnet.85 Die Figur des mittelalterlichen Monarchen verko¨rpert sich fu¨r das popula¨re Geschichtsversta¨ndnis der Deutschen im Kaiser, und es ist bekannt, daß der Kaisermythos, insbesondere das Bild von Kaiser Barbarossa im Kyffha¨user, in der politischen Ideologie der herbeigewu¨nschten und 1870/71 dann vollzogenen Reichseinigung eine Rolle gespielt hat.86 Wohl gab es schon fru¨h Polemik dagegen, und Heinrich Heine meinte su¨ffisant nach seinem fingierten Besuch im Kyffha¨user: Bedenk ich die Sache ganz genau, so brauchen wir gar keinen Kaiser.87 Georg Herwegh, der Demokrat im Schweizer Exil, hatte sogar noch im Augenblick der Kaiserausrufung im Spiegelsaal von Versailles gewettert: Frankreichs gekro¨nter Possenreißer wird nach Paris zuru¨ckgebracht, Euch holt man einen Heldenkaiser aus mittelalterlicher Nacht.88 Doch die siegreiche kleindeutsche Einigungspolitik feierte Wilhelm I. enthusiastisch als Barbablanca triumphator,89 und das leitete auch einen Wandel der sta¨dtischen Selbstdarstellung ein. In den Bildern von der mittelalterlichen Stadt, wie sie das fru¨he 19. Jahrhundert zeichnete und in denen das Bu¨rgertum sich in Einungen und Korporationen wiederfand, spielte der Kaiser nur eine periphere Rolle. Noch Eduard Ille hat in seinem, immerhin fu¨r einen ko¨niglichen Auftraggeber bestimmten Hans Sachs-Gema¨lde90 unter den Huldigenden Kaiser Maximilian I. ganz an den Rand 85 Vgl. oben mit Anm. 19. 86 Vgl. etwa Albrecht Timm, Der Kyffha¨user im deutschen Geschichtsbild (Historisch-politische Hefte

der Ranke-Gesellschaft), Hamburg 1961; sowie die Anm. 59 zitierte Literatur. 87 Heinrich Heine, Deutschland. Ein Winterma¨rchen, in: Sa¨mtliche Schriften, Bd. 4, hg. v. Klaus Brieg-

leb, Darmstadt 1971, S. 616. 88 Georg Herwegh, Der schlimmste Feind (Februar 1871), in: Herweghs Werke, 3. Teil, hg. v. Hermann

Tardel, Berlin/Leipzig/Wien/Stuttgart, o. J., S. 120–132; vgl. ebd. S. 132 das Gedicht „Epilog zum Kriege“ mit den Versen: „Schon lenkt ein Kaiser dich am Zaum / Ein strammer, strenger Zepterhalter. / Hofbarden singen ihre Psalter / Dem auferstandnen Mittelalter.“ 89 Felix Dahn, Macte Imperator!, in: ders., Gesammelte Werke. Erza¨hlende und poetische Schriften. Neue wohlfeile Gesamtausgabe II, 5, Leipzig/Berlin-Grunewald, o. J., S. 593; die Analogie Friedrich I. (Barbarossa) und Wilhelm I. (Barbablanca) ist besonders eindrucksvoll in den Ausmalungen der Kaiserpfalz zu Goslar gestaltet worden, vgl. Arndt, Goslarer Kaiserpfalz (wie Anm. 25), bes. S. 63ff.; Bezug von Reicheinheit und Kaisertum unter gleichzeitiger Kritik an der staufischen Politik findet sich allerdings ebenfalls, vgl. etwa Anm. 73, und Gollwitzer, Auffassung (wie Anm. 59), Fehrenbach, Kaisergedanke (wie Anm. 59). 90 Vgl. oben mit Anm. 38.

Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert

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geru¨ckt. Nun, nach der Reichsgru¨ndung, wird die Figur des Kaisers in den ikonographischen Programmen der Fassaden und der Innenausstattung der Rathausneubauten deutlich hervorgehoben. Das Hildesheimer Rathaus etwa verzichtete in seinen heute zersto¨rten Ratsaalgema¨lden zwar nicht auf die Darstellung der Auflehnung der mittelalterlichen Bu¨rgerschaft gegen den bischo¨flichen Stadtherrn, doch es fehlt auch nicht die allegorische Huldigung der Stadt an Wilhelm I.91 In Osnabru¨ck, an dessen Rathausfassade im Mittelalter die Bildnisfiguren der Neun Guten Helden gestanden hatten, wurden nun Plastiken jener Kaisergestalten angebracht, die die Stadt privilegiert hatten oder bei denen man sonst einen Bezug zur Stadtgeschichte vermuten durfte.92 Auch Wilhelm I. und Barbarossa fehlen nicht. Am Duisburger Rathaus-Neubau erscheint an prominenter Stelle Wilhelm I. in Gesellschaft Karls des Großen.93 Das mag an Beispielen genu¨gen; sie stehen nicht vereinzelt. In ihnen deutet sich ein Wandel des Bildes von der mittelalterlichen Stadt im bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnis an. Der Kaiser erscheint – wie schon bei Grillparzer – als der historische ¨ berwinGarant der bu¨rgerlichen Freiheit, ja fu¨r die Gegenwart als ihr Vollender, als U der von Kleinstaaterei und Fu¨rstenzwietracht, durch die man die Entfaltung bu¨rgerlicher Tugenden und Wirtschaftskra¨fte fu¨r lange Zeit behindert gesehen hatte.94 Wir stehen am Ende, obwohl das Thema nicht erscho¨pft, noch weniger systematisch durchdrungen ist. Doch eines du¨rfte deutlich geworden sein: Wie auf anderen politisch-ideologischen Feldern sucht das fru¨he 19. Jahrhundert auch fu¨r die Legitimation seiner fu¨r bu¨rgerlich erachteten Werte den Rekurs auf das Mittelalter, auf die Geschichte der mittelalterlichen Stadt. Damals wird ein Grundvorrat von Geschichtsbildern geschaffen, die bei aller Konstanz, die sie das 19. Jahrhundert u¨ber behalten, doch verschiedenartig auslegbar und zu neuen Bildern zusammensetzbar sind. Ihre Variabilita¨t macht ihre Sta¨rke aus. Sie tragen auf vielfa¨ltige Weise zur Selbstfindung des Bu¨rgertums in seinen gebildeten Schichten, in Auseinandersetzung mit anderen Gruppen der Gesellschaft und zur Legitimation seiner Handlungen bei, 91 Vgl. Gerd Unverfehrt, Bistum, Stadt und Reich. Das Programm der Fresken Hermann Prells,

in: Mai/Paul/Waetzoldt, Rathaus (wie Anm. 76), S. 231–259; die Verschra¨nkung bu¨rgerlicher Selbstdarstellung (Portra¨ts Hildesheimer Bu¨rger; Personifikation der Gilden; Allegorien bu¨rgerlicher Tugenden) und Kaiserhuldigung wird hier bes. deutlich. Zum gesamten Themenkomplex auch HeinzToni Wappenschmidt, Studien zur Ausstattung des deutschen Rathaussaales in der zweiten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts bis 1918, Bonn 1981, bes. S. 93ff. und S. 76f. zu Krefeld, Bochum und in Elberfeld, in: Mai/Paul/Waetzoldt, Rathaus (wie Anm. 76), S. 261–300. 92 Ludwig Hoffmeyer, Chronik der Stadt Osnabru¨ck, 4. Aufl. bearb. v. Heinrich Koch, Osnabru¨ck 4/1978, S. 448 mit Abb.; Ludwig Schirmeyer, Die Kaiserbilder am Osnabru¨cker Rathaus, in: Hannoverland, Monatsschrift fu¨r Geschichte, Landes- und Volkskunde, Sprache und Literatur unserer niedersa¨chsischen Heimat 1909, S. 38; ders., Osnabru¨ck und das Osnabru¨cker Land, Osnabru¨ck 1948, S. 136f. 93 Festschrift zur Einweihung des Rathaus-Neubaus der Stadt Duisburg am Rhein am 3. Mai 1902, Duisburg 1902, S. 46; der Stadtverordnetensaal enthielt eine Darstellung der Verteidigung der Stadt gegen ¨ berfall durch den Ko¨lner Erzbischof Dietrich von Moers am 12. Ma¨rz 1443; vgl. auch Wappenden U schmidt, Ausstattung (wie Anm. 91), S. 51f. 94 Paradigmatisch zum Ausdruck gebracht in der Rede des Duisburger Oberbu¨rgermeisters Lehr bei der Ero¨ffnung des neuen Rathauses, vgl. Festschrift Rathaus-Neubau Duisburg (wie Anm. 93), S. 73–84; bezeichnend ist das Hervorheben des harmonischen Zusammenwirkens von bu¨rgerlicher Selbstverwaltung und dem im Kaiser verko¨rperten Staat.

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auch wenn die geschichtliche Wirklichkeit des Mittelalters dabei ha¨ufig verfehlt wird. Auch die Gelehrten blieben in ihren Entwu¨rfen von Verfassung und Sozialordnung der mittelalterlichen Stadt von solchen Fehlinterpretationen nicht verschont, denn auch ihnen leitete politisches und gesellschaftliches Interesse Auge und Verstand. Es wa¨re verkehrt anzunehmen, solches Tun habe sich auf das 19. Jahrhundert beschra¨nkt. Auch unsere eigene Zeit sucht zur Vergewisserung ihres Demokratieversta¨ndnisses ha¨ufig genug die sta¨dtische Geschichte des Mittelalters auf, innerhalb und außerhalb der Gelehrtenzunft, mit oder ohne ihre Hilfe. Ein beru¨hmtes Wort des Bundespra¨sidenten Gustav Heinemann vor nunmehr nahezu zwei Jahrzehnten95 hat eine ganze Generation von Stadthistorikern und interessierten Laien dazu angeregt, sich mit den Freiheitsbewegungen, mit den Aufsta¨nden und Konflikten der sta¨dtischen Welt des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit zu bescha¨ftigen. Es darf angenommen werden, daß auch sie damit einen Bezug zur politischen Kultur ihrer eigenen Zeit herzustellen suchten. Die Sache, die hier betrachtet wurde, geht also weiter, und es wa¨re spannend, ihren Verlauf zu erza¨hlen und die verschiedenen Ausformungen der Aneignung sta¨dtischer Geschichte des Mittelalters weiter zu betrachten. Doch das ist eine Aufgabe, die unsere Kollegen von morgen, die heute noch nicht geboren sind, auf sich nehmen mu¨ssen, wenn in hundert Jahren vielleicht wiederum ein solcher Sammelband konzipiert wird.

95 Gustav W. Heinemann, Reden und Interviews 1. Juli 1973–1. Juli 1974, hg. v. Presse- und Informati-

onsamt der Bundesregierung, [Bonn] 1974, S. 169.

STADTGESCHICHTSFORSCHUNG Leistungen und Perspektiven der media¨vistischen Stadtgeschichtsforschung [Erstabdruck: Schauplatz Mittelalter Friesach. Ka¨rntner Landesausstellung 2001, Bd. 1: Einfu¨hrung, hg. v. Land Ka¨rnten, Klagenfurt 22001, S. 115–135]

Die europa¨ische Stadt, wie sie sich seit dem 11. bis 13. Jahrhundert herausgebildet hat, wurde rasch zu einem ho¨chst erfolgreichen Modell fu¨r die Konzentration und Organisation wirtschaftlicher Abla¨ufe wie gewerbliche Produktion und der Abwicklung von Fern- und Nahhandel sowie auch fu¨r das menschliche Zusammenleben in der engen Verflechtung verschiedener sozialer Gruppen. Es liegt auf der Hand, dass die Entwicklung dieser faszinierenden Sozialform nicht ohne betra¨chtliche Vera¨nderungen vorhandener Siedlungsstrukturen sowie wirtschaftlicher und vor allem sozialer Strukturen, ja zum Teil nicht ohne Konflikte abgelaufen ist, die im kollektiven Geda¨chtnis der Sta¨dte und ihrer Bu¨rgerschaft Spuren hinterlassen haben. Zu Letzterem geho¨ren die Auseinandersetzungen mit dem Stadtherrn und dem Adel des Umlandes seit dem 13. Jahrhundert ebenso wie die innersta¨dtischen Konflikte, die Bu¨rgerka¨mpfe um die Machtausu¨bung in der Stadt, um die Besetzung und Kontrolle des Rates durch die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, um die Bewahrung des innersta¨dtischen Friedens und die unitas civium, die Einigkeit der Bu¨rger.1

1 [L 1:] Allgemeines und innersta¨dtische Konflikte:

Zur europa¨ischen und deutschen Stadt des Mittelalters vgl. allgemein Edith Ennen, Die europa¨ische Stadt des Mittelalters, Go¨ttingen 1972; Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, hg. v. Heinz Stoob, Ko¨ln/Wien 1985; Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spa¨tmittelalter 1200–1500. Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988; Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters, Mu¨nchen 1993. Zu den innersta¨dtischen Konflikten: Peter Blickle, Unruhen in der sta¨dtischen Gesellschaft 1300–1800, Mu¨nchen 1988; Wilfried Ehbrecht, Eintracht und Zwietracht. Ursache, Anlaß, Verlauf und Wirkung von Stadtkonflikten, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser, hg. v. Matthias Puhle, Magdeburg 1996, S. 298–321; Peter Johanek, Bu¨rgerka¨mpfe und Verfassung in den mittelalterlichen deutschen Sta¨dten, in: Einwohner und Bu¨rger auf dem Weg zur Demokratie, hg. v. Hans Eugen Specker, Stuttgart 1997, S. 45–73; Peter Moraw, Aufruhr in der Stadt. Bu¨rgerka¨mpfe im Spa¨tmittelalter, in: Aufsta¨nde, Unruhen, Revolutionen. Zur Geschichte der Demokratie in Deutschland, hg. v. Hans Sarkowicz, Frankfurt a. M./Leipzig 1998, S. 8–24.

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Stadtgeschichtsforschung

Sta¨dtische Geschichtsschreibung

Schon fru¨h hat sich die Geschichtserinnerung der Sta¨dte nicht nur in der Ausbildung mu¨ndlicher Tradition und in der Schaffung dinglicher und bildlicher Erinnerungs¨ rtstu¨cke oder in Erinnerungsorten konkretisiert, wie etwa in der Markierung von O lichkeiten kriegerischer Auseinandersetzungen und in der Vollziehung liturgischer Memoria fu¨r die in solchen Ka¨mpfen Gefallenen. Vielmehr hat die Erinnerung an die sta¨dtische Vergangenheit auch ihren Niederschlag in der Geschichtsschreibung gefunden, in Chroniken, die weit in die Vergangenheit zuru¨ckreichten, zum Teil in die mythische Vorzeit, ebenso aber auch in der Verzeichnung der Geschehnisse der unmittelbaren Vergangenheit, die als Belegmaterial und Argumentationsarsenal fu¨r den politischen Kampf der eigenen Gegenwart dienen konnte.2 So entstand bereits wa¨hrend des Mittelalters eine vielgestaltige Stadtchronistik, welche die Geschichtserinnerung der Stadt und ihrer Bu¨rger in vielfa¨ltiger Weise u¨berlieferte. Ihre eindrucksvollste Auspra¨gung fand sie in der Chronistik von Reichssta¨dten wie Augsburg, Nu¨rnberg, Straßburg, Ko¨ln oder Lu¨beck, und in der Historiographie der großen Autonomiesta¨dte im Norden Deutschlands, die sich – wie etwa Braunschweig und Magdeburg – so große Spielra¨ume geschaffen hatten, dass sie politisch wie Reichssta¨dte agieren konnten. Diese sta¨dtische Geschichtsschreibung des spa¨ten Mittelalters wird getragen von Bu¨rgern, oft im Auftrag des Rates handelnd oder sogar von dessen Mitgliedern und Amtstra¨gern selbst, aber auch von Klerikern oder Mo¨nchen, die der Bu¨rgerschaft nahe standen, wie etwa Detmar, der Lesemeister der Franziskaner in Lu¨beck, oder Sigismund Meisterlin, der Benediktinermo¨nch von St. Ulrich und Afra in Augsburg. Die Stadt selbst, ihre Verfassung, ihre Regierung und Politik sind der Gegenstand dieser Geschichtsschreiber, sie ist „rathausnah und praxisbezogen“.2a Sie entwickelte sich vor allem im mittelalterlichen deutschen Reich mit seiner Vielfalt an politisch handelnden Sta¨dten und zum Teil in Ostmitteleuropa, wo das deutsche Stadtrecht einen entscheidenden Einfluss ausu¨bte. Auch in Italien blu¨hte eine reiche und vielfa¨ltig gestaltete sta¨dtische Chronistik, die hier bereits im 12. Jahrhundert in Genua einsetzte, wa¨hrend die Sta¨dte Westeuropas, in Frankreich und England zumal, dergleichen im Mittelalter nicht oder doch nur in ganz geringem Maße hervorgebracht haben. Sta¨dtische Geschichtsschreibung, das heißt die Bescha¨ftigung mit der Geschichte der eigenen Stadt, ho¨rte auch wa¨hrend der fru¨hen Neuzeit nicht auf, ja sie nahm an Umfang zu, und auch Regionen des Reichs, die im Mittelalter keine nennenswerten Leistungen dieser Art hervorgebracht hatten, wie etwa die

2 [L 2:] Motive sta¨dtischer Geschichtsschreibung:

Klaus Graf, Schlachtgedenken in der Stadt, in: Stadt und Krieg, hg. v. Bernhard Kirchga¨ssner/Gu¨nter Scholz, Sigmaringen 1989, S. 83–104. Peter Johanek, Einleitung, in: Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. dems., Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. VIII, mit Anm. 6 u. 10 mit weiterer Literatur. – Zum Konflikt als Movens der sta¨dtischen Geschichtsschreibung: Wilfried Ehbrecht, Uppe dat solck grot vorderffenisse jo nicht meer enscheghe. Konsens und Konflikt als eine Leitfrage sta¨dtischer Historiographie nicht nur im Hanseraum, in: ebd., S. 51–109. 2a Vgl. dazu die Darstellung bei Ennen, Geschichtsbewußtsein (wie Anm. 3), S. 14ff.

Stadtgeschichtsforschung

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o¨sterreichischen La¨nder, fassten nun die Vergangenheit der eigenen Stadt ins Auge und begannen, sie literarisch zu verarbeiten. In dieser Zeit sind die politischen Spielra¨ume der Sta¨dte durch den erstarkenden Fu¨rstenstaat eingeschra¨nkt worden. Auch die Reichssta¨dte waren davon betroffen und befanden sich vielfach im wirtschaftlichen Niedergang oder doch in Stagnation. Die sta¨dtische Chronistik bezog nun den Stadtherrn und seine gestaltende politische Ta¨tigkeit sta¨rker ein als zuvor, und insgesamt wird ein antiquarischer Zug deutlich. Doch auch jetzt blieb die Bescha¨ftigung mit der Geschichte der eigenen Stadt eine wichtige Basis fu¨r das Selbstversta¨ndnis der sta¨dtischen Eliten und Oligarchien, die das Stadtregiment trugen. Diese Geschichtsschreibung begru¨ndet Kontinuita¨t, legitimiert sie und gibt dem sich ausbildenden Stadtpatriotismus sein historisches Fundament.3 Es gab also im Heiligen Ro¨mischen Reich Deutscher Nation wa¨hrend des Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit eine reiche Tradition sta¨dtischer Geschichtsschreibung, die noch erga¨nzt wurde durch das literarische Genus des Sta¨dtelobs, das weit in die Antike zuru¨ckreichte und im Zeitalter des Humanismus einen neuen Aufschwung erfuhr, ebenso wie damals eine neuartige Form der historisch untermauerten Landesbeschreibung entstand. Letztere bezog auch die Sta¨dte ein und bemu¨hte sich um ihre bildliche Darstellung im neuen Medium des Drucks. Hartmann Schedels Weltchronik ist das fru¨heste Beispiel dafu¨r, und Ho¨hepunkte werden in den umfassenden Abbildungswerken von Braun und Hogenberg sowie von Mattha¨us Merian im 17. Jahrhunder erreicht.4 So war die deutsche oder sogar die europa¨ische Stadt den Gebildeten der fru¨hen Neuzeit optisch pra¨sent, der historische Zugriff jedoch erfolgte jeweils nur bei der

3 [L 3:] Sta¨dtische Geschichtsschreibung:

¨ berblick gibt die Editionsreihe „Die Chroniken der deutschen Sta¨dte vom 14. bis ins 16. JahrEinen U hundert“, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bde. 1–37, Leipzig/Stuttgart/Gotha/Go¨ttingen/Bremen 1862–1969 (ND Bde. 1–36 Go¨ttingen ¨ berblicksdarstellungen zur sta¨dtischen Geschichtsschreibung des Mittelalters seien 1965–1968). – An U genannt: Heinrich Schmidt, Die deutschen Sta¨dtechroniken als Spiegel des bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im Spa¨tmittelalter, Go¨ttingen 1958; J. B. Menke, Geschichtsschreibung und Politik in deutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters. Die Entstehung deutscher Geschichtsprosa in Ko¨ln, Braunschweig, Lu¨beck, Mainz und Magdeburg, in: JbKo¨lnGV 33 (1958), S. 1–84, und 34/35 (1959/60), S. 85–194; Edith Ennen, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung des sta¨dtischen Bu¨rgertums in seinen Wandlungen bis zur Gegenwart, in: SoesterZ 92/93 (1980/81), S. 9–34 sowie Johanek, Einleitung (wie Anm. 2), S. VII–XIX. Vgl. auch Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Fru¨hen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im su¨dwestdeutschen, elsa¨ssischen und schweizerischen Sta¨dteraum, Ko¨ln/Wien 1982, S. 57. Peter Wolf, Bilder und Vorstellungen vom Mittelalter. Regensburger Stadt¨ brigen kommt es nun auch außerhalb chroniken der Fru¨hen Neuzeit, Tu¨bingen 1999, S. 37f. – Im U Deutschlands zu einer versta¨rkten Bescha¨ftigung mit der sta¨dtischen Vergangenheit, vgl. etwa zu England Rosemary Sweet, The writing of urban histories in eighteenth-century England, Oxford 21997. 4 [L 4:] Sta¨dtelob: Carl Joachim Classen, Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, Hildesheim/New York 1980; Klaus Arnold, Sta¨dtelob und Stadtbeschreibung im spa¨teren Mittelalter und in der Fru¨hen Neuzeit, in: Sta¨dtische Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 247–268; Wolfgang Behringer/Bernd Roeck, Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, Mu¨nchen 1999.

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einzelnen Stadt. Erforschung von Stadtgeschichte blieb bis ins 18. Jahrhundert hinein eine ziemlich lokale Angelegenheit. Sie war Diskussionsgegenstand fu¨r o¨rtliche Regierungseliten oder Gelehrte, Dilettanten, Enthusiasten und Antiquare. Ihren Niederschlag fand sie zumeist nur in handschriftlicher Form; nur selten gelangte eine Stadtgeschichte in den Druck und fand so weitere Verbreitung.4a Doch es blieb im Wesentlichen bei der Geschichte einzelner Sta¨dte; die Stadt als soziales, rechtliches und wirtschaftliches Pha¨nomen, als Faktor der geschichtlichen Entwicklung trat erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts in das Blickfeld der sich entwickelnden Geschichtswissenschaft.

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Die Entdeckung der mittelalterlichen Stadt als historisches Sujet aber war dann nicht eine Angelegenheit antiquarisch gesinnter Geschichtsfreunde. Vielmehr erfolgte diese Zuwendung im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts plo¨tzlich und vehement und kam einem politischen Bekenntnis gleich. Sie entsprang der Auseinandersetzung um die Bedeutung des „Dritten Stands“. „Die Sta¨dte“ – so schrieb Johann Gottfried Herder 1791, und er meinte damit die Sta¨dte des Mittelalters – „sind in Europa gleichsam stehende Heerlager der Cultur, Werksta¨tten des Fleißes und der Anfang einer besseren Staatshaushaltung geworden, ohne welches dieses Land noch eine Wu¨ste wa¨re.“ Im Mauerring der mittelalterlichen Sta¨dte lag fu¨r Herder der Ursprung „gemeinschaftlicher Freiheit, des Bu¨rgerrechts.“ Etwa gleichzeitig trat zu den philosophischen Reflexionen Herders auch die historische Darstellung von Christoph Meiners u¨ber die „Geschichte der Ungleichheit der Sta¨nde unter den vornehmsten europa¨ischen Vo¨lkern“, in welcher sich ein umfangreiches Kapitel „Ueber die Wiederherstellung der Freyheit, und des Standes der Freyen in den Sta¨dten“ findet.5 Auch er ru¨hmte die mittelalterlichen Sta¨dte als Hort der „Freyheit“, die in ihnen gleichsam wiedergeboren worden sei, denn „die Bewohner der Sta¨dte wurden frey so bald sie es durch Muth, Fleiß und die Fru¨chte des Fleisses zu seyn verdienten“, und die Reichssta¨dte – so meinte er, ha¨tten u¨ber eine Verfassung verfu¨gt, die „einer wahren Demokratie gleichgescha¨tzt werden konnte“. 4a Beispiele bei Johanek. Einleitung (wie Anm. 2), S. XVI, mit Anm. 44–53. 5 [L 5:] Die Entdeckung der mittelalterlichen Stadt als historisches Sujet:

Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in: Herders Sa¨mmtliche Werke, hg. v. Bernhard Suppan, Berlin 1909, S. 486f.; Christoph Meiners, Geschichte der Ungleichheit der Sta¨nde unter den vornehmsten europa¨ischen Vo¨lkern, Bd. 2, Hannover 1792, S. 319–454, vgl. dazu Klaus Schreiner, Die Stadt als Faktor bu¨rgerlicher Identita¨tsbildung. Zur Gegenwa¨rtigkeit des mittelalterlichen Stadtbu¨rgertums im historisch-politischen Bewußtsein des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bu¨rgertums in Norddeutschland 1150–1650, hg. v. Cord Meckseper, Bd. 4, Stuttgart 1985, S. 517–541 (zu Herder und Meiners S. 518). Peter Johanek, Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff, Darmstadt 1992, S. 81–100 und 193–202.

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¨ ußerungen im Umkreis der Franzo¨sischen Revolution, niedergeIn solchen A schrieben im Bewusstsein, in einem Umbruch der Zeiten zu leben, ging es darum, der absolutistischen Staatspraxis und dem privilegierten Adel historisch begru¨ndete Entwu¨rfe bu¨rgerlicher Freiheit entgegenzustellen. Sie haben die napoleonische Zeit u¨berdauert, ja erhielten damals im Widerstand gegen die franzo¨sische Herrschaft scha¨rfere Konturen und wirkten weit in die Zeit der Restauration hinein. Sie legten das Fundament fu¨r die noch heute popula¨re Ansicht, Demokratie und modernes Staatsbu¨rgertum seien aus der mittelalterlichen Stadtverfassung und dem mittelalterlichen Stadtbu¨rgertum abzuleiten, wie auch fu¨r die wissenschaftlich begru¨ndbare Feststellung: „Die Stadt des Mittelalters bildet den geschichtlichen Na¨hrboden aller jener Freiheiten, die Menschen die Chance geben, als freie Bu¨rger an der Gestaltung ihrer o¨ffentlichen Angelegenheiten mitdenkend und mitverantwortlich teilzunehmen“5a. Die mittelalterliche Stadt in ihrer Verfasstheit und ihrem Wirtschaften wurde zu einem wirkungsma¨chtigen Leitbild des Geschichtsauffassung im 19. Jahrhundert, und das gilt nicht nur fu¨r Deutschland, sondern auch fu¨r Italien und Westeuropa. Vor allem aber wurde dieses Leitbild Movens der wissenschaftlichen Bescha¨ftigung mit der Geschichte der mittelalterlichen Sta¨dte, wie sie sich im Rahmen der neuen, auf die Kritik und die Erschließung der Quellen gerichteten Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts entfaltete. Zwar haben die „Monumenta Germaniae Historica“, die als Kernstu¨ck dieser Erneuerung der auf das Mittelalter gerichteten Geschichtsforschung gelten du¨rfen, die Quellen zur Geschichte der Sta¨dte nicht in ihr Programm aufgenommen, gleichwohl sind bereits in den Jahren ihrer Gru¨ndungszeit wichtige, kritisch auf die Quellen zuru¨ckgreifende Werke entstanden, die den Gang der Forschung durch das 19. Jahrhundert bestimmt haben. Hierzu geho¨rten etwa die „Geschichte des Hanseatischen Bundes“ (drei Ba¨nde, Go¨ttingen 1802–1808) des Go¨ttinger Professors Georg Sartorius, und auch er befand, dass die Entwicklung der mittelalterlichen Stadtverfassung und des sta¨dtischen Bu¨rgertums „in der finsteren Nacht der mittleren Zeiten eine der erfreulichsten Erscheinungen“ gewesen sei. Ganz a¨hnlich urteilte Karl Dietrich Hu¨llmann, der von der Geographie und Statistik herkam, aber als Bonner Historikprofessor die erste umfassende Geschichte des mittelalterlichen Sta¨dtewesens vorlegte. Er erkannte im Mittelalter „die verlorene goldene Zeit des teutschen Bu¨rgerstandes“, der sich aus „freien, durch edle Verfassung beglu¨ckten Menschen“ zusammensetzte. Selbst so nu¨chtern wirkende Gelehrte wie Johann Friedrich Bo¨hmer, der mit seinen „Regesta Imperii“ eines der dauerhaftesten Instrumente fu¨r die Erforschung der Grundlagen der mittelalterlichen Kaisergeschichte schuf und sich niemals zu einer gro¨ßeren historischen Darstellung entschließen konnte, wurde enthusiatisch, wenn es um die mittelalterliche Bu¨rgergemeinde ging. Die Hilfe der Wormser fu¨r Kaiser Heinrich IV. interpretierte er so: Als dieser „von allen verlassen in seines geschlechtes heimatsgau sich zuru¨ckzog, da kam unerwartet aus Worms, wo die einwohner mit dem bischof zerfallen waren, kampfgeru¨stet treu und muthig eine bu¨rgerwehr ihm entgegen, im erstehen eines dritten standes ku¨nftige zeiten verku¨ndend“.

5a Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 534.

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Sartorius, Hu¨llmann und Bo¨hmer waren Historiker und formulierten schlu¨ssig die Anschauungen ihrer Zeit u¨ber die Stadt des Mittelalters und ihr Bu¨rgertum. Die Hauptansto¨ße fu¨r die Stadtgeschichtsforschung im 19. Jahrhundert aber kamen von Rechtshistorikern, von Juristen, den Vertretern der historischen Rechtsschule. Ihr Begru¨nder und erstes Haupt, Karl Friedrich Eichhorn, skizzierte die Entfaltung der sta¨dtischen Selbstverwaltung, die Schaffung des sta¨dtischen Rates, der in den Auseinandersetzungen mit den Stadtherren im ausgehenden Hochmittelalter die entscheidenden Befugnisse der Machtausu¨bung an sich zu bringen vermochte. Damit, so meinte Eichhorn, sei nur der natu¨rliche Zustand wiederhergestellt worden. Diese Entwicklung fasste er in einem Kernsatz zusammen, der den bereits zitierten Auffassungen exakt entspricht: „Ein gleichzeitiges gu¨nstiges Ereigniß fu¨r die Erhaltung der alten angestammten Freiheit war aber die Entstehung der Sta¨dte im inneren Deutschland“6.

Bu¨rgergemeinde, Zu¨nfte und Gilden

Unter dem Einfluss der historischen Rechtsschule wurde die Stadtgeschichtsforschung auf lange Zeit Erforschung der sta¨dtischen Verfassung, sta¨dtischen Rechts und seiner Quellen. Durch das sta¨dtische Recht sah man auch die sozialen Verha¨ltnisse im Wesentlichen gestaltet, im Recht spiegelte sich fu¨r diese Forschungsrichtung das konkrete sta¨dtische Leben. Diese Auffassung von Stadtgeschichte wird auch 6 [L 6:] Stadtgeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert:

¨ berblicksdarstellungen zur Stadtgeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert seien genannt: Als U Gustav Schmoller, Die deutschen Sta¨dtehistoriker des 19. Jahrhunderts, in: Deutsches Sta¨dtewesen in a¨lterer Zeit, Bonn 1922 (ND Aalen 1964), S. 2ff.; Heinrich Koller, Zur Entwicklung der Stadtgeschichtsforschung im deutschsprachigen Raum, in: Stadtgeschichtsforschung. Aspekte, Ten¨ ber stadtdenzen, Perspektiven, hg. v. Fritz Mayrhofer, Linz 1993, S. 1–18; Hartmut Boockmann, U geschichtliche Darstellungen aus den neuen und alten Bundesla¨ndern, in: ZfG 39 (1991), S. 1189–1201. ¨ berblicke von Ursula Braasch-Schwersmann, Wege der StadtgeschichtsforDazu die regionalen U schung in Hessen. Ergebnisse und Perspektiven, in: Fu¨nfzig Jahre Landesgeschichtsforschung in Hessen, hg. v. Ulrich Reuling/Winfried Speitkamp (HessJb 50), Marburg 2000, S. 125–161. Peter Johanek, Die o¨sterreichische Stadtgeschichtsforschung zur mittelalterlichen Epoche. Leistungen – Defi¨ sterzite – Perspektiven, in: Pro Civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in O reich NF 5 (2000), S. 7–22, ND in diesem Band, S. 95–113. Pierre Racine, Ou` va l’histoire urbaine?, in: Le moyen Age 106 (2000), S. 375–384. – Zu Sartorius vgl. Klaus Friedland, Vom sittlichen Wert geschichtlicher Erkenntnis. Georg Sartorius’ Werk u¨ber den Hanseatischen Bund, in: HansGbll 116 (1998), S. 117–136. – Die Zitate von Hu¨llmann, Bo¨hmer und Eichhorn siehe bei Karl Dietrich Hu¨llmann, Sta¨dtewesen des Mittelalters, Teil 1–4, Bonn 1826–1829; das Zitat nach Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 521, sowie in den Fontes Rerum Germanicarum/Geschichtsquellen Deutschlands, hg. v. Joh. Friedrich Bo¨hmer, Bd. II, Stuttgart 1945, S. XIX, und bei Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. II, Go¨ttingen 51843, S. 77f.; die erste Auflage erschien 1808–1823; ¨ ber den Ursprung der sta¨dtischen Verfassung bereits damals publizierte Eichhorn eine Abhandlung: U in Deutschland, in: Zeitschrift fu¨r geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815) u. 2 (1816), S. 147–247 ¨ brigen Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 521f. und Johanek, Mittelalbzw. 165–237. Vgl. im U terliche Stadt (wie Anm. 5), S. 95f.

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deutlich in den zahlreichen Quelleneditionen zum sta¨dtischen Recht, die mit den Werken Ernst Theodor Gaupps, Heinrich Gottfried Genglers und anderer einsetzten und bis in unsere Gegenwart reichen, auch wenn die Intensita¨t nachgelassen hat. Das gilt fu¨r Quelleneditionen zu Verfassung und Recht von Einzelsta¨dten ebenso wie fu¨r u¨bergreifende Sammlungen, die in der Gegenwart neben den eigentlichen Rechtsquellen versta¨rkt auch weiteres Quellenmaterial einzubeziehen suchen. Diese verfassungs- und rechtsgeschichtliche Sicht auf die mittelalterlichen Sta¨dte unter dem ¨ brigen nicht auf DeutschAspekt der Entstehung freier Bu¨rgergemeinden war im U land und Mitteleuropa beschra¨nkt. Sie entwickelte sich in gleicher Weise in Italien, in Frankreich und in England.7 Von der Gemeindebildung in den Sta¨dten, von der allgemeinen Bu¨rgerfreiheit, ließ sich jedoch auch leicht die Bru¨cke schlagen zur Herausbildung anderer Vereinigungen in den Sta¨dten, die ebenfalls als wichtiges Element der Stadtverfassung des Mittelalters anzusehen sind, deren Untersuchung jedoch bereits auch die Wege zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ebnete. Es ging dabei um die Einungen innerhalb der Stadt, die Bruderschaften, Gilden und Zu¨nfte und deren Rolle im Verfassungsleben und fu¨r die Selbstdefinition einzelner Gruppen der mittelalterlichen Stadt. Auch hier hat bereits das 19. Jahrhundert unu¨bersehbare Akzente gesetzt. Otto von Gierke mit seiner Geschichte des Genossenschaftsrechts und Georg Schanz mit seinen Studien zu den Gesellenverba¨nden wie auch Gustav Schmoller haben vielfach an die Probleme der eigenen Zeit angeknu¨pft, an die Forderung nach Eigensta¨ndigkeit von Vereinigungen sozialer Gruppen, wirtschaftlicher Verba¨nde und gewerkschaftlicher Organisationen. Andere, wie der bedeutende Kulturhistoriker Karl Lamprecht und der Soziologe Max Weber, haben gerade diese Fragestellung aufgegriffen, und besonders Weber hat den Verbandscharakter der mittelalterlichen Stadt insgesamt hervorgehoben, aber auch die einzelnen Einungen innerhalb 7 [L 7:] Quelleneditionen zum sta¨dtischen Recht:

Ernst Theodor Gaupp, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters, Bd. 1–2, Breslau 1851–52 (ND Aalen 1966); Heinrich Gottfried Philipp Gengler, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters, Nu¨rnberg 1866 (ND Aalen 1964); Friedrich Keutgen, Urkunden zur sta¨dtischen Verfassungsgeschichte, Berlin 1901 ¨ berblick von Gustav Homeyer, Die deutschen (ND Aalen 1965). Hinzuweisen ist auch auf den U Rechtsbu¨cher des Mittelalters und ihre Handschriften, Berlin 1856, der mehrfach neu bearbeitet worden ist. Von den Bemu¨hungen der ju¨ngeren Vergangenheit sind zu erwa¨hnen die bislang erschienenen neun Ba¨nde von: Elenchus fontium historiae urbanae, Bde. I (Leiden 1967: Deutschland, Belgien, Niederlande und Skandinavien), II,1 (Luxemburg 1996: Frankreich, Luxemburg), II,2 (Leiden 1988: ¨ sterreich). Vgl. auch Urkunden zur Geschichte des Sta¨dGroßbritannien, Irland), III,1 (Leiden 1992: O tewesens in Mittel- und Niederdeutschland, Bd. 1–2, bearb. v. Heinz Stoob u. a., Ko¨ln/Weimar/Wien 1985–1992, sowie die Reihe der Editionen sta¨dtischer Rechtsquellen in den Fontes Rerum Austriacarum, Reihe III, 1,4,9,11,14 (Krems u. Stein, Weitra, Wien, Linz, Leoben, 1953–1990). – Was Italien, Frankreich und England anlangt, sei exemplarisch verwiesen auf das aus dem Geist des Risorgimento entstandene Werk von Cesare Vignati, Storia diplomatica della Lega Lombarda, Mailand 1866 (ND Turin 1966); fu¨r Frankreich auf Franc¸ois-Just-Marie Raynouard, Histoire du droit municipale en France, Bd. 1–2, Paris 1829; Victor Fouque´, Recherches historiques sur la re´volution communale au Moyen-aˆge, Paris 1848; Auguste Thierry, Recueil des monuments ine´dits de l’histoire du tiers e´tat, Bd. 1–4, Paris 1850–1870, sowie die bei Robert Holtzmann, Franzo¨sische Verfassungsgeschichte von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zur Revolution, Mu¨nchen/Berlin 1910, S. 168f., zitierte a¨ltere Litera¨ berblick bei Ba¨rbel Brodt, Sta¨dte ohne Mauern. Stadtenttur. Zur englischen Entwicklung vgl. den U wicklung in East Anglia im 14. Jahrhundert, Paderborn u. a. 1997, S. 32–52.

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der Stadtgemeinde. Durch sie sei die mittelalterliche Stadt zum „Ort des Aufstiegs aus der Unfreiheit in die Freiheit“ und damit zu einem entscheidenden Faktor der sozialen und o¨konomischen wie der politischen und kulturellen Modernisierung der europa¨ischen Geschichte geworden. So ergaben sich aus der Bescha¨ftigung mit der mittelalterlichen Stadt Grundsatzfragen der Geschichtswissenschaft, die um das Begriffspaar „Herrschaft“ und „Genossenschaft“ kreisten – eine Diskussion, die bis heute anha¨lt. Die konkrete Einzelforschung jedoch ging im Wesentlichen aus von der Erforschung der Gilden und Zu¨nfte, die stets vor allem als Berufsverba¨nde gesehen wurden, obwohl sie in Wirklichkeit umfassende Einungen mit religio¨sen, sozialen, kulturellen und eben auch o¨konomischen Zielsetzungen darstellten. Gerade auch die Folgen der Gewerbefreiheit seit dem beginnenden 19. Jahrhundert und der Industrialisierung seit dessen zweiter Ha¨lfte, die das alte Handwerk in großen Teilen verschwinden ließen, machten die Zu¨nfte und ihre Entwicklung zu einem beliebten Sujet der Stadtgeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert. Sie nahm sich vor allem der Zunftentwicklung einzelner Sta¨dte und der Geschichte einzelner Gewerbe an – ein Forschungszweig, der bis heute Konjunktur hat, auch wenn er sich zunehmend den besser dokumentierten Verha¨ltnissen der fru¨hen Neuzeit widmet. Daneben aber stand stets auch die Frage nach dem Ursprung und dem Charakter der Gilden und Zu¨nfte, die auch jenen allgemeinen Komplex „Herrschaft und Genossenschaft“ einschloss. Obwohl dabei eine Vielzahl von kontrovers argumentierenden Arbeiten vorgelegt wurde, ist die Diskussion nach dem Ersten Weltkrieg ziemlich versandet, wie auch die vergleichenden Studien zur Zunftgeschichte zuru¨cktraten und die Arbeiten zu einzelnen Sta¨dten das Feld beherrschten. Einzelvorsto¨ße zu einer Wiederbelebung der Diskussion in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben bislang wenig daran gea¨ndert, so dass in ju¨ngster Zeit Wilfried Reininghaus energisch neue Arbeiten zur Zunftgeschichte des Mittelalters eingefordert hat, um die ungleich lebhaftere Bescha¨ftigung mit Zunft und Handwerk in der Stadtgeschichtsforschung zur fru¨hen Neuzeit auf ein solides Fundament zu stellen.8

8 [L 8:] Herrschaft und Genossenschaft:

Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, Berlin 1868 (ND Darmstadt 1954); Georg Schanz, Zur Geschichte der deutschen Gesellenvereine im Mittelalter, Leipzig 1877 (ND Glashu¨tten i. T. 1973); Gustav von Schmoller, Die soziale Frage. Klassenbildung, Arbeiterfrage, Klassenkampf, Mu¨nchen/Leipzig 1918; Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 527ff.; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Ma¨chte. Nachlass, Teilband 5: Die Stadt, hg. v. Wilfried Nippel (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. I: Schriften und Reden, Bd. 22-5), Tu¨bingen 1999, S. 103f.; Karl Lamprecht, Der Ursprung des Bu¨rgerthums und des sta¨dtischen Lebens in Deutschland, in: HZ 67 (1891), S. 385–424; dazu Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 531f. – Zu den Zu¨nften siehe Otto Gerhard Oexle, Die mittelalterliche Zunft als Forschungsproblem. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Moderne, in: BllDtLG 118 (1982), S. 1–44, und Gilden und Zu¨nfte. Kaufma¨nnische und gewerbliche Genossenschaften im fru¨hen und hohen Mittelalter, hg. v. Berent Schwineko¨per, Sigmaringen 1985. Weiterhin ist heranzuziehen Einungen und Bruderschaften in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Peter Johanek, Ko¨ln/Weimar/Wien 1993, mit Hinweisen auf weitere Forschungen. – Zu den Forschungen zu Zunft und Handwerk siehe Wilfried Reininghaus, Stadt und Handwerk. Eine Einfu¨hrung in Forschungsprobleme und Forschungsfragen, in: Stadt und Handwerk in Mittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Karl Heinrich Kaufhold/Wilfried Rei-

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Handel

Die Forschungen zu Zu¨nften und Gilden haben stets sehr intensiv auch wirtschaftsgeschichtliche Fragen – insbesondere die Geschichte des Handels – beru¨hrt, und es darf noch einmal daran erinnert werden, dass am Anfang der wissenschaftlichen Stadtgeschichtsforschung insgesamt die Hansegeschichte des Georg Sartorius stand. Herder hatte in den mittelalterlichen Sta¨dten „Werksta¨tten des Fleißes“ gesehen, und das zielte durchaus auf das Gewerbe. Doch daneben stand stets auch der Handel, insbesondere der Fernhandel mit Luxuswaren, Gewu¨rzen, Pelzen und kostbaren Stoffen. Insgesamt jedoch ist es wa¨hrend des 19. Jahrhunderts bis weit in dessen zweite Ha¨lfte kaum zu zusammenfassenden und grundsa¨tzlichen, auf dem Studium der Quellen beruhenden Arbeiten zur Handelsgeschichte und der Rolle der Sta¨dte und ihrer Bu¨rger als Tra¨ger dieses Handels gekommen. Erst das letzte Viertel des Jahrhunderts, die Jahre nach der Reichsgru¨ndung, haben hier einen Wandel gebracht. Das verwundert umso mehr, als unter dem Einfluss der Albrecht Du¨rer- und Nu¨rnbergVerehrung der deutschen Romantik die Leistung der Kaufleute der oberdeutschen Reichssta¨dte und ihre Verbindung zur Handelsmetropole Venedig gut bekannt waren und auch die Hanse, wohl nicht zuletzt durch das Werk von Sartorius, im Geschichtsbewusstsein pra¨sent blieb. Das gilt auch fu¨r Regionen, die den no¨rdlichen Meeren ¨ sterreich. Das wird deutlich in den Worten Ko¨nig Ottokars in so fern lagen wie O Grillparzers Schauspiel, wenn er „die muntre Hansa nach Nord und Ost um Han¨ hnlich verha¨lt es sich mit den Schriften Gustav del und Gewinn“ streben sieht.8a A ¨ ffentlichkeit insgesamt, das Freytags, die in der deutschen, ja der deutschsprachigen O Interesse an der Geschichte des Kaufmanns endgu¨ltig geweckt und ungeheuer intensiviert haben. Der Kaufmannsroman „Soll und Haben“ (1855) war zwar in der Neuzeit angesiedelt, jedoch in den vielgelesenen „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“ (1859/62) ru¨ckte Freytag den mittelalterlichen Kaufmann und seine Verwurzelung in der Stadt ins Licht. Auch er sah die mittelalterliche Stadt, wie sie Herder und die vielen andern in der Zeit um 1800 gesehen hatten: „In dieser Periode sind die Sta¨dte Bewahrer der besten treibenden und bildenden Kraft, alle große Erfindung, fast jeder Fortschritt wird durch sie geschaffen oder doch gefestigt.“8b Zwar wusste er auch um die Potenz des oberdeutschen Handels und der ihn tragenden Kaufleute im Su¨den und Su¨dosten, aber in den Vordergrund ru¨ckte er doch den Handel der Hanse, besonders in der Ostsee, also in einen Kontext, der uns hier noch bescha¨ftigen muss.

ninghaus, Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. 1–19, hier S. 14; Wilfried Reininghaus, Zu¨nfte und Regionen. „Zunftlandschaften“ als Forschungsproblem, in: Ders., Zunftlandschaften in Deutschland und den Niederlanden im Vergleich, Mu¨nster 2000, S. 3–9. 8a Franz Grillparzer, Ko¨nig Ottokars Glu¨ck und Ende, in: ders., Sa¨mtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, hg. v. August Sauer/Reinhold Backmann, I, 3, Wien 1931, S. 114. 8b Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 2. Bd., 1. Abt.: Vom Mittelalter zur Neuzeit (Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe, 2.4), Leipzig/Berlin o. J., S. 113.

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Hanse

Ganz a¨hnlich verha¨lt sich die Gewichtung in der wissenschaftlichen Forschung. Zwar entstanden gegen das Jahrhundertende hin auch hier bedeutende Werke zur oberdeutschen Handelsgeschichte, wie etwa Henry Simonsfelds Geschichte des Fondaco dei Tedeschi in Venedig und Aloys Schultes Geschichte des deutschen Italienhandels, aber diese Forschungen entbehren eines organisatorischen Rahmens. Die Hanseforschung jedoch, die bereits durch die Arbeiten des Hamburger Stadtarchivars Martin Lappenberg vorangetrieben wurde, schuf sich 1870 im Hansischen Geschichtsverein eine solide Basis, die fortan die Edition des Hansischen Urkundenbuchs und der Hanserecesse sicherte und der lebendigen Diskussion zur Handels- und Sta¨dtegeschichte in den Hansischen Geschichtsbla¨ttern ein festes Fundament gab. Die Edition der „Deutschen Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit“ durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die erst 1923 mit den Quellen zur Großen Ravensburger Handelsgesellschaft ero¨ffnet wurde, hat dazu kein Pendant fu¨r die Geschichte des su¨ddeutschen Handels schaffen ko¨nnen. Hier blieb die Forschung zersplittert. Die Hanseforschung dagegen erlebte von der Gru¨ndung des Hansischen Geschichtsvereins an einen außerordentlichen Aufschwung, da diese mit der Gru¨ndung des deutschen Kaiserreichs von 1871 zusammenfiel. Gegen Ende des Jahrhunderts versta¨rkten sich die Bemu¨hungen des deutschen Reichs um See- und Handelsgeltung, und die Hansegeschichte erhielt dadurch eine gesteigerte nationale Bedeutung. Das hat ihr unter der Fu¨hrung von Gelehrten wie Dietrich Scha¨fer und Fritz Ro¨rig in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine außerordentliche o¨ffentliche und wissenschaftliche Resonanz verschafft, in jedem Fall besaß sie in der deutschsprachigen Forschung zur mittelalterlichen Handelsgeschichte zentrales Gewicht. Das trifft auch heute noch zu, selbst wenn sich die Diskussion in der Hanseforschung in den letzten Jahren stark um den Verbandscharakter der Hanse bewegt hat. Immer noch aber steht die Handels- und die Seefahrtsgeschichte im Mittelpunkt.9 Die ja¨hrliche

9 [L 9:] Handel und Hanse:

Henry Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und die deutsch-venetianischen Handelsbeziehungen, Leipzig 1887; Aloys Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig, Leipzig 1900. – Zur Entwicklung der Hanseforschung vgl. jetzt Volker Henn, Wege und Irrwege der Hanseforschung und Hanserezeption in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, hg. v. Marlene Nikolay-Panter u. a., Ko¨ln 1994, S. 388–414; Rainer Postel, Grundlegungen und Ansto¨ße fu¨r die Hanseforschung. Johann Martin Lappenberg und Kurd von Schlo¨zer, in: HansGbll 114 (1996), S. 105–121 (die Hansischen Geschichtsbla¨tter erscheinen seit 1874). – Zur Ravensburger Handelsgesellschaft siehe Geschichte der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft 1380–1530, hg. v. Aloys Schulte, Bd. 1–3, Stuttgart/Berlin 1923. – Zur nationalen Bedeutung der Hansegeschichte siehe Henn, Wege und Irrwege (wie oben) sowie Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 529–534. Vgl. dazu auch noch Ernst Pitz, Dietrich Scha¨fer als Hanseforscher, in: HansGbll 114 (1996), S. 141–166. – Zum Verbandscharakter der Hanse siehe Horst Wernicke, Die Sta¨dtehanse 1280–1418. Genesis, Strukturen, Funktionen, Weimar 1983, sowie etwa die in Hansische Geschichtsbla¨tter 112 (1994) vero¨ffentlichten Beitra¨ge. – Neuere Gesamtdarstellungen: Klaus Friedland, Die Hanse, Stuttgart 1991; Heinz

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Berichterstattung in den Hansischen Geschichtsbla¨ttern u¨ber neu erschienene Literatur wirkt hier sicher stimulierend, wa¨hrend eine a¨hnliche Plattform fu¨r die oberdeutschen Sta¨dte und das su¨dliche Mitteleuropa nicht existiert, denn die von der Arbeitsgemeinschaft fu¨r reichssta¨dtische Geschichtsforschung, Denkmalpflege und bu¨rgerliche Bildung herausgegebene Zeitschrift „Esslinger Studien“9a hat seit Anfang der siebziger Jahre unter dem Titel „Die alte Stadt“ eine vo¨llig andere thematische Ausrichtung erfahren.

Urbanisierungsprozesse

Die Wendung zur Handelsgeschichte im ausgehenden 19. Jahrhundert blieb in der stadtgeschichtlichen Forschung wiederum nicht auf den deutschsprachigen Raum beschra¨nkt. Ja die kra¨ftigsten Impulse fu¨r die allgemeinen Fragestellungen der Sta¨dtegeschichte sind von einem außerdeutschen Forscher, dem Belgier Henri Pirenne, ausgegangen, und seine Darlegungen und Thesen haben die Stadtgeschichtsforschung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts stark bewegt und gegenu¨ber der u¨berwiegend verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Tradition neue Fragen in den Vordergrund geschoben. Pirenne ging aus von der Erforschung der Geschichte der flandrischen Sta¨dte, von der neben Oberitalien am sta¨rksten urbanisierten und wirtschaftlich potentesten Sta¨dteregion Europas im Mittelalter. Obwohl er sich zuna¨chst in durchaus herko¨mmlicher Art mit der mittelalterlichen Verfassung der flandrischen Sta¨dte bescha¨ftigte, verband er sehr bald die Frage nach den Anfa¨ngen des mittelalterlichen Urbanisierungsprozesses im 12. Jahrhundert mit allgemeinen Fragen der mittelalterlichen Handelsgeschichte. Er sah Stadt und Handel untrennbar miteinander verknu¨pft, und im Niedergang des mittelmeerischen Handels im fru¨hen Mittelalter, als dessen bewegende Kraft er bekanntlich die Araberzu¨ge des 7. und 8. Jahrhunderts ansah, war fu¨r ihn auch die antike Sta¨dtewelt weitgehend zugrunde gegangen. Beides – Sta¨dtewesen und Handel – erneuerte sich seiner Ansicht nach im 12. Jahrhundert, und die Fernkaufleute waren fu¨r ihn die entscheidende Kraft dieses Aufstiegs und bestimmten die Verfassungsinstitutionen der sich erneuernden alten Civitates auf antiker Basis und der neu entstehenden Gru¨ndungssta¨dte. Das sind die Umrisse seiner Anschauungen, die er in zahlreichen Schriften niederlegte und an denen sich die Diskussion entzu¨ndete. Stoob, Die Hanse, Graz/Wien/Ko¨ln 1995; Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, hg. v. Jo¨rgen Bracker, 2 Bde., Hamburg 1989, wie auch die zahlreichen Ba¨nde der „Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte“, innovative Arbeiten wie Geldumlauf, Wa¨hrungssysteme und Zahlungsverkehr in Nordwesteuropa 1300–1800, hg. v. Michael North, Ko¨ln/Weimar/Wien 1989; Ders., Kredit im spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Europa, ebd. 1991; Stuart Jenks, England, die Hanse und Preußen: Handel und Diplomatie, 1377–1474, ebd. 1992, belegen, dass die Handels- und Seefahrtsgeschichte noch immer im Zentrum der Hanseforschung steht. 9a 1956ff., die Ba¨nde 11 bis 17, 1965–1971 unter dem Titel „Jahrhbuch fu¨r Geschichte der oberdeutschen Reichssta¨dte“.

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Stadtgeschichtsforschung

Die Gedanken von Pirenne wurden aufgegriffen und weitergefu¨hrt vor allem Hans von Planitz und Edith Ennen, die ebenfalls u¨berwiegend vom Raum zwischen Schelde, Maas und Rhein ausgingen und die entscheidende Wirkungskraft in den Zusammenschlu¨ssen, in den Gilden der Fernkaufleute sahen. Speziell Edith Ennen hat dabei auch den großra¨umigen Vergleich mit der Mittelmeerwelt – besonders mit Italien – angestellt und die Unterschiede zwischen den beiden großen Regionen herausgearbeitet, etwa die unterschiedliche Entwicklung sta¨dtischer Topographie, bei weitgehender Kontinuita¨t im Su¨den, Schrumpfungsprozess und neuen Ansa¨tzen im Norden oder die unterschiedliche Haltung des Adels zur Stadt.10 Auf der anderen Seite erfuhren die Thesen Pirennes hinsichtlich der Handelsgeschichte schon bald Widerspruch unter Hinweis auf die Entwicklung des Handels der no¨rdlichen Meere im fru¨hen und hohen Mittelalter, der gerade zu jener Zeit aufzuleben begann, zu der Pirenne den absoluten Tiefpunkt der europa¨ischen Handelsgeschichte erreicht sah. Dieser Handel verknu¨pfte das westliche Europa mit Skandinavien, dem Baltikum und Osteuropa. Aus dieser Perspektive heraus hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine a¨ußerst lebendige Diskussion im interdisziplina¨ren Gespra¨ch zwischen Historikern und Archa¨ologen entwickelt, die vor allem den Handelspla¨tzen, Fru¨hsta¨dten und „Burgsta¨dten“ im skandinavischen und slavischen Bereich galt. Sie ha¨lt bis heute an, ja wird in letzter Zeit wieder lebhafter gefu¨hrt, und es ging in ihr auch immer wieder um den sta¨dtischen Charakter solcher Siedlungen, um Kriterien bei der Definition des Begriffes „Stadt“, wobei das Gewicht zum einen auf die o¨konomische Funktion dieser Pla¨tze, zum anderen auf das Stadtrecht und den Verbandscharakter ihrer Einwohnerschaft, der Bu¨rger, gelegt wurde. Die Fernwirkung der Diskussion um Pirennes Thesen ha¨lt demnach immer noch an.11 10 [L 10:] Handelsgeschichte und Urbanisierungsprozess:

Henri Pirenne, L’origine des constitutions urbaines au Moyen aˆge, in: Revue historique 53 (1893), S. 52–83 und 57 (1895) S. 57–98, S. 293–327; Ders., Medieval Cities. Their Origins and the Revival of Trade, Princeton, N. J., 1925; Ders., Les villes du Moyen Age. Essai d’histoire e´conomique et sociale, Bruxelles 1927; Ders., Les villes et les institutions urbaines, Bd. 1.2, Paris 31939. – Vgl. weiters Hans Planitz, Kaufmannsgilde und sta¨dtische Eidgenossenschaft in niederfra¨nkischen Sta¨dten im 11. und 12. Jahrhundert, in: ZRGG 60 (1940) S. 1–116; Ders., Die Deutsche Stadt im Mittelalter. Von der Ro¨merzeit bis zu den Zunftka¨mpfen, Ko¨ln/Wien/Graz 1954 (51980); Edith Ennen, Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, Bonn 1953; Dies., Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt – wie ich sie heute sehe, in: Dies., Gesammelte Abhandlungen zum europa¨ischen Sta¨dtewesen und zur rheinischen Geschichte, Bd. 1, hg. v. Georg Droege u. a., Bonn 1977, S. 259–284. 11 [L 11:] Die Fru¨hformen der europa¨ischen Stadt: Sture Bolin, Mohammed, Charlemagne und Ruric, in: Scandinavian Economic History Review 1 (1953), S. 5–39; Archibald R. Lewis, The Northern Seas. Shipping and Commerce in Northern Europe A. D. 300–1100, Princeton 1958; Peter Johanek, Der fra¨nkische Handel der Karolingerzeit im Spiegel der Schriftquellen, in: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und fru¨hgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa IV: Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit, hg. v. Klaus Du¨wel u. a., Go¨ttingen 1987, S. 7–68. – Zum interdisziplina¨ren Gespra¨ch vgl. etwa Herbert Jankuhn, Die fru¨hmittelalterlichen Seehandelspla¨tze im Nord- und Ostseeraum, in: Studien zu den Anfa¨ngen des europa¨ischen Sta¨dtewesens, Lindau/Konstanz 1958, S. 451–498; The Comparative History of Urban Origins in Non-Roman Europe: Ireland, Wales, Denmark, Germany, Poland and Russia from the 9th to the 13th Century, hg. v. Howard B. Clarke/Anngret Simms, 2 Bde., Oxford 1985; Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, hg. v. Hansju¨rgen Brachmann/Joachim Herrmann, Berlin 1991; Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, hg. v. Hansju¨r-

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Die Sta¨dte im Osten

Ging und geht es bei diesen Diskussionen um die Fru¨hphase der europa¨ischen Sta¨dte und um die Frage ihrer Kontinuita¨t von der antiken Stadt her, so wurde dabei doch auch ha¨ufig auf die Abgrenzung von Fru¨hformen der Stadt im slawischen Bereich von jenen eingegangen, wie sie sich in Nordfrankreich und dem Rhein-Maas-Schelde-Gebiet entwickelten. Solche Fragen standen auch im Mittelpunkt eines Entwicklungsstrangs der Stadtgeschichtsforschung, die ein Spezifikum der deutschen Forschung darstellt und in der Zwischenkriegszeit und besonders in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Ho¨hepunkt erlebte. Gemeint ist die Bewertung der Rolle der deutschrechtlichen Sta¨dte im Verlauf der deutschen Ostsiedlungen vom 12. bis zum 14. Jahrhundert. Die Anfa¨nge dieser Forschungsentwicklung reichen weit zuru¨ck in ¨ berzeugung, dass den Deutschen im slawidas 19. Jahrhundert und wurzeln in der U schen Osten Europas eine Kulturtra¨gerrolle zugefallen sei. In der Tat hat sich das im Westen Europas entwickelte Modell der Rechtsstadt mit freier Bu¨rgergemeinde auch im Osten durchgesetzt, jedoch wurde dieser Vorgang bereits im 19. Jahrhundert mit nationalistischen Bewertungen verknu¨pft, die in den dreißiger Jahren außerordentlich an Scha¨rfe zunahmen, wenn etwa Fritz Ro¨rig davon sprach, dass der „deutsche Mensch, gefu¨hrt von Menschen scho¨pferischen Wollens seines Blutes ... die Grundkraft“ gewesen sei, welche „die gesamten Ostseesta¨dte gestaltet“ habe, und dass in der Scho¨pfung der deutschrechtlichen Sta¨dte der Beleg fu¨r die „u¨berlegene deutsche Fu¨hrung und Gestaltungskraft in der Ostkolonisation“ zu sehen sei. Solche extremen Ansichten hatten ihre Wurzeln durchaus bereits im 19. Jahrhundert. Schon Friedrich Engels hatte davon gesprochen, dass die „slavischen Natio¨nchen“ durch die Germanisierung in die „erste Stufe der Zivilisation“ hineingezwungen worden seien, und er war nur einer von vielen.11a Es liegt auf der Hand, dass diese Diskussion von außerordentlicher politischer Virulenz gewesen ist und dass politisches Engagement den Historikern die Feder fu¨hrte, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen, als es nach dem Ersten Weltkrieg als selbsta¨ndiger Staat wiederentstand. Seine Historiker suchten die autochthonen Wurzeln der mittelalterlichen Sta¨dte zu erweisen, und auch hier kam es zur Formulierung extremer Positionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Konfrontation im Zeichen des kalten Krieges mit unverminderter Scha¨rfe angedauert, bis in den siebziger Jahren eine Anna¨herung einsetzte und man heute von einer Kooperation der deutschen, polnischen und tschechischen Forschung sprechen kann, die von der gemeinsamen Basis ausgehen, dass das im Westen Europas entwickelte Modell sta¨dtischen Zusammenlebens als Modernisierungsfaktor fu¨r Ostmitteleuropa anzusehen ist, wobei die neuen Rechtssta¨dte ha¨ufig an a¨ltere o¨konomische und herrschaftliche Zentren sta¨dtischen Charakters anknu¨pften.12 gen Brachmann, Berlin 1995; Die Stadt im 11. Jahrhundert, hg. v. Jo¨rg Jarnut/Peter Johanek, Ko¨ln/ Weimar/Wien 1998; Vom Ursprung der Sta¨dte in Mitteleuropa, hg. v. Christian Rohr, Linz 1999. 11a Vgl. dazu Wolfgang Wippermann, Der „deutsche Drang nach Osten“. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes, Darmstadt 1981, das Zitat S. 40f. 12 [L 12:] Sta¨dtewesen in Ostmitteleuropa: Fritz Ro¨rig, Die Gestaltung des Ostseeraums durch das deutsche Bu¨rgertum, in: DALV 2 (1938),

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Stadtgeschichtsforschung und geschichtliche Landeskunde

Trotz der Abwege und Irrwege dieser Auseinandersetzungen in den dreißiger und vierziger Jahren sind auch damals und in der Nachkriegszeit objektive Fortschritte in der Forschung erzielt worden. Das gilt vor allem – eben weil das Stadtrecht eine so große Rolle spielte – fu¨r die rechtsgeschichtliche Forschung und damit auch fu¨r die Publikation stadtrechtlicher Quellen, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg anhielt.13 Doch wichtiger war wohl noch, dass in die Stadtgeschichtsforschung nun auch das methodische Konzept der geschichtlichen Landeskunde einfloss, wie es um 1920 von Hermann Aubin begru¨ndet worden war und das in seinem interdisziplina¨ren Ansatz von Geschichtswissenschaft, Geographie, Philologie, der Volkskunde und der Demographie, der Kunstgeschichte und Archa¨ologie vor allem als Instrumentarium zur Herausarbeitung von Kulturra¨umen gedacht war.13a Wa¨hrend vor dem Zweiten Weltkrieg dieses Konzept in der Stadtgeschichtsforschung kaum zum Zuge kam, jedenfalls nicht zu methodischen Druchbru¨chen fu¨hrte, wurde es nach 1945 zur Grundlage der Erforschung der Sta¨dtegeschichte, sobald u¨ber die Geschichte einer Einzelstadt hinausgegriffen wurde. Dazu mag beigetragen haben, dass Hermann Aubin, der in der „Ostforschung“ eine prominente Rolle gespielt hatte,13b in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen S. 765–783, hier S. 776; Ders., ‚Nationale Frage‘ und Ostkolonisation, in: HZ 154 (1936), S. 96–103, hier S. 103. Vgl. dazu Schreiner, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 633. – Zur Entwicklung der Forschung ¨ berblick bei Charles Higounet, Die deutsche Ostu¨ber die deutsche Ostsiedlung vgl. den kurzen U siedlung im Mittelalter, Berlin 1986, S. 15–20, sowie Eduard Mu¨hle, „Ostforschung“. Beobachtungen zu Aufstieg und Niedergang eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Zeitschrift fu¨r Ostmitteleuropaforschung NF 46 (1997), S. 317–350. Zur Verstrickung einzelner Forscher in die nationalsozialistische Ostpolitik vgl. Michael Fahlbusch, „Wo der deutsche ... ist, ist Deutschland!“ Die Stiftung fu¨r deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920–1933, Bochum 1994, sowie allgemein Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle, Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1999. – Zur Entwicklung der Diskussion in Polen vgl. Thomas Sporn, Die „Stadt zu polnischem Recht“ und die deutschrechtliche Gru¨ndungsstadt, Frankfurt a. M. u. a. 1978, bes. S. 5–86, sowie jetzt vor allem Jan Piskorski, Zur Stadtentstehung im westslavischen Raum: Kolonisationsund Evolutionstheorie am Beispiel der Sta¨dte Pommerns, in: Zeitschrift fu¨r Ostmitteleuropaforschung NF 44 (1995), S. 317–357; Andrzej W˛edzki, Die polnische media¨vistische Forschung zu Fragen der Genese und Entwicklung der Stadtformen in der Vorlokationszeit. Eine Forschungsbilanz, in: Brachmann, Burg (wie Anm. 11), S. 27–35. – Zum Wandel der „deutschen Ostforschung“ vgl. Mu¨hle, Ostforschung (wie oben), Piskorski, Stadtentstehung (wie oben) und Ders., Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters in der Entwicklung des o¨stlichen Mitteleuropa. Zum Stand der Forschung aus polnischer Sicht, in: JGMOD 40 (1991), S. 27–84. 13 [L 13:] Die Stadtrechte in Osteuropa: Vgl. etwa das zusammenfassende Werk von Gertrud Schubart-Fikentscher, Die Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Osteuropa, Weimar 1942, sowie die Bemu¨hungen um die Erforschung des Magdeburger Rechts von Fritz Markmann, Zur Geschichte des Magdeburger Rechts, Stuttgart 1938, womit eine Edition der Magdeburger Scho¨ffenspru¨che des Mittelalters initiiert wurde, die in den achtziger Jahren Fritz Ebel wieder aufgegriffen hat, vgl. die Literatur bei Peter Johanek, Scho¨ffenspruchsammlungen, in: VL2, Bd. 8, Sp. 800–810. 13a Vgl. dazu Hermann Aubin, Grundlagen und Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung und Kulturmorphologie, Bonn 1965, sowie Franz Irsigler, Vergleichende Landesgeschichte, in: Landesgeschichte heute, hg. v. Carl-Hans Hauptmeyer, Go¨ttingen 1987, S. 35–54, hier S. 39ff. 13b Vgl. dazu die oben in Anm. 11a angefu¨hrten Titel von Fahlbusch und Schulze/Oexle.

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Lehrstuhl fu¨r mittelalterliche Geschichte in Hamburg erhielt und dort mit mehreren Forschern zusammenarbeitete, die ebenfalls die Stadt des o¨stlichen Mitteleuropa zu ihrem Thema gemacht hatten: Paul Johansen, Erich Keyser und Walter Kuhn. Die Verbindung der immer reger werdenden Stadtgeschichtsforschung zur Vertriebenenpolitik der entstehenden Bundesrepublik Deutschland kann hier beiseite bleiben, aber in dieser Hamburger Forschergruppe wurden wichtige methodische Ansa¨tze erarbeitet, welche die Forschungsleistung der zweiten Jahrhundertha¨lfte stark gepra¨gt haben. Es war vor allem die versta¨rke Einbeziehung der Kartographie und Stadtplanforschung in die Darstellung der Ergebnisse stadtgeschichtlicher Forschung sowie die Einbeziehung kartographischer Quellen, des Stadtplans in seiner genetischen Entwicklung in Wachstums- und Schrumpfungsphasen als Erkenntnisgrundlage. Spa¨ter – etwa seit den siebziger Jahren – trat auch die Nutzung der Ergebnisse der nun kra¨ftig zunehmenden stadtarcha¨ologischen Forschung hinzu. Ein wichtiger Schritt dieser in Hamburg sich etablierenden stadtgeschichtlichen Forschung war der gelungene Versuch, die Diskussion um den Stadtbegriff auf eine neue Basis zu stellen und die Erfassung einzelner Stadttypen voranzutreiben. Carl Haase und Heinz Stoob, beide Schu¨ler von Aubin, haben diese Debatte fu¨hrend gestaltet, indem sie, teils auf Max Weber zuru¨ckgreifend, einen kombinierten Stadtbegriff entwickelten, der sich u¨ber ein Kriterienbu¨ndel definierte und eben dadurch auch die Herausarbeitung einer differenzierten Typologie erlaubte. Dieses Vorgehen war auch hilfreich fu¨r die Herausarbeitung von Zeitschichten bei der Entstehung der Sta¨dte und der kartographischen Erfassung der mittelalterlichen Urbanisierungswelle seit dem 12. Jahrhundert.14 Dieser Impuls der „Hamburger Schule“ der unmittelbaren Nachkriegszeit ist besonders kra¨ftig und von nachhaltiger Wirkung gewesen, aber auch andere wichtige Tra¨ger der Stadtgeschichtsforschung mu¨ssen genannt werden. Die Anregungen gingen dabei zuna¨chst von besonders engagierten gelehrten Perso¨nlichkeiten aus, verdichteten sich jedoch seit Beginn der sechziger Jahre zunehmend in Arbeitskreisen und Instituten. Von Anfang an war in der Nachkriegsphase das Konzept der geschichtlichen Landeskunde die Basis der stadtgeschichtlichen Forschung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gewesen, und auch die o¨sterreichischen Forscher haben – mit starker Betonung der Siedlungsgeschichte – daran angeknu¨pft.14a Thematisch stand zuna¨chst deutlich die Periode der Entstehung des Sta¨dtewesens im Vordergrund, und zwar unter dem Einfluss des Buches von Edith Ennen (Fru¨hge-

14 [L 14:] Stadtbegriff und Stadtentstehung:

Carl Haase, Stadtbegriff und Stadtentstehungsschichten in Westfalen, in: WestfF 11 (1958), S. 16–32 (Wiederabdruck in: Die Stadt des Mittelalters, hg. v. dems., Bd. 1 (WdF 243), Darmstadt 21975); Ders., Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte, Mu¨nster 41984; Heinz Stoob, Forschungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970, darin vor allem: Kartographische Mo¨glichkeiten zur Darstellung der Stadtentstehung in Mitteleuropa, besonders zwischen 1450 und 1800, S. 15–42 (urspru¨nglich 1956); Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, S. 225–245 (urspru¨nglich 1959); Die Ausbreitung der ¨ ber fru¨hneuzeitliabendla¨ndischen Stadt im o¨stlichen Mitteleuropa, S. 73–128 (urspru¨nglich 1961); U che Sta¨dtetypen, S. 163–212 (urspru¨nglich 1966). 14a Vgl. dazu Johanek, O ¨ sterreichische Stadtgeschichtsforschung (wie Anm. 6).

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Stadtgeschichtsforschung

schichte der europa¨ischen Stadt, Bonn 1953) und der Forschungen Walter Schlesingers zu der Rolle des Marktes in der fru¨hen Stadtentwicklung. Doch bereits fru¨h wurden auch sozialgeschichtliche Akzente gesetzt. Sie waren besonders Erich Maschke zu verdanken,15 und es ist nicht zuletzt diesen gesellschaftsgeschichtlichen Ansa¨tzen zuzuschreiben, dass die Forschungen zur Stadtgeschichte des spa¨teren Mittelalters im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine dominierende Stellung eingenommen haben und damit die Geschichte der ausgebildeten Stadt im 14. und 15. Jahrhundert ¨ bergang zur fru¨hen Neuzeit in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen wie auch im U Interesses ru¨ckte. Als Herausforderung wirkte dabei auch die sich in der DDR entwickelnde Stadtgeschichtsforschung, die sich vor allem mit den sozialen Bewegungen in den Sta¨dten sowie mit der politischen Artikulation der Sta¨dte in Sta¨dtebu¨nden befasste.16 Dabei muss festgehalten werden, dass diese Hinwendung zur Sozialgeschichte der Sta¨dte bereits vor dem oft hervorgehobenen Epochenjahr 1968 erfolgte, dem fu¨r den Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft ganz allgemein eine herausragende Rolle zugeschrieben wird.16a

Institutionen der Stadtgeschichtsforschung

Der fru¨heste Anlauf zu einer Institutionalisierung der stadtgeschichtlichen Forschung wurde 1960 mit der Begru¨ndung des „Su¨dwestdeutschen Arbeitskreises fu¨r Stadtgeschichtsforschung“ unternommen, der sehr bald unter dem entscheidenden Einfluss Erich Maschkes damit begann, Tagungen zur gesellschaftlichen Schichtung in den su¨dwestdeutschen Sta¨dten zu veranstalten und deren Ergebnisse zu publizieren. Der Arbeitskreis ist bis heute ta¨tig geblieben und greift immer wieder aktuelle Forschungsprobleme auf. 15 [L 15:] Ma¨rkte, Sta¨dte und Menschen:

Vgl. das Schriftenverzeichnis von Schlesinger in: Hans Patze/Fred Schwind, Ausgewa¨hlte Aufsa¨tze von Walter Schlesinger 1965–1979, Sigmaringen 1987, S. 646–670, und die Aufsatzsammlung von Erich Maschke, Sta¨dte und Menschen. Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft und Gesellschaft, Wiesbaden 1980, darin vor allem: Verfassung und soziale Kra¨fte in der deutschen Stadt des spa¨ten Mittelalters, vornehmlich in Oberdeutschland, S. 170–274 (urspru¨nglich 1959). 16 [L 16:] Stadtgeschichtsforschung in der DDR: Vgl. etwa Erika Engelmann (Red.), Sta¨dtische Volksbewegungen im 14. Jahrhundert, Berlin 1960; Evamaria Engel/B. Zientara, Feudalstruktur, Lehnbu¨rgertum und Fernhandel im spa¨tmittelalterlichen Brandenburg, Weimar 1967; Hansische Studien III. Bu¨rgertum – Handelskapital – Sta¨dtebu¨nde, hg. v. Konrad Fritze/Eckhard Mu¨ller-Mertens/Johannes Schildhauer, Weimar 1975; Stadt und Sta¨dtebu¨rgertum in der deutschen Geschichte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Bernhard To¨pfer, Berlin 1976. Vgl. auch die Arbeiten zu den Bu¨rgerka¨mpfen des Mittelalters von Karl Czok, Zunft, Ka¨mpfe, Zunftrevolutionen oder Bu¨rgerka¨mpfe?, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universita¨t. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 8 (1958/59), S. 129–143; ders., Sta¨dtische Volksbewegungen im deutschen Spa¨tmittelalter. Ein Beitrag zu Bu¨rgerka¨mpfen und innersta¨dtischen Bewegungen wa¨hrend der Fru¨hbu¨rgerlichen Revolution, Habilitationsschrift Leipzig 1963. 16a Vgl. dazu etwa die Ausfu¨hrungen bei Albert Mu ¨ ber vergangene und zuku¨nftige Probleme ¨ ller, U o¨sterreichischer Stadtgeschichte, in: Mayrhofer, Stadtgeschichtsforschung (wie Anm. 6), S. 143–172.

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Es muss hier festgehalten werden, dass die Tagungsta¨tigkeit und die Publikation der dabei erzielten Ergebnisse in den letzten drei Jahrzehnten zu den wichtigsten Antriebskra¨ften der historischen Forschung und damit auch der Stadtgeschichtsforschung geworden sind. Die wirksamsten Ansto¨ße kommen gewo¨hnlich von diesen Diskussionsforen. Wa¨hrend nun der „Su¨dwestdeutsche Arbeitskreis“ sich mit der Tagungsta¨tigkeit begnu¨gte, haben zwei weitere Vereinigungen daneben eine Institutionalisierung der stadtgeschichtlichen Forschung durch Gru¨ndung von Instituten angestrebt. Bereits in den Nachkriegsjahren hatte Erich Keyser in Marburg eine Forschungsstelle fu¨r Stadtgeschichte eingerichtet. An sie knu¨pfte Heinz Stoob an, der 1964 an die Universita¨t Mu¨nster berufen worden war, als er 1969 das „Kuratorium fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte“ einrichtete, dem ein Jahr spa¨ter das „Insti¨ hnliches vollzog sich fast gleichtut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte“ folgte. A ¨ zeitig in Osterreich, wo der Leiter des Linzer Stadtarchivs, Wilhelm Rausch, 1969 ¨ sterreichischen Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung“ begru¨ndete, worden „O aus wenig spa¨ter in Linz und Wien das Ludwig-Boltzmann-Institut fu¨r Stadtgeschichtsforschung entstand. Diese Institutsgru¨ndungen hatten eine wichtige Funktion. Sie boten die Plattform fu¨r die Erarbeitung stadtgeschichtlicher Grundlagenwerke, wie sie die Commission Internationale pour l’Histoire des Villes, die 1955 begru¨ndet worden war, als vordringliche Aufgabe der Stadtgeschichtsforschung formuliert hatte: Quelleneditionen, Verzeichnis des einschla¨gigen Schrifttums in einer nationalen stadtgeschichtlichen Bibliographie, Erarbeitung lexikalischer Werke zur Stadtgeschichte in Gestalt von Sta¨dtebu¨chern und vor allem die Edition nationaler Sta¨dteatlanten auf der Basis der a¨ltesten parzellengenau vermessenen Kataster der einzelnen La¨nder. Besonders das zuletzt genannte Unternehmen entsprach der Bedeutung, die den topographischen und kartographischen Studien als Basis fu¨r verfassungs-, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschungen immer mehr zukam. Die Institutsgru¨ndungen in Mu¨nster, Linz und Wien fu¨hrten zu einer Verstetigung dieser Grundlagenarbeit, und als Beleg fu¨r ihren Erfolg kann gelten, dass, im Vergleich mit den u¨brigen europa¨ischen La¨ndern, die Zahl der bislang publizierten Atlasbla¨tter in ¨ sterreich am ho¨chsten ist. Deutschland und O Wie der Su¨dwestdeutsche Arbeitskreis haben auch das Institut fu¨r vergleichende ¨ sterreichische Arbeitskreis durch Tagungsta¨tigkeit die Sta¨dtegeschichte und der O Forschung anzuregen gesucht. Dabei beschra¨nkte sich die Thematik dieser Tagungen, deren Ergebnisse in den Schriftenreihen publiziert wurden,17 nicht auf das Mittelalter, sondern griff immer wieder auf die Neuzeit bis zur Gegenwart aus. In den 17 [L 17:] Institutionalisierung der stadtgeschichtlichen Forschung:

Zur Gru¨ndung des Su¨dwestdeutschen Arbeitskreises vgl. Gerd Wunder, Zehn Jahre Arbeitskreis fu¨r su¨dwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung 1960–1970, in: Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow, Stadt und Ministerialita¨t, Stuttgart 1973, S. 169f. Die gesellschaftliche Schichtung behandelten bereits die Tagungsba¨nde von Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow, Gesellschaftliche Unterschichten in den su¨dwestdeutschen Sta¨dten, Stuttgart 1967, sowie dies., Sta¨dtische Mittelschichten, Stuttgart 1972. Von 1977 an hat der Arbeitskreis die Ergebnisse seiner Tagungen publiziert: Stadt in der Geschichte. Vero¨ffentlichungen des Su¨dwestdeutschen Arbeitskreises fu¨r Stadtgeschichtsforschung (22 Bde.). – Zum Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte vgl. Heinz Stoob, Zur Gru¨ndung des „Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte“, in: BllDtLG 106 (1970), S. 98f. – Zu weiteren einschla¨gigen Arbeiten von Heinz Stoob vgl. das Verzeichnis seiner Publikationen durch Friedrich-Wilhelm Hemann, in: Studia Luxem-

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siebziger Jahren jedoch stand das Mittelalter durchaus im Vordergrund, und diese Tagungen haben damals fu¨r die Stadtgeschichtsforschung zur mittelalterlichen Periode eine a¨ußerst wichtige, ja vielleicht zentrale Bedeutung gehabt. Vor allem waren ¨ sterreichischen Arbeitskreises, eine wichtige Begegsie, speziell die Tagungen des O nungssta¨tte fu¨r den Austausch zwischen Ost und West, fu¨r den Zugang der Wissenschaftler der sozialistischen La¨nder zur Forschungsdiskussion des westlichen Mitteleuropa. Als sich nach 1989 die politischen Verha¨ltnisse grundlegend a¨nderten, sind auch im o¨stlichen Mitteleuropa die Aufgaben, wie sie die Commission Internationale pour l’Histoire des Villes formuliert hat, besonders im Atlasbereich versta¨rkt aufgegriffen worden und haben in Polen, Tschechien und Ruma¨nien bereits zu scho¨nen Ergebnissen gefu¨hrt.17a

Themenvielfalt der aktuellen Stadtgeschichtsforschung

Die Stadtgeschichtsforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in ganz außerordentlichem Maße verdichtet, aber im Spektrum der aufgegriffenen Themenfelder auch differenziert. Das kann hier zum Schluss nur noch in wenigen Strichen angedeutet werden. Der vielberufene Paradigmenwechsel, die sozialgeschichtliche Wende in der Geschichtswissenschaft, brachte eine versta¨rkte Hinwendung zur Prosopographie und Sozialtopographie, auch zur Quantifizierung, soweit ¨ berpru¨fung von mit dies fu¨r das Mittelalteralter die Quellenlage gestattet, sowie zur U den Methoden der Sozialwissenschaft entwickelten Modellen. Thematisch waren es vor allem die innersta¨dtischen Konflikte, deren Analyse besonders in den siebziger und fru¨hen achtziger Jahren die stadtgeschichtliche Forschung pra¨gte17b, wie u¨berhaupt der Konflikt – und zwar durchaus im Reflex auf die Befindlichkeit in der eigenen Gegenwart – als eine Grundkategorie der Sozialgeschichte entdeckt wurde. burgensia. Festschrift Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. v. Friedrich Bernward Fahlbusch/Peter Johanek, Warendorf 1989, S. 433–447, sowie die Erga¨nzungen bei Peter Johanek, Nachruf auf Heinz ¨ sterreichischen Arbeitskreis fu¨r StadtgeschichtsforStoob, in: WestfF 48 (1998), S. 626–637. – Zum O ¨ sterreichischer Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsschung vgl. Pro Civitate Austriae 9 (1989): 20 Jahre O ¨ sterreichischer Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung, in: forschung; Fritz Mayrhofer, 30 Jahre O Pro Civitate Austriae NF 4 (1999), S. 83–86, sowie auch : Im Dienste der Stadtgeschichtsforschung. Festgabe fu¨r Wilhelm Rausch zur Vollendung seines 70. Lebensjahres (Pro Civitate Austriae, Sonderheft 1997), Linz 1997. – Zum Stand der Arbeiten zu den europa¨ischen Sta¨dteatlanten vgl. Anngret Simms/Ferdinand Opll, Historic Towns Atlases. Urban History through Maps, Bru¨ssel 1995, sowie dies., List of the European Atlases of Historic Towns, Bru¨ssel 1998, dort auf S. 11–13 auch einschla¨¨ sterreichigige Literatur. – Publikationen des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte und des O schen Arbeitskreises fu¨r Stadtgeschichtsforschung: Sta¨dteforschung. Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster, Reihe A: Darstellungen [85 Bde. in 2012], B: Handbu¨cher, C: Quellen, 1971ff.; sowie Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas, 1963ff. [22 Bde. in 2012]. 17a Vgl. Simms/Opll (wie Anm. 17). 17b Vgl. zum U ¨ berblick die in Anm. 1 zitierten Titel von Blickle, Unruhen; Ehbrecht, Eintracht und Zwietracht; Johanek, Bu¨rgerka¨mpfe; Moraw, Aufruhr.

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Auf der Grundlage dieser sozialgeschichtlichen Grundtendenz stadtgeschichtlicher Forschung, die die sta¨dtische Rechts- und Verfassungsgeschichte als zentrales Thema ablo¨ste, vor allem auch durch die Rezeption der Sichtweisen der franzo¨sischen Sozialgeschichtsforschung, welche die Totalita¨t der Aspekte zu erfassen suchte, wurden zunehmend Fragestellungen aufgegriffen, die bislang nur wenig Beachtung gefunden hatten. Das gilt weniger fu¨r ein neues Interesse an der Wirtschaftsgeschichte, wie es etwa die Forschungen von Franz Irsigler verdeutlichen, als fu¨r das Bemu¨hen, die Fixierung auf die Stadt als isoliertes Forschungsobjekt aufzubrechen. Es ru¨ckte immer sta¨rker ins Bewusstsein, dass die Stadt nicht an ihrer Mauer endet, sondern mit einem Um- und Hinterland verklammert ist. Ebenso wurde deutlich, dass zwar das entstehende Bu¨rgertum die entscheidende soziale Kraft der mittelalterlichen Sta¨dte darstellt, auf der anderen Seite jedoch auch der Adel und der Fu¨rst in der Stadt, die Ausbildung von Residenzsta¨dten, legitime Themen der stadtgeschichtlichen Forschung bilden. Auch die Entdeckung der Alltagsgeschichte – der Geschichte der allgemeinen Lebensverha¨ltnisse und der Sachkultur – hat die Stadtgeschichtsforschung nicht unberu¨hrt gelassen, sondern es sind grundlegende Werke zu dieser Thematik entstanden, wie sich auch ein allgemeines Publikumsinteresse solchen Fragen zugewendet hat. Ein fundamentales Fazit der stadtgeschichtlichen Forschung an der Schwelle zum 21. Jahrhunderts scheint es zu sein, dass sie nicht mehr durch ein einzelnes Themenfeld beherrscht wird wie im 19. Jahrhundert durch die Verfassungsgeschichte oder durch die Sozialgeschichte wie in den siebziger Jahren des 20. Jahrhundert. Vielmehr scheint nun im Zeichen einer neuen Kulturgeschichte die Vielfalt der Aspekte das Feld zu behaupten. Dabei geht es nicht um Beliebigkeit, sondern um sinnvoll und koha¨rent strukturierte Versuche, die Lebensordnungen der mittelalterlichen Stadt in ihrer Totalita¨t zu erfassen, zu analysieren und darzustellen.18

18 [L 18:] Stadtwirtschaft – Die Stadt und ihr Umland – Adel und Fu¨rsten in Residenzsta¨dten – Alltag

und Lebensordnung der mittelalterlichen Stadt: Zur Stadtentwicklung vgl. beispielsweise Franz Irsigler, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Ko¨ln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spa¨tmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt, Wiesbaden 1979 oder auch Rudolf Holbach, Fru¨hformen von Verlag und Großbetrieb in der gewerblichen Produktion (13.–16. Jahrhundert), Wiesbaden 1994. Vgl. noch die in Anm. 8 zitierten Studien von North, Kredit, sowie Jenks, England. – Zur Umlandthematik vgl. Sta¨dtisches Umund Hinterland in vorindustrieller Zeit, hg. v. Hans-K. Schulze, Ko¨ln/Wien 1985; Rolf Kiessling, Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bu¨rgerbesitz und Wirtschaftsgefu¨ge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Ko¨ln/Wien 1989. – Zur Frage der Residenzstadt vgl. den programmatischen Aufsatz von Hans Patze/Gerhard Streich, Die landesherrlichen Residenzen im spa¨tmittelalterlichen deutschen Reich, in: BllDtLG 118 (1982), S. 205–220. Seit 1990 gibt die Residenzenkommission der Go¨ttinger Akademie der Wissenschaften die Reihe Residenzenforschung heraus (bislang 12 Bde.). – Zum Thema Adel und Stadt vgl. bereits Otto Brunner, „Bu¨rgertum“ und „Feudalwelt“ in der europa¨ischen Sozialgeschichte, in: GWU 7 (1956), S. 599–614. Thomas Zotz, Adel in der Stadt des deutschen Spa¨tmittelalters. Erscheinungsformen und Verhaltensweisen, in: ZGO 141 (1993), S. 22–50; Andreas Ranft, Adel und Stadt im spa¨ten Mittelalter. Ihr Verha¨ltnis am Beispiel der Adelsgesellschaften, in: Die Kraichgauer Ritterschaft in der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Stefan Rhein, Sigmaringen 1993; Arend Mindermann, Adel in der Stadt des Spa¨tmittelalters. Go¨ttingen und Stade 1300–1600, Bielefeld ¨ sterreich, in: Oberdeutsche Sta¨dte im 1996; Herwig Weigl, Sta¨dte und Adel im spa¨tmittelalterlichen O Vergleich. Mittelalter und fru¨he Neuzeit, hg. v. Joachim Jahn u. a., Sigmaringendorf 1989, S. 74–100;

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Peter Johanek, Adel und Stadt im Mittelalter, in: Gunnar Teske (Red.), Adel und Stadt, Mu¨nster 1998, S. 9–35. – Lebenshaltung, Baubetrieb und Alltag behandeln etwa Ulf Dirlmeier, Untersuchungen zu Einkommensverha¨ltnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, Heidelberg 1978; Gerhard Fouquet, Bauen fu¨r die Stadt. Finanzen, Organisation und Arbeiten in kommunalen Baubetrieben des Spa¨tmittelalters, Ko¨ln/Weimar/Wien 1999; Hartmut Boockmann, Die Stadt im spa¨ten Mittelalter, Mu¨nchen 1986. – Ein herausragender Versuch der letzten Jahre, die Lebensordnungen der mittelalterlichen Stadt in ihrer Totalita¨t zu erfassen, ist die Monographie von Ferdinand Opll, Leben im mittelalterlichen Wien, Wien/Ko¨ln/Weimar 1998.

STADTGESCHICHTSFORSCHUNG – EIN HALBES JAHRHUNDERT NACH ENNEN UND PLANITZ [Erstabdruck: Europa¨ische Sta¨dte im Mittelalter, hg. v. Ferdinand Opll/Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beitra¨ge zur Wiener Stadtgeschichte 52), Innsbruck 2010, S. 45–92]

Wilfried Ehbrecht zugeeignet Die Urkunde, die den Anlass dieser Tagung bietet,1 das Flandrenser-Privileg Leopolds des Glorreichen von 1208, liefert eine exzellente Begru¨ndung fu¨r die Notwendigkeit dieses Vortrags: Labente tempore factum quodlibet a memoria labitur – mit dem Vergehen der Zeit verschwindet jedes Faktum, jede Tatsache, aus dem Geda¨chtnis, aus der Memoria.2 Und das Privileg erla¨utert dann die Notwendigkeit, die Tatsachen, die man fu¨r die Zukunft erhalten wissen will, aufzuzeichnen, zu verschriftlichen.

1 Mein als „O ¨ ffentlicher Vortrag“ deklarierter Beitrag zur Wiener Tagung von 2008, der die Aufsa¨tze die-

ses Bandes entstammen, kommt mit leichten Vera¨nderungen zum Abdruck, wurde aber um einen zweiten Teil stark erweitert (vgl. Anm. 73). Dennoch wurde die Vortragsform beibehalten. Obwohl der Beitrag in gewisser Weise den Charakter eines Forschungsberichts hat, wurden Literaturhinweise sparsam verwendet (auch wenn auf den ersten Blick sich der gegenteilige Eindruck einstellen ko¨nnte) und keine Vollsta¨ndigkeit angestrebt. Auf fru¨here Versuche des Verfassers, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sei verwiesen: Peter Johanek, Tradition und Zukunft der Stadtgeschichtsforschung in Mitteleuropa, in: Im Dienste der Stadtgeschichtsforschung. Festgabe fu¨r Wilhelm Rausch zur Vollendung seines 70. Lebensjahres (Pro Civitate Austriae, Sonderheft), Linz 1997, S. 37–62; ders., Die o¨sterreichische Stadtgeschichtsforschung zur mittelalterlichen Epoche. Leistungen – Defizite – Perspektiven, in: Pro Civitate Austriae NF 5 (2000), S. 7–22; ders., Stadtgeschichtsforschung. Leistungen und Perspektiven der media¨vistischen Stadtgeschichtsforschung, in: Schauplatz Mittelalter Friesach. Ka¨rntner Landesausstellung 2001, Bd. I, hg. v. Land Ka¨rnten, Klagenfurt 2001, S. 115–135. Ferner ist noch zu verweisen auf Stadt und Region. Internationale Forschungen und Perspektiven, hg. v. Heinz Duchhardt/Wilfried Reininghaus (StF A 65), Ko¨ln/Weimar/Wien 2005, wo die Beitra¨ge von Wim Block¨ berblicke zur Stadtgeschichtsforschung in mans, Roman Czaja, Ferdinand Opll und Josef Zˇemliˇcka U den Nachbarla¨ndern Deutschlands geben. 2 Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in O ¨ sterreich Bd. 1, hg. v. Heinrich Fichtenau/ Erich Zo¨llner (Publikationen des Instituts fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung), Wien 1950, 207 Nr. 161; Die Rechtsquellen der Stadt Wien, hg. v. Peter Csendes (FontRerAustr 3. Abteilung: Fontes iuris 9), Wien/Ko¨ln/Graz 1986, 28 Nr. 3; Klaus Lohrmann/Ferdinand Opll, Regesten zur Fru¨hgeschichte von Wien (Forschungen und Beitra¨ge zur Wiener Stadtgeschichte 10), Wien/Mu¨nchen 1981, 91 Nr. 305.

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Es ist die Memoria, die Erinnerung, die im Zentrum der Arenga dieser Urkunde steht, und es ist die Memoria, um die es in diesem Vortrag gehen soll, um die Erinnerung an das, was in der Vergangenheit, von fru¨heren Generationen von Stadthistorikern u¨ber die Geschichte der mittelalterlichen Stadt geforscht und erarbeitet worden ist. Um Forschungsgeschichte also geht es, und es ist selbstversta¨ndlich, dass die Vortra¨ge dieser Tagung, die ja auch die Interessen der gegenwa¨rtigen Stadtgeschichtsforschung insgesamt spiegeln sollen, nicht ohne Voraussetzungen entstanden sind, die sich der Forschungstradition und ihren mannigfachen Stra¨ngen verdanken. Diese Forschungstradition gilt es hier wenigstens in einigen Grundlinien ins Geda¨chtnis zu rufen, um auf dieser Folie dann im weiteren Verlauf unserer Tagung die Darlegungen unserer Kolleginnen und Kollegen in eine weitere Perspektive zu ru¨cken, und im u¨brigen auch darzulegen, was Stadthistoriker jeweils an ihrem Gegenstand besonders interessiert hat. Allein dies ist interessant genug, auch u¨ber den Kreis der professionellen Stadthistoriker hinaus. Eine solche Darstellung aber gewinnt noch an Eigengewicht, wenn man den Versuch unternimmt, die jeweiligen Interessen der Stadthistoriker mit allgemeinen gesellschaftlichen Interessenlagen zu verknu¨pfen, und wenigstens ansatzweise den Gru¨nden nachzugehen, warum sich Stadthistoriker, wie Historiker ganz allgemein, bestimmten Themenfeldern zuwenden, worauf sich ihr Erkenntnisinteresse gru¨ndet. Wie fruchtbar eine solche Betrachtungsweise sein kann, hat bereits vor vielen Jahren Heinz Bo¨ckenfo¨rde am Beispiel der Entwicklung der deutschen Verfassungsgeschichtsschreibung dargestellt.3 Er zeigte na¨mlich, dass sich in der Anna¨herung an den geisteswissenschaftlichen Gegenstand bei allem Bemu¨hen um Objektivita¨t die Interessen, Erwartungen, ja Sehnsu¨chte der eigenen Gegenwart bemerkbar machen und wirksam werden. In diesem letzteren Faktum liegt nicht zuletzt die Relevanz begru¨ndet, die den Darlegungen u¨ber fru¨here Phasen der Stadtgeschichtsforschung zukommt, die ich im Folgenden vortragen mo¨chte. Die Arenga des Flandrenser-Privilegs beschwo¨rt zwar die Sicherung der Memoria durch die Schrift, und da ko¨nnte eingewendet werden, dass ja die fru¨here Stadtgeschichtsforschung in Schriftform, im Druck vorliegt. Aber auch diese Sicherung der Memoria nu¨tzt oft nichts, wenn die Werke ungelesen im Regal stehen oder fru¨here Lektu¨re dem Geda¨chtnis wieder entschwunden ist. Privilegien wie Forschungsbeitra¨ge bedu¨rfen des lebendigen Gebrauchs, um ihre Wirkungsma¨chtigkeit, ihre Anregungskraft sichtbar und nutzbar zu machen. Das soll nun versucht werden. Der Initiator unserer Tagung – Ferdinand Opll – hatte als Titel fu¨r diesen Vortrag vorgeschlagen: Stadtgeschichtsforschung – ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz, und ich bin ihm gerne gefolgt, denn auch ich bin der Meinung, dass diese beiden Namen eine ganz bestimmte Marke in der Forschungsentwicklung zu bezeichnen vermo¨gen. Einigkeit bestand zwischen ihm und mir auch daru¨ber, dass nicht nur die Situation ein halbes Jahrhundert spa¨ter beschrieben werden sollte, sondern vor allem auch der Weg dorthin, ausgehend eben von jener Wegemarke, die durch die beiden Namen Ennen und Planitz bezeichnet wird, und es wird zuna¨chst vor allem um

3 Ernst Wolfgang Bo ¨ ckenfo¨rde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhun-

dert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Mu¨nchen 1961, Berlin 21995.

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die Wirkungskraft der beiden Werke gehen, von denen sogleich die Rede sein wird. Sichtbar werden soll auch, was von den heutigen Beta¨tigungen der Stadthistoriker – in welch gewandelter Form sie sich auch immer darbieten mo¨gen – sich den Impulsen verdankt, die von diesen Werken ausgingen. Der Titel bezeichnet jedoch – so wie er formuliert ist – auch eine Einschra¨nkung. Er legt den Beitrag im Wesentlichen auf die Schilderung der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung fest, und das schafft eine Diskrepanz zu unserer Tagung, auf der von den hier zu haltenden Vortra¨gen ein gutes Drittel von Forschern beigesteu¨ sterreich beheimatet sind ert wird, die nicht in Deutschland, der Schweiz oder in O und die auch andere Regionen als das Reich betreffen. Dennoch werde ich mich im Wesentlichen auf die deutsche und o¨sterreichische Forschung beschra¨nken, was allein der Zeito¨konomie geschuldet ist, aber es wird hoffentlich doch deutlich werden, dass diese Forschungen nicht in Isolierung betrieben worden sind. Nun aber zum Ausgangspunkt. Ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz. Rechnet man von 2008 fu¨nfzig Jahre zuru¨ck, dann kommen wir auf das Jahr 1958, das ist das Jahr, in dem ich mein Studium der Geschichtswissenschaft begann. Das ist ein hu¨bsches Kompliment, das sich Ferdinand Opll da ausgedacht hat. Und in der Tat, als ich mich zum ersten Mal im Studium mit Stadtgeschichte zu bescha¨ftigen hatte, anla¨sslich einer Exkursion nach Speyer ganz am Anfang der sechziger Jahre, da waren die beiden Titel, die durch die Namen Ennen und Planitz bezeichnet sind, meine Leitsterne. Sie waren es ganz selbstversta¨ndlich. Sie waren ganz neu, und sie wurden doch bereits als grundlegend empfunden. Es ging – und ich kehre nun die Reihenfolge um – um Hans Planitz, „Die deutsche Stadt im Mittelalter“4 und Edith Ennen, „Die Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt“.5 Beide setzten bei den vormittelalterlichen Stadtkulturen an, Planitz mit dem Schwerpunkt auf den ro¨mischen Verha¨ltnissen, Ennen eher mit einem Focus auf den Voraussetzungen außerhalb des Imperium Romanum. Beide Bu¨cher erschienen fast zeitgleich und waren unabha¨ngig voneinander entstanden. Planitz fu¨hrte seine Darstellung bis etwa in die Zeit um 1300, wa¨hrend Ennen den Schlusspunkt im Wesentlichen um 1200 setzte. Zwei gewichtige Werke also in unmittelbarer zeitlicher Na¨he, die das soziale Pha¨nomen Stadt mit einem Mal in den Focus historischer Forschung zum Mittelalter in Deutschland hineinstellten, die wa¨hrend der Jahre zuvor im Wesentlichen von Arbeiten zur Reichsgeschichte, von – um mit einem Dictum Percy Ernst Schramms zu sprechen – von Kaisern, Ko¨nigen und Pa¨psten gepra¨gt gewesen war.6 War diese zeitliche Na¨he Zufall, war dieser Zeitpunkt Anfang/Mitte der fu¨nfziger Jahre des 20. Jahrhunderts Zufall, oder bezeichnet das Erscheinen dieser Werke vielleicht in der Tat eine Epoche in der Stadtgeschichtsforschung?

4 Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter. Von der Ro¨merzeit bis zu den Zunftka¨mpfen, Graz/

Ko¨ln 1954, 5. Aufl. 1980.

5 Edith Ennen, Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, Bonn 1953, 3., um einen Nachtrag erweiterte

Aufl. 1981. 6 Percy Ernst Schramm, Kaiser, Ko¨nige und Pa¨pste. Gesammelte Aufsa¨tze zur Geschichte des Mittel-

alters, Bde. 1–4, Stuttgart 1968–1971.

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Zuna¨chst sei vermerkt, dass sich noch zwei andere deutsche Forschernamen den beiden genannten hinzufu¨gen lassen, die seit eben jenem Zeitpunkt von außerordentlichem Einfluss fu¨r die weitere Entwicklung der Stadtgeschichtsforschung gewesen sind. Der eine ist Walter Schlesinger7 und der andere Erich Maschke.8 Beide haben nicht durch große Monographien gewirkt, wie sie Ennen und Planitz vorlegten, sondern im Wesentlichen durch wichtige Aufsa¨tze, die sie Fragen der Stadtgeschichte widmeten. Schlesinger begann damit in eben jenem Zeitraum um 1950. 1952 erschien sein Buch u¨ber die Anfa¨nge der Stadt Chemnitz9 und 1955 sein Aufsatz „Burg und Stadt“,10 der a¨hnlich wie Edith Ennens Werk Grundfragen der sta¨dtischen Fru¨hzeit behandelte. Erich Maschke wiederum, der sich vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem mit Fragen des Deutschen Ordens und eben der Reichsgeschichte befasst hatte, erhielt 1954, als er nach achtja¨hriger Kriegsgefangenschaft zuru¨ckgekehrt war, zuna¨chst einen Lehrauftrag und 1956 einen Lehrstuhl fu¨r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und wandte sich fortan der Stadtgeschichte zu. Damit nicht genug. Blickt man u¨ber die Grenzen Deutschlands hinaus, so findet man etwa in Frankreich ebenfalls zwei gewichtige Werke zur Stadtgeschichte. Im Jahr 1947 publizierte Charles Petit-Dutaillis sein Werk u¨ber die franzo¨sischen Kommunen,11 und von 1945 bis 1950 erschienen Fernand Lots drei Ba¨nde u¨ber die Bevo¨lkerung und Stadtgestalt jener Sta¨dte, die in ihren Anfa¨ngen in die gallo-ro¨mische Zeit hinaufreichten.12 Und schließlich: Im Jahr 1955 wurde in Rom die „Commission Internationale pour l’histoire des villes“ gegru¨ndet, die in enger Anlehnung an den Internationalen Historikerverband eine Plattform fu¨r die europa¨ische Stadt-

7 Vgl. zu ihm Hans Patze, Erinnerungen an Walter Schlesinger, in: Ausgewa¨hlte Aufsa¨tze von Walter

Schlesinger, hg. v. Hans Patze/Fred Schwind (VuF 34), Sigmaringen 1987, S. IX–XXVIII, ein Schrif¨ bersiedlung Walter Schlesingers nach Marburg im tenverzeichnis S. 646–670; Michael Gockel, Die U Jahre 1951, in: NArchSa¨chsG 72 (2002), S. 215–253; Anne Christine Nagel, Im Schatten des Dritten Reiches. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970, Go¨ttingen 2005, passim; Enno Bu¨nz, Walter Schlesinger. Zum 100. Geburtstag am 28. April 2008, in: Jubila¨en 2008, hg. v. Rektor der Univ. Leipzig, Leipzig 2008, S. 49–54; Walter Schlesinger, in: Sa¨chsische Biografie (onlinelexikon), mit weiterer Literatur. 8 Vgl. zu ihm und seiner Wirkung jetzt Gerhard Fouquet, Erich Maschke und die Folgen. Bemerkungen zu sozialgeschichtlichen Aspekten deutscher Stadtgeschichtsforschung seit 1945, in: Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne, hg. v. Gerhard Fouquet/Gabriel Zeilinger (Kieler Werkstu¨cke E 7), Frankfurt a. M. u. a. 2009, S. 15–42, auf S. 28, Anm. 1, wird die urspru¨ngliche Fasssung des Aufsatzes in italienischer Sprache von 2007 zitiert. Die wichtigsten Aufsa¨tze liegen mit einer autobiographischen Einleitung vor in: Erich Maschke, Sta¨dte und Menschen. Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft und Gesellschaft 1959–1977 (VSWG, Beiheft 68), Wiesbaden 1980. 9 Walter Schlesinger, Die Anfa¨nge der Stadt Chemnitz und anderer mitteldeutscher Sta¨dte. Untersuchungen u¨ber Ko¨nigtum und Sta¨dte wa¨hrend des 12. Jahrhunderts, Weimar 1952. 10 Ders., Burg und Stadt, in: Aus Verfassungs- und Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer dargebracht von seinen Freunden und Schu¨lern, Bd. 1: Zur allgemeinen und Verfassungsgeschichte, Lindau/Konstanz 1954, S. 97–150. 11 Charles Petit-Dutaillis, Les communes. Caracte`res et evolutions, des origines aux XVIIIe sie`cle, Paris 1947. 12 Ferdinand Lot, Recherches sur la population et la superficie des cite´s remontant a` la pe´riode galloromaine, Bd. I, 1.2 u. II (Bibliothe`que de l’E´cole des Hautes E´tudes 287 u. 301), Paris 1945–1950.

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geschichtsforschung bilden sollte, bald eine Reihe von Arbeiten zur Grundlagenforschung beschloss und noch heute arbeitet.13 Es wird noch die Rede davon sein. Das mag an Beispielen genug sein. Sie genu¨gen als Indikatoren dafu¨r, dass in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues – oder besser: wiederbelebtes – Interesse an sta¨dtischer Geschichte eingesetzt hat oder doch dessen Ergebnisse sichtbar wurden. Denn – und das haben Ennen und Planitz gemeinsam – ihre Vorarbeiten fu¨r jene Bu¨cher reichen weit in die vierziger oder gar dreißiger Jahre zuru¨ck,14 und a¨hnliches gilt auch fu¨r die genannten franzo¨sischen Gelehrten. Doch nun zu diesen Werken und ihren Verfassern selbst. Edith Ennen und Hans Planitz stammten aus sehr verschiedenen Wissenschaftstraditionen. Hans Planitz15 war ent¨ ltere, 1882 geboren und seiner akademischen Ausbildung nach Jurist, schieden der A der zuna¨chst seine wissenschaftliche Arbeit dem geltenden Recht, dem Haftungsund Vollstreckungsrecht widmete. Erst als Professor in Ko¨ln, der dritten Station seiner Karriere, fand er seit 1920 zur Rechtsgeschichte, und zwar ausgehend von einer Bescha¨ftigung mit den Ko¨lner Schreinsbu¨chern, jener grundbuchartigen mittelalterlichen Quelle,16 und „Die deutsche Stadt im Mittelalter“ ist der kro¨nende Abschluss seines Lebenswerkes, geschrieben hier in Wien, seiner letzten Station als Professor, wo er auch noch vor dem Erscheinen des Werks Anfang 1954 verstarb. Das Buch ist seinem ganzen Habitus und seiner Machart nach das Werk eines Juristen, und dergleichen hatte Tradition in der deutschen Stadtgeschichtsforschung. Bereits seit den Anfa¨ngen der kritischen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert sind es Juristen gewesen, die nachhaltig, ja zum Teil beherrschend, die Stadtgeschichtsforschung bestimmt und die Diskussion um den Charakter und den Ursprung der Stadtverfassung vorangetrieben haben: Karl Friedrich Eichhorn, Georg Ludwig von Maurer, Wilhelm Arnold und Andreas Heusler, um nur einige zu nennen. Noch heute sind die Charakteristiken lesenswert, die Gustav Schmoller zu Beginn des 20. Jahrhunderts u¨ber sie niedergeschrieben hat.17

13 Vgl. dazu die Berichte in den Cahiers Bruxellois 1–24 (1956–1979), sowie in: Nouvelles de la

¨ ber Commission Internationale pour l’Histoire des Villes seit 1 (1983), bes. Gyo¨rgy Sze´kely, U die Zusammenarbeit in vergleichender Sta¨dtegeschichte in einer geteilten Welt, ebd., 27 (2006), S. 5–13; Francesca Bocchi, Le renouveau de la Commission Internationale pour l’Histoire des Villes apre`s l’e´largissement de l’Europe, ebd., S. 14–19. Die Nouvelles sind leicht zuga¨nglich u¨ber www.historiaurbium.org. 14 Vgl. die jeweils ersten substantiellen Aufsa¨tze der beiden Autoren zum Thema: Edith Ennen, Die europa¨ische Stadt als Forschungsaufgabe unserer Zeit, in: RhVjbll 11 (1941), S. 119–146; Hans Planitz, Kaufmannsgilde und sta¨dtische Eidgenossenschaft in niederfra¨nkischen Sta¨dten im 11. und 12. Jahrhundert, in: ZRGG 60 (1940), S. 1–116. 15 Vgl. zu ihm Ekkehard Kauffmann, in: Handwo¨rterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 3 (1983), Sp. 1767–1769; Gerhard Dilcher, Hans Planitz (1882–1954), in: Juristen an der Universita¨t Frankfurt am Main, hg. v. Bernhard Diestelkamp/Michael Stolleis, Baden-Baden 1989, S. 102–116. 16 Die Ko¨lner Schreinsbu¨cher des 13. und 14. Jahrhunderts, hg. v. Hans Planitz/Thea Buyken (PublGesRhGkd 46), Weimar 1937. 17 Gustav Schmoller, Die deutschen Sta¨dtehistoriker des 19. Jahrhunderts, in: ders., Deutsches Sta¨dtewesen in a¨lterer Zeit, Bonn 1922 (ND Aalen 1964), S. 1–38.

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Edith Ennen18 kam aus einer vo¨llig anderen Schule. Sie war ein Vierteljahrhundert ju¨nger als Planitz, war 1907 geboren, und geriet von Beginn ihres Studiums an unter den Einfluss der geschichtlichen Landeskunde, wie sie Hermann Aubin und Franz Steinbach in Bonn mit der Gru¨ndung des Instituts fu¨r rheinische Landeskunde etabliert hatten.19 Sie bedeutete den interdisziplina¨ren Zugriff auf die Geschichte, gerade in Abwendung oder doch Gegenposition gegen rein rechtsgeschichtliche Betrachtung. Edith Ennen kam aus dem Westen des Reichs – auch dies soll betont werden – und hatte schon als Dissertation 1933 u¨ber die sta¨dtische Selbstverwaltung gearbeitet.20 Das Buch u¨ber die Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt entstand zum gro¨ßten Teil neben ihrer Ta¨tigkeit als Bonner Stadtarchivarin, und es hat ihren wissenschaftlichen Ruf begru¨ndet, ihre Autorita¨t als Stadthistorikerin, die bis zu ihrem Tod ganz am Ende des Jahrhunderts anhielt und durch immer neue wissenschaftliche Leistungen besta¨tigt wurde. Sie hat – so darf man sagen – das letzte Jahrhundert der Entwicklung der Stadtgeschichtsforschung begleitet und mitbestimmt, auch wenn sie erst spa¨t – als eine der ersten Frauen – 1964, mit 57 Jahren auf einen Lehrstuhl kam und daher aus dieser Position auch bald wieder ausschied (1974). So verschieden die wissenschaftlichen Positionen waren, von denen Ennen und Planitz ausgingen, so richteten sich die beiden Werke doch trotz der neutralen, sehr allgemein gefassten Titel doch auf ein gemeinsames spezifisches Ziel: na¨mlich auf die Kla¨rung des Ursprunges der gefreiten Stadtgemeinde. Das ist – bei allem anderen was auch zur Sprache kommt, was ebenfalls wichtig ist und wovon gleich noch zu reden ist – doch der Kern der jeweiligen Darstellung und Argumentation. Es geht um die Herausbildung sta¨dtischer Gemeinden in Auseinandersetzung mit den Herren der civitates und damit um die Herausbildung jener Elemente des Genossenschaftsverbandes, der Autonomie und genossenschaftlichen Selbstverwaltung, die nach Max Weber das entscheidende Merkmal der europa¨ischen, der okzidentalen Stadt darstellen.21 Oder, um es pathetischer zu fassen, mit Friedrich Schillers Worten aus dem Wallenstein-Prolog:22

18 Vgl. zu ihr Franz Irsigler, Edith Ennen. Anmerkungen zu Werk und Wirkung, in: Mitteleuropa¨isches

Sta¨dtewesen in Mittelalter und Fru¨hneuzeit. Edith Ennen gewidmet, hg. v. Wilhelm Janssen/Margret Wensky, Ko¨ln u. a. 1999, S. 1–19; ein Schriftenverzeichnis findet sich ebd., S. 201–260. 19 Zu dieser mit ihrem interdisziplina¨ren Ansatz auch fu¨r die Stadtgeschichtsforschung eminent wichtigen Institution vgl. die Programmschrift: Hermann Aubin, Aufgaben und Wege der geschichtlichen Landeskunde, in: ders., Geschichtliche Landeskunde. Anregungen in vier Vortra¨gen, Bonn 1925, S. 25–45; ferner: Marlene Nikolay-Panter, Geschichte, Methode, Politik. Das Institut fu¨r die geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920–1945, in: RhVjbll 60 (1966), S. 233–262; BerndA. Rusinek, Das Bonner Institut fu¨r Rheinische Landeskunde, in: Deutsch-franzo¨sische Kulturund Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert (Pariser Historische Studien 81), Mu¨nchen 2007, S. 31–46. 20 Edith Ennen, Die Organisation der Selbstverwaltung in den Saarsta¨dten vom ausgehenden Mittelalter bis zur franzo¨sischen Revolution (RhArch 25), Bonn 1933. 21 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Ma¨chte. Nachlass, Teilband 5: Die Stadt, hg. v. Wilfried Nippel (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. I: Schriften und Reden, Bd. 22-5), Tu¨bingen 1999, S. 100–145. 22 Friedrich Schiller, Sa¨mtliche Werke, hg. v. Gerhard Fricke/Herbert Go ¨ pfert, Bd. 2, Mu¨nchen 21960, S. 272.

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„Und um der Menschheit große Gegensta¨nde, Um Herrschaft und um Freiheit wird gerungen.“ Das ist es. Es geht um die Freiheitsrechte der sta¨dtischen Bu¨rger, wie sie sich in ihrer Grundtypik im Hochmittelalter, im 11., 12. und 13. Jahrhundert herausbilden und um die Institutionen, die sich nach und nach damit verbinden, Rat und andere sta¨dtischen ¨ mter. Darum geht es, selbst wenn die beiden Forscher durchaus unterschiedliche A Auffassungen vertreten, deren Quintessenz von Edith Ennen ausgesprochen wird: „Der Vorgang der Gemeindebildung wird sich uns u¨berdies als bedeutend komplexer und vielseitiger herausstellen als in der Darstellung von Planitz“. Ennen bezieht sich hier auf fru¨here Aufsa¨tze von Planitz, die bereits die Grundlinien seiner Darstellung enthielten.23 Sie fa¨hrt fort: „Wir mu¨ssen uns bei der Untersuchung vor einer falschen Voreingenommenheit hu¨ten: das Verha¨ltnis zwischen dem Herrn der civitas und den Wikbewohnern muss nicht notwendig feindlich sein, die Gemeindebildung braucht nicht im Gegensatz zum Civitasherrn zu erfolgen, sie kann mit seinem Einversta¨ndnis, ja unter seiner Fo¨rderung vor sich gehen“. Sie schließt: „Planitz hat seine Darstellung zu sehr auf den Gegensatz zum Stadtherrn abgestellt“.24 Diese Unterschiede mu¨ssen uns jetzt nicht beku¨mmern, denn im Grundsatz geht es beiden um Gemeindebildung und bu¨rgerliche Freiheit und damit um ein altes Thema der Stadtgeschichtsforschung und Stadtgeschichtsschreibung, um eine Thematik, die ganz am Anfang dieser Disziplin steht. Schon fu¨r Johann Gottfried Herder lag im Mauerring der mittelalterlichen Sta¨dte der Ursprung „gemeinschaftlicher Freiheit, des Bu¨rgerrechts“25 und als Christoph Meiners unter dem Eindruck der franzo¨sischen Revolution seine „Geschichte der Ungleichheit der Sta¨nde unter den vornehmsten europa¨ischen Vo¨lkern“ (1792) niederschrieb,26 meinte er „die Bewohner der Sta¨dte wurden frey, so bald sie es durch Muth, Fleiß und die Fru¨chte des Fleisses zu seyn verdienten“, die mittelalterlichen Sta¨dte seien ein „Hort der Freyheit“ gewesen und insbesondere die Reichssta¨dte ha¨tten u¨ber eine Verfassung verfu¨gt, die „einer wahren Demokratie gleichgescha¨tzt werden konnte“. Es ist bekannt genug, dass das Bu¨rgertum des 19. Jahrhunderts in der mittelalterlichen Stadt das Urbild, die Pra¨figuration seiner eigenen politischen Ambitionen sah und diesem Empfinden auch und vor allem in der architektonischen Gestaltung sta¨dtischer Bauten Ausdruck verlieh.27 ¨ gide diese Tagung stattfindet, ist nur ein promiDas Wiener Rathaus, unter dessen A nentes Beispiel dafu¨r. Noch in unseren Tagen hat ein prominenter Media¨vist, Klaus Schreiner, die Feststellung getroffen und zu begru¨nden versucht: „Die Stadt des Mittelalters bildet den geschichtlichen Na¨hrboden aller jener Freiheiten, die Menschen 23 V. a. auf Hans Planitz, Die deutsche Stadtgemeinde, in: ZRGG 64 (1944), S. 1–85. 24 Ennen, Fru¨hgeschichte (wie Anm. 5), S. 179. 25 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in: Herders Sa¨mmt-

liche Werke 14, hg. v. Bernhard Suppan, Berlin 1909, S. 486f. 26 Christoph Meiners, Geschichte der Ungleichheit der Sta¨nde unter den vornehmsten europa¨ischen

Vo¨lkern, Bd. 2, Hannover 1792, S. 319–454.

27 Vgl. Peter Johanek, Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert, in: Die

Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff, Darmstadt 1992, S. 81–100, 193–202.

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die Chance geben, als freie Bu¨rger an der Gestaltung ihrer o¨ffentlichen Angelegenheiten mitdenkend und mitverantwortlich teilzunehmen.“28 Ennen und Planitz sind in ihren Werken nu¨chterner verfahren und haben solche Analogien nicht aufgestellt. Gleichwohl ist es wohl kein Zufall, dass ihre Werke gerade zu jenem Zeitpunkt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen, und zumindest bei Planitz liegen die Antriebskra¨fte klar zutage, wenn man bedenkt, dass er bereits 1929 seine Rektoratsrede in Ko¨ln u¨ber das Thema „Politische Freiheitsrechte“ hielt.29 Und – auch dies muss wenigstens noch angemerkt werden – beide, Planitz wie Ennen schrieben ihre Werke und formulierten ihre Thesen nicht sozusagen in einem luftleeren Raum der Forschung, sondern in Auseinandersetzung mit den Forschungen des belgischen Forschers Henri Pirenne und im Weiterdenken seiner Ergebnisse.30 Henri Pirenne hatte bereits vor dem ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit mit Nachdruck auf den Zusammenhang von Stadt und Handel, von Bu¨rgertum und Kaufmannschaft verwiesen und meinte in letzterer die entscheidende Kraft des Aufbruchs des Sta¨dtewesens und fu¨r Gestaltung von dessen Verfassungsinstitutionen zu erkennen. Dieser Forscher, der der internationalen Sta¨dteforschung so entscheidende Impulse gegeben hatte,31 darf – vom Deutschland der 1930er und vierziger Jahre aus – als eine Art Gegenpol zur vo¨lkischen Geschichtsauffassung verstanden werden, als Vertreter einer bu¨rgerlich-liberalen, westlichen, demokratischen Geschichtsschreibung. Nicht zufa¨llig tra¨gt eines seiner Werke, das er fu¨r ein allgemeines Publikum vero¨ffentlichte, den Begriff „Demokratie“ im Titel.32 An seine Sicht knu¨pften Ennen und Planitz in kritischer Rezeption an, und die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung, die auch in Deutschland den Blick auf den rheinisch-niederla¨ndisch-nordfranzo¨sischen Raum als Ursprungsherd des europa¨ischen Sta¨dtewesens und die Einungen, coniurationes, Gilden und Genossenschaften der Kaufleute lenkten, du¨rfen als Initialzu¨ndung fu¨r die media¨vistische Stadtgeschichtsforschung des 28 Klaus Schreiner, Die Stadt als Faktor bu¨rgerlicher Identita¨tsbildung. Zur Gegenwa¨rtigkeit des

mittelalterlichen Stadtbu¨rgertums im historisch-politischen Bewußtsein des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bu¨rgertums in Norddeutschland 1150–1650, hg. v. Cord Meckseper, Bd. 4, Stuttgart 1985, S. 517–541, hier S. 534. 29 Hans Planitz, Politische Freiheitsrechte. Rede bei der U ¨ bernahme des Rektorates 1929 (Ko¨lner Universita¨tsreden 24), Ko¨ln 1930. 30 Zu Pirenne vgl. Bryce Lyon, Henri Pirenne. A biographical and intellectual study, Gent 1974; Cinzio Violante, Uno storico europeo tra guerra e dopoguerra. Henri Pirenne 1914–1923, Bologna 1997 (dt.: Das Ende der „großen Illusion“. Ein europa¨ischer Historiker im Spannungsfeld von Krieg und Nachkriegszeit. Henri Pirenne (1914–1923). Zu einer Neulesung der „Geschichte Europas“, Berlin 2004); zuletzt Marc Boone, Henri Pirenne (1862–1935). Godfather van de Gentse historische school?, in: Handelingen der Maatschappij voor Geschiedenis en Oudheidkunde te Gent, Nieuwe reeks 60 (2006), S. 3–19. 31 Vor allem mit dem Buch Henri Pirenne, Medieval Cities. Their origins and the revival of trade, Princeton 1925 (franz.: Les villes du moyen aˆge, Bruxelles 1927); das Buch erfuhr 1952 (also unmittelbar vor dem Erscheinen der Werke von Ennen und Planitz) eine Neuauflage und erschien 1969 in Princeton zum ersten Mal als Paperback, wodurch eine starke Langzeitwirkung belegt wird; sein erster einflussreicher Aufsatz zum Thema war: L’origine des constitutions urbaines au moyen aˆge, in: RH 53 (1893), S. 52–83; 57 (1895), S. 292–327; seine wichtigsten Arbeiten zur Stadtgeschichte als Wiederabdruck im Sammelband: ders., Les villes et les institutions urbaines, Bde. 1–2, Paris/Bruxelles 1939. 32 Henri Pirenne, Les anciennes de´mocraties des Pays-Bas, Paris 1910, Wiederabdruck in: ders., Les villes et les institutions (wie Anm. 31), Bd. 1., S. 143–301.

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letzten Halbjahrhunderts gelten. Daher kommt diesen beiden Bu¨chern eine so herausragende Bedeutung zu. Die Sta¨dtegeschichte hat sich seit dieser Zeit als bedeutende Subdisziplin der Geschichtswissenschaft etabliert. Zwar wurden im deutschen Sprachraum keine eigenen universita¨ren Lehrstu¨hle fu¨r Stadtgeschichte geschaffen, wohl aber entstanden seit den sechziger Jahren mehrere u¨berregionale Vereinigungen zur Stadtgeschichtsforschung, aus denen heraus in zwei Fa¨llen auch Institutsgru¨ndungen erfolgten: der „Su¨dwestdeutsche Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung“ (seit 1960), das „Kuratorium fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte“ mit dem „Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte an der Universita¨t Mu¨nster“ (seit 1969; gegru¨ndet von Heinz Stoob) und ¨ sterreichische Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung“ (seit 1969; gegru¨nder „O det von Wilhelm Rausch) mit dem „Ludwig-Boltzmann-Institut fu¨r Stadtgeschichtsforschung“ in Linz (1975–1995).33 Diese Vereinigungen und Institute fassten zwar sehr bald die Stadtgeschichte in ihrem ganzen Verlauf vom Mittelalter bis zur Gegenwart ins Auge, doch der Ausgangspunkt war die Erforschung der Stadt des Mittelalters mit ihren Lebens- und Verfassungsformen. Auch in diesem Faktum wird die Bedeutung und Wirkungskraft der Bescha¨ftigung mit der Stadt des Mittelalters in der Zeit um 1950 und damit die Schubkraft der beiden Werke von Ennen und Planitz deutlich. Man wird also nicht fehlgehen, wenn man in dieser entschiedenen Hinwendung zur Stadtgeschichte, wie sie allenthalben in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte und in deren Zentrum die Frage nach den Urspru¨ngen der bu¨rgerlichen Stadtgemeinde und der bu¨rgerlichen Freiheiten stand, auch eine Auseinandersetzung mit den Erfahrungen unter den Diktaturen erblickt und sie mit dem Bestreben zur Neuetablierung einer bu¨rgerlichen Ordnung im Zeichen der Demokratie in Zusammenhang bringt. Selbst in der werdenden DDR hat das in den Arbeiten des Leipziger Media¨visten Heinrich Sproemberg zur fru¨hen Kommune und zu Galbert von Bru¨gge einen Ausdruck gefunden.34 Sie haben wiederum großen Einfluss auf die Stadtgeschichtsforschung der DDR ausgeu¨bt, von der noch zu sprechen sein wird. Wie immer es um einen solchen Zusammenhang von politischer Lebenswelt und wissenschaftlichem Forschungsinteresse, wie er hier thesenhaft postuliert wird, bestellt sein mag, ganz offenkundig ist, dass in allen Umbru¨chen und Wandlungen, wie sie sich wa¨hrend der zweiten Jahrhundertha¨lfte des 20. Jahrhunderts in der media¨vistischen Stadtgeschichtsforschung vollzogen, das Thema der sta¨dtischen Freiheit eine Konstante blieb, selbst wenn es sich nicht als Dominante bezeichnen la¨sst. Arbeiten zur Kommunebildung und zur bu¨rgerlichen Freiheit zogen sich wie ein 33 Gerd Wunder, Zehn Jahre Arbeitskreis fu¨r su¨dwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung 1960–1970, in:

Stadt und Ministerialita¨t, hg. v. Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow, Stuttgart 1970, S. 169f.; Heinz Stoob, Zur Gru¨ndung des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, in: BllDtLG 106 (1970), S. 98f.; Fritz ¨ sterreichischer Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung, in: Pro Civitate Mayrhofer, 30 Jahre O Austriae, NF 4 (1999), S. 83–86. 34 Vgl. Heinrich Sproemberg, Mittelalter und demokratische Geschichtsschreibung. Ausgewa¨hlte Abhandlungen (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 18), Berlin 1971, darin die Abteilung IV zu Galbert von Bru¨gge, S. 221–374, und der Aufsatz „Pirenne und die deutsche Geschichtswissenschaft“, S. 375–439.

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roter Faden durch die Forschung, und es sei hervorgehoben, dass es immer noch auch Rechtshistoriker gewesen sind, die sich – ha¨ufig mit sozialgeschichtlicher und ideengeschichtlicher Argumentation – an der Diskussion beteiligt haben. Erinnert sei lediglich an Gerhard Dilcher, der in immer wieder neuen Anla¨ufen in den letzten drei Jahrzehnten in Auseinandersetzung mit anderen Gelehrten wie etwa Karl Kroeschell (ebenfalls ein Rechtshistoriker), Hagen Keller oder Peter Blickle35 eine Typologie der Kommunebildung herauszuarbeiten suchte, deren Summe er vor einigen Jahren in einer neuen Rechtsgeschichte der Stadt des Mittelalters niedergelegt hat.36 Der Aufbruch zur bu¨rgerlichen Freiheit und zur Emanzipation genossenschaftlicher Selbstverwaltung von stadtherrlicher Herrschaft ist immer wieder Thema von Abhandlungen und allgemeinen Monographien geblieben, gelegentlich mit plakativen Titeln, wie „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“ fu¨r ein Buch von Knut Schulz.37 Und wiederum: Ist es ein Zufall, dass dieser Titel ziemlich unmittelbar nach der Wende von 1990 erschien und Resonanz in weiteren Arbeiten fand?38 In jedem Fall: Das Thema, das Edith Ennen und Hans Planitz um die Mitte der fu¨nfziger Jahre anschlugen, blieb eine Konstante, blieb aktuell, so aktuell, dass die „Commission Internationale pour l’histoire des villes“ es – in bewusstem Ru¨ckgriff auf jene a¨ltere Forschungstradition – zu ihrem Tagungsthema fu¨r das Jahr 2009 gemacht hat.39 Auch die Rolle der Kaufleute ist ein immer wieder diskutiertes Thema geblieben. Erst ganz ku¨rzlich hat Kurt-Ulrich Ja¨schke unter der Perspektive „Was machte zur Stadt im Mittelalter?“ darauf verwiesen, dass bereits Beda Venerabilis an der Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert London als Handelsplatz klassifizierte, „der von vielen Vo¨lkern aufgesucht wird“ und der spa¨tmittelalterliche Romanheld Fortunatus soll in Englands Hauptstadt Lunden gekommen sein, da nun von allen Orten der Welt Kaufleut liegent.40

35 Peter Blickle, Kommunalismus, Bd. 1–2, Mu¨nchen 2000, dazu die Rezensionsmiszelle Gerhard Dil-

cher, Die Kommune als Verfassungsform, in: HZ 272 (2001), S. 667–674. 36 Gerhard Dilcher, Die Rechtsgeschichte der Stadt, in: Karl S. Bader/Gerhard Dilcher, Deutsche

Rechtsgeschichte. Land und Stadt. Bu¨rger und Bauern im Alten Europa, Berlin 1999; vgl. auch die Sammlung seiner wichtigsten Aufsa¨tze : Gerhard Dilcher, Bu¨rgerrecht und Stadtverfassung im europa¨ischen Mittelalter, Ko¨ln 1996. 37 Knut Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“ Kommunale Aufsta¨nde und Entstehung des europa¨ischen Bu¨rgertums im Hochmittelalter, Darmstadt 1992; ders., Die Freiheit des Bu¨rgers. Sta¨dtische Gesellschaft im Hoch- und Spa¨tmittelalter, Darmstadt 2008. 38 Z. B. Der Name der Freiheit 1288–1988. Aspekte Ko¨lner Geschichte von Worringen bis heute. Ausstellung des Ko¨lnischen Stadtmuseums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle in Ko¨ln, hg. v. Werner Scha¨fke, Ko¨ln 1988; Europas Sta¨dte zwischen Zwang und Freiheit. Die europa¨ische Stadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Wilfried Hartmann, Regensburg 1995; Mathias Ka¨lble, Zwischen Herrschaft und bu¨rgerlicher Freiheit. Stadtgemeinde und sta¨dtische Fu¨hrungsgruppen in Freiburg im Breisgau im 12. und 13. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 2001; „... Ihrer Bu¨rger Freiheit.“ Frankfurt am Main im Mittelalter. Beitra¨ge zur Erinnerung an die Frankfurter Media¨vistin Elisabeth Orth, hg. v. Heribert Mu¨ller, Frankfurt a. M. 2004. 39 Tagung: „Liberte´s et citoyennete´ urbaines du moyen aˆge a` nos jours“, Luxemburg 6.–10. September 2009. 40 Kurt-Ulrich Ja¨schke, Was machte im Spa¨tmittelalter zur Stadt?, in: Was machte im Mittelalter zur Stadt? Selbstversta¨ndnis, Außensicht und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Sta¨dte, hg. v. dems./ Christhard Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 18), Heilbronn

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Damit ist eine der Wirkungen, die von Ennen und Planitz ausging, bis in die Gegenwart ausgezogen, und gleichzeitig auch die immer wieder erneute Wirkungskraft belegt, die von den Triebkra¨ften der fru¨hesten Stadtgeschichtsforschung des beginnenden 19. Jahrhunderts ausgeht. Doch in den beiden Bu¨chern von Ennen und Planitz steckte noch weiteres Potenzial. In der Argumentation beider Autoren spielte die Topographie, die Siedlungsgeschichte und ihr Zusammenhang mit sozialgeschichtlichen Entwicklungen eine eminent wichtige Rolle. Selbstversta¨ndlich standen dabei die fru¨hen Stadien der civitates und jene Siedlungsformen im Vordergrund, in denen Ennen und Planitz wichtige Kraftzentren der Entwicklung vermuteten, die Wiksiedlungen etwa oder die emporia als Tra¨ger des fru¨hen Handels. Es war dieser Fragenkomplex, an dem auch die Arbeiten Walter Schlesingers ansetzten, der – in etwa gleichaltrig mit Edith Ennen, nur ein Jahr ju¨nger – aus vergleichbaren Forschungstraditionen kam, na¨mlich aus der landeskundlichen und siedlungsgeschichtlichen Schule Rudolf Ko¨tzschkes in Leipzig, die von der gleichen Interdisziplinarita¨t gepra¨gt war wie das Bonner Institut.41 Schlesinger hat sich sofort nach dem Erscheinen mit Ennens Buch in einem ausfu¨hrlichen Rezensionsartikel auseinandergesetzt.42 Wa¨hrend er die Grundgedanken akzeptierte und begru¨ßte, na¨mlich die Vorstellung von der Schaffung einer „neuen sozialen Ordnung“, die „zur Stadtgemeinde und folgerichtig zur Selbstverwaltung“ gefu¨hrt habe,43 kritisierte er doch die Beschra¨nkung der Arbeit auf die geographischen Schwerpunkte im kontinentalen Nordwesteuropa und in Italien. Positiv ausgedru¨ckt: Was die Topographie der werdenden Sta¨dte angeht, brachte er mit seinen eigenen Arbeiten, die mit dem Aufsatz „Burg und Stadt“ begannen,44 den mitteleuropa¨ischen Osten in die Diskussion ein, wie es seiner Herkunft aus der Ko¨tzschkeSchule entsprach. Erst im Vergleich der Fru¨hformen der Sta¨dtebildung im ostrheinischen Deutschland und im slawischen Bereich samt ihren Vorformen ergab sich fu¨r ihn ein Gesamtbild. Das ist ein wichtiger forschungsgeschichtlicher Anstoß gewesen, der durch die hohe Autorita¨t, die der Forscherperso¨nlichkeit Schlesingers zukam, große Schubkraft erhielt und die Diskussion der Folgezeit bewegt und bestimmt hat. Zwei methodische Ansto¨ße, die sich aus den Werken von Planitz und Ennen sowie aus den Arbeiten Schlesingers fu¨r die Stadtgeschichtsforschung, soweit sie sich topographischen Fragen widmete, ergaben, sind fu¨r die Folgezeit wichtig geworden, ja sind in den letzten Jahren gar in den Vordergrund geru¨ckt. Sie lassen sich in zwei Stichworten zusammenfassen. Archa¨ologie und Kartographie. Es ist fast eine Ironie,

2007, S. 285–357, hier S. 345; im selben Band auch der Aufsatz von Karlheinz Blaschke, Kaufmannssiedlungen als Fru¨hformen sta¨dtischer Entwicklung in Europa, S. 91–124. 41 Vgl. dazu Rudolf Ko¨tzschke und das Seminar fu¨r Landesgeschichte und Siedlungskunde an der Universita¨t Leipzig. Heimstadt sa¨chsischer Volkskunde, hg. v. Wieland Held/Uwe Schirmer, Beucha 1999. 42 Walter Schlesinger, Zur Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt. Bemerkungen zu: Edith Ennen, Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, Bonn 1953, in: WestfF 7 (1953), S. 229–239; ND in: Ders. Beitra¨ge zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Sta¨dte und Territorien, Go¨ttingen 1963, S. 68–91, 262 (zit.). 43 Schlesinger, Zur Fru¨hgeschichte (wie Anm. 42), S. 91. 44 Vgl. oben Anm. 10.

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dass Edith Ennen, mit ihrer Verbundenheit zur Schule der geschichtlichen Landeskunde und spa¨tere Herausgeberin des Rheinischen Sta¨dteatlas, ihrem Werk keine einzige Karte beigegeben hat. Planitz dagegen, der eher konservative und traditionsgebundene Forscher hat – obwohl er im Hinblick auf methodische und theoretische Ero¨rterungen als wortkarg zu bezeichnen ist – auf die Notwendigkeit des Studiums von Stadtgrundrissen, also kartographischem Material und Stadtansichten energisch hingewiesen,45 und sein Buch auch reich damit ausgestattet (45 Pla¨ne, 14 Ansichten), ohne allerdings zu einer gru¨ndlichen Analyse vorzustoßen. Es versteht sich, dass dieses von Planitz ins Spiel gebrachte Moment den Grundsa¨tzen der geschichtlichen Landeskunde, ihren Bestrebungen zur Kulturraumforschung und Kulturmorphologie entsprach. Die wichtigsten Ansto¨ße fu¨r die Stadtgeschichte auf diesem Gebiet kamen von einer Gruppe von Historikern, die aus dem deutschen Osten stammten, wie er sich vor dem Zweiten Weltkrieg dargeboten hatte, die sich in Hamburg um Hermann Aubin46 scharten (das Wort ist nicht ohne Bedacht gewa¨hlt) und die die Stadt des o¨stlichen Mitteleuropas zu ihrem Thema gemacht hatten: Paul Johansen aus Reval,47 Erich Keyser aus Danzig48 und Walter Kuhn aus Oberschlesien.49 Die politischen Konnotationen, in denen ihre Forschungen im Rahmen der sogenannten Ostforschung und der Vertriebenenpolitik standen, brauchen jetzt nicht ero¨rtert zu werden, aber in dieser Hamburger Forschergruppe sind wichtige methodische Ansa¨tze erarbeitet worden, die die stadtgeschichtliche Forschungsleistung der zweiten Jahrhundertha¨lfte nachhaltig pra¨gten, und zwar gerade durch die Einbeziehung der Kartographie und der Stadtplanforschung in die Darstellung der Ergebnisse stadtgeschichtlicher Forschung sowie die Einbeziehung kartographischer Quellen als Erkenntnisgrundlage fu¨r die genetische Entwicklung von Wachstums- und Schrumpfungsphasen der Sta¨dte. Es versteht sich, dass nun nicht lediglich die Fru¨hphase der Stadtentwicklung zur Debatte stand, wie in den Werken von Ennen und Planitz, sondern ihr Gesamtverlauf vom Hochmittelalter mit seiner ersten großen Welle der Urbanisierung mit ihrem Ho¨hepunkt im spa¨ten 13. Jahrhundert bis in die Neuzeit hinein. Vor allem ist in den Arbeiten dieser Gruppe, und besonders im Werk von Heinz Stoob,50 das o¨stliche Mitteleuropa mit einbezogen worden. Das traf

45 Planitz, Die deutsche Stadt (wie Anm. 4), S. VI. 46 Vgl. oben Anm. 19; zu seiner Person nur Eduard Mu ¨ hle, Fu¨r Volk und deutschen Osten. Der Histo-

riker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Du¨sseldorf 2005.

47 Vgl. Rossica Externa. Studien zum 15.–17. Jahrhundert. Festgabe fu¨r Paul Johansen zum

60. Geburtstag, hg. v. Hugo Weczerka, Marburg 1963, mit Schriftenverzeichnis S. 179–188, dazu Erga¨nzungen in: ZfO 31 (1982), S. 559–592. 48 Vgl. Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift fu¨r Erich Keyser zu seinem 70. Geburtstag, hg. v. Ernst Bahr, Marburg 1963, mit Bibliographie seiner Schriften und einer Wu¨rdigung durch Hermann Aubin S. 1–11. 49 Vgl. Gotthold Rhode/Hugo Weczerka, Zum Tode von Walter Kuhn 1903–1983, in: ZfO 32 (1983), Verzeichnis seiner Schriften ebd. 27 (1978), S. 532–554; Jakob Michelsen, Von Breslau nach Hamburg. Ostforscher am Historischen Seminar der Universita¨t Hamburg nach 1945, in: Lebendige Sozialgeschichte. Gedenkschrift fu¨r Peter Borowsky, hg. v. Rainer Hering/Rainer Nikolaysen, Wiesbaden 2003, S. 659–681. 50 Vgl. zu ihm Peter Johanek, Nachruf auf Heinz Stoob, in: WestfF 48 (1998), S. 627–637, mit Schriftenverzeichnis 1990–1998 und Hinweisen auf fru¨here Schriftenverzeichnisse, vgl. auch unten Anm. 53.

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sich mit den methodischen Forderungen, die Walter Schlesinger in seiner Rezension des Buchs von Edith Ennen erhoben hatte51 und die Erforschung des Sta¨dtewesens der sogenannten deutschen Ostsiedlung ist ein wichtiges Thema der deutschen Stadtgeschichtsforschung geblieben. Man darf behaupten, dass das Pha¨nomen der mittelalterlichen Urbanisierung u¨berhaupt erst durch diese kartographischen Arbeiten der Hamburger Schule deutliche Konturen erhielt und es ist hervorzuheben, dass es bereits die zweite Generation dieser Schule war, die neue methodologische Grundlagen schuf, indem Carl Haase und Heinz Stoob, beide Schu¨ler von Aubin, die Debatte um den Stadtbegriff neu ero¨ffneten. Sie taten dies, indem sie teils auf Max Weber52 zuru¨ckgreifend einen kombinierten Stadtbegriff entwickelten, der sich u¨ber ein Kriterienbu¨ndel definierte und eben dadurch fu¨r die Herausarbeitung einer differenzierten Typologie von Sta¨dten tauglich war. Dieses Vorgehen war auch hilfreich fu¨r die Herausarbeitung von Zeitschichten bei der Entstehung der Sta¨dte und diese konnten durch kartographische Erfassung wiederum ein differenziertes Bild der genannten Urbanisierungswelle bieten.53 Am eindrucksvollsten ist der Versuch Heinz Stoobs ausgefallen, diese Entwicklung kartographisch zu erfassen.54 Dies ist die eine Seite: die kartographische Erfassung und Darstellung stadtgeschichtlicher Pha¨nomene u¨ber die Einzelstadt hinaus. Auf der anderen steht die Bescha¨ftigung mit der Genese der einzelnen Sta¨dte, der Entwicklung ihres baulichen Ko¨rpers auf der Grundlage der Interpretation des Stadtgrundrisses, des Stadtplanes. Auch das war im Grunde nichts neues, aber die Ansa¨tze, die bereits an der Jahrhundertwende entwickelt und spa¨ter vor allem von Erich Keyser weiter vorangetrieben worden waren,55 wurden nun methodisch auf neue Grundlagen gestellt. Die Pla¨ne, die Planitz seiner „Deutschen Stadt“ beigegeben hatte, waren beliebig ausgewa¨hlt 51 Vgl. oben Anm. 42. 52 Wie Anm. 21. 53 Hier seien nur die wichtigsten Arbeiten genannt, die die Stadtgeschichtsforschung maßgebend beein-

flusst haben: Carl Haase, Stadtbegriff und Stadtentstehungsschichten in Westfalen, in: WestfF 11 (1958), S. 16–32 (Wiederabdruck in: ders. (Hg.), Die Stadt des Mittelalters, Bd. 1 (WdF 243), Darmstadt 21975); ders. Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdke 1, 11), Mu¨nster 1960, 4. Aufl. 1984; Heinz Stoob, Forschungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970, darin v. a.: Kartographische Mo¨glichkeiten zur Darstellung der Stadtentstehung in Mitteleuropa, besonders zwischen 1450 und 1800, S. 15–42 (urspru¨nglich 1956); Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, S. 225–245 (urspru¨nglich 1959); Die Ausbreitung der abendla¨ndischen Stadt im o¨stlichen Mitteleuropa, S. 73–128 (urspru¨nglich 1961). 54 Vgl. Heinz Stoob, Zwischen Autonomie und Dirigismus. Zum Sta¨dtenetz in Mitteleuropa vom Aufgange der Neuzeit bis zur Wende 1800, in: Recht Verfassung und Verwaltung in der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Michael Stolleis (StF A 31), Ko¨ln/Wien 1991, S. 267–282 mit beigegebener Karte. Dazu ist noch die graphische Darstellung der Entwicklung der Sta¨dtegru¨ndung seit dem Hochmittelalter heranzuziehen, die Stoob einer Karte der „Sta¨dtebildung in Mitteleuropa 1801–1945“ beigegeben hat, vgl. Heinz Stoob, Leistungsverwaltung und Sta¨dtebildung zwischen 1840 und 1940, in: Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vorma¨rz bis zur Weimarer Republik, hg. v. Hans Heinrich Blotevogel (StF A 30), Ko¨ln/Wien 1990, S. 215–240, mit beigegebener Karte. 55 Erich Keyser, Der Stadtgrundriß als Geschichtsquelle, in: Studium Generale 16, 6 (1963), S. 345–351; ¨ berblick u¨ber den Gang der Forschung bei Karlheinz Blaschke, Stadtplanforschung. vgl. auch den U Neue Methoden und Erkenntnisse zur Entstehung des hochmittelalterlichen Sta¨dtewesens in Mittel-,

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gewesen, Blockpla¨ne zumeist. Jetzt begann der Ru¨ckgriff auf die Katasterpla¨ne, parzellengenau vermessene Pla¨ne, wie sie in Europa z. T. bereits im 18. Jahrhundert, in ihrer Masse dann seit dem dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entstanden. Diese Pla¨ne stellen die a¨lteste gesicherte kartographische Quellengruppe fu¨r die Siedlungsgeschichte der Stadt, die Ausgangsbasis fu¨r den Versuch einer Ru¨ckschreibung bis auf die Verha¨ltnisse des Mittelalters dar. Es ist dieser methodische Ansatz, der zu einem großangelegten Quellenwerk gefu¨hrt hat, vermutlich des gro¨ßten, das es in der Stadtgeschichtsforschung bislang gegeben hat. Er fu¨hrte zur Publikation von Sta¨dteatlanten, d. h. zur Edition jener Urkatasterkarten samt zusa¨tzlichem Material als Interpretationshilfe.56 Es war dies ein Vorhaben, das im Schoß der „Commission Internationale pour l’Histoire des villes“ entwickelt und 1965 bei ihrer Sitzung in Wien beschlossen wurde. Die Kommission hat 1968 und 1995 Grundregeln fu¨r solche Sta¨dteatlanten niedergelegt, flexible Richtlinien innerhalb derer die Editoren in den einzelnen La¨ndern frei in der Gestaltung ihrer Publikationen waren und sind. Es versteht sich, dass es sich bei der Erarbeitung solcher Atlanten um ein a¨ußerst arbeitsintensives und immens zeitaufwendiges Unternehmen handelt. Die Arbeit an diesem internationalen Atlaswerk wurde durch die technische Entwicklung, insbesondere die Digitalisierung seit den neunziger Jahren, wesentlich erleichtert, bleibt aber weiterhin aufwendig. Dennoch: Seit der Zeit um 1970, als die Arbeiten begannen, sind bislang etwa 460 Sta¨dte in siebzehn europa¨ischen La¨ndern behandelt worden, und ein deutlicher Schwerpunkt ist dabei fu¨r Deutschland ¨ sterreich zu verzeichnen. Zwei Schu¨be sind dabei zu erkennen: der Impetus und O des Neubeginns um 1970 und dann ein zweiter in den neunziger Jahren. Zu diesem Zeitpunkt begann nach den politischen Umbru¨chen von 1989 auch in den o¨stlichen La¨ndern Mitteleuropas die Atlasarbeit, die zuvor nicht mo¨glich gewesen war. Dabei sind vor allem Polen und Tschechien besonders schnell vorangekommen und in beiden La¨ndern sind durch die Ausweitung der Materialbasis neue Maßsta¨be gesetzt worden. Es ist nicht zu verkennen, dass bereits durch die Planung und Verwirklichung der Atlasarbeit die Basis fu¨r eine Europa¨isierung der nationalen Stadtgeschichtsforschung gelegt wurde. Jedoch blieb es zuna¨chst im Wesentlichen bei der Konzentration auf das jeweils eigene Land, auch im Gebrauch und in der Verwertung der Sta¨dteatlanten. Erst nach der Jahrtausendwende, also in der ju¨ngsten Zeit la¨sst sich der Beginn einer u¨bergreifenden Debatte beobachten. Sie stellt vergleichende Fragen an

Ost- und Nordeuropa (SbbSa¨chsAkLeipzig, Phil.-Hist. Kl. 138, 4), Leipzig 2003; ders., Kaufmannssiedlungen (wie Anm. 40). 56 Vgl. dazu den U ¨ berblick von Roman Czaja, Die historischen Atlanten der europa¨ischen Sta¨dte, in: Jahrbuch fu¨r europa¨ische Geschichte 3 (2002), S. 205–215; sowie Ferdinand Opll, Europa¨ische Sta¨dteatlanten. Ein Beitrag zu vier Jahrzehnten Stadtgeschichtswissenschaft in Europa, in: Arhivistila – Zgodovina – Pravo. Vilfanov spominski zbornik/Archivkunde – Geschichte – Recht. Gedenkschrift fu¨r Sergij Vilfan/Archives – History – Law. Vilfan’s Memorial Volume (Zgodovinski arhiv Ljubljana, Gradivo in razorave 30), Ljubljana 2007, S. 71–86; ein Verzeichnis aller erschienenen Sta¨dteatlanten ist u¨ber die Anm. 13 genannte Internetadresse der Commission internationale pour l’histoire des villes sowie die Homepage des Wiener Stadt- und Landesarchivs (http://www.wien.gv.at/kultur/archiv/ kooperationen/lbi/staedteatlas/bibliographie/index.html) erreichbar.

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das publizierte Material, um die Genese und den weiteren Entwicklungsverlauf einzelner topographischer Pha¨nomene zu verfolgen wie Marktentwicklung und Befestigungsbau, Wachstums- und Schrumpfungsphasen, Siedlungsgenese, Planung und Umorganisation und vieles andere, vor allem auch wieder den Zusammenhang von Sozialgefu¨ge und Topographie, der bei Ennen und Planitz eine so große Rolle gespielt hatte.57 Es sind diese Fragen, die den ersten Teil unserer Tagung beherrschen werden. So wa¨re auch hier die Linie durchgezogen von den Ansto¨ßen der fu¨nfziger Jahre bis in die Gegenwart, die Konstanten der Forschung markiert, so sehr sich die Fragestellungen im Einzelnen gea¨ndert haben mo¨gen. Man ko¨nnte diese neue Debatte ganz einfach den allgemeinen Internationalisierungstendenzen in der media¨vistischen Forschung seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts zuschreiben, die unbestreitbar und allgemein sichtbar sind.58 Doch in diesem speziellen Falle gru¨ndet sie auch auf dem Faktum, dass nun ein genu¨gend umfangreiches Ensemble an Material zur Verfu¨gung steht, das eine solche Debatte geradezu herausfordert, auf der Tatsache, dass sozusagen eine kritische Masse erreicht ist. Insbesondere hat auch der sogenannte ‚spatial turn‘59, der die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren erfasst hat, das seine dazu getan, dass Raumpha¨nomenen wieder gro¨ßere Beachtung geschenkt wird, seien es nun sozial und mental konstruierte Ra¨ume (die sich gegenwa¨rtig besonderer Beliebtheit erfreuen) oder eben die realen durch Stadtgestaltung vorgegebenen Ra¨ume. Das alles hat sicher zur Entstehung neuer Debatten beigetragen, jedoch kommt ein weiterer Faktor hinzu, der die methodischen Grundlagen der Atlasarbeit betrifft. Das ist die Herausforderung durch die Archa¨ologie. Bereits bei Ennen und Planitz hat der Ru¨ckgriff auf die Archa¨ologie und die Einbeziehung ihrer Befunde in die eigene Darstellung und Argumentation eine gewisse Rolle gespielt, Edith Ennen bedankte sich beispielsweise in ihrem Vorwort bei Raphael von Uslar fu¨r erfahrene Hilfe.60 Noch aber blieb dergleichen – außer bei Betrachtung der fru¨h- und hoch-

57 Den Beginn dieser neuen Phase markieren etwa die von der „Atlas Working Group“ der „Commis-

sion Internationale pour l’histoire des villes“ veranstaltete Tagungen „Me´tropoles me´die´vales“, Bologna 1997, und „Shaping Urban Space over Time: Middle Ages“ (Comparative Urban Studies based on the Publication of Historic Town Atlases), Dublin 8.–9. Juni 2006 (Leitung Anngret Simms). Die Referate der ersten Tagung sind publiziert: Medieval Metropolises – Metropoli Medievali. Proceedings of the Atlas Working Group International Commision for the History of Towns, Bologna maggio 1997, a cura di Francesca Bocchi (Attraverso le citta` italiane 6), Bologna 1999; darin bes. Ferdinand Opll, Colonia e Vienna nel medioevo: un confronto, S. 71–102, vgl. auch ders., Wien – nach Ko¨ln eine der bedeutendsten Sta¨dte des Regnum Theutonicum. Ein Sta¨dtevergleich, in: Janssen/Wensky, Mitteleuropa¨isches Sta¨dtewesen (wie Anm. 18), S. 63–89. 58 Vgl. dazu Peter Johanek, Mittelalterforschung in Deutschland um 2000, in: Meda¨vistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplina¨ren Mittelalterforschung (MitteralterStudien 1), Mu¨nchen 2003, S. 21–33, hier S. 24–27. 59 Vgl. nur Doris Bachman-Medick, Spatial turn, in: dies., Cultural Turns, Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, 32009, S. 284–328; Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hg. v. Jo¨rg Do¨ring/Tristan Thielmann u. a., Bielefeld 2002; Sigrid Weigel, Zum „topographical turn“. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik, 2,2 (2002), S. 151–165. 60 Ennen, Fru¨hgeschichte (wie Anm. 5), 3. Aufl., S. IX.

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mittelalterlichen Handelspla¨tze und Emporia61 – peripher. Das hat seine Gru¨nde. Als Ennen und Planitz schrieben, gab es in Deutschland noch keine Mittelalterarcha¨ologie, weder vom Konzept her, noch gab es dazu einen methodologischen Rahmen, geschweige denn die organisatorische Grundlage in der Bodendenkmalpflege. Zwar gab es eine verha¨ltnisma¨ßig große Masse von Material, die durch die Mo¨glichkeit großer Fla¨chengrabungen in den kriegszersto¨rten Sta¨dten angefallen war, und die Grabungen in Magdeburg zu jener Zeit wu¨rde man in heutiger Wissenschaftsterminologie als Pilotprojekt bezeichnen ko¨nnen.62 Wa¨hrend sich jedoch beispielsweise in Großbritannien bereits in den fu¨nfziger Jahren die Mittelalterarcha¨ologie institutionell etablierte,63 brauchte man in Deutschland la¨nger. Es kam vermehrt zu Kirchengrabungen innerhalb und außerhalb von Sta¨dten,64 auch Arbeiten zur Chronologie der Keramik entstanden,65 doch ein wirklicher Wandel, vor allem im Hinblick auf die Stadtarcha¨ologie, vollzog sich erst im Zuge der Zersto¨rungswelle der siebziger Jahre im Zuge der Stadtsanierungen und wieder in den spa¨ten achtziger und neunziger Jahren mit einem Schub, der mit dem Umbau der Sta¨dte in jener Boomzeit zusammenha¨ngt.66 Seit den siebziger Jahren ist die Mittelalterarcha¨ologie eine etablierte Disziplin: 1973 wurde die „Arbeitsgemeinschaft fu¨r Archa¨ologie des Mittelalters“ bei den deutschen Altertumsverba¨nden gegru¨ndet, die fortan die „Zeitschrift fu¨r Archa¨ologie des Mittelalters“ herausgab, 1974 erfolgte an der Universita¨t Wu¨rzburg die erste Habilitation fu¨r Archa¨ologie des Mittelalters,67 1981 wurde in Bamberg der erste Lehrstuhl fu¨r Mittelalterarcha¨ologie

61 Hier gingen bereits in der Zwischenkriegszeit Impulse von den Grabungen in Haithabu aus, vgl. dazu

nur Herbert Jankuhn, Haithabu. Eine germanische Stadt der Fru¨hzeit, Neumu¨nster 1937, seit der 3. Aufl. 1956 unter dem Titel: Haithabu. Ein Handelsplatz der Wikingerzeit, 8. Aufl. 1986; die Neuauflage unter Titela¨nderung von 1956 belegt, abgesehen von den politischen Konnotationen, einmal mehr den Neuansatz der Stadtgeschichtsforschung um die Mitte der fu¨nfziger Jahre. 62 Vgl. Ernst Nickel, Ein mittelalterlicher Hallenbau am Alten Markt in Magdeburg (Ergebnisse der archa¨ologischen Stadtkernforschung in Magdeburg 1), Berlin 1960; ders., Der „Alte Markt“ in Magdeburg (Ergebnisse der archa¨ologischen Stadtkernforschung in Magdeburg 2), Berlin 1964. 63 Die „Society for Medieval Archaeology“ wurde 1957 gegru¨ndet und gab von diesem Jahre an die Zeitschrift „Medieval Archaeology“ heraus. 64 Eine der maßgeblichen Grabungen fand in der St. Dionysiuskirche in Esslingen statt, vgl. Gu¨nther P. Fehring, Fru¨hmittelalterliche Kirchenbauten unter St. Dionysius zu Esslingen am Neckar, in: Germania 44 (1966), S. 354–377; ders., Die Ausgrabungen in der Stadtkirche St. Dionysius zu Esslingen am Neckar. Vorla¨ufiger Abschlußbericht, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins fu¨r Kunstwissenschaft 19 (1965); die endgu¨ltige Publikation: ders./Barbara Scholkmann, Die Stadtkirche St. Dionysius zu Esslingen am Neckar. Archa¨ologie und Baugeschichte (Forschungen und Berichte der Archa¨ologie des Mittelalters in Baden-Wu¨rttemberg 13), Bd. 1, Stuttgart 1995. 65 Beispielsweise Uwe Lobbedey, Untersuchungen mittelalterlicher Keramik, vornehmlich aus Su¨dwestdeutschland (Arbeiten zur Fru¨hmittelalterforschung 3), Berlin 1968. 66 Vgl. dazu etwa den knappen U ¨ berblick von Matthias Untermann, Archa¨ologie in der Stadt: Zum Dialog der Mittelalterarcha¨ologie mit der su¨dwestdeutschen Stadtgeschichtsforschung, in: Stadt und Archa¨ologie, hg. v. Bernhard Kirchga¨ssner/Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 26), Stuttgart 2006, S. 9–44, hier S. 10f. 67 Gu¨nter P. Fehring; dieses Habilitationsverfahren wurde von dem Mittelalterhistoriker Otto Meyer initiiert und gegen betra¨chtlichen Widerstand der klassischen Archa¨ologie durchgesetzt (Autopsie des Verfassers).

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eingerichtet, seit den ausgehenden achtziger Jahren gibt es zunehmend institutionalisierte Stadtarcha¨ologen in der Bundesrepublik, und 1987 publizierte Gu¨nther P. Fehring erstmals seine „Einfu¨hrung in die Archa¨ologie des Mittelalters“68. Ohne auf konkrete Einzelheiten einzugehen, sei lediglich angemerkt, dass sich im o¨stlichen Mitteleuropa die Mittelalterarcha¨ologie fru¨her entwickelte und durchsetzte. Das gilt auch fu¨r die DDR, vor allem, was die dort aus politischen Gru¨nden favorisierte Slavenforschung angeht.69 In die Stadtgeschichtsforschung hat die Archa¨ologie vor allem Walter Schlesinger eingefu¨hrt. Es ist sein Verdienst, wenn viele Sta¨dteforscher begannen, auf diesem Gebiet interdisziplina¨r zu denken. All das betraf vor allem – Schlesingers Interessen entsprechend – die Fru¨hstadien der Stadtentwicklung, ihren Zusammenhang mit Burg und Pfalz. Hier liegen die Anfa¨nge der archa¨ologischen Argumentation in der Stadtgeschichte, und es ging dabei eher um punktuelle Probleme, nicht um die Stadtgestalt und ihre Gliederung als Ganzes. Heute greift die Stadtarcha¨ologie weit daru¨ber hinaus, und dabei kommt es immer ha¨ufiger zu Kontroversen mit den Stadthistorikern, die bei ihrer Rekonstruktion der mittelalterlichen Verha¨ltnisse von den Katasterkarten, d. h. den Sta¨dteatlanten ausgehen. Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Archa¨ologische Befunde zeigen nicht selten ein anderes Bild von Straßenfu¨hrung und gelegentlich auch Parzellenstruktur, als es das Bild der Urkatasterkarte vermuten la¨sst. Das hat – wie sich denken la¨sst – zu Vorbehalten der Archa¨ologie gegen die Verwertung kartographischer Quellen gefu¨hrt, wa¨hrend auf der anderen Seite das Vertrauen der Initiatoren der Atlaswerke in die spa¨t entstandenen Kataster sicher zu groß gewesen ist. Auch in der Interpretation der Schriftquellen gehen die Meinungen und Vorstellungen von Historikern und Archa¨ologen nicht selten auseinander.70 Die Forschung steht hier an einem Punkt, an dem die beiden Disziplinen sich nicht voneinander abwenden du¨rfen, sondern gemeinsam die Kriterien erarbeiten 68 Gu¨nter P. Fehring, Einfu¨hrung in die Archa¨ologie des Mittelalters, Darmstadt 1987, 32000; auf die

Entwicklung des Faches wird dort (S. 2f.) leider nur knapp eingegangen; zur Stadtarcha¨ologie vgl. ders., Stadtarcha¨ologie in Deutschland, Stuttgart 1996; zur Entwicklung des Faches noch Heiko Steuer, Entstehung und Entwicklung der Archa¨ologie des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit in Mitteleuropa. Auf dem Weg zu einer eigensta¨ndigen Mittelalterkunde, in: ZAM 25/26 (1997/98), S. 19–38. 69 Betroffen waren hier vor allem die fru¨hen sta¨dtischen Entwicklungen, fu¨r die der Begriff „Fru¨hstadt“ ¨ berblick Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der gepra¨gt wurde, vgl. dazu nur den U slawischen Sta¨mme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert. Ein Handbuch, hg. v. Joachim Herrmann (Vero¨ffentlichungen des Zentralinstituts fu¨r Alte Geschichte und Archa¨ologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 14), Berlin 1985, S. 232–251, 269–272. 70 Vgl. etwa Barbara Scholkmann, DieTyrannei der Schriftquellen? U ¨ berlegungen zum Verha¨ltnis mate¨ berlieferung in der Mittelalterarcha¨ologie, in: Zwischen Erkla¨ren und Versterieller und schriftlicher U hen? Beitra¨ge zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen archa¨ologischer Interpretation, hg. v. Marlies Heinz/Manfred K. H. Eggert/Ulrich Veit (Tu¨binger archa¨ologische Taschenbu¨cher 2), Mu¨nster u. a. 2003, S. 239–257; dies., Zwischen Mythos und Befund. Eine kritische Bilanz zum Thema „Die vermessene Stadt“ aus der Sicht der archa¨ologischen Stadtkernforschung, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft fu¨r Archa¨ologie des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit 15 (2004), S. 180–184; Untermann, Archa¨ologie in der Stadt (wie Anm. 66); ders., Das „Harmonie“-Gela¨nde in Freiburg im Breisgau (Forschungen und Berichte der Archa¨ologie des Mittelalters in Baden-Wu¨rttemberg 19), Stuttgart 1995, S. 151–156.

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mu¨ssen, wie die Befunde der Archa¨ologie jeweils das Bild der Katasterkarte differenzieren, in welchem Verha¨ltnis Konstanz und Wandel im Stadtbild zueinander stehen. Katalin Szende hat ku¨rzlich das Problem plakativ und treffend bezeichnet: „How far back?“71 Wie weit zuru¨ck vermag der Kataster – und zwar in jedem Einzelfall – als Wegweiser dienen? Worin liegt der Nutzen solcher Karten fu¨r die Rekonstruktion der mittelalterlichen Verha¨ltnisse und wo sto¨ßt ihre Auswertung auf Grenzen? Das ist ein Problem, das nur im Zusammenwirken der Disziplinen zu lo¨sen ist. Die Diskussion hat begonnen und wird – zumal hier in Wien im na¨chsten Jahr72- weitergefu¨hrt werden. Diese Diskussion ist auch deshalb notwendig, weil die Einbeziehung archa¨ologischer Befunde in die Stadtgeschichtsforschung der wohl wichtigste Impuls in der Entwicklung dieser Disziplin in den letzten fu¨nfzig Jahren gewesen ist. Die Kooperation mit der Archa¨ologie ist es gewesen, die in besonderer Weise den Weg der Stadtgeschichtsforschung in die Interdisziplinarita¨t gewiesen hat. Damit stehen wir an einem Einschnitt.73 Was bislang zu sagen war, suchte die Auswirkungen in allen ihren Verzweigungen zu beschreiben, die der Impuls ausgelo¨st hat, der von den Bu¨chern Ennens und Planitz ausgegangen ist und hat sie verfolgt bis in die Gegenwart, in die gegenwa¨rtige Situation der Stadtgeschichtsforschung. Das zu tun, hatte ich zu Beginn angeku¨ndigt. Dabei liegt auf der Hand, dass es in der Stadtgeschichtsforschung noch anderes und viel Neues gibt, wie es auch der zweite Teil unseres Tagungsprogramms ausweist. Davon ist nun zu sprechen, aber selbst bei allem Bemu¨hen um Knappheit la¨sst sich eine gewisse Ausfu¨hrlichkeit nicht vermeiden. Zu beginnen ist vielleicht damit, dass sich die Stadtgeschichtsforschung wa¨hrend der Zeitspanne dieses Halbjahrhunderts immer wieder auch mit Fragen der Interdisziplinarita¨t des Faches und den verschiedenartigen Zuga¨ngen zu seinen Problemen bescha¨ftigte und dass die Offenheit fu¨r multidisziplina¨re Anna¨herungen zugenommen hat.74 Ebenso ist die Diskussion um den Stadtbegriff, wie sie von Max Weber angestoßen worden war und in den fu¨nfziger Jahren von Carl Haase und Heinz Stoob wieder aufgegriffen wurde,75 nicht abgerissen. Insgesamt hat sie ganz offenkundig davon profitiert, dass sie immer ha¨ufiger in Konfrontation mit den Pha¨nomenen der Urbanisierung des Industriezeitalters gefu¨hrt wurde und sich nicht auf die mittelalterliche Stadt beschra¨nkte.76 Es versteht sich auch fast von selbst, dass die

71 Jacinta Prunty und Katalin Szende leiteten auf der Konferenz „Descriptio Urbis. Measuring and repre-

senting the Modern and Contemporary City“ in Rom (27.–29. Ma¨rz 2008) eine Session mit dem Titel: „How far back? The use of cadastral maps in reconstructing the urban past“. Ein Teil der Vortra¨ge wird in einem Sammelband des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster vero¨ffentlicht werden. 72 Die von Ferdinand Opll initiierte Tagung „Stadtgru¨ndung und Stadtwerdung: Beitra¨ge von Archa¨ologie und Stadtgeschichtsforschung“, Wien, 6.–9. Oktober 2009. 73 Mein Wiener Vortrag endete im Wesentlichen an dieser Stelle, und gab fu¨r die weitere Entwicklung nur wenige Stichworte. Die folgenden Ausfu¨hrungen wurden fu¨r die Drucklegung hinzugefu¨gt. 74 Vgl. nur Stadtgeschichtsforschung. Aspekte, Tendenzen, Perspektiven, hg. v. Fritz Mayrhofer (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 12), Linz/Donau 1993. 75 Vgl. oben mit Anm. 53. 76 Als eine Art Bilanz mag gelten Vielerlei Sta¨dte. Der Stadtbegriff, hg. v. Peter Johanek/Franz-Joseph Post (StF A 61), Ko¨ln u. a. 2004, vgl. noch unten mit Anm. 124.

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traditionelle Verbindung von Landesgeschichte und Stadtgeschichtsforschung fortbestanden hat und eine Fu¨lle von Monographien einzelner Sta¨dte hervorgebracht hat. Das gilt vor allem fu¨r die siebziger, achtziger und beginnenden neunziger Jahre, als viele Kommunen aus dem Bedu¨rfnis nach sta¨dtischer Selbstdarstellung Darstellungen ihrer Geschichte in Auftrag gaben oder fo¨rderten.77 Ein anderes Faktum in einer allgemeinen Bilanz mag angesichts der Fu¨lle und Vielfalt der Publikationen u¨berraschen. Oder ist das letztere der Grund dafu¨r? Wie immer dem auch sei, in deutscher Sprache sind seit dem zweiten Weltkrieg nur vier Gesamtdarstellungen der Geschichte der mittelalterlichen Stadt vorgelegt worden. Die erste stammt von Edith Ennen und fasst die europa¨ischen Verha¨ltnisse in ihrer Gesamtheit ins Auge.78 Um das Wendejahr 1989 erschienen zwei umfassende Bu¨cher zur deutschen Stadt des Mittelalters, von Eberhard Isenmann und Evamaria Engel,79 von denen der erste durch die Wissenschaftstradition der Bonner Bundesrepublik, die andere durch die Geschichtswissenschaft der DDR gepra¨gt wurde. Diese beiden Werke du¨rfen derzeit als die repra¨sentativen Gesamtdarstellungen gelten, wa¨hrend der knappe Band von Felicitas Schmieder seiner Intention nach als Einfu¨hrung fu¨r Studierende gedacht ist.80 Bemerkenswert bleibt, dass ju¨ngst der franzo¨sische Forscher Pierre Monnet eine Gesamtdarstellung in franzo¨sischer Sprache publiziert hat.81 In jedem Fall muss die Rede sein von den Auswirkungen, die der tiefe Einschnitt in der deutschen Geschichtswissenschaft seit dem Ausgang der sechziger Jahre gezeitigt hat und der mit dem Schlagwort von der Geschichte als kritischer Sozialwissenschaft charakterisiert werden kann. Es ist nicht so, dass die Stadtgeschichtsforschung zuvor von der Sozialgeschichte ganz unberu¨hrt geblieben sei. Unter dem Einfluss von Erich Maschke, von dem schon die Rede war,82 begannen bereits seit 1960 Arbeiten zur sozialen Schichtung und zu sozialen Gruppen in der mittelalterlichen Stadt.83 Was aber seit jener Wende, die oft auch als Paradigmenwechsel bezeichnet 77 Vgl. dazu die im Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster erarbeiteten Literaturberichte

zur Sta¨dtegeschichte in: BllDtLG 116 (1980), S. 193–454; 117 (1981), S. 595–665; 123 (1987), S. 299–604; 128 (1992), S. 387–852; 132 (1996), S. 271–665; 138 (2002), S. 261–824; die „Bla¨tter“ haben inzwischen die Sparte der Literaturberichte eingestellt, das Institut wird in Zukunft seine Berichterstattung im ¨ sterreich vgl. die ja¨hrlichen Bibliographien zur Sta¨dtegeschichte in der ZeitInternet fortsetzen, fu¨r O schrift „Pro Civitate Austriae“. 78 Edith Ennen, Die europa¨ische Stadt des Mittelalters, Go¨ttingen 1972, 4. Aufl. 1987. 79 Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spa¨tmittelalter 1250–1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988; Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters, Mu¨nchen 1993, Neuauflage unter dem Titel: Die deutsche Stadt im Mittelalter, Du¨sseldorf 2005. 80 Felicitas Schmieder, Die mittelalterliche Stadt, Darmstadt 2005; soeben ist ein a¨hnlicher Band erschienen: Frank Hirschmann, Die Stadt im Mittelalter (enzyklopa¨die deutscher geschichte 84), Mu¨nchen 2009; zu verweisen ist noch auf die Abschnitte zur Stadt in: Ulf Dirlmeier/Gerhard Fouquet/Bernd Fuhrmann, Europa im Spa¨tmittelalter, 1215–1378 (Oldenbourg Grundriß 8), Mu¨nchen 2003, S. 68–77, 206–208. 81 Pierre Monnet, Les villes d’Allemagne au moyen aˆge, Paris 2004. 82 Vgl. oben mit Anm. 8. 83 Vgl. Maschke, Sta¨dte und Menschen (wie Anm. 8), darin v. a. Verfassung und soziale Kra¨fte in der deutschen Stadt des spa¨ten Mittelalters, vornehmlich in Oberdeutschland, S. 170–274 (Erstdruck 1959), ebenso die Aufsa¨tze zu den sozialen Schichten, S. 275–379.

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wurde, sich in der Stadtgeschichtsforschung vollzog, war noch etwas anderes. Wieder, und noch deutlicher, steht die wissenschaftsinterne Entwicklung unu¨bersehbar in Bezu¨gen zur politischen Lebenswelt jener Zeit: Einem Wort des deutschen Bundespra¨sidenten Gustav Heinemann folgend, er wu¨nsche sich, dass die Oppositionsbewegungen innerhalb der deutschen Geschichte sta¨rker zum Gegenstand der Forschung gemacht wu¨rden,84 hat eine ganze Generation von Stadthistorikern Stadtgeschichte zunehmend unter dem Blickwinkel der Kategorie Konflikt betrieben,85 geradezu auch von einer Verfassungsgeschichte des Konflikts gesprochen. Dabei holte die Bundesrepublik nur nach, was in Westeuropa beispielsweise mit dem Buch „Ongles ¨ berbleus, Jacques et Ciompi“ von Michel Mollat und Philippe Wolff86 und mit U legungen des tschechischen Forschers Frantisˇek Graus87 schon fru¨her begonnen und beispielsweise auch in der DDR substanzreiche Forschungen hervorgebracht hatte.88 Nun ist es nicht so, als ob die deutsche Stadtgeschichtsforschung sich zuvor nicht um die sta¨dtischen Unruhen, Aufla¨ufe und Aufsta¨nde, eben die Konflikte innerhalb der sta¨dtischen Gesellschaft, geku¨mmert ha¨tte. Bereits das ausgehende 19. Jahrhundert hat ihnen Aufmerksamkeit zugewendet,89 und auch beispielsweise Hans Planitz verwies auf sie in seinem Kapitel u¨ber die Zu¨nfte.90 Sie wurden als Auseinandersetzung um die Stadtverfassung zwischen Patriziat und Zu¨nften begriffen und zumeist unter dem Begriff „Zunftka¨mpfe“ zusammengefasst.

84 Gustav W. Heinemann, Reden und Interviews 1. Juli 1973–1. Juli 1974, hg. v. Presse- und Informati-

onsamt der Bundesregierung, [Bonn] 1974, S. 169. 85 Vgl. programmatisch Olaf Mo ¨ rke, Der „Konflikt“ als Kategorie sta¨dtischer Sozialgeschichte der

Reformationszeit. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel der Stadt Braunschweig, in: Studien zum Sta¨dtewesen im Spa¨tmittelalter, hg. v. Bernhard Diestelkamp (StF A 12), Ko¨ln/Wien 1982, S. 144–161. 86 Michel Mollat/Philippe Wolff, Ongles bleus, Jacques et Ciompi. Les re´volutions populaires en Europe au 14e et 15e sie`cles, Paris 1970; Guy Fourquin, Les soule`vements populaires au moyen aˆge, Paris 1970, sowie etwa Raymond Cazelles, Les mouvements re´volutionnaires du milieu du XIVe sie`cle et le cycle de l’action politique, in: RH 228 (1962), S. 279–312; Philippe Wolff, Les luttes sociales dans les villes du Midi franc¸ais, XIIIe–XVe sie`cle, in: Annales E. S. C. 1947, S. 443–454. 87 Vgl. etwa Frantisˇek Graus, Struktur und Geschichte. Drei Volksaufsta¨nde im mittelalterlichen Prag (VuF, Sonderband 7), Sigmaringen 1971, bes. S. 45–96. 88 Das Thema wurde dort zuerst aufgegriffen in: Sta¨dtische Volksbewegungen im 14. Jahrhundert, hg. v. Erika Engelmann, Berlin 1960, sowie ausfu¨hrlich von Karl Czok, Zunftka¨mpfe, Zunftrevolutionen oder Bu¨rgerka¨mpfe, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universita¨t. Gesellschaftsu. sprachwissenschaftliche Reihe 8 (1958/59), S. 129–143; ders. Sta¨dtische Volksbewegungen im deutschen Spa¨tmittelalter. Ein Beitrag zu Bu¨rgerka¨mpfen und innersta¨dtischen Bewegungen wa¨hrend der fru¨hbu¨rgerlichen Revolution, Habil.schrift (Masch.), Leipzig 1963; zur weiteren Entwicklung vgl. Evamaria Engel, Stadtgeschichtsforschung zum Mittelalter in der DDR. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, in: Mayrhofer, Stadtgeschichtsforschung (wie Anm. 74), S. 81–99; vgl. auch dies., Bu¨rgertum – Bu¨rgerkampf – Bu¨rgerstadt. Probleme beim Versuch einer Synthese deutscher Stadtgeschichte des Mittelalters, in: Mittelalterforschung nach der Wende 1989, hg. v. Michael Borgolte (HZ, Beihefte NF 20), Mu¨nchen 1995, S. 407–425. 89 Z. B. in der einflussreichen Abhandlung Gustav Schmoller, Straßburg zur Zeit der Zunftka¨mpfe und die Reform seiner Verfassung und Verwaltung im XV. Jahrhundert, Straßburg 1875; als Beispiel fu¨r die verfassungsgeschichtliche Sicht v. a. Bruno Schlotterose, Die Ratswahl in den deutschen Sta¨dten des Mittelalters Diss. (Masch.), Mu¨nster 1953. 90 Planitz, Die deutsche Stadt (wie Anm. 4), S. 275f.

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Was jedoch nun seit Anfang der siebziger Jahre in der Bundesrepublik abgehandelt wurde, griff u¨ber den bisherigen Rahmen weit hinaus. In zahlreichen Fallstudien, aber auch im weitra¨umigen Vergleich wurden Tra¨gergruppen und Fu¨hrungsperso¨nlichkeiten, Verlaufsformen und Topographie, die Konstellationen der innersta¨dtischen sozialen Kra¨fte (Bu¨rger, Einwohner und ihre Zusammenschlu¨sse, geistliche Institutionen, Stadtherr) untersucht und dabei der Versuch unternommen, Konflikttypen herauszuarbeiten. Wichtig wurde dabei zunehmend, neben der Kategorie „Konflikt“ auch „Konsens“ und „Gemeinde“ in den Blick zu nehmen und damit Fragen nach Kommunalismus91, Republikanismus oder gar einer Vorgeschichte der Demokratie92 zu stellen. So wird auch in diesem seit den sechziger/siebziger Jahren erstarkendem Zweig der Stadtgeschichtsforschung wiederum eine Variante des Erkenntnisinteresses sichtbar, das Planitz und Ennen nach der Entstehung der bu¨rgerlichen Freiheiten fragen ließ. Als Protagonisten dieser Diskussion, an der viele teilnahmen und die nicht nur das eigentliche Mittelalter behandelte, sondern in starkem Maße auch die Reformationszeit einbezog, du¨rfen in der Bundesrepublik Wilfried Ehbrecht93 und Peter Blickle94 sowie in der DDR Karl Czok95 und Gu¨nter Vogler96 gelten. In dieser Feststellung liegt auch das eigentlich interessante Faktum der Wissenschaftsgeschichte. Wa¨hrend die Mittelalterforschung der Bundesrepublik Arbeiten aus der DDR im allgemeinen nicht als Impulse wahrnahm, kam es auf diesem Forschungsfeld zu einer echten Diskussion, nur hier ist die DDR-Forschung als Anregung und Herausforderung empfunden und als Ansatzpunkt fu¨r eine sachbezogene Auseinandersetzung genutzt worden.97 Daneben steht auch anderes, etwa die im Grunde banale Tatsache, dass 1975 ein Jubila¨um des großen deutschen Bauernkrieges zuwu¨rdigen war 91 Vgl. Blickle, Kommunalismus (wie Anm. 35), sowie ders., Kommunalismus, Parlamentarismus,

Republikanismus, in: HZ 242 (1986), S. 529–556.

92 Vgl. Peter Moraw, Aufruhr in der Stadt. Bu¨rgerka¨mpfe im Spa¨tmittelalter, in: Aufsta¨nde, Unruhen,

Revolutionen. Zur Geschichte der Demokratie, hg. v. Hans Sarkowitz, Berlin 1998, S. 7–24, oder den Sammelband Einwohner und Bu¨rger auf dem Weg zur Demokratie. Von den antiken Stadtrepubliken zur modernen Kommunalverfassung, hg. v. Hans Eugen Specker (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 28), Ulm 1997, der auch zwei Aufsa¨tze zum Mittelalter von Wilfried Hartmann (S. 27–44) u. Peter Johanek (S. 45–73) entha¨lt. 93 In zahlreichen Abhandlungen seit 1974, vgl. dazu die Auswahl im Sammelband: Wilfried Ehbrecht, ¨ berlegungen zur a¨lteren Verfassungsgeschichte deutscher Sta¨dte, Konsens und Konflikt. Skizzen und U hg. v. Peter Johanek (StF A 56), Ko¨ln/Weimar/Wien 2001, mit Schriftenverzeichnis S. 473–481. 94 Vgl. nur dessen U ¨ berblick: Peter Blickle, Unruhen in der sta¨ndischen Gesellschaft (Enzyklopa¨die Deutscher Geschichte 1), Mu¨nchen 1988; ders., Kommunalismus (wie Anm. 35). 95 Vgl. Anm. 88. 96 Vgl. etwa Gu¨nter Vogler, Probleme der Klassenentwicklung in der Feudalgesellschaft. Betrachtungen u¨ber die Entwicklung des Bu¨rgertums in Mittel- und Westeuropa vom 11. bis zum 18. Jahrhundert, in: ZfG 21 (1973), S. 1182–1208; ders., Nu¨rnberg 1524/25. Studien zur Geschichte der reformatorischen und sozialen Bewegung in der Reichsstadt, Berlin 1982, sowie seine fu¨hrende Rolle in der Diskussion um den Begriff „Fru¨hbu¨rgerliche Revolution“, z. B. ders., Reformation als „fru¨hbu¨rgerliche Revolution“. Eine Konzeption im Meinungsstreit, in: Zwingli und Europa. Referate und Protokoll des Internationalen Kongresses aus Anlaß des 500. Geburtstags von Huldrych Zwingli, hg. v. Peter Blickle/ Andreas Lindt/Alfred Schindler, Go¨ttingen/Zu¨rich 1985, S. 47–69. 97 Dafu¨r bezeichnend ist auch, dass Peter Blickle den Band „Unruhen in der sta¨ndischen Gesellschaft“ (wie Anm. 94) Gu¨nter Vogler widmete und Wilfried Ehbrecht einen Aufsatz in der Festschrift fu¨r Karl Czok publizierte, vgl. Ehbrecht, Konsens (wie Anm. 93), S. 481 zu 2001.

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und – dies schon elementarer – auch die Zeit selbst durch die Ereignisse von 1968 und den sich in ihnen manifestierenden Wandel politischer Einstellungen zur Auseinandersetzung mit revolutiona¨ren Bewegungen herausforderte oder einlud.98 Weniger allerdings sind die Arbeiten der westeuropa¨ischen Geschichtswissenschaft, etwa der Annales-Gruppe, Ausgangspunkt fu¨r die Bescha¨ftigung mit den mittelalterlichen Bu¨rgerka¨mpfen geworden. Die Bescha¨ftigung mit den Stadtkonflikten und Bu¨rgerka¨mpfen ist nicht die einzige Auswirkung, die die Wendung zur Sozialgeschichte auf die Stadtgeschichtsforschung ausgeu¨bt hat. Nur einiges sei angedeutet. Das seit 1968 allgemein stimulierte Interesse fu¨r Randgruppen und Marginalisierte ist auch fu¨r die Stadtgeschichtsfor¨ bersichten99 bis zu gla¨nzenden schung fruchtbar geworden von handbuchartigen U Darstellungen etwa u¨ber das „Milieu der Nacht“ im mittelalterlichen London.100 Mit besonderem Nachdruck jedoch hat sich die Forschung zweier Gruppen der sta¨dtischen Gesellschaft angenommen: der Juden und der Frauen. Beide Themenfelder ko¨nnen, wie die Bescha¨ftigung mit den Stadtkonflikten, bereits auf eine lange Forschungstradition bis ins 19. Jahrhundert zuru¨ckblicken, aber beide erhielten seit den siebziger Jahren Impulse aus der zeitgeno¨ssischen Lebenswelt. Selbstversta¨ndlich hat das Bemu¨hen der deutschen Historiker, Verlauf und Ausmaß der Vernichtung der europa¨ischen Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft aufzukla¨ren, auch die Stadthistoriker angetrieben, sich mit ju¨discher Geschichte zu befassen, zumal sich die Geschichte der Juden des Mittelalters vor allem als sta¨dtisches Pha¨nomen zu begreifen ist und sie sich seit dem Spa¨tmittelalter auch als Vertreibungsgeschichte aus den großen Sta¨dten, begleitet von Mord und Vernichtung, schreiben la¨sst.101 Gleichzeitig jedoch – und das unterscheidet die Forschung der letzten Jahrzehnte sehr deutlich von der a¨lteren, stark rechtsgeschichtlich ausgerichteten Betrachtung102 – wurde auch immer intensiver der Versuch unternommen, Bedingungen und Formen des Zusammenlebens von Juden und Christen in der Stadtgesellschaft zu untersuchen ¨ berblick u¨ber ihre jeweilige Pra¨senz zu gewinnen. Es ist und vor allem auch einen U vor allem Alfred Haverkamp gewesen, der mit seinen Mitarbeitern in Trier Pionier-

98 Vgl. Wilfried Ehbrecht, Eine perso¨nliche Einfu¨hrung, in: ders., Konsens (wie Anm. 93), S. 2. 99 Randgruppen der mittelalterlichen Gesellschaft, hg. v. Bernd-Ulrich Hergemo ¨ ller, Warendorf 1990, 21994,

Neubearb. 2001.

100 Frank Rexroth, Das Milieu der Nacht. Obrigkeit und Randgruppen im spa¨tmittelalterlichen London

(VMPI 153), Go¨ttingen 1999.

101 Vgl. etwa Alfred Haverkamp, Der Schwarze Tod und die Judenverfolgungen von 1348–1349 im

Sozial- und Herrschaftsgefu¨ge deutscher Sta¨dte. Eine Skizze, in: Fragen des a¨lteren Jiddisch, hg. v. Hermann-Josef Mu¨ller/Walter Ro¨ll, Trier 1977, S. 78–86; Markus J. Wenninger, Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergru¨nde ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichssta¨dten im 15. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv fu¨r Kulturgeschichte 14), Wien/Ko¨ln/Graz 1981; Frantisˇek Graus, Pest – Geißler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit (VMPI 86), Go¨ttingen 1987; zu weiteren Arbeiten vgl. die Bibliographie Frantisˇek Graus in: Der Konstanzer Arbeitskreis fu¨r mittelalterliche Geschichte 1951–2001. Die Mitglieder und ihr Werk, bearb. v. Jo¨rg Schwarz, Stuttgart 2001, S. 151–157. 102 Otto Stobbe, Die Juden in Deutschland wa¨hrend des Mittelalters in politischer, socialer und rechtlicher Beziehung, Braunschweig 1866, Berlin 31923, ND Amsterdam 1968.

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arbeit geleistet hat103 und sich dabei charakteristischerweise auch kartographischer Darstellungsmethoden bediente. Das Kartenwerk, das er zur ju¨dischen Geschichte am Anfang dieses Jahrhunderts als eine Art Summe der langja¨hrigen Bescha¨ftigung vorlegte, bedeutet einen Markstein sowohl fu¨r die Erforschung der Geschichte der Juden wie der Stadtgeschichte des Mittelalters.104 Auch die Geschichte der Frau in der sta¨dtischen Gesellschaft des Mittelalters ist seit dem Anfang des 20. Jahrhundert immer wieder unter rechts- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive behandelt worden,105 doch ist unverkennbar, dass das ausgehende Jahrhundert mit seinen Bemu¨hungen um die Gleichstellung der Frau im o¨ffentlichen Leben einen neuen Schub des Interesses bewirkte und die sich entwickelnde „Gender History“ auch die media¨vistische Forschung zu beeinflussen begann. In den Jahren um 1980 ist ein Neuansatz deutlich auszumachen. Damals vero¨ffentlichten Erika Uitz in der DDR106 und Edith Ennen in der Bundesrepublik107 erste Aufsa¨tze zu diesem Thema, Margret Wensky, eine Schu¨lerin Ennens, legte 1980 ihre Dissertation zur Stellung der Frau in der stadtko¨lnischen Wirtschaft vor,108 1981 ¨ bersetzung des einflussreichen Buches von Shulamith Shahar folgte die deutsche U u¨ber die Frau im Mittelalter109 und wenige Jahre spa¨ter Gesamtdarstellungen von Ennen110 und Uitz.111 Frauengeschichte ist so zur Ausgangsbasis der Geschlechtergeschichte geworden,112 doch mehren sich in der letzten Zeit Arbeiten, die das Verha¨ltnis der Ge103 Vgl. dazu die Bibliographie Alfred Haverkamp, in: Schwarz, Konstanzer Arbeitskreis (wie Anm. 101),

S. 169–173; Ju¨dische Gemeinden und ihr christlicher Kontext in kulturra¨umlich vergleichender Betrachtung. Von der Spa¨tantike bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Christoph Cluse/Alfred Haverkamp/Israel J. Yuval (Forschungen zur Geschichte der Juden, A 13), Hannover 2003; Rosemarie Kosche, Studien zur Geschichte der Juden zwischen Rhein und Weser im Mittelalter (Forschungen zur Geschichte der Juden, A 15), Hannover 2002; dies., Mittelalterliche regionale Netzwerke von Juden im Nordwesten des Reiches, in: Sta¨dtelandschaft – Re´seau urbain – Urban network. Sta¨dte im regionalen Kontext in Spa¨tmittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Holger Th. Gra¨f/Katrin Keller (StF A 62), Ko¨ln/Weimar/Wien 2004, S. 185–198. 104 Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Su¨dalpen, hg. v. Alfred Haverkamp, Kommentiertes Kartenwerk, bearb. v. Thomas Bardelle, Redaktion Jo¨rg R. Mu¨ller (Forschungen zur Geschichte der Juden, A 14), Hannover 2002. 105 Z. B. Karl Bu¨cher, Die Frauenfrage im Mittelalter, Tu¨bingen 1910. 106 Erika Uitz, Zur gesellschaftlichen Stellung der Frau in der mittelalterlichen Stadt (Die Situation im Erzbistum Magdeburg), in: Magdeburger Beitra¨ge zur Stadtgeschichte 1 (1977), S. 20–42. 107 Edith Ennen, Die Frau in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft Mitteleuropas, in: HansGbll 98 (1980), S. 1–22; dies., Die Frau im Mittelalter. Eine Forschungsaufgabe unserer Zeit, in: Kurtrierisches Jahrbuch 21 (1981), S. 70–93. 108 Margret Wensky, Die Stellung der Frau in der stadtko¨lnischen Wirtschaft im Spa¨tmittelalter (QDHansG 26), Ko¨ln/Wien 1980. 109 Shulamith Shahar, Die Frau im Mittelalter, Ko¨nigstein/Ts. 1981. 110 Edith Ennen, Frauen im Mittelalter, Mu¨nchen 1984, 5., erw. Aufl. 1994, 6. Aufl. 1999; obwohl die Bu¨cher von Ennen und Shahar (wie Anm. 109) allgemeine Titel tragen, betrifft jeweils der u¨berwiegende Teil der Darstellung sta¨dtische Zusammenha¨nge. 111 Erika Uitz, Die Frau in der mittelalterlichen Stadt, Leipzig/Stuttgart1988, Freiburg i. Br. 21992, unter dem Titel: Die Frau im Mittelalter, Wien 2003. 112 Vgl. den Literaturbericht von Hedwig Ro ¨ ckelein, Historische Frauenforschung. Ein Literaturbericht zur Geschichte des Mittelalters, in: HZ 255 (1992), S. 377–409, sowie Gabriela Signori, Frauengeschichte/Geschlechtergeschichte/Sozialgeschichte. Forschungsfelder – Forschungslu¨cken: eine biblio-

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schlechter zueinander in den Blick nehmen, nach Rollenbildern, Identita¨ten und ¨ ffentlichkeit fragen. Spielra¨umen innerhalb der Familie, des Hauses und in der O Dabei sind Fallstudien zu einzelnen Sta¨dten durch die Quellenlage zumeist gezwungen, von den rechtlichen Normen und der erschließbaren Rechtswirklichkeit auszugehen, doch gelingt es ha¨ufig, zu weiterreichenden Fragestellungen vorzustoßen,113 insbesondere wenn literarische und theologische Quellen sowie Darstellungen der bildenden Kunst herangezogen werden ko¨nnen.114 Diese Beobachtungen geben Anlass zu einer letzten Bemerkung zur „sozialgeschichtlichen Wende“ der siebziger Jahre. War die Stadtgeschichte des Mittelalters stark von rechtsgeschichtlichen Fragestellungen und auch von Rechtshistorikern dominiert, so ist diese Schwerpunktsetzung nachhaltig zuru¨ckgetreten. Das liegt nicht nur darin begru¨ndet, dass der Rechtsgeschichte der Juristen das Mittelalter inzwischen ferngeru¨ckt ist und andere Perioden der Geschichte sich in ihrer Arbeit in den Vordergrund geschoben haben. Die Forschungsinteressen haben sich gea¨ndert, und die klassische Bescha¨ftigung mit den sta¨dtischen normativen Rechtsquellen in Interpretation und Edition findet kaum noch statt. Dagegen sind die Quellen, die der sta¨dtischen Rechtssprechung entstammen und die Rechtswirklichkeit spiegeln, sta¨rker zum Zielpunkt des Interesses geworden, eben weil die aus ihnen zu gewinnenden Aussagen sich mit den sozialgeschichtlichen Fragestellungen, etwa nach sozialer Kontrolle und Disziplinierung verbinden lassen. Das ist der Grund, warum die Kriminalita¨tsgeschichte in der Forschung zur mittelalterlichen und auch fru¨hneuzeitlichen Stadt in den letzten Jahren eine Blu¨te erlebt hat.115 Damit sind die Wandlungen in der Stadtgeschichtsforschung unter dem Einfluss der Sozialgeschichte wenigstens in einigen Aspekten gekennzeichnet, wobei die Erforschung der sta¨dtischen Konflikte als Pha¨nomen der Verfassungsgeschichte einen zentralen Platz einnimmt. Es sind jedoch noch zwei andere Forschungsfelder hervorzuheben, die zentrale Probleme der Stadtgeschichte betreffen, auf denen

graphische Anna¨herung an das spa¨tere Mittelalter, in: Lustgarten und Da¨monenpein. Konzepte von Weiblichkeit in Mittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Annette Kuhn/Bea Lundt, Dortmund 1997, S. 29–53. 113 Vgl. etwa Anke Schwarze, „De mans an ... der rechter siit und de vrouwen an ... der luchter“. Das Geschlechterverha¨ltnis im spa¨tmittelalterlichen Dortmund (Vero¨ffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund 16), Essen 2002. 114 Bes. aufschlussreich fu¨r die Normierung der Rollenbilder haben sich die Schriften zur „O ¨ konomik“ erwiesen, vgl. Margarete Zimmermann, Vom Hausbuch zur Novelle. Didaktische und erza¨hlende Prosa im Frankreich des spa¨ten Mittelalters, Du¨sseldorf 1989; Trude Ehlert, Die Rolle von „Haus¨ konomik, in: Haushalt und Familie im Mittelalter herr“ und „Hausfrau“ in der spa¨tmittelalterlichen O und fru¨her Neuzeit, hg. v. ders., Sigmaringen 1991, S. 153–166. 115 Vgl. etwa Wim P. Blockmans, Von der Stratifikation zur Gestalt. Der Paradigmenwechsel in der Stadtgeschichte der Niederlande, in: Duchhardt/Reininghaus, Stadt und Region (wie Anm. 1), S. 1–11, hier S. 9; ders., Die Hierarchisierung der Gerichtsbarkeit in den Niederlanden, 14.–16. Jahrhundert, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift fu¨r Peter Moraw, hg. v. Paul Joachim Heinig u. a., Berlin 2000, S. 261–278; Peter Schuster, Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spa¨tmittelalterlichen Konstanz, Paderborn 2000; Gerd Schwerhoff, Ko¨ln im Kreuzverho¨r. Kriminalita¨t, Herrschaft und Gesellschaft in einer fru¨hneuzeitlichen Stadt, Bonn 1991; allgemein: ders., Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einfu¨hrung in die allgemeine Kriminalita¨tsforschung, Tu¨bingen 1999.

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sich im letzten Halbjahrhundert deutlicher Wandel vollzogen hat, ein Wandel, der nichts oder wenig mit dem „Paradigmenwechsel“ zu tun hat, den man dem Einfluss der Sozialgeschichte zuschreibt. Dabei geht es zuna¨chst um die Beurteilung der Sta¨dteentwicklung im o¨stlichen Mitteleuropa, die in der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung stets einen prominenten Platz eingenommen hat. Bekanntlich ist die Ausbreitung des mittelalterlichen Sta¨dtewesens, des Modells der okzidentalen Stadt, eng mit der deutschen Ostsiedlung verbunden, deren Darstellung von der deutschen Forschung seit dem 19. Jahrhundert mit zunehmend nationalistischen Wertungen, insbesondere auch mit negativen Einscha¨tzungen der slavischen Vo¨lker verbunden wurde, wenn etwa Friedrich Engels meinte, dass die „slavischen Natio¨nchen“ durch ihre Germanisierung in die „erste Stufe der Zivilisation“ hineingezwungen worden seien,116 und Fritz Ro¨rig in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts davon sprach, dass der „deutsche Mensch, gefu¨hrt von Menschen scho¨pferischen Wollens seines Blutes ... die Grundkraft“ gewesen sei, welche „die gesamte Ostseeku¨ste gestaltet“ habe. In der Ausbreitung der deutschrechtlichen Sta¨dte meinte man den Beleg fu¨r die „u¨berlegene deutsche Fu¨hrung und Gestaltungskraft in der Ostkolonisation“ zu finden.117 Selbstversta¨ndlich hat vor allem die polnische Forschung darauf mit Scha¨rfe reagiert, und diese Konfrontation in als zentral empfundenen Fragen der jeweiligen Nationalgeschichte hat bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts angedauert.118 Es sind vor allem einige Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises fu¨r mittelalterliche Geschichte unter dem Einfluss von Walter Schlesinger gewesen, die eine Anna¨herung eingeleitet haben,119 und auch die von Wilhelm Rausch ¨ sterreichischen Arbeitskreises fu¨r Stadtgeseit 1961 veranstalteten Tagungen des O schichtsforschung haben als Begegnungssta¨tte fu¨r Forscher aus Ost und West dazu beigetragen.120 116 Zitiert bei Wolfgang Wippermann, Der „deutsche Drang nach Osten“. Ideologie und Wirklichkeit

eines politischen Schlagwortes, Darmstadt 1981, S. 40f.

117 Fritz Ro ¨ rig, Die Gestaltung des Ostseeraums durch das deutsche Bu¨rgertum, in: DALV 2 (1938),

S. 765–783, hier S. 776; ders., „Nationale Frage“ und Ostkolonisation, in: HZ 154 (1936), S. 96–103, hier S. 103. 118 Vgl. etwa Eduard Mu ¨ hle, „Ostforschung“. Beobachtungen zum Aufstieg und Niedergang eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Zeitschrift fu¨r Ostmitteleuropaforschung 46 (1997), ´ S. 317–350; Jan Piskorski, Z badan´ nad historiografia˛ Europy Srodkowej i Wschodniej, in: Przeglad ˛ Historyczny 91 (2000), S. 454–474; Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, hg. v. Jan M. Piskorski/Jo¨rg Hackmann/Rudolf Jaworski, Osnabru¨ck 2002; Historiographical approaches to medieval colonization of Eastern Central Europe. A comparative analysis against the background of other European inter-ethnic colonization processes in the Middle Ages, hg. v. Jan M. Piskorski (East European Monographs 611), Boulder 2002; Winfried Schich, Die Bildung der Sta¨dte im westslawischen Raum in der Sicht der a¨lteren und der ju¨ngeren Forschung, in: Konzeptionelle Ansa¨tze der Hanse-Historiographie, hg. v. Eckhard Mu¨ller-Mertens/Heidelore Bo¨cker (HansStud XIV), Trier 2003, S. 115–140. 119 In den Jahren 1970–1972 auf der Insel Reichenau, vgl. Traute Endemann, Geschichte des Konstanzer Arbeitskreises. Entwicklung und Strukturen 1951–2001, Stuttgart 2001, S. 215–217, die Referate sind in ihrer Mehrzahl publiziert in: Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europa¨ischen Geschichte, hg. v. Walter Schlesinger (VuF 18), Sigmaringen 1975; zu Schlesingers Rolle vgl. Patze, Erinnerungen (wie Anm. 7), S. XXf. 120 Vgl. die U ¨ bersicht in: 20 Jahre O ¨ sterreichischer Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung = Pro Civitate Austriae 9 (1989), S. 55–74.

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Sachlich waren es stets vor allem zwei Komplexe, die zwischen der deutschen und der polnischen wie tschechischen Forschung strittig waren. Wa¨hrend die polnischtschechische Forschung den fru¨hen Zentren und Großssiedlungen des slavischen Gebiets, den Burgwa¨llen mit ihren zugeho¨rigen Annexen, Stadtcharakter zubilligte, sie als Vorstufen des mittelalterlichen Sta¨dtewesens begriff und als „Proto-“, „Burg-“ oder „Fru¨hstadt“ bezeichnete, hat die deutsche Forschung das bis in die ju¨ngste Vergangenheit in Abrede gestellt. Sie sah mit der „weiten Ausbreitung des Typs der ra¨umlich geschlossenen ‚Markt- und Rechtsstadt‘“, wie er „sich im Westen seit dem 11. Jahrhundert herausgebildet hatte“121, einen scharfen Schnitt ohne Kontinuita¨tslinie zu jenen a¨lteren Gebilden gegeben. Die Fru¨hphase der europa¨ischen Sta¨dtebildung – eben jener Großsiedlungen – ist seit den fru¨hen siebziger Jahren, ausgehend von dem damals erprobten interdisziplina¨ren Zugriff Herbert Jankuhns122, intensiv untersucht worden. Dabei verbanden sich vor allem Geschichtswissenschaft und Archa¨ologie, und das Untersuchungsfeld beschra¨nkte sich nicht auf den ostmitteleuropa¨ischen Raum, sondern suchte ganz „Non-Roman Europe“ einzubeziehen.123 Diese Forschung hat Fru¨chte getragen. Sie hat die Eigenarten und das Potential jener fru¨hen slavischen Großsiedlungen besser erkennen lassen. Hinzu kommt, dass Franz Irsigler einen flexibel zu handhabenden Stadtbegriff entwickelt hat,124 der die Verdichtung und Gegliedertheit der Bebauung, spezialisierte nichtagrarische Beta¨tigung sowie soziale Schichtung der Bevo¨lkerung und vor allem Zentralita¨tsmerkmale verschiedener Art in den Vordergrund der Bestimmungskriterien schiebt und jene Merkmale, die fu¨r den Typ der okzidentalen Stadt Max Webers ausschlaggebend erscheinen – besonderes Recht, Verbandscharak¨ berter, Autonomie – als weitere Ebene hinzuzieht. Damit wird es mo¨glich, in einer U gangsperiode, wie sie das 10. bis 13. Jahrhundert in der Geschichte des europa¨ischen Sta¨dtewesens darstellt, auch diese Formen als Wurzeln des Sta¨dtewesens zu betrachten. Bedenkt man noch, dass ha¨ufig eine Funktionskontinuita¨t zwischen „Fru¨hstadt“ und Rechtsstadt gegeben war und dass die intensivierte archa¨ologische Forschung hat erkennen lassen, dass auch im Westen, im deutschen Bereich, a¨hnliche fru¨he Zentren

121 So eine Formulierung von Winfried Schich, Die pommersche Fru¨hstadt im 11. und fru¨hen 12. Jahr-

hundert am Beispiel von Kolberg (Kolobrzeg), in: Die Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt im 11. Jahrhundert, hg. v. Jo¨rg Jarnut/Peter Johanek (StF A 43), Ko¨ln/Weimar/Wien 1998, S. 273–304, hier S. 304, vgl. auch unten mit Anm. 131. 122 Vor- und Fru¨hformen der europa¨ischen Stadt im Mittelalter, hg. v. Herbert Jankuhn/Walter Schlesinger/Heiko Steuer (AbhAkGo¨tt 3, 83), Bd. 1, Go¨ttingen 1973. 123 Zu nennen sind hier mehrere Sammelba¨nde: The Comparative History of Urban Origins in NonRoman Europe: Ireland, Wales, Denmark, Germany, Poland and Russia from the 9th to the 13th Century, hg. v. Howard B. Clarke/Anngret Simms (B. A. R., International Series 255), 2 Bde., Oxford 1985; Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, hg. v. Hansju¨rgen Brachmann/Joachim Herrmann (Schriften zur Ur- und Fru¨hgeschichte 44), Berlin 1991; Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, hg. v. Hansju¨rgen Brachmann (Forschungen zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropa 1), Berlin 1995; Jarnut/Johanek, Stadt im 11. Jahrhundert (wie Anm. 121); Vom Ursprung der Sta¨dte in Mitteleuropa, hg. v. Christian Rohr, Linz 1999; damit ist zumindest ein wichtiger Ausschnitt der Diskussion erfasst. 124 Franz Irsigler, Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt?, in: Universita¨t des Saarlandes (Universita¨tsreden 51), Saarbru¨cken 2003, S. 17–44, bes. S. 40–43.

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belegt sind, die der kommunalen Stadt bei enger Nachbarschaft weichen mussten,125 dann wird man nach anderen Entwicklungsmodellen suchen mu¨ssen, als sie der angenommene Kontinuita¨tsbruch suggeriert.126 Man wird daher als zumindest vorla¨ufiges Ergebnis das Fazit zitieren du¨rfen, das ju¨ngst Winfried Schich gezogen hat, der sich von deutscher Seite am intensivsten mit diesen Problemen befasst hat: „Abschließend ist zu bemerken, daß seit einiger Zeit eine von Vorurteilen freie Diskussion u¨ber die Entstehung des Sta¨dtewesens im westslawischen Raum leicht mo¨glich ist, wenn einerseits anerkannt wird, daß sich im slawischen Herrschafts- und Siedlungsbereich ein autochthones Sta¨dtewesen entfaltet und dieses auch Einfluß auf die Herausbildung der mittelalterlichen Stadt genommen hat, und wenn andererseits nicht bestritten wird, daß mit der Privilegierung nach deutschem Recht und ihren sozialen, wirtschaftlichen und topographischen Begleiterscheinungen und unter wesentlicher Beteiligung von deutschen Zuwanderern in der Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus ein neuer Typ der Stadt entstanden ist. Die funktionale Betrachtungsweise, die die rechtliche Entwicklung in diese Sicht einordnet, ist damit an die Stelle der a¨lteren vorrangigen nationalen getreten“.127 Diese Bemerkungen Winfried Schichs, die eine neue Sicht des a¨lteren slavischen Sta¨dtewesens zusammenfassen, lassen auch erkennen, dass der zweite Streitpunkt zur Geschichte des ostmitteleuropa¨ischen Sta¨dtewesens obsolet geworden ist und nicht mehr ausfu¨hrlich ero¨rtert werden braucht. Es geht selbstversta¨ndlich um die extremen nationalistischen Ausformungen der Kulturtra¨gertheorie, wie sie zu zitieren waren.128 Seit den Forschungen Charles Higounets129 und Maurice Beresfords130 ist deutlich geworden, dass sich die Ausbreitung des Sta¨dtewesens in den westlichen Randgebieten Europas in vergleichbarer Weise vollzogen hat wie in Ostmitteleuropa und dass die Rezeption des neuartigen Modells sta¨dtischen Zusammenlebens 125 Vgl. Peter Johanek, Fru¨he Zentren – werdende Sta¨dte, in: Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11.

und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, hg. v. Jo¨rg Jarnut/Matthias Wemhoff (Mittelalter Studien des Instituts zur Interdisziplina¨ren Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn 13), Mu¨nchen 2006, S. 511–538. 126 Ein solches Entwicklungsmodell der Raumorganisation hat vorgelegt Sławomir Mozdzioch, ´ Zur Genese der Lokationssta¨dte in Polen in stadtgeschichtlicher Sicht, in: Brachmann, Burg – Burgstadt – Stadt (wie Anm. 123), S. 149–160, hier S. 158; vgl. auch Jens Beutmann, Zur Typologie der fru¨hen Stadt. Ein o¨konomisch-funktionaler Ansatz, in: Archa¨ologie als Sozialgeschichte. Studien zu Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im fru¨hgeschichtlichen Mitteleuropa. Festschrift fu¨r Heiko Steuer zum 60. Geburtstag, hg. v. Sebastian Brather/Christel Bu¨cker/Michael Hoeper (Internationale Archa¨ologie. Studia honoraria 9), Rahden/Westf., S. 199–207; Jerzy Piekalski, Von Ko¨ln nach Krakau. Der topographische Wandel fru¨her Sta¨dte (ZAM, Beihefte 13), Bonn 2001. 127 Schich, Bildung der Sta¨dte (wie Anm. 118), S. 139. 128 Vgl. oben mit Anm. 116–117. 129 Vgl. vor allem Charles Higounet, Zur Siedlungsgeschichte Su¨dwestfrankreichs vom 11. bis zum 14. Jahrhundert, in: Schlesinger, Die deutsche Ostsiedlung (wie Anm. 119), S. 657–694; zu seinem Oeuvre, das ganz wesentlich den su¨dwestfranzo¨sischen Bastiden gewidmet war, den Nachruf von Dietrich Lohrmann, Charles Higounet (1911–1988), in: Francia 16/1 (1989), S. 319–321; die Ergebnisse seiner Forschungen zum Landesausbau haben ihren Niederschlag gefunden in den zusammenfassenden Werken: Charles Higounet, Histoire de l’Aquitaine, Toulouse 1971; ders., Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters, Berlin 1986. 130 Maurice Beresford, New towns of the Middle Ages. Town plantation in England, Wales and Gascony, London 1967, Gloucester 21988.

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mit seinen Verfassungsformen und der Gestaltung der sta¨dtischen Topographie einen Modernisierungs- und Innovationsfaktor fu¨r ganz Europa darstellt. Darin ist sich die deutsche und die polnisch-tschechische Forschung heute weitgehend einig,131 und das ist ganz sicher ein wesentlicher Fortschritt der Stadtgeschichtsforschung in den letzten fu¨nfzig Jahren. Bei einer weiteren wirkungsstarken Neuentwicklung in der Stadtgeschichtsforschung la¨sst sich an ein bereits zitiertes Dictum von Edith Ennen anknu¨pfen, mit dem sie monierte, dass Hans Planitz „zu sehr auf den Gegensatz [der Bu¨rgergemeinde] zum Stadtherrn abgestellt“ habe.132 Es liegt auf der Hand, dass das Verha¨ltnis von Bu¨rgerschaft und Gemeinde zum Stadtherrn sozusagen einen basso continuo der Stadtgeschichtsforschung bildet. Dabei ging es stets um die Gewichtsverteilung zwischen den beiden Kra¨ften, um das fortwa¨hrende neue Aushandeln der jeweiligen Spielra¨ume und Machtverha¨ltnisse, sei es bei der Stadtgru¨ndung selbst oder im Prozess der Entstehung einzelner Sta¨dte oder bei den Auseinandersetzungen um Autonomie und Selbstverwaltungsrecht, um deren Erweiterung, Bewahrung oder Verlust. Darauf braucht hier nicht na¨her eingegangen zu werden, vielleicht aber darf man doch bemerken – gleichsam beiseite gesprochen –, dass die Stadthistoriker, bei aller angestrebten Objektivita¨t, insgeheim doch auf der Seite der Bu¨rgerschaft, gegen den Stadtherrn zu stehen pflegen. Anders gewendet: Das Erkenntnisinteresse ist – oder war doch in der a¨lteren Forschung – zumeist darauf gerichtet, ob das Emanzipationsstreben der Bu¨rgergemeinde erfolgreich verlief oder fehlschlug. Stadtgeschichte pflegte aus der Perspektive der Kommune geschrieben zu werden, wa¨hrend die Intentionen und politischen Ziele des Stadtherrn bei der Gru¨ndung oder Fo¨rderung von Sta¨dten oder die Gru¨nde fu¨r eine Einschra¨nkung ihrer Autonomie weniger oder kaum Interesse fanden. Hier hat spa¨testens seit den sechziger Jahren eine deutliche Erweiterung der Perspektive stattgefunden, als sich allma¨hlich eine versta¨rkte Hinwendung zu den kleineren Sta¨dten abzuzeichnen begann, die ja in der Gesamtheit des Sta¨dtewesens bei ¨ berzahl sind.133 Heinz Stoobs Aufsatz von 1959 u¨ber die „Minderweitem in der U

131 Vgl. nur zusa¨tzlich zu den genannten Publikationen Jan M. Piskorskis (wie Anm. 118) ders., Kolo-

nizacja wiejska Pomorza zachodniego w XIII i w poczatkach ˛ XIV wieku na tle proceso´w osadniczych w s´ redniowiecznej Europie, Poznan´ 1990 (behandelt die la¨ndliche Siedlung); ders., Zur Stadtentstehung im westslavischen Raum: Kolonisations- und Evolutionstheorie am Beispiel der Sta¨dte Pommerns, in: Zeitschrift fu¨r Ostmitteleuropaforschung NF 44 (1995), S. 317–357; Peter Johanek, „Ostkolonisation“ und Sta¨dtegru¨ndung – Kolonialsta¨dte in Ostmitteleuropa?, in: Kolonialsta¨dte – Europa¨ische Enklaven oder Schmelztiegel der Kulturen?, hg. v. Horst Gru¨nder/Peter Johanek (Europa – ¨ bersee. Historische Studien 9), Mu¨nster 2001, S. 28–50, sowie der in Anm. 118 zitierte Aufsatz WinU fried Schichs, vgl. auch weitere Arbeiten des Autors in: Winfried Schich, Wirtschaft und Kulturlandschaft. Gesammelte Beitra¨ge 1977 bis 1999 zur Geschichte der Zisterzienser und der „Germania Slavica“, bearb. u. hg. v. Ralf Gebuhr/Peter Neumeister (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 12), Berlin 2007; zu Kolberg noch: ders., Slawische Fru¨hstadt und kommunale Stadt Kolberg (Kolbrzeg). Neue siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse zur Entwicklung der Stadt im Mittelalter, in: Jahrbuch fu¨r Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 49 (2003), S. 1–24. 132 Vgl. oben mit Anm. 24. 133 Vgl. zu den Relationen die zusammenfassenden Bemerkungen bei Peter Johanek, Landesherrliche Sta¨dte – kleine Sta¨dte. Umrisse eines europa¨ischen Pha¨nomens, in: Landesherrliche Sta¨dte in Su¨dwest-

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sta¨dte“, d. h. Sta¨dte, die bereits bei ihrer Gru¨ndung oder ersten Privilegierung in ihren Rechten und Freiheiten gemindert waren, um den Einfluss des Stadtherrn effektiver zu sichern, hat hier einen wichtigen Impuls gegeben.134 Fortan begannen die Stadthistoriker zunehmend den Verlauf der Stadtentwicklung auch aus der Perspektive des Stadtherrn zu betrachten und den Einsatz von Sta¨dtegru¨ndung und Sta¨dtefo¨rderung als Instrument landesherrlicher Territorialpolitik zu begreifen. Das hat in der landesgeschichtlichen Forschung eine Fu¨lle einschla¨giger Arbeiten hervorgebracht, die kaum zu u¨berschauen ist.135 So hat die Stadtgeschichtsforschung zunehmend auch den Intentionen, Konzeptionen und Aktionen der Stadtherren Gerechtigkeit widerfahren lassen. Doch in den siebziger Jahren erfolgte ein Impuls, der diese Perspektive noch erweiterte. Ein Sta¨dtetyp, der als landesherrliche Stadt par excellence gelten darf, ist die fu¨rstliche Residenzstadt. Um sie hat die Stadtgeschichtsforschung sich lange Zeit kaum geku¨mmert, und dies nicht nur deswegen, weil die Ausbildung von Residenzherrschaft und Residenzsta¨dten ihren Schwerpunkt im ausgehenden Mittelalter und vor allem in der fru¨hen Neuzeit hat und Stadtgeschichtsforschung lange im Wesentlichen von Media¨visten betrieben wurde. Zu sehr aber war die Residenzstadt das Gegenbild der Sta¨dtefreiheit, die man in den Reichssta¨dten und Autonomiesta¨dten des Mittelalters verko¨rpert sah. Man ist versucht zu sagen: Ein ansta¨ndiger Stadthistoriker gab sich mit Residenzsta¨dten nicht ab. Ernsthaft gesprochen: Auf keinen Fall haben sie in der Stadtgeschichtsforschung eine signifikante Rolle gespielt. Es war Hans Patze136, der fast wie mit einem Paukenschlag 1971 die Linzer ¨ sterreichischen Arbeitskreises fu¨r Stadtgeschichtsforschung zu „Stadt Tagung des O und Stadtherr“ mit einem Vortrag zur Bildung der landesherrlichen Residenzen ero¨ffnete.137 Es sei nicht verschwiegen, dass bereits 1965 und dann wieder 1972 zwei

deutschland, hg. v. Ju¨rgen Treffeisen/Kurt Andermann (ObrhStud 12), Sigmaringen 1994, S. 9–25, hier S. 11–14. 134 Heinz Stoob, Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, in: VSWG 46 (1959), S. 1–28 (ND in ders., Forschungen zum Sta¨dtewesen (wie Anm. 53), S. 51–72); der Fragenkomplex neuestens wieder aufgegriffen in: Mindersta¨dte. Ku¨mmerformen. Gefreite Do¨rfer. Stufen zur Urbanita¨t und das Ma¨rkteproblem, hg. v. Herbert Knittler (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 20), Linz 2006. 135 Als beispielhafte Studien seien genannt: Wilfried Ehbrecht, Territorialwirtschaft und sta¨dtische Freiheit in der Grafschaft Arnsberg, in: Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (StF A 8), Ko¨ln/Wien 1979, S. 125–179; ders., Mittel- und Kleinsta¨dte in der Territorialkonzeption westfa¨lischer Fu¨rsten. Lippstadt als Modell, in: JbRG 14 (1987), S. 104–141; vgl. auch Johanek, Landesherrliche Sta¨dte (wie Anm. 133), S. 13–21, mit einer Auswahl solcher Arbeiten Anm. 14; zuletzt etwa Martina Stercken, Sta¨dte der Herrschaft. Kleinstadtgenese im habsburgischen Herrschaftsraum des 13. und 14. Jahrhunderts (StF A 68), Ko¨ln/Weimar/Wien 2006. 136 Vgl. zu ihm, der fu¨r die Stadtgeschichtsforschung ebenfalls von großer Bedeutung gewesen ist, Peter Johanek, Hans Patze (1919–1995), in: Ausgewa¨hlte Aufsa¨tze von Hans Patze, hg. v. Peter Johanek/ Ernst Schubert/Matthias Werner (VuF 50), Stuttgart 2002, S. XI–XVIII, dazu noch Peter Johanek, Hans Patze (1919–1995), in: BllDtLG 131 (1995), S. 333–341. 137 Vgl. 20 Jahre (wie Anm. 120), S. 57f.; vero¨ffentlicht: Hans Patze, Die Bildung der landesherrlichen Residenzen im Reich wa¨hrend des 14. Jahrhunderts, in: Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert. Entwicklungen und Funktionen, hg. v. Wilhelm Rausch (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas II), Linz 1973, S. 1–54. Angesichts der spa¨teren großen Resonanz der Residenzenforschung ist es

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wichtige Tagungen zum Thema Residenz stattfanden, das Thema also gleichsam in der Luft lag. Das Interesse dieser Tagungen galt jedoch im Wesentlichen den Residenzen und Residenzsta¨dten der Neuzeit.138 Hans Patze dagegen griff weit zuru¨ck ins Mittelalter, setzte den Schwerpunkt im 14. Jahrhundert und legte ein vorla¨ufiges Konzept fu¨r ein ausgedehntes Forschungsprogramm zu den Residenzen des Reichs vor. Ihm ging es dabei vor allem um verfassungsgeschichtliche Fragen, um den Wan¨ bergang von der del des Herrschaftsmodus, der sich verku¨rzt in die Formel vom U Reiseherrschaft zur Residenzherrschaft fassen la¨sst. Doch ging es Hans Patze auch um Stadtgeschichte, denn bereits in den einleitenden, grundsa¨tzlichen Abschnitten seiner Ausfu¨hrungen findet sich der Satz: „Der Platz dauernder Herrschaft [konnte] nur die Stadt sein“139. Hans Patze hat diesen Plan zur Erforschung der landesherrlichen Residenzen mit Za¨higkeit und Tatkraft weiter verfolgt. Im Jahr 1982 vero¨ffentlichte er zusammen mit Gerhard Streich einen grundlegenden Aufsatz mit Bearbeitungsschema und Fragenkatalog fu¨r einzelne Residenzen,140 hatte bereits Mitarbeiter geworben, initiierte 1984/85 zwei Reichenau-Tagungen zu fu¨rstlichen Residenzen im mittelalterlichen Europa, also außerhalb des Reichs141 und gru¨ndete 1985 die Residenzen-Kommission bei der Akademie der Wissenschaften zu Go¨ttingen, die als Plattform fu¨r die Arbeiten dienen sollte. Seit 1990 vero¨ffentlichte diese Kommission die Reihe „Residenzenforschung“, die Monographien und vor allem die Ergebnisse der Tagungsta¨tigkeit der Kommission publizierte. Die Thematik fand große Resonanz und besonders in den fru¨hen neunziger Jahren erschienen mehrere Sammelba¨nde, und auch spa¨ter hat das Interesse angehalten.142

immerhin bemerkenswert, dass auf der Tagung selbst in der Schlussdiskussion auf diesen innovativen Vorstoß nicht eingegangen worden ist. Der Vortrag selbst ist als einleitender Abendvortrag offenbar nicht diskutiert worden. 138 Vgl. Die Residenzstadt in Su¨dwestdeutschland. Protokoll u¨ber die IV. Arbeitstagung des Arbeitskreises fu¨r su¨dwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung in Donaueschingen 12.–14. November 1965, in: ZWu¨rttLG 25 (1966), S. 1*–48*; Ju¨rgen Sydow, Die Residenzstadt in Su¨dwestdeutschland. Ergebnisse einer Tagung des Arbeitskreises fu¨r su¨dwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung, in: Die Stadt in der europa¨ischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen, hg. v. Werner Besch u. a., Bonn 1972, S. 771–783 (betr. Die Tagung von 1965); Edith Ennen/Manfred van Rey, Probleme der fru¨hneuzeitlichen Stadt, vorzu¨glich der Haupt- und Residenzsta¨dte, in: WestfF 25 (1973), S. 168–212. 139 Patze, Bildung (wie Anm. 137), S. 3. 140 Hans Patze/Gerhard Streich, Die landesherrlichen Residenzen im spa¨tmittelalterlichen Reich, in: BllDtLG 118 (1982), S. 204–220. 141 Vgl. Endemann, Geschichte (wie Anm. 119), S. 226–228; die meisten Referate publiziert in: Fu¨rstliche Residenzen im spa¨tmittelalterlichen Europa, hg. v. Hans Patze/Werner Paravicini (VuF 36), Sigmaringen 1991. 142 Residenzen der Bischo¨fe von Speyer. Speyer, Udenheim, Bruchsal, hg. v. Kurt Andermann/Otto B. Roegele (Vero¨ffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Bruchsal 5), Bruchsal 1989; Stadt und Residenz in Mittelalter und Neuzeit, in: NdsJb 61 (1989), S. 1–104, mit Aufsa¨tzen von Klaus Neitmann, Reinhard Hamann, Carl-Hans Hauptmeyer und Heide Barmeyer; Residenzen – Aspekte hauptsta¨dtischer Zentralita¨t von der fru¨hen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie Kurt Andermann (ObrhStud 10), Sigmaringen 1992; Su¨dwestdeutsche Bischofsresidenzen außerhalb der Kathedralsta¨dte, hg. v. Volker Press (VKomGLdkdBW B 116), Stuttgart 1992; Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. v. Klaus Flink/Wilhelm Janssen (Klever Archiv 14), Kleve 1993; neuestens: Von der Burg zur Residenz, hg. v. Joachim Zeune (Vero¨ffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung e. V.,

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Hans Patze, der diesen Erfolg des neuen Forschungsfeldes nicht mehr bewusst erleben durfte, da ihn 1986 eine la¨hmende Krankheit traf, hat in dem 1982 entworfenen detaillierten Bearbeitungsschema neben den Elementen „Hof“ und „Verwaltung“ der Residenzstadt und ihrer Topographie breiten Raum zugewiesen. Auch wenn die Residenzen-Kommission in ihrer Arbeit, allgemeinen Trends der Media¨vistik folgend, vorzugsweise Fragen der Hofforschung behandelte, ist die Residenzstadt als Forschungsobjekt nicht aus dem Blick geraten. Eine Tagung der Kommission von 2004 stand unter dem Thema „Der Hof und die Stadt“143, und das monumen¨ berblick u¨ber die reichstale Handbuch „Ho¨fe und Residenzen“ gibt auch einen U fu¨rstlichen Residenzorte und Residenzsta¨dte im spa¨tmittelalterlichen Reich.144 Fu¨r die Erforschung des Typs „Residenzstadt“ sind damit ausgezeichnete Voraussetzungen geschaffen. Die Implantation des fu¨rstlichen Hofes und der landesherrlichen Verwaltung in eine bestehende Stadt muss selbstversta¨ndlich als folgenreicher Vorgang gewertet werden, ebenso wie diese Faktoren die Planung neuer Gru¨ndungen entscheidend beeinflussen. Der Kunsthistoriker Martin Warnke hat davon gesprochen, dass der Ausbau eines sta¨dtischen Herrschaftssitzes „im Laufe der Zeit die Stadt urbanistisch und gesellschaftlich gleichsam absorbierte“145, und bereits Albrecht Du¨rer hat 1527 einen Entwurf fu¨r eine ko¨nigliche Stadt vorgelegt, der veranschaulicht, dass es sich bei dieser Stadt „eigentlich um ein sehr großes Schloß mit ausdifferenzierten Funktionen handelt“146. Das darf fu¨r die landesfu¨rstliche Residenz in einer Stadt ganz allgemein gelten und dieses Faktum ero¨ffnet topographischer, urbanistischer und sozialgeschichtlicher Forschung noch ein weites Feld. Vor allem bietet es der Stadtgeschichtsforschung in geradezu idealer Weise die Mo¨glichkeit, Entwicklungsstra¨nge vom Mittelalter in die Neuzeit zu verfolgen. Vergleichbares gilt auch – und darauf sei

¨ berblick u¨ber die Breite der internationalen Forschung gibt die regelB, 11), Braubach 2009; einen U ¨ bersicht u¨ber die Neuerscheinungen in den seit 1991 publizierten „Mitteilungen der Resima¨ßige U denzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Go¨ttingen“. 143 Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit, hg. v. Werner Paravicini/Jo¨rg Wettlaufer (Residenzenforschung 20), Ostfildern 2006; Birgit Studt, Territoriale Funktionen und urbane Identita¨t deutscher Residenzsta¨dte vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: Aspetti e componenti dell’identita` urbana in Italia e in Germania (secoli XIV–XVI)/ Aspekte und Komponenten der sta¨dtischen Identita¨t in Italien und Deutschland (14.–16. Jahrhundert, hg. v. Giorgio Chittolini/Peter Johanek (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Contributi 12), Bollogna/Berlin 2003, S. 45–68. 144 Werner Paravicini (Hg.), Ho¨fe und Residenzen im spa¨tmittealterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, bearb. v. Jan Hirschbiegel/Jo¨rg Wettlaufer, Teilband 2: Residenzen (Residenzenforschung 15. I/2), Ostfildern 2003. 145 Martin Warnke, Geschichte der deutschen Kunst. Zweiter Band: Spa¨tmittelalter und Fru¨he Neuzeit 1400–1750, Mu¨nchen 1999, S. 45. 146 Heiko Lass, Die fru¨hen Residenzen in Sachsen und Thu¨ringen – Innovation und Tradition im 15. und 16. Jahrhundert, in: Zeune, Von der Burg (wie Anm. 142), S. 58–68, hier S. 67; zu Du¨rers Planentwurf: Ulrich Schu¨tte, Milita¨r, Hof und urbane Topographie. Albrecht Du¨rers Entwurf einer ko¨niglichen Stadt aus dem Jahre 1527, in: Paravicini/Wettlaufer, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 143), S. 132–154.

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wenigstens kurz verwiesen – fu¨r ein weiteres Themenfeld, auf das bereits Otto Brunner 1953 hingewiesen hat147 und das sich zum Teil mit der Geschichte der Residenzen u¨berschneidet. Gemeint ist die Pra¨senz des Adels in der Stadt, ob es sich nun um „Stadtadel“ handelt oder den Zuzug adeliger Familien in die Stadt, wie er im Ausgang des Mittelalters versta¨rkt einsetzte, ganz gleichgu¨ltig, ob es sich um Residenzsta¨dte handelt oder nicht.148 Es haben sich also neue Themenfelder in der Stadtgeschichtsforschung etabliert, aber auch in klassischen Forschungskomplexen, die seit jeher eine wichtige Rolle gespielt haben, ist es zu Innovationen und Neuorientierungen gekommen. Das mag in aller Knappheit an einigen Entwicklungszu¨gen der sta¨dtischen Wirtschaftsgeschichte verdeutlicht werden. Unter dem Einfluss des „Paradigmenwechsels“ der siebziger Jahre kam es im Zusammenhang mit der versta¨rkten Bescha¨ftigung mit sozialen Gruppen auch zu einer neuen vertieften Untersuchung genossenschaftlicher Zusammenschlu¨sse in der Stadt, zu den Gilden und Zu¨nften.149 Dabei traten auch die Gesellen und Lehrlinge sta¨rker als zuvor ins Blickfeld.150 Es muss betont werden, dass diese Studien in einem gro¨ßeren, internationalen Kontext der Erforschung sta¨dtischer Einungen ganz allgemein zu sehen sind, die u¨ber wirschaftsgeschichtliche Fra-

147 Otto Brunner, „Bu¨rgertum“ und „Feudalwelt“ in der europa¨ischen Sozialgeschichte, in: GWU 7

(1956), S. 599–614. 148 In den neunziger Jahren ist ein regelrechter Schub in dieser Thematik zu erkennen: Die „Arbeitsge-

meinschaft fu¨r geschichtliche Landeskunde am Oberrhein“ veranstaltete 1992 eine Tagung „Adel und Stadt. Regionale Aspekte eines problematischen Verha¨ltnisses“, die Referate sind publiziert in: ZGO 141 (1993), S. 22–154, mit Beitra¨gen von Thomas Zotz, Michael Diefenbacher, Gerhard Fouquet und Klaus Graf; vgl. noch Andreas Ranft, Adel und Stadt im spa¨ten Mittelalter. Ihr Verha¨ltnis am Beispiel der Adelsgesellschaften, in: Die Kraichgauer Ritterschaft in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Stefan Rhein, Sigmaringen 1993, S. 47–64; Gunnar Teske (Red.), Adel und Stadt (Vero¨ffentlichungen der Vereinigten Westfa¨lischen Adelsarchive 10), Mu¨nster 1998; Arend Mindermann, Adel in der Stadt des Spa¨tmittelalters: Go¨ttingen und Stade 1300–1600 (Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r geschichtliche Landesforschung der Universita¨t Go¨ttingen 35), Bielefeld 1996; Herwig Weigl, Sta¨dte und Adel im spa¨t¨ sterreich, in: Oberdeutsche Sta¨dte im Vergleich. Mittelalter und Fru¨he Neuzeit, hg. mittelalterlichen O v. Joachim Jahn/Wolfgang Hartung, Sigmaringendorf 1989, S. 74–100; Peter Aufgebauer, Die Stadt Einbeck und der regionale Adel im Mittelalter, in: JbGesNdsKG 98 (2000), S. 131–141; zum urbanistischen Element der Adelsho¨fe vgl. etwa Adelsho¨fe in Westfalen, hg. v. Ulrich Grossmann (Schriften des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake 3), Mu¨nchen/Berlin 1989; Anke Hufschmidt (Red.), Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit (Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland 25), Marburg 1996. 149 Otto Gerhard Oexle, Die mittelalterlichen Gilden. Ihre Selbstdeutung und ihr Beitrag zur Formung sozialer Strukturen, in: Soziale Ordnungen im Selbstversta¨ndnis des Mittelalters, hg. v. Albert Zimmermann/Gudrun Vuillemin-Diem (Miscellanea Medievalia 12,1), Berlin 1979, S. 203–226; ders., Die mittelalterliche Zunft als Forschungsproblem. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Moderne, in: BllDtLG 118 (1982), S. 1–44; Gilden und Zu¨nfte. Kaufma¨nnische und gewerbliche Genossenschaften im fru¨hen und hohen Mittelalter, hg. v. Berent Schwineko¨per (VuF 29), Sigmaringen 1985. 150 Wilfried Reininghaus, Die Entstehung der Gesellengilden im Spa¨tmittelalter (VSWG, Beiheft 71), Wiesbaden 1981; Knut Schulz, Handwerksgesellen und Lohnarbeiter. Untersuchungen zur oberrheinischen und oberdeutschen Stadtgeschichte des 14. bis 17. Jahrhunderts, Sigmaringen 1985; Kurt Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein. Ihre soziale Lage und ihre Organisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 18), Frankfurt a. M. 1985.

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gestellungen weit hinausgreift und sich in einer Fu¨lle von Publikationen zum Bruderschaftswesen niedergeschlagen hat, die kaum noch zu u¨berschauen ist.151 Selbstversta¨ndlich haben auch die Bemu¨hungen um quantitative Untermauerung wirtschaftlicher Entwicklungen die Forschung zur mittelalterlichen Stadt erreicht, auch wenn sie keine nachhaltige Wirkung zeitigten.152 Sehr viel folgenreicher aber war eine andere Forschungsrichtung, die sich mit den Schlagworten Wirtschaftsra¨ume, Personengeflechte sowie Handels- und Sta¨dtenetze umschreiben la¨sst. Hier sind ganz offenkundig starke Impulse vom Oeuvre Hektor Ammanns (1894–1967) ausgegangen, das mit einer Studie zur Stellung Nu¨rnbergs in der Wirtschaft des ausgehenden Mittelalters zum Abschluss kam153 und das insgesamt bemu¨ht gewesen war, Handelsnetze und Gewerbebezirke zu rekonstruieren. Diese Anregungen sind seit den ausgehenden sechziger und den siebziger Jahren von Wolfgang Stromer von Reichenbach und Franz Irsigler mit nachhaltigem Erfolg aufgenommen worden und besonders der letztere hat bestimmenden Einfluss auf die seitherige Forschung ausgeu¨bt. Wa¨hrend von Stromer mit seinen personengeschichtlichen Forschungen ganz neue Einsichten in die Entstehung einer spa¨tmittelalterlichen Hochfinanz in Deutschland und in die Verflechtung der oberdeutschen Wirtschaft mit dem o¨stlichen Europa von Ungarn bis Krakau und Lemberg ero¨ffnete,154 hat Franz Irsigler sich um eine konzeptuelle Definition von Wirtschaftsra¨umen bemu¨ht155 und bereits 1979 eine beispielhafte Studie u¨ber die wirtschaftliche Stellung der Stadt Ko¨ln vorgelegt.156 151 Vgl. nur Gilles Gerard Meersseman, Ordo fraternitatis. Confraternitate e pieta` dei laici nel Medioevo

(Italia sacra 24–26), Roma 1977; Le mouvement confraternel au moyen aˆge. France, Italie, Suisse (Collection de l’E´cole Franc¸aise de Rome 97), Rom 1987; Ludwig Remling, Bruderschaften in Franken. Kirchen- und sozialgeschichtliche Untersuchungen zum spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Bruderschaftswesen (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Wu¨rzburg 35), Wu¨rzburg 1986; Einungen und Bruderschaften in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Peter Johanek (StF A 32), Ko¨ln/Weimar/Wien 1993; Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften in spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Sta¨dten, hg. v. Gerhard Fouquet/Matthias Steinbrink/Gabriel Zeilinger (Stadt in der Geschichte 30), Pforzheim 2003; Mittelalterliche Bruderschaften in europa¨ischen Sta¨dten, hg. v. Monika Escher-Apsner, Frankfurt a. M. 2009. 152 Verwiesen sei immerhin auf Franz Irsigler, EDV-Einsatz in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, in: BllDtLG 115 (1979), S. 121–162, sowie auf die monumentale Studie: Dietrich Ebeling/Franz Irsigler, Getreideumsatz, Getreide und Brotpreise in Ko¨ln 1368–1797 (MittStadtAKo¨ln 65/66), 2 Bde., Ko¨ln 1976/77. 153 Hektor Ammann, Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nu¨rnberg im Spa¨tmittelalter (Nu¨rnbF 13), Nu¨rnberg 1970. 154 Wolfgang Stromer von Reichenbach, Oberdeutsche Hochfinanz 1350–1450, 3 Bde. (VSWG, Beihefte 55–57), Wiesbaden 1970; als programmatisch hervorzuheben ders., Wirtschaftsgeschichte und Personengeschichte, in: ZHF 2 (1975), S. 31–42; vgl. im u¨brigen das Schriftenverzeichnis in: Hochfinanz. Wirtschaftsra¨ume. Innovationen. Festschrift fu¨r Wolfgang von Stromer, hg. v. Uwe Bestmann/ Franz Irsigler/Ju¨rgen Schneider, Bd. III, Trier 1987, S. 1257–1278. 155 Vgl. etwa Franz Irsigler, Wirtschaft, Wirtschaftsra¨ume, Kontaktzonen, in: Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter, hg. v. Joachim Ehlers (VuF 56), Stuttgart 2002, S. 379–405, vgl. im u¨brigen zu seinem Oeuvre das Schriftenverzeichnis in: Miscellanea Franz Irsigler. Festgabe zum 65. Geburtstag, hg. v. Volker Henn/Rudolf Holbach/Michel Pauly/Wolfgang Schmidt, Trier 2006, S. 487–502, sowie die Wu¨rdigung durch Ferdinand Opll, Von kritischer Phantasie und wissenschaftlicher Neugier, ebd., S. VII–XII. 156 Franz Irsigler, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Ko¨ln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spa¨tmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt (VSWG, Beiheft 65), Wiesbaden 1979.

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Dabei ging Irsigler methodisch und konzeptionell u¨ber Ammann und auch u¨ber von Stromer weit hinaus. Bereits Ammann hatte Karten zur Veranschaulichung verwendet. Irsigler entwickelte ihre Mo¨glichkeiten weiter, versta¨rkte ihren Einsatz in einzelnen Abhandlungen und bemu¨hte sich erfolgreich um die Erarbeitung des Geschichtlichen Atlasses der Rheinlande, den er seit 1982 herausgibt und in dem zahlreiche wirtschaftsgeschichtliche Pha¨nomene kartographisch dargestellt werden. Gleichzeitig nutzte er die Mo¨glichkeiten, die Walter Christallers Theorie der zentralen Orte bietet157, deren Einfluss auch in seinen Versuchen, das Pha¨nomen „Stadt“ ¨ berlegungen zur „zentraliauf den Begriff zu bringen, spu¨rbar wird.158 Aus seinen U ta¨tsfo¨rdernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe“159 entwickelten sich Forschungen zu Markt- und Messesystemen160, wie zu Geld- und Wa¨hrungssystemen.161 Einen starken Impuls u¨bten in diesem Umfeld auch die nun einsetzenden Untersuchungen des Verha¨ltnisses von Stadt zu Umland wie Hinterland aus,162 wa¨hrend in der a¨lteren Stadtgeschichtsforschung die Stadt ha¨ufig isoliert betrachtet worden war. Bereits 1967 hatte Evamaria Engel in einem ersten Vorstoß bei einer Analyse des Landbuchs Karls IV. fu¨r die Mark Brandenburg zeigen ko¨nnen, dass die Verflechtungen zwischen Stadt und agrarischem Umland außerordentlich eng waren und sich etwa in der Altmark 41 % der Grundrente und der Bede in der Hand sta¨dtischer Lehnbu¨rger befanden.163 Konrad Fritze hat diese Forschungen zu den Stadt157 Walter Christaller, Die zentralen Orte in Su¨ddeutschland. Eine o¨konomisch-geographische Unter-

suchung u¨ber die Gesetzma¨ßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit sta¨dtischen Funktionen, Jena 1933, ND Darmstadt 1968. 158 Vgl. dazu oben mit Anm. 124. 159 Franz Irsigler, Stadt und Umland im Spa¨tmittelalter. Zur zentralita¨tsfo¨rdernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe, in: Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung, hg. v. Emil Meynen (StF A 8), Ko¨ln 1979, S. 1–14. 160 Franz Irsigler, Grundherrschaft, Handel und Ma¨rkte zwischen Maas und Rhein im fru¨hen und hohen Mittelalter, in: Grundherrschaft und Stadtentstehung am Niederrhein, hg. v. Klaus Flink/Wilhelm Janssen (Klever Archiv 9), Kleve 1989, S. 52–78; Fernhandel, Ma¨rkte und Messen in vor- und fru¨hhansischer Zeit, in: Bracker, Hanse (vgl. unten Anm. 173), S. 23–33; in der Folgezeit hat das Thema mehrere Sammelba¨nde hervorgebracht: Bru¨cke zwischen den Vo¨lkern – Zur Geschichte der Frankfurter Messe, hg. v. Rainer Koch, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1991; Europa¨ische Messen und Ma¨rktesysteme in Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Peter Johanek/Heinz Stoob (StF A 39), Ko¨ln/Weimar/Wien 1996; Leipzigs Messen 1497–1997, Teilband 1: 1497–1914, hg. v. Hartmut Zwahr/Thomas Topfstedt/ Gu¨nter Bentele, Ko¨ln/Weimar/Wien 1999; Simonetta Cavaciocchi, Fiere e mercati nella integrazione delle economie europee secc. XIII–XVIII, Firenze 2001; Messen, Jahrma¨rkte und Stadtentwicklung in Europa/Foires, marche´s annuels et de´veloppement urbain en Europe, hg. v. Franz Irsigler/ Michel Pauly (Beitra¨ge zur Landes- und Kulturgeschichte 5/Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d’E´tudes Me´die´vales 17), Trier 2007. 161 Vgl. Geldumlauf, Wa¨hrungssysteme und Zahlungsverkehr in Nordwesteuropa 1300–1800, hg. v. Michael North (QDHansG NF 35), Ko¨ln 1989, darin Franz Irsigler, Wa¨hrungen im oberlothringischen Raum, 1350–1600. Ein Projektbericht, S. 75–91. 162 Sta¨dtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit, hg. v. Hans K. Schulze (StF A 22), Ko¨ln/ Wien 1985. 163 Vgl. Evamaria Engel/Benedykt Zientara, Feudalstruktur, Lehnbu¨rgertum und Fernhandel im spa¨tmittelalterlichen Brandenburg. Mit einer Einleitung von Eckhard Mu¨ller-Mertens (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte VII), Weimar 1967, S. 191, dazu auch Eckhard Mu¨ller-Mertens in ¨ berblick u¨ber das gesamte Forschungsprojekt gibt, an dem noch andere der Einleitung, in der er einen U Wissenschaftler beteiligt waren, hier S. 11.

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Land-Beziehungen fu¨r die su¨dwestliche Ostseeku¨ste weitergefu¨hrt.164 Doch wiederum Franz Irsigler und dann vor allem Rolf Kießling haben spa¨ter solche Untersuchungen vorangetrieben.165 Sie stießen damit die Erforschung sta¨dtischer Netzwerke, der Entstehung und des Funktionierens von Sta¨dtenetzen an, wobei sich selbstversta¨ndlich auch immer wieder Fragen nach dem Verha¨ltnis von Stadt und Stadtherr, vor allem auch nach den Intentionen und politischen Zielen der letzteren verbinden lassen. Auf der einen Seite haben hier etwa auch die Bemu¨hungen um die Erneuerung der Kulturraumforschung166 und um eine ada¨quate kartographische Darstellung der fru¨hen Urbanisierungsphase des 11. bis 13. Jahrhunderts neuen Aufschwung genommen und durch die Arbeiten Alfred Haverkamps und seiner Schu¨ler und Mitarbeiter reiche Fru¨chte getragen.167 Zum anderen kamen versta¨rkt die Sta¨dtelandschaften des Spa¨tmittelalters mit ihren Abstufungen bis hinab zu den Klein- und Kleinststa¨dten in den Blick und boten die Mo¨glichkeit, die langfristige Entwicklung bis in die Fru¨he Neuzeit hinein zu verfolgen.168 Diese Bescha¨ftigung mit „Sta¨dtelandschaften“, „Sta¨dtenetzen“ und „Sta¨dtenetzwerken“ ist durchaus ein Novum. Dagegen geho¨rt das Studium der Einungen von Sta¨dten, von Sta¨dtebu¨nden des Mittelalters sowie die Forschung zur Hanse zu den

164 Konrad Fritze, Bu¨rger und Bauern zur Hansezeit. Studien zu den Stadt-Land-Beziehungen an der

su¨dwestlichen Ostseeku¨ste vom 13. bis zum 16. Jahrhundert (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte XVI), Weimar 1976; vgl. dazu noch Hansische Studien IV. Gewerbliche Produktion und Stadt-Land-Beziehungen, hg. v. Konrad Fritze/Eckhard Mu¨ller-Mertens/Johannes Schildhauer (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte XVIII), Weimar 1979. 165 Franz Irsigler, Stadt und Umland in der historischen Forschung. Theorien und Konzepte, in: Bevo¨ lkerung, Wirtschaft und Gesellschaft. Stadt-Land-Beziehungen in Deutschland und Frankreich, hg. v. Neithart Bulst/Jochen Hoock/Franz Irsigler, Trier 1983, S. 13–38; Rolf Kiessling, Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bu¨rgerbesitz und Wirtschaftsgefu¨ge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (StF A 29), Ko¨ln/Weimar/Wien 1990; Thomas Hill, Die Stadt und ihr Markt. Bremens Umlands- und Außenbeziehungen im Mittelalter (12.–15. Jahrhundert) (VSWG, Beihefte 172), Wiesbaden 2004. 166 Franz Irsigler, Raumkonzepte in der historischen Forschung, in: Zwischen Gallia und Germania, Frankreich und Deutschland. Konstanz und Wandel raumbestimmender Kra¨fte, hg. v. Alfred Heit (THF 12), Trier 1987, S. 11–27. 167 Sta¨dtelandschaft – Sta¨dtenetz – zentralo¨rtlic hes Gefu¨ge. Ansa¨tze und Befunde zur Geschichte der Sta¨dte im hohen und spa¨ten Mittelalter, hg. v. Monika Escher/Alfred Haverkamp/Frank G. Hirschmann (THF 43), Mainz 2000; Monika Escher/Frank G. Hirschmann, Die urbanen Zentren des hohen und spa¨teren Mittelalters. Vergleichende Untersuchungen zu Sta¨dten und Sta¨dtelandschaften im Westen des Reiches und in Ostfrankreich, Bd. 1–3 (THF 50), Trier 2005. 168 Helmut Flachenecker, Fra¨nkische Sta¨dtelandschaften. Anmerkungen zu einem Forschungsdesiderat, in: JbFrkLdF 59 (1999), S. 87–108; Sta¨dtelandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Studien zum Pha¨nomen der Kleinsta¨dte wa¨hrend des Spa¨tmittelalters und der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Helmut Flachenecker/Rolf Kiessling (ZBayLG, Beihefte B 15), Mu¨nchen 1999; Gra¨f/Keller, Sta¨dtelandschaft (wie Anm. 103); Wilhelm Sto¨rmer, Eine besondere Sta¨dtelandschaft in Franken. Die Kleinststa¨dte am Mainviereck, in: Geschichte in Ra¨umen. Festschrift fu¨r Rolf Kießling zum 65. Geburtstag, hg. v. Johannes Burckhardt/Thomas Max Safley/Sabine Ullmann, Konstanz 2006, S. 155–175; Roman Czaja, Die Formung der Sta¨dtelandschaft im Kulmerland im 13. und 14. Jahrhundert, in: Zentrum und Peripherie in der Germania Slavica. Beitra¨ge zu Ehren von Winfried Schich, hg. v. Doris Bulach/Matthias Hardt (Forschungen zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropa 34), Stuttgart 2008, S. 247–263; Peter Johanek, Die Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft, in: ebd., S. 295–316.

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klassischen Themen der Stadtgeschichtsforschung. Zu den Sta¨dtebu¨nden ist im letzten Halbjahrhundert manche Arbeit erschienen, auch geho¨rte die Herausgabe der Quellen zu den oberdeutschen Sta¨dtebu¨nden zu den zentralen Editionsunternehmen der Stadtgeschichtsforschung,169 doch wurden sie nie zu einem Schwerpunktthema der Forschung.170 ¨ berblick ungeAnders steht es selbstversta¨ndlich mit der Hanse, die in diesem U bu¨hrlich zu kurz kommt und eben kein Sta¨dtebund war, sondern eine Interessengemeinschaft von Sta¨dten zur Verteidigung ihrer Privilegien, eine Fernhandelsund Wirtschaftsgemeinschaft zur Wahrnehmung ihrer u¨berregionalen Interessen im Nord- und vor allem im Ostseeraum und im von ihrem Handel erfassten Binnenland, vor allem auch ein flexibles und wandelbares Netzwerk sta¨dtischer Bu¨rger und Kaufleute, die „die Hanse“ trugen. Die Hanse ist als stadtgeschichtliches Sujet im deutschen Geschichtsbild fest verankert,171 was bereits darin zum Ausdruck kommt, dass hansegeschichtliche Forschung auch außeruniversita¨r seit 1870 von einem Verein, dem „Hansischen Geschichtsverein“ getragen und gefo¨rdert wird. Diese Hanseforschung hat in der Zeit, von der hier zur sprechen ist, im geteilten Deutschland und auch nach der Vereinigung von 1990 substantielle Forschungsergebnisse hervorgebracht, und sie hat in dieser Zeit eine zunehmende Internationalisierung erfahren. Die Popularita¨t der Hansegeschichte auch außerhalb der eigentlichen wissenschaftlichen Forschung wird auch darin deutlich, dass sie in diesem Zeitraum sechs Gesamtdarstellungen erfahren hat, die jeweils auch fu¨r ein breites Publikum gedacht 169 Dieses Unternehmen ist wie die Herausgabe der „Hanserezesse“ und der „Chroniken der deutschen

Sta¨dte“ bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt, war seit 1859 in der Planung und wurde 1961 begonnen, 1979 erschien ein erster Band und 2005 war das Jahr 1389 erreicht; damit ist das Unternehmen abgeschlossen: Die Urkunden und Akten der oberdeutschen Sta¨dtebu¨nde vom 13. Jahrhundert bis 1549, Bd. I: Vom 13. Jahrhundert bis 1347, bearb. v. Konrad Ruser, Go¨ttingen 1979, Bd. II: Sta¨dte- und Landfriedensbu¨ndnisse von 1347 bis 1380, bearb. v. dems., Go¨ttingen 1988; Bd. III: Sta¨dte- und Landfriedensbu¨ndnisse von 1381 bis 1389, bearb. v. dems., hg. v. Rainer C. Schwinges, Go¨ttingen 2005. 170 Die wichtige a¨ltere Literatur verzeichnet bei Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 79), S. 129f.; auf einige wichtigere neuere Arbeiten sei hingewiesen: Der Rheinische Sta¨dtebund von 1254/56. Katalog zur Landesausstellung in Worms, 24. Mai–27. Juli 1986. Texte: Johannes Mo¨tsch/Joachim Dollwet, Koblenz 1986; Ju¨rgen Berns, Propter communem utilitatem. Studien zur Bu¨ndnispolitik der westfa¨lischen Sta¨dte im Spa¨tmittelalter (Studia humaniora 16), Du¨sseldorf 1991; Matthias Herrmann (Red.), 650 Jahre Sechssta¨dtebund der Oberlausitz. 1346–1996, Kamenz 1997; Martin Kaufhold, Deutsches Interregnum und europa¨ische Politik. Konfliktlo¨sungen und Entscheidungsstrukturen 1230–1280 (MGH Schriften 49), Hannover 2000; Werner Ma¨gdefrau, Thu¨ringer Sta¨dte und Sta¨dtebu¨nde im Mittelalter, Bad Langensalza 2002; Eva-Marie Distler, Sta¨dtebu¨nde im deutschen Spa¨tmittelalter. Eine rechtshistorische Untersuchung zu Begriff, Verfassung und Funktion (Studien zur europa¨ischen Rechtsgeschichte 207), Frankfurt a. M. 2005; Bernhard Kreutz, Sta¨dtebu¨nde und Sta¨dtenetz am Mittelrhein im 13. und 14. Jahrhundert (THF 54), Trier 2005; hingewiesen sei noch darauf, dass sich das Interesse der Stadtgeschichtsforschung der DDR gegen Mitte der siebziger Jahre sehr intensiv der Rolle der Sta¨dtebu¨nde zugewandt hat, vgl. den Abschnitt „Zum Charakter der Sta¨dtebu¨nde“, in: Hansische Studien III. Bu¨rgertum – Handelskapital – Sta¨dtebu¨nde, hg. v. Konrad Fritze/Eckhard Mu¨ller-Mertens/Johannes Schildhauer (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte XV), Weimar 1975, S. 149–229, mit Aufsa¨tzen von Johannes Schildhauer, Viktor I. Rutenburg, Evamaria Engel u. Marian Biskup, dort weitere Hinweise, vgl. auch Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 79 ), S. 127f. 171 Vgl. dazu nur Klaus Friedland, Die Hanse, Stuttgart/Berlin/Ko¨ln 1991, S. 13–20.

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waren172 und dass mehrere große Ausstellungen veranstaltet wurden,173 die jeweils ein großer Publikumserfolg gewesen sind. Die Hansegeschichte hat viele Facetten, von der Wirtschafts-, Handels- und Seefahrtsgeschichte, u¨ber die Kunst- und Kulturgeschichte bis hin zur politischen Geschichte.174 Im Zentrum jedoch stand immer wieder die Frage nach der Entstehung und dem Funktionieren dieses Verbandes von Sta¨dten, nach dessen Wesen und Charakter, eine Diskussion, die in den Anfa¨ngen des Hansischen Geschichtsvereins begann und noch fortdauert.175 An dieser Stelle ist nun von einem Defizit der deutschen Stadtgeschichtsforschung zu sprechen, das in der internationalen Forschung nicht unbemerkt blieb. Es ist keine Frage, dass die Hanse auch eine politische Macht gewesen ist, und dass die Sta¨dtebu¨nde eine politische Funktion ausgeu¨bt haben. Auch ist nicht daran zu zweifeln, dass sie im Reich, wie auch die Landfriedenseinungen oder auch die sta¨dtischen Netzwerke ganz allgemein u¨berregionale Zusammenha¨nge hergestellt haben. Doch hat die deutsche Forschung im Grunde nie die Bedeutung dieser Netzwerke fu¨r die Entstehung der Machtsstrukturen oder der Herausbildung des modernen Staates diskutiert, wie dies vor allem in der Forschung der Niederlande geschehen ist.176 Hier liegt ein Ansatzpunkt fu¨r die zuku¨nftige Forschung, die die unterschiedliche Entwicklung einzelner Großregionen Europas deutlich sichtbar zu machen vermo¨chte. Sucht man nun am Ende eine Bilanz zu ziehen, dann ist zu konstatieren, dass die Stadtgeschichtsforschung um die Jahrtausendwende und fast ein Jahrzehnt danach 172 Philippe Dollinger, La Hanse (XIIe-XVIIe sie`cle), Paris 1964, dt. Die Hanse, Stuttgart 1966, 5. Aufl.

1998; Johannes Schildhauer/Konrad Fritze/Walter Stark, Die Hanse, Berlin 1974; Johannes Schildhauer, Die Hanse. Geschichte und Kultur, Leipzig 1984; Friedland, Hanse (wie Anm. 171); Heinz Stoob, Die Hanse, Graz 1995, Wiesbaden 22003; Rolf Hammel-Kiesow, Hanse, Mu¨nchen 2000, 32004. 173 Hanse in Europa. Bru¨cke zwischen den Ma¨rkten 12.–17. Jahrhundert. Ausstellung des Ko¨lner Stadtmuseums 9. Juni–9. September 1973, Kunsthalle Ko¨ln, Ko¨ln 1973; Jo¨rgen Bracker, Die Hanse. Lebenswelt und Mythos. Eine Ausstellung des Museums fu¨r Hamburgische Geschichte in Verbindung mit der Vereins- und Westbank, 2 Bde., Hamburg 1989; Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellungskatalog, hg. v. Matthias Puhle (Magdeburger Museumsschriften 4), Magdeburg 1996. 174 Zur Entwicklung der Hanseforschung in den letzten Jahrzehnten vgl. Eckhard Mu ¨ ller-Mertens/ Heidelore Bo¨cker, Konzeptionelle Ansa¨tze der Hanse-Historiographie. Geleitwort zu den Hansischen Studien XIV, in: dies., Konzeptionelle Ansa¨tze (wie Anm. 118), S. 1–18; Eckhard Mu¨ller-Mertens, Die Hanse in europa¨ischer Sicht. Zu den konzeptionellen Neuansa¨tzen der Nachkriegszeit und zu Ro¨rigs Konzept, in: ebd., S. 19–43; heranzuziehen ist auch Rolf Hammel-Kiesow (Hg.), Verglei¨ berblick chende Ansa¨tze in der hansischen Geschichtsforschung (HansStud XIII), Trier 2002; einen U u¨ber die hansegeschichtliche Literatur bietet jeweils die „Hansische Umschau“ in den Ba¨nden der „Hansischen Geschichtsbla¨tter“, der Zeitschrift, die der Hansische Geschichtsverein herausgibt. 175 Vgl. dazu die wichtigsten neueren Diskussionbeitra¨ge: Horst Wernicke, Die Sta¨dtehanse 1280–1418. Genesis – Strukturen – Funktionen (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 22), Weimar 1983; Ernst Pitz, Bu¨rgereinung und Sta¨dteeinung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansesta¨dte ¨ ber die Willensund der Hanse (QDHansG NF 52), Ko¨ln/Weimar/Wien 2001; Thomas Behrmann, U bildung in der „Megalopolis“. Die Hanse in der Deutung von Ernst Pitz, in: HansGbll 120 (2002), S. 205–212. Ein Buch von Dietrich Poeck u¨ber das Netzwerk der Hanse steht vor der Drucklegung [Die Herren der Hanse. Delegierte und Netzwerke, Frankfurt a. M. 2010]. 176 Vgl. nur Wim Blockmans, Sta¨dtenetzwerke in den Niederlanden, in: Janssen/Wensky, Mitteleuropa¨isches Sta¨dtewesen (wie Anm. 18), S. 91–104; ders., Geschichte der Macht in Europa. Vo¨lker, Staaten, Ma¨rkte, Frankfurt a. M./New York 1998, S. 139–150.

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trotz aller Kontinuita¨tsstra¨nge, die aufzuzeigen waren und hier auch hervorgehoben wurden, starke Wandlungen erfahren hat. Sie ist lebendiger und vielfa¨ltiger geworden, vor allem ist sie nicht mehr so stark durch einen einzelnen Forschungstrend bestimmt wie in a¨lterer Zeit durch die Rechts- und Verfassungsgeschichte oder durch den bereits breiter ansetzenden Einfluss der historischen Sozialwissenschaft in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Eine Vielzahl der Aspekte behauptet das Feld. Stadtgeschichte hat sich zur Suche nach der „histoire totale“ entwickelt. Der Grund liegt wohl darin, dass die Stadtgeschichtsforschung, die es mit einem u¨berschaubaren, eng abgegrenzten Gegenstand zu tun zu haben scheint, der dennoch die gesamten Entfaltungsmo¨glichkeiten der menschlichen Lebenswelt in sich schließt, den mannigfachen, und immer schneller aufeinander folgenden Tendenzwenden der Geschichtswissenschaft, den sogenannten „turns“ in besonderer Weise ausgesetzt ist.177 Was gemeint ist, mag nun am Schluss noch ein Blick auf die Hinwendung der Stadtgeschichtsforschung zur Kulturgeschichte deutlich zu machen suchen. Der Stadtgeschichtsforschung – wie der Geschichtswissenschaft insgesamt – ist der kulturgeschichtliche Aspekt niemals fremd gewesen, es genu¨gt, fu¨r das 19. Jahrhundert Namen wie Jules Michelet178, Wilhelm Heinrich Riehl179 und Karl Lamprecht180 zu erwa¨hnen. Auf dem Gebiet der Stadtgeschichte hat selbst Georg von Below, einer der scha¨rfsten Gegner Karl Lamprechts im Methodenstreit, ein auf ein weiteres Publikum zielendes Werk vorgelegt, das in gewissem Sinne der Kulturgeschichtsschreibung zugerechnet werden darf. Sein reich bebildertes Buch u¨ber mittelalterliches Sta¨dtewesen und Bu¨rgertum fasst eben nicht nur Verfassungsfragen und Politik ins Auge, sondern sucht die ganze Lebenswelt zu erfassen: Bauten, Armenund Krankenpflege, Schulwesen, Kunst, Literatur, materielle Kultur, Feste und Vergnu¨gungen. Das Buch stieß ganz offensichtlich auf anhaltendes Interesse.181 Bilderbu¨cher oder „coffeetable-books“ hat es fu¨r ein an historischen Sujets interessiertes Laienpublikum stets gegeben. Daran haben Krieg und Nachkriegszeit und die Wendung der Geschichtswissenschaft zu abstrakten Modellen und sozialwissenschaftlicher Begrifflichkeit nichts gea¨ndert. Aber zu dieser Gattung geho¨rte bereits Belows Buch nicht, selbst wenn es die Abbildungen lediglich illustrativ einsetzte und sie nicht analysierte und interpretierte. Hier schrieb jedoch ein Wissenschaftler von hohen Graden fu¨r ein allgemeines Publikum und suchte die Bilder als Medium einzusetzen, um die Kultur der Vergangenheit sichtbar zu machen. Ha¨lt man Ausschau nach einem Neuansatz dieser Art in der Zeit nach Planitz und Ennen, um bei der nun einmal gewa¨hlten Epoche der Stadtgeschichtsforschung zu bleiben, dann fa¨llt ins Auge ein Markierungspunkt Mitte der achtziger Jahre, der Ansa¨tze bu¨ndelt, die 177 Zu ihnen vgl. die Hinweise oben Anm. 59. 178 Vgl. nur Roland Barthes, Michelet (Europa¨ische Bibliothek 3), Frankfurt a. M. 1980. 179 Jasper von Altenbockum, Wilhelm Heinrich Riehl 1823–1897. Sozialwissenschaft zwischen Kultur-

geschichte und Ethnographie (Mu¨nstersche Historische Forschungen 6), Ko¨ln/Weimar/Wien 1994. 180 Luise Schorn-Schu¨tte, Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik (Schriften-

reihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 22), Go¨ttingen 1984. 181 Georg von Below, Das a¨ltere deutsche Sta¨dtewesen und Bu¨rgertum (Monographien zur Weltgeschichte 6), Bielefeld/Leipzig 1898, 21905, 31925.

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seit den siebziger Jahren entwickelt wurden. Damals vero¨ffentlichte Hartmut Boockmann sein Buch „Die Stadt im spa¨ten Mittelalter“182, ein Buch, das ganz auf Abbil¨ berreste spa¨tmittelalterlicher Sta¨dtedungen aufgebaut war, die die „sichtbaren U Geschichte“ wiedergaben – Bauwerke, Gema¨lde, Realien – um damit die „Wirklichkeit“ der mittelalterlichen Stadt sichtbar zu machen.183 Diese Bilder sind keine bloße Illustration eines Textes, sondern das abgebildete Objekt wird pra¨zise beschrieben und analysiert, als Quelle genutzt. Das war das Credo, das Hartmut Boockmann ha¨ufig ausgesprochen hat. Auch wehrte er sich dagegen, ausschließlich Kulturgeschichte zu bieten, sondern insistierte, sich bemu¨ht zu haben, „die spa¨tmittelalterlichen Sta¨dte im ganzen sichtbar zu machen und auch zu deren Recht und Verfassung und zur sta¨dtischen Gesellschaft vorzudringen“. Auch die Wirtschaft, Handel und Gewerbe kamen nicht zu kurz. Sein Verfahren hatte bereits Vorga¨nger gehabt, in einer Reihe von Sta¨dteportra¨ts, die der Mu¨nchener Beck-Verlag herausbrachte, beispielsweise zu Nu¨rnberg, Regensburg und Wu¨rzburg.184 Auch ihr Konzept beruhte auf einer engen Verbindung von Bild- und Objektinterpretation mit knappem darstellendem Text. Ihr Erfolg, der allerdings im Wesentlichen auf ein o¨rtliches Zielpublikum beschra¨nkt blieb, wa¨hrend sie von der wissenschaftlichen Stadtgeschichtsforschung kaum wahrgenommen wurden, mag Verlag und Autor ermuntert haben, nun einmal eine auf eine einzelne Periode, das Mittelalter und auf ganz Deutschland bezogene Darstellung dieser Art zu wagen. Die Rezeption dieses Buches in der Fachwissenschaft rechtfertigte den hier gefundenen Ansatz und fo¨rderte den Drang, sich der gesamten Lebenswelt der Stadt zu widmen und dabei auf eine erweiterte Quellenbasis und bisher nicht genutzte Medien zu setzen. Erst jetzt wurden auch andere fru¨here Ansa¨tze zur Realienforschung aufgenommen und integriert, wie sie das „Institut fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit“ in Krems zu verwirklichen suchte, das Harry Ku¨hnel 1969 gegru¨ndet hatte und das bereits 1977 einen Sammelband zum Leben in der Stadt publizierte.185 Schubkraft erhielt dieser Neuansatz mit seinen Ru¨ckerinnerungen an die alte Kulturgeschichte, die nicht zu u¨bersehen sind, auch durch ein Großereignis des Kulturbetriebs im Jahre 1985. Damals wurde in Braunschweig die niedersa¨chsische Landesaustellung „Stadt im Wandel“ gezeigt, die ebenfalls die Lebenswirklichkeit der Stadt zu vergegenwa¨rtigen suchte. Sie war maßgeblich von dem Kunsthistoriker Cord Meckseper konzipiert und gruppierte sich um die drei Komplexe der Stadtentwicklung, des Stadtgrundrisses und des baulichen Ko¨rpers, Haus und Familie sowie

182 Hartmut Boockmann, Die Stadt im spa¨ten Mittelalter, Mu¨nchen 1986, 21987, 31994. 183 Ebd., S. 7. 184 Nu¨rnberg. Geschichte in Bilddokumenten, hg. v. Gerhard Pfeiffer, Mu¨nchen 1970, 31977; Regens-

burg. Geschichte in Bilddokumenten, hg. v. Andreas Kraus/Wolfgang Pfeiffer, Mu¨nchen 1979; Wu¨rzburg. Geschichte in Bilddokumenten, hg. v. Alfred Wendehorst, Mu¨nchen 1981. 185 Das Leben in der Stadt des Spa¨tmittelalters, hg. v. Harry Ku ¨ sterreichi¨ hnel (Sitzungsberichte der O schen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 325/Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit 2), Wien 1977; zur Forschungsarbeit des Instituts vgl. Helmut Hundsbichler, Wege zum Alltag des Mittelalters. Arbeitsweise und Forschungsziele des Instituts fu¨r Realienkunde, in: Medium Aevum Quotidianum, Newsletter 1 (1982).

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Fro¨mmigkeit und Bildung.186 Um es kurz zu machen: Hartmut Boockmanns Buch und die Braunschweiger Ausstellung markieren eine neue Wendung zur Kulturgeschichte oder ihre Wiederaufnahme in der Stadtgeschichte, unter starker Betonung der Zeugnisse der materiellen Kultur, eine Wendung, die als erste Phase angesehen werden muss. Es ist mu¨ßig, daru¨ber zu streiten, ob diese Wendung eine postmoderne Reaktion auf die Geschichte der Strukturen, Schichten, Klassen und Quantifizierungen darstellte. Auffa¨llig ist jedoch der zeitliche Zusammenfall mit dem Aufstieg der sogenannten Alltagsgeschichte seit Beginn/Mitte der achtziger Jahre. Sie entwickelte sich zuna¨chst vor allem in der Forschung zur Geschichte der neuesten Zeit187 und ihre Anfa¨nge werden gelegentlich auf „die Entta¨uschung u¨ber die sog. K-Gruppen mit ihrer schematischen und ha¨ufig realita¨tsfernen Interpretation der Arbeitergeschichte“ zuru¨ckgefu¨hrt.188 Wie dem auch immer sei, die Alltagsgeschichte wandte sich dem Konkreten zu, auch wenn sie ihren Gegenstand auf bestimmte soziale Gruppen eingeschra¨nkt wissen wollte, die nicht zu den Akteuren um Macht und Einfluss geho¨rten, die sozusagen den „Jedermann“ repra¨sentieren. Auch die Media¨vistik hat den Begriff „Alltagsgeschichte“ sehr schnell aufgegriffen, und bald begannen die ersten Publikationen zu erscheinen, die ihn im Titel fu¨hrten.189 Die media¨vistische „Alltagsforschung“, insbesondere auf dem Gebiet der Stadtgeschichte, hat von Anfang an ihren Blickwinkel nicht auf die Routine des Allta¨glichen und auf bestimmte soziale Gruppen eingeschra¨nkt, sondern das gesamte Spektrum des Lebens in der Stadt und der mannigfachen Faktoren ins Auge gefasst, die es bestimmen. Man wird daher von einer Geschichte der sta¨dtischen Lebenswelten sprechen du¨rfen, die sich seit den achtziger Jahren immer intensiver und differenzierter entfaltete.190 Es ist ganz unmo¨glich, den reichen Ertrag dieser Forschungen hier ausfu¨hrlich zu ero¨rtern. Er ist lediglich unter Auswahl einiger Themenfelder schlagwortartig zu skizzieren und durch einzelne wichtige Arbeiten zu belegen. Vorausgeschickt sei, dass es fast ein Charakteristikum der Stadtgeschichtsforschung geworden ist, bei Tagungen und Sammelba¨nden, aber auch in Einzelpublikationen, die Epochengrenze von 1500 zu u¨berspringen und den Anschluss an die Fru¨hneuzeitforschung zu

186 Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bu¨rgertums in Norddeutschland 1150–1650. Katalog der Lan-

desausstellung Niedersachsen 1985, hg. v. Cord Meckseper, 5 Bde., Stuttgart 1985. 187 Vgl. v. a. das „Kultbuch“ von Sven Lindqvist, Grabe wo Du stehst, Bonn 1989; in der DDR legte 1979

Ju¨rgen Kuczynski in einem Akademievortrag ein Konzept von Alltagsgeschichte vor, vgl. Ju¨rgen Kuczynski, Prolegomena zu einer Geschichte des Alltags des deutschen Volkes (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR/G, 1980, 4), Berlin 1980, und publizierte dann sein monumentales Werk: ders., Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, 4 Bde., Berlin 1980–1982. 188 Alltagsgeschichte, in: Wikipedia, Stand nach der A ¨ nderung v. 6. April 2009, 21:45 Uhr. 189 Otto Borst, Alltagsleben im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1983; Alltag im Spa¨tmittelalter, hg. v. Harry Ku¨hnel, Graz/Wien/Ko¨ln 1984; vgl. auch Hans Werner Goetz, Alltag im Mittelalter: Methodische ¨ berlegungen anla¨ßlich einer Neuerscheinung, in: AKG 67 (1983), S. 207–225 [betr. Borst, AlltagsleU ben]; sowie seinen eigenen Versuch: ders., Leben im Mittelalter vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, Mu¨nchen 1986, mit ausfu¨hrlicher Ero¨rterung des Begriffs „Alltagsgeschichte“ in der Einleitung, S. 13–18. 190 Auch Goetz, Leben im Mittelalter (wie Anm. 189), S. 18–22, hat diesen Begriff ins Spiel gebracht.

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suchen, von der vor allem in den letzten Jahren die Sta¨dtehistoriker der media¨vistischen Observanz viele Anregungen empfangen haben. Diese Entwicklung folgt ganz offensichtlich den Impulsen, die von der Gru¨ndung der „Zeitschrift fu¨r Historische Forschung“ im Jahre 1974 ausgegangen sind. Spricht man von einer Geschichte der sta¨dtischen Lebenswelten, so wird man den Blick zuna¨chst auf die Lebensverha¨ltnisse der Menschen richten, von der Armut bis zum Luxus und zur ‚conspicuous consumption‘, auf die Sachkultur – auf die Fu¨lle jener Dinge, von denen der Mensch in der Stadt des Mittelalters in seinem Leben umgeben war und mit denen er umging: Hausrat, Kleidung, Werkzeug, Nahrung und anderes mehr. Es versteht sich, dass hier wiederum der Reichtum an Zeugnissen, den die Mittelalterarcha¨ologie angeha¨uft hat, ins Spiel kommt und der bereits in der Ausstellung „Stadt im Wandel“ sichtbar wurde.191 Bei den archa¨ologischen Zeugnissen und sonstigen dinglichen Relikten aus dem Mittelalter, wie sie seit den achtziger Jahren sta¨rker in den Blick gerieten, blieb es selbstversta¨ndlich nicht, sondern die Forschung bemu¨hte sich zunehmend aus den schriftlichen Quellen, insbesondere den Rechnungsbu¨chern, Belege fu¨r die Realien der mittelalterlichen Stadt bereitzustellen und die Ergebnisse mit den Sachzeugnissen zu verbinden.192 Doch auch die Ausscho¨pfung der Schriftquellen allein vermag ha¨ufig ganz neue Einsichten in die Lebensbedingungen zu gewa¨hren. Ernst Schuberts großes Buch u¨ber Essen und Trinken im Mittelalter – das letzte, das der bedeutende Go¨ttinger Landeshistoriker vero¨ffentlichen konnte – ist zwar nicht ausschließlich der Stadt gewidmet, ist aber mit seiner vo¨llig neuartigen Anna¨herung an das Thema und selbstversta¨ndlich in seinem sachlichen Ertrag unentbehrlich fu¨r die Erfassung auch der sta¨dtischen Lebenswelt im Mittelalter.193 Zu den nachhaltigsten Faktoren, die den Rahmen der Lebensbedingungen bestimmen, geho¨rt der bauliche Ko¨rper der Stadt, ihre Profan- und Sakraltopographie, ihre o¨ffentlichen Bauten, technischen Anlagen und ihre Befestigung, deren Bemannung und Instandhaltung zu den bu¨rgerschaftlichen Aufgaben und Pflichten geho¨ren, ganz gleichgu¨ltig, ob es sich um autonome oder landesherrliche Sta¨dte handelt. Die Arbeiten, die sich dem sta¨dtischen Bauen widmen und so die kartographischen Grundlagenarbeiten erga¨nzen und die dreidimensionale Realita¨t anschaulich zu machen vermo¨gen, haben stark zugenommen.194 Wiederum ist wie fast selbstver191 Zur Entwicklung der Mittelalterarcha¨ologie vgl. oben mit Anm. 61ff. In den folgenden Anmerkungen

werden nur beispielhaft herausgegriffene Titel genannt hier etwa: Heiko Steuer (Hg.), Zur Lebensweise in der Stadt um 1200. Ergebnisse der Mittelalter-Archa¨ologie. Bericht u¨ber ein Kolloquium in Ko¨ln vom 31. Januar bis 2. Februar 1984 (ZAM, Beiheft 4), Bonn 1986; Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmo¨nch. Die Stadt um 1300, hg. v. Marianne u. Niklaus Flu¨eler (Katalog zur Ausstellung), Zu¨rich/ Stuttgart 1992. 192 Vgl. z. B. Ulf Dirlmeier, Untersuchungen zu Einkommensverha¨ltnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1978, 1), Heidelberg 1978; zum Methodischen: Die Funktion der schriftlichen ¨ sterreichischen Akademie der WissenschafQuelle in der Sachkulturforschung (Sitzungsberichte der O ¨ sterreichs ten, Phil.-Hist. Kl. 304/Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r mittelalterliche Realienkunde O 2), Wien 1976. 193 Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2006. 194 Beispielsweise Antje Sander-Berke, Baustoffversorgung spa¨tmittelalterlicher Sta¨dte Norddeutschlands (StF A 37), Ko¨ln/Weimar/Wien 1995; Gabriele Isenberg/Barbara Scholkmann, Die Befesti-

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sta¨ndlich die archa¨ologische Forschung maßgeblich beteiligt, die immer ha¨ufiger zu u¨bergreifenden Fragestellungen vorsto¨ßt, etwa wenn es um Innovation und Repra¨sentation geht.195 Waren von den sechziger bis in die achtziger Jahre die innersta¨dtischen Konflikte ein zentrales Thema, so traten nun andere Themen in den Vordergrund, von denen hier zwei – Daseinsfu¨rsorge und Memoria – herausgegriffen seien, die das Leben und Sterben der Menschen im Mittelalter in umfassender Weise betreffen, gleichsam ein totales soziales Pha¨nomen darstellen. Die Geschichte der Hospita¨ler ist ein altes und klassisches Thema der Stadtgeschichtsforschung, zumeist rechtsgeschichtlich oder als Monographie eines einzelnen Hospitals abgehandelt. Einen neuen Ansatz fand die Hospitalgeschichte zum einen dadurch, dass in der allgemeinen Media¨vistik die Geschichte der Armut sowie der Krankheiten und Seuchen immer gro¨ßeres Interesse fanden. Im Schnittfeld dieser Interessen ist die neue Hospitalgeschichte angesiedelt, die sich zu einer umfassenden Geschichte der Daseinsfu¨rsorge gewandelt hat. Das Interesse an einem solchen Ansatz wird jedoch auch zum andern durch die Probleme gena¨hrt, die sich in der gegenwa¨rtigen Lebenswelt aus den Vera¨nderungen der Altersstruktur der Bevo¨lkerung und aus der Kranken- und Behindertenpflege unserer Zeit ergeben. So werden auch die Institutionen und Vereinigungen – Rat, Bruderschaften und geistliche Orden – in solche Forschungen einbezogen, gleichzeitig wird die Hospitalforschung auch dezidiert fu¨r die Gestaltung des Stadtraums und fu¨r Zentralita¨tsfragen der Sta¨dtelandschaften fruchtbar gemacht.196

gung der mittelalterlichen Stadt (StF A 45), Ko¨ln/Weimar/Wien 1997; Gerhard Fouquet, Bauen fu¨r die Stadt. Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben des Spa¨tmittelalters (StF A 48), Ko¨ln/Weimar/Wien 1999. 195 Vgl. nur Armand Baeriswyl, Innovation und Mobilita¨t im Spiegel der materiellen Kultur – archa¨ologische Funde und historische Fragestellung, in: Europa im spa¨ten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur, hg. v. Rainer C. Schwinges/Christian Hesse/Peter Moraw (HZ, Beiheft NF 40), Mu¨nchen 2006, S. 511–537; als Beispiele seien lediglich die sta¨dtische Wasserversorgung genannt (vgl. die Hinweise ebd. S. 536 mit Anm. 75) oder die Entwicklung des Kachelofens, ebd. S. 513–524, dazu noch Julia Hallenkamp-Lumpe, Studien zur Ofenkeramik des 12. bis 17. Jahrhunderts anhand von Bodenfunden aus Westfalen-Lippe (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 42), Mainz 2006. 196 Zur Forschungsentwicklung und a¨lteren Literatur, die in den achtziger und fru¨hen neunziger Jahren die heutige Entwicklung vorbereitete, vgl. die Einleitung in: Peter Johanek (Hg.), Sta¨dtisches Gesundheits- und Fu¨rsorgewesen (StF A 50), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. VII–XIII; einige wichtige Sammelba¨nde: Ospedali e citta`. L’Italia del Centro-Nord, hg. v. Allen J. Grieco/Lucia Sandri, Firenze 1997; Hopitaux et maladreries au moyen aˆge, hg. v. Pascal Montaubin (Histoire me´die´vale et arche´ologie 17), Amiens 2004; Funktions- und Strukturwandel spa¨tmittelalterlicher Hospita¨ler im europa¨ischen Vergleich, hg. v. Michael Matheus (Geschichtliche Landeskunde 56), Stuttgart 2005; Norm und Praxis der Armenfu¨rsorge in Spa¨tmittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Sebastian Schmidt/Jens Aspelmeier (VSWG, Beihefte 189), Stuttgart 2006; Europa¨isches Spitalwesen – Institutionelle Fu¨rsorge in Mittel¨ G, Ergbd. 51), Wien/Mu¨nchen alter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Martin Scheutz/Herwig Weigl (MIO 2008; Institutions de l’assistence sociale en Lotharingie me´die´vale. Actes des 13es Journe´es Lotharingiennes. 12–15 octobre 2004, hg. v. Michel Pauly (Publications du CLUDEM 19), Luxembourg 2008; dazu noch die Monographie: Michel Pauly, Peregrinorum, pauperum ac aliorum transeuntium receptaculum. Hospita¨ler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter (VSWG, Beihefte 190), Stuttgart 2007, mit umfassendem Literaturverzeichnis.

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Bereits im Zusammenhang dieser neuen Hospitalgeschichte ist auch das „Rechnen mit der Ewigkeit“ thematisiert worden,197 die Sorge fu¨r das Seelenheil durch Begru¨ndung von Stiftungen, vor allem fu¨r die liturgische Memoria der Stifter. Damit ist ein Themenfeld beru¨hrt, das in diesem Bericht kaum zur Sprache gekommen ist, na¨mlich das Verha¨ltnis von Stadt und Kirche, vor allem die Geschichte der Fro¨mmigkeit. Das kann hier nicht nachgeholt werden, auch ist das Verha¨ltnis der Stadtgeschichtsforschung zur Kirchen- und Fro¨mmigkeitsgeschichte im letzten Halbjahrhundert, abgesehen von der Forschung zur Reformationszeit, nicht besonders eng gewesen.198 Erst in den letzten Jahren ist das Interesse gewachsen,199 und der Aspekt der Memoria vermag das besonders deutlich zu machen. Die Geschichte der Memoria ist lange Zeit eine Angelegenheit der Bescha¨ftigung mit der Klosterwelt und ihrer Beziehung zur Gesellschaft des Fru¨h- und Hochmittelalters gewesen. Das Spa¨tmittelalter und damit die Stadt blieb davon weitgehend unberu¨hrt. Erst in den letzten Jahren ist die Memoria-Forschung, vor allem unter dem Einfluss der Arbeiten Dietrich Poecks und Michael Borgoltes, in der Stadtgeschichtsforschung rezipiert worden.200 Sie verbindet sich hier ha¨ufig mit der seit langem lebendigen Testamentforschung, die zuna¨chst vor allem fu¨r die Realienkunde fruchtbar gemacht wurde,201

197 So das wichtige Buch von Brigitte Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit. Das Wiener Bu¨rgerspital im

¨ G, Ergbd. 33), Wien/Mu¨nchen 1996; konzeptuell wichtig: Dietrich Poeck, Wohltat Mittelalter (MIO und Legitimation, in: Johanek, Sta¨dtisches Gesundheits- und Fu¨rsorgewesen (wie Anm. 196), S. 1–18. 198 Lediglich im Sonderforschungsbereich 8 „Spa¨tmittelalter und Reformation“ in Tu¨bingen, der 1970 gegru¨ndet wurde, stand das Thema im Zentrum, vgl. etwa Karl Tru¨dinger, Stadt und Kirche im spa¨tmittelalterlichen Wu¨rzburg (Spa¨tmittelalter und Fru¨he Neuzeit 1), Stuttgart 1978; im Sonderforschungsbereich 164 in Mu¨nster (Vergleichende geschichtliche Sta¨dteforschung) wurde es u¨berwiegend unter dem Aspekt der innersta¨dtischen Konflikte betrachtet, vgl. die Anm. 93 zitierten Arbeiten von Ehbrecht sowie Bernd-Ulrich Hergemo¨ller, „Pfaffenkriege“ im spa¨tmittelalterlichen Hanseraum. Quellen und Studien zu Braunschweig, Osnabru¨ck, Lu¨neburg und Rostock (StF C 2), Ko¨ln/Wien 1988. Selbstversta¨ndlich entstanden immer wieder bemerkenswerte Einzelstudien, z. B. Rolf Kiessling, Bu¨rgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spa¨tmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 19), Augsburg 1971; Ulman Weiss, Die frommen Bu¨rger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spa¨tmittelalter und in der Reformationszeit, Weimar 1988, sicherlich die originellste Arbeit zur Stadtgeschichte, die in der DDR entstand. 199 Vgl. beispielsweise Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des spa¨ten Mittelalters: Politik, Wirtschaft und Verwaltung (VSWG, Beihefte 177), Stuttgart 2005; Sigrid Schmitt/Sabine Klapp, Sta¨dtische Gesellschaft und Kirche im Spa¨tmittelalter. Kolloquium Dhaun 2004 (Geschichtliche Landeskunde 62), Stuttgart 2008. 200 Michael Borgolte, „Totale Geschichte“ des Mittelalters? Das Beispiel der Stiftungen. Antrittsvorle¨ ffentliche Vorlesungen 4), Berlin 1993; zuletzt: Memoria. Ricordare e dimentisung, 2. Juni 1992 (O care nella cultura del medioevo/Memoria. Erinnern und Vergessen in der Kultur des Mittelalters, hg. v. Dems. (Annali dell’Istituto Italo-Germanico in Trento. Contributi 15), Bologna/Berlin 2005; Stiftungen im Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne, hg. v. dems. (Stiftungsgeschichten 4), Berlin 2005; Dietrich Poeck, Totengedenken in Hansesta¨dten, in: Viculum societatis. Joachim Wollasch zum 60. Geburtstag, hg. v. Franz Neiske/Dietrich Poeck/Mechtild Sandmann, Sigmaringendorf 1991, S. 175–232; ders., Wohltat (wie Anm. 197); Ralf Lusiardi, Stiftung und sta¨dtische Gesellschaft. Religio¨se und soziale Aspekte des Stiftungsverhaltens im spa¨tmittelalterlichen Stralsund, Berlin 2000. 201 Grundlegende Ansto¨ße gingen bereits in den siebziger Jahren aus von Ahasver von Brandt, Mittelalterliche Bu¨rgertestamente. Neuerschlossene Quellen zur Geschichte der materiellen und geistigen Kultur (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1973, 3),

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dann auch die Daseinsvorsorge fu¨r die Nachkommen zu beru¨hren begann, die selbstversta¨ndlich auch mit Stiftungen fu¨r das Seelenheil zu tun hat, aber neuerdings auch den Aspekt der weltlichen Memoria, der sta¨dtischen Identita¨t und der Erinnerungskultur zu untersuchen beginnt.202 Damit ist ein letzter Komplex stadtgeschichtlicher Forschung beru¨hrt, auf dem sich auch unter dem Einfluss der Sachgu¨terforschung und der Memoriaforschung neue Aspekte ergeben haben. Es geht um das Geda¨chtnis der Stadt, um ihre Geschichtsschreibung und Geschichtserinnerung. Das Herzstu¨ck der Editionsta¨tigkeit zur sta¨dtischen Chronistik, die „Chroniken der deutschen Sta¨dte“, ist zwar seit langem zum Stillstand gekommen,203 jedoch ist außerhalb dieser Reihe eine nicht unbetra¨chtliche Zahl von Editionen erschienen, die hier jedoch nicht zu dokumentieren sind. Sie zeigen jedenfalls an, dass das Interesse an der Geschichtsschreibung der Sta¨dte nicht nachgelassen hat. Nur kurz nach den Bu¨chern von Ennen und Planitz hat 1958 Heinrich Schmidt, ein Schu¨ler Hermann Heimpels, eine Dissertation publiziert, die zum Klassiker wurde204 und fortan die Wege wies, wenn in der Forschung nach mehr gefragt wurde ¨ berlieferung, Textkonstitution und Auswertungsmo¨glichkeit als nach Datierung, U fu¨r die Faktengeschichte. Heinrich Schmidt nun fragte in diesem Buch nach dem „bu¨gerlichen Selbstversta¨ndnis“ im Spiegel der sta¨dtischen Chroniken, suchte also danach, was man in der Sprache der Historiker der Gegenwart als „bu¨rgerliche Identita¨t“ bezeichnen wu¨rde. Daran anknu¨pfend hat sich eine lebendige Forschung entwickelt, die immer wieder Fragen dieser Art stellte, dabei beeinflusst von den Trends der sozialgeschichtlichen Forschung, wenn sie nach der Bindung solcher Geschichtsschreibung an die Interessen sozialer Gruppen fragte.205 In den letzten Jahren sind die Fragen des kollektiven Geda¨chtnisses, der Geda¨chtniskultur und eben der Identita¨tsstiftung durch Geschichtserinnerung sta¨rker als Heidelberg 1973, und von Johannes Schildhauer, Hansesta¨dtischer Alltag. Untersuchungen auf der Grundlage der Stralsunder Bu¨rgertestamente vom Anfang des 14. bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 26), Weimar 1992; das Buch stellt die Summe einer Reihe von Aufsa¨tzen seit 1981 dar. 202 Grundlegend Jacques Chiffoleau, La comptabilite´ de l’au-dela`. Les hommes, la mort et la religion dans la re´gion d’Avignon a` la fin du moyen aˆge (Collection de l’E´cole Franc¸aise de Rome 47), Rom 1980; vgl. etwa Gabriela Signori, Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der sta¨dtischen Gesellschaft des Spa¨tmittelalters (VMPI 160), Go¨ttingen 2001; Memoria, communitas, civitas. Me´moire et conscience urbaines en Occident a` la fin du moyen aˆge, hg. v. Hanno Brandt/ Pierre Monnet/Martial Staub (Beihefte der Francia 55), Ostfildern 2003; Olivier Richard, Me´moires bourgeoises. Memoria et identite´ urbaine a` Ratisbonne a` la fin du moyen aˆge, Rennes 2009; vgl. zuku¨nftig: Judit Majorossy, Church in town. Urban religious life in Late Medieval Pressburg in the mirror of last wills, PhD Diss. Central European University Budapest 2006 (ungedruckt). 203 Die Chroniken der deutschen Sta¨dte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, hg. durch die Historische Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bde. 1–37, Leipzig u. a. 1862–1969; Bd. 36 erschien 1931, dann nur noch Bd. 37 im Jahr 1969; zu einer Fortfu¨hrung bestehen offenbar keine Pla¨ne. 204 Heinrich Schmidt, Die deutschen Sta¨dtechroniken als Spiegel des bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im Spa¨tmittelalter (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 3), Go¨ttingen 1958. 205 Vgl. dazu den U ¨ berblick in der Einleitung zum Sammelband: Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter Johanek (StF A 47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. VII–XIX.

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zuvor in den Vordergrund getreten. Vor allem wird nicht mehr allgemein nach bu¨rgerlichem Selbstversta¨ndnis – etwa im Gegensatz zu adeligem – gefragt, sondern etwa nach der sta¨dtischen Identita¨t im Sinne der communitas, wie sie z. B. im Schlachtengedenken zum Ausdruck kommt206 oder nach der Identita¨tstiftung einzelner sta¨dtischer Gruppen, wobei gegenwa¨rtig die der Eliten und ihrer einzelnen Familien und deren Memoria mit ihrer Beziehung zur Stadt insgesamt im Vordergrund stehen.207 Des weiteren ist eine Akzentverschiebung eingetreten. Die a¨ltere Forschung nutzte fu¨r die Untersuchung von Geschichtsbild und Geschichtsu¨berlieferung fast ¨ berlieferung. Doch seit ausschließlich die chronikalische und historiographische U den neunziger Jahren wendet man sich immer intensiver anderen Tra¨gern und Medien der Erinnerung zu: den Bildern und Symbolen, die in Malerei und Plastik, bei der Ausstattung o¨ffentlicher Bauten eine Rolle spielen, Denkma¨lern und Objekten im Stadtraum, die Erinnerung zu entbinden vermo¨gen, Ritualen, liturgischer Memoria, theatralischem Gestus und performativen Akten, die dazu bestimmt sind, geschichtliche Erinnerung zu evozieren. Die Verknu¨pfung dieser Medien mit der Historiographie konstituiert das sta¨dtische Geschichtsbild.208 Diese letzten Bemerkungen lassen, wie manches andere, was in den letzten Abschnitten zu berichten war, deutlich werden, dass in der ju¨ngsten Zeit, zunehmend wahrnehmbar seit den spa¨ten neunziger Jahren, die historische Forschung u¨ber die Stadt erfasst worden ist von den verschiedenen „turns“, die sich in den Humanwissenschaften ereigneten. Dazu geho¨rt jener ‚spatial turn‘, von dem bereits die Rede war,209 und ganz allgemein eine noch intensivere Hinwendung zu anthropologischen und kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Das Aufnehmen des allgemeinen ‚cultural turn‘ mit seinen Konnotationen durch Ritual und Performanz hat auf den Grundlagen, die in den achtziger Jahren gelegt wurden, noch einmal eine neue Phase der Stadtgeschichtsforschung eingeleitet, die jetzt in voller Blu¨te steht.

206 Dazu grundlegend Klaus Graf, Schlachtengedenken in der Stadt, in: Stadt und Krieg, hg. v. Bernhard

Kirchga¨ssner/Gu¨nter Scholz (Stadt in der Geschichte 15), Sigmaringen 1989, S. 83–104.

207 Vgl. etwa Pierre Monnet, La me´moire des e´lites urbaines dans l’Empire a` la fin du moyen aˆge entre

e´criture de soi et histoire de la cite´, in: Brand/Monnet/Staub, Memoria (wie Anm. 202), S. 49–70; Haus- und Familienbu¨cher in der sta¨dtischen Gesellschaft des Spa¨tmittelalters und der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Birgit Studt (StF A 69), Ko¨ln/Weimar/Wien 2007. 208 Bernd Schneidmu ¨ ller, Reichsna¨he – Ko¨nigsferne. Goslar, Braunschweig und das Reich, in: NdsJb 64 (1992), S. 1–52, hier S. 45–50; Peter Johanek, Geschichtsbild und Geschichtsschreibung in den sa¨chsischen Sta¨dten im 15. und 16. Jahrhundert, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde (wie Anm. 173), S. 557–574; ders., in: Sta¨dtische Geschichtsschreibung (wie Anm. 205), S. VIIIf.; ders., Inszenierte Vergangenheit. ¨ berlieferung in den deutschen Sta¨dten des Mittelalters, in: Ferne Vom Umgang mit geschichtlicher U Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter, hg. v. Matthias Ohm/Thomas Schilp/Barbara Welzel (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 7), Bielefeld 2006, S. 39–48; Gudrun Gleba, Repra¨sentation, Kommunikation und o¨ffentlicher Raum: Innersta¨dtische Herrschaftsbildung und Selbstdarstellung im Hoch- und Spa¨tmittelalter, in: BremJb 77 (1998), S. 125–152; neuestens Marc von der Ho¨h, Erinnerungskultur und fru¨he Kommune. Formen und Funktionen des Umgangs mit der Vergangenheit im hochmittelalterlichen Pisa (1050–1150) (Hallische Beitra¨ge zur Geschichte des Mittealters und der Neuzeit 3), Berlin 2006; Regula Schmid, Geschichte im Dienst der Stadt. Amtliche Historie und Politik im Spa¨tmittelalter, Zu¨rich 2009, v. a. S. 147–197. 209 Vgl. oben mit Anm. 59.

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Es ist dieses Faktum, dass noch einmal zu den Fragen des Stadtbegriffs zuru¨cklenkt. Dieser neuen Stadtgeschichte geht es nicht, oder jedenfalls nicht prima¨r, um die Kriterien, die das Wesen der Stadt oder der okzidentalen Stadt bestimmen. Der Verbandscharakter wird vorausgesetzt oder hingenommen, und die Stadt definiert als eine Gemeinschaft – als Rechtsgemeinschaft, Friedensgemeinschaft, Sakralgemeinschaft oder eben als Erinnerungsgemeinschaft, vor allem aber als Kommunikationsgemeinschaft. Der Stadtraum – der sozial konstruierte wie der reale, gebaute und gegliederte Stadtraum – wird als soziale Arena gesehen. Er ist ein Kommunikationsraum, der durch Prozessionen markiert,210 in dem geredet, gerufen wird und Zeichen gesetzt werden,211 in dem Konflikte ausgetragen und Repra¨sentationen verwirklicht werden212 und verpflichtende Vergangenheit evoziert wird, in dem Herrschaftsund Autonomiespielra¨ume im herrscherlichen und landesherrlichen Adventus ausgehandelt213 und Beziehungsgeflechte sichtbar werden214, in dem ein Himmel u¨ber den Rat gespannt wird215 und ganz allgemein neben mu¨ndlichem und schriftlichem Austausch216 auch rituelle und symbolische Kommunikation in politischer oder sozialer Interaktion geu¨bt wird.217 210 Jacques Ge´lis, Procession enveloppante et fil de cire. Une protection symbolique de l’espace urbain,

in: Savoirs des lieux. Ge´ographie en histoire, ed. par Odile Redon, Saint-Denis 1996, S. 49–58; Andrea Lo¨ther, Prozessionen in spa¨tmittelalterlichen Sta¨dten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, sta¨dtische Einheit (Norm und Struktur 12), Ko¨ln/Weimar/Wien 1998; Sabine von Heusinger, ‚Cruzgang‘ und ‚umblauf‘ – Symbolische Kommunikation im Stadtraum am Beispiel der Prozessionen, in: Kommunikation in mittelalterlichen Sta¨dten, hg. v. Jo¨rg Oberste (Forum Mittelalter, Studien 3), Regensburg 2007, S. 141–155. 211 Regula Schmid, Reden, Rufen, Zeichen setzen. Politisches Handeln im Berner Twingherrenstreit 1469–1471, Zu¨rich 1995. 212 Stefanie Ru ¨ ther, Prestige und Herrschaft. Zur Repra¨sentation der Lu¨becker Ratsherren in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit (Norm und Struktur 16), Ko¨ln/Weimar/Wien 2003. 213 Peter J. Arnade, Realms of ritual. Burgundian ceremony and civic life in late medieval Ghent, Ithaca 1996; Gerrit Jasper Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzu¨ge im spa¨tmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 21), Ko¨ln/Weimar/Wien 2003; Jan Brademann, Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit (Studien zur Landesgeschichte 14), Halle 2006; Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. v. Peter Johanek/Angelika Lampen (StF A 75), Ko¨ln/Weimar/Wien 2009. 214 Simon Teuscher, Bekannte – Klienten – Verwandte. Soziabilita¨t und Politik in der Stadt Bern um 1500 (Norm und Struktur 9), Ko¨ln/Weimar/Wien 1998. 215 Dietrich W. Poeck, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.–18. Jahrhundert) (StF A 60), Ko¨ln/Weimar/Wien 2003; Antje Diener-Staeckling, Der Himmel u¨ber dem Rat. Zur Symbolik der Ratswahl in mitteldeutschen Sta¨dten (Studien zur Landesgeschichte 19), Halle 2008. 216 Michael Jucker, Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgeno¨ssischen Tagsatzungen im Spa¨tmittelalter, Zu¨rich 2004. 217 Arnade, Realms of ritual (wie Anm. 213); Wim Blockmans, Publieke rituelen, in: Prinsen en porters. Beelden van de laat-middleeuwse samenleving in de Bourgondische Nederlanden, hg. v. Walter Prevenier, Antwerpen 1998, S. 321–332; Showing Status. Representations of social positions in the late Medieval Low Countries, hg. v. dems./Antheus Janse, Turnhout 1999; Andre´ Krischer, Reichssta¨dte in der Fu¨rstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Fru¨hen Neuzeit, Darmstadt 2006; allgemein zur Ritualforschung: Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit, in: ZHF 27 (2000), S. 389–405.

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Das sind neue Ansa¨tze, die sich mit hergebrachten Verfahren und Feldern der Stadtgeschichtsforschung, vor allem auch mit der topographischen Forschung – die auf diesem Hintergrund eben keinesfalls lediglich antiquarischen Charakter hat – vereinen lassen und faszinierende Ergebnisse zeitigen. All dies beginnt auch außerhalb der Fachwissenschaft Fru¨chte zu tragen, durch Bu¨cher beispielsweise, wie sie einst Georg von Below und Hartmut Boockmann218 schrieben, die nicht ausschließlich fu¨r professionelle Stadthistoriker bestimmt sind, sondern an ein breites, an wissenschaftlicher Thematik interessiertes Publikum, die Ergebnisse der Forschung vermitteln. Dabei geschieht es immer ha¨ufiger, dass solche Darstellungen nicht im allgemeinen „Alltag“ oder „Leben“ des Mittelalters verbleiben, wobei immer gewisse Unscha¨rfen und Verallgemeinerungen in Kauf genommen werden mu¨ssen. Vielmehr wenden sie sich einer Einzelstadt zu, deren Lebenswelt sie pra¨zise unter den Aspekten der neuen Forschungsansa¨tze beschreiben, gleichsam eine „histoire totale“ dieser Stadt liefern. Als Beispiel darf hier in Wien das Buch Ferdinand Oplls zum Leben im mittelalterlichen Wien genannt werden,219 das die Beliebigkeit, die man der „Alltagsgeschichte“ ha¨ufig zuschreibt, weit hinter sich la¨sst. Seine Darstellung, fakten- und materialgesa¨ttigt, nimmt die Totalita¨t der Lebenswirklichkeit in den Blick: Lebensbedingungen, den Sakralbereich und die Fro¨mmigkeit so gut wie Wirtschaft und weltliches Recht, daru¨ber hinaus Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen. Nicht immer sind es ausschließlich Bu¨cher, die solche Wirkungen anstreben, sondern gezielte Aktionen, um das Mittelalter sozusagen „unter die Leute“ zu bringen, ohne dabei den wissenschaftlichen Anspruch aufzugeben. Seit vielen Jahren beispielsweise ist Thomas Schilp, einer der Dortmunder Stadtarchivare, bemu¨ht, in interdisziplina¨rer Anna¨herung, vor allem im Bu¨ndnis mit der Kunstgeschichte, durch Ausstellungen und Vortragsreihen (deren Referate dann wieder in Bu¨cher, Kataloge und Sammelba¨nde eingehen) in der Industriestadt Dortmund deren verschu¨ttete mittelalterliche Vergangenheit sichtbar, lebendig und bewusst werden zu las¨ ffentlichkeit sind enorm, vor allem, sen.220 Der Erfolg und der Widerhall in der O weil auch die Konfrontation von mittelalterlicher Lebenswelt und Industriezeitalter nicht gescheut wird und bedeutende Wissenschaftler zu den Konzepten von Erinnerungsort (Otto Gerhard Oexle) und Transformation des sta¨dtischen Raumes (Karl

218 Vgl. oben Anm. 181 u. 182. 219 Ferdinand Opll, Leben im mittelalterlichen Wien, Wien/Ko¨ln/Weimar 1998. 220 Den Beginn dieser Bemu¨hungen markiert der aus der akademischen Lehre unter Mitwirkung von

Studierenden hervorgegangene Sammelband Himmel, Ho¨lle, Fegefeuer. Jenseitsvorstellungen und Sozialgeschichte im spa¨tmittelalterlichen Dortmund, hg. v. Thomas Schilp (Vero¨ffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund 12), Essen 1996. Einen gewissen Ho¨hepunkt bildete die große Ausstellung „Ferne Welten – Freie Stadt“ 2006 (Katalog: Ohm/Schilp/Welzel, Ferne Welten, wie Anm. 208); 2004 begru¨ndete Schilp die Reihe Dortmunder Mittelalter-Forschungen, die es mittlerweile auf 12 Ba¨nde gebracht hat und sich mit einem Schwerpunkt den erhaltenen spa¨tmittelalterlichen Altarretabeln Dortmunds widmet; hervorgehoben seien: Bd. 4: Monika Fehse, Dortmund um 1400. Hausbesitz, Wohnverha¨ltnisse und Arbeitssta¨tten in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, Bielefeld 2005; Bd. 5: Sta¨dtische Repra¨sentation. St. Reinoldi und das Rathaus als Schaupla¨tze des Dortmunder Mittelalters, hg. v. Nils Bu¨ttner/Thomas Schilp/Barbara Welzel, Bielefeld 2005; Bd. 6: Stadtfu¨hrer Dortmund im Mittelalter, hg. v. Thomas Schilp/Barbara Welzel, Bielefeld 2006.

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¨ ffentlichkeit fu¨r Schlo¨gel) zu Worte kommen.221 In solchen Versuchen, eine breite O die Wissenschaft vom Mittelalter zu gewinnen und Bewusstsein oder doch Neugier fu¨r das erhaltene oder verlorene mittelalterliche Bild unserer Sta¨dte zu wecken, liegt ebenfalls eine der großen und wichtigen Aufgaben der Stadtgeschichtsforschung. So ende ich auf einer optimistischen Note, was den Bericht u¨ber die ju¨ngsten Entwicklungen der Stadtgeschichtsforschung zum Mittelalter angeht, die ihre gegenwa¨rtige Intensita¨t ganz gewiss auch der Tatsache verdankt, dass wir in einer Kommunikationsgesellschaft leben oder doch zu leben glauben.

221 Vgl. Mittelalter und Industrialisierung. St. Urbanus in Huckarde, hg. v. Thomas Schilp/Barbara Wel-

zel (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 12), Bielefeld 2009.

¨ STERREICHISCHE STADTGESCHICHTSFORSCHUNG DIE O ZUR MITTELALTERLICHEN EPOCHE Leistungen – Defizite – Perspektiven [Erstabdruck: Pro Civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung ¨ sterreich, NF 5 (2000), S. 7–22] in O

Heinrich Fichtenau zum Gedenken Man wird es einem Gast, einem Fremden, der von weither kommt und dessen Hauptberuf es ist, an der Hohen Schule zu Mu¨nster die Geschichte Westfalens zu traktieren, nachsehen, wenn er mit einem Zitat aus vertrautem Umfeld beginnt und es dann leicht, allerdings zum Nachteil seines Gastlandes abwandelt.1 Am Ende des Mittelalters, von dessen Sta¨dtegeschichte nun die Rede sein soll, schrieb Werner Rolevinck, ein aus dem Mu¨nsterland stammender Ko¨lner Karta¨user am Beginn seines Buchs zum Lobe Westfalens, das er 1476 im Buchdruck publizierte: Westphalia ... terra est non vinifera sed virifera – Westfalen ist kein Reben-, sondern ein Reckenland.2 Niemand wird das bezweifeln, der einmal u¨ber den Domplatz zu Mu¨nster geschritten ist. ¨ sterreich gewendet ließe sich das Zitat etwa folgendermaßen adaptieren: Auf O Austria terra est vinifera sed non villifera. Das ist schlechtes Latein, trifft jedoch die Sache; auch andere Berichterstatter, die in a¨hnlichen Zusammenha¨ngen a¨hnliche Referate gehalten haben, haben dergleichen festgestellt. Ein kurzer Vergleich kann die sachliche Grundlage deutlich machen. Der Landesteil Westfalen des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen umfasst 21 405 km2, also etwa ein gutes Viertel ¨ sterreich mit ihren 83 850 km2. In O ¨ sterreich gibt es ausder Fla¨che der Republik O ¨ sterreichs3 162 Sta¨dte (Stand weislich der Bibliographie zur Geschichte der Sta¨dte O 1. Ja¨nner 2000: 183 Sta¨dte), in Westfalen jedoch etwa 200; fu¨r andere deutsche und europa¨ische Landschaften bietet sich ein a¨hnliches Bild hinsichtlich der Sta¨dtedichte.

1 Mein Vortrag vom Klagenfurter Historikertag gelangt unvera¨ndert zum Abdruck, und ist lediglich mit

den notwendigen Nachweisen versehen worden.

2 Werner Rolevinck, Ein Buch zum Lobe Westfalens, des alten Sachsenlandes, hg. v. Hermann Bu¨cker,

Mu¨nster 21982, S. 12f.

3 Bibliographie zur Geschichte der Sta¨dte O ¨ sterreichs, hg. v. Wilhelm Rausch, bearb. v. Willibald Kat-

zinger/Rautgundis Machalka-Felser/Anneliese Schweiger, Linz/Donau 1984, S. VIII.

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Es muss also bei der Feststellung Wilhelm Rauschs im Vorwort der soeben zitier¨ sterreichs bleiben. Man wird ten Bibliographie von der „geringen Sta¨dteanzahl“ O ¨ sterreich oder besser: dass die einzelnen daher auch getrost behaupten du¨rfen, dass O ¨ sterreichs keine ausgesprochenen Sta¨dhistorischen Regionen oder Landschaften O telandschaften gewesen sind, die im Mittelalter von europa¨ischem oder doch u¨berregionalem Gewicht gewesen wa¨ren. Selbstversta¨ndlich hat z. B. das Sta¨dtedreieck Bru¨nn–Wien–Pressburg fu¨r das oberdeutsche Handelssystem des 15. und 16. Jahrhunderts eine herausragende Rolle gespielt, so dass etwa Ko¨lner Kaufleute in perso¨nlicher Pra¨senz bis hierhin vorstießen. Auch die Linzer Messen erfu¨llten eine u¨berregionale Funktion, und auch sonst la¨sst sich fu¨r das spa¨tere Mittelalter die eine oder ¨ sterreichs im europa¨ischen Kontext nennen. Es kann jedoch keine andere Stadt O Rede davon sein, dass die o¨sterreichische Sta¨dtelandschaft – sei es im Herzogtum ¨ sterreich, in Innero¨sterreich oder auch in Tirol – von so großem Gewicht geweO sen sei, dass sie die Stadtgeschichtsforschung in besonderem Maße stimuliert ha¨tte, wie das etwa bei den flandrischen Sta¨dten der Fall gewesen ist4 oder den Hansesta¨dten des norddeutschen und nordwestdeutschen Raumes. Dort entwickelte sich seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Hanseforschung, die sich sogar in einer eigenen Zeitschrift artikulierte5 und noch heute von einem eigenen Verein, dem Hansischen Geschichtsverein getragen wird. Gar nicht zu vergleichen ist die o¨sterreichische Sta¨dtelandschaft mit den oberitalienischen Kommunen, von deren Geschichte und Verfassungsentwicklung auf die Stadtgeschichtsforschung im europa¨ischen Rahmen gewaltige Impulse ausgegangen sind.6 ¨ sterreich, und das hat weit zuru¨ckreichende WurNichts von alledem also in O zeln, wenn man bedenkt, dass kaum etwas von der blu¨henden mittelalterlichen Geschichtsschreibung der Sta¨dte in den verschiedenen Formen und Gattungen, wie

4 Es genu¨gt, fu¨r die a¨ltere Forschungsgeschichte auf den Namen Henri Pirenne hinzuweisen, auf seine

Aufsatzsammlung Les villes et les institutions urbaines, 2 Bde., Paris/Bru¨ssel 41939, oder auf die stadtgeschichtlichen Kapitel seiner Histoire de Belgique, Bd. 1, 51929 u. Bd. 2, 31922; ein Fazit zur Bedeutung des flandrischen Raums fu¨r die Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt in Anfa¨nge des Sta¨dtewesens an Schelde, Maas und Rhein bis zum Jahre 1000, hg. v. Adriaan Verhulst (StF A 40), Ko¨ln/ Weimar/Wien 1996; die Bedeutung der flandrischen Sta¨dte im europa¨ischen Kontext wurde zuletzt fu¨r ¨ sterreich auf der Schallaburg gezeigte Ausstelein breites Publikum verdeutlicht durch die auch in O lung „Stadtbilder in Flandern. Spuren bu¨rgerlicher Kultur 1477–1787“ und ihren Katalog, hg. v. Jan van der Stock, Bru¨ssel 1991. 5 Hansische Geschichtsbla¨tter, Bd. 1ff. (1874ff.); vgl. im U ¨ brigen zur Hanseforschung und dem sie tragenden Hansischen Geschichtsverein (gegr. 1870) Volker Henn, Wege und Irrwege der Hanseforschung und Hanserezeption in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, hg. v. Marlene Nikolay-Panter, Ko¨ln 1994, S. 388–414; die Beitra¨ge zur Geschichte der Hanseforschung von Rainer Postel/Joachim Deeters/Ernst Pitz in: HansGbll 114 (1996), S. 105ff.; es ist wohl kein Zufall, dass die stadtgeschichtliche Forschung in Deutschland einsetzt mit Georg Sartorius, Geschichte des Hanseatischen Bundes, Bd. 1–3, Go¨ttingen 1802–1808, vgl. dazu Klaus Friedland, Vom sittlichen Wert geschichtlicher Erkenntnis. Georg Sartorius’ Werk u¨ber den Hanseatischen Bund, in: HansGbll 116 (1998), S. 117–136. 6 Eines der grundlegenden Werke der fru¨hen deutschen Stadtgeschichtsforschung (vgl. unten mit Anm. 13) war dieser Thematik gewidmet: Carl Hegel, Geschichte der Sta¨dteverfassung von Italien seit der Zeit der ro¨mischen Herrschaft bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts, Leipzig 1847; ND Aalen 1964.

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sie das deutsche Spa¨tmittelalter vom 13. bis ins beginnende 16. Jahrhundert hervorgebracht hat, in o¨sterreichischen Sta¨dten entstanden ist. Erst in der Fru¨hen Neuzeit, als auch anderwa¨rts sta¨dtische Geschichte aus dem Blickpunkt des Landesfu¨rsten ¨ sterreich ebenfalls eine Hisund seiner Amtstra¨ger aufgezeichnet wurde, setzte in O toriographie ein, die die Stadt zum Sujet machte, spa¨rlicher als anderwa¨rts auch sie ¨ berblicksdarstellungen ohne neue U ¨ berpru¨fung der U ¨ beroffenbar, wenn man den U lieferung trauen darf. Die „Vienna Austriae“ des Wolfgang Lazius ist das bekannteste Beispiel.7 Doch daneben steht noch anderes, wie etwa jene Aufzeichnungen vom Ursprung von Stadt, Burg und Grafschaft Wels, die Siegfried Haider8 vor etwa einem Jahrzehnt zuga¨nglich gemacht hat oder die den Geist protestantischer Opposition atmenden „Annales Styrienses“ des Valentin Preuenhuber.9 Doch das alles entstand im 17. Jahrhundert, im Mittelalter fehlen solche Werke. In Alphons Lhotskys Quellenkunde findet man im Register zwar die Stichwo¨rter „Stadtrecht“ und „Stadtsiegel“, das Stichwort „Stadtchronik“ sucht man dagegen vergebens.10 Selbst wenn einzelne Autoren anderer Gattungen der Geschichtsschreibung wie Jans Enikel oder Otacher aus der Geul scha¨tzenswerte und scharfsichtige Einscha¨tzungen sta¨dtischer Politik in ihre Chroniken eingeflochten haben, so fehlt doch den Media¨visten der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung eine ganze Quellengattung, wie sie jenen im reichen Maße zur Verfu¨gung steht, die sich mit der Sta¨dtegeschichte in anderen Regionen des mittelalterlichen Reichs bescha¨ftigen. Diese reiche Stadtchronistik hat in der deutschen Sta¨dteforschung stets eine wichtige Rolle gespielt, vor allem, was die Analyse stadtbu¨rgerlicher Mentalita¨t und die Beurteilung sta¨dtischer Politik nach ihren Prinzipien und Motivationen angeht.11 Damit sind bereits zwei Defizite oder besser Handicaps der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung bezeichnet, die durch die Natur des Untersuchungsgegenstandes und durch die Quellenstruktur vorgegeben sind. Fu¨r die Entstehung und Entwicklung einer Tradition in der Stadtgeschichtsforschung kommt ein weiteres Moment hinzu. Die Stadtgeschichtsforschung der modernen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert bezog ihre ersten Antriebe aus bestimmten politischen Vorstellungen, na¨mlich aus dem Glauben an die Vorbildhaftigkeit der mittelalterlichen Stadt fu¨r die eigene Gegenwart. Diese Vorbildhaftigkeit galt einmal im Hinblick auf die Konzeptionen bu¨rgerlicher Freiheit und sta¨dtischer Verfassung und zum anderen auf den in der Stadt herrschenden „Gewerbfleiß“ ta¨tiger Bu¨rger, der die Unabha¨ngigkeit und Autonomie des sta¨dtischen Gemeinwesens begru¨ndete. Es versteht sich, dass man dabei vor allem die Reichssta¨dte und 7 Wolfgang Lazius, Vienna Austriae, Basel 1546; dt. U ¨ bersetzung: Heinrich Abermann, Historische

Beschreibung deren Wienerischen Geschichten, Wien 1619. 8 Siegfried Haider, „Ursprung der Stadt, Burg und Grafschaft Wels“. Die a¨lteste Chronik von Wels aus

dem 17. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Musealvereins Wels 27 (1987/88), S. 77–100.

9 Valentin Preuenhuber, Annales Styrienses, Nu¨rnberg 1740; zu weiteren Sta¨dtechroniken vgl.

¨ sterreichische Historiographie, Mu¨nchen 1962, S. 110–113. Alphons Lhotsky, O

10 Alphons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte O ¨ sterreichs (MIO ¨ G, Erg. Bd. 19),

Graz/Ko¨ln 1963.

11 Vgl. dazu jetzt die Einleitung zu dem Sammelband: Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Mittelalter

und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter Johanek (StF A 47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. VII–XIX.

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¨ sterreich zumeist vertretenen lanHansesta¨dte im Auge hatte, nicht aber die in O desfu¨rstlichen Sta¨dte. Das alles braucht hier im Einzelnen nicht dargelegt werden; Heinrich Koller hat es vor nicht ganz zehn Jahren auf der großen Methodentagung ¨ sterreichischen Arbeitskreises fu¨r Stadtgeschichtsforschung in Linz getan,12 des O und liest man in seinem publizierten Text in den Fußnoten die Namen der Historiker und Juristen, die diesen Innovationsschub der Begru¨ndung einer wissenschaftlichen Stadtgeschichte in Bewegung gebracht haben – Karl Dietrich Hu¨llmann, Karl Friedrich Eichhorn, Ernst Theodor Gaupp, Heinrich Gottfried Gengler, Carl Hegel, denen etwa noch Gustav Homeyer und der bereits genannte Georg Sartorius hin¨ sterreicher ist darunzuzufu¨gen wa¨ren13 – so sind das alles Reichsdeutsche. Kein O ter. Man wird nicht fehl gehen, wenn man dieses Faktum mit den Gegebenheiten der Restaurationszeit und des Metternichschen Systems in Zusammenhang bringt. So ist ¨ sterreich im Wesentlichen erst in der zweiten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts, eher es in O gegen dessen Ende hin zur Entwicklung moderner Stadtgeschichtsforschung gekommen. Ihren ersten Gipfel erreichte sie ganz offenkundig um die Jahrhundertwende mit dem Sammelwerk der „Geschichte der Stadt Wien“.14 Dieses Werk wurde initiert und getragen von einer Organisationsform, wie sie fu¨r das Bu¨rgertum des 19. Jahrhundert typisch ist: von einem Verein, dem „Alterthumsverein zu Wien“. Zuru¨ckgreifen konnte man dabei bereits auf die Quellenedition von Johann Adolph Tomaschek zu den Rechtsquellen der Stadt Wien von 1877/79,15 und diese Quellenedition befruchtete das ebenfalls vom Verein herausgegebene Urkunden- und Regestenwerk zur Geschichte der Stadt Wien, das von 1899 an erschien.16 Gerade dieses Großvorha12 Heinrich Koller, Zur Entwicklung der Stadtgeschichtsforschung im deutschsprachigen Raum, in:

Stadtgeschichtsforschung. Aspekte, Tendenzen, Perspektiven, hg. v. Fritz Mayrhofer (Beitra¨ge zur ¨ berGeschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 12), Linz/Donau 1993, S. 1–18; hier seien zugleich weitere U ¨ sterreich genannt, gelegentlich mit U ¨ berbliblicke zur Entwicklung der Stadtgeschichtsforschung in O cken zur Landesgeschichtsforschung verbunden: Karl Gutkas, Stadtgeschichtliche Forschungsaufgaben in Niedero¨sterreich, in: Unsere Heimat 27 (1956), S. 137–148; Herbert Knittler, Stadtgeschichts¨ sterreich – Entwicklung, Aufgaben und Probleme, in: Stadt und Stadtherr im 14. Jahrforschung in O hundert. Entwicklungen und Funktionen, hg. v. Wilhelm Rausch (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 2), Linz/Donau 1972, S. 379–400; Franz Baltzarek, Regional- und Stadtgeschichte im Spannungsfeld zwischen traditioneller historischer Landeskunde und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, in: JbVGWien 34 (1978), S. 439–459; Herwig Ebner, Schwerpunkte der o¨sterreichischen Landesgeschichtsforschung nach 1945, in: JbRG 12 (1985), S. 7–48, hier S. 39ff.; Felix Czeike, Die Wiener ¨ ber Stadtgeschichtsschreibung seit 1945, in: Pro Civitate Austriae 8 (1988), S. 17–39; Albert Mu¨ller, U vergangene und zuku¨nftige Probleme o¨sterreichischer Stadtgeschichte, in: Stadtgeschichtsforschung, hg. v. Mayrhofer (wie oben bei Koller), S. 143–172. 13 Karl Dietrich Hu ¨ llmann, Sta¨dtewesen des Mittelalters, Teil 1–4, Bonn 1826–1829; Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Teil 1–4, Go¨ttingen 31821–1825; Ernst Theodor ¨ ber deutsche Sta¨dtegru¨ndung, Stadtverfassung und Weichbild im Mittelalter, ..., Jena 1824, Gaupp, U ND Aalen 1966; Ders., Deutsche Stadtrechte des Mittelalters, Bd. 1–2, Breslau 1851–52, ND Aalen 1966; Heinrich Gottfried Philipp Gengler, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters, Nu¨rnberg 1866, ND Aalen 1964; Gustav Homeyer, Die deutschen Rechtsbu¨cher des Mittelalters und ihre Handschriften, Berlin 1856; zu Sartorius vgl. oben Anm. 5; zu Hegel Anm. 6. 14 Geschichte der Stadt Wien, hg. v. Alterthumsvereine zu Wien, Bd. 1–6, Wien 1897–1918. 15 Die Rechte und Freiheiten der Stadt Wien, Bd. 1–2, hg. v. Johann Adolph Tomaschek, Wien 1877–79. 16 Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, hg. v. Alterthumsverein zu Wien, Abt. 1, Bd. 1–10 (1895–1927); Abt. 2, Bd. 1–5 (1898–1921); Abt. 3, Bd. 1–3 (1898–1921); dazu noch: Urkunden und Regesten aus dem Archive der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Bd. 1–3, hg. v. Karl Uhlirz, Wien 1896.

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ben zur Stadtgeschichte Wiens ist bereits fru¨her als erster Innovationsschub der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung empfunden worden,17 und es ist sicher richtig, dass ihm eine enorme wissenschaftliche Vorbildfunktion zukam. Insbesondere ist es ¨ ffentlichkeitswirkung gewesen. offenbar auch von großer O Betrachtet man jedoch die Stadtgeschichte nicht isoliert, sozusagen als eigenes historisches Fach, als eigene geschichtswissenschaftliche Disziplin – wozu eine nicht unbetra¨chtliche Zahl von Historikern neigt, die sich mit der Stadt bescha¨ftigen –, sondern blickt man auf sie im Kontext der gesamten Geschichtswissenschaft, so liegt klar zu Tage, dass die Stadtgeschichtsforschung durch diese Neuformierung in der zweiten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts keineswegs sozusagen zu einem leading sector der o¨sterreichischen Geschichtsforschung wurde. Auch sind innerhalb der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts und in der ersten Ha¨lfte unseres Jahrhunderts keine Werke entstanden, die Impulse auf den allgemeinen Fortgang der Forschung im europa¨ischen Rahmen und auf die Weiterentwicklung ihrer Fragestellungen ausgeu¨bt ha¨tten. Es ist – um es verku¨rzt zu sagen – kein Zufall, dass Werke der Stadtgeschichtsforschung, die bahnbrechend gewirkt haben – wie etwa die Bu¨cher von Hans Planitz oder Edith Ennen u¨ber die Fru¨hzeit der ¨ sterreich erarbeitet worden sind, sondern im hochmittelalterlichen Stadt – nicht in O Rheinland, an den dort zu gewinnenden Befunden.18 Und ebenso wenig ist es ein ¨ sterreich ein Oeuvre wie Otto Brunners „Land und Herrschaft“ entZufall, dass in O stand, das ebenfalls der Verfassungsgeschichte neue Wege wies.19 Allerdings ist Otto Brunner ja auch aus der Stadtgeschichtsforschung nicht wegzudenken, davon wird noch die Rede sein. Wohl aber sei in diesem Zusammenhang auf ein ebenfalls bahnbrechendes und zur Diskussion im europa¨ischen Rahmen stimulierendes Buch hingewiesen, das die Sta¨dte zwar nur am Rande beru¨hrt, aber gewisse Arbeitsweisen vorwegnahm, wie sie fu¨r die Stadtgeschichtsforschung charakteristisch wurden, na¨mlich die Interdisziplinarita¨t oder Pluridisziplinarita¨t. Gemeint sind Alfons Dopschs Werke zur fru¨hmittelalterlichen Wirtschafts- und Sozialentwicklung, die auch ein ¨ sterreich ungemein relevantes Thema anschlugen, das der Kontinuita¨t von der fu¨r O Antike zum Mittelalter.20 Damit sind einige Traditionsstra¨nge methodischer Art bezeichnet, und ich fu¨ge noch etwas an, das mir nicht unwichtig zu sein scheint. Die Stadtgeschichtsforschung des 19. Jahrhunderts war von rechtsgeschichtlichen Fragestellungen und von dem

17 Vgl. Mu ¨ ller, Vergangene und zuku¨nftige Probleme (wie Anm. 12), S. 161; vgl. dazu noch Josef

Schwerdfeger, Die historischen Vereine Wiens 1848–1908, Wien 1908, sowie Baltzarek, Regionalund Stadtgeschichte (wie Anm. 12), S. 442. 18 Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz/Ko¨ln 1954; Edith Ennen, Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, Bonn 1953. 19 Otto Brunner, Land und Herrschaft, Bru¨nn/Berlin/Wien 21942; zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung: Max Weltin, Der Begriff des Landes bei Otto Brunner und seine Rezeption durch die verfassungsgeschichtliche Forschung, in: ZRGG 107 (1990), S. 339–376. 20 V. a. Alfons Dopsch, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europa¨ischen Kulturentwicklung von Caesar bis auf Karl den Großen, Wien 21923–24; ders., Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, vornehmlich in Deutschland, Weimar 21921; ders., Beitra¨ge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Gesammelte Aufsa¨tze, 2 Bde., Wien 1938.

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Bestreben bestimmt, die Quellen fu¨r die sta¨dtische Rechtsordnung des Mittelalters zuga¨nglich zu machen. Das entsprach den Interessen eines Bu¨rgertums, deren Zielsetzungen sich vielleicht am besten durch die beiden Schlagworte umreißen lassen, durch die Franz Schnabel das 19. Jahrhundert insgesamt gepra¨gt sah: Konstitution und Maschine.21 Die Schwerpunktsetzung lag bei der Konstitution, der Stadtverfassung – in diesem Ansatz liegt auch der tiefere Grund fu¨r die zahlreichen Quellen¨ sterreich. Derselbe Johann editionen sta¨dtischer Rechtstexte in Deutschland und O Adolph Tomaschek, der die Wiener Rechtsquellen vero¨ffentlicht hatte, veranstaltete auch Editionen des Rechts von Iglau und Trient.22 Emil Franz Ro¨ßler edierte in einer großen zweiba¨ndigen Ausgabe Prager und Bru¨nner Rechtsquellen, Scho¨ffenspru¨che und anderes.23 Raimund Kaindl hat als Professor in Czernowitz die Stadtrechte im Bereich des Karpatenbogens erforscht,24 und Adolf Zycha hat 1914 seine noch heute u¨berraschend modern anmutenden grundlegenden Untersuchungen u¨ber den Ursprung der Sta¨dte in Bo¨hmen und u¨ber die Sta¨dtepolitik der Pˇremysliden vorgelegt.25 Dies letztere Buch war zwar u¨berwiegend rechtsgeschichtlich ausgerichtet, bezog aber auch wirtschaftliche, siedlungsgeschichtliche, ja sogar demographische Faktoren mit ein. Auch all das – und die Aufza¨hlung ist selbstversta¨ndlich bei weitem nicht vollsta¨ndig – geho¨rt in den großen Zusammenhang der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung vor dem Ersten Weltkrieg, auch wenn Zychas Werk unverkennbar den Einfluss der deutschen Forschung zur Ostsiedlung zeigt und kein Pendant in der Forschung zu den u¨brigen Regionen der Monarchie findet. Was aber trotz der fragmentarischen Aufza¨hlung deutlich sichtbar wird, ist die Tatsache, dass die o¨sterreichische Stadtgeschichtsforschung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auf Mitteleuropa in seiner Gesamtheit ausgerichtet war, auch jene Teile der Donaumonarchie einbezog, die nach 1918 eigenstaatliche Wege gingen. Diese forschungsgeschichtliche Tradition ist nach 1918 weitgehend abgebrochen. Sie brach nicht ganz ab, was den Bereich der Personen, der Forscherperso¨nlichkeiten angeht, denn immer noch wechselten Lehrstuhlinhaber der mittelalterlichen Geschichte, die auch Stadtgeschichte betrieben, etwa von Wien nach Prag und wieder zuru¨ck. Doch im Ganzen trat diese Tradition – die Sta¨dtegeschichte der angrenzenden mitteleuropa¨ischen Regionen in der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung mitzudenken – auf la¨ngere Zeit in den Hintergrund. Wir aber tun gut 21 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. III, Freiburg 31954, S. V (Vorwort). 22 Johann Adolph Tomaschek, Der Oberhof Iglau in Ma¨hren und seine Scho¨ffenspru¨che aus dem

13.–16. Jahrhundert, Innsbruck 1868; (Das alte Bergrecht von Iglau und seine bergrechtlichen Scho¨ffenspru¨che, hg. v. J. A. Tomaschek von Stradowa, Innsbruck 1897), ders., Die a¨ltesten Statuten der ¨ stG 26 (1861). Stadt und des Bistums Trient in deutscher Sprache, in: ArchO 23 Emil Franz Ro ¨ ssler, Deutsche Rechtsdenkma¨ler aus Bo¨hmen und Ma¨hren, 2 Bde., Prag 1845/52, ND Aalen 1963. 24 Raimund F. Kaindl, Beitra¨ge zur Geschichte des deutschen Rechts in Galizien, in: ArchO ¨ stG 95, 96 u. 100 (1906/10); ders., Studien zur Geschichte des deutschen Rechts in Ungarn und dessen Neben¨ stG 98 (1909); ders., Zur Geschichte des deutschen Rechts im Osten, in: ZRGG 40 la¨ndern, in: ArchO (1919), S. 275–280, sowie allgemein ders., Geschichte der Deutschen in den Karpathenla¨ndern, 3 Bde, Gotha 1907. 25 Adolf Zycha, U ¨ ber den Ursprung der Sta¨dte in Bo¨hmen und die Sta¨dtepolitik der Pˇremysliden, Prag 1914.

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daran, diese Tradition im Auge zu behalten, es wird auf sie noch zuru¨ckzukommen sein. Es ist sehr ausfu¨hrlich von lange zuru¨ckliegenden Entwicklungen der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung die Rede gewesen, doch es schien mir wichtig, sie hier vorzustellen, weil sie doch Traditionen begru¨ndet zu haben scheinen, die lange wirksam geblieben sind. Weiterhin scheinen in ihnen bestimmte Grundkonstellationen deutlich zu werden, die auch heute nach wie vor gegeben sind. Klar erkennbar sind jedenfalls fu¨r jene fru¨he Phase eine gewisse Dominanz von Wirtschaft und Recht und eine Vorrangstellung der Stadt Wien, sowie – und das ist bemerkenswert – eine gewisse Isolierung des Themas Stadt: es geht sozusagen um wirkliche Stadtgeschichte. Das ist, wie ich meine, keine unwichtige Beobachtung. In ju¨ngerer Zeit na¨mlich ist gelegentlich kritisch oder doch klagend vermerkt worden, dass ¨ sterreich, die Stadtgeschichte betreiben oder produzieren, diejenigen Forscher in O sozusagen „Auch-Stadthistoriker“ seien, dass – um einen Referenten jener Linzer Tagung von 1990 zu zitieren – Stadtgeschichte „nahezu unter allen Labels der gegebenen Struktur betrieben werden kann, egal ob es sich etwa um ‚o¨sterreichische‘, ‚mittelalterliche‘, ‚neuere Geschichte‘ oder ‚Zeitgeschichte‘ handelt“.26 Selbstversta¨ndlich stu¨nde fu¨r diese Formulierung auch noch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zur ¨ sterreich –, wie u¨brigens auch in Deutschland und Verfu¨gung. In der Tat gibt es in O Frankreich – im Gegensatz etwa zu den angelsa¨chsischen La¨ndern keine universita¨ren Lehrstu¨hle oder Professuren fu¨r Stadtgeschichte, schon gar nicht auf dem Gebiet des Mittelalters. Zu einer eigensta¨ndigen „Subdisziplin“ hat sich die Stadtgeschichte nicht entwickelt. Ich muss bekennen, dass ich diese Situation nicht als ungu¨nstig anzusehen vermag, sondern eher als Vorteil empfinde. Stadtgeschichte bleibt solchermaßen eingebunden in die allgemeine Geschichte der Herrschafts- und Sozialstrukturen und entgeht so der Isolierung. ¨ sterIn dieser Weise ist Stadtgeschichte des Mittelalters in Deutschland und O reich auch stets betrieben worden. Dass dies so ist, ist die Folge einer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung, die in unserem Jahrhundert wohl den bedeutendsten, ja wahrscheinlich den entscheidenden Innovationsschub in Gang gesetzt hat, von dem die Geschichtsforschung zu regionalen Ra¨umen betroffen war. Es ist dies die Entwicklung der interdisziplina¨r arbeitenden geschichtlichen Landeskunde, wie sie sich in Deutschland in den beiden ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts entwickelte, parallel, jedoch ohne eigentlichen Konnex zur franzo¨sischen Erneuerung der Geschichtswissenschaft, die man im Allgemeinen mit der Bezeichnung der „Annales-Gruppe“ charakterisiert.27 Beiden Forschungskonzepten ging es um das Zusammenwirken

26 Mu ¨ ller, Probleme (wie Anm. 12), S. 155. 27 Vgl. dazu nur Franz Irsigler, Vergleichende Landesgeschichte, in: Landesgeschichte heute, hg. v.

Carl-Hans Hauptmeyer, Go¨ttingen 1987, S. 35–54; Ernst Hinrichs, Regionalgeschichte, ebd., 16–34; die programmatischen Schriften Hermann Aubins am bequemsten zuga¨nglich in dessen Grundlagen und Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung und Kulturmorphologie, in Verbindung mit Ludwig Petry, hg. v. Franz Petri, Bonn 1965, v. a.: Aufgaben und Wege der geschichtlichen Landeskunde, S. 17–26.

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verschiedener Disziplinen, beiden um die Rekonstruktion historischer Landschaften oder Regionen, um „Kulturra¨ume“ oder „espaces“. Der Einfluss dieser methodischen Erneuerung auf die Stadtgeschichtsforschung, auch auf die o¨sterreichische, ist bereits ha¨ufiger behandelt worden, deswegen ist hier nicht noch einmal ausfu¨hrlich darauf einzugehen.28 Es liegt aber auf der Hand, dass man damit auf ein Gebiet gera¨t, das gerade in allerneuester Zeit einer heftigen Diskussion unterliegt, der Diskussion um den Begriff der „Volksgeschichte“.29 Ich notiere hier lediglich, dass dieser Begriff zuna¨chst gelegentlich durchaus als Gegenbegriff zu „Fu¨rstengeschichte“ im Sinne von ausschließlich politischer Dynastiegeschichte verwendet worden ist, und auf gesellschaftliche Basisprozesse zielte.30 Der Begriff der „Volksgeschichte“ hat in der Stadtgeschichtsforschung weniger Bedeutung erlangt als auf anderen Gebieten der regionalen Geschichtsforschung. Jedoch muss die Diskussion auch in der Stadtgeschichtsforschung gefu¨hrt werden, weil na¨mlich ganz allgemein eine Kontinuita¨t der Forscherperso¨nlichkeiten von der Zwischenkriegszeit bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hineinreicht. Diese Forscherperso¨nlichkeiten waren von den ¨ sterreich in besonderer Methoden der geschichtlichen Landeskunde gepra¨gt, in O Weise von deren siedlungsgeschichtlicher Ausformung. Sie pra¨gten auch ihre eigenen Schu¨ler und Nachfolger, vor allem dadurch, dass sie eine methodische Tradition begru¨ndeten, der sich zu entziehen schwer war und noch schwer ist.31 Ich fu¨ge gleich hinzu, dass diese Tradition auch den Media¨visten der Nachkriegszeit wohl auch deswegen so attraktiv erschien, weil sie sich in ihrer grundsa¨tzlichen Interdisziplinarita¨t als offen fu¨r neue Ansto¨ße erwies und daher ein grundsa¨tzlicher Paradigmenwechsel lange Zeit nicht als wu¨nschenswert oder zumindestens doch nicht als zwingend angesehen wurde. Das Modell der geschichtlichen Landeskunde erschien vielmehr als wandelbar und ausgestaltbar durch Rezeption neuer methodischer Verfahrensweisen und Integration weiterer Forschungsfelder. Ich habe den Eindruck, dass eben dies die Langlebigkeit der Forschungskonzeptionen der geschichtlichen Lan¨ sterreich bedingte und dass sie daher auch heute noch den Rahdeskunde auch in O men landesgeschichtlicher und stadtgeschichtlicher Forschung abgibt, selbst wenn sich die Akzente mehr oder minder stark verschoben haben. ¨ ber die Entwicklung der Stadtgeschichtsforschung haben in den letzten JahrU ¨ berblicke geliefert, zehnten Herbert Knittler, Herwig Ebner und Heinrich Koller U

28 Mu ¨ sterreich in den ¨ ller, Probleme (wie Anm. 12), S. 161ff.; Peter Scho¨ttler, Die Annales und O

¨ sterreichische Zeitschrift fu¨r Geschichtswissenschaften 4 (1993), zwanziger und dreißiger Jahren, in: O S. 74–99. 29 Vgl. dazu nur den Ertrag der Diskussion des Frankfurter Historikertages 1998 in: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, hg. v. Otto-Gerhard Oexle/Winfried Schulze, Frankfurt a. M. 1999; Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik?: Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden 1999; Willi Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und vo¨lkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 101), Go¨ttingen 1993, zugleich Diss. Bielefeld 1991/92. 30 Z. B. Friedrich Metz, Beitra¨ge zur fra¨nkischen Auswanderung, in: JbFrkLdF 1 (1935), S. 23; Aubin, Aufgaben (wie Anm. 27), S. 24: „Einblick in Dynamik kultureller Massenbewegungen“. 31 Stark betont bei Mu ¨ ller, Probleme (wie Anm. 12), der jedoch zu wenig differenziert.

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wobei sie sich allerdings nicht auf die Periode des Mittelalters beschra¨nkten. Heinrich ¨ berschau (mit a¨hnlichen Ergebnissen wie ich sie soeben Koller (1990) brach seine U ¨ berblick als Fazit darlegte) mit Beginn der Nachkriegszeit ab.32 Herwig Ebners U erfolgte im Zusammenhang eines allgemeinen Resu¨mees zur Landesgeschichtsforschung (1985) und fiel eher knapp aus.33 Herbert Knittler publizierte seine Skizze 1972 im zweiten Band einer Schriftenreihe, auf die noch zuru¨ckzukommen sein wird.34 Es scheint mir, als sei bei dem von Knittler gewa¨hlten zeitlichen Schlusspunkt neu einzusetzen, wenn man die Perspektive auf das 21. Jahrhundert gewinnen will. Zu sprechen ist also vom letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Das soll nun versucht werden, wobei zu bedenken ist, dass es sich um einen Blick von außen handelt, nicht aus der Eingebundenheit in die o¨sterreichische Forschung selbst, wie in den folgenden Referaten dieser Sektion. Das du¨rfte fast zwangsla¨ufig zu Diskrepanzen fu¨hren. Zuna¨chst sei ein allgemeiner Eindruck festgehalten. Mustert man die Hefte der ¨ sterreichischen Sta¨dtebibliographie“,35 so meint man allja¨hrlich erscheinenden „O feststellen zu mu¨ssen, dass das Mittelalter in der Stadtgeschichtsforschung stark zuru¨ckgetreten ist. In den Neunzigerjahren beispielsweise sind fu¨r die großen und bereits im Mittelalter bedeutenderen Landeshauptsta¨dte Linz, Graz, Innsbruck und Salzburg jeweils ho¨chstens ein bis drei Titel verschiedenen Gewichts und verschiedenartiger Relevanz zur mittelalterlichen Periode erschienen, in manchen Jahren kein einziger. Wien macht da eine Ausnahme, zum einen wohl wegen seiner Bedeutung, aber wohl auch angesichts der hier sich ballenden Forschungskapazita¨t. Dabei ist nicht zu verkennen, dass insgesamt die Produktion sta¨dtegeschichtlicher Literatur zugenommen hat. Insbesondere hat, wie in der Bundesrepublik Deutschland auch, die Einbindung der Stadtgeschichte in ein allgemeines Publikums- oder Bu¨rgerinteresse zugenommen, oft befeuert durch Jubila¨umsdaten. So erscheinen Stadtgeschichten, Monographien der Geschichte einzelner Sta¨dte, zumeist Sammelwerke, zu denen auch der Media¨vist beitra¨gt. Das bindet Kra¨fte, insbesondere auch der Fachleute, der Berufshistoriker, ebenso wie die Arbeit an den Großunternehmen der Stadtgeschichtsforschung wie Sta¨dtebuch und Sta¨dteatlas.36 Summa summarum: Die Leistung in der Forschung zu Einzelsta¨dten schreitet auch fu¨r das Mittelalter zu¨gig vorwa¨rts, doch ist nicht zu verkennen, dass andere Perioden inzwischen in der Produktion der Stadtgeschichtsforschung weitgehend u¨berwiegen. Auf gar keinen Fall jedoch wird man – jedenfalls im Allgemeinen – die Sta¨dteforschung zum Mittelalter sozusagen als das Palladium der Stadtgeschichtsforschung bezeichnen ko¨nnen. Das hat vielerlei Gru¨nde. Zum einen liegt dies sicherlich daran, dass die sogenannte gesellschaftsgeschichtliche Wende der Siebzigerjahre selbstversta¨ndlich auch 32 Koller, Zur Entwicklung (wie Anm. 12). 33 Ebner, Schwerpunkte (wie Anm. 12). 34 Knittler, Stadtgeschichtsforschung (wie Anm. 12); zur Reihe vgl. Anm. 61. 35 O ¨ sterreichische Sta¨dtebibliographie 1970–1983 bearb. v. Willibald Katzinger (Linz 1978–1984);

1984–1991 bearb. v. Maximilian Schimbo¨ck (Linz 1985–1992); vom Berichtsjahr 1992 an in: Pro Civitate Austriae 17 (1993), S. 5–30; 19 (1994), S. 5–34; NF 1 (1996), S. 41–66, bearb. v. Maximilian Schimbo¨ck; NF 2 (1997), S. 51–80, bearb. v. Thomas Just/Claudine Pils; NF 3 (1998), S. 53–62; NF 4 (1999), S. 65–82, bearb. v. Thomas Just. 36 Vgl. zu ihnen Anm. 59 u. 60.

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an der Stadtgeschichtsforschung nicht vorbei gegangen ist. Die Stichworte heißen hier: Sozialgeschichte, statt Rechts- und Verfassungsgeschichte, Quantifizierung und verifizierbare oder falsifizierbare Modelle. Das hat selbstversta¨ndlich – besonders der ungeheuer wichtige Faktor der Quantifizierung – das Interesse der Stadtgeschichtsforschung stark an das Ende des Mittelalters verlagert, wo – wenn u¨berhaupt – Daten ¨ berschreitung fu¨r derartige Fragestellungen zur Verfu¨gung stehen. Das hat auch zur U der Epochengrenze ins 16. Jahrhundert gefu¨hrt, weil hier derartige Daten in noch gro¨ßerer Zahl zur Verfu¨gung stehen. Die gesellschaftsgeschichtliche Wende fu¨hrt daher in der Praxis der Stadtgeschichtsforschung zur Abtrennung oder Zuru¨ckdra¨ngung einer ganzen Periode der Sta¨dtegeschichte, deren Quellenstruktur zur Beantwortung solcher Fragestellungen nicht geeignet ist. Es handelt sich dabei aber um das Hochmittelalter, das Formationszeitalter der Sta¨dte, mithin um eine ungemein bedeutsame Periode. Es scheint mir wichtig, dies festzuhalten, denn hier gilt es meines Erachtens Defizite auszugleichen. Damit wa¨re ein weiteres Fazit zu ziehen. Die gesellschaftsgeschichtliche Wende der Siebziger und Achtzigerjahre hat begonnen, die Sozialgeschichte fu¨r die a¨lteren Perioden der mittelalterlichen Geschichte der Sta¨dte zuru¨ckzudra¨ngen. Das ist vielleicht u¨berspitzt formuliert, denn manches ist ja auf diesem Sektor geschehen.37 Beispielsweise ist die prosopographische Forschung, die in allen Bereichen der Geschichtswissenschaft seit den Siebzigerjahren große Bedeutung erlangt hat, in mehreren Fallstudien vorangetrieben worden, fu¨r Wien vor allem, aber auch z. B. fu¨r Linz, Graz, Judenburg, Leoben und Salzburg.38 Hier liegen meines Erachtens noch große Entwicklungsmo¨glichkeiten auch fu¨r die Erforschung der fru¨heren Perioden und wohl auch fu¨r die Untersuchung kleinerer Sta¨dte. Das belegt etwa die Arbeit von

37 Vgl. etwa in ju¨ngster Zeit die Aufsa¨tze von Franz-Heinz Hye, Die Sta¨dte und Ma¨rkte in den Ostalpen

im 11. Jahrhundert, in: Die Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt im 11. Jahrhundert, hg. v. Jo¨rg Jarnut/Peter Johanek (StF A 43), Ko¨ln/Wien/Weimar 1998, S. 193–205; Ferdinand Opll, Wien um die Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Europas Sta¨dte zwischen Zwang und Freiheit. Die europa¨ische Stadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Wilfried Hartmann, Regensburg 1995, S. 233–255; hinzuweisen ¨ berblick von Ferdinand Opll, Das o¨sterreichische Sta¨dtewesen vom ist auch auf den weitgespannten U Mittelalter bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Pro Civitate Austriae 13 (1991), S. 17–34, sowie die ¨ sterreistadtgeschichtlichen Passagen im neuesten Band der von Herwig Wolfram herausgegebenen O ¨ sterreichische Geschichte chischen Geschichte: Heinz Dopsch/Karl Brunner/Maximilian Weltin, O 1122–1278. Die La¨nder und das Reich. Der Ostalpenraum im Hochmittelalter, Wien 1999. 38 Albert J. A. Mu ¨ ller, Die Bu¨rger von Linz bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Prosopographie und soziale Strukturierungen, Diss. Graz 1987; Elfriede Rothe, Die Leobener Bu¨rger bis zum Jahre 1434, Graz 1993; Michaela Krissl, Die Salzburger Neubu¨rger im 15. und 16. Jahrhundert, in: Mitteilungen der Gesellschaft fu¨r Salzburger Landeskunde 128 (1988), S. 251–314; 129 (1989), S. 61–178; Richard Perger, Die Wiener Ratsbu¨rger 1396–1526. Ein Handbuch (Forschungen und Beitra¨ge zur Wiener ¨ rtliche und soziale Stadtgeschichte 18), Wien 1988; Gerhard Michael Dienes, Die Bu¨rger von Graz. O Herkunft. Von den Anfa¨ngen bis 1500, phil. Diss. (masch.), Graz 1978; Rautgundis Felser, Herkunft und soziale Schichtung der Bu¨rgerschaft obersteirischer Sta¨dte und Ma¨rkte wa¨hrend des Mittelalters. Unter besonderer Beru¨cksichtigung der Stadt Judenburg, phil. Diss. (masch.), Graz 1975; Ilse Maria Madera, Die Bu¨rger des inneren Rates der Stadt Wien im 15. Jahrhundert 1465–1525, phil. Diss. (masch.), Wien 1984 sowie noch: Peter M. Lipburger, Salzburger Bu¨rgerbu¨cher als Quelle fu¨r die Migrationsgeschichte, in: Gewerbliche Migration im Alpenraum, Bozen 1994, S. 261–290; Ferdinand Opll, Zur spa¨tmittelalterlichen Sozialstruktur von Wien, in: JbVGWien 49 (1993), S. 7–87.

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Alfred Ogris zur Bu¨rgerschaft der ka¨rntnerischen Sta¨dte bis 1385, die bereits 1974 erschien und damit am Anfang solcher Studien steht.39 Vor allem aber lassen sich solche Untersuchungen nutzbar machen in Verbindung mit der Rechts- und Verfassungsgeschichte, die bei der Gesellschaftsgeschichte in Misskredit steht, fast mit einem Tabu belegt wird und auch in der wissenschaftlichen Produktion der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung nur noch eine ganz geringe Rolle zu spielen scheint. In der Polemik spielt dabei ha¨ufig ein Wort Marc Blochs eine Rolle, dass er nach seinen Studienerfahrungen in Deutschland a¨ußerte: „Zu viel Staat, zu wenig Gesellschaft“.40 Eine solche Ungleichheit der Gewichte trifft fu¨r die a¨ltere Stadtgeschichtsforschung sicherlich zu, obwohl die wirtschaftlichen Verha¨ltnisse stets starke Beachtung gefunden haben. Doch Marc Bloch wollte keineswegs einer Ausschaltung der Betrachtung der rechtlichen Ordnungen das Wort reden, sondern lediglich eine angemessene Gewichtsverteilung erreichen. Er sagte nicht: „Gesellschaft statt Staat“. Das wa¨re auch Unsinn. Die Quellenstruktur selbst belegt das in ihrem Vorherrschen von Quellen des normativen Rechts wie auch der gelebten Rechtswirklichkeit in ihrem sozialen Kontext, wie sie sich in den urkundlichen Quellen niedergeschlagen hat. Es mag sein, dass die Stadtgeschichtsforschung – ¨ sterreich – ha¨ufig zu juridisch abstrakt verfahren ist. Jedoch das Recht, nicht nur in O das Stadtrecht und seine Anwendung, gibt den Grundriss der Lebensordnungen der Menschen vor, die als Bu¨rger und Nichtbu¨rger in den Sta¨dten leben und wirtschaften. Hier ero¨ffnen sich – wie ich meine – weitreichende Perspektiven fu¨r die Zukunft, vor allem im Bereich der Quellenerschließung, wo auf bisherige Leistungen seit Otto Brunners Edition der Quellen von Krems und Stein zuru¨ckzugreifen wa¨re, wa¨hrend die u¨bergreifende Darstellung sta¨dtischer Rechtsverha¨ltnisse seit langem stagniert.41 ¨ hnliche Perspektiven gelten fu¨r die sozialgeschichtliche Auswertung dieses QuelA lenbereichs. Und in diesem Zusammenhang kommt noch einmal Otto Brunner ins Spiel, der eben auch – in der Unterbrechungsphase seiner akademischen Karriere – einige grundlege Aufsa¨tze vor allem zur Bu¨rgertumsforschung vorgelegt hat, deren Anregungen es gerade auch im Kontext der verfassungsgeschichtlichen Ergebnisse

39 Alfred Ogris, Studien zur Geschichte der Bu¨rgerschaft in den mittelalterlichen Sta¨dten Ka¨rntens bis

1335, Klagenfurt 1974.

40 Vgl. Karl Ferdinand Werner, Marc Bloch und die Anfa¨nge einer europa¨ischen Geschichtsforschung.

Vortrag gehalten am 16. Juni 1994 anla¨sslich der Wiederkehr des 50. Todestages des franzo¨sischen Media¨visten Marc Bloch (Saarbru¨cker Universita¨tsreden 38), Saarbru¨cken 1995, S. 29. 41 Die Rechtsquellen der Sta¨dte Krems und Stein, hg. v. Otto Brunner (FontRerAustr 3, 1), Graz/Ko¨ln 1953; Die Rechtsquellen der Stadt Weitra, hg. v. Herbert Knittler (FontRerAustr 3, 4), Wien/Ko¨ln/ Graz 1975; Rechtsquellen der Stadt Linz 799–1493, hg. v. Fritz Mayrhofer (FontRerAustr 3, 11), Wien/Ko¨ln/Graz 1985; Die Rechtsquellen der Stadt Wien, hg. v. Peter Csendes (FontRerAustr 3, 9), Wien/Ko¨ln/Graz 1986; Die Rechtsquellen der Stadt Leoben, hg. v. Christa Schillinger-Prassl (FontRerAustr 3, 14), Wien/Ko¨ln/Weimar 1997; dazu etwa noch: Herbert Fischer, Die Wiener Stadtrechtsfamilie, in: JbVGWien 7 (1948); Karl Gutkas, Die mittelalterlichen Stadtrechte Niedero¨sterreichs, in: Beitra¨ge zur Stadtgeschichtsforschung. Festschrift der Stadtgemeinde St. Po¨lten, red. v. Dems., St. Po¨lten 1959, S. 58–77, dazu noch die a¨ltere Arbeit von Karlheinz Zechner, Die Rechte der Ka¨rntner Sta¨dte im Mittelalter und ihr Zusammenhang mit den Stadtrechten außerhalb Ka¨rntens, Wu¨rzburg 1938.

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von „Land und Herrschaft“ auszuscho¨pfen gilt.42 Das betrifft vor allem den Themenbereich „Stadt und Landesherr“, „Stadt und Adel“, „Bu¨rgertum und Adel“. Auf dem ersten Gebiet, einem klassischen Gebiet der Stadtgeschichtsforschung, ist viel geschehen, zuletzt etwa in der Publikation der Studie von Johannes Seidl u¨ber die Sta¨dtepolitik Albrechts V. (1997).43 In erstaunlichem Maße auch hat die o¨sterreichische Forschung die Anregungen der Residenzenforschung aufgegriffen, wie sie in Deutschland, aber auch anderwa¨rts in Europa, vorangetrieben wird.44 Hier sind zahlreiche ¨ sterreichs zu verzeichnen, wobei die HauptstadtArbeiten aus allen Bundesla¨ndern O frage eine besondere Rolle spielt. Dabei kommt selbstversta¨ndlich die Problematik Stadt und Adel ebenfalls in den Blick wie auch jene von Bu¨rgertum und Adel.45 Jedoch auch in diesen Fa¨llen wird der Blick zumeist in die spa¨te Zeit des Mittelalters gelenkt, in der sich Residenzenbildung im Allgemeinen vollzieht. 42 Otto Brunner, Europa¨isches und russisches Bu¨rgertum, in: VSWG 40 (1953), S. 1–27; ders., „Bu¨rger-

tum“ und „Feudalwelt“ in der europa¨ischen Sozialgeschichte, in: GuG 7 (1956), S. 599–614; ders., Souvera¨nita¨tsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichssta¨dten der fru¨hen Neuzeit, in: VSWG ¨ sterreich v. a. ders., Sta¨dtische Selbstregierung und neuzeit50 (1963), S. 329–360; im Hinblick auf O ¨ sterreich, in: O ¨ sterreichische Zeitschrift fu¨r o¨ffentliches Recht 6 (1954), licher Verwaltungsstaat in O S. 221–249; ders., Das Wiener Bu¨rgertum in Jans Enikels Fu¨rstenbuch, in: Mitteilungen des Instituts ¨ brigen ist darfu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung 58 (1950), S. 550–574; vgl. auch Anm. 19; im U auf hinzuweisen, dass Brunner nicht erst nach 1945 zum Stadthistoriker wurde, wie es die Formulierung bei Mu¨ller, Probleme (wie Anm. 12), nahelegt, sondern von der Stadtgeschichtsforschung seinen Ausgang nahm, vgl. Otto Brunner, Die Finanzen der Stadt Wien von den Anfa¨ngen bis ins 16. Jahrhundert, 2 Bde., Wien 1929–31 (Habilitationsschrift); ders., Die Politik der Stadt Wien im spa¨teren Mittelalter, 1396–1526, in: Historische Studien, A. F. Pribram zum 70. Geburtstag dargebracht, Wien 1929, S. 5–39. 43 Johannes Seidl, Stadt und Landesfu¨rst im fru¨hen 15. Jahrhundert. Studien zur Sta¨dtepolitik Her¨ sterreich (als deutscher Ko¨nig Albrecht II.), 1411–1439 (Forschungen zur zog Albrechts V. von O ¨ sterreichs 5), Linz 1997; wichtige Arbeiten auch in den Ba¨nden Geschichte der Sta¨dte und Ma¨rkte O der Schriftenreihe Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas, vgl. unten mit Anm. 61. 44 Eine Bu¨ndelung in: Die Hauptstadtfrage in der Geschichte der o¨sterreichischen Bundesla¨nder, red. v. Willibald Katzinger/Johannes Ebner (Mitteilungen des Museumsvereins Lauriacum-Enns 29), Enns 1991; vgl. noch Herwig Ebner, Die habsburgischen Residenz- und Hauptsta¨dte in den o¨sterreichischen Erblanden im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, in: Geschichtsforschung in Graz. Festschrift zum 125-Jahr Jubila¨um des Instituts fu¨r Geschichte der Karl-Franzens-Universita¨t Graz, Graz 1990, S. 29–41; Siegfried Haider, Die Hauptstadtfrage im Lande ob der Enns, in: Obero¨sterreichische Heimatbla¨tter 44 (1990), S. 200–212; Peter Csendes, Regensburg und Wien – Babenbergerresidenzen des 12. Jahrhunderts, in: JbVGWien 47/48 (1991/1992), S. 163–171; Franz-Heinz Hye, Das Goldene Dachl Kaiser Maximilians I. und die Anfa¨nge der Innsbrucker Residenz, Innsbruck 1977; Adolf Hahnl, Zu den mittelalterlichen Residenzen der Salzburger Erzbischo¨fe, in: Mitteilungen der Gesellschaft fu¨r Salzburger Landeskunde 136 (1996), S. 475–488. 45 Dazu wiederum bereits Otto Brunner, Bu¨rgertum und Adel in Nieder- und Obero¨sterreich, in: ¨ sterreichischen Akademie der Wissenschaften 22 (1949); WiederAnzeiger der Phil.-Hist. Kl. der O abdruck in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Go¨ttingen 21968, S. 266–280; letzthin ist das Thema aufgegriffen worden von Herwig Weigl, Sta¨dte und Adel im spa¨tmittelalterli¨ sterreich, in: Oberdeutsche Sta¨dte im Vergleich. Mittelalter und Fru¨he Neuzeit, hg. v. Joachim chen O Jahn u. a., Sigmaringendorf 1989, S. 74–100; Herbert Knittler, Die o¨sterreichische Stadt im Mittelalter. Verfassung und Sozialstruktur. Unter bes. Beru¨cksichtigung des Problemkreises „Stadtadel und Bu¨rgertum“, in: Stadtadel und Bu¨rgertum in den italienischen und deutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, hg. v. Reinhard Elze/Gina Fasoli, Berlin 1991, S. 183–205; Walter Schuster, Beitra¨ge zur ¨ sterreich ob der Enns im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨Abgrenzung von Bu¨rgertum und Adel in O hen Neuzeit unter besonderer Beru¨cksichtigung der Stadt Linz, phil. Diss. Wien 1993.

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Es gilt aber – so meine ich – wiederum die Formationsperiode der Sta¨dte und der Territorialherrschaft ins Auge zu fassen und den Anregungen Otto Brunners zu folgen, wie auch jenen, die Folker Reichert in seinem Buch „Landesherrschaft, Adel und Vogtei“ im Hinblick auf die Entwicklung der Fu¨hrungsgruppen der o¨sterreichischen Sta¨dte gegeben hat.46 Es geht um die Ministerialen in der Stadt, um Stadtministeria¨ sterreich hinlita¨t, und hier liegen auch Ansa¨tze zu weitra¨umigem Vergleich u¨ber O aus, denn diese o¨sterreichichen Stadtministerialen sind etwas ganz anderes als etwa die Ministerialita¨t in den rheinischen Bischofssta¨dten. Auch negative Entwicklungen sind freilich zu konstatieren. Das gravierendste Defizit ist auf einem vormals außerordentlich intensiv bearbeiteten Gebiet der Sta¨dteforschung entstanden. Die Arbeiten zur mittelalterlichen Handels- und Gewerbegeschichte sind stark zuru¨ckgegangen. Im letztvergangenen Jahrzehnt sind neben einigen ungedruckten Diplomarbeiten kaum Arbeiten von Gewicht erschienen, darun¨ berblick zum Hochmittelalter von Herbert Knittler,47 zwei Abhandlunter der U gen zu den Jahrma¨rkten und Messen des Donaulandes48 und eine gro¨ßere Quellenedition.49 Die letzte Regionalstudie, in der das mittelalterliche Handwerk mitbehandelt wird, erschien 1989,50 und Alois Niedersta¨tter musste sich bei seiner Darstellung der o¨sterreichischen Geschichte im 15. Jahrhundert u¨berwiegend auf a¨ltere Literatur stu¨tzen.51 Was die mittelalterliche Handwerksgeschichte angeht, besteht in der deutschen Forschung eine ganz a¨hnliche Situation. Wilfried Reininghaus hat dies soeben konstatiert, und es ist an der Zeit, dass sich die Stadtgeschichtsforschung in Deutsch¨ sterreich hier auf a¨ltere Traditionen besinnt und sie mit den Ansa¨tzen verland und O bindet, wie sie anderwa¨rts (etwa in Ungarn und in den Niederlanden) vor allem in der Forschung zur Fru¨hen Neuzeit entwickelt worden sind.52 Ich breche hier ab und hoffe deutlich gemacht zu haben, dass auf einer Reihe ¨ sterreich viel geleistet von klassischen Beta¨tigungsfeldern der Stadtgeschichte in O worden ist, dass Modernisierungsanregungen aufgegriffen wurden und dass weitere

46 Folker Reichert, Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des spa¨tmittelalterlichen

¨ sterreich, Ko¨ln/Wien 1985, S. 24ff., sowie auch Max Weltin, Zur nieSta¨ndestaates im Herzogtum O dero¨sterreichischen Stadtministerialita¨t im 13. Jahrhundert (am Beispiel von Laas an der Thaya), in: Unsere Heimat 44 (1973), S. 113–128. 47 Herbert Knittler, Sta¨dtewesen, Handel und Gewerbe, in: O ¨ sterreich im Hochmittelalter (907–1246), red. v. Anna M. Drabek, Wien 1991, S. 473–495. 48 Ferdinand Opll, Jahrmarkt oder Messe? U ¨ berlegungen zur spa¨tmittelalterlichen Handelsgeschichte Wiens, in: Europa¨ische Messen und Ma¨rktesysteme in Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Peter Johanek/ Heinz Stoob (StF A 39), Ko¨ln/Weimar/Wien 1996, S. 189–204; Wilhelm Rausch, Jahrma¨rkte, Messen und Stadtentwicklung in den habsburgischen La¨ndern Europas, ebd., S. 171–187. 49 Wiener Neusta¨dter Handwerksordnungen (1432 bis Mitte des 16. Jahrhunderts), hg. v. Martin Scheutz u. a. (FontRerAustr 3, 13), Wien u. a. 1997. 50 Gustav Otruba, Gewerbe und Zu¨nfte in Niedero¨sterreich, St. Po¨lten 1989. 51 Alois Niedersta¨tter, Das Jahrhundert der Mitte. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (O ¨ sterreichische Geschichte 1400–1522), Wien 1996, S. 89ff. 52 Wilfried Reininghaus in der Einleitung des Sammelbandes „Stadt und Handwerk im Mittelalter und fru¨her Neuzeit“, hg. v. Karl-Heinrich Kaufhold/Wilfried Reininghaus (StF A 54), Ko¨ln/Weimar/ Wien 2000.

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Erneuerung innerhalb des traditionellen Paradigmas mo¨glich erscheint. Diese Leistungen sind nicht denkbar ohne ihre Tra¨ger und von ihnen ist nun kurz zu sprechen, bevor zum Schluss noch einige Defizite und Fortschritte benannt werden sollen. Zuna¨chst ist mit einer polemischen Feststellung zu beginnen. In kritischen Beitra¨gen zur Stadtgeschichtsforschung, insbesondere in mu¨ndlichen Diskussioen und Streitgespra¨chen gibt es einen Topos, der beklagt, dass die Stadtgeschichtsforschung sich „fru¨her“ (wann immer das gewesen sein mag) ausschließlich dem Mittelalter gewidmet habe, erst in den letzten Jahrzehnten, seit dem Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft in den Sechziger- und Siebzigerjahren habe man sich der Neuzeit zugewendet. Tatsache ist, dass die Stadtgeschichtsforschung von den Media¨visten begru¨ndet worden ist, und Tatsache ist auch, dass sie heute noch, wo sie periodenu¨bergreifend arbeitet, u¨berwiegend von Forschern getragen wird, die von Haus ¨ sterreich auch, dass sie in aus als Media¨visten ausgebildet worden sind. Das heißt in O den meisten Fa¨llen durch die strenge formale Schule des Wiener Instituts fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung gegangen sind. Nun wird man nicht behaupten ko¨nnen, dass das Institut fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung eine Brutsta¨tte der Stadtgeschichte sei, obwohl man es in dieser Hinsicht nicht unterscha¨tzen sollte. Immerhin ist die bereits genannte Arbeit von Alfred Ogris53 eine Institutsarbeit gewesen, auch andere Arbeiten stadtgeschichtlicher Art sind dort entstanden, und auch der Vorsitzende dieser Sektion empfing seine wissenschaftliche Formung in diesem Ho¨llenpfuhl des Positivismus, der wunderbarerweise immer wieder Neuerer ausspeit, wie etwa einst Alfons Dopsch und in unseren Tagen Michael Mitterauer, der zuna¨chst u¨ber mittelalterliche Zentren arbeitete und in den Siebzigerjahren einen Forschungsschwerpunkt zur historischen Familienforschung im 18. und 19. Jahrhundert begru¨ndete, in dem man sich intensiv auch mit Fragen der Urbanisierung befasste.54 In jedem Fall hat hier ein Media¨vist und Institutsmitglied innovatorische Impulse auf Stadtgeschichtsforschung und daru¨ber hinaus ausgeu¨bt, allerdings betrafen sie u¨berwiegend die neueren Jahrhunderte. Gleichviel, eine Hochburg der Stadtgeschichte wird man das Institut fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung nicht nennen ko¨nnen, dort sind andere Forschungsaktivita¨ten angesiedelt. Die Stadtgeschichte des Mittelalters hat jedoch auch in den Akti¨ sterreich ihren Ort vita¨ten der Universita¨tslehrstu¨hle fu¨r das Fach Geschichte in O in Forschung und Lehre. Die Intensita¨t schwankt; in Graz und Salzburg scheint die Stadtgeschichte besonders nachhaltig gepflegt worden zu sein, auch in der Vergabe

53 Vgl. Anm. 39. 54 Michael Mitterauer, Zollfreiheit und Marktbereich. Studien zur mittelalterlichen Wirtschaftsverfas-

sung am Beispiel einer niedero¨sterreichischen Altsiedellandschaft, Wien 1969; ders., Markt und Stadt im Mittelalter. Beitra¨ge zur historischen Zentralita¨tsforschung, Stuttgart 1980; ders./Reinhard Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, Mu¨nchen 1977; ders., Auswirkungen von Urbanisierung auf die Familienverfassung an Beispielen des o¨sterreichischen Raumes, in: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, hg. v. Werner Conze, Stuttgart 1976, S. 53–145; vgl. zu diesen letzteren Arbeiten Mu¨ller, Probleme (wie Anm. 12), S. 169f., mit ihnen zusammenha¨ngend auch Michael Mitterauer, Familie und Arbeitsorganisation in sta¨dtischen Gesellschaften des spa¨ten Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, in: Haus und Familie in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Alfred Haverkamp (StF A 18), Ko¨ln/Wien 1984, S. 1–36.

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von Qualifikationsarbeiten. Insgesamt wird man die Feststellung treffen du¨rfen, dass es an Nachwuchs fu¨r stadtgeschichtliche Forschungen zum Mittelalter nicht fehlt. Fu¨r den Fortgang der Forschung aber sind außeruniversita¨re Institutionen weitaus wirksamer gewesen, und von ihnen ist nun zu sprechen. ¨ sterreichische Stadtgeschichtsforschung Da ist vor allem der Arbeitskreis fu¨r O und das mit ihm eng verbundene Ludwig-Boltzmann-Institut, das bis vor wenigen Jahren in Linz ansa¨ssig war und nun auf eine Arbeitsstelle in Wien reduziert ist.55 Der Arbeitskreis und das Institut waren Gru¨ndungen um die Wende der Sechzigerzu den Siebzigerjahren. Der Bericht Herbert Knittlers56 erfasst daher ihre Ausstrahlung noch nicht. Die treibenden Kra¨fte der Gru¨ndungszeit – Wilhelm Rausch57 vor allem –, wie die Bewahrer des Erbes heute, waren, das ist festzuhalten, Media¨visten und Zo¨glinge des Instituts fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung. Die Leistungen des Arbeitskreises und des Ludwig-Boltzmann-Instituts liegen einmal in der Fo¨rderung der Grundlagenforschung wie sie die Commission internationale pour l’histoire des villes formuliert hat: Quellenedition in „Elenchus fontium historiae urbanae“, Verzeichnung des Schrifttums in einer stadtgeschichtlichen Bibliographie58 und vor ¨ sterreichischen Sta¨dteatlas. Das O ¨ sterreichische Sta¨dteallem die Erarbeitung des O buch, das ebenfalls im Grundlagenprogramm der Internationalen Kommission ver¨ sterreichischen Akadeankert ist, wird im Rahmen der Kommissionsarbeit der O 59 mie der Wissenschaften bearbeitet. Die Bedeutung der Atlasarbeit fu¨r die Sta¨dtegeschichte des Mittelalters ist kaum zu u¨berscha¨tzen. Sie ausfu¨hrlich zu wu¨rdigen, fehlt hier der Raum.60 Nur zwei wichtige Sachverhalte seien hier hervorzuheben, die auch zu begru¨nden vermo¨gen, dass die Fortfu¨hrung der Arbeit am Sta¨dteatlas zu den wichtigsten Aufgaben der o¨sterreichischen Stadtgeschichtsforschung geho¨rt, wie anderwa¨rts auch.

55 Vgl. Pro Civitate Austriae 9 (1989): 20 Jahre O ¨ sterreichischer Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsfor-

¨ sterreichischer Arbeitskreis fu¨r Stadtgeschichtsforschung, in: schung; Fritz Mayrhofer, 30 Jahre O Pro Civitate Austriae NF 4 (1999), S. 83–86. 56 Vgl. Anm. 12. 57 Zu ihm mit Laudatio und Schriftenverzeichnis: Im Dienste der Stadtgeschichtsforschung. Festgabe fu¨r Wilhelm Rausch zur Vollendung seines 70. Lebensjahres (Pro Civitate Austriae, Sonderheft), Linz 1997. 58 Elenchus fontium historiae urbanae, quem edendum curaverunt G. van Herwijnen/P. H. D. Leupen/ Wilhelm Rausch, vol. 3, 1: Quellensammlung zur Fru¨hgeschichte der o¨sterreichischen Stadt (bis 1277), bearb. v. Willibald Katzinger, Leiden/New York/Ko¨ln 1992; zur Bibliographie vgl. Anm. 3; zur Fortsetzung vgl. Anm. 35. 59 Bisher sind erschienen: O ¨ sterreichisches Sta¨dtebuch, begr. v. Alfred Hoffmann, hg. v. Othmar Pickl, 1ff., Wien 1968ff., 1. Die Sta¨dte Obero¨sterreichs 1968; 2. Die Sta¨dte des Burgenlandes 1970, 2. Aufl. 1996; 3. Die Sta¨dte Voralbergs 1973; 4. Die Sta¨dte Niedero¨sterreichs: 4.1: A–G 1988; 4.2: H–P 1976, 4.3: R–Z 1982; 5. Die Sta¨dte Tirols: 5.1: Bundesland Tirol 1980; 6. Die Sta¨dte der Steiermark: 6.3: J–L 1990, 6.4: M–Z 1995; 7. Die Stadt Wien 1999. 60 O ¨ sterreichischer Sta¨dteatlas, hg. v. Renate Banik-Schweitzer/Felix Czeike/Ferdinand Opll, Wien ¨ sterreichische Sta¨dteatlasarbeiten im europa¨ischen Konnex, in: 1982ff. Vgl. zuletzt Ferdinand Opll, O ¨ bersicht u¨ber den Publikationsstand in: AnnPro Civitate Austriae NF 2 (1997), S. 81–87; die letzte U gret Simms/Ferdinand Opll, List of the European Atlases of Historic Towns, Bru¨ssel 1998, S. 14f.; der Historische Atlas von Wien, 1981ff., entha¨lt nur wenige Karten zur mittelalterlichen Periode, vgl. Simms/Opll, List, S. 16–20.

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1. Fu¨r die sta¨dtische Geschichte des Mittelalters stellt der Sta¨dteatlas in seinen Interpretationskarten die Kenntnis des materiellen Geha¨uses bereit, das die Ordnung des Lebens in mittelalterlicher Zeit bestimmte und lenkte, das der sta¨dtischen Repra¨sentation und Selbstdarstellung Bu¨hne und Hintergrund gewa¨hrte. 2. Der Sta¨dteatlas macht deutlich (wie Bibliographie und Sta¨dtebuch), dass die von Media¨visten getragene Stadtgeschichtsforschung durch die in ihr selbst angelegte Dynamik in die Neuzeit hinu¨bergreift, ja hinu¨bergreifen muss. ¨ sterreichischen ArbeitsDas zeigt sich noch deutlicher in der Tagungsta¨tigkeit des O kreises fu¨r Stadtgeschichtsforschung und den daraus entsprungenen Publikationen.61 Sie haben seit 1971 und mit einem Vorla¨ufer von 1961/63 zuna¨chst in vier Tagungen (1974–1980) die Stadt des Mittelalters vom 12. bis ins 16. Jahrhundert behandelt, und zwar im gesamten mitteleuropa¨ischen Kontext. Dabei wurde das damals zweigeteilte Deutschland in Thematik und Gewinnung von Referenten ebenso erfasst wie die Staaten des o¨stlichen Mitteleuropa. In diesen Tagungen wurden demnach jene alten Traditionen wiederaufgenommen, von denen bereits die Rede war. Der Arbeitskreis durchbrach damit eine gewisse Isolation, in die die o¨sterreichische Stadtgeschichtsforschung geraten war. Die Herstellung dieses neuen Diskussionszusammenhanges ist die ganz große Leistung dieser Tagungen, und auch der sachliche Ertrag ¨ sterreichs eingewirkt. Man hat befruchtend auf die Forschung zur Stadtgeschichte O kann sagen, dass sie heute noch von diesem Anstoß zehrt. Das hat sich fu¨r die Stadtgeschichtsforschung zum Mittelalter in dieser Intensita¨t nicht fortgesetzt, denn die Tagungen blieben beim Mittelalter nicht stehen, sondern setzten die Thematik fort bis zu den Problemen der Stadtgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Vorstoß in die neueren Perioden wurde also auch hier von Media¨visten initiiert. Der Stadtgeschichtsforschung zum Mittelalter aber fehlt seither der enorme Antrieb, der von diesen Tagungen in den Siebzigerjahren ausging, auch wenn die neue Reihe, die seit 1986 Sachthemen gewidmet ist, in jedem Band stets einen mehr oder minder starken Mittelalter-Anteil entha¨lt. Diese Einscha¨tzung der Forschung zum mittelalterlichen Sta¨dtewesen wa¨re unvollsta¨ndig, wenn eine andere Institution nicht wenigstens noch erwa¨hnt wu¨rde: das Institut fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit in Krems.62 61 Eine U ¨ bersicht u¨ber die Tagungen seit 1961 in: Pro Civitate Austriae 9 (1989), S. 56–74; u¨ber die Publi-

kationen, insbesondere die Reihe „Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas“, hg. v. Wilhelm Rausch, ebd. S. 88–92; in dieser letzteren Reihe erschienen seither: Bd. 11: Stadt und Eisen, hg. v. Ferdinand Opll, 1992; 12: Stadtgeschichtsforschung. Aspekte – Tendenzen – Perspektiven, hg. v. Fritz Mayrhofer, 1993; 13: Stadt und Kirche, hg. v. Franz-Heinz Hye, 1995; 14: Stadt und Wein, hg. v. Ferdinand Opll, 1996; Juden in der Stadt, hg. v. Fritz Mayrhofer/Ferdinand Opll, 1999. 62 Es besteht seit 1968/69 und erfuhr durch seinen langja¨hrigen verdienstvollen Direktor Harry Ku¨hnel großen Aufschwung. Weiteres vgl. Helmut Hundsbichler, Wege zum Alltag des Mittelalters. Arbeitsweise und Forschungsziele des Institut fu¨r Realienkunde, in: Medium Aevum Quotidianum, Newsletter 1 (1982); ders., geschichte – realien – alttag. der mensch im Zentrum der Sachkulturforschung, in: Menschen, Dinge und Umwelt in der Geschichte. Neue Fragen der Geschichtswissenschaft an die Vergangenheit, hg. v. Ulf Dirlmeier/Gerhard Fouquet (Sachu¨berlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur 5), St. Katharinen 1989, S. 128ff.; ders., Sachen und Menschen. Das Konzept Realienkunde, in: Die Vielfalt der Dinge. Neue Wege zur

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Hier wird – ebenfalls seit Anfang der Siebzigerjahre die mittelalterliche Sachkultur erforscht und dokumentiert, also die Fu¨lle jener Dinge, von denen der Mensch des Mittelalters in seinem Leben umgeben war und deren er sich zur Gestaltung seines Lebens bediente. Nicht wenig davon, ja vielleicht das meiste, entstammt dem Bereich der Stadt. Das Kremser Institut hat eine große Zahl von Tagungen mit internationaler Besetzung und Ausstrahlungen veranstaltet und deren Ergebnisse publiziert, die ha¨ufig in sta¨dtischen Konnotationen standen, bereits 1980 erschien der Band „Das Leben in der Stadt des Mittelalters“.63 Immer waren diese Tagungen interdisziplina¨r angelegt und suchten die Verbindung von Sachquelle und Schriftquelle herzustellen. Die Edition der Wiener „Testamentbu¨cher“, jener großartigen stadtgeschichtlichen Quelle, von der vor kurzem der zweite Band erschien, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwa¨hnen, da Angeho¨rige des Instituts fu¨r mittelalterliche Realienkunde daran beteiligt sind.64 Kurzum, das Institut vertritt einen wichtigen und vielleicht immer wichtiger werdenden Strang o¨sterreichischer Stadtgeschichtsforschung zum Mittelalter: die Alltagsgeschichte. Ein Defizit scheint mir zu sein, dass es bislang nicht zu ¨ sterreieiner engeren Kooperation des Kremser Instituts mit dem Arbeitskreis fu¨r O chische Stadtgeschichtsforschung gekommen ist. Desiderat und Perspektive bleibt, das Derartiges in Zukunft zustande kommen mo¨ge. Ein solcher Wunsch hat gute Gru¨nde, die nun zum Schluss ganz kurz skizziert seien. Zwar wa¨re noch eine Reihe von Defiziten zur erro¨tern, die sich dem fernen Blick von außen aufdra¨ngen und die zugleich auch Perspektiven fu¨r die Zukunft bedeuten. Ich begnu¨ge mich damit, sie zu benennen: Erforschung der Sta¨dtenetze65 und deren politischer und o¨konomischer Bedingtheit, die schwierige Kleinstadtfor¨ sterreich nur wenig Ansa¨tze gibt) und das fast vollschung66 (fu¨r die es bislang in O sta¨ndige Fehlen von Forschungen zur mittelalterlichen Stadt als Sakralraum, zu ihrer

Analyse mittelalterlicher Sachkultur. Gedenkschrift in memoriam Harry Ku¨hnel (Forschungen des Instituts fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit 3), Wien 1998, S. 37–45; ders., Alltagsforschung und Interdisziplinarita¨t, in: Medium Aevum Quotidianum 40 (1999), S. 7ff., und HansWerner Goetz, Moderne Media¨vistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 304ff. – Neben der Zeitschrift Medium Aevum Quotidianum, 1ff., 1982ff., existiert die Reihe Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit, Wien 1976ff., die vor allem die Tagungen des Instituts dokumentiert. 63 Das Leben in der Stadt des Spa¨tmittelalters. Internationaler Kongress Krems an der Donau 20.–23. September 1976, hg. v. Harry Ku¨hnel (Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit 2), Wien 21980. 64 Die Wiener Stadtbu¨cher 1395–1430, Bd. 1: 1395–1400, hg. v. Wilhelm Brauneder/Gerhard Jaritz; Bd. 2: 1401–1405, hg. v. Wilhelm Brauneder/Gerhard Jaritz/Christian Neschwara (FontRerAustr 10, 1–2), Wien/Ko¨ln/Weimar 1989/1998; dazu Gerhard Jaritz, Die realienkundlichen Aussagen der sogenannten „Wiener Testamentbu¨cher“, in: Das Leben in der Stadt (wie Anm. 63), S. 171–190. 65 Vgl. jetzt den Sammelband Sta¨dtelandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Studien zum Pha¨nomen der Kleinsta¨dte wa¨hrend des Spa¨tmittelalters und der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Helmut Flachenecker/Rolf Kiessling (ZBayLG, Beiheft B 15), Mu¨nchen 1999. 66 Dazu Flachenecker/Kiessling, Stadtlandschaften (wie Anm. 65), sowie Landesherrliche Sta¨dte in Su¨dwestdeutschland, hg. v. Ju¨rgen Treffeisen/Kurt Andermann (ObrhStud 12), Sigmaringen 1994; zum Vergleich auch Kleine Sta¨dte im neuzeitlichen Europa, hg. v. Holger Th. Gra¨f, Berlin 1997; Small Towns in Early Modern Europe, hg. v. Peter Clark, Cambridge 1995.

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Ausstattung mit kirchlichen Institutionen und Klo¨stern, ihrer kirchlichen Festkultur, dem sta¨dtischen Heiligenkult und der Organisation der Bu¨rger in religio¨sen Bruderschaften. Angesichts von neu entwickelten Forschungen im westeuropa¨ischen Bereich muss man das als besonders schmerzhaft empfinden.67 Gerade das letztere Thema ko¨nnte von einer solchen Kooperation des Arbeitskreises und Kremser Instituts profitieren und Tendenzen versta¨rken, die sich anderwa¨rts abzeichnen. Das Pha¨nomen, das man als Postmoderne bezeichnet, scheint in die historische Forschung eine gewisse Beliebigkeit eingefu¨hrt zu haben. Jedoch in der Stadtgeschichte des Mittelalters, wie sie in Westeuropa betrieben wird, zeichneten sich in letzter Zeit einige Kerngebiete ab, um die sich die Geschichte der sta¨dtischen Gesellschaft sinnvoll und koha¨rent strukturieren la¨sst. Zu umreißen sind sie mit den Schlagworten: Neue Kulturgeschichte (die der Sachkultur hohen Stellenwert einra¨umt), sta¨dtisches Ritual, Erinnerungskultur und Schriftlichkeit.68 In den letz¨ sterreich zwei Bu¨cher erschienen, die stellvertretend fu¨r andere ten Jahren sind in O Studien belegen ko¨nnen, dass diese Tendenzen der europa¨ischen Forschung auch in ¨ sterreich Eingang gefunden haben. Obwohl durchaus verschiedenartig konzipiert, O weisen sie in dieselbe Richtung. Es ist einmal das Buch „Leben im mittelalterlichen Wien“ von Ferdinand Opll 69, und zum anderen „Rechnen mit der Ewigkeit“ von Brigitte Pohl-Resl70. Oplls Buch greift weit u¨ber die Beliebigkeit hinaus, die mit Alltagsgeschichte ha¨ufig verbunden ist. Es legt Lebensbedingungen und Verhaltensweisen dar, und bezieht charakteristischerweise den sakralen Bereich ebenso ein wie die 67 Nur einige repra¨sentative Studien seien genannt, um anzudeuten, was gemeint ist: Jacques Le Goff,

Les Ordres mendicants et urbanisation dans la France me´die´vale. E´tat de l’enqueˆte. in: Annales E. S. C. 25 (1970), S. 924–946; Miri Rubin, Symbolwert und Bedeutung von Fronleichnamsprozessionen, in: Laienfro¨mmigkeit im spa¨ten Mittelalter: Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenha¨nge, hg. v. Klaus Schreiner, Mu¨nchen 1992, S 309–318; Andrea Lo¨ther, Prozessionen in spa¨tmittelalterlichen Sta¨dten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, sta¨dtische Einheit. (Norm und Struktur 12), Ko¨ln/Weimar/Wien 1999, mit umfassender Bibliographie; Wilfried Ehbrecht, Die Stadt und ihre Heiligen. Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Sta¨dte, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen-Rheinland-Niederlande, hg. v. Ellen Widder/Mark Mersiowsky/Peter Johanek, Bielefeld 1995, S. 197–261; Le mouvement confraternel au moyen aˆge. France, Italie, Suisse (collection de l’E´cole Franc¸aise de Rome 97), Rom 1987; Lester K. Little, Liberty, Charity, Fraternity. Lay Religious Confraternities at Bergamo in the Age of the commune, Bergamo 1988; P. Trio, Volksreligie als spiegel van een stedelijke samenleving. De broederschappen te Gent in de late middeleeuwen, Leuven 1993; Einungen und Bruderschaften in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Peter Johanek (StF A 32), Ko¨ln/Weimar/Wien 1993. 68 Auch hier nur einige repra¨sentative Titel: Geschichte des privaten Lebens, hg. v. Georges Duby, Bd. 2: Vom Feudalzeitalter zur Renaissance, Frankfurt a. M. 1990. Jacques Le Goff, Der Mensch des Mittelalters, Frankfurt a. M. 1996, darin: J. Rossiaud, Der Sta¨dter, S. 156ff.; Jan Assmann, Das kulturelle Geda¨chtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identita¨t in fru¨hen Hochkulturen, Mu¨nster 1992; James Fenstress/Chris Wickham, Social Memory, Oxford 1992; Hagen Keller, Die Entwicklung der euro¨ berlieferung, in: Geschichte und Geschichtspa¨ischen Schriftkultur im Spiegel der mittelalterlichen U bewußtsein. Festschrift Karl-Ernst Jeismann zum 65. Geburtstag, hg. v. Paul Leidinger/Dieter Metzler, Mu¨nster 1990, S. 171–204; Peter Arnade, Realms of Ritual. Burgundian Ceremony and Civic Life in Late Medieval Ghent, Ithaca/London 1996; Showing Status: Representations of Social Positions in the Late Middle Ages, ed. Wim Blockmans/Antheun Janse, Turnhout 1999. 69 Ferdinand Opll, Leben im mittelalterlichen Wien, Wien/Ko¨ln/Weimar 1998. 70 Brigitte Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit. Das Wiener Bu¨rgerspital im Mittelalter (MIO ¨G Erg. Bd. 33), Wien/Mu¨nchen 1996.

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Normen und Sanktionen des Rechtslebens. Kurz, es gibt eine Art histoire totale des Lebens im mittelalterlichen Wien. Brigitte Pohl-Resl hat nur eine Institution ins Auge gefasst: Das Wiener Bu¨rgerspital und die Gemeinschaft seiner Wohlta¨ter. Jedoch auch hier ergibt sich eine histoire totale, gewonnen aus der Auseinandersetzung mit der ¨ berlieferungsstruktur, aus der Darstellung der Durchdringung von Eigenart der U Zeitlichem und Geistlichem, mit der Kraft der Memoria und aus der Beherrschung ¨ sterreichs gewonnen worden von Methoden und Ergebnissen, wie sie außerhalb O sind und zum Teil auch dort nur mu¨hsam Eingang in die Stadtgeschichtsforschung finden. Beide Autoren haben die Ansa¨tze der internationalen Forschung genutzt und aus ihren Arbeiten fließen nun Erkenntnisse der o¨sterreichischen Forschung dorthin zuru¨ck.71 Ich halte das, was in diesen beiden Bu¨chern niedergelegt worden ist, fu¨r zukunftsweisend und voller Perspektiven fu¨r die stadtgeschichtliche Forschung im 21. Jahrhundert. Es geht na¨mlich dabei um die Beschreibung und Analyse sta¨dtischer Kultur und um die Lebensordnungen des sta¨dtischen Menschen in ihrer Totalita¨t. Lebensordnungen – das ist ein letztes Schlagwort aus dem Ho¨llenpfuhl des Positivismus, dem Institut fu¨r o¨sterreichische Geschichtsforschung. Es ist auch ein Stu¨ck Tradition, fruchtbarer Tradition, verko¨rpert im Lebenswerk Heinrich Fichtenaus, dessen Werk u¨ber die Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts im angelsa¨chsischen Bereich zu einem Kultbuch der neueren Media¨vistik geworden ist.72 In diesem Konzept lie¨ sterreich. gen Perspektiven fu¨r die Zukunft der Stadtgeschichte auch in O

71 Ferdinand Opll, Cities and Transmission of Cultural Values in the Late Middle Ages and Early

Modern Period: The Vienna Example, in: La ville et la transmission des valeurs culturelles au bas moyen aˆge et aux temps modernes (17e colloque international, Spa, 16.–19. V. 1994 = Cre´dit Communal, Collection Histoire in 80, N. 96), Bruxelles 1996, S. 120–135; Brigitte Pohl-Resl, Family, memory and charity in late medieval Vienna, in: Medium Aevum Quotidianum 35 (1996), S. 125ff. 72 Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts. Studien u¨ber Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich, 2 Bde., Stuttgart 1984.

MERCHANTS, MARKETS AND TOWNS [Reprinted from: The New Cambridge Medieval History, Vol. III: c. 900–c. 1024, ed. by Timothy Reuter, Cambridge 1999, pp. 64–94. © Cambridge University Press. Reprinted with permission.]

The beginnings of the European town in the form known to us from the late middle ages lie in the tenth century. Urbanism began its dynamic phase in the late eleventh century, reaching its climax in the thirteenth, but the basic elements were assembled between the decomposition of the Frankish empire at the end of the ninth century and the early decades of the eleventh. In this transitional period the commercial revolution began. The renewed rise of the town as a social formation is certainly closely connected with the extension and intensification of trade: merchants are therefore an important group in the shaping of the medieval town, in its topography, its institutions and its social networks. Their activities were the most spectacular and impressive, and occasionally overshadow the contribution and activities of the other forces driving developments forward. The rise in urban development and the changes in the structure and organisation of trade which will be described here presuppose a general expansion of the economy and an increase in prosperity, especially in the agrarian sector. This is the only explanation for the emergence of a broad stratum of consumers able to absorb the goods brought by long-distance trade. From the tenth century onwards this stratum was multi-layered, from clerics and aristocrats acquiring rich oriental cloth to wrap relics in, down to the Frisian manorial officials of the monastery of Werden on the Ruhr, who in the eleventh century had to make renders of pepper and wine to their clerical lords. And indeed the whole of Europe, including the Byzantine empire, shows an evident rise in agrarian production and demographic growth, though obviously there were variations between individual regions. Those tenth-century Europeans who drew maps of the world did so completely in the tradition inherited from antiquity: they stressed Europe, and in particular the Mediterranean, which was presented as the centre of the continent, from which its other parts and the world outside were viewed. In reality the Mediterranean was a meeting point between the Islamic and the Christian worlds, Christian meaning here both Greeks and Latins. A Mediterranean observer, especially one from the Islamic regions, looking at Europe, would have been confronted by three different regions of monetary circulation. In Islamic Africa and in Syria, as in Byzantium, gold dominated, but there were other

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coinages of silver and copper. Whereas in Byzantium the nomisma (bezant) entered a crisis at the beginning of the tenth century, Islamic North Africa was able to acquire new gold bullion from sub-Saharan Africa. In general this region was characterised by a highly differentiated monetary system, though in Byzantium this was more concerned with the fiscal needs of the state than with trade. Alongside this south-eastern region we find Carolingian Europe, with a monometallic silver coinage and a close connection between markets and mints. This region included the Anglo-Saxon kingdoms and Islamic Spain, which had already made the transition from gold to silver in the eighth century. Finally, in the north, around the Baltic with its Slav and Scandinavian coastlines and their hinterlands, we also find noble metals used for payment. But the hoards on which our knowledge is based include hack-silver as well as coins, which suggests that it was not coins but metal measured by weight which served as a medium of exchange. Up to and beyond the mid-tenth century, to around 960 or 970, these hoards were dominated by Arabian silver coins from Transoxania, whose mints were fed by the local silver mines. The coins penetrated beyond the Baltic into the ¯ saw in either 961 or 965/6 dirhams Reich, for the oriental traveller Ibrahim ibn Yaqub from the mint at Samarqand in Mainz.1 These dirhams subsequently disappeared, and the Baltic was then dominated by pennies from German and Anglo-Saxon mints. This change was certainly brought about by the discovery of additional silver deposits in the Harz (especially at Rammelsberg near Goslar), but it was also the result of the enhanced economic power and the active trade of Ottonian Germany and Anglo-Saxon England. Our hypothetical Mediterranean observer would thus have perceived a graduation in forms of trade and exchange of goods. North of the Alps and the Pyrenees, and especially in the region around the Baltic, these forms were simpler and less differentiated, but even here the use of coined metal intensified in the course of the tenth century. Nevertheless, the Mediterranean remained the real region of urban culture in the tenth century. This culture rested in part on ancient tradition, but it also developed a powerful dynamic of its own. The Islamic regions, from Mediterranean Spain through to Egypt and Mesopotamia, were noticeably different from the European economy, with which they had intensive contacts. Here we find really large and economically active towns, which can be matched in both eastern and western Christian Europe only by Constantinople. The trading of Islamic merchants was shaped by a detailed legislative framework based on writing. Communications between merchants, information about profit and loss, about the availability of goods and means of transport, and about delivery dates were also as a rule carried out in writing. This urban culture of Islam, which may be seen as a religion of merchants, can be set alongside very varied forms of urbanism in Christian Europe and the pagan north. In Italy there was a great continuity of urban life from Roman times; the civitates had remained centres of secular and ecclesiastical administration and nodes of

1 Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fu¨rstenho¨fe aus dem 9. und 10. Jahrhundert

(Quellen zur deutschen Volkskunde 1), Berlin/Leipzig 1927, p. 31.

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long-distance trade-routes, even if their architectural landscapes had been fundamentally altered by changes in the practice of patronage in the erection of public buildings. North of the Alps, in Gaul and the formerly Roman parts of Germania, most of the civitates had shrunk considerably, often being reduced to a core area which functioned as citadel or fortification. In the regions outside the old Roman empire incorporated into the Frankish empire during the Merovingian and Carolingian periods, and especially in the Slav and Scandinavian regions and in the British Isles, we find very varying beginnings for quasi-urban settlements and for mercantile centres. It must be emphasised that at the beginning of the tenth century trade and crafts were not inherently bound up with the social form of the town in these regions, often being organised in connection with lordship outside civitates, especially in the lordships of the great monasteries. Writing was used on a large scale in the organisation and regulation of trade only in Byzantium; outside the Mediterranean region law was confined to symbolic forms for concluding contracts. Lay literacy, which survived to some extent in Italy, evidently declined sharply in the course of the tenth century. In the Scandinavian north we find an increase in runic inscriptions, especially around trading centres, but there are no signs of a rune-based mercantile literacy as known from the twelfth century onwards through archaeological finds from Bergen. Only in Haithabu has a runic staff been found, datable to about 900, which may perhaps be interpreted as a merchant’s letter. In spite of this, Europe showed itself an attractive trading partner for the urban culture of Islamic north Africa and the Near East, and indeed it was precisely these trading links which lay behind the flowering of Islamic trading centres on the southern Mediterranean coast in the tenth and eleventh centuries. The cities of the Arab west, especially in the Maghreb and in al-Andalus (Spain), formed the far end of a chain of cities linking the Mediterranean with the Indian Ocean in a unitary trading zone in which goods from Asia, especially spices and luxury goods, flowed to northern Africa and Europe. The Arab west not only expected the same self-evident standard of luxury found in Damascus and Baghdad, it also, through its contacts with west African gold production, disposed of considerable economic strength. In addition, the tenth century saw the height of Islamic power in the western Mediterranean, even if Islamic unity had disintegrated. The Shi’ite Fatimid dynasty established itself in 909 in Kairuan (Ifr¯ıqiyyah) and in 969 it conquered Egypt; the Ummayad amirs of al-Andalus took the tide of caliph in 912. This all lent added weight to the region, whose large cities, especially Co´rdoba and al-Fust.a¯ t. Cairo, developed rapidly. Co´rdoba, the seat of the Ummayad caliphs, grew sharply in the ninth and especially in the tenth centuries: estimates of its population in the period vary from 90,000 to 500,000, even a million, though the first figure is more realistic. The town was an agglomeration of different settlements, owing their origins to the rulers’ initiative. Besides the old city (Medina) with a palace and a central mosque there were other palace cities in the immediate vicinity: al-Rus.a¯ fa and Mad¯ınat al-Zahr¯a (Co´rdoba la Vieja) under Abd ar-Rah.m¯an III (912–961) and al-Mad¯ınat al-Z¯ahirah under the dictator al¯ (around 980). The length of the walls around ancient Medina was only 4 km, Mans.ur but at the beginning of the eleventh century there was a moat of some 22 km around the agglomeration, and the palace city al-Zahr¯a remained outside this. Co´rdoba was

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one of the places at which the west encountered Islamic urban culture: Abbot John of Gorze stayed here between 953 and 956 as ambassador of Otto I, guided by merchants from Verdun familiar with the country. Their impression is reflected in the phrase used by Hrotsvitha of Gandersheim to characterise the city: decus orbis, the ornament of the globe. Co´rdoba combined trade, specialised crafts for the production of luxury goods (especially leather), and administrative and military functions, with a strong garrison. It was also a centre of learning with an extensive book production, evidently also organised as an industry. Above all it may be seen as an exceptionally large centre of consumption, functioning as the metropolis for an economic region comprising Spain and western north Africa around Fez, and managing its marine trade from Almerı´a, the port founded by Abd ar-Rah.m¯an III in 955. Comparable with Co´rdoba in its character as an urban agglomeration created by the ruler was Kairuan, established like Co´rdoba away from the coast, and the starting point of Fatimid expansion. But the real pendant in north Africa to Co´rdoba was alFust.a¯ t. on the Nile, immediately south of the city of Cairo founded by the Fatimids in 969. It grew together with Cairo into a single city, but remained the economically dominant part until well into the twelfth century. Founded in 642 as a garrison by the conquering Arabs, it had developed by the tenth century into a huge agglomeration of separate quarters (about twenty all told, with an average size of 20–40 hectares; al-Qarafa had 300 hectares). Each of these was assigned to a tribe from the conquest era and organised according to its laws. The Arab geographer Ibn H . awq¯al (d. 988) estimated that al-Fust.a¯ t. was about a third of the size of Baghdad, and the population in 969 was probably somewhat under 100,000. From then it grew rapidly and in the eleventh century it lay somewhere between 300,000 and 500,000. This growth was quite evidently based on the extraordinary economic prosperity ¯ (d. 956 or 957) reported: ‚All the kingdoms about which the encyclopedist Masudi located on the two seas which border the country bring to this commercial centre all the most remarkable, the rarest, and best perfumes, spices, drugs, jewels and slaves, as well as staples of food and drink, and cloth of all sorts. The merchandise of the entire universe flows to this market.‘2 The decisive push came around 1000, when the seizure of power by the Karmates in Bahrein made sea transport in the Persian Gulf so dangerous that the great bulk of trade from the Indian Ocean to the west henceforth came over the Red Sea via Aden, Adhab on the Sudanese coast and Qusan on the upper Nile to Egypt, thence to al-Fust.a¯ t. and Cairo. The cities of Syria and to a lesser extent Byzantium were still the final destinations of the caravans, but al-Fust.a¯ t. and its port of Alexandria became the most important emporia of the Mediterranean region. This is true above all for exchanges between the Islamic world and Christian Europe, which were also stimulated by the military needs of the Fatimid dynasty, whose demand for iron and wood for ship-building could be met only by imports from Italy. There were also traditional imports of goods from the Occident, listed already in the ninth century by the geographer Ibn Khord¯adhbeh: slaves, furs of all kinds,

2 Cf. S. J. Staffa, Conquest and Fusion: The Social Evolution of Cairo A. D. 642–1850, Leiden 1977,

p. 46.

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and swords.3 They can be seen in the presents made by the margravine Bertha of Tuscany in 906 to the caliph al-Muktaf¯ı: swords and male and female slaves from the Slav regions. In 949 Liudprand of Cremona also brought weapons and slaves to Byzantium when acting as ambassador for Berengar II.4 For slaves especially there was an extraordinary demand in the Islamic lands, and indeed in Spain the whole system of government was largely based on slaves from Sclavinia. John of Gorze was accompanied by merchants from Verdun on his mission, and Liudprand of Cremona reports that the Verdunese merchants had become particularly rich by trading in eunuchs with Spain.5 This flow of trade to the Islamic Mediterranean thus reached deep into Christian Europe, as far as the east Frankish realm, and the rise of Liudolfing Saxony in the late ninth century may be due among other things to the fact that it was the source of these wares. Islamic merchants did not extend their activity beyond the boundaries of Islamic rule, nor did Islamic rulers encourage activities of this kind. Rather, they allowed foreigners into their own territories to trade with them, though they did not allow transit passages. In Co´rdoba and in the rest of Islamic Spain these traders came from the Frankish realms, while al-Fust.a¯ t. was visited above all by Italian merchants from Amalfi, as we shall see. But the most important group in these exchanges was Jewish merchants. They played a leading role in inner-Islamic long-distance trade, as is shown by the documents from the Geniza of Cairo, which begin towards the end of the tenth century. They were not a substantial part of the population, especially considering the population figures named for the large cities. In eleventh-century Egypt there were probably no more than 15,000 of them, and their most important centre was Alexandria, not al-Fust.a¯ t. But Ibn Khord¯adhbeh speaks in his report on western trading goods of Radhanites, Jews who were based in the Christian west, probably in southern France, and who carried out a far-flung trade as far as India and China.6 Jews did indeed play a leading role in the long-distance trade of the Frankish empire from the ninth century onwards, favoured by the privileges granted by Louis the Pious. They were settled here, owning land, vineyards and mills, above all in southern France, for example in Narbonne where they are mentioned in 899 and 919, in Saintes (961) and in Vienne (975–993), but also in Regensburg, where in 981 the Jew Samuel sold a rural estate to the monastery of St Emmeram.7 Their scattered communities

3 Kit¯ab al Mas¯alik wa’l-Mam¯alik, auctore Abu’l ¯ K¯asim Obdaillah Ibn Abdallah Ibn Kord¯adh-beh, ac-

cedunt excerpta e Kit¯ab al-Khar¯adj auctore Kod¯ama bn dja’far, ed. M. J. de Goeje (Bibliotheca Geographorum Arabicorum 6), Leiden 1889, p. 114. 4 Cf. M. Gil, The Rh¯adh¯anite merchants and the land of Rhadan’, in: Journal of Economic and Social History of the Orient 17 (1974), pp. 310–311; Liudprand of Cremona, Antapodosis, ed. J. Becker, in: MGH SSrG i. u. s. 41, Hanover 1915, VI, 6, pp. 155–156. 5 John of Saint-Arnulf, Vita Iohannis abbatis Gorziensis, ed. G. H. Pertz, in: MGH SS 4, Hanover 1841, c. 117, pp. 370f.; Liudprand, Antapodosis (see n. 4), VI, 6. 6 Kit¯ab al-Mas¯alik wa’l-Mam¯alik (see n. 3), pp. 114–115. 7 RA Ch S no. 23 and 102; F. Lot, Recherches sur la population et la superficie des cite´s remontant a` la pe´riode gallo-romaine, vol. 2, Paris 1950, pp. 540f.; Cartulaire de l’abbaye de Saint-Andre´-le-Bas de Vienne, suivi d’un appendice de chartes ine´dites sur la dioce`se de Vienne, ed. C. U. J. Chevalier (Collection de Cartulaires Dauphinois 1), Vienne 1869, no. 91, p. 68 (cf. T. Endemann, Markturkunde und

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were concentrated along important trading-routes, especially the Rhine. The references in charter sources show that they were seen as long-distance traders par excellence. The Raffelstetten trading ordinance (903–906), which regulated the salt trade along the Austrian Danube, calls them ‚the merchants, that is the Jews and the other merchants‘.8 Similar phrases are used in privileges for Magdeburg of 965 and 979 and for Treviso of 991, while in Byzantium the „Book of the Eparch“, the main source for the trading history of Constantinople in the tenth century, uses the phrase ‚Jews or merchants‘.9 The activities of these Jewish merchants evidently encompassed the whole of continental Christian Europe, extending into Sclavinia and perhaps into Scandinavia, as is suggested by the fragments which can be deduced of a travel report by Ibr¯ah¯ım ibn ¯ a Jew from Spain, for he describes Prague as a slave market and Haithabu as Yaqub, a heathen trading-centre with only a few Christians.10 On the other hand we can see the continuous links to the Islamic regions and their economic centres, even if not all Jews settled in the Carolingian successor-states undertook such long journeys as the Radhanites. Jewish mercantile activity, which reached a marked peak in the tenth and eleventh centuries, linked the Islamic world with Europe and filled the continent with oriental mercantile culture. The comparatively richly transmitted Responsa literature of the ninth to the eleventh centuries, in which Jewish merchants posed questions about trading law to legal experts, shows just how far this trading culture was governed by literacy. The statement made by one of these experts in the eleventh century is valid for these traders: ‚they used to conduct their affairs by letters which they wrote to one another. And it was their practice that ... letters were as binding as their words.‘11 Islamic urban culture thus influenced Christian Europe through Jewish merchants, but these exported goods alone, not the urban forms and institutions of Islamic cities. Here there was no exchange, not even as a result of the experiences of European traders in Islamic lands. The Islamic cities were centres of dynastic and religious power, controlled by the umma, the Islamic state community. The administration of these cities was – even though Islam was a mercantile civilisation right from the beginning and merchants enjoyed a high social prestige – run by officials of the ruler and his agents. There was no special community of self-administering citizens; only the non-Islamic segments of the population (Jews and Christians above all) enjoyed a certain autonomy. The absence of a community of citizens and the social fragmentation of the Islamic city into ethnic, religious and professional groups also affected its topography. Normally there was no regular network of streets linking all the parts of the city; rather,

Markt in Frankreich und Burgund vom 9. bis 11. Jahrhundert (VuF, Sonderbd. 6), Constance/Stuttgart 1964, pp. 130f.); MGH DD OII 247. 8 MGH Cap 253, II, p. 252. 9 MGH DD OI 300; MGH DD OII 198; MGH DD OIII 69; Le Livre du Pre´fet, ed. J. Nicole, Geneva 1893, p. 33. 10 Arabische Berichte (see n. 1), p. 29. 11 Cf. A History of the Jewish People, ed. H. H. Ben-Sasson, Cambridge/Mass. 1976, p. 398.

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we find an agglomeration of quarters complete in themselves. The main features of their topography were the palace, the Friday mosque and school as religious centre, and above all the inner-city market, normally situated next to the mosque, which offered the products of urban crafts. Markets for wholesale and long-distance trade, merchants’ inns, and also markets for the agrarian produce of the hinterland lay on the periphery. The typical Arab praise of the city stresses besides palaces, mosques, the learning of the schools and the abundance of the markets, the gardens and baths, and above all the number and size of the houses. Ibn H . awq¯al notes proudly that alFust.a¯ t.’s and Cairo’s houses had five, six or even seven storeys and the Persian traveller N¯asir-i-Khusrau had the feeling of having a mountain before him when contemplating Cairo around the year 1000.12 Admittedly, not all Islamic cities reached the size of Co´rdoba, Kairuan and al-Fust.a¯ t., but in the Christian lands there was only one city which could be compared with these Islamic metropolises of the Mediterranean region: Constantinople. From this city there also ran in the tenth century an important trading-route for the import of oriental wares into Europe, a trade in which those same Italian cities whose merchants traded with al-Fust.a¯ t. participated. The Byzantine empire, at the height of its medieval power in the tenth century, was a little smaller than the western empire, but it possessed a genuine capital, the largest city in Europe at the time. The walls enclosed an area of 24 km2, and estimates of its population extend to a million, though 250,000–300,000 is probably nearer the truth. Constantinople was the heart of an empire with a strongly centralised provincial administration, which came increasingly under the control of the metropolitan elite just at this time. The numerous cities of the Byzantine provinces, in particular those of the Balkan peninsula, came nowhere near the metropolis in size. Even Thessalonika, the most important city after Constantinople, had an area of only 3.5 km2, and most of these cities were presumably very small. They were also not preeminently centres of craft and trade, least of all long-distance trade, but rather centres of consumption orientated towards their hinterlands, where rich landlords, following the tradition of Roman antiquity, consumed the surplus wealth of agrarian production. No class of economically active burghers developed here. To some extent this statement is valid of Constantinople itself. The „Book of the Eparch“, a collection of laws probably published by Leo VI around 911–12, names a great number of crafts and groups of merchants,13 but these were very strongly aligned with the needs of metropolitan consumers with a high standard of living. Here too the rich landowners dominated alongside imperial officials. The Byzantine economy, in spite of the increased prosperity of the provinces in the tenth century, tended towards autarky, by contrast with the Islamic world. The „Book of the Eparch“ itself shows that there was a considerable import of oriental wares, especially from Persian regions, and also a native production of luxury goods (silk-production, purple-dyeing), but we can hardly discern long-distance trade and brokerage aiming beyond the borders of the empire. Greek merchants, who had carried out a good deal of early

12 Cf. G. Wiet, Cairo. City of Art and Commerce, Normal/Ill. 1964, pp. 36, 39f. 13 Le Livre du Pre´fet (see n. 9), passim.

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medieval European long-distance trade, from the beginning of the tenth century no longer went abroad: the last reports of Greek merchants in southern France, for example, date from 921.14 The Byzantine empire had traditionally organised its trading contacts, both with western merchants and with the Russian and Islamic regions, at fixed points on the border. The admission of foreign merchants to the capital itself, a procedure whose forms become visible in the tenth century, came to be of great importance. But the „Book of the Eparch“ imposed a strict regimentation on native crafts and trade, and the same happened to foreign merchants. They had decisive restrictions placed on the length of their stays (as a rule three months); they had fixed living-quarters (mitata) in which they could be strictly controlled; and for particular wares there were export prohibitions or restrictions on the quantities which could be exported, especially in wares of the highest quality, which were retained for the Byzantines’ own needs. Liudprand of Cremona experienced all this when, on his departure from Constantinople in 968, five pieces of purple cloth were confiscated by customs officials; it was in vain that he protested that the merchants of Venice and Amalfi were able to export such textiles from Byzantium and offer them for sale in Italy.15 In the course of the tenth century, the contacts of the Italian cities with Byzantium and the Islamic world do seem to have intensified in spite of the restrictions found in normative sources. Amalfi had the greatest successes, but Venice the most lasting ones; Pisa and Genoa appeared on the scene only around the millennium. Both Venice and Amalfi had their roots in Byzantine rule over Italy, and this alone orientated them from the start towards the Levant trade. Amalfi was one of the castra erected by the Byzantines against the advancing Lombards towards the end of the sixth century. Almost inaccessible from the land, built on a tiny territory, but endowed with an excellent harbour, it began its rise in the ninth century, especially after it had freed itself from subjection to Naples in 840; like the latter city it pursued, though independently, a policy of occasional cooperation with the Arabs. This led to an early link with north Africa, with the Aghlabids and later the Fatimids in Kairuan and their harbour alMahdiyyah, recorded from 870 at the latest. It is therefore not surprising that, following the Fatimid conquest of Egypt, al-Fust.a¯ t./Cairo belonged to their destinations. One hundred and sixty Amalfitans, ‚who had come there with their wares‘, perished in a pogrom in 996.16 This suggests a real colony, encouraged by the on the whole xenophile policy pursued by the Fatimid rulers. The Amalfitans pursued a triangular business. They brought corn, linen, wood above all and perhaps iron in exchange for gold and spices to Tunisia and Egypt. The gold paid for the imports of textiles, jewels and other luxury items from Byzantium. These activities intensified towards the millennium, and the Amalfitans perhaps received permission to settle in Antioch

14 Recueil des actes des rois de Provence, 855–928, ed. R. Poupardin, Paris 1920, no. 39, p. 108. 15 Liudprand of Cremona, Relatio de legationa Constantinopolitana, ed. J. Becker, in: MGH SSrG i. u. s.

41, Hanover 1915, c. 55, p. 205. 16 C. Cahen, Un texte peu connu relatif au commerce oreiental d’Amalfi au Xe sie`cle, in: Archivio storico

per le provincie Napoletane n. s. 34 (1955), pp. 61–66.

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and Jerusalem around that time; they had been resident in Byzantium from the beginning of the tenth century and backed Constantine VII in the rulership crisis of 944. Because of its Arab connections, Amalfi was probably the most important Christian trading centre in the Mediterranean around the year 1000, ahead of all other south Italian cities but also of its rival Venice. Ultimately, however, Venice was more successful. This city too, which had its origins in a settlement established by refugees who had retreated before the Lombards around 600 to the islands of the laguna, had been important since the early ninth century. It profited from its special political position, which allowed it to appear as a member of the Byzantine empire and so gave its merchants access to Constantinople; from 880 on it was independent of the Frankish empire. Venetians, like Amalfitans, traded with the Arabs, in part in the same militarily significant goods, and this led to friction with Byzantium in 971. But in 992 the Venetians secured a treaty which gave them primacy within Constantinople; in 1082 this culminated in a monopoly, while Amalfi became a backwater following the Norman conquest of 1077. These political facts were important, but Venice also had advantages which Amalfi could not offer: it was in a position to provide the Levant trade with a large-scale and receptive hinterland, northern Italy, which was rich in civitates and economically active, and also to open up the transalpine trade. The caput Adriae between Istria and the mouth of the Po, along with the Rhoˆne valley, had always been the main entry points for Mediterranean wares into central and northern Europe. Venice was able to bring this region and in addition a part of the eastern Adriatic coast under political control. Its rival Comacchio was eliminated in 933, but it is noteworthy that Venetian activities to secure influence over the harbours of the northern Adriatic intensified around the millennium, when Venice was cooperating more intensively with Byzantium. The securing of Ottonian rule in Italy placed Venice’s access to transalpine regions on a firm political footing and hence facilitated it. In 967 begins the long series of Ottonian pacta with the city, based on ancient tradition: these granted the Venetians freedom of movement in northern Italy, especially for the trade with the most important cities between the Adige and the Po.17 For its trade Venice thus disposed of two privileged zones and enough political influence to be able to restrain all potential rivals in the region at the head of the Adriatic. This made it in the long run the most important interface between the Levant trade and the wares of transalpine regions, which in the tenth century certainly included slaves and furs, perhaps also metals. Venetian trade was evidently closely observed in Germany: already in 860 it was known in Fulda that goods flowed into Venice, and Thietmar of Merseburg noted in his „Chronicon“ under 1017 that four Venetian ships with all kinds of different spices had suffered shipwreck.18

17 Cf. G. Ro ¨ sch, Venedig und das Reich. Handels- und verkehrspolitische Beziehungen in der deutschen

Kaiserzeit (BiblDHI Rom 53), Tu¨bingen 1982, pp. 7f. 18 Annales Fuldenses, ed. with German translation R. Rau, in: Quellen zur karolingischen Reichs-

geschichte 3 (FSGA MA 7), Darmstadt 1960, pp. 19–177, s. a. 860, p. 60; Thietmar of Merseburg, Chronicon, ed. R. Holtzmann, in: MGH SSrG ns 9, Berlin 1935, VII, 76, p. 492.

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In the tenth and eleventh centuries German traders were not yet to be found in Venice. Foreigners used the city merely as a starting point for journeys to Byzantium, and Venetian ships as a means of transport, like the ‚very rich merchant‘ Liutfrid from Mainz, whom Liudprand of Cremona met serving as an ambassador of Otto I’s in Constantinople in 949.19 Exchanges between German merchants and Venetians were evidently carried out in Treviso20 at the foot of the Alps, where at the beginning of the eleventh century a German toll-station (ripaticum teutonicorum) is recorded, and above all in Pavia. Pavia had been the capital of the Lombard kingdom, and in Ottonian times also it was one of the preferred sedes of the rulers when they were in Italy, alongside Ravenna and Rome. The central administrative apparatus of the regnum Italiae with its base in the royal palace at Pavia apparently remained intact. From shortly after the death of Emperor Henry II in 1024 there survives a list of the revenues of the royal chamber, the Instituta regalia, also known as the Honoratiae civitatis Papie, which shows Pavia at the centre of long-distance trade in northern Italy.21 It directs attention on the one hand to the ten trading stations in all, the clusae, situated at the entry to the Alpine passes from Susa in the west to Cividale in the east, and to the merchants coming from the north (among whom numerous Anglo-Saxons evidently enjoyed a privileged position) and their wares: horses, slaves, wool and linen cloth, tin and swords. On the other hand we find the Venetians and merchants from the south Italian cities, Salerno, Gaeta and Amalfi, who brought in oriental and luxury goods: spices, ivory, mirrors and valuable textiles. At the end of the ninth century Notker of St Gallen had already described the great variety of textiles available from the Venetians to Frankish magnates, and Odo of Cluny in the first half of the tenth century relates how Count Gerald of Aurillac had been offered silk and spices before the gates of the city.22 Pavia thus appears as a market which was frequented both by rich consumers themselves and by traders, a meeting- and exchange-point between the region north of the Alps and the Mediterranean. The city was a focus for this trade because it was the centre of government in the regnum Italiae, not because of any potent stratum of merchants of its own. The role of Pavia, rooted in older relationships, was revived and intensified by the Ottonians’ policy in Italy. The increasing frequency of trade on the Alpine route from the Rhine during the second half of the tenth century is also visible in what was evidently the very rapid development of Zurich, which lay in the northern hinterland of the Bu¨ndner group of Alpine passes. This concentration of long-distance trade on Pavia and the city’s role as a centre of distribution vanished after the royal administration had disintegrated in the course of Henry II’s reign and the Pavians destroyed the royal palace.

19 Liudprand, Antapodosis (see n. 4), VI, 4, p. 154. 20 Documenti relativi alla storia di Venezia anteriori al mille, ed. R. Cessi, 2 vols., Padua 1940–1942,

no. 189, pp. 182–184; cf. Ro¨sch, Venedig (see n. 17), pp. 80f.

21 Cf. Die ‚Honorantie Civitatis Papie‘, ed. C. Bru ¨ hl/ C. Violante, Cologne/Vienna 1983, passim. 22 Notker the Stammerer, Gesta Karoli II, ed. H. F. Haefele, in: MGH SSrG ns 12, Munich 1980, 17,

p. 86; Odo of Cluny, Vita Sancti Geraldi Aurilacensis comitis libri quatuor, in: PL 133, 27, col. 658.

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This action directs our attention to the remaining cities of northern Italy, whose inhabitants also began to develop their independence in the course of the tenth century. This indicates a new stage in urban history. The revival of long-distance trade, in particular the strengthening of communication between two great trading regions, as seen around 1000, gave a powerful shove to economic development and to urbanism. But it coincided with a general intensification of medium- and short-distance trade and a flourishing of handicrafts. All these together favoured the development of urban and quasi-urban forms of life and social organisation in varying degrees. All the post-Carolingian kingdoms were affected by this. Besides the growth of and the emergence of specialisation within the civitates we find their penetration of the hinterland with places for the exchange of goods taking the legal form of the market (mercatum), which provided those who traded and also the producers of craft and agrarian goods with a stable framework for their activities: peace and protection both at the market itself and while travelling to and from it, legal security and the settlement of disputes arising out of transactions, together with reliable monetary conditions. This process was stimulated and encouraged by rulers and other lords, who guaranteed the legal setting and derived fiscal benefit from market dues, in particular from tolls. True, market foundations are not an innovation of the Ottonian period, but go far back into the Carolingian era. Yet in the tenth and eleventh centuries they reached a new stage of development, and were used deliberately to intensify lordship in the central regions within which the medieval town developed, that is in Italy, France and Germany. In Italy the network of civitates was finer meshed than in the transalpine regions, an inheritance from antiquity: the distances between episcopal sees ranged between 15 and 50 km. In the transalpine regions they were much greater; even in the German regions west of the Rhine and in Lotharingia they were 50 to 130 km, and further east they could be still larger. For this reason no additional quasi-urban settlements developed alongside the episcopal sees in Italy: urban life is congruent with the episcopal city. The civitates in Italy evidently suffered less in the course of the Germanic incursions of late antiquity than the episcopal sees in Gaul, and they did not experience so great a shrinkage. The walled area of the more important towns varied between 20 and 40 hectares, and even the great exception of Rome, with an area of 13.86 km2, did not achieve the extent of the Byzantine and Islamic metropolises. Rome played no active economic role. For several centuries it had been a rural town with large farmed areas within the walls. At best it was a centre of consumption. The luxury goods brought by long-distance trade, above all that of the Amalfitans, flowed into the courts of the popes and their clergy, to the numerous churches and their decorations, and to the crowds of pilgrims who visited the tombs of the apostles. Evidently no long-distance trade was plied by Roman merchants. Politically, both city and papacy were in the hands of rival aristocratic families, and even Ottonian rule faced constant revolts: ‚Rome and the papacy were at their nadir.‘23 Rome’s importance for urban history was not a product of its political or economic role but of 23 R. Krautheimer, Rome. Profile of a City, 312–1308, Princeton 21983, p. 145.

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the picture of Rome as an urban caput mundi, as the city of Christianity itself, shaped by tradition and renewed by Otto III. The centres of urban innovation in Italy lay in Tuscany and above all in Lombardy. The basis for the civitates’ economic development was the fertility of the Po basin and its tributary valleys. Liudprand of Cremona formulated this almost epigrammatically when he said that Venetians and Amalfitans brought valuable textiles to northern Italy in order to sustain their existence with the foodstuffs bought in return.24 But undoubtedly the export of agrarian surpluses was the main driving force behind the early rise of the Lombard cities and the source of their prosperity. The landowning nobility of Italy, unlike that of Gaul, had never left the civitates, and so city and hinterland remained closely linked. The civitas retained an oligarchic structure even within its walls. Although the bishop, as elsewhere, was the most important figure in the city, and his position was further strengthened by Ottonian privileges, he was still not the real ruler of the city, but had continually to deal with other groups of the urban population and the distribution of power among them. The population was subject to a unitary law, and consisted for the most part of the free. To be able to defend the extensive ring-walls the population bore arms, and took part in the conventus, a popular assembly. The nobility naturally played a decisive role in this highly differentiated urban society, and the bishop and the other officials in the city were in effect merely the exponents of the aristocracy and its factions. But their election was the product of inner-urban decision-making. The permanent market within the walls was the economic centre of the city, already equipped with densely built-up market stands often owned by ecclesiastical institutions. It was here that the activities of traders and of the urban craftworkers intermeshed most closely. The differentiation in craftwork and its concentration within the city seems to have been a very important factor in determining the economic power of a city; it was almost as important as trade. The significance of crafts can be seen in the rise of Milan, which around 1000 was probably already on a par with Pavia. It was not inherently favoured by its position away from the Po, but it was able to concentrate long-distance trade on itself because its archbishop could guarantee the safety of traders along the Alpine route to Chur. This underlines once more the importance of this route for Italian trade with the transalpine region, whereas the western Alpine passes still suffered from the depredations of Saracen bands, who in 891 had set up a base in Fraxinetum, between Marseilles and Nice. From here they made razzias by water and land, and they were not driven out until 973. That also helps to explain the delay before Pisa and Genoa, with their excellent harbours, were able to take a leading part in long-distance trade. A decisive contribution to Milan’s prosperity was made by the development of a productive ironworking industry. This profited from ore deposits on Lakes Maggiore and Como, largely in the hands of the Milanese monastery of S. Ambrogio. At all events it is smiths and

24 Liudprand, Relatio (see n. 15), c. 55, p. 205.

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ironworkers alongside merchants whom we find among those Milanese citizens who acquired land in the surrounding regions around 1000. Processes like that just mentioned demonstrate the economic superiority of the civitas, as does the fact that around 1000 the price for land in Milan was thirty-six times as high as in the countryside.25 But the countryside was also subject to increased commercialisation, as seen from royal diplomata granting rights of market, which begin before the middle of the century. Bishops possessed such rural markets, as did individual monasteries and nobles, such as the Vuaremundus who received in 948 from King Lothar the right to collect all the dues pertaining to the king on contracts concluded in his castles and villages or in markets which he might erect in places belonging to him.26 Trading and the market are here linked with castle-building, incastellamento, a practice whereby nobles and ecclesiastics sought to intensify their lordship. These markets and fortifications were only rarely the basis for urban formation. Urban development generally remained linked with the civitates and the marketplaces within them. They grew through the accumulation of burgi, unfortified settlements outside the walls, which were incorporated into the civitas by the walls built in later eras. It is obvious that the merchants of the Italian civitates belonged to the leading groups within the cities, alongside the urban nobility. In the maritime cities, especially in Venice, the nobility itself participated in trade. But it is difficult to get a picture of the social origins of merchants. Some of them were free, such as the Cremonese milites active in the Po trade. But links with the bishops appear repeatedly in the sources. Otto III and Conrad II gave the bishop of Asti (at the mouth of the valley of Susa, one of the most important Alpine crossings) in 992 and 1037 respectively a privilege granting freedom from tolls to his merchants and to the citizens of his city.27 Regardless of whether they were free citizens or trading agents of the bishop, merchants profited more than all other sections of the population from market, mint and toll privileges and from the episcopal protection guaranteeing their trade-routes. Their room for economic manoeuvre was defined by their link with their civitas and its bishop. Archbishop Aribert could therefore justifiably be praised on his death as mercatorum protector.28 Nevertheless, the relationship was not always free from tensions, which show the importance of this group. In Cremona, disputes between the merchants and the bishop are recorded as early as 924, when the merchants sought to move the harbour to a different location to escape episcopal control. Tensions between citizens and bishops increased around 1000: in 983 there is a reference to conflicts between Milanese citizens and Archbishop Landulf, and from 996 there were again disputes over the harbour and the passage of ships in Cremona; these lasted a long time and broke into violent conflict in 1005 and 1030. But the part played by merchants in 25 Cf. Y. Renouard, Les villes d’Italie de la fin du Xe sie`cle au de´but du XIVe sie`cle, vol. 1, Paris 1969,

p. 382. 26 DD Lothar 10. 27 MGH DD OIII 99; MGH DD KoII 245. 28 Landulf Senior, Historia Mediolanensis, ed. A. Cutolo (Rerum Italicarum Scriptores, n. s. 4), Bologna

1942, II, 32.

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these disturbances is not clear, and they really belong to the general wave of strivings for autonomy which culminated in the valvassores’ uprising in 1035. Nevertheless, it is significant that evidence for the right of citizens to participate in the running of the cities refers to economic affairs affecting merchants. Already in 948 King Lothar had granted the bishop of Mantua the mint, with the provision that the conventus of the citizens of Mantua, Verona and Brescia was to determine the fineness and weight of the coinage. This strong position of the citizens found around the middle of the century was not seriously affected by the privileges granted by the Ottonians to the bishops, and the economic well-being of the cities was an important precondition for the formation of the communes in the later eleventh century. By the beginning of the eleventh century at all events, Italy ranked as the most advanced urban region of Europe. Her most important cities were Milan and Venice, while the harbour cities of Pisa and Genoa were rapidly gaining ground now that the Saracen danger in the Tyrrhenian sea had been eliminated. In the transalpine regions of the former Frankish empire, in what were becoming France and Ottonian Germany, the development of towns took a quite different path. The wider mesh of the network of civitates (see above) left room for further settlements resembling the episcopal sees in economic and governmental function. But even those civitates going back to Roman times operated under different preconditions from those of the episcopal cities of Italy. The Germanic incursions at the end of the third century had led to the fortification of the Gallic cities and so to a drastic reduction in the areas of urban settlement. Only a few episcopal cities retained a substantial area: Lyons (65 ha); Poitiers (47 ha); Rheims (60 ha); Sens (43 ha); Toulouse (90 ha). Remarkably, these included some which lay near the limes and set up their defences early: Cologne (96.8 ha); Mainz (98.5 ha); Metz (60 ha); Augsburg (61 ha, though here the fortifications had disappeared by the tenth century and had no influence on the medieval development of the city). Trier, the former imperial residence, had the exceptional area of 285 ha, but only about 15 % of this was settled at the beginning of the tenth century. Most of the civitates had an area between 6 and 15 ha: Auxerre (6); Limoges (7); Clermont (6); Le Mans (7–8); Paris (15); Rouen (14). The areas in the towns within what later became Germany were generally larger: Strasbourg (18.5); Worms (23); Regensburg (24.5); Speyer (14). The smaller areas predominating in Gaul evidently provided a model for the bishoprics newly founded in the Carolingian era in the previously townless regions to the east of the Rhine, especially in Saxony: Minden (4.24); Mu¨nster (7); Osnabru¨ck (5.25); Paderborn (6.1). It is clear that these civitates essentially had the functions of a mere citadel, and the Old High German glossing of civitas and urbs with purc underlines this fortified character of urbanism. Market, trade, and to a large extent craftwork, largely took place outside these fortifications. The settlements connected with them were adjacent, but legally distinct, creating the characteristic picture of a bi- or multipolarity in the early phase of town formation, which ended only with the creation of a unified town law and wall-building enclosing the separate settlements in the course of the eleventh and twelfth centuries. The process of town development was roughly similar in France, Lotharingia and Germany, but the pace varied. The trade flows of the period at first favoured Ger-

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many and Lotharingia: the links already mentioned across the Alps with Mediterranean trade, which led into the Rhine valley or the region of the Meuse and proceeded along these rivers to the coast; but also the extraordinary growth of the slave trade within Europe. Regensburg was the crucial centre on the Danube route, Erfurt on the Thuringian, Magdeburg on the route across the Elbe. It is no coincidence that it is in Regensburg that we find around 1020 a civis and merchant of Slav origin settled there: Penno filius Liubuste.29 However, the most important impulse for development seems to have been given by the intensification of trade across the Baltic, a flowering of the seeds sown in the Carolingian era. Viking raids functioned here as a motor rather than as a destructive force. The coastal region of northern Europe was bound in this way into the network of long-distance trade; along the Dnieper and the Volga a second trade-route was established with Byzantium and the Islamic east. This Baltic trade also entered via the Rhine, Meuse and Scheldt estuaries to end in Germany and Lotharingia and provided a significant economic thrust. France, by contrast, remained cut off from Mediterranean trade by the hindrance to trade via the mouth of the Rhoˆne due to the Saracen threat; the transit trade of Jewish and Verdunese merchants with Islamic Spain did not compensate. Admittedly, Italian merchants are recorded around 1000 at the Saint-Denis fairs, which go back to the Merovingian era, but the decisive rise of the Lendit took place in the second half of the eleventh century. One also has the impression that the French civitates only gradually recovered from the depredations of the Viking raids, to which they had been exposed particularly strongly, even in the interior, during the period of the ‚great army‘ from the 880s through to the foundation of Normandy in 911. In Paris, for example, there is noticeable growth in the settlements outside the walled Ile de la Cite´ on both sides of the Seine only after the middle of the century; in Rheims the churches of Saint-Denis and Saint-Nicaise still lay in ruins in the mid-eleventh century. In Bordeaux the rebuilding also took place only at the end of the tenth century, and not until the eleventh is a noteworthy flow of trade on the Garonne again recorded. Nevertheless the London toll regulations of Æthelred the Unready of 984/985 mention long-distance trade with the northern coast of France, especially with Rouen (wine and whale meat), but also with the mouth of the Somme (Ponteienses, the men of Ponthieu).30 Yet in general it seems clear that the final phase of Viking raids retarded French development, whereas overall and on balance they were a favourable impulse to north European trade, and indeed played a decisive part in building up a trade network in the North and Baltic seas. Tenth-century France also lacked the driving force of powerful kingship. Although the development of towns and markets in France, Lotharingia and Germany was strongly influenced by regional political forces, the Ottonian rulers played a decisive part. Their diplomata suggest that they had a trade policy, one which was to 29 Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters S. Emmeram (Quellen und Ero¨rterungen

zur bayerischen Geschichte, N. F. 8), Munich 1943, no. 327, pp. 246f.

30 Die Gesetze der Angelsachsen, ed. F. Liebermann, 3 vols., Halle 1903–1916, vol. I, IV Æthelred 2.5 u.

2.6, p. 232.

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intensify the impulses proceeding from the favourable geo-economic conditions of the period. Their aim was to fill the area with markets, places at which goods could be exchanged in ordered legal circumstances. The need to establish such places in particular regions is explicitly stated. Kings themselves had such markets in their palaces and royal estates, in the civitates and elsewhere. From the reign of Otto I the crown increasingly granted the income from such markets in whole or in part, or the markets themselves or at least the right to erect and run such markets, to other lords. Nevertheless, it continued to regard itself as a central regulator, for example in the way in which it issued prohibitions against erecting markets in particular areas, in order to protect the catchment areas of existing markets (as Otto III did for Quedlinburg in 994),31 but above all in the way in which it sought to guarantee unitary principles of market law and custom. The charters granting rights defined them by reference to those of the nearest economically significant civitas (Cologne, Mainz, Magdeburg, Trier, Cambrai, Strasbourg, Speyer, Worms, Constance, Augsburg and Regensburg) or other royal market (Dortmund, Goslar, Zurich). It is clear here that we are dealing with royal law, as when for example Otto I in his privilege for Bremen of 965 speaks of the law of merchants in the remaining royal cities (urbes) and Henry II grants in 1004 to the market Rincka in Breisgau the peace which is usual ‚in the greater places and towns of our empire‘.32 Unified law held together a network of markets owned by different lords, differentiated according to size and distance. The granting of privileges to merchants themselves was a more immediate way of encouraging trade, and this also occurred, though only a few traces of it have survived. The merchants of Tiel, the successor to the Carolingian emporium of Dorestad, claimed at the beginning of the eleventh century to hold royal privileges, and Otto II had already granted the merchants resident in Magdeburg freedom from tolls throughout the kingdom with the exception of those at Mainz, Cologne, Tiel and Bardowiek.33 This clause, very much in the Carolingian tradition, underlines once more the importance of the great emporia on the Rhine, the entry-points for the North Sea and Baltic trade. It also sketches the radius of action of a group of merchants in Magdeburg, whose members are indeed traceable in Tiel. What characterises these merchants is their residentiality, their links with a particular place, which is stressed occasionally in the diplomata, reflected in phrases like Maguntinus institor or Verdunenses mercatores or deducible from their sometimes considerable landed possessions, as when the Regensburg merchant Wilhelm gives land in five different villages to the monastery of St Emmeram in 983.34 This merchant residentiality also shaped the topography of mercantile settlements and encouraged the formation of social groups with permanent structures.

31 MGH DD OIII 155. 32 MGH DD OI 307; MGH DD HII 78: sicut in maioribus nostri regni locis et civitatibus. 33 MGH DD OII 112. 34 Liudprand, Antapodosis (see n. 4), VI, 4 and 6, pp. 153f., 155f.; Liber miraculorum S. Bertini abbatis,

in: AASS Septembrii II, cols. 595–604: Viridunenses negotiatores; MGH DD OII 293, cf. Traditionen des Hochstifts Regensburg (see n. 29), no. 212, p. 192: urbis Regie negotiator nomine Adalhart.

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True, it is clear from the sources that merchants lived both inside and outside the civitas, as at Merseburg or Regensburg, but the settlements outside the civitas, known as suburbium, burgus, vicus or portus, took on a special importance. They were established, sometimes several of them, not only around civitates but also at palaces and royal estates, monasteries and aristocratic fortifications. This consolidation of a vocational group will have encouraged the formation of unions of a cooperative nature. The Magdeburg merchants – occasionally named together with the Jews – received their privilege as a corporation.35 In Tiel, where the vicus ad portus of the merchants lay along two lordly settlement-cores – the Walburgis monastery (an aristocratic foundation granted by Otto I to the bishopric of Utrecht) and an important royal estate, which was granted to St Mary in Aachen in 1000 – the outlines of a merchant guild become visible, a ‚free association with self-determined law for the purposes of mutual protection and support‘,36 which should be seen as a milestone along the road leading to later inner-urban confraternities. Tiel’s especially vulnerable position at that time may have encouraged the formation of a guild, but similar associations may be assumed to have existed at other places. Not all those who traded would have fallen into the categories of mercatores, negotiators, emptores and institores. The Raffelstetten toll ordinance distinguished the Bavari (that is Bavarian landowners) trading in salt from the merchants and Jews who to some extent were active in the same markets.37 The distinction between different groups of traders is difficult, but the inhabitants of vici and suburbia were probably characterised by their activity in long-distance trade. Their social classification is equally difficult. The rich Regensburg merchant Wilhelm (see above) had been ‚granted his freedom‘ by the king.38 There were thus free men among the negotiatores, but it also means that others were active as agents of the king and in his service, in bonds characteristic of what were later to become ministeriales. Similar bonds are to be assumed for merchants in the entourages of other lords, though their activities will have assured them a great deal of flexibility in their legal status and way of life, something which enraged monastic observers like Alpert of Metz, who describes the merchants of Tiel.39 The populations of these multiple settlements are frequently described in terms which suggest that they were acting together, especially in conflicts with the bishop of the civitas. It was the Metenses who blinded the bishop of Metz installed by Henry I in 924.40 But even when in 958 the citizens of Cambrai sought to drive their bishop 35 MGH DD OII 112; MGH DD OI 300. 36 MGH DD OI 124; MGH DD OIII 347; cf. O. G. Oexle, Die Kaufmannsgilde von Tiel, in: Unter-

suchungen zu Handel und Verkehr der vor- und fru¨hgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa VI: Organisationsformen der Kaufmannsvereinigungen in der Spa¨tantike und im fru¨hen Mittelalter, ed. H. Jankuhn/E. Ebel (AbhAkGo¨tt 3. 183), Go¨ttingen 1989, p. 184. 37 MGH Cap 253, II, pp. 249–252. 38 MGH DD OII 293. 39 Alpertus Mettensis, De diversitate temporum et Fragmentum de Deoderico primo episcopo Mettensi, ed. H. van Rij, Amsterdam 1980, II, 20f., pp. 78–82. 40 Adalbert of St Maximin, Reginonis Continuatio, in: Regino of Pru¨m, Chronicon, ed. F. Kurze, in: MGH SSrG 1, Hanover 1890, s. a. 927, p. 158.

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from the city, ‚united in one and the same will and having made a unanimous oathtaking‘,41 we are not yet dealing with an incipient citizens’ collective. We must reckon rather with different groups, legally distinct from one another, even within the civitas, in which often enough bishop and count were in rivalry. In Cambrai the count held half of the town area and of the dues; in several French civitates (e. g. Soissons and Amiens) comital castles are recorded, and the Life of Bishop Burchard of Worms (1000–1025) describes impressively how Duke Otto, a son of Conrad the Red, possessed a fortification within the civitas, which offered support to those persecuting the episcopal familia. Bishop Burchard countered by fortifying the episcopal residence, and so in time brought peace to a city in which within a single year thirty-five members of the episcopal familia had been killed. But Burchard’s estate law, which set fixed legal norms within the civitas, applied only to his own familia, not to other groups of persons. In general the bishops were able to gain the upper hand within the area of the walled civitas, not least with the help of the privileges granted them by the Ottonians, and in the palaces, royal estates and aristocratic fortifications which were also adjoined by vici and suburbia the issue did not present itself. The events just noted do make clear, however, that civitas and castle were centres of lordship, though their significance cannot be confined to the merely military. They were also far from serving exclusively as places of refuge for times of war, even if Viking raids and Magyar razzias encouraged the building of fortifications. The Vita Burchardi says that after peace had been established the cives returned to live there.42 That is understandable in the case of a civitas of the size of Worms (see above), but even in very small settlements, such as that of the castle of the counts of Flanders in Ghent (4 ha) of around 940 or 950, archaeology suggests that craftsmen were working there. It must be stressed that in multiple settlements around civitates and castles, lordship and fortification were closely linked. It was the legal form of the market which proved attractive for the exercise of lordship as well as holding together the individual settlement cores of a civitas. Spiritual communities as well as secular magnates set up markets, not least because they saw in them a possibility of selling the agrarian produce of the manorial economy. On occasions this could cover quite a wide area. The monastery of Corvey on the Weser grouped its scattered peripheral possessions by setting up markets (Meppen in 946, and Horhusen (Niedermarsberg) by the beginning of the eleventh century).43 The most impressive example is that of Lorsch, which intensified lordship in its neighbourhood by establishing a circle of markets about 30 km away (Bensheim 956; Wiesloch 965; Zullestein 995; Weinheim 1000; Oppenheim 1008). These looked in part to the Rhine, in part to the Odenwald, and show us that the region was receptive to commercial exchange. Although the bishopric of Worms, the monastery’s great rival in developing the Odenwald, had been able to

41 cives una eademque voluntate collecti, factaque unanimiter conspiratione: Gesta episcoporum Camer-

acensium, ed. L. Bethmann, in: MGH SS 7, Hanover 1846, I, 81, p. 431.

42 Vita Burchardi episcopi, ed. G. Waitz, in: MGH SS 4, Hanover 1841, c. 6, p. 835. 43 MGH DD OI 77, 444.

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concentrate large-scale trade on the market in its civitas, it had only been able to penetrate the Odenwald itself with a single foundation, Kailbach (1018), and here too only on the periphery. The record of a settlement arranged by Henry II in 1023 shows that there had been a real trade war, escalating at times into violence and even killing.44 Secular magnates also made use of this combination of economy and lordship, though records of their activities are much less well preserved. Count Berthold, the ancestor of the Za¨hringer, set up a market in Villingen in 999, and around the same time Otto III’s fidelis Aribo established markets in Donauwo¨rth, whose later history shows that they were also intended to have functions of lordship.45 The clearest case is the striving of the counts of Flanders, not only in their building of castles in Bruges and Ghent provided with portus and vicus, but above all Count Arnulf’s seizure in 939 of the fortified oppidum Mentreuil at the Pas de Calais. What was at stake in this castle belonging to Count Erluin was not merely its value as a fortification but also the ‚great revenues‘ which ‚were to be derived from the landings of ships‘.46 One may say in summary that the tenth century saw the opening of the countryside for the exchange of goods at markets. This is true of Germany, Lotharingia and France equally, though in the west the process is not visible in such detail, since the west Frankish king did not develop a market sovereignty like that of the German ruler. The establishing of new markets seems to have reached its height in the period around 1000. However, not all the markets set up in the tenth and early eleventh centuries developed into towns. Many disappeared or acquired town law only very late. The market is therefore not the root of the medieval town, but it prepared the ground for the urban economy and can be described as the motor which kept the economic cooperation between the separate settlement kernels going in this decisive phase of transalpine urban development. Overall we may assume very strong growth for the civitates and quasi-urban settlements during the tenth century; occasionally this is visible in topographic development. Thus in Regensburg – perhaps already under Duke Arnulf, certainly before 940 – an area to the west of the Roman legionary camp evidently settled by merchants was taken into its fortifications, effectively doubling the surface area of the civitas to about 55 ha. In Worms a wall begun in the second half of the tenth century was completed under Bishop Burchard, and the area of settlement nearly trebled, from 23 ha to 65 ha. In Cologne the land won by filling in the Roman harbour and settled by merchants was fortified around 940 or 950, which increased the civitas to 122 ha. Even on the smaller stage of the royal estate at Dortmund, an important trading-centre nevertheless, we find an increase in area from 2.13 to 11.5 ha. Growth of this kind certainly did not take place evenly everywhere, and we must assume a certain hierarchy within the network of civitates, markets and newly founded non-agrarian settlements near castles and palaces. This is occasionally mentioned explicitly, as in a letter of Abbot Othelbert of Saint-Bavo, which describes the 44 MGH DD HII 501. 45 MGH DD OIII 311; MGH DD KoII 144. 46 Richer, Historiae, ed. R. Latouche (ClassHFrance), 2 vols., Paris 1930–1937 (reprinted 1960–1964)

II, 11, p. 144: eo quod ex navium advectationibus inde plures questus proveniant.

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Castrum Ghent as a caput regionis which has precedence over other civitates (here to be understood as a castle with a vicus, not as an episcopal city). To justify his view the abbot pointed to the church buildings and relics there.47 Elsewhere also we can observe how both bishops and secular magnates underlined the importance of these places combining military installations, craft and mercantile settlements, and markets by endowing them with a special architecture and sacrality. The building of walls was necessary for defence and had already been fostered by the Viking threat of the ninth century. In the tenth century it grew and became more effective, drawing in part on labour services from the agrarian surroundings. But the building of new churches, especially new cathedrals within the civitates, and their equipping with relics served display purposes and encouraged streams of pilgrims, for whom, as a diploma of Otto Ill’s for the monastery of Selz put it, a market was as necessary as for the monks and the other people living there.48 We can thus observe a lively building activity in the tenth century, from Otto I, who endowed the cathedral he had built in Magdeburg with a very rich set of relics, through bishops and abbots to nobles, who added monastic or canonical foundations to their castles and also provided these with relics, like for example Manigold, the descendant of the fidelis Aribo, who, in order to display more effectively the particle of the Holy Cross which Romanos III had presented to him in Constantinople in 1029, complemented his father’s market foundation in Donauwo¨rth with the foundation of a spiritual community. Large-scale buildings, the monasteries and collegiate churches founded there and their collections of relics increased the attractiveness of these places both for secular vassals and for merchants, who found groups of wealthy consumers to provide for. Besides the general economic conditions and the impulses from lordship, the development of an impressive architecture and the enhanced presence of the saints in their reliquaries belonged to the important factors driving on the emergence of the medieval town in Germany and France. In the Mediterranean region and in the transalpine sections of the Frankish empire the development of urbanism was shaped by lines of continuity leading back into antiquity, even if these were absent in the easternmost part of the empire. Northern and eastern Europe could not build on such traditions, and even in Britain, where England and Wales had a Roman past, these traditions were not effective to the same extent as on the continent. For the whole of this region, with the exception of England, it must also be acknowledged that our knowledge of urban development owes much more to archaeological research than to written sources. Even in England, the archaeological investigation of towns is further advanced than it is on the continent. From the early middle ages onwards England played an important part in North Sea trade, which was of such importance for the economic development of Europe precisely in the tenth century. The Viking raids and Scandinavian settlement brought 47 Elenchus fontium historiae urbanae II, 2, ed. S. Reynolds/W. de Boer/G. MacMiocaill, Leiden

1988, no. 8, p. 295. 48 MGH DD OIII 130: et mercatus necessaria sunt multitudini populorum undique illuc confluentium,

simul etiam monachis et populis ibi commanentibus et habitantibus.

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it, together with the other parts of Britain and Ireland, into still closer contact with Scandinavia, to the point where it became part of a Scandinavian empire under Cnut and his sons. In England, the monk Ælfric referred to merchants in positive terms, describing and defining their activities in his Colloquy, shortly before Alpert of Metz made his harsh judgement on the merchants of Tiel.49 It is from England also that we have the earliest evidence for medieval European merchants’ own thinking, and this in turn shows just how far Scandinavia and the Baltic region lay within the ambit of AngloSaxon kings. At the court of King Alfred the Great (871–99) the Norwegian Ohtere described his journeys to the Lapps and to the coasts of Norway and Denmark along as far as Haithabu; the Anglo-Saxon Wulfstan related his knowledge of the Baltic from Haithabu to Truso on the Vistula estuary and beyond into the lands of the Estonians. King Alfred included these reports in the Old English translation of the World Chronicle of Orosius.50 Alfred’s government marked an important turn in the development of AngloSaxon urbanism. Until then there had been in essence three kinds of quasi-urban settlement in Anglo-Saxon England. The first consisted of centres of royal power located within the walls of Roman cities – London, York, Canterbury and Winchester – which were also bishoprics. It should be noted, however, that the density of settlement within the Roman fortifications was very low. The next type was that of unfortified trading emporia on the coast, with names frequently ending in -wic: Hamwih (Southampton), Fordwich, Sarre, Dover, Sandwich, Ipswich. The ending wic also appears in Eoforwic (later Scandinavian Jorwic = York) and Lundenwic (= London). Archaeology has revealed that west of Roman London there was indeed an emporium of this kind, with an area of at least 24 ha, perhaps 80 ha, lying between what are now Fleet Street and Whitehall, described by Bede as a significant centre of long-distance trade. In York also crafts and trade seem to have been practised mainly outside the area of the Roman legionary camp even before the Scandinavian conquest of 862. It would seem that some of these trading emporia formed a functional unity with nearby royal centres: Hamwih with Winchester; Ipswich with the region around Woodbridge, Rendlesham and Sutton Hoo. A third group was made up of newly established fortified settlements in the interior, such as the Five Boroughs of the Danelaw (Stamford, Nottingham, Derby, Lincoln and Leicester) or else Hereford, about which little is known archaeologically. Overall, however, there were probably not more than about fifteen settlements with urban characteristics in Alfred’s time. English scholarship has established a bundle of criteria to determine what marks a town in Anglo-Saxon England: market, mint, fortifications, tenements and open fields (Stenton), special jurisdiction (Lyon).51 These criteria apply to the majority of a group of settlements which become visible under Alfred and his son Edward the 49 Ælfric, Colloquy, ed. G. N. Garmonsway, London 21947, pp. 33f. 50 The Old English Orosius, ed. J. Bately (Early English Text Society, Suppl. Series 6), Oxford 1980,

pp. 13–18.

51 Anglo-Saxon Towns in Southern England, ed. J. Haslam, Chichester 1984, p. xv.

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Elder and are linked with a defensive plan directed against the Danes. The Burghal Hidage, a list dating from around 914–919, names 30 burhs in Wessex and three in Mercia:52 fortified locations, which were to be kept in repair by the surrounding population and could be manned in times of danger. We are dealing here in part with the use or reuse of Roman or even Iron Age fortifications, but mostly with new settlements. This defensive system, which could also play a part in attack, was the basis for resistance to the Great Army of the Vikings which turned against England from 892 onwards; its development accompanied the recuperation of the Danish north. To make these settlements capable of surviving and functioning they were mostly equipped with a mint and a market, with the latter appearing in royal legislation as port. From the time of Edward the Elder sales were restricted to the port and therefore to the burh, where they were to be supervised by a royal official, the port reeve, and made before market witnesses. When Alfred occupied London in 886 he evidently caused the vicus on the Strand to be incorporated into the walled region; in similar fashion the area of the former Roman town in Winchester was filled with settlement. Economic function and fortification came into line with each other. In the interior both new settlements and ancient urban locations were given a regular street network, so that we can speak, with Biddle, of ‚planned towns‘.53 The kingdom of Wessex thus covered the country with a network of fortified markets, which in their function were comparable with the markets of Ottonian Germany but were all controlled by the king. Their legal and topographical form made them the basis for the medieval English borough, even if – as on the continent – not all the settlements of the tenth century flourished, or are still found as boroughs in Domesday Book. Places like Halwell and Chisbury remained mere hillforts; some, like Gothaburh, cannot even be identified with certainty. On the other hand we can already find in the tenth century a fundamental difference between town and rural settlement, as soon as ‚greater population numbers, walls, market, mint, income of the population derived partly from trade and craft, market witnesses, royal officials and courts‘ come together.54 In the laws, provisions regulating urban conditions become more and more frequent. In Anglo-Saxon England there was also a hierarchy of towns and markets, and for that reason concentrations of commercial activity. The activities of royal mints provide a barometer. Their numbers had risen sharply towards the end of the tenth century, from twenty-seven and later forty under Edgar to seventy-five under Æthelred the Unready, while Domesday Book notes eighty. The laws of King Æthelstan prescribe a mintmaster for every burh, but there were exceptions: London 8, Canterbury 7, Winchester 6, Rochester 3, Lewes, Southampton, Wareham, Exeter and Shaftesbury 2. Æthelred tried to reduce the increased numbers, but allowed each summus portus (principal town) three.55 And indeed we find in the various

52 D. Hill, The Burghal Hidage. The Establishment of a Text, in: Medieval Archaeology 13 (1969),

pp. 84–92.

53 M. Biddle/D. H. Hill, Late Saxon planned towns, in: Antiquaries Journal 51 (1971), pp. 70–85. 54 Die Gesetze der Angelsachsen (see n. 30), vol. II, 1, p. 660, 2). 55 Die Gesetze der Angelsachsen (see n. 30), vol. I, II Æthelstan, 14.2, pp. 158f.; vol. I, IV Æthelred 9,

p. 236.

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regions places with an above-average mint output (London, Winchester, York, Lincoln, Canterbury, Exeter, Chester and Norwich), accounting together for more than half of total output. It was the south and east which dominated here; in the north only York, with 9 % of total production, stood out. The evidence of written sources, archaeology and numismatics suggests a lively urban life and internal trade, with commercialised forms of goods exchange between town and countryside. Naturally, England was by no means isolated from continental long-distance trade. The London trade regulations of Æthelred reveal the close links with the neighbouring coasts across the channel. Besides the merchants from France and Flanders, mentioned above, we find the ‚men of the emperor‘, German traders.56 Among these those of Huy, Lie`ge and Nivelles are given particular attention; presumably they traded in bronzeware. Ælfric’s merchant, mentioned above, deals in goods which point still further afield: purple and silk, valuable stones and gold, various clothes and spices, wine and oil, ivory and golden bronze (auricalcum), iron ore and tin, sulphur, and glass.57 These names recall the routes over the Alps which brought the Anglo-Saxons to Pavia, where they exchanged their goods for purple dye, silk, spices and other things. The travellers’ accounts of the merchants Ohtere and Wulfstan included by King Alfred in his translation of Orosius point equally definitely to the Baltic and the activities of the Scandinavian peoples, however. They show that the British Isles and the southern North Sea coast of the continent formed a system of trading emporia: Dublin, other Irish sites and York in the west; in the Baltic region Kaupang in the fjord of Oslo, Haithabu in the bay of Schleswig, Birka in the Ma¨lar region of Sweden, Paviken and other locations on Gotland, and the sites of the southern coast of the Baltic – Ralswiek on Ru¨gen, Wolin (Jumne) and Menzlin around the mouth of the Oder, Kolberg (Kołobrzeg) on the Pomeranian coast, Truso in the delta of the Vistula, Grobin in Kurland and Daugmale on the lower reaches of the Dwina. These sites date back to the eighth and ninth centuries, though they had undergone extensive and very variable change in the course of the tenth century. But all of them had been given new impulses by the Scandinavian expansion from the ninth century onwards, seen most obviously in the razzias and trading missions of the Vikings. This line of trading sites from west to east pointed towards those sites which organised trade with Islamic central Asia and Byzantium via the Russian rivers. In the tenth century the most important centres at first were Staraja Ladoga on the Volkhov and Gne¨zdowo the precursor of Smolensk) on the Dnieper. The first could be reached by ship across the Gulf of Finland and the Neva, and opened up routes to both Dnieper and Volga. The latter could be reached more directly from the Baltic via the Dwina. Gorodisˇcˇ e on the Volkhov, in the course of the tenth century to be gradually replaced by Novgorod, 2 km further south, and Kiev on the Dnieper, the heart of the Rus’ empire, should also be mentioned. Scandinavians were present in all these sites, and indeed played a crucial role. Haithabu, Kaupang and Birka were controlled

56 Die Gesetze der Angelsachsen (see n. 30), vol. I, IV Æthelred, 2.8, p. 234. 57 Elenchus fontium historiae urbanae (see n. 47), no. 8, p. 295.

Fig. 1: Urban settlements and emporia in the Scandinavian and Baltic regions

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by Scandinavian kings; Dublin originated in 917 as a Viking foundation, and Scandinavians were of decisive importance in the development of the Russian sites as well, even if details are disputed. The Irish Sea, the North Sea and the Baltic together could count as a Scandinavian sea. The Icelandic sagas reflect this; Egil’s Saga, for example, calls the journey to Dublin ‚the most popular route‘,58 and Egil and his companions are shown visiting Norway as well as Wolin and the coast of Kurland. These trading emporia, especially in the Baltic and in Russia, were generally polyethnic formations, rather like the one at Birka described by Adam of Bremen, though in his own time this had long ceased to be important: ‚all the ships of the Danes, the Norwegians, the Slavs, the Sembs, and other Baltic Sea tribes are accustomed to assemble there regularly to pursue their necessary affairs‘.59 Compared with the older Viking era in the ninth century there was considerable growth in these centres in the tenth century, coupled with new foundations and shifts in site: Dublin and Novgorod, as we have seen, and one might also name Sigtuna, which took on Birka’s role in the Ma¨lar region from about 980 onwards. Only one of three settlements continued in existence at Haithabu, but this grew in the course of the century to a size of 24 ha. It was precisely the most important sites which displayed such growth: Wolin grew to 20 ha, Staraja Ladoga grew from 4–5 ha to 10 and Gne¨zdowo from 4 to 15 ha. Most of the other sites lay between these last two (Birka 13, Dublin 12, Menzlin 10, Ribe 10); some, like the oldest settlement at Danzig (1) or Daugmale (2) were much smaller. Wolin and Haithabu thus headed the league table. The growth of these sites points to an intensification of exchange, and the composition of the coin hoards, which in the Baltic regions show a high proportion of Arab silver coins up to about 970, suggests that till then the west had a trade surplus, even if some of the dirhams which came westwards were derived from tribute-payments to the Varangians. Western exports certainly included woollen cloth, mentioned by Adam of Bremen and confirmed by archaeology in Birka and Wolin. Wine evidently also reached at least as far as the Baltic in considerable quantities. The most important role was probably played by the slave trade, however, whereby the product of Viking razzias in western Europe (Ireland in particular) was marketed in Scandinavia and the Muslim east. Haithabu and Brenno at the mouth of the Go¨taa¨lv, as well as the Volga, are noted as points on this trade-route. The treaties between the princes of Kiev and Byzantium in the tenth century also mention slave-trading; the Russian regions were also a source of slaves. The high proportion of total trade made up by slaves is the most coherent explanation of the import of Arab silver and other wares (silk, for example, has been found in Birka, Wolin and Dublin). In the last quarter of the tenth century the structure of trade relationships changed. From now on western silver flowed towards the Baltic and Russia (see above). This means that Russian exports of raw materials must have increased, most likely wax and furs, sought after by

58 Egils Saga Skallagrı´mssonar, ed. F. Jo ´ nsson, Halle 1924, c. 32, p. 100 (English trans. H. Pa´lsson/P. Ed-

wards, Harmondsworth 1976, p. 82).

59 Adam of Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. B. Schmeidler, in: MGH SSrG

[2], Hannover/Leipzig 31917, I, 60, p. 58.

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the west ‚as much as eternal salvation‘.60 By contrast, the export of Christian slaves from the west to the Islamic east will have declined and then stopped; the reasons lay presumably in the monetary difficulties of the central Islamic realms, but also in the gradual Christianisation of the Scandinavian kingdoms from 965 and the increasing prosperity of north-west Europe. Besides the principal items of trade – slaves, wax, furs and luxury goods – we find a wealth of other raw materials and craft goods, which were traded in large quantities over medium and long distances and marketed in the sites just mentioned: Rhineland glass and pottery, Scandinavian vessels of soapstone and metalware. Trade intensified in the Baltic region as well, and there was a lively exchange with the newly evolving market systems of the central European regions, especially in the Rhineland and in Saxony. That explains the special role played by Haithabu, the link to Scandinavian trade, but also by Wolin, which was of similar importance for its links down the Oder with the emerging lordships of central Sclavinia. This intensification of trade in luxury consumer goods is certainly also the explanation for the location of craftsmen in the trading-centres of the North Sea and Baltic regions. Metal- and leather-working in particular can be confirmed archaeologically at various sites (Dublin, Haithabu, Wolin, Birka) and grew in importance in the eleventh century. The location of crafts contributed to the growth and the thickening of settlement at north European trading centres. In many cases these were wholly or partially fortified in the course of the tenth century, and there are suggestions that there was a layout of fixed plots. Nevertheless, these quasi-urban settlements were of very varied stability. Kaupang in Norway was abandoned at the beginning of the tenth century; Paviken on Gotland and Menzlin vanished around 1000, and Birka was gradually displaced by the royal centre of Sigtuna from about 970 onwards, while Haithabu was replaced in the eleventh century by Schleswig – the earliest cathedral may already have been built there in the time of Cnut. Dublin, the seat of Irish Viking lordship, the episcopal seat of Ribe, and the Russian princely towns continued in existence. It is evident that lordship helped to stabilise economic centres as well as drawing economic functions to it. This is most evident in the inland regions of the west Slav peoples, where fortified towns like Gniezno, Cracow and Opole in Poland, Teterow, Brandenburg and Starigard (Oldenburg in Holstein) in the region between Elbe and Oder, or Kouˇrim, Libice and above all Prague in Bohemia dominated the picture. These were multiple settlements including a lordly fortification, a suburbium, and craft working, for which there is archaeological evidence. They also evidently played a role in trade. Prague in particular, which as a centre of rulership came to surpass all other Bohemian fortifications in the last third of the ninth century, developed in the course of the tenth, with its extended surburbium, the Mala´ strana´ on the Vltava, ¯ ‚the Rus‘ to an inland trading-centre, in which, in the words of Ibr¯ah¯ım ibn Yaqub, and the Slavs from the city of Cracow’ and ‚Muslims and Jews from the lands of the

60 Adam of Bremen, Gesta (see n. 59), IV, 18, pp. 244f.

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Turks‘ came together in a polyethnic market similar to those of the maritime trading-centres of the Baltic region.61 In the Baltic the foundations for the later-medieval trading history of northern Europe, shaped by the Hanse, were laid in the ninth and tenth centuries. The emporia of the northern Baltic on which this development was based had an urban functionality, or at least fulfilled in great part the roles characteristic of towns in later centuries. But in themselves they were mostly not the starting point of the urban development of the high middle ages, tending rather to disappear again. Towns came into being for the most part in places where markets and trade were linked with centres of secular or ecclesiastical power, as in Dublin, Ribe, Sigtuna, Novgorod and Kiev. That is equally true of inland Sclavinia, where although emporia like those on the Baltic were unknown, casual markets are mentioned. But no town emerged from the unlocalisable ‚market of the Moravians‘ mentioned in the Raffelstetten toll-ordinance;62 it was Prague, a centre of lordship, which was to become a town. Thus it was that the north-eastern region of Europe, which contributed so significantly to European economic development, had little effect on the development of the town in the high middle ages. It is also unclear how far tenth-century conditions in this region contributed to the formation of that type of long-distance trader and merchant which was to have such a strong influence on the institutional development of towns in the eleventh and twelfth century. Trade in the Viking era was carried out by merchants who were also often active as raiders or as warlike conquerors demanding tribute. The written sources give the impression that trade was in many cases only a part of their economic activity (as for instance with the landowner Ohtere) or was practised only for a part of their life-cycle. These traders operated in communities, as runic inscriptions occasionally reveal. But we are evidently dealing with shortlived and casual communities with no fixed location, not with long-term unions bound by oaths as with the merchant guilds of the European continent (see above). Such corporations are evidenced in Scandinavia, as in Tiel, only in the runic inscriptions of the eleventh century. By contrast with western and southern Europe we know little about the shaping and maintenance of the market peace, or the self-organisation of the merchants, or the form and extent of the influence exerted by princely power. We must therefore conclude that essential features of the medieval town – both its social and juridic makeup and its topography and visual image – were formed in the core of Carolingian Europe, in the civitates of northern Italy, and of the west and east Frankish kingdoms. In these civitates and settlements of similar structure the importance of ministerial dependants of lords and of prosperous and increasingly professional longdistance traders, with a tendency to form guilds and settle permanently, grew in the course of the tenth century. Governmental peace ordinances to regulate the market were conceived here. All this was an anticipation of the later distinctions between the legal and social spheres of urban and of rural life, so that already around 1000 Notker

61 Arabische Berichte (see n. 1), p. 12. 62 MGH Cap 253, II, 249–252.

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the German could contrast purclich and gebuˆrlich, ‚townly‘ and ‚farmerly‘.63 This distinction took on its final form once institutional structures had been developed for the social formation of the town between the eleventh and the thirteenth century. But it was above all the growth visible everywhere and its associated building activity which shaped the characteristic picture of the medieval European town. It was the great stone buildings of the church and of rulers which were decisive here, and ¯ these were being imitated in the Slavonic east even in our period: Ibr¯ah¯ım ibn Yaqub stresses that the city of Prague was built of stone and mortar.64 The equipping of civitates with a ring-wall and a multiplicity of churches, often located according to a preconceived plan, was the manifestation of an urban ideal which lords gave architectural form. It modelled itself on the ‚Holy City‘, as for example when Meinwerk of Paderborn is said to have built his episcopal city ‚in the form of a cross‘.65 The rich stores of relics and the frequently attempted or at least invoked imitation of the example of Rome, the city of antiquity, are important elements of this tenth-century urban idea. The picture of walls, churches and towers as a city’s ornatus belongs to the inheritance bequeathed by the tenth century to the cities of the European middle ages, who have preserved it as an abbreviated symbol of urbanity in depictions on their seals.

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63 Notker the German, Werke, ed. E. H. Sehrt/T. Strack, vol. 1, Halle 1933, p. 111. 64 Arabische Berichte (see n. 1), p. 12. 65 in modum crucis: Vita Meinwerci episcopi Patherbrunnensis, ed. F. Tenckhoff, in: MGH SSrG i. u. s.

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EISENPRODUKTION, EISENGEWERBE UND ¨ DTEBILDUNG IM SU ¨ DLICHEN WESTFALEN STA ¨ HREND DES MITTELALTERS WA [Erstabdruck: Stadt und Eisen, hg. v. Ferdinand Opll (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 11), Linz/Donau 1992, S. 15–36]

Wer sich mit der Geschichte von Eisenproduktion und Eisengewerbe in Mitteleuropa bescha¨ftigt, dessen Blick wird immer wieder auf das su¨dliche Westfalen gelenkt. Es geho¨rt zu einer der wichtigsten Regionen von Eisengewinnung und Eisenverarbeitung in der Geschichte Europas, und hier soll es darum gehen, in einer knappen Skizze das Verha¨ltnis von Stadt und Eisen fu¨r die Zeit des Mittelalters darzulegen, die sta¨dtebildende und sta¨dtebindende Kraft des Eisengewerbes zu analysieren.1 Eine solche Skizze vermag das Versta¨ndnis fu¨r die Voraussetzungen zu scha¨rfen, auf denen die Entwicklungen im Industriezeitalter seit dem 19. Jahrhundert aufruhen.2 Gegenstand der Betrachtung ist das su¨dliche Westfalen, das westfa¨lische Su¨derland oder Sauerland, d. h. die Ta¨ler der Ruhr, der Lenne, der Volme und der Ennepe, die jenes Gebirge nach Norden o¨ffnen und entwa¨ssern, das die Mu¨nsterla¨nder Bucht nach Su¨den abschließt. Die eisenproduzierende und eisenverarbeitende Region insgesamt, von der soeben die Rede war, ist jedoch weiter zu fassen. Es geht dabei auch um das Bergische Land mit Wupper und Wipper, die nach Westen, zum Rhein hin entwa¨ssern3 und schließlich um das Land an der Sieg, deren Verlauf in die gleiche Rich-

1 Eine systematische, alle Aspekte der Entwicklung von Eisenproduktion, Eisengewerbe und Eisenhan-

del gleichma¨ßig beru¨cksichtigende Darstellung liegt nicht in der Absicht des Verfassers, ebensowenig ein Gesamtnachweis der weitverzweigten Literatur zum Gegenstand. Die Vortragsform ist bei leichten Ku¨rzungen beibehalten. 2 Vgl. Ju¨rgen Reulecke, Schwerindustrie und Bergbau als Sta¨dtegru¨nder: Das Ruhrgebiet und das Siegerland im Vergleich, in: Stadt und Eisen, hg. v. Ferdinand Opll (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 11), Linz/Donau 1992, S. 37–55. 3 Vgl. Erwin Stursberg, Geschichte des Hu¨tten- und Hammerwesens im ehemaligen Herzogtum Berg, Remscheid 1964; Albert Seemann, Zur Bergbaugeschichte der Gemeinde Lohmar-Wahlscheid im Bergischen Land, in: Der Anschnitt 37 (1985), S. 128– 136; sowie die Hinweise bei Rainer Stahlschmidt, Eisenverarbeitende Gewerbe in Su¨d- und Westdeutschland. Ein Forschungsbericht, in: Werner Kroker/Ekkehard Westermann, Montanwirtschaft Mitteleuropas vom 12. bis 17. Jahrhundert. Stand, Wege und Aufgaben der Forschung (Der Anschnitt, Beiheft 2), Bochum 1984, S. 77–85, bes. Anm. 2f.

Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfalen

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tung weist.4 Im Grunde wa¨re noch das hessische Gebiet um Dillenburg und Wetzlar anzuschließen,5 doch bleibt es hier außer Betracht. Mit den drei genannten Landschaften – Sauerland, Bergisches Land und Siegerland – ist, wie angedeutet, eine der wichtigsten Eisenregionen in Mitteleuropa umrissen. Die Geschichte von Eisenproduktion und Eisengewerbe weist hier zudem eine beeindruckende Kontinuita¨t auf, wenn man bedenkt, daß aus der sauerla¨ndisch-ma¨rkischen Eisengewerbelandschaft das Industriegebiet des Ruhrgebiets nach Norden herausgewachsen ist. Damit spannt sich die Kontinuita¨tslinie vom Mittelalter bis in unsere Tage. Hier jedoch wird der Untersuchungsraum geographisch eingeschra¨nkt und mit der Bezeichnung „Su¨dliches Westfalen“ im wesentlichen der Anteil der Grafschaft Mark am Sauerland umschrieben. Diesem ma¨rkischen Gebiet, das bereits die bisherige Forschung in ungewo¨hnlich umfangreichem, wenn auch unterschiedlich gewichtigem Schrifttum gewu¨rdigt hat,6 sollen im wesentlichen die hier vorzulegen-

4 Grundlegend die zusammenfassende U ¨ bersicht bei Rolf Sprandel, Das Eisengewerbe im Mittelalter,

Stuttgart 1968, S. 198–201; ferner ders., Die Betriebsformen der Eisenproduktion in Westdeutschland in vorindustrieller Zeit, in: Vortragsreihe der Gesellschaft fu¨r Westfa¨lische Wirtschaftsgeschichte, Heft 18, Dortmund 1974, S. 5–17; Hermann Kellenbenz/Ju¨rgen H. Schawacht, Schicksal eines Eisenlandes, Siegen 1974; Ju¨rgen H. Schawacht, Zum Problem der Erfassung wirtschaftlicher Wechsellagen im Siegerla¨nder Eisengewerbe der fru¨hen Neuzeit, in: Wachstumsschwankungen, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, hg. v. Hermann Kellenbenz, Stuttgart 1981, S. 47–60; Fritz Geisthardt, Fru¨hes Eisengewerbe an Sieg, Dill und Lahn, in: Schwerpunkte der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung in Europa 1500–1650, hg. v. Hermann Kellenbenz (Ko¨lner Kolloquien zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2), Ko¨ln/Wien 1974, S. 188–203; Richard Utsch, Die Entstehung und volkswirtschaftliche Bedeutung des Erzbergbaus und der Eisenindustrie im Siegerland, ND d. Ausg. Go¨rlitz 1913, Kreuztal 1984; Friedhelm Busch, Vom Siegerla¨nder Erzbergbau, Siegen 1977; Andreas Hauptmann/Gerd Weisgerber, Eisen im Siegerland. Ein archa¨ometallurgisches Projekt, in: Offa 40 (1983), S. 69–75; Hans Dietrich Gleichmann, Die Eisensteingrube Bindweide im su¨dlichen Siegerland, in: Der Anschnitt 38 (1986), S. 123–131; ders., Die Eiserne Hardt: aus dem Bergbau des Siegerlandes, Gu¨tersloh 1987; ders., Die a¨ltere Eisenerzverhu¨ttung im Siegerland, in: Bergbau 39 (1988), S. 66–74; ders., Die Aufbereitung im ehemaligen Eisenerzbergbau des Siegerlandes, in: Bergbau 40 (1989), S. 256–260, 262, 322–325; Wolfgang Kraus, Der Erzbergbau in der Grafschaft Wittgenstein, in: Wittgenstein 72 (1984), S. 1–44. 5 Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 4), S. 196–201; ders., Betriebsformen (wie Anm. 4); Geisthardt, Fru¨hes Eisengewerbe (wie Anm. 4); Fritz Meyer, Die Geschichte des Bergbaus im Weilburger Land (und im Lahn-Dill-Gebiet), Weilburg/Lahn 1988; Paul Wienand, Zur Geschichte der Eisenerzverhu¨ttung im Lahngebiet, in: Kurt Weber, Zur Philosophie und zur Geschichte des Eisenkunstgusses, Weilburg/Lahn 1988, S. 25–38; Kurt Beissner, Aus der Geschichte des Bergbaus an der oberen Dill, in: Dillenburger Bla¨tter 3 (1986), H. 7, S. 2–15. 6 Grundlegend Aloys Meister, Die Anfa¨nge der Eisenindustrie in der Grafschaft Mark, in: BeitrGDortmund 17 (1909), S. 117–216; Bruno Kuske, Wirtschaftsentwicklung Westfalens in Leistung und Verflechtung mit den Nachbarla¨ndern bis zum 18. Jahrhundert (VProvIWLdkde I, 4), Mu¨nster 1943, ¨ bersicht von Franz Krins, Das Eisengewerbe im Su¨derland von 1500–1650, in: S. 116–129; ferner die U Kellenbenz, Schwerpunkte der Eisengewinnung (wie Anm. 4), S. 172–197; Ferdinand Schmidt, Das Eisengewerbe im Su¨derland bis zur Stapelzeit (Beitra¨ge zur Geschichte und Heimatkunde des Ma¨rkischen Su¨derlandes 1–3), Altena 1949; Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 204), S. 201–204; Sprandel, Betriebsformen (wie Anm. 4); Dietrich Woeste, Der Osemund. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des Ma¨rkischen Sauerlandes und zur Geschichte des Eisens, Altena 1985; Rudolf Holbach, Die Metallverarbeitung im Hanseraum, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, hg. v. Jo¨rgen Bracker, Bd. 1, Hamburg 1989, S. 479–483; sowie die Hinweise bei Stahlschmidt, Eisenverarbeitende Gewerbe (wie Anm. 3), u. Wilfried Reininghaus, Zu¨nfte, Sta¨dte und Staat in der Grafschaft

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den Beispiele entnommen werden. Es versteht sich von selbst, daß gelegentlich auch in das ko¨lnische und bergische Gebiet auszugreifen ist. Eine solche, grundsa¨tzliche Beschra¨nkung auf ein Gebiet, in dem im wesentlichen die erfolgreichen Bestrebungen einer einzigen Landesherrschaft um Ausgestaltung ihres Territoriums wirksam werden, hat unstreitig den Vorteil, daß sich der Zusammenhang von Sta¨dtewesen, wirtschaftlicher Entwicklung und Landesherrschaft besser erfassen und deutlicher herausarbeiten la¨ßt. Weiterhin konzentriert sich hier – im ma¨rkischen Anteil am Sauerland – in der Tat die westfa¨lische Eisenproduktion und das westfa¨lische Eisengewerbe. Anders gewendet: Den Grafen von der Mark ist es im Laufe des spa¨teren Mittelalters, in der Periode der Ausbildung der Territorien und in der intensivsten Phase der Geschichte der mittelalterlichen Stadtentwicklung gelungen, das Kerngebiet der westfa¨lischen Eisenindustrie in ihre Hand zu bekommen.7 Das Fazit dieser Eingangsbemerkungen, das im folgenden stets im Geda¨chtnis zu behalten ist, muß also lauten: Die Grafen von der Mark haben sich in dem Gebiet, das in Westfalen im gro¨ßeren Maßstab Eisen produzierte und verarbeitete, in auffa¨lliger Weise engagiert. Bevor nun das eigentliche Thema – die zu vermutenden und belegbaren Zusammenha¨nge von Stadtentwicklung und Eisenwirtschaft – ins Auge gefaßt werden, ist zuna¨chst nach dem Alter von Eisengewinnung und -verarbeitung im Untersuchungsgebiet zu fragen und nach der Art der Quellen, die die Grundlage unserer Kenntnis fu¨r die fru¨he Geschichte dieses Wirtschaftszweiges bilden. Es muß betont werden, daß die schriftlichen Quellen erst spa¨t einsetzen und fu¨r la¨ngere Zeit spa¨rlich und wenig aussagekra¨ftig bleiben. Zwar lassen vereinzelte niederla¨ndische und englische Nachrichten erkennen, daß Westfalen als Herkunftsland von Eisen und Eisenwaren in Frage kommt, doch la¨ßt sich aus ihnen kein deutliches Bild gewinnen. Als Vermittler lassen sich bei diesen Handelsbeziehungen neben Ko¨ln vor allem Dortmund und Soest vermuten, deren weitreichender Handel auch sonst bezeugt ist.8

Mark (VHKomWestf XXII, A 7), Mu¨nster 1989; Karin Mu¨ller, Bibliographie zum Metallgewerbe im Ma¨rkischen Kreis, Altena 1985. Die Literatur zu einzelnen Orten ku¨nftig in: Bibliographie zur deutschen historischen Sta¨dteforschung, bearb. v. Brigitte Schro¨der/Heinz Stoob, Teil 2 (StF B 1/2), erscheint 1992. Ebenso relevant fu¨r die Thematik: Emil Do¨sseler, Eisenhandel im su¨dlichen Westfalen und seiner Nachbarschaft in der Vorindustriellenzeit, in: WestfF 21 (1968), S. 192–249; ders., Der Metallwarenhandel der Grafschaft Mark und ihrer Nachbargebiete vor der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Der Ma¨rker 29 (1980), S. 71–83. 7 Zur Territorialgeschichte der Grafschaft Mark sind heranzuziehen: Margarete Frisch, Die Grafschaft Mark. Der Aufbau und die innere Gliederung des Gebietes no¨rdlich der Ruhr, Mu¨nster 1937; Uta Vahrenhold-Huland, Grundlagen und Entstehung des Territoriums der Grafschaft Mark, Dortmund ¨ bersicht von Klaus Scholz, in: Westfa¨lische Geschichte, Bd. I, hg. v. Wilhelm Kohl, 1968, sowie die U Du¨sseldorf 1983, S. 416–420. 8 Vgl. dazu die zusammenfassenden Bemerkungen bei Hans-Joachim Seeger, Westfalens Handel und Gewerbe vom 9. bis 14. Jahrhundert (Studien zur Geschichte der Wirtschaft und Geisteskultur 1), Berlin 1926, S. 80–86; die Belege bedu¨rften neuer Sichtung, vgl. auch unten mit Anm. 51; zur beherrschenden Stellung Ko¨lns die Arbeiten von Franz Irsigler, z. B. Ko¨lner Wirtschaft im Spa¨tmittelalter, in: Hermann Kellenbenz, Zwei Jahrtausende Ko¨lner Wirtschaft, Bd. 1, Ko¨ln 1975, S. 217–319; ders., Rheinisches Kapital in mitteleuropa¨ischen Montanunternehmen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: ZHF 3 (1976), S. 145–164; ders., Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Ko¨ln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spa¨tmittelalterlichen Export- und Fernhandelsstadt (VSWG, Beiheft 65), Ko¨ln

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Doch Belege, die die Eisenproduktion des Sauerlandes, des ma¨rkischen wie des ko¨lnischen, unmittelbar betreffen, fehlen fu¨r die Fru¨hzeit. Den Spitzenbeleg bildet die Erwa¨hnung von Eisenhu¨tten und Eisenwerken im Einku¨nfteverzeichnis der Grafen von Arnsberg vom Jahre 1348, zwei Jahrzehnte vor dem Anfall dieser Grafschaft an das Erzbistum Ko¨ln.9 Im westlichen Sauerland setzen die urkundlichen Belege fu¨r Hu¨tten, Eisengewerbe sowie Handel mit Eisen und Eisenwaren noch spa¨ter, in gro¨ßerer Dichte erst im 15. Jahrhundert ein.10 Zusammenfassende Darstellungen haben aufgrund dieses Quellenbefundes den Schluß gezogen, daß zum einen mo¨glicherweise „die spa¨tmittelalterliche Produktion im Sauerland ... viel bescheidener war als z. B. die des Siegerlandes“ und daß die Verha¨ltnisse des 15. Jahrhunderts in keiner Kontinuita¨t zu etwaigen fru¨heren Blu¨tezeiten der Eisengewinnung im Sauerland stehen.11 Nun wird sich ein quantitativer Vergleich zwischen der Produktion der beiden genannten Landschaften schwerlich anstellen lassen. Es muß also dahingestellt bleiben, ob die Produktion des Sauerlandes oder die des Siegerlandes bedeutsamer war. Doch scheint es, als ob wa¨hrend des 16. Jahrhunderts die Rohstoffbasis im Sauerland knapper wurde, die Ergiebigkeit der Erzvorkommen nachließ und man sich auf Einfuhren aus dem Siegerland umstellte.12 Die sauerla¨ndische Eisenindustrie insgesamt ist dadurch keineswegs zum Erliegen gekommen sondern hat sich auf dieser neuen Grundlage weiter entfaltet. Es bleibt die Frage nach Kontinuita¨t oder Abbruch in der Eisenwirtschaft zwischen dem hohen und dem spa¨ten Mittelalter. In jedem Fall wird man mit „großem strukturellem Wandel“ rechnen mu¨ssen.13 Die Frage ist berechtigt, da trotz des Mangels an schriftlichen Quellen die archa¨ologische Forschung gerade in den letzten Jahrzehnten ein außerordentlich reiches Fundmaterial zur Geschichte der Eisenverhu¨ttung im Sauerland beigebracht hat. Dieses Material belegt eine ausgedehnte Eisengewinnung im Fru¨h- und Hochmittelalter und beruht auf systematischen Gela¨ndebegehungen zur Erfassung von Schlackenhalden und Verhu¨ttungso¨fen, die Manfred So¨nnecken seit vielen Jahren durchgefu¨hrt und in ihren Ergebnissen publiziert hat.14 Offenbar verfu¨gt zum jetzigen Zeitpunkt kein anderes Eisengebiet Mitteleuro-

1979; ders., Stadt und Umland im Spa¨tmittelalter: Zur zentralita¨tsfo¨rdernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe, in: Emil Meynen, Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (StF A 8), Ko¨ln/Wien 1979, S. 1–14; ferner die Hinweise bei Stahlschmidt, Eisenverarbeitendes Gewerbe (wie Anm. 3). 9 Joh. Suibert Seibertz, Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogthums Westfalen III: Urkundenbuch, 2. Bd. 1300–1400, Arnsberg 1843, Nr. 795, S. 540: It. Vc fl. de Hutten proprie et decimam proprie Ysenwerk; vgl. Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 4), S. 202, sowie zum territorialgeschichtlichen Zusammmenhang Wilfried Ehbrecht, Territorialwirtschaft und sta¨dtische Freiheit in der Grafschaft Arnsberg, in: Zentralita¨t (wie Anm. 8), S. 125–179, hier 137f. 10 Das Material ist hier nicht auszubreiten, vgl. zusammenfassend Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 4), S. 201–204; Rainer Assmann, Die a¨ltesten schriftlichen Zeugnisse u¨ber die Herstellung von Eisen und dessen Handel im Su¨derland, insbesondere im Lu¨denscheider Raum, in: Der Ma¨rker 18 (1969), S. 69f. 11 Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 4), S. 204. 12 Vgl. Krins, Eisengewerbe (wie Anm. 6), S. 180; vgl. aber auch Stahlschmidt, Eisenverarbeitendes Gewerbe (wie Anm. 3), S. 79f. 13 Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 4), S. 204. 14 Zusammenfassende Publikation: Manfred So ¨ nnecken, Die mittelalterliche Rennfeuerverhu¨ttung im

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pas u¨ber eine a¨hnlich gru¨ndlich durchgefu¨hrte Fundaufnahme der Hinterlassenschaft mittelalterlicher Eisenindustrie. Ausgehend von dieser Quellenlage la¨ßt sich eine Skizze der fru¨hen Eisenproduktion im ma¨rkischen Sauerland entwerfen.15 Nachgewiesen sind 1116 Eisenschmelzen, die mit Rennfeuerverhu¨ttung zusammenha¨ngen.16 Sie lassen sich u¨ber eine Zeitspanne vom 8. Jahrhundert bis ins 13./14. Jahrhundert datieren. Die Eisenproduktion reicht also im ma¨rkischen Sauerland bis in karolingische Zeit zuru¨ck; allerdings zeigen die Funde fu¨r das 10./11. Jahrhundert einen deutlichen Aufschwung und damit eine offensichtliche Intensivierung der Eisengewinnung. Diese Eisenproduktion findet sich in breiter Streuung u¨ber das Gesamtgebiet, erfa¨hrt jedoch gelegentlich eine Verdichtung, etwa im Su¨dwesten um Kierspe und Halver und in der Gegend no¨rdlich von Breckerfeld. Auf solche kleineren Ballungsgebiete, deren zeitliche Schichtung zudem schwierig zu beurteilen ist, braucht hier nicht na¨her eingegangen zu werden. Wichtiger ist der Hinweis auf die Ballung der Belege um Altena im mittleren Lennegebiet. Hier liegen allein 736 der genannten 1116 Fundorte, also deutlich ein Schwerpunkt der Eisenproduktion vom 11.–14. Jahrhundert. Die Rennfeuerverhu¨t¨ fen und mit von tung arbeitete mit verha¨ltnisma¨ßig niedrigen, z. T. eingetieften O Menschen getretenen Blasba¨lgen, wobei Temperaturen von ca. 400 bis 500 Grad Celsius zu erreichen waren. Der archa¨ologische Befund zeigt, daß diese Rennfeuerhu¨tten wa¨hrend des 14. Jahrhunderts aufho¨ren und den sogenannten Massenhu¨tten Platz machten. Diese ¨ fen, und sie verwendeten Wasverfu¨gten u¨ber ho¨here, etwa drei bis vier Meter hohe O serkraft zum Betrieb ihrer Blasba¨lge, wodurch wesentlich ho¨here Temperaturen und damit eine Steigerung der Produktion wie der Qualita¨t erreicht werden konnte.17 ¨ bergang von der Rennfeuerverhu¨ttung zur Massenhu¨tte, dieser technoloDer U gische Sprung erfolgt im ma¨rkischen Sauerland offenbar wa¨hrend des 14. Jahrhunderts.18 Die a¨lteste Erwa¨hnung einer Hu¨tte in den schriftlichen Quellen, die gleichzeitig mit einem archa¨ologischen Befund einer Massenhu¨tte zusammengebracht werden ma¨rkischen Sauerland. Ergebnisse von Gela¨ndeuntersuchungen und Grabungen (Siedlung und Landschaft in Westfalen 7), Mu¨nster 1971; inzwischen liegen weitere Forschungen vor, von denen ich nur die ju¨ngeren notiere: ders., Die mittelalterlich-fru¨hneuzeitliche Eisenerzeugung im ma¨rkischen Sauerland. Ergebnisse industriearcha¨ologischer Forschungen, in: Ertra¨ge geographisch-landeskundlicher Forschung in Westfalen. Festschrift, Mu¨nster 1986, S. 261–268; Hans Ludwig Knau/Manfred So¨nnecken, Kartierung von Massenhu¨tten-Wu¨stungen im oberen Einzugsgebiet der Agger, Oberbergischer Kreis, in: Der Ma¨rker 35 (1986), S. 50–52.; dies., Funde von Massenhu¨tten- Wu¨stungen im bergisch-ma¨rkischen Grenzbereich bei Marienheide, in: Der Ma¨rker 36 (1987), S. 172–179; dies., Eisenhu¨tten des 13.–17. Jahrhunderts in den Ta¨lern von Leppe und Gelpe (Oberbergischer Kreis), in: Der Ma¨rker 38 (1989), S. 10–16; dies., Die mittelalterlichen Eisenhu¨ttengebiete von Loope und Kaltenbach bei Engelskirchen, in: Der Ma¨rker 39 (1990), S. 155–160. 15 Grundlage fu¨r die genannten Zahlen ist die zusammenfassende Studie So ¨ nnecken, Rennfeuerverhu¨ttung (wie Anm. 14), also der Forschungsstand von 1971, der dennoch die Grundlinien, auf die es hier ankommt, deutlich hervortreten la¨ßt. 16 Zum Verfahren ders., Rennfeuerverhu¨ttung (wie Anm. 14), S. 122–125. 17 Vgl. dazu Rolf Sprandel, Zur Geschichte der Eisenerzeugung im Spa¨tmittelalter, in: Kroker/ Westermann, Montanwirtschaft (wie Anm. 3), S. 74–76; sowie Woeste, Osemund (wie Anm. 6), S. 21–28. 18 Vgl. die Belege bei So ¨ nnecken, Rennfeuerverhu¨ttung (wie Anm. 14), S. 124f.

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kann, fa¨llt ins Jahr 1395.19 Die Funde aus Rennfeuerhu¨tten reichen in das 15. Jahrhundert nicht hinein, fortan beherrscht die Massenhu¨tte das Feld. In diesem Vorgang liegt der vermutete Strukturwandel von den Verha¨ltnissen des Hochmittelalters zu denen des spa¨teren Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit. Die zuvor u¨ber das gesamte Waldgebiet des Gebirges verstreute Verhu¨ttung von Eisenerz verlagerte sich nun in die Bach- und Flußta¨ler, wo die Wasserkraft als Antriebsenergie zur Verfu¨gung stand. Die Massenhu¨tten hatten einen wesentlich ho¨heren Holzverbrauch als die Verhu¨ttung im Rennfeuerzeitalter, sie erforderten zudem wesentlich ho¨here Investitionen und ha¨ufig, mit zunehmender Tendenz, eine Reglementierung der Wasserversorgung, da der Mu¨hlenbetrieb wenigstens tendenziell mit anderen Nutzungsrechten an den Gewa¨ssern kollidieren konnte. Investitionsbedarf, erho¨hter Holzverbrauch und Wasserreglementierung erkla¨ren auch, warum gerade jetzt, mit dem Durchbruch ¨ berlieferung einsetzen. Bei der der Massenhu¨tten, die schriftlichen Quellen in der U Mehrzahl der Belege handelt es sich um Dokumente, die sich mit Problemen dieser Art auseinandersetzen: Gesellschaftsvertra¨ge, Privilegierungen von Mu¨hlenwerken und Wasserordnungen. Als Fazit wird man festhalten du¨rfen: Die Eisenproduktion im Sauerland reicht weit zuru¨ck; sie intensiviert sich im 11./12. Jahrhundert mit einem deutlichen Ballungsgebiet um Altena. Technologische Vera¨nderungen seit dem 14. Jahrhundert, versta¨rkt in dessen zweiter Ha¨lfte, bringen ihr offenbar einen weiteren entscheidenden Schub. Dieser spiegelt sich in den nun einsetzenden Quellen wider, die den dadurch ausgelo¨sten rechtlichen Problemen gerecht zu werden suchen. Es muß dahingestellt bleiben, ob bei diesem Wandel, der sich im 15. Jahrhundert fortsetzt, auch die technische Neuerung der Drahtmu¨hle eine Rolle gespielt hat, die bekanntlich dem Nu¨rnberger Eisengewerbe einen außerordentlichen Aufschwung verschaffte und offenbar eine zeitlang einen deutlichen Vorsprung vor anderen eisenverarbeitenden Pla¨tzen sicherte.20 Gerade der Draht stellt das herausragende Halbfabrikat des sauerla¨ndischen Eisengewerbes dar, und seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert la¨ßt sich hier der Einsatz von Wasserkraft bei seiner Herstellung nachweisen.21 Doch scheint Nu¨rnberg geraume Zeit seinen Vorsprung in der Fertigungstechnik gehalten zu haben.22 Die skizzierte Entwicklung der fru¨hen sauerla¨ndischen Eisenerzeugung la¨ßt sta¨dtebildende und sta¨dtebindende Qualita¨ten nicht erkennen; sie ist aus diesen Gegebenheiten allein nicht abzuleiten. Im Gegenteil: Die Gewinnung des Eisens und dessen

19 Verpachtung von Hu¨tte und Hu¨ttensta¨tte an der Nette bei Altena an Hermann Krumphoit durch Graf

Dietrich von der Mark: Quellen und Urkunden zur Geschichte der Stadt Altena (Westf.), hg. v. Hermann Flebbe, Bd. 1, Altena 1967, Nr. 58, S. 65; vgl. Schmidt, Eisengewerbe (wie Anm. 6), Bd. III, S. 19, sowie Manfred So¨nnecken, Ausgrabungen auf einer Massenhu¨tte des 13.–15. Jahrhunderts bei Haus Rhade, Gemeinde Kierspe, Kreis Altena, in: Der Ma¨rker 17 (1968), S. 40; ders., Rennfeuerverhu¨ttung (wie Anm. 14), S. 124f.; Krins, Eisengewerbe (wie Anm. 6), S. 178, nennt irrtu¨mlich das Jahr 1335. 20 Wolfgang von Stromer, Innovation und Wachstum im Spa¨tmittelalter: Die Erfindung der Drahtmu¨hle als Stimulator, in: Technikgeschichte 44 (1977), S. 89–120. 21 Iserlohn 1394, vgl. Schmidt, Eisengewerbe (wie Anm. 6), Bd. II, S. 10; dazu v. Stromer, Innovation (wie Anm. 20), S. 91. 22 v. Stromer, Innovation (wie Anm. 20), S. 91 u. 103.

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Aufbereitung in Roh- und Halbfertigprodukte, wie Stangen, Bleche und Draht vollzieht sich außerhalb der Sta¨dte. Das wird u¨beraus deutlich, wenn man etwa auf eine Kartierung der fru¨hen Industrieanlagen im Raum Iserlohn blickt, die den Zustand um 1800 festha¨lt.23 Die Karte (Abb. 1) zeigt zwar nur eine Eisenhu¨tte, jedoch eine große

Abb. 1: Fru¨he Industrieanlagen im Raume Iserlohn 1 : 100 000, Entwurf: H. Klein

Zahl von Reckha¨mmern und Osemundha¨mmern, die der Aufbereitung des Eisens dienen, weiter von Drahtmu¨hlen, die Halbfabrikat herstellen sowie Produktionssta¨tten des verarbeitenden Eisengewerbes zur Fertigung von Fingerhu¨ten und Nadeln. ¨ berzahl weit außerhalb der Stadt Iserlohn, nicht etwa im Die Anlagen liegen in der U unmittelbaren Vorfeld der Stadtmauer. Sie gruppieren sich nicht einmal um Iserlohn selbst, also um einen Ort, der fru¨h sta¨dtische Qualita¨t aufweist und zudem bereits durch einen fru¨h bezeugten Namensbestandteil die Verknu¨pfung der Eisenproduk¨ se und deren tion dokumentiert.24 Sie finden sich ferner abseits Iserlohn entlang der O 23 Vgl. Heinz Stoob, Iserlohn (WestfStAtl I, 9), Dortmund 1975; vgl. hier Abb. 1. 24 Vgl. unten mit Anm. 37.

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Oberlaufsystem von einzelnen Ba¨chen um Hemer. Diese Ortschaft erscheint in der gesamten vorindustriellen Zeit mit dem Eisengewerbe verbunden, wird jedoch erst 1936 zur Stadt erhoben.25 Ein a¨hnliches Verbreitungsbild der eisenverarbeitenden Anlagen ist im gesamten ma¨rkischen Sauerland fu¨r das spa¨tere Mittelalter und die fru¨he Neuzeit vorauszusetzen und auch belegbar. Eisenproduktion und Eisengewerbe vollziehen sich demnach bis in die Zeit um 1800 (und selbstversta¨ndlich auch danach) vorzugsweise außerhalb der Sta¨dte: in der Abgeschiedenheit fern menschlicher Behausung. Das gilt allgemein, nicht nur fu¨r das westfa¨lische Su¨derland. Dieser Zustand spiegelt sich auch im Bestand der Vorstellungsstereotypen, wie sie an der Schwelle zum Industriezeitalter u¨ber das Eisenwesen verfu¨gbar sind. Der Gang nach dem Eisenhammer fu¨hrt sogar u¨ber „des Dorfes Ende“ noch hinaus, mittem im Wald „pocht der Ha¨mmer Schlag“, hier raucht der Schlot, „verbu¨ndet“ sich „des Wassers und des Feuers Kraft“, um das „Eisen (zu) erweichen“. Bedient werden die Produktionssta¨tten von rauhen, rohen Knechten, ja in diesem bestimmten Falle von einem „entmenschtem Paar“, dem es nichts ausmacht, auf einen geheimen Wink des gra¨flichen Herrn eine unliebsame Person in „des Ofens Schlund“ verschwinden und dort „besorgt und aufgehoben“ sein zu lassen, auf daß der Graf seine Diener loben kann.26 Ort und Personal der Eisenproduktion erscheinen als dem wilden Wald zugeho¨rig, werden der Spha¨re der Grundherrschaft zugerechnet, sind herrschaftlich gebunden, nichtsta¨dtisch, nichturban. Die Knechte des Schillerschen Gedichts vom Gang nach dem Eisenhammer spiegeln die soziale Wirklichkeit vorindustrieller Zeit und sind als sta¨dtische Bu¨rger kaum vorstellbar. Doch daneben, oder verbunden damit, steht anderes. Zwar liegen die Nu¨rnberger Drahtmu¨hlen der Realita¨t des ausgehenden Mittelalters ebenfalls weit außerhalb der Stadt, wie es Albrecht Du¨rers Aquarelle zeigen.27 Doch diese Produktionsanlagen ru¨cken nicht selten ins unmittelbare Umfeld der Sta¨dte, wie die Drahtrollen von Iserlohn bereits 1394,28 und der 1425 verstorbene Drahtwerker Dietrich Schockenzieher, den das Hausbuch der Mendelschen Zwo¨lf-Bru¨der-Stiftung unter deren Pfru¨ndnern portraitiert, ist ganz unzweifelhaft ein Nu¨rnberger Bu¨rger.29 Auch der Eisenarbeiter lebt demnach im 15. Jahrhundert nicht selten in Bindungen an die soziale Organisationsform Stadt. Diese beiden Bilder – gewonnen aus Schillers Gedicht und dem Nu¨rnberger Prunkarchivale – holzschnittartig nebeneinandergestellt, ko¨nnen verdeutlichen, worum es hier geht. Zwar ist Eisenproduktion, Eisenverarbeitung, ja auch Eisenhandel ha¨ufig herrschaftich organisiert und grundsa¨tzlich nicht an die Existenz von Sta¨dten 25 Westfa¨lisches Sta¨dtebuch, hg. v. Erich Keyser (DtStB 3, 2), Stuttgart 1954, S. 176f. 26 Friedrich Schiller, Der Gang nach dem Eisenhammer, in: Gerhard Fricke/Herbert G. Go ¨ pfert, Fried-

rich Schiller, Sa¨mtliche Werke, Bd. I, Mu¨nchen (Carl Hanser) 21960, S. 382–389; zur weit zuru¨ckreichenden Motivgeschichte, in der neben der Eisenhu¨tte auch der Kalkofen belegt ist, vgl. Handwo¨rterbuch des deutschen Ma¨rchens, hg. v. Lutz Mackensen, Bd. 1, Berlin/Leipzig 1930/33, S. 504–515, sowie Frederic C. Tubach, Index Exemplorum. A handbook of medieval religious tales, Helsinki 1969, S. 176, Nr. 2205. 27 Vgl. v. Stromer, Innovation (wie Anm. 20), S. 93. 28 Wie Anm. 21. 29 Vgl. v. Stromer, Innovation (wie Anm. 20), S. 96.

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gebunden. Aus dem fru¨heren Mittelalter ließen sich dafu¨r eindrucksvolle Beispiele beibringen.30 Im spa¨teren Mittelalter jedoch ist die Stadt, nimmt man die Aussagen der Quellen insgesamt zusammen, die soziale Organisationsform, in die die an der Eisenwirtschaft Beteiligten in vielfacher Weise eingebunden sind. Die Stadt ist gleichzeitig die Schleuse, durch die die Erzeugnisse des Eisengewerbes in den Strom der Gu¨terverteilung geleitet werden. Festzuhalten bleibt: Die stark von herrschaftlichen Elementen gepra¨gte Eisenproduktion und das eisenverarbeitende Gewerbe sind nicht von vornherein als sta¨dtegru¨ndend und auch nicht als sta¨dtebindend anzusehen; eher scheint eine bestehende Stadt Eisengewerbe an sich ziehen zu ko¨nnen. In jedem Fall jedoch besteht eine intensive Wechselbeziehung zwischen Eisengewerbe, Eisenverarbeitung und Bu¨rgertum und damit auch mit der Stadt. Diese eher allgemeinen und trivialen Feststellungen lassen sich auch fu¨r die Verha¨ltnisse des ma¨rkischen Sauerlandes belegen oder erschließen. Die herrschaftliche Bindung der Eisenproduktion la¨ßt sich fu¨r die Zeit um 1200 archa¨ologisch belegen, ja sie deutet sich zudem auch in der Namenwahl fu¨r eine der Burgen der Altenaer Grafenfamilie an: Isenberg.31 Aus der gleichen Zeit stammt auch eine Urkunde der Grafen von Altena, die sich bei na¨herer Betrachtung mit Eisenerzeugung und Eisenhandel in Verbindung bringen la¨ßt.32 Graf Arnold und sein Sohn Everhard bekennen, daß sie lange Zeit mit den Bu¨rgern der Stadt Bremen u¨ber die Rechte im Streit gelegen ha¨tten, die ihnen u¨ber einen Mann namens Werenzo zustanden. Auf die Bitten und den Rat des ihnen eng verbundenen Herimannus de Munbernesloc, eines Bu¨rgers der Stadt Ko¨ln, verzichten sie auf alle Rechte, die sie an Werenzo haben, und man darf annehmen, daß dies leibherrliche Rechte gewesen sind. Daru¨ber hinaus gewa¨hren sie allen Bremer Bu¨rgern sicheres Geleit per totam terram nostram, das heißt im gesamten Bereich ihrer Herrschaft. Man wird daraus folgendes schließen du¨rfen: Offenbar ist ein Eigener oder Ministeriale der Grafen von Altena in die Stadt Bremen abgewandert und die Grafen suchen ihre Rechte an ihm zu behaupten. Auf der anderen Seite lebt in Ko¨ln ein Bu¨rger, der seinem Namen nach zu schließen ebenfalls aus dem Sauerland stammt33 und enge Beziehungen zu den Grafen pflegt, so daß er als ihr Ratgeber auftreten kann. Die Bu¨rger der Stadt Bremen haben ganz offensichtlich ein reges Interesse daran, das Sauerland, das Herrschaftsgebiet der Grafen von Altena aufzusuchen, jedenfalls ist das Geleit fu¨r sie der Rechtsgrund, um dessentwillen die Urkunde ausgestellt und in Bremen aufbewahrt wurde. Zwar ist von Eisen und Eisenhandel in der Urkunde nicht die Rede, doch es ist schwer vorstellbar, was die Bremer sonst in das Herrschaftsgebiet der Grafen von Altena ha¨tte ziehen ko¨nnen. So belegt der Text doch wohl das Interesse, das die Grafen von Altena, deren herrschaftliches Zentrum, die namengebende Burg Altena, just in jenem Gebiete liegt, das

30 Vgl. nur Sprandel, Eisengewerbe (wie Anm. 4), S. 37–71. 31 Vgl. Heinz Eversberg, Eisenverhu¨ttung und Eisenverarbeitung in der Burg Isenberg in Hattingen an

der Ruhr zwischen 1194 und 1225, Hattingen 1982; Kai Arzinger, Mittelalterliche Eisenverhu¨ttung im Bereich der Hohenlimburger Raffenburg, in: Hohenlimburger Heimatbla¨tter 1989 (6), S. 192f. 32 Flebbe, Quellen und Urkunden Altena (wie Anm. 19), Nr. 9, S. 19f. 33 Mundbernesloch = Mummersloch ist vielleicht gleichzusetzen mit Mummershohl bei Hu¨lscheid, vgl. Flebbe, ebd., S. 20.

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im Hochmittelalter archa¨ologisch die dichteste Ballung an Eisenproduktionssta¨tten aufweist, an Eisen und Eisenhandel nahmen. Es ist anzunehmen, daß Werenzo einer der Tra¨ger dieses Handels war, unter Umsta¨nden im Auftrage der Grafen, und daß er ihn nach Bremen vermittelte, wo er sich den rechtlichen Bindungen an die Grafen zu entziehen begann. Die Grafen meinten zuna¨chst wohl, ihre Rechte an Werenzo behaupten zu sollen, doch Hermann von Mummersloch – und auch dieser Ko¨lner Bu¨rger ist als Handelspartner der Grafen vorstellbar – mag ihnen klargemacht haben, daß ihr Gewinn aus der Eisenproduktion nicht geringer ausfallen mußte, wenn sie Werenzo aus ihrer perso¨nlichen Herrschaft entließen. Es ist zuzugeben, daß hier lediglich Indizien zusammengestellt werden ko¨nnen, doch erscheint die vorgelegte Interpretation eines Falles keineswegs allzu spekulativ. Es mag noch hinzugefu¨gt werden, daß das Interesse Bremens am su¨derla¨ndischen Gebiet schon a¨lter ist. Immerhin war die Schenkung des Hofes Stiepel, unweit der spa¨teren Burg Isenberg gelegen, die Emma, die Witwe des Billungers Liudger um 1040 an die Bremer Kirche ta¨tigte, Adam von Bremen so wichtig, daß er sie in seiner Hamburgischen Kirchengeschichte festhielt.34 Es handelte sich dabei um weitabliegenden Streubesitz Bremens, und die besondere Bedeutung, die man ihm beimaß, ko¨nnte in der Na¨he zu der sich in dieser Zeit intensivierenden su¨dwestfa¨lischen Eisenproduktion gelegen haben. In jedem Fall aber umreißt die Urkunde bereits eine Grundkonstellation fu¨r das Eisengewerbe im ma¨rkischen Sauerland, wie sie fu¨r das gesamte spa¨tere Mittelalter gegeben ist: das Interesse des Landesherrn am Eisenhandel, den Bereich der spa¨teren Hanse als Bestimmungsraum des Handels sowie den Einfluß Ko¨lner Bu¨rger. Sie zeigt ebenso die Rolle der Sta¨dte im Eisenhandel, denn sowohl Werenzo wie Hermann von Mummersloch sind Einwohner großer Sta¨dte. Sie sind augenscheinlich aus dem Eisengebiet des Sauerlandes dorthin abgewandert. Setzt man voraus, daß dies im Zusammenhang mit dem Eisenhandel geschah, so heißt dies auch, daß in dieser fru¨hen Phase Eisenhandel und unter Umsta¨nden auch Eisengewerbe nicht im Eisenproduktionsgebiet selbst sta¨dtebildend wirkten, sondern im Gegenteil Menschen aus diesem Gebiet heraus in bereits bestehende Sta¨dte, insbesondere die Zentren des Handels abziehen.35 Auf dem so skizzierten Hintergrund des Interesses der Grafen von Altena, der spa¨teren Grafen von der Mark, am Eisen sind nun ihre Aktivita¨ten als „Sta¨dtegru¨nder“ im Su¨derland ins Auge zu fassen. Dabei ist vor allem danach zu fragen, inwieweit Faktoren eine Rolle spielen, die mit Eisenproduktion, Eisengewerbe und Eisenhandel in Verbindung zu bringen sind. Kurz, lassen sich Sta¨dtegru¨ndungen der Grafen oder die Verleihung sta¨dtischer Rechte an bestehende Siedlungen in Beziehung setzen zu Maßnahmen, die das Eisengewerbe stimulieren oder bestehende Strukturen auf diesem Gebiet festigen oder verbessern sollen? 34 Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, ed. Bernhard Schmeidler, MGH SSrG [2],

Hannover/Leipzig 31917, II, 80, S. 138; Regesten der Erzbischo¨fe von Bremen, hg. v. Otto Hermann May, Bd. I (787–1306), Hannover/Bremen 1937, Nr. 204, S. 50; vgl. Peter Johanek, Die Erzbischo¨fe von Hamburg-Bremen und ihre Kirche im Reich der Salierzeit, in: Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, Sigmaringen 1991, S. 93. 35 Vgl. dazu auch unten mit Anm. 52.

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Eine Bestandsaufnahme der sauerla¨ndischen Sta¨dte kann ausgehen von den Entstehungsschichten, die Carl Haase fu¨r die westfa¨lischen Sta¨dte herausgearbeitet und kartiert hat.36 Diese Kartierungen zeigen fu¨r das Untersuchungsgebiet neben ma¨rkischen Sta¨dten mit Attendorn, Drolshagen, Olpe, auch ko¨lnische, mit Wipperfu¨rth, Lennep und Radevormwald bergische Sta¨dte. Balve ist zuna¨chst arnsbergisch und von 1368 an ebenfalls ko¨lnisch. Mit Ausnahme von Wipperfu¨rth, das als Textilstadt bezeichnet werden darf, sind alle diese Pla¨tze ebenfalls durch das Eisen mehr oder weniger gepra¨gt, doch sollen die mit ihnen zusammenha¨ngenden Probleme hier nicht diskutiert werden. Immerhin mag ihre Verzeichnung andeuten, daß auch die mit der Grafschaft Mark konkurrierenden territorialen Kra¨fte nicht unta¨tig blieben. An ma¨rkischen Sta¨dten finden sich Iserlohn, Lu¨denscheid, Bergneustadt, Neuenrade, Altena, Breckerfeld und Plettenberg. Von ihnen geho¨ren die beiden ersten – Iserlohn und Lu¨denscheid – in die zweite Schicht der Sta¨dtebildung in Westfalen 1240–1290, ja es ist nicht ausgeschlossen, daß die Siedlung Iserlohn bereits um 1180 sta¨dtischen Charakter besaß.37 Das letztere kann hier außer Betracht bleiben. Unbestreitbar aber ist der Ausbau dieser Pla¨tze ein Akt ma¨rkischer Territorialpolitik, der dem Ausbau der Positionen des Hauses in den Ta¨lern des Su¨derlandes dienen sollte. Die Konkurrenzsituation Iserlohns zum ko¨lnischen Menden38 ist nicht zu u¨bersehen. Doch auch bei Lu¨denscheid wird die Absicht des Herrschaftsausbaus deutlich, als nach dem Anfall dieser ehemals ko¨niglichen, dann ko¨lnischen Burg an Mark, der in den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts erfolgt sein muß, die Siedlung ummauert und mit Rechten begabt wurde.39 Die ko¨lnischen Proteste zeigen, daß die Ummauerung die entscheidende und schmerzhafte Aktion fu¨r den territorialpolitischen Gegner darstellte.40 Die herrschaftssichernden Motive sind auch in der dritten Entstehungsschicht Haases (1290–1350) zu fassen. Sie begleiten die Entstehung von Bergneustadt, das um 1300 an die Grafschaft Mark fiel. Graf Eberhard II. erwirbt ein Befestigungsprivileg Ko¨nig Albrechts I., 1330 verleiht er den Bu¨rgern sta¨dtische Rechte. Auch hier

36 Carl Haase, Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdkde I, 11), Mu¨nster 41984, Karte

1–5; 17, dazu S. 39–169. Daneben sind heranzuziehen Heinz Stoob, Westfa¨lische Beitra¨ge zum Verha¨ltnis von Landesherrschaft und Sta¨dtewesen, in: WestfF 21 (1968), S. 69–97 (ND in: ders., Forschungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970, S. 187–224; danach zitiert); Dieter Stievermann, Sta¨dtewesen in Su¨dwestfalen. Die Sta¨dte des Ma¨rkischen Sauerlandes im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit (Spa¨tmittelalter und Fru¨he Neuzeit 6), Stuttgart 1978. Vgl. auch Abb. 2. 37 Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 87: Regierungszeit Graf Engelberts (1249–1277); Stoob, Landesherrschaft (wie Anm. 36), S. 214–216, Stoob, Iserlohn (wie Anm 23); Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 29–33, der mit Hinweis auf die Eisengewinnung fu¨r einen fru¨hen sta¨dtischen Charakter pla¨diert (S. 33). 38 Vgl. Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 78; betont von Stoob, Iserlohn (wie Anm. 23). 39 Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 87f.; Stoob, Landesherrschaft (wie Anm. 36), S. 216–18; Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 33–37. 40 Vgl. die Vertra¨ge des Grafen v. d. Mark mit dem Ko¨lner Erzbischof von 1265 u. 1278, WestfUB VII, Nr. 1184, S. 537 u. 1648, S. 753, die zur Schleifung der Befestigung verpflichten; hervorgehoben von Stoob, Iserlohn (wie Anm. 239); s. auch die Verha¨ltnisse in Meinerzhagen, dazu Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 59.

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Abb. 2: Sta¨dte im ma¨rkischen Sauerland

sicherte man sich gegen Ko¨ln, wa¨hrend gleichzeitig 1301 im Osten bei Plettenberg die Burg Schwarzenberg gegen die Grafen von Arnsberg errichtet wurde.41 Stadt und Burg werden in gleicher Funktion eingesetzt. 41 Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 37f., vgl. auch Stoob, Landesherrschaft, S. 218.

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Carl Haase datierte eine weitere Entstehung der Stadtstehung in die lange Zeitspanne von 1350–1520.42 In sie fallen vier weitere Privilegierungen der ma¨rkischen Landesherren im Untersuchungsgebiet, die offensichtlich zwei verschiedene Phasen der ma¨rkischen Territorialpolitik bezeichnen. Die Anlage von Neuenrade durch Graf Engelbert III. – 1353 begonnen und 1355 mit Stadtrecht begabt – dient der Grenzsicherung in der Auseinandersetzung mit der Grafschaft Arnsberg, deren Befestigung Gevern in diesem Zusammenhang niedergelegt wird.43 Wenig spa¨ter wird die Siedlung unterhalb der Stammburg Altena im Jahre 1367 als „Freiheit“ privilegiert; eine Befestigung oder Ummauerung erfolgt hier nicht. Altena erha¨lt demnach mindersta¨dtischen Charakter, keine vollen Stadtrechte. Das steht in Parallele zu zwei anderen Privilegierungen Engelbert III. in Wetter und Blankenstein 1355.44 Vermutlich hat die Zuordnung zu den jeweiligen Burgen den Landesherrn in diesen Fa¨llen von der Erteilung eines Stadtrechtsprivilegs abgehalten.45 Die Bedeutung Altenas hat das nicht geschma¨lert, wie sich die Mindersta¨dte ha¨ufig „weder topographisch, noch rechtlich, noch wirtschaftlich von den Kleinsta¨dten“ unterschieden.46 Zwei weitere Privilegierungen erfolgen am Ende des 14. Jahrhunderts. Fast gleichzeitig erhalten Breckerfeld 139647 und Plettenberg 1397 von Graf Dietrich II. sta¨dtische Rechte, wobei festgehalten zu werden verdient, daß in Plettenberg auf ko¨lnischen Widerspruch hin die Befestigung offenbar unterblieb und der Ort wa¨hrend des 15. Jahrhunderts ha¨ufig als Freiheit bezeichnet wird.48 Soweit die Bestandsaufnahme, und bei na¨herer Betrachtung der Zusammenha¨nge zeigt sich, daß eine Sta¨dtepolitik des Landesherrn vorliegt, die von den Bedu¨rfnissen nach Sicherung des Territoriums geleitet wird.49 Die Forschung hat diesen Gesichtspunkt gerade fu¨r die landesherrlichen Kleinsta¨dte – und nur um solche geht es ja im vorliegenden Falle – u¨beraus stark hervorgehoben, so daß fu¨r wirtschaftliche Moti-

42 Vgl. Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 143–169. 43 Vgl. Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 148; Heinz Stoob, Neuenrade, in: WestfStlAtl (wie

Anm. 23), Lfg. I, 11; ders. Landesherrschaft (wie Anm. 36), S. 218; Dieter Stievermann, Neuenrade. Die Geschichte einer sauerla¨ndischen Stadt von den Anfa¨ngen bis zur Gegenwart, Neuenrade 1990, S. 37–49; ders. Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 39–41. 44 Luise von Winterfeld, Wann ist die Freiheit Altena entstanden?, in: BeitrGDortmund 37 (1929), S. 381–393, 399f.; Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 154; Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 41–44. 45 So Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 44. 46 So im Zusammenhang mit ma¨rkischen Verha¨ltnissen Stoob, Landesherrschaft (wie Anm. 36), S. 220; zum Problem allgemein Heinz Stoob, Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, in: VSWG 46 (1959), S. 1–28 (ND in: Stoob, Forschungen [wie Anm. 36], S. 225–245); Edith Ennen, Die sog. „Mindersta¨dte“ im mittelalterlichen Europa, in: dies., Gesammelte Abhandlungen zum europa¨ischen Sta¨dtewesen und zur rheinischen Geschichte II, hg. v. Dietrich Ho¨roldt/Franz Irsigler, Bonn 1987, S. 70–85; ferner im Hinblick auf das Untersuchungsgebiet Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 56–59f. 47 Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 147f.; Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 44–47. 48 Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 148; Stoob, Landesherrschaft (wie Anm. 36), S. 218; Stievermann (wie Anm. 36), S. 48–52. 49 Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 12f.

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vationen in der landesherrlichen Sta¨dtepolitik kein Platz zu bleiben scheint.50 Dennoch wird man diese Komponente nicht vernachla¨ssigen du¨rfen, wenn man im Einklang mit der hier vorgetragenen Ansicht ein fru¨heinsetzendes Interesse des Landesherrn an der Eisengewinnung voraussetzt, die nach Lage der Dinge vom 12. Jahrhundert an u¨berregionale Bedeutung besessen haben muß. Es wa¨re allerdings unzula¨ssig, lediglich Eisenwirtschaft und den Akt der Stadtgru¨ndung miteinander in Verbindung bringen zu wollen, selbst wenn der Zusammenhang bei Iserlohn, dem a¨ltesten Vorgang dieser Art, unu¨bersehbar ist. Auch genu¨gt es nicht, ganz allgemein festzustellen, diese Sta¨dtepolitik habe zum Ziele gehabt, die Wirtschaftskraft eines Gebietes zu sichern, die sich auf das Eisen gru¨ndete. Vielmehr wird man danach fragen mu¨ssen, ob und gegebenenfalls von wann an der Landesherr mit seinen Privilegierungen auf wirtschaftliche Entwicklungen innerhalb der Eisenindustrie jenes Gebietes reagierte. Es versteht sich, daß solche Maßnahmen durchaus mit einer Politik des territorialen Ausbaus und seiner Sicherung Hand in Hand gehen ko¨nnen. Blickt man noch einmal auf die Entwicklung der Eisenwirtschaft im Untersuchungsgebiet, so legen die Quellen den Schluß nahe, daß wa¨hrend des 13. Jahrhunderts und bis in das 14. Jahrhundert hinein das ma¨rkische Sauerland eine Ausfuhrregion von Eisen, und zwar des unverarbeiteten Rohstoffes, gewesen ist, der vorzugsweise von den Hellwegsta¨dten, insbesondere Soest, getragen wurde. Dieser Handel war offenbar zum Teil sehr weitreichend. So beschwert sich z. B. 1320 die Stadt Soest bei Southampton, daß ein Schiff mit 34 Fa¨ssern Eisen weggenommen wurde. Davon geho¨rten 30 Fa¨sser der Witwe Hunolds von Lu¨denscheid und ihren So¨hnen, sa¨mtlich Soester Bu¨rger. Die Transporteure sind ebenfalls Bu¨rger von Soest.51 Der Fall zeigt, daß der Handel mit Eisen offenbar in der Hand von Soester Neubu¨rgern liegt, die aus dem Erzeugungsgebiet stammen. Das Beispiel vermag auch deutlich zu machen, u¨ber welche Zwischenstationen die zahlreichen Tra¨ger sauerla¨ndischer Herkunftsnamen wa¨hrend des 14. Jahrhunderts in den Hanseraum gelangt sind. Es fehlt demnach fu¨r die Zeit bis ins 14. Jahrhundert nicht an Indizien fu¨r den Handel mit dem im westfa¨lischen Su¨derland produzierten Eisen. Dagegen existieren so gut wie keine Hinweise auf Weiterverarbeitung, auf das eigentliche Eisengewerbe im Herkunftsgebiet des Eisens, d. h. im Sauerland selbst. Diese Weiterverarbeitung scheint sich zuna¨chst vor allem in den großen Sta¨dten außerhalb des Sauerlandes abgespielt zu haben. Ko¨ln und sein Eisengewerbe steht selbstversta¨ndlich im Vordergrund, doch ist zu beachten, daß Dortmund im ausgehenden 13. und besonders im 14. Jahrhundert unter den Neubu¨rgern einen unverha¨ltnisma¨ßig hohen Anteil an Schmieden aufweist. In Soest ist dieser Zuwachs zahlenma¨ßig geringer, doch stellen

50 Vgl. die bei Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 13, verzeichnete Literatur; dagegen die dif-

ferenzierte Darstellung Ehbrechts, Territorialwirtschaft (wie Anm. 9), fu¨r den benachbarten arnsbergischen Raum. 51 HansUB, Bd. II, Halle 1879 Nr. 353, S. 148; Do ¨ sseler, Eisenhandel (wie Anm. 6), S. 224, Anm. 369, denkt an schwedisches Eisen, doch mo¨chte ich an der westfa¨lischen Herkunft festhalten, die durch den Gesamtzusammenhang plausibler erscheint; zum gesamten Komplex auch Seeger, Westfalens Handel (wie Anm. 8), S. 80ff.

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die Schmiede auch hier unter den Neubu¨rgern immer noch die gro¨ßte Gruppe dar.52 Das legt den Schluß nahe, daß ein Teil des aus dem Sauerland ausgefu¨hrten Eisens, der nicht unverarbeitet in den Hanseraum und nach England weiterverhandelt wurde, in Dortmund und Soest zur Verarbeitung kam. Zumindest mittelbar hat also das su¨derla¨ndische Eisen zum Wachstum der Hellwegsta¨dte beigetragen, indem es dort die Ansiedlung von Handwerkern fo¨rderte, die in der Weiterverarbeitung des Metalls ta¨tig waren. Das ausgehende Mittelalter zeigt ein ganz anderes Bild. Fu¨r die Zeit um 1500 hat Franz Irsigler die Herkunftsorte der Ko¨lner Eisen- und Kupferlieferanten kartiert.53 Das Ergebnis zeigt eine differenzierte Gewerbelandschaft in den Sta¨dten des Siegerlandes, des Bergischen Landes und auch des westfa¨lischen Su¨derlandes. Es geht um Halbfabrikate und die auf ihnen aufbauenden Fertigwaren. So dominieren im Su¨den des Bereichs von Olpe u¨ber Drolshagen, Bergneustadt bis Gummersbach sowie wie su¨dlich der Agger die Bleche und damit zusammenha¨ngende Endprodukte: Kessel, Pfannen und Pfannenscheiben. Im Umkreis von Lenne und Volme, also im eigentlichen ma¨rkischen Sauerland, ist das vorherrschende Halbfabrikat der Draht, und auf ihm beruht die Reihe der besonders in Plettenberg außerordentlich differenzierten Fabrikate: Na¨gel, Scheren, Schnallen. Es fragt sich, wann diese Entwicklung eingesetzt hat, zu welchem Zeitpunkt sich die reine Eisenerzeugungslandschaft Sauerland in jene Eisengewerbelandschaft verwandelt hat, die vor allem dank der Ko¨lner Quellen fu¨r das ausgehende 15. Jahrhundert einigergemaßen gut bezeugt ist.54 Jedenfalls la¨ßt sich fu¨r diese Zeit klar erkennen, daß neben die Rohstofferzeugung auch die Weiterverarbeitung am Ort getreten ist. Sie ko¨nnte bis in die zweite Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts zuru¨ckreichen, obwohl unmittelbare Zeugnisse dafu¨r fehlen. Immerhin gibt es einige Indizien. Plettenberg, das gegen Ende des 15. Jahrhunderts offenbar das am sta¨rksten differenzierte Eisengewerbe aufweist, erha¨lt bereits 1386 – also ein Jahrzehnnt vor der Stadtrechtsverleihung – Zollfreiheitsrechte in der gesamten Grafschaft Mark. Das la¨ßt auf eine den Bedarf des Ortes u¨bersteigende Gewerbeproduktion schließen.55 Nur ein Jahr spa¨ter gibt Graf Engelbert III. die Erlaubnis zur Erweiterung des Ortes,56 ein sicherer Hinweis auf das Wachsen der Einwohnerzahl. Belege fu¨r versta¨rkten Zuzug gibt es auch fu¨r andere ma¨rkische Sta¨dte des Sauerlandes. So treffen 1385 Herzog Wilhelm von Berg und Graf Engelbert III. von der Mark Vereinbarungen u¨ber die bergischen Leute, die als Bu¨rger in Lu¨denscheid und

52 Vgl. Seeger, Westfalens Handel (wie Anm. 8), S. 141–144; Hermann Rothert, Soest und Dortmund

im Spiegel ihrer Bu¨rgerbu¨cher, in: WestfF 8 (1956), S. 65–73.

53 Irsigler, Stadt und Umland (wie Anm. 8), S. 11; ders., Wirtschaftliche Stellung (wie Anm. 8), S. 172. 54 Vgl. dazu den U ¨ berblick bei Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 138–140, sowie vor allem

Irsigler, Wirtschaftliche Stellung (wie Anm. 8), S. 164–201, der vor allem den Einfluß Ko¨lner Kapitals herausarbeitet, aber auch das Gewicht erkennen la¨ßt, das dem Sauerland im Gesamtkomplex der ko¨lnischen Eisenwirtschaft zukommt. 55 Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 49. 56 Johann Diederich von Steinen, Westpha¨lische Geschichte, VIII. Stu¨ck, Lemgo 1755, S. 53, Nr. 1, vgl. Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 49.

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Neuenrade aufgenommen worden waren.57 Zwar ist u¨ber die Berufszugeho¨rigkeit solcher Zuwanderer nichts bekannt, doch darf immerhin daran erinnert werden, daß sich 1368 unter ersten namentlich bekannten Bu¨rgern von Neuenrade der Schmied Johann Cleyndanck, Sohn eines Schmiedes aus Werdohl befindet.58 Ein Bevo¨lkerungsanstieg fu¨r das Sauerland in dieser im allgemeinen durch demographische Einbru¨che gekennzeichneten Zeit ist demnach nicht zu verkennen, und man wird ihn am plausibelsten durch Ansiedlung von eisenverarbeiteten Handwerkern erkla¨ren ko¨nnen. Es darf noch daran erinnert werden, daß in der gleichen Zeit aufgrund der verbesserten technologischen Situation59 mit einem Anstieg der Eisenerzeugung zu rechnen ist. Davon du¨rften ebenfalls Anreize zur Ansiedlung weiterverarbeitenden Gewerbes ausgegangen sein. Inwieweit dabei bereits Einflu¨sse des Ko¨lner Kapitals wirksam wurden, ist nicht zu entscheiden. Im 15. Jahrhundert jedenfalls, als die Ko¨lner Kaufleute und Verleger die alten Metallgewerbesta¨dte Dortmund und Soest aus dem Gescha¨ft dra¨ngten, ist dieser Einfluß nicht zu u¨bersehen.60 Im Entstehen eines weiterverarbeitenden Gewerbes und in der Ansiedlung von dessen Produktionssta¨tten im Su¨derland lag fu¨r die ma¨rkischen Landesherren der Anreiz zum weiteren Ausbau des Sta¨dtenetzes im ausgehenden 14. Jahrhundert. Das Gewerbe wurde durch Ummauerung der Siedlungen und durch Privilegien geschu¨tzt und gleichzeitig die Zuwanderung in Konkurrenz zu den benachbarten Landesherren gefo¨rdert. Nicht in allen Fa¨llen freilich kam es zu einer Stadtrechtsverleihung, sondern der Landesherr beließ es bei der Verleihung einer geminderten Rechtsform, der „Freiheit“. Das scheint einmal bei den Pla¨tzen reiner Eisengewinnung mit ihren weitgestreuten Anlagen la¨ngs der Wasserla¨ufe der Fall gewesen zu sein. Kierspe und Halver, beide bereits 1243 mit Weichbildrecht bezeugt, ko¨nnen als Beispiele gelten.61 Aber auch in anderen Fa¨llen, wie in Altena und Plettenberg, kommt es zu Zwischenformen, die auch beim territorialpolitischen Gegenspieler des Ma¨rkers, dem Ko¨lner Erzbischof, nicht fehlen. Drolshagen, das im spa¨teren 15. Jahrhundert u¨ber ein lebendiges Eisengewerbe verfu¨gt haben muß, erscheint wechselnd als oppidum, stad, freyheit, wobei dann erst fu¨r das ausgehende 15. Jahrhundert das Befestigungsrecht genannt wird.62 In Meinerzhagen blieb es offenbar lediglich bei Ansa¨tzen, obwohl die Ko¨lner Quellen des ausgehenden 15. Jahrhunderts auch hier Erzeugnisse des Eisengewerbes belegen.63

57 Urkundenbuch fu¨r die Geschichte des Niederrheins, hg. v. Theodor Josef Lacomblet, Bd. III, 2. ND

der Ausgabe Du¨sseldorf 1853, Aalen 1966, Nr. 898, S. 789f. 58 Vgl. Stievermann, Neuenrade (wie Anm. 43), S. 64f., mit weiteren Hinweisen zur Tradition des

Metallgewerbes in Neuenrade.

59 Vgl. oben mit Anm. 18. 60 Vgl. dazu zusammenfassend Irsigler, Wirtschaftliche Stelllung (wie Anm. 8), S. 323f. 61 WestfUB VII. Band: Die Urkunden des ko¨lnischen Westfalen vom Jahr 1200–1300, Mu¨nster 1908,

Nr. 546, S. 242–244: Halvere et Kerspe in indicio quod wicbelde dicitur; dazu v. Winterfeld, Freiheit Altena (wie Anm. 44), S. 383f.; Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 58. 62 Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 146. 63 Vgl. Irsigler, Wirtschaftliche Stellung (wie Anm. 8), S. 172; Stievermann, Sta¨dtewesen (wie Anm. 36), S. 59; Friedrich Michel, Meinerzhagen, Bd. I: Entstehung und Geschichte bis zum Beginn der Reformation, Meinerzhagen 1965, S. 129–132.

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Gerade in diesen zuletzt genannten Beispielen – Plettenberg, Drolshagen und Meinerzhagen – wird deutlich, daß als umstrittenes Element der Privilegierung die Befestigung zu gelten hat, die den jeweiligen territorialen Gegnern ein Dorn im Auge war. Dennoch – obwohl der herrschaftssichernde Effekt nicht vollsta¨ndig erreicht wurde – hat sich der Landesherr um die Fo¨rderung von Pla¨tzen bemu¨ht, fu¨r die in der Zeit um 1400 Indizien fu¨r eine Entwicklung des Eisengewerbes vorliegen. Herrschaftssicherung und wirtschaftliche Gesichtspunkte erga¨nzen sich demnach in der Sta¨dtepolitik, ja der gelegentlich politisch bedingte Verzicht auf Befestigung, wie im Falle Plettenbergs, legt nahe, daß die letzteren u¨berwogen. Offenbar sind es die Ansiedlung und die Ausbildung des Eisengewerbes, die versta¨rkte Erzeugung von Halbfabrikaten, wie Blech und Draht, und das weiterverarbeitende Handwerk gewesen, die in dieser Phase der Stadtentstehung im Eisengebiet des Sauerlandes sta¨dtebildend gewirkt haben, nicht Eisenerzeugung und Eisenhandel allein.64 Es ist ganz augenscheinlich die hier knapp skizzierte gewerbliche Entwicklung mit ihren demographischen Folgen gewesen, auf die der ma¨rkische Landesherr mit rechtlicher und topographischer Ausgestaltung verschiedener Orte zu Sta¨dten und Mindersta¨dten reagiert hat. Diese Annahme la¨ßt sich noch durch weitere Beobachtungen stu¨tzen, wenn man das Gebiet der Grafschaft Mark außerhalb des Sauerlandes, insbesondere entlang der Ruhr ins Auge faßt. Zuna¨chst geht es um die Entwicklung von Schwerte.65 Um die Mitte des 14. Jahrhunderts schwankt die Benennung zwischen stad und dorp, 1362 werden Richter und Bu¨rgermeister erwa¨hnt, im ausgehenden 14. Jahrhundert wird gewerbliche Organisation erkennbar und 1397 ergeht ein Stadtrechtsprivileg Graf Dietrichs II. von der Mark. Verliehen wird das Recht der Eisenstadt Iserlohn, offenbar ohne einen bereits bestehenden Rechtszug nach Dortmund aufzuheben. Die wirtschaftliche Bedeutung Schwertes beruhte wohl bereits damals auf dem Eisen und seiner Verarbeitung, fu¨r das 15. Jahrhundert jedenfalls sind Drahtproduktion und die Herstellung von Panzern bezeugt, die in den hansischen Ostseeraum exportiert werden. In der Herausbildung der Gewerbestadt Schwerte faßt man demnach ebenfalls eine Verwertung des sauerla¨ndischen Eisens, die den a¨lteren Traditionen des 13. Jahrhunderts folgte und die nicht in den Sog des Ko¨lner Kapitals geriet.66 Die Grafen von der Mark haben sie auch hier durch sta¨dtische Privilegierung gefo¨rdert und die Stadtwerdung zum Abschluß gebracht. Gleichzeitig wird an der Ruhr ein sta¨dtebildender Sekunda¨reffekt der Herausbildung der sauerla¨ndischen Eisengewerbelandschaft und des damit verbundenen Be64 In dieser Richtung la¨ßt sich vielleicht die von Edith Ennen, Mindersta¨dte (wie Anm. 46), S. 83, fu¨r die

vom Montanwesen gepra¨gten Orte formulierte Differenzierung noch erga¨nzen. 65 Horst Frentrup, Die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung der Stadt Schwerte bis zum Ausgang

des 18. Jahrhunderts, Diss. Ko¨ln 1954, insbes. S. 63ff.; Josef Spiegel, Handwerk und Handel im alten Schwerte, in: Der Ma¨rker 8 (1959), S. 12–16; Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 131; Reininghaus, Zu¨nfte (wie Anm. 6), S. 201–203; Gerhard Hallen/Leopold Schu¨tte, Schwerte (WestfStAtl III, 9), Altenbeken 1990. 66 Vgl. oben mit Anm. 52 zu den Verha¨ltnissen in Dortmund und Soest; vielleicht erkla¨rt sich der Rechtszug Schwertes nach Dortmund aus diesen wirtschaftlichen Verha¨ltnissen; bei Irsigler, Wirtschaftliche Stellung (wie Anm. 8), erscheinen keine Hinweise auf Schwerte.

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vo¨lkerungsanstiegs erkennbar. Bekanntlich geho¨rt bereits im Mittelalter die Hellweg¨ berschußgebieten an Getreide, insbesondere Brotgetreide, wa¨hrend region zu den U die Berglandschaften des Sauerlandes auf starke Zufuhren angewiesen waren.67 Dieser Austausch vollzieht sich u¨ber eine Kette von Kornma¨rkten entlang der Ruhr: Hattingen, Witten, Herdecke, Hagen, Schwerte, Langschede und Menden. Diese Linie erscheint im 17. Jahrhundert voll ausgebildet,68 doch scheint einigen ihrer Glieder diese Funktion bereits im Mittelalter zugefallen zu sein. Wiederum gelangt man fu¨r die Anfa¨nge dabei in die zweite Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts. Fu¨r Witten, Hagen und Langschede ergeben sich keine fru¨hen Belege; sie ko¨nnen ebenso wie das ko¨lnische ¨ hnliches gilt auch fu¨r Schwerte, das sich auf Menden hier außer Betracht bleiben. A diesem Gebiet wohl erst nach dem Niedergang seines Eisengewerbes zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu engagieren begann. Anders steht es mo¨glicherweise im Falle von Herdecke, ha¨ufig als „Kornherdecke“ bezeichnet. Nachdem Anfall des Ortes mit seinem Kanonissenstift an die Grafsschaft Mark 1324 wird 1355 ein Marktrecht verliehen. Auf dieser Grundlage hat sich der Kornmarkt entwickelt, der im 18. Jahrhundert zu den bedeutendsten im su¨dlichen Westfalen geho¨rte. Doch blieb es bei diesem Ansatz, eine Entwicklung zur Stadt oder auch nur Minderstadt hat bis ins 18. Jahrhundert nicht stattgefunden.69 Lehrreich aber ist das Beispiel Hattingen, weil es ganz offenkundig den Beginn der Entwicklung markiert und hier die Verklammerung von Kornmarkt und su¨derla¨ndischem Eisengewerbe sowie das Engagement des Landesherrn deutlich zu fassen sind. Graf Engelbert III. von der Mark hat 1350 seinem Hof Hattingen ein Freiheitsprivileg verliehen und 1396 das Recht der Befestigung, wobei die Bezeichnung opidum fa¨llt. Das sind wichtige Etappen auf dem Weg zur Stadtwerdung, die gleichwohl erst im 16. Jahrhundert abgeschlossen erscheint.70 In diesem Prozeß ist der Befestigungsvertrag von 1396 ein entscheidender Schritt. Eine la¨ngere Reihe von sich anschließenden Privilegierungen machen deutlich, daß sie die Hebung des Kornund Brothandels sowie die Sta¨rkung der Befestigung und ihrer Erhaltung durch die Bu¨rger zum Ziele haben.71 Hervorgehoben seien hier nur die Errichtung der Gilden

67 Vgl. dazu Kuske, Wirtschaftsentwicklung (wie Anm. 6), S. 29–31; Albert K. Ho ¨ mberg, Der Hellweg.

Sein Werden und seine Bedeutung, in: ders., Zwischen Rhein und Weser. Aufsa¨tze und Vortra¨ge zur Geschichte Westfalens, Mu¨nster 1967, S. 196–207, hier 205f. 68 Vgl. Kuske, Wirtschaftsentwicklung (wie Anm. 6), S. 30 sowie ausfu¨hrlich Friedrich Lampp, Die Getreidehandelspolitik in der ehemaligen Grafschaft Mark wa¨hrend des 18. Jahrhunderts, Diss. Mu¨nster 1911. 69 Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 186; Otto Schnettler, Herdecke an der Ruhr im Wandel der Zeiten. Stift, Dorf, Stadt (BeitrGDortmund 45), Dortmund 1939; Willi Reinert, Der Kornmarkt von Herdecke a. d. Ruhr, Diss. Mu¨nster 1920. 70 Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 155; Heinz Eversberg, Das mittelalterliche Hattingen. Kulturgeschichte und Siedlungsgeographie einer Stadt an der Ruhr, Hattingen 1985, bes. S. 70f. u. S. 85–101; Reininghaus, Zu¨nfte (wie Anm. 6), S. 106f. 71 Vgl. Paul Freisewinkel, Urkunden der Hattinger Archive I: 1166–1470, Hattingen 1954: Nr. 9 (Gru¨ndung d. Schu¨tzenbruderschaft 1407), Nr. 10 (Weinzapf 1406), Nr. 11 (Weggeld von Kornwagen 1407), Nr. 16 (Verwaltung der Fleischhalle in die Hand der Bu¨rger 1420), Nr. 21 (Wochen- und Jahrmarkt 1435), u. a.

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1412, wobei Kaufleute und Ba¨cker zu einer Korporation zusammengeschlossen werden72 und die Verleihung der Akzise auf Korn an die Stadt, die der Landesherr 1486 vornahm.73 Gerade die letztere Urkunde macht mit der Nennung der Speicherha¨user fu¨r Getreide deutlich, daß der Kornhandel den entscheidenden Wirtschaftsfaktor Hattingens darstellt und daß die Akziseverleihung zum Ziele hat, die Finanzierung des Erhalts der Befestigungen sicherzustellen.74 Selten ist das Ineinandergreifen von Wirtschaftsfo¨rderung und Herrschaftssicherung so eindrucksvoll dokumentiert wie im Hattingen des 15. Jahrhunderts. In den Quellen hat sich auch die Anbindung des Marktortes Hattingen an das Eisengewerbegebiet des Su¨derlandes niedergeschlagen. Beim Abschluß des Befestigungsvertrages von 1396 bekannten Bu¨rgermeister und Rat von Hattingen, tor tydt kein eigenes Siegel zu besitzen, und sie ließen andere fu¨r sich siegeln.75 Es hat nichts auffa¨lliges, daß man den gra¨flichen Amtmann von Hattingen, Johann von Kukelshem, um diesen Dienst bat, doch auch Wennemer Duicker, droste thor Lu¨denscheidt, ha¨ngte sein Siegel an die Urkunde. Schon diese Mitbesiegelung durch den wichtigsten Amtstra¨ger des Landesherrn im Sauerland unterstreicht die Verbindung der beiden Regionen. Die Person Wennemer Duickers verdeutlicht aber gerade auch die wirtschaftlichen Verknu¨pfungen. Er erscheint zwischen 1392 und 1400 nicht nur als immer wieder bestellter Amtstra¨ger des Landesherrn in Lu¨denscheid, Bilstein, Bergneustadt, Gummersbach und Neuenrade, sondern auch als dessen Geldgeber.76 Es liegt auf der Hand, daß er, der an den landesherrlichen Einku¨nften beteiligt war,77 an der Fo¨rderung des Eisengewerbes interessiert sein mußte, selbst wenn kein direkter Beleg fu¨r eine Beteiligung im Eisengewerbe vorliegt. Auf der anderen Seite geho¨rte er einem seit langer Zeit in na¨chster Na¨he von Hattingen, in Stiepel und Kemnade begu¨terten Geschlecht an und betrieb in Hattingen eine Mu¨hle.78 So profitierte auch er vom Getreidegescha¨ft mit dem Sauerland, wie es die Bu¨rger von Hattingen betrieben. Zusammenfassend wird man feststellen ko¨nnen, daß die Entfaltung sta¨dtischen Lebens in Hattingen und damit die Anfa¨nge der spa¨teren Kornmarktlinie an der Ruhr aufs engste mit dem Aufstieg des Eisengewerbes im Sauerland seit der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts zusammenha¨ngt. Damit ko¨nnen die Betrachtungen zur Entwicklung des Sta¨dtewesens im Eisengebiet des ma¨rkischen Sauerlandes und der unmittelbar angrenzenden westfa¨lischen Region abgebrochen werden. Gerade das 72 Ebd., Nr. 14, S. 15f.; zum Zusammenwirken beim Handel mit Korn und Brot vgl. die Graphik bei

Eversberg, Mittelalterliches Hattingen (wie Anm. 70), S. 313.

73 Ebd., Bd. II, 1957, Nr. 61; dazu Eversberg, Mittelalterliches Hattingen (wie Anm. 70), S. 312. 74 Die Arenga hebt die Festungsfunktion hervor: Also onse stat Hatnegge op eyn kante van onsen lande

gelegen ind van onsen vurvaeren tot nutticheyt onser lande begrepen ind begraven is ...; auch die Vergu¨nstigung, in der Mark Steine brechen zu du¨rfen (ebd.), sowie ein Jagdprivileg von 1495 (Nr. 96) und die Erlaubnis zur Judenvertreibung 1498 (Nr. 97) werden a¨hnlich begru¨ndet. 75 Freisewinkel (wie Anm. 71), Urkunden I, Nr. 8. 76 Vgl. Flebbe, Quellen und Urkunden Altena (wie Anm. 19), Nr. 31, 32, 33, 38, 39, 47, 48, 59, 68, 72f., 75f. 77 Ebd., Nr. 47, S. 57: dat Wennemer ... van allen vurvallen und broken, dey in den vurß. unse ampten vorvallende werdent ... sal nemen den teynden pennich ... 78 Vgl. v. Steinen, Westpha¨lische Geschichte (wie Anm. 56), XIX. Stu¨ck, S. 1094f.; dazu Frisch, Grafschaft Mark (wie Anm. 7), S. 76; Vahrenhold-Huland, Grundlagen (wie Anm. 7), S. 242.

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zuletzt behandelte Beispiel Hattingen mit seiner landesherrlichen Privilegierungspolitik und der in der Person Wennemer Duickers sichtbar werdenden Einbindung adeliger Amtstra¨ger des Landesherrn in die mit Eisen und Getreide zusammenha¨ngenden Aktivita¨ten ebnet jedoch auch den Weg zu einer abschließenden Einscha¨tzung des wirtschaftspolitischen Engagements der Landesherren, der Grafen von der Mark und spa¨ter der Herzo¨ge von Kleve. Es kann dabei nicht um eine einfache Alternative gehen, etwa Wirtschaftspolitik auf der einen Seite und milita¨risch-territorialpolitische Motivation auf der anderen, oder gar um die Reduzierung auf das simplifizierende krasse Gegensatzpaar vom Unternehmergeist sta¨dtischer Bu¨rger und fiskalistischem Wu¨rgegriff des Landesherrn. Man wird vielmehr darauf zu achten haben, ob die Herrschaftstra¨ger wirtschaftliche Faktoren und Entwicklungen erkannten und zu deren Fo¨rderung und Steuerung das ihnen zur Verfu¨gung stehende Instrumentarium der Privilegierung nutzten, um auf diesem Wege Herrschaft durchzusetzen und zu intensivieren. Ein solches Vorgehen wird man mit einiger Vorsicht bereits fu¨r die Politik der Grafen von Altena im 12. Jahrhundert und fu¨r die Sta¨dtegru¨ndungen der Grafen von der Mark seit dem 13. Jahrhundert konstatieren du¨rfen, auch wenn hier der sicherungspolitische Aspekt u¨berwog. Allerdings war diese Politik gerade auf die Durchsetzung und Sicherung der Herrschaft in einem Gebiet gerichtet, das durch sein Eisen von hoher wirtschaftlicher Bedeutung war und wo der Graf von der Mark gegen mehrere territorialpolitische Gegner anzutreten hatte. In der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts und ganz besonders in den Jahren knapp vor 1400 haben die Grafen von der Mark das Wirtschaftsgeschehen im Bereich ihres Territoriums, im Sauerland und der Hellwegregion, offenkundig sehr bewußt als ein funktionierendes System begriffen, das durch Privilegierung steuernde Eingriffe zur Intensivierung ihrer Herrschaft erlaubte. Die abgestufte Privilegierungspolitik gegenu¨ber wichtigen Pla¨tzen der Eisenproduktion und des Eisengewerbes zeigt es deutlich, ganz besonders aber das Maßnahmenbu¨ndel Graf Dietrichs II. von 1396/97 fu¨r Plettenberg, Breckerfeld, Schwerte und Hattingen. In Hattingen stattet der Landesherr von jenem Akt des Jahres 1396 an den Ort konsequent mit weiteren Bestimmungsstu¨cken sta¨dtischen Lebens aus.79 Bei aller Hervorhebung der Befestigungsprobleme werden ¨ hnlidamit doch auch nicht zu u¨bersehende wirtschaftspolitische Daten gesetzt. A ches ließe sich fu¨r Breckerfeld zeigen, das in jener Zeit zur wichtigsten westfa¨lischen Produktionssta¨tte fu¨r Stahl aufstieg und fest in das wirtschaftliche System der Stadt Ko¨ln eingebunden war.80 Herzog Johann I. von Kleve hat hier 1463 deutlich ausgesprochen, daß die Stahlherstellung, das stahlschmiede ambt, der bedeutendste Wirtschaftsfaktor, die beste nahrungh in unser stadt sei.81 In jedem Fall haben die Bemu¨hungen der Grafen von der Mark und ihrer Nachfolger, der Herzo¨ge von Kleve, vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, die man gerade fu¨r 79 Vgl. Anm. 71 u. 72. 80 Zu Breckerfeld neben der Anm. 47 gen. Lit. noch Anton Meier, Geschichte und Urkundenbuch des

Amtes Breckerfeld, Teil I, II, Breckerfeld 1900/08; Irsigler, Wirtschaftliche Stellung (wie Anm. 8), S. 186–202; Dieter Scheler, Zunftkauf und Gewerbeentwicklung. Das Breckerfelder Stahlschmiedehandwerk im 15. und 16. Jahrhundert, in: ZBergGV 88 (1977/79), S. 100–152; Reininghaus, Zu¨nfte (wie Anm. 6), S. 84–90. 81 Meier, Geschichte II (wie Anm. 80), S. 176, Nr. 20.

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Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfalen

den letzten Abschnitt dieser Periode mit gutem Grund als Wirtschaftpolitik bezeichnen darf, das Fundament fu¨r ein Netz von Sta¨dten und Mindersta¨dten gelegt, auf dem sich die Strukturen des Eisengewerbes im Sauerland in der fru¨hen Neuzeit weiterentwickelt haben. Es sind aufs ganze dauerhafte Strukturen gewesen, so dauerhaft, daß sie sogar die weitgehende Erscho¨pfung der Erzlagersta¨tten im 16. Jahrhundert u¨berdauert haben. Die neuzeitliche Entwicklung bis in die Zeit der Industrialisierung hinein ist hier nicht mehr zu schildern. Geht man – wie hier geschehen – von der Fragestellung Eisengewerbe und Sta¨dtebildung aus, dann muß man in der Tat feststellen, daß um 1400 mit jener beschriebenen Politik der Grafen von der Mark, insbesondere dem Privilegienbu¨ndel Dietrichs II., die Sta¨dtebildung im Eisengebiet des ma¨rkischen Sauerlandes und der unmittelbar no¨rdlich angrenzenden Region abgeschlossen ist. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein, bis zur preußischen Politik der Gewerbefo¨rderung, die die Einrichtung der Akzisesta¨dte schuf und etwa in Hagen 1746 das „ratha¨usliche Wesen“ einfu¨hrte, ist man im wesentlichen mit dem im Spa¨tmittelalter ausgebildeten Sta¨dtenetz ausgekommen.82 Trotz mancher Vera¨nderung im Gewicht einzelner Sta¨dte, trotz mancher Verlagerung von Schwerpunkten im Auf und Ab von Konjunkturen, bietet sich ein Bild von erstaunlicher Konstanz. Es dokumentiert keinesfalls einen allgemeinen Niedergang der Sta¨dte und sta¨dtischen Wesens in dieser Region, sondern die Dauerhaftigkeit einmal gefundener Formen in einem System der Eisenproduktion und Eisenverarbeitung, die das spa¨te Mittelalter ausgebildet hatte.

82 Zu dieser Phase der Stadtentwicklung summarisch Haase, Entstehung (wie Anm. 36), S. 178–189; zu

Hagen S. 186; zum Eisengewerbe Krins, Eisengewerbe (wie Anm. 6); Karl Heinrich Kaufhold, Das Metallgewerbe der Grafschaft Mark im 18. und fru¨hen 19. Jahrhundert (Vortragsreihe der Gesellschaft fu¨r Westfa¨lische Wirtschaftsgeschichte 20), Dortmund o. J. (1875).

DIE MITTELALTERLICHEN FERNHA¨ NDLER [Erstabdruck: Sozialgeschichte der baltischen Deutschen, hg. v. Wilfried Schlau, Ko¨ln 1997, S. 31–45]

Es begann in Grobin. Oder genauer: Unsere Kenntnisse u¨ber die Fernha¨ndler, die im Mittelalter den Handel zwischen der baltischen Ku¨ste und dem westlichen Europa trugen, knu¨pfen an die archa¨ologischen Funde von Grobin an. Hier, unmittelbar ostwa¨rts von Libau, an der Alande gelegen, die ihrerseits in den Libausee fließt und damit die Verbindung zur Ostsee herstellt, ist in der zweiten Ha¨lfte des 7. Jahrhunderts eine Siedlung entstanden, die bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts von Menschen aus Mittelschweden und Gotland bewohnt wurde. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß dieser Platz, zu dem ein reich ausgestattetes Gra¨berfeld geho¨rte, dem Handel diente.1 Jedenfalls lag die baltische Ku¨ste wa¨hrend der Wikingerzeit im Blickfeld der Ha¨ndler, die die Ostsee befuhren. Der englische Kaufmann Wulfstan, der seinem Ko¨nig Alfred dem Großen gegen Ende des 9. Jahrhunderts u¨ber seine Handelsfahrten berichtete, gelangte von Haithabu aus nach Truso in der Weichselmu¨ndung und erfuhr dort allerhand Merkwu¨rdiges u¨ber das „Estenland“, das sich von der Weichsel aus ostwa¨rts erstreckte.2 Auch der Chronist Adam von Bremen, der nahezu zwei Jahrhunderte spa¨ter eine Beschreibung der nordischen La¨nder um Nord- und Ostsee entwarf, verzeichnete Phantastisches u¨ber Kurland und „Aestland“, das er als Nachbarland der Amazonen ansah. Seine heidnischen Bewohner opfern ihren Go¨ttern lebendige Menschen, die sie von den Ha¨ndlern gekauft ha¨tten.3 Die Isla¨nder-Sagas haben ebenfalls die Erinnerung an die Handelsfahrten ins Baltikum bewahrt, denn die Egils-Saga berichtet u¨ber die Fahrten des Isla¨nders Egil und seiner Schiffsgenossen, die vermutlich im zweiten Viertel des 10. Jahrhunderts stattgefunden haben: „Sie fuhren im Sommer (von Norwegen aus) nach Austrveg [die La¨nder der o¨stlichen Ostsee] und heerten und machten Beute und hatten viele Ka¨mpfe. Sie fuhren dann weiter nach Kurland und lagen dort an Land und hatten fu¨r einen halben Monat Waffenruhe und trieben Handel; aber als das zu Ende war, fingen sie wieder an zu heeren und landeten an verschiedenen Stellen.“4 Im u¨brigen berichtet auch Adam von Bremen von skandinavischen Ha¨ndlern, die Kurland erreichten.5 1 Birger Nerman, Grobin-Seeburg. Ausgrabungen und Funde, Stockholm 1958, bes. S. 181f. 2 King Alfred’s Orosius, ed. by Henry Sweet, London 1883, S. 19–21, hier S. 20. 3 Adam von Bremen, Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche, in: Quellen des 9. und 11. Jahrhun-

derts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches, hg. v. Werner Trillmich/Rudolf Buchner (FSGA MA 11), Darmstadt 51978, S. 454, IV, 16/17. 4 Die Saga von Egil, hg. v. Kurt Schier, Du¨sseldorf/Ko¨ln 1978, S. 119. 5 Adam von Bremen (wie Anm. 3), IV, 16, S. 454f.

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Die baltische Ku¨ste und mit ihr die baltischen Lande erweisen sich so als eingebunden in jenen Handels- und Kommunikationsraum im Norden Europas, der sich in der Wikingerzeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert herausbildete und Nord- und Ostsee zur Einheit der no¨rdlichen Meere zusammenband: von Irland und den Hebriden im Westen bis zu den Binnenschiffahrtswegen Rußlands auf Wolga und Dnepr. Es sind gerade die letzteren, die wa¨hrend des 10. Jahrhunderts immer deutlicher als Handelswege hervorzutreten beginnen, und nach den archa¨ologischen Funden zu schließen, gewinnen die an ihnen gelegenen Handelspla¨tze immer gro¨ßere Bedeutung. Alt-Ladoga, auch bereits Novgorod am Volchow, Kiew und Gnezdowo (der Vorla¨ufer von Smolensk) sind die bedeutendsten unter ihnen. Doch auch im lettischen Bereich an der Du¨na findet sich in Daugmale (Brambergshof) knapp oberhalb der Insel Dahlen, etwa zwanzig Kilometer von Riga entfernt, ein solcher Handelsplatz, der die Bedeutung der Du¨na als Handelsweg in das Innere Rußlands deutlich erkennen la¨ßt.6 Die archa¨ologischen Funde machen deutlich, daß es sich hier um ein polyethnisches Handelsemporium handelte, wie sie auch sonst im Ostseeku¨stenbereich bekannt geworden sind. Jumne/Wollin in der Odermu¨ndung und das schwedische Birka werden in der Chronik Adams von Bremen so beschrieben: In Birka „treffen sich regelma¨ßig alle Schiffe der Da¨nen, Normannen und ebenso der Slawen und Samla¨nder und der Vo¨lkerschaften aus der no¨rdlichen Ostsee zu unterschiedlichen Handelsgescha¨ften“, und in Jumne „wohnen Slawen und andere Sta¨mme, Griechen und Barbaren, und auch die Ga¨ste aus Sachsen haben das Recht erhalten, hier zu wohnen.“7 In diesen Umkreis geho¨rt Daugmale, selbst wenn die zwei Hektar seiner Siedlungsfla¨che weit hinter dem Umfang der großen Handelsemporien zuru¨ckstanden, hinter Birka mit 13 ha, Staraja Ladoga mit zehn Hektar oder gar Wollin (20 ha) und Haithabu (24 ha). Es scheint jedoch, als sei die u¨brige Ku¨ste Kurlands, Livlands und Estlands frei von gro¨ßeren Handelspla¨tzen geblieben, lediglich in Reval und Dorpat ist spa¨testens seit dem 11. Jahrhundert mit der Entstehung solcher Emporien zu rechnen. Wie an der Du¨na ha¨ngt auch ihre Ausbildung ganz offenbar mit dem Rußlandhandel und den skandinavischen Aktivita¨ten im Ostseeraum und in Osteuropa zusammen. Die letzteren haben sich gerade Ende des 11. Jahrhunderts versta¨rkt. Schon unter Großfu¨rst Wladimir hatte sich der norwegische Ko¨nig Olaf Tryggvasson um 980/990 in Kiev aufgehalten, und andere Norweger, Isla¨nder und Schweden waren spa¨ter seinem Beispiel gefolgt. Nun aber kommt es 1019 zur Heirat Großfu¨rst Jaroslavs von Kiev mit Ingigerd, der Tochter Olafs Sko¨tkununges von Schweden. Snorri Sturlusson hat in seiner Chronik „Heimskringla“ die verwickelte Geschichte dieser Brautwerbung erza¨hlt. In ihrem Verlauf wird daran erinnert, daß Ko¨nig Olafs Vorfahren sich einst Karelin, Estland und Kurland unterworfen ha¨tten und Ingigerd bei der Heirat

6 Vgl. Andris Caune, Die Rolle Rigas im Du¨namu¨ndungsgebiet wa¨hrend des 10.–12. Jahrhunderts, in:

ZfO 41 (1992), S. 489–499, hier S. 492–494.

7 Adam von Bremen (wie Anm. 3), I, 60, S. 230f.; II, 22, S. 252f.

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Alt-Ladoga als Morgengabe erhielt, wohin sie ein starkes schwedisches Gefolge mitbrachte, wa¨hrend Jaroslav selbst vor allem in Novgorod residiert hatte.8 Obwohl Snorris Erza¨hlung erst im 13. Jahrhundert niedergeschrieben wurde, bewahrt sie offenbar doch die Erinnerung an Ambitionen der schwedischen Ko¨nige, schwedischer Wara¨ger und Ha¨ndler in Rußland und an die Bemu¨hungen zur Sicherung der Zufahrtswege dorthin. Die mit den schwedischen Herrschern verschwa¨gerten Großfu¨rsten von Kiev jedenfalls suchten ebenfalls in Estland Fuß zu fassen, es tributpflichtig zu machen, und Jaroslav errichtete 1030 in Dorpat (Jurev) eine erste Befestigung. Vielleicht bezeichnet auch die Erza¨hlung der russischen Jahrbu¨cher von Ulebs Zug zum Eisernen Tor im Jahre 1032 einen Handelsplatz auf der spa¨teren Siedlungsfla¨che Revals unterhalb des Burgbergs, der seinen Namen nach dem engen Fahrwasser des Wulfsundes erhalten haben soll.9 Das besondere Interesse der Schweden am Rußlandhandel, mit dem Handelsplatz Alt-Ladoga vor allem, bald aber auch mit dem aufstrebenden und spa¨ter die anderen Emporien u¨berflu¨gelnden Novgorod ist seit dem 11. Jahrhundert deutlich zu spu¨ren und spiegelt sich in diesen Erza¨hlungen. Wa¨hrend des 11. Jahrhunderts vera¨nderte sich dann offenbar auch die gesamte Struktur des Ostseehandels. Die politischen Erschu¨tterungen der Jahrhundertmitte, die Zersto¨rung Jumnes durch Ko¨nig Magnus von Norwegen und Da¨nemark und die da¨nische Expansion, der Wendenaufstand von 1066, die kurzfristige Ru¨ckkehr Schwedens zum Heidentum fu¨hrten zu Sto¨rungen im Handelsverkehr. Es ist nicht so, daß der Handel aufgeho¨rt ha¨tte, er scheint nicht einmal ernsthaft nachgelassen zu haben. Jedoch konzentrierte sich der Handel offenbar zunehmend auf bestimmte Pla¨tze und in der Hand verschiedener Kaufleutegruppen. Im Rußlandhandel, fu¨r die Vermittlung der Waldwaren Osteuropas, des Wachses und der Pelze, nach denen der Westen verlangte „wie nach der ewigen Seligkeit,“10 u¨bernahmen die Bewohner der Insel Gotland, die sich gegenu¨ber den schwedischen Ko¨nigen eine unabha¨ngige Stellung bewahrt hatten, nun die Fu¨hrung. Schon um 1080 gab es in Novgorod eine Olafskirche, die den Mittelpunkt des spa¨te¨ ber Gotland verlief nun u¨ber ein ren Gotenhofes bildete, der seit 1205 bezeugt ist.11 U Jahrhundert der Warenstrom aus Novgorod, u¨ber die gotla¨ndischen Ha¨fen und auf gotla¨ndischen Schiffen erreichte er die westliche Ostseeku¨ste und damit den Zugang zum westlichen Europa. Ganz unbeteiligt waren die russischen Ha¨ndler selbst nicht an diesem Warenverkehr, sie besaßen im 12. Jahrhundert Kirchen auf Gotland, in Sig˚ bo, sind auch in Da¨nemark und sogar noch zu Beginn des 13. Jahrhundert tuna und A

8 Heimskringla. No´regs konunga so¨gur af Snorri Sturluson, hg. v. Finnur Jo ´ nsson, Bd. II, Kopen-

hagen 1894, S. 143 u. 181; dt.: Snorris Ko¨nigsbuch (Heimskringla), u¨bertragen v. Felix Niedner, Bd. II (Thule 15), Du¨sseldorf 21965, S. 119–122 u. 148f.; dazu Manfred Hellmann, Die Heiratspolitik Jaroslaw des Weisen, in: FOsteurG 8 (1962), S. 7–25, sowie Paul Johansen, Nordische Mission, Revals Gru¨ndung und die Schwedensiedlung in Estland, Stockholm 1951, S. 68f., der allerdings Snorris Geschichte mißversta¨ndlich wiedergibt. 9 Vgl. zu diesem ganzen Komplex Johansen, Nordische Mission (wie Anm. 8), S. 67–74. 10 Adam von Bremen (wie Anm. 3), IV, 18; S. 456f. 11 Vgl. Johansen, Nordische Mission (wie Anm. 8), S. 84f.; A. Ruprecht, Die ausgehende Wikingerzeit im Lichte der Runeninschriften, Go¨ttingen 1958, Nr. 131, sowie S. 35f.

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in Lu¨beck bezeugt,12 doch waren die Gotla¨nder die ausschlaggebende Kraft und ihre Insel wurde das bewegende Zentrum im Ostseehandel. Die Gotla¨nder waren Erben des Handelsweges, den die Wikingerzeit erschlossen und die schwedische Politik am Beginn des 11. Jahrhunderts gesichert hatte. Estland, Livland und Kurland sind nicht außerhalb dieser Entwicklung geblieben, doch sie geraten nur wenig in den Blick der Quellen. Meist ist von estnischen Seera¨ubern die Rede, die bespielsweise gegen Ende des 10. Jahrhunderts den spa¨teren norwegischen Ko¨nig Olaf Tryggvasson gefangengenommen und in die Sklaverei verkauft ha¨tten.13 Skandinavische Kaufleute besuchten Kurland und einer von ihnen errichtete dort um die Mitte des 11. Jahrhunderts eine Kirche.14 Auch der Du¨naweg in das Innere Rußlands ist damals sicher von Ha¨ndlern befahren worden – nicht zufa¨llig bemu¨hte sich Großfu¨rst Jaroslav, ihn in die Hand zu bekommen – doch konnte das Polockerland mit seinen Fu¨rsten weitgehende Unabha¨ngigkeit bewahren. Jedoch, wie immer sich das Handelsgeschehen in den baltischen La¨ndern im 11. und 12. Jahrhundert abspielte, westliche Kaufleute, etwa aus dem Reich, waren daran kaum beteiligt. Erst im ausgehenden 12. Jahrhundert hat sich die Lage entscheidend vera¨ndert. Die bewegenden Kra¨fte kamen aus dem Westen, und sie wurden dort wirksam, wo von jeher der Schnittpunkt zwischen Ostsee- und Nordseehandel gelegen hatte: in den Ha¨fen im Su¨den der Ostku¨ste der ju¨tischen Halbinsel, dort, wo die Politik der da¨nischen und deutschen Herrscher mit der der sa¨chsischen Herzo¨ge konkurrierte. Hier lag Schleswig am Nordufer der Schlei, das die Nachfolge des fru¨hmittelalterlichen Handelsplatzes Haithabu angetreten hatte, hier lag auch Lu¨beck, das Heinrich der Lo¨we 1158 im Zusammenwirken mit Kaufleuten am Zusammenfluß von Trave und Wakenitz gru¨ndete. Diese Stadt lo¨ste wiederum ein a¨lteres Handelsemporium ab, das slavisch dominierte Alt-Lu¨beck (Bucu), und sie war es, die fu¨r die Zukunft des Ostseehandels, fu¨r den Handel der dudeschen hanse die entscheidende Rolle spielen sollte. Hier in diesen Ha¨fen, in Schleswig und spa¨ter in Lu¨beck, wurden die Gu¨ter des Rußlandhandels umgeschlagen, hier trafen die Kaufleute des euorpa¨ischen Binnenlandes auf die gotla¨ndischen Ha¨ndler. Die Kontakte konzentrierten sich hier, weil es sich vor allem um deutsche Kaufleute, besonders aus dem Herzogtum Sachsen handelte, denen seit dem Wendenaufstand von 1066 der Landweg zu den Pla¨tzen der su¨dlichen Ostseeku¨ste im Slavenland weitgehend verschlossen blieb. In Schleswig dagegen genossen sie, trotz der Rivalita¨ten zwischen den deutschen und da¨nischen Herrschern, Schutz als Handelsga¨ste, und auch im u¨brigen da¨nischen Herrschaftsbereich, bis nach Lund im da¨nischen Schonen ist es bereits um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert zu versta¨rkten Aktivita¨ten deutscher Kaufleute gekommen. Das Zentrum des Austausches lag entlang der Schlei und spa¨ter in der Lu¨becker Bucht. Hier trafen sich die Fernha¨ndler aus Ost und West. Es scheint, als habe sich 12 Paul Johansen, Novgorod und die Hanse, in: Sta¨dtewesen und Bu¨rgertum als geschichtliche Kraft.

Geda¨chtnisschrift fu¨r Fritz Ro¨rig, hg. v. Ahasver von Brandt/Wilhelm Koppe, Lu¨beck 1953, S. 121–148, hier S. 129f. 13 Heimskringla (wie Anm. 8), ed. Jo ¨ bertragung von Niedner, ´ nsson, Bd. I, Kopenhagen 1893, S. 263f.; U Bd. I, S. 203f. 14 Adam von Bremen (wie Anm. 3), S. 454, unter Berufung auf eine Information Ko¨nig Sven Estridsens von Da¨nemark.

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zu Beginn des 12. Jahrhunderts ein qualitativer Sprung vollzogen, in dessen Folge sich die Fa¨den des Warenaustausches dichter knu¨pften. Bereits Adam von Bremen berichtete, daß die Bewohner Samlands ihre Marderfelle gegen Wolltuch getauscht ha¨tten.15 Zwar ist zu jener Zeit wohl der gro¨ßte Teil des Imports aus dem Osten mit Silbergeld bezahlt worden – die reichen Mu¨nzfunde in den baltischen La¨ndern und in Rußland belegen das deutlich –, aber Adams Nachricht la¨ßt doch erkennen, daß im Osten auch Absatzma¨rkte fu¨r die Produkte des Westens bestanden. In der ersten Ha¨lfte des 12. Jahrhunderts muß sich die Aufnahmebereitschaft des Ostens fu¨r westliche Waren erho¨ht haben. In jedem Fall begannen westliche, insbesondere deutsche Kaufleute in der Ostsee nun selbst aktiven Handel zu treiben, d. h. Gotland und bald auch die o¨stlichen Ku¨sten der Ostsee aufzusuchen. Es handelte sich dabei vor allem um sa¨chsische Kaufleute, ganz besonders um Westfalen. Unter ihnen spielten, besonders in der fru¨hen Zeit, die Kaufleute aus Soest eine fu¨hrende Rolle. In Soest gab es eine Bruderschaft der Schleswigfahrer, die zwar erst 1291 erstmals erwa¨hnt wird, deren Benennung aber in eine Zeit zuru¨ckreicht, in der Schleswig in seiner Bedeutung noch nicht durch Lu¨beck zuru¨ckgedra¨ngt war, also in die ersten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts.16 Zur gleichen Zeit muß es in Ko¨ln bereits eine fraternitas Danica, eine Bruderschaft der Da¨nemarkfahrer gegeben haben, deren Mitglieder bis nach Lund gelangten.17 Nur wenig spa¨ter, im Jahre 1165 verlieh der Ko¨lner Erzbischof Reinald von Dassel der kleinen Stadt Medebach, im Sauerland, das Marktrecht von Soest und legte außerdem Bestimmungen fu¨r jene Bu¨rger fest, die mit Da¨nemark und Rußland Handel trieben.18 In diesen Nachrichten wird die Schubkraft der großen Handelsmetropole Ko¨ln sichtbar, die die Schlu¨sselstellung fu¨r den Warenaustausch zwischen Deutschlands Su¨den und dem Nordwesten Europas, besonders mit Flandern und England, einnahm. Dort im Nordwesten lagen die ersten Zentren der europa¨ischen Tuchproduktion. Tuch aber bildete fortan den wichtigsten Ausfuhrartikel der deutschen Kaufleute im Ostseehandel. Vielleicht geho¨rte bereits 1127 Tuch aus Ypern zu den Abgaben der Novgoroder Johannisbruderschaft an den Tysjackij,19 ganz sicher aber trugen um 1200 die Da¨nen Scharlachtuch aus Flandern.20 Vermittler waren offensichtlich die westfa¨lischen Kaufleute und ihre Ko¨lner Partner. Auch Wein geho¨rte sicher zu ihrem 15 Adam von Bremen (wie Anm. 3), IV, 18, S. 456f. 16 HansUB, Bd. II, Nr. 666, vgl. dazu Wilhelm Koppe, Schleswig und die Schleswiger (1066–1134), in:

Sta¨dtewesen und Bu¨rgertum (wie Anm. 12), S. 95–120, hier S. 109, sowie Christian Radtke, Schleswig und Soest, in: Soest. Stadt – Territorium – Reich, hg. v. Gerhard Ko¨hn (SoesterZ 92/93), Soest 1981, S. 433–478, hier S. 444f. 17 Radtke, Schleswig (wie Anm. 16), S. 443f. u. 450f. 18 HansUB, Bd. I, Halle 1876, Nr. 17, S. 10. 19 Leopold Karl Goetz, Deutsch-russische Handelsvertra¨ge des Mittelalters, Hamburg 1916, S. 282, der die Mo¨glichkeit einer spa¨teren Interpolation andeutet; vgl. auch ders., Deutsch-russische Handelsgeschichte, Lu¨beck 1922, S. 280, und Hektor Ammann, Deutschland und die Tuchindustrie Nordwesteuropas im Mittelalter, in: Die Stadt des Mittelalters, hg. v. Carl Haase, Bd. 3 (WdF 245), Darmstadt 1973, S. 54–136, hier S. 87 mit Anm. 48; das Amt des Tysjackij wurde jedenfalls erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts, spa¨testens 1185 eingefu¨hrt, vgl. nur Handbuch der Geschichte Rußlands, hg. v. Manfred Hellmann, Bd. I, 1, Stuttgart 1981, S. 445. 20 Arnold von Lu¨beck, MGH SS 21, S. 146; vgl. Ammann, Deutschland (wie Anm. 19), S. 87.

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Warensortiment, sei es, daß er aus dem Mittelmeergebiet stammte oder aus Deutschland, aus dem Elsaß oder der Maingegend. Jedenfalls erwa¨hnt der Chronist Gottfried von Viterbo die Ausfuhr von Wu¨rzburger Wein nach Da¨nemark.21 Westfalen wurde im Binnenland zur großen Durchgangslandschaft im Handel zwischen Rheinachse und Ostsee, und es ist sicher kein Zufall, daß Soest, ein Vorposten der Herrschaft des Ko¨lner Erzbischofs in Westfalen, in der Fru¨hzeit dieser Entwicklung eine derart herausragende Rolle spielte. Demgegenu¨ber trat Ko¨ln selbst in diesem Warenaustausch u¨ber Land zuru¨ck, und auch die Ko¨lner Bruderschaft der Da¨nemarkfahrer hatte an den entscheidenden Entwicklungen, die sich im Ostseehandel anbahnten, kaum Anteil.22 Gleichwohl blieb die Wirtschaftskraft Ko¨lns ein bewegender Faktor fu¨r den Handel der westfa¨lischen und sa¨chsischen Kaufleute mit den Ostseeha¨fen und hat damit auf die Entwicklung im Ostseeraum eingewirkt. Westfalen warf aber wohl auch seine eigene Wirtschaftskraft in die Waagschale. Sie beruhte ganz offenbar auf der Eisenproduktion des Sauerlandes, die zeitlich weit zuru¨ckreicht und im 12. Jahrhundert offenbar eine enge Bindung westfa¨lischer Handelsbeziehungen an Bremen begru¨ndete.23 Nach Lu¨beck ist es gerade diese Stadt, der fu¨r die fru¨he Entwicklung Livlands eine wichtige Rolle zufiel. Die Impulse des ko¨lnisch-westfa¨lischen Handels, der auf die Ostsee zielte, verbanden sich mit einer weiteren Entwicklung, die um die Jahrhundertmitte faßbar wurde und offenbar das wirtschaftspolitische Handeln Heinrichs des Lo¨wen, des Gru¨nders von Lu¨beck, bestimmte. Die Saline von Lu¨neburg nahm zu seiner Zeit einen außerordentlichen Aufschwung,24 und Lu¨neburger Salz beherrschte fortan den Ostseeraum. Ein großer Teil davon floß in den ebenfalls expandierenden Heringsfang um Ru¨gen und Schonen, der zu einem starken Pfeiler hansischer Wirtschaftsta¨tigkeit werden sollte und den Bewohnern der entstehenden Sta¨dtewelt des Binnenlandes zusa¨tzliche, hochwertige Eiweißkost in großen Mengen zufu¨hrte. Aber die Absatzgebiete des Lu¨neburger Salzes waren weitergespannt; es wurde im gesamten Ostseegebiet verkauft. Nur an wenigen Orten konnte hier eigenes Salz gewonnen werden, etwa in Kolberg in Pommern oder in Staraja Russa bei Novgorod. Mit dem Lu¨neburger Salz jedoch konnte sich die Produktion dieser Pla¨tze in der Menge und vor allem in der Qualita¨t nicht messen.25 Jedenfalls kann die Bedeutung des Salzes aus Lu¨neburg nicht hoch genug eingescha¨tzt werden. Helmold von Bosau machte in einem beru¨hmten Kapitel seiner Chronik deutlich, wie eng das Engagement Heinrichs des Lo¨wen mit dem Wunsch zusammenhing, den Absatz des Lu¨neburger Salzes zu sichern. „Ebenso klagen die Lu¨neburger“ – das sind die Worte, die Helmold 21 MGH SS 22, S. 161. 22 Detlev Ellmers, Die Entstehung der Hanse, in: HansGbll 103 (1985), S. 3–40, hier S. 37f. 23 Vgl. dazu Peter Johanek, Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfa-

len wa¨hrend des Mittelalters, in: Stadt und Eisen, hg. v. Ferdinand Opll (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 11), Linz/Donau 1992, S. 15–36, hier 23–25. 24 Vgl. dazu Uta Reinhardt, Bardowick – Lu¨neburg – Lu¨beck, in: Lu¨beck 1226. Reichsfreiheit und fru¨he Stadt, hg. v. Olaf Ahlers/Antjekathrin Grassmann u. a., Lu¨beck 1976, S. 207–225, hier S. 218f. 25 Vgl. Paul Johansen, Der hansische Rußlandhandel, insbesondere nach Novgorod, in kritischer Betrachtung, in: Die deutsche Hanse als Mittler zwischen Ost und West, Ko¨ln/Opladen 1963, S. 39–57, hier S. 42.

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Heinrich dem Lo¨wen in den Mund legt –, „daß unsere Saline zu Grunde gerichtet sei wegen des Salzwerks, das Ihr zu Oldesloe angelegt habt. Darum ersuchen wir Euch, uns die Ha¨lfte Euerer Stadt Lu¨beck und des Salzwerks abzutreten, damit wir die Vero¨dung unserer Stadt leichter ertragen ko¨nnen. Sonst werden wir verbieten, daß weiter zu Lu¨beck Handel getrieben wird. Denn wir ko¨nnen es nicht hinnehmen, daß um fremden Vorteils willen unser va¨terliches Erbe Schaden leidet.“26 Das alles la¨ßt die Expansionskraft erkennen, die in dem nun von binnenla¨ndischen, westfa¨lischen und sa¨chsischen Kaufleuten getragenen Handel steckte. Diese Kaufleute begnu¨gten sich nicht la¨nger damit, mit den Ha¨ndlern aus Gotland in Schleswig oder Lu¨beck zum Warenaustausch zusammenzutreffen. Sie wollten die Handelspla¨tze in der o¨stlichen Ostsee selbst aufsuchen. So entstand die Gemeinschaft der Gotlandfahrer, eine Kaufmannsgenossenschaft, wie es viele gab, vor allem auch in Gestalt der Knutsgilden in Da¨nemark. Dort bildete sich in den Jahren nach 1170 ebenfalls eine Genossenschaft der Gotlandfahrer, die Ko¨nig Waldemar I. privilegierte.27 Der neu entstandenen deutschen Gotlandfahrergilde jedoch war ein außerordentlich großer Erfolg beschieden. In ihr vereinigten sich ku¨stenansa¨ssige Schiffsbesitzer und Schiffsfu¨hrer, die u¨ber einen neu entwickelten, gro¨ßeren, mehr Raum bietenden Fahrzeugtyp, die Fru¨hform der Kogge, verfu¨gten, mit jenen Kaufleuten aus dem Binnenland, die u¨ber den reinen Ku¨stenhandel hinausstrebten. Das a¨lteste Stadtsiegel von Lu¨beck aus dem Jahre 1223 scheint diesen historischen Moment festzuhalten: Es zeigt zwei Ma¨nner in einem Schiff, die einen Eid schwo¨ren. Der eine, am Steuer sitzend, ist an seiner Kleidung als Seefahrer zu erkennen, wa¨hrend der andere, im Bug des Schiffes stehend, offensichtlich einen Binnenla¨nder darstellt.28 Es ist sicher kein Zufall, daß die Lu¨becker Bu¨rgerschaft gerade diese Szene fu¨r ihre Selbstdarstellung wa¨hlte, denn die Gru¨ndung Lu¨becks hatte jener Schwurgemeinschaft, die am Anfang des hansischen Handels u¨ber See und Sand steht, eine feste und dauerhafte Basis geboten. Es liegt auf der Hand, daß Reibungen zwischen den gotla¨ndischen Kaufleuten, die den Handel auf der Ostsee seit langem in der Hand hielten, und den neuen Kra¨ften entstehen mußten, die nun auf Gotland selbst und daru¨ber hinaus mit den Gotla¨ndern in Konkurrenz traten. Aus dem „Zwist der beiden Vo¨lker“, der Teutonici und der Gutenses entstanden „Haß, Feindschaft und Totschlag“. Heinrich der Lo¨we stellte 1161 den Frieden her und gewa¨hrte den gotla¨ndischen Kaufleuten Schutz in

26 Helmold von Bosau, Slawenchronik, u¨bertragen v. Heinz Stoob, Darmstadt 41983, S. 264f. 27 Vgl. Robert Bohn, Wisby – Keimzelle des hansischen Ostseehandels, in: Die Hanse. Lebenswirk-

lichkeit und Mythos, Ausstellungskatalog, hg. v. Jo¨rgen Bracker, Bd. 1, Hamburg 1989, S. 533–535, hier 533; auch Fritz Ro¨rig, Reichssymbolik auf Gotland, in: ders., Wirtschaftskra¨fte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte, hg. v. Paul Kaegbein, Wien/Ko¨ln/Graz 21971, S. 490–541; Erich Hoffmann, Die Anfa¨nge des deutschen Handels im Ostseeraum, in: Die Hanse und der deutsche Osten, hg. v. Norbert Angermann, Lu¨neburg 1990, S. 5–22; Detlef Kattinger, Die „Gotla¨ndische Genossenschaft“. Ihr Platz im nordeuropa¨ischen Handelssystem, in: Communitas et dominium. Festschrift zum 75. Geburtstag von Johannes Schildhauer, hg. v. Horst Wernicke/ Ralf-Gunnar Werlich/Detlef Kattinger, Großbarkau 1994, S. 13–35; allgemein noch Heinz Stoob, Schleswig – Lu¨beck – Wisby, in: ZVLu¨bG 59 (1979), S. 7–27. 28 Ellmers, Entstehung (wie Anm. 22), S. 9–24.

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allen Sta¨dten seines Herzogtums, um sie in seinen Hafen Lu¨beck zu ziehen. Dieser Schutz, der a¨ltere Bestimmungen Kaiser Lothars III. wieder aufnahm, war daran geknu¨pft, daß auch die sa¨chsischen Kaufleute in Gotland den gleichen Schutz genießen sollten.29 Das Eingreifen des Herzogs scheint zu einer dauerhaften Befriedung, ja im Endeffekt zu einem Zusammenwirken der beiden Gruppen gefu¨hrt zu haben. Jedenfalls etablierten sich die deutschen Kaufleute auf Gotland. Im 13. Jahrhundert erschienen als fest umrissene Gruppen die universi mercatores Romani imperii Gotlandiam frequentantes (die Kaufleute des ro¨mischen Reichs, die Gotland besuchen)30 und die Theotonici in Gothlandia manentes (die Deutschen, die in Gotland ansa¨ssig sind).31 In der Stadt Visby, in der sich der gotla¨ndische Handel konzentrierte, fanden sich Deutsche und Gotla¨nder zu gemeinsamem Handeln zusammen und urkundeten als consules et commune civitatis Wysbicensis tam Theotonicorum quam Guttensium (Ratsmannen und Gemeinde der Stadt Visby sowohl der Deutschen wie der Gotla¨nder).32 Gotland blieb also die Drehscheibe des Ostseehandels, jedoch folgten nun die deutschen Kaufleute den Wegen der Gotla¨nder nach Novgorod, vor allem aber auch an die baltische Ku¨ste und an die Du¨namu¨ndung. Damit begann ein neuer Abschnitt der Geschichte der baltischen La¨nder, der Aufbruch der deutschen Kaufleute zu den Zielen des Ostseehandels setzte eine entscheidende Za¨sur. Das Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts verstand den Umschwung der Zeit um 1200 nicht als Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung der Handelsgeschichte des Ostseeraums, sondern begriff ihn als punktuelles Ereignis der europa¨ischen Expansionsgeschichte, vergleichbar der Entdeckung Amerikas. Im Jahr 1814 schrieb der Pastor Matthias Tiel aus Riga u¨ber jene Zeit: „So lebten die Bewohner unseres Vaterlandes in der glu¨cklichen Abgeschiedenheit von dem u¨brigen Europa, unbekannt, aber auch unbeneidet und zufrieden nach va¨terlicher Sitte, als ein Schiff aus Bremen 1158, von Visby, auf Gothland entweder vom Sturm verschlagen oder absichtlich an den Ufern der Du¨na erschien. Muthig widersetzten sich die Liwen der Landung der Fremdlinge, die sie fu¨r Feinde halten mußten; aber die gewandten Deutschen wußten sie bald zu beruhigen und anzulocken. Sie bewogen sie zu einem Tauschhandel, in welchem ihnen die Liwen Honig, Wachs, Kalk und Thierha¨ute lieferten. Erfreut u¨ber eine Entdeckung, die ihnen in der Zukunft so viel Vortheil versprach, verließen sie diese Ufer, um o¨fterer wiederzukehren.“33 Der Maler Ludwig von Maydell leitete spa¨ter eine Bilderfolge zur „Geschichte der deutschen Ostsee-

29 Die Urkunden Heinrichs des Lo¨wen, hg. v. Karl Jordan (MGH, Laienfu¨rsten- und Dynastenurkun-

den der Kaiserzeit 1), Weimar 1941/49, Nr. 48; vgl. dazu Karl Jordan, Zu den Gotland-Urkunden Heinrichs des Lo¨wen, in: HansGbll 91 (1973), S. 24–33. 30 HansUB I (wie Anm. 18), Nr. 422, S. 139 zu 1252. 31 Ebd., Nr. 866, S. 300 zu 1280. 32 Ebd.; vgl. dazu und zur Siegelentwicklung Bohn, Wisby (wie Anm. 27), und Die Hanse (wie Anm. 27), Bd. 2, S. 82f. 33 Zitiert nach Paul Johansen, Die Legende von der Aufsegelung Livlands durch Bremer Kaufleute, in: ¨ bersee. Festschrift fu¨r Egmont Zechlin, hg. v. Otto Brunner/Dietrich Gerhard, HamEuropa und U burg 1961, S. 42–68, hier S. 43.

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Provinzen Rußlands“ mit einer Szene ein, die dieser Schilderung entsprach und erla¨uterte sie mit der Unterschrift „Erste Landung der Bremer Kaufleute in der Du¨na“.34 So entstand das Bild von der „Aufsegelung Livlands“ durch Bremer Kaufleute, und man fu¨hlte sich dazu berechtigt, da man in der Chronik des Heinrich von Lettland eine detaillierte Schilderung der livla¨ndischen Geschichte in den ersten drei Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts, zum Jahr 1226, den Satz gefunden hatte: „Vieles wohl und Ruhmwu¨rdiges hat sich in Livland zur Zeit der Bekehrung der Heiden zum Glauben Jesu Christi zugetragen [in den vergangenen 67 Jahren, seit der livla¨ndische Hafen zuerst von bremischen Kaufleuten entdeckt worden ist“].35 Die genannte Anzahl der Jahre fu¨hrt zum Jahr 1158, in die Gru¨ndungszeit Lu¨becks, und auch mit dieser Stadt verknu¨pfte man die Aufsegelung Livlands. Bereits die Chronisten des 16. Jahrhunderts, der Hamburger Albert Krantz und Reimer Kock aus Lu¨beck wußten davon zu berichten.36 Doch noch zu einer Zeit, als la¨ngst klar war, daß jener Satz u¨ber die Bremer Kaufleute als Entdecker Livlands gar nicht von Heinrich von Lettland selbst, sondern von einem Interpolator des 16. Jahrhunderts stammte, hielt man in Bremen an der fu¨hrenden Rolle der Stadt bei der Erschließung Livlands fest, als man 1872 den bekannten Du¨sseldorfer Historienmaler Peter Jansen damit beauftragte, die Halle der neu erbauten Bremer Bo¨rse mit einem Gema¨lde zu schmu¨cken. Auch hier hielt sich der Gedanke von Aufsegelung und Kolonisation, und der Pra¨ses der Bremer Handelskammer interpretierte die Darstellung in seiner Einweihungsrede so: „Was wir hier versinnbildlicht sehen, geschieht noch heute: Bremer Kaufleute gru¨nden Niederlassungen in allen Weltgegenden.“37 Auch das ging an der historischen Realita¨t weit vorbei, aber immerhin zeigt das Bild Bischof Albert von Riga, wie er Bremer Kaufleuten Anweisungen zur Erbauung der Stadt Riga gibt und die Bildunterschrift „Colonisation der Ostprovinzen durch die Hansa“ ordnet mit 1201 das Ereignis zutreffend ein. In der Tat ist Bremen mit der fru¨hen Geschichte der deutschen Siedlung in Livland eng verbunden, und der Schlu¨ssel fu¨r diese Zusammenha¨nge liegt in der Missionsgeschichte des baltischen Raums. Schon Adam von Bremen wußte zu berichten, daß die erste Kirche in Kurland von einem Geistlichen errichtet worden war, der einen Kaufmann begleitet hatte.38 Auch die Missionare des ausgehenden 12. Jahrhunderts sind mit den Kaufleuten ins Baltikum gekommen. Am deutlichsten wird das in der Geschichte des Du¨namu¨n¨ berlieferung hebt hier sogar hervor, daß Livland inicium sue dungsgebietes. Die U saluties (die Anfa¨nge seiner Missionierung) den Kaufleuten zu verdanken habe.39 Die Ta¨tigkeit der ersten Bischo¨fe Livlands – Meinhards, des Augustinerchorherrn

34 Ebd., mit Abb. vor S. 43. 35 Heinrich von Lettland, Livla¨ndische Chronik, hg. v. Leonid Arbusow/Albert Bauer, u¨bersetzt von

Albert Bauer (FSGA MA 24), Darmstadt 1959, S. 327; der Text in eckigen Klammern ist Interpolation des 16. Jahrhunderts, vgl. Johansen, Legende (wie Anm. 33), S. 44ff. 36 Vgl. Johansen, Legende (wie Anm. 33), S. 62f. 37 Ebd., S. 45 mit Abb. vor S. 45. 38 Wie Anm. 14. 39 Vgl. die ‚Descriptione Terrarum‘, c. 13, bei Marvin L. Colker, America rediscovered in the thirteenth century?, in: Speculum 54 (1979), S. 712–726, hier S. 723.

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aus Segeberg (1188–1196), Bertholds (1196–1198), des Zisterziensermo¨nchs aus Loccum, und Alberts von Buxhoeveden, des Bremer Domkanonikers (1199–1229) – ist durch die Chroniken Arnolds von Lu¨beck und des Lettenpriesters Heinrich ungewo¨hnlich gut dokumentiert,40 und ihr Zusammenwirken mit den deutschen Kaufleuten ist seit Meinhards erster Fahrt ins livische Gebiet kurz nach 1182 bezeugt. Alle drei aber stammten sie aus der Ministerialita¨t der Erzbischo¨fe von Bremen, und in die Metropolitangewalt Hamburg-Bremens waren die livla¨ndischen Missionsbischo¨fe zuna¨chst auch eingebunden. Das war ein letzter Ausfluß der legatio borealium nationum der Hamburger Kirche, der Legation des Nordens und ihres Auftrags zur Mission der Ostseevo¨lker, der wir die geographische Beschreibung der skandinavischen Welt und der Ostsee in der Chronik Adams von Bremen verdanken. Seit der Erhebung Lunds zur skandinavischen Metropole 1103, und mehr noch nach der Errichtung eines zweiten skandinavischen Erzbistums in Uppsala war es damit vorbei. Doch die Bistumserrichtungen und Bistumserneuerungen Heinrichs des Lo¨wen im Slavenland mo¨gen den Ambitionen der Bremer Erzbischo¨fe neuen Auftrieb gegeben haben, und sie ergriffen die gu¨nstige Gelegenheit, die das Vordringen deutscher Kaufleute im Baltikum bot. Man wird diesen Faktor des bremischen Missionsanspruches neben den o¨konomischen Antrieben, die von der Gru¨ndung und Existenz Lu¨becks ausgingen, nicht unterscha¨tzen du¨rfen. Da war ferner die enge Verbindung Bremens mit Westfalen, und westfa¨lische wie ostsa¨chsische Kra¨fte trugen die herrschaftliche und o¨konomische Erschließung Livlands. Es handelt sich dabei in gleichem Maße um Adelige und Kaufleute, wobei die Sozialgruppen der Ministerialen und der Fernkaufleute sich fu¨r die Zeit um 1200 noch kaum auseinanderdividieren lassen. So haben wohl die westfa¨lischen Kaufleute zur Erneuerung der Bremer Missionsbestrebungen beigetragen. Ein westfa¨lischer Adeliger ist es auch, der neben den Bischo¨fen herausragt, zuna¨chst den Kreuzzug von 1198 mitmacht und dann nach dem Eintritt in das Zisterzienserkloster Marienfeld zum Abt von Du¨namu¨nde und spa¨ter zum Bischof von Sellonien berufen wird: Bernhard II. zur Lippe. Auch betrieb er die Wahl seines Sohnes Gerhard zum Erzbischof von Bremen im Jahre 1219, und wenn es richtig ist, daß er fu¨r seinen Sohn Hermann eine ko¨nigsgleiche Stellung in Livland erstrebte41 – eine franzo¨sische Chronik nennt Hermann princeps tocius christianitatis Livonie („Fu¨rst der gesamten Christenheit in Livland“) –, dann wird sowohl das weitgespannte Netz deutlich, das Westfalen und Livland aneinanderbinden sollte, als auch der Platz, der Bremen darin zufiel. Was immer den Interpolator des 16. Jahrhunderts bewogen haben mag, die Aufsegelung Livlands Bremer Kaufleuten zuzuschreiben, seine Bemerkungen enthalten ein Ko¨rnchen Wahrheit: Neben Lu¨beck, das die Ausgangsbasis der Kaufleute der gotla¨ndischen Genossenschaft bildete, die von Visby in die Du¨namu¨ndung segelten, steht auch Bremen am Anfang

40 Arnold von Lu¨beck (wie Anm. 20), hier S. 210ff.; Heinrich von Lettland (wie Anm. 35); die nun fol-

gende Darstellung nach den Ergebnissen, die Manfred Hellmann und Bernd Ulrich Hucker im Sammelband: Studien u¨ber die Anfa¨nge der Mission in Livland, hg. v. Manfred Hellmann (VuF, Sonderband 37), Sigmaringen 1989, vorlegen. 41 Dazu ausfu¨hrlich Bernd-Ulrich Hucker, Liv- und estla¨ndische Ko¨nigspla¨ne?, in: Studien (wie Anm. 40), S. 65–106.

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der livla¨ndischen Geschichte. Das erfolgreiche Bemu¨hen Bischof Alberts, sich aus der metropolitanen Gewalt des Bremer Erzbischofs zu lo¨sen, verdeckt diese Tatsache nur allzu leicht. Hier kann weder dargestellt werden, wie aus der friedlichen Missionierung Bischof Meinhards ein kriegerischer Kreuzzug wurde, noch, wie wechselvoll sich die Eroberung abspielte, in der der Schwertbru¨derorden entstand, der zuna¨chst Kampfgefa¨hrte und spa¨ter Rivale des Bischofs von Livland war.42 Doch es ist festzuhalten, daß die Kaufleute in dieser Entwicklung zu den treibenden Kra¨ften geho¨rten. Nur die milita¨rische Eroberung Livlands vermochte in diesem Land die Grundlage ihrer Handelsta¨tigkeit zu sichern. Das scheint eine der Grundeinsichten gewesen zu sein, die die fru¨hen deutschen Fernkaufleute in der Du¨namu¨ndung faßten. Sie waren es, die 1195 oder 1196 Bischof Meinhard ermunterten, in Livland zu bleiben, und ihm versprachen, ein Kreuzheer zusammenzubringen,43 sie geho¨ren zum Heer Bischof Alberts 120744, begleiteten den Schwertbru¨derorden auf dem Zuge nach Rotalien 121545, beteiligeten sich an der Belagerung Fellins 1223 und an dem Zug gegen die Sakkaler und Ugaunier im selben Jahr.46 Selbstversta¨ndlich auch verteidigten sie die Stadt Riga, ja sie schoben die Ru¨ckfahrt nach Gotland auf – mercationes suas et negotia negligentes (unter Hintansetzung ihres Kaufhandels und ihrer Gescha¨fte) –, wenn die Situation es erforderte.47 Die Gru¨ndung und der Ausbau der Stadt Riga ist das sichtbare Ergebnis dieser ersten Phase deutscher Siedlung in Livland und wohl der wichtigste Schritt zur Sicherung und Verstetigung des Handels auf der Du¨naroute.48 Sie erfolgte an einem Platz, der von seiner geographischen Lage her außerordentlich geeignet war und mit der Mu¨ndung des Rigebaches u¨ber einen natu¨rlichen Hafen verfu¨gte. Er liegt etwa 10 km stromaufwa¨rts der Du¨namu¨ndung und vor den Stromschnellen bei der Insel Dahlen, die ein weiteres Vordringen der nun gro¨ßer gewordenen Schiffe zu den a¨lteren Handelspla¨tzen wie Daugmale und zum Bischofssitz Uexku¨ll verhinderten. Hier bestanden etwa vom Beginn des 12. Jahrhunderts an zwei Siedlungen, die offenbar gegen Ende des Jahrhunderts stark wuchsen, und hier in unmittelbarer Na¨he hat 1198 auch die Schlacht stattgefunden, in der Bischof Berthold ums Leben gekommen war. Es ist mo¨glich, daß deutsche Kaufleute bereits vor dieser Zeit diesen Hafen als Anlegeplatz nutzten, doch spricht dagegen die Aussage der Chronik Heinrichs von Lettland, daß die Liven Bischof Albert diesen Platz gezeigt ha¨tten.49

42 Dazu sei nur auf die letzte zusammenfassende Darstellung verwiesen: Heinz von zur Mu ¨ hlen, Liv-

land von der Christianisierung bis zum Ende seiner Selbsta¨ndigkeit (etwa 1180–1561), in: Baltische La¨nder, hg. v. Gert von Pistohlkors, Berlin 1994, S. 26–172, hier S. 30–68. 43 Heinrich von Lettland (wie Anm. 35), I, 13, S. 8f. 44 Ebd., IX, 5, S. 74f. 45 Ebd. XVIII, 5, S. 174f. 46 Ebd., XXVII, 1–2, S. 290–95. 47 Ebd. XIV, 12, S. 128f. zu 1211. 48 Zu den Anfa¨ngen Rigas vgl. grundlegend Friedrich Benninghoven, Rigas Entstehung und der fru¨hhansische Kaufmann, Hamburg 1961; zur archa¨ologischen Situation Caune, Rolle Rigas (wie Anm. 6), S. 496–499. 49 Heinrich von Lettland (wie Anm. 35), IV, 5, S. 18–21.

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Bischof Albert setzte nach seiner Ru¨ckkehr aus Deutschland die Stadtgru¨ndung ins Werk und verlegte bald darauf auch den Bischofssitz von Uexku¨ll hierher. Er verstand ganz offensichtlich Riga von vornherein als Mittelpunkt einer Herrschaftsbildung, denn Heinrich von Lettland erwa¨hnt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Stadtgru¨ndung auch die Verlehnung der Burgen Lennewarden und Uexku¨ll an adelige Gefolgsleute und damit die Etablierung eines Burgensystems.50 Doch auch die Fernkaufleute unterstu¨tzten die Gru¨ndung Rigas, obwohl die Meinung unter ihnen gespalten gewesen zu sein scheint und manche offenbar einen anderen Platz, den „Hafen von Semgallen“ in der Rigaer Bucht westlich der Du¨namu¨ndung, als zentralen Ort des Warenaustausches bevorzugt ha¨tten.51 Doch die Kaufleute, die sich trotz aller anfa¨nglichen Ru¨ckschla¨ge fu¨r eine Kooperation mit dem Bischof und den von ihm gerufenen Adeligen und Siedlern entschieden hatten, setzten sich durch. Riga wurde zur beherrschenden Handelsmetropole Livlands. Bischof Albert selbst erkannte hat die Verdienste der Fernkaufleute an, als er ihnen 1211 ein Privileg ausstellte.52 Von Beginn des Missionswerks an, so stellt er fest, ha¨tten sie ihm Hilfe geleistet, und daher wolle er den gotla¨ndischen Kaufleuten, die die Du¨ne und die Ha¨fen Livlands besuchten, verschiedene Freiheiten gewa¨hren. Es ist nicht daran zu zweifeln, und es geht aus den Formulierungen des Privilegs selbst hervor, daß es sich bei diesen „Gotla¨ndern“ um Deutsche handelte, die von Gotland aus in einem bestimmten Rhythmus nach Livland segelten, dort u¨berwinterten und wieder u¨ber Gotland in die Heimat zuru¨ckkehrten. Bald jedoch durften manche, ja viele von ihnen in Riga seßhaft geworden sein. Bereits 1225 erhalten cives, Bu¨rger von Riga, im wesentlichen die gleichen Rechte wie die Fernkaufleute.53 Wie in Visby, so gab es auch hier frequentantes, d. h. Besucher, die „u¨berwinterten oder bis zu einem Jahr oder sogar daru¨ber sich in der Stadt Riga aufhielten, aber doch dort kein eigenes Haus hatten noch den festen Vorsatz hatten, dort Wohnung zu nehmen“.54 Neben ihnen standen die manentes, Kaufleute, die sich dauerhaft als Bu¨rger Rigas niederließen. Selbstversta¨ndlich richtete sich das Interesse der Kaufleute, die Riga zu ihrem Stu¨tzpunkt gemacht hatten,vor allem auf den Du¨nahandel in das Innere Rußlands.55 Sie suchten ihn durch Vertra¨ge mit den Fu¨rsten von Polock und Smolensk zu sichern, bei denen Bischof, Schwertbru¨derorden und Kaufleute zusammenwirkten. Im Jahre 50 Ebd., V, 1, S. 20f. 51 Ebd., IV, 7, S. 20f.; vgl. dazu Bennighoven, Rigas Entstehung (wie Anm. 48), S. 51f.; zur Lage des por-

tus Semigallie vgl. die Karte bei von zur Mu¨hlen, Livland (wie Anm. 42), S. 47.

52 HansUB, Bd. I (wie Anm. 18), Nr. 88, S. 38; vgl. dazu Ro ¨ rig, Reichssymbolik (wie Anm. 27),

S. 529–534; Benninghoven, Rigas Entstehung (wie Anm. 48), S. 36f., 50ff.

53 HansUB I (wie Anm. 18), Nr. 194, S. 60f. 54 Liv-, Esth- und Curla¨ndisches Urkundenbuch nebst Regesten, hg. v. Friedrich Georg von Bunge,

Bd. III, Reval 1857, Nr. LXXXII a, Sp. 11f.

55 Grundlegend: Hans Georg von Schroeder, Der Handel auf der Du¨na im Mittelalter, in: HansGbll

23 (1917), S. 23–156; Goetz, Deutsch-russische Handelsgeschichte (wie Anm. 19), S. 439–543; Paul Johansen, Die Bedeutung der Hanse fu¨r Livland, in: HansGbll 65/66 (1940/41), S. 1–55; sowie die ¨ berblicksdarstellungen wie Norbert Angermann, Die Bedeutung Livlands fu¨r neueren allgemeinen U die Hanse, in: ders., Die Hanse und der Deutsche Osten, Lu¨neburg 1990, S. 97–116; ders., Die Stellung der livla¨ndischen Sta¨dte in der hansischen Gemeinschaft, in: HansGbll 113 (1995), S. 111–125.

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1210 o¨ffnete Fu¨rst Vladimir von Polock den rigischen Kaufleuten sein Land, und ein in Smolensk ansa¨ssiger Kaufmann namens Ludolf, also wohl ein Deutscher, fu¨hrte fu¨r ihn die Verhandlungen. Auch 1212 und 1220 verhandelte man u¨ber den „sicheren Weg auf der Du¨na“56, und 1229 kam es zum Abschluß eines Vertrages mit Fu¨rst Mstislaw Davidovitsch von Smolensk, der zum Grundvertrag fu¨r den Du¨nahandel des Mittelalters wurde. Es war ein Vertrag, der den russischen und den deutschen Kaufleuten in Smolensk, Riga und „auf dem gotischen Ufer“, also in Gotland, die gleichen Rechte zusicherte. Als Garanten der Urkunde erscheinen der Bischof von Riga und der Meister des Schwertbru¨derordens, Volkwin, vor allem aber die Kaufleute „des ro¨mischen Reichs“, der „lateinischen Zunge“, mit Nennung ihrer Herkunftsorte. Es sind Bu¨rger vom „gotischen Ufer“, Kaufleute aus Lu¨beck, Soest, Mu¨nster, Groningen, Bremen und schließlich dem neuentstandenen Riga selbst, insgesamt also die Gemeinschaft der Gotlandfahrer. Der beiden Teilen eingera¨umte Aktionsraum reichte von Smolensk bis an die Trave, und das deutsche Binnenland, insbesondere Westfalen, hatte einen starken Anteil daran.57 Der Smolensker Vertrag blieb die Ausgangsbasis fu¨r weitere Vertra¨ge, fu¨r die Erneuerung von 1250 wie fu¨r die große Zahl der Sondervertra¨ge bis zum sogenannten Kopussavertrag von 1406, der den hansischen Handel im Du¨nagebiet noch einmal neu regelte.58 Dieser Vertrag privilegierte nur noch die Rigenser, und der Rat von Riga war es auch, der die Ordnungen fu¨r die Ansiedlung der deutschen Kaufleute in Polock erließ.59 Der Du¨nahandel darf als der Lebensnerv des Handelsgeschehens gelten, der die deutschen Kaufleute nach Riga lockte. Doch von den Anfa¨ngen Rigas an hatte auch die Landroute von der Du¨namu¨ndung nach Novgorod u¨ber Pleskau (Pskov) ihre Bedeutung. Im Gru¨ndungsjahr Rigas erreichte eine Schlittenkarawane von Livland aus Novgorod, und offenbar hat es a¨hnliche Fahrten nach Pleskau schon zuvor gegeben.60 So waren Riga und seine Kaufleute mit den beiden großen Handelsgebieten Rußlands verbunden. Ganz auf den Handel mit Novgorod ausgerichtet war Reval, und die estla¨ndische Ku¨ste, vielleicht der Schiffsanlegeplatz von Reval selbst, wird bereits 1191 als ¨ berwinterungsplatz von Kaufleuten der gotla¨ndischen Genossenschaft genannt.61 U

56 Heinrich von Lettland (wie Anm. 35), XIV, 9, S. 120f.; XVI, 2/3, S. 150–153; XXVI, 1, S. 280f.; dazu

Goetz, Deutsch-Russische Handelsvertra¨ge (wie Anm. 19), § 37, S. 230f.

57 HansUB, Bd. I (wie Anm. 18), Nr. 232, S. 72–79; Goetz, Deutsch-Russische Handelsvertra¨ge (wie

Anm. 19), § 38, S. 231–304. 58 Goetz, Deutsch-Russische Handelsvertra¨ge (wie Anm. 19), § 40ff., S. 305ff., sowie die U ¨ bersicht § 36,

S. 227–229.

59 HansUB, Bd. V, Leipzig 1899, Nr. 726, S. 376–378; Goetz, Deutsch-Russische Handelsvertra¨ge (wie

Anm. 19), § 54, S. 345–352; HansUB, Bd. V, Nr. 125, S. 73f., dazu Goetz, Deutsch-Russische Handelsgeschichte, S. 464. 60 Heinrich von Lettland (wie Anm. 35), XI, 7, S. 78f.; vgl. dazu Johansen, Bedeutung der Hanse (wie Anm. 55), S. 11. 61 Heinrich von Lettland (wie Anm. 35), I, 11, S. 8; dazu Johansen, Nordische Mission (wie Anm. 8), S. 75f.; Paul Johansen/Heinz von zur Mu¨hlen, Deutsch und Undeutsch im mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Reval (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 15), Ko¨ln/Wien 1973, S. 32.

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Diese Ku¨stenregion blieb fortan im Blickfeld auch der an der Du¨namu¨ndung siedelnden Kaufleute, doch den entscheidenden Vorstoß unternahm 1219 auf Bitten Bischof Alberts von Riga Ko¨nig Waldemar II. von Da¨nemark, der auf dem Domberg mit dem Bau der Domkirche fu¨r den Bischof der Esten begann. Damit war auch fu¨r die gotla¨ndischen und rigischen Kaufleute ein fester Bezugspunkt, d. h. ein gu¨nstiger Hafen mit schutzgewa¨hrender Burg, geschaffen, und in der kurzen Periode, in der sich der Schwertbru¨derorden in den Besitz Revals zu setzen wußte, berief er 1230 aus Gotland 200 deutsche Kaufleute, zum Teil mit Land in Jerwen belehnt und unterhalb des Domberges angesiedelt.62 So entstand die Stadt Reval, deren Geschicke, wie die Rigas, fortan von deutschen Fernkaufleuten bestimmt wurden. Das blieb auch so, als 1238 Reval nach schweren Wirren wieder in die Ha¨nde des Da¨nenko¨nigs kam und schließlich 1346 an den deutschen Orden fiel. Mit der Gru¨ndung der Sta¨dte Riga und Reval im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, zu denen sich noch Dorpat (nach 1224), gesellte, und mit der deutschen Eroberung weiter Teile Livlands unter Beteiligung fru¨hhansischer Kaufleute trat der europa¨ische Rußlandhandel, besonders die Fahrt nach Novgorod, ja der Ostseehandel insgesamt in eine neue Phase ein. Neben die ausschließliche Newafahrt nach Ladoga und Novgorod trat die zusa¨tzliche Benutzung des Landwegs und der Binnenwasserstraßen von Reval und Riga aus, die Narva, Dorpat und Pleskau miteinbezogen.63 Das fu¨hrte zur Erschließung des Binnenlandes fu¨r den Handel und neben einer intensiveren herrschaftlichen Erfassung und Durchdringung auch zur Entfaltung des Sta¨dtewesens in Livland. Im 13. und 14. Jahrhundert entstanden hier etwa 20 Sta¨dte, von denen sich eine ganze Reihe zur Hanse za¨hlte: Riga, Reval, Dorpat, Pernau, Lemsal, Wenden, Wolmar, Kokenhusen, Fellin und Windau. Doch neben den drei erstgenannten unterhielt lediglich noch Pernau nennenswerte Fernhandelsbeziehungen, etwa nach Flandern, Holland und in die nordischen Reiche.64 Die fu¨hrende Stellung unter den Sta¨dten Livlands nahmen jedenfalls Riga und Reval ein, wobei letztere das no¨rdliche Schweden mit Waren aus dem Westen versorgte, den Handel an der finnischen Ku¨ste beherrschte und schließlich in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts das Erbe Visbys in Novgorod antrat, da der Niedergang der gotla¨ndischen Stadt nach der Plu¨nderung durch Ko¨nig Waldemar IV. Atterdag nicht mehr aufzuhalten war. Seit 1402 war Reval im Pachtbesitz des Gotenhofes in Novgorod.65

62 Paul Johansen, Die Estlandliste des Liber Census Daniae, Kopenhagen/Reval 1933, S. 719f.; Johan-

sen, Nordische Mission (wie Anm. 8), S. 41f.; Johansen/von zur Mu¨hlen, Deutsch und Undeutsch (wie Anm. 61), S. 35. 63 Vgl. Norbert Angermann, Deutsche Kaufleute im mittelalterlichen Novgorod und Pleskau, in: Deutsche im Nordosten Europas, hg. v. Hans Rothe (Studien zum Deutschtum im Osten 22), Ko¨ln/Wien 1991, S. 58–86, hier S. 63; zu Novgorod im 13. Jh. allgemein ders., Novgorod und seine Beziehungen zur Hanse, in: Europas Sta¨dte zwischen Zwang und Freiheit. Die europa¨ische Stadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Wilfried Hartmann, Regensburg 1995, S. 189–202; zu Pleskau: Gertrud Pickhan, Gospodin Pskov. Entstehung und Entwicklung eines sta¨dtischen Herrschaftszentrums in Altrußland (FOsteurG 47), Berlin/Wiesbaden 1992. 64 Vgl. Walther Stein, Die Hansesta¨dte in: HansGbll 21 (1915), S. 119–289, hier S. 163–169. 65 Vgl. dazu nur Johansen, Nordische Mission, (wie Anm. 8), S. 15f.

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Die fru¨he Zeit der livla¨ndischen Sta¨dte kannte zwei Gruppen von Fernkaufleuten: Die manentes, die sich in den neugegru¨ndeten Sta¨dten, in Reval, Riga oder Dorpat, niederließen, fortan von dieser Basis aus ihre Handelsgescha¨fte fu¨hrten und im politischen Leben dieser Sta¨dte eine fu¨hrende Stellung einnahmen. Daneben standen die frequentantes, deren Heimat in Gotland, in Lu¨beck, in Sachsen oder Westfalen lag, die die livla¨ndischen Ha¨fen aufsuchten und von dort aus gleichberechtigt mit den Bu¨rgern Revals oder Rigas am Rußlandhandel teilnahmen. Der da¨nische Ko¨nig Erik Menved fo¨rderte noch 1294 diese Fahrten, als er den Bu¨rgern von Lu¨beck und Gotland, „den Kaufleuten aller Seesta¨dte, die die Ostsee u¨berqueren wollen“, gestattete, den Landweg u¨ber Narva nach Novgorod zu nehmen, als die Newafahrt wegen der schwedischen Eroberung Finnlands 1293 schwierig geworden war.66 Die nichtansa¨ssigen Fernkaufleute stellten ein wichtiges Element der entstehenden sta¨dtischen Gesellschaft in Livland dar. Sie besaßen eigene Kommunikationszentren, wie die Stube von Mu¨nster und die Stube von Soest in Riga67, und sie fanden sich mit einheimischen, jungen, unverheirateten Kaufleuten in den Schwarzenha¨uptergesellschaften zusammen, die ihren Namen von ihrem Schutzpatron, dem heiligen Mauritius, herleiteten.68 Schon fru¨h jedoch, noch wa¨hrend des 13. Jahrhunderts, setzten die Versuche der livla¨ndischen Sta¨dte ein, den Handel der auswa¨rtigen Ga¨ste einzuschra¨nken, insbesondere aber den Rußlandhandel weitgehend zu monopolisieren. Sie bauten ihre fu¨hrende Position in Novgorod nach und nach aus, und die u¨brigen hansischen Sta¨dte u¨berließen ihnen, insbesondere Reval, dort die Vertretung ihrer Interessen. Die hansische Gemeinschaft faßte auch 1346 den Beschluß, daß der hansische Rußlandhandel nur noch u¨ber die Stapelpla¨tze Reval, Riga, Dorpat und Pernau abzuwickeln sei.69 Lediglich in Narva war außer in Novgorod noch ein direkter Handel mit den Russen mo¨glich. Die livla¨ndischen Sta¨dte haben an diesem Vorrecht za¨h festgehalten. Das Handelskontor der Deutschen in Polock war ein Kontor der rigischen Kaufleute, kein hansisches,70 und die rigischen Ratsherren, die 1399 Großfu¨rst Witold aufsuchten, zeigten sich ho¨cht irritiert, daß die Russen, offenbar unter Hinweis auf den Smolensker Vertrag von 1229, das Recht beanspruchten, bis nach Gotland und an die Trave, d. h. nach Lu¨beck, zu reisen: Dar stoete wi uns sere an („daran stoßen wir uns sehr“).71 Und 1478 gab der Rat von Riga den Ratsendeboten der su¨derseeischen Sta¨dte, die sich daru¨ber beschwert hatten, daß ihnen „entgegen den alten Rezessen und alten Herkommen“ und „gegen die bru¨derliche Eintracht in

66 Liv-, Esth- und Curla¨ndisches Urkundenbuch, Bd. I, hg. v. Friedrich Georg von Bunge, Reval 1853,

Nr. 555, Sp. 698f.; HansUB, Bd. I (wie Anm. 18), Nr. 1158, S. 400; vgl. dazu Johansen/von zur Mu¨hlen, Deutsch und Undeutsch (wie Anm. 61), S. 38. 67 Friedrich von Klocke, Die Stuben von Soest und Mu¨nster im alten Riga, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r die Geschichte von Soest und der Bo¨rde 42/43 (1927), S. 139–143; Clara Redlich, Das a¨lteste Riga und die Stuben zu Mu¨nster und Soest, in: ZfO 37 (1988), S. 555–579. 68 Vgl. Angermann, Bedeutung Livlands (wie Anm. 55), S. 100 mit Anm. 10. 69 Vgl. zu dieser Entwicklung Johansen, Bedeutung der Hanse (wie Anm. 55), S. 45ff.; Johansen/von zur Mu¨hlen, Deutsch und Undeutsch (wie Anm. 61), S. 45. 70 Vgl. oben mit Anm. 59. 71 HansUB, Bd. V., Nr. 364, S. 183f.

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der Hanse“ in den livla¨ndischen Sta¨dten kein direkter Handel mit den Russen gestattet war, schroffen Bescheid: von Anbeginn, seit der Dutsch kopmann hier is gewesen im lande, sei so etwas nicht vorgekommen.72 So erlangten die livla¨ndischen Sta¨dte und ihre Kaufleute die sta¨rkste Stellung im Handel mit Rußland, obwohl die Zahl der deutschen Novgorodfahrer bis zum Ausgang des Mittelalters hoch blieb.73 Es ist aber gerade diese Konzentrierung des Rußlandhandels in der Hand der livla¨ndischen Sta¨dte, die diese umso fester mit den hansischen Kaufleuten im Westen zusammenband, sei es, daß sie Handelsgesellschaften bildeten und als Kommissiona¨re fu¨reinander ta¨tig wurden74 oder daß familia¨re Bande geknu¨pft wurden. So heiratete zu Beginn des 15. Jahrhunderts Margarete, die Schwester des Rigenser Kaufmanns Engelbrecht Wytte den aus Dortmund stammenden Hildebrand Veckinghusen, der in Lu¨beck, Ko¨ln und Bru¨gge agierte. Ihr Sohn Jost besuchte Riga und schrieb an die Mutter nach Lu¨beck, sie solle doch seinem Bruder Hildebrand und auch seiner Schwester Anneke nach Riga senden, daß sie im Haushalt Wyttes aufgezogen werden ko¨nnten.75 Die Veckinghusen sind kein Einzelfall, Heiratsbeziehungen und wirtschaftliches Zusammenwirken dieser Art eher die Regel. Es war dieses Netz personaler Bindungen zwischen in verschiedenen Sta¨dten ansa¨ssigen oder ta¨tigen Fernkaufleuten, das die Hanse ebenso wirksam trug wie die Zusammenku¨nfte der Ratsendeboten auf den Hansetagen. Dieses Netz ließ auch immer wieder Fernkaufleute aus deutschen Landen nach Livland gelangen und fu¨hrte dort Ansa¨ssige nach Deutschland und in den hansischen Westen zuru¨ck. Erst als dieses Netz mit dem Ende der Hanse im 17. Jahrhundert zerriß, ist die fu¨hrende Stellung der deutschen Fernkaufleute in der Ostsee in andere Ha¨nde u¨bergegangen. In den livla¨ndischen Sta¨dten aber blieben – weit u¨ber das Ende der Hanse und des Mittelalters hinaus – die Fernha¨ndler deutscher Zunge die entscheidende gesellschaftliche Kraft.

72 HansRez III, 1, bearb. v. Dietrich Scha¨fer, Leipzig 1881, Nr. 88/89, S. 66–68. 73 Vgl. dazu Angermann, Deutsche Kaufleute (wie Anm. 63), S. 74f. 74 Vgl. dazu Gunnar Mickwitz, Neues zur Funktion der hansischen Handelsgesellschaften, in: HansGbll

62 (1937), S. 24–39.

75 Hildebrand Veckinghusen, Briefwechsel eines deutschen Kaufmanns im 15. Jahrhundert, hg. v. Wil-

helm Stieda, Leipzig 1921, Nr. 477, S. 467.

¨ RGERKA¨ MPFE UND VERFASSUNG BU ¨ DTEN IN DEN MITTELALTERLICHEN DEUTSCHEN STA [Erstabdruck: Einwohner und Bu¨rger auf dem Weg zur Demokratie. Von den antiken Stadtrepubliken zur modernen Kommunalverfassung, hg. v. Hans Eugen Specker (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 28), Ulm/Stuttgart 1997, S. 45–73]

Als der Bu¨rgermeister, der Rat und alle burger gemainlich, rich und arme der stat zu Ulme am Montag nach dem sunnentag, alz man singet Oculi 1397, also am 26. Ma¨rz jenes Jahres, unser stats gemains insigel an jenes Pergament ha¨ngten, das man den großen Schwo¨rbrief nennt,1 da hatten sie in diesem Dokument eine Ordnung aufgerichtet, die der Dominikaner Felix Fabri noch ein Jahrhundert spa¨ter in seiner großen Beschreibung der Stadt Ulm als Grundlage der harmonia civitatis, der harmonia regiminis preisen konnte.2 Vorausgegangen waren – das macht die Urkunde selbst ganz deutlich – ufloffe, zwitracht und stoss:3 Auseinandersetzungen und gewaltsame Konflikte innerhalb der Bu¨rgerschaft. Sie wollte man in Zukunft vermeiden. Wie schon ein halbes Jahrhundert zuvor, im Kleinen Schwo¨rbrief von 1345,4 der ebenfalls auf einen Ausgleich der Interessen der innersta¨dtischen Gruppen abzielte, trachtete man danach, die Einmu¨tigkeit der Bu¨rger auf Dauer zu sichern und auch o¨ffentlich zu demonstrieren. Jedes Jahr am St.-Georgs-Tag, am 23. April, sollten die Rechte der Stadt, wie sie im „Roten Buch“ verzeichnet standen, vor gantzer gemeind verlesen werden, ee das man ainem burgermaister swere.5 Die Bu¨rgergemeinde ho¨rte den Wortlaut der sta¨dtischen Rechtssa¨tze und verpflichtete sich auf sie durch einen gemeinsamen Eid. Das ist die Grundlage der Schwo¨rfeier, zu der sich die Bu¨rgerschaft der Stadt Ulm allja¨hrlich auf 1 Das rote Buch der Stadt Ulm, hg. v. Carl Mollwo (Wu¨rttembergische Geschichtsquellen 8), Stutt-

gart 1905, Anhang, Nr. VII, S. 258–264; vgl. dazu jetzt Dorothea Reuter, Der Große Schwo¨rbrief: Verfassung und Verfassungswirklichkeit in der Reichsstadt des Spa¨tmittelalters (1397–1530), in: 600 Jahre Großer Schwo¨rbrief. Die Ulmer Bu¨rgerschaft auf dem Weg zur Demokratie, hg. v. Hans-Eugen Specker (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Reihe Dokumentation 10), Ulm/Stuttgart 1997, S. 119–150, bes. S. 124–126. 2 Fratris Felicis Fabri Tractatus de civitate Ulmensi, de eius origine, ordine, regimine, de civibus eius et statu, hg. v. Gustav Veesenmeyer (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 186), Tu¨bingen 1889, S. 69. 3 Mollwo, Rotes Buch (wie Anm. 1), S. 259, 37. 4 Ulmisches Urkundenbuch, Bd. II, 1, hg. v. Gustav Veesenmeyer/Hugo Bazing, Ulm 1898, Nr. 280, S. 279–282. 5 Mollwo, Rotes Buch (wie Anm. 1), S. 92, § 176.

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dem Weinhof versammelte, und der 600. Jahrestag der Ausfertigung des Schwo¨rbriefs hat auch den Anstoß zu den Beitra¨gen dieses Bandes gegeben. In der Schwo¨rfeier vollzog sich ein Ritual, das die Einigkeit der Bu¨rgergemeinde sichtbar und emotional erlebbar machen sollte. Es war ein Ritual, in dem die Bu¨rgerschaft sich selbst ihrer Einigkeit, ihrer Gemeinsamkeiten versicherte und sie in rechtlicher Weise, im Eid festigte, so wie dies auch in religio¨sen Ausdrucksformen geschah. Das vollzog sich in vielen Sta¨dten in den großen Prozessionen, in denen sich die Bu¨rgerschaft um die Reliquien der Stadtpatrone scharte und in der Meßfeier vergangener Gefahren gedachte, die durch gemeinsame Anstrengung und die Hilfe eben dieser Heiligen u¨berwunden worden waren, wie etwa – um aus dem u¨bergroßen Reichtum ¨ berlieferung nun ein Beispiel aus dem Norden des Reichs zu zitieren – in Dortder U mund, wo der heilige Reinold, eines der vier Haimonskinder aus dem Sagenkreis um ¨ berfall des Grafen von der Karl den Großen, 1352 die Stadt vor einem na¨chtlichen U Mark rettete und 1377 gar selbst mit erhobenem Schwert auf der Stadtmauer stand und wie ein Ballspieler die Wurfgeschosse des Grafen Wilhelm von Berg in dessen Lager zuru¨ckschlug.6 In solchen Akten sta¨dtischer Repra¨sentation und sta¨dtischen Rituals, ha¨ufig aufgeladen mit emotional wirksamer historischer Erinnerung, in jedem Fall in ausfu¨hrlichem Zeremoniell und sorgfa¨ltiger Inszenierung, manifestierte sich die Bu¨rgergemeinde in ihren Gliedern und demonstrierte ihre Einigkeit, nach innen wie nach außen. Die Einigkeit der Bu¨rger in der Stadt wird als hoher Wert empfunden, immer wieder als Ziel der verfassungsrechtlichen Regelungen wie der administrativen Ta¨tigkeit sta¨dtischer Amtstra¨ger gepriesen. Das statutum municipale des Schwo¨rbriefs sollte – so meinte Felix Fabri – die harmonia civitatis indissolubilior, ganz unauflo¨slich machen.7 Etwa zur gleichen Zeit wie Fabri schrieb 1495 der Westfale Johannes von Soest, der Stadtarzt von Worms, den dortigen Ratsherren in das Widmungsexemplar seiner Stadtregierungslehre wie man ein stat wol regyrn sol folgende Verse:8 Eyn statt ist eyn communitett In lyeb und frontschafft vest und stett. Da yn men lebt myt eern und nutz In fryd un tughend schyrm und schutz, ... Das wort, merck, statt hot das off ym, Das eynigheit myt aller tzym In eyner statt behafft sol syn. 6 Chronik des Dietrich Westhoff von 750–1250, in: Die Chroniken der westfa¨lischen und niederrheini-

schen Sta¨dte: Dortmund, Neuß (ChrDtSt 20), Leipzig 1887, S. 226f. u. 242f.; dazu Wilfried Ehbrecht, Die Stadt und ihre Heiligen, Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Sta¨dte, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande, hg. v. Ellen Widder/Mark Mersiowsky/Peter Johanek, Bielefeld 1995, S. 242f. 7 Wie Anm. 1. 8 Wie men wol eyn statt regyrn sol. Didaktische Literatur und berufliche Schreiben des Johann von Soest, gen. Steinwert, hg. v. Heinz Dieter Heimann (Soester Beitra¨ge 48), Soest 1986, S. 23f.

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War das nyt ist, hot statt keyn schyn, Dan das wort statt heyst civitas, Quasi civium unitas. Das ist zu teutsch so vil gerett Als burgerlich vereynung stett. On welch vereynung nimmer mag Keyn statt beharren jar und tag. Solche eynigheit, dy kan nyt syn, Ess sy dann sach dar in gemeyn. („Eine Stadt ist eine Gemeinschaft in gegenseitiger Achtung und Freundschaft, fest und besta¨ndig. Darin lebt man mit Ehre und Nutzen, in Frieden, Tugend und Sicherheit ... Es ist zu merken, daß das Wort Stadt beinhaltet, daß Einigkeit, so wie es sich geho¨rt, in ihr herrschen soll. Wo immer das nicht gegeben ist, kann von Stadt nicht die Rede sein, denn das Wort ‚Stadt‘ heißt civitas, quasi civium uinitas, das bedeutet zu deutsch so viel wie Vereinigung von Bu¨rgern, und zwar eine besta¨ndige, dauerhafte. Ohne eine solche Vereinigung kann eine Stadt nicht ein Jahr existieren. Solche Einigkeit kann nicht zustande kommen, wenn sie dort nicht ein allgemeines Anliegen ist“).9 Diese von Johannes von Soest beschworene Eintracht aufrecht zu erhalten, ist auch Sache der sta¨dtischen Amtstra¨ger, vor allem des Bu¨rgermeisters. Der Go¨rlitzer Stadtschreiber Johannes Frauenburg, der selbst in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhundert zeitweise Ratsmann, Scho¨ppe und sogar Bu¨rgermeister gewesen ist, legte das folgendermaßen dar:10 Der Bu¨rgermeister soll achtung haben uff seine ratmanne, die das jar bi im sitzcen, das di alle fur einen man bi einander sitzcen in liebe und frundschafft und einikeit, und das einer gen dem andern eigenwillen noch heimlichen hass nicht tragen; und wo er das fu¨hlte, deme vorkommen noch seinem besten vermogen, domit di ratmanne nicht parteisch werden. Wenn do das uberhand nimpt, mag nichtis adir nutzbarliches ussgericht werden. Dieses eintra¨chtige Zusammenwirken der Ratsmannen wird nicht selten in einpra¨gsame Bilder gefaßt, so von Hermen Bote, der um 1500 in Braunschweig als Zollschreiber wirkte, in seiner „Staatslehre“, dem „Radbuch“, in dem die Symbolik aus den verschiedenen Funktionen des Rades und des Ra¨derwerks gewonnen wird. Die Eintracht – so sagt Hermen Bote – ist die festeste Mauer einer Stadt, und Zwie¨ berhebung einzelner Ratsmitglieder machen diese Eintracht tracht im Rat und die U zunichte. Nur wenn die vier Ra¨der am Wagen gleich hoch und gleich schwer sind, so la¨uft der Wagen leicht und dem Rad entsteht kein Schaden.11 9 Ich folge hier der U ¨ bersetzung Heimanns (wie Anm. 8) mit geringen A ¨ nderungen. 10 Richard Jecht, Die Pflichten eines mittelalterlichen Bu¨rgermeisters, in: Deutsche Geschichtsbla¨tter 10

(1909), S. 89–102, hier S. 91.

11 Hermen Botes Radbuch. Mit einer U ¨ bersetzung von Heinz-Lothar Worm, hg. v. Werner Wunderlich

(Litterae 105), Go¨ppingen 1985, S. 101; vgl. dazu Volker Honemann, Die Stadt bei Johannes Rothe und Hermann Bote, in: Hermann Bote. Sta¨dtisch-hansischer Autor in Braunschweig 1488–1988. Beitra¨ge zum Braunschweiger Bote-Kolloquium 1988, hg. v. Herbert Blume/Eberhard Rohse, Tu¨bingen 1991, S. 24–42, hier S. 30f.

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Solche gegenseitige Abha¨ngigkeit aller Beteiligten am Stadtregiment ließ sich selbstversta¨ndlich – und nun auf die gesamte sta¨dtische Gesellschaft bezogen – sehr einpra¨gsam in die ehrwu¨rdige Metapher vom Gemeinwesen als menschlicher Ko¨rper fassen, in die altbekannte Fabel des Menenius Agrippa aus der Ro¨mischen Geschichte des Livius, mit der er den Ausgleich im Konflikt zwischen Patriziern und Plebejern zu erreichen suchte.12 Johannes Rothe, der Stadtschreiber von Eisenach um die Wende des 14. zum 15. Jahrhundert, hat sie in seinen „Ratsgedichten“ aufgegriffen und jeder der bu¨rgerlichen Hantierungen, die er, wie Felix Fabri in seinem Traktat u¨ber Ulm, minutio¨s bescheibt, ihre Funktion zugewiesen: Die Kaufleute sind die Lunge, die Botenleute die Beine, die Fleischer, Fischer und Ba¨cker der Magen, die Brauer und Weinschenken Leber und Blase. Aus diesen ausfu¨hrlichen Darlegungen zieht er den Schluß, man ko¨nne daraus erkennen, daß eine gancze gemeyne stat / Eynes menschen glicheniße hat. / Darumme so sulde als an eym libe / Eyn igliches gelit sin ampt an tribe, / Vnd dem andern dienen zu aller frist, / Als ez dazu geschicket ist („daß eine sta¨dtische Gemeinde dem Leib des Menschen gleicht. Darum sollte, wie in einem Ko¨rper jedes Glied sein Amt wahrnehmen, fu¨r das es taugt“).13 In der Bu¨rgergemeinde der Stadt soll demnach jeder das Amt wahrnehmen, fu¨r das er taugt; wo das nicht geschieht, „geht die Stadt auf dem Kopf“, will sagen: dort geht es verkehrt zu. Johannes Rothe ist der erste mittelalterliche Autor, der in der volkssprachigen Literatur dieses auf der altro¨mischen Fabel beruhende Modell des Gemeinwesens aus dem Kontext der monarchischen Fu¨rstenlehre gelo¨st und auf die Stadt angewendet, sie als Organismus beschrieben, eine Theorie der Stadt entworfen hat.14 Gegen das Jahr 1400, just in der Zeit, als der ulmische Schwo¨rbrief eine Balance der politischen Kra¨fte fu¨r die Verfassungspraxis versuchte, begann man demnach in Deutschland sich der Verfassung der Stadt, jenes im 12. und 13. Jahrhundert neu entstandenen Sozialgebildes, begrifflich zu bema¨chtigen. Man tat es mit dem Ru¨stzeug und den Modellen, die fu¨r den Fu¨rstenstaat entwickelt worden waren, mit Anleihen aus den Fu¨rstenspiegeln, die ihrerseits auf die antike Literatur und die Patristik zugriffen. Johannes Rothe und manche anderen Autoren ko¨nnen als Beispiel dafu¨r stehen. Man arbeitete daru¨ber hinaus mit dem Ru¨stzeug des ro¨mischen Rechts, wie etwa Nikolaus Wurm mit seinem Rechtsbuch fu¨r die schlesische Stadt Liegnitz.15 Auch suchte man nun – und dies immer ha¨ufiger – die Auseinandersetzung mit der ¨ bersetzunSchrift des Aristoteles u¨ber die Politik, die in verschiedenen lateinischen U 16 gen umlief und an den Universita¨ten reich kommentiert wurde. Der Ru¨ckgriff auf 12 Zur mittelalterlichen Tradition dieser Vorstellung vgl. Tilman Struve, Die Entwicklung der organo-

logischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978.

13 Johannes Rothes Ratsgeschichte, hg. v. Herbert Wolf (Texte des spa¨ten Mittelalters 25), Berlin 1971,

F 275–282; vgl. dazu Honemann, Stadt (wie Anm. 11), S. 27–28.

14 Vgl. Honemann, Stadt (wie Anm. 11), S. 29f. 15 Hans-Jo¨rg Leuchte, Das Liegnitzer Stadtrechtsbuch des Nikolaus Wurm. Hintergrund, U ¨ berliefe-

rung und Edition eines schlesischen Rechtsdenkmals (Quellen und Darstellungen zur Schlesischen Geschichte 25), Sigmaringen 1990. 16 Christoph Flu ¨ eler, Rezeption und Interpretation der aristotelischen Politica im spa¨ten Mittelalter, 2 Bde., Amsterdam [u. a.] 1992. Zugl. Diss. Fribourg 1990; vgl. auch Ulrich Meier, Mensch und Bu¨rger. Die Stadt im Denken spa¨tmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen, Mu¨nchen 1994, bes. Kap. III, S. 63ff.

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das Gedankengut der aristotelischen Politikschrift und die Auseinandersetzung mit ihren Maximen beschra¨nkte sich nun auch nicht mehr auf Kleriker und Ordensleute wie Felix Fabri oder Gelehrte der Universita¨t wie Johannes von Soest, sondern auch Ma¨nner der administrativen Praxis der Sta¨dte, wie Johannes Rothe, Johannes Frauenburg, Hermen Bote und andere haben Anteil daran. Diese theoretische Bescha¨ftigung mit der sta¨dtischen Verfassung vollzog sich auch nicht als abgehobene, vom Tagesgescha¨ft gelo¨ste Betrachtung, procul negotiis in den Mußestunden dieser Praktiker, sondern sie fließt offenkundig in die Verwaltungspraxis selbst ein. Die gleiche Hand, die in einem Codex des Go¨rlitzer Rates Scho¨ffenspru¨che und Pra¨zedenzfa¨lle des sta¨dtischen Rechtslebens notierte, trug nur einige Seiten spa¨ter Exzerpte aus der Politeia des Aristoteles ein, Kernsa¨tze wie: Civitas est quedam civium multitudo (die Stadt ist eine gewisse Menge von Bu¨rgern) oder Civitas non est una propter eosdem muros sed una propter policiam siue amiciciam (die Stadt ist eine Einheit, nicht wegen ihrer Mauern, sondern wegen des einvernehmlichen Zusammenwirkens).17 Praxis sta¨dtischer Amtsfu¨hrung und theoretische Begriffsbildung greifen in solchen Aufzeichnungen ineinander. Die Stadt wird als Sozialko¨rper definiert. Dieser wird bestimmt durch die politischen Beziehungen seiner Glieder zueinander, die Glieder selbst werden zusammengeschlossen durch ein sie einendes Band: die Gemeinde. Dieser Vorgang der Bewußtseinsbildung vollzieht sich in ganz verschiedenen Milieus, in Reichssta¨dten ebenso wie in landesherrlichen Sta¨dten, mit mehr oder minder großem Spielraum der jeweiligen sta¨dtischen Gemeinde gegenu¨ber dem Stadtherrn. Das alles ist nicht unwichtig fu¨r die politische Kultur der deutschen Sta¨dtelandschaft des ausgehenden Mittelalters, die im allgemeinen ihre freiheitliche Stadtverfassung als ein vom Herrscher oder Fu¨rsten verliehenes Privileg begriff.18 Die sie alle verbindende Maxime haben die Lu¨becker als Inschrift auf ihr Holstentor gesetzt: Concordia domi – foris pax (Eintracht zuhause d. h. in der Stadt – Friede außerhalb der Mauern).19 Die harmonia civitatis ist der zentrale Wert in den Zielsetzungen sta¨dtischer Politik des spa¨teren Mittelalters, so kann ein erstes Fazit lauten. Doch diese Einigkeit war instabil, fragil, besta¨ndig bedroht. Das bringen bereits die Verse des Johannes Rothe zum Ausdruck, und der Ulmer Schwo¨rbrief von 1397 weiß von Zwietracht und Aufruhr zu berichten, die weit u¨ber jene Gefahren hinausweisen, die die Uneinigkeit von Ratsmannen mit sich bringen konnte. In der Tat, liest man die sta¨dtischen Chroniken, die die Verlaufsgeschichte sta¨dtischer Vergangenheit spiegeln, so stehen neben dem Widerstand der Sta¨dte gegen die Fu¨rsten, neben der Abwehr des Adels und seiner Fehdeta¨tigkeit, immer wieder sta¨dtische Konflikte des spa¨teren Mittelalters von 17 Breslau/Wrocław, Biblioteka Uniwersitecka, Mil. II 190 (fru¨her Go¨rlitz, Ratsarchiv, Varia 4), fol 262r;

vgl. zur Handschrift Ulrich-Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbu¨cher des Mittelalters, Bd. II, Ko¨ln/ Wien 1990, S. 414, Nr. 274, mit Lit. 18 Vgl. Klaus Schreiner, Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalismus. Typus, Legitimita¨t, Kulturbedeutung, in: Max Weber, der Historiker, hg. v. Ju¨rgen Kocka (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 73), Go¨ttingen 1986, S. 119–150, hier S. 141. 19 Vgl. Hartmut Boockmann, Die Stadt im spa¨ten Mittelalter, Mu¨nchen 21987, S. 45, Abb. 62; dazu Wulf Schadendorf, Das Holstentor. Symbol der Stadt. Gestalt, Geschichte und Herkunft des Lu¨becker Tores, hg. v. Peter K. Martin, Lu¨beck, Hamburg [1978].

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etwa 1300 bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Berichterstattung. Auch vor diesem Zeitpunkt ging es nicht friedlich zu in der Stadt, doch lassen sich die Unruhen des 12. und 13. Jahrhunderts eher als Periode der Emanzipation der Bu¨rgergemeinde aus der Herrschaft des Stadtherrn begreifen, als Herstellung jenes Spielraums, von dem die Rede war oder als der Erringung weitgehender Autonomie. Hier aber muß es nun um die Konflikte gehen, die sich zwischen den innersta¨dtischen Gruppen entzu¨ndeten, zwischen den Gliedern des Stadtko¨rpers, deren friedliches Zusammenwirken das Grundpostulat sta¨dtischer Verfassung bildete. Die erza¨hlenden Quellen sind voll von Schilderungen solcher Konflikte. Manche historiographischen Zeugnisse aus den Sta¨dten verdanken sich ausschließlich solchen Konflikten, tragen den Charakter von Denk- oder Rechtfertigungsschriften, oder sie dienen der politischen Propaganda, vor allem, wenn sie in Lied- oder Spruchform gegossen sind. Besonders die großen Chroniken des hansischen Bereichs, deren Berichtshorizont weit u¨ber die eigenen Mauern hinaus sich weitet, wie etwa die Saxonia und die Wandalia des Hamburger Ratssyndikus Albert Krantz aus der Zeit kurz nach 1500 oder schon die Lu¨becker Rufus-Chronik und die Magdeburger Scho¨ppenchronik, bieten denn auch ein Tableau des Unfriedens, eine einzige historia calamitatum sta¨dtischer Unruhen. Zwietracht, Nichtfriede und Uneinigkeit erscheinen als Signatur sta¨dtischer Politik und sta¨dtischer Geschichte. So gilt denn auch das spa¨tere Mittelalter, das Mittelalter der Stadtkultur, als Zeit der Unruhe und des Konflikts seit es eine wissenschaftliche und eine auf wissenschaftlicher Forschung beruhende Stadtgeschichtsschreibung gibt, die auch den Versuch einer Periodisierung unternahm, d. h. seit dem 19. Jahrhundert, das ja auch das Mittelalter insgesamt wieder als ein Zeitalter entdeckte, das der eigenen Gegenwart etwas zu sagen hatte.20 Gustav Freytag hat diese Anschauungen u¨ber die sta¨dtische Geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts in seinen vielgelesenen „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“ pra¨gnant zusammengefaßt in einem oft zitierten Abschnitt, der gleichwohl auch hier angefu¨hrt sei, da er das Bild von dieser Zeit im Geschichtsbewußtsein der Deutschen fu¨r lange Zeit gepra¨gt und festgeschrieben hat, bis in die Auseinandersetzungen unserer Tage hinein:21 „Kaum eine Stadt auf deutschem Boden, in welcher nicht Bu¨rgerkrieg die Straßen blutig fa¨rbte und die Rathsstu¨hle umwarf; in den meisten Stadtmauern wechselten wilde Aufsta¨nde und erzwungene Theilnahme der Handwerksmeister am Rath, ga¨nzlicher Ausschluß der Geschlechter von der Regierung und kurze Zeiten einer patricischen Reaction. Aus diesen inneren Ka¨mpfen erwuchs eine gemischte Verfassung, welche den Innungsgenossen eine Theilnahme am Scho¨ppengericht und der Verwaltung sicherte, den Geschlechtern doch den Haupttheil der Gescha¨fte u¨berließ, aber mit dem Gefu¨hl gro¨ßerer Verantwortlichkeit“.

20 Vgl. zu diesem Komplex nur Klaus Schreiner, „Kommunebewegung“ und „Zunftrevolution“.

Zur Gegenwart der mittelalterlichen Stadt im historisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. Festschrift fu¨r Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz Quarthal/Wilfried Setzler, Sigmaringen 1980, S. 139–168. 21 Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 2. Bd., 1. Abt.: Vom Mittelalter zur Neuzeit (Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe, 2.4), Leipzig/Berlin o. J., S. 116; dazu Schreiner, „Kommunebewegung“ (wie Anm. 20), S. 157f.

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Gustav Freytag zeichnet die Kontrahenten holzschnittartig. Hier, auf der einen Seite, ein adeliges Patriziat, das die Machtausu¨bung in den Ha¨nden ha¨lt, dort, auf der anderen, die bu¨rgerlichen Zunfthandwerker, die gegen diesen Zustand revoltieren. „Zeitalter der Zunftka¨mpfe“, ja „Zunftrevolutionen“, ist denn auch das Etikett, mit dem man jene Jahrhunderte zu kennzeichnen suchte. Auf die Betrachter der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat offenbar dieser Gegensatz von Adel und Bu¨rgertum einen eigentu¨mlichen Reiz ausgeu¨bt. Die wissenschaftlichen Bemu¨hungen des fru¨hen 19. Jahrhunderts um die mittelalterliche Stadt galten ganz allgemein den Urspru¨ngen und Traditionen sta¨dtischer Freiheit, wie sie etwa Carl Friedrich Eichhorn in seiner „Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte“ zu beschreiben unternahm.22 Hier festigte sich die Anschauung vom Vorrang der mittelalterlichen Reichs- und Hansesta¨dte, die ihre Freiheiten fu¨rstlicher Herrschaft abgetrotzt und ihre wirtschaftliche Geltung auf der Grundlage bu¨rgerlicher Tugenden und bu¨rgerlichen Gewerbsfleißes erlangt hatten, vor den Residenzsta¨dten, die in den fu¨rstlichen Territorien der fru¨hen Neuzeit unter fu¨rstlicher Fu¨rsorge entstanden und aufgeblu¨ht waren. Das erzeugte die Stimmung, in der Friedrich Wilhelm Barthold, ein 1799 geborener, wa¨hrend der napoleonischen Zeit aufgewachsener Professor der Geschichte an der Universita¨t zu Greifswald, im Jahre 1850 den Satz niederschrieb:23 „Aus Liebe zu seinen geschichtlichen Sta¨dten durchwanderte ich Deutschland, und weilte, innerlicher befriedigt, in Lu¨beck, Danzig, Soest, Braunschweig, Nu¨rnberg oder Mainz, als in Dresden, Potsdam, Mu¨nchen, Kassel oder Karlsruhe“. Hanse- und Handelsstadt steht hier gegen fu¨rstliche Residenz, und Barthold setzte diese Aussage in die Einleitung seiner „Geschichte der deutschen Sta¨dte und des deutschen Bu¨rgerthums“, die wiederum den Teil eines großen historischen Sammelwerkes bildete mit dem Titel „Das deutsche Volk in Vergangenheit und Gegenwart“ mit einem Zusatz, der fast wie eine Widmung wirkt: „Der Zukunft“. Hier bietet sich demnach politische Pa¨dagogik dar, die die Geschichte der Sta¨dtefreiheit, ihrer Entwicklung und ihrer Wandlungen, vor allem die Ka¨mpfe, unter denen sie errungen wurde, als historisches Exempel den Lesern des 19. Jahrhunderts vor Augen stellte. Mit diesem Werke Bartholds, wie mit der fast gleichzeitig erscheinenden „Verfassungsgeschichte der deutschen Freista¨dte“ von Wilhelm Arnold, setzt die intensivere Bescha¨ftigung mit den „Zunftrevolutionen“ in den deutschen Sta¨dten ein. Das Datum 1850 ist gewiß kein Zufall; es liegt zwei Jahre nach der mißglu¨ckten Revolution von 1848, in der es um die Konstitution, um die bu¨rgerliche Verfassung gegangen war. An jenem Punkt seines Werks, an dem

22 Carl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. III, Go¨ttingen, 31843; dazu

¨ ber den Ursprung der sta¨dtischen Verfassung in Deutschland, in: Zeitschrift auch sein Aufsatz: U fu¨r geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815), S. 147–247; 2 (1816), S. 165–237; dazu Schreiner, „Kommunebewegung“ (wie Anm. 20), S. 144f.; Peter Johanek, Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff, Darmstadt 1992, S. 81–202, hier S. 95. 23 Friedrich Wilhelm Barthold, Geschichte der deutschen Sta¨dte und des deutschen Bu¨rgerthums, 1. Theil: Vom Ursprunge deutscher Sta¨dte bis gegen den Schluß des 12. Jahrhunderts, Leipzig 1850 (Das deutsche Volk, dargestellt in Vergangenheit und Gegenwart zur Begru¨ndung der Zukunft IV) Leipzig 1850, S. Vf.

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Arnold auf das „Wesen der Zunftunruhen“ zu sprechen kommt, schreibt er sein politisches Credo nieder:24 „Es ist eine im politischen Leben aller Freistaaten wiederkeh¨ berwindung rende Erscheinung, daß die aristokratische Verfassung, die erst aus der U der monarchischen hervorgeht, nach la¨ngerer oder ku¨rzerer Zeit einer demokratischen weichen muß.“ Die Zunftbewegungen in den mittelalterlichen Sta¨dten waren fu¨r Arnold der „Abschluß der sta¨dtischen Verfassung“, mit ihnen war sozusagen der ho¨chste Reifegrad der politischen Entwicklung des Bu¨rgertums jener Zeit erreicht. Auch Friedrich Wilhelm Barthold dachte so, wenn er seinerseits das Fazit zog:25 „So tief lag der Drang zur demokratischen Umbildung im Wesen jener Zeit“ – d. h. des 14. Jahrhunderts –, „daß auch Nu¨rnberg und als letzte Großstadt des Reichs auch Ko¨ln sich seiner nicht erwehrten“. Es sind diese beiden Sta¨dte, die hervorgehoben werden, da sie das sta¨rkste Patriziat im deutschen Sta¨dtewesen aufzuweisen hatten. Es geht diesen Autoren des 19. Jahrhunderts um die Entstehung der Demokratie aus der Revolution des Bu¨rgertums. Was ihnen die eigene Gegenwart versagt hatte, suchten sie in der Geschichte, im fernen Spiegel des 14. und 15. Jahrhunderts. Das hat Folgen gehabt, in der historischen Wissenschaft wie im allgemeinen Geschichtsbild. Es la¨ßt sich nicht leugnen, daß die Sicht Arnolds und Bartholds, die bestimmt wurde durch die Revolutionszeit von 1848, ihre Kraft behalten hat, zumal noch einmal in der Wissenschaftsgeschichte ein a¨hnlicher Anstoß erfolgte und wiederum von außen, aus der politischen Spha¨re heraus. Es versteht sich, daß die marxistische Geschichtswissenschaft mit ihrem grundlegendem Axiom, die Geschichte als eine Abfolge von Klassenka¨mpfen zu betrachten, sich nach ihrer Etablierung in der DDR des Themas angenommen hat und eine lange Reihe von Studien hervorbrachte, die den Charakter der sta¨dtischen Auseinandersetzung des 14. und 15. Jahrhunderts in ganz Europa na¨her zu bestimmen suchte. Es entstand vor allem in den fu¨nfziger und sechziger Jahren eine ganze Reihe von materialreichen Studien, verbunden mit grundsa¨tzlichen, auch innerhalb der marxistischen Diskussion durchaus kontroversen Grundsatzu¨berlegungen26, die auch auf die Geschichtsforschung der Bundesrepublik anregend gewirkt haben. Doch nicht diese konzentrierte Anstrengung der DDR-Media¨vistik selbst wurde in der Bundesrepublik als Herausforderung zu inten¨ ußerung des siverer Bescha¨ftigung mit dem Thema empfunden, sondern es war eine A Bundespra¨sidenten Gustav Heinemann, die hier Wandel schuf. Er forderte Anfang der siebziger Jahre – durchaus in Reaktion auf das Bestreben der DDR-Fu¨hrung, Unruhen des Mittelalters und den deutschen Bauernkrieg zum Baustein der eigenen, auf Geschichte gegru¨ndeten staatlichen Traditionsbildung zu machen – dazu auf, den „Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“ gro¨ßere Aufmerksamkeit zu ¨ ußerung fiel in eine Zeit, die sich nach einer Phase tumultartiger schenken.27 Diese A 24 Wilhelm Arnold, Verfassungsgeschichte der deutschen Freista¨dte, im Anschluß an die Verfassungs-

geschichte der Stadt Worms, Bd. II, Gotha 1854, S. 291f.

25 Barthold, Geschichte der deutschen Sta¨dte (wie Anm. 23), Bd. 4, S. 71. 26 Vgl. Evamaria Engel, Stadtgeschichtsforschung zum Mittelalter in der DDR – Ergebnisse, Probleme,

Perspektiven, in: Stadtgeschichtsforschung. Aspekte, Tendenzen, Perspektiven, hg. v. Fritz Mayrhofer, Linz 1993, S. 81–99, hier S. 85–92. 27 Gustav Heinemann, Reden und Interviews 1. Juli 1973–1. Juli 1974, hg. v. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, [Bonn] 1974, S. 169.

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Auseinandersetzungen an den Universita¨ten und anderwa¨rts in einer Aufbruchstimmung, im Vollzug eines vermuteten gesellschaftlichen Machtwechsels befand. Hatten zuvor nur vereinzelte Forscher, wie etwa Erich Maschke28, sich der Thematik im Rahmen der allgemeinen Stadtgeschichte angenommen, so wurde nun eine ganze Generation von Stadthistorikern und interessierten Laien – wie schon im 19. Jahrhundert – dazu angeregt, die Aufsta¨nde und Konflikte der sta¨dtischen Welt des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit zu ihrem Untersuchungsfeld zu machen. Auch in diesem Falle ist eine reiche, in der Materialaufarbeitung dichte und in den Interpretationen innovative wissenschaftliche Literatur entstanden, deren Ertrag hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen ist.29 Doch das Entscheidende dieser Bemu¨hungen um die Erforschung der Auseinandersetzungen der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen in der mittelalterlichen Stadt um die Gestaltung der sta¨dtischen Verfassung war, daß man den „Konflikt“ als Grundkategorie sta¨dtischer Sozialgeschichte zu erkennen meinte.30 Konzipiert wurde damit sozusagen eine sta¨dtische Verfassungsgeschichte auf sozialgeschichtlicher Basis, verstanden als Geschichte des Konflikts, eine Geschichtsschreibung, die sich nicht an der zentralen Kategorie des Wertesystems sta¨dtischer Politik im Mittelalter orientierte – an der Eintracht, der concordia domi, der harmonia civitatis –, sondern am empirischen Befund der oft tumultuarisch verlaufenden Ereignisgeschichte, in der sich nach Gustav Freytags Worten die Straßen der Sta¨dte blutig fa¨rbten und Ratsstu¨hle umgeworfen wurden. Wie wichtig die Kategorie des Konflikts der Forschung und der historischen Darstellung wurde, ersieht man schon daraus, daß eines der prominenten Handbu¨cher zur deutschen Geschichte einen eigenen Band den Unruhen in der sta¨ndischen Gesellschaft von 1300 bis 1800 gewidmet hat.31 Der Geschichte innersta¨dtischer Konflikte des Mittelalters kommt – so wird man resu¨mieren du¨rfen – fu¨r die Geschichte der Demokratie im Bewußtsein des 19. Jahrhunderts und dem unserer eigenen Zeit ein hoher Stellenwert zu. Entwicklung zur Demokratie scheint ablesbar an der Intensita¨t innersta¨dtischer Konflikthandlungen. ¨ berpru¨fung. Das ist im Eine solche Feststellung bedarf in ihrer Zuspitzung der U Rahmen eines kurzen oder auch la¨ngeren Beitrags nicht recht mo¨glich, doch du¨rfte ein Blick auf die Befunde der Forschung nu¨tzlich sein, die sich bemu¨ht hat, die Vielfalt dieser Konflikte und ihrer Verla¨ufe auf den Begriff zu bringen, eben jener Konflikte, die das 19. Jahrhundert als Zunftrevolutionen bezeichnete und fu¨r die heute

28 Erich Maschke, Verfassung und soziale Kra¨fte in der deutschen Stadt des spa¨ten Mittelalters, vor-

nehmlich in Oberdeutschland, in: VSWG 46 (1959), S. 289–349, 433–476, ND in: ders., Sta¨dte und Menschen. Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft und Gesellschaft 1954–1977 (VSWG, Beiheft 68), Wiesbaden 1980, S. 170–274; dieser Aufsatz, der im Grundsatz seine Entstehung den Forschungen Maschkes zur sozialen Schichtung verdankt, ist fu¨r viele der spa¨teren Arbeiten zum Ausgangspunkt geworden. 29 Vgl. nur die kurze Zusammenfassung bei Peter Blickle, Unruhen in der sta¨ndischen Gesellschaft 1300–1800 (Enzyklopa¨die deutscher Geschichte 1), Mu¨nchen 1988, S. 52–58, wo allerdings die außerwissenschaftlichen Impulse nicht zur Sprache kommen. 30 Beispielhaft etwa Olaf Mo ¨ rke, Der „Konflikt“ als Kategorie sta¨dtischer Sozialgeschichte der Reformationszeit. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel der Stadt Braunschweig, in: Beitra¨ge zum spa¨tmittelalterlichen Sta¨dtewesen, hg. v. Bernhard Diestelkamp (StF A 12), Ko¨ln/Wien 1982, S. 144–161. 31 Wie Anm. 29.

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der von Karl Czok gepra¨gte Begriff „Bu¨rgerka¨mpfe“ u¨blich geworden ist.32 Bereits darin liegt eine Verschiebung der Sicht, und es wird darauf zuru¨ckzukommen sein. Die Chroniken des ausgehenden Mittelalters lassen die innersta¨dtischen Konflikte stark hervortreten, und es war bereits von einer historia calamitatum die Rede. Auch die praktische Politik der Sta¨dte hat sie offenbar als sta¨ndig pra¨sentes Pha¨nomen, und zwar als Bedrohung sta¨dtischer Handlungsfa¨higkeit betrachtet. Wie denn Aufrhur das gewisseste Mittel ist, dadurch Stedte zerrissen und verwu¨stet werden, meint der Hamburger Ratssyndikus Albert Krantz in seiner „Saxonia“.33 Deutlich wird das auch in dem Bestreben, Nachbarsta¨dte oder Bu¨ndnispartner in Sta¨dtebu¨nden an der innersta¨dtischen Konfliktregelung von Einzelsta¨dten zu beteiligen. Der Bund der vier wetterauischen Reichssta¨dte etwa legte im Jahr 1340 fest, daß bei uffloufe und zweyunge, die in dysen vyer steden undir iren burgern entstu¨nden, Schiedsrichter aus den anderen Bundessta¨dten ta¨tig werden sollten.34 Im hansischen Bereich hat dies sogar zu Versuchen gefu¨hrt, solche Konflikte durch gemeinsames Handeln im Hanseverband unter Kontrolle zu bringen und auf die Urheber und Tra¨ger der Unruhen durch Zwangsmaßnahmen Druck auszuu¨ben, ja sie zu kriminalisieren. Fu¨r die Hansesta¨dte, die 1447 zu Lu¨beck ein Schutzbu¨ndnis auf zehn Jahre schlossen, waren die Urheber solcher Konflikte etlike vorkarde lude, die danach trachteten, twidracht, vploep vnde vorstoringe der stede redere in den steden menen to donde.35 Im Zusammenhang dieser Urkunde erscheinen die gewaltsamen Konfliktaustragungen innerhalb der Sta¨dte als etwas, das ebenso zur sta¨ndigen Realita¨t des sta¨ndepolitischen Alltags geho¨rt wie die Bedrohung durch Repressionen des Landesherrn und die Fehdeta¨tigkeit des Adels, die ebenfalls Gegenstand des Schutzbu¨ndnisses sind. Die Aussagen der Chroniken wie der Aktenstu¨cke stimmen demnach u¨berein im Bild von der Omnipra¨senz des Konflikts in der Stadt.36

32 Zuerst in Karl Czok, Zunftka¨mpfe, Zunftrevolutionen oder Bu¨rgerka¨mpfe, in: Wiss. Zeitschrift

der Karl-Marx-Universita¨t Leipzig. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 8 (1958/59), S. 129–143; ausfu¨hrlich begru¨ndet in ders., Sta¨dtische Volksbewegungen im deutschen Spa¨tmittelalter. Ein Beitrag zu Bu¨rgerka¨mpfen und innersta¨dtischen Bewegungen wa¨hrend der fru¨hbu¨rgerlichen Revolution, Habil.Schrift phil. (masch.), Leipzig 1963; rezipiert v. a. ders., Die Bu¨rgerka¨mpfe in Su¨dund Westdeutschland im 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch fu¨r Geschichte der oberdeutschen Reichssta¨dte 12/13 (1966/67), S. 40–72. 33 Albert Krantz, Saxonia, u¨bers. v. Basilius Faber, Leipzig 1582, S. 272 b; benutzt wurde das Exemplar des LWL–Landesmuseums f. Kunst u. Kulturgeschichte, Mu¨nster, D2 o 4203; vgl. Heinz Stoob, Albert Krantz (1448–1517). Ein Gelehrter, Geistlicher und hansischer Syndikus zwischen den Zeiten, in: Hans Gbll 100 (1982), S. 87–109. 34 Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus – Urkundenbuch der Reichsstadt Frankfurt, hg. v. Johann Friedrich Boehmer, Neubearb. v. Friedrich Lau, Bd. II, 1314–1340, Frankfurt a. M. 1905, Nr. 716, S. 529–530, hier S. 530. 35 Urkundenbuch der Stadt Lu¨beck, Bd. VIII, Nr. 437, S. 481; dazu Wilfried Ehbrecht, Hanse und spa¨tmittelalterliche Bu¨rgerka¨mpfe in Niedersachsen und Westfalen, in: NdsJb 48 (1976), S. 77–105, bes. S. 77–80. 36 Den Forschungsstand zu den Stadtkonflikten insgesamt fassen derzeit am besten zusammen: Blickle, Unruhen (wie Anm. 29); Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spa¨tmittelalter 1250–1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 190–198; Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters, Mu¨nchen 1993, S. 117–141; Michael Borgolte, Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit, Mu¨nchen 1996 (HZ,

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Die stadtgeschichtliche Forschung hat etwa 210 solcher Konflikte zwischen dem ausgehenden 13. Jahrhundert und 1500 fu¨r das Gebiet des Reichs konstatiert, von denen etwa vierzig Sta¨dte betroffen waren.37 Das ist eine hohe Zahl, aber man muß sich doch klarmachen, daß es in Mitteleuropa – und das meint nun auch den Einschluß Ostmitteleuropas mit seinen deutschrechtlichen Sta¨dten – um das Jahr 1330 etwa 3800 Sta¨dte gab und um 1450 rund 5000.38 Die gewaltsam ausgetragenen innersta¨dtischen Konflikte betrafen somit nur eine relativ kleine Zahl von Sta¨dten, selbst wenn sicherlich davon auszugehen ist, daß nicht alle diese Ereignisse in den Quellen faßbar werden, jedenfalls nicht in ihrem pra¨zisen Verlauf und in der Frequenz der gewaltsamen Eruptionen. In Ulm beispielsweise, wo fu¨r das Mittelalter eine dichte ¨ berlieferung fehlt, wie sie fu¨r Augsburg, Nu¨rnberg, Straßburg oder chronikalische U Ko¨ln vorliegt, berichtet der Schwo¨rbrief von 1397 zwar von ufloffe, zwitracht und stoss, aber die wenigen chronikalischen Notizen, die man etwa fu¨r die Vorga¨nge des zweiten Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts zur Verfu¨gung hat, lassen mehr im Dunkeln als sie enthu¨llen, und zu einem plausiblen Bild der Vorga¨nge ist nur schwer vorzustoßen.39 Wie dem auch immer sei, es scheint offenkundig, daß Aufruhr und gewaltsamer Konflikt sich u¨berwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, in den großen Sta¨dten und großen Mittelsta¨dten abgespielt haben und daß sie vor allem dort ha¨ufig, ja in der Regel zu Konsequenzen im Verfassungsgefu¨ge fu¨hrten. Hier war ganz ohne Frage das Konfliktpotential in einer Zeit, die von heftigen demographischen Umbru¨chen, starken wirtschaftlichen Wechsellagen, von politischen und zuletzt im beginnenden Reformationszeitalter von religio¨sen Herausforderungen gekennzeichnet war, besonders groß. Das heißt selbstversta¨ndlich nicht, daß es nicht auch in kleineren Sta¨dten zu Auseinandersetzungen kam, denen Zu¨ge dessen eigneten, was sich in den gro¨ßeren Sta¨dten abspielte. So kam es beispielsweise 1493 in Korbach zu einer Ver-

¨ berlegungen zu einer TypoBeiheft 22), S. 249ff.; Wilfried Ehbrecht, Stadtkonflikte um 1300. U logie, in: Schicht – Protest – Revolution in Braunschweig 1292–1947/48, hg. v. Birgit Pohlmann/ Annette Boldt-Stu¨lzebach (BraunschwW A 89), Braunschweig 1995, S. 11–25; ders., Eintracht und Zwietracht. Ursache, Anlaß, Verlauf und Wirkung von Stadtkonflikten, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500, hg. v. Matthias Puhle, Magdeburg 1996, S. 298–321. 37 Vgl. die Zusammenstellung bei Erich Maschke, Deutsche Sta¨dte am Ausgang des Mittelalters, in: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. v. Wilhelm Rausch (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 3), Linz 1974, S. 1–44, S. 40, Anm. 206; Wiederabdruck in: ders., Sta¨dte und Menschen (wie Anm. 28), S. 56–99, hier S. 95; aufgegriffen von Isenmann, Stadt im Spa¨tmittelalter (wie Anm. 36), S. 190. Die von Maschke genannten Zahlen sind Mindestzahlen, insgesamt ist die Gesamtzahl der Konflikte wie auch der betroffenen Sta¨dte wohl wesentlich ho¨her, so fehlen in Maschkes Liste z. B. die Sta¨dte Bunzlau, Goslar, Helmstedt, Hildesheim, Jauer, Kamenz, Korbach, Osnabru¨ck, Stendal, Wetzlar, vgl. dazu auch Ehbrecht, Hanse u. spa¨tmittelalterliche Bu¨rgerka¨mpfe (wie Anm. 35), S. 88f.; ders. Stadtkonflikt (wie Anm. 36), S. 20, sowie Graus, Pest – Geißler – Judenmorde (wie Anm. 45), S. 403f. 38 Heinz Stoob, Stadtformen und sta¨dtisches Leben im spa¨ten Mittelalter, in: Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, Ko¨ln/Wien 21985, S. 151–190, hier S. 151–153. 39 Vgl. Christian Keitel, Sta¨dtische Bevo¨lkerung und Stadtregiment bis 1397, in: 600 Jahre großer Schwo¨rbrief (wie Anm. 1), S. 87–118, hier S. 96–103.

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schwo¨rung gegen den Rat, an der man 120 Bu¨rger beteiligt wa¨hnte und bei na¨herer Untersuchung und auf die Aufforderung hin, einen allgemeinen Bu¨rgereid zu leisten, ergriffen verschiedene Bu¨rger die Flucht.40 Auch im schlesischen Jauer wurde 1516 eine Verschwo¨rung aufgedeckt und wurden die Anfu¨hrer vom Rat gefangen gesetzt. Diese wurden durch einen Aufstand der Innungen, der geswornen handwergksmeyster aller gewerk, der gemeynen leutte, des po¨wells befreit, doch konnte der Rat mit Hilfe des Landesherrn diese Bewegung niederschlagen, und einige der Anfu¨hrer wur¨ berden hingerichtet, andere bestraft.41 Es ist sicher nur der geringeren Dichte der U lieferung in den kleineren Sta¨dten zuzuschreiben, daß fu¨r sie u¨ber Auseinandersetzungen vergleichbarer Art nur wenig bekannt ist und es ha¨ufig bei Andeutungen verbleibt, es ha¨tten allerleye schelinge zwischen Rat und Gilden gegeben.42 Doch ha¨lt man sich vor Augen, daß eben auch in Ulm der Schwo¨rbrief nur von ufloffe, zwitracht und stoss berichtet, die sich nicht na¨her beschreiben lassen, dann wird deutlich, wie wenig im Grunde u¨ber die Verbreitung, Intensita¨t und Tiefenwirkung dieser sozialen Vorga¨nge des sta¨dtischen Spa¨tmittelalters bekannt ist. Gleichwohl liegt auf der Hand, daß den Vorga¨ngen in den großen und mittelgroßen Sta¨dten eine Exempelfunktion zukam, daß in ihnen die Verlaufsformen und Modelle der Konflikte sich ausformten und ihre Auswirkungen auf die sta¨dtische Verfassungsentwicklung dort am deutlichsten faßbar werden. Das Material, das die Forschung bislang zusammengetragen hat, la¨ßt auch erkennen, daß es in den rund zweieinhalb Jahrhunderten zwischen dem Ausgang des 13. Jahrhunderts und der Reformationszeit zu bestimmten Zeiten zu Ha¨ufungen des Konfliktgeschehens kam. Das ist der Fall in den Jahren um 1330 und 1370, sta¨rker noch ha¨uften sich die Konflikte im ersten und im dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts und dann wieder seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts bis 1530.43 Im Mittelpunkt der Konflikte und Unruhen in der mittelalterlichen Stadt stand stets der Rat. Zwar richten sich innersta¨dtischer Unmut und innersta¨dtische Gewalt

40 Vgl. Wolfgang Medding, Korbach. Die Geschichte einer deutschen Stadt, Korbach 1955, S. 91,

nach Konrad Kluppels Chronik, in: Waldecker Chroniken, hg. v. Paul Ju¨rges/Albert Leiss/Wilhelm Dersch (VHKomm Hessen u. Waldeck VII, 2), Marburg 1914, S. 64. 41 Johannes Halbsguth, Bericht des Stadtschreibers Christoff Hertwigk u¨ber den Aufstand des „gemeinen Mannes“ in Jauer im Jahre 1516, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte Schlesiens 70 (1936), S. 207–223. 42 So z. B. in Lemgo im Kerbschnittsbrief aus der Mitte des 14. Jahrhunderts vgl. dazu Jo¨rg Michael Rothe, Die „veyr hoipen“ – Zur Verfassungs- und Sozialgeschichte Lemgos im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, in: 800 Jahre Lemgo. Aspekte der Stadtgeschichte, hg. v. Peter Johanek/Herbert Sto¨wer, Lemgo 1990, S. 115–140, hier S. 116. 43 Vgl. dazu bereits die Tabelle bei Maschke, Deutsche Sta¨dte (wie Anm. 37), sowie auf breiterer Mate¨ bergang vom Mitrialbasis Wilfried Ehbrecht, Form und Bedeutung innersta¨dtischer Ka¨mpfe am U telalter zur Neuzeit: Minden 1405–1535, in: Sta¨dtische Fu¨hrungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, hg. v. Wilfried Ehbrecht (StF A 9), Ko¨ln/Wien 1980, S. 115–152, hier S. 136, sowie Heinrich Ru¨thing, Ho¨xter um 1500. Analyse einer Stadtgesellschaft, Paderborn 1986, S. 113 mit Lit.; die Situierung der Aufsta¨nde im Reich 1370/80 im europa¨ischen Rahmen bei Michel Mollat/Philippe Wolff, Ongles bleus, Jacques et Ciompi. Les re´volutions populaires en Europe aux XIVe et XVe sie`cles, Paris 1970, S. 140–142.

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ha¨ufig gegen anderes – den Stadtherrn, den Klerus und die kirchlichen Immunita¨ten,44 die Juden45 – doch machen die Auseinandersetzungen um den Rat in jenen Jahrhunderten des Spa¨tmittelalters die eigentliche Essenz der sta¨dtischen Verfassungsgeschichte aus. Sie du¨rfen als Signatur des Zeitalters gelten. Hervorgegangen ist der sta¨dtische Rat aus der Kommunebewegung in den Sta¨dten, insbesondere in den Bischofssta¨dten, seit dem 11. Jahrhundert, in der die Einwohnerschaft der Sta¨dte bu¨rgerliche Autonomie oder doch weitgehende Spielra¨ume der bu¨rgerlichen Gemeinde gegenu¨ber dem Stadtherrn erka¨mpft hatte.46 Dabei waren die communitas oder universitas civium deren Leitbegriffe gewesen, ja zugespitzt gesprochen sollten sie es sein, die an die Stelle des Stadtherrn traten.47 Die Gemeinde der Bu¨rger war es auch, die durch den Rat verko¨rpert wurde, und daraus gewinnt die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Gruppen der Stadt die zentrale Stellung, die im Verlauf des Spa¨tmittelalters immer wieder deutlich hervortritt. Dabei hat sicherlich eine Rolle gespielt, daß bei den Emanzipationska¨mpfen gegen den Stadtherrn oder im Zug der Gewa¨hrung von Privilegien, die fu¨r die sta¨dtischen Ra¨te zu relativ ausgedehnten Spielra¨umen in der sta¨dtischen Verwaltung fu¨hrten, die Besetzung des Rates einer relativ kleinen Gruppe von Familien vorbehalten blieb: dem Patriziat, den Geschlechtern oder wie auch immer die Bezeichnungen lauten.48 Auch der Stadtherr hatte sich bei der Regierung der Stadt solcher Familien bedient, die wohl in der Regel seiner Ministerialita¨t angeho¨rten, zu der wohl auch Angeho¨rige der Fernha¨ndler zu rechnen waren. Wa¨hrend jedoch ein Stadtherr daran interessiert sein mußte, daß seine Dienstmannschaft sich sta¨ndig erneuerte und fu¨r von ihm gefo¨rderte Aufsteiger durchla¨ssig blieb, du¨rfte es bei zunehmender Emanzipation der sta¨dtischen Fu¨hrungsgruppen zu Abschließungstendenzen, zur Oligarchisierung dieser Fu¨hrungsgruppen gekommen sein. Jedenfalls ist dies der Zustand, in dem sich die sta¨dtischen Ra¨te der bedeutenderen Sta¨dte des Reichs im fortgeschrittenen 13. Jahrhundert und noch im 14. Jahrhundert darbieten. Eine relativ kleine Gruppe von Familien besitzt jeweils das Monopol zur Besetzung des sta¨dtischen Rats.

44 Vgl. dazu nur Bernd-Ulrich Hergemo ¨ ller, Pfaffenkriege im spa¨tmittelalterlichen Hanseraum (StF

C 2), Ko¨ln/Wien 1988.

45 Aus der Fu¨lle der Literatur seien hervorgehoben: Frantisˇek Graus, Pest – Geißler – Judenmorde.

Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit (VMPI 86), Go¨ttingen 1987; Alfred Haverkamp, Die Judenverfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes im Gesellschaftsgefu¨ge deutscher Sta¨dte, in: ders., Zur Geschichte der Juden im Deutschland des spa¨ten Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 24), Stuttgart 1981, S. 27–93. 46 Vgl. dazu allgemein: Knut Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“ Kommunale Aufsta¨nde und Entstehung des europa¨ischen Bu¨rgertums im Hochmittelalter, Darmstadt 1992; ders., Verfassungsentwicklung der deutschen Sta¨dte um die Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Europas Sta¨dte zwischen Zwang und Freiheit. Die europa¨ische Stadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts, Regensburg 1995, S. 43–61; Engel, Deutsche Stadt (wie Anm. 36), S. 39–54. 47 So Schulz, Verfassungsentwicklung (wie Anm. 46), S. 58. 48 Vgl. nur Ingrid Ba´tori, Das Patriziat der deutschen Stadt. Zu den Forschungsergebnissen u¨ber das Patriziat besonders der su¨ddeutschen Sta¨dte, in: Die alte Stadt ZSSD 2 (1975), S. 1–30, zusammenfassend Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 36), S. 274–276.

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Selbstversta¨ndlich ist es auch innerhalb dieser patrizischen Fu¨hrungsgruppen zu Auseinandersetzungen um die Macht im Rat gekommen, wobei vielleicht die Baseler Ka¨mpfe zwischen den Psittichern und Sternern, die seit 1265 immer wieder aufflackern, die fru¨hesten und bekanntesten geworden sind.49 Doch die entscheidenden Triebkra¨fte der Entwicklung lagen darin, daß im o¨konomischen Aufstieg der Sta¨dte, wie er sich im 13. Jahrhundert vollzog, neben diese alten Fu¨hrungsgruppen neue traten. Es handelte sich um wirtschaftlich erfolgreiche Kaufleute wie Handwerker, die sich von der politischen Mitbestimmung durch die Geschlechter ausgeschlossen sahen. Hier lag der Ansatzpunkt fu¨r die Konflikte und Unruhen, die das ausgehende Mittelalter pra¨gen. Man hat auf die „Kontinuita¨t innersta¨dtischer Unruhen vom Hochmittelalter bis zur Reformationszeit“ hingewiesen,50 und das ist sicher richtig, denn immer ging es um die sta¨dtische Gemeinde, ihre verfassungsrechtliche Ausgestaltung und ihre Darstellung fu¨r Mitbu¨rger und Außenwelt. Doch ebenso ist es berechtigt, mit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts eine neue Phase in diesem Kontinuum erkennen zu wollen, eben weil hier neue Gruppen in die Auseinandersetzungen eingreifen. Dabei ist auch nicht zu bestreiten, daß die Organisation dieser neuen Gruppen in Gilden und Zu¨nften eine wichtige Rolle gespielt hat, so daß jene a¨ltere Bezeichnung „Zunftrevolutionen“ nicht ga¨nzlich aus der Luft gegriffen war. Auch die zeitgeno¨ssischen Quellenberichte suggerieren ha¨ufig diesen Gegensatz von Rat und Zu¨nften. So beginnen die Ratmannen von Helmstedt ihren Bericht u¨ber die Unruhen des Jahres 1340 mit dem lapidaren Satz: De meystere van den inningen, de hadden dar lange midde vmmegan, dat se den raedt wolden vorwandelen vnde affsetten;51 a¨hnlich knapp charakterisiert auch Jakob Twinger von Ko¨nigshofen die Verfassungsa¨nderungen in Straßburg 1332: Sus kam der gewalt us der herren hant an die antwerke.52 Doch darf dabei nicht die Vorstellung aufkommen, als ha¨tten dabei lediglich die Handwerker gegen Geschlechter und Patrizier gestanden. Die jeweilige Opposition erweist sich vielmehr ha¨ufig – wie auch prosoprographische Untersuchungen zeigen – als vielgestaltiger, so wie ja auch innerhalb der einzelnen Handwerke soziale und o¨konomische Unterschiede bestanden und nicht alle Handwerke das gleiche Gewicht innerhalb der sta¨dtischen Gesellschaft besaßen.53 Auch gelangten in jenen Ka¨mpfen des ausgehenden Mittelalters keineswegs alle Handwerkervereinigungen einer Stadt zum 49 Vgl. Werner Meyer-Hoffmann, Psitticher und Sterner, in: Basler Zeitschrift fu¨r Geschichte und

Altertumskunde 67 (1967), S. 5–21, vgl. auch Wim P. Blockmans, Formale und informelle soziale Strukturen in und zwischen den großen fla¨mischen Sta¨dten im Spa¨tmittelalter, in: Einungen und Bruderschaften in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Peter Johanek (StF A 32), Ko¨ln/Weimar/Wien 1993, S. 1–15. 50 Blickle, Unruhen (wie Anm. 29), S. 53. 51 Henning Hagens Chronik der Stadt Helmstedt, hg. v. Edvin Brugge/Hans Wiswe, in: Niederdeutsche Mitteilungen 19/21 (1963/65), S. 113–280, hier S. 176–179. 52 Die Chroniken der oberrheinischen Sta¨dte: Straßburg 2 (ChrDtSt 9); 1871 (ND 196/1), S. 777. 53 Vgl. etwa Urs Justus Diederichs, Der Aufruhr von 1454 bis 1456 in der Stadt Lu¨neburg. Eine prosopographische Untersuchung, Diss. Kiel 1981; Karl-Heinz Kirchhoff, Die Unruhen in Mu¨nster/W. 1450–1457. Ein Beitrag zur Topographie und Prosopographie einer sta¨dtischen Protestbewegung, in: Sta¨dtische Fu¨hrungsgruppen (wie Anm. 43), S. 153–312; zu Gilden und Zu¨nften allgemein vgl. nur Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 36), S. 299ff.

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Mitspracherecht bei der Ratsbesetzung. Neben die Handwerksmeister traten jedoch auch jene Kaufleute, Grundbesitzer, Transportunternehmer und Teilnehmer an Geldgescha¨ften, die nicht zu den Geschlechtern geho¨rten und unter Umsta¨nden auch aus der Handwerkerschaft hervorgegangen waren und gelegentlich wohl auch deren Vereinigungen angeho¨rten. Die Gruppen, die hier jeweils gegeneinander standen, sind nicht ein fu¨r allemal und fu¨r jeden innersta¨dtischen Konflikt des ausgehenden Mittelalters gegeneinander abgrenzbar. In der Regel waren die treibenden Kra¨fte unter den vermo¨genden Bu¨rgern zu finden, denen politische Partizipation verwehrt war. So bleibt es bei der Formel von den homines novi, die nach solcher Partizipation strebten und sie gewaltsam zu erzwingen suchten. Dabei sind nicht selten auch Divergenzen innerhalb der Ratspartei zu beobachten, wie sie etwa 1374 im Verhalten des Braunschweiger Bu¨rgermeisters Kort Doring sichtbar werden, der auf die Nachricht hin, die Meinheit habe Feuer an das Haus seines Bu¨rgermeister-Kollegen Tile van dem Damme gelegt, an die Wand seines eigenen Hauses faßte und sprach: „Hier ist es noch kalt genug, laßt sie nur gewa¨hren“. Hermen Bote, der Verfasser des „Schichtbuches“, hat denn auch vermerkt, daß bei diesem ersten Ausbruch von Gewalt in der Schicht von 1374 niemand da war, der der one sturde efte sturen wolde, wente weren vele gunners van den oversten under sich sulven („der sie daran hinderte oder u¨berhaupt hindern wollte, denn es fanden sich unter den Obersten viele Go¨nner [des Aufruhrs]“). Dorings Rechnung, durch das Vorgehen der Aufsta¨ndischen gegen Tile van dem Damme unter Umsta¨nden politische Vorteile zu erlangen, ging nicht auf, der Aufruhr verschlang ihn selbst.54 Ist in Braunschweig 1374 lediglich politisches Kalku¨l und vorsichtig abwartende Haltung eines Ratsherrn oder einer Ratspartei zu erkennen, so erweisen sich ha¨ufig Gegensa¨tze im Patriziat oder unter den Ratsgeschlechtern geradezu als die treibende Kraft der Auseinandersetzungen, bei denen dann auch die Zu¨nfte die Initiative ergriffen oder von einer der patrizischen Parteien instrumentalisiert wurden. Das letztere scheint im Ulm der 1320er Jahre der Fall gewesen zu sein, als die Partei Ulrich Kunzelmanns und Heinrichs von Werdenberg die Gruppe um Otto Rot, Ulrich Rot und Peter Stroelin aus der Stadt vertrieb.55 In Regensburg gelangte 1330 das Geschlecht der Auer im Verbund mit den Zu¨nften gegen eine andere patrizische Gruppe an die Macht und in das Bu¨rgermeisteramt,56 und in Straßburg erhoben sich 1332 die Zu¨nfte,

54 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Braunschweig 2 (ChrDtSt 16), Leipzig 1880 (ND Go¨ttin-

gen 1962), S. 312; dazu ebd., Braunschweig 1 (ChrDtSt 6), 1868 bzw. 1962, S. 313–409, hier S. 332–339; zum Aufruhr von 1374 bes. Karl Czok, Zum Braunschweiger Aufstand 1374–1386, in: Hansische Studien. Heinrich Sproemberg zum 70. Geburtstag, red. v. Gerhard Heitz/Manfred Unger (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 8), Berlin 1961, S. 34–55; R. A. Rotz, The uprising of 1374: Source of Brunswick’s Institution, in: Braunschweiger Jahrbuch 54 (1973), S. 61–73; Matthias Puhle, Die Braun¨ berblick und Vergleich, in: Schlicht – Protest – Revolution schweiger „Schichten“ des Mittelalters im U (wie Anm. 36), S. 27–33 mit Hinweisen auf a¨ltere Arbeiten des Verf. 55 Vgl. Keitel, Sta¨dtische Bevo¨lkerung (wie Anm. 39), S. 101–103. 56 Vgl. dazu und a¨hnlich gelagerten Fa¨lle Maschke, Verfassung und soziale Kra¨fte (wie Anm. 28), S. 304f. (185f.) u. 310f. (191f.); zu dem hier nicht behandelten Pha¨nomen des „Stadt-Tyrannen“ vgl. Hartmut Boockmann, Spa¨tmittelalterliche deutsche Stadt-Tyrannen, in: BllDtLG 119 (1983) S. 73–91; ebenfalls hinzuweisen ist auf die Auseinandersetzungen innerhalb der Oligarchien, die dafu¨r sorgten, daß es bei

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als nach einem gescho¨lle zwischen den zweigen geslehten von Mu¨lheim und den Zo¨rnen anla¨ßlich eines Tanzfestes sieben Tote zuru¨ckblieben und die erbern burger und die antwerglu¨te fu¨rchteten, die verfeindeten Parteien wu¨rden den Landadel in die Stadt holen.57 Von solchen Konflikten innerhalb von Gruppen und der Rivalita¨t zwischen einzelnen Familien ist nicht nur das fru¨he 14. Jahrhundert gepra¨gt, sondern sie finden sich auch spa¨ter, wie etwa in der Mindener Schicht von 1405, die nach dem Urteil des Domkanonikers Heinrich Sloen gen. Tribbe, durch die perso¨nliche Rivalita¨t der beiden Bu¨rgermeister Hermann Swarte und Albert Albrant ausgelo¨st wurde.58 Es ging demnach bei den innersta¨dtischen Auseinandersetzungen seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert zum einen ganz eindeutig um Partizipationskonflikte, in denen sich neu formierende Fu¨hrungsgruppen nach vorne dra¨ngten. Auf der anderen Seite wird auch deutlich, daß diese neuen strukturellen Gegebenheiten ha¨ufig genug lediglich den Rahmen abgaben, in dem die Rivalita¨ten fu¨hrender Familien oder nach Macht strebender Einzelpersonen ausgetragen wurden, gleichgu¨ltig, ob sie nun aus den Geschlechtern oder der Reihe der sozialen Aufsteiger kamen. Immer auch kam es darauf an, die sta¨dtische Bevo¨lkerung außerhalb dieser in Einungen und Zu¨nften zusammengeschlossenen Kra¨fte zu mobilisieren, um den Konflikt fu¨r sich entscheiden zu ko¨nnen. Es ist auch gar nicht zu u¨bersehen, daß sich im Sozialko¨rper Stadt mit seinen verschiedenen Gliedern von Stadtadels- und Kaufmannsoligarchien, zu¨nftischem Handwerk und Stadtarmut immer wieder auch starke soziale Spannungen ergaben, besonders in den Exportgewerbezentren vor allem Su¨ddeutschlands. Auch sie bestimmten selbstversta¨ndlich die Auseinandersetzungen um die Ausu¨bung der Macht in der Stadt – des gewalt, wie Jakob Twinger es formulierte.59 Eben weil die Konflikte alle Gruppen der Stadt erfaßten und die Parteiungen ha¨ufig quer durch diese Gruppen verliefen, wird man in der Tat am ehesten von Bu¨rgerka¨mpfen in der mittelalterlichen Stadt sprechen und sie von den Emanzipationsunruhen absetzen, die das hohe Mittelalter kennzeichnen. Ist damit das ausgehende 13. und das beginnende 14. Jahrhundert als ein Wendepunkt in der Geschichte des Kampfes um die Gestaltung der sta¨dtischen Gemeinde bezeichnet, der wa¨hrend der beiden na¨chsten Jahrhunderte o¨rtlich in ganz unterschiedlichen Formen verla¨uft, so ist auch nicht zu verkennen, daß die Auseinandersetzungen der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts wiederum eine neue Qualita¨t aufweisen. Die im zweiten Jahrzehnt sich intensivierenden Konflikte trugen zuna¨chst ganz zweifellos die Zu¨ge der herko¨mmlichen Unruhen, ho¨chstens wird man davon sprechen ko¨nnen, daß sie ein breiteres soziales Spektrum erfassen. Aber von den zwanziger Jahren an verschra¨nkten sich die verfassungsrechtlichen Ambitionen der Konfliktparteien so stark mit den durch die reformatorische Bewegung ausgelo¨sten

der oligarchischen Struktur blieb, exemplarisch dargestellt bei Gerhard Fouquet, Die Affa¨re Niklas Muffel. Die Hinrichtung eines Nu¨rnberger Patriziers im Jahre 1469, in: VSWG 83 (1996), S. 459–500. 57 Chroniken Straßburg (wie Anm. 52), S. 776f., dazu Maschke, a. a. O., S. 310f. (191f.). 58 Vgl. dazu Ehbrecht, Form und Bedeutung (wie Anm. 43), S. 117ff. u. 127ff., wobei allerdings m. E. die Rivalita¨t zwischen Suarte und Albrant zu gering gewichtet wird. 59 Zu den verschiedenen Typisierungs- und Abgrenzungsversuchen in der Forschung vgl. Blickle, Unruhen (wie Anm. 29), S. 55–58.

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Zielen, daß wiederum eine neue Phase im Kontinuum der innersta¨dtischen Unruhen abzugrenzen ist. Man kann darin die Ausdehnung des politischen Gemeindebegriffes auf den religio¨sen Bereich und die Institution der Kirche, die Vollendung einer spa¨tmittelalterlichen Entwicklung des Kommunalismus erkennen wollen60 oder vielmehr durch die in die „Bu¨rgerschaft eingedrungenen evangelischen Ideen“ einen Prozeß in Gang gesetzt sehen, „dessen Dynamik die ganze Stadt durchdrang.“61 Immer doch heben sich diese Konfliktverla¨ufe der Reformationszeit von den Bu¨rgerka¨mpfen des Spa¨tmittelalters dadurch ab, daß sich die politische Gemeinde auch als religio¨se Gemeinde zu konstituieren sucht. Es ist bezeichnend, daß in solchen Fa¨llen – und sie reichen etwa im hussitischen Bo¨hmen weit ins 15. Jahrhundert zuru¨ck62 – auch die Symbolik des Protests, der Demonstration der Geschlossenheit der Gemeinde, neue Formen fand.63 In den innersta¨dtischen Ka¨mpfen des 14.–16. Jahrhunderts ging es demnach um Partizipation am Rat, um die Durchsetzung der Interessen sozialer Gruppen, es ging um die Erringung oder Sicherung von Macht. Doch das war nicht alles. Es ging in diesen Unruhen „wirklich um den Kern dessen, was die Ordnung und das Zusammenleben in der Stadt ausmachte“64, es ging letztlich auch um den Erhalt, die Wiederherstellung und die Sicherung der concordia, jener harmonia civitatis, die eingangs als zentraler Wert der Zielsetzungen sta¨dtischer Politik zu betreiben war. Nun stellt sich die mittelalterliche Stadt als „dichotomisches Gebilde aus Rat und Volk“ dar,65 und so verko¨rperte sich die sta¨dtische concordia im Einvernehmen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft, erst dadurch verwirklichte sie die universitas civium, die Gemeinde, die in den Emanzipationska¨mpfen des 12. und 13. Jahrhunderts an die Stelle des Stadtherrn geru¨ckt worden war.66 Damit ergibt sich in der Wirklichkeit der spa¨tmittelalterlichen Sta¨dte ein bipolares Spannungsfeld. Es ist einerseits dadurch gekennzeichnet, daß der Rat im Laufe der Zeit immer sta¨rker zur Obrigkeit wurde und den Gehorsam der Bu¨rger einforderte.67 Auf der anderen Seite jedoch ist die Machtausu¨bung 60 So etwa die Konzeption Peter Blickles, vgl. nur seinen Aufsatz Kommunalismus, Parlamentarismus,

Republikanismus, in: HZ 242 (1986), S. 529–556, oder ders., Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, Mu¨nchen 1985. 61 So etwa Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie u¨ber das Verha¨ltnis von religio¨sem und sozialem Wandel in der Fru¨hneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 48), Gu¨tersloh 1981, S. 82. 62 Zum Begriff der hussitischen Gemeinde, der obec, vgl. Ferdinand Seibt, Hussitica. Zur Struktur einer Revolution, Ko¨ln/Graz 1965, S. 180ff. 63 Vgl. etwa unten bei Anm. 88. 64 Hartmut Boockmann, Eine Krise im Zusammenleben einer Bu¨rgerschaft und ein „politologisches“ Modell aus dem 15. Jahrhundert. Der Braunschweiger Chronist Hermen Bote u¨ber den Aufstandsversuch von 1445/1446, in: Hermann Bote, hg. Blume/Rohse (wie Anm. 11), S. 133–152, hier S. 136. 65 Boockmann, Krise (wie Anm. 64), S. 135. 66 Vgl. o. mit Anm. 47; zu den Konzeptionen des Gemeindebegriffs und seiner verschiedenartigen realen Auspra¨gung in einzelnen Konfliktverla¨ufen vgl. etwa Gudrun Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell. Zur sozialen und politischen Differenzierung des Gemeindebegriffs in den innersta¨dtischen Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Mainz, Magdeburg, Mu¨nchen, Lu¨beck, Ko¨ln/Wien 1989. 67 Vgl. dazu Erich Maschke, „Obrigkeit“ im spa¨tmittelalterlichen Speyer und in anderen Sta¨dten, in: Archiv fu¨r Reformationsgeschichte 57 (1966), S. 7–22 (Neudruck in: ders., Sta¨dte und Menschen [wie

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des Rates im Prinzip erst legitimiert durch die Zustimmung des Bu¨rgerverbandes, der durch den Bu¨rgereid geeinten Gemeinde.68 Aus diesem Spannungsfeld resultieren die Unruhen und Proteste, um die es hier geht. Die Auflehnung gegen den Rat – sei es auf Betreiben einer im Rat vertretenen, sich dort jedoch nicht durchsetzenden Gruppe oder Partei, sei es unter Fu¨hrung einer nach Partizipation strebenden Gruppe – legitimiert sich aus dieser Vorstellung von der Notwendigkeit der Einmu¨tigkeit des gesamten Bu¨rgerverbandes. Auf diesem Hintergrund gab es auch legitimierte Auflehnung gegen Fehlverhalten des Rates, der seinerseits damit die concordia der Gemeinde verletzte. Es geht dabei um die Ausu¨bung eines Widerstandsrechts, und auch Chronisten wie Albert Krantz wußten mit Blick auf die sta¨dtischen Ra¨te, daß Willku¨r der Obrigkeit „von den Untertanen nicht lange geduldet“ werde.69 Es war dann die Beseitigung des Rates, die in einem Notwehrakt die Einigkeit der Gemeinde wiederherstellte. So stellten es etwa die Nordha¨user Aufsta¨ndischen vom Jahre 1375 in einem Rechtfertigungsstreit dar: und taten da eyne rechte notwere, daz uns got geholfen hat, daz wir sie ubirwunden haben, die uns libes und gutes wolden benomen haben („Und wir griffen dann zu einer gerechtfertigten Notwehr, und Gott hat uns geholfen, daß wir jene u¨berwunden haben, die uns Leib und Gut nehmen wollten“).70 Sie meinten damit den Aufstand vom St.-Valentins-Tag (14. Februar), bei dem „viele enthauptet, aus der Stadt vertrieben und ihre Gu¨ter genommen wurden.“71 Wie im Jahr zuvor in Braunschweig, hatte es sich auch in Nordhausen 1375 um besonders heftige und blutige Auseinandersetzungen gehandelt72, und vorausgegangen war, was ein zeitgeno¨ssischer Bericht als Verfehlungen des Rats der gefrunten burgere, der Geschlechter beschreibt.73 Sie ha¨tten geschworen als gewonlich ist, disser stat gemeynen nutz und vromen ozu ratene und czu orteylene, das beste und daz rechteste deme armen als deme richen („wie es Gewohnheit ist, im Rat fu¨r den gemeinen Nutzen dieser Stadt und ihr Wohlergehen zu sorgen und auf das beste und gerechteste zu urteilen fu¨r den Armen wie fu¨r den Reichen“). Das ha¨tten sie nicht getan, sondern sie begu¨nstigten ihre Freunde und sich selbst und drucketen die gemeynen luthe Anm. 28], S. 121–137); zusammenfassend Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 36), S. 131f.; v. a. aber Wilfried Ehbrecht, Bu¨rgertum und Obrigkeit in den hansischen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, in: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. v. Rausch (wie Anm. 37), S. 275–287, v. a. S. 281ff. 68 Grundlegend Wilhelm Ebel, Der Bu¨rgereid als Gestaltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechtes, Weimar 1958; zusammenfassend Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 36), S. 90ff., und Blickle, Unruhen (wie Anm. 29), S. 12. 69 Nulla deinde a subditis in longum praestatur patientia; zitiert nach Stoob, Albert Krantz (wie Anm. 33), S. 105; zum Sachverhalt vgl. auch ders. im Diskussionsbeitrag zu Ehbrecht, Obrigkeit (wie Anm. 67), S. 298. 70 Urkundenbuch der Stadt Duderstadt, hg. v. Julius Jaeger, Hildesheim 1885, Nr. 216, S. 144f. 71 Chronica S. Petri Erfordensis moderna, in: Monumenta Erphesfurtensia saec. XII., XIII., XIV, ed. Oswald Holder-Egger (MGH SSrG i. u. s.) Hannover/Leipzig 1899, S. 354: ... in die sancti Valentini, quod multi sunt decollati et expulsi et eorum bona accepta; zum Aufstand vlg. Werner Ma¨gdefrau, Der Thu¨ringische Sta¨dtebund im Mittelalter, Weimar 1977, S. 232ff. 72 Die Chronica S. Petri Erfordensis moderna (wie Anm. 71) vergleicht sie mit einem vorausgegangenen Aufstand von 1324: cives Northusenses se mutuo suspenderunt, interfecerunt, rotaverunt. 73 Ernst Gu¨nther Fo ¨ rstemann, Die alten Gesetze der Stadt Nordhausen, in: Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen 3 (1836/37), 4. Heft, S. 83ff. (Neudruck in: Quellen zur a¨lteren Geschichte des Sta¨dtewesens in Mitteldeutschland, I. Teil, Weimar 1949, S. 181–187).

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und die hantwerk luthe met mancherhande grozer treflicher beswerunge und ubirmute („und bedru¨ckten den gemeinen Mann und die Zu¨nfte mit mancherlei großen ¨ berheblichkeit“). Vor allem aber brachten sie die Stadt Beschwernissen und mit U durch eine verfehlte Politik in tyefe groze schulde und in vorterpnisse und erhoben im Gefolge dieser Mißwirtschaft unrechtma¨ßige Abgaben: da satzten sie mannigveldige groze geschoz uff die gemeynde und uff die hantwerk luthe („da legten sie mannigfache hohe Abgaben auf die Gemeinde und die Zu¨nfte“). In gedra¨ngter Form sind hier die Vorwu¨rfe zusammengefaßt, die im Verlauf innersta¨dtischer Konflikte immer wieder gegen die Stadtra¨te vorgebracht wurden: Ungerechte und parteiische Ausu¨bung der Rechtsprechung und finanzielle Mißwirtschaft. Die erstere spielte beispielsweise auch in Straßburg 1332 eine Rolle, wo es Jakob Twinger von Ko¨nigshofen pra¨gnant auf den Punkt brachte: „Wenn einer aus den Zu¨nften eine Forderung an einen Herrn (einen aus den Geschlechtern) hatte ..., so zahlte dieser die Schuld, wenn er wollte, wollte er aber nichts geben, so war dem armen man der Gerichtsweg versperrt“.74 Ebenso begannen die Gewalttaten im Zuge der Ko¨lner Weberschlacht 1372 mit der Forderung, einen Gefangenen freizulassen, den man ungerechterweise eingekerkert sah.75 Doch „die Finanzfrage erscheint in den Quellen als das schlechthin entscheidende, auslo¨sende Moment fu¨r die Unruhen“.76 Es waren vor allem die Ausgaben fu¨r die „auswa¨rtige“ Politik, fu¨r den Erhalt der sta¨dtischen Autonomie, die vielfa¨ltigen Fa¨den der Finanzbeziehungen zu Landesherren und Landadel, fu¨r milita¨rische Vorsorge, Burgenpolitik und immer wieder aktuelle Kriegskosten, die den sta¨dtischen Haushalt belasteten. Dafu¨r mußte Geld aufgenommen werden, und der Schuldendienst war in der Regel nur durch neue Steuern, jene mannigveldige groze geschoz des Nordha¨user Berichts zu leisten. Schon dies ließ mancher Vermutung Raum, die Ratsleute nutzten diese Transaktionen zur Bereicherung. Hinzu kam noch, daß die Rechnungslegung des Rates nicht o¨ffentlich geschah, sondern vom Arcanum umgeben war. In Braunschweig beispielsweise bestand das Gremium, vor dem die Rechnungslegung erfolgte, aus acht Ratsleuten, vier aus dem Altstadtrat, zwei aus der Neustadt und zwei aus dem Hagen: desse achte pleghen to des Rades rekenscep to gande, unde wisten des Rades hemeliche ding, unde anders nemant van den radluden („diese acht pflegen bei der Rechnungslegung des Rats anwesend zu sein und wissen um die Geheimnisse des Rats und sonst niemand von den Ratsleuten“).77 Hier blieben demnach die Ra¨te zweier Weichbilde – Altewiek und Sack – u¨berhaupt vom Einblick in die Finanzen der Stadt ausgeschlossen, von den u¨brigen Bu¨rgern ganz zu schweigen. Das fu¨hrte fast immer zu intrag unde vordechtenisse unde argenwan, wie es eine Vereinbarung in der Stadt Jena ausdru¨ckt, durch die 1395 durch gutir gelym-

74 Chroniken Straßburg (wie Anm. 52), S. 777. 75 Die Chroniken der niederrheinischen Sta¨dte: Ko¨ln 1 (ChrDtSt 12), (1875), S. 237–264. 76 So Maschke, Verfassung (wie Anm. 28), S. 291 (172) mit Anm. 7; dort Hinweise auf Lit. zum Schulden-

wesen der Sta¨dte; dazu nun zusammenfassend Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 36), S. 174–181.

77 Rechtfertigungsschrift der aus Braunschweig vertriebenen Ratsleute von 1374, Deutsche Sta¨dtechro-

niken 6 (1868) S. 359, dazu auch S. 323.

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phe willen, eben der Eintracht wegen, drei Meister aus den Zu¨nften zur Kontrolle der Rechnungslegung des Rats zugelassen wurden.78 Ha¨ufig stand am Beginn der Auseinandersetzungen die Forderung nach Offenlegung der Rechnung, d. h. des Schuldenwesens der Stadt, und nicht selten setzte dann ein langes Ringen ein um die Art und Weise und den Grad der Vollsta¨ndigkeit solcher Offenlegung. So geschah es beispielsweise in Lu¨beck zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Vorfeld des Aufstandes von 1408. Stu¨ck fu¨r Stu¨ck gab der Rat seine Arcana preis, zuna¨chst die Summe der Schulden und die Rechnungslegung fu¨r das ju¨ngstvergangene Jahr, dann auf zwo¨lf Jahre zuru¨ck, erst mu¨ndlich durch Verlesung und dann schriftlich umme guder endracht willen. Das alles geschah auf Dra¨ngen der menheit, der Gemeinde, die zuletzt einen Sechziger-Ausschuß bildete, der die Rechnungslegung kritisierte und noch Einzelheiten u¨ber die Kriegszu¨ge der letzten zwo¨lf Jahre wissen wollte und auch dit wart en in schrift geven umme einer guden endracht willen („dies wurde ihnen schriftlich gegeben, um der guten Eintracht willen“).79 Die rechtfertigenden Aufzeichnungen des Lu¨becker Rats, der aus der Stadt hatte weichen mu¨ssen, beschworen immer wieder den zentralen Wert sta¨dtischer Politik: die Eintracht, die concordia. Zugleich aber lenkte er den Blick auf ein anderes Element der innersta¨dtischen Auseinandersetzungen. Gemeint ist der Sechziger-Ausschuß, den die menheit, die Gemeinde, eingesetzt hatte, um mit dem Rat zu verhandeln.80 Solche Ausschu¨sse traten in den kritischen Phasen sta¨dtischer Geschichte neben den Rat und verko¨rperten die Gemeinde und ihren Willen. Es sind politische Instrumente, die die Partizipation des Bu¨rgerverbandes an den Gescha¨ften des Rates ermo¨glichen oder erzwingen sollten und gleichzeitig die concordia ebenso demonstrierten wie die Beteuerungen des Rates. Was fu¨r die Ebene der argumentativen Auseinandersetzung im Vorfeld von Konflikten gilt, die in gewaltsamen Aufstand oder in gewaltsame Unterdru¨ckung mu¨ndeten, ebenso wie fu¨r den politischen Diskurs, der solche Aktionen begleitete, das gilt auch fu¨r den Ablauf des von Gewalt begleiteten Konfliktgeschehens selbst. Man hat in ju¨ngster Zeit gelernt, daß die o¨ffentlichen Kommunikationsprozesse des Mittelalters durch Ritual und Zeremoniell bestimmt werden, die auf die Zur-Schau-Stellung, die Verdeutlichung politischer Inhalte zielten. Geschehnisabla¨ufe, nach bestimmten Spielregeln gestaltet, ja inszeniert, vermochten politische Entscheidungen, politische Haltungen, politische Werte und politische Legitimationsstrategien o¨ffentlich und versta¨ndlich zu machen. Das gilt nicht nur fu¨r die Welt von Adel und Ko¨nigtum, son-

78 Urkundenbuch der Stadt Jena und ihrer geistlichen Anstalten, hg. v. E. A. Martin (Thu¨ringische

Gedichtsquellen 6), 1868, S. 504; auch in Quellen zur a¨lteren Geschichte des Sta¨dtewesens (wie Anm. 73), S. 102. 79 „Bericht u¨ber die Ereignisse von 1403 Juni 24–1406 April 2“, in: Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Lu¨beck 2 (ChrDtSt 26), (1899), S. 383–392; vgl. auch R. A. Rotz, The Lubeck Uprising of 1408 and the Decline of the Hanseatic League, in: Proceedings of the American Philosophical Society 121, 1 (1977), S. 1–45. 80 Bericht (wie Anm. 79), S. 388: de gantze menheit, borger unde amte, hedden se 60 dar tho voget, dat se mit dem rade spreken solden.

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dern auch fu¨r den sozialen Raum der Stadt des spa¨ten Mittelalters und seine Konflikte.81 Betrachtet man den Ablauf des Konfliktgeschehens, so erkennt man, daß solche Spielregeln eingehalten oder vielleicht besser: appliziert wurden. Und die Gestaltung dieser Abla¨ufe diente fast an jedem Punkt dazu, die Einheit der Bu¨rgergemeinde zu demonstrieren und ihren guten Willen, diese zu erhalten, notfalls mit Gewalt. Dazu geho¨ren die samenunge, in der sich die Gemeinde sozusagen aufs Neue durch Eidesleistung gegen den Rat formierte, „Bannerlauf“ und Glockenschlag, d. h. man verwendete Symbole, die auch sonst in Momenten der Gefahr Einigkeit verdeutlichten. Hierher geho¨rt ebenfalls die Sicherung der Befestigungstore sowie die demonstrative Bewaffnung, um zu zeigen, daß man sich der Gefahr fu¨r die Stadt bewußt war und gesonnen, sie abzuwehren. Des wapende syck de rath und de kopman gementlycken und reden yn erem harnssche und wareden ere stadt; und ere eyn del legen thosamende yn erem harnssche yn den husen („da bewaffnete sich der Rat und der gemeine Kaufmann, und sie hielten Rat in ihren Harnischen und schu¨tzten ihre Stadt und ein Teil von ihnen hielt sich gemeinschaftlich in ihren Harnischen in den Ha¨usern auf“), so heißt es in einem Bericht u¨ber den Lu¨becker Knochenhaueraufstand von 1384,82 und das war kein Einzelfall. So bestimmte symbolische Kommunikation die Aktion der Konfliktparteien. Auf der Seite der Aufsta¨ndischen konstituierten sie legitimierten Bu¨rgerprotest,83 ja „geregelten Bu¨rgerkampf“;84 auf der Seite des Rats unterstrichen sie die Absicht und den Willen, dem gemeinen Nutzen zu dienen. Selbstversta¨ndlich dienten solche Handlungsstrategien, ihre Ausgestaltung und ihre Interpretation auch dazu, den Gegner aus der Gemeinschaft auszugrenzen, zu eliminieren und damit zusammenha¨ngende Gewalttaten zu rechtfertigen. Hierher geho¨ren etwa die unverzu¨glich durchgefu¨hrten Hinrichtungen von Ratsherren des alten, aus dem Amt gedra¨ngten Braunschweiger Rates im Jahre 1374 in den einzelnen Stadtteilen, die gleichsam die Stationen einer Prozession bilden.85 Der neue Rat bewies damit seine Fa¨higkeit, Gericht zur Wahrung des gemeinen Nutzens zu halten und Urteile zu vollstrecken. Er hat auch stets betont, daß dies alles geschehen sei openbar mid ordele unde vor gerichte und wehrte damit den Mordvorwurf ab, den die Vertreter des alten Rats gegen den neuen Rat erhoben.86

81 Vgl. grundsa¨tzlich Gerd Althoff, Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation

¨ ffentlichkeit, in: ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in in mittelalterlicher O Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 229–257; Wilfried Ehbrecht kommt das Verdienst zu, diese Sichtweise bereits 1973 fu¨r die Beurteilung der innersta¨dtischen Konflikte erschlossen zu haben, vgl. Bu¨rgertum und Obrigkeit (wie Anm. 67), S. 282–284, sowie den Abdruck der Vortragsdiskussion ebd., S. 295–302, die belegt, daß die Neuartigkeit der Interpretation erkannt wurde. 82 Chroniken Lu¨beck 2 (wie Anm. 79), S. 347. 83 Dies der Kernbegriff bei Ehbrecht, Bu¨rgertum und Obrigkeit (wie Anm. 67), S. 277; dazu Blickle, Unruhen (wie Anm. 29), S. 54. 84 So Stoob, Albert Krantz (wie Anm. 33), S. 105. 85 Vgl. Chroniken Braunschweig 1 (wie Anm. 54), S. 335–337. 86 Ebd., S. 351.

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Besonders deutlich zeigt sich die Ausgrenzung des Rates aus der Gemeinde im hussitischen Prag. Dort formierte sich am 30. Juli 1419 nach dem Gottesdienst in der Neusta¨dter Kirche Maria Schnee, dem die Teilnehmer bereits bewaffnet beigewohnt hatten, eine Prozession, an deren Spitze Jan Zˇelivsky´ mit der Monstranz und der geweihten Hostie schritt. Das Ziel war die den Katholiken zuru¨ckgegebene Stephanskirche der Neustadt, wo demonstrativ die Kommunion unter beiderlei Gestalt gespendet und damit die Einigung der Gemeinde veranschaulicht wurde. Ziel war aber dann auch das Rathaus der Neustadt, wo einige Hussiten als Gefangene eingekerkert waren und die Scho¨ffen und Ratsherren sich versammelt hatten. Bekanntlich stu¨rmte dann die Menge das Rathaus, warf die Ratsherren aus dem Fenster und ermordete am Boden diejenigen, die noch lebten. Das auslo¨sende Moment des Sturmes aber – so einige Quellen – sei gewesen, daß einer der Ratsherren einen Stein gegen ¨ hnliches aber – ein die Monstranz in Jan Zˇelivsky´s Ha¨nden geschleudert habe. A Steinwurf gegen das Sakrament, das ein Priester auf dem Versehgang durch die Prager Judenstadt trug – hatte, so glaubte man, nur 30 Jahre zuvor den großen Judenpogrom ausgelo¨st, der einem Großteil der ju¨dischen Bevo¨lkerung Prags das Leben kostete.87 Die Behauptung, ein Ratsherr habe einen Stein gegen das Sakrament geschleudert – sie mag nun zutreffen oder nicht – parallelisierte die beiden Geschehnisse, markierte die Neusta¨dter Ratsherren als Juden, grenzte sie damit ideell aus der soeben im Herrenmahl neu konstituierten Gemeinde aus und rechtfertigte damit ihre Ermordung. Das hussitische Prag griff zur Verdeutlichung auf religio¨se Symbolik zuru¨ck: Die Monstranz in den Ha¨nden Zˇelivsky´s ersetzte gleichsam das Banner, die Kommunion in der Stephanskirche den Eid der samenunge. Das ist ein Vorgriff auf die Reformationszeit, in der sich in den Auseinandersetzungen mit dem Rat um die neue Lehre die Gemeinde etwa ha¨ufig durch gemeinschaftlichen Gesang deutscher Kirchenlieder formierte.88 Ganz neu war dergleichen in der Vorstellungswelt und der symbolischen Kommunikation der spa¨tmittelalterlichen Stadt selbstversta¨ndlich nicht. Die Nordha¨user Aufsta¨ndischen von 1375 wußten sich ebenfalls gesta¨rkt durch „den allma¨chtigen Gott, die hochgelobte heilige Jungfrau Maria und den heiligen Herrn Sankt Valentin“. Sie hatten der gemeynde ... sterke und macht verliehen und sie instand gesetzt, die gefruntten burgere ane were (d. h. ohne deren Gegenwehr) gefangenzunehmen, und damit sturten sie (d. h. verhinderten sie) on ores unfuges, frebels und mordes, den die gefrunten borgere an den gemeyn luthen und an den hantworchten begehen wolden („ihren Unfug, ihren Frevel und die Morde, die die Geschlechter gegen den gemeinen Mann und die Zu¨nfte planten“).89 Auch hinter diesem religio¨s legitimierten Vorgehen stehen Morde an Ratsherren des alten Rats.

87 Vgl. zu beiden Ereignissen nur Frantisˇek Graus, Struktur und Geschichte. Drei Volksaufsta¨nde im

mittelalterlichen Prag (VuF, Sonderbd. 7), Sigmaringen 1971, S. 50–57 u. S. 62–64, zu den Quellen S. 62, Anm. 46. 88 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt (wie Anm. 61), S. 81f. 89 Quellen zur a¨lteren Geschichte des Sta¨dtewesens (wie Anm. 73), S. 183.

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Religio¨se Symbolik findet sich auch im Kontext jener Akte, die innersta¨dtische Konflikte beenden und den inneren Frieden erneuern sollten. In den Su¨hnehandlungen fand sich die Gemeinde zu neuer Eidesleistung zusammen. Nicht allein, daß dabei auf die Gebeine der Heiligen geschworen wurde, sondern man fand sich dabei wohl auch in der gemeinsamen Feier des Stadtpatrons und in seinem erneuerten Fest, der wa¨hrend der Konflikte von beiden Parteien in Anspruch genommen worden war.90 Der eigentliche Ertrag der durchgestandenen Konflikte aber wurde bei solchen Gelegenheiten auf dem Pergament festgehalten, wie im Ulmer Schwo¨rbrief von 1397, im Ko¨lner Verbundbrief nur ein Jahr zuvor91 und vielen anderen Dokumenten dieser Art. Die Su¨hne und die Bedingungen, die ihr zugrunde lagen, wurden ausgehandelt, niedergeschrieben und beschworen. Das war in Lu¨beck nicht anders als in Ko¨ln und Ulm. Als der Knochenhaueraufstand beendigt war, vollzog man die Su¨hne, die fast in letzter Minute noch durch Tumult gesto¨rt worden wa¨re, auf den Stufen des Doms. Und dar las men enen breff vor alle den luden averluth; dar was yn gescreven allent, wath dar gededynget was („und von dort herab las man allen Leuten laut einen Brief vor, darin stand alles, was ausgehandelt worden war“). Die Urkunde wurde von 24 ¨ mtern beschworen: dar mede gyngen se tho hus yn aus dem Rat und von 24 aus den A den frede Gades („Damit gingen sie nach Haus in den Frieden Gottes“).92 Dieser Friede war bru¨chig, das ist nicht zu verkennen, nicht lediglich in Lu¨beck, sondern stets und u¨berall. Die Beschwo¨rung der Eintracht und der Dienst an der salus publica, dem gemeinen Nutzen, jene Begriffe, die zum Selbstversta¨ndnis der sta¨dtischen Eliten gleich welcher Herkunft geho¨rten, die etwa das Braunschweiger Schichtbuch Hermen Botes den Bu¨rgermeister Kort Doring vor seiner Hinrichtung in einer letzten Rede aussprechen la¨ßt93 oder die der homo novus Hermann von Vechelde, ebenfalls mehrfacher Braunschweiger Bu¨rgermeister, in seinem Testament niederlegte94, reichte nicht aus, um die sich verscha¨rfenden Spannungen in der sta¨dtischen Gesellschaft zu u¨berbru¨cken. So sah es auch die Magdeburger Scho¨ppenchronik zu Beginn des 15. Jahrhunderts, die lapidar konstatierte, daß zwischen den riken und den armen, den Machtbesitzern und den Machtlosen, ein alter Haß bestu¨nde, der von guder pollicie und guden regiment durch Zwang im Zaum zu halten sei.95 Das heißt im Effekt auch, daß eine Su¨hne und die in ihr beschworenen Ordnungen ha¨ufig nur voru¨bergehende Befriedung brachten und der na¨chste Konflikt sich bereits vorbereitete.

90 Zu solchen Vorga¨ngen vgl. am Braunschweiger Beispiel Ehbrecht, Die Stadt und ihre Heiligen (wie

Anm. 6), S. 228–233.

91 Vgl. zu ihm Wolfgang Herborn, Verfassungsideal und Verfassungswirklichkeit in Ko¨ln wa¨hrend der

ersten zwei Jahrhunderte nach Inkrafttreten des Verbundbriefes, in: Sta¨dtische Fu¨hrungsgruppen (wie Anm. 43), S. 25–52; Klaus Militzer, Fu¨hrungsschicht und Gemeinde in Ko¨ln im 14. Jh., in: ebd., S. 1–24; jetzt auch: Stadtrat, Stadtrecht, Bu¨rgerfreiheit. Ausstellung aus Anlaß des 600. Jahrestages des Verbundbriefes vom 14. September 1396, Ko¨ln 1996. 92 Chroniken Lu¨beck 2 (wie Anm. 79), S. 353. 93 Chroniken Braunschweig 2 (wie Anm. 54), S. 314. 94 Vgl. dazu Puhle, Braunschweiger Schichten (wie Anm. 54), S. 29. 95 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Magdeburg 1 (ChrDtSt 7), (1869), S. 313.

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Bu¨rgerka¨mpfe und Verfassung in den mittelalterlichen deutschen Sta¨dten

So stellt sich am Schluß die Frage nach der Bewertung der innersta¨dtischen Konflikte, der Bu¨rgerka¨mpfe des 14. und 15. Jahrhunderts und ihrer Ergebnisse, die ihren Niederschlag in zahlreichen Dokumenten fanden, die dem Zusammenleben der Bu¨rger eine Ordnung geben sollten. Die Auseinandersetzungen haben sich als Ka¨mpfe um die Macht, als Partizipationskonflikte zu erkennen gegeben. Waren es auch Verfassungska¨mpfe, schufen sie neue Verfassungen, sind sie gar als eine Verwirklichung von Demokratie zu werten, wie das 19. Jahrhundert meinte? Die Bu¨rgerka¨mpfe zielten in der Regel – das du¨rfte klar geworden sein – nicht von vornherein auf eine neue Verfassung. Sie entstanden aus Parteienkonflikten und aus Situationen, die als Mißsta¨nde des Stadtregiments empfunden wurden. Der Verlauf der Konflikte verschob dann ha¨ufig die Gewichte in der Machtverteilung, nicht selten verru¨ckte er sie erheblich. Die Su¨hneverhandlungen hielten die jeweils erreichte Situation fest, je nachdem auf welche Seite die Waagschale des Erfolgs sich geneigt hatte. So gerannen die Artikel der Su¨hneurkunden zu Verfassungsdokumenten, wie beschra¨nkt im einzelnen ihre Dauer auch sein mochte. Aufs Ganze gesehen wird man sagen du¨rfen, daß sich durch die Bu¨rgerka¨mpfe jeweils die soziale Basis der Beteiligung an der Machtausu¨bung im Rat verbreiterte, neue Kra¨fte in die politische Verantwortung eintraten, Aufsteiger in die Machtelite integriert wurden. Die geburtsrechtliche politische Sonderstellung von Patriziat und Geschlechtern wurde in den meisten Sta¨dten aufgebrochen oder gar beseitigt, und die kaufma¨nnischen und gewerblichen Zusammenschlu¨sse der Gilden und Zu¨nfte fanden ihren Platz in der Regierung der Stadt oder dominierten sie sogar. Doch schon hier gilt, daß ihr Gewicht verschieden war, daß es politisch bevorrechtigte Zu¨nfte gab und politisch machtlose. Es ging nicht um Demokratie im modernen Sinne, denn wenn auch im Gefolge der Konflikte sich die Basis der Mitbestimmung jeweils gegenu¨ber dem vorherigen Zustand verbreiterte, sie wuchs nicht sta¨ndig, bis sie alle Gruppen in der Stadt einschloß. „Die Stadtverfassung blieb doch oligarchisch oder wurde es wieder“, die aufgestiegenen homines novi wuchsen in die Oligarchien hinein oder bildeten neue.96 Letztlich entschieden Reichtum und Abko¨mmlichkeit, auch wenn die Zu¨nfte das Regiment fu¨hrten. Den u¨brigen, vor allem jenen, die die Quellen gemeyne luthe nenen, wenn sie ihnen positiv gegenu¨berstehen oder den poevel oder den herrn omnes, wenn sie feindlich gesinnt sind, – ihnen blieben im Grunde nur die tumultuarischen Situationen der Konflikte selbst, um sich politisch zu artikulieren, ihr Gewicht in die Waagschale zu werfen. Die innersta¨dtischen Konflikte haben unbestreitbar ihre du¨steren Zu¨ge. Auch die Formel vom geregelten Bu¨rgerkampf als Instrument der Selbsthilfe, vergleichbar etwa der Fehde, kann – so einleuchtend sie sich aus den concordia- Vorstellungen der universitas civium begru¨nden la¨ßt – nicht die vielen Toten und Gewalttaten verdecken, die ihr Austrag kostete. Fast will es scheinen, als seien die innersta¨dtischen Konflikte mit besonderer Ha¨rte und Grausamkeit ausgetragen worden und die physische Eliminierung der politischen Gegner in der Welt der Sta¨dte bereitwilliger ins Kalku¨l gezogen worden als in anderen sozialen Gruppierungen.

96 Boockmann, Krise (wie Anm. 64), S. 134, dem ich hier folge.

Bu¨rgerka¨mpfe und Verfassung in den mittelalterlichen deutschen Sta¨dten

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Und doch: In den Verfassungsdokumenten, die die Konflikte hervorbrachten, durch die die Zwietracht wieder in Eintracht gewandelt werden sollte, manifestiert sich die „immer wieder notwendige Erinnerung an Norm und Wirklichkeit der Verfassung.“97 In der schriftlichen Niederlegung des erreichten, ausgehandelten Kompromisses, der dedynge der Su¨hneverhandlungen, konnte das Instrumentarium sich ausbilden und tradiert werden, das geeignet war, die Balance in der labilen, stets gefa¨hrdeten Ordnung des Macht- und Einflußgefu¨ges der mittelalterlichen Stadt immer wieder – wenn auch mu¨hsam – ins Lot zu bringen. Aus diesen Dokumenten flossen die Anweisungen zur politischen Praxis wie die Vorstellungen von der harmonia civitatis in das Ritual der Schwo¨rfeiern ein, das symbolische Kommunikation und verfassungsrechtliche Ratio miteinander verband und friedensstiftende Wirkung ausu¨bte. Auch der Ulmer Schwo¨rbrief von 1397 ist ein Ergebnis innersta¨dtischer Konflikte, von ufloffe, zwitracht und stoss, und diente seither der Sicherung des inneren Friedens in der Stadt Ulm.

97 Ehbrecht, Stadtkonflikte um 1300 (wie Anm. 36), S. 21.

ADEL UND STADT IM MITTELALTER [Erstabdruck: Adel und Stadt. Vortra¨ge auf dem Kolloquium der Vereinigten Westfa¨lischen Adelsarchive e. V. vom 28.–29. Oktober 1993 in Mu¨nster, Red. Gunnar Teske (Vereinigte Westfa¨lische Adelsarchive e. V., Vero¨ffentlichung 10), Mu¨nster 1998, S. 9–35]

Am stillen Herd in Winterszeit, wenn Burg und Hof mir eingeschneit, mit diesen Worten gibt Walter von Stolzing seinen Einstand bei den Meistersingern von Nu¨rnberg. Der Goldschmied Veit Pogner hat ihn kurz zuvor mit der Bemerkung vorgestellt, der Junker habe Hof und Schloß verlassen und zog nach Nu¨rnberg her, daß er hier Bu¨rger wa¨r’. Der Liedanfang Stolzings markiert die Stadtferne der ritterlichen Burg und adeliger Lebensweise. Auch die Meister sind von dem Begehren des Ritters, in ihre Reihen aufgenommen zu werden, keineswegs entzu¨ckt: der Fall ist neu. – Ein Ritter gar? Soll man sich freu’n? – Oder wa¨r’ Gefahr?1 Wie man weiß, verla¨uft das Zusammentreffen nicht harmonisch, und als nach den Fa¨hrlichkeiten des ersten und zweiten Aktes, nach na¨chtlicher Ruhesto¨rung und ausgestandenem Sa¨ngerwettstreit auf der Festwiese morgenlich leuchtend der huldreichste Tag erstrahlt, durch Sanges Sieg der Preis errungen ist und Pogner Stolzing geschmu¨ckt mit Ko¨nig Davids Bild in Meistersgild aufzunehmen sich anschickt, da will der Junker ohne Meister selig sein.2 In Richard Wagners popula¨rster Oper pra¨sentiert sich eines der Grundprobleme des 19. Jahrhunderts: Der Dissens, die Kluft zwischen Adel und Bu¨rgertum, die als historische Grundkategorien empfunden und in das Gewand des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit gekleidet werden. Richard Wagner hat in der Schlußszene, in der Ansprache des Hans Sachs und im Chor des Volkes die Kluft im Zeichen der heil’gen deutschen Kunst u¨berbru¨ckt. Walter kriegt sein Evchen und

1 Richard Wagner, Die Meistersinger von Nu¨rnberg, in: ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen,

Bd 7, Leipzig (C. F. W. Siegel) o. J., S. 177f.

2 Ebd., S. 267f.

Adel und Stadt im Mittelalter

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beide lehnen sich an die Schultern des Hans Sachs, des Ku¨nstlers, Handwerkers und Bu¨rgers. Richard Wagners Vorlage aber, die der Handlung auf weite Strecken zu Grunde liegt – E. Th. A. Hoffmanns Novelle „Meister Martin der Ku¨fer und seine Gesellen“ –, hatte den Antagonismus der beiden sozialen Welten bestehen lassen; die Erza¨hlung des Romantikers kennt kein Happy End.3 In der Tat ist das Bild, das sich das 19. Jahrhundert vom deutschen Mittelalter machte, gepra¨gt von einem grundlegenden Gegensatz von landgesessenem, streitbarem Adel und sta¨dtischem, handeltreibendem Bu¨rgertum. Es ist ein Bild, das sich durch die Schlagworte vom Raubritter und vom Pfeffersack charakterisieren la¨ßt.4 Es kann nicht bestritten werden, daß auch die Geschichtswissenschaft von dieser Denkfigur beeinflußt worden ist, soweit sie sich der Geschichte der mittelalterlichen Stadt annahm.5 In Verwendung solcher Schlagwo¨rter konnten sich popula¨res Geschichtsversta¨ndnis wie professionelles, wissenschaftliches Bemu¨hen um Geschichte besta¨tigt fu¨hlen, wenn sie plakative Aussagen vom Ausgang des Mittelalters heranzogen, die weniger das Ergebnis nu¨chterner Lageanalysen wiedergeben, als vielmehr subjektive Aussagen u¨ber soziale Befindlichkeiten darstellen. Sie finden sich aus dieser Zeit in 3 E. Th. A. Hoffmann, Werke, Bd. II, Frankfurt a. M. (Insel) 1967, S. 379–435. 4 Vgl. zum Raubritterbegriff Werner Ro ¨ sener, Zur Problematik des spa¨tmittelalterlichen Raubritter-

tums, in: Festschrift Berent Schwineko¨per zum 70. Geburtstag, hg. v. Helmut Maurer/Hans Patze, Sigmaringen 1982, S. 469–488; Regina Go¨rner, Raubritter. Untersuchungen zur Lage des spa¨tmittelalterlichen Niederadels, besonders im su¨dlichen Westfalen (VHKomWestf XXII 18), Mu¨nster 1987, bes. S. 1–17; Ulrich Andermann, Ritterliche Gewalt und bu¨rgerliche Selbstbehauptung. Untersuchungen zur Kriminalisierung und Beka¨mpfung des spa¨tmittelalterlichen Raubrittertums am Beispiel norddeutscher Hansesta¨dte (Rechtshistorische Reihe 91), Frankfurt a. M. 1991, bes. S. 13–38; Graf, Feindbild (wie Anm. 5), bes. S. 132–144. 5 Der Gegensatz Adel – Bu¨rgertum und damit auch Adel – Stadt bildet ein oft traktiertes Thema der deutschen Geschichtswissenschaft. Doch ist es zumeist bei allgemeinen Aussagen geblieben, ohne daß vertiefte Einzelstudien oder gar eine umfassende Analyse und Darstellung unternommen wurde. Die kurze Skizze herrscht durchaus vor, vgl. etwa die vielzitierte Studie von Otto Brunner, „Bu¨rgertum“ und „Feudalwelt“ in der europa¨ischen Sozialgeschichte, in: GWU 7 (1956), S. 599–614 (ND in: Carl Haase (Hg.), Die Stadt des Mittelalters, Bd. 3 [WdF 245], Darmstadt 31984, S. 480–501). Auch die hier vorgetragenen Ausfu¨hrungen, die der Einleitung in die Tagung dienten, deren Ergebnisse in diesem Band publiziert werden, verbleiben in Ansa¨tzen. In letzter Zeit hat das Thema gro¨ßere Aufmerksamkeit gefunden, v. a. ist auf die Ergebnisse einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft fu¨r geschichtliche Landeskunde am Oberrhein „Adel und Stadt. Regionale Aspekte eines problematischen Verha¨ltnisses“ zu verweisen, die in der Zeitschrift fu¨r Geschichte des Oberrheins (ZGO) 141 (1993) publiziert wurden: Thomas Zotz, Adel in der Stadt des deutschen Spa¨tmittelalters. Erscheinungsformen und Verhaltensweisen (S. 22–50); Michael Diefenbacher, Stadt und Adel – Das Beispiel Nu¨rnberg (S. 51–69); Gerhard Fouquet, Stadt, Herrschaft und Territorium – Ritterschaftliche Kleinsta¨dte Su¨dwestdeutschlands an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (S. 70–120); Klaus Graf, Feindbild und Vorbild. Bemerkungen zur sta¨dtischen Wahrnehmung des Adels (S. 121–154). Sie lagen bei Niederschrift meines eigenen Vortrags noch nicht vor. Besonders die Beitra¨ge von Zotz und Graf u¨berschneiden sich vielfach mit meinen eigenen Ausfu¨hrungen und bieten eine Fu¨le von Belegen und Literaturhinweisen. Ich beschra¨nke mich daher im folgenden auf die notwendigsten Nachweise. Hier seien lediglich noch zwei neuere Untersuchungen genannt: Andreas Ranft, Adel und Stadt im spa¨ten Mittelalter. Ihr Verha¨ltnis am Beispiel der Adelsgesellschaften, in: Die Kraichgauer Ritterschaft in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Stefan Rhein (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 3), Sigmaringen 1993, S. 47–64, sowie ku¨nftig Arend Mindermann, Adel in der Stadt des Spa¨tmittelalters. Go¨ttingen und Stade 1300–1600 (Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Historische Landesforschung der Universita¨t Go¨ttingen 35), Bielefeld 1996.

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Adel und Stadt im Mittelalter

großer Zahl, und man muß sich dazu vor Augen halten, daß fu¨r die Auspra¨gung der Leitlinien des Bildes vom Mittelalter, wie es uns das 19. Jahrhundert hinterlassen hat, gerade die Zeit um 1500, die Du¨rerzeit, besonders nachhaltig auf das Geschichtsbild des deutschen Bu¨rgertums eingewirkt hat. Die Figur Ulrich Huttens etwa schien dem Bildungsbu¨rger des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts wie das lebende Vorbild zu Du¨rers Stich „Ritter, Tod und Teufel“. Noch der UFA-Film „Paracelsus“ hat Hutten um 1940 so gezeichnet. ¨ ußerungen, die den Trennungsstrich Gerade von Ulrich von Hutten aber gibt es A zwischen Adel und Bu¨rgertum, zwischen Burg und Stadt, besonders scharf zu ziehen scheinen. Der heimischen Steckelburg im Rho¨nvorland abgesehen scheint die Schilderung, die Hutten vom armseligen Leben des Adels gibt: „Ob die Burg auf dem Berge gelegen ist oder in der Ebene, sie ist nicht im Hinblick auf Scho¨nheit, sondern zur Befestigung erbaut, von Graben und Wall umgeben, im Innern eng, durch die Wohnstatt des Viehs und die Wehrga¨nge zusammengedru¨ckt ... mit Pech, Schwefel und dem u¨brigen Apparat an Kriegsmaschinen angefu¨llt; u¨berall der Gestank des Schießpulvers; dazu die Hunde und ihre Exkremente“. Dazu kommt die immerwa¨hrende Unruhe: „Es kommen und gehen Reiter, unter denen Ra¨uber, Diebe und Wegelagerer sind“, weiter ho¨rt man das Gebru¨ll des Viehs, Arbeitsgera¨usche, ja sogar das Heulen der Wo¨lfe. Man braucht nicht alles hier zu wiederholen, was Hutten aufza¨hlte. Diesen Widrigkeiten des adeligen Burglebens jedoch stellte er das Leben in den Sta¨dten gegenu¨ber, das nicht nur placide – friedlich und ruhig, sondern auch molliter – angenehm – verla¨uft.6 Das Bild, das Hutten hier zeichnet – sein Realita¨tsgehalt bleibe einmal dahingestellt –, trennt Adel und Bu¨rgertum, trennt Adel und Stadt. Daran kann kein Zweifel bestehen, und doch wird darin ein nicht unwichtiger Zug der Mentalita¨tsgeschichte an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit erkennbar. Durch die Klagen Huttens u¨ber das harte Burgenleben schimmert deutlich eine Art Sehnsucht des Adels nach der Stadt durch. Weiterhin ist zu bedenken, daß Huttens Schilderung einem Brief entstammt, den der adelige, ritterliche Absender an einen sta¨dtischen Adressaten, den Nu¨rnberger Bu¨rger Willibald Pirckheimer, richtete. Das macht deutlich, daß ein unu¨berbru¨ckbarer Gegensatz zwischen dem Adeligen, dem Verwandten und u. U. Genossen der Raubritter, und dem Bu¨rger mit seiner listigen finanz nicht bestand: Hutten und Pirckheimer waren Freunde.7 Diese Freundschaft aber definierte sich u¨ber die litterae, u¨ber das Gefu¨hl, derselben humanistischen Gemeinschaft zuzugeho¨ren, die die lateinische Sprache elegant zu gebrauchen und die Feder gewandt zu fu¨hren verstand. In dieser Gemeinschaft war der Gegensatz von Ritter und Bu¨rger aufgehoben. Doch versteht sich, daß dies nicht als das Gewo¨hnliche gelten kann. 6 Ulrichs von Hutten Schriften, hg. v. Eduard Bo ¨ cking, Bd. 1, Leipzig 1859, Nr. LXXXX, S. 195–217,

hier S. 201f.; vgl. dazu etwa Georg Schmidt, Ulrich von Hutten, der Adel und das Reich um 1500, in: Ulrich von Hutten in seiner Zeit, hg. v. Johannes Schilling/Ernst Giese (Monographien Hassiae 12), Kassel 1988, S. 19–34; hier 23. 7 Vgl. dazu Eckhard Bernstein, Willibald Pirckheimer und Ulrich von Hutten: Stationen einer humanistischen Freundschaft, in: Pirckheimer-Jahrbuch 1988 (Ulrich von Hutten 1488–1988. Akten des Internationalen Ulrich-von-Hutten-Symposions 15.–17. Juli 1988 in Schlu¨chtern, hg. v. Stephan Fu¨ssel), Mu¨nchen 1989, S. 11–36.

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Ein anderer Ritter, der sich erfolgreich der Feder bediente, auch wenn er nur noch einen Arm besaß und die deutsche Sprache gebrauchte, hat ganz andere Situationen der Beziehung zwischen Adel und Bu¨rgertum und ihres Umgangs miteinander beschrieben. Go¨tz von Berlichingen freute sich, als Kaiser Maximilian I. bei Beschwerden Nu¨rnberger Bu¨rger u¨ber ritterlichen Straßenraub die Worte „Kaufmann“ und „Pfeffersack“ in einen terminologischen Zusammenhang mit polemischer Spitze brachte.8 Ein eigenes Zusammentreffen, zu dem es Anfang 1514 westlich Wu¨rzburg, kurz vor dem Mainu¨bergang in den Spessart, mit Nu¨rnberger Kaufleuten, die sich auf der Fahrt zur Frankfurter Messe befanden, kam, beschreibt der Ritter mit der eisernen Faust so: ... vnnd wurff ich ir funff oder sechs nider, vnnd war ein kauffman darunder, denn ich zum drittenmall, vnnd in einem halbenn jar zweymall gefangenn, vnd einmall ann guttern beschedigt hett, die andernn warenn eittel ballenn binder zue Nurnnberg. Vnnd stallt ich mich, alls wollt ich inen allenn die kopff vnnd die henndt herab hauwen, aber es wahr mein ernnst nit, vnnd mustenn nider knyen, vnnd die henndt vff die sto¨ckh legen. Da trat ich ettwann aim mit dem fueß vff denn hindern, vnnd gab dem andernn eins ann ein ohr, das war mein straff gegenn innen, vnnd ließ sie also wider vonn mir hin ziehen.9 So glimpflich, wenn auch roh genug, ging es nicht immer ab, obwohl wirkliche Greueltaten offenbar selten waren. Gleichviel, in Go¨tzens Autobiographie wird ein tiefer Gegensatz des Ritters zur kaufma¨nnisch-sta¨dtischen Lebenswelt spu¨rbar, und ga¨be es Quellen vergleichbarer Aussage- und Sprachkraft aus Westfalen, so mu¨ßte sich dort wohl a¨hnliches finden lassen. Jedenfalls galt Westfalen als besonders von Raubrittern geplagtes Land: Westphalus est raptor – „Der Westfale ist ein Ra¨uber“ – so laute ein gela¨ufiges Sprichwort, schreibt Werner Rolevinck in seinem „Buch zum ¨ berLobe Westfalens“10. Der Ko¨lner Karta¨user hat dem Raubrittertum unter der U schrift „Warum unser Heimatland einer Entschuldigung in gewissen Angelegenheiten bedarf“ ein langes Kapitel seines Westfalenbuches gewidmet.11 Er schildert das a¨rmliche und harte Leben des Adels, insbesondere der niederen Adeligen, ja bezeichnet sie als Ma¨rtyrer des Teufels. Mitleid ist dabei nicht zu verkennen, sein Urteil mu¨ndet in die Feststellung: „Die vorhin erwa¨hnten scheußlichen Ra¨ubereien geschehen daher mehr aus Not als aus Leidenschaft“12. Bekanntlich hat dieses Erkla¨rungsmodell Karriere gemacht, indem man in einem o¨konomischen und sozialen Niedergang

8 Helgard Ulmschneider, Go¨tz von Berlichingen, Mein Fehd und Handlungen (Forschungen aus

Wu¨rttembergisch Franken 17), Sigmaringen 1981, S. 96: wie geets zu? Wann ein kauffman ein pfeffer sackh verleurt, so soll man das gantz reich auffmannen, vnnd souill zuschickenn habenn, vnnd wann henndel vorhandenn sein, das kay. mt. vnd dem gantzen reich viell daran gelegenn ist, das kunig reich, furstenthumb, hertzogthumb vnnd annders anntrifft, so khan euch niemandt hajer bringen! 9 Ebd., S. 97; zur Charakterisierung des Go¨tz von Berlichingen als „Raubunternehmer“ vgl. Helgard Ulmschneider, Go¨tz von Berlichingen. Ein adeliges Leben der deutschen Renaissance, Sigmaringen 1974, bes. S. 92–94; zur dazu ausgelo¨sten Diskussion jetzt die zusammenfassenden Bemerkungen von Graf, Feindbild (wie Anm. 5), S. 132f. mit Anm. 47. 10 Werner Rolevinck, Ein Buch zum Lobe Westfalens des alten Sachsenlandes, hg. v. Hermann Bu¨cker, Mu¨nster 21953, S. 203. 11 Ebd., S. 202–213: De excusanda patria nostra in quibusdam. 12 Ebd., S. 212f.

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Adel und Stadt im Mittelalter

des Adels am Ausgang des Mittelalters die Gru¨nde fu¨r Raub- und Fehdewesen suchte. Dieses Bild hat in letzter Zeit mannigfache Revisionen erfahren, doch ist von diesen Neuansa¨tzen der Beurteilung des „Raubrittertums“ nicht ausfu¨hrlich zu handeln.13 Hier geht es um anderes. Werner Rolevinck hat gerade auch in seinem „Raubritterkapitel“ seines Buches die Verschra¨nkungen zwischen den einzelnen sozialen Gruppen gezeigt, um die es hier geht. Es sind westfa¨lische Beispiele, doch du¨rfen sie wohl auch als repra¨sentativ fu¨r die allgemeinen Verha¨ltnisse in Deutschland angesehen werden. Rolevinck stammte aus Laer im Mu¨nsterland, aus dem Stand der Meier, der ba¨uerlichen Oberschicht, der er in seinem Werk auch besondere Aufmerksamkeit widmet. Daneben erwa¨hnt er voller Stolz, daß die kaiserliche Stadt Lu¨beck den Oheim seines Schwagers mit der goldenen Kette geehrt und ihm das Amt des Bu¨rgermeisters auf Dauer u¨bertragen habe. Offenbar war Rolevincks Familie mit Hinrich Castorp verschwa¨gert, Lu¨becks großem Bu¨rgermeister des 15. Jahrhunderts, der einst aus Dortmund in die Travestadt ausgewandert war und dort von 1462–1488 das Bu¨rgermeisteramt bekleidete.14 Auf der anderen Seite berichtet Rolevinck von Verschwa¨gerungen ganz anderer Natur. Als er selber noch jung war, heiratete seine Kusine, und ihr Bra¨utigam war mit Familien von domicelli, d. h. mit dem niederen Adel verwandt. Bei der Hochzeit traf, wie Rolevinck nachdru¨cklich festha¨lt, eine sehr gemischte Gesellschaft von Adeligen, Bu¨rgern und Bauern aufeinander, in der die Versta¨ndigung schwierig war: „Meine Kusine wollte damals heiraten, und bei der Unsicherheit der Gegend brachten wir sie mit bewaffneter Begleitung in die Na¨he eines solchen Gebietes, wo das Credo, wie man zu sagen pflegt, keine Geltung mehr hat. Ihr Bra¨utigam war na¨mlich mit Familien von Junkern und Meiern verwandt. Wir feierten eine stattliche Hochzeit. Junker, Meier, Bauern waren in großer Zahl eingeladen. Auch Bu¨rger waren darunter. Desgleichen Ritterbu¨rtige von der Art, wie ich sie soeben erwa¨hnte. Ich nahm ein Licht in die linke Hand und fu¨hrte nach altem Hochzeitsbrauch den Reigen an. Doch fand ich keinen Beifall; es war eine zu gemischte Gesellschaft. Einige hatten Freude dran, die anderen fanden es albern.“ Bei solchen Standesunterschieden

13 U ¨ berblick zur Forschungsgeschichte bei Andermann, Ritterliche Gewalt (wie Anm. 4), S. 16–20;

Gegenpositionen bes. bei Go¨rner, Raubritter (wie Anm. 4), S. 157–161 sowie bei Kurt Andermann, Grundherrschaften des spa¨tmittelalterlichen Niederadels in Su¨dwestdeutschland, in: BllDtLG 127 (1991), S. 145–190; vgl. auch Graf, Feindbild (wie Anm. 5), S. 132f. Go¨rner (S. 161) hat darauf hingewiesen, daß gerade auch Familien des Raubrittertums beschuldigt wurden, die es „nicht no¨tig hat¨ mter in landesherrlichen Diensten inne hatten; den westfa¨lischen Beispielen lasten“, ja die wichtige A sen sich su¨ddeutsche zur Seite stellen, vgl. etwa Ulmschneider, Go¨tz von Berlichingen (wie Anm. 9), S. 62, Anm. 85, zu Reinhard von Steinau: „mehr Schnapphahn als Amtmann“. Schmidt, Ulrich von Hutten (wie Anm. 6), S. 27f., hat daher im Anschluß an Go¨rner hervorgehoben, daß der Vorwurf des Raubes offensichtlich besonders dort entstand, „wo der Amtmann die landesherrlichen Vereinheitlichungstendenzen durchfu¨hrte, zum Beispiel die Steuern oder Zo¨lle eintrieb. Das moderne staatliche System mußte mit Hilfe altertu¨mlicher Verfahren durchgesetzt werden.“ 14 Rolevinck (wie Anm. 10), S. 184; zu Hinrich Castorp vgl. Gerhard Neumann, Hinrich Castorp. Ein Lu¨becker Bu¨rgermeister aus der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts, Lu¨beck 1932; zur Herkunft aus Dortmund S. 3f.

Adel und Stadt im Mittelalter

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war es nicht mo¨glich einen gemeinsamen Nenner der Versta¨ndigung in der Beurteilungen der Vergnu¨gungen zu finden, die bei dieser Hochzeit ins Werk gesetzt wurden.15 In dieser Schilderung einer – und dies ist nicht unwichtig – la¨ndlichen Festlichkeit treffen Bu¨rger und Adelige auf engstem Raum zusammen, und es werden verwandtschaftliche Bindungen sichtbar. Man beobachtet sich – wie der Text Rolevincks in weiteren Passagen erkennen la¨ßt – zwar mit Hochachtung und Respekt, es bleiben jedoch Reserven zwischen den Gruppen und Versta¨ndigungsschwierigkeiten im Umgang miteinander spu¨rbar. Die Beispiele, die hier Revue passierten, mo¨gen als willku¨rlich herausgegriffen anmuten, doch markieren sie deutlich Positionen der gegenseitigen Wahrnehmung von landgessenem Adel einerseits sowie Bu¨rgertum und sta¨dtischer Bevo¨lkerung andererseits. Deutlich wird das Bewußtsein sta¨ndischer Differenzierung, die Abgrenzungen in Lebensformen wie in sozialer Befindlichkeit werden zum Teil kra¨ftig artikuliert. Weitere Zeugnisse, die auch das gegenseitige Mißtrauen, gerade von sta¨dtischer Seite, nachhaltig zum Ausdruck bringen, ja bis zum Feindbild steigern, stehen in großer Zahl zur Verfu¨gung, sind jedoch hier nicht auszubreiten.16 Aus Quellen dieser Art hat das 19. Jahrhundert die Belegstu¨cke fu¨r seine Sicht des Pha¨nomens gezogen und sie in den Mittelpunkt geru¨ckt, so daß das Gegensatzpaar Ritter – Kaufmann zum Normalfall, ja geradezu zum Grundmodell der spa¨tmittelalterlichen Gesellschaftsgeschichte Deutschlands geraten konnte. Auf der anderen Seite fu¨hrt vor allem das zuletzt zitierte Beispiel aus Werner Rolevincks Westfalenbuch deutlich vor Augen, daß zwischen Bu¨rgern und Adeligen soziale und wirtschaftliche Verflechtungen, ha¨ufig sehr enge Verbindungen bestanden, die von den Beteiligten auch wahrgenommen wurden. Der Lu¨becker Bu¨rgermeister Hinrich Castorp entpuppt sich als Verwandter von Raubrittern; anders gewendet: Das Verha¨ltnis Adel – Bu¨rger, jener sozialen Gruppen, die nach Werner Rolevincks Bericht u¨ber die herausgehobene agrarische Schicht der Meier, der großen Bauern, miteinander in Schwa¨gerschaft treten, la¨ßt sich im Grunde als Teilstu¨ck der allgemeinen Stadt-Umland-Beziehungen begreifen, als Voraussetzung und Bedingung der Verflechtungen des Wirtschafts- und Sozialko¨rpers Stadt mit seinem agrarischen Umfeld. Dazu geho¨rt das Ausgreifen bu¨rgerlicher Gruppen, insbesondere der sta¨dtischen Fu¨hrungsschicht, auf das Umland ebenso wie die Versuche des landsa¨ssigen Adels, ihre Sehnsucht nach der Stadt zu stillen, d. h., in ihr Fuß zu fassen. Die Frage ist erlaubt, ob nicht in solchen Bestrebungen der Normalfall zu suchen ist und das zuna¨chst charakterisierte Pha¨nomen – „Raubritter“ contra „Pfeffersack“ – zwar spektakula¨r, nicht aber repra¨sentativ zu nennen ist. Vielleicht hat es lediglich als Symptom partieller Interessengegensa¨tze zu gelten. Keineswegs jedenfalls erfaßt man mit den bisher vorgestellten Beispielen die gesamte Komplexita¨t und Vielschichtigkeit der Fragestellung „Adel und Stadt, Adel und Bu¨rgertum“. Vielmehr spiegeln sie lediglich die Probleme, die fu¨r die Wahrnehung der Zeit um 1500, des ausgehenden Mittelalters insgesamt und damit fu¨r

15 Rolevinck (wie Anm. 10), S. 208. 16 Es genu¨gt hier, auf Graf, Feindbild (wie Anm. 5), bes. S. 132, zu verweisen.

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das Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts, im Vordergrund standen. Es geht dabei im wesentlichen um die Frage nach dem Verha¨ltnis von Adel außerhalb der Stadt zu den Bu¨rgern innerhalb der Stadt. Das ist jedoch nicht die ganze Wirklichkeit, obwohl das Quellenmaterial, insbesondere die erza¨hlenden Quellen dieses Verha¨ltnis stark in den Vordergrund ru¨cken. Das heißt aber im Grunde zuna¨chst nur, daß in diesem Verha¨ltnis fu¨r die Zeitgenossen besondere Probleme und besonders auffa¨llige Konfliktfelder angelegt waren und andere Aspekte des Verha¨ltnisses Stadt und Adel in ihrer Wahrnehmung in den Hintergrund traten. Von ihnen soll nun die Rede sein. Zwar geht es nicht an, hier alle Aspekte gleichma¨ßig auszuleuchten, es soll versucht werden, in dreifachem Zugriff zu verdeutlichen, worum es zu gehen hat, wenn man von Adel und Stadt im deutschen Mittelalter spricht. Es handelt sich im wesentlichen um drei Komplexe: 1. Um die Rolle des Adels in der Stadt im Aufstiegszeitalter der europa¨ischen Stadt vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, vor allem um die Rolle des Adels in der Entstehungsphase bu¨rgerlicher Gemeinschaften. Im Mittelpunkt steht dabei das Problemfeld „Stadt und Ministerialita¨t“, und d. h. selbstversta¨ndlich auch, daß man sich gleichzeitig mit Fragen der Adelsgeschichte selbst, besonders mit der Entstehung des niederen Adels auseinanderzusetzen hat. 2. Es handelt sich dabei auch um die Herausbildung von Gruppen adeligen Charakters innerhalb der Stadt, die aus den Fu¨hrungsgruppen der sta¨dtischen Gesellschaft herauswachsen, um die Entstehung von Stadtadel und Patriziat. Das ist ein Komplex, der nicht nur dem sta¨dtischen Bu¨rgertum des Mittelalters, sondern wiederum auch dem Adel selbst zum Problem wurde. Es versteht sich, daß dieses Problemfeld mit dem ersten durch vielerlei Verbindungslinien verflochten ist. 3. Es ist noch einmal zu den Fragen zuru¨ckzukehren, von denen hier ausgegangen wurde: Zu den Beziehungen des landgesessenen Adels zur Stadt. Auch hier kann ¨ berschau mit plakativen Charakterisierungen selbstversta¨ndlich nur eine knappe U gegeben werden, ja im Grunde muß es bei der Benennung der Probleme bleiben, die nur durch einige Beispielfa¨lle illustriert werden ko¨nnen.

I.

Die Geschichte des Verha¨ltnisses von Adel und Stadt ist bekanntlich in den einzelnen Großregionen Europas recht unterschiedlich verlaufen. In Italien beispielsweise blieb in den Wirren der Vo¨lkerwanderungszeit der antike Umfang der Sta¨dte und ihre Siedlungsfla¨che im allgemeinen erhalten. Hinzu trat lediglich in der Regel eine Ummauerung. In Gallien und Germanien dagegen schrumpfte die sta¨dtische Siedlungsfla¨che jeweils auf eine ummauerte Reststadt, eine Art Zitadelle mit geringem Areal. Das hat sozialgeschichtliche Folgen gehabt. In Italien blieb der grundbesitzende Adel stadtsa¨ssig und garantierte so auf Dauer die enge Verpflechtung von Stadt und Umland. Die sta¨dtische Gesellschaft setzte sich so von Anfang an aus Adelsfa-

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milien und Adelsgruppen zusammen, in ihr vermochte sich ein Stadtherr nicht zur bestimmenden Kraft aufzuschwingen. Auch der Bischof war nur ein Exponent dieser stadtsa¨ssigen Adelsgesellschaft und konnte von ihr kontrolliert werden.17 No¨rdlich der Alpen dagegen hat die Aristokratie schon in spa¨tro¨mischer Zeit die Stadt verlassen, und der fra¨nkische Adel hat sich ebenfalls nicht in den Sta¨dten niedergelassen, sondern eher neben ihnen. Das hat zur Folge gehabt, daß die befestigte Reststadt, vor allem des gallischen Bereichs, in die Hand eines Stadtherrn geriet, der die bestimmende Kraft darstellte und mit einer eigenen Gefolgschaft die Stadt zu verteidigen in der Lage war. Dieses Modell ist auch fu¨r die Neugru¨ndungen von civitates wa¨hrend der Karolingerzeit bestimmend gewesen. Die fru¨hen Sta¨dte des Frankenreichs und seiner Nachfolgereiche sind keine Adelsgemeinschaften, sondern werden von einem Stadtherrn dominiert, der allenfalls als der Exponent des Kra¨fteverha¨ltnisses des außerhalb der Stadt gesessenen Adels zu sehen ist. Jedenfalls bestimmt die bischo¨fliche Stadtherrschaft die fru¨he Phase der Stadtgeschichte no¨rdlich der Alpen und damit auch im werdenden deutschen Reich. Neben den civitates – ob sie nun auf ro¨mischen Wurzeln gru¨ndeten oder Neubildungen der karolingisch-ottonischen Zeit darstellten – finden sich nur wenige Pla¨tze, die vor dem 12. Jahrhundert als Sta¨dte angesprochen werden ko¨nnen. In Westfalen wird man neben den Bischofssitzen Mu¨nster, Osnabru¨ck, Minden und Paderborn lediglich Soest dazurechnen ko¨nnen, allenfalls mit Einschra¨nkungen den ko¨niglichen Platz Dortmund und vielleicht das von Corvey dominierte Ho¨xter.18 Mit Sicherheit hat auch der fru¨h- und hochmittelalterliche Adel des entstehenden deutschen Reichs Besitz in den Sta¨dten gehabt. Gelegentlich geben die Quellen Hinweise darauf, ohne daß man sich ein systematisches Bild davon machen ko¨nnte. Aufs Ganze aber bestimmt der Stadtherr die Geschicke der Stadt mit einer von ihm abha¨ngigen Gefolgschaft, mit der die Stadt verteidigt werden konnte, in der aber auch die Funktionselite vereint war, die administrative und o¨konomische Aufgaben in der Stadt und fu¨r den Stadtherrn wahrnahm. Diese Funktionselite, eine Dienstmannschaft des Stadtherrn, entfaltet sich in den sozialen Formen der Ministerialita¨t, der als bestimmendes Merkmal die Herkunft aus der Abha¨ngigkeit, ja der Unfreiheit anhaftete. Gleichwohl gilt fu¨r sie das Prinzip des sozialen Aufstiegs fu¨r den Dienst, den sie zu leisten in der Lage war. Die Ministerialita¨t ist auch – das ist eine Binsenwahrheit – zur Ausgangsbasis eines großen Teils des spa¨tmittelalterlichen Adels, insbesondere des niederen Adels geworden. Dieses Problemfeld ist hier nicht weiter zu betrachten. Die rechts- wie die sozialgeschichtliche Forschung hat es seit dem 19. Jahrhundert intensiv diskutiert.19 17 Vgl. etwa Hagen Keller, Die Entstehung der italienischen Stadtkommunen als Problem der Sozial-

geschichte, in: FMSt Studien 10 (1976), S. 172ff. 18 Vgl. nur den allgemeinen U ¨ berblick von Edith Ennen, Die europa¨ische Stadt des Mittelalters, Go¨ttin-

gen 1972, bes. S. 105ff.; Reinhold Kaiser, Bischofsherrschaft zwischen Ko¨nigtum und Fu¨rstenmacht. Studien zur bischo¨flichen Stadtherrschaft im westfra¨nkisch-franzo¨sischen Reich im fru¨hen und hohen Mittelalter (Pariser Historische Studien 17), Bonn 1981; zu Westfalen Carl Haase, Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdke I, 11), Mu¨nster 41984, S. 16–38. 19 In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg haben vor allem Karl Bosl und Josef Fleckenstein die Forschung vorangetrieben, vgl. nur Karl Bosl, Die Reichsministerialita¨t der Salier und Staufer (Schrif-

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Es liegt auf der Hand, daß diese Vorga¨nge auch fu¨r die gesellschaftliche Entwicklung der Sta¨dte Folgen haben mußten. Die fu¨hrenden Gruppen der civitates, der Bischofssta¨dte, die meliores, die den Rat der Sta¨dte dominierten, sind offenbar zu einem großen Teil aus der Ministerialita¨t des bischo¨flichen Stadtherrn hervorgegangen oder in den spa¨teren Reichssta¨dten auch aus der ko¨niglichen Ministerialita¨t. Wa¨hrend dieser Gedankengang der a¨lteren verfassungsgeschichtlichen Forschung eher fremd war, haben die Forschungen der letzten Jahrzehnte, so sehr sie auch in Einzelproblemen unterschiedliche Auffassungen vertraten, den Beweis fu¨hren ko¨nnen, daß das Bu¨rgertum des ausgehenden Mittelalters in seinen Fu¨hrungsschichten eine ministerialische Wurzel hat und daß sich das Hineinwachsen der Ministerialita¨t in die sta¨dtische Gesellschaft parallel zur Umformung der Ministerialita¨t zum niederen Adel im außersta¨dtischen Bereich vollzogen hat.20 In der Tat ist gelegentlich dieser Vorgang an verschiedenen Zweigen ein und derselben Familie zu beobachten.21 ¨ ber diese Vorga¨nge besteht inzwischen weitgehend Einigkeit, vor allem leuchU tet ein, daß bestimmte Aufgabenfelder der stadtherrlichen Ministerialita¨t zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen haben mu¨ssen. Insbesondere ist immer wieder die Gruppe jener Ministerialen in den Blick der Forschung geraten, die fu¨r den Stadtherrn das Mu¨nzrecht handhabte.22 Diese Ta¨tigkeit brachte sie in unmittelbaren Zusammenhang mit den o¨konomischen Funktionen, die der Stadt im Umstrukturierungsprozeß des 12. und 13. Jahrhunderts zuwuchsen, vor allem mit dem Handel. Auf diese Weise – so lauten in zusammenfassenden Darstellungen ha¨ufig die Formulierungen – war ein Teil der Ministerialita¨t auch in den Handel hineingewachsen, der herko¨mmlicherweise als das eigentliche Merkmal der Sta¨dte neben der Konzentration der Gewerbeta¨tigkeit und deren Differenzierung gilt. Aus der Vereinigung dieser als Funktionselite zu verstehenden Ministerialita¨t und dem Fernha¨ndlertum, das die Stadt als Stu¨tzpunkt benutzte und dort ansa¨ssig wurde, war die sta¨dtische Fu¨hrungsschicht des Bu¨rgertums hervorgegangen. Welche Rolle dabei ein Schwurver-

ten der MGH 10/1–2), Stuttgart 1950/51; ders., Das ius ministerialium. Dienstrecht und Lehnrecht im deutschen Mittelalter, in: Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen (VuF 5), Sigmaringen 21972, S. 51ff.; Josef Fleckenstein, Die Entstehung des niederen Adels und das Rittertum, in: Herrschaft und Stand. Untersuchungen zur Sozialgeschichte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Josef Fleckenstein (VMPI 51), Go¨ttingen 1977, S. 17–39. Vgl. jetzt auch Karl-Heinz Spiess, Sta¨ndische Abgrenzung und soziale Differenzierung zwischen Hochadel und Ritteradel im Spa¨tmittelalter, in: RhVjbll 56 (1992), S. 181–205. 20 Vgl. zu dieser Diskussion Zotz, Adel in der Stadt (wie Anm. 5) und die dort verzeichnete Literatur. Hervorgehoben seien noch Knut Schulz, Ministerialita¨t und Bu¨rgertum in Trier (RhArch 66), Bonn 1968; Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow, Stadt und Ministerialita¨t (VKomGLdkdBW B 76), Stuttgart 1973, sowie zuletzt die zusammenfassenden Bemerkungen von Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters, Mu¨nchen 1993, S. 47ff. 21 Bes. deutlich ein Beispiel in Wu¨rzburg: der Familienverband de Foro-von Zabelstein, vgl. Johanna Reimann, Zur Besitz- und Familiengeschichte der Ministerialen des Hochstiftes Wu¨rzburg, in: MainfrkJb 15 (1963), S. 12–14. 22 Vgl. zu dieser Gruppe grundlegend Wilhelm Jesse, Die deutschen Mu¨nzer-Hausgenossen, in: NumZ 63 (NF 23) (1930), S. 47–92, beispielhaft Winfried Schich, Wu¨rzburg im Mittelalter. Studien zum Verha¨ltnis von Topographie und Bevo¨lkerungsstruktur (StF A 3), Ko¨ln/Wien 1977, S. 242–263.

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band (coniuratio) zur Bekra¨ftigung einer solchen Vereinigung gespielt haben ko¨nnte, kann hier außer Betracht bleiben.23 Adel und Handel schließen sich nach herko¨mmlicher Auffassung aus, und in der Tat hat der neuzeitliche und auch bereits der spa¨tmittelalterliche Adel an Handelsgescha¨ften unmittelbar nicht teilgenommen.24 Fu¨r die hochmittelalterliche Ministerialita¨t wird man das nicht mit der gleichen Scha¨rfe und Bestimmtheit behaupten du¨rfen. Zugespitzt formuliert wa¨re dem entgegenzusetzen: Handel geho¨rt zu den genuinen Aufgaben stadtherrlicher Ministerialita¨t. Das muß kurz begru¨ndet werden. Die sozialgeschichtliche Forschung u¨ber das Fru¨h- und Hochmittelalter hat immer die Figur des freien und unabha¨ngigen Fernha¨ndler hervorgehoben, ja Handel in der Hand von abha¨ngigen, weisungsgebundenen, in herrschaftlichen Bindungen stehenden Kra¨ften scheint nicht recht vorstellbar. Dennoch ist um die Tatsche nicht herumzukommen, daß die Kaufleute des fru¨heren Mittelalters unter mannigfachen herrschaftlichen Bindungen ta¨tig sind. Die in der Raffelstetter Zollordnung aus dem Beginn des 10. Jahrhunderts genannten bayerischen Adeligen wickeln Transport und Absatz der Salzproduktion offenbar u¨ber Eigenleute ab. Immer wieder sto¨ßt man von der Karolingerzeit bis in das 10. und 11. Jahrhundert in den Quellen auf Kaufleute kirchlicher Institutionen, auf Kaufleute der Bischo¨fe und der Ko¨nige, die auch in perso¨nlichen Abha¨ngigkeiten zu ihren Herren stehen.25 Auch der Blick auf andere Kulturkreise kann dazu dienen, der scheinbaren Unvereinbarkeit von abha¨ngiger Stellung einer Person und Handelsta¨tigkeit die Scha¨rfe des Gegensatzes zu nehmen. In der vom Handel dominierten Sta¨dtekultur des Islam im Fru¨h- und Hochmittelalter arbeitete der Kaufmann, insbesondere der ju¨dische Kaufmann, zu einem großen Teil mit Sklaven, die fu¨r ihn in Handelsgescha¨ften ta¨tig waren. Diese kaufma¨nnische Ta¨tigkeit der Sklaven vollzog sich gerade auch vor allem im Fernhandel, bei dem sie allein und selbsta¨ndig lange Reisen unternahmen. In der Regel wurden sie nach einiger Zeit freigelassen und beta¨tigten sich dann als Partner oder doch Gescha¨ftsfreunde ihres fru¨heren Herrn.26 Fru¨h- und hochmittelalterlicher Handel ist demnach durchaus nicht ausschließlich Angelegenheit des freien, unabha¨ngigen Fernha¨ndlers gewesen, und im u¨brigen nimmt die Entwicklung der Ministerialita¨t selbst, wie sie sich wa¨hrend des 11. und 12. Jahrhunderts vollzog, dem Argument der Abha¨ngigkeit viel von seiner Scha¨rfe.

23 Zum bekanntesten und vieldiskutierten Beispiel in Trier (1132) vgl. Schulz, Ministerialita¨t und Bu¨r-

gertum (wie Anm. 20), S. 26–31.

24 Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Handelsgeist und Adelsethos. Zur Diskussion um das Handels-

verbot fu¨r den deutschen Adel vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: ZHF 15 (1988), S. 273–315.

25 Vgl. dazu nur die Hinweise bei Peter Johanek, Der fra¨nkische Handel der Karolingerzeit im Spie-

gel der Schriftquellen, in: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und fru¨hgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil IV: Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit, hg. v. Klaus Du¨wel/Herbert Jankuhn/Harald Siems/Dieter Timpe (AbhAkGo¨tt 3, 156), Go¨ttingen 1987, S. 7–68, hier S. 55, 60f. 26 Dieses Modell kaufma¨nnischer Beta¨tigung ausfu¨hrlich beschrieben nach den Dokumenten der Geniza von Kairo in dem monumentalen Werk von Samuel D. Goitein, A Mediterranean Society, Bde. 1–5, Berkeley 1967ff., kurz zusammengefaßt ders., Letters of Medieval Jewish Traders, Princeton 1973, S. 13f.

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Die Emanzipation der Ministerialen von ihren Dienstherren, die in den mehrfach bezeugten Ministerialenaufsta¨nden des 12. Jahrhunderts sichtbar wird, zeugt von einem außerordentlich selbsta¨ndigen Agieren, und es liegt auf der Hand, daß die Bewegungsfreiheit und die Spielra¨ume eines Dienstmannes, der im Auftrag eines Stadtherrn im Fernhandel ta¨tig war, sehr weit gespannt war. In diesen sozialgeschichtlichen Zusammenha¨ngen liegt die Wurzel ministerialischer Handelsta¨tigkeit, in die die Ministerialen nicht erst u¨ber andere Aufgaben, etwa in der Mu¨nzpra¨gung oder in der Anpassung an eine freie Fernha¨ndlergruppe, hineingewachsen sind. Am Beginn der sta¨dtischen Gesellschaftsentwicklung stehen demnach auch ministerialische Ha¨ndler. Wolfram von Eschenbach kann als Zeuge dafu¨r gelten, wenn er in seinem „Willehalm“ zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine der auftretenden Personen mit den Versen charakterisiert: Der koufman hiez Wıˆmar / der was von ritters art erborn.27 Auch aus dem urkundlichen Material ließe sich mancher Beleg beibringen; hier mag ein Beispiel aus Mu¨nster genu¨gen: Im Jahre 1229 erscheint unter den ministerialischen Zeugen eine Urkunde ein Hermannus incisor, also ein Tuchha¨ndler.28 In Mu¨nster treffen wir auch auf eine sta¨dtische Fu¨hrungsgruppe, die bis in das 15. Jahrhundert hinein die Besetzung des Rates fu¨r sich monopolisierte. Es sind die Erbma¨nner, und sie sind nachweislich im Fernhandel, in hansischen Zusammenha¨ngen, insbesondere im Englandhandel ta¨tig gewesen. Obwohl direkte Quellenzeugnisse fehlen, wird man dennoch in Parallele zu anderen Bischofssta¨dten auch bei den Erbma¨nnern zumindestens teilweise ministerialische Herkunft annehmen du¨rfen.29 Als Fazit ergibt sich die Feststellung: Am Beginn des Aufschwungs des mittelalterlichen Sta¨dtewesens steht als einer der bestimmenden Faktoren die Ministerialita¨t der Stadtherr, und ihre Geschichte stellt auch ein wesentliches Stu¨ck deutscher Adelsgeschichte dar. Die Entwicklung, von der bislang die Rede war, hat sich im wesentlichen in den civitates, in den Bischofsta¨dten vollzogen. In diesen Pla¨tzen werden die Prozesse der mittelalterlichen Urbanisierung, insbesondere die Emanzipation der sta¨dtischen Gesellschaft von ihren Stadtherren zuerst faßbar. Sie gelten als Modelle der Stadtentwicklung schlechthin, fußen aber auf Voraussetzungen des fru¨hen Mittelalters. Daneben steht die große Menge der seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts und wa¨hrend des 13. und 14. Jahrhunderts neu gegru¨ndeten Sta¨dte, die zumeist in die territorialpolitischen Konzeptionen der Landesherren eingebunden waren.30 Auch in

27 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, hg. v. Albert Leitzmann (Altdeutsche Textbibliothek 15),

Tu¨bingen 21958, V. 130/131,1, S. 103. 28 Westfa¨lisches Urkundenbuch III: Die Urkunden des Bisthums Mu¨nster 1201–1300, bearb. v. Roger

Wilmans, Mu¨nster 1859, Nr. 259, S. 142.

29 Vgl. zu ihnen Karl-Heinz Kirchhoff, Die Erbma¨nner und ihre Ho¨fe in Mu¨nster. Untersuchungen zur

Sozialtopographie einer Stadt im Mittelalter, in: Westf Z 116 (1966), S. 3–26 (ND in: ders., Forschungen zur Geschichte von Stadt und Stift Mu¨nster, hg. v. Franz Petri u. a., Warendorf 1988, S. 53–76); vgl. auch u. Anm. 39. 30 Zu quantitativen Aspekten der mittelalterlichen Sta¨dteentwicklung vgl. Heinz Stoob, Die hochmittelalterliche Sta¨dtebildung im Okzident, in: Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, hg. v. Heinz Stoob (Sta¨dtewesen 1), Ko¨ln/Wien 1985, S. 125–150; zur Einbindung in die Territorialkonzeption exemplarisch an westfa¨lischen Beispielen Wilfried Ehbrecht, Mittel- und Kleinsta¨dte in der Territorialkonzeption westfa¨lischer Fu¨rsten. Lippstadt als Modell, in: JbRG 14 (1987), S. 104–141.

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ihnen fehlt ein vergleichbares Element nicht, auch hier wird stadtherrliche Ministerialita¨t und landesherrlicher Dienstadel in den Stadtwerdungsprozeß eingebunden. Neben den o¨konomischen Funktionen der Stadt stand fu¨r die Landesherren vor allem deren Wert als Festung, als milita¨rischer Platz im Vordergrund.31 In diesem Konzept kam adeligen Burgma¨nnern als Tra¨gern der milita¨rischen Funktionen eine wesentliche Rolle zu, obwohl selbstversta¨ndlich auch die Bu¨rger an den Verteidigungslasten mittrugen. Materielle Grundlage fu¨r diese milita¨rische Beta¨tigung der Burgmannen ist ihre Ausstattung mit Burgmannenho¨fen innerhalb der Stadt. Ho¨fe dieser Art ko¨nnen eine solche Siedlung dominieren, besonders dann, wenn sie als Minderstadt, Freiheit oder Wigbold konzipiert ist32, wie etwa im westmu¨nsterla¨ndischen Nienborg oder sie ko¨nnen doch einem Stadtteil sein besonderes Gepra¨ge geben, wenn sie nicht etwa, wie in der Reichsstadt Friedberg, einem besonderen, von der Stadt durch Mauern geschiedenen Burgbezirk zugeordnet sind.33 Im lippischen Lemgo etwa konzentrieren sich die Burgmannenho¨fe im nordwestlichen Teil der Stadt in jenem Gebiet, das herko¨mmlicherweise „auf den sieben Ho¨fen“ hieß.34 Man wird auch, insbesondere in der Anfangsphase solcher landesherrlicher Sta¨dte mit einem betra¨chtlichen Einfluß dieser sozialen Gruppe der Burgma¨nner auf die sta¨dtischen Selbstverwaltungsgremien zu rechnen haben. In der Lemgo benachbarten Stadt Rinteln etwa sind 1252 von 10 Ratsherren 8 adelige Burgmannen, und den Urkundenformeln treten ritter neben die cives und scabini35. In den mittelalterlichen Sta¨dten bestand auf diese Weise, u¨ber die Ho¨fe der Burgmannen, eine adelige Pra¨senz. Sie war von verschiedenartiger Intensita¨t. In Kleinoder Mindersta¨dten konnte sie dominierend werden, in großra¨umigen Gru¨ndungen, wie etwa in Lemgo gewannen sicherlich bald Kaufleute und Handwerkerschaft die fu¨hrenden Positionen. Insgesamt aber muß gelten, daß sich auch in den Gru¨ndungssta¨dten, in jenen Gebilden, die im wesentlichen die Urbanisierungsphase des Mittelalters getragen haben, sich von Anfang an ein adeliges Element befunden hat, mit dem die sta¨dtische Gesellschaft leben mußte. Es versteht sich, daß sich hier ganz unterschiedliche Entwicklungsverla¨ufe ergeben. Je gro¨ßer die Stadt, desto deutlicher wird das adelige Element im Laufe des Mittelalters entweder aufgesogen oder doch aus dem Stadtregiment herausgedra¨ngt.

31 Vgl. Carl Haase, Die mittelalterliche Stadt als Festung. Wehrpolitisch-milita¨rische Einflußbedingun-

gen im Werdegang der mittelalterlichen Stadt, in: Studium Generale 16 (1963), S. 379–390 (ND in: ders. [Hg.], Die Stadt des Mittelalters, Bd. 1 [WdF 243], Darmstadt 21975, S. 377–407). 32 Dazu grundlegend Heinz Stoob, Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, in: VSWG 46 (1959), S. 1–28 (ND in: ders., Forschungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970, S. 225–245). 33 Thomas Schilp, Die Reichsburg Friedberg im Mittelalter. Untersuchungen zu ihrer Verfassung, Verwaltung und Politik (Wetterauer Geschichtsbla¨tter 31), Friedberg 1982; ders. (Bearb.), Die Reichsburg Friedberg im Mittelalter. Regesten der Urkunden 1216–1410 (VHKomHess 3,2), Marburg 1987. 34 Heinz Stoob, Lemgo (WestfStAtl II, 8), Dortmund 1981. 35 Walter Maack, Die Rintelner Statuten des 14. bis 16. Jahrhunderts und die Gnaden der Gilden und Bruderschaften (Schaumburger Studien 24), Rinteln 1970, S. 35f.

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II.

Es ist nun vom „Stadtadel“ oder „Patriziat“ zu sprechen, d. h. von der Ausbildung und der Beanspruchung adelsgleicher Stellung durch Bu¨rger einer Stadt.36 Es war schon die Rede davon, daß die Fu¨hrungsgruppen der mittelalterlichen Stadt, die ha¨ufig die Sitze im Rat und deren Besetzung fu¨r sich monopolisierten, sich aus der Ministerialita¨t des Stadtherrn rekrutiert hatten. Doch sie haben diese Bindungen im Laufe der Zeit abgestreift, und gerade sie sind es ha¨ufig, die den sta¨dtischen Emanzipationsprozeß, der sich vor allem in den Kathedralsta¨dten von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts abspielte, im wesentlich getragen haben. Man wird behaupten ko¨nnen, daß die ministerialische Abkunft, wo sie gegeben war, in Vergessenheit geriet, anders gewendet: nicht Element einer legitimierenden Tradition wurde. Vielmehr verstanden sich Patrizier, Erbma¨nner, Konstabler oder wie immer die Bezeichnungen lauten, mit denen sie in den Quellen erscheinen, als cives, als Bu¨rger. Dennoch bildeten sie eine abgehobene, ha¨ufig sozialexklusive Gruppe mit eigenen Heiratskreisen, in die ha¨ufig auch der Landadel miteinbezogen wurde. Am sta¨rksten ausgepra¨gt und von langer Dauerhaftigkeit war diese Entwicklung bekanntlich im Nu¨rnberger Patriziat, bei den nobiles Norimbergenses.37 Ihnen gelang es auch, nach voru¨bergehenden Turbulenzen in der Mitte des 14. Jahrhunderts, das Stadtregiment vollsta¨ndig in ihren Ha¨nden zu behalten. Andererseits hatten die Patrizier doch erhebliche Schwierigkeiten, eine sta¨ndische und soziale Gleichstellung mit dem Landadel, insbesondere mit der Reichsritterschaft, zu erreichen. Erst 1697 hat Kaiser Leopold I. ihnen „das uraltadelige und ritterliche Herkommen“ besta¨tigt, das den Nu¨rnberger Ratsfamilien eigen sei, „die, ehe sie sich in die Stadt begeben, in dem adeligen und ritterma¨ßigen Stand gelebt“ ha¨tten.38 Auch die mu¨nsterschen Erbma¨nner haben bekanntlich a¨hnliche Auseinandersetzungen in einem lange andauernden Prozeß vor den ho¨chsten Reichsgerichten durchgefochten, der 1685 positiv fu¨r sie entschieden wurde, sie jedoch gleichzeitig vo¨llig aus dem sta¨dtischen Bu¨rgertum lo¨ste, was bei den Nu¨rnberger Patriziern nicht der Fall war.39 Was hier sichtbar wird, ist das Ergebnis eines spa¨tmittelalterlichen sta¨ndischen Differenzierungsprozesses. Zum einen geriet innerhalb der Stadt die politische Stellung der ratsfa¨higen Geschlechter aus der Entstehungszeit und Emanzipationsphase 36 Vgl. zum Problemkreis den Sammelband Deutsches Patriziat 1430–1740, hg. v. Hellmuth Ro ¨ ssler,

Darmstadt 1968; Ingrid Ba´tori, Das Patriziat der deutschen Stadt, in: Die alte Stadt 2 (1975), S. 1–30; Carl-Hans Hauptmeyer, Vor- und Fru¨hformen des Patriziats mitteleuropa¨ischer Sta¨dte, in: Die alte Stadt 6 (1979), S. 1–20, sowie Rudolf Endres, Adel und Patriziat in Oberdeutschland, in: Sta¨ndische Gesellschaft und soziale Mobilita¨t, hg. v. Winfried Schulze/Helmut Gabel, Mu¨nchen 1988, S. 221–238. 37 Vgl. Hanns Hubert Hofmann, Nobiles Norimbergenses. Beobachtungen zur Struktur der reichssta¨dtischen Oberschicht, in: ZBayLG 28 (1965), S. 114–150; Diefenbacher, Stadt und Adel (wie Anm. 5), mit Lit. 38 Hofmann, Nobiles (wie Anm. 37), S. 142. 39 Vgl. Rudolfine Freiin von Oer, Die „verdrießliche Negotiation“ des Syndikus Heerde am Kaiserhof in den Jahren 1708 bis 1710, in: WestfZ 137 (1987), S. 9–23; Wolfgang Weikert, Erbma¨nner und Erbma¨nnerprozesse. Ein Kapitel mu¨nsterscher Stadtgeschichte, Mu¨nster/New York 1990.

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der deutschen Sta¨dte seit dem 14. Jahrhundert unter den Druck der nichtpatrizischen Kaufleute und prosperierenden Gewerbetreibenden, die in den Zu¨nften organisiert waren; sie mußten auf diese Weise Einbußen in ihren Positionen im Stadtregiment hinnehmen. Auf der anderen Seite vollzog sich gleichzeitig eine Abgrenzung des Adels gegenu¨ber dem Bu¨rgertum mit dem Ziel sta¨ndischer Selbstvergewisserung.40 Das a¨ußert sich in der Gru¨ndung von Adelsgesellschaften41 und in der Kodifizierung von Regeln adeligen Verhaltens, etwa in der Literaturgattung der Ritterspiegel. Diese Abgrenzungsbemu¨hungen werden vor allem aber deutlich in Bestimmungen, die die Bu¨rger von der Teilnahme an bestimmten adeligen Kommunikationsformen ausschließen, vom Turnier. Die Heidelberger Turnierordnung von 1485 nennt zum ersten Mal die disqualifizierende Wirkung der Handelsgescha¨fte. Wer Handel treibt, wird nicht als turnierfa¨hig betrachtet.42 Ebendies aber ist aus der Beta¨tigung der Nu¨rnberger Patrizier nicht wegzudenken, und auch die mu¨nsterschen Erbma¨nner etwa haben sich um 1500 keineswegs bereits vo¨llig aus dem Handel und den Geldgescha¨ften zuru¨ckgezogen.43 Es ging bei diesen Abschließungstendenzen auch um politischen Einfluß und um materielle Versorgung von Standesangeho¨rigen, d. h. um die Pla¨tze in den Dom- und Stiftskapiteln, in die Angeho¨rige des sta¨dtischen Patriziats hineindra¨ngten, und um die seit 1400 zunehmend scha¨rferen Anforderungen auf adelige Abkunft hinsichtlich der erforderlichen Ahnenzahl, die bis ins 16. Jahrhundert sta¨ndig hinaufgesetzt wurden. In diesen Abgrenzungsprozessen spiegelt sich nicht lediglich die Verscha¨rfung einer seit dem Entstehen der Sta¨dte gegebenen Dichotomie von Stadt und Adel, einer „Systemgrenze zwischen hierarchischer und genossenschaftlicher Gesellschaftsordnung“44. Das wa¨re zu kurz gegriffen, obwohl nicht zu bestreiten ist, daß sich der Graben zwischen Bu¨rgertum und Landadel seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts vertiefte. Vor allem aber sah sich die spa¨tmittelalterliche Stadt in ihren inneren Verha¨ltnissen in eine Dauerauseinandersetzung mit dem Problem des Adels verstrickt, und dies nicht etwa nur deswegen, weil der landsa¨ssige Adel in die Stadt dra¨ngte. Vielmehr waren es jene Abschließungstendenzen einzelner Gruppen innerhalb der sta¨dtischen Gesellschaft, die zu adeligem Verhalten tendierten. Darin liegen einerseits gewichtige Gru¨nde fu¨r innersta¨dtische Konflikte, auf der anderen Seite demonstriert die Entwicklung auch die Attraktivita¨t der Modelle adeliger Lebensweise fu¨r die sta¨dtische Gesellschaft. Das ist ein Problemfeld, das die auf Verfassungsgeschichte und

40 Vgl. Knut Schulz, Stadtadel und Bu¨rgertum vornehmlich in oberdeutschen Sta¨dten im 15. Jahrhun-

dert, in: Stadtadel und Bu¨rgertum in den italienischen und deutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, hg. v. Reinhard Elze/Gina Fasoli, Berlin 1991, S. 161–181, hier S. 177. 41 Vgl. Ritterorden und Adelsgesellschaften im spa¨tmittelalterlichen Deutschland, hg. v. Holger Kruse/ Werner Paravicini/Andreas Ranft, Frankfurt 1991; Ranft, Adel und Stadt (wie Anm. 5); ku¨nftig ders., Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spa¨tmittelalterlichen Reich, Sigmaringen 1995. 42 Zu dieser Entwicklung Zotz, Adel (wie Anm. 5), S. 43ff.; Stollberg-Rilinger, Handelsgeist (wie Anm. 24), S. 277f. 43 Peter Johanek, Handel und Gewerbe, in: Geschichte der Stadt Mu¨nster, hg. v. Franz-Josef Jakobi, Mu¨nster 1993, S. 663. 44 Andermann, Ritterliche Gewalt (wie Anm. 4), S. 39.

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soziale Konfliktabla¨ufe fixierte Stadtgeschichtsforschung im Grunde noch zu wenig bescha¨ftigt hat. Eine Bescha¨ftigung mit dieser Thematik ist umso dringlicher, als diese Attraktivita¨t adeligen Lebensstils nicht lediglich vom Patriziat und vergleichbaren Gruppen, denen Adelsqualita¨ten zukamen oder sich doch zusprechen ließen, empfunden wurde, sondern durchaus auch in andern Teilen der sta¨dtischen Eliten sich beobachten la¨ßt. Belege ließen sich dafu¨r aus verschiedensten Bereichen beibringen, am deutlichsten jedoch aus dem Umfeld des Turniers. Das ritterliche Turnier ist ein Kampfspiel, das dem exercitium in den ritterlich-milita¨rischen Fa¨higkeiten dient. Es simuliert Kampfsituationen in sehr realistischer Weise, es etabliert Rangordnungen, indem es den erfolgreichen Teilnehmern Prestige verschafft und es ist Bestandteil der ho¨fischen Festkultur.45 Ihre Ausgestaltung ist ganz offenbar im hohen Maße den Exempeln verpflichtet, die die epische Literatur – die Epen um Ko¨nig Artus vor allem – bereitstellte und vermittelte. Dieses ritterliche Kampfspiel ist auch von der sta¨dtischen Gesellschaft fru¨h aufgenommen und gepflegt worden. Eine der fru¨hesten und zugleich ausfu¨hrlichsten Beschreibungen findet sich in der Magdeburger Scho¨ppenchronik fu¨r das Jahr 1280, niedergeschrieben wurde der Bericht kurz nach 136046: In dussen tiden weren hir noch kunstabelen. dat weren der rikesten borger kinder; de plegen dat spel vor to stande in den pingsten, als den Roland, den schildekenbom, tabelrunde und ander spel, dat nu de ratmannen sulven vorstan. Die Herkunft dieser Festlichkeiten aus der ho¨fischen Epik ist unverkennbar, bemerkenswert ist aber, daß urspru¨nglich die Konstabler, also eine patriziatsa¨hnliche Gruppe der sta¨dtischen Gesellschaft Magdeburgs, diese Spiele veranstaltete, zur Zeit der Niederschrift der Chronik die Leitung aber in die Ha¨nde des Rats u¨bergegangen ist. Der Bericht fa¨hrt fort: in dem vor geschreven stride was ein kunstabel, de heit Brun van Sconenbeke. dat was ein gelart man. den beden sine gesellen, de kunstabelen, dat he on dichte und bedechte ein vroeidich spel. des makede he einen gral und dichte hovesche breve. de sande he to Gosler to Hildesheim und to Brunswik Quedlingeborch Halberstad und to anderen steden, und ladeden to sik alle koplude, de dar ridderschop wolden oven, dat se to on quemen to Magdeborch: se hedden eine schone vruwen, de heit vrow Feie; de scholde men geven den, de se vorwerven konde mit tuchten und manheit. Man setzte also eine Frau als Preis aus, und es ist zu befu¨rchten – wie die Schlußbemerkung des Berichts nahelegt – daß sie einer etwas zweifelhaften Beta¨tigung nachging. Auf diese Ladung hin kam nun eine große Schar von jungen Leuten aus verschiedenen Sta¨dten, vor allem aus Goslar und Braunschweig, nach Magdeburg, ein großes Fest wurde veranstaltet, die Teilnehmer forderten sich gegenseitig heraus und ka¨mpften miteinander. Die Beschreibung schließt: To lesten vordeinde vrowen Feien ein olt kopman van Goslere; de vorde se

45 Zum Turnier vgl. nur den Sammelband Das ritterliche Turnier im Mittelalter, hg. v. Josef Fleckenstein

(VMPI 80), Go¨ttingen 1985, sowie die bei Ranft, Adel und Stadt (wie Anm. 5), und Zotz, Adel in der Stadt (wie Anm. 5), zitierte Literatur. 46 Die Chroniken der niedersa¨chsichen Sta¨dte: Magdeburg 1 (ChrDtSt 7), Leipzig 1869 (ND Go¨ttingen 1962), S. 168f.

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mit sik und gaf se to der e und gaf or so vele mede dat se ores wilden levendes nicht mer ovede. Die Magdeburger Scho¨ppenchronik schildert die Adaptation adelig-ho¨fischer Kultur durch die sta¨dtische Gesellschaft, und Kaufleute sind offenbar die eifrigsten Teilnehmer an diesem Vorgang. Auch das Interesse der sta¨dtischen Gesellschaft an ho¨fischer Literatur wird deutlich, wenn berichtet wird, Brun von Scho¨nebeck habe hovesche breve verfaßt und u¨berdies nach dem Fest ein Buch daru¨ber geschrieben. Das Magdeburger Turnier ist kein Einzelfall, in mehreren Schu¨ben haben die deutschen Sta¨dte das adelige Kampfspiel wa¨hrend des Spa¨tmittelalters in ihre eigene Gemeinschaftskultur rezipiert. Auch andere Geselligkeitsformen, die an Ko¨nig Artus und seine Tafelrunde erinnern, sind nicht selten; die Artusho¨fe von Danzig und Riga mo¨gen als Beispiel genu¨gen. Wa¨hrend der Ostseebereich, der Hanseraum, seine Vorbilder im englischen Bereich gesucht haben ko¨nnte, wo seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts, vor allem zur Zeit Eduards I. und Eduards III., sich ein außerordentlicher Aufschwung der arthurischen Kultur vollzog47, ist das u¨brige Deutschland von der mittelhochdeutschen Epik gepra¨gt. Man wird behaupten du¨rfen, daß das sta¨dtische Bu¨rgertum ein ebenso wesentlicher Tra¨ger der ho¨fischen Literatur in ¨ berlieferung gewesen ist, wie der Adel auf dem Lande. schriftlicher und bildlicher U Es ist sicherlich kein Zufall, daß das wohl bedeutendste Zeugnis mittelalterlicher Heroldskunst in Deutschland das Wappenbuch des Konrad Gru¨nenberg von 1483 aus dem sta¨dtischen Bereich, von einem Konstanzer Patrizier stammt.48 Diese Hinweise ko¨nnen genu¨gen, sie vermo¨gen deutlich zu machen, daß sich in der Oberschicht der sta¨dtischen Gesellschaft eine Standeskultur etablierte, die sich auf die gleichen oder doch a¨hnliche Elemente stu¨zte wie die adelige. Diese Standeskultur der sta¨dtischen Oberschicht u¨berschnitt sich mit der adeligen Kultur, ja u¨bte sie unter Umsta¨nden perfekter, als es einem großen Teil des Adels fernab bedeutender Ho¨fe mo¨glich war, da die Realisierung dieser Kultur selbstversta¨ndich vom Arrangement eines Festes hin bis zur ku¨nstlerischen Ausgestaltung von Hauswa¨nden und Innenra¨umen mit Motiven aus der ho¨fischen Epik nicht unbedeutende finanzielle Mittel erforderte. Bereits die Konstabler von Magdeburg waren der rikesten borger kinder, und es liegt auf der Hand, daß auch Bu¨rger ihren Reichtum zur Erlangung von adeligen Statussymbolen einsetzten, die nicht den Geschlechtern angeho¨rten, die nicht eine genealogische Abstammung aus dem Stadtadel beanspruchen konnten. Adelsgleichen Status zu demonstrieren mochte durch die Teilnahme an der Adelskultur im sta¨dtischen Bereich leicht gelingen. Hierhin geho¨rt auch die Bauta¨tigkeit der bu¨rgerlichen Eliten und vor allem auch der Erwerb von Grundbesitz außerhalb der Sta¨dte und die Anna¨herung an die Formen adeligen Landlebens. Wiederum braucht nur an die Nu¨rnberger Patrizier und die mu¨nsterschen Erbma¨nner erinnert zu werden. Wirkliches Eindringen in die Nobilita¨t und dauerhafte Verpflechtung mit adeligen Familien aber gewa¨hrte nur das Konnubium. Auch dazu ist es selbstversta¨ndlich vielfach 47 Vgl. Peter Johanek, Ko¨nig Arthur und die Plantagenets. U ¨ ber den Zusammenhang von Historio-

graphie und ho¨fischer Epik in mittelalterlicher Propaganda, in: FMSt 21 (1987), S. 346–389, hier S. 362–365. 48 Vgl. dazu Winfried Stelzer, Gru¨nenberg, Konrad, in: VL2, Bd. 3, Sp. 288–290.

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und in mannigfacher Weise gekommen. Zwar haben die neueren Forschungen zur Geschichte des Adels an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit ergeben, daß keineswegs von einer vo¨lligen Verarmung des Adels die Rede sein kann, jedoch kamen – um es auf eine Kurzformel zu bringen – finanzielle Sanierungen von Adelsgeschlechtern durch reiche, auch bu¨rgerliche Heiraten vor. Das ist der Hintergrund fu¨r ein Pauschalurteil, das 1547, also kurz nach der Epochenwende, der Berner Chronist Valerius Anshelm gefa¨llt hat. Er beklagte, daß einerseits die Fu¨rsten aus schribern, schinderen und koufluten edling machen, also Nobilitierungen von Bu¨rgern vorgenommen wurden und andererseits der alt geborn adel verderbend, sich mit richer burgern und koufluten verhurung erhalten muss. Als Beispiel nannte Anshelm dabei vor allem den Fucker von Augsburg, so ein waeber gesin, unmißversta¨ndlich auf die geringe Herkunft eines der ma¨chtigsten Financiers Europas anspielend, dessen Geschlecht sich auf dem Wege zum Landadel und zur Landesherrschaft befand.49 Hier vernimmt man ein Echo jener Abgrenzungsbemu¨hungen, des Strebens nach Exklusivita¨t, das im Adel des 15. Jahrhunderts lebendig wurde. Allerdings sind nicht alle ehelichen Verbindungen zwischen Adeligen und Bu¨rgern aus purer finanzieller Notlage des Adels heraus geschlossen worden. Geld und Wirtschaftsinteressen jedoch du¨rften dabei stets, und zwar auf beiden Seiten, eine Rolle gespielt haben. Wenn beispielsweise um 1500 mehrfach Angeho¨rige der fu¨hrenden Familien Ho¨xters, die die Bu¨rgermeister der Stadt stellten, sich mit Adeligen versippten, so lag dem das Bestreben zugrunde, den Landbesitz zu vermehren, der la¨ngst die wirtschaftliche Grundlage ihrer Existenz darstellte.50 Die Tatsache aber, daß diese Bu¨rger geeignete adelige Partnerinnen fanden, belegt eindringlich die Akzeptanz, auf die ein Konnubium mit der sta¨dtischen Oberschicht im niederen Landadel trotz der beschriebenen Abgrenzungsbestrebungen stieß. Auf der anderen Seite wird jedoch auch deutlich, daß die sta¨dtische Oberschicht, auch wenn sie nicht von alters her durch patrizische Traditionen gepra¨gt war, ha¨ufig nach Wegen in die Nobilitierung suchte und nicht unbedingt einer „bu¨rgerlichen Ideologie“ anhing.

III.

Es muß nun wenigsten noch kurz vom Verha¨ltnis des landgesessenen Adels zur Stadt die Rede sein, von der Begegnung von Bu¨rgern und Rittern, die sich nicht lediglich auf staubiger Landstraße unter Fußtritten und Schlimmerem sowie in der Wegnahme ¨ berschneidung der beiden Spha¨von Kaufmannsgut erscho¨pfte. Einiges von der U ren ist in dem Vorgetragenen bereits angeklungen. Am unkompliziertesten waren 49 Rolf Ko ¨ hn, Einkommensquellen des Adels im ausgehenden Mittelalter, illustriert an su¨dwestdeut-

schen Beispielen, in: Schriften des Vereins fu¨r die Geschichte des Bodensees 103 (1985), S. 33–62, hier S. 52. 50 Vgl. Heinrich Ru ¨ thing, Ho¨xter um 1500. Analyse einer Stadtgesellschaft, Paderborn 1986, S. 264–268, 355f.

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die Beziehungen dort, wo die Stadt die ureigensten Eigenschaften des Adels nutzte, seine milita¨rischen Fa¨higkeiten. Die Sta¨dte nahmen So¨ldner in Dienst, um ihre Fehden zu fu¨hren und Bu¨ndnisverpflichtungen nachzukommen. Als Anfu¨hrer der So¨ldner bestellte sie Adelige, wiederum gegen Sold. Einige westfa¨lische Beispiele ko¨nnen genu¨gen. Das ganze 14. Jahrhundert hat Dortmund So¨ldner eingestellt, und u. a. um seine Verpflichtungen aus dem Landfrieden zu erfu¨llen. Adelige, wie die Ritter Hermann von der Mu¨hlen und Brunstein von Uhlenbrock, bezogen feste Jahresgeha¨lter, Kord von Mo¨llenbeck stand bei der Stadt Osnabru¨ck 1436 im Dienst und verdiente offenbar gut dabei, das Zehnfache eines einfachen So¨ldners. Auch die Stadt Ko¨ln gab außerordentlich große Summen fu¨r die Anfu¨hrer der Gleven aus, die regelma¨ßig Adelige waren: Einhundert Gulden fu¨r drei Monate Dienst.51 Man wird behaupten ko¨nnen, daß die So¨ldnerta¨tigkeit des Adels fu¨r die Sta¨dte von erheblicher o¨konomischer Bedeutung war und es liegt eine gewisse Ironie darin, daß die Sta¨dte „oft gerade jene Adeligen in ihren Sold genommen haben, die als Friedenssto¨rer beru¨chtigt waren“52. Milita¨rischer Dienst von Adeligen fu¨r Sta¨dte ist ein wichtiger Faktor im Verha¨ltnis von Adel und Stadt im ausgehenden Mittelalter, doch im Grunde unterschied er sich keineswegs vom Solddienst fu¨r einen Fu¨rsten oder einen anderen Adeligen. Mo¨glicherweise zahlte die Stadt pu¨nktlicher. Das Verha¨ltnis von Adel und Stadt erscho¨pft sich auch nicht darin, vielmehr ist zu beobachten, daß gegen Ende des Mittelalters Adelige ihren Wohnsitz versta¨rkt in Sta¨dte verlegten. Es mag vorgekommen sein, daß Solddienst fu¨r eine Stadt zur dauernden Niederlassung fu¨hrte, die Regel war es jedoch nicht. Dennoch haben die Adeligen des ausgehenden Mittelalters das Leben in der Stadt offenbar gesucht. Es handelt sich um jenes Pha¨nomen, das man im Anschluß an Ulrich von Huttens Brief an Willibald Pirckheimer als die Sehnsucht des Adels nach der Stadt umschreiben kann.53 Es geht dabei – verku¨rzt gesprochen – um die Nutzung sta¨dtischer Infrastruktur, und sie la¨ßt sich durch Beispiele aus sehr verschiedenen Bereichen belegen. Wie die Sta¨dte die Kriegsdienste des Adels in Anspruch nahmen, so versicherten sich Adelige bu¨rgerlicher Schreiber, um die Administration von Kriegszu¨gen abzuwickeln. So hatte etwa eine schwa¨bische Rittervereinigung, die „Gesellschaft mit der Krone“, einen Nu¨rnberger Ratsschreiber in Dienst genommen, der dann wiederum seinem Rat u¨ber diese Ta¨tigkeit berichtete.54 Hier faßt man einen Zipfel jenes ausgebreiteten Nu¨rnberger Spionagenetzes, u¨ber das auch Go¨tz von Berlichingen berichtet, das aber ¨ berfall bei Wu¨rzburg, von dem eingangs die Rede war, versagt hatte.55 bei jenem U

51 Die Beispiele bei Go ¨ rner, Raubritter (wie Anm. 4), S. 41–46. 52 Kurt Andermann, Zu den Einkommensverha¨ltnissen des Kraichgauer Adels an der Wende vom Mit-

telalter zur Neuzeit, in: Die Kraichgauer Ritterschaft in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Stefan Rhein (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 3), Sigmaringen 1993, S. 65–121, hier S. 98; vgl. allgemein Ulf Dirlmeier, Untersuchungen zu Einkommensverha¨ltnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters (Mitte 14. bis Anfang 16. Jahrhundert) (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1978, 1), Heidelberg 1978, S. 68f. 53 Vgl. oben mit Anm. 6 u. 7. 54 Ranft, Adel und Stadt (wie Anm. 5), S. 55f.; der Aufsatz Ranfts ist auch im folgenden stets heranzuziehen. 55 Vgl. oben mit Anm. 9.

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Nur deswegen war der Nu¨rnberger Kaufmann bereits zum dritten Mal in die Falle des Berlichingers gegangen. Gerade die Adelsgesellschaften haben die Symbiose mit der Stadt nicht selten gesucht. Sie bewahrten dort ha¨ufig ihre Kassen auf und nutzten sta¨dtische Kirchen fu¨r ihre Versammlungen, wohl auch, um diese Veranstaltungen sozusagen im Rahmenprogramm angenehmer gestalten zu ko¨nnen. Hierhin geho¨rt auch, daß die Sta¨dte bevorzugter Austragungsort ritterlicher Turniere gewesen sind.56 Es geht hier also auch um die Teilnahme des Adels an der Stadtkultur, die wiederum – es war die Rede davon – nicht unwesentlich von adeligen Inhalten gepra¨gt war. Der gesamte Vorgang findet eine Parallele auch darin, daß die Landesfu¨rsten zunehmend die Verbindung von Hofhaltung und Stadt anstrebten, der Typus der Residenzstadt sich entwickelte.57 Zum Schluß sei lediglich noch auf drei Ausformungen der Symbiose von Adel und Stadt verwiesen: a) Bereits seit dem 13. Jahrhundert lassen sich Adelige nachweisen, die das Bu¨rgerrecht einer Stadt zu erwerben strebten, weil sie sich Vorteile davon erhofften. Diese Ausbu¨rger oder auch Pfahlbu¨rger nahmen zum weitaus u¨berwiegenden Teil ihren Wohnsitz nicht in der Stadt, konnten aber gelegentlich doch zu Mitwohnern werden oder sta¨dtischen Grundbesitz erwerben. Im ganzen handelt es sich um ein weites, schwieriges und noch keineswegs systematisch bearbeitetes Feld der sta¨dtischen Rechtsgeschichte, das dringend weiterer regionaler Fallstudien bedarf.58 b) Der la¨ndliche Adel hat auch am sta¨dtischen Bruderschaftswesen teilgehabt. Bruderschaften sind wesentlich vergesellschaftende Elemente der vormodernen Zeit, Organisationen, die von ihrem Urspung her in ihrer Zweckbestimmung auf das Totengedenken gerichtet waren, im Grunde aber „beinahe alle Lebensaspekte des einzelnen Mitglieds erfassende und pra¨gende Kra¨fte“ darstellten.59 In diesen Bruderschaften, sei es nun in den Priestergenossenschaften, die im Norden Deutschland durch die Kalande, in Mu¨nster durch den großen Kaland des Domes, repra¨sentiert werden, oder in den Modebruderschaften des 15. Jahrhunderts, den Sebastiani- und Annenbruderschaften, finden sich gegen Ende des Mittelalters, zunehmend im beginnenden 16. Jahrhundert, regelma¨ßig 56 Vgl. die U ¨ berlegungen und Beispiele bei Ranft, Adel und Stadt (wie Anm. 5), und Zotz, Adel in der

Stadt (wie Anm. 5).

57 Vgl. Knut Schulz, Residenzstadt und Gesellschaft vom Hoch- zum Spa¨tmittelalter, in: Territorium

und Residenz am Niederrhein, hg. v. Klaus Flink/Wilhelm Janssen (Klever Archiv 14), Kleve 1993, S. 211–227, sowie Peter Johanek, Zusammenfassung, ebd., S. 233. 58 Edith Ennen, Ausbu¨rger, in: LexMA 1, Mu¨nchen 1980, Sp. 1246f., im u¨brigen die Bemerkungen bei Zotz, Adel in der Stadt (wie Anm. 5), S. 31ff. 59 Ranft, Adel und Stadt (wie Anm. 5), S. 53. In der in letzter Zeit stark angewachsenen Literatur zum Bruderschaftswesen finden sich immer wieder Belege zum Anschluß von Angeho¨rigen des Landadels an das sta¨dtische Bruderschaftswesen, ein systematischer Zugriff auf das Themenfeld erfolgte jedoch nicht. Zum sta¨dtischen Bruderschaftswesen zuletzt: Einungen und Bruderschaft in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Peter Johanek (StF A 32), Ko¨ln/Weimar/Wien 1993; auch hier fehlt eine einschla¨gige Studie.

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neben der bu¨rgerlichen Mittel- und Oberschicht Angeho¨rige des Adels. Das ist ein Befund, der Anlaß gibt, u¨ber das zunehmende Engagement des Adels in der Stadt nachzudenken und dieses Pha¨nomen gru¨ndlicher zu untersuchen, als es bislang geschehen ist. c) Zu beachten ist auch der sichtbare architektonische Niederschlag adeliger Pra¨senz in der Stadt und der Teilhabe an sta¨dtischer Infrastruktur: die Adelsho¨fe. In ihrer heute erhaltenen baulichen Substanz entstanden sie zumeist in den Jahrhunderten der Neuzeit, doch handelt es sich dabei durchaus um eine Erscheinung, die ihre Grundlage im Mittelalter hat. Dabei ist jedoch offenbar mit starken Unterschieden von Stadt zu Stadt zu rechnen. In Mu¨nster beispielsweise lassen sich Ho¨fe des Adels aus dem Umland – abgesehen selbstversta¨ndlich von den Ho¨fen der Erbma¨nner – erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts nachweisen. Dabei machten die Edelherren von Steinfurt, die freilich immer schon eine Kemenate an der Ju¨defelder Straße besaßen, den Anfang, indem sie das Areal dieses Hofes am Ende des 15. Jahrhunderts entscheidend erweiterten. Der u¨brige Landadel folgte allerdings erst im 16. Jahrhundert.60 Auch in anderen Sta¨dten deutet manches daraufhin, daß sich diese Bewegung des Adels in die Stadt im 16. Jahrhundert versta¨rkte. Im Lemgo gab es von alters her die alten Burgmannenho¨fe, aber manche von ihnen gingen in andere Ha¨nde u¨ber. So wurde der Primhof der Familie von Wend 1363 der Stadt Lemgo zur Gru¨ndung des Armen- und Siechenhauses St. Loyen u¨bergeben. Als aber die Stadt nach der Reformation im Jahre 1562 dieses Spital in die leerstehenden Geba¨ude des Observantenklosters verlegt, kaufte die Adelsfamilie den Hof zuru¨ck. Die von Kerssenbrock, die von Donop, auch die von Mu¨nchhausen erwarben dann wa¨hrend des 16. Jahrhunderts Besitz in Lemgo, wobei die ersteren offenbar ebenfalls von den Reformationsfolgen profitierten, indem sie eines der ehemaligen Beginenha¨user erwarben.61 Pra¨senz dieser Art in der Stadt bedeutete – es ist zu wiederholen – die Teilhabe an der sta¨dtischen Infrastruktur. Sie erlaubte eine großzu¨gige Repra¨sentation und brachte zudem o¨konomische Vorteile, vor allem wenn ein solcher Hof u¨ber Freiheitsprivilegien verfu¨gte und a¨hnlich wie ein Klosterhof zum Umschlagplatz der grundherrlichen agrarischen Produktion zu werden vermochte. Daran wird noch einmal deutlich, daß das Verha¨ltnis Adel – Stadt im Grunde einen Ausschnitt aus dem Verha¨ltnis von Stadt und Umland darstellt. So wie die einzelnen bu¨rgerlichen Gruppen von Anfang an durch Landbesitz und Landnutzung u¨ber die Mauern hinausgegriffen und sich agrarisch beta¨tigt haben, suchten auch die Adeligen die Verklammerung mit dem Wirtschaftko¨rper Stadt. Offenbar ist ihnen dies erst spa¨t gelungen, wenn nicht gru¨ndlichere Untersuchungen und gu¨nstige Quellenlage andere Ergebnisse zeitigen sollten.

60 Vgl. Joseph Prinz, Mimigernaford-Mu¨nster. Die Entstehungsgeschichte einer Stadt (VHKomWestf

XXII 4), Mu¨nster 31981, S. 219f., vgl. jetzt auch Mechthild Siekmann, Adelsho¨fe in der Topographie der Stadt Mu¨nster, in: Hufschmidt, Adel in der Stadt (wie Anm. 62), S. 295–308. 61 Stadt Lemgo, bearb. v. Otto Gaul/Ulf-Dietrich Korn (Bau- und Kunstdenkma¨ler von Westfalen 49/1), Mu¨nster 1983, S. 611f., sowie allgemein S. 593ff., vgl. jetzt auch Bernd Mu¨ller, Adelsho¨fe in Lemgo, in: Hufschmidt, Adel in der Stadt (wie Anm. 62), S. 243–260.

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Bislang jedenfalls scheint es, daß der Adel eben um die Wende zum 16. Jahrhundert versta¨rkt die Na¨he der Stadt und das Wohnen und Agieren in der Stadt zu suchen begann, trotz der sta¨rkeren Abgrenzungstendenzen, die im sta¨ndischen Bereich wa¨hrend des 15. Jahrhunderts sichtbar werden. Vielleicht ebneten nun auch die sta¨rker werdenden Zugriffsmo¨glichkeiten der Landesherren auf ihre Sta¨dte, resultierend im geringer werdenden Spielraum sta¨dtischer Autonomie, dem Landadel den Weg dorthin. Doch dies ist eine Entwicklung, die bereits der fru¨hen Neuzeit angeho¨rt und hier nun nicht mehr zu behandeln ist. Wenn hier u¨ber diese Pra¨senz des Landadels in der Stadt, seine Stadtho¨fe und seine Bindungen an die Stadt nur wenig auszusagen war und nur vage die Ausbildung einer sta¨rker werdenden Bindung angedeutet werden konnte, so liegt dies nicht allein daran, daß der Umfang dieses Beitrags begrenzt bleiben sollte. Es hat seine Grund auch darin, daß hier ein Forschungsdefizit besteht, daß man zwar die Grundpha¨nomene und Elemente der Symbiose von Stadt und Adel zu erkennen vermag – eben etwa Bu¨rgerrechte fu¨r Adelige, Mitgliedschaften in sta¨dtischen Bruderschaften und adelige Stadtho¨fe –, daß man aber noch nicht in der Lage ist, regional und chronologisch zu differenzieren und unterschiedlich intensives Verhalten auf diesem Gebiet herauszuarbeiten. Hier ero¨ffnen sich weitreichende Perspektiven, interessante Wege der stadtgeschichtlichen Forschung, die in den na¨chsten Jahren beschritten werden sollten.62 Ein junger o¨sterreichischer Forscher hat vor einiger Zeit festgestellt, es glaube wohl niemand mehr ernsthaft, daß Stadt und Adel Widerspru¨che seien, daß mit diesen beiden Begriffen der Gegensatz von freiem Bu¨rgertum und feudaler Welt zur Anschauung gebracht werden ko¨nne.63 Er mag damit Recht haben, jedenfalls was weite Teile der historischen Zunft angeht. Eine zentrale Rolle jedoch spielt das Verha¨ltnis von Adel und Stadt in der Stadtgeschichtsforschung keineswegs. Der Sinn ¨ berschau auf diese Beitrags liegt darin, in einer notwendigerweise fragmentarischen U dieses Problem sta¨rker aufmerksam zu machen. Es sollte in unser Bewußtsein ru¨cken, daß das Verha¨ltnis von Stadt und Adel von Anfang an, seit dem Aufstieg der Sta¨dte im hohen Mittelalter zu einem grundlegenden Problem der sta¨dtischen Sozialgeschichte geho¨rt, das sich nicht im Bild von Raubritter und Pfeffersack erscho¨pft. Deswegen war von den beiden letzteren hier so wenig die Rede, sondern eher von Symbiosen adeliger und sta¨dtischer Lebenswelt, auch wenn diese den Keim sozialen Konflikts in sich trugen.

62 Einen ersten Versuch stellte eine gemeinsam vom Weserrenaissance-Museum/Brake und vom Institut

fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte/Mu¨nster im Herbst 1995 veranstaltete Tagung dar, vgl. Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, red. v. Anke Hufschmidt (Materialien zur Kunstund Kulturgeschichte in Nord- u. Westdeutschland 25), Marburg 1996. 63 Herwig Weigl, Sta¨dte und Adel im spa¨tmittelalterlichen O ¨ sterreich, in: Oberdeutsche Sta¨dte im Vergleich. Mittelalter und Fru¨he Neuzeit, hg. v. Joachim Jahn u. a. (Regio. Forschungen zur schwa¨bischen Regionalgeschichte 2), Sigmaringendorf 1989, S. 74–100, hier S. 74.

RESIDENZENBILDUNG UND STADT ¨ RSTEN BEI GEISTLICHEN UND WELTLICHEN FU IM NORDWESTEN DEUTSCHLANDS [Erstabdruck: Historia Urbana 5 (1997), S. 91–108]

Die Beitra¨ge dieses Bandes sind dem Thema „Stadt und Residenz“ gewidmet. Die Ausbildung ko¨niglicher und fu¨rstlicher Residenzen muß als ein wichtiger Aspekt der Verfassungsgeschichte des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit gelten, und zwar in ganz Europa. Doch nirgendwo hat das Thema eine derart große verfassungsgeschichtliche Relevanz wie auf dem Gebiet des Alten Deutschen Reichs. In den letzten Jahrzehnten hat sich in der deutschen Geschichtswissenschaft, insbesondere in der Media¨vistik, eine Erneuerung der Verfassungsgeschichte auf sozialgeschichtlicher Basis vollzogen, und gerade dadurch ist auch das Interesse an der Erforschung der mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Residenzenbildung enorm gestiegen. Im ¨ berschau u¨ber das verfassungsgeschichtliJahr 1972 hat Hans Patze erstmals eine U che Potential geboten, das in dem Thema enthalten ist, und zehn Jahre spa¨ter legte er ein Programm zur Erforschung der landesherrlichen Residenzen im Reich vor, das gleichzeitig einen Fragenkatalog enthielt, der fu¨r die Untersuchung einzelner Residenzorte eine Art Leitfaden entwarf.1 Um den Forschungen, die er plante, eine feste Basis zu geben, gru¨ndete er 1985 bei der Akademie der Wissenschaften in Go¨ttingen eine Kommission zur Erforschung der Residenzen im spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Reich.2 Diese Kommission publiziert eine Schriftenreihe, und in Deutschland hat seither eine große Zahl von Tagungen zum Residenzenproblem und zu Fragen des fu¨rstlichen Hofes stattgefunden.3 Es handelt sich demnach um ein 1 Hans Patze, Die Bildung der landesherrlichen Residenzen im Reich wa¨hrend des 14. Jahrhunderts, in:

Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert. Entwicklungen und Funktionen, hg. v. Wilhelm Rausch (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 2), Linz 1972, S. 1–54; Hans Patze/Gerhard Streich, Die landesherrlichen Residenzen im spa¨tmittelalterlichen deutschen Reich, in: BllDtLG 118 (1982), S. 205–220. 2 Vorsitzender 1987–1990 Peter Johanek; seit 1990 Werner Paravicini. Seit 1991 vero¨ffentlicht die Kommission ein halbja¨hrlich erscheinendes Informationsheft: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Go¨ttingen, Jg. 1 (1991ff.); besonders verwiesen sei auf Sonderheft 1: Auswahlbibliographie von Neuerscheinungen zu Residenz und Hof 1991–1995, Kiel 1995. 3 Residenzenforschung, hg. v. d. Residenzen-Kommission der Go¨ttinger Akademie der Wissenschaften, Sigmaringen 1990ff., bislang 5 Ba¨nde: 1: Vortra¨ge und Forschungen zur Residenzenfrage, hg. v.

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Residenzenbildung und Stadt im Nordwesten Deutschlands

¨ ffentlichkeit auf großes InterThema, das in der Geschichtswissenschaft und in der O esse sto¨ßt, und das liegt nicht zuletzt daran, daß der Frage der Residenzbildung in der deutschen Verfassungsgeschichte besondere Relevanz zukommt. Das hat seine Gru¨nde wiederum in den besonderen Wegen der deutschen Verfassungsgeschichte. In der Regel ist der Gegenstand der europa¨ischen Residenzenforschung die Frage nach der Herausbildung des Herrschaftszentrums einer Monarchie, die Frage nach deren Kapitale und Hauptstadt. Dabei erscheinen Hauptstadtund Residenzbildung als Attribute der Verdichtung von Herrschaft, die durch sie ein festes Zentrum erha¨lt und dadurch an Zentralita¨t gewinnt. Dies ist ein Vorgang, der ¨ bergang zur Neuzeit sich u¨berall in Europa wa¨hrend des spa¨ten Mittelalters und im U vollzieht. In Deutschland jedoch kommt dieser Vorgang, wie u¨berhaupt der Prozeß der Verstaatlichung, nicht auf der Ebene des Reiches in Gang. Es bildet sich kein Machtzentrum, keine Hauptstadt des Reiches in seiner Gesamtheit aus. Zwar gibt es Sta¨dte, in denen sich der Ko¨nig oft sehr lange aufhielt und residierte, wie etwa bestimmte Reichssta¨dte, beispielsweise Nu¨rnberg und Augsburg. Jedoch entwickelte sich keine dieser Sta¨dte zu einer dauerhaften Residenz des deutschen Ko¨nigs und ro¨mischen Kaisers, ebenso wie es wa¨hrend der Dauer des Alten Reichs keinem der Orte gelang, an denen sich Institutionen des Reichs niederließen, den Herrscher und seinen Hof auf Dauer an sich zu ziehen. Dies gelang Speyer mit dem Reichskammergericht ebensowenig wie Regensburg seit dem 17. Jahrhundert durch die Pra¨senz des Immerwa¨hrenden Reichstags. Dem deutschen Ko¨nig, mochte er ein Wittelsbacher, ein Luxemburger oder Habsburger sein, bot sich vielmehr als Fixpunkt seiner Ko¨nigsherrschaft das Machtzentrum an, das sich als Residenzort seines Territoriums herausgebildet hatte. Der deutsche Ko¨nig residierte fu¨r gewo¨hnlich in einer Residenz, die nicht die Hauptstadt des Reichs, sondern der Residenzort eines seiner Territorien war.4 Das heißt auch: Residenzbildung vollzieht sich in Deutschland im Rahmen der Ausgestaltung der landesfu¨rstlichen Territorien und erweist sich wie diese als ein Geschehen von verwirrender Vielfalt. Einen Eindruck davon kann bereits ein kurzer Blick auf eine Territorienkarte des Reichs im spa¨teren Mittelalter zu vermitteln. Der Osten des Reichs weist verha¨ltnisma¨ßig große Territorien aus, wie Bo¨hmen, Bay¨ sterreich, auch die Mark Brandenburg. Vergleichbares gilt auch fu¨r die linksern, O rheinischen Gebiete in den Niederlanden. Der deutsche Nordwesten jedoch, der Peter Johanek; 2: Kurt-Ulrich Ja¨schke, Nichtko¨nigliche Residenzen im spa¨tmittelalterlichen England (1990); 3: Konrad Amann, Die landesherrliche Residenzstadt Passau im spa¨tmittelalterlichen Deutschen Reich (1992); 4: Dieter Kerber, Herrschaftsmittelpunkte im Erzstift Trier. Hof und Residenz im spa¨ten Mittelalter (1995); 5: Alltag bei Hofe, hg. v. Werner Paravicini (1995); zu den Tagungen vgl. Bd. 1, S. 9f., und die Mitteilungen der Residenzenkommission, passim. 4 Vgl. etwa Wilhelm Berges, Das Reich ohne Hauptstadt, in: Das Hauptstadtproblem in der Geschichte (Jahrbuch fu¨r Geschichte des deutschen Ostens 1), Tu¨bingen 1952, S. 1–19; zum Hauptstadtproblem insgesamt auch: Hauptsta¨dte. Entstehung, Struktur und Funktion, hg. v. Alfred Wendehorst/Ju¨rgen Schneider (Schriften des Zentralinstituts fu¨r fra¨nkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universita¨t Erlangen-Nu¨rnberg 18), Neustadt a. d. Aisch 1979; Hauptsta¨dte in europa¨ischen Nationalstaaten, hg. v. Theodor Schieder/Gerhard Brunn (Studien zur Geschichte des 19. Jahrhunderts 12), Wien 1983; sowie Klaus Neitmann, Was ist eine Residenz, in: Johanek, Vortra¨ge und Forschungen (wie Anm. 3), S. 11–43.

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hier in erster Linie betrachtet werden soll, ist herrschaftlich stark zersplittert, allerdings nicht so stark wie die Lande um den Mittelrhein und Main oder in Schwaben. Auch haben sich in Nordwestdeutschland um 1400 bereits einigermaßen feste Territorialgrenzen herausgebildet, und der Prozeß der Herrschaftsverdichtung und Herrschaftsintensivierung im Fu¨rstenstaat hat in den einzelnen Territorien bereits eingesetzt.5 Betrachtet man die Landkarte im Nordwesten zwischen Elbe und Rhein no¨rdlich der Mittelgebirge, so fa¨llt die Dominanz der geistlichen Staaten ins Auge: das Erzbistum Bremen, die Bistu¨mer Verden, Hildesheim, Minden, Paderborn, Osnabru¨ck, Mu¨nster, Utrecht und das Erzbistum Ko¨ln. Im Osten kommen noch Halberstadt und Magdeburg hinzu, die hier außer Betracht bleiben. Einige dieser geistlichen Territorien haben eine sehr große Fla¨chenausdehnung, wie etwa Mu¨nster und Ko¨ln. Dagegen wirken die weltlichen Territorien insgesamt kleiner. Lediglich das Herzogtum Braunschweig scheint eine Ausnahme zu machen. Doch dieser Eindruck ist nicht ganz richtig. Das landesfu¨rstliche Geschlecht der Welfen hat sich bereits im 13. Jahrhundert in mehrere Linien gespalten, die dann jeweils eigene Territorien ausgebildet haben; diese wurden zum Teil spa¨ter wieder vereinigt. Im ausgehenden Mittelalter sind die wichtigsten welfischen Herzogtu¨mer Braunschweig-Lu¨neburg, Braunschweig mit dem Zentrum der Stadt Braunschweig, das dann spa¨ter Braunschweig-Wolfenbu¨ttel genannt wird, Braunschweig-Calenberg und BraunschweigGrubenhagen.6 Auch sie sind also kleinere Herrschaftsgebilde, wie die meisten weltlichen Territorien in diesem Bereich. Lediglich am Rhein finden sich weltliche Territorien betra¨chtlicher Gro¨ße: Das Herzogtum Berg und das Herzogtum Kleve, das sich außerdem 1391 mit der Grafschaft Mark durch Erbschaft vereinigte. Daneben existieren eine Vielzahl kleinerer Territorien, und in jedem dieser Gebilde hat sich der Prozeß der Ausbildung von Residenzen vollzogen, jedes besaß am Ende des Alten Reiches eine Residenzstadt. Stadt und Residenz, so lautet unser Thema. Nichts scheint selbstversta¨ndlicher zu sein, als daß sich die Residenz in einer Stadt befindet. Auch das große allgemeine Lexikon, das man im Deutschland des 18. Jahrhunderts gebrauchte, der „Zedler“, definiert: „Residentz ist diejenige Stadt, in welcher ein Potentat oder Fu¨rst sein Hoflager 5 Vgl. die Karten in: Geschichtlicher Handatlas von Westfalen, 1. Lfg., Nr. 2: Politische und admini-

strative Gliederung um 1590, Mu¨nster 1975; Geschichtlicher Handatlas von Niedersachsen, bearb. v. Gudrun Pischke, Neumu¨nster 1989, Karte 34 u. 35 a. Diese Karten zeigen den am Ende des Mittelalters erreichten Zustand; einen Eindruck von den komplizierten Verha¨ltnissen wa¨hrend des Mittelalters vermittelt die Karte von Gerhard Theuerkauf, Die ostwestfa¨lischen Territorien um 1400, in: Ostwestfa¨lisch-weserla¨ndische Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde, hg. v. Heinz Stoob, Mu¨nster i. W. 1970, S. 413–415 u. Beilagenkarte; vgl. im u¨brigen zur Territorialentwicklung: Geschichte der deutschen La¨nder. „Territorien-Ploetz“, hg. v. Georg Wilhelm Sante, Bd. 1, Wu¨rzburg 1964; Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, hg. v. Herbert Grundmann, Bd. 2, Stuttgart 81955, S. 437– 617; Peter Moraw, Die Entfaltung der deutschen Territorien im 14. und 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien im Spa¨tmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß fu¨r Diplomatik, Mu¨nchen 1983, Teilband 1 (Mu¨nchener Beitra¨ge zur Media¨vistik und Renaissance-Forschung 35), Mu¨nchen 1984, S. 61–108. 6 Vgl. dazu Geschichtlicher Handatlas von Niedersachsen (wie Anm. 5), Karte 26, mit S. 12, dazu Gudrun Pischke, Die Landesteilungen der Welfen im Mittelalter (Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Historische Landesforschung der Universita¨t Go¨ttingen 24), Hildesheim 1987.

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ha¨lt, daselbst auch die obern Collgia, als Regierung, Hofgericht, Cammer und andere, so die gemeinen Angelegenheiten des Landes zu besorgen haben, verbleiben.“7 Dem ist entgegenzusetzen: Diese Lexikonaussage gibt ein Endergebnis wieder. Im Prozeß der Residenzenbildung jedoch gibt es lange und wichtige Phasen, in denen nicht Sta¨dte die Residenzorte sind, sondern Burgen. In der Benennung der welfischen Herzogtu¨mer kommt das gut zum Ausdruck. Zwar ist Braunschweig eine Stadt, von ihr nimmt die Benennung des Herzogtums seinen Ausgang; doch von den genannten Teillinien nennt nur eine ihr Territorium nach einer Stadt, na¨mlich nach Lu¨neburg. Die anderen nennen sich nach Burgen, nach Calenberg, Grubenhagen und Wolfenbu¨ttel, welch letzteres sich erst im 16. Jahrhundert zu einer Stadt entwickelt.8 Dieses Pha¨nomen ha¨ngt eng zusammen mit der Herrschaftspraxis der mittelalterlichen Herrscher und Fu¨rsten. Sie u¨bten Herrschaft bekanntlich im Umherziehen, als Reiseherrschaft aus, und die Rekonstruktion ihres Itinerars, ihres Weges durch ihr Herrschaftsgebiet, la¨ßt die Orte erkennen, an denen sie sich bevorzugt aufhielten. Solchen Orten kommt ha¨ufig Residenzcharakter zu, und das gilt auch – dies sei vorweggenommen – fu¨r Territorien sehr geringer Ausdehnung.9 Ein Beispiel wird noch vorgestellt werden. Die Ursachen fu¨r die Reiseherrschaft liegen darin, daß der Fu¨rst seine Herrschaft im Mittelalter perso¨nlich ausu¨ben muß, wenn er sein Territorium herrschaftlich durchdringen will. Das gilt ebenso fu¨r Verwaltung und Rechtssprechung, die sich weitgehend mu¨ndlich vollziehen, wie fu¨r die Entfaltung fu¨rstlichen Splendors, die Repra¨sentation der Macht. Im 15. und 16. Jahrhundert wandelt sich die Struktur des engeren Hofes, den der Regensburger Domkanoniker Konrad von Meyenberg als curia minor oder curia cottidiana bezeichnet hat.10 Dabei handelt es sich um den eigentlichen Hofstaat, den Personenkreis der ministri, der sich sta¨ndig um den 7 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollsta¨ndiges Universal-Lexikon 3 1, 1742, ND Graz 1961, Sp. 717. 8 Vgl. HistSt II: Niedersachsen und Bremen, hg. v. Kurt Bru ¨ ning/Heinrich Schmidt, Stuttgart 1976,

S. 91ff., 188f.; 503ff.; Wolfenbu¨ttel, in: Niedersa¨chsisches Sta¨dtebuch, hg. v. Erich Keyser (DtStB 3, 1), Stuttgart 1952, S. 387–394; sowie Friedrich Tho¨ne, Wolfenbu¨ttel unter Herzog Julius (1568–1589). Topographie und Baugeschichte, in: Braunschweiger Jahrbuch 33 (1952), S. 1–74; ders., Wolfenbu¨ttel in der Spa¨trenaissance. Topographie und Baugeschichte unter den Herzo¨gen Heinrich Julius und Friedrich Ulrich (1589–1634), in: ebd., 35 (1954), S. 5–116. 9 Zur Itinerarforschung vgl. Alfred Heit, Itinerar, in: LexMA 5, Mu¨nchen/Zu¨rich 1990, Sp. 772–775, ferner: Ellen Widder, Itinerar und Politik. Studien zur Reiseherrschaft Karls IV. su¨dlich der Alpen (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Bo¨hmer, Regesta Imperii 10), Ko¨ln/Weimar/Wien 1993, S. 13–19 (Lit.); ferner: Patze/Streich, Landesherrliche Residenzen (wie Anm. 1), S. 205–220; Brigitte Streich, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung. Der wettinische Hof im Spa¨tmittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 101), Ko¨ln/Wien 1989, bes. S. 247–299; dies., Vom Liber computacionum zum Ku¨chenbuch. Das Residenzproblem im Spiegel der wettinischen Rechnungen, in: Johanek, Vortra¨ge und Forschungen (wie Anm. 3), S. 121–146; KarlHeinz Ahrens, Residenz und Herrschaft. Studien zur Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im spa¨ten Mittelalter, Frankfurt a. M. 1990, bes. S. 19–88. 10 Konrad von Meyenberg, O ¨ konomik, Bd. 2, hg. v. Sabine Kru¨ger (MGH Staatsschriften 3. 5), Stuttgart 1977, S. 199; zur Bedeutung des Hofes fu¨r die Erforschung der Residenzen vgl. die grundlegenden Arbeiten von Peter Moraw, Personenforschung und deutsches Ko¨nigtum, in: ZHF 2 (1975), S. 7–18, hier S. 13f.; ders., in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. v. Kurt G. A. Jeserich u. a., Bd. 1: Vom Spa¨tmittelalter bis zum Ende des Reichs, Stuttgart 1983, S. 21–65; ders., Was war eine Residenz im

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Fu¨rsten aufhielt, die organisatorischen Aufgaben im Ablauf des Alltags wie der ho¨fischen Feste versah und dem Fu¨rsten bei der Herrschaftsausu¨bung zur Hand ging. Vor allem aus dem letzteren Bereich begannen sich damals einzelne Funktionen loszulo¨sen. Beho¨rden und Institutionen entstanden, die aufgrund der außerordentlich stark anwachsenden Schriftlichkeit nicht mehr in der Lage waren, den Fu¨rsten auf seiner Reise zu begleiten. Sie wurden ortsfest und verblieben dort, wo sich Archiv und Registratur befanden. Ein eindrucksvolles Zeugnis aus der Umgebung des Erzbischofs von Ko¨ln aus der Zeit um 1440 umreißt das Problem. Damals legten die Ratgeber Erzbischof Dietrichs von Moers eine Denkschrift vor, in der sie Vorschla¨ge machten, wie der Hof des Erzbischofs besser zu organisieren sei. Sie klagen daru¨ber, daß bei den oft hastigen und u¨berstu¨rzten Ortswechseln die Kanzlei nicht imstande sei, das ganze Schriftgut mitzufu¨hren, sondern sich mit den leicht zu transportierenden Registerbu¨chern begnu¨gen mu¨sse. Deswegen sollten stets genu¨gend Packpferde fu¨r die Kanzlei bereitstehen.11 In Ko¨ln glaubte man also in der Mitte des 15. Jahrhunderts noch, den Schwierigkeiten mit einer Vermehrung der Transportmittel beikommen zu ko¨nnen. Bald aber wurde auch das illusorisch, und die Kanzlei blieb an einem festen Ort, wie andere Personengruppen der schriftlichen Verwaltung des Erzbischofs auch. Sie richteten sich in Bru¨hl und in der Stadt Bonn ein. Aus dem Haushalt des Fu¨rsten, aus seinem Hof, lo¨st sich demnach eine bestimmte Funktion heraus und verselbsta¨ndigt sich. Man kann sie als Regiment bezeichnen, ein Begriff, der sich auch in den Quellen des ausgehenden 15. Jahrhunderts findet.12 Ein Komplex, der Administration und herrschaftliche Erfassung des Territoriums in sich schließt, scheidet aus der Reiseherrschaft des Fu¨rsten aus, der weiterhin beweglich bleibt, ja unter Umsta¨nden seine Reiseta¨tigkeit ohne die Behinderung durch den Apparat der schriftlichen Verwaltung noch intensivieren kann. Diese neu entstandene Institution des „Regiments“ wurde ha¨ufig ortsfest an Pla¨tzen, die auch fru¨her schon im Itinerar des Fu¨rsten hervortraten und durch gewisse Merkmale herausgehoben sind: durch kirchliche Institutionen (Klo¨ster, Stifte) als Grablege oder durch besondere, fu¨r die fu¨rstliche Repra¨sentation besonders geeignete Bauten. In den meisten oder doch in sehr vielen Fa¨llen haben solche Pla¨tze im Laufe der Zeit den Fu¨rsten und seinen Hof an sich gezogen, oder der Fu¨rst bestimmte durch einen Akt seines Willens einen Ort endgu¨ltig zur Residenz, wo dann „Regiment“ und „Hoflager“, der Aufenthalt des Hofes zusammen ortsfest wurden, so wie es die Definition des Zedlerschen Lexikons beschreibt.13

deutschen Spa¨tmittelalter?, in: ZHF 18 (1991), S. 461–468; vgl. auch Peter Johanek, Ho¨fe und Residenzen, Herrschaft und Repra¨sentation, in: Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang, hg. v. Eckart Conrad Lutz (Scrinium Friburgense 8), Freiburg/Schweiz 1997, S. 45–78, hier S. 54ff. 11 Hermann Aubin, Ein Gutachten u¨ber die Verbesserung der kurko¨lnischen Zentralverwaltung von etwa 1440. Ein Beitrag zur Entstehung der Ratbeho¨rde und des Budgetwesens, in: Festschrift Friedrich von Bezold, Bonn/Leipzig 1921, S. 150–164. 12 Vgl. Wilhelm Janssen, Regierungsform und Residenzbildung in Kurko¨ln und anderen niederrheinischen Territorien des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. v. Klaus Flink/Wilhelm Janssen (Klever Archiv 14), Kleve 1993, S. 151–169, hier S. 162ff. 13 Hier mag eine U ¨ bersicht u¨ber die wichtigste Literatur zur Residenzenfrage am Platze sein: Alois

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Bevor einige Beispiele betrachtet werden, die das Verha¨ltnis von Residenzort und Stadt deutlicher vor Augen fu¨hren sollen, muß noch ein Einwand aus der Welt geschafft werden. Hier ist die Rede von Residenzen der weltlichen und geistlichen Fu¨rsten. Die geistlichen Fu¨rsten aber, die Erzbischo¨fe und Bischo¨fe, verfu¨gen u¨ber eine Kathedrale, an die sie durch die Bestimmungen des kanonischen Rechts gebunden sind, und die sedes eines Bistums muß nach dem Kirchenrecht in einer civitas, in einer Stadt, gelegen sein. Die Residenz eines Bischofs mu¨ßte demnach zwingend bei seiner Kathedrale liegen; man ko¨nnte meinen, Reiseherrschaft sei bei kirchlichen Landesherren nicht zu erwarten.14 Dennoch ist eben dies wa¨hrend des Mittelalters die Regel. Die geistlichen Fu¨rsten des Reichs bereisen ihr Territorium in ganz derselben Weise wie die weltlichen. Die vorhin zitierte Denkschrift fu¨r Dietrich von Moers, die die Reiseherrschaft als selbstversta¨ndlich voraussetzt, war ja gerade an einen geistlichen Fu¨rsten, den Erzbischof von Ko¨ln, gerichtet.15 Die Reise der geistlichen Fu¨rsten durch ihre Dio¨zese war ja in der Tat bereits seit dem fru¨hen Mittelalter schon durch ihre Pflicht der Visitation begru¨ndet. Sieht man na¨her hin, so bemerkt man, daß nicht wenige Bischo¨fe des fru¨hen Mittelalters außerhalb ihres Bischofssitzes verstorben sind, als sie sich gerade auf einer solchen Reise durch ihr Bistum befanden. Liudger etwa, der erste Bischof von Mu¨nster, starb 809 in Billerbeck, einem Orte, der etwa 25 km von seinem Kathedralort entfernt liegt, nach einer Predigt. Am selben Tag hatte er bereits zuvor an einem anderen Ort, der wiederum 10 km entfernt lag, die Messe gelesen.16 Auch Erzbischof Becelin von Bremen starb 1043 außerhalb seiner Kathedralstadt auf einer Rundreise durch seinen Sprengel, bei der er Bremen wa¨hrend der Ostertage nur

Gerlich, Residenz, in: Handwo¨rterbuch zur Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 930–933; Birgit Studt, Residenz, in: LexMA 7, Mu¨nchen/Zu¨rich 1995, Sp. 755–757; Neitmann, Residenz (wie Anm. 4); Moraw, Residenz (wie Anm. 10); Fu¨rstliche Residenzen im spa¨tmittelalterlichen Europa, hg. v. Hans Patze/Werner Paravicini (VuF 36), Sigmaringen 1991; Ju¨rgen Sydow, Die Residenzstadt in Su¨dwestdeutschland, in: ZWu¨rttLG 25 (1966), S. 1*–48*; ders., Die Residenzstadt in Su¨dwestdeutschland, in: Werner Besch/Klaus Fehn u. a. (Hg.), Die Stadt in der europa¨ischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen, Bonn 1972, S. 771–783; Edith Ennen/Franz Irsigler, Die fru¨hneuzeitliche Stadt, in: WestfF 24 (1972), S. 5–63; Edith Ennen/Manfred van Rey, Probleme der fru¨hneuzeitlichen Stadt, vorzu¨glich der Haupt- und Residenzsta¨dte, in: WestfF 25 (1973), S. 168–212; Hans-Walter Herrmann, Residenzsta¨dte zwischen Oberrhein und Mosel, in: RhVjbll 38 (1974), S. 273–300; Klaus Neitmann/ Reinhard Hamann/Carl-Hans Hauptmeyer/Heide Barmeyer, Stadt und Residenz in Mittelalter und Neuzeit, in: NdsJb 61 (1989), S. 1–104; Residenzsta¨dte und ihre Bedeutung im Territorialstaat des 17. und 18. Jahrhunderts (Vero¨ffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 29), Gotha 1991; Su¨dwestdeutsche Bischofsresidenzen außerhalb der Kathedralsta¨dte, hg. v. Volker Press, Stuttgart 1992; Residenzen – Aspekte hauptsta¨dtischer Zentralita¨t von der fru¨hen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie, hg. v. Kurt Andermann (ObrhStud 10), Sigmaringen 1992; Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. v. Klaus Flink/Wilhelm Janssen (Klever Archiv 14), Kleve 1993; Friedrich-Wilhelm Hemann, Residenzsta¨dte in Westfalen, in: WestfStAtl, Lfg. V, Altenbeken 1997. 14 Vergleichbares wa¨re fu¨r die A ¨ bte zu erwarten, denen es gelang, eine Landesherrschaft auszubilden. Sie sind durch die stabilitas loci an ihr Kloster gebunden. Sie bleiben hier außer Betracht; immerhin sei ¨ bte von Murbach im Elsaß in der Stadt Gebweiler/Guebwiller residierten. vermerkt, daß die A 15 Vgl. oben mit Anm. 11. 16 Die Vitae sancti Liudgeri, hg. v. Wilhelm Diekamp (Die Geschichtsquellen des Bistums Mu¨nster 4), Mu¨nster 1881, I, 31, S. 36f.

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kurz aufsuchte.17 Im Spa¨tmittelalter und im 16. Jahrhundert hat sich die Reiseta¨tigkeit der Bischo¨fe in ihrem Charakter ganz der der weltlichen Fu¨rsten angeglichen. Nichts unterscheidet in diesem Punkt die Herrschaftspraxis der geistlichen von der der weltlichen Fu¨rsten. Zwar war die Kathedralstadt, die sedes des Bischofs, ein gewisser Fixpunkt in seinem Territorium dar, den er immer wieder zu beru¨hren hatte, doch sie war nicht notwendigerweise der Ort, an dem das Regiment und spa¨ter der Fu¨rstbischof selbst seßhaft wurden. Es soll nun versucht werden, an einigen Beispielen das Verhalten der geistlichen und weltlichen Fu¨rsten Nordwestdeutschlands zur Stadt im Verlaufe des Prozesses der Residenzenbildung zu betrachten. Begonnen sei mit den geistlichen Fu¨rsten, und zwar am Beispiel der Bischo¨fe von Mu¨nster. Zur Ausu¨bung der geistlichen Verwaltung sind sie von der Gru¨ndung des Bistums um 800 an durch ihren Sprengel gezogen und haben dabei ein System von Ho¨fen ausgebildet, an denen sie rasten konnten. Einen Palast aber besaß der mu¨nstersche Bischof bei seiner Kathedralkirche, um deren Immunita¨tsgebiet sich seit dem 12. Jahrhundert die Stadt Mu¨nster ausbildete. Sie wurde gegen Ende des 12. Jahrhunderts ummauert, und diese Mauer umspannte eine Fla¨che von etwa 100 Hektar.18 Der a¨lteste bischo¨fliche Palast lag westlich des Domes innerhalb der Immunita¨t, wa¨hrend die Wirtschaftsgeba¨ude, die den Ertrag der umfangreichen landwirtschaftlichen Besitzungen des Bischofs verwalteten, der Bispinghof, im Su¨dwesten der Stadt, auf dem anderen Ufer der Aa, außerhalb der Domimmunita¨t lagen. Im 13. Jahrhundert, kurz vor 1279, lo¨ste sich der Bischof aus dem Verband des Domes und baute eine domus episcopi auf der Su¨dseite des Domplatzes unmittelbar neben dem Ostausgang aus der Immunita¨t, gegenu¨ber dem sta¨dtischen Rathaus.19 Jedoch der Bischof blieb nicht auf Dauer in diesem neuen Palast, obwohl er ihn niemals aufgegeben hat. Der Bischof von Mu¨nster hielt sich seit etwa 1300 u¨berwiegend außerhalb seiner Kathedralstadt auf verschiedenen Burgen auf: Bevergern, Horstmar, Ottenstein, Ahaus und anderen. Diese Orte sind etwa gleichma¨ßig u¨ber das Bistum verteilt. Eine Burg besuchte er besonders ha¨ufig, und zwar Wolbeck, ein Ort, der etwa 5 km su¨dostlich Mu¨nsters an einem Flußu¨bergang und an wichtigen Straßenkreuzungen liegt.20 Der Katasterplan von 1829 zeigt diese Lage und die planma¨ßige Anlage des Ortes, in dem sich auch ein noch heute erhaltenes schloßartiges Geba¨ude befindet, der sogenannte Drostenhof. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein aus der Burg des Mittelalters hervorgegangenes fu¨rstbischo¨fliches Schloß. Eine solche Burg lag vielmehr 17 Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, ed. Bernhard Schmeidler (MGH SSrG [2]),

Hannover/Leipzig 31917, II, 82, S. 140; vgl. dazu Peter Johanek, Die Erzbischo¨fe von Hamburg-Bremen und ihre Kirche im Reich der Salierzeit, in: Die Salier und das Reich, Bd. II, hg. v. Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 79–112, hier S. 92ff. 18 Joseph Prinz, Mimigernaford – Mu¨nster. Die Entstehungsgeschichte einer Stadt (Geschichtliche Arbeiten zur westfa¨lischen Landesforschung 4), Mu¨nster 31981; Geschichte der Stadt Mu¨nster, hg. v. Franz-Joseph Jakobi, Bd. 1, Mu¨nster 1993, bes. die Beitra¨ge von Manfred Balzer u. Karl-Heinz Kirchhoff, S. 53ff. bzw. 447ff.; Karl-Heinz Kirchhoff/Mechthild Siekmann, Mu¨nster (WestfStAtl IV, 3), Altenbeken 1993. 19 Vgl. Prinz, Mimigernaford (wie Anm. 18), S. 135ff.; zum Bispinghof S. 95f. u. 200ff. 20 Wilfried Ehbrecht, Wolbeck (WestfStAtl IV, 5), Altenbeken 1993.

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no¨rdlich des Ortes; sie ist heute verschwunden. Der Katasterplan la¨ßt jedoch die Wasserla¨ufe des Burgareals noch deutlich erkennen, und dieses selbst la¨ßt sich anhand von Altkarten und einigen archa¨ologischen Befunden im Zustand von 1650 rekonstruieren. Dabei wird deutlich, daß der Ursprung der Burg in einem großen Turmbau, in einer Art Donjon liegt. Der Ort Wolbeck hat sich niemals zu einer echten Stadt entwickelt. Er erhielt keine vollen Stadtrechte, sondern blieb ein Wigbold, ein Terminus, der im westfa¨lischen Bereich einen Ort mit gemindertem Stadtrecht, aber mit Marktrecht bezeichnet. Im u¨brigen Deutschland werden etwa die Bezeichnungen Flecken oder Markt gebraucht. Die Dominanz des Fu¨rsten im Ort wird auch darin deutlich, daß dessen no¨rdlicher Teil mit sogenannten Burgmannenho¨fen durchsetzt ist, also mit Ho¨fen fu¨r den Stiftsadel, der zur Umgebung des Bischofs geho¨rte. Der Residenzcharakter des Ortes wird noch betont durch die Anlage eines Tiergartens, also eines bischo¨flichen Jagdgebietes, su¨do¨stlich der Burg. Wolbeck darf als die Verko¨rperung eines Grundtypus fu¨rstlicher Residenzortbildung und -ausgestaltung gelten, wie er bei geistlichen und weltlichen Fu¨rsten des Reichs außerordentlich verbreitet ist. Es handelt sich um eine Burg, verbunden mit einer stadtartigen Siedlung, ausgestaltet durch herrschaftliche Attribute baulicher Art und Areale herrschaftlicher Repra¨sentation, wie hier das Jagdgebiet. Eine Entwicklung wie in Mu¨nster ist auch aus anderen deutschen Bistu¨mern gut bekannt. Besonders in den Bistu¨mern am Rhein hat sie sich in der Regel so vollzogen. Die Bischo¨fe verließen um 1300, oder bereits zuvor, ihre Kathedralstadt, bereisten ihre Burgen und hoben mit der Zeit zumeist eine unter ihnen hervor, die dann zum herausragenden Residenzort wurde. Der Erzbischof von Mainz ging nach Eltville, der Bischof von Worms nach Ladenburg, der Bischof von Speyer nach Udenheim, der Bischof von Straßburg nach Zabern (Saverne), und der Bischof von Basel nach Pruntrut (Porrentruy).21 Sie alle taten dies mehr oder weniger gezwungen, da sie die Auseinandersetzung mit der sich emanzipierenden Bu¨rgerschaft ihrer Sta¨dte dazu zwang. Die Trennung von der Kathedralstadt war in diesen Fa¨llen eine dauernde; lediglich der Erzbischof von Mainz konnte um die Mitte des 15. Jahrhunderts seine Bischofsstadt unterwerfen und kehrte in sie zuru¨ck. Die Situation im Nordwesten des Reichs war anders. Hier hat es zwar ebenfalls Auseinandersetzungen und Reibungen zwischen den Bischo¨fen und der Bu¨rgerschaft ihrer Kathedralsta¨dte gegeben, doch haben die meisten der nordwestdeutschen Bischo¨fe ihre stadtherrlichen Rechte u¨ber die Kathedralstadt im Grundsatz behalten, wa¨hrend die rheinischen Bischofssta¨dte zu freien oder Reichssta¨dten wurden. Dazu kam es im Nordwesten lediglich in Ko¨ln und Bremen. Hier vollzog sich auch die Entwicklung analog zu den Vorga¨ngen am Mittel- und Oberrhein. Diese beiden Erzbischo¨fe reisten von Burg zu Burg, unter denen im Falle Ko¨ln wa¨hrend des 15. Jahrhunderts Poppelsdorf bei Bonn immer sta¨rker hervortritt, ebenso wie Bru¨hl, das etwa 10 km no¨rdlich von Bonn liegt. In Bru¨hl wurde seit 1469 auch die Kanzlei ortsfest angesiedelt, wa¨hrend der Fu¨rst und sein Hof weiterhin Poppelsdorf bevorzugten. Im 16. Jahrhundert dann verlegt Erzbischof Ferdinand von Bayern 1597 in

21 Vgl. etwa Press, Su¨dwestdeutsche Bischofsresidenzen (wie Anm. 13).

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einem bewußten Akt Kanzlei und Hofhaltung auf Dauer in die Stadt Bonn, und Bonn blieb bis zum Ende des Alten Reichs die Residenz- und Hauptstadt des Erzstifts Kurko¨ln.22 Der Erzbischof von Ko¨ln wa¨hlte letztlich eine Stadt mittlerer Gro¨ße als Residenzort. Bei den westfa¨lischen Bistu¨mern zeigt sich eine andere Tendenz. Zwar verließen auch hier alle Bischo¨fe ihre Kathedralstadt und zogen von Burg zu Burg, doch alle wa¨hlten eine dieser Burgen zum dauernden Residenzort. Das geschah u¨berall, wie in Mu¨nster, in großer Na¨he zur Kathedralstadt. Der Bischof von Osnabru¨ck residierte im Kloster Iburg, das auf einer etwa 10 km von Osnabru¨ck entfernt liegenden Burg eingerichtet worden war. Der Bischof von Minden wa¨hlte Petershagen (8 km von Minden) und der Bischof von Paderborn bevorzugte Neuhaus (6 km no¨rdlich Paderborn). So blieb es bis tief in die Neuzeit hinein, bis in die Zeit nach 1600 und bis nach dem Westfa¨lischen Frieden. Das Beispiel Mu¨nsters kann verdeutlichen, wie die Entwicklung danach verlief. Der Bischof von Mu¨nster blieb in Wolbeck nicht auf Dauer, sondern verlegte seine Residenz im 17. Jahrhundert in Sta¨dte, die von Mu¨nster weiter entfernt lagen, jedoch ganz unter seinem Einfluß standen, nach Ahaus und Coesfeld (etwa 40 bzw. 35 km westlich Mu¨nster). Mu¨nster selbst war damals eine widerspenstige Stadt, auch aus konfessionellen Gru¨nden. Bischof Christoph Bernhard von Galen konnte 1661 den Widerstand Mu¨nsters brechen. Doch er nahm seine Residenz nicht in Mu¨nster, wo allerdings in der domus episcopi stets zumindest ein Teil des „Regiments“ verblieben war. Bischof Christoph Bernhard baute im Westen der Stadt eine Zitadelle, von der aus sie milita¨risch zu beherrschen war.23 Mu¨nster war so zwar durch die Anwesenheit von Beho¨rden, durch die milita¨rische Pra¨senz des Landesherrn und die Stadtho¨fe des Adels wa¨hrend des 18. Jahrhunderts die Hauptstadt des Stifts Mu¨nster, doch es war eine Hauptstadt, eine Residenz ohne Hof. Das hatte auch politische Gru¨nde, denn in den meisten Fa¨llen waren die westfa¨lischen Bistu¨mer in der Hand des Ko¨lner Erzbischofs, der ha¨ufig gleichzeitig auch Bischof von Mu¨nster, Paderborn, Osnabru¨ck oder Hildesheim war. Nur in Osnabru¨ck ist auch die Hofhaltung bereits um 1700 wieder in die Bischofsstadt zuru¨ckgekehrt, vermutlich aufgrund der Sonderregelung des westfa¨lischen Friedens, die ein Alternieren von katholischem Bischof und protestantischem weltlichen Welfenprinzen als Landesherrn vorsah. Auch in Mu¨nster baute man im 18. Jahrhundert, nachdem die Zitadelle geschleift worden war, wieder ein landesfu¨rstliches Schloß im Westen der Stadt, außerhalb der mittelalterlichen Mauern. Doch die Initiative dazu ging nicht vom fernen Bischof in Ko¨ln aus, sondern von den Sta¨nden, die ein repra¨sentatives Ambiente fu¨r den Fu¨rsten wu¨nschten, wenn er Mu¨nster besuchte. Das Ergebnis muß lauten: In den westfa¨lischen Bischofssta¨dten verla¨uft in der Neuzeit, vor allem nach dem westfa¨lischen Frieden, die Residenzstadtbildung irregula¨r aufgrund der Verha¨ltnisse, wie sie durch die verfassungsrechtliche Entwicklung und die konfessionellen Zusta¨nde vorgegeben waren. Es kommt

22 Vgl. Janssen, Regierungsform und Residenzbildung (wie Anm. 12). 23 Vgl. dazu Alwin Hanschmidt, Zwischen bu¨rgerlicher Stadtautonomie und fu¨rstlicher Stadtherrschaft

(1580–1661), in: Geschichte der Stadt Mu¨nster (wie Anm. 18), S. 288–299.

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zu Residenzsta¨dten ohne Fu¨rsten. Fu¨r das Mittelalter und das 16. Jahrhundert jedoch kann festgehalten werden: Die Bischo¨fe verlassen zwar, wie fast u¨berall im Reich, ihre Kathedralstadt, doch sie suchen deren Na¨he, indem sie unweit der Kathedralstadt herausragende Residenzorte einrichten. Es ist nun auf die Territorien der weltlichen Fu¨rsten einzugehen. Zwei Beispielskomplexe seien ausgewa¨hlt, einmal die Territorien einer bedeutenden Dynastie, die welfischen Lande, und zum anderen ein sehr kleines Territorium, die Herrschaft Lippe. Die welfischen Lande weisen zwei sehr alte Vororte auf, die im 12. Jahrhundert unter landesfu¨rstlicher Herrschaft stehen und die sich in dieser Zeit zu bedeutenden Sta¨dten entwickeln: Lu¨neburg im Norden und Braunschweig im Su¨den. In Lu¨neburg befindet sich eine Burg des Landesherrn auf dem Kalkberg u¨ber der Stadt, die u¨ber ergiebige Solebrunnen verfu¨gt und in der zweiten Ha¨fte des 12. Jahrhunderts zum gro¨ßten Salzproduzenten des Ostseebereichs und damit des spa¨teren hansischen Handelsgebiets aufstieg.24 In Lu¨neburg scheint in den Anfa¨ngen der Ausbildung der Landesherrschaft die fu¨rstliche Pra¨senz etwas schwa¨cher ausgepra¨gt gewesen zu sein als in Braunschweig. Dieser Stadt verlieh Heinrich der Lo¨we alle Attribute, die zum Repra¨sentationsrahmen einer Residenz geho¨ren: Die Burg Dankwarderode als Kern der Stadt Braunschweig mit pra¨chtigen Bauten, die Stiftskirche St. Blasii mit der Grablege des Fu¨rsten und vor allem das Lo¨wenstandbild, das die Herrschaft Herzog Heinrichs verko¨rperte.25 Bei der Teilung des welfischen Herzogtums 1267/69 wurde Lu¨neburg wie von selbst das Herrschaftszentrum des no¨rdlichen Teils und Braunschweig das des su¨dlichen.26 In beiden Landesteilen jedoch blieben die Fu¨rsten nicht in diesen Zentren, ganz a¨hnlich wie die geistlichen Fu¨rsten, die hier zu behandeln waren. In Lu¨neburg waren es wie in den rheinischen Bischofsta¨dten die Bu¨rger, die den Landesherrn aus der Stadt hinausdra¨ngten. Im Jahre 1371 zersto¨rten sie die landesherrliche Burg auf dem Kalkberg.27 Die Stadt Lu¨neburg verschwindet von da an weitgehend aus dem Itinerar der Herzo¨ge. Sie suchten – wie schon zuvor – einzelne Burgen ihres Herrschaftsgebietes auf und bevorzugten immer ha¨ufiger eine der Sta¨dte, die sie gegen Ende des 13. Jahrhunderts zur besseren Erfassung ihres Territoriums gegru¨ndet hatten (1292) und deren sta¨dtische Bevo¨lkerung sich dem Stadtherren gegenu¨ber als loyal erwies. Es ist Celle, das die Lu¨neburger Fu¨rsten bereits seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ha¨ufig aufgesucht hatten und das nach 1371 zu ihrem bevorzugtem Wohnsitz wurde. In dem folgenden Jahrhundert bauen sie diesen

24 Vgl. HistSt Niedersachsen (wie Anm. 8), S. 311ff.; Lu¨neburg, in: Niedersa¨chsisches Sta¨dtebuch, hg.

v. Erich Keyser (DtStB 3, 1), Stuttgart 1952, S. 229–234; Uta Reinhardt, Lu¨neburg (DtStAtl V, 3), Altenbeken 1993. 25 Vgl. etwa: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, hg. v. Bernd Schneidmu ¨ ller, Wiesbaden 1995; Heinrich der Lo¨we und seine Zeit. Herrschaft und Repra¨sentation der Welfen 1125–1235, Ausstellung Braunschweig 1995, Katalog, Bde. 1–3, Mu¨nchen 1995. 26 Zur Teilung vgl. Pischke, Landesteilungen (wie Anm. 6), S. 35ff. 27 Dazu Robert Ju ¨ tte, Territorialstaat und Hansestadt im 14. Jahrhundert. Genese und Verlauf der Konflikte zwischen Landesherrn und Hansesta¨dten am Beispiel der Sta¨dte Dortmund und Lu¨neburg nach dem Stralsunder Frieden von 1370, in: BeitrGDortmund 73 (1981), S. 169–203.

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Platz zur Residenzstadt aus.28 In Braunschweig ist es nicht zu derart heftigen Zusammensto¨ßen zwischen Landesherr und Bu¨rgerschaft gekommen, obwohl Reibungen ebenfalls bestanden. Doch hier blieb immer noch eine Bindung zwischen der großen Stadt Braunschweig und den Herzo¨gen bestehen. Auch sie nutzten die Burgen ihres Gebiets, unter anderem die nur etwa 15 km von Braunschweig entfernte, 1283 errichtete Burg Wolfenbu¨ttel. Sie wurde immer o¨fter aufgesucht, und seit 1432 war sie der Hauptsitz der Braunschweiger Linie. Das a¨ußere Erscheinungsbild Wolfenbu¨ttels muß im 15. Jahrhundert an Wolbeck erinnert haben; es gab eine geringfu¨gige Siedlung vor der Burg, die der Unterbringung der Dienstmannschaft diente. Im 16. Jahrhundert bauten die Herzo¨ge in zwei Anla¨ufen, vor allem seit 1553, eine vo¨llig neue Planstadt, die von vornherein als Residenzstadt gedacht war und auf die Bedu¨rfnisse des Fu¨rsten und des Hofes zugeschnitten wurde.29 Hier wird eine Entwicklung sichtbar, die in der fru¨hen Neuzeit immer ha¨ufiger zu beobachten ist, insbesondere im 18. Jahrhundert mit der Planung vo¨llig neuer Sta¨dte als Residenzen wie etwa Bruchsal, Mannheim oder Karlsruhe.30 In der Residenzenbildung in den Territorien dieser beiden welfischen Linien wird deutlich, wie sehr die Landesherren gegen Ende des Mittelalters in die Sta¨dte oder deren Na¨he dra¨ngten. Es ist ein Zug, der sich im 16. Jahrhundert noch versta¨rkt. Bis ins 16. Jahrhundert begnu¨gte sich der braunschweigische Herzog mit der Burg Wolfenbu¨ttel und der Na¨he der großen Stadt Braunschweig, die alles bereitstellen konnte, was die Hofhaltung beno¨tigte. Dann aber baute er sich eine neue Residenzstadt, die zwar nicht die wirtschaftliche Potenz Braunschweigs erreichen konnte, aber doch den Repra¨sentationsrahmen abzugeben vermochte, den er brauchte. Abweichend, durch die Umsta¨nde bedingt, verlief die Entwicklung bei einer dritten Linie der Welfen, die ein einigermaßen ansehnliches Territorium ausbilden konnte: im Herzogtum Braunschweig-Calenberg. Es entstand erst 1432 durch eine Erbteilung und verfu¨gte u¨ber kein altes Zentrum, wie es mit Braunschweig und Lu¨neburg bei den beiden alten Linien gegeben war. Innerhalb des Territoriums liegen zwar einige bedeutende Sta¨dte, wie vor allem Hannover und Go¨ttingen. Sie verdanken ihre Existenz Gru¨ndungsakten des Landesherrn, doch sie hatten sich fru¨hzeitig vom Landesfu¨rsten emanzipiert. In Go¨ttingen hatte der welfische Fu¨rst 1219 neben der Altstadt eine Neustadt gegru¨ndet, die er auf seine Bedu¨rfnisse zuzuschneiden suchte. Der Rat der Altstadt kaufte sie ihm 1319 ab, und 1387 zersto¨rten die Bu¨rger, wie in Lu¨neburg, die landesherrliche Burg, die in der Stadt noch bestanden hatte. Hier konnten die Welfen aus der Linie Calenberg ebensowenig Fuß fassen wie in Hannover. Sie residierten noch das ganze 16. Jahrhundert auf Burgen, in Pattensen, Neustadt am Ru¨benberge und in Coldingen – vor allem aber auf der Burg Calenberg, nach der sie sich nannten und wo sie auch die Kanzlei und damit das „Regiment“ installierten.

28 Vgl. HistSt Niedersachsen (wie Anm. 8), S. 94ff.; Celle, in: Niedersa¨chsisches Sta¨dtebuch, hg. v. Erich

Keyser (DtStB 3, 1), Stuttgart 1952, S. 84–88; Reinhard Hamann, Die Hofgesellschaft der Residenz Celle im Spiegel der Vogteiregister von 1433–1496, in: NdsJb 61 (1989), S. 39–59, hier S. 40. 29 Vgl. Anm. 8. 30 Vgl. die einschla¨gigen Aufsa¨tze von Eugen Reinhard, Otto B. Roegele u. Ju¨rgen Voss, in: Andermann, Residenzen (wie Anm. 13).

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Erst 1636 gelang es Georg von Calenberg, sich in Hannover festzusetzen. Das Residenzschloß wurde ganz am Rande der Altstadt, auf dem Areal des alten Franziskanerklosters an der Leine errichtet und auf dem jenseitigen Ufer eine neue Planstadt, die hannoversche Neustadt entworfen, die ganz auf dieses Residenzschloß ausgerichtet war.31 Selbst wenn die Residenzenentwicklung bei den einzelnen Linien der Welfen stark divergiert, zeigt sie doch, daß das Ziel bei der Residenzerrichtung in allen Fa¨llen die Stadt, eine sta¨dtische Siedlung war. ¨ bersicht soll ein kleines, ja ein sehr kleines Territorium stehen, Am Schluß der U die Herrschaft Lippe. Das Gebiet dieser Herrschaft mißt von Nord nach Su¨d wie von Ost nach West nur etwa 40 km. Man sollte meinen, daß sich eine Reiseherrschaft hier nicht ausgebildet hat, dennoch la¨ßt sich auch hier, wie anderwa¨rts, die Bewegung der Landesherren von Burg zu Burg feststellen: von der Burg Falkenstein im Su¨dwesten u¨ber Burg Brake nach Varenholz und zu den Burgen Blomberg, Schwalenberg im Osten des Gebietes und Horn im Su¨den. Das natu¨rliche wirtschaftliche Zentrum Lippes war die um 1190 gegru¨ndete Stadt Lemgo, eine der ersten Gru¨ndungssta¨dte Westfalens u¨berhaupt. Es war eine sehr große Stadt, deren Hauptstraße von Tor zu Tor nahezu 900 m maß. Spa¨testens 1265 wurde diese Altstadt noch durch eine Neustadt erweitert und erreichte eine Fla¨che von etwa 50 Hektar. Sie entwickelte sich zu einer prosperierenden Handelsstadt, die Grundlage bildete das Textilgewerbe (Leinen), und sie wurde Mitglied der Hanse. Der Landesherr besaß hier ein Haus und der Nordwestteil der Stadt enthielt eine Reihe von Burgmannenho¨fen, wie wir ihnen bereits im mu¨nsterschen Residenzort Wolbeck begegnet sind. Die Absicht des Landesherrn, Lemgo als Residenzort zu nutzen, ist deutlich zu erkennen, jedoch hatte sich wohl bereits der Stadtgru¨nder, Bernhard II. zur Lippe, in dem von ihm erlassenen Stadtrecht dazu verpflichtet, keine Befestigung in der Stadt zu errichten; sein Haus in der Stadt war demnach keine Burg.32 Offenbar jedoch geho¨rt eine Burg zu den unabdingbaren Attributen der mittelalterlichen Residenz. Im Fall Lemgos war die Situation gegeben, daß der Landesherr unmittelbar vor der Stadt, im Osten, u¨ber die Burg Brake verfu¨gte, die etwa 1 km vor den Mauern der Stadt liegt. Das ist eine Konstellation, die sich ha¨ufiger beobachten la¨ßt. Sie entspricht der Doppelung Poppelsdorf/Bonn im Erzstift Ko¨ln und findet sich auch sonst, etwa in der Grafschaft Mark mit der Burg Mark und der unmittelbar daneben angelegten Stadt Hamm.33 Wie Lemgo, Bonn und Wolfenbu¨ttel ragt auch sie

31 Vgl. Pischke, Landesteilungen (wie Anm. 6), S. 137ff.; HistSt Niedersachsen (wie Anm. 8) S. 178ff.,

197ff., 91ff.; Hannover, in: Niedersa¨chsisches Sta¨dtebuch, hg. v. Erich Keyser (DtStB 3, 1), Stuttgart 1952, S. 169–177; Carl-Hans Hauptmeyer, Die Residenzstadt Hannover im Rahmen der fru¨hneuzeitlichen Stadtentwicklung, in: NdsJb 61 (1989), S. 61–85, bes. S. 72ff. 32 Handbuch der historischen Sta¨tten Deutschlands III: Nordrhein-Westfalen, hg. v. Franz Petri/Georg Droege, u. a., Stuttgart 21970, S. 452ff.; Lemgo, in: Westfa¨lisches Sta¨dtebuch, hg. v. Erich Keyser (DtStB 3, 2), Stuttgart 1954, S. 215–218; Heinz Stoob, Lemgo (WestfStAtl II, 8), Dortmund 1981; 800 Jahre Lemgo. Aspekte der Stadtgeschichte, hg. v. Peter Johanek/Herbert Sto¨wer (Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt Lemgo 2), Lemgo 1990; Wilhelm Su¨vern, Geschichte des Schlosses und der Gemeinde Brake in Lippe, Lemgo 1960. 33 Heinz Stoob, Hamm (WestfStAtl I, 7), Dortmund 1975; ders., Grundrißbild und Entwicklung der Altstadt von Hamm bis 1830, in: 750 Jahres Stadt Hamm, hg. v. Herbert Zink, Hamm 1976, S. 13–21.

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weit u¨ber den Charakter eines Wigbolds heraus, wie ihn Wolbeck als Sitz des mu¨nsterschen Bischofs darstellte. Auch die Herzo¨ge von Kleve haben mit der Kombination von Burg Monterberg und der Stadt Kalkar eine Zeitlang a¨hnlich residiert.34 Man muß in solchen Fa¨llen Burg und Stadt als eine symbiotische Einheit sehen, als einen Gesamtkomplex der Residenzbildung, der den Bu¨rgern ihre ungesto¨rte Entwicklung beließ und den Landesherren dennoch die Gelegenheit gab, aus den Ressourcen der Stadt fu¨r ihre Hofhaltung und Verwaltung Nutzen zu ziehen. Brake ist in seiner Verbindung mit der Stadt Lemgo daher lange der Hauptresidenzort der Herrschaft Lippe geblieben, doch mit der Zeit ru¨ckten andere Orte in den Vordergrund. In der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts etwa konzentrierten sich die Bemu¨hungen des Edelherrn Bernhard VII. zur Lippe (1446–1511) auf Blomberg, eine im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts zusammen mit einer Burganlage gegru¨ndeten Kleinstadt, die in der Soester Fehde 1447 schwere Zersto¨rungen erlitten hatte. Der Wiederaufbau wurde gefo¨rdert durch eine Wallfahrt zu einem Hostienwunder, und Bernhard VII. nutzte dies, um durch eine Klostergru¨ndung den Splendor des Platzes zu erho¨hen, an dem er auch seine Grablege errichtete. Es muß hervorgehoben werden, daß bereits zuvor das landesherrliche Archiv in Blomberg aufbewahrt worden war, das bei der Stadtzersto¨rung vernichtet wurde.35 Bernhard VII. fu¨gte demnach einem bereits wichtigen Residenzort sakrale Elemente hinzu, indem er auch hier an eine fru¨here Grablege seines Hauses anknu¨pfte, die bei einer Kapelle (Wilbasen) mehrere Kilometer vor der Stadt seit 1429 bestanden hatte. Die Vorrangstellung Blombergs war jedoch nicht von Dauer. Nach dem Tode Bernhards VII. 1511, besonders nach Annahme der Reformation, bevorzugte die Dynastie, die seit 1523 den Grafentitel fu¨hrte, immer nachhaltiger die Stadt Detmold (gegru¨ndet 1265). Der Ausbau zur Residenz wird darin deutlich, daß man die schon immer vorhandene Burg im Nordwesten der Stadt seit 1511 so stark ausbaute, daß ein Teil eines Stadtviertels niedergelegt wurde. Auch die Grablege der gra¨flichen Familie wurde im 17. Jahrhundert endgu¨ltig nach Detmold verlegt. Der Landesherr verfu¨gte nun mit Detmold u¨ber eine repra¨sentative Residenzstadt. Dennoch machte Graf Simon VI. (1579–1613) gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch einmal den Versuch, die Kombination Lemgo/Brake zu erneuern und hier unter Umsta¨nden doch die wirtschaftlich sta¨rkste Stadt zur Residenz zu machen. In Brake wurde ein repra¨sentativer Schloßbau errichtet und das lippische Hofgericht nach Lemgo verlegt. Simon VI. ist mit diesen Residenzplanungen gescheitert. Die Stadt Lemgo war selbst fu¨r Herrschaftsinstrumente des fru¨habsolutistischen Landesherrn zu stark und ¨ bergang von der lutherischen zur calvinistiwidersetzte sich auch erfolgreich dem U

34 Vgl. Klaus Flink, Territorialbildung und Residenzentwicklung in Kleve, in: Flink/Janssen, Territo-

rium und Residenz (wie Anm. 13), S. 67–96, hier 80f.

35 HistSt Nordrhein-Westfalen (wie Anm. 32), S. 86f.; Hemann, Residenzsta¨dte in Westfalen (wie

Anm. 13); Blomberg, in: Westfa¨lisches Sta¨dtebuch hg. v. Erich Keyser (DtStB 3, 2), Stuttgart 1954, S. 58–60; Heinrich Stiewe, Hausbau und Sozialstruktur einer niederdeutschen Kleinstadt. Blomberg zwischen 1450 und 1870 (Schriften des Westfa¨lischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum fu¨r Volkskunde 13), Detmold 1996.

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schen Konfession, den der Landesherr fu¨r sein Territorium anordnete. Detmold blieb lippische Residenz, wohin seine Nachfolger nach Simons Tod zuru¨ckkehrten.36 Damit sei die Reihe der Beispiele abgeschlossen, und es obliegt nur noch, ein kurzes Resu¨mee zu ziehen. Die Herrschaftsausu¨bung der deutschen Landesfu¨rsten ist bereits in ihrer Anfangsphase, die gleichzeitig den Aufstieg des Sta¨dtewesens bedeutet, eng mit der Sozialform Stadt verbunden. Das gilt fu¨r fast alle Fa¨lle, ob sich nun die alten großen Sta¨dte um ein Herrschaftszentrum gebildet haben, wie im Fall der Kathedralsta¨dte oder in Lu¨neburg und Braunschweig, oder ob Stadtgru¨ndung und Burganlage kombiniert wurden wie in Lemgo/Brake, Hamm/Mark oder Blomberg und Detmold. Die Landesherren suchen die Na¨he der Stadt, um deren Ressourcen nutzen zu ko¨nnen. Das gilt auf wirtschaftlichem Gebiet, fu¨r die Versorgung des Hofes, fu¨r dessen Finanzbedarf, aber auch fu¨r die Rekrutierung fa¨higer Helfer in der Administration aus dem Bu¨rgerstand. Es ist bezeichnend, daß die Rechnungen der Edelherren zur Lippe auf Burg Brake zeitweise von demselben Schreiber geschrieben wurden wie die Rechnungen der Stadt Lemgo. Der stu¨rmische Wachstumsprozeß der Sta¨dte und die zunehmende Autonomie, die sie gewannen, leiteten im ausgehenden 13. und im 14. Jahrhundert einen Entfremdungsprozeß oder doch ein Detachement zwischen Landesherren und Sta¨dten ein. Zwar blieben die Verbindungsfa¨den bestehen, doch die Sta¨dte standen der Anlage landesherrlicher Befestigungen innerhalb ihrer Mauern ablehnend gegenu¨ber und scheuten sich, einen großen Hofstaat in die sta¨dtische Bevo¨lkerung mit ihrem besonderen Rechtsstatus zu integrieren.37 So wurde das 14. Jahrhundert in allen Territorien das große Zeitalter der Burgenresidenzen, auch wenn zu beobachten ist, daß heute ha¨ufig dennoch die wichtigsten dieser Herrschaftspunkte nahe von Sta¨dten liegen, die als wirtschaftliche Zentren ihrer Territorien zu gelten haben. Seit dem 15. Jahrhundert kehrten die Fu¨rsten in die Sta¨dte zuru¨ck oder sie gru¨ndeten neue Sta¨dte, die auf die Bedu¨rfnisse der Residenzherrschaft zugeschnitten waren, auf die Bu¨rokratie des „Regiments“ wie auf die Entfaltung fu¨rstlichen Splendors. Gelegentlich kommt es zur regelrechten, geplanten Implantation der Residenzattribute in eine bestehende Stadt, wie etwa in Detmold. Selbst der Einzug in Sta¨dte, die sich zuvor gegen fu¨rstliche Pra¨senz gesperrt hatten, gelingt in der fru¨hen Neuzeit, wie etwa in Hannover oder auch in Braunschweig, das in der zweiten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts ein neues fu¨rstliches Residenzschloß erhielt. Im 13. und 14. Jahrhundert schlossen die den Emanzipationsprozeß der Sta¨dte begleitenden Privilegien den Landesfu¨rsten weitgehend aus den Sta¨dten aus. Der erstarkende, fru¨habsolutistische Fu¨rstenstaat des 16. Jahrhunderts vermochte zunehmend auch die Sta¨dte seiner

36 HistSt Nordrhein-Westfalen (wie Anm. 32), S. 156ff.; Detmold, in: Westfa¨lisches Sta¨dtebuch, hg. v.

Erich Keyser (DtStB 3, 2), Stuttgart 1954, S. 101–106; Herbert Sto¨wer, Detmold (WestfStAtl V, 2), 1997; Hemann, Residenzsta¨dte in Westfalen (vgl. Anm. 13); allgemein zur Geschichte Lippes: Erich Kittel, Heimatchronik des Kreises Lippe, Ko¨ln 21978; zum Konflikt Simons VI. mit Lemgo: Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 48), Gu¨tersloh 1981, bes. S. 225ff., S. 292ff. 37 Vgl. Knut Schulz, Residenzstadt und Gesellschaft vom Hoch- zum Spa¨tmittelalter, in: Flink/Janssen, Territorium und Residenz (wie Anm. 13), S. 211–227.

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sich verdichtenden Herrschaft einzugliedern und sie seinen Zielen als Residenzstadt dienstbar zu machen. Es waren diese Residenzsta¨dte, die in der fru¨hen Neuzeit die Modernisierung des Sta¨dtewesens vorantrieben, nicht mehr die Reichssta¨dte und die autonomen, dem Landesherrn entfremdeten Sta¨dte, die zunehmend in Bedeutungslosigkeit zuru¨cksanken.

IMPERIAL AND FREE TOWNS OF THE HOLY ROMAN EMPIRE City-States in Pre-Modern Germany? [Reprinted from: A Comparative Study of Thirty City-State Cultures. An Investigation Conducted by the Copenhagen Polis Centre, ed. M. H. Hansen, Copenhagen 2000, pp. 295–319]

The imperial and free towns of Germany are a phenomenon not to be found elsewhere in pre-modern Europe, and they are a special feature of German constitutional history. So, before looking at the main issue of this paper, we have to discuss briefly the general setting of these „city-states“, i. e. the constitutional framework of the „Holy Roman Empire“ during the late Middle Ages and in early modern times, viz. ca. 1200–1800.1 The Empire was not a centralised monarchy like the kingdoms of western Europe, especially England and France. Its political structure was determined by regional forces, particularly the dynastic territories that emerged in the course of the 13th century, as well as by the ecclesiastical territories (bishoprics, a great number of important monasteries and the orders of the Teutonic Knights and the Knights of St. John). In the transition to the modern period all these were transformed into principalities (Fu¨rstenstaaten), and it was there that Germany made the full transition to modern statehood. German constitutional historians are used to calling these principalities Territorien and it is in this specific sense I am going to use the English term „territory“ in this paper. The German king (rex Teutonicorum) of the late Middle Ages and early modern times was not a hereditary monarch. He was elected by seven prince-electors 1 Bibliographical information is kept to a minimum in this paper. For the constitutional history and

the political structure of the Empire in general cf. P. Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im spa¨ten Mittelalter 1250–1490, Berlin 1985; E. Schubert, Ko¨nig und Reich. Studien zur spa¨tmittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Go¨ttingen 1979; E. Schubert, Fu¨rstliche ¨ ber Ko¨nig und Reich. Herrschaft und Territorien im spa¨ten Mittelalter, Mu¨nchen 1996; P. Moraw, U Aufsa¨tze zur deutschen Verfassungsgeschichte des spa¨ten Mittelalters, ed. Ch. Schwinges, Sigmaringen 1995; P. Moraw, Vom deutschen Zusammenhalt in a¨lterer Zeit, in: Identita¨t und Geschichte, ed. M. Werner, Weimar 1997, pp. 27–59; Deutsche Verwaltungsgeschichte I: Vom Spa¨tmittelalter bis zum Ende des Reiches, ed. K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-Ch. von Unruh, Stuttgart 1983; H. Mitteis/ H. Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, Mu¨nchen 181988; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, Mu¨nchen 1990; H. Duchhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1495–1806, Stuttgart 1991; Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, ed. A. Schindling/W. Ziegler, vol. 1–6, Mu¨nster 1989/1996.

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(Kurfu¨rsten): the archbishops of Mainz, Cologne and Trier; the king of Bohemia, the count-palatine of the Rhine, the duke of Saxony and the margrave of Brandenburg. In most cases he also received the imperial crown in Rome at a ceremony presided over by the Pope and thus became imperator Romanorum. Although the Roman coronations were discontinued in early modern times, the elected German king was still considered as the Roman emperor whose Empire consisted of Germany (regnum Teutonicorum), Italy (regnum Italiae) and Burgundy (regnum Burgundiae). So, even though we are here dealing with Germany only, I will nevertheless use the term „emperor“ when speaking of the German monarchs, as most of their contemporaries did. To be the emperor of the Holy Roman Empire, which was seen as a continuation of the ancient Roman Empire, transferred first to the Franks (800) and then to the Germans (962), was also seen as a vital factor to salvation history, and accordingly it provided a ruler with an unquestionable legitimacy. But in reality the emperor had little power and only a few instruments were at his disposal to exercise power. In the late Middle Ages and in early modern times there was no royal demesne which was handed down from one monarch to the next. What territorial power an emperor had, lay in the territories over which he ruled as a prince. The king and emperor was the feudal overlord of the territorial princes, but that did not mean much in terms of power, though it must be considered as the main bond which held together the Empire: the emperor could summon the princes to assemblies, i. e. Diets (Hoftage, later: Reichstage). He could summon the host of the Empire for war against external enemies (like the Hussites or the Turks) or sometimes against members of the Empire, if they were found guilty of a felony. The emperor was also needed to confer the fiefs on the legitimate heir, when a vassal had died. But again, there was no royal administration which could intervene in the territories of the princes, nor was there a royal jurisdiction with such powers. Furthermore, there was no royal tax-system which would bring cash into the coffers of the emperor. The territories were quasi-independent states, which were bound to the emperor only by the fact that he was – in theory – the source of their autonomy. He could even increase their autonomy by giving them more privileges and in return they would comply with his political aims. So the emperor was not really in a position to govern the Empire. All he could do was to negotiate with the territorial powers to achieve his political aims. The Empire was characterised by a dualism, viz. the distinction between Kaiser and Reich: on the one hand there was the emperor, on the other there was the Empire, which was made up of all the territorial powers. The centralisation of power, which constitutes the modern state, developed in these territories. Around the turn of the 15th/16th century, from about 1470, some changes took place which a German constitutional historian, Peter Moraw, has described as „densification“.1a The territorial powers created a new centralised representative institution, the Reichstag. It was the largest assembly of estates in Europe; its members were listed in the Reichsmatrikel; it was summoned as necessity required and from 1661 onwards it resided permanently in Regensburg.1b 1a Moraw, Verdichtung (see n. 1): „Verdichtung“. 1b P. Moraw, Versuch u¨ber die Entstehung des Reichstages, in: Politische Ordnungen und soziale Kra¨fte

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Thus a second centre of political power developed in competition with the relatively small and bureaucratically weak imperial court. The institutionalized Reichstag of the early modern period was the outcome of a long-term development during the Middle Ages, when the emperor used to summon the territorial powers to his court for consultation, for a Diet or Hoftag. Most of those summoned were territorial princes, their core being the prince-electors who played the most prominent role in the developing dualism of the Empire. But the emperor also summoned towns and cities for his Diets. Some were towns which had a special relationship with the emperor; some were cities, which were not subject to the rule of a territorial prince, but had the emperor himself as their lord. In the later medieval Empire there were about 3,000–4,000 towns or even more, and their number was increased only insignificantly during the early modern period.2 But only very few were imperial or free cities (Fig. 1–2).3 At the end of the 13th century, early in the reign of Rudolf of Habsburg, there were 105 imperial or free towns; im Alten Reich, ed. H. Weber, Wiesbaden 1980, pp. 1–36; A. Schindling, Die Anfa¨nge des immerwa¨hrenden Reichstages zu Regensburg. Sta¨ndevertretung und Staatskunst nach dem Westfa¨lischen Frieden, Mainz 1991. 2 General information on the towns: E. Ennen, Die Europa¨ische Stadt des Mittelalters, Go¨ttingen 1972; Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, ed. H. Stoob (Sta¨dtewesen 1), Ko¨ln/ Wien 21985; E. Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters, Mu¨nchen 1993; E. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spa¨tmittelalter 1200–1500. Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988; P. Moraw, Cities and Citizenry as factors of State Formation in the Roman-German Empire of the Late Middle Ages, in: Cities and the rise of states in Europe A. D. 1000 to 1800, ed. Ch. Tilly/W. P. Blockmans, Boulder/San Francisco/Oxford 1994, pp. 100–127; H. Boockmann, Die Stadt im spa¨ten Mittelalter, Mu¨nchen 1986; K. Gerteis, Die deutschen Sta¨dte in der fru¨hen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der bu¨rgerlichen Welt, Darmstadt 1986; H. Schilling, Die Stadt in der Fru¨hen Neuzeit, Mu¨nchen 1993; Bibliographie zur deutschen historischen Sta¨dteforschung, ed. W. Ehbrecht/H. Stoob/B. Schro¨der (StF B 1), vol. 1–2, Ko¨ln/Wien 1986/1996; Deutsches Sta¨dtebuch, ed. E. Keyser/H. Stoob, vol. 1–10, Stuttgart 1939/79; Deutscher Sta¨dteatlas, ed. H. Stoob, fasc. 1ff., Dortmund/Altenbeken 1973ff.; Rheinischer Sta¨dteatlas, ed. E. Ennen/G. Droege/M. Wensky, fasc. 1ff., Bonn 1972ff.; West¨ sterfa¨lischer Sta¨dteatlas, ed. H. Stoob/W. Ehbrecht, fasc. 1ff., Dortmund/Altenbeken 1975ff.; O reichischer Sta¨dteatlas, ed. R. Banik-Schweitzer/F. Czeike/F. Opll, fasc. 1ff., Wien 1982ff.; Historicky´ atlas mˇest cˇ eske´ republiky (Czech Atlas of Historic Towns), ed. F. Sˇmahel/P. Johanek/ ˇ E. Semotanova´/L. Sleza´k Zˇemlicka, fasc. 1ff., Prague 1995ff.; Atlas Historyczny Miast Polskich (Historischer Atlas Polnischer Sta¨dte), ed. A. Czacharowski, fasc. 1ff., Torun´ 1993ff.; Historischer Sta¨dteatlas der Schweiz, ed. M. Stercken, fasc. 1ff., Zu¨rich 1997; Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, ed. W. Behringer/B. Roeck, Mu¨nchen 1999. 3 F. Metz, Die Reichssta¨dte, in: Beitra¨ge zur Wirtschafts- und Stadtgeschichte. Festschrift fu¨r Hektor Amman, ed. H. Aubin et al., Wiesbaden 1965, pp. 29–54; J. Sydow, Zur verfassungsgeschichtlichen Stellung von Reichsstadt, freier Stadt und Territorialstadt im 13. und 14. Jahrhundert, in: Les liberte´s urbaines et rurales du XIe au XIVe siecle. Colloque international Spa 5–8 IX 1966. Actes, Bruxelles 1968, pp. 281–309; G. Pfeiffer, Stadtherr und Gemeinde in den spa¨tmittelalterlichen Reichssta¨dten, in: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, ed. W. Rausch (BGStM 3), Linz 1974, pp. 201–226; E. Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom spa¨ten Mittelalter zur fru¨hen Neuzeit, in: Mittel und Weg fru¨her Verfassungspolitik, ed. J. Engel, Stuttgart 1979, pp. 9–223; P. Moraw, Reichsstadt, Reich und Ko¨nigtum im spa¨ten Mittelalter, in: ZHF 6 (1979), pp. 385–424; F. B. Fahlbusch, Sta¨dte und Ko¨nigtum im fru¨hen 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte Sigismunds von Luxemburg (StF A 17), Ko¨ln/Wien 1983; P. -J. Heinig, Reichssta¨dte, freie Sta¨dte und Ko¨nigtum 1389–1450. Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte, Wiesbaden 1983; Herborn, Reichssta¨dte, in: Verwaltungsgeschichte (see n. 1), pp. 658–679; Isenmann, Stadt (see n. 2); V. Press, Die Reichssta¨dte im Reich der fru¨hen Neuzeit, in: Reichssta¨dte in Franken. Aufsa¨tze, ed. R. A. Mu¨ller, vol. 1–2, Mu¨nchen 1987,

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whereas the Reichsmatrikel of Worms listed 85 in 1521, in reality only 68 are to be considered as belonging in this category.4 In the early modern period their number decreased. Some of them, like Mulhouse, joined the Swiss Confederation, others were detached from the Empire by the French King: Metz, Toul and Verdun as early as 1552, the Alsatian Decapolis with Colmar and Hagenau in 1648 and Straßburg in 1681.4a At the end of the Ancien Re´gime 51 had a seat in the Diet of Regensburg (1792).4b At the time of the Westphalian peace treaty 18 of them were Catholic, 7 mixed5, the rest were Protestant. What was an imperial or free city of the Empire and in which respect did imperial and free cities differ from the rest of the ca. 3,900 towns of the Empire? They had a special relationship with the emperor, i. e., their lord was not a territorial prince, but the emperor himself. The imperial cities (Reichssta¨dte) were towns founded by the emperor, mostly in the times of the Staufen emperors in the 12th or 13th century, or towns which grew up on imperial territory, sometimes in connection with a royal palace or castle (e. g. Nuremberg, Rothenburg, Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen or Wimpfen). Consequently most of them are to be found in regions where the Staufen emperors were powerful, i. e. in Swabia, Franconia, Thuringia, Alsace and the region north of Frankfurt (Wetterau). In the North of Germany there were only a few, e. g. Dortmund or Goslar, which had developed out of a fisc of Ottonian times, or Lu¨beck, which became an imperial city after the deposition of Henry the Lion and was given charters in this respect by Frederick Barbarossa (1188) and Frederick II (1226). The emperor was the lord of the imperial city, he protected it and therefore he was its guardian (Vogt). That meant that the jurisdiction lay in his hands, and was exercised by his representative, the scultetus (Schultheiß). This is why the imperial cities paid tax to the emperor and recognised him as their lord, did homage to him and swore allegiance. They called the emperor „our only, lawful and legitimate lord“5a, and the emperor spoke of them as „our and the Empire’s towns“,6 stressing in this vol. 1, pp. 9–27; H. Duchhardt, Die Reichsstadt in der fru¨hen Neuzeit, in: Bild der Stadt (see n. 2), pp. 39–45; T. A. Brady, Turning Swiss. Cities and Empire, 1450–1550, Cambridge 1985; G. Schmidt, Der Sta¨dtetag in der Reichsverfassung. Eine Untersuchung zur korporativen Politik der Freien und Reichssta¨dte in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1984; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 81–87, 91f.; V. Press, Reichsstadt und Revolution, in: B. Kirchga¨ssner/E. Naujoks, Stadt und wirtschaftliche Selbstverwaltung, Sigmaringen 1985, pp. 9–59. 4 Cf. K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tu¨bingen 21913, no. 181, p. 317, no. 220, p. 554f. (see also Appendix 1, p. 281); W. Leiser, Sta¨dtische Zentralita¨t im agrarisch-urbanen Umfeld, in: Sta¨dtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit, ed. H. K. Schulze (StF A 22), Ko¨ln/Wien 1985, pp. 1–20, pp. 2f.; Isenmann, Stadt (see n. 2), p. 111. 4a Cf. Press, Reichssta¨dte (see n. 3), p. 10. 4b Herborn, Reichssta¨dte (see n. 3), pp 661f. 5 Catholic: Aachen, Buchau, Buchhorn, Gengenbach, Kaysersberg, Cologne, Obernai, Offenburg, Pful¨ berlingen, Wangen, Weil der lendorf, Rosheim, Rottweil, Se´lestat, Schwa¨bisch Gmu¨nd, Tu¨rckheim, U Stadt, Zell am Harmersbach; mixed: Augsburg, Biberach, Colmar, Dinkelsbu¨hl, Hagenau, Kaufbeuren, Ravensburg. Cf. W. Enderle, Die katholischen Reichssta¨dte im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung, in: ZRGK 75 (1988), pp. 228–269. 5a ayniger, ordentlicher und rechter herr, 1481; cf. Isenmann, Stadt (see n. 2), p. 112. 6 E. g. Nostra et sacri imperii civitas, cf. Pfeiffer, Stadtherr (see n. 3), p. 201.

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way the dualism of the Empire. It was a relationship which was identical with the relationship the emperor had with the princes, whom he called „our and the Empire’s princes“. On the other hand, this conception was generally accepted by the princes. Albrecht Achilles, the margrave of Ansbach, wrote to Nuremberg in the second half of the 15th century respectfully to the king: „Your and our lawful, natural and legitimate lord“.7 That meant that the legal bonds that bound princes and imperial cities to the emperor were identical. Princes and imperial cities were partners with equal rights in their relationship with the emperor. The status of the free towns was only slightly different. They were mostly cathedral cities, in which the citizens had succeeded in driving out their lord – the bishop or archbishop – and in taking control of the government of the city. In most cases this happened in the 13th and early 14th centuries, for example in all the cathedral cities along the river Rhine: Cologne, Mainz, Worms, Speyer, Strasbourg and Basel, but also in Toul, Verdun and Besanc¸on. A special case was Hamburg, which was a cathedral city whose lord, however, was not the archbishop but the count of Holstein; he gradually lost his influence over this city, so that it came to regard itself as a „free town“ and only in 1618 claimed the status of an imperial town. Likewise Regensburg became a free town struggling against its lords, the bishop and the duke of Bavaria. In 1484 the duke of Bavaria succeeded in subjugating the city, but by the intervention of the emperor, Frederick III, in 1492, Regensburg was liberated and henceforth regarded as an imperial city. The emperor was not the lord of the free towns; they did not pay homage to him, and above all he could not use them as a pawn in his financial transactions with the princes, as he very often did with the imperial towns. The free towns were responsible to the Empire as a whole, but even in this context they very often refused to do military service. So the free towns were slightly more independent than the imperial towns, but occasionally they were in danger of being reclaimed by their original lords, as was the case in Regensburg and in Mainz, where the archbishop eventually in 1462 re-conquered the city, re-established his government and reduced Mainz to a territorial town. In early modern times the differences between imperial and free towns gradually disappeared, so that in the end they were all habitually called „free imperial towns“ (Freie Reichssta¨dte). Thus, if we are to speak about city-states in medieval and early modern Germany, the imperial and free cities seem to fit the model. But German constitutional history is a complicated and confusing matter. There are still the territorial towns to consider, and quite a few of them enjoyed a considerable measure of independence.8 So, Heinz Schilling has suggested calling them semi-imperial cities or au-

7 Ewer und unser rechter, naturlicher und ordentlicher herr, cf. Schubert, Ko¨nig und Reich (see n. 1),

p. 291. 8 Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 109f.; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 38–45; P. Johanek, Landesherrli-

che Sta¨dte – kleine Sta¨dte. Umrisse eines europa¨ischen Pha¨nomens, in: Landesherrliche Sta¨dte in Su¨dwestdeutschland, ed. J. Treffeisen/K. Andermann, Sigmaringen 1994, pp. 9–25; R. Czaja, Das Verha¨ltnis der fu¨hrenden Schichten der preußischen Großsta¨dte zur Landesherrschaft in vergleichender Sicht im 14. und 15. Jahrhundert, in: Der Deutsche Orden in der Zeit der Kalmarer Union 1397–1521,

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tonomous towns.8a Occasionally they possessed an influence, economic power and autonomy that rivalled the richest and most influential of the imperial cities. This was the case especially in the north of Germany, where there were almost no imperial or free towns. Some of those territorial towns were big towns like Brunswick, Magdeburg, Rostock, Lu¨neburg, Bremen, Osnabru¨ck, Mu¨nster, Soest or Erfurt, but there were also smaller ones like Lemgo or Stendal. They all recognised a prince or bishop as their lord, did homage to him, but had in return been given privileges, which guaranteed a large amount of autonomy. Occasionally, some of them successfully opposed their lords like Lu¨neburg, which defeated duke Magnus of Brunswick in 1371, destroyed his castle and henceforth kept him out of the town. Soest switched from the archbishop of Cologne to having the duke of Kleve as its lord in the middle of the 15th century; and when count Simon VI of Lippe tried to introduce Calvinism at the beginning of the 17th century, Lemgo resisted successfully, and kept to the Lutheran faith. Such towns resembled imperial cities in so far as they enjoyed a relationship with their princely or episcopal lords which was almost like the relationship between imperial cities and the emperor; and such towns dominated the Hanseatic League, which represented a considerable political and economic power (see below). Almost all of the ca. 200 towns in the Hanseatic League were territorial towns; only 5 (Cologne, Dortmund, Lu¨beck, Mu¨hlhausen [Thuringia] and Nordhausen) were imperial towns, and one was a free town (Hamburg). So – if we are dealing with the concept of citystate – many of the features by which imperial and free towns are characterised are also to be found in many territorial towns. It is necessary, though, to keep in mind that the autonomy and independence of territorial towns decreased in early modern times, especially in the 17th century in consequence of the rise of princely absolutism. Some of the most independent territorial towns were conquered by their lords and reduced to almost complete dependence, like Mu¨nster and Brunswick in 1661, and Erfurt in 1664. So the 17th century, with its Thirty Years War and its aftermath, is a time of decline of urban liberties and even of the political and economic importance of the German city-states in general.

Territory

The size of the imperial and free towns differed considerably. The biggest of them, in fact the biggest German city, was Cologne; it covered 400 ha and had about 40,000 inhabitants, and was comparable to big Flemish towns such as Ghent, Bruges and Antwerp. There were big towns as Nuremberg (160 ha; ca. 20,000 inhabitants),

ed. H. Z. Novak/R. Czaja (Ordines Militares. Colloquia Torunensia Historica 10), Torun´ 1999, pp. 75–89. 8a Semi-Reichssta¨dte, Autonomiesta¨dte; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 38ff.

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Lu¨beck (200 ha; ca. 28,000 inhabitants) and Hamburg (96 ha; ca. 9,000 inhabitants); but there is a wide range in size from Ulm (70 ha) and Mu¨hlhausen (Thuringia) (50 ha) down to Eger (Cheb) (30 ha), Wetzlar (27.4 ha) and Weißenburg (Franconia) (26 ha) and even further down to the many small ones of about 10 ha and even less. The size given here is the area enclosed by the walls. All the towns reached the peak of their expansion already in the Middle Ages, most of them in the 14th century, whereas there was little growth in the 15th and the 16th century and almost none at all later on.9 Most of the imperial cities succeeded in acquiring a territory of their own, sometimes quite substantial:10 Nuremberg 1,500 km2 Ulm 830 km2 Rothenburg 400 km2 Schwa¨bisch Hall 330 km2 Frankfurt a. M. 110 km2 Sometimes this territory was enclosed by a fortification (Landwehr; Landheeg) consisting of an earth dike planted with hedges and enforced with some towers for lookout (Warte). Schwa¨bisch Hall for example had a dike of 120 km in length with 4 towers, Rothenburg 62 km with 9 towers.10a But in most cases the territory remained relatively small and it would be a mistake to assume that all big and important imperial cities possessed big territories. Strasbourg and Augsburg, for example, which are to be regarded as powerful economic centres of the Empire, had very small territories, in fact of the same size as the combined territory of the two smallest imperial cities, Gengenbach and Zell am Harmersbach. For military and economic reasons most cities and towns of some size – not only imperial cities but also territorial towns – tried very early to dominate their immediate vicinity.11 The beginning was very often the acquisition of landed property, often

9 There is no general survey of the size and number of inhabitants of German towns in pre-modern times.

Estimations of the number of inhabitants for single years are to be found in Deutsches Sta¨dtebuch (see n. 2). For general orientation see H. Ammann, Wie groß war die mittelalterliche Stadt?, in: C. Haase, Die Stadt des Mittelalters, vol. 1–3 (WdF 243–245), Darmstadt 1969–1973, vol. 1, pp. 415–422; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 29–32; F. Irsigler, Stadtwirtschaft im Spa¨tmittelalter: Struktur – Funktion – Leistung, in: JbWittheitBremen 27 (1983), 81ff.; Johanek, Landesherrliche Sta¨dte (see n. 8), pp. 11–13. 10 Again there is no general survey, cf. W. Leiser, Territorien su¨ddeutscher Reichssta¨dte, in: ZBayLG 38 (1975), pp. 967–981; G. Wunder, Reichssta¨dte als Landesherren, in: Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung, ed. E. Meynen (StF A 8), Ko¨ln/Wien 1979, pp. 79–91; E. Blessing, Die territoriale Entwicklung der Freien Sta¨dte und Reichssta¨dte bis 1803, in: Historischer Atlas von Baden-Wu¨rttemberg, ed. Kommission fu¨r geschichtliche Landeskunde in Baden-Wu¨rttemberg, VI, 7, Stuttgart 1979, p. 5; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 236–242; there are 2 useful maps for the south-west of the Empire in: Territorien (see n. 1), vol. 5, p. 194 resp. 214. 10a Cf. A. Schneider, Grenzlinien spa¨tmittelalterlicher sta¨dtischer Territorialherrschaften. Die Schwa¨bisch Haller und Rothenburger Landhege, in: Die Befestigung der mittelalterlichen Stadt, ed. G. Isenberg/B. Scholkmann (StF A 45), Ko¨ln/Weimar/Wien 1997, pp. 111–135. 11 Cf. Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 231–244; Sydow, Stellung (see n. 3), p. 300; Um- und Hinterland (see n. 4).

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by single citizens but sometimes also by the urban hospitals. In the years from 1262 to 1350, for example, citizens of Rostock (a territorial town of the counts of Mecklenburg) acquired 34 complete villages, of 41 villages they owned a part, and in 30 they received revenues and rents. In Lu¨beck, an imperial city, citizens owned 49 villages, and in 129 places they owned a part of the village or were paid revenues or rents.11a In general a town – imperial cities as well as territorial towns – was surrounded by an agriculturally exploited area (fields, pasture, woodland, partly privately owned by citizens, partly under public administration), which constituted the base of the town’s supply (Feldmark). This area was – in the case of the territorial towns – not a territory stricto sensu, but the town’s authorities exercised considerable influence and very often this area was protected by towers and a dike (Landwehr).12 The growth of landed property and revenues owned by citizens entailed a need for protection by the urban authorities, and it was always necessary to maintain the safety of the roads. From the second half of the 14th century most imperial cities turned to a policy of intentional and deliberate territory-building by the acquisition of landed property and, above all, the right to exercise jurisdiction. From the turn of the 13th to the 14th century many cities and towns had tried to acquire one or several castles in order to increase their military potential.13 In many cases the imperial cities came to include other towns within their territories. Thus, in 1359 Lu¨beck, for example, bought the town of Mo¨lln. Nuremberg also owned other towns (6) and so did Ulm (2), Schwa¨bisch Hall (1) and others. Schwa¨bisch Hall, Dinkelsbu¨hl and Rothenburg governed in condominium two other small towns – Ilshofen and Kirchberg – which they had bought from the counts of Hohenlohe.14 Sometimes imperial cities were able to gain possession of property, which had originally belonged to the king. This was the case in, for example, Dortmund, where the county of Dortmund, a royal fisc of 27 km2, was taken over in 1353, when the family of the counts of Dortmund, who held it from the emperor, became extinct.15 A large part of the territory of the imperial city of Kaufbeuren consisted of a royal fisc of the 12th/13th century, the officium Buron, which was administrated by a royal official (Ammann), who became an urban official of Kaufbeuren at the beginning of the 15th century.16 11a K. Fritze, Soziale Aspekte der Stadt-Land-Beziehungen im Bereich der wendischen Hansesta¨dte

(13.–16. Jahrhundert), in: Um- und Hinterland (see n. 4), pp. 21–32, p. 29.

12 For Landwehren in general cf. C. Kneppe, Das westfa¨lische Landwehrsystem als Aufgabe der Boden-

denkmalpflege. Erscheinungsbild und historische Bedeutung, in: AFWL 9 (1999), pp. 139–166, with a good bibliography; an instructive example: C. Kneppe, Die Anfa¨nge der Bielefelder Stadtlandwehr, in: Befestigung (see n. 10a), pp. 137–164. 13 Cf. for the case of Lu¨neburg: H.-J. Behr, Die Pfandschloßpolitik der Stadt Lu¨neburg im 15. und 16. Jahrhundert, Lu¨neburg 1964. 14 A. Graßmann, Lu¨beckische Geschichte, Lu¨beck 1989, pp. 353–470; Wunder, Reichssta¨dte (see n. 10), pp. 82ff. 15 G. Luntowski/G. Ho ¨ gl/Th. Schilp/N. Reimann, Geschichte der Stadt Dortmund, Dortmund 1994, pp. 92–95; as early as 1286 Dortmund had bought a third of the jurisdiction in this county and 1320 half of the territory. 16 R. Kießling, Herrschaft – Markt – Landbesitz. Aspekte der Zentralita¨t und der Stadt-LandBeziehungen spa¨tmittelalterlicher Sta¨dte an ostschwa¨bischen Beispielen, in: Zentralita¨t (see n. 10),

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The extension of urban control over the surrounding countryside and the acquisition of a territory reached its peak around 1400 and continued during the 15th century. It was an expensive affair and in many cases the external policy of the city-council caused internal disturbances and led to constitutional struggles (see below: Selfgovernment). Both imperial cities and territorial towns aimed at controlling their hinterland, but only the imperial cities succeeded in building territories, which equalled the structure of princely territories. The growth and development of urban territories depended on the pattern of political influence of the towns in the region in question, and in most cases the cities met with very strong resistance from the neighbouring princely territories. All urban territories remained relatively small compared with the important princely territories of the Empire. But the importance of an imperial city is not to be defined by the size of its territory but by its economic power.

Population

The imperial and free cities differed considerably in population as well as in size. It is, however, extremely difficult to estimate the number of inhabitants of individual medieval towns. On the whole, there was a continual increase of population from around 1200 to the 1330s, followed by a short period of stagnation for about two decades and then a sharp decline, caused by the Black Death in 1348/50. Apparently about a third or even more of the urban population died, but was partly replaced by increasing immigration. There was a considerable growth in the second half of the 15th and in the first half of the 16th century, but epidemics from the 1570s to the 1590s and the effects of the Thirty Years War brought about a new decline. For the period around 1500 relatively trustworthy estimates of the urban population are available.17 In the Empire (excluding Switzerland and the Netherlands west of the river Ijssel) there were 11 towns with more than 20,000 inhabitants (imperial and free cities are italicised): Lu¨beck, Cologne, Brunswick, Magdeburg, Wrocław (Breslau), Prague, ´ (Danzig; a city of the king of Strasbourg, Nuremberg, Augsburg, Vienna, Gdansk Poland since 1454; its status comparable to that of an imperial city; member of the Hanseatic League). 15 Towns (6 imperial cities) of 10,000–20,000 inhabitants: Bremen (recognised as an imperial city only in 1646), Hamburg, Lu¨neburg, Rostock, Stralsund, Aachen, Mu¨nster, Soest, Frankfurt am Main, Erfurt, Metz, Regensburg, Zurich (in the Swiss Confederacy), Deventer, Kampen.

pp. 180–218, pp. 186f.; cf. in general R. Kießling, Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bu¨rgerbesitz und Wirtschaftsgefu¨ge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (StF A 29), Ko¨ln/Wien 1989; Engel, Stadt (see n. 2), pp. 271–278. 17 Cf. Ennen, Stadt (see n. 2), pp. 199–204; Gestalt und Wandel (see n. 2), pp. 153–156; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 29–34; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 4–17;

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73 towns (17 imperial cities) of 5,000–10,000 inhabitants: Wismar, Greifswald, Salzwedel, Stendal, Burg, Brandenburg, Berlin, Frankfurt/Oder, Prenzlau, Leeuwarden, Groningen, Zwolle, Zutphen, Wesel, Dortmund, Osnabru¨ck, Herford, Lemgo, Lippstadt, Paderborn, Hannover, Hildesheim, Goslar, Einbeck, Go¨ttingen, Nordhausen, Halle, Wittenberg, Glogau (Glogo´w), Bonn, Kassel, Mulhouse, Naumburg, Leipzig, Altenburg, Zwickau, Chemnitz, Bautzen, Go¨rlitz, Liegnitz (Legnica), Schweidnitz (Swidnica), Verdun, Trier, Mainz, Worms, Speyer, Heidelberg, Wu¨rzburg, Bamberg, Eger (Cheb), Kuttenberg (Kutna Hora), Olmu¨tz (Olomouc), Iglau (Jihlava), Bru¨nn (Brno), Hagenau, Stuttgart, Schwa¨bisch Hall, Rothenburg, Amberg, Freiburg, Mu¨hlhausen, Konstanz, Ravensburg, Besanc¸on, Esslingen, Ulm, ´ Memmingen, Mu¨nchen, Landshut, Salzburg, Elbing (Elblag, ˛ cf. Gdansk), Thorn ´ cf. Gdansk), ´ (Torun, Ko¨nigsberg i. Pr. (Kaliningrad; territory of the Teutonic Order, member of the Hanseatic League).18 So most of the imperial cities were small or middle-sized towns, but even so the imperial or free cities constituted slightly more than a quarter of the largest towns of the Empire, and ca. 40 % of the towns with more than 10,000 inhabitants. The share is even higher if we take into consideration that Mainz was reduced from a free to ´ a territorial city only in 1462, and that Gdansk, Elbing and Thorn enjoyed a status comparable to that of an imperial city under the king of Poland. Furthermore some ´ and Elbing were registered as imperial cities in the towns like Lemgo, Soest, Gdansk Reichsmatrikel of 1521; and in 1645 Elbing was invited by Ferdinand III to take part in the negotiations leading to the Peace of Westphalia in 1648. It follows that the largest and economically most important imperial cities do not fit what is understood by a face-to-face society. But we must keep in mind that not all of the inhabitants were citizens with full political rights and also that the citizens were organised into societies, craft-guilds and fraternities, which in any case were face-toface societies. There is no doubt that the towns’ councils and their policies were dominated by a political elite which constituted a face-to-face society.

Settlement pattern

Although some of the imperial cities created quite substantial territories, the majority of the population lived in the urban centre, inside the town walls. The inhabitants of the territory outside the walls were not citizens but subjects of the city’s government. That was even the case when the territory was very small. Nevertheless the citizens, especially of the larger towns, developed distinctive patterns of living, which established a strong interrelation of town and hinterland. In all towns, especially in the smaller and very small ones, there was of course some agrarian activity. But many of the citizens owned substantial landed property in the countryside, sometimes farms and sometimes even whole villages (cf. above: Territory, and 18 Based on the map in Gestalt und Wandel (see n. 2), p. 155.

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below: Economy). That applies especially to the members of the ancient elites, which originally dominated the city’s council – like the patricians of Nuremberg or the Erbma¨nner of Mu¨nster. They very often owned or built sumptuous country-houses or even castles; and they became assimilated to the way of life of the nobility and in many cases succeeded in being recognised as members of the nobility by imperial charter. But most of them still lived in the cities and took part in their economy as well as in their government (cf. below: Self-Government). Only in some towns or in single cases did they leave the town and become part of the landed nobility; and in one unique case they rose into the rank of territorial princes, viz. the Fugger family in 1514, whose ancestor had come to Augsburg in the 14th century as a simple weaver.19 On the other hand, nobles of the urban hinterland very often tried to obtain citizenship (Bu¨rgerrecht) in order to gain the towns’ protection and also for economic reasons.20 From the second half of the 15th century onwards there was an increasing tendency among the landed nobility to acquire a townhouse (Adelshof) mostly in the territorial towns and only very rarely in an imperial city.20a

19 For the patriciate in the German towns cf. H. Ro ¨ ssler, Deutsches Patriziat, Darmstadt 1968; I. Ba´-

tori, Das Patriziat der deutschen Stadt, in: Die alte Stadt ZSSD 2 (1975), pp. 1–30; C. -H. Hauptmeyer, Vor- und Fru¨hformen des Patriziats mitteleuropa¨ischer Sta¨dte, in: Die alte Stadt ZSSD 6 (1979), pp. 1–20; R. Endres, Adel und Patriziat in Oberdeutschland, in: Sta¨ndische Gesellschaft und soziale Mobilita¨t, ed. W. Schulze/H. Gabel, Mu¨nchen 1988, pp. 221–238; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 269–283; the latest case study: R. Loibl, Passaus Patrizier. Zur Fu¨hrungsschicht der Bischofs- und Handelsstadt im spa¨ten Mittelalter, in: ZBayLG 62 (1999), pp. 41–98; for its origins in the urban ministeriality see the seminal work of K. Schulz, Ministerialita¨t und Bu¨rgertum in Trier, Bonn 1968, and E. Maschke/J. Sydow, Stadt und Ministerialita¨t, Stuttgart 1973; Engel, Stadt (see n. 2), pp. 47f.; an opposing view now in H. R.Derschka, Die Ministerialen des Hochstiftes Konstanz, Sigmaringen 1999, pp. 441–489; for the interrelation of nobility and town in general: O. Brunner, ‚Bu¨rgertum‘ und ‚Feudalwelt‘ in der europa¨ischen Sozialgeschichte, in: GWU 7 (1956), pp. 599–614 (reprinted in: Haase, Stadt des Mittelalters (see n. 9), vol. 3, pp. 480–501); H. Weigl, Sta¨dte und Adel im spa¨tmittelalterlichen ¨ sterreich, in: Regio, ed. J. Jahn et al. (Forschungen zur schwa¨bischen Regionalgeschichte 2), SigO maringerdorf 1989, pp. 74–100; K. Schulz, Stadtadel und Bu¨rgertum vornehmlich in oberdeutschen Sta¨dten im 15. Jahrhundert, in: Stadtadel und Bu¨rgertum in den italienischen und deutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, ed. R. Elze/G. Fasoli, Berlin 1991, pp. 161–181; M. Diefenbacher, Stadt und Adel – Das Beispiel Nu¨rnberg, in: ZGO 141 (1993), pp. 51–69; Th. Zotz, Adel in der Stadt des deutschen Spa¨tmittelalters, in: ZGO 141 (1993), pp. 22–50; A. Ranft, Adel und Stadt im spa¨ten Mittelalter. Ihr Verha¨ltnis am Beispiel der Adelsgesellschaften, in: Die Kraichgauer Ritterschaft in der fru¨hen Neuzeit, ed. St. Rhein, Sigmaringen 1993, pp. 47–64; Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit, ed. A. Hufschmidt, Marburg 1996; A. Mindermann, Adel in der Stadt des Spa¨tmittelalters. Go¨ttingen und Stade 1300–1600, Bielefeld 1996; P. Johanek, Adel und Stadt im Mittelalter, in: Adel und Stadt, ed. G. Teske, Mu¨nster 1998, pp. 9–35. 20 Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 98f.; Zotz, Adel (see n. 19), pp. 31ff.; an instructive example is Cologne, cf. H. J. Domsta, Die Ko¨lner Außenbu¨rger. Untersuchungen zur Politik und Verfassung der Stadt Ko¨ln von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Bonn 1973. 20a Adel (see n. 19); F. Matsche, Sta¨dtische Adelsresidenzen in Europa – Zur Typologie des Stadtpalastes, in: Adel (see n. 19), pp. 45–95.

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Urbanisation

As we have seen, the territories of the imperial cities were relatively small, and there were no or only a few other urban settlements within those territories. Without exception the territory was of minor importance and never included a second major urban centre. Above all the citizens of secondary towns within the territory were not citizens of the major city. It must also be kept in mind that imperial cities did not strive to include other towns into their territory. When that happened, it was more or less by chance. No imperial city ever founded another town. Territorial princes were keen on founding new towns, imperial cities were not. So they were not promoters of urbanisation in the direct sense as were the territorial princes,21 but their economic activities may have stimulated urban growth within a region dominated by the economic influence of certain imperial cities. One example is the capital invested in the 15th century by merchants of Cologne which contributed considerably to the growth of towns in the Sauerland region, which was dominated by the metal industry.

Economy

All of the 99 largest towns of the Empire named above (cf. see above: Population) engaged in long distance trade and housed specialised crafts. Lu¨beck dominated the Hanseatic trade of the North Sea and the Baltic. Lu¨beck was at the centre of an axis with „two arms: one stretching out west toward Bruges and London and the other east to Riga and far away Novgorod“.21a Linked to this axis were the towns of the southern Baltic coast as well as Bremen, Hamburg, Deventer and other towns on the river Ijssel. Also linked to it were Magdeburg and Prague via the river Elbe and Breslau by the river Oder. So was Cologne, and in this case the link was established by a diagonal road from Lu¨beck via Hamburg and Lu¨neburg toward Osnabru¨ck, Mu¨nster and Dortmund and from there to Cologne. And again there was a link established by road from Cologne via Dortmund, Soest, Paderborn,

21 The founding of towns is to be regarded as one of the most powerful instruments in territo-

ry-building in the decisive period of the 13th–14th century, cf. H. Stoob, Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, in: VSWG 46 (1959), pp. 1–28 (reprinted in: H. Stoob, Forschungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970; W. Sto¨rmer, Die Gru¨ndung von Kleinsta¨dten als Mittel herrschaftlichen Territorialaufbaus, gezeigt an fra¨nkischen Beispielen, in: ZBayLG 36 (1973), pp. 563–585; W. Ehbrecht, Territorialwirtschaft und sta¨dtische Freiheit in der Grafschaft Arnsberg, in: Zentralita¨t (see n. 10), pp. 125–179; W. Ehbrecht, Mittel- und Kleinsta¨dte in der Territorialkonzeption Westfa¨lischer Fu¨rsten. Lippstadt als Modell, in: JbRG 14 (1987), pp. 104–141; Johanek, Landesherrliche Sta¨dte (see n. 8), esp. n. 14 and 27. 21a J. C. Russell, Medieval Regions and their Cities, Newton Abbot 1972, p. 106.

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Brunswick to Magdeburg and from there to Leipzig, Breslau and farther east. This is the framework for the Hanseatic trade in the Middle Ages from the 13th to the 17th century.22 Cologne again was the centre of an axis that extended from London and the Flemish cities southward along the river Rhine via Mainz, Frankfurt, Worms and Speyer to Strasbourg. If Cologne was a kind of entrance gate to the traffic of the Rhine, so was Strasbourg for the trade from the south (via the Alps and the river Rhone) and from Paris.22a The region of the Upper Rhine with Mainz and Strasbourg was linked by roads toward the east to another important economic region of Upper Germany, dominated by Augsburg, which occupied a key position in the trade with Italy, especially Venice. The main commercial centres here were Nuremberg, Ulm, Regensburg (whose long-distance trade declined in the 15th century) and Vienna, which, again, had close links with the region of Prague and the very important mining districts of Upper Hungary (today Slovakia). So the largest cities of the Empire and especially the imperial and free cities were the main agencies of Germany’s international trade during the Middle Ages and up to around 1600. There were two major fairs (Messen) in Frankfurt am Main (from around 1330/40, charter of emperor Louis IV 1337) and Leipzig (charters of Frederick III 1466 and 1469 and Maximilian I 1497 and 1507), which were major places for the exchange of commodities but also important financial markets, comparable to the fairs of Geneva, Lyons and Chalon-sur-Saone or Bergen op Zoom and Antwerp. Secondary fairs existed in Friedberg (imperial city, near Frankfurt am Main), Naumburg (near Leipzig), Deventer (member of the Hanseatic League), Zurzach (near Basel), No¨rdlingen (imperial city) and Linz on the Danube.23 This is the framework for Germany’s participation in the European trade with its centres in London, Bruges and later Antwerp, Venice and the Levant, Genoa and the trade centres of the Iberian peninsula.24 The larger cities of the Empire – imperial cities and territorial towns – formed a network of commercial connections, but even smaller towns of the category of 2,000 to 5,000 inhabitants engaged in the longdistance trade. In Attendorn, for example, a town of the archbishop of Cologne and a member of the Hanseatic League, there existed already in the 13th century a guild of merchants visiting England (Gilde der Englandfahrer), and Attendorn’s merchants did business in Flanders and Livonia. But they apparently were only few and in the assemblies of the Hanseatic League the town frequently was represented by Soest.25 22 For the Hanseatic League see below with notes 43–47c. 22a Russell, Regions (see n. 21a), pp. 90–93. 23 La Foire, ed. Libr. Encyclope´dique (RecSocBodin 5), Bruxelles 1953; Europa¨ische Messen- und Ma¨rk-

tesysteme in Mittelalter und Neuzeit, ed. P. Johanek/H. Stoob (StF A 39), Ko¨ln/Weimar/Wien 1996; M. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart 1998, with extensive bibliography. 24 Cf. in general Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1, ed. H. Aubin/W. Zorn, Stuttgart 1971; F. W. Henning, Das vorindustrielle Deutschland, Paderborn 41985; Europa¨ische Wirtschafts- und Sozialgeschichte vom ausgehenden Mittelalter bis zur Mittel des 17. Jahrhunderts, ed. H. Kellenbenz (Handbuch der europa¨ischen Wirtschaftsgeschichte 3), Stuttgart 1986; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 357–380 with extensive bibliography. 25 Around 1300 Attendorn was a town of about 15 ha and perhaps 2,000 inhabitants, cf. DtStAtl (see n. 2), II, 1.

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The merchants of the imperial city of Rottweil, putting on the market the products of the town’s cloth-weavers and metalworkers, visited the fairs of Frankfurt, No¨rdlingen and Zurzach and they sold a lot of grain and wood to towns in Switzerland, but they were rarely seen in Nuremberg and apparently never at the fairs of Leipzig or in Cologne and Antwerp. Rottweil’s trade was clearly confined to the region of south-western Germany.25a On the other hand, among the partners the merchants of Cologne did business with at the Frankfurt fairs, in commodities as well as in financial transactions, only a very few came from northern Germany and the Hanseatic towns. Only the most important cities like Lu¨beck, Hamburg, Brunswick and Magdeburg are mentioned and some Westphalian towns relatively nearby.25b What we see is a clearly defined hierarchy of commercial potential. In the smaller towns this potential was limited or confined to a regional range. Only the large cities in a geographically key position were able to participate directly in the world trade ´ (Danzig), Augsburg and Strasof the time: Lu¨beck, Cologne, Nuremberg, Gdansk bourg.26 But again, some trade companies in smaller towns like the Große Ravensburger Handelsgesellschaft in Ravensburg or the Diesbach-Watt-Gesellschaft of St. Gall did business with places as far away as Valencia, Lisbon and Barcelona, Genoa and Venice, ´ (Danzig), Poznan´ (Posen), Krako´w (Krakau) and Lwo´w (Lemberg).26a But Gdansk companies like this had to establish offices (Kontor, Gelieger) in the large cities like Nuremberg, Augsburg and Prague and they had to visit the fairs of Frankfurt, Leipzig and abroad. The large cities and the fairs were not only centres of commercial activities but, above all, they were centres of information, indispensable for commercial transactions in commodities as well as in the financial market. Cologne was not only the commercial heart of medieval Germany, it was also the largest centre of specialised crafts.26b Trade and manufacturing were in balance and 25a H. Ruckgaber, Geschichte der Frei- und Reichsstadt Rottweil, vol. 1–2, Rottweil 1835–1838; H.-M.

Maurer/W. Hecht, Rottweil, in: M. Miller/G. Taddey, Baden-Wu¨rttemberg (HistSt 6), Stuttgart 1980, pp. 676–682. 25b Cf. Rothmann, Frankfurter Messen (see n. 23), maps 6 and 7. 26 For a general survey cf. Graßmann, Lu¨beckische Geschichte (see n. 14); F. Irsigler, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Ko¨ln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spa¨tmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt, Wiesbaden 1979; Nu¨rnberg – Geschichte einer europa¨ischen Stadt, ed. G. Pfeiffer, Mu¨nchen 1971; H. Ammann, Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nu¨rnberg im Spa¨tmittelalter, Nu¨rnberg 1970; W. Stark, Lu¨beck und Danzig in ´ der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts, Weimar 1973; Historia Gdanska, ed. E. Ciełlak, vol. 1–2, ´ 1982; R. Kießling, Bu¨rgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spa¨tmittelalter. Gdansk Ein Beitrag zur Sturkturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt, Augsburg 1971; H. Kellenbenz, Augsburger Wirtschaft 1530 bis 1620, in: Die Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock, vol. 1, Augsburg 1980, pp. 50–71; G. Gottlieb, et. al., Geschichte der Stadt Augsburg, Stuttgart 21985; W. Reinhard, Augsburger Eliten. Prosopographie wirtschaftlicher und politischer Fu¨hrungsgruppen 1500–1620, Berlin 1996, with extensive bibliography; G. Livet/F. Rapp, Histoire de Strasbourg des origines a` nos jours, vol. 2 and 3, Strasbourg 1981. 26a A. Schulte, Geschichte der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, vol. 1–3, Stuttgart 1923; H. Ammann, Die Diesbach-Watt-Gesellschaft. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte des 15. Jahrhunderts, St. Gallen 1928. 26b Irsigler, Wirtschaftliche Stellung Ko¨lns (see n. 26), p. 1.

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exporting products of the Cologne crafts was an important part of Cologne’s commercial activities. Nuremberg, Augsburg and Strasbourg were similar cases. All imperial cities and all towns of the Hanseatic League had specialised crafts and many of them were working for export, but there were considerable differences in the various regions of the Empire. Germany’s economy was characterised by mining (silver, copper, iron, salt), metalwork and textile production.27 But only one imperial city (Goslar) was a mining town and again only one imperial city (Schwa¨bisch Hall) and five Hanseatic towns engaged in salt production (Halle/Saale, Kolberg [Kołobrzeg], Lu¨neburg, Soest and Werl). And anyway mining and the production of salt and their interrelations with the developement of towns are a special case, so they are omitted here. Metalwork manufacturing concentrated in the north-west around the iron-mining districts of Sauerland and Siegerland with Cologne as a leading centre and around Aachen (brass and copper).28 In the south the most important centre was Nuremberg with the iron-mining district of the Upper Palatinate in its vicinity and its highly specialised metalworking crafts, working imported copper.28a More widely spread was textile manufacturing. Textiles were at the base of export trade in almost all towns of some substance, but in many cases they were of very limited quality and only of regional importance. There were, however, several textile districts, whose towns worked for long-distance export. Centres for the production of woollen cloth were Aachen and the region west of Cologne, Strasbourg, No¨rdlingen (especially Loden, a coarse woollen cloth) and the region around Frankfurt, especially to its north (Wetterau), manufacturing cheap cloth of agreeable quality. On the whole, German cloth never reached the quality of the Flemish and English products, but it met the needs of a substantial part of the population and was exported to the east.29

27 For the early modern period see the excellent survey of W. Reininghaus, Gewerbe in der fru¨hen

Neuzeit, Mu¨nchen 1990; there ist nothing comparable for the Middle Ages, and one is left with the short paragraph in Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 341–356, cf. also W. v. Stromer, Gewerbereviere und Protoindustrien in Spa¨tmittelalter und Fru¨hneuzeit, in: Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spa¨tmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, ed. H. Pohl, Wiesbaden 1986, pp. 39–111; R. Holbach, Exportproduktion und Fernhandel als raumbestimmende Kra¨fte. Entwicklungen in nordwestdeutschen Gewerbelandschaften vom 13.–16. Jahrhundert, in: JbwestdtLG 13 (1987), pp. 227–256, and the map in Großer Historischer Weltatlas, part 2: Mittelalter, ed. J. Engel, Mu¨nchen 1970, pp. 124f., for the time around 1500. 28 Irsigler, Wirtschaftliche Stellung Ko¨lns (see n. 26); P. Johanek, Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfalen wa¨hrend des Mittelalters, in: Stadt und Eisen, ed. F. Opll, Linz 1992, pp. 15–36; R. A. Peltzer, Geschichte der Messingindustrie und der ku¨nstlerischen Arbeiten in Messing (Dinanderies) in Aachen und den La¨ndern zwischen Maas und Rhein von der Ro¨merzeit bis zur Gegenwart, Aachen 1909; H. Kellenbenz, Die Aachener Kupfermeister, in: ZAachGV 80 (1970), pp. 99–125. 28a Ammann, Nu¨rnberg (see n. 26), pp. 48–70; R. Stahlschmidt, Die Geschichte des eisenverarbeitenden Gewerbes in Nu¨rnberg von den ersten Nachrichten im 12.–13. Jahrhundert bis 1630, Erlangen 1971. 29 H. Ammann, Deutschland und die Tuchindustrie Nordwesteuropas im Mittelalter, in: HansGbll 72 (1954), pp. 1–63; Irsigler, Wirtschaftliche Stellung Ko¨lns (see n. 26); Wollenlaken, Trippen, Bombasinen. Die Textilzu¨nfte in Wesel zwischen Mittelalter und Neuzeit, ed. J. Prieur/W. Reininghaus, Wesel 1983; G. Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Weberei und des deutschen Gewerberechts vom 13.–17. Jahrhundert, Straßburg 1879;

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In contrast, German linen weaving was of excellent standards. It concentrated in north-western Germany, especially in Westphalia, in Saxony south-east of Leipzig and in Silesia. The most important linen producing district, however, was Swabia, with its centres Ulm and Augsburg and the whole region of Lake Constance (Bodensee).30 It was here that in 1368 the production of fustian (Barchent) was established, a mixture of linen and cotton. Fustian production became an immediate success, because it was cheap and agreeable to wear.31 Even small towns grew into important manufacturing places of textiles. The small imperial town of Isny, for example, was founded in 1171 on 5 ha of land. Prospering from linen weaving it expanded to 14 ha and was enclosed by walls in 1280. There were 2,000 inhabitants in 1400 and over 3,000 in 1500 and 250 workshops of linen weavers.31a The imperial city of Biberach (20 ha, 4,000–5,000 inhabitants) around 1500 had 400 looms for working on fustian, and in Memmingen (over 5,000 inhabitants) there were 242 masters weaving fustian in 1530. These are impressive numbers, considering that in Cologne a limit of 300 looms for weaving woollen cloth was set at the end of the 14th century.32 So the imperial towns of the Swabian textile region were substantial economic powers, although their number of inhabitants and the area of settlement remained relatively small. The textile industry in Swabia in particular, but also that in Cologne, was characterised by the fact that merchants (especially clothiers) or weavers of substance commissioned work from other weavers in the town or in other towns or even in the countryside. They bought the raw materials (for example cotton in the case of fustian), gave it to the weavers and paid them for their labour (Verlag). The same was the case with the metal-working crafts, especially in Cologne and Nuremberg.33 So

Kießling, Stadt und Land (see n. 16), esp. pp. 213–233; H. Ammann, Der hessische Raum in der mittelalterlichen Wirtschaft, in: HessJb 8 (1958), pp. 37–70; O. Dascher, Das Textilgewerbe in HessenKassel vom 16. bis 19. Jahrhundert, Marburg 1968. 30 H. Aubin, Das westfa¨lische Leinengewerbe im Rahmen der deutschen und europa¨ischen Leinwanderzeugung bis zum Anbruch des Industriezeitalters, Dortmund 1964; G. Aubin/A. Kunze, Leinenerzeugung und Leinenabsatz im o¨stlichen Mitteldeutschland zur Zeit der Zunftka¨mpfe, Stuttgart 1940; A. Zimmermann, Blu¨the und Verfall des Leinengewerbes in Schlesien, Breslau 1885; Kießling, Stadt und Land (see n. 16); C. P. Clasen, Die Augsburger Weber. Leistungen und Krisen des Textilgewerbes um 1600, Augsburg 1981; H. Ammann, Die Anfa¨nge der Leinenindustrie des Bodenseegebiets, in: AlemJb 1 (1953), pp. 251–313; Reininghaus, Gewerbe (see n. 27), pp. 26–29. 31 W. v. Stromer, Die Gru¨ndung der Baumwollindustrie in Mitteleuropa. Wirtschaftspolitik im Spa¨tmittelalter, Stuttgart 1978; D. Funk, Biberacher Barchent. Herstellung und Vertrieb im Spa¨tmittelalter und zur beginnenden Neuzeit, Biberach 1965; H. Kellenbenz, The Fustian Industry of the Ulm Region in the 15th and early 16th Centuries, in: Cloth and Clothing in Medieval Europe. Essays in Memory of Professor E. M. Carus-Wilson, ed. N. B. Harte/K. G. Ponting, London 1983; Kießling, Stadt und Land (see n. 16). 31a Cf. DtStAtl (see n. 2), I, 5. 32 Funk, Biberacher Barchent (see n. 31), pp. 71ff.; Kießling, Stadt und Land (see n. 16), p. 481; Irsigler, Wirtschaftliche Stellung Ko¨lns (see n. 26), p. 43. 33 F. Furger, Zum Verlagssystem als Organisationsform des Fru¨hkapitalismus im Textilgewerbe, Stuttgart 1927; B. Kirchga¨ssner, Der Verlag im Spannungsfeld von Stadt und Umland, in: Stadt und Umland, ed. E. Maschke/J. Sydow, Stuttgart 1974; Irsigler, Wirtschaftliche Stellung Ko¨lns (see n. 26), pp. 45ff.; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 353–356; R. Holbach, Formen des Verlags im Hanseraum vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: HansGbll 103 (1985), pp. 41–73; R. Holbach, Fru¨hformen von Verlag und Großbetrieb in der gewerblichen Produktion (13.–16. Jahrhundert), Wiesbaden

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there was a strong entrepreneurial element in the economy of the late medieval town, especially in the 15th and 16th century. The economic sphere of influence of a city or town as well as its economic power thus may be defined by the influence of entrepreneurial capital on the production in the different crafts of a town and above all on its hinterland and on other towns.34 This entrepreneurial element was stronger in the interior of Germany (especially in the towns on the Rhine and in southern Germany) than in the coastal regions of the north, dominated by the Hanseatic League. It was in existence in the Westphalian towns and in the Saxon towns of the interior (e. g. in Brunswick), but there was very little of it in the Hanseatic coastal towns on the Baltic and the North Sea. The merchants of those towns concentrated on trade, importing goods from abroad and exporting raw material from home (e. g. grain from Mecklenburg and Pomerania to the Netherlands), and the urban craftsmen, unlike their Rhenish and Swabian counterparts, generally did not manufacture for export. Crafts and artisans of a town were organised in guilds (Gilde, Zunft, Amt, Handwerk, Zeche). The medieval guild was an association which served various functions – social and religious, economic as well as political.35 Like religious fraternities, the guilds used to have patron saints, special feasts and commemorative masses for deceased members. They built guild-halls, where they had meals and dances. The guilds offered assistance in cases of hardship and, in general, mutual support for their members and thus constituted an agency of social integration. But above all, they wielded substantial economic power in the urban society. Only masters of the guild were allowed to exercise the trade in question and to sell its manufactured goods inside the town. The guild controlled the admittance of new masters and in many cases there was a numerus clausus. They also laid down the rules for apprenticeship and the examinations of apprentices, journeymen and masters, and set the standards of quality for the crafts-products. In general, the guilds succeeded in establishing a monopoly for their members inside the town, but the urban authorities tried to control prices and quality in the interest of the consumers. Of course the guilds therefore tried to exercise influence in the town’s government, and this became the origin of occasionally fierce urban struggles from the end of the 13th to the 16th century.36 In any case 1994; R. Kießling, Problematik und zeitgeno¨ssische Kritik des Verlagssystems, in: Augsburger Handelsha¨user im Wandel des historischen Urteils, ed. J. Burckhardt, Berlin 1996, pp. 175–190. 34 Cf., e. g. for Cologne: F. Irsigler, Stadt und Umland im Spa¨tmittelalter: Zur zentralita¨tsfo¨rdernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe, in: Zentralita¨t (see n. 10), pp. 1–14, esp. maps 1–5. 35 Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 299–335; Engel, Stadt (see n. 2), pp. 142–172; O. G. Oexle, Die mittelalterlichen Gilden: Ihre Selbstdeutung und ihr Beitrag zur Formung sozialer Strukturen, in: Soziale Ordnungen im Selbstversta¨ndnis des Mittelalters, ed. A. Zimmermann, vol. 1, Berlin 1979, pp. 203–226; O.-G. Oexle, Die mittelalterliche Zunft als Forschungsproblem, in: BllDtLG 118 (1982), pp. 1–44; Gilden und Zu¨nfte, ed. B. Schwineko¨per, Sigmaringen 1985; Einungen und Bruderschaften in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, ed. P. Johanek (StF A 32), Ko¨ln/Weimar/Wien 1993; W. Reininghaus, Die Entstehung der Gesellengilden im Spa¨tmittelalter, Wiesbaden 1981; Reininghaus, Gewerbe (see n. 27), pp. 15f., 49ff.; V. Puschner, Reichhandwerksordnung und Reichsta¨dte. Der Vollzug des Reichsschlusses von 1731 in den fra¨nkischen Reichssta¨dten, in: Reichssta¨dte (see n. 3), vol. 2, pp. 33–45; W. Fischer, Handwerksrecht und Handwerkswirtschaft um 1800. Studien zur Sozial- und Wirtschaftsverfassung vor der industriellen Revolution, Berlin 1955. 36 Cf. below: Self-Government and note 49.

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the guilds constituted an important factor in urban political life as did the associations of the merchant class and the patricians. It is necessary to say something, very briefly, about the agrarian element in the medieval towns, especially in the imperial cities and Hanseatic towns. All of them were cities in the Weberian sense of the term.37 Perhaps some of the very small imperial towns like Zell am Harmersbach or Bopfingen were (like many other small towns of the Empire) something of an Ackerbu¨rgerstadt38 and even in the middle-sized or larger towns there may have been single citizens who were essentially farmers. That does not matter much in the context of this paper. But it is important to state the fact that most citizens and especially citizens of substance, both artisans and merchants, engaged in agrarian activities. Many citizens owned landed property in the countryside or acquired landed property, held it for a period of time and sold it again, as they did with houses inside the town. They did so for several financial reasons. The most important one was security. They put away money that was not necessarily needed for commercial venture. Another reason were the ecclesiastical laws on usury, which forbade the taking of any kind of interest. Selling or buying an annuity based on landed property (Rentenkauf) was the only lawful way to earn a certain percentage of interest on invested money and a sensible way to avoid the ruinous interest rates of the Jews, Lombards or Cahorsins.38a Thus a substantial amount of landed property accumulated in the hands of townspeople,39 who in this way earned an additional income from agrarian products and participated in the agrarian economy. Many a baker or brewer also became a grain merchant, or a butcher or tanner a cattle dealer. In some cases the town’s economy was influenced by or even dependent on the agrarian products of the surrounding countryside. Regensburg, for example, was famed for its tanning industry and its leather products. Nuremberg needed enormous quantities of honey, produced in the vast adjacent forests, for the production of its famous gingerbread. But even more striking is the case of Erfurt, which processed woad (Isatis tinctoria) cultivated in the surrounding countryside, which was needed for dying by the textile industry of southern Germany.39a And of course there were towns dominated by the production of beer (e. g. Einbeck and Wismar, and even in Hamburg brewing was an important part of its economy and its export trade)39b as well as by the production of wine. Almost all of the smaller Alsatian imperial towns were

37 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tu¨bingen 1922, pp. 513f.; cf. also K.-L. Ay, Max Weber u¨ber

die Stadt, in: Stadtgeschichtsforschung. Aspekte, Tendenzen, Perspektiven, ed. F. Mayrhofer, Linz 1993, pp. 69–80, esp. pp. 74ff. 38 Cf. for this term W. Bockholt, Ackerbu¨rgersta¨dte in Westfalen. Ein Beitrag zur historischen Stadtgeographie, Warendorf 1987, and Johanek, Landesherrliche Sta¨dte (see n. 8), pp. 14f., 24f. 38a Cf. Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 383–387. 39 Cf. above „Territory“, pp. p. 257–260, with n. 12. 39a W. Ma¨gdefrau, Zum Waid- und Tuchhandel thu¨ringischer Sta¨dte im spa¨ten Mittelalter, in: JbWirtschG 1973/II (1973), pp. 131–148; A. Ha¨ndel, Der Erfurter Waid und die sa¨chsischen Sta¨dte, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500, ed. M. Puhle, Magdeburg 1996, pp. 406–416. 39b Cf. E. Plu ¨ mer/G. Stefke, Das hansesta¨dtische Brauwesen, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, ed. J. Bracker, vol. 1–2, Hamburg 1989, pp. 466–472.

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centres of wine production, and so were cathedral cities like Trier and Wu¨rzburg. In this latter city there were 10 guilds of vintners, working the vineyards adjacent to the city.40 Thus the agrarian factor of urban economy is not to be neglected, even when dealing with larger towns and especially with the imperial cities. To conclude this section: the imperial cities played a leading part in the economy of the Empire in the late Middle Ages and in the 16th century. Most of the technical innovations of this period, especially in the field of crafts, were developed in those towns. In the early modern times from the 17th century onwards a decisive change ´ came about. The Hanseatic towns (with the exception of Hamburg and Gdansk) and above all the imperial cities (even Cologne) went into decline or remained at least economically stagnant. The Baltic trade now became the domain of the English, and above all the Dutch merchants, who put the Hanseatic merchants out of business. The Hanseatic towns were reduced to secondary and only regional importance.41 The imperial cities of Upper Germany also lost their leading role in trade and industrial production. This was partly due to a certain petrifaction of their constitutional life and also to the inability of the craft-guilds and of the merchant class to adapt to the changes in the European economy. It was also due to the success of the modern state, with its principles of absolute monarchy, represented in Germany by the princely territories and not by the cities. The new centres of commercial and industrial activities as well as of technical innovations became the residential towns of the territorial princes, or new territorial towns explicitly founded for economic reasons, like Erlangen or Hanau.42

The Hanseatic League

The Hanseatic League was a confederation of towns in the northern and northwestern part of the Empire, established in order to protect commercial privileges granted by territorial princes and, above all, by foreign rulers in countries visited by the merchants of those towns (e. g. Flanders, England, Norway, Novgorod, Smolensk).43 There were also some towns from outside the Empire, which had

40 H. Ammann, Von der Wirtschaftsgeltung des Elsaß im Mittelalter, in: AlemJb 3 (1955), pp. 95–202,

pp. 102ff.; L. Clemens, Trier – Eine Weinstadt im Mittelalter, Trier 1993; H. Hoffmann, Wu¨rzburgs Handel und Gewerbe im Mittelalter, Kallmu¨nz 1940, pp. 50f., 140; F. Irsigler, Ko¨ln, die Frankfurter Messen und die Handelsbeziehungen mit Oberdeutschland im 15. Jahrhundert, in: Ko¨ln, das Reich und Europa, Ko¨ln 1971, pp. 341–429, esp. pp. 370, 390f. 41 Cf. the account by Ph. Dollinger, La hanse (XIIe–XVIIe sie`cles), Paris 1964 (quoted after the Ger¨ bergang. Zur Spa¨tzeit der Hanse im 16. und man edn.: Stuttgart 1966), pp. 401ff.; Niedergang oder U 17. Jahrhundert, ed. A. Graßmann, Ko¨ln/Weimar/Wien 1998. 42 Cf., e. g. Press, Reichssta¨dte (see n. 3), pp. 16ff.; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 67ff. 43 General works on the history of the Hanseatic League: Dollinger, Hanse (see n. 41); H. Wernicke, Die Sta¨dtehanse 1280–1418. Genesis, Strukturen, Funktionen, Weimar 1983; Hanse (see n. 39b); K. Friedland, Die Hanse, Stuttgart 1991; H. Stoob, Die Hanse, Graz/Wien/Ko¨ln 1995.

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joined the Hanseatic League (in some cases only for a short period of time), e. g. ´ Gdansk (Danzig), Elbing (Elblag), ˛ Ko¨nigsberg (Kaliningrad), Kulm (Chełmno), ´ Braunsberg (Braniewo), Krako´w, Reval (Tallinn), Riga, Dorpat Thorn (Torun), (Tartu) and 9 other towns of Livonia, and the Swedish towns Kalmar, Stockholm and Visby. Nevertheless all those merchants were called „Merchants of the German Hanse“ (koplude der dudeschen hense), because the merchant class of the towns in Livonia, Estonia and Prussia, and even in Krako´w and partly in Visby, was of German origin. Indeed almost all towns in the eastern regions of Central Europe had been founded by German settlers at the bidding of the indigenous rulers (for example the kings of Poland, Bohemia and Hungary or single Polish dukes or Bohemian nobles) and in the territory ruled by the Teutonic Knights.43a Originally the term hansa applied to unions of merchants, who visited foreign trade centres.44 They formed such unions in order to protect themselves against robbery. These unions represented their members before the foreign authorities and were granted privileges, and they acted in defence of those privileges and in the general interest of their members. The term hansa was used for the first time in England, to designate organisations of foreign merchants. In the 13th century there was a hansa of Flemish merchants and a hansa of merchants of Cologne, which owned the Steelyard in London and eventually extended its protection to all merchants of German origin and also succeeded in acquiring new, more extended privileges (especially exemption from customs, in addition to self-government and jurisdiction over its members). Thus the German merchants of the London Hanse, called mercatores Alemanniae in the Great Charter of 1303, were placed in a very favourable position, more favourable than other foreign merchants. Similar developments took place in Flanders in the last decades of the 13th century, where the German merchants (mostly Westphalians and citizens of Bremen, Hamburg and Lu¨beck) had founded a factory (Kontor) in Bruges, which became the centre of the Hanseatic merchants’ activities in western Europe and which eventually developed into one of the most important trading and banking places of Europe in general. Another Kontor of the Hanseatic merchants developed in Bergen (Norway) and again another one, perhaps the most important, in Novgorod, where originally the Gotla¨ndische Gesellschaft (Association of merchants visiting Gotland), consisting of Gotlandic and German merchants in the 12th and 13th centuries had acquired privileges comparable to those elsewhere in Europe. In the course of the 13th century, a network of commercial stations emerged on the coasts of the Baltic and North Sea. They enjoyed exceptional trading privileges, were connected by routes, and dominated by German merchants, the koplude der dudeschen hense. Thus hansa originally meant unions of associations of single merchants, regardless of their home town. Later it was applied to a confederation of towns, the Hanseatic League. There is a second starting point for this League and it is to be found in the confederations of towns (Sta¨dtebu¨nde), which came into existence during the 13th

43a Cf. Ch . Higounet, Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter, Berlin 1986, esp. pp. 272ff. 44 The following account is mainly based on Dollinger, Hanse (see n. 41).

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century, mainly in order to protect the safety of the trading routes against raids of the nobility, who were trying to build up territories of their own. One of the first confederations was the Rheinischer Sta¨dtebund of 1256, and we should note that it included not only towns from Westphalia to the Upper Rhine and Franconia, but also territorial princes. But it was preceded for example, by unions of important Westphalian towns in 1246 (Union of Ladbergen: Osnabru¨ck, Mu¨nster and Coesfeld) and 1253 (Union of Werne: Dortmund, Mu¨nster, Soest and Lippstadt), and by an even earlier union of Hamburg and Lu¨beck of 1230, which eventually developed into a confederation of the Wendish towns (Lu¨beck, Hamburg, Kiel, Wismar, Rostock, Lu¨neburg and later on the Pomeranian towns of Stralsund, Greifswald, Anklam and Stettin), first mentioned in 1280. There were similar confederations in Lower Saxony and in Prussia. They all were concerned with the safety of the roads but they also discussed matters of common interest such as monetary problems.45 In the last quarter of the 13th century there was a falling out between the German merchants in Bruges and the city authorities. The German merchants threatened to move to Aardenburg. From the beginning of the 13th century merchants had been backed by their home towns in conflicts of that kind. But now they were backed by a group of towns in northern Germany, from where the majority of them originated, headed by Lu¨beck. It was those towns that negotiated the peace with Bruges and the count of Flanders, and the towns acted upon the results of mutual consultations as they were used to do in the regional confederations of towns already mentioned.45a Thus they discovered that they were able to exercise substantial economic and political pressure not only against the territorial princes of their home region but also abroad. On these lines the occasional consultations in times of danger developed into the Hanseatic League, which had its first common assembly (Hansetag) in Lu¨beck in 1358, convoked again to consult over a conflict in Flanders. This new Hanseatic League of towns and cities was not a union of the already existing regional confederations, for the latter continued to exist. It is doubtful if we should regard the Hanseatic League as a formal confederation at all. Lawyers of the 17th century doubted it and the contemporaries of the 15th century were very careful indeed in defining its legal nature. In 1450 the Hanseatic League sent a letter to the king of England and gave a very circumstantial definition: dat de stede van der hense ... sin wol en corpus in etliken vruntscoppen unde vorbuntnissen, darinne se myt en overenkomen („the Hanseatic towns are a corporation consisting of friendships and confederations with the help of which they reach agreements“).

45 Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 121–127; G. Raabe, Bu¨ndnisse der wendischen Sta¨dte bis 1315,

Diss. Hamburg 1971; E. Engel, Sta¨dtebu¨nde im Reich von 1226–1314 – eine vergleichende Betrachtung, in: Hansische Studien III. Bu¨rgertum – Handelskapital – Sta¨dtebu¨nde, ed. K. Fritze/E. Mu¨ller-Mertens/J. Schildhauer, Weimar 1975, pp. 177–209; E. Voltmer, Der Rheinische Bund (1254–1265). Eine neue Forschungsaufgabe?, in: Propter culturam pacis ... um des Friedens willen. Der Rheinische Sta¨dtebund von 1254/56, Koblenz 1986, pp. 117–143; J. K. W. Berns, Propter communem utilitatem. Studien zur Bu¨ndnispolitik der westfa¨lischen Sta¨dte, Du¨sseldorf 1991; M. Puhle, Der sa¨chsische Sta¨dtebund. Entstehung und Wirkung, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde (see n. 39a), pp. 15–28. 45a Cf. V. Henn, U ¨ ber die Anfa¨nge des Bru¨gger Hansekontors, in: HansGbll 107 (1989), pp. 43–66.

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There was no founding charter and no formal membership. Lu¨beck was regarded as its head (caput omnium) and conducted its business between assemblies, but the only constitutional agency was the Hansetag, where the representatives of the towns (Ratsendeboten) met, who regarded themselves as members of the Hanseatic League. There was a common treasury, but many member towns failed to contribute for a longer or shorter period of time, although regarding themselves as members of the League rightfully enjoying its privileges.45b There were almost 200 member towns but only about 70 can be regarded as active and influential members. Many of the smaller towns were represented by a neighbouring town at the Hansetag and only contributed financially.46 There was no firm organisation, although Lu¨beck during the 15th and 16th centuries tried very hard to achieve just that. Already in 1347 the Kontor of Bruges divided the towns doing business there into Drittel (thirds): the first were the Rhenish, the Westphalian and Prussian towns, the second the Wendish and Saxon towns; and the third Drittel, the towns of the north-eastern Baltic (Sweden, Livonia and Estonia). Later on, in the beginning of the 16th century the League accepted a subdivision into Viertel (quarters), but that did not change much. There was, however, a certain regional organisation of mutual consultation among groups of towns usually headed by a larger one. Thus in Westphalia there was the Braemquartier (Vreden, Bocholt, Borken, Du¨lmen, Haltern) headed by Coesfeld and the Dreinquartier (Rheine, Telgte, Werne, Ahlen, Beckum) headed by Warendorf, and the centre of both organisations was Mu¨nster. They were all Hanseatic towns, but they were organised on a territorial basis, all of them being towns of the bishop of Mu¨nster as a territorial prince. That should remind us that most of the towns in the Hanseatic League were territorial towns, but not imperial or free cities (for that applied only to Cologne, Hamburg, Lu¨beck, Dortmund, Goslar, Nordhausen, Mu¨hlhausen and in a certain sense Bremen). In many cases their autonomy was limited and even larger cities who enjoyed extensive liberties had to show consideration for the politics of their territorial princes. In any case the territorial princes were part of the general framework with which the Hanseatic League had to deal. Despite the deficiencies in its organisation the Hanseatic League wielded considerable power. Its weapons were boycotts directed against its external adversaries, and exclusion from the Hanseatic League (Verhansung) of those members which would not toe the line. Cologne, for example, was excluded in 1471 for five years, because it did not support the alliance of the Hanseatic League, Denmark and Poland against England, but tried to extend its own liberties in the English kingdom and in Burgundy and to turn the situation to its own advantage without consideration of Hanseatic interests. The exclusion achieved its intended effect and at the Hansetag of Bremen in

45b V. Henn, Was war die Hanse, in: Hanse (see n. 39b), pp. 15–21. 46 W. Stein, Die Hansesta¨dte, in: HansGbll 19 (1913), pp. 233–294, 519–560; 20 (1914), pp. 257–289; 21

(1915), pp. 119–178; see also the list here (Appendix 2 and Fig. 2) based on Dollinger, Hanse (see n. 41), pp. 564f.; for Westphalia cf. F. B. Fahlbusch, Regionale Identita¨t. Eine Beschreibungskategorie fu¨r den hansischen Teilraum Westfalen um 1470?, in: HansGbll 112 (1994), pp. 139–159.

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1476, Cologne had to submit to the conditions of the League and to pay a large sum to be readmitted.47 Sometimes the Hanseatic League even waged war, as was the case in the 1360s, when King Waldemar Atterdag of Denmark conquered Gotland and seized ships of Prussian merchants in the Sund. The Hanseatic towns met in Cologne in 1367 and formed an alliance for five years which was a real confederation (Ko¨lner Konfo¨deration). This confederation also went into alliance with Mecklenburg, Sweden, Holstein and parts of the Danish nobility: the war was a triumph of the Hanseatic League and King Waldemar was humiliated at the peace negotiations at Stralsund in 1370.47a The peace of Stralsund represents the climax of the power of the Hanseatic League, and it may seem as if the members of the League were a unified whole, always acting together. The interests of the towns united in the Hanseatic League, however, sometimes differed considerably. The case of Cologne in 1471 is very telling. In the war of the 1360s the core of the Hanseatic towns, the Wendish towns, succeeded in uniting all towns in order to achieve one of the main objectives of the League: to keep safe the routes between the Baltic and the North Sea. That was not always the case. The second main objective of the League, especially of the Wendish towns, was to preserve the monopoly of trade in the Baltic for towns of the Hanseatic League, i. e. to keep the English and Dutch merchants out of the Baltic at all costs. Its monopoly was under threat in the 16th century, because England and the Netherlands prospered as a result of changes in the world economy brought about by the discovery of the New World in the years around 1500. The Wendish towns who depended most on this monopoly lost the support of the Hanseatic towns of interior Germany. Cologne, for example, ceased to attend the Hansetage in the period from 1606 to 1628. Furthermore the emerging modern state showed a tendency toward abolishing the privileges of foreign merchants. Iwan III closed the Hanseatic Kontor at Novgorod as early as 1494 and Elizabeth I closed the London Steelyard in 1598. Thus the Hanseatic League gradually lost its influence and the last Hansetag met in 1669. The League had ceased to exist. To sum up: the Hanseatic League was certainly not a city-state, it was not even a confederation of city-states. Its members were towns of very different standing, of very different economical potential, and only a small number of them enjoyed liberties and an autonomy that equalled the liberties and the autonomy of imperial cities. The liberty of most of them was restricted by their territorial lords in the 17th century (e. g. Mu¨nster, Brunswick, Magdeburg).47b There was nothing comparable to the Hanseatic League in southern Germany. There were a number of confederations of towns (Sta¨dtebu¨nde), especially at the end of the 14th and in the 15th century. Their

47 Dollinger, Hanse (see n. 41), pp. 394–398; H. Buszello, Ko¨ln und England (1468–1509), in: Ko¨ln

(see n. 40), pp. 431–467.; F. -W. Hemann, Lu¨becks Englandpolitik von der Mitte des 15. Jahrhunders bis zum Utrechter Frieden, in: Beitra¨ge zur Westfa¨lischen Hansegeschichte, ed. F. B. Fahlbusch et al. Warendorf 1988, pp. 64–108. 47a J. Go ¨ tze, Von Greifswald bis Stralsund. Die Auseinandersetzungen der deutschen Seesta¨dte und ihrer Verbu¨ndeten mit Ko¨nig Valdemar von Da¨nemark 1361–1370, in: HansGbll 88 (1970), pp. 83–122. 47b Cf. above, p. 257.

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objectives were political, and they never developed the political and economic power of the Hanseatic League in its heyday, although they were much better organised.47c

Self-Government

Almost all towns of the Empire, however small, had a sort of self-government, and certainly the imperial cities were legislative, administrative and judicial units and possessed „internal sovereignty“. So did many territorial towns of substance which had been granted liberties by their princely lords.47d The government of the imperial cities as well as the territorial towns48 was exercised by the city’s council (Stadtrat), which in most cases was headed by two mayors (Bu¨rgermeister). The number of councillors (Ratsherren) varied from town to town and so did the ways of electing them. The city’s council as the governing body of the town emerged in the 12th century and remained the central institution of the town’s constitutional life to the end of the Holy Roman Empire. I shall not go into the details here but only give a sketch of the general lines of development. The urban communes of the cathedral cities gained emancipation from their lords in fierce struggles during the 12th and 13th centuries. This was achieved mainly by the urban elites: ministeriales of the city’s lord, moneyers and merchants. The development in the old cathedral cities set the pace in many respects. Similar elites existed in the imperial cities, which from the beginning had administered the king’s towns. Those old families monopolised the control of town councils for a long period of time and formed an exclusive upper layer of the town’s society, sometimes even a sort of urban nobility. There were various terms applied to this social group: patricians, Junker, Hausgenossen etc., the most common was Geschlechter. For simplicity’s sake I will use here the term ‚patricians‘, even if this is considered as incorrect by most constitutional historians who hold that the term should only be applied to the governing families of Nuremberg.48a Patricians dominated the city’s council by right of birth and did so unchallenged in most imperial cities and territorial towns enjoying autonomous status until the end of the 13th century or even into the 14th century. Around the turn of the 14th century new social groups (wealthy merchants, who did not belong to the patricians as well 47c Cf. Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 121–127. 47d See above, p. 256 and note 8. 48 Cf. in general Herborn, Reichssta¨dte (see n. 3); Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 131–209; Engel, Stadt

(see n. 2), pp. 55–116; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 72–81; Recht, Verfassung und Verwaltung in der fru¨hneuzeitlichen Stadt, ed. M. Stolleis (StF A 31), Ko¨ln/Weimar/Wien 1991; Verwaltung und Politik in Sta¨dten Mitteleuropas. Beitra¨ge zu Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altsta¨ndischer Zeit, ed. W. Ehbrecht (StF A 34), Ko¨ln/Weimar/Wien 1994; E. Isenmann, Obrigkeit und Stadtgemeinde in der fru¨hen Neuzeit, in: Einwohner und Bu¨rger auf dem Weg zur Demokratie. Von den antiken Stadtrepubliken zur modernen Kommunalverfassung, ed. H. E. Specker, Stuttgart 1997, pp. 74–126. 48a Cf. note 19.

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as the leading artisans of the craft-guilds) began to demand a share of the council’s power, a share in the control of the council’s activities and in particular in the administration of the town’s finances often strained by the territorial policy of the council (cf. above: Territory). They sometimes also demanded a reformulation of the town’s constitution. Thus the internal urban history of the period between the end of the 13th century and the Reformation is characterised by internal conflicts. We know of 210 such conflicts in 40 towns, but there must have been many more.49 In most towns the guilds were at the heart of the struggles and succeeded at least partly in transforming the governing body. Their representatives were admitted into the council or even gained a majority of seats. Only Nuremberg kept its patriciandominated government up to the end of the Holy Roman Empire. But even in the towns, where the guilds succeeded in seizing power, the governing body remained in the hands of an oligarchy, because only wealthy citizens were able to perform as councillors (Weber’s principle of Abko¨mmlichkeit). The citizens’ conflicts of the Middle Ages did not bring about a sort of democracy and not all social groups, not even all of the guilds, were represented in the councils. But it is a notable fact that those struggles nowhere in Germany resulted in a signoria or tyranny as they did in the Italian citystates.49a This stability of oligarchies continued into the early modern period both in the imperial and in the territorial cities.49b In the territorial cities the oligarchies and urban elites increasingly included civil servants of the princes. The autonomy of these cities was frequently diminished by the princes and many of their privileges partly revoked or cancelled in total. But the town council, which in the course of time had developed from a representation of the community into a ruling body with almost autocratic traits (Obrigkeit) was still dominated by the same elites, who saw the profits which were to be gained by submission to their princely lords. The self-government of the territorial cities changed in a long-term perspective from autonomous to authorised self-government (von freier zu beauftragter Selbstverwaltung).49c

49 E. Maschke, Verfassung und soziale Kra¨fte in der deutschen Stadt des spa¨ten Mittelalters, vornehm-

lich in Oberdeutschland, in: VSWG 46 (1959), pp. 289–349, pp. 433–476; E. Maschke, Deutsche Sta¨dte am Ausgang des Mittelalters. in: Stadt (see n. 3), pp. 1–44, esp. p. 40; W. Ehbrecht, Bu¨rgertum und Obrigkeit in den hansischen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, in: Stadt (see n. 3), pp. 275–302; P. Blickle, Unruhen in der sta¨dtischen Gesellschaft 1300–1800, Mu¨nchen 1988; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 190–198; Engel, Stadt (see n. 2), pp. 117–141; W. Ehbrecht, Eintracht und Zwietracht. Ursache, Anlaß, Verlauf und Wirkung von Stadtkonflikten, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde (see n. 39a), pp. 298–321; P. Johanek, Bu¨rgerka¨mpfe und Verfassung in den mittelalterlichen deutschen Sta¨dten, in: Einwohner und Bu¨rger (see n. 48), pp. 45–73; P. Moraw, Aufruhr in der Stadt. Bu¨rgerka¨mpfe im Spa¨tmittelalter, in: Aufsta¨nde, Unruhen, Revolutionen. Zur Geschichte der Demokratie in Deutschland, ed. H. Sarkowicz, Frankfurt a. M./Leipzig 1998, pp. 8–24. 49a H. Boockmann, Spa¨tmittelalterliche deutsche Stadt-Tyrannen, in: BllDtLG 119 (1983), pp. 73–91. 49b Isenmann, Obrigkeit (see n. 48); W. P. Blockmans, Voracious States and Obstructing Cities: An Aspect of State Formation in Preindustrial Europe, in: Rise of states (see n. 2), pp. 218–250. 49c L. Wiese-Schorn, Von der autonomen zur beauftragten Selbstverwaltung. Die Integration der deutschen Stadt in den Territorialstaat am Beispiel der Verwaltungsgeschichte von Osnabru¨ck und Go¨ttingen in der fru¨hen Neuzeit, in: OsnMitt 82 (1976), pp. 29–59.

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Defence

The medieval towns had fortifications, at least ramparts and moat, but in most cases also walls and towers.50 Both walls and towers, as well as the fortified gateway were considered a dominant feature of the urban image and developed into an urban symbol. The emerging communes of the 12th century chose this very symbol for their seals rather than an image of the townhall or a symbolic abbreviation of the city’s council. The latter happened only in a few French towns.50a The citizens in principle had to do military service, both in manning and maintaining the walls for defence, as well as in the town’s levy against external enemies. But the military duties usually collided with the pursuit of the citizens’ professions. The medieval urban citizens, and even more those of the early modern period, did not constitute a warriors society, as for example the nobility did. With perhaps a few exceptions in the patriciate, citizens did not train regularly for military activities. Therefore, at least from the 14th century, the towns had to rely on the services of mercenary troops.51 This was a weakness of the cities’ political and constitutional life above all, the financing of defence and military activities very often caused internal conflicts. On the other hand most of the technical military innovations of the late Middle Ages, such as the development of firearms and the modernisation of fortification around 1500, were achieved in an urban setting.52

50 Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 48–50; C. Haase, Die mittelalterliche Stadt als Festung. Wehrpolitisch-

milita¨rische Einflußbedingungen im Werdegang der mittelalterlichen Stadt, in: Haase, Stadt des Mittelalters (see n. 9), vol. 1, pp. 384–414; Befestigung (see n. 10a). 50a P. Johanek, Die Mauer und die Heiligen. Stadtvorstellungen im Mittelalter, in: Bild der Stadt (see n. 2), pp. 26–38, 428–431, esp. p. 34 with note 57. 51 Cf. in general Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 148–152; Stadt und Krieg, ed. B. Kirchga¨ssner/G. Scholz, Sigmaringen 1989; two recent studies with extensive bibliography: B. M. Wu¨bbeke, Das Milita¨rwesen der Stadt Ko¨ln im 15. Jahrhundert, Stuttgart 1991; B. Wu¨bbeke-Pflu¨ger, Sicherheitsorganisation und Wehrwesen niedersa¨chsischer Sta¨dte am Ausgang des Mittelalters, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde (see n. 39a), pp. 173–181; see also R. Braun, ‚Durch euren lang gehabten friden habt ihr das couragio verloren‘. Entwicklungslinien des reichssta¨ndischen Wehrwesens, in: Reichssta¨dte (see n. 3), vol. 1, pp. 229–243. 52 The most important source is Albrecht Du¨rer’s book on fortification (A. Du ¨ rer, Etliche underricht zu befestigung der Statt, Schloß und Flecken, Nu¨rnberg 1527); cf. also Beitra¨ge zur Geschichte der fru¨hneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt, ed. H. W. Herrmann/F. Irsigler, Saarbru¨cken 1983; G. Eimer, Die Stadtplanungen im schwedischen Ostseebereich 1600–1715, Stockholm 1961; H. Stoob, Die Stadtbefestigung, in: Europa¨ische Sta¨dte im Zeitalter des Barock, ed. K. Kru¨ger (StF A 28), Ko¨ln/ Wien 1988, pp. 25–56.

278

Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

Citizenship and Urban Identity Citizenship was indeed the central aspect of the constitution of a medieval city.53 Only citizens were entitled to exercise full political and economic rights. Citizenship also determined a person’s status in court. Of course not all persons who lived in a town were also its citizens. Many of them were mere inhabitants (inwoner, Beisassen) or guests. They were not allowed to enter a guild and consequently were not permitted to carry on a trade as craftsmen (journeymen being excepted). On the other hand the „guests“ were allowed to perform commercial activities, and many foreign merchants would choose to live in a certain town without acquiring citizenship. Inhabitants without citizenship and guests were not eligible for the city’s council. In principle, citizenship was regarded a coniuratio for the maintenance of law and order in the city. Thus oath-taking was the central urban ritual when a person was admitted into citizenship, and in most cities the ceremony of oath-taking was repeated annually by the community of the citizens as a whole (Schwo¨rtag).54 The community of citizens was in principle a community of house-owners, and thus the possession of a house inside the city’s walls (Hausha¨blichkeit) was a condition for being admitted into citizenship. On the other hand a person who had acquired a house in town was expected to apply for citizenship. The new citizen also had to pay an admission fee. He was, in fact, „buying“ the citizenship, thereby ensuring that he was in possession of sufficient means and would be expected not to become a burden to the public. Towards the end of the Middle Ages there were many towns in which ownership of a house was no longer considered a precondition for citizenship, but it remained the requirement that a citizen should be the head of an independent household (eigenes Feuer und Rauch). Unmarried men and women possessed citizen status only through the citizen rights possessed by the head of the family. Eventually the town’s authorities became inclined to give citizenship to as many inhabitants as possible in order to secure their loyalty. Even before that time many towns had practised the taking of an oath by all inhabitants in periods of crisis (Beisasseneid). The legal and ceremonial framework for admittance into citizenship was identical in imperial and in territorial towns. Some groups were excluded from citizenship. Thus the inhabitants of the urban territories were not citizens but subjects.54a Jews were admitted into citizenship in the period before the pogroms in connection with the Black Death 1348/50. They were, however, never eligible for the city’s council

53 Cf. only Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 93–102, and the collected essays of Gerhard Dilcher which laid

the foundation of our understanding of medieval citizenship (G. Dilcher, Bu¨rgerrecht und Stadtverfassung im europa¨ischen Mittelalter, Ko¨ln/Weimar/Wien 1996). 54 W. Ebel, Der Bu¨rgereid als Gestaltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958; Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 90–93; an outstanding example is the Schwo¨rtag of Ulm, cf. Die Ulmer Bu¨rgerschaft auf dem Weg zur Demokratie. Zum 600. Jahrestag des Grossen Schwo¨rbriefs. Begleitband zur Ausstellung, ed. H. E. Specker, Stuttgart 1997. 54a Cf. above: Settlement Pattern, p. 261.

Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

279

and thus did not participate in the exercise of political power. Jews took a special oath (Judeneid) and formed a separate community inside the town with their own council and internal jurisdiction. After 1348/50 they were in many cases readmitted with a reduced legal status, but in most towns they were expelled in the 15th century, definitively between 1490 and 1520.55 A special problem were clerics. In many towns – both imperial towns and free towns – ecclesiastical communities had developed immunities, i. e. special districts inside the city’s walls but outside the jurisdiction of the city’s authorities. Their inhabitants, both clerics and laymen, were not citizens, they did not pay taxes and the urban laws concerning the activities of crafts did not apply to them. The ecclesiastical immunities were a constant cause of frictions between the urban authorities and the church, and sometimes resulted in riots (Pfaffenkriege).56 The Reformation solved that problem in most of the imperial and territorial cities which turned Protestant, but even then a few Catholic ecclesiastical institutions survived in Protestant cities (e. g. the Teutonic Order in Nuremberg or the collegiate church of St. Patroklus and the convents of the Greyfriars and Augustinian nuns in Soest). In the Catholic towns the frictions between town council and ecclesiastical immunities by no means disappeared completely, but the disputes no longer took a violent course, as they did so often in the Middle Ages.56a There were no ethnic problems in the imperial and free cities of the Empire, but in the towns of the eastern Baltic and in German dominated towns in Poland and Bohemia a substantial part of the inhabitants were of non-German extraction (Undeutsche). That was also the case in a number of towns in north-eastern Germany between the rivers Elbe and Oder. In many cases the non-Germans were not admitted into citizenship nor into the craft-guilds.57 But very often the reality of everyday life was not as harsh as the letter of the law, and sometimes even the urban laws allowed for exceptions. In the 16th century, for example, the urban authorities of Teschen in Upper Silesia ruled on behalf of the statutes of the bakers’ guild, which excluded Poles, Czechs and Slovaks from membership: „But because our entire principality is

55 Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 100f.; M. J. Wenninger, Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen

und Hintergru¨nde ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichssta¨dten im 15. Jahrhundert, Ko¨ln/Wien/ Graz 1981; Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 103–106; important case studies are L. Schnurrer, Die Juden in den kleineren fra¨nkischen Reichssta¨dten, in: Reichssta¨dte (see n. 3), vol. 2, pp. 84–99; R. Ries, Ju¨disches Leben in Niedersachsen im 15. und 16. Jahrhundert, Hannover 1994, with extensive bibliography. 56 A. Sto ¨ rmann, Die sta¨dtischen Gravamina gegen den Klerus am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit, Mu¨nster 1916 (fundamental); Isenmann, Stadt (see n. 2), pp. 210–230; E. Schubert, Stadt und Kirche in Niedersachsen vor der Reformation, in: JbGesNdsKG 86 (1988), pp. 9–39; B. U. Hergemo¨ller, Pfaffenkriege im spa¨tmittelalterlichen Hanseraum. Quellen und Studien zu Braunschweig, Osnabru¨ck, Lu¨neburg und Rostock (StF C 2), Ko¨ln/Wien 1989. 56a Cf. Schilling, Stadt (see n. 2), pp. 94–103. 57 P. Johansen/H. von zur Mu ¨ hlen, Deutsch und Vordeutsch im mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Reval, Ko¨ln 1973; Engel, Stadt (see n. 2), p. 158; W. Schich, Zum Ausschluß der Wenden aus den Zu¨nften nord- und ostdeutscher Sta¨dte im spa¨ten Mittelalter, in: Nationale, ethnische und regionale Identita¨ten in Mittelalter und Neuzeit, ed. A. Czacharowski, Torun´ 1994, pp. 31–51.

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Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

situated in Silesia, the sons of the town’s population shall not – although they are not familiar with the German language – be excluded from the guild.“57a The civic oath usually focused on the concepts of peace and harmony among the citizens (harmonia civitatis, civium unitas). External peace, i. e. the safety of the roads and trade, the integrity of the towns liberties, as well as internal peace and harmony and the common wheal (bonum commune, salus publica, gemeiner nutz) were considered to be the central civic values of the medieval and early modern urban population, and strongly influenced the urban mentality.58 There is no doubt about the existence of a special urban consciousness – a conscience urbaine58a – constituted by the central values just quoted and which separated the urban citizens from the nobility on the one side and the agrarian population, the peasants, on the other. This consciousness was deeply rooted in history and tradition. The German towns, especially the imperial cities, developed a copious, even abundant urban historiography, unlike, for instance, the towns of western Europe.59 This historiography looked for legitimisation in a glorious past, a noble origin or descent (Herkommen) and powerful privileges. It also told of the preservation of the urban liberties and central urban values achieved by external feuds and successful mastering of internal conflicts. The historical experience and the concepts of central urban values were also displayed in a wealth of symbols, monuments, pictures, ceremonies and rituals.60 These media always stressed the ideal of communal government, and especially in the early modern period there are certain traits of republicanism.61 I shall leave it at that, though much more could be said about urban mentality.61a 57a M. Landwehr von Pragenau, Geschichte der Stadt Teschen, Wu¨rzburg 1976, p. 27. 58 U. Meier, Mensch und Bu¨rger. Die Stadt im Denken spa¨tmittelalterlicher Theologen, Philosophen und

Juristen, Mu¨nchen 1994; J. Rogge, Fu¨r den Gemeinen Nutzen: Politisches Handeln und Politikversta¨ndnis von Rat und Bu¨rgerschaft in Augsburg im Spa¨tmittelalter, Tu¨bingen 1996; Johanek, Bu¨rgerka¨mpfe (see n. 49), pp. 46–50. 58a Cf. O. Kammerer, Re´seaux de villes et consience urbaine dans l’Oberrhein (milieu XIIIe sie`cle – milieu XIVe sie`cle), in: Francia 25/1 (1999), pp. 123–176. 59 H. Schmidt, Die deutschen Sta¨dtechroniken als Spiegel des bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im Spa¨tmittelalter, Go¨ttingen 1958; F. R. A. Du Boulay, The German town chroniclers, in: The Writing of History in The Middle Ages. Essays presented to Richard William Southern, ed. R. H. C. Davis/J. M. Wallace-Hadrill, Oxford 1981, pp. 445–469; P. Johanek, Hofhistoriograph und Stadtchronist, in: Autorentypen, ed. W. Haug/B. Wachinger, Tu¨bingen 1991, pp. 50–68; Sta¨dtische Geschichtsschreibung im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, ed. P. Johanek (StF A 47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000. 60 Cf., e. g. K. Graf, Schlachtengedenken in der Stadt, in: Stadt und Krieg (see n. 51), pp. 83–104; U. Meier, Vom Mythos der Republik. Formen und Funktionen spa¨tmittelalterlicher Rathausikonographie in Deutschland und Italien, in: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe fu¨r K. Schreiner, ed. A. Lo¨ther et al., Mu¨nchen 1996, pp. 345–387; U. Meier, Republikanische Ikonographie in oberschwa¨bischen Reichssta¨dten, in: Verborgene Republikanische Traditionen in Oberschwaben, ed. P. Blickle, Tu¨bingen 1998, pp. 81–99; P. Johanek, Historiographie, Bild und Denkmal in der Geschichtsu¨berlieferung des Mittelalters, in: Die Geschichtsschreibung in Mitteleuropa. Projekte und Forschungsprobleme, ed. J. Wenta, Torun´ 1999, pp. 87–109. 61 H. Schilling, Gab es im spa¨ten Mittelalter und zu Beginn der fru¨hen Neuzeit in Deutschland einen sta¨dtischen Republikanismus?, in: Republiken und Republikanismus im Europa der fru¨hen Neuzeit, ed. H. Koenigsberger, Mu¨nchen 1988, pp. 101–143; Theorien kommunaler Ordnung in Europa, ed. P. Blickle, Mu¨nchen 1996; Traditionen (see n. 60). 61a Cf., e. g. U ¨ ber Bu¨rger, Stadt und sta¨dtische Literatur im Spa¨tmittelalter, ed. J. Fleckenstein/K. Stack-

Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

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Conclusion

Were the towns of the Empire in the Middle Ages and in early modern times citystates? I don’t know. Certainly not all of them were, of those 3,000–4,000 towns in existence. But I have my doubts even about the towns discussed here: the 99 largest towns of the Empire, the imperial towns of smaller size and the sometimes very small towns that were members of the Hanseatic League. We have had our criteria laid down by our symposiarch, and I think they are very good criteria to go by. There is only one point where I disagree. He has pointed out: „A city-state is a self-governing polity, but not necessarily an independent and autonomous state.“61b I do not think that it is enough that a city has „internal sovereignty“. That is the case with almost all medieval towns, even very small territorial towns of 500 inhabitants. But in almost all other respects they are at the will of their territorial lord. I am even reluctant to see the large territorial towns with very extensive urban liberties, such as Brunswick or Lu¨neburg, clearly defined as city-states. They have no territory as the imperial cities have; they are able to exercise only informal control outside the city’s walls. Even the imperial cities sometimes have no territory to speak of and if there is one, even a substantial one, as in the case of Nuremberg and Ulm, the cities seem not so very keen to enlarge it. Furthermore, the imperial cities, which in my opinion come closest to the definitions of city-states, are not a prominent element in the constitutional structure of the Empire. They are interspersed among the princely territories. They exercise financial power and economic influence, but they have no decisive influence in the Empire’s policy-making. The political culture of the Empire in the late medieval and early modern period is still characterised by the nobility and feudal structures. It is a culture of princely courts. Thus the imperial cities are a special case not only in the constitutional history of the Holy Roman Empire but also in the history of city-states.

Appendix 1 List of imperial towns Based on the Reichsmatrikel of 152161c, which stated the claims of the emperor on the towns, which were considered as imperial towns. Imperial towns had to contribute to the Empire’s host in soldiers on horses, foot soldiers and money; the numbers are

mann (AbhAkGo¨tt, Phil.-Hist. Kl. 3, 121), Go¨ttingen 1980. 61b M. H. Hansen, The Concepts of City-State and City-State Culture, in: A Comparative Study of Thirty

City-State Cultures. An Investigation Conducted by the Copenhagen Polis Centre, ed. M. H. Hansen, Copenhagen 2000, pp. 11–34, esp. p. 18. 61c Zeumer, Quellensammlung (see n. 4), p. 317

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Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

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Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

listed here. The Reichsmatrikel claimed several towns, which were in fact certainly not imperial towns; those are omitted here. Doubtful cases included in the Reichsmatrikel are Basel, Besanc¸on and Cambrai; they are omitted from the list and Map 1. Soldiers on horses

Foot soldiers

20 40 10 4 4

112 250 90 8 36

5 5 3 6 10

36 36 13 60 80

10 5 29 25 2

80 58 150 150 13

1 2 5 10 6

Towns

Money (florins)

Regensburg Nuremberg Rothenburg/Tauber Weißenburg (Franconia) Donauwo¨rth

120 600 180 50 90

Windsheim Schweinfurt Wimpfen Heilbronn Schwa¨bisch Hall

180 120 130 240 325

No¨rdlingen Dinkelsbu¨hl Ulm Augsburg Giengen

325 240 600 500 60

9 18 45 67 55

Bopfingen Aalen Schwa¨bisch Gmu¨nd Esslingen Reutlingen

50 70 150 325 180

2 3 4 10 2

18 40 68 78 18

Weil der Stadt Pfullendorf Kaufbeuren ¨ berlingen U Wangen

120 75 90 325 110

4 2 10 3 –

22 18 67 36 10

Isny Leutkirch Memmingen Kempten Buchhorn (now Friedrichshafen)

100 90 325 120 60

4 6 6 6 40

67 55 72 72 225

Ravensburg Biberach Lindau Konstanz Straßburg (Strasbourg)

180 180 200 125 550

3 5 7 6 3

18 39 58 27 122

Kaysersberg Colmar Se´lestat Mulhouse Rottweil

60 180 180 120 180

284

Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

Soldiers on horses

Foot soldiers

8 2 3 1 3

36 22 31 9 99

10 20 – 3 –

Towns

Money (florins)

Hagenau (Haguenau) Weißenburg (Wissembourg) Obernai Rosheim Speyer

180 125 110 60 325

78 140 22 31 31

Worms Frankfurt am Main Friedberg Gelnhausen Wetzlar

325 500 90 70 40

30 20 40 7 10

322 90 250 61 45

Ko¨ln Aachen Metz Toul Verdun

600 260 500 120 120

– – – 2 7

45 36 22 22 45

21 20 20

177 120 100

Lu¨beck Hamburg Dortmund

550 325 180

– – – 1 –

78 78 130 9 –

Mu¨hlhausen (Thuringia) Nordhausen Goslar Tu¨rckheim (Turckheim) Mu¨nster im St. Gregoriental (Munster)

180 180 205 60 60

Offenburg Gengenbach Zell am Harmersbach Landau Schaffhausen

 150 100 90

Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

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Appendix 2 The towns of the Hanseatic League

The list is based on Dollinger, Hanse (see n. 41), pp. 564–565. Included is Ho¨xter (Westphalia), which was omitted by Dollinger, but cf. H. Ru¨thing, Ho¨xter um 1500. Analyse einer Stadtgesellschaft, Paderborn 1986, p. 216. This is the widely accepted list of Hanseatic towns, cf. e. g. Hanse (see n. 39b), p. 682. But it must be emphasised that only about 70 towns are to be considered as active and influential members. Many of the towns were small and only occasionally mentioned in connection with the Hanseatic League and its activities. Especially striking is the large number of Westphalian towns listed here. Some of them were mere townlets or markets with restricted liberties (Freiheiten/Wigbolde). So it is very doubtful if they are to be considered as Hansesta¨dte. The problems of the membership in the Hanseatic League are not discussed here, but the fact that so many Westphalian places claimed membership or were thought to be members demonstrates the economic importance of the Westphalian region.

List of the Hanseatic Towns (Map 2) Region of the river Ijssel and Zuiderzee: 1 Arnhem, 2 Deventer, 3 Doesburg, 4 Elburg, 5 Harderwijk, 6 Hasselt, 7 Hattem, 8 Kampen, 9 Ommen, 10 Stavoren, 11 Zutphen, 12 Zwolle. North Sea coast: 13 Groningen, 14 Bremen, 15 Stade, 16 Buxtehude, 17 Hamburg. Lower Rhine: 18 Duisburg, 19 Du¨sseldorf, 20 Emmerich, 21 Grieth, 22 Ko¨ln, 23 Neuß, 24 Nijmegen, 25 Roermond, 26 Tiel, 27 Venlo, 28 Wesel, 29 Zaltbommel. Region between rivers Rhine and Weser: 30 Ahlen, 31 Allendorf, 32 Altena, 33 Arnsberg, 34 Attendorn, 35 Balve, 36 Beckum, 37 Belecke, 38 Bielefeld, 39 Blankenstein, 40 Bocholt, 41 Bochum, 42 Bo¨defeld, 43 Borgentreich, 44 Borken, 45 Brakel, 46 Breckerfeld, 47 Brilon, 48 Coesfeld, 49 Dorsten, 50 Dortmund, 51 Drolshagen, 52 Du¨lmen, 53 Essen, 54 Eversberg, 55 Freienohl, 56 Fu¨rstenau, 57 Geseke, 58 Grevenstein, 59 Hachen, 60 Hagen, 61 Haltern, 62 Hamm, 63 Hattingen, 64 Herford, 65 Hirschberg, 66 Ho¨rde, 67 Ho¨xter, 68 Hu¨sten, 69 Iburg, 70 Iserlohn, 71 Kallenhardt, 72 Kamen, 73 Langscheid, 74 Lemgo, 75 Lippstadt, 76 Lu¨denscheid, 77 Lu¨nen, 78 Melle, 79 Menden, 80 Minden, 81 Mu¨nster, 82 Neheim, 83 Neuenrade, 84 Neustadt (Hessia), 85 Nieheim, 86 Oldenzaal (Netherlands), 87 Olpe, 88 Osnabru¨ck, 89 Paderborn, 90 Peckelsheim, 91 Pletten-

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Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

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berg, 92 Quakenbru¨ck, 93 Ratingen, 94 Recklinghausen, 95 Rheine, 96 Ru¨then, 97 Schwerte, 98 Soest, 99 Solingen, 100 Sundern, 101 Telgte, 102 Unna, 103 Vo¨rden, 104 Vreden, 105 Warburg, 106 Warendorf, 107 Warstein, 108 Wattenscheid, 109 Werl, 110 Werne, 111 Westhofen, 112 Wetter, 113 Wiedenbru¨ck. Region between rivers Weser and Elbe (Lower Saxony): 114 Alfeld, 115 Aschersleben, 116 Bockenem, 117 Brunswick, 118 Einbeck, 119 Gardelegen, 120 Goslar, 121 Gronau, 122 Halberstadt, 123 Hameln, 124 Hannover, 125 Helmstedt, 126 Hildesheim, 127 Lu¨neburg, 128 Magdeburg, 129 Osterburg, 130 Quedlinburg, 131 Salzwedel, 132 Seehausen, 133 Stendal, 134 Tangermu¨nde, 135 Uelzen, 136 Werben. Central Germany (region south of the Harz mountains and between the upper Weser and the river Saale): 146 Duderstadt, 147 Erfurt, 148 Go¨ttingen, 149 Halle, 150 Merseburg, 151 Mu¨hlhausen (Thuringia), 152 Naumburg, 153 Nordhausen, 154 Northeim, 155 Osterode, 156 Uslar. Brandenburg: 157 Berlin, 158 Brandenburg, 159 Co¨lln a. d. Spree, 160 Frankfurt a. d. Oder, 161 Havelberg, 162 Kyritz, 163 Perleberg, 164 Pritzwalk. Baltic coast, Mecklenburg and Pomerania: 137 Kiel, 138 Lu¨beck, 139 Wismar, 140 Rostock, 141 Stralsund, 142 Greifswald, 143 Demmin, 144 Anklam, 145 Stettin (Szczecin), 165 Belgard (Białogard), 166 Gollnow (Golenio´w), 167 Greifenberg (Gryfice), 168 Kammin (Kamien´ Pomorski), 169 Kolberg (Kołobrzeg), 170 Ko¨slin (Koszalin), 171 Ru¨genwalde (Darłowo), 172 Schlawe ´ (Sławno), 173 Stargard/Pom. (Stargard Szczecinski), 174 Stolp (Słupsk), 175 Treptow a. d. Rega (Trzebiato´w), 176 Wollin (Wolin). Prussia, Silesia and Poland: ´ 177 Braunsberg (Braniewo), 178 Gdansk (Danzig), 179 Elbing (Elblag), ˛ 180 ´ 183 Breslau Ko¨nigsberg (Kaliningrad), 181 Kulm (Chełmno), 182 Thorn (Torun), (Wrocław), 184 Krakau (Krako´w). Livonia: 185 Dorpat (Tartu), 186 Fellin (Viljandi), 187 Goldingen (Kuld¯ıga), 188 Kokenhusen (Koknese), 189 Lemsal (Limbazˇi), 190 Pernau (Pa¨rnu), 191 Reval (Tallin), 192 Riga (Riga), 193 Roop (Straupe), 194 Wenden (C¯esis), 195 Windau (Ventspils), 196 Wolmar (Valmiera). Sweden: 197 Kalmar, 198 Nyko¨ping (?), 199 Stockholm, 200 Visby.

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Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire

Concordance of non-german place-names Białogard Braniewo C¯esis Chełmno Darłowo Elblag ˛ ´ Gdansk Golenio´w Gryfice Kaliningrad Kamien´ Pomorski Kołobrzeg Koknese Koszalin Krako´w Kuld¯ıga Limbazˇi Pa¨rnu Sławno Słupsk ´ Stargard Szczecinski Straupe Tallin Tartu Torun´ Trzebiato´w Valmiera Ventspils Viljandi Wolin Wrocław

Belgard a. d. Persante Braunsberg Wenden Kulm Ru¨genwalde Elbing Danzig Gollnow Greifenberg Ko¨nigsberg Kammin Kolberg Kokenhusen Ko¨slin Krakau Goldingen Lemsal Pernau Schlawe Stolp Stargard/Pom. Roop Reval Dorpat Thorn Treptow a. d. Rega Wolmar Windau Fellin Wollin Breslau

¨ HE ZENTREN – WERDENDE STA ¨ DTE FRU [Erstabdruck: Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, u. Mitarb. v. Nicola Karthaus hg. v. Jo¨rg Jarnut/Matthias Wemhoff (MittelalterStudien 13), Mu¨nchen 2006, S. 511–538]

Wer sich – ausgehend von den Stichworten „Umbruch“ und „Erneuerung“ – mit dem 11. und beginnenden 12. Jahrhundert bescha¨ftigt, kommt nicht darum herum, die Entstehung des europa¨ischen Sta¨dtewesens ins Auge zu fassen. In der Tat steht die werdende Stadtkommune von jeher im Zentrum stadtgeschichtlicher Betrachtungen zu dieser Zeit, und Darstellungen dieses Prozesses wa¨hlen gelegentlich suggestive Titel, wie etwa: „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“1 Die große Aufmerksamkeit, die man diesen Vorga¨ngen zuwendet, hat ihren Grund nicht zuletzt darin, dass in ihnen die Morgenro¨te von Bu¨rgerfreiheit und Demokratie zu erstrahlen scheint. Daru¨ber ist hier nicht zu handeln, denn Gerhard Dilcher hat dazu einen eigenen Beitrag vorgelegt. Vielmehr sollen einige Bemerkungen zu den wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen vorgetragen werden, innerhalb derer sich jener Prozess der Kommunebildung im Reich vollzieht und die sich selbstversta¨ndlich aus Faktoren ableiten lassen, die die allgemeine europa¨ische Entwicklung bestimmen.2 ¨ bertreibung, wenn man behauptet, dass die ‚Entstehung des hochmitEs ist keine U telalterlichen Sta¨dtewesens‘ in der Forschung ganz allgemein als das Ergebnis einer Aufbruchszeit gesehen und interpretiert wird. Das ausgehende 11. Jahrhundert markiert in diesem Versta¨ndnis den Beginn dieser Aufbruchszeit, d. h. in Deutschland die Phase des Investiturstreits, diese vor allem verstanden als ein Zeitalter der libertas.3 Was das Sta¨dtewesen angeht, werden in der Regel ganz bestimmte soziale Kra¨fte als Tra¨ger des Aufbruchs in Anspruch genommen. Als Beispiel aus allerju¨ngster Zeit kann eine vor wenigen Jahren publizierte Akademierede des renommierten und verdienten Sta¨dteforschers Karlheinz Blaschke dienen, die von dieser ‚Aufbruchssituation‘, wie sie sich im Laufe des 11. Jahrhunderts zwischen Loire und Rhein entwickelt habe, ausgeht und im Hinblick auf die Antriebskra¨fte fu¨r die Entfaltung des 1 Knut Schulz, Denn sie lieben die Freiheit so sehr ... Kommunale Aufsta¨nde und Entstehung des euro-

pa¨ischen Bu¨rgertums im Hochmittelalter, Darmstadt 1992, 21995.

2 Mein Paderborner Vortrag kommt hier nahezu unvera¨ndert und nur leicht erweitert sowie mit den

notwendigen Belegen versehen zum Abdruck und mo¨chte nur als kurze Skizzierung des Problems verstanden werden. 3 Vgl. wiederum die programmatischen Titel der Bu¨cher von Alfred Haverkamp, Aufbruch und Gestaltung. Deutschland 1056–1273 (Neue Deutsche Geschichte 2), Mu¨nchen 1984, oder bereits Gerd Tellenbach, Libertas (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 7), Stuttgart 1936.

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Sta¨dtewesens folgendes Fazit zieht: „Das europa¨ische Sta¨dtewesen ist nicht in der Enge regionaler oder nationaler Abgrenzungen aufgewachsen, sondern hat sich in der Weite des Raumes aus den wirtschaftlichen Bedu¨rfnissen einer Gesellschaft im Aufbruch entwickelt und sich dabei von herrschaftlichen Gewalten nicht behindern lassen. Die Gleichartigkeit der Stadtverfassung und der topographischen Gestaltung ist der Ausdruck einer Einheitlichkeit, von der das europa¨ische Sta¨dtewesen im hohem Mittelalter gepra¨gt und die offenbar niemals so deutlich ausgebildet war wie zu jener Zeit. Wagemutige Fernha¨ndler zogen unter abenteuerlichen Bedingungen auf ungebahnten Wegen durch die La¨nder und dienten mit ihrem Streben nach kaufma¨nnischem Gewinn zugleich dem Warenaustausch, der sprachlichen Versta¨ndigung und der Begegnung der Kulturen. Sie schufen mit dem Kaufmannsrecht, dem Marktrecht und dem Stadtrecht vo¨llig neue Rechtsformen, die sich europaweit durchsetzten und das o¨rtlich begrenzte Recht feudaler Herrschaft u¨berwanden. Sie brachten eine neue Verfassung in das gesellschaftliche Leben und den wirtschaftlichen Betrieb und fo¨rderten den allgemeinen Fortschritt, indem sie ein neues soziales und wirtschaftliches System in europa¨ischen Dimensionen aufbauten.“4 Karlheinz Blaschke folgt damit einer langen Forschungstradition, die in den Kaufleuten die wesentlichen Tra¨ger der Sta¨dteentwicklung des hohen Mittelalters sah und sieht, eine Forschungstradition, die einen ihrer Ho¨hepunkte in der Vorstellung von einem „Unternehmerkonsortium“ erlebte, dem Fritz Ro¨rig die entscheidende Rolle bei der Gru¨ndung Lu¨becks zuschrieb,5 die wiederum als ein wichtiges Epochenereignis in der Entstehung des Sta¨dtewesens im Ostseeraum betrachtet wurde. Auch Heinz Stoob, dem die historische Sta¨dteforschung so viel verdankt, hat seinen Beitrag zu einer Tagung u¨ber die Geschichte der Stadt im 11. Jahrhundert mit a¨hnlichen Gedankenga¨ngen beschlossen, wenn er feststellte: „Wir erkennen, so darf man zusammenfassen, keinerlei Anlass, Konturen der europa¨ischen Stadt zu verschleiern, indem man unangebrachte Konzessionen an gewiss vergleichbare, aber aus anderer Substanz und anderem Geist entspringende Pha¨nomene an ihre Seite ho¨be. Zu ottonisch-salischer Zeit ist in der Tat eine ganz neue Gro¨ße in den bilderreichen und vielgestaltigen Rahmen des Lebens auf unseren Kontinent eingefu¨gt worden, um dessen markante Profile nachhaltig zu vertiefen: das altsta¨ndische Bu¨rgertum.“6 Es fa¨llt schwer, sich solchen suggestiven Formulierungen zu entziehen, zumal diese aus dem Geist des selbstbewussten Bu¨rgertums des 19. Jahrhunderts geborenen

4 Karlheinz Blaschke, Stadtplanforschung. Neue Methoden und Erkenntnisse zur Entstehung des

hochmittelalterlichen Sta¨dtewesens in Mittel-, Ost- und Nordeuropa (SbbSa¨chsAkLeipzig, Phil.-Hist. Kl. 138, 4), Stuttgart/Leipzig 2003, S. 41f. 5 Vgl. Fritz Ro ¨ rig, Lu¨beck und der Ursprung der Ratsverfassung, in: Ders., Wirtschaftskra¨fte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte, hg. v. Paul Kaegbein, Ko¨ln/Graz 1959, S. 1–35, sowie Ders., Der Markt von Lu¨beck. Topographisch-statistische Untersuchungen zur deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in: ebd., S. 36–133. Diese beiden Abhandlungen waren 1915 bzw. 1921 zuerst erschienen, 1928 neu publiziert worden und hatten in der sta¨dtegeschichtlichen Forschung lebhafte Diskussionen ausgelo¨st. 6 Heinz Stoob, U ¨ ber den Aufbruch zur Sta¨dtebildung in Mitteleuropa, in: Jo¨rg Jarnut/Peter Johanek (Hg.), Die Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt im 11. Jahrhundert (StF A 43), Ko¨ln u. a. 1998, S. 1–20, hier S. 20.

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Sichtweisen auch politischen Einstellungen der gegenwa¨rtigen Zeit, etwa dem Demokratieversta¨ndnis, in besonderer Weise entsprechen und selbstversta¨ndlich auch realiter dem tertia¨ren Wirtschaftssektor, dem Handel und seinen Tra¨gern, den Kaufleuten und unter ihnen wiederum den Fernkaufleuten, eine u¨beraus wichtige Rolle im Prozess der Sta¨dtebildung und auch dessen Verfassungsformen zukam. Es sind jedoch vor allem zwei Vorstellungen oder Denkfiguren dieser zusammenfassenden Urteile, die zum Widerspruch herausfordern. Sie werden zwar in sehr vielen, vor allem neueren Beitra¨gen zum Thema nicht explizit vertreten, aber zumeist wird auch nicht expressis verbis eine Abgrenzung von ihnen vorgenommen. Daher sollen sie hier deutlich benannt werden. Das ist zum einen die – bei Karlheinz Blaschke auch in der Formulierung u¨berzogene – Negierung der Rolle, die die herrschaftlichen Kra¨fte in der Vorbereitung der Grundlagen des Sta¨dtewesens und bei seiner Installierung, Entfaltung und Formung gespielt haben. In den Formulierungen der hier zitierten zusammenfassenden Urteile Blaschkes und Stoobs u¨ber den Beginn des europa¨ischen Sta¨dtewesens – dem andere zur Seite gestellt werden ko¨nnten – liegt der Akzent ganz einseitig auf der Seite der genossenschaftlichen Kra¨fte, selbst wenn beide Autoren sich in Detailstudien sehr ha¨ufig mit Aktivita¨ten der Herrschaftskra¨fte auf dem Felde des Sta¨dtewesens befasst haben.7 Zum anderen verstellt es den Blick auf Vergleichspha¨nomene, wenn man sie von vornherein als inferior betrachtet, und gemeint sind in der soeben zitierten Formulierung Heinz Stoobs selbstversta¨ndlich die Existenz und Herausbildung von stadtartigen Siedlungsformen und Zentren im ostmitteleuropa¨ischen Raum, vor allem in Polen, Bo¨hmen und Ungarn, die nicht auf die gleiche Ebene ‚gehoben‘ werden sollen wie die entstehende Stadt des westlichen Europas. Dieser letztere Aspekt, der auch eine Wertung im Hinblick auf Kulturho¨he und Kulturfa¨higkeit entha¨lt, kann hier beiseite bleiben. In jedem Fall aber geho¨rt die angenommene Grundverschiedenheit der Zentrenentwicklung in West und Ost wa¨hrend der vorkommunalen Zeit zu den tief verwurzelten Axiomen der Stadtgeschichtsforschung, vor allem, soweit sie sich mit der Geschichte der Ostsiedlung bescha¨ftigt. Doch ist ernsthaft zu fragen, ob die Auspra¨gungen der Zentrenbildung vor dem 12. Jahrhundert in West und Ost strukturell wirklich so unterschiedlich verlief und ob es nicht den Blick fu¨r das Wesentliche ¨ hnlichkeiten oder struktureller scha¨rfen ko¨nnte, wenn man nach den strukturellen A Gleichartigkeit der Entwicklung fragte.

7 Vgl. nur Heinz Stoob, Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, in: Ders., For-

schungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970, S. 225–245; Ders., Formen und Wandel staufischen Verhaltens zum Sta¨dtewesen, in: ebd., S. 380–413; Karlheinz Blaschke, Studien zur Fru¨hgeschichte des Sta¨dtewesens in Sachsen, in: Helmut Beumann (Hg.), Festschrift fu¨r Walter Schlesinger. Bd. I, Ko¨ln/ Wien 1973, S. 333–381, bes. S. 338f. Es ist jedoch zu beobachten, dass in den Arbeiten Blaschkes mit fortschreitender Zeit die Rolle der herrschaftlichen Kra¨fte zuru¨cktritt und die genossenschaftlichen Kra¨fte, insbesondere die Aktivita¨ten der Fernkaufleute hervorgehoben werden, vgl. etwa Ders., Die Anfa¨nge der Stadt Go¨rlitz, in: Peter Johanek (Hg.), Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Forschungen zur Entstehung mitteleuropa¨ischer Sta¨dte. Ausgewa¨hlte Aufsa¨tze von Karlheinz Blaschke (StF A 44), Ko¨ln/Weimar/Wien 1997, S. 328–341.

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Es ist nicht beabsichtigt, hier einen Gegenentwurf zu dem Bild vorzulegen, das ¨ ußerungen Blaschkes und Stoobs bildet. Es kann ledigden Hintergrund zu den A lich um eine knappe Skizzierung der Modifikationen gehen, die an diesem Bild anzubringen notwendig wa¨ren, und die Argumentation wird dementsprechend lediglich mit rudimenta¨ren Belegen aufwarten ko¨nnen. Es wird sich auch erweisen, dass der Stand der Kenntnisse auf bestimmten Feldern der Forschung nicht ausreicht, um ein geschlossenes Bild zu zeichnen, das das bisherige ersetzen ko¨nnte. Einzusetzen haben diese Betrachtungen mit Definitionsfragen, also bei einem Lieblingsthema aller Stadthistoriker, bei der Frage, was denn eine Stadt sei, welche Kriterien sie auf den Begriff zu bringen vermo¨gen.8 Es ist ganz offenkundig, dass in der Zeit, von der die Rede ist, eine Art Paradigmenwechsel stattfindet: der Beginn der Etablierung der okzidentalen Stadt im Sinne Max Webers, die sich, wie Gerhard Dilcher bereits vor einiger Zeit hervorgehoben hat, in den „beiden Erscheinungsformen der antiken und der mittelalterlichen Stadt vom Sta¨dtewesen der anderen Kulturkreise dieser Erde grundsa¨tzlich abhebt. Die Stadtgemeinde, der o¨rtlich radizierte Verband eines Bu¨rgerstandes findet sich na¨mlich nur hier.“9 Gerhard Dilcher hat auch konstatiert und unterstrichen, dass sich dieser Typ – jedenfalls in Deutschland, im ostfra¨nkischen Reich – gleichsam stufenweise verwirklicht hat, so dass auch im 12. Jahrhundert kein u¨bergreifender, einheitlicher Typus Stadt zu fassen ist, der Webers Definition der okzidentalen Stadt entspra¨che. Dilcher hat das mehrfach eindrucksvoll belegt, so dass man ihm ohne weiteres beipflichten wird.10 In ganz anderen Zusammenha¨ngen hat bereits vor la¨ngerer Zeit Franz Irsigler eine Formulierung vorgeschlagen, wie sta¨dtische Siedlungsweise sowie urbane Sozial- und Lebensformen zu fassen seien: „Stadt ist eine vom Dorf und nichtagrarischer Einzwecksiedlung unterschiedene Siedlung relativer Gro¨ße mit verdichteter, gegliederter Bebauung, beruflich spezialisierter und sozial geschichteter Bevo¨lkerung und zentralen Funktionen politisch-herrschaftlich-milita¨rischer-wirtschaftlicher und kultisch-kultureller Art fu¨r eine bestimmte Region oder regionale Bevo¨lkerung.“11 Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass diese Formulierung Walter Christallers 8 Vgl. etwa den Sammelband Peter Johanek/Franz-Joseph Post (Hg.), Vielerlei Sta¨dte. Der Stadtbe-

griff (StF A 61), Ko¨ln/Weimar/Wien 2004; die hier versammelten Aufsa¨tze erschließen den Weg zur a¨lteren Literatur. Weiter sind heranzuziehen: Wilfried Ehbrecht, civile ius per novos iurantes consuetum est. ab antiquo novari in terra Fivelgoviae. Merkmale nichtagrarischer Siedlungen im mittelalterlichen Friesland zwischen Lauwers und Weser, in: Wilfried Ehbrecht/Angelika Lampen/Franz-Joseph Post (Hg.), Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Sta¨dtegeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburtstag, Ko¨ln/Weimar/Wien 2002, S. 409–452, mit Kriterienkatalog S. 417f.; Franz Irsigler, Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt?, in: Universita¨t des Saarlandes (Universita¨tsreden 51), Saarbru¨cken 2003, S. 17–44. 9 Gerhard Dilcher, Stadtherrschaft oder kommunale Freiheit – das 11. Jahrhundert ein Kreuzweg?, in: Ders., Bu¨rgerrecht und Stadtverfassung im europa¨ischen Mittelalter, Ko¨ln/Weimar/Wien 1996, S. 41–65, auch in: Jarnut/Johanek, Fru¨hgeschichte (wie Anm. 6), S. 31–44, hier S. 32. 10 Vgl. etwa die in Dilcher, Bu¨rgerrecht und Stadtverfassung (wie Anm. 6), enthaltenen Aufsa¨tze sowie die Darstellung in Karl S. Bader/Gerhard Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt. Bu¨rger und Bauer im Alten Europa (Enzyklopa¨die der Rechts- und Staatswissenschaft. Abteilung Rechtswissenschaft), Berlin/Heidelberg 1999. 11 Franz Irsigler, Stadt und Umland in der historischen Forschung. Theorien und Konzepte, in: Neithart Bulst/Jochen Hoock/Franz Irsigler, Wirtschaft und Gesellschaft. Stadt-Land-Beziehungen in

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Theorie der zentralen Orte spiegelt,12 und auch hier war bereits von Zentren die Rede, nicht zuletzt im Titel dieses Beitrags. Die Formel Franz Irsiglers entha¨lt nur die beiden ersten Ebenen der Weberschen Definition der okzidentalen Stadt. Die dritte, die verfassungsma¨ßig-administrative und rechtliche Ebene, die deren Essenz ausmacht und auf die es Gerhard Dilcher ankam, fehlt hier. Nur in Parenthese sei hier bemerkt, dass Franz Irsigler diese Dimension keineswegs geringscha¨tzt, er hat sie bei anderen Gelegenheiten durchaus hervorgehoben.13 Diese Ausklammerung aber macht die Formel flexibel fu¨r den interkulturellen Vergleich und auch zur Beschreibung von ¨ bergangsperioden, wie diejenige, mit der man es hier zu tun hat. Die Fragestellung U mu¨sste demnach mit anderen Worten lauten, was hat sich unter dem Blickwinkel dieser Formel im Laufe des 11. Jahrhunderts an Vera¨nderungen in der Zentrenbildung des Reichs ergeben? Selbstversta¨ndlich ist diese Frage im Grunde auf den gesamten Zeitraum vom fru¨heren Mittelalter bis ins ausgehende Hochmittelalter zu erweitern, denn mit dem knappen Zeitrahmen des 11. Jahrhunderts ist hier nicht auszukommen. Es geht demnach um Zentrenbildung. Bevor nach deren Eigenart gefragt wird, ist zu untersuchen, ob die Zeit selbst so etwas wie eine Vorstellung von Zentralita¨t hatte, so dass unter Umsta¨nden bei der Herausbildung von Zentren Intentionalita¨t anzunehmen ist. Die Frage kann – zumindest ansatzweise – bejaht werden. Im zweiten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts richtete Abt Othelbald, der Abt von St. Bavo in

Deutschland und Frankreich 14. bis 19. Jahrhundert, Trier 1983, S. 13–38, hier S. 26, vgl. auch Irsigler, Was machte (wie Anm. 8), S. 40. 12 Walter Christaller, Die zentralen Orte in Su¨ddeutschland. Eine o¨konomisch-geographische Untersuchung u¨ber die Gesetzma¨ßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit sta¨dtischen Funktionen, Jena 1933 (ND Darmstadt 1968). Die Konzeption Christallers ist in den vergangenen drei ¨ berlegungen zur Bildung von Sta¨dtenetzen des spa¨teren Mittelalters aufgeJahrzehnten vor allem in U griffen worden, vgl. etwa den Sammelband Emil Meynen (Hg.), Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (StF A 8), Ko¨ln/Wien 1979; Rolf Kiessling, Stadt-Land-Bezie¨ berlegungen zur Problemstellung und Methode anhand neuerer Arbeiten hungen im Spa¨tmittelalter. U vorwiegend zu su¨ddeutschen Beispielen, in: ZBayLG 40 (1977), S. 829–867; weitergefu¨hrt in: Ders., Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bu¨rgerbesitz und Wirtschaftsgefu¨ge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (StF A 29), Ko¨ln/Wien 1989; Irsigler, Stadt und Umland (wie Anm. 11); Monika Escher/Alfred Haverkamp/Frank G. Hirschmann, Sta¨dtelandschaft – Sta¨dtenetz – zentralo¨rtliches Gefu¨ge. Ansa¨tze und Befunde zur Geschichte der Sta¨dte im hohen und spa¨ten Mittelalter (THF 43), Mainz 2000, bes. die Einleitung, S. 9–54; jetzt auch Monika Escher/Frank G. Hirschmann, Die urbanen Zentren des hohen und spa¨ten Mittelalters. Vergleichende Untersuchungen zu Sta¨dten und Sta¨dtelandschaften im Westen des Reiches und in Ostfrankreich, 3 Bde. (THF 50/1–3), Trier 2005; zur Problematik der Sta¨dtenetze, vorwiegend im Spa¨tmittelalter, die Sammelba¨nde: Helmut Flachenecker/Rolf Kiessling (Hg.), Sta¨dtelandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Studien zum Pha¨nomen der Kleinsta¨dte wa¨hrend des Spa¨tmittelalters und der Fru¨hen Neuzeit (ZBayLG, Reihe B. Beih. 15), Mu¨nchen 1999; Holger Th. Gra¨f/Katrin Keller (Hg.), Sta¨dtelandschaft – Re´seau urbain – Urban Network. Sta¨dte im regionalen Kontext in Spa¨tmittelalter und fru¨her Neuzeit (StF A 62), Ko¨ln/ Weimar/Wien 2004; zur Rezeption der Christallerschen Konzeption in Frankreich vgl. jetzt Jean-Luc Fray, Petites villes et leurs re´seaux en pays de moyenne montagne. L’example des hautes terres du Massif central a` la fin du Moyen aˆge, in: Montagnes me´die´vales. XXXIVe Congre`s de la SMHS (Publications de la Sorbonne), Paris 2004, S. 241–262, mit Verweis auf seine the`se d’habilitation: Villa ... in medio ..., Re´seau urbain et perception de l’espace: essai d’application de la the´orie de la centralite´ au cas de la haute Lorraine me´die´vale (de´but XIe-de´but XIVe sie`cle), Universite´ Paris I Panthe´on-Sorbonne 1997 (dactyl.). 13 Vgl. Irsigler, Was machte (wie Anm. 8), S. 43.

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Gent, einen Brief an die Gra¨fin von Flandern und bezeichnet Gent als caput regionis, dem der primatus vor den u¨brigen civitates in dieser Region zukomme.14 Dabei sind unter den civitates selbstversta¨ndlich Burgen zu verstehen, allenfalls zusammen mit zugeho¨rigen Siedlungen. Ganz a¨hnlich formulierte der anonyme Verfasser der „Vita Adalberonis“ aus dem 12. Jahrhundert in der Ru¨ckschau auf die Errichtung der Burg Pitten, die er mit der Ungarnabwehr in Verbindung bringt: Putina, urbs inclyta et famosa, que quasi metropolis et mater civitatum versus Pannoniam ... constituta fuit, wobei bemerkenswerter Weise civitas immer noch als „Burg“ aufzufassen ist und die Formulierung unter Umsta¨nden bereits auf a¨ltere Zeit zuru¨ckgeht.15 Am Ende der hier interessierenden zeitlichen Skala findet sich in der Gru¨ndungsurkunde Erzbischof Wichmanns von Magdeburg fu¨r die Stadt Ju¨terbog die Wendung, die civitas Ju¨terbog solle exordium et caput ipsius provincie sein und in dieser terra Juterbogk wird die Entstehung weiterer ville fori erwartet, die zu Ju¨terbog in Beziehung stehen sollen.16 Hier wird bereits so etwas wie ein Sta¨dtenetz abgestufter Qualita¨t sichtbar. Das kann an Belegen genu¨gen, und es sei nur darauf hingewiesen, dass sich die Tra¨ger der angestrebten Zentralita¨t vom 11. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts von den Burgen auf die werdenden Sta¨dte verschieben. Wa¨hrend die Wichmann-Urkunde u¨ber die Errichtung der civitas Ju¨terbog, deren Vorrangstellung klar durch die Zuordnung der ville fori zu Ju¨terbog begru¨ndet ist, sagen die Belege zu Gent und Pitten nichts aus u¨ber die Merkmale, die den Zentralita¨tscharakter des caput oder der metropolis begru¨nden sollen. Doch die Frage nach den Zentralita¨tsmerkmalen und ihren Wandlungen muss nun auch fu¨r die Zentren des 11. Jahrhunderts gestellt werden. Selbstversta¨ndlich wird Zentralita¨t durch ein Kriterienbu¨ndel begru¨ndet, hier sollen jedoch die o¨konomischen Faktoren im Vordergrund stehen. Franz Irsigler betont in seiner Definitionsformel den nichtagrarischen Charakter der Stadt und die berufliche Spezialisierung, ganz analog, aber noch pra¨ziser Max Weber das Zuru¨cktreten der Landwirtschaft und das Vorherrschen von Gewerbe und Handel.17 Es sind diese beiden Faktoren, die in besonderer Weise als Merkmale sta¨dtischen Lebens empfunden werden. In der Tat sind sie im voll ausgebildeten Typus der mittelalterlichen Stadt als vorherrschend zu bezeichnen, selbst wenn sich auch agrarische Beta¨tigung der sta¨dtischen Einwohner findet. Von gro¨ßter Wichtigkeit aber ist, dass die Stadt diese Sektoren der Wirtschaftsta¨tigkeit – Gewerbe und

14 Vgl. Van De Kieft/Niermeijer, Elenchus (wie Anm. 38), S. 295, Nr. 8. 15 Irene Schmale-Ott (Hg.), Vita sancti Adalberonis (Quellen und Forschungen zur Geschichte des

Bistums und Hochstifts Wu¨rzburg 8), Wu¨rzburg 1954, S. 16; vgl. zur Geschichte und den archa¨ologischen Befunden in Pitten: Karin und Thomas Ku¨htreiber/Christine Mochty/Max Weltin, Wehrbauten und Adelssitze in Niedero¨sterreich. Bd. 1: Das Viertel unter dem Wiener Wald, St. Po¨lten 1998, S. 181–195. 16 Friedrich Israel/Walter Mo ¨ llenberg (Hg.), Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, Bd. I (937–1192) (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, NR 18), Magdeburg 1937, Nr. 343, S. 452–455. 17 Irsigler, Was machte (wie Anm. 8), S. 40; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Ma¨chte. Nachlass, Teilband 5: Die Stadt, hg. v. Wilfried Nippel (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. I: Schriften und Reden, Bd. 22-5), Tu¨bingen 1999, bes. § I, etwa S. 69: „Stadt als Tra¨ger des Gewerbes und Handels“.

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Handel – monopolisiert hat. Das Gewerbe ist den Sta¨dten und ihren handwerklichen Korporationen vorbehalten, und der Handel findet in Sta¨dten statt oder doch in enger Anlehnung an sie und durch sie gestu¨tzt. Landhandwerk und Handel außerhalb der Sta¨dte spielen eine geringe Rolle. Das ist im fru¨heren Mittelalter keineswegs der Fall. Selbstversta¨ndlich findet sich handwerkliche Beta¨tigung in den civitates, d. h. in jenen Bischofssitzen, die aus der Antike u¨berkommen waren, ha¨ufig nur in Rudimenten erhalten18 und an jenen Pla¨tzen, die im Zusammenhang mit der Christianisierung ostwa¨rts des Rheins als Bischofssitze neu entstanden waren. Damit ist aber lediglich ein Teil der gewerblichen Ta¨tigkeit erfasst. Es ist das Verdienst Fred Schwinds und vor allem von Walter Janssen, der von allen Archa¨ologen des ausgehenden 20. Jahrhunderts am sta¨rksten in den Kategorien der Historiker dachte, dass sie mit Entschiedenheit auf die Einbindung des Handwerks in die Grundherrschaft hingewiesen haben und eben dies als ein konstitutives Merkmal der Wirtschaft des fru¨hen und hohen Mittelalters erkannt haben.19 Walter Janssen hat dieses Faktum mit archa¨ologischen Zeugnissen belegt, die sich immer wieder in und im Zusammenhang mit Burgen fanden und insbesondere das Metallhandwerk betreffen. Fu¨r das Textilgewerbe stu¨tzen sich sogar die archa¨ologischen Befunde – etwa das ergrabene Webhaus der Pfalz Tilleda20 – und die Schriftquellen gegenseitig. So hat Franz Irsigler mit Verweis auf das genicium Graf Dodikos an dessen Herrschaftsmittelpunkt Warburg die Bedeutung der grundherrlichen Textilproduktion herausgearbeitet.21 Bei diesen Andeutungen kann es verbleiben. Auch der Handel, und mit ihm seine Tra¨ger, die Kaufleute, auch die Fernkaufleute, jene bevorzugten Objekte der Stadtgeschichtsforschung, sind auf mannigfache Weise in grundherrschaftliche oder doch herrschaftliche Bezu¨ge eingebunden.22 Fasst man das Handelsgeschehen der Karolingerzeit na¨her ins Auge, so erweist es sich, dass 18 Vgl. dazu etwa Waltraut Bleiber, Grundherrschaft und Markt zwischen Loire und Rhein wa¨hrend des

9. Jahrhunderts, in: JbWirtschG 1982/III (1982), S. 105–131, hier 119–121.

19 Fred Schwind, Zu karolingerzeitlichen Klo¨stern als Wirtschaftsorganismen und Sta¨tten handwerkli-

cher Ta¨tigkeit, in: Lutz Fenske u. a. (Hg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. FS fu¨r Josef Fleckenstein, Sigmaringen 1984, S. 101–123; Walter Janssen, Gewerbliche Produktion des Mittelalters als Wirtschaftsfaktor im la¨ndlichen Raum, in: Herbert Jankuhn/Walter Janssen/Ruth Schmidt-Wiegand/Heinrich Tiefenbach (Hg.), Das Handwerk in vor- und fru¨hgeschichtlicher Zeit, Teil 2: Archa¨ologische und philologische Beitra¨ge (AbhAkGo¨tt 3, 123), Go¨ttingen 1983, 317–394, sowie Ders., Die Bedeutung der mittelalterlichen Burg fu¨r die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, in: ebd., S 261–316; neuerdings noch zusammenfassend und weiterfu¨hrend: Franz Irsigler, Zur wirtschaftlichen Bedeutung der fru¨hen Grundherrschaft, in: Gerhard Dilcher/Cinzio Violante, Strukturen und Wandlungen der la¨ndlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich (Schriften des Italienisch-Deutschen Instituts in Trient 14), Berlin 2000, S. 165–187. 20 Paul Grimm, Tilleda – Eine Ko¨nigspfalz am Kyffha¨user. Teil 2: Die Vorburg und Zusammenfassung (Schriften zur Ur- und Fu¨hgeschichte 40), Berlin 1990; der Befund zur Webwerkstatt bereits vorher publiziert Ders., Zwei bemerkenswerte Geba¨ude in der Pfalz Tilleda. Eine zweite Tuchmacherei, in: Pra¨historische Zeitschrift 41 (1963), S. 73ff.; Ders., Beitra¨ge zu Handwerk und Handel in der Vorburg der Pfalz Tilleda, in: ZArcha¨ol 6 (1972), S. 104–147; ders., Die untere Vorburg der Pfalz Tilleda, in: ZArcha¨ol 10 (1976), S. 261–306. 21 Vgl. unten mit Anm. 51–53. 22 Außer Betracht bleiben hier im Folgenden die ha¨ufig als ‚Emporien‘ oder ‚Wik‘ bezeichneten Handelspla¨tze des fru¨heren Mittelalters, vgl. zu ihnen nur das klassische Werk von Herbert Jankuhn, Hait-

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die großen, weit gestreuten Grundherrschaften der Kirche und vermutlich auch des Adels jeweils ein Kommunikationssystem darstellen und eine Basis fu¨r den Gu¨teraustausch, z. T. u¨ber weite Distanzen innerhalb dieser Systeme abgeben.23 Bei diesem Austausch innerhalb der grundherrschaftlichen Kommunikationssysteme verblieb es nicht, sondern die Grundherrschaften nutzten eigene und fremde Ma¨rkte u¨ber das jeweilige grundherrschaftliche System hinaus.24 Dieser „herrschaftsgestu¨tzte“ Handel wurde zumindestens zu einem Teil getragen von Ha¨ndlern und Kaufleuten, die durch Bindungen an eine Herrschaft charakterisiert sind oder in deren Diensten stehen.25 Die Belege reichen von Salomon, dem negotiator im Dienste Ko¨nig Dagoberts I. 26, dem Friesen Ibbo im Dienste der Trierer Kirche im 8. Jahrhundert27 u¨ber die grundherrlichen Kaufleute der Raffelstetter Zollordnung um 90028 bis in das 12. Jahrhundert zu den homines et mercatores nostre Konrads III. in Kaiserswerth mit ihrer Bindung an das Pfalzstift St. Suitbert.29 Es versteht sich, dass solche Beobachtungen den Begriff des Fernkaufmanns zumindest eine andere Nuancierung verleihen habu. Ein Handelsplatz der Wikingerzeit, 6. Aufl. Neumu¨nster 1976, sowie zuletzt den Sammelband: David Hill/Robert Cowie (Hg.), Wics. The Early Mediaeval Trading Centres of Northern Europe, Sheffield 2001; ebenfalls nicht eingegangen wird auf das in der britischen Archa¨ologie entwickelte Konzept der „productive sites“, das in der deutschen Forschung noch kein Gegenstu¨ck gefunden hat, vgl. dazu den Sammelband von Tim Pestell/Katharina Ulmschneider (Hg.), Markets in Early Medieval Europe. Trading and Productive Sites, 650–850, Macclesfield 2003. 23 Vgl. dazu Peter Johanek, Der fra¨nkische Handel der Karolingerzeit im Spiegel der Schriftquellen, in: Klaus Du¨wel/Herbert Jankuhn/Herbert Siems/Dieter Timpe (Hg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und fru¨hgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil 4: Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit (AbhAkGo¨tt 3, 156), Go¨ttingen 1987, S. 7–68, bes. S. 48f. u. 67. 24 Zu den Ma¨rkten außerhalb der civitates, den ‚la¨ndlichen‘ oder ‚grundherrschaftlichen‘ Ma¨rkten, vgl. bereits etwa Edith Ennen, Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt, Bonn 1953, S. 134; Dies., Stadtgeschichtliche Probleme im Saar-Mosel-Raum, in: Georg Droege/Peter Scho¨ller/Rudolf Schu¨tzeichel/Matthias Zender (Hg.), Landschaft und Geschichte. FS fu¨r Franz Petri zu seinem 65. Geburtstag am 22. Februar 1968, Bonn 1970, S. 157–170, hier S. 164; zum Markt allgemein ist immer noch grundlegend Siegfried Rietschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verha¨ltnis, Leipzig 1897; weiter: Heinrich Bu¨ttner, Studien zum fru¨hmittelalterlichen Sta¨dtewesen in Frankreich, vornehmlich im Loire- und Rhoˆnegebiet, in: Studien zu den Anfa¨ngen des europa¨ischen Sta¨dtewesens (VuF 4), Konstanz/Stuttgart 1958, S. 151–189; Traute Endemann, Markturkunde und Markt in Frankreich und Burgund vom 9. bis 11. Jahrhundert, Konstanz/Stuttgart 1964, bes. S. 182–186; Lucien Musset, Foires et marche´s en Normandie a` l’e´poque ducale, in: Annales de Normandie 26 (1966), S. 3–24, hier S. 6f.; Walter Schlesinger, Der Markt als Fru¨hform der deutschen Stadt, in: Herbert Jankuhn/Walter Schlesinger/Heiko Steuer (Hg.), Vor- und Fru¨hformen der europa¨ischen Stadt im Mittelalter I (AbhAkGo¨tt 3, 83), Go¨ttingen 1973, S. 262–293; Friederun Hardt-Friederichs, Markt, Mu¨nze und Zoll im ostfra¨nkischen Reich bis zum Ende der Ottonen, in: BllDtLG 116 (1980), S. 1–31; zusammenfassend Bleiber, Grundherrschaft und Markt (wie Anm. 18); seither vor allem Hansju¨rgen Brach¨ berlegungen zu ihrer Genese im ostmann, Der Markt als Keimform der mittelalterlichen Stadt – U fra¨nkischen Reich, in: Hansju¨rgen Brachmann/Joachim Herrmann (Hg.), Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt. Voraussetzungen und Grundlagen (Schriften zur Ur- und Fru¨hgeschichte 44), Berlin 1991, S. 117–130. 25 Dazu Johanek, Fra¨nkischer Handel (wie Anm. 23), S. 60–65; dazu noch Irsigler, Zur wirtschaftlichen Bedeutung (wie Anm. 19). 26 Gesta Dagoberti, c. 33, ed. v. Bruno Krusch (MGH SSrM 2), Hannover 1888, S. 413. 27 Lupus von Ferrie`re, Vita Maximini, ed. v. Bruno Krusch (MGH SSrM 3), Hannover 1896, S. 80f., sowie Acta Sanctorum, Mai t. VII, S. 24, c. 14. 28 MGH Cap II, Nr. 253, S. 252f. 29 MGH DD KoIII 136: homines et mercatores nostros de Werde omnesque ad ecclesiam sancti Swi-

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als die Aussagen, die zu Eingang dieser Abhandlung zitiert wurden. Zusammenfassend und holzschnittartig verku¨rzt la¨sst sich konstatieren, dass Handel und vor allem handwerkliche Ta¨tigkeiten, die aus der Perspektive des spa¨teren Mittelalters als spezifisch sta¨dtisch angesehen werden, im fru¨heren Mittelalter, bis in das 12. Jahrhundert hinein, ra¨umlich disloziert im Rahmen der Grundherrschaft sich vollziehen.30 ¨ berlegung vermag die Bedeutung des herrschaftlichen Elements im Eine weitere U Handelsgeschehen nachhaltig hervorzuheben. Der Markt darf als die entscheidende Rechtsfigur fu¨r die Abwicklung von Handel gelten, gleichzeitig bezeichnet er auch die topographischen Gegebenheiten, in deren Rahmen das Handelsgeschehen sich abwickelt. Marktrecht wird in aller Regel an Herrschaftstra¨ger verliehen, ja ist mit Herrschaftsrechten aufs Engste verknu¨pft. Das zeigt die alte ottonische Formulierung, die in der Salierzeit weiter tradiert wird: faciendi, habendi ac construendi mercatum, monetam constituendi, telonium accipiendi ibique totius publicae functionis negotium decrevimus colendum.31 Der Markt, d. h. der Marktplatz, von der Stadtgeschichtsforschung fu¨r das Spa¨tmittelalter vor allem als Aktionsraum bu¨rgerlicher und kommunaler Selbstdarstellung und symbolischer Kommunikation wahrgenommen, ist in diesem Versta¨ndnis als Raum herrschaftlicher Selbstdarstellung anzusehen. Cosmas von Prag, der ein scharfes Auge fu¨r das Pha¨nomen der werdenden Stadt hatte, hat mehrfach die Rolle des Marktes als Hinrichtungsort hervorgehoben ebenso als Verku¨ndigungsort fu¨r herrschaftliche Akte, die der Publizita¨t bedurften.32 Aus der hier vorgenommenen Gegenu¨berstellung der Rahmenbedingungen fu¨r die Ausu¨bung von Gewerbe- und Handelsta¨tigkeit im spa¨teren Mittelalter seit etwa dem 12. Jahrhundert auf der einen und im fru¨hen und hohen Mittelalter auf der anderen Seite lassen sich zwei Kernthesen ableiten, die den hier behandelten Zeitraum betreffen. 1. Die Entstehung der Sta¨dtebildung, jene erste Phase der europa¨ischen Urbanisierung, die vom Beginn des 12. Jahrhunderts im Bereich außerhalb der alten civitates erkennbar ihren Anfang nimmt und sich seit der Mitte des Jahrhunderts in dem bekannten Maße beschleunigt,33 resultiert aus einem Konzentrationsprozess, der vor allem das Gewerbe aus den grundherrschaftlichen Bindungen lo¨st und an

berti pertinentes sub nostre defensionis patrocinio ... suscepimus et consuetudines sive iura ... ipsis collata ...confirmantes ...; vgl. zu dem gesamten Sachverhalt Johanek, Handel der Karolingerzeit (wie Anm. 23), S. 53–63. 30 Auf diesen engen Zusammenhang zwischen Grundherrschaft und wirtschaftlicher Ta¨tigkeit in Handel (insbes. Nahmarkt ) und Gewerbe hat neuerdings aus archa¨ologischer Sicht auch hingewiesen: Jens Beutmann, Zur Typologie der fru¨hen Stadt. Ein o¨konomisch-funktionaler Ansatz, in: Sebastian Brather/Christel Bu¨cker/Michael Hoeper, Archa¨ologie als Sozialgeschichte. Studien zu Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im fru¨hgeschichtlichen Mitteleuropa. FS fu¨r Heiko Steuer zum 60. Geburtstag (Internationale Archa¨ologie. Studia honoraria 9), Rahden/Westf. 1999, S. 199–207. 31 MGH DD OIII 357 u. D K II 190. 32 Cosmae Pragensis Chronica Boemorum, ed. v. Berthold Bretholz (MGH SSrG ns 2), Berlin 21955, bes. S. 62 und 193, im u¨brigen im Register s. v. forum. 33 Vgl. Heinz Stoob, Stadtformen und sta¨dtisches Leben im spa¨ten Mittelalter, in: Ders. (Hg.), Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter (Sta¨dtewesen 1), Ko¨ln/Wien 21985, S. 151–190, hier S. 151–153.

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bestimmten Pla¨tzen konzentriert, die zumeist auch topographisch in bestimmter Weise gestaltet sind. Auch die Ausu¨bung von Handel und Marktgeschehen unterliegt einer solchen Konzentration, d. h. Handelsta¨tigkeit und Kaufleute werden an den gleichen Pla¨tzen angesiedelt wie das Gewerbe. Selbstversta¨ndlich sind auch die civitates von diesem Verdichtungsprozess betroffen, auch hier versta¨rken sich Handel und Gewerbe. Der Vorgang steht im Zusammenhang mit einem grundsa¨tzlichen Umbau der Gesellschaft insgesamt, vor allem auch im agrarischen Bereich, ein Umbau, der mit dem Schlagwort ‚Auflo¨sung der Villikationsverfassung‘ umschrieben werden kann. Walter Janssen und Edith Ennen haben in ihrer Agrargeschichte eindringlich auf die Bedeutung dieses Vorgangs verwiesen.34 Er bedeutet insgesamt – im Bereich der Landwirtschaft wie des Handwerks – gro¨ßere Handlungsspielra¨ume fu¨r den Einzelnen und Orientierung an einem u¨bergreifenden Marktgeschehen, von dem die Wirtschaftstreibenden nunmehr abha¨ngig werden. Die Tra¨ger der Grundherrschaft reagieren damit – so die u¨berwiegende Meinung der Forschung – auf zunehmende Verdichtungserscheinungen aufgrund der demographischen Aufwa¨rtsentwicklung. 2. Dieser Konzentrationsvorgang von Handel und Gewerbe an bestimmten Pla¨tzen, die als Basis der werdenden Sta¨dte zu gelten haben, wird ins Werk gesetzt von den herrschaftstragenden Kra¨ften. Es bleibt festzuhalten, dass Sta¨dte bis ins Spa¨tmittelalter und in die Neuzeit stets von Herrschaftskra¨ften gegru¨ndet wurden. Keine Stadt hat sich selbst gegru¨ndet. Die Herrschaftstra¨ger, insbesondere die werdenden Territorialherren, haben in der Etablierung solcher Konzentrationspunkte und dann von Sta¨dten unter Hinzufu¨gung der dritten Ebene des Weberschen Kriterienbu¨ndels, ein Instrument zur Intensivierung ihrer Herrschaft gesehen.35 Trotz der schlechten Erfahrungen, die sie mit den Emanzipierungsbestrebungen der sta¨dtischen Bevo¨lkerung machen mussten, haben sie immer wieder Sta¨dte gegru¨ndet. Auf keinen Fall hat ein fru¨hes Bu¨rgertum den Herrschaftskra¨ften die Etablierung von o¨konomischer Konzentration und die damit zusammenha¨ngende Gru¨ndung und Auslegung von Sta¨dten abgetrotzt. Keine Stadt hat eine andere Stadt gegru¨ndet. Es ist nun zu fragen, wie dieser Konzentrationsvorgang wa¨hrend der hier zu untersuchenden Periode abgelaufen ist, ob etwa abgestufte Zentralita¨t und Ansa¨tze zur Sta¨dtebildung sich auch kartographisch darstellen lassen. Heinz Stoob hat dies in einer 1998 vorgelegten Karte versucht, ist jedoch ganz augenscheinlich damit gescheitert.36 Stoob hat einen Zeitschnitt um 1100 gewa¨hlt und mit einer besonderen Signa34 Edith Ennen/Walter Janssen, Deutsche Agrargeschichte. Vom Neolithikum bis zur Schwelle des

Industriezeitalters, Wiesbaden 1979, S. 164–178.

35 Es sei nur verwiesen auf die grundlegenden Studien von Edith Ennen, Burg, Stadt und Territorialstaat

in ihren wechselseitigen Beziehungen, in: RhVjbll 12 (1942), S. 48–88, und Wilfried Ehbrecht, Mittelund Kleinsta¨dte in der Territorialkonzeption westfa¨lischer Fu¨rsten. Lippstadt als Modell, in: JbRG 14 (1987), S. 104–141; dazu noch Stoob, Mindersta¨dte (wie Anm. 7). 36 Stoob, Aufbruch zur Sta¨dtebildung (wie Anm. 6), Kartenbeilage am Ende des Bandes. Sie ist ganz offensichtlich unfertig in den Druck gegangen und entha¨lt auch zahlreiche Fehler. Der Verfasser muss hier bekennen, dass er als Mitherausgeber des Bandes bei der Drucklegung, die im Umfeld des Todes von Heinz Stoob erfolgte, diesen Sachverhalt nicht erkannt hat.

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tur „Ansa¨tze zur Stadtbildung vor 1100“ zu bezeichnen gesucht. Er hat diese Signatur vom Rhein an ostwa¨rts nur den Bischofssitzen zugebilligt, wobei er Bremen, Hamburg, Verden, Schleswig und Eichsta¨tt ausschloss und daru¨ber hinaus nur noch Duisburg, Dortmund, Soest, Goslar, Braunschweig, Halle und Erfurt damit versah, im Su¨den lediglich Wien, nicht aber etwa Frankfurt am Main, Freiburg oder Breisach. Der slawische und ungarische Bereich Ostmitteleuropas ist durch eine andere Farbgebung (gru¨n) vom westlichen Bereich abgehoben (blau), und von den dortigen Bischofssitzen werden jene Ansa¨tze zur Stadtbildung vor 1100 lediglich Prag zuge¨ bung, die standen. Insgesamt entspricht dieses Vorgehen Stoobs der allgemeinen U Kathedralsitze als die eigentlichen ‚Muttersta¨dte‘ zu betrachten, was ja eine gewisse Berechtigung hat. Sie besitzen Vorbildcharakter und unterliegen gerade im Investiturstreitzeitalter kra¨ftigen Wachstumsprozessen. Diese Entwicklungen sind hier nicht zu behandeln, denn ihnen sind andere Beitra¨ge dieses Bandes gewidmet.37 Die Bischofssitze sind auch die Sta¨tten fru¨her Gemeinschaftsbildung, wie sie fu¨r die Anfa¨nge des Sta¨dtewesens bezeichnend sind, doch ist auf der anderen Seite daran zu erinnern, dass die fru¨hesten Aufzeichnungen rechtlicher Texte, von Freiheiten und Stadtrechten, an Pla¨tzen erscheinen, die unterhalb der Gro¨ßenordnung der Bischofssitze liegen, etwa in Huy 1066,38 in Geraardsbergen 1067/7039 und in Freiburg 1120.40 Diese Pla¨tze hatten ganz offensichtlich einen Reifegrad erreicht, der einen solchen Akt wu¨nschenswert erscheinen ließ. Heinz Stoob hat aber nur Huy mit der Signatur versehen, die Ansa¨tze zur Sta¨dtebildung bezeichnet. Gerade auf die Stufen unterhalb der Kathedralsta¨dte ka¨me es bei der Untersuchung von Zentralita¨t und ihrer Abstufung besonders an, jedoch Heinz Stoob hat auf seiner Karte lediglich noch „wichtige Kirch- und Klosterorte“ sowie „wichtige Burgen und Pfalzorte“ verzeichnet. Dabei ist er recht willku¨rlich vorgegangen, und die Karte gibt fu¨r die Fragestellungen von abgestufter Zentralita¨t und Vorbereitung des beschriebenen Konzentrationsprozesses nichts her. Eine solche Karte zu erstellen, sto¨ßt auf große methodische Schwierigkeiten, und auch der derzeitige Forschungsstand la¨sst es im Grunde nicht zu, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Es ist nun zu ero¨rtern, welche Probleme sich dabei stellen. a) Es bestu¨nde die Mo¨glichkeit, die urkundlichen Erwa¨hnungen der Errichtung oder die Besta¨tigung von Ma¨rkten oder Markteinku¨nften und die damit zusammenha¨ngenden Pha¨nomene und Institutionen zu kartieren, wie Friederun Hardt-Friedrichs dies fu¨r die Zeit bis 1000 getan hat.41 Doch eine solche 37 Vgl. dazu noch den ju¨ngst erschienenen Sammelband von Heiko Steuer/Gerd Biegel, Stadtarcha¨olo-

gie in Norddeutschland westlich der Elbe (ZAM, Beiheft 14), Bonn 2002, sowie Jerzy Piekalski, Von Ko¨ln nach Krakau. Der topographische Wandel fru¨her Sta¨dte (ZAM, Beiheft 13), Bonn 2001. 38 Andre´ Joris, La ville de Huy au moyen aˆge. Des origines a` la fin du XVIe sie`cle, in: Bibliothe`que de la faculte´ de Philosophie et Lettres de l’Universite´ de Lie`ge LII (1959), S. 481–484; C. Van De Kieft/ Jan F. Niermeijer (Hg.), Elenchus fontium historiae urbanae, Bd. I, Leiden 1967, S. 299f. 39 Fr. Blockmans, De zoogenaamde stadskeure van Geraardsbergen van tusschen 1067 en 1070, in: Bulletin de la Commission royale d’histoire 106 (1941), S. 76–86; Van De Kieft/Niermeijer, Elenchus (wie Anm. 38), S. 300–302. 40 Van De Kieft/Niermeijer, Elenchus (wie Anm. 38), S. 82–102. 41 Hardt-Friederichs, Markt, Mu¨nze und Zoll (wie Anm. 24).

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¨ berblickt man die Belege aus Karte wa¨re nicht sehr aussagekra¨ftig. Immerhin: U den Herrscherdiplomen von Heinrich II. bis Konrad III., so werden drei Sachverhalte deutlich: 1. In der ersten Ha¨lfte des 11. Jahrhunderts – mit einem gewissen Schwerpunkt in den dreißiger Jahren – werden besonders ha¨ufig Jahrma¨rkte verliehen, mit der Angabe ihrer Dauer, die zwischen drei Tagen und einer Woche betra¨gt. D. h., in dieser Zeit vollzieht sich eine gewisse, auch gestufte Zentrenbildung mit Interdependenzen.42 2. In der Terminologie vollzieht sich im Laufe dieses Zeitraums eine gewisse Verschiebung vom Terminus mercatus/mercatum zu forum, wobei der erstere vor allem die Rechtsfigur, der zweite immer ha¨ufiger den Platz, die Ausformung in der Topographie zu bezeichnen scheint43. 3. Marktverleihungen beziehen sich in der Ottonenzeit ha¨ufig auf Pla¨tze, die spa¨terhin keine Entwicklung zu sta¨dtischen Formen durchgemacht haben. Diese Ma¨rkte sind beweglich, verlegbar, erkennbar an kleinen Orten, nicht zentrenorientiert. Sie wurden offenbar – wie schon Walter Schlesinger vermutete – angelegt, um ein Netz von Verteilerstellen zu entwickeln.44 Von diesen Ma¨rkten verschwinden viele, werden an zentralita¨tstra¨chtige Pla¨tze verlegt, so etwa 1035 der Markt zu Stassfurt und der Zoll zu Hagenrode nach Nienburg an der Elbe, zu dem Kloster, dem sie Kaiser Otto III. geschenkt hatte.45 Insgesamt bietet sich das Bild eines Marktsystems, das der Dislozierung des sekunda¨ren und tertia¨ren Wirtschaftssektors in der Grundherrschaft angepasst ist. Die Verleihung solcher Ma¨rkte an kleinen Orten nimmt mit fortschreitender Zeit jedoch ab. Unter Ko¨nig Konrad III. finden sich nur noch wenige,46 und eine von ihnen erweist sich als besonders signifikant. Im Jahr 1138 erhielt Abt Wibald von Stablo und Malmedy das Recht, einen Markt im Tal bei der Burg von Logne in den Ardennen anzulegen, deren Besitz ihm Lothar III. kurz zuvor besta¨tigt hatte.47 Der Abt nutzte dies dazu, hier eine ‚Stadt‘ anzulegen, deren Auslegung in einer Urkunde Wibalds berichtet wird.48 Dieser Vorgang kennzeichnet die neue Entwicklung, auch wenn es sich im Falle Logne auf la¨ngere Sicht um eine Fehlplanung handelte. 42 Vgl. dazu auch Franz Irsigler, Jahrma¨rkte und Messesysteme im westlichen Reichsgebiet bis ca. 1250,

in: Peter Johanek/Heinz Stoob (Hg.), Europa¨ische Messen und Ma¨rktesysteme in Mittelalter und Neuzeit (StF A 39), Ko¨ln/Weimar/Wien 1996, S. 1–33, hier S. 8f. 43 Schlesinger, Markt (wie Anm. 24), S. 283, Anm. 129. 44 Schlesinger, Markt (wie Anm. 24), S. 281. 45 MGH DD KoII 223. 46 MGH DD KoIII 62 fu¨r Ekbert von Formbach u¨ber Neunkirchen; 79 fu¨r Hugo u¨ber Petronell; dazu mehrere fu¨r Klo¨ster; 86 fu¨r Chemnitz; 115 fu¨r Reinhausen; 117 fu¨r Helmarshausen; 246 fu¨r St. Walburg im Heiligen Forst u¨ber Du¨rrenbach; alle anderen Betreffe s. v. mercatum oder forum sind Besta¨tigungen fru¨herer Verleihungen oder betreffen Italien. 47 MGH DD KoIII 5: ... in cuius valle mercatum et publicas nundinas datis ad vendendum cirothecis nostris auctoritate regia instituimus; die Besta¨tigung der Burg D L III 119. 48 Joseph Halkin/C.-G. Roland, Recueil des Chartes de l’Abbaye de Stavelot-Malmedy. T. I. Bruxelles 1909, Nr. 165, S. 338–341; vgl. dazu auch Anm. 71 und Anm. 73–74.

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b) Kartiert werden mu¨ssten auf einer solchen Karte, die die Zentrenbildung des 11. und fru¨h 12. Jahrhunderts darstellen soll, jene Konzentrations- und Wachstumspha¨nomene, wie sie bei dem angedeuteten Umbau der Gesellschaft vorauszusetzen sind. Indizien dafu¨r sind etwa der eben genannte Fall Nienburg oder auch die bekannte Umsiedlung der Kaufleute von Groß-Jena nach Naumburg unter Konrad II.49 Zwar hat die Forschung in ju¨ngster Zeit verschiedene kartographische Darstellungsformen entwickelt, um den Zentralita¨tsgrad von Siedlungen, insbesondere Sta¨dten, zu verdeutlichen,50 doch erweist sich gerade fu¨r die Fru¨hzeit der Sta¨dtebildung die Quellenlage in der Regel als zu du¨rftig fu¨r die Erarbeitung aussagekra¨ftiger und belegbarer Signaturen. Noch sta¨rker fa¨llt ins Gewicht, dass in der Erforschung der Konzentrations-, Wachstums- und wirtschaftlicher Verdichtungsvorga¨nge ganz offenkundig eine neue Lage entstanden ist, die aus der Konfrontation der sta¨dtegeschichtlichen Forschung mit bestimmten archa¨ologischen Befunden resultiert. Drei dieser Befunde sollen hier in kurzer Skizzierung pra¨sentiert werden. 1. Bereits vor etwa drei Jahrzehnten hat Franz Irsigler auf einen grundherrlichen Konzentrationsprozess hingewiesen, der sich zu Beginn des 11. Jahrhunderts im Raum von Warburg in Westfalen vollzog.51 Dabei handelt es sich um die Herrschaft Dodikos, der auch Grafenrechte in diesem Raum innehatte. Diesen Herrschaftskomplex u¨bergab der nachkommenlose Adelige der Paderborner Kirche, um ihn zusammen mit dem bischo¨flichen Besitz in der Region als precaria remuneratoria zuru¨ckzuerhalten. Nach Dodikos Tod gingen die Gu¨ter endgu¨ltig an den Bischof von Paderborn u¨ber und stellten eine wichtige Basis fu¨r dessen Herrschaftsbildung dar. Bereits die geographische Streuung von Dodikos Besitz zeigt gegenu¨ber den weit gespannten Grundherrschaften des fru¨heren Mittelalters betra¨chtliche Konzentration mit Schwerpunktbildung in Gestalt der Burg Warburg mit offenbar repra¨sentativen Bauten.52 Die Verfu¨gungen zugunsten Paderborns, u¨ber die die „Vita Meinwerci“ berichtet, belegen jedoch auch handwerkliche Ta¨tigkeit an diesem Herrschaftssitz. Genannt werden Frauen, die in einem geniceum ta¨tig waren,53 so dass mit Textilherstellung in gro¨ßerem Umfang zu rechnen ist, die in den u¨bero¨rtlichen Handel einfloss. Die stadtgeschichtliche Forschung, die im Blatt Warburg des Deutschen Sta¨dteatlas zusammengefasst ist,54 vermutete bislang eine stufenweise Entwicklung der spa¨teren Stadt Warburg. Nach diesen Vorstellungen habe sich zuna¨chst vor 1050 am 49 MGH DD KoII 194. 50 Vgl. etwa Carl Haase, Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdke I, 11), 4. Aufl. Mu¨ns-

ter 1984 (die beigegebenen Karten); jetzt Escher/Hirschmann, Die urbanen Zentren (wie Anm. 12), S. 33ff. 51 Franz Irsigler, Bischof Meinwerk, Graf Dodiko und Warburg. Herrschaft, Wirtschaft und Gesellschaft des hohen Mittelalters im o¨stlichen Westfalen, in: WestfZ 126/127 (1976/77), S. 181–199. 52 Vita Meinwerci episcopi Patherbrunnensis, ed. v. Franz Tenckhoff (MGH SSrG), Hannover 1921, S. 22, S. 30: ornamento et munimento utile. 53 Ebd., S. 42, Zeile 1. 54 Heinz Stoob, Warburg (DtStAtl I, 10), Dortmund 1973 (auch erschienen als WestfStAtl I, 15, Dortmund 1975; vgl. noch: Franz Mu¨rmann (Hg.), Die Stadt Warburg 1036–1986. Beitra¨ge zur Geschichte einer Stadt, Warburg 1986.

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su¨do¨stlichen Hang der Burg ein suburbium ausgebildet, auf das die Bezeichnung villa der „Vita Meinwerci“ zu beziehen wa¨re. In einer Bodenfalte no¨rdlich davon sei im 11./12. Jahrhundert eine Marktsiedlung entstanden, und die Gru¨ndung der Alt-

Abb. 1: Rekonstruktion der Siedlungslandschaft um Warburg im 11. Jahrhundert Quelle: Best/Kneppe/Peine/Siegmund, Fru¨hmittelalterliche Siedlungszentren im Warburger Raum (wie Anm. 55), S. 305 Abb. 5

stadt mit einer Plananlage im Tal der Diemel wird mit Verteidigungsmaßnahmen der Paderborner Bischo¨fe gegen den Ausdehnungsdrang Heinrichs des Lo¨wen seit den 1170er Jahren in Zusammenhang gebracht. Noch vor 1239 sei dann die no¨rdlich der vermuteten Marktsiedlung gelegene Neustadt entstanden. Archa¨ologische Untersuchungen der letzten Zeit haben nun ergeben, dass bereits seit karolingischer Zeit westlich der Burg Warburg mit ihrer Andreaskirche auf der

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sogenannten Hu¨ffert ein ansehnlicher Siedlungskomplex existierte,55 der sich um eine in die Missionszeit zuru¨ckreichende, 1622 abgerissene Petrikirche (die a¨lteste Pfarrkirche Warburgs) gruppierte und am Hang bis zur Diemelfurt hinabreichte (vgl. Abb. 1). Hier ist zu Meinwerks und Dodikos Zeiten wohl der zentrale Haupthof von Dodikos Grundherrschaft mit den von Irsigler herausgearbeiteten nichtagrarischen, gewerblichen Aktivita¨ten zu lokalisieren, ebenso wie das von ihm vermutete Marktgeschehen, das er als unprivilegierten, grundherrlichen „Sammelmarkt“ ansprach.56 In jedem Fall findet sich hier bereits vor der Jahrtausendwende und in das 11. Jahrhundert hineinreichend ein Siedlungskomplex betra¨chtlicher Gro¨ße, ausgestattet mit zentralen Funktionen und einigermaßen differenzierten wirtschaftlichen Funktionen in enger Verbindung mit einem befestigten Herrschaftssitz, dem ebenfalls zentrale Funktionen zuzuschreiben sind.57 Doch ging der Stadtbildungsprozess Warburgs seit dem 12. Jahrhundert nicht von diesem a¨lteren Siedlungskomplex mit nichtagrarischen Elementen aus, sondern die Plangru¨ndungen von Altstadt und Neustadt setzten im Warburger Siedlungsraum einen neuen Akzent,58 ihnen liegen offenbar neue Ordnungskonzeptionen zugrunde. Die Siedlung auf der Hu¨ffert verschwand zwar nicht vo¨llig, doch spielte sie in der sta¨dtischen Geschichte Warburgs fortan eine marginale Rolle. 2. Bei der Gru¨ndung des Bistums Wu¨rzburg 741/42 gelangte mit einer gro¨ßeren Zahl von Kirchen auch das monasterium constructum in honore sanctae Mariae in villa, quae vocatur Karloburgo in den Besitz Bischof Burkhards,59 und die erza¨h¨ bergang eines lenden Quellen zur fru¨hen Bistumsgeschichte berichten auch vom U castellum, quod Karloburg vocatur, cum fisco regali an die Wu¨rzburger Kirche zur Zeit ihres ersten Bischofs.60 Die Einzelheiten dieser Vorga¨nge, vor allem ihre Chronologie, sind schwierig zu beurteilen und brauchen hier nicht zu interessieren.61 Festzuhalten bleibt lediglich, dass um die Mitte des 8. Jahrhunderts ein gro¨ßerer Herrschaftskomplex „der Karolinger, bestehend aus einer Ho¨henbefestigung, einem dazu-

55 Vgl. dazu zusammenfassend Werner Best/Cornelia Kneppe/Hans-Werner Peine/Frank Siegmund,

Fru¨hmittelalterliche Siedlungszentren im Warburger Raum, in: Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff (Hg.), 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Leo III. in Paderborn, Bd. 3: Beitragsband zum Katalog der Ausstellung, Mainz 1999, S. 299–308, hier S. 301–307, mit Literatur. 56 Irsigler, Bischof Meinwerk (wie Anm. 51), S. 197; zu solchen Ma¨rkten vgl. oben mit Anm. 24. 57 Dabei ist zu beachten, dass Dodiko zumindest in der Retrospektive seit ca. 1080 nach der Burg Warburg benannt wurde, vgl. Irsigler, Bischof Meinwerk (wie Anm. 51), S. 185. 58 Vgl. Irsigler, Bischof Meinwerk (wie Anm. 51), S. 199. 59 Die Urkunde Karlmanns sowie eine Besta¨tigung Karls des Großen sind nicht erhalten, dagegen die Besta¨tigungsurkunden Ludwigs des Frommen von 822 (MonBo 28a, Nr. 11; BM2 768), Ludwigs des Deutschen (MGH DD LD 41), und Arnulfs (MGH DD Arn 67). 60 Desire´e Barlava (Hg.), Die Lebensbeschreibungen Bischof Burchards von Wu¨rzburg. Vita antiquior – Vita posterior – Vita metrica (MGH SSrG 77), Hannover 2005, S. 161. 61 Vgl. dazu zuletzt Dieter Ro ¨ del, Analyse der historischen Quellen, in: Peter Ettel, Karlburg – Roßtal – Oberammerthal. Studien zum fru¨hmittelalterlichen Burgenbau in Nordbayern (Vero¨ffentlichungen der Kommission zur vergleichenden Archa¨ologie ro¨mischer Alpen- und Donaula¨nder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Fru¨hgeschichtliche und provinzialro¨mische Archa¨ologie. Materialien und Forschungen 5), Rahden/Westf. 2001, S. 279–299, hier 289–292.

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Abb. 2: Karlburg am Main A Karlburg (Burg und villa mit Marienkloster) B Ehemalige Ausdehnung der villa, ersichtlich aus der Kartierung der Lesefunde mit Grabungsfla¨chen 1991–1992, 1994 und 1997 [Schraffur: Keramik; Punkte: Metallobjekte; G9 = Grubenhaus 9; G10 = Grubenhaus 10] Quelle: Ettel, Karlburg – Roßtal – Oberammerthal (wie Anm. 61), S. 39 Abb. 6

geho¨renden Ko¨nigshof, in dem sich ein Kloster befand“62 an die Wu¨rzburger Kirche u¨bergegangen ist (vgl. Abb. 2). Dann verschwindet Karlburg aus der schriftlichen

62 Ro ¨ del, Analyse (wie Anm. 61), S. 290.

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¨ berlieferung, bis 1133 bischo¨fliche Ministerialen de Karlburg genannt werden und U fu¨r die Zeit Bischof Konrads von Querfurt (1198–1204) die Anlage der Stadt Karlstadt auf dem o¨stlichen Mainufer, der a¨ltesten Stadt des Bistums, zu erschließen ist.63 Auch die Errichtung der Ho¨henburg auf der westlichen Mainseite wird ihm zugeschrieben, so wie er auch als incastellator montis in Wu¨rzburg selbst gilt.64 In der Forschung zur Geschichte des Bistums Wu¨rzburg und ihrer Strukturen von der Gru¨ndungszeit bis ins Hochmittelalter hat der Komplex Karlburg lange Zeit kaum eine Rolle gespielt.65 Das a¨nderte sich, als intensive Grabungen seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts erstaunliche Befunde ergaben. Auf der Ho¨he des westlichen Mainufers wurde eine umfangreiche Burganlage aufgedeckt, die von spa¨tmerowingischer Zeit bis in die salisch-fru¨hstaufische Periode genutzt worden war. Die spa¨tmittelalterliche, als Ruine erhaltene Ho¨henburg u¨bernahm nur einen geringen Teil dieser Anlage. Ebenfalls auf dem westlichen Mainufer, im Bereich des Dorfes Karlburg – der villa Karloburg der fru¨hmittelalterlichen Quellen –, ließ sich ein Siedlungskomplex von betra¨chtlicher Gro¨ße fassen, dessen Fundmaterial starke nichtagrarische Beta¨tigung, die Ausu¨bung handwerklicher Ta¨tigkeiten sowie die Anwesenheit sozial herausgehobener Personengruppen belegt. Insgesamt ergibt sich eine Siedlungsfla¨che von 1000 × 200 Meter, d. h. etwa 20 Hektar. Diese Siedlung hat bis ins fru¨he 13. Jahrhundert bestanden, dann jedoch offensichtlich an Bedeutung verloren, wobei eine Zersto¨rung des Platzes wa¨hrend einer Fehde der Wu¨rzburger Bischo¨fe mit den Grafen von Rieneck wohl lediglich noch beschleunigende Wirkung zukam.66 In der villa Karlburg, deren Siedlungsfla¨che die des spa¨teren Dorfes Karlburg weit u¨berschritt, scheint demnach ein a¨hnlicher Konzentrationspunkt nichtagrarischer wirtschaftlicher Funktionen, gebunden an eine Herrschaftskraft, vorzuliegen wie im Falle Warburg. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man in der Gru¨ndung Karlstadts auf dem o¨stlichen Mainufer, der bereits das neue Konzept der Gru¨ndungs- und Planstadt zugrundelag, eine Verlagerung dieser Funktionen an einen gu¨nstigeren Platz sieht. Vor allem war hier eine Befestigung des Platzes leichter und effizienter zu verwirklichen als in der engen linksmainischen Uferlage. Auf eine solche Befestigung jedoch kam es in den sich versta¨rkenden Auseinandersetzungen mit den Grafen von Rieneck, aber auch mit anderen Kra¨ften, etwa den Ravensburgern, fu¨r die Wu¨rzburger Bischo¨fe im beginnenden 13. Jahrhundert an. 3. Etwa zwei Kilometer westlich des Dombezirks von Paderborn, innerhalb der Feldmark der mittelalterlichen Stadt, ist eine Wu¨stung zu lokalisieren, die mit dem Namen Balhorn zuerst fu¨r 1015 in den schriftlichen Quellen belegt ist und noch um 63 Vgl. Alfred Wendehorst, Das Bistum Wu¨rzburg. Teil 1: Die Bischofsreihe bis 1254 (GermSacra NF

1), Berlin 1962, S. 195. 64 Wendehorst, Bistum Wu¨rzburg (wie Anm. 63), S. 195; Ettel, Karlburg (wie Anm. 61), S. 185. 65 Zu erwa¨hnen sind lediglich die Arbeiten von Paul Scho ¨ ffel, Herbipolis sacra (VGesFrkG IX, 7),

Wu¨rzburg 1948, sowie Hansjoachim Daul, Karlburg, eine fru¨hfra¨nkische Ko¨nigsmark, Wu¨rzburg 1961. 66 Vgl. die Zusammenfassung bei Ettel, Karlburg (wie Anm. 61), S. 36–41; Ders., castellum und monasterium in villa Karloburg – ein fru¨hmittelalterlicher Zentralort am Main des 7. bis 13. Jahrhunderts, in: Barbara Schock-Werner (Hg.), Zentrale Funktionen der Burg, Braubach 2001, S. 54–64; Ro¨del, Analyse (wie Anm. 61), S. 291.

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1300 als ansehnliche Siedlung von 41 Ho¨fen bestand.67 Zu Bischof Meinwerks Zeiten hatte hier ein bischo¨flicher villicus seinen Sitz, fu¨r den es offenbar nicht ungewo¨hnlich war, von Kaufleuten aufgesucht zu werden, die ihm Waren des Fernhandels anboten.68 Das deutet auf einen Ort von gro¨ßerem Gewicht als eine gewo¨hnliche la¨ndliche Siedlung, und dafu¨r spricht auch die Lage an der Kreuzung zweier wichtiger Verkehrswege: am Hellweg sowie am sogenannten Frankfurter Weg, der Nord-Su¨dStraße von Hessen in das o¨stliche Westfalen. Auch eine Gerichtssta¨tte ist fu¨r Balhorn belegt. Die archa¨ologische Forschung hat seit etwa 1970, mit Schwerpunkt in den Jahren von 1989 bis 2003, in Balhorn einen Siedlungskomplex erschlossen, der von der Zeit um Christi Geburt bis in das hohe Mittelalter Kontinuita¨t aufweist, offenbar eine Fla¨che von etwa 40 ha einnahm und auch zahlreiche Zeugnisse und Befunde fu¨r handwerkliche Ta¨tigkeit erbracht hat. Balhorn ist daher von Seiten der Archa¨ologen geradezu als „mittelalterliches Handwerksquartier“ und „zentraler Ort“ angesprochen worden.69 Gro¨ßere Za¨suren sind aus dem Fundmaterial weder fu¨r die Zeit des Eindringens der Sachsen noch fu¨r die fra¨nkische Eroberung unter Karl dem Großen zu erschließen, obwohl sich die Auswirkungen der Christianisierung durchaus im Fundgut niedergeschlagen haben. Lediglich die Belege fu¨r eine sozial herausgehobene, durch Kriegerstatus gepra¨gte Gruppe der Bevo¨lkerung sind fu¨r die Merowingerzeit und die a¨ltere Karolingerzeit sta¨rker vertreten und gehen im 9. Jahrhundert stark zuru¨ck, bis sie im 10. Jahrhundert ganz verschwunden sind. Die archa¨ologische Forschung hat dies in aller Vorsicht dahingehend interpretiert, dass diese Personengruppe in das Umfeld der neugegru¨ndeten Paderborner Pfalz abgewandert ist. Die Zeugnisse fu¨r handwerkliche Ta¨tigkeit laufen jedoch offenbar bis in das 12. Jahrhundert hinein weiter, so dass man an ein herrschaftliches, vom Bischof dominiertes Handwerkerquartier weit außerhalb der sich entwickelnden Stadt Paderborn zu denken hat. Es wa¨re dann allma¨hlich von der Stadt aufgesogen worden, und der Gesamtbefund ko¨nnte ein interessantes Zeugnis fu¨r jenen allgemeinen Konzentrationsprozess darstellen, der das Gewerbe aus grundherrschaftlichen Bindungen lo¨ste und auch bei a¨lteren Konzentrationen in diesem Rahmen eine Abwanderung in die Sta¨dte bewirkte. Die hier vorgestellten Beispiele ju¨ngster archa¨ologischer Forschung spiegeln die vielfa¨ltigen und aufs Ganze gesehen sehr unterschiedlichen Formen von Konzentration und Verdichtung vor allem gewerblicher Beta¨tigung außerhalb der civitates

67 Vgl. Manfred Balzer, Die Wu¨stungen in der Paderborner Stadtfeldmark, in: Spieker 25 (1977),

S. 145–174. 68 Vgl. den Bericht der Vita Meinwerci u¨ber den Versuch Bischof Meinwerks als Kaufmann verkleidet die

Amtsfu¨hrung seiner Amtstra¨ger zu kontrollieren, Tenckhoff, Vita Meinwerci (wie Anm. 52), S. 81. 69 Bernhard Rudnick, Balhorn – Archa¨ologie am Schnittpunkt. Ein mittelalterliches Handwerksquartier

am Hellweg (Archa¨ologie in Ostwestfalen 2), Paderborn 1997; Georg Eggenstein, Balhorn – ein Dorf im Zentrum des Fernverkehrs, in: Stiegemann/Wemhoff, 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit (wie Anm. 55), S. 401–405; Ders., Handel und Handwerk – Balhorn, ein zentraler Ort des Mittelalters, in: Fundort Nordrhein-Westfalen, Mainz 2000, S. 386–388; Ders., Der Hellweg – die a¨lteste Kommunikationslinie in Westfalen. Ausgrabung der mittelalterlichen Kontinentalverbindung in Balhorn bei Paderborn, in: Vom Stadtboten zur Informationsgesellschaft, Paderborn 2002, S. 26–35.

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von der Karolingerzeit bis in das hohe Mittelalter. Sie sind offensichtlich grundherrschaftlich gebunden und organisiert, jedoch gehen die Aktivita¨ten u¨ber eine an Autarkie orientierte Wirtschaft hinaus. Auch Handelsaktivita¨ten sind zu vermuten, ohne ¨ berlieferung sich niedass sie in der schriftlichen, insbesondere der urkundlichen U dergeschlagen haben, die etwa marktrechtliche Fragen geregelt ha¨tte. Nur ganz sel¨ berlieferung diese Vorga¨nge, und die vielleicht deutlichsten erfasst die schriftliche U ten Beispiele bieten die Privilegierung Freiburgs durch Konrad von Za¨hringen 112070 und die Urkunde des Abts Wibald von Stablo und Malmedy von 1138, in der er die Rechtsverha¨ltnisse von Burg und villa Logne regelte.71 Der Fall Freiburg, der von jeher eine cause cele`bre der deutschen Stadtgeschichtsforschung gebildet hat, braucht hier nicht ausfu¨hrlich dargestellt zu werden. Hervorgehoben sei lediglich, dass die archa¨ologische Forschung auch hier klargelegt hat, dass bereits vor 1100 eine nicht agrarische Siedlung zu Fu¨ßen der Burg bestand, der vermutlich andere im weiteren Umfeld vorausgingen.72 Diese Siedlung, die mo¨glicherweise selbst bereits das Ergebnis des hier interessierenden Konzentrationsprozesses war, erfuhr durch den Akt der Marktgru¨ndung und -privilegierung von 1120 eine Transformation, die in die Stadtwerdung mu¨ndete. Wibalds Urkunde u¨ber Logne ist weniger beachtet worden, sie gibt jedoch eine pra¨zise und ungemein anschauliche Beschreibung der Aktivita¨ten Wibalds, die den Konzentrationsprozess von Herrschaft, Siedlung und Wirtschaftsfunktionen im Gebiet von Logne ins Werk setzten.73 Das castellum Longie, die Burg Logne, die von Wibalds Vorga¨ngern im Amt zum Schutz der Klosterlande (ad tuitionem potius terre nostre) errichtet und ausgestattet, aber zwischenzeitlich in Verfall geraten war, wurde erneuert, versta¨rkt und mit einem Ministerialen besetzt. Die villa, que Longia dicebatur aber lag entfernt und lang gestreckt am Flussufer und erwies sich zur Versorgung der Burg als ungeeignet. Wibald entschloss sich daher, diese villa unterhalb der Burg an anderer, na¨her gelegener Stelle in einem geschlossenen Areal neu anzulegen und mit dem kurz zuvor von Ko¨nig Konrad III. gewa¨hrten Marktrecht auszustatten. Eine Marktstraße (fori platea) wurde vermessen, der Siedlungsraum in Grundstu¨cke aufgeteilt, die den ku¨nftigen, mit Freiheitsrechten ausgestatteten habitatores zu freiem Besitz u¨berlassen wurden. Der Urkundentext la¨sst erkennen, dass Wibald vor allem Leute seines Klosters als zuku¨nftige Bewohner Lognes ins Auge fasste, aber auch mit dem Zuzug von Eigenleuten anderer Herren rechnete. Man wird voraussetzen du¨rfen, dass es sich in erster Linie um Handwerker und Gewerbetreibende handelte, die so aus den einzelnen curtes des Klosters in einem zentralen Ort angesiedelt wurden. Walter Schlesinger hat festgestellt, dass die Bestimmungen der Wibald70 Van De Kieft/Niermeijer, Elenchus (wie Anm. 38), Nr. 55, S. 82–102. 71 Vgl. oben Anm. 48. 72 Vgl. dazu Heiko Steuer, Freiburg und das Bild der Sta¨dte um 1100 im Spiegel der Archa¨ologie,

in: Hans Schadek/Thomas Zotz (Hg.), Freiburg 1091–1120. Neue Forschungen zu den Anfa¨ngen der Stadt (Archa¨ologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Su¨dwestdeutschland 7), Sigmaringen 1995, S. 79–123; Hans Schadek/Matthias Untermann, Freiburg unter den Herzo¨gen von Za¨hringen, in: Heiko Haumann/Hans Schadek (Hg.), Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau, Bd. 1: Von den Anfa¨ngen bis zum „Neuen Stadtrecht“ von 1520, Stuttgart 1996, S. 57–132, bes. S. 88–99. 73 Wie Anm. 48.

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Urkunde „starke Elemente ku¨nftigen sta¨dtischen Rechts“ enthielten, und er zog daraus den Schluss: „Geht man allein von dieser Urkunde aus, kann man den Vorgang der Marktgru¨ndung von einer Stadtgru¨ndung kaum unterscheiden“74. So verha¨lt es sich in der Tat. Man vermag den Sachverhalt vielleicht auch anders zu formulieren: Wibald wusste noch nicht, dass er eine ‚Stadt‘ gru¨ndete. Er oder sein Urkundenschreiber verfu¨gten noch nicht u¨ber einen ada¨quaten Terminus, der zu erfassen vermochte, was hier ins Werk gesetzt wurde. Die Konzentration von Wirtschaftsfunktionen ist der grundlegende erste Schritt, und daher konnten die Marbacher Annalen auch der Meinung sein, die Stadtwerdung Freiburgs habe bereits 1091 unter Berthold von Za¨hringen begonnen.75 Die Ordnung des Siedlungsraumes, die rechtliche Regelung der Wirtschaftsta¨tigkeit und die Ausstattung mit Freiheitsrechten der Bewohner sind ein zweiter Schritt, entscheidend fu¨r die Ausformung des Typs der okzidentalen Stadt, die hier im Falle Logne, wobei beide Schritte zeitlich zusammenfallen, geradezu wie in einem Lehrbuch zu betrachten ist, ohne dass das Ergebnis im Urkundentext bereits auf den Begriff gebracht wu¨rde. Es liegt auf der Hand, dass diese vielfa¨ltigen Konzentrationsvorga¨nge und die sehr verschiedenartig verlaufende Herausbildung von abgestufter Zentralo¨rtlichkeit, die zwar um und kurz nach 1100 einen gewissen Reifegrad zu erreichen scheint, sich aber u¨ber einen sehr langen Zeitraum vom 9. Jahrhundert an erstreckt, nur schwierig kartographisch zu erfassen sind, ja sich vielleicht einer solchen Darstellung vollsta¨ndig entziehen. Fu¨r die zentralo¨rtliche Entwicklung in Polen als Grundlage der ´ Sta¨dtebildung hat vor etwa einem Jahrzehnt Sławomir Mozdzioch einen solchen Versuch vorgelegt.76 Er zeigt ein Netz zentralo¨rtlicher Pla¨tze, „ein von den Piasten in Polen gegru¨ndete[s] Netz von Distributionsnetzen“, an die die meist deutschrechtlichen, sogenannten Lokationssta¨dte anzuknu¨pfen vermochten.77 Die Rechnung geht in diesem Entwurf vielleicht ein wenig zu glatt auf, doch soll das hier nicht in Einzelheiten diskutiert werden, und ohne Zweifel ist in vielen Fa¨llen bei der Auslegung von Lokationssta¨dten zumindestens funktional, wenn nicht topographisch an a¨ltere Zentralorte angeknu¨pft worden. Die ju¨ngeren Forschungen zu polnischen und bo¨hmischen Stadtentwicklungen haben dies deutlich werden lassen.78 Fu¨r die hier interessierende Entwicklung jedoch vielleicht noch wichtiger ist das Entwicklungsmo´ dell, das Mozdzioch entworfen hat, und das den Gesamtvorgang ebenfalls als einen

74 Schlesinger, Markt (wie Anm. 24), S. 283. 75 Annales Marbacenses qui dicuntur, ed. v. Hermannus Bloch (MGH SSrG [9]), Hannover/Leipzig

1907, S. 37. 76 Sławomir Mozdzioch, ´ Zur Genese der Lokationssta¨dte in Polen in stadtgeschichtlicher Sicht, in:

Hansju¨rgen Brachmann, Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, Berlin 1995, S. 141–160, hier S. 158, Abb. 7. 77 Mozdzioch, ´ Genese (wie Anm. 76), S. 154, Abb. 4. 78 Vgl. etwa Jan M. Piskorski, Kolonizacja wiejska Pomorza Zachodniego w XIII i w pocłatkach XIV wieku na proceso´w osadniczycł w s´ redniowiecznej Europie, Pozna´n 1990; Ders,. Stadtentstehung im westslavischen Raum: Zur Kolonisations- und Evolutionstheorie am Beispiel der Sta¨dte Pommerns, in: Zeitschrift fu¨r Ostmitteleuropaforschung NF 44 (1995), S. 317–357; Piekalski, Von Ko¨ln nach Krakau (wie Anm. 37), sowie die Aufsa¨tze in Brachmann, Burg – Burgstadt – Stadt (wie Anm. 76).

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lang gestreckten Konzentrationsprozess verschiedener Funktionen versteht, an dessen Ende die Stadt steht (Abb. 3).79 Sie erscheint in Polen als Lokationsstadt und Importmodell, in Westen als Ergebnis eines langwierigen Prozesses, der um 1100 zur Reife kam und im 12. und 13. Jahrhundert von den Landesherren als Instrument der ´ Territorienbildung aufgegriffen wurde. Das Modell Mozdziochs hat bei den Historikern bislang nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die es verdient, doch eignet es sich auch fu¨r die Verdeutlichung der Entwicklung im Reich, die von der Herauslo¨sung der im Fru¨hmittelalter weithin in grundherrschaftlichen Bindungen verhafteten, geographisch dislozierten Wirtschaftsfunktionen von Handel und Gewerbe und deren fortschreitender konzentrierter Ansiedlung in privilegierten Pla¨tzen mit zusa¨tzlichen milita¨rischen, administrativen und kultischen Funktionen gepra¨gt ist, bis im 11./12. Jahrhundert das Modell der mit Freiheitsrechten ausgestatteten Stadt entwickelt war. Vor diesem Hintergrund werden die Entwicklungen im Reich, im Westen allgemein und in Ostmitteleuropa, die sich zeitverschoben vom 11. bis in das 14. Jahrhundert vollziehen, besser vergleichbar. Setzt man etwa die Entwicklung in Warburg mit der Siedlungsverschiebung von der Hu¨ffert mit ihren karolingischen Wurzeln zu Altstadt und Neustadt Warburg oder die Ablo¨sung des Karlburg-Komplexes durch die Stadt Karlstadt in Parallele zu den Verha¨ltnissen in Oppeln (Opole), wo die ‚Rechtsstadt‘ gegenu¨ber einer a¨lteren slawischen Siedlung auf dem anderen Oderufer angelegt wird, dann wird deutlich, dass in allen Fa¨llen der gleiche Effekt erzielt wird. Auch in Oppeln bildete sich auf der Oderinsel Pascheka, am Platz der spa¨teren Piastenburg, innerhalb eines Holzerdewalls auf einer Fla¨che von 0,5 Hektar eine Siedlung von ca. 100 Ha¨usern, deren archa¨ologische Hinterlassenschaft auf eine Bevo¨lkerung von Kaufleuten und Handwerkern schließen la¨sst und die vom 9. bis ins 13. Jahrhundert bestand. Offensichtlich bildete sie das Zentrum des Verbandes der in sogenannten „Bairischen Geographen“ genannten Opolini, und die wirtschaftlichen Aktivita¨ten waren ohne Zweifel herrschaftlich organisiert, auch wenn die Lage der anzunehmenden Kastellaneiburg bislang nicht bekannt ist (Abb. 4).80 In allen drei Fa¨llen – Warburg, Karlburg/Karlstadt und Oppeln – wird trotz topographischer Verschiebungs- und Verlagerungsvorga¨ngen, die in Plananlagen mu¨nden – die Zentralfunktion des Platzes, oder doch des weiteren Siedlungsraumes, beibehalten. Sie wird gesta¨rkt durch eine Neuorganisation der Wirtschafts- und Sozialordnung, die auf neu konzipierten Freiheitsrechten der Bewohner beruht. Die Anknu¨pfung der neu gegru¨ndeten oder neu entstehenden Sta¨dte des 12. und 13. Jahrhunderts an a¨ltere Zentren mit herrschaftlichen und wirtschaftlichen Funktionen darf als eine Art funktionaler Kontinuita¨t bezeichnet werden, und sie ist im Reich, wie auch im Gebiet der Ostsiedlung gleichermaßen gegeben. Es bedeutet gewiss keine „unangebrachte Konzession“,81 wenn man die Gleichartigkeit der Pha¨nomene unter79 Mozdzioch, ´ Genese (wie Anm. 76), S. 158; vgl. auch das Modell bei Beutmann, Zur Typologie (wie

Anm. 30), S. 203 u. 206. 80 Vgl. zur Stadtentwicklung von Oppeln lediglich Walter Kuhn, Oppeln (DtStAtl II, 11), Dortmund

1979. 81 Vgl. oben mit Anm. 6.

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streicht. Der entscheidende Faktor fu¨r die Neuentwicklung des 12. Jahrhunderts ist die Freisetzung der Tra¨ger von Handel und Handwerk von herrschaftlichen Bindungen ihrer Ta¨tigkeit.

Militärfunktion

politischadministrative Funktion

9.-10. JH. a

11.-12. JH.

kultischkirchliche Funktion

politischadministrative Funktion

Handel, Verteilung

Militärfunktion

kultischkirchliche Funktion

b

Produktion

Produktion

frühstädtischer Komplex

Handel, Verteilung

politischadministrative Funktion

13.-14. JH. c

Handel, Verteilung kultischkirchliche Funktion

Produktion

Stadt

Militärfunktion

Abb. 3: Verschiedene Modelle der Raumorganisation der Pla¨tze mit zentralo¨rtlichen Funktionen ´ Quelle: Mozdzioch, Genese der Lokationssta¨dte (wie Anm. 76), S. 158, Abb. 7

Inwieweit Konzentrationsprozesse und Verdichtungsvorga¨nge o¨konomischer Natur, wie sie hier verfolgt wurden, wa¨hrend des Investiturstreitzeitalters besonders nachhaltig und intensiv verliefen, ist schwierig zu beurteilen. Zum einen fehlen weiterhin Befunde wie in Warburg, Karlburg oder Balhorn, in jedem Fall fehlt eine u¨ber-

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Abb. 4: Wachstumsphasen der Stadt Oppeln 1 : 5000 Entwurf von W. Kuhn, H. Stoob Quelle: Kuhn, Oppeln (wie Anm. 80)

sichtliche Zusammenstellung in der Forschungsliteratur. Zum andern sind chronologische Schwerpunkte solcher Entwicklungen archa¨ologisch kaum zu fassen. Auch die ¨ berlieschriftlichen Quellen sind nicht ergiebig. Allerdings bietet die urkundliche U

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ferung mit ihrer großen Zahl von Marktbesta¨tigungen und Privilegierung von Neuerrichtungen durch Kaiser Heinrich IV., die gerade auch Pla¨tze außerhalb der civitates betreffen,82 immerhin ein Indiz, das auf eine Intensivierung der Konzentrationsprozesse hinweist. Freiheitsprivilegien allerdings, wie jene fu¨r Huy und Geraardsbergen in den sechziger Jahren des 11. Jahrhunderts,83 bleiben in der Vereinzelung. Erst im dritten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts setzen mit dem Freiburger Stadtrecht84 Privilegierungen ein, die Freiheitsrechte und Selbstverwaltung verleihen. Auch die Nachrichten u¨ber die Errichtung sta¨dtischer Siedlungen beginnen erst um diese Zeit , wobei – wie der Fall Logne zeigt – die Terminologie noch unscharf bleibt.85 Ein weiteres ist festzuhalten. Gerhard Dilcher hat nachdru¨cklich herausgearbeitet, dass es im deutschen Raum anders als in Oberitalien, Nordostfrankreich und Flandern nicht zu einer Kommunebildung von Dauer gekommen ist. Die Aufsta¨nde, wie sie wa¨hrend des Konflikts Heinrichs IV. mit dem Papst in den siebziger Jahren in den Bischofssta¨dten Worms, Ko¨ln, Mainz und Wu¨rzburg ausbrechen, fu¨hren nicht in eine eidliche Kommune. „Die deutsche civitas“ – so schloss Dilcher – „bleibt zuna¨chst stadtherrlich.“ Er fu¨gte jedoch hinzu: „Die Festigung genossenschaftlicher und gemeindlicher Strukturen – ich mo¨chte sie aber ausdru¨cklich nicht Gemeindebildung nennen – geht freilich unter stadtherrlicher Anleitung weiter“.86 Gerhard Dilcher hat nicht in der Entwicklung in den civitates die entscheidenden Schritte zur Erringung der bu¨rgerlichen Freiheit gesehen: „Der Sprung nach vorne im gemeinsamen Freiheitsstatus, den die Begru¨ndung der Kommune anderen Stadtregionen brachte, unterblieb also zuna¨chst in Deutschland an der Schwelle zum 12. Jahrhundert. Er findet sich zuerst bei Neugru¨ndungen.“87 Damit ru¨cken die Pla¨tze in den Vordergrund, die hier vorzugsweise behandelt wurden. Gerhard Dilcher erkennt dabei im Markt den großen Integrationsfaktor mit Zu¨gen von Selbstverwaltung und billigt den Kaufleuten, die insgesamt als die am fru¨hesten in verschiedenartiger Weise privilegierte Gruppe erscheinen, eine wichtige Rolle zu.88 Das Gewicht der Kaufleute in der werdenden sta¨dtischen Gesellschaft – sei es in den civitates oder in den neuentstehenden Sta¨dten – ist kaum zu bestreiten. Zu den Kaufleuten und ihrem Verha¨ltnis zu den Herrschaftskra¨ften, denen die initiierende Rolle bei Gesellschaftsumbau und Stadtgru¨ndung zukam, ist demnach am Schluss noch einmal zuru¨ckzukehren. Das ist auch deswegen notwendig, weil an die Stelle der Privilegierung der Kaufleute zunehmend die Privilegierung der cives – verstanden als die Gesamtheit der Einwohner, der habitatores – trat, die auch Rechte u¨bernahmen, die urspru¨nglich nur den Kaufleuten zugedacht waren. 82 MGH DD HIV, Teil 3, in registro s. v. forum und mercatum. 83 Vgl. oben mit Anm. 38 und 39. 84 Vgl. oben mit Anm. 40. 85 Vgl. oben mit Anm. 73 und 74. 86 Dilcher, Stadtherrschaft oder kommunale Freiheit (wie Anm. 9), S. 40; zu Ko¨ln, dem auch Dilcher

eine fu¨hrende Rolle zubilligt, vgl. Franz-Reiner Erkens, Sozialstruktur und Verfassungsentwicklung in der Stadt Ko¨ln wa¨hrend des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Jarnut/Johanek, Fru¨hgeschichte der europa¨ischen Stadt (wie Anm. 9), S. 169–192. 87 Dilcher, Stadtherrschaft oder kommunale Freiheit (wie Anm. 9 ), S. 42. 88 Ebd.

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Das zeigt sich besonders deutlich in der Privilegierung der Quedlinburger Kauf¨ btissin Adelheid von Quedlinburg leute. Kaiser Heinrich III. hat 1042 auf Bitten der A den negociatores de Quellingborg nach dem Vorbild Konrads II. das Recht besta¨tigt, nach dem auch die mercatores von Goslar und Magdeburg lebten. Diese Urkunde wurde offenbar 1134, als eine besta¨tigende Privilegierung durch Lothar III. anstand, durch eine Interpolation erweitert, die den Kaufleuten eine eigene Gerichtsbarkeit u¨ber Lebensmittel zugestand. Bereits in dieser Interpolation des Heinrich-Diploms sollten die Einku¨nfte aus den Gerichtsfa¨llen zu drei Vierteln den cives zufallen, wa¨hrend in einer weiteren Strafbestimmung der Sanctio – dieses Mal im urspru¨nglichen Text – die Ha¨lfte der Strafsumme wieder den mercatores zugesprochen wird.89 Das Lothar-Diplom von 1134 spricht zwar – dem Heinrich-Diplom folgend – zuna¨chst vom Recht der Kaufleute, die Gerichtsbarkeit u¨ber die Lebensmittel aber sollen die cives ausu¨ben.90 Das Changieren in der Terminologie zeigt deutlich, dass die Kaufleute weitgehend in die Bu¨rgerschaft integriert waren und ihre Rechte auf diese u¨bergingen. Auch Gerhard Dilcher hat den Gang der Entwicklung a¨hnlich gesehen: „Anstelle der privilegierten Kaufleute treten die Bewohner des Marktortes, cives forenses“.91 Selbstversta¨ndlich kam den Kaufleuten jedoch besonderes Gewicht zu. Das zeigt schon ihre Rolle beim Ko¨lner Aufstand gegen Erzbischof Anno im Jahre 1074, als dieser mit der Beschlagnahme eines Schiffs mercatoris cuiusdam predivitis fu¨r den Transport des Bischofs von Mu¨nster gegen die Gescha¨ftsinteressen der Kaufmann¨ berheblichschaft zum gewa¨hlten Zeitpunkt verstieß.92 Es war sicherlich nicht nur U keit gegenu¨ber der Rechtsstellung der Kaufleute oder allein jener Makel des Ja¨hzorns, den Lampert von Hersfeld an Anno tadelte,93 der den Erzbischof zu diesem Schritt und zu seiner Haltung im Streit veranlasste, sondern wohl durchaus auch ein genuiner eigener Rechtsstandpunkt. Es muss an die mannigfachen Abha¨ngigkeiten erinnert werden, in denen Kaufleute zu einem Stadtherrn fu¨r gewo¨hnlich standen,94 und Anno betrachtete sicherlich die in Ko¨ln ansa¨ssigen Kaufleute ebenso wie noch Konrad III. die Kaufleute von Kaiserswerth95 als seine Kaufleute und meinte, bei Bedarf in ihre Verha¨ltnisse eingreifen zu ko¨nnen. Es liegt auf der Hand, dass er damit inzwischen gewachsene Realita¨ten verkannte. Etwas mehr als ein Jahrhundert spa¨ter, gegen 1200, hat sich diese Haltung der Herrschaftstra¨ger hinsichtlich der rechtlichen Stellung von Kaufleuten vera¨ndert. So haben etwa Graf Arnold von Altena und sein Sohn Everhard lange Zeit gegenu¨ber der Stadt Bremen an ihren Rechten an einem offenbar als Eisenha¨ndler ta¨tigen Mann namens Werenzo festgehalten, dann aber auf diese Rechte verzichtet und ihm Geleit, 89 MGH DD HIII 93; zur Interpolation ausfu¨hrlich in der Vorbemerkung. 90 MGH DD LoIII 61; das Diplom ist im Stadtarchiv Quedlinburg u¨berliefert. 91 Dilcher, Stadtherrschaft oder kommunale Freiheit (wie Anm. 9), S. 42. 92 Lamperti monachi Hersfeldensis opera, a. 1074, ed. v. Oswald Holder-Egger (MGH SSrG [38]),

Hannover 1894, S. 185–190, hier S. 186; zum Aufstand vgl. nur Erkens, Sozialstruktur und Verfassungsentwicklung (wie Anm. 86), S. 182f. 93 Holder-Egger, Lamperti opera (wie Anm. 92), S. 187. 94 Vgl. oben mit Anm. 22–30. 95 Vgl. oben mit Anm. 29.

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d. h. Bewegungsfreiheit per totam terram nostram, gewa¨hrt, weil sie darin ihren o¨konomischen Vorteil erkannten.96 In solchen Erkenntnissen liegt auch die Antriebskraft zur Etablierung von Sta¨dten, zum Ausbau und zur Privilegierung der o¨konomischen und herrschaftlichen Zentren, die seit der Karolingerzeit entstanden und von den Herrschaftskra¨ften gefo¨rdert worden waren, wie zur Neuanlage von Sta¨dten. Die Initiative liegt beim Stadtherrn, der jedoch mit dem Gewicht der Kaufleute als sozialer Kraft zu rechnen hatte, deren Ta¨tigkeit, auch wenn sie als Dienstleute des Stadtherrn agierten, ihnen gro¨ßere Spielra¨ume als anderen Gliedern der familia verschaffte. Das klassische Beispiel der Stadtgeschichtsforschung zur Verdeutlichung von Stadtgru¨ndungsvorga¨ngen ist Lu¨beck, wo man sogar die fu¨hrende Rolle eines Unternehmerkonsortiums zu erkennen meinte.97 Es sind jedoch Graf Adolf von Holstein und Heinrich der Lo¨we, die die Qualita¨ten des Hu¨gels von Lu¨beck erkannt haben und um ihn konkurrierten, um dort eine Stadt zu gru¨nden, die ihre Herrschaft in der Region zu sta¨rken geeignet war. Die Kaufleute folgten Heinrich dem Lo¨wen in seine Lewenstad, ja sie schlugen ihm sogar vor, sie zu gru¨nden. Sie folgten der Macht, die nicht nur den eigentlichen Marktfrieden garantierte, sondern auch den ungefa¨hrdeten Zugang zu sichern in der Lage war. Als Heinrich der Lo¨we sich gegen Graf Adolf durchzusetzen vermochte und den Platz Lu¨beck in seine Ha¨nde brachte, haben die Kaufleute cum gaudio die Lo¨wenstadt verlassen und sich wieder in Lu¨beck angesiedelt. Von Graf Adolf war nicht mehr die Rede. Was hier zu beobachten ist, pra¨sentiert sich als Zusammenspiel von stadtherrlichem Machtpotential und kaufma¨nnischem Interesse. Im Sa¨kulum von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts – bezeichnet durch die Freiheiten von Huy und Geraardsbergen auf der einen und durch die bei Helmold von Bosau beschriebenen Vorga¨nge bei der Gru¨ndung Lu¨becks – vollzieht sich offenbar in der Tat eine bemerkenswerte Entwicklung in der Einstellung der Herrschaftskra¨fte zu jenen Zentren, in denen sich Gewerbe und Handel, aus grundherrschaftlichen Bindungen gelo¨st, unter Wachstumsprozessen etablierten und die die Topographie wie die Sozial- und Rechtsform der okzidentalen Stadt anzunehmen begannen. Diesem durchaus als Herrschaftsinstrument begriffenen Sozialgebilde geho¨rte die Zukunft, selbst wenn die mit Freiheitsrechten begabte Stadt nicht in jedem Einzelfall sich erfolgreich entwickelte, es zu Fehlgru¨ndungen kam, bei denen die vorhandenen politischen Spielra¨ume bei der Wahl und Durchsetzung des Standortes eine Rolle spielten.98 So kann kein Zweifel bestehen, dass Heinrich der Lo¨we Lu¨beck gegru¨ndet hat und nicht ein Unternehmerkonsortium. Heinrich der Lo¨we hat jedoch in einem la¨ngeren Prozess seine Interessen mit denen der Kaufleute, die als 96 Vgl. Peter Johanek, Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfalen wa¨h-

rend des Mittelalters, in: Ferdinand Opll (Hg.), Stadt und Eisen (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 11), Linz/Donau 1992, S. 15–36, hier S. 23f. 97 Vgl. den Bericht Helmolds von Bosau in Helmolds Slavenchronik, ed. v. Bernhard Schmeidler (MGH SSrG [32]), Hannover 1937, c. 58 (S. 112f.), c. 71 (S. 137), c. 76 (S. 145), c. 86 (S. 168f.); Lit. zum Gru¨ndungsvorgang oben Anm. 5. 98 Vgl. den Fall Logne; bereits Schlesinger, Markt (wie Anm. 24), S. 281f., wies auf Fehlplanungen trotz Privilegierung hin; fu¨r den Bereich der Lokationsstadt in Ostmitteleuropa vgl. Piekalski, Von Ko¨ln nach Krakau (wie Anm. 37), S. 238.

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soziale Kraft großes Eigengewicht besaßen, abgeglichen, mit ihnen einen Kompromiss gefunden. Noch deutlicher wird dies vielleicht in einem anderen Vorgang, der sich nur kurze Zeit zuvor abspielte. Im Jahr 1145 wurde Konrad III. von seinen cives in Duisburg gebeten, ihnen ihre Ha¨user, domos sive aedificationes, quas circa palatium et curiam regalem sive supra forum locaverant, zu besta¨tigen. Es ging also um eine jener Grundkonstituenten sta¨dtischen Lebens, den freien Grundbesitz. Konrad III. gewa¨hrte ihnen die Bitte auf Rat der principes et fideles, damit der locus Duisburg ab habitatoribus ipsius tanto studiosius coleretur.99 Wiederum wird hier jener soeben angesprochene Abgleich der Interessen sichtbar und im Grunde in jeder der fru¨hen stadtrechtlichen Aufzeichnungen, die hier nicht im Einzelnen aufzuza¨hlen sind. Deutlich wird in diesen Vorga¨ngen eine Herrschaftsform des Konsenses bei der Etablierung neu entwickelter o¨konomischer Zentren jeder Gro¨ßenordnung, im Rahmen einer Sozial- und Rechtsordnung, die der dritten Ebene der Weberschen Formel fu¨r die okzidentale Stadt entspricht. Die Investiturstreitzeit ist – zum mindesten in Deutschland – die Inkubationszeit fu¨r diese Herrschaftsform, die den Herrschaftskra¨ften die Hoffnung geben konnte, die Probleme zu bewa¨ltigen, die aus dem von ihnen selbst ins Werk gesetzten Umbau der Gesellschaft entstanden.

99 MGH DD KoIII 135.

¨ DTE – KLEINE STA ¨ DTE LANDESHERRLICHE STA Umrisse eines europa¨ischen Pha¨nomens* [Erstabdruck: Landesherrliche Sta¨dte in Su¨dwestdeutschland, hg. v. Ju¨rgen Treffeisen/Kurt Andermann (ObrhStud 12), Sigmaringen 1994, S. 9–25]

„Einen Menschen, der lange durch waldige Wildnis reitet, erfaßt die Sehnsucht nach einer Stadt“. So beginnt einer der einleitenden Abschnitte in Italo Calvinos Buch „Die unsichtbaren Sta¨dte“. In diesem Buch, einem fingierten Bericht Marco Polos, schildert der venezianische Reisende dem Monogolenherrscher Kublai Khan die Sta¨dtewunder der Welt, so wie er in seinem realen Buch, das uns aus dem Mittelalter u¨berliefert ist, den Venezianern die Mirabilia Asiens beschrieb.1 Wer lange durch die waldige Wildnis reitet, den u¨berfa¨llt die Sehnsucht nach einer Stadt. Das Kunstwerk der von Menschen erbauten und bevo¨lkerten Stadt wird in Kontrast gesetzt zu der feindli¨ de der unberu¨hrten Natur. Eine solche Aussage widerspricht zwar im Grunde chen O unserem heutigen Empfinden, doch obwohl Italo Calvino ein Autor unserer Tage ist, hat er – nach allem, was wir wissen – in diesem Satz eine Maxime des mittelalterlichen Denkens u¨ber Zivilisation rekonstruiert. Die Stadt – das Sozialgebilde Stadt so gut wie ihr baulicher Ko¨rper – gilt als das faszinierendste Gebilde, das menschliches Zusammenleben hervorgebracht hat. Alle jene Wissenschaften, die sich mit dem Menschen und mit den Formen menschlicher Interaktionen befassen – also vor allem auch die Geschichtswissenschaft –, haben sich immer wieder mit der Stadt bescha¨ftigt und sich bemu¨ht, die facettenreiche Geschichte dieses Gebildes zu erforschen. Doch auch in der allgemeinen Vorstellungswelt, dort, wo es nicht um Wissenschaft geht, spielten die Stadt und ihre Geschichte eine außerordentlich große Rolle, sei es die Stadt der Antike, der außereuropa¨ischen Kulturen, die Sta¨dte des Mittelalters, ja der vorindustriellen Zeit insgesamt oder auch die Metropolen des Industriezeitalters. Vor allem die mittelalterlichen Sta¨dte haben seit dem 19. Jahrhundert, das das Mittelalter insgesamt neu ent-

* Mein Vortrag in Ettlingen, der als o¨ffentlicher Abendvortrag fu¨r ein breiteres Publikum konzipiert

¨ nderungen zum Abdruck. Er beansprucht nicht, worden war, gelangt hier mit ganz geringfu¨gigen A eine systematische Analyse des Gegenstandes zu geben und ist lediglich mit den notwendigsten Literaturhinweisen versehen. 1 Italo Calvino, Le citta` invisibili, Torino 51983, S. 16; zu Marco Polo vgl. neuerdings Folker E. Reichert, Begegnungen mit China. Die Entdeckung Ostasiens im Mittelalter (Beitra¨ge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 15), Sigmaringen 1992, bes. S. 142ff.

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deckte, die Phantasie in besonderem Maße angeregt. In ihnen erblickte man die Sinnbilder weltumspannenden Handels, ta¨tigen Gewerbefleißes, den Ursprung bu¨rgerlicher Kultur und bu¨rgerlicher, freiheitlicher Verfassung. Die Geschichte der mittelalterlichen Stadt schien und scheint vielen noch heute die Legitimationsgrundlage fu¨r das Handeln in der jeweiligen eigenen Gegenwart abgeben zu ko¨nnen.2 Diese Schlagworte bestimmen noch heute weithin unser Geschichtsbild und dies mit einiger Berechtigung, fu¨r die Beweisgru¨nde hier nicht darzulegen sind. Doch fragt man nach den Bildern, die man sich von den mittelalterlichen Sta¨dten macht, nach den Beispielen, die dabei in den Sinn kommen, dann sind es die großen Sta¨dte – ganz so, wie in Italo Calvinos Buch Marco Polo bekennt, immer nur von Venedig zu sprechen, wenn er von Sta¨dten spricht. In den großen bekannten Werken u¨ber die Geschichte der Stadt, die auch fu¨r ein allgemeines Publikum geschrieben sind – wie etwa in dem beru¨hmten Werk von Lewis Mumford, das schon heute als Klassiker gelten darf –, sind es die großen Sta¨dte, von denen die Rede ist. In Wolf Schneiders Buch ¨ berall ist Babylon“, von dem allein im Erscheinungsjahr 1960 100 000 Exemplare „U verkauft wurden, deutet bereits der Titel diese Gedankenverbindung an.3 Das Stichwort „Kleinstadt“ sucht man dort im Register jedenfalls vergebens. Babylon, Bagdad, Rom, Konstantinopel, Venedig, London: Das sind die Lemmata, die hier erscheinen. Fu¨r die Deutschen sind es die Sta¨dte der deutschen Hanse und die oberdeutschen Handelssta¨dte, die Freien und Reichssta¨dte, die das Exemplarische der Stadt ausmachen: Ko¨ln, Lu¨beck, Augsburg und vor allem Nu¨rnberg. In ihnen manifestiert sich im allgemeinen Versta¨ndnis die geschichtliche Grundlage eines freien und unabha¨ngigen, sich selbst bestimmenden Bu¨rgertums und bu¨rgerlicher Wirtschaftskraft. Von ihnen soll hier nicht die Rede sein; hier geht es um landesherrliche Sta¨dte. Der Titel dieses Beitrags fu¨gt noch hinzu, daß es sich um kleine Sta¨dte handeln soll, und die Kleinstadt bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch meist schon von vornherein den Widerpart genuin sta¨dtischen Lebens, den Gegensatz zu wirklicher Urbanita¨t. Es wird sich noch herausstellen, wie es sich damit verha¨lt. Zuna¨chst aber sind einige allgemeine Vorbemerkungen notwendig. Die Rede ist einmal von landesherrlichen Sta¨dten, also von Sta¨dten, bei denen ein Territorialherr – ein Landesfu¨rst – Einfluß, ja Herrschaft u¨ber die Stadt ausu¨bt. Dabei sind auf der einen Seite die Zugriffsmo¨glichkeiten des Stadtherrn wie auf der anderen die Spielra¨ume bu¨rgerlicher Autonomie außerordentlich variabel. Die Verbindung mit den kleinen Sta¨dten, wie die Titelformulierung sie vornimmt, ko¨nnte nun suggerieren, daß landesherrliche Sta¨dte eo ipso klein seien, daß es sich bei ihnen stets um Kleinsta¨dte handeln mu¨sse. Das ist bekanntlich nicht richtig. Auch große, ja sehr große Sta¨dte geho¨ren in die Kategorie der landesherrlichen Sta¨dte: Braunschweig etwa oder Wismar, Leipzig, Erfurt und Mu¨nchen sind solche Beispiele, um nur die zu nennen, die bereits im Mittelalter zu den Großsta¨dten oder großen Mittelsta¨dten gerechnet werden konnten. Auch die Residenzsta¨dte, wie sie sich seit dem Ausgang des Mittelalters entwickelten und 2 Vgl. Peter Johanek, Mittelalterliche Stadt und bu¨rgerliches Geschichtsbild im 19. Jahrhundert, in:

Gerd Althoff, Die Deutschen und ihr Mittelalter, Darmstadt 1992, S. 81–100.

3 Lewis Mumford, The city in history, London 1961; Wolf Schneider, U ¨ berall ist Babylon. Die Stadt

als Schicksal des Menschen von Ur bis Utopia, Du¨sseldorf 1960.

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zunehmend planma¨ßig ausgebaut wurden, zielten zumindestens ihren Intentionen nach, wie sie den Planungen zugrunde lagen, u¨ber den Charakter einer Kleinstadt hinaus. Gerade die Residenzsta¨dte aber – das bedarf kaum der Betonung – sind landesherrliche Sta¨dte par excellence.4 Auf der anderen Seite gilt aber auch, daß nicht alle Reichssta¨dte große Sta¨dte waren. Auch hier reichte die Bandbreite von den bereits genannten Großsta¨dten Ko¨ln, Nu¨rnberg und Augsburg u¨ber Mu¨hlhausen in Thu¨ringen, Schwa¨bisch Hall oder No¨rdlingen bis hin zu kleineren Sta¨dten wie Schweinfurt, Isny oder Leutkirch, ja in der Vorstellungswelt am Ende des Alten Reichs bis hinab zu Jean Pauls Reichsflecken Kuhschnappel in der Dichtung und Soden am Taunus in der verfassungsrechtlichen Realita¨t. Landesherrliche Stadt und kleine Stadt sind demnach nicht von vornherein Synonyme. Soviel jedoch la¨ßt sich vorwegnehmen: landesfu¨rstliche Politik im Mittelalter wie in der fru¨hen Neuzeit mußte sich zwar stets mit den Sta¨dten ganz allgemein, in der ganzen Breite der Skala ihrer Gro¨ßenordnungen wie ihres wirtschaftlichen und politischen Gewichts auseinandersetzen, sofern sie in die Interessen des jeweiligen Territoriums in irgendeiner Form eingebunden waren. Die kleinen Sta¨dte aber sind in besonderem Maße Instrument landesherrlicher Politik, ja die weitaus u¨berwiegende Zahl der kleinen Sta¨dte, die die Landkarte des Alten Reichs im spa¨ten Mittelalter und in der Neuzeit bis zur Urbanisierungswelle der Industrialisierung bestimmten, verdankte ihre Entstehung und erste Ausformung landesherrlicher Politik. Dieser Tatbestand gibt auch die Berechtigung, die beiden Begriffe „landesherrliche Stadt“ und „kleine Stadt“ eng aneinanderzuru¨cken. Ist man berechtigt, von einem europa¨ischen Pha¨nomen zu sprechen? Hier fa¨llt die Antwort schon schwerer. Kleine Sta¨dte, Kleinsta¨dte sind ohne Zweifel in ganz Europa anzutreffen. Jedoch die landesherrlichen Sta¨dte sind ein Spezifikum der deutschen Geschichte, der Verfassungs- und Herrschaftsstruktur des Heiligen Ro¨mischen Reiches deutscher Nation, das bekanntlich eine andere Entwicklung genommen hat als etwa die großen zentralen Monarchien Westeuropas. Es scheint also an Vergleichsbeispielen zu mangeln, denn die Sta¨dte Frankreichs und Englands sind zum gro¨ßten Teil ko¨nigliche Sta¨dte. Landesherrschaft, territoriale Herrschaft, hat sich in Frankreich nur ansatzweise ausgebildet, um dann von ko¨niglicher Herrschaft u¨berdeckt zu werden; in England fehlt es daran im Grunde von Anfang an. Dennoch gibt es dort in den nicht seltenen Sta¨dtegru¨ndungen des Adels Vergleichsbeispiele, und sie werden heranzuziehen sein. Auch wenn ich hier nur punktuell verfahren kann, also

4 Vgl. dazu Hans Patze/Gerd Streich, Die landesherrlichen Residenzen im spa¨tmittelalterlichen deut-

schen Reich, in: BllDtLG 118 (1982), S. 205–211; Hans Patze/Werner Paravicini (Hg.), Fu¨rstliche Residenzen im spa¨tmittelalterlichen Europa (VuF 36), Sigmaringen 1991; Peter Johanek (Hg.), Vortra¨ge und Forschungen zur Residenzenfrage (Residenzenforschungen 1), Sigmaringen 1990, darin v. a. Klaus Neitmann, Was ist eine Residenz?, S. 11–43; Kurt Andermann (Hg.), Residenzen – Aspekte hauptsta¨dtischer Zentralita¨t von der fru¨hen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie (ObrhStud 10), Sigmaringen 1992, darin v. a. Edith Ennen, Residenzen. Gegenstand und Aufgabe neuzeitlicher Sta¨dteforschung, S. 189–198 (mit reicher Literatur); Klaus Flink/Wilhelm Janssen (Hg.), Territorium und Residenz am Niederrhein (Klever Archiv 14), Kleve 1993; ein instruktives Fallbeispiel bietet neuerdings noch Birgit Ku¨mmel/Richard Hu¨ttel (Hg.), Indessen will es gla¨nzen. Arolsen, eine barocke Residenz, Korbach 1992.

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keine systematischen Vergleiche anstellen werde, meine ich doch, daß die europa¨ischen Dimensionen wenigstens einigermaßen sichtbar zu machen sind. Noch einmal: Denkt man an die Stadt in der abendla¨ndischen Geschichte, so stellt sich fast unwillku¨rlich die Erinnerung an die großen Handelssta¨dte des Mittelalters und an die Reichssta¨dte ein, obwohl die lebendige Anschauung einer Fahrt durch das Land jedermann eines besseren belehren ko¨nnte. Einige Zahlen ko¨nnen die Gro¨ßenverha¨ltnisse deutlich machen. Die Wormser Reichsmatrikel von der Wende des Mittelalters zur Neuzeit fu¨hrt 85 Reichs- und Freie Sta¨dte auf. Im Regensburger Reichstag saßen 1792 noch 51. Dagegen schwanken die Scha¨tzungen fu¨r die Landsta¨dte, das heißt die landesherrlichen Sta¨dte im Reich, bei den einzelnen Forschern zwischen 3000 (Fritz Ro¨rig) und 4000 (Hektor Ammann).5 Heinz Stoob hat fu¨r ein etwas gro¨ßeres Gebiet mit den Eckpunkten Bru¨gge und Brest-Litowsk, Falsterbo und Genf fu¨r 1330/40 rund 3800 Sta¨dte geza¨hlt, von denen wiederum die gro¨ßte Zahl landesherrliche Sta¨dte gewesen sind. Die Zahl der Gru¨ndungen wa¨chst dann bis um 1500 noch auf etwa 5000.6 Die weitaus u¨berwiegende Zahl der Stadtbewohner des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit lebte demnach in solchen landesherrlichen Sta¨dten und nicht in einer Reichsstadt. Ganz a¨hnliche Relationen ergeben sich, wenn man nach dem Anteil der Kleinsta¨dte an der Gesamtzahl der Sta¨dte fragt. Edith Ennen, eine der bedeutendsten Kennerinnen der Stadtgeschichte des Mittelalters, meinte, etwa 90–95 Prozent aller Sta¨dte des Mittelalters ha¨tten eine Einwohnerzahl unter 2000 gehabt. Das ist sicherlich zu hoch gegriffen. Heinz Stoob kam bei seinen Scha¨tzungsversuchen auf etwa zwei Drittel in der gleichen Kategorie, was der Realita¨t eher entsprechen du¨rfte.7 Damit ist ein Kriterium genannt, nachdem die Stadtgeschichtsforschung die Kleinstadt der vorindustriellen Zeit zu definieren sucht. Es ist die Einwohnerzahl, die im Mittelalter bekanntlich fast niemals exakt zu eruieren ist, sondern nur grob gescha¨tzt werden kann. Immerhin ist doch mit einigen Einschra¨nkungen eine ungefa¨hre quantitative Vorstellung zu erhalten, die zugrunde gelegt werden kann, wenn man nach weiteren Kriterien sucht, die eine Kleinstadt zu charakterisieren vermo¨gen. Heinz Stoob hat neben der gescha¨tzten Einwohnerzahl noch den Fla¨cheninhalt herangezogen und fu¨r ¨ bersicht erarbeitet. Er die Zeit um 1300 fu¨r das von ihm untersuchte Gebiet eine U za¨hlte 50–60 Großsta¨dte mit u¨ber 10 000 Einwohnern und mindestens 100 ha Fla¨che. Daneben stehen 450–500 „Mittelsta¨dte“ von 2000–10 000 Einwohnern und 20–100 ha Fla¨che. In dieser Gruppe teilte er noch eine Untergruppe von Sta¨dten mit 2000–5000

5 Zu den Reichssta¨dten Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfas-

sung in Mittelalter und Neuzeit, Tu¨bingen 21913, S. 313f. u. 552; vgl. insgesamt Wolfgang Leiser, Sta¨dtische Zentralita¨t im agrarisch-feudalen Umfeld, in: Hans K. Schulze, Sta¨dtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit (StF A 22), Ko¨ln/Wien 1985 S. 1–20, hier S. 3f. 6 Heinz Stoob, Stadtformen und sta¨dtisches Leben im spa¨ten Mittelalter, in: ders. (Hg.), Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter (Sta¨dtewesen 1), Ko¨ln/Wien 21985), S. 151–190, hier S. 153 u. 151. 7 Edith Ennen, Die europa¨ische Stadt des Mittelalters, Go¨ttingen 1972, S. 202; Stoob, Stadtformen (wie Anm. 6), S. 153; von 90 % sprechen auch Peter Clark/Jan Hosking, Population Estimates of English Small Towns 1550–1851. Revised Edition, Leicester 1993, S. i; vgl. im u¨brigen unten mit Anm. 10–11.

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Einwohnern bei mindestens 15 ha Fla¨che ab. Sie ru¨cken bereits nahe an die Kleinsta¨dte heran, die er mit 800–2000 Einwohnern und 8–15 ha Fla¨che ansetzte. Unter den Kleinsta¨dten liegt dann noch eine Gruppe der sta¨dtischen Zwerg-, Ku¨mmerund Minderformen mit Einwohnerzahlen unter 800 und 8 ha Fla¨che.8 Im u¨brigen kamen bereits die Einscha¨tzungen des 18. Jahrhunderts diesen Abgrenzungen recht nahe. Johann Heinrich Gottlob von Justi,große Kameralist, hat 1764 eine Abhandlung mit dem Titel „Die große Stadt“ publiziert, wobei er Anschauungen zugrunde legte, die unseren heutigen Vorstellungen von Zentralo¨rtlichkeit recht nahe kommen. Er setzte die Landstadt oder kleine Stadt mit 1000–8000 Einwohnern an, zog also Stoobs Kleinstadtgruppe und die untere Mittelstadtgruppe in etwa zusammen.9 Fu¨r die letzten Gruppen – die kleinen Mittelsta¨dte, die Kleinsta¨dte und die Zwerg-, Ku¨mmer- und Minderformen – hat Heinz Stoob keine absoluten Zahlen genannt, wohl aber hat er die einzelnen Gruppen in ein Verha¨ltnis zueinander gesetzt.10 Es entfallen auf die Sta¨dte: unter 800 Einwohnern 800–2000 Einwohner 2000–5000 Einwohner 5000–10 000 Einwohner u¨ber 10 000 Einwohner

18,5 % 47,5 % 24,0 % 8,5 % 1,5 %

¨ bersicht die Prozentzahlen der beiden oberen Kategorien Za¨hlt man in dieser U zusammen, so gelangt man wieder zu den 90 %, die Edith Ennen zu den Kleinsta¨dten gerechnet hat.11 Vielleicht wird man in der Tat jene untere Gruppe der Mittelsta¨dte ihrem Charakter nach na¨her an die Kleinstadt heranzuru¨cken haben als an die beiden oberen Sta¨dtekategorien. Versucht man mit aller Vorsicht die Verteilung der gesamten sta¨dtischen Bevo¨lkerung des Mittelalters auf die verschiedenen Gro¨ßengruppen der Sta¨dte abzuscha¨tzen, dann ha¨tten in den eigentlichen Kleinsta¨dten 54 Prozent der Stadtbewohner und 4 Prozent in den Zwerg- und Ku¨mmerformen gelebt.12 Dabei muß man sich vor Augen halten, daß die Stadtbewohner in der mittelalterlichen Bevo¨lkerung wohl ganz allgemein ein Viertel ausgemacht haben. Das Fazit muß lauten: Der weitaus u¨berwiegende Teil der sta¨dtischen Bevo¨lkerung lebte in kleineren Sta¨dten. Diese waren ihr Habitat, ihre pra¨gende Umwelt. Im Grunde wird dadurch die kleine Stadt zu einem herausragenden Gegenstand der Stadtgeschichtsforschung, – jedenfalls sollte sie in deren Mittelpunkt stehen. Doch die Stadtgeschichtsforschung ist bislang – wie bereits dargelegt – von den großen Sta¨dten ausgegangen, ist von ihnen fasziniert, und hat an ihrem Beispiel die großen Linien der vorindustriellen Sta¨dtegeschichte erarbeitet.

8 Stoob, Stadtformen (wie Anm. 6), S. 153. 9 Vgl. dazu Friedrich-Wilhelm Henning, „Die große Stadt in verschiedenen Verha¨ltnissen betrachtet“

(Johann Heinrich Gottlob von Justi, 1764), in: Zeitschrift fu¨r Agrargeschichte und Agrarsoziologie 20 (1972), S. 186–197. 10 Stoob, Stadtformen (wie Anm. 6), S. 153f. 11 Vgl. oben mit Anm. 7. 12 Stoob, Stadtformen (wie Anm. 6), S. 153.

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Das gilt auch heute noch, selbst wenn sich im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte eine Hinwendung zur Erforschung der kleinen Stadt ergeben hat und programmatische Aufrufe zu ihrer Erforschung vorgetragen wurden.13 Auch eine große Zahl von Modellstudien wurde vorgelegt, und ich beschra¨nke mich darauf, die Namen Wilfried Ehbrecht, Ju¨rgen Sydow und Meinrad Schaab zu nennen, wobei die beiden letzteren andeuten mo¨gen, daß sich gerade der deutsche Su¨dwesten bislang dieser Aufgabe besonders angenommen hat. Hier ist bekanntlich die Sta¨dtedichte besonders hoch, und hier finden sich auch gerade die Klein- und Kleinstformen der Stadt in außerordentlich hoher Zahl.14 Die Ergebnisse dieser Studien vermo¨gen insgesamt die Pauschalurteile zu revidieren, die Sta¨dte unterhalb der Mittel- und Großsta¨dte schlichtweg als „Ackerbu¨rgersta¨dte“ bezeichnen, „die lediglich der Siedlungs- und Rechtsform nach Sta¨dte waren, ohne aber in nennenswertem Umfang aus der alten Agrargesellschaft tatsa¨chlich auszubrechten“.15 Bezeichnenderweise finden sich sol-

13 Etwa Konrad Fritze, Charakter und Funktionen der Kleinsta¨dte im Mittelalter, in: JbRG (1986),

S. 7–23; Helga Schultz, Kleinsta¨dte im 17. und 18. Jahrhundert, in: JbRG 14 (1987), S. 209–217; das ‚Small Towns Project‘ des Centre for Urban History, University of Leicester, erla¨utern Clark/Hosking (wie Anm. 7), S. i–iii sowie Ralph Weedon/Alastair Milne (Hg.), Aspects of English Small Towns in the 18th and 19th Centuries, Leicester 1993, S. 1–4 (mit Literatur). 14 Wilfried Ehbrecht, Mittel- und Kleinsta¨dte in der Territorialkonzeption Westfa¨lischer Fu¨rsten. Lippstadt als Modell, in: JbRG 14 (1987), S. 104–141; Ju¨rgen Sydow, Die Klein- und Mittelstadt in der su¨dwestdeutschen Geschichte des Mittelalters, in: Hans Peter Becht (Hg.), Pforzheim im Mittelalter, Sigmaringen 1983, S. 9–38 (Neudruck in: ders., Cum omni mensura et ratione. Ausgewa¨hlte Aufsa¨tze, hg. v. Helmut Maurer, Sigmaringen 1991, S. 236–265); Ju¨rgen Sydow, Sta¨dte im deutschen Su¨dwesten, Stuttgart 1987; Meinrad Schaab, Sta¨dtlein, Burg-, Amts- und Marktflecken Su¨dwestdeutschlands in Spa¨tmittelalter und fru¨her Neuzeit, in: Emil Meynen (Hg.), Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (StF A 8), Ko¨ln/Wien 1979, S. 219–271; hinzugefu¨gt sei noch eine Auswahl wichtiger Publikationen: Hektor Ammann, Wirtschaft und Lebensraum der ¨ berlegungen zur demomittelalterlichen Kleinstadt: I. Rheinfelde, o. O., o. J.; Heidelore Bo¨cker, U graphischen Funktion vorpommerscher Kleinsta¨dte im 13./14. Jahrhundert, in: JbRG 15/I (1988), S. 45–55; dies., Sta¨dte in der Territorialkonzeption ru¨gen-vorpommerscher Landesherrn, in: ebd., 15/II (1988), S. 23–31; Kuno Drollinger, Kleine Sta¨dte Su¨dwestdeutschlands. Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Sta¨dte im rechtsrheinischen Teil des Hochstifts Speyer bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1968; Liselott Enders, Das Sta¨dtewesen der Uckermark im Spa¨tfeudalismus, in: JbRG 17/I (1990), S. 90–115; Reinhard Evers, Stadt und Flecken in der ehemaligen Grafschaft Hoya um 1560–1800. Studien zur Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte sta¨dtischer und stadta¨hnlicher Siedlungen (QDNds 89), Hildesheim 1979; Rudolf Feld, Das Sta¨dtewesen des Hunsru¨ck-Nahe-Raumes im Spa¨tmittelalter und in der Fru¨hneuzeit, Trier 1972; Ka¨the Mittelha¨usser, Der Flecken in Niedersachsen zwischen Dorf und Stadt, in: NdsJb 63 (1991), S. 203–249; Heinrich Schoppmeyer, Der Bischof von Paderborn und seine Sta¨dte, Diss Mu¨nster 1966 (Paderborn 1968); Martina Stercken, Sta¨dtische Kleinformen in der Nordostschweiz. Vorstudie zu einem Sta¨dteatlas, in: RhVjbll 55 (1991), S. 176–204; Wilhelm Sto¨rmer, Die Gru¨ndung von Kleinsta¨dten als Mittel herrschaftlichen Territorienaufbaus, gezeigt an fra¨nkischen Beispielen, in: ZBayLG 36 (1973), S. 563–585; Heinz Stoob, Zur Sta¨dtebildung im Lande Hohenlohe, in: ZBayLG 36 (1973), S. 522–562; aus geographischer Sicht vergleiche noch: Erwin Gro¨tzbach, Geographische Untersuchungen u¨ber die Kleinstadt der Gegenwart in Su¨ddeutschland (Mu¨nchener Geographische Hefte 24), Regenburg 1963; Gudrun Ho¨hl, Fra¨nkische Sta¨dte und Ma¨rkte im geographischen Vergleich (FDtLdkd 139), Bad Godesberg 1962; Herbert Raisch, Die Zwergsta¨dte Wu¨rttembergs, in: BerrDtLdkd 4 (1968), S. 36–58; Reinhard Stewig, Untersuchungen u¨ber die Kleinstadt in Schleswig-Holstein, Kiel 1987. 15 So Hans-Dietrich Kahl, in: Knut Scha¨ferdiek (Hg.), Die Kirche des fru¨heren Mittelalters (Kirchengeschichte als Missionsgeschichte II, 1), Mu¨nchen 1978, S. 14; das Beispiel ist willku¨rlich gewa¨hlt, ihm

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che Urteile vor allem in Arbeiten, die nicht die kleine Stadt selbst zum Gegenstand der Untersuchung machen, sondern sie eher en passant erwa¨hnen. Besonders die Bezeichnung „Ackerbu¨rgerstadt“16 hat die allgemeine Vorstellung nachhaltig gepra¨gt, in den kleinen Sta¨dten des Mittelalters und der Neuzeit seien die Unterschiede zur do¨rflichen Lebensweise weitgehend eingeebnet gewesen. Tra¨fe dies zu, so wa¨re gerade jener Tatbestand aufgehoben, den eine der ku¨rzesten und zugleich pra¨gnantesten Definitionen der Stadt als ihr wesentliches Merkmal bezeichnet: Die Stadt stellt sich dar als die Konzentration von Unterschieden.17 Auch diese Formulierung Robert Parks bezieht sich im Grunde auf die große Stadt. Aber war in den Kleinsta¨dten der vorindustriellen Zeit etwas von dieser Konzentration der Unterschiede aufzufinden? Oder doch wenigsten eine Qualita¨t, die die Stadt von der Lebenswelt des Dorfes abhob? Das scheint mir in der Tat eine der wichtigsten Fragen unseres Themas zu sein. Ich stelle sie, indem ich noch einmal das eingangs gebrauchte Zitat aus Italo Calvinos Buch aufgreife: Fand derjenige, der lange durch die Wildnis geritten war und sich nach einer Stadt sehnte, in einer solchen kleinen Stadt die Konzentration der Unterschiede, die die Essenz der Sta¨dte ausmachte? Steckte davon etwas – wenn vielleicht auch nur in Rudimenten – in jenem Gebilden, die zumeist als Ackerbu¨rgerstadt abqualifiziert werden? Die Zeit um 1800 hat diese Frage offenbar bejaht. Auch in der kleinsten Stadt scheint in nuce das Modell angelegt, durch das auch die Großstadt charakterisiert war. Jean Paul beschrieb das im „Siebenka¨s“, in der Beilage zum zweiten Kapitel, die die „Regierung des Heiligen Ro¨mischen Reichs freien Markfleckens Kuhschnappel“ abhandelt, folgendermaßen: „Die Verfassung unseres merkwu¨rdigen Reichsplatzes Kuhschnappel scheint urspru¨nglich der Forriß gewesen zu sein, welchen Bern ... in der seinigen kopierte, aber mit dem Storchschnabel ins gro¨ßere.“18 Es ist bemerkenswert, daß die Verfaßtheit der Stadt zum Maßstab ihrer Bewertung genommen wird; das sei hier bereits festgehalten. Im u¨brigen ist hier die Perspektive von der großen zur kleinen Stadt gewa¨hlt. In der Vorstellungswelt der Landbewohner, der nichtsta¨dtischen Bevo¨lkerung aber, ru¨ckten große und kleine Sta¨dte wohl noch na¨her aneinander, insbesondere da, wo die eigene Kenntnis der Welt aufho¨rte. Als – etwa ein halbes Jahrhundert nach Jean Paul – der zwo¨lfja¨hrige Waldbauernbub Peter Rosegger losgeschickt wurde, um einen u¨briggebliebenen Eimer Schweinefett zu verkaufen und im u¨brigen „Haseno¨l“ zu besorgen (eine seltsame, nicht allgemein zuga¨ngliche Arznei, die den Mittelpunkt der Erza¨hlung bildet), da wendet er sich zuerst nach Kindberg im Mu¨rztal, eine ließen sich zahlreiche andere aus Zusammenha¨ngen zur Seite stellen, die nicht unmittelbar stadtgeschichtliche Themen behandeln. 16 Vgl. zum Begriff Werner Bockholt, Ackerbu¨rgersta¨dte in Westfalen. Ein Beitrag zur historischen Stadtgeographie, Warendorf 1987. 17 „The concentration of differences“, vgl. Robert Park, The City: Suggestions for the Investigation of Behavior in the Urban Environment, in: Richard Sennett (Hg.), Classic Essays on the Culture of Cities, New York 1969, S. 126; vgl. dazu Richard Sennett, The Conscience of the Eye. The Design and Social Life of Cities, London/Boston 1991, S. 126f. (Dt. unter dem Titel: Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, Frankfurt a. M. 1991). 18 Jean Paul, Werke in drei Ba¨nden, Bd. I, Mu¨nchen (Hanser) 1969, S. 496f.

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Marktgemeinde von damals etwa 800 Einwohnern, die sich soeben anschickte, unter dem Einfluß der aufblu¨henden Eisenproduktion kra¨ftig zu wachsen.19 Dort fand er eine Apotheke, in der er beide Gescha¨fte zu erledigen gedachte. Das wa¨re gewissermaßen der gewo¨hnliche Gang der Dinge gewesen. Doch der Versuch mißlang, der Kindberger Apotheker war mit dem la¨ndlichen Produkt eingedeckt und mochte das Schweinefett nicht kaufen. Der Waldbauernbub sah sich auf die Apotheke in Bruck an der Mur verwiesen. „Bruck“ – so raisoniert er – „ist eine Stadt. Ich hatte noch nie eine Stadt gesehen. Ein vielgereister Handwerksbursche hatte bei uns einmal erza¨hlt, Wien, Paris und Bruck wa¨ren die gro¨ßten Sta¨dte der Welt, und in Bruck stu¨nde das achte Weltwunder: ein eisener Brunnen“.20 Bruck an der Mur, eine landesherrliche Stadt, 1263 von Pˇremysl Otaker II. gegru¨ndet, von ihm und den ihm nachfolgenden Landesfu¨rsten reich privilegiert, geho¨rte im Mittelalter und bis ins 16. Jahrhundert hinein zu den wichtigsten Sta¨dten und Handelspla¨tzen der Steiermark und du¨rfte gegen Ende des Mittelalters nicht ganz 2000 Einwohner geza¨hlt haben.21 Mehr waren es auch zur Zeit von Peter Roseggers Wanderfahrt nicht, eher etwas weniger; 1806 jedenfalls lebten dort 1284 Menschen. Bruck an der Mur geho¨rte demnach ganz kla¨rlich seiner Einwohnerzahl nach zu den Kleinsta¨dten, und dennoch nahm es in der durch die Berichte eines Handwerksburschen gena¨hrten Vorstellung der steirischen Bergwaldbauern seinen Platz neben Wien und Paris ein. In der Folge Paris, Wien, Bruck an der Mur, Kindberg spiegelt sich eine Hierarchie der Sta¨dte wie der Urbanita¨t, und die Erza¨hlung vom Einkauf des Haseno¨ls durch den Waldbauernbuben Peter Rosegger kann wie eine Illustration zu jener Definition gelesen werden, die Franz Irsigler fu¨r sta¨dtisches Leben formuliert hat: „Danach ist Stadt eine vom Dorf und nichtagrarischen Einzwecksiedlungen unterschiedene Siedlung relativer Gro¨ße mit verdichteter, gegliederter Bebauung, beruflich spezialisierter und sozialgeschichteter Bevo¨lkerung und zentralen Funktionen politisch-herrschaftlich-milita¨rischer, wirtschaftlicher und kultisch-kultureller Art fu¨r eine bestimmte Region oder regionale Bevo¨lkerung“.22 Es liegt auf der Hand, daß hier Walter Christallers Theorie der zentralen Orte im Hintergrund steht, und in der Tat scheinen Konzepte wie dieses am besten geeignet, die Eigenart der landesherrlichen und der kleinen Stadt zu erfassen.23 Peter Rossegers Waldbauernbub folgt den Stufen der Zentralita¨t vom Markt Kindberg nach Bruck. Sie sind hier von o¨konomischen Merkmalen bestimmt, aber die „große Stadt 19 Peter Rosegger, Als ich um Haseno¨l geschickt wurde, in: ders., Als ich noch der Waldbauernbub war.

Eine Auswahl aus den Schriften von Peter Rosegger, hier zitiert nach einer Ausgabe Gu¨tersloh 1955, S. 163–174, bes. S. 165; zu Kindberg vgl. Die Sta¨dte der Steiermark, 3. Teil, bearb. v. Friederike Gold¨ sterreichisches Sta¨dtebuch 6,3), Wien 1990, S. 43–61. mann/Robert F. Hausmann (O 20 Rosegger, Waldbauernbub (wie Anm. 19), S. 165. 21 Vgl. Richard Antauer, Bruck a. d. Mur, Bruck a. d. Mur 1951, sowie Ferdinand Tremel, Bruck a. d. Mur, in: Bla¨tter fu¨r Heimatkunde 29 (1955), S. 78–92. 22 Franz Irsigler, Stadt und Umland in der historischen Forschung. Theorien und Konzepte, in: Bevo¨ lkerung, Wirtschaft und Gesellschaft. Stadt-Land-Beziehungen in Deutschland und Frankreich 14. bis 19. Jahrhundert, hg. v. Neithart Bulst/Jochen Hoock/Franz Irsigler, Trier 1983, S. 13–38, hier S. 26. 23 Walter Christaller, Die zentralen Orte in Su¨ddeutschland. Eine o¨konomisch-geographische Untersuchung u¨ber die Gesetzma¨ßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit sta¨dtischen Funktionen, Jena 1933 (ND Darmstadt 1968).

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Bruck“, in die er einzieht, als die Sonne schon im Niedergang begriffen ist, ist auch durch besondere Bauwerke ausgezeichnet. Es ist jenes achte Weltwunder des eisernen Brunnens, von dem er nichtsdestoweniger entta¨uscht ist, da er seine Besonderheiten nicht erkennt und nicht zu wu¨rdigen weiß. In jedem Fall aber zeigt die Erza¨hlung Roseggers, daß von der agrarischen Bevo¨lkerung innerhalb ihres Erfahrungsfeldes auch Kleinsta¨dte, ja unter Umsta¨nden auch die Ku¨mmer- und Zwergformen sta¨dtischen Lebens unterhalb der Sta¨dte, wie Ma¨rkte, Flecken, Weichbilde und Freiheiten – um eine Auswahl aus dem Bezeichnungsbestand zu geben – als Pla¨tze urbaner Existenz empfunden wurden, herausgehoben aus den Lebensformen, in die man im Alltag sich eingebettet fand. Die Unterschiede zwischen agrarischem und sta¨dtischem Bereich werden nicht als eingeebnet, sondern im Gegenteil als kra¨ftig markiert empfunden. Es geht hier im wesentlichen um einen mentalita¨tsgeschichtlichen Befund, der sich vor allem aus Zeugnissen der Literatur, das heißt der Belletristik und aus autobiographischen Zeugnissen erheben la¨ßt. Dieser Strang der Untersuchung soll hier nicht weitergefu¨hrt werden, und es versteht sich, daß die geschilderte Sicht vor allem die Perspektive der nichtsta¨dtischen Bevo¨lkerung wiedergibt. Der Sta¨dter selbst neigte wohl eher dazu, bei absteigender Hierarchie jeweils die Na¨he zum Dorf herauszustreichen. Es leuchtet ein, daß die eben zitierte Definition gerade als Ausgangspunkt fu¨r die Untersuchung der Eigenart der landesherrlichen und der kleinen Sta¨dte brauchbar ist. Sie erlaubt es na¨mlich, nicht nur die Stadteigenschaft eines Platz zu bestimmen, sondern auch das Verha¨ltnis einer Gruppe von Sta¨dten zueinander zu bestimmen und ihre Wertigkeit im Rahmen eines Territoriums einzuscha¨tzen. Dabei kommt es dann jeweils auf das Gewicht der einzelnen Elemente des Kriterienbu¨ndels an, mit dem man die Stadteigenschaft fu¨r gewo¨hnlich zu umschreiben sucht: auf die Bevo¨lkerungszahl, die hier bislang fast ausschließlich als Leitfaden gedient hat, auf die wirt¨ bergewicht von Handwerk und Handel gekennschaftliche Struktur, die durch ein U zeichnet wird, auf die soziale Qualita¨t der sta¨dtischen Bu¨rger, deren herausstechendes Merkmal die perso¨nliche Freiheit darstellt (wovon es bekanntlich Ausnahmen gibt). Weiter sind zu nennen eine Verfassung, die die sta¨dtischen Einwohner zur Selbstverwaltung befa¨higt und die Gegensa¨tze innerhalb der Stadt auszugleichen vermag, und schließlich die Besonderheiten der Topographie, des baulichen Ko¨rpers: die Mauer oder doch Befestigung, die einen Platz zur Verteidigungsanlage, zur Festung macht, sowie die verdichtete, auf die o¨konomischen und administrativen Bedu¨rfnisse der Bu¨rger zugeschnittene Bebauung. Damit sind handfeste, ja fast meßbare Kriterien an die Hand gegeben, die u¨ber die subjektiven Einscha¨tzungen mentalita¨tsgeschichtlicher Zeugnisse hinaus auch objektive Analysen erlauben. Diese sollten sich nicht auf Einzelsta¨dte beschra¨nken, sondern sich stets auf Regionen oder Territorien beziehen, denn nur so kann die Wertigkeit einer Stadt deutlich hervortreten, wie reduziert auch immer einzelne der genannten Kriterien im Einzelfalle vertreten sein mo¨gen. Insbesondere la¨ßt sich so die Rolle der einzelnen Stadt in der landesherrlichen Politik zutreffend einscha¨tzen. Hinter der unterschiedlichen Ausgestaltung der sta¨dtischen Formen, hinter der Gru¨ndung einer „Zwergstadt“, einer „Ku¨mmerstadt“, einer „Minderstadt“ – alles Termini, die die große Stadt zum Maß der Dinge erheben – hinter der Gru¨ndung solcher Klein-

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formen stehen in der Regel Konzeptionen eines Landesherrn von der Ausgestaltung seiner Herrschaft, fu¨r die er die Sta¨dte als Bausteine ansieht. Dieser Fragenkomplex ist nun na¨her zu betrachten. Das abendla¨ndische Sta¨dtewesen entfaltet sich bekanntlich seit dem Ausgang des 11. Jahrhunderts. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts erfolgt ein außerordentlicher Aufschwung, der gekennzeichnet ist von einem zunehmenden Interesse der Herrschaftskra¨fte an diesem neuen Sozialgebilde, das ebenso gekennzeichnet ist durch wirtschaftliche Effizienz und Produktivita¨t wie durch eine verfassungsrechtliche Konstruktion, die dem Stadtbewohner perso¨nliche Freiheit und Mobilita¨t bei gesichertem Grundbesitz gewa¨hrt. Diese Freiheit ist verbunden mit verschieden konstruierten Formen der Selbstverwaltung mit unterschiedlichen Spielra¨umen der sta¨dtischen Organe und unterschiedlichen Zugriffsmo¨glichkeiten des Stadtherrn. Freiheiten der genannten Art, die sich in den bereits vorhandenen alten civitates und an anderen Pla¨tzen herauszubilden begannen, wurden immer ha¨ufiger vom Stadtherrn besta¨tigt und auch zur Grundlage neuer Privilegien gemacht, die solche Freiheiten sozusagen implantierten. Dabei konnte es um die Bewidmung gewachsener, nichtagrarischer Siedlungen gehen, die etwa in Anlehnung an eine herrschaftliche Burg entstanden waren oder aber – und dies immer ha¨ufiger – um planhafte Neugru¨ndungen, die sich zuweilen an einen bereits vorhandenen a¨lteren Kern anschl0ssen und seinem Ausbau dienen konnten. All dies ist bekannt genug und braucht nicht im einzelnen aufgefu¨hrt zu werden. Lediglich die quantitativen Dimensionen seien verdeutlicht: Im 13. Jahrhundert steigt die Zahl der Sta¨dtegru¨ndungen steil an. Zeichnete man eine Kurve so la¨ge der Ho¨hepunkt kurz nach 1250. In jedem Jahrzehnt kommen in dem vorhin im Anschluß an Heinz Stoob umrissenen Gebiet etwa 300 Sta¨dte hinzu. Nach 1300 geht die Zahl zuru¨ck, bleibt mit 200 Neugru¨ndungen pro Jahrzehnt bis 1330 immer noch hoch, um dann allma¨hlich abzusinken. Ein Tiefpunkt wird kurz nach 1450 mit etwa 25 neugegru¨ndeten Sta¨dten pro Jahrzehnt erreicht.24 Bei diesen Sta¨dtegru¨ndungen und Stadterhebungen handelt es sich in der erdru¨ckenden Mehrzahl um landesherrliche Gru¨ndungen oder um ko¨nigliche Akte, wobei der Ko¨nig oft genug als Landesherr agierte. Es muß festgehalten werden: Alle diese Sta¨dte wurden gegru¨ndet, keine hat sich gegru¨ndet, wie ein beliebter Neologismus es ausdru¨cken wu¨rde. Gru¨ndungen und Privilegierungen sind in jedem Fall Akte landesherrlicher Herrschaftsbildung, auch wenn es sich gelegentlich oder in vielen Fa¨llen um Reaktionen des Landesherrn auf Entwicklungen in den Sta¨dten, insbesondere in den a¨lteren und potenten unter ihnen handelte. Der Landesherr ¨ bereinstimmung mit seinen eigenen suchte so die innersta¨dtische Entwicklung in U herrschaftlichen Zielen zu bringen. Davon wird noch zu sprechen sein. Es muß noch hinzugefu¨gt werden, daß die Gro¨ße der Neugru¨ndungen mit fortschreitender Zeit abnahm und seit etwa 1290 begannen die Kleinsta¨dte und die stadtartigen Siedlungen unterhalb dieser Schwelle zu u¨berwiegen. Fu¨r diese Zeit geht dann die Gleichsetzung von landesherrlicher Stadt und kleiner Stadt fast ohne Rest auf. Dies alles vollzog sich nicht nur in jenem vorhin umrissenen mitteleuropa¨ischen

24 Stoob, Stadtformen (wie Anm. 6), S. 150.

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Raum, sondern Vergleichbares gilt auch fu¨r den europa¨ischen Westen, mit leichter zeitlicher Verschiebung nach vorne. In England aber, dessen Quellenlage einigermaßen abgesicherte quantitative Aussagen erlaubt, liegt ein Ho¨hepunkt der Sta¨dtegru¨ndungen gerade auch um 1300 in der Regierung Ko¨nig Eduard I. (1272–1307). Darauf wird zuru¨ckzukommen sein. Die Landesherren, die domini terrae, waren vom 12. Jahrhundert an mit dem Aufbau ihrer Territorien bescha¨ftigt und setzten zur Erfassung und herrschaftlichen Durchdringung des Raumes, auf den sich ihr Herrschaftsinteresse richtete, ein weitgefa¨chertes Instrumentarium ein: Rechts- und Besitztitel u¨ber Grundherrschaften, Gerichtsrechte, Vogteirechte, Burgenbau, Stiftung religio¨ser Gemeinschaften und planma¨ßige Binnenkolonisation. In dieses Instrumentarium bezogen sie auch die Sta¨dte ein, nutzten Stadterhebung, Stadtprivilegierung und Stadtanlage zur Herrschaftsverdichtung. Das war selbstversta¨ndlich nicht unproblematisch. Die rechtliche Konstruktion der sta¨dtischen Selbstverwaltung, die Delegation von Aufgaben an Scho¨ffenkollegium und Rat trug von allem Anfang ein Element der Emanzipation von Herrschaft in sich. Es trug den Keim zur Entfremdung zwischen Stadtherrn und Stadtgemeinde in sich, und in der Tat ist es immer wieder zu Interessengegensa¨tzen zwischen beiden gekommen. Die fru¨hen Freiheits- und Kommunebewegungen des 11. und 12. Jahrhunderts, besonders in den großen Bischofssta¨dten Frankreichs und des Reiches, mu¨ssen diese Gefahren den werdenden Landesherren vor Augen gefu¨hrt haben. Sie waren sich dieser Gefahren bewußt; das belegen allein schon die bekannten, antista¨dtischen Paragraphen in den Fu¨rstenprivilegien Kaiser Friedrichs II.25 Dennoch haben die Ko¨nige und vor allem auch die Landesherren immer wieder – beginnend mit den Privilegien der Za¨hringer fu¨r Freiburg im Breisgau (1120) und des Erzbischofs von Ko¨ln fu¨r Medebach (1144/1165)26 – vom 12. Jahrhundert an sta¨dtische Siedlungen privilegiert und Freiheiten fu¨r die Bu¨rger dieser Siedlungen verliehen. Sie taten es, weil sie sich davon Nutzen fu¨r die Verdichtung ihrer Herrschaft 25 MGH Const II, hg. v. Ludwig Weiland, Go¨ttingen 1896 (ND 1963), Nr. 73, S. 89ff.; Nr. 156,

¨ bersetzung auch in Lorenz Weinrich (Hg.), Quellen S. 192–194; Nr. 171, S. 211–213; mit deutscher U zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- u. Sozialgeschichte bis 1250 (AusgQu 32), Darmstadt 1977, Nr. 95, S. 376–383; Nr. 113, S. 428–433; Nr. 114, S. 434–439; zur Entwicklung der kommunalen Freiheiten vgl. etwa Heinz Stoob, Formen und Wandel staufischen Verhaltens zum Sta¨dtewesen, in: Festschrift Hermann Aubin zum 80. Geburtstag, hg. v. Otto Brunner u. a., Wiesbaden 1965, S. 423–451 (ND in: Heinz Stoob, Forschungen zum Sta¨dtewesen in Europa, Bd. 1: Ra¨ume, Formen und Schichten der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte. Eine Aufsatzfolge, Ko¨ln/Wien 1970, S. 51–72); Ferdinand Opll, Stadt und Reich im 12. Jahrhundert (1125–1190) (RegImp, Beihefte: Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 6), Wien/Ko¨ln/Graz 1986; Knut Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“ Kommunale Aufsta¨nde und Entstehung des europa¨ischen Bu¨rgertums im Hochmittelalter, Darmstadt 1992; Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters, Mu¨nchen 1993, S. 39–54. 26 Wilhelm Altmann/Ernst Bernheim (Hg.), Ausgewa¨hlte Urkunden zur Erla¨uterung der Verfassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter, Berlin 31904, Nr. 189, S. 388–393 u. Nr. 192, S. 403–405; vgl. ¨ ber den Charakter Freiburgs in der Fru¨hzeit der Stadt, in: Helmut Maurer/ dazu Hagen Keller, U Hans Patze (Hg.) Festschrift fu¨r Berent Schwineko¨per zu seinem siebzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1982, S. 249–282; dazu Marita Blattmann, Die Freiburger Stadtrechte zur Zeit der Za¨hringer. Rekonstruktion der verlorenen Urkunden und Aufzeichnungen des 12. und 13. Jahrhunderts, 2 Bde., Freiburg/Wu¨rzburg 1991 (Vero¨ffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 27, 1.2.), sowie Carl Haase, Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdke I, 11), Mu¨nster 41984, S. 25f.

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versprachen, gingen in der Abwa¨gung des Nutzens das Risiko zuku¨nftiger Entfremdung ein und suchten Maßnahmen zu treffen, die Emanzipation der Stadtbewohner in Grenzen zu halten oder doch jedenfalls ihren eigenen Einfluß auf die Stadt zu wahren. Sie haben Sta¨dtepolitik im Rahmen einer Herrschaftspolitik betrieben, die auf einer Konzeption beruhte, die die Erfahrungen verarbeitete, die die Landesfu¨rsten im Umgang mit den Emanzipationsbestrebungen der Sta¨dte gewonnen hatten. Die hier zuletzt gebrauchten Formulierungen greifen auf Gedankenga¨nge Wilfried Ehbrechts zuru¨ck, der diesen Einbau der Mittel- und vor allem der Kleinsta¨dte in die Herrschaftkonzeption der Landesherren an verschiedenen Beispielen des westfa¨lischen Raums bislang am schlu¨ssigsten und differenziertesten dargestellt hat.27 Jede regionale Untersuchung wird sich diese Fragestellung vorlegen mu¨ssen, und ihre Ergebnisse werden dem Bild neue Einzelzu¨ge hinzufu¨gen, ohne die grundsa¨tzlichen Erkenntnisse Ehbrechts in Frage zu stellen. Auf Einzelbeispiele sei daher verzichtet, lediglich das von Ehbrecht entworfene Bild in knappen Strichen festgehalten. Es war bereits zu konstatieren, daß im beginnenden 14. Jahrhundert, das auch in der Ausformung des Territorialstaates einen markanten Entwicklungsschritt mit sich bringt, die Kleinformen des Sta¨dtewesens bei den Neugru¨ndungen zunehmen. Das liegt sicher auch zum Teil daran, daß sich mit „zunehmender Verdichtung der Sta¨dtedecke ... die Entfaltungsmo¨glichkeiten der Neubildungen verringerten“.28 Die verschiedenartigen Formen aber, in denen die Gru¨ndungen und Privilegierungen der spa¨teren Phase der mittelalterlichen Sta¨dtebildung erfolgen, sind als Ergebnis einer Verarbeitung von Erfahrungen der Landesherren im Umgang mit den Sta¨dten wa¨hrend des 13. Jahrhunderts zu werten. Zu beobachten sind mannigfache Abstufungen der landesherrlichen Einflußnahme auf die sta¨dtischen Organe ebenso wie die Minderung sta¨dtischer Freiheiten ganz allgemein, die einen unmittelbaren Zugriff auf diese Pla¨tze erlaubte. Es kommt weiterhin zur „Entmischung“ wirtschaftlicher und milita¨rischer Funktionen und zu deren Verteilung auf einzelne Pla¨tze, die es erlaubte, das Ensemble der Sta¨dte und stadtartigen Siedlungen sinnvoll aufeinander zuzuordnen und nach Bedarf die verbleibenden Lu¨cken in der Sta¨dtedecke mit jenem Typ zu schließen, der fu¨r sie paßte. Damit wurden die Sta¨dte des Territoriums auf den Landesherrn ausgerichtet und eine fla¨chige Herrschaftsverdichtung im eigenen Territorium angebahnt. Gleichzeitig waren Sta¨dtegru¨ndungen dieser Art geeignet, in etwaige Lu¨cken und Schwachstellen der Herrschaft territorialer Gegenspieler einzudringen. Es liegt auf der Hand, daß hier das Maximum des Erreichbaren, sozusagen der Idealtyp der Herrschaft durch Sta¨dtepolitik in ihrer Verbindung mit den u¨brigen Herrschaftselementen gezeichnet wird. Die Realita¨t des Territorialausbaus

27 Ehbrecht, Mittel- und Kleinsta¨dte (wie Anm. 14) sowie ders., Territorialwirtschaft und sta¨dtische

Freiheit in der Grafschaft Arnsberg, in: Emil Meynen, Zentralita¨t als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (StF A 8), Ko¨ln/Wien 1979, S. 125–179; grundlegend bereits Heinz Stoob, Mindersta¨dte. Formen der Stadtentstehung im Spa¨tmittelalter, in: VSWG 46 (1959), S. 1–28 (ND in: ders., Forschungen I [wie Anm. 25], S. 225–245). 28 Stoob, Sta¨dteformen (wie Anm. 6), S. 152.

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ließ die Verha¨ltnisse oft weniger u¨bersichtlich geraten. An der herausragenden Wichtigkeit der kleinen Stadt und ihrer Minderformen im Instrumentarium des spa¨tmittelalterlichen Territorialisierungsprozesses kann allerdings nicht gezweifelt werden. So ist das Sta¨dtenetz, das im ausgehenden Mittelalter das Heilige Ro¨mische Reich Deutscher Nation u¨berzog, im wesentlichen – auch in seinen Verwerfungen – das Ergebnis landesherrlicher Herrschaftskonzeptionen, gelungener und gescheiterter, nicht jedoch etwa die Frucht bu¨rgerlichen, sta¨dtischen Gestaltungswillens. Diese zugespitzte Formulierung mag rauh und schmerzhaft in den Ohren jener klingen, die das Verha¨ltnis von Stadtherr und Bu¨rgerschaft als gleichsam naturgegebenen Antagonismus betrachten und landesfu¨rstliche Herrschaft als grundsa¨tzliches Hindernis sta¨dtischer Entfaltung und sta¨dtischen Wachstums anzusehen gewohnt sind. In der Tat vermag man gelegentlich aus Arbeiten der Sta¨dteforschung den Eindruck zu gewinnen, als werde der Stadtherr als Gru¨nder und Privilegienverleiher gleichsam als Erzeuger gebraucht. Sei dieser Akt jedoch vollzogen und die Entwicklung der Stadt auf einen glu¨cklichen Weg gebracht, dann habe der Stadtherr aus der Geschichte seiner Gru¨ndung gefa¨lligst zu verschwinden, da er ihre Entfaltung lediglich behindere. Ob er als konstruktive Kraft sta¨dtischer Entwicklung einzuscha¨tzen sei, erscheint ha¨ufig als sehr zweifelhaft. „Zwar gab er“ – so heißt es in einer Arbeit u¨ber die „Zwergsta¨dte“ des Erzbischofs von Ko¨ln im nordo¨stlichen Sauerland – „dem neuen Siedlungsgebilde den rechtlichen und baulichen Rahmen, doch darf nicht vergessen werden, daß die Stadt fu¨r ihn nur Mittel zum Zweck der territorialpolitischen Strategie war“. In seinen territorialpolitischen Aktivita¨ten habe der Erzbischof o¨konomische Gesichtspunkte hintangestellt und seine Sta¨dte in erster Linie als Festungen, unter milita¨rischen Gesichtspunkten betrachtet.29 Solche Urteile – und sie sind nicht selten – heben einseitig den milita¨rischen oder fiskalischen Aspekt der Instrumentalisierung der Sta¨dte fu¨r die landesherrliche Herrschaftskonzeption hervor und meinen eine Beeintra¨chtigung der o¨konomischen Funktionen der Stadt darin erblicken zu mu¨ssen, wenn sie vom Landesherrn fu¨r administrative oder milita¨rische Zwecke genutzt wird. Dem Landesherrn wird im Extremfall o¨konomisches Desinteresse an sta¨dtischer Wirtschaftsta¨tigkeit zugeschrieben und die „Unvereinbarkeit von o¨konomischen und strategischen Funktionen“ konstatiert.30 Es ist offenkundig, daß bei solchen Urteilen moderne Vorstellungen von der Beschneidung wirtschaftlicher Mo¨glichkeiten einer Stadt durch ihre Festungseigenschaften eingeflossen sind, und a¨hnliches gilt fu¨r die Einscha¨tzung der grundsa¨tzlichen Haltung der Landesherren und Sta¨dtegru¨nder gegenu¨ber o¨konomischen Bedingungen und Entwicklungen. Daher bedarf dieser Komplex noch einmal der Ero¨rterung, die vor allem auch auf die Frage nach dem Charakter der wirtschaftlichen Leistung der Kleinsta¨dte und nach der Intensita¨t ihrer Ausstrahlung innerhalb eines nicht urbanen Umlandes zuru¨ckzulenken vermag.

29 So Hans-Hubert Walter, Zwergsta¨dte im nordo¨stlichen Sauerland. Entstehung und Bedeutung, in:

Westfalen und Niederdeutschland. Festschrift 40 Jahre Geographische Kommission fu¨r Westfalen (Spieker 25,1), Mu¨nster 1977, S. 267–280, hier S. 278. 30 Walter, Zwergsta¨dte (wie Anm. 29).

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Die Aufgaben, die der Stadt in der Herrschaftskonzeption der Landesherren zufallen, lassen sich als administrative, o¨konomische und milita¨rische kennzeichnen. Von ihnen ist die administrative Funktion außerordentlich wichtig. Sie ist jedoch in den einzelnen Landschaften des Reichs sehr unterschiedlich ausgepra¨gt. Einem sehr ¨ mtern und Amtssta¨dten (Wu¨rttemberg) stehen gro¨ßere Bereidichten Netz von A che (Pfalz) gegenu¨ber. Einerseits hat die Eigenschaft einer Burg als Amtssitz ha¨ufig sta¨dtebildende Kraft, andererseits werden administrative Funktionen in bereits bestehende Sta¨dte verlegt. Diese administrative Seite der landesherrlichen Stadt bleibt daher hier außer Betracht, wa¨hrend fu¨r die Beurteilung der o¨konomischen wie der milita¨rischen Funktion offenbar einheitlichere Grundbedingungen vorliegen. Es besteht gar kein Zweifel daran, daß fu¨r die geschilderten Bestrebungen der Landesherren die milita¨rische Funktion der Stadt, ihr Festungscharakter, von eminenter Wichtigkeit gewesen ist. Fu¨r die Landesherren stellten sich – um eine von Edith Ennen gepra¨gte Formulierung zu gebrauchen – Burg und Stadt als „zwei einander ablo¨sende und erga¨nzende Mittel zur Verdichtung des sich bildenden Fla¨chenstaates“ dar.31 Die Bedeutung gerade dieser Funktion wird in jeder beliebigen regionalen Detailstudie offenbar, insbesondere bei der Untersuchung territorialer Auseinandersetzungen konkurrierender Herrschaften. Beispielsweise – und das Exempel ist willku¨rlich gewa¨hlt – ging es im westfa¨lischen Sauerland beim territorialen Wettlauf der Erzbischo¨fe von Ko¨ln und der Grafen von der Mark immer wieder darum, daß Siedlungen die ganz kla¨rlich sta¨dtische Funktionen zu erfu¨llen hatten, unbefestigt blieben oder bereits vorhandene Befestigungen wieder entfernt, das heißt ihres Festungsscharakters entkleidet werden sollten.32 Belege dieser Art ließen sich ha¨ufen, und sie demonstrieren im Grunde noch eindringlicher als die Ummauerung selbst den milita¨rischen Stellenwert, den man auch kleinen Pla¨tzen zumaß. Doch dies darf nicht dazu verleiten, eine Unvereinbarkeit zwischen milita¨rischer und o¨konomischer Funktion anzunehmen, so als ha¨tte die Instrumentalisierung der landesherrlichen Sta¨dte fu¨r die Landesverteidigung die stadtwirtschaftliche Entwicklung nachhaltig gesto¨rt. Vielmehr greifen o¨konomische Zielsetzungen und milita¨rische Sicherung Hand in Hand. Das gilt in besonderem Maße gerade fu¨r die Zeit des Ausbaus eines landesherrlichen Sta¨dtenetzes im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert. Intensivierte Produktions- und Handelsaktivita¨ten und daraus resultierende Marktfrequenz erho¨hten nicht lediglich die fiskalischen Einnahmen des Landesherrn, sie boten ihm auch eine Handhabe zur Herrschaftsintensivierung. Ein Beispiel aus dem deutschen Nordwesten, das sich aus einem besonders glu¨cklich gelagerten Quellenbestand erheben la¨ßt, mag dies verdeutlichen. Das Stadtarchiv Osnabru¨ck ver-

31 Edith Ennen, Burg, Stadt und Territorialstaat in ihren wechselseitigen Beziehungen, in: RhVjbll 12

(1942), S. 51; dazu Erich Kittel, Stadtburgen und Burgsta¨dte, in: Westfalen 51 (1974), S. 74, der fortfa¨hrt: „... gegenu¨ber fremden Grundherrschaften ein ra¨umlich geschlossenes, keine Ausnahmen zulassendes eigenes Herrschaftsgebiet zu errichten.“ 32 Vgl. Peter Johanek, Eisenproduktion, Eisengewerbe und Sta¨dtebildung im su¨dlichen Westfalen wa¨hrend des Mittelalters, in: Ferdinand Opll (Hg.), Stadt und Eisen (BGStM 11), Linz 1992, S. 15–35; hier S. 26–28; grundlegend: Dieter Stievermann, Die Sta¨dte des ma¨rkischen Sauerlandes im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit (Spa¨tmittelalter und Fru¨he Neuzeit 6), Stuttgart 1978.

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wahrt aus der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts eine gro¨ßere Zahl von Einladungsbriefen, die von Amtsleuten des Bischofs von Mu¨nster verschickt wurden und zum Besuch der periodischen Ma¨rkte, der Jahrma¨rkte in landesherrlichen Sta¨dten des Stiftes Mu¨nsters, einluden. Angeboten wurde Sicherheit am Marktort selbst und die Sicherung des Reiseweges im Machtbereich des Bischofs von Mu¨nster. Sieht man na¨her hin, so ist zu erkennen, daß hier ein System von Ma¨rkten regionaler Reichweite entstanden war, das das gesamte Mu¨nstersche Niederstift u¨berzog. Es war in den landesherrlichen Kleinsta¨dten lokalisiert, und die einzelnen Markttermine verteilten sich zeitlich u¨ber das ganze Jahr. Die zugesagte Sicherung erstreckte sich auf den Markttermin selbst und jeweils auf eine Woche davor und danach, also in jedem Einzelfall auf etwa drei Wochen. Insgesamt wurde das ganze Jahr nahezu gleichma¨ßig von dieser Sicherheits- und Friedenszusage erfaßt.33 Damit schuf der Bischof von Mu¨nster zum einen den von den Sta¨dten – und damit sind nun die großen Fernhandelssta¨dte mit weitgehender Autonomie gemeint – immer wieder geforderten Landfrieden. Ihm galten auch die immer wieder erneuerten westfa¨lischen Sta¨dtebu¨ndnisse seit 1246, die ausdru¨cklich die Sicherung des Handelsverkehrs zum Ziele hatten.34 Auf der anderen Seite, aus der Perspektive des Landesherrn, bot die geschilderte Sachlage diesem die Mo¨glichkeit der legitimen Gewaltausu¨bung in einem großen Gebiet zu Sicherung der Handelsweg und damit die Chance zur Intensivierung und Verfla¨chung seiner Herrschaft. Dabei konnte er auf weitgehende Tolerierung durch die Sta¨dte, ja sogar auf ihre Unterstu¨tzung rechnen, obzwar diese grundsa¨tzlich auf eine Erweiterung ihrer Autonomie und ihrer innersta¨dtischen Spielra¨ume bedacht waren. Das durch Handelsinteressen bedingte Sicherheitsbedu¨rfnis der Fernhandelssta¨dte (auch sie zu einem großen Teil landesherrliche Sta¨dte), das Entstehen eines regionalen Nahmarktnetzes und die Durchsetzung des Landfriedens: Das sind die Faktoren, die das Ineinandergreifen von administrativ-milita¨rischer und wirtschaftlicher Funktion der landesherrlichen Sta¨dte charakterisiert. Ja, als Ziel der landesherrlichen Herrschaftsintensivierung erscheint im Grunde der gesteigerte o¨konomische Ertrag, die optimale Ausnutzung der der landesherrlichen Kleinstadt innewohnenden Potenz. Daher wird man vielleicht doch generalisierend behaupten du¨rfen, daß in der landesherrlichen Sta¨dtegru¨ndungspolitik dem wirtschaftlichen Moment besonderes, wenn nicht entscheidendes Gewicht zukam. Das wird besta¨tigt durch einen kurzen Blick auf die englischen Verha¨ltnisse. Auch dort ist die Sta¨dtegru¨ndung als Instrument zum Aufbau und zur Intensivie-

33 Vgl zu diesem ganzen Komplex die Darstellung bei Peter Johanek, Handel und Gewerbe, in: Franz-

Josef Jakobi (Hg.), Geschichte der Stadt Mu¨nster, Bd. 1, Mu¨nster 1993, S. 648–650; die territorialpolitische Entwicklung bei Wolfgang Bockhorst, Geschichte des Niederstifts Mu¨nster bis 1400 (VHKomWestf XXII: Geschichtliche Arbeiten zur westfa¨lischen Landesforschung 17), Mu¨nster 1985; der Urkundenbestand bei Horst-Ru¨diger Jarck, Urkundenbuch der Stadt Osnabru¨ck 1301–1400 (Osnabru¨cker Urkundenbuch 6), Osnabru¨ck 1989, passim. 34 Vgl. Gerhard Pfeiffer, Die Bu¨ndnis- und Landfriedenspolitik der Territorien zwischen Weser und Rhein im spa¨ten Mittelalter, in: Der Raum Westfalen, Bd. II, 1, Mu¨nster 1955, S. 79–137; Luise von Winterfeld, Der Werner Sta¨dtebund, in: WestfZ 103 (1954), S. 1–12; allgemein: „Propter culturam pacis ...“ um des Friedens willen. Der Rheinische Sta¨dtebund von 1254/56. Katalog zur Landesausstellung in Worms 24. Mai – 27. Juli 1986, Koblenz 1986.

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rung von Herrschaft gebraucht worden und die besten Beispiele bietet die Regierungszeit Ko¨nig Eduards I. Er u¨berzog das englisch beherrschte Su¨dwestfrankreich mit einem Netz neugegru¨ndeter Sta¨dte, den Bastides, sicherte nach der Niederwerfung von Wales die ko¨nigliche Herrschaft durch Kombinationen von Burg und Stadt und suchte durch Sta¨dtegru¨ndung die Grenzregion gegen Schottland herrschaftlich wirkungsvoller zu erfassen. Auch unter diesen Gru¨ndungen befindet sich eine große Zahl kleiner Sta¨dte, ja diese sind sogar die Regel. Doch es handelt sich um eine ko¨ngliche Sta¨dtepolitik, die sich hier unter ganz anderen verfassungsma¨ßigen Voraussetzungen als im Deutschen Reich abspielte; sie gleicht in etwa dem Vorgehen der deutschen Landesherren.35 Allerdings gru¨ndete nicht ausschließlich der Ko¨nig Sta¨dte, sondern auch kirch¨ bte – und der weltliche Adel. Es handelt sich liche Wu¨rdentra¨ger – Bischo¨fe und A dabei durchweg um Kleinformen des Sta¨dtewesens, so wie sie hier vorzugsweise betrachtet wurden. Bei diesen Gru¨ndungsvorga¨ngen nun kann an den wirtschaftlichen Zielsetzungen der Gru¨nder nicht gezweifelt werden, ja in ihnen liegt offenbar das eigentliche Movens. Ad emendationem mercati mei begru¨ndete 1190/1200 William fitz William fitz Alan die Privilegierung der Einwohner des neugegru¨ndeten Oswestry in Shropshire, ebenso der Bischof von Lincoln, als er 1221 dem Bau einer Ha¨userreihe auf dem Marktplatz von New Thame gestattete: ut redditus suus accresceret. Noch deutlicher wurde der Abt von Eynsham, als er 1215 pro utilitate et promocione domus nostrae die Anlage einer Vorstadt zur Marktsiedlung bei seinen Kloster ins Werk setzte.36 Das sind Beispiele aus der Zeit kurz nach 1200, doch ließen sie sich fu¨r die spa¨tere Zeit fortsetzen. Im u¨brigen hat Ko¨nig Eduard I. 1295/96 die Anlage seiner Mustergru¨ndung Berwick-on-Tweed a¨hnlich begru¨ndet: „... zum gro¨ßeren Nutzen fu¨r uns selbst und fu¨r die Kaufleute, die hierher kommen, und diejenigen die hier wohnen“.37 Auch der Ko¨nig achtete demnach auf die o¨konomische Komponente der Stadtentwicklung. Doch ein großer Teil der kleinen Sta¨dte Englands wurde eben nicht vom Ko¨nig, sondern vom regionalen Adel gegru¨ndet, und dieser Vorgang fand lediglich ko¨nigliche Besta¨tigung. Sta¨dte dieser Art wurden als Teil der adeligen Doma¨ne angesehen; um Ausbau und Intensivierung von Landesherrschaft konnte es nach Lage der Dinge nicht gehen. Deswegen fehlt diesen Sta¨dten auch in der Regel die Befestigung. Es sind Sta¨dte ohne Mauern. Von den landesherrlichen Kleinsta¨dten des Heiligen Ro¨mischen Reichs unterscheiden sie sich damit in markanter Weise, zugleich aber unterstreicht dieser Sachverhalt die grundlegende Bedeutung ihrer wirtschaftlichen Funktion. ¨ hnlich wie die landesherrlichen Sta¨dte des Reichs erfu¨llten auch die englischen A Kleinsta¨dte von Adel und Ko¨nig Nahmarkt- und Zentralita¨tsfunktionen in abgestuften Wertigkeiten, insbesondere spielten sie hier wie dort eine Rolle im Umschlag der agrarischen Produkte. Deutlicher aber tritt bei den englischen Sta¨dten aufgrund der 35 Vgl. dazu das grundlegende Werk von Maurice Beresford, New Towns of the Middle Ages. Town

Plantation in England, Wales and Gascony, New York/Washington 1967. 36 Zitiert nach Beresford, New Towns (wie Anm. 35), S. 63. 37 Beresford, New Towns (wie Anm. 35), S. 60.

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besseren Quellenlage fu¨r die mittelalterliche Zeit ihr nichtagrarischer Charakter hervor. Es handelte sich in der Tat nicht um Ackerbu¨rgersta¨dte. Wohl gab es Gartenwirtschaft und auch Viehhaltung, doch ein paar Schweine im Stall – so hat Rodney Hilton treffend bemerkt – machen aus einem Kra¨mer noch keinen Bauern.38 Die Returns der Poll Tax von 1381, der ersten großen dokumentierten Besteuerungsaktion in Eng¨ berwiegen land, zeigen jedenfalls fu¨r die Grafschaft Gloucestershire ein absolutes U des gewerblichen und kommerziellen Sektors selbst in Siedlungen unter 2000 Einwohnern, wobei selbstversta¨ndlich die Differenzierung der ausgeu¨bten Handwerke bei niedrigerer Bevo¨lkerungszahl deutlich abnimmt. Aber selbst ein Ort von etwa 500 Einwohnern, Chipping Campden, wies damals 35 verschiedene Handwerke auf und lediglich zwei Bauern und einen Pflu¨ger.39 Das Sozialgebilde Stadt mit seiner Konzentration der Unterschiede hat sich auch in der Auspra¨gung der Kleinformen im o¨konomischen Wettbewerb als außerordentlich stabil erwiesen. Im 13. Jahrhundert haben viele englische Adelige, angeregt durch die neuen Mo¨glichkeiten der Geldwirtschaft, Marktprivilegien in großer Zahl fu¨r ihre Do¨rfer erworben, ohne an deren Umwandlung in eine Stadt zu denken. Von diesen do¨rflichen Ma¨rkten ist bis zum 16. Jahrhundert etwa die Ha¨lfte wieder verschwunden, wa¨hrend die kleinen Marktsta¨dte fast alle u¨berlebten.40 Sie waren eingebettet in die agrarische Wirtschaft ihres Umlandes, wurden vielfa¨ltig von ihr beeinflußt und hoben sich dennoch scharf von den Do¨rfern ab. „Auch die kleinste Stadt wies einen vom Dorf verschiedenen Lebensrhythmus auf“.41 Das mag genu¨gen, und wir wenden uns zum Abschluß noch einmal den Verha¨ltnissen im Reich zu. Die landesherrliche Stadt deutscher Pra¨gung mit ihrer Instrumentalisierung fu¨r den Ausbau von Landesherrschaft ist eine Sonderform, begru¨ndet in den Vorgaben der deutschen Verfassungsgeschichte. Sie hat jedoch die wirtschaftlichen Funktionen mit den Sta¨dten gemeinsam, die u¨berall in Europa von gesellschaftlichen Kra¨ften unterhalb der herrscherlichen Ebene aus o¨konomischen Moti¨ ber die Gro¨ße der Sta¨dte und ihre wirtschaftliche Bedeuven gegru¨ndet wurden. U tung entschied letztlich das o¨konomisch-herrschaftliche Gesamtsystem des jeweiligen Territoriums. Das wa¨hrend des spa¨ten Mittelalters in seiner Dichte und seinen o¨konomischen Zusammenha¨ngen ausgeformte Netz der landesherrlichen Sta¨dte im Reich blieb auch die Grundsignatur der fru¨hen Neuzeit. Bekanntlich sind die Sta¨dte wa¨hrend des 17. und 18. Jahrhunderts noch sta¨rker in den Territorialstaat eingegliedert worden. Die Zugriffsmo¨glichkeiten der Landesherren auf die sta¨dtische Selbstverwaltung intensivierten sich, weswegen das 17. und das 18. Jahrhundert nicht als Glanzzeit der Sta¨dtegeschichte betrachtet werden.42 38 Rodney Howard Hilton, The English Peasantry in the Later Middle Ages, Oxford 1975, S. 82; fu¨r

das hier behandelte Thema ist vor allem Kap. V: The Small Town as Part of Peasant Society, S. 76–94, heranzuziehen, ebenso ders., Medieval Market Towns and Simple Commodity Production, in: PP 109 (1985), S. 3–23. 39 Hilton, English Peasantry (wie Anm. 38), S. 79. 40 Hilton, Medieval Market Towns (wie Anm. 38), S. 9f. 41 Hilton English Peasantry (wie Anm. 38), S. 90. 42 Vgl. nur Klaus Gerteis, Die deutschen Sta¨dte in der fru¨hen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der ‚bu¨rgerlichen Welt‘, Darmstadt 1986, bes. die Schlußbemerkungen S. 176–182; weiter: Wilhelm Rausch (Hg.),

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Doch muß man auf der anderen Seite auch sehen, daß von den Reichssta¨dten seit dem 17. Jahrhundert wesentliche Wirtschaftsimpulse und Innovationen nicht mehr ausgingen, sondern von bestimmten Typen landesherrlicher Sta¨dte und von landesherrlichen Maßnahmen, die die verkrusteten Strukturen gewerblicher Selbstverwaltung, etwa des Zunftwesens, aufzubrechen versuchten. Es sind Residenzsta¨dte und die von den Landesfu¨rsten gegru¨ndeten Exulantensta¨dte, denen Prosperita¨t und gewerbliche Produktion innewohnte. Als Beispiel darf etwa Hanau genannt werden, das im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts ja¨hrlich zwischen 50 und 150 Neubu¨rger aufnahm, im Jahre 1754 eine Einwohnerzahl von 8100 und 1805 von 11953 hatte, also als große Mittelstadt, wenn nicht als Großstadt gelten durfte.43 Am Ende hat vielleicht auch gerade die starke Einbindung der sta¨dtischen Bu¨rger in die Anspru¨che des Territorialstaates, die ihre Blicke von dem begrenzten Horizont der eigenen Stadt auf das Staatsganze richtete, nicht weniger zur Ausbildung der Traditionen des modernen Staatsbu¨rgers beigetragen als die Erinnerung an die bu¨rgerliche Autonomie im Mittelalter, die zu den Leitbildern des 19. Jahrhunderts geho¨rte. In jedem Fall haben die landesherrlichen Kleinsta¨dte – wenn man die Raison bedenkt, die ihnen eigen war – den nicht zu bestreitenden Niedergang des Sta¨dtewesens in der fru¨hen Neuzeit aufs ganze besser u¨berstanden als die Reichssta¨dte. Die gro¨ßeren Sta¨dte und Mittelsta¨dte erlitten o¨konomische Einbußen, schieden vielfach aus dem Fernhandel aus, ihr Gewerbe schrumpfte oder bu¨ßte an Differenzierung ein. Dagegen blieben die landesherrlichen Kleinsta¨dte unvera¨ndert die unentbehrliche Plattform des regionalen Austauschs vor allem fu¨r ihr agrarisches Umfeld, wie sie auch die Durchgangsstation sozialer Migration darstellten und in abgestufter Weise an das Netz des Fernhandels angeschlossen waren. Vor allem aber bildeten sie – wenn auch nicht selten in a¨ußerst reduzierter Form – die Inseln urbaner Lebensform in der agrarisch gepra¨gten Welt der vorindustriellen Zeit. Sie waren die Oasen, die die Sehnsucht des Reiters durch die Wildnis zu stillen vermochten, und Pla¨tze, die der Waldbauernbub aufsuchte, wenn er Produkte des Bauern absetzen wollte oder Christtagsfreude holen ging.

Die Sta¨dte Mitteleuropas im 17. und 18. Jahrhundert (BGStM 5), Linz/Donau 1981, bes. der Aufsatz von Gerd Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preußen unter dem Absolutismus (1660–1806), S. 155–172; Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow, Verwaltung und Gesellschaft in der su¨dwestdeutschen Stadt des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1969. 43 Vgl. Erich Keyser, Deutsches Sta¨dtebuch. Handbuch sta¨dtischer Geschichte, Bd. IV, 1: Hessisches Sta¨dtebuch, Stuttgart 1957, S. 218–223.

DIE ENTSTEHUNG DER ¨ DBO ¨ HMISCHEN STA ¨ DTELANDSCHAFT SU [Erstabdruck: Zentrum und Peripherie in der Gemania Slavica. Beitra¨ge zu Ehren von Winfried Schich, hg. v. Doris Bulach/Matthias Hardt (Forschungen zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropa 34), Stuttgart 2008, S. 295–316]

¨ berlegungen zur EntsteDargestellt werden hier einige vorla¨ufige, skizzenhafte U hung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft, keine gru¨ndliche Analyse der Stadtentstehung in diesem Raum. Dazu bedu¨rfte es gru¨ndlicher Vorstudien, die in eine Karte zu mu¨nden ha¨tten, wie sie etwa Carl Haase fu¨r die westfa¨lischen Sta¨dte vorgelegt hat, die Fla¨cheninhalt und Altersschichtung zeigt1 oder gar in einer Karte, die bei der Darstellung der Sta¨dte den Merkmalkatalog anwendet, den Monika Escher-Apsner und Frank G. Hirschmann fu¨r die Sta¨dte im Westen des Reichs und der daran angrenzenden Gebiete entwickelt haben.2 Eine solche Analyse kann hier nicht geboten werden, wohl aber hat vor allem die tschechische Forschung der letzten Jahre eine gu¨nstige Situation geschaffen, die es erlaubt, den Gang der fru¨hen Sta¨dteentwicklung unter der Perspektive von Zentrum und Peripherie wenigstens vorla¨ufig in den Blick zu nehmen, d. h. die politischen Kra¨fte abzuscha¨tzen, die in diesem peripheren Raum bo¨hmischer Ko¨nigsherrschaft bei der Stadtentstehung wirksam wurden. Neben den grundlegenden Studien zur bo¨hmischen Sta¨dtegeschichte des Mittelalters von Frantisˇek Hoffmann3 und Jiˇr´ı Kejˇr4 ist vor allem eine Reihe wichtiger Arbeitsinstrumente erarbeitet worden, die den schnellen, wenn auch vorla¨ufigen Zugriff auf Daten zur bo¨hmischen Sta¨dtegeschichte erlauben. Ein historischer Atlas der Sta¨dte der tschechischen Republik ist in Gang gekommen, und mehrere Bla¨tter betreffen Su¨dbo¨hmen und das angrenzende ˇ ˇ su¨dliche Ma¨hren: Ceske ´ Budˇejovice, Cesky ´ Krumlov und Telˇc.5 Vor allem aber liegt 1 Carl Haase, Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdke 1, 11), Mu¨nster 41984 2 Monika Escher-Apsner/Frank G. Hirschmann, Die urbanen Zentren des hohen und spa¨teren Mit-

telalters. Vergleichende Untersuchungen zu Sta¨dten und Sta¨dtelandschaften im Westen des Reiches und in Ostfrankreich. (THF 50), Trier 2005. 3 Frantisˇek Hoffmann, Ceske´ mˇesto ve stˇredovˇeku [Die tschechische Stadt im Mittelalter], Praha 1992. 4 Jiˇr´ı Kejr, ˇ Vznik mˇestske´ho zˇr´ızenı´ v cˇ esky´ch zemı´ch, Praha 1998 [Dt. unter dem Titel: Die mittelalterlichen Sta¨dte in den bo¨hmischen La¨ndern. Gru¨ndung – Verfassung – Entwicklung (StF A 78), Ko¨ln/ Weimar/Wien 2010]. 5 Historicky´ atlas mˇest Ceske ˇ ´ Republiky [Historischer Atlas der Sta¨dte der Tschechischen Republik], ˇ hg. v. Frantisˇek Sˇmahel/Peter Johanek/Eva Semotanova´/Lubomı´r Sleza´k/Josef Zˇemlicka, Praha 1996ff.; bisher 14 Hefte.

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seit 1998 das Handbuch der Historischen Sta¨tten fu¨r Bo¨hmen und Ma¨hren vor,6 und seit 1996 erscheint Karl Kuˇcas Sta¨dtelexikon fu¨r Bo¨hmen, Ma¨hren und Schlesien, das eine außerordentlich große Datenmenge und nu¨tzliches Kartenmaterial bietet.7 Auch ˚ ˇ ek, die der Geschichte der die Arbeiten im Kreis um Jaroslav Pa´nek und Va´clav Buz Rosenberger in der fru¨hen Neuzeit gelten,8 haben gerade die Region Su¨dbo¨hmen in den Blickpunkt der Forschung geru¨ckt, auch wenn sie der adeligen Welt gelten und die Sta¨dte eher am Rande erscheinen. Ebenso tritt die fru¨he Zeit, die Entstehung der Sta¨dtelandschaft, die dem Wirken der Rosenberger spa¨ter ihre Bu¨hne bot, in diesen Arbeiten zuru¨ck. Das sind im Grunde gu¨nstige Perspektiven, um u¨ber die Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft zu forschen, doch bleibt noch viel an Detailarbeit zu leisten, vor allem, wenn ein vergleichender Aspekt im Hinblick auf Gesamtbo¨hmen und weitere angrenzende Landschaften, die wiederum Peripherien ihrer jeweiligen landesfu¨rstlichen Herrschaften darstellen, ins Spiel kommen soll. Da erweist es sich als ein ¨ ber den Ursprung der Sta¨dte in Bo¨hGlu¨cksfall, daß Adolf Zychas Abhandlung „U men und die Sta¨dtepolitik der Pˇremysliden“ zur Verfu¨gung steht, denn der Verfasser hat hier bereits eine zeitliche Schichtung der Stadtentstehung in Bo¨hmen entworfen, die als Leitfaden dienen kann.9 Von dieser Periodisierung Zychas nehmen die hier vorgelegten Betrachtungen ihren Ausgang. Worum geht es bei der Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft? Faßt man Sta¨dteentstehung und Sta¨dtegru¨ndung als Instrument des Territorialisierungsprozesses, oder allgemeiner gesprochen, als Intensivierung politischer Machtausu¨bung auf, dann wird man nach dem allgemeinen Rahmen fragen, und schon Zychas Abhandlung enthielt in ihrem Titel den Begriff „Sta¨dtepolitik der Pˇremysliden“. Von der Entfaltung des Hauses Rosenberg war ebenfalls bereits die Rede, und in der Tat wird die mittelalterliche Entwicklung des su¨dlichen Bo¨hmen in herko¨mmlicher Weise verstanden als Auseinandersetzung zwischen dem bo¨hmischen Ko¨nigtum und dem Geschlecht der Witigonen, von dem die Rosenberger ihren Ausgang nehmen. Dieses Haus der Witigonen steht zuna¨chst im Vordergrund, um seine Position, Ambitionen und Optionen im su¨dlichen Bo¨hmen zu verdeutlichen. Seit jener Reiter in Leder, der nach einem „großen Schicksale (sucht), das dem rechten Manne ziemt“, den Weg von Passau gegen den Bo¨hmischen Wald herauf geritten ist, jener Ledermann, der sich dann auf Seite 38 des Romans von Adalbert Stifter als Witiko

6 Handbuch der historischen Sta¨tten: Bo¨hmen und Ma¨hren, hg. v. Joachim Bahlcke/Winfried Eber-

hard/Miloslav Polı´vka, Stuttgart 1998.

7 Karel Kuca, ˇ ˇ Mˇesta a mˇesteˇcka v Cecha ´ ch, na Moravˇe a ve Slezsku [Sta¨dte und Kleinsta¨dte in Bo¨h-

men, Ma¨hren und Schlesien], 6 Bde., Praha 1996–2004; Bd. 6 stand mir bei der Niederschrift nicht zur Verfu¨gung. 8 Jaroslav Pa´nek, Poslednı´ Rozˇmberk zˇivotnı´ pˇribˇeh Petra Voka [Der letzte Rosenberger. Die Lebensgeschichte von Peter Vok], Praha 1996; Ders., Vile´m z Rozˇmberka [Wilhelm von Rosenberg], Praha ˇ 1998; Va´clav Buz ˚ ˇ ek, Nizˇsˇ´ı sˇlechta v politike´m syste´mu a kultuˇre pˇredbˇelohorsky´ch Cech [Der niedere Adel im politischen System und in der Kultur Bo¨hmens vor der Schlacht am Weißen Berg], Praha 1996; ˚ ˇ e [Die Ho¨fe der Edlen vom Wappen der Rose], Praha 1997. Ders., Dvory velmozˇu˚ s erbem ruz 9 Adolf Zycha, U ¨ ber den Ursprung der Sta¨dte in Bo¨hmen und die Sta¨dtepolitik der Pˇremysliden, Prag 1914.

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entpuppt,10 kommt den Witigonen in der deutschen Interpretation der Geschichte Bo¨hmens, besonders Su¨dbo¨hmens, eine herausragende emotionale, fast mythische Bedeutung zu. Dabei hat Stifter, dessen Roman 1864 erschien, die Witigonen letztlich, wie es der Familienu¨berlieferung der spa¨tmittelalterlichen Rosenberger entsprach, aus Italien, aus Rom kommen und von den Orsini abstammen lassen. Heinz Zatschek formulierte das spa¨ter, im Jahre 1937, so: „Fu¨r die Geschichtsforschung ist diese Frage nach der Herkunft der Witigonen, nach Lage und Umfang ihrer Besitzungen, nach der Bedeutung dieses Geschlechtes als Stu¨tze oder Gegenspieler des Ko¨nigtums, ebenso fu¨r die Besiedelung und Eindeutschung Su¨dbo¨hmens eine der fesselndsten Aufgaben. Sie fu¨hrt unmittelbar zu den großen und unverga¨nglichen Leistungen des Deutschtums in Bo¨hmen und ha¨tte schon la¨ngst einer eingehenden Pru¨fung bedurft.“11 Fu¨r Zatschek und andere Forscher vor ihm gab es keinen Zweifel, daß die Witigonen ein bayerisches Geschlecht waren und in Bo¨hmen erst Fuß gefaßt haben. Worauf stu¨tzt sich dieses scheinbar so sichere Wissen? Besucht man eines der pra¨chtigen Schlo¨sser der Rosenberger, etwa Krumau oder Wittingau, so findet man dort eine bildliche Memoria ihres Herkommens, ein in mehreren Exemplaren des 17. Jahrhunderts vorhandenes Tafelbild u¨ber die Urspru¨nge der Familie, der die verschiedenen Zweige von einem Ahnherrn ausgehen la¨ßt, eben jenem Reiter Adalbert Stifters, der urkundlich von 1167 bis 1194 nachzuweisen ist und in den Quellen als Vitko von Prˇcice erscheint. Prˇcice (Pertschitz) liegt in Mittelbo¨hmen, nordwestlich von Tabor, und dort, in dieser Region, liegen auch die fru¨¨ mtern des hest u¨berlieferten u¨brigen Gu¨ter der Familie. Vitko selbst ist in hohen A Ko¨nigs bezeugt. Folgt man Zatschek, so sind diese Gu¨ter sekunda¨rer Besitz der Familie und urspru¨nglich wa¨ren die Witigonen aus dem Mu¨hlviertel gekommen, vielleicht auf den Zu¨gen Ko¨nig Konrads III. oder schon Heinrichs V. Sie wa¨ren dann, aus welchen Gru¨nden auch immer, im Lande geblieben und ha¨tten dort umfangreichen Besitz erworben. In der Tat nennt sich Vitkos Sohn 1220 zwar Witgo de Perchyc, fu¨hrt aber in seinem Siegel die Legende Witko de Plankinberc (Plankenberg an der großen Mu¨hl),12 und die Witigonen verfu¨gten zwischen Donau und Bo¨hmerwald u¨ber eine große Zahl von Besitzungen. Diese Gu¨ter hat einer der So¨hne Vitkos, ebenfalls ein Vitko (Witigo), 1231 an den Bischof von Passau abgestoßen, von dem sie zu Lehen gingen. Witigo erhielt als Gegenleistung 300 Mark, Bischof Gebhard mußte dafu¨r ein anderes Gut an den Passauer Bu¨rger Engelschalk verlehnen, der ihm im Gegenzug 200 Mark vorstreckte. Bischof Gebhards Urkunde u¨ber diese Transaktion, an der ihm offenbar viel lag, nennt Witigo nobilis homo de Bohemia.13 Er sieht ihn also ganz als Auswa¨rtigen, nicht mit der Region verbunden.

10 Alfred Doppler/Wolfgang Fru ¨ hauf (Hg.), Adalbert Stifter: Werke und Briefe. Historisch-Kritische

Gesamtausgabe, Bd. 5,1: Witiko, Bd. 1, Stuttgart 1984, S. 38.

11 Heinz Zatschek, Die Witigonen und die Besiedelung Su¨dbo¨hmens, in: Deutsches Archiv fu¨r Landes-

und Volksforschung 1 (1937), S. 110–130, hier S. 110.

12 Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, 5 Bde., hg. v. Gustav Friedrich u. a., Prag

1904–1996, hier Bd. 2, Nr. 208.

13 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 3, Nr. 12, S. 10f., sowie Nr. 17.

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Eindeutige, direkte Argumente fu¨r Bo¨hmen oder Bayern als Herkunftsregion gibt es nicht. Die Annahme jedoch, die Witigonen seien von Bayern nach Bo¨hmen gekommen, ist eine petitio principii; sie folgt dem Klischee vom deutschen Drang nach Osten. Parallelen einer solchen Entwicklung einer bayerischen Familie sind fu¨r jene Zeit kaum beizubringen, die Sitze und Besitzungen tief im Innern Bo¨hmens und die ¨ mter, die Vitko und seine engeren Verwandten innehatten, vergleichsweise hohen A sprechen fu¨r Einheimische. Die obero¨sterreichischen Besitzungen des Geschlechts dagegen, alle noch relativ grenznah, lassen sich durch Heiratsverbindungen eines zunehmend im bo¨hmisch-bayrischen Grenzraum agierenden Geschlechts erkla¨ren, sie entschwinden spa¨ter wieder aus dem Umkreis der witigonischen Familie. Man wird demnach – wie es die tschechische Forschung seit jeher getan hat, zuletzt Josef Zˇemliˇcka – die Witigonen fu¨r ein autochthon bo¨hmisches Geschlecht halten du¨rfen, das aus dem mittelbo¨hmischen Raum heraus Machtpositionen im Su¨den aufbaute.14 Der Hergang dieser Entwicklung ist nicht klar, in den Quellen nicht exakt zu verfolgen. Um 1220 jedoch wird diese Machtstellung im Su¨den deutlich, und die verˇ schiedenen Linien mit ihren Sitzen sind zu fassen: Rozˇmberk (Rosenberg), Cesky ´ 15 ˚ Hradec (Neuhaus). Die EinzelheiKrumlov (Bo¨hmisch Krumau) und Jindˇrichuv ten sind hier nicht zu verfolgen und dazulegen, es muß genu¨gen festzuhalten, daß die Witigonen hier im su¨dlichen Bo¨hmen – zwischen der oberen Moldau und der ma¨hrischen Grenze, und spa¨ter daru¨ber hinaus – eine Herrschaft aufbauten, die von allen adeligen Herrschaftsbildungen in Bo¨hmen einer Landesherrschaft von der Art, wie sie im Reich entstand, am na¨chsten kam. Zu vergleichen ist sie etwa mit dem Machtgebilde der Schaunberger in Obero¨sterreich, die sich lange dem Sog der landesfu¨rstlichen Gewalt entziehen konnten16 oder etwa dem Besitz- und Machtkomplex der Kuenringer im o¨stlich an Su¨dbo¨hmen angrenzenden Waldviertel, in Niedero¨sterreich no¨rdlich der Donau.17 Dabei griffen die Witigonen und die Rosenberger auch selbst ¨ sterreich, wie etwa nach der Grafschaft Falkenstein, nach der sich der Rosennach O berger Zawisch nannte, den man als Gegenspieler Pˇremysl Otakars II. (Ottokar II. Pˇremysl) kennt, aus Grillparzers Drama von Ko¨nig Ottokars Glu¨ck und Ende, aber

14 Vgl. etwa Vratislav Vanı´cek, ˇ Vı´tkovci a cˇ esky´ sta´t v letech 1169–1278 [Der witigonische und der bo¨h-

ˇ mische Staat in den Jahren 1169–1278], in: Ceskoslovensky ´ cˇ asopis historicky´ 29 (1981), S. 89–110; ˇ Josef Zˇemlicka, Grenzu¨berschreitende Loyalita¨ten. Die Zuru¨ckdra¨ngung der Adelsmacht in die politischen Grenzen der La¨nder (1156/1158–1310), in: Kulturen an der Grenze. Waldviertel – Weinviertel – Su¨dbo¨hmen – Su¨dma¨hren, hg. v. Andrea Komlosy/Va´clav Buz ˚ ˇ ek/Frantisˇek Sva´tek, Wien 1995, ˇ S. 41–45; Ders., Cechy v dobˇe knı´zˇecı´ (1034–1198) [Bo¨hmen in der Zeit der Fu¨rsten (1034–1198)], Praha 1997, S. 360–362. 15 Bei Ortsnamen wird im folgenden beim ersten Auftreten zuerst die tschechische bzw. polnische Namensform, dann die deutsche aufgefu¨hrt und im weiteren Verlauf bei nochmaligem Auftreten die deutsche Form gebraucht. 16 Othmar Hageneder, Die Grafschaft Schaunberg, in: Mitteilungen des Obero¨sterreichischen Landesarchivs 5 (1957), S. 189–264, hier S. 197. 17 Joachim Ro ¨ ssl, Bo¨hmen, Ottokar II. Pˇremysl und die Herrn von Kuenring, in: Jahrbuch fu¨r Landeskunde von Niedero¨sterreich, NF 44/45 = Ottokarforschungen (1978/79), S. 380–404; Folker Reichert, Die Kuenringersta¨dte, in: Die Kuenringer. Das Werden des Landes Niedero¨sterreich, Ausst.Kat. Stift Zwettl 1981 (Kataloge des Niedero¨sterreichischen Landesmuseums NF 10), hg. v. Amt der Niedero¨sterr. Landesregierung, Wien 21981, S. 112–116.

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auch aus den historischen Quellen. In ihm, in Zawischs Person, der nach Ottokars Tod im bo¨hmischen Ko¨nigreich eine einzigartige Machtstellung als Liebhaber und spa¨terer Gatte der verwitweten Ko¨nigin und Kustode des Thronerben einnahm bis zu seinem Sturz und seiner Hinrichtung,18 scheint sich der tiefe und grundsa¨tzliche Gegensatz von Ko¨nigtum und einer zu ma¨chtig gewordenen Magnatenfamilie zu verko¨rpern, ein Gegensatz, der kaum zu u¨berwinden war. Fast jede Darstellung ist dieser Faszination erlegen, die sich auch in hoher und trivialer Literatur niedergeschlagen hat,19 die dann wieder den Historikern den Blick lenkte. Man wird das relativieren mu¨ssen, und dies sei vorweggenommen. Das su¨dliche Bo¨hmen erweist sich, was die Quellen anbetrifft, insbesondere die ¨ berlieferung, fu¨r das 12. und fru¨he 13. Jahrhundert als schwieriges urkundliche U Gela¨nde. Ko¨nigliche Beurkundungen und Aktionen sind fu¨r diese Region kaum u¨berliefert. Es fragt sich daher, ob man Su¨dbo¨hmen oder doch Teile davon als ko¨nigs¨ berlieferung erkla¨rt sich fernen Raum aufzufassen hat. Die fehlende urkundliche U auch daraus, daß hier Klo¨ster und kirchliche Institutionen fehlen, deren Archive die Masse des in den bislang publizierten fu¨nf Ba¨nden des „Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae“ edierten Materials u¨berliefert haben.20 Allein dieses Faktum ist bemerkenswert: So entspringen die ersten Gru¨ndungen geistlicher Gemeinschaften im Su¨den Bo¨hmens der Initiative des Adels und nicht des Ko¨nigtums. Das Pra¨monstratenserstift Milevsko (Mu¨hlhausen), eine Gru¨ndung des Adeligen Georg von Mu¨hlhausen, machte 1184/87 den Anfang, dann folgt eine Za¨sur bis 1243, bis zur Gru¨ndung eines Johanniterhauses in Strakonice (Strakonitz) durch Bavor von Strakonitz.21 Zwei andere Initiativen dieser Zeit gehen von den Witigonen aus. Heinrich „von Neuhaus“, der Begru¨nder einer der bedeutendsten Linien des Geschlechts, der um 1220 in einem a¨lteren slawischen Burgwall sein novum castrum (Neuhaus) errichtete, hat dorthin wohl schon vor 1237 den Deutschen Orden zu Einrichtung eines Hospitals berufen. Seit 1269 ist diese Gemeinschaft als Kommende bezeugt.22 Wichtiger noch allerdings ist die Gru¨ndung der Zisterze Vysˇsˇ´ı Brod (Hohenfurt) an der oberen Moldau durch Vok I. von Rosenberg 1258/59.23 Die Wahl Wilherings als Mutterkonvent unterstreicht die obero¨sterreichischen Bindungen der witigonischen Rosenberger. Dabei ist es bezeichnend, daß Wilhering seit der Inbesitznahme des Herzog¨ sterreich durch Ottokar II. Pˇremysl, der auch die Babenbergischen Privilegien tums O

18 Zu ihm nur Zatschek, Witigonen (wie Anm. 11 ), S. 126–128. 19 Neben Franz Grillparzers Drama vgl. etwa noch den einst vielgelesenen Roman von August Sperl,

Die So¨hne des Herrn Budiwoj, Mu¨nchen 1897.

20 Codex diplomaticus (wie Anm. 12). 21 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 4, Nr. 34, S. 115f. 22 Ralph Melville, Neuhaus, in: Handbuch (wie Anm. 6 ), S. 398–402; dazu die Urkunde Codex diplo-

maticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 57, S. 114–116 von 1255.

23 Zu Vok vgl. Aolf Wagner, Wok von Rosenberg, ein Witigone aus dem Vertrautenkreis Pˇremysl

Ottokars II, in: Bohemia-Jahrbuch 3 (1962), S. 173–198; die Urkunden zur Gru¨ndung Hohenfurts bei Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 188/89, S. 298–302; Nr. 230, S. 357; Nr. 284/85, ˇ ˇ S. 422–425; Pavel Vlcek/Petr Sommer/Dusˇan Folty´n, Encyklopedie Cesky ´ ch klasˇteru˚ [Enzyklopa¨die der bo¨hmischen Klo¨ster], Praha 1998, S. 688–691; Va´clav Buz ˚ ˇ ek, Hohenfurth, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 195f.

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des Klosters besta¨tigt hatte, zunehmend unter den Einfluß der Schaunberger geraten war, die auch die Vogtei an sich brachten.24 In der Gru¨ndung Hohenfurts bildet sich demnach auch eine Anna¨herung zwischen Witigonen und Schaunbergern ab, die sich kurz zuvor angebahnt hatte.25 Das Ko¨nigtum tritt kurz danach auf den Plan. Die Gru¨ndung des Zisterzienserklosters Zlata´ Koruna (Goldenkron) durch Ko¨nig Ottokar II. Pˇremysl im Jahre 126326 ist ganz offenkundig als Reaktion auf den Schritt der Witigonen zu werten, und sie ist im Grunde die erste genuine, urkundlich belegte Aktion des Ko¨nigtums in diesem Raum, obwohl hier betra¨chtliches Ko¨nigsgut zur Verfu¨gung stand. Vor dieser Zeit hat das Ko¨nigtum jedoch augenscheinlich dem Adel und insbesondere den Witigonen die Region als politischen Handlungsraum u¨berlas¨ mter sen. Es handelte sich immerhin um ein Geschlecht, das stets hohe ko¨nigliche A innegehabt hatte, und Ottokar hat noch zu einer Zeit, in der es mit ihm im su¨dlichen Bo¨hmen um Positionen zu ringen begann, dessen Stellung gesta¨rkt. Er verlieh Vok von Rosenberg 1260 die Burggrafschaft Raabs im no¨rdlichen Waldviertel,27 d. h. er nutzte die Machtstellung der Witigonen zur Kontrolle des Grenzbereichs zwischen ¨ sterreich, indem er dessen Machtbasis noch verbreiBo¨hmen und dem Herzogtum O terte, und zwar zur Kontrolle des Machtkomplexes der Kuenringer, die von Su¨dosten her gegen die bo¨hmische Grenze dru¨ckten. Diese Konzentration adeliger Macht in einer weit gespannten Grenzregion stellte fu¨r den o¨sterreichischen Herzog – der zu jenem Zeitpunkt ebenfalls Ottokar war – ein a¨hnliches Problem dar wie die Witigonen im su¨dlichen Bo¨hmen fu¨r den bo¨hmischen Ko¨nig. Diese politische Konstellation blieb ein Problem, selbst wann man weiß und in Rechnung stellt, daß Ottokar zu den Kuenringern gute Beziehungen pflegte und daß er am Beginn seiner Herrschaft in ¨ sterreich per consilium et auxilium des Albero von Kuenring in inferioribus et supeO rioribus eiusdem terre partibus, also „ob und nied der Enns“, regierte.28 Diese massive Unterstu¨tzung durch den Kuenringer hat Ottokar durch betra¨chtliche Vergu¨nstigungen – auch im Weitraer Grenzland – vergolten,29 doch sorgte er andererseits durch die Sta¨rkung der witigonischen Positionen im bo¨hmisch-niedero¨sterreichischen Grenzgebiet fu¨r eine Kontrolle des kuenringischen Einflusses. Ottokar sah demnach in der Herrschaft der Witigonen im Osten Su¨dbo¨hmens auch ein Instrument zur Sicherung gegen auswa¨rtige Kra¨fte und kooperierte mit diesem ma¨chtigen Adelsgeschlecht im Sinne eines Aushandelns von Kontrollgewinn und Kontrollverlust zwischen ko¨niglicher Zentralgewalt und regionaler Adelsherrschaft an der Peripherie. Er setzte die Witigonen im u¨brigen auch anderwa¨rts fu¨r seine Interessen ein. Vok von Rosenberg beispielsweise fungierte als Landrichter im Land ob der Enns und als Landeshauptmann der Steiermark. Ebenso waren er und sein Sohn 24 Alois Zauner, Ottokar II. Pˇremysl und Obero¨sterreich, in: Jahrbuch fu¨r Landeskunde von Nieder-

o¨sterreich, NF 44/45 = Ottokarforschungen (1978/79), S. 1–73, hier S. 15f.

25 Vgl. unten mit Anm. 32. 26 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 391, S. 580–583; dazu Vlcek/Sommer/Folty ˇ ´ n, Ency-

klopedie (wie Anm. 23), S. 696–700; Va´clav Buz ˚ ˇ ek, Goldenkron„ in: Handbuch (wie Anm. 6 ), S. 165f.

27 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 231, S. 359f. 28 Continuatio Garstensis a. 1182–1257, bearb. v. Wilhelm Wattenbach, hg. v. Wilhelm Heinrich Pertz

(MGHSS 9,9), Hannover 1883, S. 599, hier: zu 1252.

29 Ro ¨ ssl, Bo¨hmen (wie Anm. 17), S. 399–392; Zauner, Ottokar (wie Anm. 24), S. 3f.

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Heinrich im Grenzgebiet Nordma¨hrens gegen Schlesien fu¨r den Herrscher ta¨tig.30 Eine solche Kooperation schloß selbstversta¨ndlich partielle Konflikte und Reibungen nicht aus, jedoch wird man solche Vorkommnisse eher als Abgleichung der Interessen ansehen du¨rfen, als sie als Symptome fu¨r einen grundsa¨tzlichen Gegensatz zu betrachten. Dem Ko¨nigtum ging es in erster Linie um eine Instrumentalisierung der witigonischen Macht, um die Machtentfaltung der angrenzenden großen o¨sterreichischen Geschlechter in der Balance zu halten und beeinflussen zu ko¨nnen. Die Witigonen haben diese ihnen zugedachte Rolle auch aufgegriffen. Das la¨ßt sich an ihrer Politik um die Grenzfeste Landstein ablesen, die sie 1250 aus der Hand des Ko¨nigs erwarben,31 aber auch an manchen Einzelzu¨gen, von denen nur einer vorgestellt sei. Um 1240 zeichnete sich eine Koalition zwischen Schaunbergern und Kuenringern ab. Ein Enkel Hadmars II. († 1217), des Gru¨nders von Zwettl, Heinrich, genannt das Hu¨ndchen, heiratete Hedwig von Schaunberg. Er starb allerdings bereits wenig spa¨ter und Hedwig blieb etwa sechzehn Jahre Witwe. Dann aber griff Vok von Rosenberg zu, als er 1256/57 seine Differenzen mit den Schaunbergern ausglich. In der Narratio einer fragmentarisch erhaltenen Urkunde heißt es: Dominum Henricum de Schowenberg cum diligentia rogavimus, ut filiam suam Hedwigem nobis legitime copularet, und worauf es bei dieser Heirat ankam, besagt der Urkundentext gleich anschließend. Es war die Morgengabe, die dos, die einst Heinrich von Kuenring an Hedwig gegeben hatte und die offenbar in die Hand der Schaunberger gelangt war.32 So gelang den Rosenbergern der Einbruch in die Koalition der beiden Rivalen und in den Bestand kuenringischen Machtpotentials. Das du¨rfte genu¨gen, um das Verha¨ltnis der beiden Kontrahenten und Partner – Ko¨nigtum und Familienverband der Witigonen – um die Mitte des 13. Jahrhunderts zu umschreiben, zu einer Zeit, als Ottokar II. Pˇremysl noch nicht Ko¨nig war, aber ¨ sterreich ausu¨bte und schon seine durch Heirat erworbene Macht im Herzogtum O in Bo¨hmen als Markgraf von Ma¨hren bereits betra¨chtlichen Einfluß ausu¨bte. Zudem wurde die Perspektive auf baldige Herrschaftsnachfolge immer deutlicher. Im Gefu¨ge des Ko¨nigreichs Bo¨hmen kam den Witigonen in dieser Zeit die Rolle eines Puffers ¨ sterreich weitgehend der gegen die beiden ma¨chtigen Geschlechter zu, die sich in O landesfu¨rstlichen Macht zu entziehen vermochten. Das Ko¨nigtum gestand ihnen eine eigene Einflußspha¨re im o¨stlichen Su¨dbo¨hmen zu und kooperierte mit ihnen. Man wird sich auch hu¨ten mu¨ssen, die Witigonen als monolithischen Familienverband zu sehen; zwischen den einzelnen Linien gab es Spannungen und offenbar auch in der Haltung zum Ko¨nigtum Differenzen. Doch aufs Ganze gesehen zeigten sie in jenen entscheidenden Jahren um die Mitte des 13. Jahrhunderts bemerkenswerte Koopera-

30 Walter Kuhn, Grenzort Schnellewalde, in: Ders, Neue Beitra¨ge zur schlesischen Siedlungsgeschichte.

Eine Aufsatzsammlung (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 23), Sigmaringen 1984, S. 123–133, hier S. 128–130; Ders., Die Siedlungspolitik im Kreise Ratibor, in: ebd., S. 134–152, hier S. 138. 31 Va´clav Vesely´, Popis a dˇejiny hradu Landsˇtejna [Beschreibung und Geschichte der Burg Landstein], ˇ ˚ Hradec 1931; Toma´sˇ Durdik/Ma´ja Havlova´, Die Burg Landstein, Ceske Jindˇrichuv ´ Budˇejovice 1991. 32 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5,1, Nr. 144, S. 231f.; dazu Ro ¨ ssl, Bo¨hmen (wie Anm. 17), S. 393.

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tion innerhalb des Gesamtgeschlechts, eine Beobachtung, die auch fu¨r die Kuenringer gilt. Im u¨brigen waren beide Seiten – Ko¨nigtum wie Witigonen – mit dem Ausbau von Macht und Herrschaftsintensivierung bescha¨ftigt, und es ist nun zu fragen, welche Rolle die Sta¨dtebildung dabei spielte, die in solchen Bemu¨hungen stets, u¨berall im Reich, einen zentralen Platz eingenommen hat. Es wurde bereits angedeutet, daß das su¨dliche Bo¨hmen im fru¨hen 13. Jahrhundert mo¨glicherweise als ko¨nigsferner Raum an der Peripherie anzusprechen ist, in dem kaum ko¨nigliche Herrschaftsakte nachzuweisen sind, die sich in Urkundenform niedergeschlagen haben. Diese lapidare Feststellung ist nun etwas ausfu¨hrlicher zu belegen, indem einige Karten zur Stadtentstehung in Bo¨hmen und Ma¨hren vorgestellt werden, die auch, wenigstens z. T., die Aktivita¨ten des Ko¨nigtums kartieren. Grundlage ist eine Karte, die Frantisˇek Hoffmann publiziert hat und welche die in Bo¨hmen und Ma¨hren um 1300 existierenden Sta¨dte verzeichnet, d. h. jene Pla¨tze, denen nach einem von Hoffmann formulierten Kriterienbu¨ndel, indem dem Stadtrecht ein hoher Rang zukommt, als Stadt anzusprechen sind (Abb. 1).33 Hoffmann unterscheidet dabei nach ko¨niglichen Sta¨dten, Sta¨dten im Besitz der Kirche und des Adels sowie der „Sta¨dtlein“ (mˇesteˇcko). Eine zeitliche Schichtung hat Hoffmann nicht vorgenommen, doch findet sich eine solche bei Adolf Zycha.34 Er legt eine in vier Zeitabschnitte gegliederte Liste der bis 1306 entstandenen Sta¨dte vor und unterscheidet dabei zwischen ko¨niglichen und grundherrlichen Sta¨dten. Die Kategorie „Sta¨dtlein“ erscheint in seiner Liste lediglich fu¨r Fulnek und das ma¨hrische Sternberg,35 doch hat er in seinen Quellennachweisen in der Regel deutlich gemacht, welche Pla¨tze als locus forensis, villa forensis, oppidum forense oder „Markt“ bezeichnet werden. Frantisˇek Hoffmann verzeichnet auf seiner Karte 153 sta¨dtische Siedlungen, Zychas Katalog umfaßt 155, allerdings stimmt der Bestand nicht vollsta¨ndig u¨berein. Die Abweichungen sind geringfu¨gig und hier nicht weiter zu ero¨rtern. In jedem Fall vermitteln Hoffmans Kartierung und Zyhas chronologisch gegliederte Liste ein einigermaßen zutreffendes Bild fu¨r die hier interessierende Region Su¨dbo¨hmen, aber auch fu¨r Bo¨hmen und Ma¨hren insgesamt. Folgt man der Periodisierung Zychas, so entstehen in der Zeit vor 1230 vierzehn Sta¨dte, wobei die Entwicklung in Prag ausgeklammert bleibt (Abb. 2).36 In der zweiten Periode von 1230 bis 1253, der Regierungszeit Ko¨nig Wenzels I. kommen fu¨nfzehn weitere neu hinzu, es fand demnach etwas mehr als eine Verdoppelung statt (Abb. 3).37 Die Regierungszeit Ottokars II. Pˇremysl (1253–1278) bringt einen

33 Hoffmann, Ceske ˇ ´ mˇesto (wie Anm. 3), S. 48f.; hier als Abb. 1 mit geringfu¨gigen Vera¨nderungen wie-

der reproduziert. Die tschechische Schreibweise der Ortsnamen wird hier und der besseren Vergleichbarkeit wegen auch auf den Abb. 2–4 beibehalten. 34 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 19–31 und 31–75, sind Untersuchungen zur Entstehung einzelner Sta¨dte gewidmet; heranzuziehen ist jeweils noch Frantisˇek Kavka, Die Sta¨dte Bo¨hmens und Ma¨hrens zur Zeit des Pˇremysliden-Staates, in: Die Sta¨dte Mitteleuropas im 12. und 13. Jahrhundert, hg. v. Wilhelm Rausch (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 1), Linz 1963, S. 137–153. 35 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 31: „als Adelssta¨dtchen“. 36 Vgl. Abb. 2. 37 Vgl. Abb. 3.

Abb. 1: Sta¨dte und „Sta¨dtchen“ in den bo¨hmischen La¨ndern um 1300

ˇ Zeichnung: Dieter Overhagebo¨ck nach Entwurf von Peter Johanek nach: Frantisˇek Hoffmann, Ceske ´ mˇesto ve stˇredovˇeku, Praha 1992

344 Die Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft

Abb. 2: Sta¨dte vor 1230 Zeichnung: Dieter Overhagebo¨ck nach Entwurf von Peter Johanek

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Abb. 3: Neuentstandene Sta¨dte 1230–1253 Zeichnung: Dieter Overhagebo¨ck nach Entwurf von Peter Johanek

346 Die Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft

Zeichnung: Dieter Overhagebo¨ck nach Entwurf von Peter Johanek

Abb. 4: Ko¨nigliche und witigonische Sta¨dtepolitik in Su¨dbo¨hmen 1253–1300

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entscheidenden Schub mit insgesamt 59 Sta¨dten, also dem Vierfachen der vorhergehenden Zuwachsrate (Abb. 4).38 Unter Wenzel II. und Wenzel III. sind 65 neu entstehende Sta¨dte zu verzeichnen, die Zuwachsrate erho¨ht sich nur geringfu¨gig, die Gesamtzahl der Sta¨dte steigt gegenu¨ber dem Ende der Regierung Ottokars II. Pˇremysl um etwas mehr als zwei Drittel.39 Das ist ein Verlauf der Sta¨dtebildung, den man auch aus anderen Ra¨umen Mitteleuropas kennt.40 Die Spitzen des Zuwachses liegen hier in Bo¨hmen und Ma¨hren im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts, doch es ist die Zeit Ottokars II. Pˇremysl seit der Mitte des Jahrhunderts, die die entscheidende Wende in der Entwicklung bringt. Die spa¨tere Zeit bis 1500 hat noch eine große Zahl von Sta¨dten hinzugefu¨gt, zumeist handelt es sich um Kleinsta¨dte, Zwerg- und Ku¨mmerformen, eben um mˇesteˇcka, Sta¨dtlein oder Ma¨rkte.41 Diesen Befund gilt es nun fu¨r die einzelnen Perioden unter der hier gewa¨hlten Perspektive von Zentrum und Peripherie zu interpretieren.42 In der Zeit bis 1230 sind Sta¨dte im Bereich der pˇremyslidischen Herrschaft im wesentlichen ein ma¨hrisches Pha¨nomen, vor allem des ma¨hrisch-schlesischen Grenzbereichs.43 Neben dem Kathedralsitz Olmu¨tz, Bru¨nn und dem alten Zentrum Znojmo (Znaim), das 1227 von Ottokar I. Pˇremysl als Stadt privilegiert wurde, entstehen hier Bruntal (Freudenthal) (1197/22), Opava (Troppau) (1215/1224), Uniˇcov (Ma¨hrisch Neustadt) (1223), Głubczice (Leobschu¨tz),44 Hodonı´n (Go¨ding) (1228) als ko¨nigliche Sta¨dte, sowie Jemnice (Jamnitz) (1227) als Gru¨ndung eines ko¨niglichen Amtstra¨gers. Die Siedlung bei dem 1205 gegru¨ndeten Zisterzienserkloster Velehrad wird in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts als villa forensis und civitas perimo modo burgus bezeichnet, scheint also einen stadta¨hnlichen Ort dargestellt zu haben.45 Die Aktivita¨t des Ko¨nigtums bei der Fo¨rderung von Sta¨dten ist hier sicherlich wenigstens zum Teil mit dem Bemu¨hen der Grenzsicherung und Expansion besonders gegenu¨ber Schlesien zu erkla¨ren. 38 Kartiert wird hier lediglich die Entwicklung im su¨dlichen Bo¨hmen, vgl. Abb. 4. 39 Hier ist auf Abb. 1 zu verweisen; zur Entwicklung in Su¨dbo¨hmen, vgl. auch Abb. 4. 40 Vgl. etwa Heinz Stoob, Stadtformen und sta¨dtisches Leben im spa¨ten Mittelalter, in: Die Stadt. Gestalt

und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, hg. v. Dem., Ko¨ln/Wien 21985, S. 151–187, hier 151–156.

41 Vgl. die Karte bei Hoffmann, Ceske ˇ ´ mˇesto (wie Anm. 3), S. 78f.; eine Za¨hlung habe ich nicht vorge-

nommen.

42 Ich stu¨tze mich dabei im wesentlichen auf die Angaben bei Zycha, Ursprung der Sta¨dte(wie Anm. 9);

ˇ ˇ Mˇesta (wie Anm. 7) und Handbuch (wie Anm. 6). Nur Hoffmann, Ceske ´ mˇesto (wie Anm. 3), Kuca, in Einzelfa¨llen habe ich weitere Nachforschungen unternommen. Die Entwicklung in Prag bleibt auch hier beiseite. 43 Abb. 2; dazu Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 20f. Kartiert werden alle Sta¨dte innerhalb der Grenzen der heutigen Tschechischen Republik. Außerhalb des Kartenbildes liegt Leobschu¨tz, dessen Gru¨ndung auf bo¨hmische Initiative zuru¨ckgeht. 44 Neuerdings sind Argumente fu¨r eine Datierung der Stadtentstehung von Leobschu¨tz in das ausgehende 12. Jahrhundert vorgebracht worden, die insgesamt nicht recht u¨berzeugen ko¨nnen, vgl. dazu die zusammenfassenden Bemerkungen von Gunhild Roth, in: Das Leobschu¨tzer Rechtsbuch, bearb. und hg. v. Gunhild Roth (Quellem zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas 5), Marburg 2006, S. 5f. mit Anm. 4. 45 Vgl. die Belege bei Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 61; Hoffmann, Ceske ˇ ´ mˇesto (wie Anm. 3), hat Velehrad nicht in seine beiden Karten aufgenommen.

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In Bo¨hmen finden sich zu dieser Zeit an ko¨niglichen Sta¨dten außerhalb Prags lediglich die alten Zentren Litomˇerˇ ice (Leitmeritz) und Hradec Kralove´ (Ko¨niggra¨tz) bei denen jeweils 1225 Plangru¨ndungen mit Magdeburger Recht errichtet wurden.46 Dabei blieb es jedoch, abgesehen von zwei Klosterma¨rkten. Hroznˇetin (Lichtenstadt) bei Ostrov (Schlackenwerth), eine nach dem Schenker Hroznata benannte Propstei des Stifts Tepl wird 1219 als Marktort genannt und von Zycha wie Hoffmann unter die stadtartigen Siedlungen vor 1306 gerechnet, obwohl es erst 1333 Stadtrecht erhielt.47 Große Bedeutung hat der Ort trotz seiner gu¨nstigen Lage an einer Straße nach Thu¨ringen nie erlangt. Auch ein anderer Marktort, der bei dem Benediktinerkloster Kladruby (Kladrau) angelegt wurde, blieb unbedeutend, da ihm die ko¨nigliche Gru¨ndung Stˇribro (Mies) wenig spa¨ter den Rang ablief.48 Cheb (Eger) muß außer Betracht bleiben. Seine Stadtwerdung geho¨rt in den Umkreis der staufischen Reichslandpolitik; erst 1322 kam es unter bo¨hmische Pfandherrschaft. Als Fazit wird man fu¨r diese erste Phase festhalten du¨rfen, daß der gesamte Westen und Su¨den Bo¨hmens bis 1230 ohne Stadtgru¨ndungen blieb, wie sie im Osten, vor allem im ma¨hrisch-schlesischen Grenzbereich der Pˇremyslidenherrschaft, bereits als Instrument ko¨niglicher Politik eingesetzt wurden. Unter Ko¨nig Wenzel I. entstand eine Kette von Sta¨dten, die sich wie eine Linie von Westen nach Osten durch die Mitte des Landes zieht,49 bemerkenswerterweise u¨berwiegend ko¨nigliche Sta¨dte, die damit auch den Aktionsradius des Ko¨nigs dokumentieren: Zˇatec (Saaz), Slany´ (Schlan), Kouˇrim (Gurim), Kolı´n (Kolin), Chrudim, Jevı´cˇ ko (Gewitsch), Litovel (Littau) und Pˇrerov (Prerau). Hinzu kommen noch grundherrliche Sta¨dte und Ma¨rkte in Ma¨hren, wie Hranice (Ma¨hrisch Weißkirchen) und Pˇr´ıbor (Freiberg), sowie in Bo¨hmen, wie Kynsˇperk n. O. (Ko¨nigsberg a. d. Eger), ein Markt des Stiftes Doxan, Chomutov (Komotau) (Deutscher Orden) und Roudnice (Raudnitz), das als Stadt des Bischofs von Prag 1237 ein ko¨nigliches Privileg erhielt.50 Wiederum bleibt die su¨dliche Ha¨lfte Bo¨hmens von ko¨niglicher Sta¨dtepolitik nahezu unberu¨hrt, doch zeigen zwei Ausnahmen, daß das Ko¨nigtum beginnt, sich sta¨rker fu¨r diesen Raum, jedenfalls fu¨r seine westliche Ha¨lfte zu interessieren. In einem auf das Jahr 993 datierten und Boleslav II. zugeschriebenem Falsum werden dem Kloster Bˇrevnov Einku¨nfte aus Markt und Gericht in den Sta¨dten Schlan,

46 Historicky atlas mˇest (wie Anm. 5) 1: Litomˇerˇ ice (1996) bzw. 5: Hradec Kralove´ (1998). 47 Die Belege bei Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 19, Anm. 3; Jan Pelant, Mˇesta a mˇesteˇcka

ˇ za´padoˇceske´ho kraje [Sta¨dte und Kleinsta¨dte im westbo¨hmischen Bezirk], Plzenˇ 1984,S. 102f.; Kuca, Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 332–335; Peter Hilsch, Lichtenstadt, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 338f. 48 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 20, Anm. 1; Pelant, Mˇesta (wie Anm. 47), S. 147–149; ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 876–881; Frantisˇek Kubu, Kuca, ˚ Kladrau, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 262. 49 Abb. 3. 50 Die Zuordnungen bei Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 20f., werden u¨bernommen, obwohl sie bei einzelnen Pla¨tzen, wie z. B. Ma¨hrisch Weißkirchen und Prerau unsicher sind. Leobschu¨tz wurde hier der ersten Periode zugewiesen (vgl. oben mit Anm. 44); auch fu¨r Schlan setzt Historicky Atlas mˇest (wie Anm. 5), Bd. 6,1, die eigentliche Stadtwerdung spa¨ter an. Hier unterbleibt eine na¨here Ero¨rterung.

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Pilsen, Leitmeritz, Kouˇrim und Chrudim u¨bereignet.51 Die Fa¨lschung erfolgte offensichtlich Anfang der fu¨nfziger Jahre des 13. Jahrhunderts,52 und der Passus bezeichnet damit eine damals wichtige Gruppe ko¨niglicher Sta¨dte. Das la¨ßt vermuten, daß Pilsen bereits unter Wenzel I. unter die Sta¨dte zu za¨hlen ist. Es handelt sich jedoch nicht um das heutige Plzenˇ (Pilsen), sondern um den alten Zentralort ko¨niglicher Macht beim ´ slava su¨dostwa¨rts Pilsen.53 WenBurgwall Stary´ Plznec („Alt-Pilsen“) am Ufer der U zel I. hatte vor seiner Ko¨nigszeit den Titel dux plzniensis getragen, und das ko¨nnte zu einer besonderen Fo¨rderung des Platzes wa¨hrend seiner Regierungszeit gefu¨hrt haben. Jedenfalls entstand offensichtlich eine stadtartige Siedlung betra¨chtlicher Gro¨ßenordnung. Sie lag an der Straße ins Reich, nach Nu¨rnberg, die an diesem Platz eine weitere Straße in sich aufnahm, die u¨ber Domazˇlice (Taus) nach Bayern fu¨hrte. Das Interesse des Ko¨nigs an diesem Platz steht außer Zweifel, es wird auch darin deutlich, daß unter Wenzel II. um 1295 die Planstadt Pilsen am Zusammenfluß von Radbusa und Mies gegru¨ndet wurde, als sich die Entwicklungsmo¨glichkeiten in Stary´ Plznec ´ slava als zu ungu¨nstig erwiesen. im engen Tal der U Das Interesse des Ko¨nigtums, die Handelsstraßen nach Su¨dwesten mit Sta¨dten zu besetzen, erweist sich auch in einer ersten Gru¨ndung von Pı´sek (Pisek). Daru¨ber ist außer der Erwa¨hnung des Platzes als ko¨niglicher Urkundsort nicht viel bekannt,54 doch unterstreicht sie die Wichtigkeit des Wottawa-Tales, nicht nur wegen der dortigen Goldvorkommen, sondern vor allem wegen der Straße u¨ber den Bo¨hmerwald, des sogenannten „Goldenen Steigs“ nach Passau. Das ist der Weg u¨ber den der Salzhandel mit den Salinen im bayerischen Voralpenbereich, in Reichenhall und Hallein, abgewickelt wurde, dies ist auch der Weg, den Adalbert Stifter seinen Witiko nehmen la¨ßt. Hier setzt das Ko¨nigtum an, um seine Interessenspha¨re abzusichern. Das eigentliche Su¨dbo¨hmen, verstanden als das Gebiet zwischen der Wottawa bis zu ihrer Einmu¨ndung in die Moldau und der ma¨hrischen Grenze, bleibt noch außerhalb des Blickfeldes. Wenn das Ko¨nigtum hier seine Interessen wahrnahm – was bei den umfangreichen Komplexen von Ko¨nigsgut in dieser Region anzunehmen ist – dann setzte es jedoch noch nicht das Instrument der Sta¨dtefo¨rderung und -gru¨ndung ein.55 Das a¨nderte sich unter der Regierung Ottokars II. Pˇremysl. Jetzt erst erfaßte die Stadtentstehungswelle einigermaßen den Gesamtraum des Ko¨nigreichs Bo¨hmen, und zwar nun auch im Su¨den.56 Nur dieser su¨dliche Bereich ist nun na¨her ins Auge zu fassen. Doch ist zuvor wenigstens noch kurz auf einen bemerkenswerten Sachverhalt

51 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 1, Nr. 375, S. 349: in hiis civitatibus scilicet Nazlanem, in Pli-

zeni, Lutumiricich, Churimi, Chrudimi.

52 Vgl. die Vorbemerkung ebd., S. 347; das Urteil Friedrichs wieder aufgenommen von Codex diploma-

ticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 45, S. 95.

53 Nachweise bei Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 66f.; Pelant, Mˇesta (wie Anm. 47),

S. 259–261; Ders., Pilsen, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 445–451, hier S. 445f.

54 Codex dipolomaticus (wie Anm. 12), Bd. 4, Nr. 34, S. 114; zur Literatur siehe unten Anm. 62. 55 Vgl. dazu Kavka, Sta¨dte (wie Anm. 34), S. 144, der von einer „optischen Ta¨uschung“ durch das Kar-

tenbild spricht, was sicher nicht zutrifft. 56 Abb. 4.

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hinzuweisen, der die pˇremyslidische Herrschaftsbildung und Sta¨dtepolitik im ma¨hrisch-schlesischen Grenzbereich betrifft. Ottokar II. Pˇremysl und seine Nachfolger bedienten sich hier der Unterstu¨tzung su¨dbo¨hmischer Geschlechter. Von den kolonisatorischen Aktivita¨ten Voks von Rosenberg war bereits die Rede.57 Er erbaute auch die Burg Wogendrossel am Prudnik-Bach und erwarb dort umfangreichen Besitz. Sein Sohn Heinrich legte hier fu¨r den Ko¨nig die Stadt Prudnik (Neustadt/Oberschlesien) an, die 1302 erstmals urkundlich erwa¨hnt, deren Gru¨ndung jedoch in die Zeit um 1279 datiert wird.58 Bereits 1265 werden Herbord von Fu¨llstein, dem Truchseß Bischof Brunos von Olmu¨tz, fu¨r seine Gu¨ter im Troppauer Land dieselben Freiheiten verliehen wie Vok von Rosenberg sie in den seinen besessen hatte, und u¨berdies wurde ihm gestattet, gema¨ß dieser Freiheiten „aus dem Dorf Cranewicz eine Stadt“ zu machen.59 Darin scheint Herbord Erfahrung gehabt zu haben, denn er hatte fu¨r den Ko¨nig bereits 1262/63 in der Steiermark Leoben, die novella plantatio Bruck an der Mur und vielleicht Radkersburg angelegt.60 Die Beispiele zeigen, wie bewußt die Planung und Konstruktion der neuen Sozial-, Rechts- und Siedlungsform Stadt von Ottokar und seinen Helfern bei der Herrschaftsbildung eingesetzt wurde. In dem Namen der Stadt Baboro´w (Bauerwitz), die wohl vor 1296 entstanden ist, hat sich der Name ihres Gru¨nders Bavor von Strakonitz erhalten, der im ma¨hrisch-schlesischen Grenzgebiet in Diensten des Herzogs Nikolaus von Troppau, eines unehelichen Sohnes Ottokars II. Pˇremysl, ta¨tig war.61 Das heißt, daß die su¨dbo¨hmischen Geschlechter in die Siedlungs- und Herrschaftspolitik Ottokars und seiner Nachfolger eingebunden waren und mit dem gerade im ma¨hrisch-schlesischen Grenzbereich fru¨h energisch gehandhabten Instrumentarium der Sta¨dtepolitik in Beru¨hrung gekommen sind. Im Westen und Su¨den Bo¨hmens wird die unter Wenzel I. erkennbare Entwicklungslinie weiter gezogen. Vor allem ist es offenbar in Pisek schon in den ersten Regierungsjahren Ottokars II. Pˇremysl zu einem Neuansatz mit Burgenbau und Plananlage gekommen, der die a¨ltere stadtartige Siedlung auf dem anderen, dem westlichen Ufer der Wottawa ablo¨ste.62 Hier setzte Ottokar II. Pˇremysl offensichtlich die Akti57 Vgl. oben mit Anm. 30. 58 Schlesisches Sta¨dtebuch, bearb. v. Waldemar Grosch, hg. v. Heinz Stoob/Peter Johanek (Deutsches

Sta¨dtebuch. Handbuch sta¨dtischer Geschichte. Neubearbeitung 1), Stuttgart 1995, S. 295–298; dazu noch Peter Johanek, Entstehung und Entwicklung des Sta¨dtenetzes in Oberschlesien, in: Stadtgeschichte Oberschlesiens. Studien zur sta¨dtischen Entwicklung und Kultur einer ostmitteleuropa¨ischen Region vom Mittelalter bis zum Vorabend der Industrialisierung, hg. v. Thomas Wu¨nsch (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 5), Berlin 1995, S. 57–74, hier S. 72f.; vgl. noch Kuhn, Siedlungsentwicklung (wie Anm. 30), S. 138f., der die Gru¨ndung bereits um 1255 und damit wohl zu fru¨h ansetzt. 59 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 432; zu Herbord von Fu¨llstein vgl. auch Heinz Stoob, Bruno von Olmu¨tz, das ma¨hrische Sta¨dtenetz und die europa¨ische Politik von 1245 bis 1281, in: Die mittelalterliche Sta¨dtebildung im su¨do¨stlichen Europa, hg. v. dems. (StF A 4), Ko¨ln/Wien 1977, S. 90–129, hier S. 101 und 119. 60 Stoob., Bruno (wie Anm. 59), S. 119. 61 Kuhn, Siedlungsentwicklung (wie Anm. 30), S. 138f. 62 So jedenfalls die einhellige Meinung der Literatur, vgl. Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 65 ˇ Mˇesta (wie und 159; Va´clav Buz ˚ ˇ ek/Josef Grulich, Pisek, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 452f.; Kuca, Anm. 7), Bd. 5, S. 126–149.

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vita¨ten seines Vaters fort und verlieh ihnen sta¨rkeren Nachdruck.63 Das zeigt sich auch darin, daß neben den neu entstehenden ko¨niglichen Sta¨dten am Weg nach Nu¨rnberg, Tachov (Tachau), Stˇribro (Mies) und Beroun (Beraun), nun auch der Su¨dwesten entlang des Bo¨hmerwaldes mit den ko¨niglichen Sta¨dten Taus und Klatovy (Klattau) besetzt wird. Diese Tendenz setzt sich auch nach Ottokars II. Pˇremysl Tod fort. Susˇice (Schu¨ttenhofen) fu¨hrt die Reihe der ko¨niglichen Sta¨dte nach Su¨dosten weiter, und auch Prachatice (Prachatitz) wird man in diese Konstellation einbeziehen ko¨nnen.64 Hier hat das Stift Vysˇehrad einen wichtigen Punkt des Fernverkehrs nach Bayern zur Stadt entwickelt. Es kann kein Zweifel bestehen: das Ko¨nigtum demonstrierte nun im Verlaufe des dritten Viertels des 13. Jahrhunderts intensives Interesse an diesem Raum im Su¨den Bo¨hmens westlich der Moldau. Der Raum o¨stlich davon bleibt von solchen Aktivita¨ten des Ko¨nigtums frei. Im Bereich der Moldau aber entstehen auch drei Sta¨dte – zwei nichtko¨nigliche und eine ko¨nigliche: Netolice (Netoˇ ˇ litz), Cesky ´ Krumlov (Krumau) und Ceske ´ Budˇejovice (Budweis). Auf diese letzte Gru¨ndung und ihre Umsta¨nde kommt es an; in ihr wird die ko¨nigliche Sta¨dtepolitik in diesem Raum in ihrem gro¨ßeren Kontext und im Verha¨ltnis zu den Witigonen deutlich. Die Gru¨ndung von Budweis steht – das ist nicht zu bezweifeln – im engen Zusammenhang mit der Gru¨ndung des Zisterzienserklosters Goldenkron im Jahr 1263.65 Der Ko¨nig hat das Kloster reich ausgestattet, mit einem außerordentlich umfangreichen Landbesitz, der den gesamten obersten Moldaulauf, den no¨rdlich anschließenden Bo¨hmerwaldru¨cken bis in dessen Vorland umfaßte. Dieser Besitz legte sich wie ein Sperriegel gegen etwaige witigonische Ambitionen gegen Westen, gegen jene Region, an der das Ko¨nigtum ein besonderes Interesse besaß und dies unter Ottokar II. Pˇremysl durch die Akte seiner Sta¨dtegru¨ndungspolitik auch demonstrierte. Den Goldenen Steig hatte Ottokar II. Pˇremysl dabei besonders im Auge, wenn er in der Gru¨ndungsurkunde die Westgrenze jener Ausstattung mit den Worten kennzeichnete: per viam, qua de Patavia ad regnum nostrum venitur.66 Im a¨ußersten no¨rdlichen Zipfel des Ausstattungsguts von Goldenkron liegt Netolitz, ein Ort von einiger zentraler Bedeutung, der zu den Zentren der Burgwallzeit geho¨rt hatte und mit den Slavnikiden in Verbindung gebracht wird.67 Zusammen mit Doudleby (Teindles) und Chy´nov (Chejnow) geho¨rte es damals zu den zentralen Orten Su¨dbo¨hmens, von denen die beiden letzteren ihre Bedeutung im 13. Jahrhun-

63 Vgl. oben mit Anm. 54 und 55. 64 Zu Schu¨ttenhofen Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 27;Thomas Weiser, Schu¨ttenhofen,

in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 558. Zu Prachatitz, das bereits seit 1233 im Besitz des dem Ko¨nigtum eng verbundenen Stiftes Vysˇehrad als Markt bezeugt ist: Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 5, S. 651–665; Eberhard Holtz, Prachatitz, in: Handbuch (wie S. 29; Kuca, Anm. 6), S. 468–470. 65 Wie oben Anm. 26. Dazu Zatschek, Witigonen (wie Anm. 11), S. 120f. mit Karte nach S. 130. 66 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 391, S. 581, 3. 67 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 23; Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 4, S. 317–326; Eberˇ hard Holtz, Netolitz, in: Handbuch (wie Anm. 6). S. 392. Dazu noch Josef Zˇemlicka, Pˇremyslovska´ ˇ hradska´ centra a poˇcatky mˇest v Cecha ´ ch [Burgzentren der Pˇremysliden und die Anfa¨nge der Sta¨dte ˇ ˇ in Bo¨hmen], in: Ceskoslovensky ´ Casopis Historicky´ 26 (1978), S. 559–586, hier S. 574–576 mit Karte.

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dert verloren hatten. Netolitz dagegen kontrollierte immer noch eine Route, die von ¨ sterreich u¨ber Freistadt, Rosenberg, Krumau nach Pisek verlief. Ottokar II. PˇreO mysl gab es 1263 an Goldenkron, und Netolitz wurde eine Stadt dieses Klosters und blieb damit doch in die Kontrolle durch den Ko¨nig eingebunden. Diese Konstellation wurde in der Folgezeit noch versta¨rkt durch einen zweiten Platz sta¨dtischer Qualita¨t in Besitz Goldenkrons an der gleichen Fernstraße, na¨mlich Chvalsˇiny (Kalsching), das 1281 erstmals genannt und 1293 als civitas mit cives erwa¨hnt wird.68 Was hier – in Frontstellung zum Herrschaftsgebiet der Witigonen – sichtbar wird, ist eine sorgfa¨ltige Konstruktion von Ko¨nigsherrschaft im Zusammenwirken mit kirchlichen Institutionen. Die ko¨niglichen Sta¨dte Taus, Klattau, Pisek und Schu¨ttenhofen vereinen sich mit den Stifts- und Klostersta¨dten Prachatitz, Netolitz und Kalsching zu einem der Qualita¨t nach abgestuften Sta¨dtenetz zur Erfassung dieses Raumes. Hinzu tritt die Gru¨ndung der Stadt Budweis als sorgfa¨ltig geplanter Akt der Einda¨mmung der witigonischen Herrschaft an einem wichtigen Punkt der politischen Geographie Su¨dbo¨hmens, na¨mlich dort, wo die Moldau die Ebene erreicht, und der Weg von Freistadt durch den witigonischen Kernbereich nach Norden – nach Prag – am leichtesten zu kontrollieren ist.69 An der Mu¨ndung der Maltsch in die Moldau war verha¨ltnisma¨ßig einfach ein befestigter Platz anzulegen. Dem Ko¨nig war der direkte Zugriff jedoch verwehrt, denn der Platz befand sich in der Hand eines Adeliˇ c von Budoywiz.70 Es gelang Ottokar jedoch, das Gela¨nde an sich zu gen namens Ceˇ bringen, und er ließ hier etwa 1260, wahrscheinlich gleichzeitig mit der Gru¨ndung Goldenkrons, eine sta¨dtische Plananlage anlegen und durch Mauern befestigen, die das typische Bild einer Stadt der Ostsiedlung mit großem Marktplatz im Zentrum bietet. Diese Plananlage entstand nicht ohne Voraussetzung. Zwar weiß man nicht, ˇ c etwas a¨hnliches an diesem Platz plante, doch es scheint, als ob er ihn ob Ceˇ schon besetzt hielt, da bereits eine Siedlung mit einer Prokopkirche etwas flußabwa¨rts bestand, deren unmittelbare Umgebung bis in die Gegenwart als Altstadt ˇ c war offenbar eine bedeutende Perso¨nlichkeit, kein unbedeubezeichnet wird. Ceˇ tender Kleinadliger, mit dem kurzer Prozeß zu machen war. In seiner Hand befand sich die Burg Hluboka (Frauenberg), etwa 10 km flußabwa¨rts, und die Chroniken des Dalimil wie die des Neplach nennen ihn in ihrer Schelte Ottokars II. Pˇremysl wegen seiner Begu¨nstigung der Deutschen unter jenen Adeligen, die er aus ¨ berdies war er mit einer Kuenringerin verheiraihrem Besitz verdra¨ngt habe.71 U 68 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 24; Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 492–495; Va´clav

Buz ˚ ˇ ek, Kalsching, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 245f. 69 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9). S. 22, 63–65; Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 527–547;

Va´clav Buz ˚ ˇ ek, Bo¨hmisch Budweis, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 46–51; Historicky´ Atlas Mˇest (wie ˇ Anm. 5), Bd. 3: Ceske ´ Budˇejovice (1996); Zatschek, Witigonen (wie Anm. 11), S. S. 121. 70 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 4, Nr. 225, S. 391, als Zeyzt de Budoywiz 1251 unter den Zeugen einer in Netolitz ausgestellten Urkunde fu¨r den Deutschen Orden in Strakonitz. 71 Dalimili Bohemiae chronicon, hg. v. Joseph Emler (FontRerBoh. Prameny dˇejin Cesky ˇ ´ ch. Nada´nı´ Frantisˇka Palacke´ho 3), Praha 1882, S. 193f. bzw. 476, dazu noch das Gedicht „Kra´l Pˇremysl Otakar a Zavisˇe“, ebd., S. 242. Die Texte sind auch zusammengestellt im: Urkundenbuch der Stadt Budweis in Bo¨hmen (Sta¨dte- und Urkundenbu¨cher aus Bo¨hmen 4), hg. v. Karl Ko¨pl, Bd. I,1, Prag 1901, Nr. 6a–c, S. 2f.

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tet,72 was auf einen Mann von Substanz verweist, der zudem den Witigonen in ihrer Herrschaftsbildung gefa¨hrlich werden konnte. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, denn hier trafen sich die Interessen des Ko¨nigs und der Witigonen. Ottokar brauchte den Platz, um den Einfluß der Witigonen einzuda¨mmen, gleichzeitig aber suchte er ˇ c wurde auch witigonische Machtkonzentration ostwa¨rts der Moldau zu fo¨rdern. Ceˇ verdra¨ngt, gleichzeitig aber entscha¨digt, und zwar mit Velesˇ´ın (Weleschin), wiederum am Rand witigonischer Machtentfaltung.73 Er blieb demnach ein Stachel im Fleisch dieses Geschlechts, jedoch mit wesentlich weniger Machtmitteln ausgestattet. Ottokar aber u¨bernahm den Platz zwischen Moldau und Maltsch und baute Budweis als ko¨nigliche Stadt, die er als Eckstein in das ko¨niglich dominierte Sta¨dtenetz Su¨dwestbo¨hmens einfu¨gte. Er u¨bernahm auch Frauenberg, das er aber nicht halten konnte und den Witigonen u¨berlassen mußte. Das war der Preis fu¨r den Kompromiß, durch den die Witigonen die Abschnu¨rung duldeten, in die sie durch die Gru¨ndung Goldenˇ c gerieten. Sie suchten u¨brigens krons und Budweis’ und die Entscha¨digung des Ceˇ auch auf andere Weise Boden gutzumachen. Wie Goldenkron mit Netolitz und Kalsching ta¨tigte das Kloster Hohenfurt, und zwar sicherlich auf Dra¨ngen der Witigonen, ihrer Gru¨nderfamilie, unmittelbar su¨dlich vor Budweis eine eigene Marktgru¨ndung. Im Jahr 1261 wird das forum Strodenitz genannt, das vermutlich der neuen Stadt Budweis Konkurrenz zu machen suchte.74 Ottokar bekam aber auch diese Situation in den Griff. Er konnte 1273 Hohenfurt veranlassen – und auch dies ging sicherlich nicht ohne Druck ab – ihm die villa Strodenitz samt einigen anderen Do¨rfern zu vertauschen.75 Fortan ho¨rt man nichts mehr von einem forum an diesem Platz. Rozˇnov (Strodenitz) blieb bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein großes Bauerndorf. Insgesamt aber vermag gerade der Fall Budweis zu zeigen, welch preka¨re und mu¨hsam gestaltete Balance das Partnerschaftsverha¨ltnis Ko¨nigtum und Witigonen kennzeichnete. Die Zeit Ottokars II. Pˇremysl formte die ko¨nigliche Ausgestaltung des Sta¨dtewesens im Su¨den Bo¨hmens, die sich auf dessen westlichen Teil konzentrierte. Bis 1300 treten lediglich noch einige Retuschen hinzu. In den Raum ostwa¨rts der Moldau griff das Ko¨nigtum mit der Gru¨ndung von Sta¨dten nicht mehr aus. Die Aktion des Ko¨nigtums um Budweis und Goldenkron, zusammen mit der Entˇ c de Budoywiz mit dem Gu¨terkomplex um Weleschin waren gegen scha¨digung des Ceˇ den Krumauer Zweig der Witigonen gerichtet und verlegten ihm die Ausdehnung nach Westen. Wa¨hrend des spa¨teren Mittelalters ist es den Rosenbergern weitgehend gelungen, diesen Zustand zu revidieren, doch ist dies hier nicht zu verfolgen. Ein weiteres Ergebnis der Aktion war, daß der Bru¨ckenschlag von der Herrschaftsbildung an der obersten Moldau, die sich im engen Zusammenhang mit den Besitzungen 72 Das Stiftungen-Buch des Cistercienser-Klosters Zwettl, bearb. und hg. v. Johan von Frast (Font-

RerAustr 2, 3), Wien 1851, S. 18 und 243–245; auch bei Ko¨pl, Urkundenbuch Budweis (wie Anm. 71), Nr. 8–9, S. 4–6. 73 Dazu Zatschek, Witigonen (wie Anm. 11), S. 121. 74 Codex diplomaticus (wie Anm. 12), Bd. 5, Nr. 284, S. 424,4: forum Stradonitz; im Testament Voks von Rosenberg wird ein Novum Forum genannt, das mo¨glicherweise mit Strodenitz zu identifizieren ist, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 547f. ebd. Nr. 335, S. 498,13, vgl. auch Kuca, 75 Ko ¨ pl, Urkundenbuch Budweis (wie Anm. 71), Nr. 12, S. 7f.

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im Mu¨hlviertel vollzog,76 zu dem witigonischen Herrschaftskomplex um Neuhaus und su¨dlich davon empfindlich gesto¨rt wurde. Er war offensichtlich vom Stammsitz Prˇcice (Pertschitz), aus der Gegend um Mu¨hlhausen heraus, erschlossen worden. Den Witigonen erschien offenbar die Balance gesto¨rt, die Gewichte zu ihren Ungunsten verschoben. Hier mag – wie vermutet worden ist – der Grund dafu¨r liegen, daß die Witigonen, insbesondere Zawisch von Falkenstein, in das Lager der Gegner Ottokars II. Pˇremysl u¨bergingen. In jedem Fall sind seit 1270 keine Angeho¨rigen des Geschlechts mehr am Hofe nachzuweisen, wenn es um bo¨hmische Angelegenheiten ging.77 Die Witigonen antworteten jedoch nicht in unmittelbarem Gegenzug mit einer Sta¨dtepolitik, um in ihrem herko¨mmlichen Einflußgebiet ostwa¨rts der Moldau ihre Herrschaft zu sta¨rken. Einzig die Anfa¨nge Krumaus scheinen in die Zeit Ottokars zuru¨ckzureichen. Die Burg auf dem Felsen auf dem linken Moldauufer ist vermutlich seit 1240 erbaut worden und wird 1253 erstmals genannt, 1274 ein iudex de Crumnow erwa¨hnt. Die Gestaltung des Grundrisses der Altstadt Krumau rechts der Moldau spiegelt die Anlage von Budweis und mag in die letzten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts zuru¨ckgehen wie auch die Ausbildung einer Siedlung mit sta¨dtischen Zu¨gen unterhalb der Burg im Latron (ad latera castelli). Doch als civitas wird Krumau erstmals 1309 bezeichnet. Man hat offenbar mit einem la¨ngeren, sehr komplexen Stadtentstehungsprozeß zu rechnen, dessen Wurzeln noch in Ottokars Zeit zuru¨ckreichen.78 Die Zeit der Witigonen als Sta¨dtegru¨nder kam jedoch erst mit dessen Nachfolgern. Erst in der Zeit unmittelbar vor 1300 legten die verschiedenen Linien des Geschlechts die Grundlagen des witigonischen Sta¨dtenetzes, dessen einzelne Glieder zu den Stadtkunstwerken der Rosenberger geformt wurden, deren der Renaissance verpflichtete architektonische Ausgestaltung noch heute von Krumau bis Teltsch zu bewundern ist. Doch die Witigonen erscheinen als Sta¨dte- und Marktgru¨nder verspa¨tet, auch im Vergleich mit anderen Adelsgeschlechtern der Region. Die Kuenringer beispielsweise begannen ihr grenzsicherndes Sta¨dtedreieck Zwettl, Weitra und Gmu¨nd bereits um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert zu konstruieren.79 Diese Verspa¨tung der Witigonen ist angesichts der Rolle, die Angeho¨rige des Geschlechts in der Sta¨dtepolitik Ottokars II. Pˇremysl gespielt haben, im Grunde erstaunlich. Aber die witigonischen Sta¨dte und Sta¨dtchen erscheinen verspa¨tet, lediglich Slavonice (Zlabings) geht als 1260 erstmals erwa¨hntes Marktdorf in die fru¨he Zeit Ottokars II. Pˇremysl zuru¨ck.80 Seinen eigentlichen Aufstieg erlebte es jedoch erst seit dem Erwerb der

76 Zatschek, Witigonen (wie Anm. 11), S. 122–124. 77 Ebd., S. 124f. 78 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 25; Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 564–579; Va´clav

Buz ˚ ˇ ek/Thomas Krzenck, Bo¨hmisch Krumau, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 53–57; sowie jetzt ˇ Historicky´ Atlas mˇest (wie Anm. 5), Bd. 11: Cesky Krumlov (2003). 79 Reichert, Kuenringersta¨dte (wie Anm. 17), S. 112f. 80 So Ralph Melville, Zlabings, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 684f. mit Literatur.

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Herrschaft Teltsch durch die Neuhauser Linie 1339. Die Argumente fu¨r den Stadtcharakter mehrerer dieser witigonischen Pla¨tze sind fu¨r die Zeit vor 1300 schwach, besonders fu¨r die kleineren von ihnen. Hohenfurt ist im Grunde auf Dauer ein Markt geblieben,81 bei Rosenberg wird man um 1300 eher vom Anfang einer sta¨dtischen Entwicklung sprechen ko¨nnen, die erste Nennung als Stadt liegt 1362.82 Hornı´ Stropnice (Strobnitz), dessen Grundriß eine Parallele zu Kalsching darstellt, erscheint immerhin bereits 1279 als Sta¨dtchen,83 ebenso Nove´ Hrady (Gratzen) 1284.84 Noch spa¨ter setzt die Entwicklung in Trhove´ Sviny (Schweinitz) ein; die Erstnennung als Sta¨dtchen erfolgt 1379, ein Marktprivileg wurde sogar erst 1481/82 verliehen.85 Tˇrebonˇ (Wittingau), das spa¨ter eine bedeutende Entwicklung nahm, wird 1261 erstmals genannt, ist um 1300 ein Marktflecken und erscheint 1341 als Stadt.86 Selbst Neuhaus, wo der aktivste Zweig der Witigonen saß, zeigte eine zo¨gerliche Entwicklung zur Stadt, obwohl es wahrscheinlich bereits seit etwa 1230 als zentraler Ort mit stadta¨hnlichen Zu¨gen anzusprechen ist. Der Ansatzpunkt fu¨r die Stadtwerdung ist die seit 1237 sich entwickelnde Kommende des Deutschen Ordens neben der Burg, die einen alten Burgwall fortsetzte, aber erst die neunziger Jahre des 13. Jahrhunderts bringen die ersten unbedenklichen Belege fu¨r die Benennung als civitas und oppidum. In dieser Zeit werden auch Handwerker, Kaufleute und Juden erwa¨hnt, wa¨hrend die Entstehung einer Plananlage mit Marktplatz wohl erst fu¨r die Regierungszeit Ulrichs III. von Neuhaus (1312–1349) anzusetzen ist.87 So ergibt sich als Fazit dieser Betrachtungen, daß die zentrale Macht, das Ko¨nigtum, fru¨her und entschlossener mit dem Instrument der Sta¨dtebildung Herrschaftsintensivierung und Erfassung des Landes betrieben hat als die periphere Kraft der Witigonen, denen im Kra¨ftespiel der Politik im su¨dlichen Bo¨hmen der Part der Grenzsicherung zugedacht war. Der Horizont des Ko¨nigtums war offensichtlich weiter gespannt und seine Erfahrungen vielfa¨ltiger als die der Witigonen trotz deren Einsatz im Ko¨nigsdienst. Das zeigt sich etwa auch in der Art, wie Ottokar II. Pˇremysl im Norden Bo¨hmens mit dem Magdeburger Recht zu hantieren verstand und im Su¨den mit dem Stadtrecht von Wien. Die Witigonen reagierten archaischer, traditioneller, nahmen das neue Modell Stadt zo¨gerlicher auf als der Ko¨nig und sie unterschieden sich damit betra¨chtlich von der benachbarten Macht der Kuenringer, die ebenfalls in ihrem Bereich als periphere

81 Erst 1528 verlieh Johann III. von Rosenberg dem Ort den Status eines „Sta¨dtchens“, Buz ˚ ˇ ek, Hohen-

furth (wie Anm. 23). 82 Va´clav Buz ˚ ˇ ek, Rosenberg, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 524f. 83 Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 188–191. 84 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 29; Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 4, S. 385–395; Va´clav

Buz ˚ ˇ ek, Gratzen, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 171. 85 Va´clav Buz ˚ ˇ ek, Schweinitz, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 561f. 86 Ralph Melville, Wittingau, in: Handbuch (wie Anm. 6), S. 666–668. 87 Zycha, Ursprung der Sta¨dte (wie Anm. 9), S. 29 u. 164; Kuca, ˇ Mˇesta (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 706–722;

Melville, Neuhaus (wie Anm. 22); Ludˇek Jira´sko, Poˇca´tky mˇesta a jeho vy´voj ve 13. stoletı´ [Die ˇ ˚ Hradec 1293/1993, Ceske Anfa¨nge der Sta¨dte und ihre Entwicklung im 13. Jahrhundert], in: Jindˇrichuv ´ Budˇejovice 1992, S. 57–67.

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Kraft anzusehen sind. In einer Phasenverschiebung jedoch von wenigen Jahrzehnten u¨bernahmen auch die Witigonen das Modell eines in seiner Wertigkeit abgestuften Sta¨dtenetzes zur Strukturierung des Landes zwischen Moldau und ma¨hrischer Grenze. Die kulturelle Blu¨te des 16. Jahrhunderts hat die Unterschiede ausgeglichen und die Witigonen-Rosenberger zu herausragenden Tra¨gern adeliger und sta¨dtischer Kultur gemacht.

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG ¨ DTENETZES IN OBERSCHLESIEN DES STA [Erstabdruck: Stadtgeschichte Oberschlesiens. Studien zur sta¨dtischen Entwicklung und Kultur einer ostmitteleuropa¨ischen Region vom Mittelalter bis zum Vorabend der Industrialisierung, i. A. der Stiftung Haus Oberschlesien hg. v. Thomas Wu¨nsch, Berlin 1995, S. 57–74]

¨ berblick u¨ber die Entstehung und Entwicklung des Wer es unternimmt, einen U Sta¨dtenetzes in Oberschlesien wa¨hrend des Mittelalters zu geben, wird kaum u¨ber die Ergebnisse der Lebensarbeit Walter Kuhns hinausgelangen, wenn er nicht zu umfassenden neuen Forschungen ansetzt. Dennoch darf in einem Band wie diesem, der ¨ berArbeiten zum oberschlesischen Sta¨dtewesen vereint, eine solche orientierende U sicht nicht fehlen, die die Grundlinien dessen ins Geda¨chtnis ruft, was in der bisherigen Forschung erarbeitet wurde.1 Allerdings ist trotz der verha¨ltnisma¨ßig gu¨nstigen Ausgangsposition kein Gesamtbild zu entwerfen, das alle Sta¨dte des historischen Oberschlesien und der angrenzenden Landschaften gleichma¨ßig zu beru¨cksichtigen vermo¨chte. Allein die Zahl der sta¨dtischen Siedlungen, die zu behandeln wa¨re, verbietet ein solches Vorgehen. Das „Deutsche Sta¨dtebuch“ verzeichnet im Gebiet der oberschlesischen Herzogtu¨mer fu¨r das 13. und das beginnende 14. Jahrhundert 32 Sta¨dte.2 Dazu kommen weitere im 1937 zu Polen geho¨renden Teil Oberschlesiens, im Bereich des Auschwitzer Bes¨ sterreichisch-Schlesien und in dem zum Vergleich kidenvorlandes, im ehemaligen O heranzuziehenden Neisser Bistumsland. Insgesamt du¨rfte es sich dabei noch einmal um etwa die gleiche Zahl handeln, und die vergleichende Heranziehung der angrenzenden ma¨hrischen Sta¨dte treibt die Gesamtzahl auf eine Ho¨he, die in einem kur¨ berblick nicht systematisch zu durchdringen ist. Es muß daher genu¨gen, einige zen U Aspekte hervorzuheben, die die charakteristischen Grundlinien der oberschlesischen Entwicklung deutlich hervortreten lassen. Walter Kuhn – auf dessen Arbeiten jeder aufbauen muß, der sich mit dem Thema bescha¨ftigt – hat sich in immer neuen Anla¨ufen mit der Entstehung und Entwicklung 1 Mein Vortrag vom 22. 10. 1994 in Ko¨nigswinter gelangt mit ganz geringfu¨gigen Vera¨nderungen zum

Abdruck, auch die Vortragsform wurde beibehalten. An Belegen wurden lediglich die notwendigsten Literaturtitel beigefu¨gt sowie Quellenzitate nachgewiesen. 2 Schlesisches Sta¨dtebuch, hg. im Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte an der Universita¨t Mu¨nster von Heinz Stoob/Peter Johanek in Verbindung mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, bearb. v. Waldemar Grosch unter Mitarbeit v. Heinz Stoob/Maria Elisabeth Gru¨ter/Franz-Joseph Post (DtStB, Neubearb. hg. v. Heinz Stoob/Peter Johanek, 1), Stuttgart 1995.

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der oberschlesischen Sta¨dte befaßt und dabei stets die Entwicklung des schlesischen Sta¨dtewesens insgesamt wie auch der polnischen Sta¨dte im Auge behalten. Er hat Einzelstudien zu verschiedenen Regionen vorgelegt, etwa u¨ber das Rybniker Kreisgebiet, den Kreis Ratibor, das Auschwitzer Beskidenvorland oder auch u¨ber einzelne Sta¨dte ¨ berblicksdarstellungen wie das Buch wie Kreuzburg und Oppeln.3 Daneben stehen U u¨ber die deutschrechtlichen Sta¨dte in Schlesien und Polen,4 die die Sta¨dte betreffenden Abschnitte seiner Siedlungsgeschichte Oberschlesiens5 und schließlich der sou¨ berblick u¨ber die Sta¨dtegru¨ndungspolitik der Piasten im 13. Jahrhundert.6 In vera¨ne U diesen Arbeiten ist ein reiches Material ausgebreitet, aus dem man in Fu¨lle zu scho¨pfen vermag. Weiterhin treten die gru¨ndlichen Untersuchungen Josef Joachim Menzels ¨ berblicke Heinz Stoobs und Peter Moraws,8 so hinzu7 sowie zuletzt die knappen U daß man fu¨r eine Bescha¨ftigung mit dem schlesischen und oberschlesischen Sta¨dtenetz wohlgeru¨stet ist. Walter Kuhn ging aus von der Siedlungsgeschichte. Die Geschichte des Sta¨dtewesens war ihm stets eingebettet in die gesamte Siedlungsentwicklung, ja im Grunde hat man bei der Lektu¨re seiner Arbeiten stets das Gefu¨hl, daß es ihm eher um die la¨ndliche Siedlungsentwicklung zu tun war, obwohl er selbst doch aus der bedeutenden oberschlesischen Stadt Bielitz stammte.9 Jedenfalls hat er stets la¨ndliche und sta¨dtische Siedlung zusammen betrachtet. Das ist auf dem Gebiet der deutschen Ostsiedlung auch selbstversta¨ndlich, sind doch gerade in Schlesien sta¨dtische und la¨ndliche Siedlung eng miteinander verknu¨pft, in der Tat sehr viel enger, als dies im Altsiedelland des Reichs der Fall ist. Josef Joachim Menzel hat vor einiger Zeit pra¨gnant den Begriff des Weichbilds herausgearbeitet, eines Rechtsworts, das zwar aus 3 Vgl. dazu die beiden Sammelba¨nde, die die Neudrucke seiner Studien zur schlesischen Siedlungsge-

schichte vereinen und wo die Orte der Erstdrucke nachgewiesen sind: Walter Kuhn, Beitra¨ge zur schlesischen Siedlungsgeschichte, Bad Windsheim 1971, darin: Die Gru¨ndung von Kreuzburg im Rahmen der schlesischen Siedlungsgeschichte (S. 106–130); ders., Neue Beitra¨ge zur schlesischen Siedlungsgeschichte. Eine Aufsatzsammlung (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 23), Sigmaringen 1984, darin umfassende Bibliographie der Arbeiten Walter Kuhns zur schlesischen Geschichte (S. 276–282), sowie: Die Siedlungsentwicklung im Kreis Ratibor (S. 134–152); Die Besiedlung des Rybniker Kreisgebietes (S. 153–165); Die Siedlungsgeschichte des Auschwitzer Beskidenvorlandes (S. 166–237); Die zweimalige Lokation von Oppeln und die Besiedlung des nordo¨stlichen Oberschlesien im 13. Jahrhundert (S. 102–122); hierzu noch ders., Oppeln (DtStAtl II, 11), Dortmund 1979. 4 Walter Kuhn, Die deutschrechtlichen Sta¨dte in Schlesien und Polen in der ersten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts, Marburg/Lahn 1968. 5 Walter Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens, Wu¨rzburg 1954. 6 Walter Kuhn, Die Sta¨dtegru¨ndungspolitik der schlesischen Piasten im 13. Jahrhundert, vor allem gegenu¨ber Kirche und Adel, in: ArchSchlesKG 29 (1971), S. 32–67; 30 (1972), S. 33–69; 31 (1973), S. 1–35; 33 (1974), S. 1–20. 7 Josef Joachim Menzel, Stadt und Land in der schlesischen Weichbildverfassung, in: Die mittelalterliche Sta¨dtebildung im su¨do¨stlichen Europa, hg. v. Heinz Stoob (StF A 4), Ko¨ln/Wien 1977, S. 19–38; ders., Die schlesischen Lokationurkunden des 13. Jahrhunderts (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 19), Wu¨rzburg 1977. 8 Heinz Stoob, Schlesien im Rahmen der Verbreitungskarten zum Deutschen Sta¨dteatlas, in: JbUnivBreslau 25 (1984), S. 3–24; Peter Moraw, Das Mittelalter, in: Norbert Conrads, Schlesien (Deutsche Geschichte im Osten Europas 4), Berlin 1994, S. 100–114. 9 Vgl. dazu Walter Kuhn, Geschichte der deutschen Sprachinsel Bielitz (Schlesien) (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 21), Wu¨rzburg 1981; das Buch vermag beispielhaft fu¨r Kuhns Verbindung von Sta¨dtegeschichte und allgemeiner Siedlungsgeschichte zu stehen.

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Westfalen und Sachsen stammt und dort den o¨rtlichen Geltungsbereich von Stadtrecht bezeichnet, aber in Schlesien mit neuem Inhalt gefu¨llt wird. Weichbild meint hier „den eine Anzahl von Do¨rfern umfassenden, mit einer Stadt verbundenen Landbezirk, in dem mittelbar oder unmittelbar Stadtrecht galt, der rechtlich, gerichtlich, kulturell und wirtschaftlich eng mit der Stadt verbunden war, mit ihr in einer Symbiose lebte.“10 Diese Weichbildverfassung darf als herausragender Baustein der schlesischen und oberschlesischen Landesorganisation betrachtet werden. Hier liegen die Wurzeln fu¨r das siedlungsgeschichtliche Arbeitsverfahren Walter Kuhns. Dabei ist es reizvoll zu beobachten, wie er zwar immer in der Siedlungsgeschichte den Zug zum organisatorischen, d. h. zum geplanten, von einem Konzept getragenen Vorgang sieht, der von den Herrschaftskra¨ften angestoßen und getragen wird. Aber in seinen fru¨heren Arbeiten dominiert doch der Eindruck, daß Siedlung ein Vorgang sei, der – wenn schon nicht seine Ziele – so doch seinen Gang gleichsam selbst bestimmt und vor allem den natu¨rlichen Gegebenheiten der Landesnatur folgt. Gerade Kuhns Siedlungsgeschichte Oberschlesiens ist von dieser Stimmung durchzogen. Vielfach besteht ja auch die Vorstellung – und gerade in popula¨ren Darstellungen der deutschen Ostsiedlung la¨ßt sich das finden – als sei Siedlung etwas spontanes, sich gleichsam aus den Volkskra¨ften selbst entwickelndes, als ginge es um Kra¨fte, die sich ihren eigenen Weg suchen und allenfalls der Hilfestellung der Herrschaftstra¨ger bedu¨rfen. So ist das bekanntlich nicht: keine der deutschrechtlichen Sta¨dte, die innerhalb des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts in Oberschlesien und anderwa¨rts entstehen, hat sich gegru¨ndet, alle wurden vom Landesherrn oder anderen Herrschaftstra¨gern gegru¨ndet; bei ihnen lag die Initiative. Diese Grundtatsache ist Walter Kuhn selbstversta¨ndlich von Anfang an bewußt gewesen, aber erst in seinen spa¨teren Arbeiten hat er diese Perspektive in den Titel seiner Arbeiten geru¨ckt, eben in jener Abhandlung u¨ber piastische Sta¨dtegru¨ndungspolitik im 13. Jahrhundert.11 Dort hat er sogar den Gedanken der landesherrlichen Initiative sehr stark in den Vordergrund geschoben. Er hob hervor, daß von den 131 Sta¨dten Schlesiens, die zwischen 1211 und 1300 zu deutschem Recht entstanden, 104 – also bei weitem die u¨berwiegende Zahl – landesherrliche Gru¨ndungen waren. Neun wurden vom Breslauer Bischof, zwo¨lf von Klo¨stern oder Ritterorden und sechs vom Adel angelegt. Mehrere unter ihnen wurden spa¨ter vom Landesherrn aus adliger oder kirchlicher Hand u¨bernommen, so daß sich die Zahl der landesherrlichen Sta¨dte noch erho¨ht.12 Kuhn sah – und das dru¨ckt die Titelgebung der Arbeit auch aus – die Sta¨dtegru¨ndung in erster Linie als Instrument der Landesorganisation und zwar interpretierte er sie als Instrument der Behauptung des Landesherrn gegenu¨ber inneren Herrschaftskra¨ften von Adel und Kirche. Er hat damit ein Bild gezeichnet, das in seinen Grundlinien sicher das Richtige trifft. Wir brauchen hier Kuhns Untersuchungs- und Argumentationsgang nicht weiter verfolgen, sondern halten lediglich fest: In der Tat ist es den schlesischen Herzo¨gen, und zwar allen von ihnen, gelungen, die Initiative bei der Stadtgru¨ndung in der Hand zu behalten. Die Versuche zur Sta¨dtegru¨ndung durch Kirche 10 Menzel, Stadt und Land (wie Anm. 7), S. 20. 11 Vgl. Kuhn, Sta¨dtegru¨ndungspolitik (wie Anm. 6). 12 Ebd., 29 (1971), S. 32f.

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und Adel fallen wenig ins Gewicht, auf keinen Fall bringen sie gewichtige Gru¨ndungen hervor. Kuhn hat damit einen Zug erfaßt, der dem gesamten deutschen Osten, ja den großen Fla¨chenterritorien u¨berhaupt gemeinsam ist. Das ist unbestritten, man wird jedoch Gedanken daru¨ber anzustellen haben, ob daru¨ber hinaus noch andere Besonderheiten gerade Schlesiens und Oberschlesiens in der Entwicklung des mittelalterlichen Sta¨dtenetzes sichtbar werden. Walter Kuhn hat das Ergebnis des Sta¨dtebildungsprozesses in Schlesien und Oberschlesien in seiner Gesamtheit u¨beraus positiv beurteilt. Als Beispiel sei eine ¨ ußerung aus der bereits genannten Arbeit zitiert: „Das Ergebnis der fu¨rstlichen PlaA nung war, wie eine Karte der schlesischen Sta¨dte um 1300 zeigt, ein weithin gleichma¨ßiges Netz mit Absta¨nden von 15 bis 25 km, also einer maximalen Stadtferne der a¨ußeren Do¨rfer von rund 12 km, die es den Bauern ermo¨glichte, an einem Tag zur Stadt zu fahren, dort ihre Gescha¨fte abzuwickeln und wieder heimzukehren.“ Er sah eine große Gleichma¨ßigkeit der Sta¨dteverteilung in Schlesien gegeben, die sich „von den Verha¨ltnissen im inneren Bo¨hmen oder in Großpolen“ deutlich abhebt, „wo die Konkurrenz der adeligen Grundherren oft Sta¨dte in unmittelbarer Nachbarschaft schuf, die sich gegenseitig die Existenz erschwerten.“13 Das ist eine nicht untypische Bemerkung Kuhns, und man hat fast den Eindruck, als ob sein Ordnungssinn durch dergleichen gesto¨rt worden sei. Auch in seiner oberschlesischen Siedlungsgeschichte hat er fast mißbilligend konstatiert: „Die planvolle Gleichma¨ßigkeit der Sta¨dteverteilung wird nur dort gesto¨rt, wo beiderseits einer Grenze zwei Gru¨nder ohne Ru¨cksicht aufeinander oder gar im Konkurrenzkampf vorgingen.“14 Bei diesem Sachverhalt, den Kuhn offenbar nicht recht zu wu¨rdigen vermochte, wird spa¨ter noch anzusetzen sein. Jedenfalls suchte Kuhn stets nach organischem Wachstum im Siedlungsgeschehen, Konflikte als dessen Agens standen fu¨r ihn weni¨ berblick zu ger im Vordergrund des Interesses. Zuna¨chst ist hier jedoch noch beim U verbleiben. Kuhns Feststellungen von der Regelma¨ßigkeit der Sta¨dtebildung betrafen Schlesien als Ganzes, waren nicht auf Oberschlesien im besonderen gemu¨nzt. Das Kartenbild der Sta¨dtegru¨ndungen in Schlesien und den umliegenden Regionen, das Heinz Stoob erarbeitet hat, kann einige der Probleme verdeutlichen.15 Die Karte geho¨rt in das Programm der Begleitkarten zum Deutschen Sta¨dteatlas, die bestimmte Pha¨nomene des Sta¨dtewesens, wie auch die Verbreitung bestimmter Vorga¨nge kartographisch verdeutlichen soll, etwa die Art ihrer Befestigung, des Abgangs von Sta¨dten u. a. m. Hier ist in einem groben Raster die zeitliche Schichtung der Sta¨dtebildung durch verschiedene Farbgebung verdeutlicht. Kartiert wird jeweils der Abschluß der Stadtbildung, das heißt des Zeitpunktes, zu dem der betreffende Ort sicher als Stadt zu betrachten ist. Es versteht sich von selbst, daß hinter diesem Kartenbild eine außerordentliche Arbeitsleistung an Einzelforschung steht und auch, daß gelegentlich summarische Entscheidungen getroffen werden mu¨ssen. Insgesamt ist fu¨r Oberschlesien die Quellenlage schlechter als fu¨r das u¨brige Schlesien und fu¨r Ma¨hren,

13 Ebd., S. 34. 14 Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens (wie Anm. 5), S. 86. 15 Vgl. die beigegebene Karte, zuerst farbig publiziert bei Stoob, Schlesien (wie Anm. 8), Karte Nr. 1, S. 6.

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auch Walter Kuhn hat das beklagt und hervorgehoben.16 Das bedeutet auch, daß die Gru¨ndungsdaten oberschlesischer Sta¨dte weniger genau u¨berliefert sind, der Stadtbildungsprozeß im einzelnen jeweils schwieriger zu durchschauen ist. Dennoch macht das Kartenbild zweierlei deutlich: 1. Das Sta¨dtenetz ist in Oberschlesien nicht ganz so gleichma¨ßig ausgebildet, wie man es nach Walter Kuhns Darlegungen annehmen sollte, jedenfalls zeigt es gegenu¨ber dem u¨brigen Schlesien mehrere deutliche Leerfla¨chen. Walter Kuhn hat einige dieser Lu¨cken mit siedlungsgeschichtlichen Argumenten erkla¨rt.17 Die gro¨ßte Leerfla¨che ostwa¨rts Oppeln fu¨hrt Kuhn auf die dichten Wa¨lder der Malapane-Niederung zuru¨ck. Eine zweite, hier außerhalb des Kartenausschnitts liegende Leerfla¨che su¨dlich Teschen findet ihre Begru¨ndung durch die Beskiden und ihre Siedlungsfeindlichkeit. Kuhns Erkla¨rungsmuster greift jedoch nicht in allen Fa¨llen. Es gibt weitere Leerfla¨chen – etwa im Gebiet westlich Cosel –, und hier hilft das Argument der Siedlungsfeindlichkeit nicht unmittelbar. Anderwa¨rts dagegen gibt es Konzentrationen von Sta¨dten, vor allem im su¨dlichen Bereich Oberschlesiens, etwa um Teschen und um Ratibor. Bei solchen summarischen Feststellungen kann es vorla¨ufig verbleiben. 2. Aus der Kartierung ergeben sich weitere Besonderheiten des oberschlesischen Sta¨dtenetzes. Aufs Ganze gesehen ist der Sta¨dtestand Oberschlesiens im wesentlichen bis 1330 herangebildet worden, d. h. in der klassischen Zeit der deutschen Ostsiedlung. Das gilt fu¨r das Oppelner Land so gut wie fu¨r Teschen und Auschwitz, ebenso wenigsten zum Teil auch fu¨r erst spa¨ter zu Oberschlesien gerechnete Gebiete des Herzogtums Troppau und fu¨r das Land Hotzenplotz des Bischofs von Olmu¨tz. Das u¨brige Schlesien weist eine ganze Reihe von Sta¨dtegru¨ndungen der Zeit zwischen 1330 und 1380 auf, und ebenso finden sich solche, zusammen mit Gru¨ndungen aus der noch spa¨teren Periode bis 1450, im angrenzenden Polen. Gerade fu¨r die letztere Region hat Walter Kuhn diese spa¨ten Gru¨ndungen mit der gro¨ßeren Aktivita¨t des Adels im Sta¨dtegru¨ndungsprozeß erkla¨rt, den er fu¨r Schlesien im Ganzen nicht gegeben sah.18 Dieser Befund hebt Oberschlesien heraus aus der Großregion, die es umgibt. Man wird nach den Gru¨nden fragen mu¨ssen. Kam Oberschlesien mit dem Sta¨dtebestand, wie er sich bis 1330 entwickelt hatte, deswegen aus, weil das Land territorial so zersplittert war, daß den Landesherren der Teilfu¨rstentu¨mer die Kraft fehlte, weiteren Ausbau zu betreiben oder weil bei der Kleinheit der territorialen Gebilde auch keine weitere Notwendigkeit

16 Vgl. z. B. Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens (wie Anm. 5), S. 87. 17 Vgl. zum folgenden ebd., S. 86ff. 18 Vgl. etwa Kuhn, Deutschrechtliche Sta¨dte (wie Anm. 4), S. 161, sowie ders., Die deutschrechtlichen

Stadtgru¨ndungen in Kleinpolen, in: Die mittelalterliche Sta¨dtebildung im su¨do¨stlichen Europa (wie Anm. 7), S. 39–89, hier S. 63f. Allerdings findet sich auch im Herzogtum Troppau eine gro¨ßere Zahl von adeligen Stadtgru¨ndungen, die jedoch fru¨h erfolgten, vgl. Karl Berger, Die Besiedlung des deutschen Nordma¨hrens im 13. und 14. Jahrhundert, Bru¨nn 1933, S. 365, sowie Kuhn, Geschichte Oberschlesiens (wie Anm. 19), S. 22.

Quelle: Entwurf: H. Stoob, Stand: 1. 6. 1984

Abb. 1: Schlesische Sta¨dtebildung bis 1450

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dazu bestand?19 Hatten die Landesfu¨rsten unter Umsta¨nden eben durch die Klein¨ bergewicht in deren Inneren, daß sie heit ihrer Herrschaftsgebiete ein derartiges U Initiativen anderer Gruppen zuru¨ckdra¨ngen konnten? Und weiter: Hat die Tatsache, daß es bei der Kleinheit der Herrschaftsgebiete zu einer relativ fru¨hen Verfestigung fu¨rstlicher Herrschaft an einem Ort kommen mußte, vielleicht zu einer fru¨hen Residenzbildung gefu¨hrt, zum Vorrang einer bestimmten Stadt gegenu¨ber anderen Pla¨tzen, die ebenfalls entwicklungsfa¨hig waren, so aber in ihren Entfaltungsmo¨glichkeiten gehindert wurden? Diese Fragen sind hier nur aufzuwerfen, nicht zu beantworten. Die Eigenart der oberschlesischen Sta¨dtelandschaft zeigt sich noch in einem anderen Zusammenhang, na¨mlich wenn man die Gro¨ße der Sta¨dte, ihren Fla¨cheninhalt und den damit verbundenen Ha¨userbestand sowie die vermutliche Einwohnerzahl beru¨cksichtigt. Die Merkmale sind in der Karte Stoobs nicht mitkartiert, und zwar aus guten Gru¨nden. Man weiß, daß Untersuchungen zur Gro¨ße und Einwohnerzahl mittelalterlicher Sta¨dte ein dornenreiches Gescha¨ft sind. In Schlesien insgesamt liegen erst fu¨r die Ha¨userzahlen des 16. Jahrhunderts relativ zuverla¨ssige Quellen vor, und auch fu¨r Einwohnerzahlen lassen sich fu¨r diese Zeit begru¨ndete Scha¨tzungen vornehmen. Gerade Walter Kuhn hat Fragen dieser Art immer wieder angeschnitten, doch sind fu¨r die fru¨here Zeit nur vorsichtige Ru¨ckschlu¨sse mo¨glich. So wird man also keine Tabellen mit exakten Zahlen vorlegen ko¨nnen, aber ein ganz bestimmtes Ergebnis la¨ßt sich doch festhalten: Die oberschlesischen Sta¨dte sind insgesamt ausgesprochen klein. Nur einige Hektarzahlen innerhalb der Mauern, die aufs Ganze schwierig zu ermitteln sind, seien genannt. Ratibor hat 19 ha und liegt damit an der Spitze; Oppeln und Leobschu¨tz haben 16 ha und Teschen 15 h. Diese Sta¨dte liegen damit an der Spitze. Gleiwitz bringt es auf 9,6 ha und Bielitz nur auf 5 ha. Oppeln hat 250 Ha¨user und Teschen 178, die anderen Sta¨dte ebenfalls sa¨mtlich unter 200, die meisten 100 Ha¨user. Der Tatbestand springt besonders kraß ins Auge, wenn man ihn mit Zusta¨nden im Altsiedelland vergleicht, etwa mit Westfalen.20 Hier geho¨ren die Bischofssta¨dte Mu¨nster und Osnabru¨ck sowie die Stadt Soest in die Kategorie der Fla¨cheninhalte u¨ber 100 ha. Sta¨dte dieser Gro¨ßenordnung kommen fu¨r Oberschlesien von vorherein nicht in Betracht, doch auch die Kategorie der Sta¨dte von 50 bis 100 ha ist in Westfalen nicht selten. Hierher geho¨rt die lippische Gru¨ndungsstadt Lemgo, und die landesherrlichen Sta¨dte der ersten Gru¨ndungsgeneration im Mu¨nsterland aus dem 13. Jahrhundert, wie Coesfeld, Warendorf, Ahlen und Beckum, weisen zwischen 20 und 50 ha Fla¨cheninhalt auf. Ein solcher Vergleich erscheint als weit hergeholt, jedoch vermag er deutlich zu machen, wie sehr die Gebiete der deutschen Ostsiedlung vom Zuzug aus dem Altsiedelland abha¨ngig waren. Zwar hat sich die Bevo¨lkerung Schlesiens im

19 Vgl. nur Walter Kuhn, Geschichte Oberschlesiens im Mittelalter (JbUnivBreslau 24 (1983), S. 1–50,

S. 23ff. mit Karte S. 27.

20 Vgl. dazu die Karte bei Carl Haase, Die Entstehung der westfa¨lischen Sta¨dte (VProvIWLdke I, 11),

Mu¨nster 41984, Nr. 7.

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Laufe des 13. Jahrhunderts wahrscheinlich verfu¨nffacht, offenbar aber beruhte dieses Wachstum ausschließlich auf Zuwanderung. Das erkla¨rt die Gro¨ßenverha¨ltnisse zur Genu¨ge. Nun stehen aber die Sta¨dte Oberschlesiens gegenu¨ber den u¨brigen schlesischen Sta¨dten noch einmal an Gro¨ße zuru¨ck. Kategorisiert man die Sta¨dte, deren Gro¨ße am Ende des Mittelalters auf u¨ber 2000 Einwohner zu scha¨tzen ist,21 so weist lediglich Breslau u¨ber 20 000 Einwohner auf. In eine zweite Kategorie von 5000 bis 10 000 Einwohner fallen Go¨rlitz, Schweidnitz und Glogau, im weiteren Umkreis noch Kuttenberg in Bo¨hmen sowie Krakau. In Oberschlesien findet sich keine Stadt dieser Gro¨ße. Mit der na¨chsten Kategorie – 2000 bis 5000 Einwohner – na¨hert man sich bereits der Grenze zur Kleinstadt.22 Schlesien weist am Ende des Mittelalters 19 Sta¨dte dieser Kategorie auf, die im einzelnen nicht aufzuza¨hlen sind, wa¨hrend in Oberschlesien lediglich Leobschu¨tz, Ja¨gerndorf, Troppau und Bielitz darunter fallen. Selbst Oppeln und Ratibor erreichen offensichtlich diese Gro¨ßenordnung nicht. Oberschlesien ist demnach ein Land der Klein- und Zwergsta¨dte, wenn man die Maßsta¨be anlegt, die die vergleichende Sta¨dtegeschichte entwickelt hat. Vielleicht muß man in einer Sta¨dtelandschaft wie der oberschlesischen diese Maßsta¨be relativieren und die Grenzlinien der einzelnen Sta¨dtekategorien nach unten verschieben. Vor allem aber besteht kein Grund, Oberschlesien nur deswegen als eine Region geringer Urbanita¨t anzusehen, weil die Stadtgro¨ßen um einiges geringer ausgefallen sind als anderwa¨rts. Darauf ist hier nicht ausfu¨hrlich einzugehen, und es mag genu¨gen, auf einige Bemerkungen Rodney Hiltons u¨ber Klein- und Marktsta¨dte zu verweisen, die den Austausch zwischen Gu¨tern der Stadt und Gu¨tern des Landes bewerkstelligen, in ein agrarisches Umfeld eingebettet sind und von ihm in vielfacher Weise beeinflußt werden, – alles Merkmale, die auf die oberschlesischen Sta¨dte und ihre Weichbildverfassung in hohem Maße zutreffen. Auch die kleinste Stadt – so Hilton – hebt sich scharf vom Dorf ab, hat einen vom Dorf verschiedenen Lebensrhythmus und bildet eine Insel urbaner Lebensform im agrarisch bestimmten Umland.23 Das muß auch fu¨r die oberschlesische Sta¨dtelandschaft gelten, die ein wirkliches Sta¨dtenetz bildet. Dieser Zustand ist am Ende des 13. Jahrhunderts erreicht. Wa¨hrend des 13. Jahrhunderts sind 80 % aller Sta¨dte Schlesiens entstanden, auch fu¨r Oberschlesien trifft dies zu, und hier liegt der Prozentsatz noch leicht ho¨her. Der Ausbau des oberschlesischen Sta¨dtenetzes ist ganz wesentlich das Werk des Herzogs Wladislaus von Oppeln und seiner So¨hne, die auf der von ihm gelegten Basis weiterbauen konnten. Wladislaus kam 1246 zur Regierung und starb 1281, das heißt

21 Vgl. Stoob, Schlesien (wie Anm. 8), S. 10. 22 Vgl. zur Kategorisierung Heinz Stoob, Stadtformen und sta¨dtisches Leben im spa¨ten Mittelalter, in:

Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, hg. v. dems. (Sta¨dtewesen 1), Ko¨ln/Wien 21985, S. 153, sowie Peter Johanek, Landesherrliche Sta¨dte – kleine Sta¨dte. Umrisse eines europa¨ischen

Pha¨nomens, in: Landesherrliche Sta¨dte in Su¨dwestdeutschland, hg. v. Ju¨rgen Treffeisen/Kurt Andermann (ObrhStud 12), Sigmaringen 1994, S. 9–25, S. 12–14 mit Literatur. 23 Rodney H. Hilton, The English Peasantry in the Later Middle Ages, Oxford 1975, S. 90; dazu Johanek, Landesherrliche Sta¨dte (wie Anm. 22), passim. Die treffenden Bemerkungen Moraws (wie Anm. 8) behalten aber ihre Gu¨ltigkeit. Ihm geht es um einen gesamteuropa¨ischen Vergleich, wobei sich fu¨r den Westen Europas in der Tat ein ho¨herer Grad an Urbanita¨t ergibt.

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¨ berwindung der Za¨sur, die der Mongoleneinfall hinterunter ihm vollzieht sich die U lassen hat. Die Ausbildung des Sta¨dtenetzes, die Lokation der Sta¨dte zu deutschem Recht ist ein ganz wesentlicher Teil dieser Neuentwicklung. Das heißt natu¨rlich nicht, daß es nicht bereits zuvor Ansa¨tze zur Sta¨dtebildung gegeben hat, und die Anfa¨nge einer Reihe von Sta¨dten reicht vor diese Zeit zuru¨ck. Die erste Erwa¨hnung von auswa¨rtigen Siedlungen in Oberschlesien zu besonderem Recht stammt bekanntlich aus dem Jahr 1217, als Herzog Kasimir von Oppeln dem Ort eines adeligen Grundherrn, dem praedium villae Leschnitz Freiheiten gewa¨hrt sub eadem forma verbi gratia, sub qua hospites in Opel et Rattibor olim locavi.24 Herzog Kasimir hatte also zu diesem Zeitpunkt bereits auswa¨rtige, wahrscheinlich deutsche Siedler mit besonderen Freiheitsrechten in Oppeln und Ratibor, den beiden Vororten seiner Lande angesetzt. Walter Kuhn hat ganz richtig bemerkt, daß er damit seinen Hauptsitz Oppeln, der mit der slawischen civitas auf der Oderinsel identifiziert werden muß, zusammen mit Ratibor in eine Linie mit den Hauptsitzen der anderen polnischen Teilfu¨rstentu¨mer ru¨ckte, mit Breslau, Krakau, Sandomir, Posen und Płock 25 Er schuf damit eine erste Plananlage, vermutlich zu identifizieren mit dem no¨rdlichen Teil um die Adalbertkirche in Oppeln. Diese Anlage muß in den Mongolenzu¨gen stark gelitten haben, oder Herzog Wladislaus nutzte doch die Gunst der Stunde, um eine wesentliche Vergro¨ßerung der Siedlung vorzunehmen. Vermutlich mit seinem Regierungsantritt hat er eine neue, zweite Plananlage geschaffen, die in der Stadtentwicklung Oberschlesiens neue Maßsta¨be setzte, wa¨hrend Ratibor offenbar seit jener ersten Lokation vor 1217 stufenweise erweitert worden ist. Auch hier erfolgte der entscheidende Schritt unter Herzog Wladislaus und zwar in Parallele zu Oppeln. Walter Kuhn hat sehr nachdru¨cklich die Bedeutung hervorgehoben, die der Lokation der deutschrechtlichen Stadt Oppeln fu¨r die Lebensverha¨ltnisse zukam. In der slawischen civitas dra¨ngten sich auf engstem Raum (0,5 ha) etwa 100 Ha¨user, von denen zwei Drittel als Wohnha¨user dienten, also etwa 350 Menschen beherbergten, die mit 15 qm pro Kopf auskommen mußten. In der neuen Siedlung verdoppelte sich dieser Lebensraum nahezu. Um 1250 waren Oppeln und Ratibor die einzigen Sta¨dte dieser Art nach Plan und ausgestattet mit neuem Recht im Herrschaftsgebiet der Herzo¨ge von Oppeln. Diese Aussage bedarf sogleich der Modifizierung, denn Stoobs Karte zeigt weitere Stadtgru¨ndungen, die vor 1250 zuru¨ckreichen. Eine davon ist das bereits erwa¨hnte Leschnitz, dessen Freiungsurkunde von 1217 die Nachricht von der ersten Lokation Oppelns und Ratibors verdankt wird. Bei Leschnitz, dem Markt eines adeligen Grundherrn, ist es jedoch zweifelhaft, ob sich aus dieser Privilegierung bereits im 13. Jahrhundert eine Stadt entwickelt hat. Erst 1451 wird es oppidum genannt, und es ist klein geblieben: Im 18. Jahrhundert za¨hlte es 562 Einwohner.26 Etwas anders verha¨lt es sich mit zwei weiteren Pla¨tzen, Ujest und Steinau. Ujest, nordo¨stlich Cosel, ist alter Besitz des Breslauer Bischofs und bereits 1155 belegt. Die Urkunde u¨ber die Beauftragung des Vogtes Walter von Neiße mit der Ansetzung 24 Schlesisches Urkundenbuch, Bd I, bearb. v. Heinrich Appelt, Ko¨ln/Graz 1971, Nr. 165, S. 118f. 25 Kuhn, Zweimalige Lokation (wie Anm. 3), S. 109; ders., Oppeln (wie Anm. 3). Diese Darstellung liegt

auch im folgenden zugrunde. 26 Schlesisches Sta¨dtebuch (wie Anm. 2), S. 229.

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deutscher Siedler aus dem Jahr 1223 ist das a¨lteste unmittelbare Zeugnis fu¨r die Siedelta¨tigkeit u¨berhaupt.27 Ebenfalls eine Gru¨ndung des Bischofs von Breslau war Steinau, 16 km su¨do¨stlich von Neiße gelegen, fu¨r das bereits 1236 ein Markt bezeugt ist. Herzog Miesko II. von Oppeln,Bruder und Vorga¨nger Herzog Wladislaus’, hat 1241 dem Breslauer Bischof immunita¨re Freiheit fu¨r Steinau verliehen, und 1260 war Steinau eine bischo¨fliche Stadt, die allerdings offenbar stets klein geblieben ist: 1825 hatte sie 550 Einwohner.28 Alle diese Fa¨lle belegen, daß neben dem Herzog durchaus noch andere Kra¨fte im sta¨dtischen Siedlungswerk ta¨tig waren. Insbesondere der Breslauer Bischof wurde hier aktiv und blieb erfolgreich, wa¨hrend andere Anla¨ufe, etwa die der Johanniter in Makau und die der Breslauer Pra¨monstratenser vom St. Vincenz-Stift in Repten offenbar mißlangen.29 Die Oppelner Herzo¨ge scheinen sogar noch willens gewesen zu sein, Bemu¨hungen dieser Art zu unterstu¨tzen, wie vor allem der Fall Steinau erkennen la¨ßt. Herzog Wladislaus von Oppeln ist dann anders an die Dinge herangegangen. Zwar scheiterte sein Versuch, durch eine Stadtgru¨ndung in Slawentzitz in der Na¨he von Ujest diese bischo¨fliche Stadt zu verdra¨ngen oder doch zu neutralisieren, denn 1260 mußte er die Privilegien fu¨r seine eigene Stadt widerrufen. Allerdings machte auch der Bischof Zugesta¨ndnisse und Slawentzitz blieb Marktort.30 Die hier bereits seit langem verfestigten Verha¨ltnisse waren augenscheinlich nicht mehr zu vera¨ndern, doch die u¨brige Entwicklung von Wladislaus’ Regierungszeit zeigt, daß er gewillt war, das Feld allein zu beherrschen. Die Entwicklung ist hier nicht im einzelnen zu verfolgen. Walter Kuhn hat dargelegt, mit welcher Planma¨ßigkeit sie sich – die natu¨rlichen Gegebenheiten nutzend – vollzog und den Raum des Herzogtums herrschaftlich zu erfassen und zu durchdringen suchte. Lediglich ein einziges Beispiel soll die Planma¨ßigkeit des Vorgehens Herzog Wladislaus’ und seiner So¨hne illustrieren. Sie wird am eindrucksvollsten sichtbar in der Erschließung des Beskidenvorlandes, die sich in drei Jahrzehnten von 1260 an bis in die neunziger Jahre des 13. Jahrhunderts vollzog.31 In jener Zeit entstand hier – jeweils am Austritt der Oder- und Weichselnebenflu¨sse in die Ebene – eine ganze Gruppe wie an einer Schnur aufgereihter Sta¨dte: Friedeck an der Ostrava, Teschen an der Olsa, Bielitz an der Biala, Skotschau an der Weichsel, K˛ety (Liebenwerde) an der Sola32. Besonders das Lokationsprivileg fu¨r die letztere Stadt, das Wladislaus 1277

27 Schlesisches Urkundenbuch I (wie Anm. 24), Nr. 225, S. 163f.; vorausgegangen war die Erlaubnis Her-

zog Kasimirs von Oppeln zu diesem Akt, ebd., Nr. 222, S. 161f., vgl. auch Kuhn, Deutschrechtliche Sta¨dte (wie Anm. 4), S. 99. 28 Schlesisches Urkundenbuch, Bd II, bearb. v. Winfried Irgang, Wien/Ko¨ln/Graz 1977, Nr. 120, S. 78f.; ebd., Nr. 226, S. 137; Schlesisches Urkundenbuch Bd. III, bearb. v. Winfried Irgang, Ko¨ln/Wien 1984, Nr. 335, S. 219–221: civitas Scinavia; Schlesisches Sta¨dtebuch (wie Anm. 2), S. 418. 29 Schlesisches Urkundenbuch II (wie Anm. 28) Nr. 180, S. 115; Nr. 210, S. 130f.; Nr. 340, S. 200; vgl. dazu Kuhn, Deutschrechtliche Sta¨dte (wie Anm. 4), S. 97 u. 99. 30 Schlesisches Urkundenbuch III (wie Anm. 28), Nr. 335, S. 219–221, vgl. Kuhn, Sta¨dtegru¨ndungspolitik (wie Anm. 6), S. 57f. 31 Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens (wie Anm. 5), S. 85; ders., Deutschrechtliche Sta¨dte (wie Anm. 4), S. 99. 32 Vgl. zum folgenden Kuhn, Siedlungsgeschichte des Auschwitzer Beskidenvorlandes (wie Anm. 3).

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ausstellte, la¨ßt die Mehrstufigkeit und Langwierigkeit dieses Siedlungswerks erkennen. Wladislaus erweiterte hier die Rechte der drei Gru¨ndungsunternehmer Arnold, Ru¨diger und Peter betra¨chtlich und stellte fest, daß bei 24 Hufen die Freijahre bereits abgelaufen waren. Das deutet darauf hin, daß eine erste Lokation nicht ganz erfolgreich verlaufen war und nun eine zweite Unternehmergruppe ans Werk ging. Diese erhielt auch das Recht, in den umliegenden Wa¨ldern Bienenbeuten anzulegen und diese Vergu¨nstigung entha¨lt einen wichtigen Hinweis: Die Anlage wird gestattet fu¨r die Zeit, in der die Wa¨lder noch nicht vo¨llig abgeholzt sind.33 Der Passus macht klar, daß die Sta¨dtegru¨ndung ein das Land zur Ga¨nze erfassender Vorgang war, daß mit der Stadtgru¨ndung die Rodung Hand in Hand ging, daß K˛ety als Mittelpunkt eines Kranzes von Waldhufendo¨rfern gedacht war. So demonstriert gerade die Siedlung im Beskidenvorland ihre Planma¨ßigkeit und Gleichma¨ßigkeit der inneren Ausgestaltung des Landes, die Walter Kuhn so stark hervorgehoben hat. Sie zeigt sich um so mehr, als die Herzo¨ge all diesen Sta¨dten auch ein einheitliches Recht verliehen und sie so zu einer homogenen Gruppe zusammenschlossen. Wa¨hrend in den u¨brigen Teilen des Oppelner Herzogtums Neumarkter Recht vorherrschte, griffen die Herzo¨ge hier zum Recht der Stadt Lo¨wenberg.34 Das Beispiel der Erschließung des Beskidenvorlandes zeigte geradezu musterhaft den Beitrag der Sta¨dtegru¨ndung zum inneren Siedlungsausbau des Landes. Doch es ging den Herzo¨gen auch noch um anderes. Als Herzog Wladislaus 1272 das Terrain fu¨r die Gru¨ndung der Stadt Sohrau erwarb, begru¨ndete er dies mit dem Satz: volentes nostrae terrae et civitatum munitionibus subvenire („wir wollen das Land durch Anlage befestigter Sta¨dte schu¨tzen“).35 Diese Bemerkung verweist auf die bekannte Tatsache, daß Sta¨dte nicht lediglich dem inneren Landesausbau zu dienen haben, sondern auch ein Instrument zur herrschaftlichen Selbstbehauptung im Konkurrenzkampf der Territorien darstellen.36 In diesem Faktum liegt ebenfalls sta¨dtebildende Kraft, und in Oberschlesien vermag etwa die relativ dichte Sta¨dtegruppe von Konstadt, Kreuzburg, Pitschen und Landsberg ein instruktives Beispiel zu bieten. In diesem Grenzgebiet zu Polen, wo sich die wichtigen Fernstraßen Breslau–Krakau und Oppeln–Posen kreuzten und das urspru¨nglich zum Herzogtum Oppeln geho¨rte, haben die Bischo¨fe von Breslau durch die Anlage von munitiones civitatum (Konstadt, Pitschen, Kreuzburg) ihren Einfluß erweitert und ihre Rechte gewahrt, wa¨hrend Oppeln seine Interessen mit der Gru¨ndung von Landsberg zu sichern suchte.

33 Schlesisches Urkundenbuch, Bd. IV, bearb. v. Winfried Irgang, Ko¨ln/Wien 1988, Nr. 321, S. 214f.:

quandiu silvae non fuerint omnino resecatae.

34 Vgl. Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens (wie Anm. 5), S. 90. 35 Schlesisches Urkundenbuch IV (wie Anm. 33), Nr. 164, S. 118f., vgl. Kuhn, Siedlungsgeschichte Ober-

schlesiens (wie Anm. 5), S. 87. 36 Dazu grundlegend Edith Ennen, Burg, Stadt und Territorialstaat in ihren wechselseitigen Beziehun-

gen, in: RhVjbll 12 (1942), S. 48–88, mit einer Karte; Carl Haase, Die mittelalterliche Stadt als Festung. Wehrpolitisch-milita¨rische Einflußbedingungen im Werdegang der mittelalterlichen Stadt, in: Studium generale 16 (1963), S. 379–390; Wiederabdruck in: Die Stadt des Mittelalters, hg. v. Carl Haase, Bd. 1 (WdF 243), Darmstadt 1975, S. 377–407; Wilfried Ehbrecht, Mittel- und Kleinsta¨dte in der Territorialpolitik westfa¨lischer Fu¨rsten. Lippstadt als Modell, in: JbRG 14 (1987), S. 104–141.

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Doch die Herrschaft der Breslauer Bischo¨fe erwies sich als dauerhaft, und bekanntlich ist dieses Gebiet um Kreuzburg erst 1820 zu Oberschlesien gekommen.37 Der hier skizzierte Vorgang la¨ßt sich in noch viel gro¨ßerer Deutlichkeit im Su¨den Oberschlesiens beobachten, in jener Region, die erst im 13. Jahrhundert enger an die Oppelner Lande heranru¨ckte, in den ma¨hrischen Gebieten um Troppau und Hotzenplotz. Auf die wechselvolle Geschichte dieses Gebiets in fru¨herer Zeit ist hier nicht einzugehen. Es muß genu¨gen, auf den bo¨hmisch-polnischen Gegensatz hinzuweisen, der aus den beiderseitigen Bemu¨hungen um die Beherrschung Schlesiens resultierte sowie auf den Frieden von Glatz 1137, der die genannten Gebiete unter die Herrschaft der Pˇremysliden gebracht hatte.38 Dieser Gegensatz bestand auch in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts noch fort, es sei lediglich daran erinnert, daß 1253 die Piasten im Bu¨ndnis mit Kumanen und Ungarn gegen Bo¨hmen ka¨mpften und Ma¨hren dabei schwere Verwu¨stungen erlitt.39 Seit 1254/55 gingen die Pˇremysliden in die Offensive, um den vorgelagerten Raum, das „Land jenseits des Waldes“, d. h. des Gesenkes, gemeint ist das Troppauer Land, zu schu¨tzen. So kam es seit etwa 1260 zur Ausbildung eines Abwehrgu¨rtels im Raum von Ratibor, Troppau und Teschen. Die Tra¨ger dieser Sicherungspolitik sind zuna¨chst Gefolgsleute Pˇremysl Ottokars II., vor allem der aus Su¨dbo¨hmen stammende Witigone Wok von Rosenberg und sein Sohn Heinrich. Letztere gru¨ndeten 1279 Neustadt (OS) an der Fernstraße Breslau-Wien, die bereits Wok durch die Burg Wogendrossel zu schu¨tzen gesucht hatte.40 Allen anderen voran aber ist Bischof Bruno von Olmu¨tz zu nennen, der fast die ganze Regierungszeit Pˇremysl Ottokars II. als dessen Ratgeber begleitet hat. Dieser Schauenburger Grafensohn von der Weser hat mit einer ganzen Gruppe westfa¨lischer Adeliger an der Erfassung und am inneren Landesausbau Ma¨hrens gearbeitet, und fu¨r die oberschlesischen Gebiete ist vor allem seine Ta¨tigkeit von Hotzenplotz aus bedeutend geworden.41 Hier, an diesem Platz no¨rdlich des Altvaters, wiederum an einem Außenposten Ma¨hrens, hat Bruno ein Weichbild angelegt, um das sich weitere sta¨dtische Vororte legten: Fu¨llstein und Roßwald. Dabei ging es – wie auch in den zeitlich leicht verschobenen Bemu¨hungen des illegitimen Sohnes Ottokars II., Herzog Nikolaus’, dem er Troppau u¨bertrug – nicht lediglich um inneren Landesausbau und um Siedlungsta¨tigkeit, sondern um offensive Grenzsicherung durch Anlage befestigter Sta¨dte. Auch Ko¨nig Wenzel II. hat diese Politik fortgesetzt, und letztlich ist sie in die Inkorporation Schlesiens unter die Wenzelskrone eingemu¨ndet.

37 Vgl. Kuhn, Gru¨ndung von Kreuzburg (wie Anm. 3). 38 Vgl. nur die U ¨ berblicksdarstellung in: Geschichte Schlesiens, Bd. I, Stuttgart 31961, S. 96–108; Kuhn,

Geschichte Oberschlesiens (wie Anm. 19), S. 2–6.

39 Vgl. dazu und zum folgenden Heinz Stoob, Bruno von Olmu¨tz, das ma¨hrische Sta¨dtenetz und die

europa¨ische Politik von 1245 bis 1281, in: Die mittelalterliche Sta¨dtebildung im su¨do¨stlichen Europa (wie Anm. 7), S. 90–133, hier S. 91ff. 40 Schlesisches Sta¨dtebuch (wie Anm. 2), S. 295f.; zur Rolle der Witigonen im ma¨hrisch-schlesischen Grenzgebiet vgl. auch Kuhn, Siedlungsentwicklung im Kreis Ratibor (wie Anm. 3), S. 138f. (hier die Stadtgru¨ndung zu 1255); ders., Grenzort Schnellewalde, in: Neue Beitra¨ge (wie Anm. 3), S. 123–133, hier S. 128f. 41 Dazu ausfu¨hrlich Stoob, Bruno von Olmu¨tz (wie Anm. 39), S. 100ff.

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Dieser politische Vorgang aber erkla¨rt auch die Sta¨dtedichte in diesem Teil der oberschlesischen Sta¨dtelandschaft. Die Sta¨dtekette im Beskidenvorland blieb ungesto¨rt, weil sich hier keine Grenzauseinandersetzungen und konkurrierenden Siedlungsbewegungen vollzogen. An der Grenze Oberschlesiens zu Ma¨hren sah es anders aus. Hier kam es vielfach zu jenen konkurrierenden Gru¨ndungen, die Walter Kuhn so mißbilligend ansah: Mistek gegenu¨ber Friedeck im Osten dieser Region zum Beispiel oder Ziegenhals gegenu¨ber Zuckmantel im Westen. Nur auf ein Beispiel, das diesen Vorgang eindrucksvoll verdeutlichen kann, sei noch na¨her eingegangen. Unmittelbar westlich Ratibor vollzogen sich in den beiden letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts drei Anla¨ufe zur Sta¨dtebildung: Deutsch Neukirch, Bauerwitz und Katscher.42 Neukirch ist u¨ber Anfa¨nge nicht hinaus gelangt, aber auch die beiden anderen Gru¨ndungen haben es nicht weit gebracht. Katscher ist eine Gru¨ndung des Bischofs von Olmu¨tz, vielleicht noch Brunos von Schauenburg, die 1321 Stadtrechte erhielt als oppidum noviter instauratum. Bauerwitz, in den Vorbergen des Gesenkes 14 km von Leobschu¨tz gelegen, dessen Stadtvogt 1296 erwa¨hnt wird, wurde wieder von einem bo¨hmischen Adeligen, Bawor von Strakonitz aus der Umgebung des Nikolaus von Troppau gegru¨ndet. Bei allen drei Gru¨ndungen handelt es sich um ma¨hrische Vorposten gegen das schlesische Ratibor, gegen das sich diese Anlagen jedoch nicht durchsetzen konnten. Sie sind wirkliche Ku¨mmersta¨dte geblieben, und erst die Gewerbepolitik des 18. Jahrhunderts, die o¨sterreichische wie die preußische, hat sie in die Ho¨he gebracht. Damit ko¨nnen diese Betrachtungen zur Entstehung der oberschlesischen Sta¨dtelandschaft abgeschlossen werden, so fragmentarisch sie auch ausgefallen sein mo¨gen. Das von Walter Kuhn entworfene Bild eines von den Oppelner Herzo¨gen initiierten und gestalteten Landesausbaus in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts, der auch das oberschlesische Sta¨dtenetz im wesentlichen geschaffen hat, hat sich besta¨tigt. Es sind keine Abstriche vorzunehmen, lediglich die Akzente wird man heute, wo die Rolle der Sta¨dte in der offensiven Territorialkonzeption der Landesfu¨rsten ho¨her eingescha¨tzt wird, an einigen Stellen anders setzen. Das betrifft im wesentlichen die Einscha¨tzung der Entstehungsbedingungen des Sta¨dtewesens im ma¨hrisch-schlesischen Grenzraum und seiner Anomalien. Die Entstehung des oberschlesischen Sta¨dtenetzes ist das Werk der piastischen Herzo¨ge, nicht der sta¨dtischen Bu¨rger und Neusiedler. Das gilt auch fu¨r die Begru¨ndung des sta¨dtischen Rechts. Die nach Schlesien einwandernden Siedler lebten nicht nach einem Recht, das sie aus Deutschland mitbrachten, sondern der slawische Herzog setzte ihnen ein ius teutonicum, das er auswa¨hlte. Das Beispiel des Beskidenvorlandes mit der individuellen Wahl des Lo¨wenberger Rechts macht das deutlich. Selbstversta¨ndlich wird man annehmen mu¨ssen, daß hier Vorstellungen des Herzogs und Wu¨nsche der Bu¨rger zusammenwirkten. Der Wille des Herzogs du¨rfte allerdings ausschlaggebend gewesen sein. Bekanntlich ist urspru¨nglich verliehenes Recht

42 Vgl. zu ihnen neben den Angaben im Schlesischen Sta¨dtebuch (wie Anm. 2), S. 2ff.; 69; 187ff. summa-

risch Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens (wie Anm. 5), S. 68f.; ders., Siedlungsentwicklung im Kreis Ratibor (wie Anm. 3), S. 139f.

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in Schlesien im Laufe des 14. Jahrhunderts fast u¨berall vom Magdeburger Recht u¨berdeckt, durch dieses Recht ersetzt worden, und dies geschah z. T. durch herzogliches Gebot. Die Gru¨nde liegen darin, daß alle jene Rechte – auch etwa das Lo¨wenberger Recht, dessen Rechtsbuch im wesentlichen einen Sachsenspiegel darstellt – Affinita¨t zum Magdeburger Recht aufwiesen und daß die Spruchta¨tigkeit des Magdeburger Scho¨ppenstuhls einen Sog entwickelte, der die urspru¨nglichen Setzungen der Herzo¨ge u¨berspu¨lte. Diese Entwicklung aber ist nun in der Tat ein Werk der Sta¨dte selbst gewesen, ihrer Bu¨rger und Ratsmannen.43

43 Vgl. zu diesem Themenkomplex Ulrich-Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbu¨cher des Mittelalters,

¨ berlegungen zur Situation der schlesischen Rechtsgeschichte, Bd. I/II, Berlin 1990; Friedrich Ebel, U in: JbUnivBreslau 26 (1985), S. 317–321; ders. Magdeburger Recht II: Die Rechtsmitteilungen und Rechtsspru¨che fu¨r Breslau, Teil 1: Die Quellen von 1261–1452, Ko¨ln/Wien 1989; Peter Johanek, Scho¨ffenspruchsammlungen, in: VL2, Bd. 8, Sp. 800–810.

GESCHICHTSBILD UND GESCHICHTSSCHREIBUNG IN DEN ¨ CHSISCHEN STA ¨ DTEN IM 15. UND 16. JAHRHUNDERT SA [Erstabdruck: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellung Kulturhistorisches Museum Magdeburg 28. Mai bis 25. August 1996, Braunschweigisches Landesmuseum Ausstellungszentrum Hinter Aegidien 17. September bis 1. Dezember 1996, hg. v. Matthias Puhle (Magdeburger Museumsschriften 4), Magdeburg 1996, Bd. 1: Aufsa¨tze, S. 557–574]

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts schrieb der Magdeburger Bu¨rgermeister Johann Scheyring in seiner Handschrift der „Magdeburger Scho¨ppenchronik“: Disse Magdeburgesche Chronica hat Georgius Krause geschriben aus paul schmides des fleischers geschribbenem Chronico, anno 1540 am monate Januarii, dweile ich ein halb Jhar langk bei Keyserlicher Mat. zu Gendt in Flanderen war von wegen aller Evangelischen stende. unßer lieber herre godt gebe das ich und meine kindlein solche Chronica sehliglichen lesen und gebrauchen moegen. Amen.1 Der erste Verfasser der Scho¨ppenchronik, Heinrich von Lamspringe, der wohl kurz nach 1360 mit der Niederschrift begann, ha¨tte sich durch diese Worte eines erfahrenen Politikers besta¨tigt gefu¨hlt, denn er war an sein Werk gegangen in der Zuversicht, uppe dat me bi den dingen de scheen sind, schaden bewaren moge und vromen soken und scepen der stad, wente bi den dingen, de gescheen sint, provet men dicke, wat noch gescheen mach („Damit und durch die Dinge, die geschehen sind, sich vor Schaden hu¨ten und den Nutzen der Stadt suchen und schaffen mo¨ge. Denn auf Grund der Dinge, die geschehen sind, vermag man gut einzuscha¨tzen, was noch geschehen mag“).2 Etwa ein halbes Jahrhundert spa¨ter a¨ußerten sich die Bremer Geistlichen Gert Rinesberch und Herbort Schene ganz a¨hnlich, als sie ihrer „Chronica Bremensis“, die sie umme des menen besten („um des Besten der Allgemeinheit willen“)3 verfaßt hatten, ein Vorwort voranstellten. Sie wollten Leben und Regierung der Bremer Erzbischo¨fe darstellen und von den Unruhen in der Stadt berichten, uppe dat de stadt van Bremen dar mochte lere unde bilde utnemen, dat se sulken groten vorderfliken schaden to ewigen tiden mede mochten bewaren („damit die Stadt Bremen daraus Lehre und Beispiel nehmen 1 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Magdeburg 1 (ChrDtSt 7), Leipzig 1869, 2. Auflage Go¨t-

tingen 1962, S. XLII.

2 Ebd., S. 1; zu Werk und Verfasser vgl. Gundolf Keil, Magdeburger Scho¨ppenchronik, in: VL2, Bd. 5,

Sp. 1131–1142 mit Literatur; Helmut De Boor/Richard Newald, Geschichte der deutschen Literatur 3, 3, hg. v. Ingeborg Glier, Mu¨nchen 1987, S. 449f. 3 Die Chroniken der deutschen Sta¨dte: Bremen (ChrDtSt 37), Bremen 1968, S. 1; vgl. dazu Klaus Wriedt, Schene, Herbord, in: VL2 Bd. 8, Sp. 639–641 mit Literatur.

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ko¨nne, um sich vor solch großem verderblichen Schaden auf ewige Zeiten zu bewahren“).4 Wie die „Magdeburger Scho¨ppenchronik“ ist auch die „Chronica Bremensis“ noch im 16. und 17. Jahrhundert von Bremer Ratsherren abgeschrieben und gelesen worden. Auch in Braunschweig – der bedeutendsten Stadt im Sa¨chsischen Sta¨dtebund und lange Zeit dessen politische Mitte – verfuhr man in dieser Weise. Die „Hemelik rekenscop“ von 1401 will die Gru¨nde verzeichnen, deretwegen der Rat in der Vergangenheit in Schaden und Schulden gekommen war, wie auch, mit welchen Mitteln er sich wieder aus solchen No¨ten geholfen hatte. Ihr Verfasser lobt die verschriftlichte Erfahrung, die der stad unde dem gemeynen zugute zu kommen vermag. Ebenso beklagt 1513 Hermen Bote, daß das gemeyne ghut allzu oft in Vergessenheit geraten und daraus Zwietracht in den Sta¨dten entstanden sei.5 Sein „Schichtbuch“ sucht dieser grot vorgettenheyt entgegenzuwirken, indem es am Beispiel der sta¨dtischen „Schichten“ Braunschweigs eine Typologie solcher Unruhen entwirft und „außerordentlich sensibel beschreibt, wie in Krisensituationen eine ho¨chst heikle Verfassung in Frage gestellt und am Ende bewahrt wird“.6 Die Linie la¨ßt sich noch weiter ziehen. Im Jahre 1588 erschien eine hochdeutsche Bearbeitung der „Cronecken der sassen“ im Druck, die der Magdeburger Pfarrer Johannes Pomarius verfaßt hatte. Seine reich bebilderte Vorlage war 1492 in Mainz gedruckt worden und wird dem Braunschweiger Konrad Bote zugeschrieben.7 Bereits diese niederdeutsche Chronik hat neben Braunschweig vor allem Magdeburger Nachrichten beru¨cksichtigt, und die Bearbeitung des Pomarius unter Einbeziehung der Reformationsgeschichte hat diesen Charakter noch versta¨rkt, so daß sie als ein Stu¨ck Magdeburger Stadtgeschichtsschreibung gelten darf. Wiederum zeigt sie die Erfahrung, die ein Gemeinwesen – die Stadt Magdeburg – mit den Wandlungen seiner inneren Ordnung durchlebt. In dieser Weise wollte Pomarius sein Werk auch verstanden wissen, wenn er in Anlehnung an die Vorrede des Thukydides bemerkte, daß alles 4 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Braunschweig 1 (ChrDtSt 6), Leipzig 1868, 2. Auflage

Go¨ttingen 1962, S. 133.

5 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Braunschweig 2 (ChrDtSt 16), Leipzig 1880, 2. Auflage

Go¨ttingen 1962, S. 299f. 6 Hartmut Boockmann, Eine Krise im Zusammenleben einer Bu¨rgerschaft und ein „politologisches“

Modell aus dem 15. Jahrhundert. Der Braunschweiger Chronist Hermen Bote u¨ber den Aufstandsversuch von 1445/1446, in: Herbert Blume/Eberhard Rohse (Hg.), Hermann Bote. Sta¨dtisch-hansischer Autor in Braunschweig 1488–1988 (Fru¨he Neuzeit 4, Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europa¨ischen Kontext), Tu¨bingen 1991, S. 133–152, hier S. 151; vgl. auch Wilfried Ehbrecht, Die Braunschweiger Schicht von 1488. Ein Stadtkonflikt als Exempel fu¨r Mißgunst und Ehrgeiz in den sta¨dtischen Fu¨hrungsfamilien, in: ebd., S. 104–132, hier S. 131; zu Bote vgl. Gerhard Cordes, Bote, Hermen, in: VL2 Bd. 1, Sp. 967–970, die bibliographische Notiz in: Blume/Rohse (wie oben), S. 365–371, sowie Eberhard Rohse, Gy eerliken stede – Stadtbu¨rgerlich-hansische Welt am Beispiel von Hermann Botes „Radbuch“, in: Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500, hg. v. Matthias Puhle (Magdeburger Museumsschriften 4, 1), Magdeburg 1996, S. 575–602. 7 Gesamtkatalog der Wiegendrucke 4693; vgl. dazu und zu Johannes Pomarius Karl Stackmann, Die Stadt in der norddeutschen Welt- und Handelschronistik des 13. bis 16. Jahrhunderts, in: Josef ¨ ber Bu¨rger, Stadt und sta¨dtische Literatur im Spa¨tmittelalFleckenstein/Karl Stackmann (Hg.), U ter (AbhAkGo¨tt 3, 121), Go¨ttingen 1980, S. 289–310.

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sei „zum dauernden Besitz“ aufgeschrieben.8 Dabei konnte der Humanist Pomarius darauf rechnen, daß sein Publikum die Schlußfolgerung des griechischen Historikers im Kopfe hatte, daß durch das Vergangene auch das Ku¨nftige klar zu erkennen sei, „das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder a¨hnlich sein wird“. Diese wenigen Beispiele ko¨nnen einen Eindruck von der Vielfalt sta¨dtischer Geschichtsschreibung im ausgehenden Mittelalter und beginnender Neuzeit geben. Es ist ein Zeitalter, das die Stadt als Gegenstand der Geschichtsschreibung entdeckt. Noch die „Sa¨chsische Weltchronik“ des 13. Jahrhunderts, die a¨lteste Prosachronik, die den gleichen geographischen Raum ins Auge faßte wie die „Cronecken der sassen“ von 1492, schenkt der Welt der Sta¨dte kaum Beachtung. Die letztere dagegen nennt Kaiser, Fu¨rsten und stede als ihren Gegenstand,9 und im meistbenu¨tzten Wo¨rterbuch des ausgehenden Mittelalters, im „Vocabularius Ex quo“, lautet eine der Erla¨uterungen des Stichworts Chronica – eyn kroneyke folgendermaßen: „So werden ein Buch (oder Bu¨cher) genannt, in dem die Taten der Fu¨rsten oder Sta¨dte beschrieben sind“.10 In mannigfachen Formen und Gattungen ist seit dem 14. Jahrhundert ein Schrifttum in deutscher und lateinischer Sprache entstanden, das Geschichte und Politik der Sta¨dte zum Gegenstand machte, Wissen um die Urspru¨nge verzeichnete, Exempel vorbildlichen oder verwerflichen Tuns festhielt, Rechtspositionen fixierte und erla¨uterte, um Argumente fu¨r zuku¨nftiges Handeln bereitzustellen. Schriftlich gespeicherte Erfahrung mit sta¨dtischer Politik erweist sich als Kontinuum vom 14. bis zum 16. Jahrhundert und daru¨ber hinaus. Sie ist in einer großen Anzahl von Handschriften und gedruckten Bu¨chern wie in verstreuten Notizen der Aktenkonvolute sta¨dtischer Kanzleien und Registraturen u¨berliefert. Doch es war nicht allein, ja nicht einmal zuerst die Geschichtsschreibung, die das Wissen um die Vergangenheit vermittelte und das Geschichtsbild der sta¨dtischen Bu¨rger pra¨gte. So wichtig Geschichtsschreibung ist, sie erreichte doch nur einen kleineren ¨ berlieferung einer Stadt Ausschnitt der sta¨dtischen Bevo¨lkerung. Die geschichtliche U vermittelte sich in jener Zeit am wirksamsten in nichtschriftlichen Formen: in oraler Tradition, in Liedern, Spru¨chen und Dichtung, in Bildern und Denkma¨lern, Bauten, Symbolen, in Liturgie und Ritus.11 Niemand beispielsweise konnte in Magdeburg die Reiterstatue Ottos des Großen u¨bersehen (Abb. 1), die einst im 13. Jahrhundert der Erzbischof als Zeichen seiner Gerichtsbarkeit auf dem Altmarkt hatte errichten lassen.12 Otto der Große war der Gru¨nder von Erzbistum und Stadt Magdeburg, und 8 Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, I, 22, vgl. Fleckenstein/Stackmann, U ¨ ber

Bu¨rger (wie Anm. 7), S. 310.

9 Ebd. S. 290. 10 „Vocabularius Ex quo“. U ¨ berlieferungsgeschichtliche Ausgabe 2, hg. v. Klaus Grubmu¨ller (Texte und

Textgeschichte. Wu¨rzburger Forschungen 23), Tu¨bingen 1988, S. 658f.: dicitur esse liber uel libri, in quo scribuntur gesta principum uel ciuitatum. 11 Vgl. Wilfried Ehbrecht, Die Braunschweiger „Schichten“. Zu Stadtkonflikten im Hanseraum, in: Ausstellungskatalog Brunswiek 1031 – Braunschweig 1981, Folgeband, S. 37–50, hier S. 46; Peter Johanek, Geschichtsschreibung und Geschichtsu¨berlieferung in Augsburg am Ausgang des Mittelalters, in: Johannes Janota/Werner Williams-Krapp (Hg.), Literarisches Leben in Augsburg im 15. Jahrhundert, Tu¨bingen 1996, S. 160–182. 12 Zum Reiter vgl. Ernst Schubert, Magdeburg und der Magdeburger Reiter, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universita¨t Jena 30 (1981), S. 363–375; zum Bedeutungswandel wa¨hrend des Spa¨tmittelal-

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Abb. 1: Der Magdeburger Reiter, etwa Mitte 13. Jh Kulturhistorisches Museum Magdeburg

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die Scho¨ppenchronik wußte ausfu¨hrlich zu erza¨hlen, wie er auf Wunsch der Ko¨nigin Edith die Stadt ausmessen ließ und ihr ihre Freiheiten verlieh.13 Auch den Begru¨nder des sta¨dtischen Rechts, der allen Tochtergru¨ndungen Magdeburgs den Gebrauch des Magdeburgischen Rechts vorgeschrieben hatte, sah das ausgehende Mittelalter in Otto dem Großen. Seinem Sohn Otto II. dagegen schrieb man die Abfassung des großen sta¨dtischen Rechtsbuches, des „Magdeburger Weichbilds“ zu, das er aus dem Sachsenspiegel nehmen ließ, unde sazte dorzu daz in dem Sachsenspiegele so luterlich nicht gesazt was (und setzte hinzu, was im Sachsenspiegel nicht so deutlich ausgedru¨ckt war). So jedenfalls sah es der Glossator des Weichbildrechts im 14. Jahrhundert.14 Das Standbild Ottos des Großen entband die Erinnerung an alle diese Vorga¨nge, so wie die Rolandstatuen der niederdeutschen Sta¨dte daran gemahnten, daß das Recht, insonderheit das sa¨chsische Recht, auf Karl den Großen zuru¨ckzufu¨hren war, der seinerseits wiederum die Tradition des ersten Christenkaisers Konstantin weitergefu¨hrt hatte.15 Die historische Erinnerung, die sich mit der Reiterstatue Ottos verband, lo¨ste die Geschichte Magdeburgs aus den rein lokalen und regionalen Gebundenheiten und ru¨ckte sie in die Zusammenha¨nge des Reichs und seiner Glieder. Als man die Statue im 14. Jahrhundert mit einem Baldachin versah und daher auch den Sockel versta¨rken mußte, an dem man zu diesem Zweck vier ma¨nnliche Gestalten anbrachte, da hat man diese Figuren offenbar als die vier weltlichen Kurfu¨rsten angesehen.16 In der Tat ist im ausgehenden Mittelalter eine gefa¨lschte Urkunde Ottos I. entstanden, die Magdeburg die Rechte besta¨tigte, die von Konstantin und Karl herru¨hren sollten und die die Stadt unter den Schutz des Kaisers und der Kurfu¨rsten stellte, die fu¨r das 15. Jahrhundert das Reich verko¨rperten.17 Konzentriert sich in Magdeburg die heute noch vorhandene dingliche Geschichtsu¨berlieferung der Stadt aus dem Mittelalter im Reiterstandbild Ottos des ¨ berlieferung der Bilderwelt Großen, so hat sich in Braunschweig eine viel reichere U erhalten, die die Menschen des ausgehenden Mittelalters umgab und ihnen eine Vorstellung von ihrer Vergangenheit vermittelte. Das Ensemble von Altstadtrathaus und Marktbrunnen demonstrierte hier die Einfu¨gung der Stadt Braunschweig in die Landesherrschaft der welfischen Herzo¨ge (wobei das Lo¨wendenkmal unweit des Altstadtmarktes in der Burg Dankwarderode an den gro¨ßten aller dieser Herzo¨ge,

ters S. 367ff.; Berent Schwineko¨per, Motivationen und Vorbilder fu¨r die Errichtung der Magdeburger Reitersa¨ule. Ein Beitrag zur Geschichte des Reiterbildes im hohen Mittelalter, in: Lutz Fenske/Werner Ro¨sener/Thomas Zotz (Hg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift fu¨r Josef Fleckenstein, Sigmaringen 1984, S. 343–392; zuletzt noch Ernst Schubert, Der Magdeburger Reiter (magdeburger museumshefte 3), Magdeburg 1994. 13 Chroniken Magdeburg 1 (wie Anm. 1), S. 46. 14 Das sa¨chsische Weichbildrecht, Jus municipale saxonicum, hg. v. Alexander v. Daniels/Friedrich v. Gruben (Rechtsdenkma¨ler des deutschen Mittelalters 1), Berlin 1857/58, Sp. 228. 15 Vgl. etwa ebd., Sp. 75. 16 Vgl. Schwineko ¨ per, Motivationen (wie Anm. 12), S. 378, Anm. 206; die Interpretation bleibt jedoch unsicher. 17 Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, bearb. v. Gustav Hertel, Bd. 1, Halle 1892, ND Aalen 1975, Nr. 8, S. 3–5, zu 947 Juni 7; die Datierung der Fa¨lschung auf 1490 erfolgt ohne na¨here Begru¨ndung.

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der auch als Stadtgru¨nder galt, erinnerte) und daru¨ber hinaus in die Ordnungen des Reichs und seiner Vergangenheit, ja selbst in die Heilsgeschichte. Die Fassade des Rathauses erhielt gerade in der Mitte des 15. Jahrhunderts einen Figurenschmuck, der die deutschen Ko¨nige aus dem liudolfingischen Hause, Lothar III. und welfische Herzo¨ge darstellte, und der bereits 1408 aus Bronze gegossene und aufgestellte Marktbrunnen (Abb. 2) erweiterte diesen historischen Horizont noch. Die vier Evangelisten unter einer Marienstatue, die Propheten des Alten Testaments sowie die Wappenschilde der sogenannten Neun Guten Helden aus dem antiken Heidentum (Hektor, Alexander der Große, Julius Caesar), dem biblischen Judentum (David, Judas Makkabaeus, Josua), dem mittelalterlichen Christentum (Karl der Große, Artus, Gottfried von Bouillon), weiterhin die Wappen der sieben Kurfu¨rsten und der Herzogtu¨mer Braunschweig und Lu¨neburg schmu¨cken diesen Brunnen. Sie alle zeigen die Weltordnung, in die sich Braunschweig einzufu¨gen hatte. Die Bildwerke erinnerten aber auch an jene Herrscher und Landesfu¨rsten, die der Stadt die Privilegien verliehen hatten, die ihre Freiheiten begru¨ndeten.18 Auch Hermen Bote hat bereits in den Eingangsworten seines Schichtbuchs von den groten mechtigen steden gesprochen, dede van den fu¨rsten gefriget synt unde pribeleyget („von den großen ma¨chtigen Sta¨dten, die da von den Fu¨rsten gefreit und privilegiert sind“).19 Etwa um die gleiche Zeit, in der die Stadt Braunschweig ihren Marktbrunnen errichtete, hat auch Bremen ein Bildprogramm in Szene gesetzt, das die historisch begru¨ndete Ordnung verdeutlichte, in die die Stadt und ihre Freiheiten sich eingebettet fanden. Das auf dem neuen Marktplatz 1405/10 errichtete Rathaus erhielt eine Ausstattung mit u¨berlebensgroßen Steinfiguren, die wiederum die Propheten und Weise, die sieben Kurfu¨rsten und Karl den Großen darstellten.20 Kaiser und Reich, das letztere verko¨rpert durch die Kurfu¨rsten, stehen hier ganz deutlich als Garanten der sta¨dtischen Freiheit, und Karl der Große verko¨rpert den historischen Ursprung dieser Ausformung der Reichsverfassung, denn er galt ja nach vielfach belegter Auffassung auch als Begru¨nder des Kurfu¨rstenkollegiums.21 Den direkten Bezug auf Bremen stellt die Inschrift auf dem Schild des monumentalen sta¨dtischen Rechtszeichens des Roland dar, der sich ebenfalls mit Karl dem Großen verknu¨pfen ließ, da er unter seine Heerfu¨hrer geza¨hlt wurde: Vryheit do ick je openbar, de Karl und mennig vorst vorwar desser stede ghegheven hat, des dankt gode, is min radt.22 18 Zur Rolle der dinglichen U ¨ berlieferung besonders im braunschweigischen Geschichtsbild vgl. Bernd

Schneidmu¨ller, Reichsna¨he – Ko¨nigsferne. Goslar, Braunschweig und das Reich im spa¨ten Mittelalter, in: NdsJb 64 (1992), S. 1–52, besonders S. 45–50; ferner Erhard Metz/Gerhard Spies, Der Braunschweiger Brunnen auf dem Altstadtmarkt (BraunschwWerkstu¨cke 70), Braunschweig 1988. 19 Chroniken Braunschweig 2 (wie Anm. 5), S. 299. 20 Dazu Herbert Schwarzwa¨lder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen 1, Bremen 1975, S. 95f.; zum Figurenprogramm des Rathauses jetzt Rolf Gramatzki, Das Rathaus in Bremen. Versuch zu einer Ikonologie, Bremen 1994; vgl. auch Metz/Spies, Braunschweiger Brunnen (wie Anm. 18), S. 37. 21 Vgl. z. B. Chroniken Magdeburg 1 (wie Anm. 1), S. 44–46. 22 Theodor Goerlitz, Der Ursprung und die Bedeutung der Rolandsbilder, Weimar 1934, S. 44.

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Mehr noch: Karl der Große konnte geradezu als der Gru¨nder der Stadt Bremen gefeiert werden, der ihren ersten Erzbischof Willehad einsetzte, nachdem er die Sachsen bezwungen, den Bremern Zollfreiheit verliehen und ihnen Urkunden daru¨ber ausgestellt hatte: de sint bewart in guder hude van deme rade unde der Stadt to gude.23 So jedenfalls sah man in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts den Beginn der Stadt Bremen. Spiegelt all dies die historisch bestimmte rechtliche Position der Stadt ¨ berordnung des Rates als Bremen gegenu¨ber dem Erzbischof und gleichzeitig die U Bewahrer der sta¨dtischen Freiheiten gegenu¨ber den Bu¨rgern wider, so verleiht die Tatsache, daß einer der Neun Guten Helden, und zwar einer der christlichen, hier als Stadtgru¨nder auftritt, Bremen einen ganz besonderen Rang. Die Neun Guten Helden scheinen im Geschichtsbild der Sta¨dte eine bedeutende Rolle gespielt zu haben, denn immer wieder erscheinen sie – wie am Braunschweiger Marktbrunnen – an prominenter Stelle in der sta¨dtischen Ikonographie: am scho¨nen Brunnen in Nu¨rnberg, im Ko¨lner Rathaussaal und in den Glasfenstern der Lu¨neburger Gerichtslaube.24 In ¨ berlieferung – im dingBremen fehlen sie – vielleicht nur durch einen Zufall der U lichen Quellenbestand. Umso deutlicher aber ist das Bestreben, ein weiteres Glied dieses Heroenkreises an die sta¨dtische Geschichte zu binden und damit eine herausragende Stellung im Kreise der Hansesta¨dte zu gewinnen. Offenbar hat sich bereits sehr fru¨h in Bremen die Tradition herausgebildet, die Bremer ha¨tten wegen ihrer Teilnahme am Ersten Kreuzzug und an der Eroberung von Jerusalem von Kaiser Heinrich V. das Privileg erhalten, daß ihre Ratsherren „Gold und Bunt“, golddurchwirkte und pelzbesetzte Kleidung tragen du¨rften. Im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Rathausbau, seinem Figurenprogramm und der Ausschmu¨ckung des Rolandschildes mit dem kaiserlichen Wappen entstand auch eine Fa¨lschung dieses Privilegs. ¨ berlieferung Authentizita¨t, die Bremer seien Waffengefa¨hrten des Sie verlieh der U Helden Gottfried von Bouillon gewesen, und das hob sie weit u¨ber die u¨brigen Sta¨dte der Hanse, insbesondere auch Lu¨beck empor, ja machte sie freier als jenigestadt ... in alle der werlde („als jede Stadt in der ganzen Welt“).25 So ausgepra¨gt und vielfa¨ltig wie in Bremen hat sich die materielle Geschichtsu¨berlieferung in Lu¨neburg nicht erhalten, aber hier greift sie noch weiter zuru¨ck. In der Ursula-Kapelle der Hauptpfarrkirche St. Johannis befand sich seit 1371 eine Steinsa¨ule (2,61 m), die zuvor in der 23 Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. 186; die Verse entstammen einem offenbar 1404 von Herbort

Schene verfaßten Rollengedicht, das wechselweise Karl den Großen und Erzbischof Willehad sprechen la¨ßt und das vielleicht der Bu¨rgermeister Johannes Hemeling in die Rinesberch-Schene-Chronik einfu¨gte; vgl. zu ihm zuletzt Lieselotte Klink, Johann Hemelings „Diplomatarium fabricae ecclesiae Bremensis“ von 1415/20 (VHKomNds 37, 10), Hildesheim 1988. 24 Vgl. Metz/Spies, Braunschweiger Brunnen (wie Anm. 18), S. 36f. 25 Zur Bedeutung der Gottfried von Bouillon-U ¨ berlieferung und ihrer Rolle im Rangstreit der Hansesta¨dte vgl. Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. 97–103, hier S. 99; dazu Schwarzwa¨lder, Geschichte Bremen (wie Anm. 20), S. 94; zu den Fa¨lschungen Dieter Ha¨germann, Einige Bemerkungen zu den gefa¨lschten Urkunden Heinrichs V., Wilhelms von Holland und Wenzels fu¨r die Stadt Bremen, in: BremJb 56 (1978), S. 15–38.

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Abb. 2: Der Brunnen auf dem Braunschweiger Altstadtmarkt, 1408 (Zustand 1960) Quelle: Sta¨dtisches Museum Braunschweig

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damals abgebrochenen Michaeliskirche auf dem Kalkberg gestanden hatte und von der man annahm, daß sie Julius Caesar bei einem Eroberungszug nach Germanien zu Ehren des Mondgottes Luna (der hier als ma¨nnlich gedacht ist), errichtet ha¨tte (vgl. Abb. 3). Von diesem Mondgott Luna wurde auch der Name Lu¨neburg abgeleitet, und der Mond erscheint im Wappenbild der Stadt.26 Um 1371 war das bereits alte Tradition, denn schon die Sa¨chsische Weltchronik des 13. Jahrhunderts erza¨hlt von Julius Caesar in Lu¨neburg,27 und auch hier war man stolz darauf, einen der Neun Guten Helden an den Beginn der Stadtgeschichte stellen zu ko¨nnen. Als man um 1430 – wiederum in der Zeit, als man in Bremen das Rathaus und in Braunschweig den Marktbrunnen errichtete – die Fenster auf der Su¨dseite der Gerichtslaube des Lu¨neburger Rathauses mit Glasmalereien ausstattete, die die Neun Guten Helden darstellten, da setzte man unter das Bild Julius Caesars die Worte: urbis. construxi lune. spectabile castrum Et. mea. pompeium sincopat. ense manus („Ich habe die ansehnliche Burg der Stadt des Mondes errichtet, und meine Hand ku¨rzt mit dem Schwerte den Pompejus“).28 Lu¨neburg besaß in seiner Sa¨ule ein handgreifliches Symbol seiner durch Julius Caesar gestifteten ro¨mischen Vergangenheit, aber auch andere Sta¨dte Deutschlands beanspruchten das fu¨r sich.29 Das kann bei Sta¨dten am Rhein nicht verwundern, aber auch zwischen Weser und Elbe hat man mehrfach an solche Wurzeln der eigenen Vergangenheit geglaubt. Schon im 11. Jahrhundert meinte Bischof Thietmar von Merseburg zu wissen, daß seine Kathedralstadt von Caesar, dem Schwiegersohn des Pompejus, gegru¨ndet worden sei,30 und Heinrich von Lamspringe, der Verfasser der Magdeburger Scho¨ppenchronik, nannte gleich mehrere Sta¨dte und Burgen, die auf den ro¨mischen Heerfu¨hrer zuru¨ckgingen: Lu¨neburg, Ihleburg (?), Kyffhausen und Magdeburg selbst, wo er der Diana, na siner tungen parthenya, einen Tempel weihte, in dem Jungfrauen den Kult versahen. Danach – so die Scho¨ppenchronik – wurde

26 Vgl. zur gesamten Traditionsbildung Klaus Alpers, Die Luna-Sa¨ule auf dem Kalkberge. Alter, Her-

kunft und Wirkung einer Lu¨neburger Tradition, in: Lu¨nebBll 25/26 (1982), S. 87–129; gegenu¨ber den Thesen des Verfassers zur realen Herkunft der Sa¨ule scheint mir Skepsis angebracht; eine leicht zuga¨ngliche Abbildung bei Hartmut Boockmann, Die Stadt im spa¨ten Mittelalter, Mu¨nchen 1986, S. 164f., Nr. 256. 27 In: MGH Deutsche Chroniken 2, hg. v. Ludwig Weiland, Hannover 1877, S. 1–279, S. 85f.; vgl. Alpers, Luna-Sa¨ule (wie Anm. 26), S. 102. Die Datierung der Rezension C, die diese Erza¨hlung entha¨lt, wie auch die Verfasserfrage sind stark umstritten, vgl. zuletzt zusammenfassend Hubert Herkommer, Sa¨chsische Weltchronik, in: VL2 Bd. 8, Sp. 473–500, besonders Sp. 479–482. 28 Vgl. Wilhelm Reinecke, Das Rathaus zu Lu¨neburg, Lu¨neburg 1925, S. 52f.; Alpers, Luna-Sa¨ule (wie Anm. 26), S. 99 mit Tafel 28,1. 29 Vgl. dazu Heinz Thomas, Julius Caesar und die Deutschen. Zu Ursprung und Gehalt eines deutschen Geschichtsbewußtseins in der Zeit Gregors VII. und Heinrichs IV., in: Stefan Weinfurter/Hubertus Seibert (Hg.), Die Salier und das Reich 3, Sigmaringen 1991, S. 245–277, besonders S. 254 und 256f.; auf die spa¨tmittelalterlichen Traditionen Niederdeutschlands geht er, entsprechend der Zielsetzung seines Aufsatzes, nur summarisch ein. 30 Thietmar von Merseburg, Die Chronik, hg. v. Robert Holtzmann (MGHSSrG ns 9), Berlin 1935, I, 2, S. 5.

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Abb. 3: Die Lu¨neburger Luna-Sa¨ule, aus der „Cronecken der sassen“. Mainz: Peter Scho¨ffer, 1492 Quelle: Herzog August Bibliothek Wolfenbu¨ttel, Gl 4o/91

der Ort Parthenopolis, Jungfrauenstadt, Magdeburg genannt.31 Die „Cronecken der sassen“ hat dann kurz vor 1500 alle diese Traditionen gebu¨ndelt und in ein System gebracht. Es sind nun sieben Sta¨dte und Burgen, die Caesar gegru¨ndet haben soll und jede ist einem Planeten, und damit einer ro¨mischen Gottheit, zugeordnet.32 Der 31 Chroniken Magdeburg 1 (wie Anm. 1), S. 7; die Nachricht fußt auf dem Bericht der „Magdeburger

Annalen“ aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, in: MGHSS 16, hg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1859, ND Stuttgart/New York 1963, S. 105–196, S. 143; vgl. dazu Alpers, Luna-Sa¨ule (wie Anm. 26). 32 Vgl. Alpers, Luna-Sa¨ule (wie Anm. 26), S. 90f.

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Buchdruck sorgte fu¨r eine weite Verbreitung der „Cronecken der sassen“, und das neuerwachte Interesse des humanistischen Zeitalters an der ro¨mischen Antike hat besonders die Vorstellung vom ro¨mischen Ursprung Lu¨neburgs und Magdeburgs bei den Gebildeten der Zeit gefestigt. Wichtig aber bleibt vor allem, daß spa¨testens seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts ¨ berlieferung von einer zeitweisen Eroberung zwischen Weser und Elbe sich die U des Sachsenlandes durch die Ro¨mer unter Julius Caesar herausbildete, der hier durch ¨ berlieSta¨dte- und Burgengru¨ndungen bleibende Spuren hinterlassen hatte. Diese U ferung ist im ausgehenden Mittelalter von den sa¨chsischen Sta¨dten getragen und ausgebaut und u¨berdies u¨ber den Vorstellungskomplex der Neun Guten Helden in das heilsgeschichtliche Modell eingebaut worden. Julius Caesar erscheint als Gru¨nderfigur und Karl der Große als Zersto¨rer des Heidentums und Begru¨nder neuer Ordnungen. Sachsen und seine Sta¨dte haben eine ro¨mische Vergangenheit, und Karl der Große ist die Schlu¨sselfigur ihrer christlichen Geschichte wie der Begru¨nder des sa¨chsischen Rechts und der sta¨dtischen Privilegien. Die spa¨teren Herrscher und die Landesfu¨rsten haben Recht und Privilegien weitergebildet und mu¨ssen als deren Garanten betrachtet werden. All dies konnte der sta¨dtische Bu¨rger an der Bilderwelt ablesen, die ihn umgab. Doch bedurfte diese Bilderwelt der Erla¨uterung und Vertiefung, die nur die Geschichtsschreibung zu leisten vermochte. Das galt vor allem dann, wenn es um die Verknu¨pfung mit der Geschichte des Reichs und der Universalgewalten ging. Die historiographische Literatur, die das spa¨tere Mittelalter zu dieser Thematik hervorgebracht hat, und auch die großen Werke der Geschichtsschreibung des hohen Mittelalters sind ganz offenbar im sta¨dtischen Bereich des 15. Jahrhunderts verfu¨gbar gewesen. Das zeigt die Art, in der etwa Rinesberch und Schene die Chroniken Adams von Bremen, Alberts von Stade und Helmolds von Bosau verarbeiteten und Heinrich von Lamspringe fu¨r die Magdeburger Scho¨ppenchronik den sogenannten Annalista Saxo verwertete.33 Sie alle haben, was sie schrieben, togaddere toghen ut velen anderen croniken („aus vielen anderen Chroniken zusammengezogen“),34 auch wenn sie gelegentlich deren Zahl u¨bertrieben. Nun waren die beiden Bremer Chronisten wie der Schreiber des Magdeburger Scho¨ppenstuhls Geistliche, und viele andere, die die schriftliche Administration der Sta¨dte trugen, geho¨rten ebenfalls diesem Stand an oder waren aus ihm hervorgegangen, selbst wenn sie Frau und Kinder hatten. Auch unter den Laien jedoch wuchs die Zahl der literati und der Studierten, die mit verschriftlichter Information und Tradition umzugehen verstanden. Sie verfu¨gten u¨ber die Hilfsmittel und Grundlagenwerke der Historiographie, auch wenn sie nicht selbst als Chronisten ta¨tig wurden. Als Beispiel mag der Braunschweiger Stadtschreiber Gerwin von Hameln dienen, der 1496 starb und dessen Bu¨cherbesitz man kennt. Obwohl sein Hauptinteresse offenbar der Jurisprudenz galt, besaß er doch die wichtigsten historischen Grundlagenwerke:35 die „Papst-Kaiser-Chronik“ des Martin von 33 Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. XXIIf.; Chroniken Magdeburg 1 (wie Anm. 1), S. XXVf. 34 Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. 1. 35 Anette Haucap-Nass, Der Braunschweiger Stadtschreiber Gerwin von Hameln und seine Bibliothek

(Wolfenbu¨tteler Mittelalterstudien 8), Wiesbaden 1995, S. 119–121.

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Troppau, das 1474 erstmals gedruckte Datenwerk des Ko¨lner Karta¨users Werner Rolevinck und die „Historia destructionis Troiae“ (Geschichte der Zersto¨rung Trojas) des Guido de Columnis. Gerwin besaß jedoch auch eine Handschrift des „Speculum seu imago mundi“ des Dietrich Engelhus, den ein Zeitgenosse als lumen Saxonie („Leuchte Sachsens“) bezeichnete.36 Dietrich Engelhus (ca. 1360–1434) stammte aus Einbeck, lehrte eine Zeitlang an der Universita¨t Erfurt und dann an verschiedenen sta¨dtischen Lateinschulen in Bamberg, Einbeck, Magdeburg und Go¨ttingen, wo er auch sta¨dtische Kanzleigescha¨fte besorgte. Seine Schriften – Vokabularien und religio¨se Unterweisung, wie etwa die sogenannte Laienregel, und eine Erla¨uterung des Psalters – waren fu¨r den Gebrauch in der Schule bestimmt. Hierhin geho¨rt auch das „Speculum seu imago mundi“, eine Chronik u¨ber die sechs Weltzeitalter von der Erschaffung der Menschen bis auf die eigene Zeit des Chronisten, wobei sich zuletzt die Nachrichten fu¨r die eigene Zeit immer sta¨rker auf die sa¨chsischen Verha¨ltnisse und ganz besonders die Stadt Einbeck konzentrieren. Wie die Verfasser der Scho¨ppenchronik stellte Engelhus den Zusammenhang der Lebenswelt der sa¨chsischen Sta¨dte mit dem Ablauf der Welt- und Heilsgeschichte her, und sein Werk ist, wie das Beispiel Gerwins von Hameln zeigt, von der Verwaltungs- und Regierungselite der Sta¨dte rezipiert worden. Vielleicht hat die Chronik auch in den sta¨dtischen Schulen das geschichtliche Versta¨ndnis der Bu¨rgerkinder gescha¨rft. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, daß Geschichtsbilder der hier beschriebenen Art nicht nur in den großen und fu¨hrenden sa¨chsischen Sta¨dten vermittelt wurden, sondern auch in kleineren wie Go¨ttingen und Einbeck pra¨sent waren. In diesem Umfeld hat sich sta¨dtische Geschichtsschreibung seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert zunehmend verdichtet. Es lag nahe, bei der Einordnung der Vergangenheit der Stadt in die großen Ordnungen der Heils-, Reichs- und Fu¨rstengeschichte zu Werken der Geschichtsschreibung zu greifen, vor allem dann, wenn es um die Urspru¨nge der Stadt, um das „Herkommen“ ging37 und um die grundsa¨tzliche Bestimmung des Ortes der Stadt innerhalb herrschaftlicher Strukturen. Doch mehr und mehr ist man seit dem spa¨ten 14. Jahrhundert dazu u¨bergegangen, die Auseinandersetzungen der Stadt mit ihrem Stadtherrn und anderen Herrschaftskra¨ften und zunehmend auch die innersta¨dtischen Konflikte, die sich aus den widerstreitenden Interessen der sozialen Gruppen ergaben, schriftlich festzuhalten. Es entfaltete sich eine vielgestaltige Gegenwartschronistik, die vielfach pragmatischen Zielen diente, Pra¨zedenzfa¨lle fu¨r politisches Handeln festzuhalten suchte und Exempel aus dem Zeitgeschehen zu gewinnen trachtete, an denen zuku¨nftige Generationen sich zu orientieren vermochten. Ein Lu¨neburger Chronist der ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts, der wohl dem Kreis der Ratsnotare angeho¨rte, hat die Erkenntnis niedergeschrieben:

36 Vgl. Dieter Berg/Franz Josef Worstbrock, Engelhus, Dietrich, in: VL2 Bd. 2, Sp. 557–561; Volker

Honemann (Hg.), Dietrich Engelhus. Beitra¨ge zu Leben und Werk (MdtF 104), Ko¨ln/Weimar/Wien 1991; das Zitat im Beitrag von Helge Steenweg, Zur Biographie des Dietrich Engelhus, S. 11–29, S. 11. 37 Vgl. zu diesem Begriff Klaus Graf, Exemplarische Geschichten. Thomas Lirers ‚Schwa¨bische Chronik‘ und die ‚Gmu¨nder Kaiserchronik‘ (Forschungen zur Geschichte der a¨lteren deutschen Literatur 7), Mu¨nchen 1987, S. 21f.

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Wente me alle schichte unde handelinge de geschen zin nicht to male in dechtnisse hebben unde beholden kan, umme gebrekes unde afgandes willen der minschen, so is not, dat me de in scrifte bringe („Da man nicht immer alle Ereignisse und Handlungen, die geschehen sind, im Geda¨chtnis haben und behalten kann wegen der Unzula¨nglichkeit der Menschen und auch weil sie sterben, so tut es not, daß man sie aufschreibe“).38 Die folgenden Jahrhunderte haben diese Mahnung befolgt. Die Ergebnisse reichen von der dickleibigen umfassenden Chronik u¨ber Berichte und Denkschriften zu Einzelereignissen und wichtigen Rechtspositionen bis zur Verzeichnung du¨rrer Datengerippe zur Stadtgeschichte, wie sich eines z. B. auf einer Tafel fand, die ¨ ffentlichkeit in gegen Ende des 16. Jahrhunderts zur Unterrichtung einer breiteren O der Magdeburger Johanniskirche aufgeha¨ngt war.39 Nur die schriftliche Aufzeichnung hielt geschichtliche Erinnerung auf Dauer zuverla¨ssig fest, selbst wenn es durchaus andere Formen der Erinnerung geben mochte. Da sind die historischen Merkverse, mit denen die Zeitgenossen sich bemerkenswerte Ereignisse einzupra¨gen suchten, und in Sta¨dten, wo eine eigene Geschichtsschreibung nicht entstand, haben sie die Erinnerung an wichtige Wendepunkte der sta¨dtischen Geschichte wachgehalten. Hierher geho¨rt die lange Reihe der Verse u¨ber das Verschwinden der Hamelner Kinder 1284 oder etwa das kleine Gedicht u¨ber die Eroberung der Stadt Alfeld 1369 durch Herzog Otto von Braunschweig: Ein M. drey wo¨rste, Ein L. twe X. Otto fo¨rste Eins myn ek melde, All’ hilgen wint Alevelde („Ein M., drei Wu¨rste, ein L., zwei X., weniger eins; zu Allerheiligen hat Fu¨rst Otto Alfeld gewonnen, so melde ich“).40 Auch Lieder und Gedichte vermochten Ereignisse zu begleiten und Erinnerung an sie zu bewahren. In Aschersleben besang einer, der sich „Pfaffenfeind“ nannte, 1431 die Magdeburger Stiftsfehde und wußte sogar um die Bedeutung der Kurfu¨rsten fu¨r die Freiheit der Stadt Magdeburg: lr edlen kurfu¨rsten gut, gedenkt an euren selbest mut, ku¨rzlich wil ichs entdecken, die edele stat Magdeburg ist frei auf allen ecken, ja ecken.41 38 Lu¨neburger Chronik bis 1414 (ChrDtSt 36), Stuttgart 1931, 2. Auflage Go¨ttingen 1968, S. 45. 39 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Magdeburg 2 (ChrDtSt 27), Leipzig 1899, 2. Auflage

Go¨ttingen 1969, S. 140; die Tafel enthielt Daten von 1115 bis 1566.

40 Bernd Ulrich Hucker, Historische Merkverse als Quellen der Landesgeschichte, in: BllDtLG 120

(1984), S. 243–328, hier S. 310f. (Hameln) und 303 (Alfeld); die drei „Wu¨rste“ bezeichnen drei C = 300. Die Eroberung vollzog sich im Zusammenhang einer Fehde der Herzo¨ge Albert und Otto von Braunschweig mit dem Bischof von Hildesheim. 41 Rochus v. Liliencron (Hg.), Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert 1, Leipzig 1865, Nr. 69, S. 340–349, hier S. 343.

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Spott, Verunglimpfung des Gegners und Artikulation von Triumphgefu¨hlen kennzeichnen diese Dichtungen und machen deutlich, daß sie in den Auseinandersetzungen selbst und der sie begleitenden Propaganda eine Rolle gespielt haben. Doch auch Merkverse entschwinden dem Geda¨chtnis, und Lieder verhallen, wenn sie nicht aufgezeichnet werden. Es ist charakteristisch, daß wir einen großen Teil der historischen Merkverse aus dem Bereich des Sa¨chsischen Sta¨dtebundes nur deswegen kennen, weil Dietrich Engelhus sie als Lernhilfen fu¨r die Schule in seine Chronikhandschriften eingefu¨gt hat. Die meisten historischen Lieder sind ebenfalls nur erhalten geblieben, weil eine Chronik sie bewahrt hat,42 wie im Falle des Ascherslebener Gedichts zur Magdeburger Stiftsfehde die „Mansfeldische Chronik“ des Cyriakus Spangenberg. Gelegentlich hielt man sie fu¨r so wichtig, daß man sie in amtliche Bu¨cher zwischen Amtsgescha¨fte und Urkunden eintrug. So hat der Bremer Rat ein Gedicht u¨ber die Auseinandersetzungen der Stadt Bremen mit den friesischen Ha¨uptlingen an der Unterweser und Graf Christian von Oldenburg in seinem „Denkelbook“ aufgezeichnet.43 Es sind vor allem kriegerische Ereignisse, die Merkverse und Lieder festzuhalten suchten, und dauerhafter als die orale Tradition erwies sich hier sicherlich das liturgische Gedenken, das an sie geknu¨pft wurde.44 Jene Tafel, die in St. Johannis zu Magdeburg aufgeha¨ngt war, nannte gleich zu Beginn die Schlacht von Frohse, in der die Stadt Magdeburg im Bu¨ndnis mit dem Elekten Gu¨nther von Schwalenberg 1278 Markgraf Otto von Brandenburg besiegte.45 Auch die Scho¨ppenchronik berichtet daru¨ber, aber im o¨ffentlichen Geda¨chtnis blieb das Ereignis wohl durch die Armenspende, die am Jahrestag der Schlacht ausgeteilt wurde: dusse strid was in sunte pauwels dage des ersten einsidels, dat is veir dage nach twelften: darvan gift men noch spende up den dach („Diese Schlacht war am Tage St. Pauls des ersten Einsiedlers, das ist vier Tage nach Zwo¨lften [10. Januar]: Zum Geda¨chtnis gibt man noch Armenspeisung bis auf den heutigen Tag“).46 Auch in Lu¨neburg beging man eine sogenannte Schlachten-Memoria. In der Ursula-Nacht (20./21. Oktober) 1371 war der Versuch des Herzogs Magnus von Braunschweig gescheitert, die Stadt Lu¨neburg fu¨r die Zersto¨rung der herzoglichen Burg auf dem Kalkberg zu bestrafen. Die Verluste auf beiden Seiten waren betra¨chtlich, zwei Bu¨rgermeister und drei Ratsmannen waren unter den sta¨dtischen Toten. Zu ihrem Geda¨chtnis wurde in der Ursula-Kapelle der Johanniskirche ein Jahrtag gehalten, und hier fand auch die Luna-Sa¨ule vom Kalkberg ihren Platz. Sie wurde als ein weiteres Denkzeichen des Sieges u¨ber den Herzog in die Memoria einbezogen, die auch durch ein Lied „VanderinstigingederstadLuneborg“,durcheinenEintrag desStadtschreibersHenricus Kule in das Stadtbuch und durch eine im 16. Jahrhundert angelegte Bilderchronik ¨ berlieferung greifen wachgehalten wurde.47 Schriftliche, mu¨ndliche und dingliche U 42 Vgl. Hucker, Historische Merkverse (wie Anm. 40). 43 Vgl. Liliencron, Volkslieder (wie Anm. 41), S. 217–221. 44 Vgl. dazu grundsa¨tzlich Klaus Graf, Schlachtengedenken in der Stadt, in: Bernhard Kirchga¨ssner/

Gu¨nter Scholz (Hg.), Stadt und Krieg (Stadt in der Geschichte 15), Sigmaringen 1984, S. 83–104.

45 Chroniken Magdeburg 2 (wie Anm. 39), S. 140: 1278 Da war der Streit zu Frosa. Voran geht lediglich

ein Eintrag u¨ber die Schlacht am Welfesholz, die ganz Sachsen betrifft. 46 Chroniken Magdeburg 1 (wie Anm. 1), S. 156f.; Graf, Schlachtengedenken (wie Anm. 44), S. 88. 47 Liliencron, Volkslieder (wie Anm. 41), Nr. 21, S. 77–81; Lu¨neburger Chronik (wie Anm. 38), S. 20–22;

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hier ineinander und halten ein als Schlu¨sselereignis der sta¨dtischen Geschichte empfundenes Geschehen in der Erinnerung lebendig, dessen allja¨hrliches Geda¨chtnis im liturgischen Vollzug der Memoria die Lu¨neburger Bu¨rger ihrer Identita¨t versicherte. Waren es in Lu¨neburg St. Ursula und die elftausend Jungfrauen, die den Bu¨rgern gegen den Herzog beigestanden hatten, so wurde in Braunschweig der heilige Auctor zum bu¨rgerlichen Stadtpatron, dessen Hilfe bei der Abwehr a¨ußerer Feinde wie bei der Beilegung innerer Konflikte, etwa bei der Ratsherrenschicht von 1374, in ja¨hrlichen Prozessionen und in Messen in einer Kapelle gedacht wurde, gebuwet in sunte Martens pare uppe der Breden strate an dat radhus unde is sunte Autors Capelle. Dort hingen auch die Wappenschilder der wa¨hrend der Schicht geto¨teten acht Bu¨rgermeister und Ratsmannen, wie Hermen Bote im „Schichtbuch“ zu berichten weiß.48 Doch zumeist ging es beim Schlachtgedenken um den a¨ußeren Feind. So gedachte man in Hameln der schrecklichen Niederlage gegen den Bischof von Minden am Pantaleonstag 1260 bei Sedemu¨nder,49 und in Hannover feierte man mit einem Tedeum noch im ¨ berfalls auf die Stadt, den Herzog Heinrich der 18. Jahrhundert die Abwehr eines U 50 ¨ Altere 1490 versucht hatte. Hier hat das liturgische Geda¨chtnis sogar die Reformation u¨berdauert und dem gewandelten Verha¨ltnis von Stadt und Stadtherrn entsprechend selbst den angreifenden Fu¨rsten einbezogen. Der Rat hatte es 1490 im u¨brigen nicht mit der Stiftung einer Gedenkprozession bewenden lassen, sondern das Ereignis in „unser stad denkeboch“, ein 1358 angelegtes Ratsbuch, eintragen lassen.51 ¨ hnlich verfuhr im fru¨hen 14. Jahrhundert die Stadt Quedlinburg, als sie im Bunde A mit dem Bischof von Halberstadt 1325 die Guntekenburg der die Stadt bedrohenden Grafen von Regenstein erobert und deren Abbruch erreicht hatte.52 Das belegt, daß man die Ereignisse als bedeutsame Daten der Stadtgeschichte empfand, und der Eintrag in ein Ratbuch hob den Bericht auf die gleiche Ebene wie Graf, Schlachtengedenken (wie Anm. 44), S. 93–95, 100. 48 Chroniken Braunschweig 2 (wie Anm. 5), S. 318; vgl. dazu Wilfried Ehbrecht, Die Stadt und ihre Hei-

ligen. Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Sta¨dte, in: Ellen Widder/Mark Mersiowsky/Peter Johanek (Hg.), Vestigia Monasteriensia. Westfalen Rheinland – Niederlande (Studien zur Regionalgeschichte 5), Bielefeld 1995, S. 197–261, hier S. 228–236. 49 Heinrich Spanuth (Hg.), Geschichte der Stadt Hameln, Hameln 1940, S. 140. 50 Vgl. die „Chronologia Hannoverana“ bei O. Ju ¨ rgens (Hg.), Hannoversche Chronik (VNdsG 6), Hannover 1907, S. 118–121, hier S. 121: „Also hat Gott durch seine allma¨chtige Gnadenhand die Stadt Hannover abermahls vor Hertzogen Heinrichs des Eltern blutigem Vorhaben geschu¨tzet und dessen Anschlag zunichte gemacht, auch den Fu¨rsten bewahret, daß er in seinem Zorn und Eifer nicht unschuldig Blut vergossen. Vor solche va¨terliche gna¨dige Beschirm- und Beschu¨tzung thut die Stadt Hannover ja¨hrlichs am Tage Chrysogoni den 24. Nov., Gott dem Allma¨chtigen eine Danksagung, und pfleget, neben andern Dankpsalmen nach gehaltener Dankpredigt das Te deum laudamus deutsch zu singen und Gott zu loben.“ Vgl. zu diesem Werk Klaus Mlynek/Waldemar R. Ro¨hrbein (Hg.), Geschichte der Stadt Hannover 1: Von den Anfa¨ngen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Hannover 1992, S. 10. 51 Gustav Mittendorf, Herzog Heinrich der A ¨ ltere im Kampfe mit der Stadt Hannover und der U ¨ berfall der Stadt am 24. November 1490, in: Archiv des Historischen Vereins fu¨r Niedersachsen, NF Jg. 1845, S. 260–293, mit Edition S. 279–284; Mlynek/Ro¨hrbein, Geschichte der Stadt Hannover (wie Anm. 50), S. 10; Graf, Schlachtengedenken (wie Anm. 44), S. 93f. 52 Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, bearb. v. Karl Janicke, Bd. 2, Halle 1882, S. 247f.; Hermann Lorenz, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg (Quedlinburgische Geschichte 1), Quedlinburg 1922, S. 130–133.

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die Urkunden und Privilegien, die dort verzeichnet standen, verlieh ihm a¨hnliche legitimatorische Kraft. Diese „Stadtbuchchronistik“53, bestehend aus einzelnen Eintra¨gen in Amtbu¨chern des Rats, ist weit verbreitet gewesen. Der Quedlinburger Eintrag aber geho¨rt – wenn man von der Weichbildchronik der Magdeburger Rechtsbu¨cher absieht – zu den a¨ltesten Beispielen fu¨r volkssprachliche Geschichtsschreibung im Bereich der sa¨chsischen Sta¨dte, und er gilt einem Ereigniskomplex, der am Beginn des Sa¨chsischen Sta¨dtebundes steht. Denn trotz seines engen Zusammenwirkens mit dem Halbersta¨dter Bischof, ja vielleicht um die dadurch begru¨ndete Abha¨ngigkeit zu neutralisieren, schloß sich Quedlinburg nur ein Jahr spa¨ter mit Aschersleben und der Stadt Halberstadt zum gegenseitigen Schutz zusammen.54 Der Stadtbucheintrag aber dokumentiert das Ereignis, das im Selbstversta¨ndnis der Stadt das auslo¨sende Moment dieser Entwicklung darstellte und den Selbstbehauptungswillen der Stadt Quedlinburg demonstrierte. Hier setzt sta¨dtische Geschichtsschreibung generell an. Das politische Handeln der Sta¨dte vollzieht sich in einem Rahmen, der bestimmt ist durch Privilegien und Vertra¨ge. Auf ihnen ruht die sta¨dtische Rechtsstellung, wird ihr Lebensnerv, der Handel, gesichert, sie begru¨nden und begrenzen die Handlungsfa¨higkeit des Rats im Kra¨ftespiel der innersta¨dtischen Gruppierungen. Dingliche Symbole und liturgisches Geda¨chtnis spielen – wie zu zeigen war – eine wichtige Rolle in der Verdeutlichung von Lebensordnungen und bei der Stiftung korporativer Identita¨t, aber in den Auseinandersetzungen um Macht und um das Rechthaben in außersta¨dtischen und innersta¨dtischen Konflikten za¨hlt der schriftliche Beleg fu¨r die Legitimierung von Rechtspositionen.55 Dazu dienen die Eintra¨ge in den Stadtbu¨chern und jene Gegenwartschronistik, die ha¨ufig den Charakter von Relationen und Rechtfertigungsschriften tra¨gt. Lu¨neburg bietet unter den sa¨chsischen Sta¨dten die eindrucksvollsten Beispiele. Es beginnt mit den Ratsbucheintra¨gen des Ratsnotars Nikolaus Floreke in den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts56 und mit jener Chronikenkompilation, die den Verlegenheits53 Vgl. zum Begriff Klaus Wriedt, Geschichtsschreibung in den wendischen Hansesta¨dten, in: Hans

Patze (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im spa¨ten Mittelalter (VuF 31), Sigmaringen 1987, S. 401–426, hier S. 414–416. 54 Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, bearb. v. Karl Janicke, Bd. 1, Halle 1873, Nr. 101, S. 74f.; vgl. Matthias Puhle, Die Politik der Stadt Braunschweig innerhalb des Sa¨chsischen Sta¨dtebundes und der Hanse im spa¨ten Mittelalter (BraunschwWerkstu¨cke 63), Braunschweig 1985, S. 22f. 55 Vgl. dazu Peter Johanek, Hofhistoriograph und Stadtchronist, in: Walter Haug/Burghart Wachinger (Hg.), Autorentypen (Fortuna Vitrea 6), Tu¨bingen 1991, S. 50–68, hier S. 56f.; aus der großen Zahl der Arbeiten zur Bestimmung des Charakters der mittelalterlichen Stadtchronistik seien lediglich einige bereits „klassische“ Titel genannt: Heinrich Schmidt, Die deutschen Sta¨dtechroniken als Spiegel bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im Spa¨tmittelalter (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 3), Go¨ttingen 1958; Johannes Bernhard Menke, Geschichtsschreibung und Politik in deutschen Sta¨dten des Spa¨tmittelalters, in: JbKo¨lnGV 33 (1958), S. 1–84, und 34/35 (1959/60), S. 1–194; F. R. H. Du Boulay, The German town chroniclers, in: Ralph H. C. Davis/J. M. Wallace-Hadrill (Hg.), The writing of history in the middle ages. Essays presented to Richard William Southern, Oxford 1981, S. 445–469; Edith Ennen, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung des sta¨dtischen Bu¨rgertums in seinen historischen Wandlungen, in: Dies., Gesammelte Abhandlungen zum europa¨ischen Sta¨dtewesen und zur rheinischen Geschichte, Bonn 1987, S. 86–101; Wolfgang Eggert, Zu Fragen der sta¨dtischen Geschichtsschreibung in Deutschland wa¨hrend des spa¨ten Mittelalters, in: Jahrbuch fu¨r Geschichte des Feudalismus 9 (1985), S. 115–127. 56 Lu¨neburger Chronik (wie Anm. 38), S. 1–20; vgl. Uta Reinhardt, Floreke, Nikolaus, in: VL2 Bd. 2,

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titel „Lu¨neburger Chronik bis 1414“ tra¨gt.57 In unmittelbarer Reaktion bei Floreke und in ausgreifender Ru¨ckschau in der Chronik steht in diesen Zeugnissen das Verha¨ltnis zum Landesherrn im Mittelpunkt, das sich im ausgehenden 14. Jahrhundert durch den Lu¨neburgischen Erbfolgekrieg besonders krisenhaft gestaltete. Es ist ganz charakteristisch, daß der sogenannte Pra¨latenkrieg, der von innersta¨dtischen Auseinandersetzungen begleitet war, die 1454 mit der Verdra¨ngung des patrizischen Rates ihren Ho¨hepunkt erreichten, ebenfalls mehrere chronikalische Berichte und Lieder hervorgebracht hat.58 Unter ihnen sticht die Darstellung des Ratsherrn und Bu¨rgermeisters Hinrik Lange 59 hervor, die er wa¨hrend eines von seinen Gegnern erzwungenen zweija¨hrigen Hausarrests niederschrieb, um seine Amtsfu¨hrung in den vorausgegangenen Jahren zu rechtfertigen. Zwei Denkschriften schob er 1461 nach, fast ein Jahrzehnt nach den Ereignissen. Ganz a¨hnlich hat in Halle der Ratsmeister Markus Spittendorf, der als Angeho¨riger der Pfa¨nnerschaft deren Interessen im Konflikt mit Innungen und Gemeine im Jahre 1474 vertrat und ebenfalls inhaftiert wurde, in umfangreichen Aufzeichnungen seinen Standpunkt verteidigt.60 Es ko¨nnte scheinen, als ob in solchen Aufzeichnungen Ansa¨tze zur Autobiographie vorliegen, sie fu¨r niemand anders geschrieben seien, als fu¨r den Verfasser und seine Familie.61 Der Eindruck ta¨uscht. Zwar setzte der Braunschweiger Ratsherr Hans Porner an die Spitze seines „Gedenkbuchs“ fu¨r die Jahre 1417–26 die Worte: Dit bok is myn unde nicht des rades.62 Jedoch stehen die Aufzeichnungen, die Porner ta¨tigt, in engem Zusammenhang mit seinen Ratsgescha¨ften, dazu bestimmt, ihm bei der Rechtfertigung seines Tuns zur Hand zu sein (vgl. Abb. 4). Die gleiche Intention liegt auch den amtlichen Aufzeichnungen zugrunde, die aus Braunschweig bekannt geworden sind: dem Fehdebuch von 1377–1388 und der „Heimlichen Rechenschaft“ von 1406.63 Die privaten Aufzeichnungen Langes, Spittendorfs und Porners haben Sp. 749; Jo¨rn-Wolfgang Uhde, Die Lu¨neburger Stadtschreiber von den Anfa¨ngen bis zum Jahr 1378, Hamburg 1977, S. 161–186, sowie in Zukunft Droste (wie Anm. 57). 57 Lu¨neburger Chronik (wie Anm. 38), S. 35–147; es handelt sich dabei, entgegen dem Eindruck, den die Edition bietet, um zwei selbsta¨ndige Texte mit Fortsetzungen. Das wird die Dissertation von Heiko Droste, Schreiben u¨ber Lu¨neburg. Wandel von Funktion und Gebrauchssituation der Lu¨neburger Historiographie (1350 bis 1639), Diss. masch. Hamburg 1994 [Druck: Hannover 2000], zeigen. Ihr soll hier nicht vorgegriffen werden. 58 Vgl. Lu¨neburger Chronik (wie Anm. 38), S. 149–409. 59 Uta Reinhardt, Lange, Hinrik, in: VL2 Bd. 5, Sp. 582–584. 60 Denkwu¨rdigkeiten des Hallischen Rathsmeisters Spittendorf, bearb. v. Julius Opel (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 11), Halle 1880; dazu Klaus Wriedt, Spittendorf, Markus, in: VL2 Bd. 9, Sp. 144f. 61 So das Urteil von Du Boulay, The German town chroniclers (wie Anm. 55), S. 459f., der z. B. Langes Chronik als „labour of domestic leisure“ bezeichnet. 62 Chroniken Braunschweig 1 (wie Anm. 4), S. 209–281; Uta Reinhardt, Porner, Hans, in: VL2 Bd. 7, Sp. 789–791; es wurde vermutet, daß er auch eine verlorengegangene Chronik verfaßt habe (vgl. Chroniken Braunschweig 1 [wie Anm. 4], S. 216), doch ist unter dem in seinem Testament genannten tydebok wohl ein Brevier zu verstehen. 63 Chroniken Braunschweig 1 (wie Anm. 4), S. 9–120 und 121–207; zur historiographischen U ¨ berlieferung Braunschweigs insgesamt vgl. Joachim Ehlers, Historiographie, Geschichtsbild und Stadtverfassung im spa¨tmittelalterlichen Braunschweig, in: Manfred R. W. Garzmann (Hg.), Rat und Verfassung im mittelalterlichen Braunschweig. Festschrift zum 600ja¨hrigen Bestehen der Ratsverfassung 1386–1986 (BraunschwWerkstu¨cke 64), Braunschweig 1986, S. 99–134.

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wie die amtlichen ihren Ursprung in jenem Begriff, den beispielsweise Hinrik Lange immer wieder verwendet: rekenschup zu tun, Rechnung zu legen. Dieser pragmatische Zug der chronikalischen Beta¨tigung der sta¨dtischen Fu¨hrungselite, der alle bislang genannten Autoren, Laien wie Geistliche, angeho¨rten,

Abb. 4: Hans Porner Gedenkbuch, 1417–1426, Bl. 12v–13r Stadtarchiv Braunschweig

wird auch sichtbar, wenn es um die Darstellung der Grundlagen der sta¨dtischen Rechte und Freiheiten geht. Neben der Vergegenwa¨rtigung von „Herkommen“ und Weltordnung, die die o¨ffentliche Pra¨sentation des sta¨dtischen Geschichtsbildes offensichtlich so stark bestimmt haben, steht der Zugriff auf das Archiv mit den schriftlichen Rechtstiteln und Dokumenten. Manche „Chronik“ erweist sich beim na¨heren Hinsehen als verkapptes Archivinventar. So verfuhr beispielsweise der Helmsta¨dter Mo¨nch Henning Hagen aus dem dortigen Ludgeri-Kloster, den 1491 der Rat um eine Darstellung der Stadtgeschichte bat, um fu¨r einen Rechtsstreit mit Herzog Wilhelm von Braunschweig besser gewappnet zu sein. Hagen dachte sie als Lehrbuch des Rates, dar men sek inne beschauwen vnde bespeygelen mach gelijk in eyner croneken, dar alle dingk mit der jartid inne geuunden wert, wat vnde wu de stad vnde de raet mit den heren vnde ander steeden hebben to schicken hat („darin man sich beschauen und bespiegeln kann wie in einer Chronik, worin alle Dinge mit ihrer Jahreszahl gefunden werden und was und wie die Stadt und der Rat mit den Herren und andern

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¨ bersetzungen aller Sta¨dten zu verhandeln hatte“).64 Sie besteht aus Auszu¨gen und U sta¨dtischen Urkunden, versehen mit u¨berleitenden Bemerkungen, einem alphabetischen Register und einem Signaturensystem, das Querverweise und das Auffinden der Dokumente im Archiv ermo¨glicht. Umgekehrt finden sich auch auf den Archivalien Hinweise auf die Chronik. Henning Hagen steht nicht allein mit diesem Verfahren. In Naumburg haben drei Stadtschreiber des 16. Jahrhunderts, Erhart Milde (1503), Nikolaus Krottenschmidt (1535–1546) und Sixtus Braun (1577–1592), Annalen der Stadt verfaßt, die im wesentlichen als kommentierte Archivu¨bersichten bezeichnet werden ko¨nnen, auf Amtsbu¨cher, Rechnungen und Urkunden zuru¨ckgreifen und das Auffinden der Dokumente im Archiv erleichtern.65 Stadtbucheintra¨ge, Rechenschaftsberichte und Denkschriften privater und amtlicher Natur, Archiv- und Chartularchroniken – das sind Hilfsmittel fu¨r den Rat und den Personenkreis, der ihn bildet, sich der Vergangenheit der Stadt zu bema¨chtigen und die daraus gewonnenen Kenntnisse zum gemeinen Nutzen der Stadt anzuwenden, so wie sie ihn verstanden, auch zur Rechtfertigung der eigenen Position. Oft, ja in den meisten Fa¨llen, waren sie lediglich fu¨r den internen oder privaten Gebrauch, nicht zur Weitergabe oder Publizierung bestimmt. Schon ein Titel wie „Heimliche Rechenschaft“ deutet das an oder die Anweisungen, die Henning Hagen seinem Werk mit auf den Weg gegeben hat. Sie bilden aber auch den Hintergrund fu¨r jene Werke, die in der Tat als Historiographie, als geformte Geschichtsschreibung anzusprechen sind, die die Stadtgeschichte in gro¨ßere Zusammenha¨nge einzuordnen suchen, ohne dabei die Grundabsichten sta¨dtischer Chronistik aus dem Auge zu verlieren. Die Autoren, die ihr Handwerk in dieser Weise auffassen – die Magdeburger Scho¨ppenchronik, Gert Rinesberch und Herbort Schene, Reynerus Groningen in seinem Braunschweiger „Schichtspiel“ und Hermen Bote haben klar formuliert, daß es ihnen um die salus publica ging.66 Um 1500 verfu¨gten nur wenige sa¨chsische Sta¨dte u¨ber Chroniken dieser Konzeption und literarischen Qualita¨t, auch die einfacheren, auf pragmatische Handhabung gerichteten Formen chronikalischer Aufzeichnung sind in den kleinen Sta¨dten nicht allzu reich gesa¨t. Das a¨ndert sich im 16. Jahrhundert. Von der Jahrhundertmitte an beginnt eine Welle sta¨dtischer Geschichtsschreibung, die eine so große Zahl von Werken und Sammlungen hervorbringt, daß die Forschung sie bislang noch nicht systematisch und vergleichend gewu¨rdigt hat.67 Das kann auch hier nicht gesche64 Henning Hagens Chronik der Stadt Helmstedt, hg. v. Edvin Brugge/Hans Wiswe, in: NdtMitt 19/21

(1963/65), S. 113–280; Uta Reinhardt, Hagen, Henning, in: VL2 Bd. 3, S. 113–280; vgl. noch Friedrich Ebel, Die Spruchta¨tigkeit des Magdeburger Scho¨ppenstuhls fu¨r Niedersachsen, in: ZRGG 98 (1981), S. 30–55, hier S. 40; Ders. (Hg.), Magdeburger Recht 1: Die Rechtsspru¨che fu¨r Niedersachsen (MdtF 89/I), Ko¨ln/Wien 1983, S. 90 und 102–104, Nr. 5. 65 M. Dr. Nicolaus Krottenschmidt, Naumburger Annalen vom Jahre 1305 bis 1547 nach seiner im sta¨dtischen Archiv befindlichen Handschrift, hg. v. Dr. Ko¨ster, Naumburg 1891; M. Sixtus Brauns Naumburger Annalen vom Jahre 799 bis 1613, hg. v. Dr. Ko¨ster, 2. Auflage Naumburg o. J. (1927); die Chronik Mildes ist verloren, bildet aber die Grundlage fu¨r Krottenschmidt. 66 Vgl. die Zitate oben mit Anm. 1–5. 67 Ein Ansatz lediglich bei Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der fru¨hen Neuzeit (Literatur und Leben, NF 22), Ko¨ln/Wien 1982, S. 150–157. Ein weitaus u¨berwiegender Teil dieser sta¨dtischen Chronistik ist lediglich handschriftlich u¨berliefert und niemals in den Druck gelangt.

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hen. Doch auf den ersten Blick ist zu erkennen, daß sich das soziale Spektrum der Verfasser verbreitert hat. Nicht lediglich Ratsangeho¨rige oder dem Rat verbundene Autoren greifen nun zur Feder, sondern es finden sich Handwerker, Pastoren und fu¨rstliche Beamte unter ihnen. Im Vordergrund steht fu¨r sie weniger das Abfassen vo¨llig neuer Werke und das Entwerfen neuer Konzeptionen, als vielmehr das Fortschreiben, das Erneuern und Anreichern u¨berlieferter Chronistik durch die nun im Druck verbreitete gelehrte Historiographie, wie durch die Werke des Albert Krantz oder durch Heinrich Bu¨ntings „Braunschweigische und Luneburgische Chronica“.68 Nicht selten ist ein Zug zum Antiquarischen zu verspu¨ren, doch gerade zwischen Elbe und Weser blieb es bei der Intention der Chronisten, mit ihrem Werk in die politische Auseinandersetzung einzugreifen und politische Handlungen zu rechtfertigen. Das große Thema dieser Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts ist die Reformation und ihre Verknu¨pfung mit den damit Hand-in-Hand-gehenden sta¨dtischen Konflikten und außenpolitischen Verwicklungen. Die Reformation steht im Mittelpunkt oder ist doch stets pra¨sent, sei es in der Ablehnung in den Memorabilien des Hildesheimer Domherrn Johann Oldecop,69 in der vorsichtig abwartenden Haltung der Diarien der Hildesheimer Ratsfamilie Brandis70 oder in den vehementen Verfechtern ihrer Sache wie Jakob Schomaker in Lu¨neburg oder Heinrich Geismar in Goslar.71 Das Zentrum aber dieser Geschichtsschreibung bildete „Unseres Herrgotts Kanzlei“, die Stadt Magdeburg, die 1551 die Belagerung durch Herzog Moritz von Sachsen siegreich u¨berstand. Man beschrieb sie in mehreren Werken, so wie der Mo¨llenvogt Sebastian Langhans bereits einen Bericht u¨ber den reformatorischen Aufruhr von 1524/25 aufgezeichnet hatte.72 Es mutet also ganz folgerichtig an, wenn jene Tafel in St. Johannis, die den Einwohnern Magdeburgs die wichtigsten Daten ihrer Geschichte vor Augen fu¨hrte, auch das neue Epochenjahr enthielt: 1517 schrieb D. Luther wieder des Bapsts Ablas.73

68 Zu Krantz zuletzt Heinz Stoob, Albert Krantz (1448–1517), in: HansGbll 100 (1982), S. 87–109; Hein-

rich Bu¨nting, Braunschweigische und Luneburgische Chronica, Magdeburg 1586. 69 Chronik des Johan Oldecop, hg. v. Karl Euling (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 190),

Tu¨bingen 1891.

70 Henning Brandis’ Diarium. Hildesheimische Geschichten aus den Jahren 1471–1528, hg. v. Ludwig

Ha¨nselmann, Hildesheim 1891; Joachim Brandis’ des Ju¨ngeren Diarium, erga¨nzt aus Teilen Brandis’ Annalen 1528–1609, hg. v. M. Buhlers, Hildesheim 1902. 71 Die Lu¨neburger Chronik des Propstes Jakob Schomaker, hg. v. Theodor Meyer, Lu¨neburg 1904; Die Goslarer Chronik des Hans Geismar, hg. v. Gerhard Cordes (Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt Goslar 14), Goslar 1954. 72 Vgl. Chroniken Magdeburg 2 (wie Anm. 39), mit U ¨ bersicht in der Einleitung, S. IX–XX; ferner: Sebastian Besselmeyer, Wahrhafftige Historie und Beschreibung des Magdeburgischen Krieges ..., Basel 1552; Heinrich Merckel, Wahrhafftiger, außfu¨rlicher und gru¨ndlicher Bericht von der alten Stadt Magdeburg Berlagerung ..., Magdeburg 1587; Elias Pomarius, Warhafftige ... Beschreibung der uberja¨hrigen Belagerung der ... Reichsstadt Magdeburg, Magdeburg 1622; vgl. allgemein Dwaine Charles Brandt, The City of Magdeburg before and after the reformation: a study in the process of historical change, Diss. Washington 1975, Ann Arbor 1979. 73 Chroniken Magdeburg 2 (wie Anm. 39), S. 140.

INSZENIERTE VERGANGENHEIT ¨ berlieferung Vom Umgang mit geschichtlicher U in den deutschen Sta¨dten des Mittelalters [Erstabdruck: Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter, hg. v. Matthias Ohm/Thomas Schilp/Barbara Welzel (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 7), Bielefeld 2006, S. 39–48]

In Gottes Namen, amen – so schrieb man um die Mitte des 15. Jahrhunderts in ein Buch des Rates der Stadt Zerbst: In Gottes Namen, amen. Weil die Dinge, die in der Zeit, so weit das Geda¨chtnis reicht, geschehen sind, den Nachkommen in vernehmlicher Kunde nicht u¨berliefert werden ko¨nnen, wenn sie nicht schriftlich nach ihrem Verlaufe verzeichnet werden, und damit also nun ein jeder, der hiernach in ku¨nftigen Zeiten in des Ratsstuhl der bewa¨hrten Stadt Zerbst zu sitzen erwa¨hlt wird, solche Geschichte, die seit Menschengedenken und la¨nger innerhalb und außerhalb der Stadt Zerbst unsere Erbherren und auch Bu¨rger und Rat zu Zerbst betraf, und auch andere, andere Leute betreffende Sachen, um daran ein Exempel und Beispiel zu nehmen, in vernehmliche Kunde bekommen und erkennen kann, was davon der genannten Stadt Zerbst und ihren Bewohnern zu Nutzen und Schaden gereicht habe, und damit, wenn sich solche oder dergleichen Sachen ku¨nftig mehr in und außer der Stadt erhu¨ben, ein jeder, der zu der Zeit zur Mitarbeit daran berufen ist, sich danach halten und richten ko¨nne: haben wir, Ratmanne zu Zerbst, zu der Zeit da man schrieb nach Gottes Geburt 1451 ... mit Hilfe und Anweisung andrer unsrer Mitbu¨rger etliche Geschichten, die bei etlicher unsrer hier nach verzeichneten Erbherrenzeiten, und mehr Geschichten, die von andern Herren und unsern guten Freunden in und außer der Stadt Zerbst geschehen sind, in dies Buch schreiben und verzeichnen lassen, wie sie hier nachfolgen.1 Prooemien, d. h. Einleitungen oder Prologe wie dieser, stehen nicht selten am Beginn sta¨dtischer Chroniken des Mittelalters. Diese sta¨dtischen Chroniken sollen das Geda¨chtnis der Vergangenheit bewahren und festigen, sie wollen Pra¨zedenzfa¨lle festhalten und Beispiele aufstellen und damit dem gemeinen Nutzen dienen, durch Speicherung von Erfahrung Schaden vom Gemeinwesen der Stadt abwenden. Ganz wie die Zerbster Ratschronik mit ihrer verschno¨rkelten Kanzleiprosa sah etwa auch

1 Die Zerbster Ratschronik, u¨bersetzt v. Hermann Wa¨schke, Dessau 1907, S. 5.

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Inszenierte Vergangenheit

Heinrich von Lamspringe in Magdeburg die Dinge, als er knapp ein Jahrhundert zuvor, 1360, daranging, fu¨r die Scho¨ppen der Stadt eine Chronik niederzuschreiben2 in einer Zeit, in der god sines tornes hand, streckede hir in dutsche land. Auch er war an sein Werk gegangen in der Zuversicht, uppe dat me bi den dingen, de scheen sind, schaden bewaren moge und vromen soken und scepen der stad, wente bi den dingen, de gescheen sint, provet men dicke, wat noch gescheen mach („damit man durch die Dinge, die geschehen sind, sich vor Schaden hu¨ten und den Nutzen der Stadt suchen und schaffen mo¨ge. Denn aufgrund der Dinge, die geschehen sind, vermag man gut einzuscha¨tzen, was noch geschehen mag“). Die Bremer Geistlichen Gert Rinesberch und Herbert Schene haben sich ebenfalls ganz a¨hnlich gea¨ußert in dem Vorwort, das sie ihrer Chronik der Bremer Erzbischo¨fe voranstellten, die aber dennoch gleichzeitig als Chronik der Stadt Bremen zu gelten vermag, und in der sie von den Unruhen in der Stadt berichteten.3 Sie sind an die Abfassung dieser Chronik gegangen, uppe dat de stad van Bremen dar mochte lere und bilde utnemen, dat se sulken groten vorderflicken schaden to ewigen tiden mochten bewaren („damit die Stadt Bremen daraus Lehre und Beispiel nehmen ko¨nnte, um sich vor solch großen, verderblichen Schaden auf ewige Zeiten zu bewahren“). Auch in Braunschweig wusste man Vergleichbares in die Aufzeichnungen zu schreiben, die dem Rat als Geda¨chtnisstu¨tze dienen sollten. So geschah es in der „hemeliken rekenscop“ von 1406, und so hielt es noch Hermen Bote im neuen Jahrhundert, 1513, wenn er in seinem „Schichtbuch“ der groten vergetenheit entgegenwirken wollte, die dem gemeynen ghut Schaden bringen muss.4 Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Johann Kerkho¨rde, der Dortmunder Ratsherr des 15. Jahrhunderts, seiner Chronik ein ganz a¨hnliches Vorwort voranstellte. Sie ist aber lediglich in einem Auszug erhalten, den ein spa¨terer Dortmunder Chronist – Detmar Mulher – im 17. Jahrhundert verfertigte, wobei er selbstbewusst bemerkte, er habe ¨ berflu¨ssige weggeku¨rzt.5 Wie dem auch immer gewesen sein mag, auch Kerkalles U ho¨rde wusste um die Unsicherheit des Erinnerns, half er doch selbst im Auftrag des Rats bei der Suche nach Zeugnissen, die u¨ber die Stadtbra¨nde fru¨herer Jahrhunderte ha¨tten Auskunft geben ko¨nnen und deren Daten in Vergessenheit geraten waren.6 Diese sta¨dtischen Geschichtsschreiber wissen, dass das Geda¨chtnis des Menschen schwach ist, unzuverla¨ssig und hinfa¨llig. Die Urkunden, die oft von den gleichen Schreibern angefertigt werden, sind voll von solchen Klagen. Menschliches Erinnern tru¨gt oft, manchmal betru¨gt es sogar. Getreu aufbewahrt wird die memoria, die Erinnerung, nur durch die Schrift. Fidelis est litterarum custodia („Getreu ist das Gewahrsam der Schrift“), so beginnt manche mittelalterliche Urkunde, und die Vorworte der

2 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Magdeburg 1 (ChrDtSt 7), Leipzig 1869, S. 1f. 3 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Bremen (ChrDtSt 37), Bremen 1968, S. 1. 4 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Braunschweig 1 (ChrDtSt 6), Leipzig 1868, S. 121–207,

bes. S. 132, bzw. Braunschweig 2 (ChrDtSt 16), Leipzig 1880, S. 299.

5 Chronik des Johann Kerkho¨rde von 1405–1465, in: Die Chroniken der westfa¨lischen und niederrhei-

nischen Sta¨dte: Dortmund, Neuß (ChrDtSt 20), (1887; ND 1969), S. 25: N. B. de superfluis a me castra¨ berlieferung vgl. S. 3f. tum; zur U 6 Ebd., S. 118; zu Johann Kerkho¨rde vgl. Hubert Herkommen, Art. Kerkho¨rde, Johann, in: VL2, Bd. 4, Sp. 1132–1134.

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Chroniken, wie sie hier in einigen Beispielen aus dem Umkreis der Sta¨dte des deutschen Nordens zitiert wurden, meinen nichts anderes.7 Sta¨dtische Geschichtsschreibung des Mittelalters und der Neuzeit gibt es in großer Fu¨lle und vielerlei Gestalt. Sie ist ein klassischer Gegenstand der Stadtgeschichtsforschung, und nichts scheint selbstversta¨ndlicher zu sein, als das Faktum, dass das Sozialgebilde Stadt, eine der erfolgreichsten Kreationen, die das europa¨ische Mittelalter hervorgebracht hat, sich seiner Vergangenheit versicherte und sie in schriftlicher, in literarischer und dokumentarischer Form zur Darstellung brachte, ganz so, wie es die hier zitierten Prooemien der mittelalterlichen Sta¨dtechroniken forderten. ¨ berlieferung der mittelalterlichen ChroniSieht man jedoch na¨her hin, fasst man die U stik insgesamt ins Auge, so bietet sich ein u¨berraschendes Bild. Vor etwa einem Vierteljahrhundert zog ein englischer Forscher, F. R. H. du Boulay, ein Fazit eines sol¨ berblicks, das ein Faktum in eine zuspitzende Formulierung fasste, das zwar chen U der Forschung und den Forschern stets vage bewusst gewesen war, aber niemals so deutlich ausgesprochen worden war: „Zwischen England und Deutschland besteht ein auffa¨lliger Gegensatz, was die Zahl und Vielfalt der volkssprachigen sta¨dtischen Chroniken betrifft. In England gibt es Stadtchroniken im Wesentlichen aus London, aber auch diese sind aufs Ganze gesehen nicht zahlreich.“8 Du Boulay konstatierte demnach im Grunde ein Fehlen der Gattung in England, demgegenu¨ber hob er den Reichtum und die Vielgestaltigkeit dieser Quellen- und Literaturgattung in Deutschland hervor. Was du Boulay fu¨r England konstatierte, darf im Wesentlichen auch fu¨r Frankreich gelten. Auch hier fehlt es weithin an sta¨dtischen Chroniken, und die culture historique des westlichen Europa, wie Bernard Guene´e sie beschrieben hat,9 entbehrt einer sta¨dtischen Komponente. Die Stadt, das Gemeinwesen der Sta¨dte und seine Verha¨ltnisse und Probleme werden hier wa¨hrend des Spa¨tmittelalters nur in Ausnahmefa¨llen zum Gegenstand von Geschichtsschreibung. In der Tat, sta¨dtische Geschichtsschreibung gedieh und blu¨hte in Italien und in den La¨ndern des Heiligen Ro¨mischen Reiches sowie auch in den Ko¨nigreichen Ostmitteleuropas, in denen das deutsche Stadtrecht Einfluss ausu¨bte. In anderen La¨ndern Europas fehlte sie weitgehend. Man wird nicht fehlgehen, wenn man diese historiographische Produktivita¨t der deutschen Sta¨dte mit der politischen Struktur des Reiches in Verbindung bringt. Diese Struktur war bestimmt durch regionale Gewalten, vor allem die seit dem 13. Jahrhundert entstehenden dynastischen Territorien, die sich ¨ bergang zur Neuzeit zu Fu¨rstenstaaten wandelten und in denen sich in Deutschim U ¨ bergang zur modernen Staatlichkeit vollzog. Jedoch auch die Sta¨dte du¨rland der U fen im Gefu¨ge des Reichs als bedeutende politische Kraft gelten, ganz gleichgu¨ltig, ob sie zu den Reichssta¨dten und freien Sta¨dten geho¨rten oder in die landesfu¨rstliche 7 Vgl. jetzt v. a. anderen Atsuko Iwanami, Memoria et oblivio. Die Entwicklung des Begriffs memoria in

Bischofs- und Herrscherurkunden des Hochmittelalters (Berliner historische Studien 36), Berlin 2004. 8 Francis Robin Houssemayne du Boulay, The German Town Chronicles, in: Ralph Henry Carless

Davis/John M. Wallace-Hadrill (Hg.), The Writing of History in the Middle Ages. Essays presented to R. W. Southern, Oxford 1981, S. 445–469, hier 445f. 9 Bernard Guene´e, Histoire et culture historique dans l’occident medieval, Paris 1980.

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Herrschaft eingebunden waren. Gerade die Ersteren – etwa 70 Reichssta¨dte an der Zahl – sind Gebilde, die in den großen westeuropa¨ischen Monarchien keine Parallelen haben.10 Sie entziehen sich fu¨rstlicher Herrschaft, liegen u¨ber weite Perioden ihrer Geschichte in Konflikt mit ihr oder betrachten sie als gleichwertigen Partner, ja sie bilden zum Teil eigene Territorien in ihrem Umland aus. Ihre Autonomie wird zum Leitbild fu¨r potente Territorialsta¨dte, die sich gegenu¨ber ihrem Landesherrn bedeutende politische Spielra¨ume zu verschaffen verstehen und ebenfalls politisch selbsta¨ndig zu agieren suchen. Das Letztere gilt etwa besonders fu¨r den Bereich der Hanse. Magdeburg, Braunschweig, Lu¨neburg oder Soest geho¨ren zu diesen Sta¨dten, und gerade aus ihnen ist, wie aus den Reichssta¨dten, der bedeutendste Anteil an der Sta¨dtechronistik Deutschlands im ausgehenden Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit hervorgegangen. Es ist diese Einbindung in das Geflecht der politischen Interaktion im Reich, die die historiographische Produktion in den Sta¨dten angeregt hat. Es besteht ganz offenkundig ein Zusammenhang zwischen politischer Unabha¨ngigkeit von Sta¨dten – wie unterschiedlich sie auch gestaltet sein mag – und der Entstehung sta¨dtischer und bu¨rgerlicher Geschichtsschreibung, ja der Ausgestaltung geschichtlicher Erinnerung in diesen sozialen Gebilden ganz allgemein, in welchen Medien sie sich auch vollziehen mag. Von diesen unterschiedlichen Medien wird noch die Rede sein mu¨ssen. Doch ins Auge fa¨llt dem Betrachter zuna¨chst die schriftlich u¨berlieferte Geschichtserinnerung der deutschen Sta¨dte. Allein ihr Umfang ist u¨berwa¨ltigend groß. Die 1862 begonnene Editionsreihe der „Chroniken der deutschen Sta¨dte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“ umfasst 37 umfangreiche Ba¨nde, jedoch bietet sie nur eine Auswahl der historiographischen Bemu¨hungen der bedeutendsten Sta¨dte des Reiches.11 Daneben existiert eine außerordentlich große Zahl von Editionen einzelner Werke aus dem ganzen Reichsgebiet, und in den Bibliotheken und Archiven schlummert ein immenses, bislang nicht ediertes, ja vielfach ungesichtetes handschriftliches Material zur sta¨dtischen Geschichtsschreibung, ganz besonders aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Es ist außerordentlich schwierig, diese umfangreiche und a¨ußerst vielgestaltige historio¨ berlieferung zu u¨berblicken, und niemand kann behaupten, dass er sie graphische U systematisch erfasst und durchdrungen ha¨tte.

10 Vgl. den U ¨ berblick mit Karte bei Peter Johanek, Imperial and Free Towns of the Holy Roman Empire.

City-States in Pre-Modern Germany?, in: Mogens Herman Hansen (Hg.), A Comparative Study of Thirty City-State Cultures (Historisk-filosofiske Skrifter 21), Kopenhagen 2000, S. 295–319. 11 Die Chroniken der deutschen Sta¨dte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1–37, Leipzig u. a. 1862–1969 (ND ¨ bersicht zur Stadtgeschichtsschreibung des deutschen MitBde. 1–36, Go¨ttingen 1965–1968). Eine U telalters existiert nicht, vgl. aber Heinrich Schmidt, Die deutschen Sta¨dtechroniken als Spiegel des bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im Spa¨tmittelalter (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 3), Go¨ttingen 1958, sowie zwei neuere Sammelba¨nde: Peter Johanek (Hg.), Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit (StF A47), Ko¨ln/Weimar/Wien 2000; Georg Mo¨lich/Anna-Dorothee von den Brincken, Spa¨tmittelalterliche sta¨dtische Geschichtsschreibung in Ko¨ln und im Reich. Die Koelhoffsche Chronik und ihr historisches Umfeld (VKo¨lnGV 43), Ko¨ln 2001.

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¨ berlieferungsausschnitt wie die DortmunDas gilt sogar fu¨r einen so schmalen U der Geschichtsschreibung der a¨lteren Zeit.12 Lediglich die Chroniken des Johann Kerkho¨rde13 und des Schmieds und Gerichtsschreibers Dietrich Westhoff (1509etwa 1551)14 sind in der großen Reihe der „Chroniken der deutschen Sta¨dte“ ediert, wa¨hrend die sogenannte „Chronik der Pseudorektoren der Benediktskapelle“ aus dem 14. Jahrhundert15 und die um 1450 entstandene „Chronica Tremoniensium“ des Dominikaners Johannes Nederhoff,16 der aus einer der ratsfa¨higen Familien Dortmunds stammte, anderwa¨rts publiziert sind. Die chronikalischen Arbeiten des Priesters Reinhold Kerkho¨rde,17 eines Enkels des Ratsherrn vom Ende des 15. Jahrhunderts, sind nur zum Teil gedruckt worden, weil Dietrich Westhoff sie in seiner Chronik verarbeitet hat. Weitere historiographische Werke aus Dortmund, wie etwa die Aufzeichnungen von Vater und Sohn Reinold Dorstelmann aus dem 15. Jahrhundert, des Johannes Voss, der fu¨r 1506 als Rektor der Reinoldischule bezeugt ist, oder des Johannes Crawinkel, eines Zeitgenossen des Johannes Nederhoff und Dominikaner wie er, sind verloren oder nur in spa¨teren Auszu¨gen erhalten, und auch andere Aufzeichnungen sind lediglich fragmentarisch bewahrt worden oder lassen sich aus der ¨ berlieferung erschließen18. Aufs Ganze aber ist das 15. und 16. Jahrhundert eine U fruchtbare Zeit der sta¨dtischen Geschichtsschreibung in Dortmund gewesen, und sie fand einen gewissen Abschluss in dem vielgestaltigen, ebenfalls nur teilweise in den Druck gelangten Werk des Spa¨thumanisten Detmar Mulher.19 Man blickt – so scheint es jedenfalls zuna¨chst – auf ein dichtes Geflecht schrift¨ berlieferung, in der die sta¨dtische Gesellschaft des Mittelalters Erinnerung licher U an nahe und ferne Vergangenheit festzuhalten und Geschehnisse der eigenen Zeit der ¨ berlieferung, diese Nachwelt zu u¨berliefern suchte. Es ist in der Tat eine reiche U Fu¨lle der sta¨dtischen Chronistik, die vom ausgehenden 13. bis ins 16. Jahrhundert stetig anwa¨chst, sich in den verschiedensten Gattungen pra¨sentiert und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven berichtet. Selbst wenn heute nicht mehr alles greifbar ist, was damals existierte, so scheint es um das historische Geda¨chtnis vieler Sta¨dte gut

12 Eine erste U ¨ bersicht bei Karl Ru¨bel, Die Chroniken, in: BeitrGDortmund 1 (1875), S. 30–73; Joseph

Hansen, Einleitung, in: Chroniken Dortmund, Neuß (wie Anm. 5), S. XI–XXXIV; Monika Fehse, Stadtchroniken des spa¨ten Mittelalters und der Reformation in Dortmund und Duisburg als Quellen zur Alltagsgeschichte, in: Medium Aevum Quotidianum 32 (1995), S. 5–135; Dies., Dortmunder Stadtchroniken als Quellen fu¨r Alltagsgeschichte, in: BeitrGDortmund 87 (1996), S. 79–95. 13 Chronik des Johannes Kerkho¨rde (wie Anm. 5), S. 1–146. 14 Chronik des Dietrich Westhoff von 750–1550, in: Chroniken Dortmund, Neuß (wie Anm. 5), S. 147–462. 15 Joseph Hansen (Hg.), Chronik der Pseudorektoren der Benediktskapelle zu Dortmund, in: Neues Archiv der Gesellschaft fu¨r a¨ltere deutsche Geschichtskunde 11 (1886), S. 491–550 16 Eduard Roese (Hg.), Des Dominicaners Jo. Nederhoff Chronica Tremoniensium (Dortmunder Chroniken 1), Dortmund 1880. 17 Chronik des Dietrich Westhoff (wie Anm. 14), S. 355–388; vgl. auch Herkommer, Art. Kerkho¨rde, in: VL2, Bd. 4, Sp. 1134. 18 Chroniken Dortmund, Neuß (wie Anm. 5), S. XXI–XXXIV. 19 Wilhelm Fox, Ein Humanist als Dortmunder Geschichtsschreiber und Kartograph – Detmar Mu¨lher, in: BeitrGDortmund 52 (1955), S. 109–275.

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bestellt gewesen zu sein wenn es galt, das Fundament zu einer historisch gegru¨ndeten sta¨dtischen Identita¨t zu legen und ein Geschichtsbild zu konstruieren, das nach innen und außen legitimatorische Kraft zu entfalten vermochte. Darum, um dieses letztere geht es ganz wesentlich: um die Sicherung von Rang und Status im politischen Kra¨ftespiel von Reich und Region und in der Ausu¨bung von Gewalt und Autorita¨t bei Entscheidungen im sozialen Beziehungsgeflecht der einzelnen Stadt selbst, auch innerhalb der Bu¨rgergemeinde und ihrer einzelnen Gruppen und Familien. Man hat die Stadt, den sta¨dtischen Raum als eine soziale Arena bezeichnet, in der die einzelnen Individuen und Gruppen die Konkurrenzka¨mpfe um Geltung und Status austrugen, und es ist diese Arena, in der sich die Interaktion und auch die Selbstdarstellung der Stadt und Bu¨rgergemeinde in ihrer Gesamtheit vollzieht, in der ihre politische Kultur gepra¨gt und geformt wird.20 Dabei spielte ganz ohne Zweifel auch geschichtliche Erinnerung eine wichtige und vielgestaltige Rolle. Dieser sta¨dtische Raum bietet die Bu¨hne, auf der sich die legitimierende Kraft ¨ ffentder Vergangenheit entfalten, zur Darstellung kommen muss, wenn sie in die O lichkeit wirken soll.21 Nur dann vermag sie zum Wirkungsfaktor der gemeinen rede zu werden, eine Wendung, die sich in den Quellen des ausgehenden Mittelalters findet. Man wird das, ohne in einen unangemessenen Anachronismus zu verfallen, mit „o¨ffentliche Meinung“ u¨bersetzen du¨rfen.22 Es liegt auf der Hand, dass Geschichtsschreibung allein nicht ausreicht, um die gemeine rede zu beeinflussen und der sta¨dtischen Geda¨chtniskultur entscheidende Ansto¨ße zu geben. Ein großer Teil jener Chroniken oder Aufzeichnung war nicht ¨ ffentlichkeit bestimmt, war lediglich fu¨r die heimlichkeit des Rates geschriefu¨r die O ben oder im Schriftwerk der sta¨dtischen Kanzlei versteckt, sozusagen fu¨r den „inneren Dienstgebrauch“ gedacht. Anderes wieder richtete sich an die eigene Familie, wie etwa das bekannte „pu¨chl von meim geslechet und von abentewr“ des Nu¨rnberger

20 Christopher R. Friedrichs, The Early Modern City, 1450–1750, London/New York 1995, S. 73; dazu

Thomas Schilp, Reinoldus, unser stat overster patroen und beschermer, in: Thomas Schilp/Beate Weifenbach (Hg.), Reinoldus und die Dortmunder Bu¨rgergemeinde. Die mittelalterliche Stadt und ihr heiliger Patron (Vero¨ffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund 15), Essen 2000, S. 35–49, hier S. 49; Gudrun Gleba, Repra¨sentation, Kommunikation und o¨ffentlicher Raum: Innersta¨dtische Herrschaftsbildung und Selbstdarstellung im Hoch und Spa¨tmittelalter, in: BremJb 77 (1998), S. 125–152; neuerdings noch Rudolf Schlo¨gl, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Ders. (Hg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der fru¨hneuzeitlichen Stadt (Historische Kulturwissenschaft 5), Konstanz 2004, S. 9–60; Jo¨rg Rogge, Kommunikation, Herrschaft und politische Kultur. Zur Praxis der o¨ffentlichen Inszenierung und Darstellung von Ratsherrschaft in Sta¨dten des deutschen Reiches um 1500, in: Schlo¨gl, Interaktion, ¨ ffentliche Ra¨ume in der fru¨hen Neuzeit. U ¨ berlegunS. 381–407; Susanne Rau/Gerd Schwerhoff, O gen zu Leitbegriffen und Themen eines Forschungsfeldes, in: Dies. (Hg.), Zwischen Gotteshaus und ¨ ffentliche Ra¨ume im Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit (Norm und Struktur 21), Ko¨ln/ Taverne. O Weimar/Wien 2004, S. 11–52. 21 Vgl. zu dieser Darstellung der Vergangenheit („representation of the past“) Elisabeth Tonkin, Narrating our pasts. The social constructions of oral history, Cambridge 1992, S. 2. 22 Vgl. etwa Ernst Schubert, „bauerngeschrey“: Zum Problem der o¨ffentlichen Meinung im spa¨tmittelalterlichen Franken, in: JbFrkLdF 34/35 (1975), S. 883–907; hier 893; dazu Volker Honemann, Politische Lieder und Spru¨che im spa¨teren Mittelalter, in: Die Musikforschung 50 (1997), S. 399–421.

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Patriziers Ulman Stromer 23 oder auch die Aufzeichnungen Johann Kerkho¨rdes in Dortmund. Solche Werke vermo¨gen die Geschichtserinnerung einzelner Gruppen und Familien zu formen und zu pra¨gen, auch ihren pragmatischen Zwecken zu dienen, nicht aber die Stadt als Erinnerungsgemeinschaft zu konstituieren. Das scheitert schon daran, dass die sta¨dtische Gesellschaft im Ganzen nur unvollkommen an der Literalita¨t teilhatte, auch die Eliten zuna¨chst nur teilweise lesefa¨hig waren und mit literarischen Zeugnissen umzugehen verstanden, bis im 15. Jahrhudert die Schriftlichkeit außerordentlich stark anstieg und die deutsche Sprache immer sta¨rker Verwendung fand. Dennoch erreichte Geschichtsschreibung die Menschen nur unvollkommen, war nicht jedermann zua¨nglich.24 Es sind demnach nicht lediglich die Chroniken, die bestimmten, was man in den Sta¨dten des Mittelalters u¨ber die Vergangenheit zu wissen meinte. Vielmehr nutzte man eine Vielzahl von Medien, setzte bei der Konstruktion der Geschichtsdarstellung im o¨ffentlichen Raum auf Bilder, Skulpturen und Objekte, an denen historische Erinnerung haftete, verwendete Symbole – Zeichen und Wappen vor allem – und schuf mit ihrer Hilfe Erinnerungsorte, die in der Geda¨chtniskultur Alteuropas eine u¨beraus wichtige Rolle gespielt haben. Sie sind die Kristallisationspunkte geschichtlicher Erinnerung im o¨ffentlichen Raum der mittelalterlichen Stadt.25 Zu solchen Merkzeichen geho¨rt etwa der bronzene Adler mit ausgebreiteten Flu¨geln aus dem 13. (Ko¨rper) beziehungsweise 14. Jahrhundert (Flu¨gel), der den 23 Die Chroniken der fra¨nkischen Sta¨dte: Nu¨rnberg 1 (ChrDtSt 1), (1862), S. 1–106. 24 Vgl. dazu etwa Frantisˇek Graus, Funktionen der spa¨tmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Hans

Patze, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im spa¨ten Mittelalter (VuF 31), Sigmaringen 1987, S. 11–55, hier 35–39. 25 Zum Begriff der Geda¨chtniskultur hat sich in den letzten Jahren eine reiche Literatur entfaltet. Ich ¨ berlieferung im Mitnenne nur die a¨lteren Arbeiten von Frantisˇek Graus, Lebendige Vergangenheit. U telalter und den Vorstellungen vom Mittelalter, Ko¨ln/Wien 1975, und Jacques Le Goff, Histoire et me´moire, Paris 1988, bes. S. 130–148, dann Jan Assmann, Das kulturelle Geda¨chtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identita¨t in fru¨hen Hochkulturen, Mu¨nchen 1997; Otto Gerhard Oexle (Hg.), Memoria als Kultur (VMPI 121), Go¨ttingen 1995, S. 9–78; Clemens Wischermann, Geschichte als Wissen. Geda¨chtnis oder Erinnerung? Bedeutsamkeit und Sinnlosigkeit in Vergangenheitskonzeptionen der Wisssenschaft vom Menschen, in: Die Legitimita¨t der Erinnerung und die Geschichtswissenschaft (Studien zur Geschichte des Alltags 15), Stuttgart 1996, S. 55–85; Aleida Assmann, Erinnerungsra¨ume. Formen und Wandlungen des kulturellen Geda¨chtnisses, Mu¨nchen 1999. Zum Begriff der „Erinnerungsorte“ vgl. Pierre Nora, Les lieux de me´moire, 3 Bde., Paris 1984–1992; Hagen Schulze/ Etienne Francois ¸ (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., Mu¨nchen 2001; Jean-Claude Schmitt, L’historien et les images, in: Otto Gerhard Oexle (Hg.), Der Blick auf die Bilder. Kunstgeschichte und Geschichte im Gespra¨ch (Go¨ttinger Gespra¨che zur Geschichtswissenschaft 4), Go¨ttingen 1997, S. 7–51. Zu Beispielen o¨ffentlicher Geschichtserinnerung in der mittelalterlichen Stadt habe ich mehrere Arbeiten vorgelegt: Peter Johanek, Geschichtsbild und Geschichtsschreibung in den sa¨chsischen Sta¨dten im 15. und 16. Jahrhundert, in: Matthias Puhle (Hg.), Hanse – Sta¨dte – Bu¨nde. Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500, Bd. 1 (Magdeburger Museumsschriften 4/1), Magdeburg 1996, S. 557–574; Ders., Historiographie, Bild und Denkmal in der Geschichtsu¨berlieferung des Mittelalters, in: Jarosław Wenta (Hg.), Die Geschichtsschreibung in Mitteleuropa. Projekte und Forschungsprobleme (Subsidia historiographica I), Torun´ 1999, S. 87–109; Ders., Geschichtsu¨berlieferung und ihre Medien in der Gesellschaft des spa¨ten Mittelalters, in: Christel Meier/Volker Honemann/Hagen Keller/Rudolf Suntrup (Hg.), Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur (MMS 79), Mu¨nchen 2002, S. 339–357.

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Marktbrunnen in Goslar kro¨nte.26 Er erscheint in gleicher Gestaltung im Siegel und im Wappen der Stadt, symbolisierte fu¨r alle sichtbar die Zugeho¨rigkeit zu Ko¨nig und Reich und entband die Erinnerung an die Privilegien und Freiheiten, die ihren Ursprung in dieser Zugeho¨rigkeit hatten. Der Goslarer Adler, der seine Parallelen in anderen Reichssta¨dten findet, ist ein besonders deutlicher, ja eindeutiger Hinweis auf die Zugeho¨rigkeit zu Kaiser und Reich, ebenso wie die Herrscherskulptur im Giebelfeld des Rathauses zu Dortmund, von der Detmar Mulher berichtet und in der vermutlich Karl der Große gesehen wurde, auf den man die Anfa¨nge der Stadt und ihrer Freiheiten zuru¨ckfu¨hrte.27 Aber nicht immer war eine solche Eindeutigkeit von vornherein gegeben oder aber die Interpretation eines Bildes, eines Erinnerungszeichens oder Symbols, konnte sich vera¨ndern. Die Reiterstatue des 13. Jahrhunderts vor dem Magdeburger Rathaus, die wahrscheinlich Kaiser Otto den Großen darstellt (Abb. 1), wurde mo¨glicherweise urspru¨nglich vom Erzbischof von Magdeburg als Zeichen seiner Gerichtsbarkeit und seiner Herrschaft u¨ber die Stadt aufgerichtet, da er beides aus den Privilegien dieses Herrschers herleitete.28 Die um ihre Autonomierechte bemu¨hte Bu¨rgergemeinde Magdeburgs sah das anders. Sie nahm Kaiser Otto als Gru¨nder der Stadt und Garant ihrer Autonomie in Anspruch. Die Scho¨ppenchronik erza¨hlt ausfu¨hrlich davon, wie Otto auf Dra¨ngen Ko¨nigin Ediths die Stadt ausmessen ließ und seiner Gru¨ndung ihre Freiheiten verlieh.29 Ganz a¨hnlich wusste man auch in Dortmund vom Ursprung der Stadt zu berichten, dass ihr Siedlungsareal auf kaiserliches Geheiß (auctoritate imperiali) in Parzellen aufgeteilt worden sei. So haben es die Prokuratoren der Stadt im Patronatsstreit mit dem Ko¨lner Mariengradenstift 1287 vorgetragen.30 Die Magdeburger Scho¨ppenchronik jedoch berichtete auch daru¨ber, dass Kaiser Otto der Stadt zahlreiche Privilegien und Freiheiten verliehen habe, und der keyser Otto uppe dem margkede (1501) wurde mitsamt den spa¨ter hinzugefu¨gten Figuren der vier weltlichen Kurfu¨rsten „gleichsam eine steinerne Rechtsurkunde, ein zum Monument gewordenes Denkmal der Privilegien“ dieses Kaisers, zur Verko¨rperung der sta¨dtischen Freiheiten, um derentwillen die Bu¨rgergemeinde mit dem Erzbischof in einem stetigen Ringen lag. Das mu¨ndete dann 1587 in eine Darstellung des Reiterdenkmals in der Chronik des Johannes Pomarius, die eine Inschrift zeigte, die

26 Petra Koch, Adler vom Marktbrunnen in Goslar, in: Puhle, Hanse (wie Anm. 25), Bd. 2, Nr. 1.71,

S. 43–45, mit Abb.

27 Vgl. dazu Horst Appuhn/Eberhard G. Neumann, Das alte Rathaus zu Dortmund, Dortmund 1968,

S. 67; Matthias Ohm, Das alte Rathaus in Dortmund – Zu Baugeschichte, Ausstattung und Symbolwert, in: Nils Bu¨ttner/Thomas Schilp/Barbara Welzel (Hg.), Sta¨dtische Repra¨sentation St. Reinoldi und das Rathaus als Schaupla¨tze des Dortmunder Mittelalters (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 5), Bielefeld 2005, S. 249–274, hier S. 262. 28 Vgl. Ernst Schubert, Der Magdeburger Reiter (Magdeburger Museumshefte 3), Magdeburg 1994, S. 31; Claus Peter Hasse, Otto der Große und Magdeburg. Das Nachleben eines Kaisers in seiner Stadt, in: Matthias Puhle (Hg.), Otto der Große. Magdeburg und Europa, Bd. I: Essays, Mainz 2001, S. 427–443, hier S. 430–435. 29 Chroniken Magdeburg 1 (wie Anm. 2), S. 46. 30 Karl Ru ¨ bel (Hg.), Dortmunder Urkundenbuch, Bd. I, Dortmund 1881, Nr. 182, S. 120.

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Abb. 1: Magdeburger Reiterstandbild Magdeburg, Kulturhistorisches Museum, Hans-Wulf Kunze

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Otto I. zum Freiheit schenkenden Vater des Vaterlandes erkla¨rt und behauptet, Senatus Populusque Magdeburgensis ha¨tten 973 dieses Denkmal errichtet.31 Die Bu¨rger der mittelalterlichen Sta¨dte sahen sich in hrer Umwelt umgeben von einer Fu¨lle von Merkzeichen und Bildern, die die Rahmenbedingungen ihres poltischen Handelns und ihres politischen Prestiges verdeutlichten und an deren historische Legitimierung erinnerten oder doch Erinnerung zu entbinden vermochten. Das Magdeburger Beispiel aber verweist – wie auch manches andere – auf eine Grundkonstellation, die die moderne Sozialanthropologie auf eine knappe Formulierung gebracht hat: „Vergangenheitsdarstellung muß nicht einmal vermittels von Worten erfolgen, aber wenn sie weitervermittelt oder hinterfragt werden soll, dann treten Worte notwendigerweise hinzu.“32 Dingliche und symbolische Geschichtsu¨berlieferung bedarf der Erla¨uterung durch Worte, orale Tradition oder schriftlich aufgezeichnet in Erza¨hlungen, Inschriften, Liedern, Epen sowie historischen Werken, Chroniken, Annalen, Relationen und anderen Berichten, die historische Realita¨t aufzuzeichnen oder zu ergru¨nden suchen oder aber auch in fiktionalen, gleichwohl aber fu¨r wahr gehaltenen Konstruktionen der Vergangenheit. So stehen sich dingliche und chronikalische Geschichtsu¨berlieferung erga¨nzend gegenu¨ber. Die nichtschriftliche Erinnerung ist ha¨ufig lebendiger, vielgestaltiger, aber auch ebenso oft vieldeutiger und tru¨gerischer. Die Chronistik, die schriftliche Geschichtsu¨berlieferung, ordnet und steuert den Erinnerungsfluss. Sie setzt Maßsta¨be, nach denen die dinglichen Merkzeichen und die Erinnerungsbilder zu interpretieren sind. Drei große Themenfelder sta¨dtischer Geschichtsu¨berlieferung deuten sich im Ensemble des Magdeburger Reiterdenkmals an, die auch die chronikalische Tradition der deutschen Sta¨dte dominieren: das „Herkommen“,33 das heißt die Darlegung der Urspru¨nge und der Kra¨fte, die sie steuerten, das Umreißen ihrer Rechtsstellung der Sta¨dte, vor allem die Verdeutlichung der Wahrung und des Schutzes der sta¨dtischen Freiheiten, und schließlich die Einordnung der sta¨dtischen Geschichte in die historisch begru¨ndete Welt- und Reichsgeschichte, das heißt auch der Universalund Heilsgeschichte. Der Darstellung dieser Themenfelder kommt fu¨r die Legitimierungsstrategie der Sta¨dte außerordentlich hohe Bedeutung zu. Sie haben daher in der sta¨dtischen Chronistik, insbesondere gegen Ende des Mittelalters, in zunehmendem Maße mannigfache Ausgestaltung gefunden. So sei lediglich daran erinnert, dass der Franziskaner Detmar, der im Auftrag des Lu¨becker Rates seine Chronik schrieb, die Geschichte dieser Stadt in die Zusammenha¨nge der Welt- und Reichsgeschichte einzubetten gedachte: „So denke ich nun von der Stadt Lu¨beck anzufangen und fu¨ge hinzu die Geschichte von Pa¨psten, Kaisern, Fu¨rsten, anderen Sta¨dten und adeligen Herrn.“34 31 Vgl. Hasse, Otto der Große (wie Anm. 28), S. 430–435, mit Abb. 32 Tonkin, Narrating (wie Anm. 21), S. 2; vgl. fu¨r die mittelalterlichen Verha¨ltnisse auch Dennis Howard

Green, Medieval Listening and Reading. The Primary Reception of German Literature, Cambridge 1996, bes. S. 126f., sowie Johanek, Historiographie (wie Anm. 25), S. 98–101. 33 Der Begriff in die Diskussion eingefu¨hrt von Klaus Graf, Exemplarische Geschichten. Thomas Lirers „Schwa¨bische Chronik“ und die „Gmu¨nder Kaiserchronik“ (Forschungen zur Geschichte der a¨lteren deutschen Literatur 7), Mu¨nchen 1987, S. 21f. 34 Die Chroniken der niedersa¨chsischen Sta¨dte: Lu¨beck 1 (ChrDtDt 19), (1884), S. 124, Z. 28f.

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Die Inszenierung von Geschichtserinnerung in Architektur, Skulptur, Bild und Symbol an den Brennpunkten des politischen und sakralen Lebens der Stadt hat ebenfalls in großer Intensita¨t auf diese Themenfelder zuru¨ckgegriffen. Erhalten ist beispielsweise das Ensemble von Marktbrunnen und Altstadtrathaus in Braunschweig und dessen Figurenschmuck, der den Bu¨rgern den historischen Horizont vor Augen stellte, der die Stadt umspannte: die Propheten des Alten Testaments, die Neun guten Helden, die sieben Kurfu¨rsten, die deutschen Ko¨nige aus dem liudolfingischen Hause und die welfischen Herzo¨ge, welch Letztere hier nicht in erster Linie als Stadtherren zu denken sind sondern als die Reihe der Privilegiengeber, die die Freiheiten der Stadt verbrieft hatten.35 Ganz a¨hnlich wurde im Ulmer Mu¨nster der zuku¨nftige Bu¨rger der Reichstadt zur Taufe u¨ber ein Taufbecken gehalten, das die Eckpfeiler der Heils- und Reichsgeschichte mit den Propheten, den biblischen Ko¨nigen und den Wappen des Reichs und der Kurfu¨rsten zeigte.36 Als man in der Stadt Mainz, die sich 1244 aus der Herrschaft des Erzbischofs emanzipiert hatte, 1314/17 ein Kaufhaus errichtete, da wurde die Fassade mit Reliefs Kaiser Ludwigs des Bayern, der sieben Kurfu¨rsten und des heiligen Martin, des Erzbistumspatrons, geschmu¨ckt, den die Stadt damit fu¨r sich selbst in Anspruch nahm.37 In Bremen war es wiederum a¨hnlich wie in Braunschweig ein ganzes Ensemble, das in der erzbischo¨flichen Stadt den Bezug zum Kaiser, seinem Recht und seinen Privilegien, wie auch zur universalen, historisch begru¨ndeten Ordnung der Welt herzustellen suchte.38 In der Zeit von 1405 bis 1412 entstand hier ein Rathausneubau, dessen Fassade Figuren der Propheten, des Kaisers und der sieben Kurfu¨rsten schmu¨ckten, wa¨hrend auf dem Platz davor die Rolandstatue errichtet wurde, auf deren Schild der Reichsadler erscheint und dessen Umschrift die sta¨dtischen Freiheiten hervorhebt. Das Rechtsdenkmal des Rolands verwies nun tief in die Geschichte; es erinnerte unmissversta¨ndlich an Karl den Großen, dem die Sachsen nach ihrer Unterwerfung in den Sachsenkriegen ihr Recht verdankten, und der im Beginn des 13. Jahrhunderts 35 Vgl. Bernd Schneidmu ¨ ller, Reichsna¨he – Ko¨nigsferne. Goslar, Braunschweig und das Reich im spa¨-

ten Mittelalter, in: NdsJb 64 (1992), S. 1–52, hier 45–50; Erhard Metz/Gerd Spies, Der Braunschweiger Brunnen auf dem Altstadtmarkt (BrschwWerkstu¨cke 70), Braunschweig 1996; Peter Johanek, Orte der Erinnerung. Braunschweig und seine Geschichte (Arbeitsberichte. Vero¨ffentlichungen aus dem Sta¨dtischen Museum Braunschweig 67), Braunschweig 1996. 36 Vgl. Reinhard Wortmann, Das Ulmer Mu¨nster (Große Bauten Europas 4), Stuttgart 1972 (6. Aufl. 1995), S. 52; eine ausfu¨hrliche Beschreibung bei Rudolf Pfleiderer, Mu¨nsterbuch. Das Ulmer Mu¨nster in Vergangenheit und Gegenwart, Ulm 1907, S. 156–158. 37 Wolfgang Fritz Volbach, Mainz, Berlin 1928, S. 15, 31 u. Taf. 22; Edith Scha¨licke-Maurer, Das alte Kaufhaus auf dem Brand in Mainz, in: Mainz und der Mittelrhein in der europa¨ischen Kunstgeschichte. Studien fu¨r Wolfgang Fritz Volbach zu seinem 70. Geburtstag (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archa¨ologie 6), Mainz 1966, S. 315–357; Ludwig Falck, Mainz in seiner Blu¨tezeit als Freie Stadt (1244–1328) (Geschichte der Stadt Mainz 3), Du¨sseldorf 1973, S. 103f.; das Kaufhaus wurde im Zweiten Weltkrieg zersto¨rt. 38 Herbert Schwarzwa¨lder, Geschichte der freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Bremen 1975, S. 95f.; Rolf Gramatzki, Das Rathaus in Bremen. Versuch zu seiner Ikonologie, Bremen 1994; Kristina Domanski/Doerte Friese, Roland und Karl der Große am Rathaus in Bremen. Legitimation einer sta¨dtischen Oberschicht, in: Lieselotte E. Saurma-Jeltsch (Hg.), Karl der Große als vielberufener Vorfahr. Sein Bild in der Kunst der Fu¨rsten, Kirchen und Sta¨dte (Schriften des Historischen Museums 19), Sigmaringen 1994, S. 113–137; Gleba, Repra¨sentation, Kommunikation und o¨ffentlicher Raum (wie Anm. 20).

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aufgezeichnete Sachsenspiegel wurde als ein Privileg angesehen, das der große Kaiser den Sachsen verliehen hatte.39 Der historische Roland, Pra¨fekt der bretonischen Mark, fiel 787 auf einem Zug Kaiser Karls des Großen gegen die Muslime in Spanien, ¨ berlieferung Europas seit dem 12. Jahrhundert formte ihn zum Heidendie epische U ka¨mpfer par excellence, sein Tod wurde als Martyrium angesehen, und er selbst fand vor allem im Westen Europas Verehrung als Heiliger.40 Auch in den Norden Deutschlands, in den sa¨chsischen Rechtsbereich, fu¨hren Spuren dieses Heiligenkultes. Als 1459 in Magdeburg ein neuer Roland errichtet wurde, trug das Domkapitel in sein Passional eine Roland-Legende ein.41 Rolands Ruf als Heidenka¨mpfer war so groß, dass man ihm mit der Zeit auch eine Beteiligung an den Sachsenkriegen zuschrieb, und am Ende des Mittelalters befand der Augsburger Chronist Sigismund Meisterlin kurz und bu¨ndig: Die Sachsen stilt Carolus palt durch Rolant seiner schwester sun („Die Sachsen brachte Karl bald durch seinen Schwestersohn Roland zur Ruhe“). Daher, so bemerkt Meisterlin, seien in Thu¨ringen und Sachsen die Rolandine(!) privilegia entstanden, worunter die sta¨dtischen Freiheiten zu verstehen sind.42 Das alles verdeutlichte in Umrissen das Bremer Figurenensemble mit der Schildumschrift der Rolandstatue, aber man verblieb hier nicht im Allgemeinen. Offenbar fast zur gleichen Zeit wie Rathausbau und Errichtung der Statue oder wenig spa¨ter kam im Bremen ein Chronikwerk zum Abschluss, das die Geschichte der Stadt Bremen auf der Grundlage einer a¨lteren Bischofschronik neu erza¨hlte.43 Die Verfasser waren zwei Geistliche aus Bremer Bu¨rgerfamilien, der Domvikar Gert Rinesberch († 1406) und der Domkanoniker Herbort Schene († 1413/14), aber ganz offenkundig ist auch der Ratsherr und Bu¨rgermeister Johannes Hemeling, der den Rathaus39 Zum Karlsbild im Spa¨tmittelalter sei lediglich verwiesen auf das grundlegende Werk von Robert Folz,

Le souvenir et la le´gende de Charlemagne dans l’Empire germanique me´die´val, Paris 1950, sowie auf die ¨ bersicht bei Lieselotte Saurma-Jeltsch, Karl als vielberufener Vorfahr, in: Dies., Karl (wie Anm. 38), U S. 9–21; zum Sachsenspiegel Winfried Trusen, Die Rechtsspiegel und das Kaiserrecht, in ZRGG 102 (1985), S. 12–59. 40 Winfried Trusen, Der „Heilige Roland“ und das Kaiserrecht, in: Kurt Ebert (Hg.), Festschrift Nikolaus Grass, Innsbruck 1986, S. 395–406; Dietrich W. Poeck, Vrigheid do ik ju openbar. Geschichtsbilder in Hansesta¨dten, in: Thomas Hill/Dietrich W. Poeck (Hg.), Gemeinschaft und Geschichtsbilder im Hanseraum (Kieler Werkstu¨cke E 1), Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 45–59, hier 47–52; zuletzt Dietlinde Munzel-Everling, Fru¨he Rolanddarstellungen an Kirchen, in: Beate Weifenbach (Hg.), Reinold. Ein Ritter fu¨r Europa. Beschu¨tzer der Stadt Dortmund. Funktion und Aktualita¨t eines mittelalterlichen Symbols fu¨r Frieden und Freiheit (Europa¨ische Kulturbeziehungen im Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit 1), Berlin 2004, sowie Dieter Po¨tschke, Roland – Heiliger oder Rechtssymbol? Roland, Symbol fu¨r die Karlslegende, in: ebd., S. 175–189 (die hier vorgetragenen Thesen bedu¨rfen nachhaltiger Diskussion). 41 Folz, Souvenir (wie Anm. 39), S. 512f.; auch Ders., E ´ tudes sur le culte liturgique de Charlemagne dans les e´glises de l’Empire, Paris 1951, S 29. 42 Die Chroniken der fra¨nkischen Sta¨dte: Nu¨rnberg 3 (ChrDtSt 3), (1864), S. 59f.; vgl. auch die Haimonskinderu¨berlieferung, dazu Beate Weifenbach, Die Haimonskinder in der Fassung der Aarauer Hand¨ berlieferung franzo¨sischer schrift von 1531 und des Simmerner Drucks von 1535. Ein Beitrag zur U Erza¨hlstoffe in der deutschen Literatur des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, Teil 1 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 39), Frankfurt a. M. u. a.1999, S. 88. 43 Chroniken Bremen (wie Anm. 3); zum Aufbau der Chronik und den Verfasssern vgl. S. XIX–XXXVII, sowie Herbert Schwarzwa¨lder, Die Chronik von Rinesberch und Schene, in: BremJb 52 (1972), S. 21–32.

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bau plante sowie begann und von 1410 an als Dombaumeister wirkte, an der Niederschrift und Ausgestaltung der Chronik beteiligt gewesen. Auf ihn und auf Schene gehen vermutlich die Konstruktionen zuru¨ck, die die bereits in der Inszenierung der Monumente angelegte und suggerierte Verbindung von Karl dem Großen und den bremischen Freiheitsrechten festigen sollten. So berichtet die Chronik, dass der erste Bischof von Bremen, Willehard, Karl den Großen umme frygheit der stadt to Bremen gebeten habe und dass daru¨ber ein gesiegeltes Privileg vorhanden sei.44 Damit war Karl der Große zum Gru¨nder der Stadt Bremen geworden. Wie ein roter Faden zieht sich diese Hervorhebung der sta¨dtischen Freiheiten durch die Chronik,45 und den Ho¨hepunkt bildet ihre Verknu¨pfung mit einem weiteren Konstrukt, das einen besonderen Rang der Stadt Bremen unter den Hansesta¨dten begru¨nden sollte. Die Bremer ha¨tten – so wird berichtet – Gottfried von Bouillon auf dem ersten Kreuzzug begleitet und geholfen, Jerusalem zu gewinnen. Daher habe ihnen Heinrich V. 1111 das Recht verliehen, dass der Bremer Roland das kaiserliche Wappen tragen du¨rfe und ihren Ratsherren erlaubt sei „Gold und Bunt“, das heißt golddurchwirkte und pelzbesetzte Gewa¨nder wie die Adeligen zu tragen.46 Damit war Bremen nach Meinung der Chronisten freier als jede andere Stadt der Welt.47 In der Tat hat Bremen 1418 einen Rangstreit mit Lu¨beck ausgetragen und die Chronik stellt dafu¨r die Argumentationshilfen bereit. Davon wird gleich die Rede sein mu¨ssen. ¨ berlieferung sind in diesem Bremer Dingliche, inschriftliche und schriftliche U ¨ Uberlieferungskomplex perfekt ineinander verflochten und aufeinander abgestimmt, und man wird den sta¨dtischen Politiker Johannes Hemeling als denjenigen ansehen du¨rfen, der hier die Fa¨den zog. Doch die Chronik gibt auch einzigartige Einblicke ¨ berliein verschiedene Ebenen der Vermittlung und Kommunikation historischer U ferung. Eingefu¨gt in die Chronik ist ein Rollengedicht, in dem Karl der Große und Bischof Willehad die Entstehung der Freiheiten vortragen, und es ist immerhin mo¨glich, dass man darin Elemente eines Spiels fasst, das o¨ffentlich aufgefu¨hrt wurde.48 Auf jeden Fall aber fanden sich spa¨testens seit 1532 diese rime als gemalte Inschrift in der Oberen Halle des Rathauses zusammen mit den Darstellungen der Sprecher, Karls des Großen und Erzbischof Willehads. Gegenu¨ber befand sich das Gerechtigkeitsbild, ebenfalls von 1532, mit dem Urteil des Salomo.49 So stand dem Rat gleichsam die Essenz der Chronik Rinesberchs und Schenes vor Augen, und eine Passage 44 Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. 3. 45 Vgl. ebd. S. XXXI–XXXIII. 46 Ebd. S. 41, 102, 187; vgl dazu auch: Bremisches Urkundenbuch I, hg. v. Dietrich R. Ehmck/Wilhelm

v. Bippen, Bremen 1873, Nr. 28, S. 31; Dieter Ha¨germann, Einige Bemerkungen zu den gefa¨lschten Urkunden Heinrichs V., Wilhelms von Holland und Wenzels fu¨r die Stadt Bremen, in: BremJb 56 (1978), S. 15–38; Domanski/Friese, Roland und Karl (wie Anm. 38), S. 119–122; Gleba, Repra¨sentation (wie Anm. 20). 47 Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. 99. 48 Ebd., S. 185–189. 49 Vgl. dazu Herbert Schwarzwa¨lder, Die Gedichte in der oberen Halle des Bremer Rathauses und ihre urspru¨ngliche Fassung, in: Jahrbuch des Vereins fu¨r niederdeutsche Sprachforschung 77 (1954), S. 31–55; das Gerechtigkeitsbild in: Konrad Elmsha¨user/Adolf Hofmeister, 700 Jahre Bremer Recht 1303–2003 (Vero¨ffentlichungen aus dem Staatsarchiv Bremen 66), Bremen 2003, S. 9; zu den Bildern auch Poeck, Vrigheit (wie Anm. 40), S. 48.

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dieses Gedichtes ha¨ngt erkennbar mit dem Text der Inschrift des Rolands zusammen,50 so dass hier auch eine Verknu¨pfung mit der Darstellung der sta¨dtischen Freiheit im o¨ffentlichen Raum vor dem Rathaus hergestellt wurde. Die Chronik selbst greift noch zu anderen Darstellungsmitteln. Geradezu burlesk ist die lang ausgesponnene Erza¨hlung von einem Bremer und einem Lu¨becker Bu¨rger, die – als sie 1307 in einer Hamburger Herberge des Abends toherde quemen unde enen dat beer ansloch („Als sie zusammen saßen, und das Bier zu wirken begann“) – sich u¨ber den Rang ihrer beiden Sta¨dte zu streiten begannen. Es wurden historische Belege als Argumente ausgetauscht, und sie stritten zeitweise so heftig, dass der Lu¨becker den Bremer am Halse wu¨rgte. Man einigte sich schließlich, eine Entscheidung vor dem Hamburger Rat zu suchen und bei der Verhandlung konnte der Bremer seine Behauptungen mit einem „Vidimus“, einer Beglaubigung, der Urkunde Heinrich V. beweisen.51 Hier ist in der Tat das Wissen um sta¨dtische Geschichte, um Herkommen, Rechtsstellung und Einfu¨gung in die Ordnung des Reichs in die gemeine rede eingedrungen, selbst wenn davon auszugehen ist, dass das Streitgespra¨ch eine Erfindung Schenes oder Hemelings darstellt, die den Rangstreit im Kreise der Hansesta¨dte in eine fru¨he Zeit zuru¨ckprojizierte. Aber ein Streitgespra¨ch in einem Ambiente wie dem geschilderten lag durchaus im Bereich des Mo¨glichen und Glaubhaften in der Lebenswelt hansischer Kaufleute. Immerhin rechnete der Verfasser des 1485 in Lu¨beck gedruckten „Chronicon Slavicum“ mit Unterhaltungen u¨ber historische Gegensta¨nde bei Tische, fu¨r die seine Chronik eine Stoffsammlung bieten sollte.52 Die Inszenierung der Vergangenheit, wie sie in Bremen zu beobachten ist, stellt ganz gewiss ein besonders gelungenes Beispiel dar, doch la¨sst sich dergleichen in vielen anderen Sta¨dten des Reichs zum Mindesten in gro¨ßeren und kleineren Ausschnit¨ berlieferung bewahrt worden sind, beobachten. Dortmund etwa ten, die in der U braucht nicht hinter Bremen zuru¨ckzustehen, selbst wenn im o¨ffentlichen Raum des ¨ berlieferung vollsta¨ndig sta¨dtischen Machtzentrums um das Rathaus die dingliche U verloren gegangen ist. Lediglich die Notate Dietrich Westhoffs und Detmar Mulhers berichten u¨ber sie: u¨ber die Kaiserskulptur an der Rathausfront, u¨ber ein 1481 entstandenes Gema¨lde, das den Kaiser und die Kaiserin mit den sieben Kurfu¨rsten darstellte, und u¨ber die Inschrift an der Ostenporte, die der Freiheit galt, die ihren Ursprung von den Herrschern des Reichs genommen hatte:53

50 Po ¨ tschke, Roland (wie Anm. 40), S. 182f.; den daraus abgeleiteten Thesen vermag ich nicht zu folgen. 51 Chroniken Bremen (wie Anm. 3), S. 97–103. 52 Chronicon Slavicum, quod vulgo dicitur Suselensis, hg. v. Ernst Adolf Theodor Laspeyres, Lu¨beck

1865, S. 370f.

53 Zu den Gema¨lden im Rathaus Chronik des Dieter Westhoff (wie Anm. 14), S. 345 und 392, der auch

die Torinschrift u¨berliefert (S. 186), eine niederdeutsche Version in Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkma¨ler des Kreises Dortmund-Stadt (BKdW 2), Mu¨nster 1894, S. 3 (ohne Quellenangabe); vgl. auch Ohm, Rathaus (wie Anm. 27), S. 262f.; zur Einbindung des Dortmunder Rathauses in die o¨ffentliche Kommunikationsstruktur vgl. Ulrich Meier, Repra¨sentation und Teilhabe. Zur baulichen Gestalt des Politischen in der Reichsstadt Dortmund (14. bis 16. Jahrhundert), in: Bu¨ttner/Schilp/ Welzel, Sta¨dtische Repra¨sentation (wie Anm. 27), S. 227–247.

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Non bene pro toto libertas venditur auro. Dus stat ist vrei dem riche holt, verkoeft sulchs nicht fur alle golt. Das ist mit einer gewichtigen Ausnahme, auf die zuru¨ckzukommen ist, alles, was u¨ber die Inszenierung der die Reichsfreiheit Dortmunds begru¨ndenden Geschichtsu¨berlieferung im profanen o¨ffentlichen Raum bekannt ist. Bereits dies la¨sst erkennen, dass auch in Dortmund ein sorgfa¨ltiges Arrangement der kollektiven Geschichtserinnerung gepflegt wurde. Einen besonderen Akzent jedoch setzte man im sakralen Raum der Reinoldikirche, wo sich im Chorraum das Ratsgestu¨hl, das der Rat regelma¨ßig aufzusuchen pflegte und das somit in die sta¨dtische Selbstdarstellung einbezogen war, ja selbst „als Bu¨hne fu¨r religio¨se politische und soziale Kommunikation“ diente.54 Das gilt ebenso fu¨r den gesamten Kirchenraum, der durch seine Ausstattung, deren Inszenierung aus dem 15. Jahrhundert sich in ihren Grundzu¨gen erhalten hat, zu einem Lieu de me´moire wurde, der Dortmunds Ort in der Geschichte markierte. Der Blick aus dem Langhaus, durch das der Rat sich bei seinem Einzug in die Kirche bewegte, fa¨llt auf die Glasfenster des Chores, auf denen inmitten der Heiligen auch der Kaiser und die Wappen der Kurfu¨rsten – also das Reich – dargestellt waren.55 Links und rechts des Chorbogens, den Durchgang flankierend, stehen die u¨berlebensgroßen Statuen des Heiligen Reinoldus und Karls des Großen. Dieses Statuenpaar pra¨zisiert den allgemeinen Bezug auf das Reich durch den Blick auf eine ganz fest umrissene historische Ebene. Die zentrale Figur ist dabei Reinoldus, dem die Kirche geweiht ist und der als Dortmunds Stadtpatron gilt.56 Die ihm gewidmete Skulptur ist die a¨ltere, sie stammt aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts. Von diesem Zeitpunkt an muss man sich den heiligen Ritter mit Schild und Schwert als 54 So Judith Zepp, Der Chor der St. Reinoldikirche als Handlungsraum des Hl. Reinold und der Dort-

munder Bu¨rger, in: Bu¨ttner/Schilp/Welzel, Sta¨dtische Repra¨sentation (wie Anm. 27), S. 205–225, hier S. 205. 55 Vgl. Bu ¨ ttner/Schilp/Welzel, Sta¨dtische Repra¨sentation (wie Anm. 27), Tafel 30 und 31, dazu Zepp, ebd., S. 220. Die Angaben zu Tafel 31 sind korrekturbedu¨rftig. Die Probleme sind hier nicht na¨her zu ero¨rtern, doch ko¨nnen die Wappen von Mainz und Ko¨ln nicht auf die beiden Rittergestalten bezogen werden. Bei der zweiten Herrscherfigur, links neben dem Kaiser, ist vielleich an die Darstellung eines ro¨mischen Ko¨nigs zu denken. 56 Die Literatur zu Reinoldus ist gerade in den letzten Jahren stark angewachsen, daher sei hier lediglich auf die wichtigsten, meist neueren Arbeiten verwiesen: grundlegend Paul Fiebig, St. Reinoldus in Kult, Liturgie und Kunst, in: BeitrGDortmund 53 (1956), S. 6–200; Beate Weifenbach, Sankt Reinoldus in Dortmund. Ein Ritterheiliger aus philologischer Sicht, in: BeitrGDortmund 89 (1998), S. 9–66; Dies., Reinold. Ein Ritter fu¨r Europa (wie Anm. 40). Schilp/Weifenbach, Reinoldus (wie Anm. 20), darin vor allem: Wilfried Ehbrecht, Cyriak, Quirin, Reinold und ihre Konsorten. Der Ritterheilige als Schutz und Mitte von Bu¨rgern und Einwohnern, S. 11–23 (mit Hinweis auf weitere wichtige Arbeiten Ehbrechts in Anm. 1), Martina Klug, Vom Ma¨rtyrer zum Stadtpatron. Entwicklung eines theologisch-kultischen Pha¨nomens zum sozialen Faktor in der mittelalterlichen Stadt Dortmund, S. 25–33 und Andrea Zupancic, Der heilige Reinoldus – Ikonographie und Rezeption. Das vielfa¨ltige Bild eines Heiligen vom Mittelalter bis in die Gegenwart, S. 77–100. Siehe auch die Essays von Birgit Franke, Heiliger Reinoldus: Irdischer und himmlischer Ritter, in: Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter, hg. v. Matthias Ohm/Thomas Schilp/Barbara Welzel (Dortmunder MittelalterForschungen 7), Bielefeld 2006, S. 53–66, sowie Thomas Schilp, Vom „guten Regiment“ u¨ber die Stadt. Wie men wol eyn statt regyrn sol, in: ebd., S. 21–30.

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die dominierende Figur des Sakralraums Reinoldikirche denken. Ob er bereits damals sein Gegenu¨ber in einer a¨lteren, heute verlorenen Statue Karls des Großen fand, ist nicht zu kla¨ren. Die heutige Skulptur wird in die Jahre 1460/70 datiert. Die Frage ist auch nicht von besonderem Gewicht, denn die Darstellung von Sankt Reinoldus verwies aus sich selbst heraus auf Karl den Großen. Was sah man in Dortmund in ihm? Die Belege dafu¨r sind zuna¨chst in den chronikalischen Zeugnissen zu suchen, die in Dortmund entstanden sind. Das a¨lteste bietet sich in der „Chronik der Pseudorektoren der Benediktkapelle“ auf dem Ostentor.57 Sie greift tief zuru¨ck in die Vergangenheit und pra¨sentiert sich als eine Reihung zeitgeno¨ssischer Aufzeichnungen der Kapellengeistlichen seit der Karolingerzeit. Das ist diese Chronik nun keineswegs, sondern es handelt sich um eine Geschichtskonstruktion eines Pfru¨ndeninhabers der Kapelle am Ende des 14. Jahrhunderts, des Heinrich von Broke, der in einem Rechtsstreit mit dem Rat seine eigenen Anspru¨che und die von ihm behauptete Rechtsstellung der Kapelle mo¨glichst weit in die Vergangenheit zuru¨ckzuprojizieren suchte. Gleichwohl hat er als allgemeinen Rahmen wohl das wiedergegeben, was in Dortmund an Wissen u¨ber die Vergangenheit allgemein akzeptiert, fu¨r publicum et notorium gehalten wurde.58 Dazu geho¨rt die Abstammung der europa¨ischen Vo¨lker von Japhet, dem Sohn Noahs, die Vorherrschaft der Stadt Trier in Deutschland, der Aufstieg Roms zur Weltherrschaft und auch die Urgeschichte Dortmunds, die als Eroberung einer zwischen zwei Do¨rfern gelegenen Burg namens Munde dargestellt wird, wobei die Ro¨mer (oder auch die Franken, Heinrich von Broke war sich dessen nicht so sicher) nach dem von ihnen gebrauchten Drohruf Trot, Trot von den einheimischen Sachsen als Trotmanni bezeichnet wurden. Damit waren auch zwei der Namen erkla¨rt, die die Stadt im Mittelalter fu¨hrte: Dorpmunde und Trotmannia. Heinrich von Broke schildert die Eroberung Sachsens durch Karl den Großen und damit die Bekehrung der Trotmanni zum Christentum, die Gru¨ndung eines Kollegiatstifts Sankt Pantaleon durch Ludwig den Deutschen und dessen Verlegung nach Ko¨ln an das Mariengradenstift unter Erzbischof Anno in der zweiten Ha¨lfte des 11. Jahrhunderts. Das meiste davon ist Fiktion oder doch in seiner Historizita¨t ho¨chst zweifelhaft, aber in diesem Zusammenhang kommt der Verfasser auch auf den Heiligen Reinoldus zu sprechen. Erzbischof Anno habe an der verlassenen Dortmunder Kirche einen Pfarrer mit mehreren Vikaren bestellt et sanctum Reinoldus martyrem pro Pantaleone ibidem pro patrono collocavit („und setzte fu¨r den Heiligen Pantaleon den Heiligen Ma¨rtyrer Reinoldus als Patron ein“). Das ist alles; wer mehr wissen wolle – so der Verfasser – mu¨sse sich anderwa¨rts orientieren.59 Heinrich von Broke ku¨mmerten nur die Verha¨ltnisse seiner Kapelle, daher gab er nur knappe Informationen u¨ber den allgemeinen Rahmen der Dortmunder Geschichte. Auffa¨llig bleibt lediglich der Nachdruck, den er der gewaltsamen Bekehrung der Sachsen und besonders der Dortmunder durch Karl den Großen zum dreieinigen Gott verlieh

57 Hansen, Chronik der Pseudorektoren (wie Anm. 15). 58 Ru ¨ bel, Dortmunder Urkundenbuch I (wie Anm. 30), Nr. 185 (Prozessschrift im Patronatsstreit) ha¨u-

fig, z. B. S. 116.

59 Hansen, Chronik der Pseudorektoren (wie Anm. 15), S. 520.

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und dass er auch die Erbauung der Peterskirche auf der Syburg und ihre angebliche Weihe durch Papst Leo III. erwa¨hnte. Diese Kirche blieb ein wichtiger Erinnerungsort fu¨r die Dortmunder zu dem sie regelma¨ßige bedevarten unternahmen.60 Dieses Grundgeru¨st, wie es die „Pseudorektoren-Chronik“ vom Gang der Dortmunder Geschichte entwarf, blieb fu¨r alle Nachfolger Heinrichs von Broke gu¨ltig, aber die na¨chsta¨ltere erhaltene Chronik, die „Chronica Tremoniensium“ des Dominikaners Johann Nederhoff, wusste Reinoldus pra¨ziser einzuordnen, und sie verleiht der Inszenierung des 15. Jahrhunderts in der Reinoldikirche Transparenz. Nederhoff folgt dem Grundgeru¨st, das die Pseudorektoren-Chronik entworfen hat, schmu¨ckt es jedoch mit enzyklopa¨discher, dominikanischer Gelehrsamkeit aus. Das ist hier nicht im Einzelnen zu verfolgen, festgehalten sei nur, dass auch bei ihm Trier als a¨lteste Stadt Deutschlands und Europas eine große Rolle spielt, dass er Westfalen als eigensta¨ndige provincia hervorhebt und Dortmund eine herausragende Rolle in ihr zuweist. Dortmunds lateinischer Name Tremonia sei aus den drei heiligen Sprachen gebildet, zwar habe es vor der Bekehrung durch Karl den Großen eine heidnische Go¨ttertrias verehrt, aber nun diene es dem dreieinigen Gott. Umgeben von der kriegslu¨sternen, nach dem heidnischen Gott Mars benannten und dem Teufel dienenden Grafschaft Mark ist Dortmund fu¨r Nederhoff die civitas imperialis, ein Hort der Freiheit, die es za¨h verteidigt.61 Auch Nederhoff setzt den Erwerb der Reinoldusreliquien in die Zeit Erzbischofs Annos, und bei dieser Gelegenheit fallen die entscheidenden Worte: „Es erscheint als angemessen, dass eine kaiserliche Stadt, die den Kaiser als Patron auf Erden hat, den aus kaiserlichen Blut entsprungenen heiligen Reinold als Patron im Himmel hat. Es war na¨mlich der heilige Reinold aus ko¨niglichem Geblu¨t Frankreichs entsprossen, das zu seiner Zeit das Kaisertum innehatte, und zwar war sein Vater Aymo, den man fu¨r einen der neuen Grafen ha¨lt, die Karl der Große im unterworfenen Aquitanien einsetzte.“62 St. Reinoldus ist – und darauf legt der gelehrte Dominikaner den Hauptakzent – ein Verwandter Karls des Großen, ein Neffe des Kaisers. Er war ein Ritter, so hebt er hervor, der schließlich den Ruhm dieser Welt verachtete, seine Waffen und die Ritterschaft ablegte, in Ko¨ln Mo¨nch wurde, als solcher Bauarbeiten an der Klosterkirche verrichtete, dabei wegen seines Eifers von den anderen Bauarbeitern erschlagen wurde und so das Martyrium erlitt. Daher wurde er bald als Heiliger verehrt und seine Reliquien schließlich den Dortmundern u¨berlassen. Fu¨r Johannes Nederhoff war Reinoldus ein Ritter, obwohl er sein Mo¨nchtum und Martyrium wortreich schildert, und als streitbarer Ritter mit erhobenem Schwert steht er am Chorpfeiler der Reinoldikirche. Er war auch nicht irgendein Ritter, und das nicht nur wegen der Blutsverwandtschaft mit Karl dem Großen. Die Nennung seines Vaters – des Grafen Haimo – macht unmissversta¨ndlich klar, dass Johannes Nederhoff und mit ihm die Dortmunder seiner Zeit in Reinold einen der Helden der ¨ berlieferung sahen, eines der vier Haimonskinder, von dem zuerst eine epischen U

60 Chronik des Dietrich Westhoff (wie Anm. 14), S. 193; vgl. dazu auch unten mit Anm. 97. 61 Chronik Nederhoff (wie Anm. 14), S. 1–13, bes. S. 5f. 62 Ebd., S. 33f.

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Chanson de geste des 13. Jahrhunderts als Renaut de Montauban erza¨hlte.63 Bereits dieser Text wusste von seinem Martyrium beim Kirchenbau in Ko¨ln, aber die Erza¨hlung von Rainold und den Haimonskindern ist wa¨hrend des spa¨teren Mittelalters in Frankreich, den Niederlanden und in Deutschland in vielfacher Variation weitergesponnen und in großer Intensita¨t u¨berliefert worden.64 All das wirkte selbstversta¨ndlich ebenso auf das Bild zuru¨ck, das man sich in Dortmund von St. Reinoldus machte, wie die große Menge der hagiographischen Texte, die die ritterlichen Taten der Erza¨hlu¨berlieferung in den Hintergrund dra¨ngten und sein Mo¨nchtum beton¨ berlieferung, die auch Widerspru¨che aufweist, vor ten. Es ist eine sehr vielschichtige U allem im Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem die Reinoldusreliquien nach Dortmund gelangten. Neben der nu¨chternen Version Nederhoffs von der Translation unter Erzbischof Anno im 11. Jahrhundert steht die Version der Epen und Legenden, die von ¨ berfu¨hrung auf einem pferdelosen Karren zu den frisch bekehreiner wunderbaren U ten Dortmundern unmittelbar nach dem Martyrium zur Zeit Karls des Großen zu berichten weiß.65 Das alles wirft viele Probleme auf, denen hier nicht nachzugehen ist.66 Wichtig fu¨r die Inszenierung in der Dortmunder Reinoldikirche bleibt, dass in dem Heiligen ¨ berlieferung sichtbar wurde. Es mag zugleich auch der ritterliche Held der epischen U ¨ berlieferung aufgefasst erstaunen, dass damit auch fiktionale Texte als historische U wurden, doch Sankt Reinoldus oder Renaut de Montauban ist kein Einzelfall. Noch einmal ist an Roland zu erinnern, der Reinoldus in seiner Ikonographie gleicht, und in Worms ließ man am Ende des 15. Jahrhunderts Siegfried und Krimhild als „Stadtherren“ der Vorzeit an die sta¨dtische Mu¨nze malen, um die Reichsfreiheit der Stadt hervorzuheben.67 Weitere Beispiele ließen sich anfu¨gen. Selbst Reliquien der Ritterschaft Reinolds vermochte man spa¨terhin in St. Reinoldi vorzuweisen, na¨mlich einen Wirbelknochen und ein Hufeisen seines riesenhaften Wunderrosses Bayart, das in der ¨ berlieferung zu Reinold eine große Rolle spielt (Abb. 2).68 Es ist fraglich, epischen U 63 Die Identifizierung mit dem Epenhelden wird besta¨tigt auch durch eine ehemals vorhandene, ins

14. Jahrhundert datierte Inschrift am Sockel der Reinoldusstatue in der Reinoldikirche, dazu Otto Stein, Sankt Reinoldus in bildlicher Darstellung, Dortmund o. J. (1923), S. 9; Weifenbach, Reinoldus in Dortmund (wie Anm. 56), S. 10, ebenso die Inschrift auf dem Reliquiar in Prag, ebd., S. 16, Anm. 26; vgl. die Abb. bei Schilp, Reinoldus (wie Anm. 20), S. 45. Der Text der Chanson am einfachsten greifbar bei Jacques Thomas (Hg.), Renaut de Montauban. E´dition critique du manuscrit Douce, Genf 1989. 64 Vgl. dazu nur Weifenbach, Reinoldus in Dortmund (wie Anm. 56); dies., Haimonskinder, Bd. I (wie Anm. 42). 65 Thomas, Renaut (wie Anm. 63), vv. 1472–1479; vgl. auch die U ¨ bersicht bei Weifenbach, Haimonskinder, Bd. I (wie Anm. 42), S. 84–90. 66 Hingewiesen sei lediglich auf die Benennung einer der Burgen Renauts in der Erza¨hltradition mit Tremoigne = Dortmund, dazu zuletzt Christiane Neubauer-Bruck, Renaut de Montauban, Herr von Tremoigne, in: Weifenbach, Reinold. Ein Ritter fu¨r Europa (wie Anm. 40), S. 51–60. 67 Vgl. Peter Johanek, Nibelungensta¨dte – mythische und historische Tradition in Worms und Soest, in: Hans-Peter Becht/Bernd Roeck (Hg.), Sta¨dtische Mythen (Stadt in der Geschichte 28), Stuttgart 2003, S. 29–54, hier 39f.; zur Rezeption fiktionaler Literatur als historischer Quelle wa¨hrend des Mittelalters vgl. etwa Peter Johanek, Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen, in: Fritz Peter Knapp/Manuela Niesner (Hg.), Historisches und fiktionales Erza¨hlen im Mittelalter (Schriften zur Literaturwissenschaft 19), Berlin 2002, S. 9–25, hier 21–25. 68 Vgl. Joseph Mooren, Das Dortmunder Archidiakonat. Archa¨ologische Monographie, Ko¨ln/Neuß 1853, S. 73, Anm. 4; Ru¨bel, Chroniken (wie Anm. 12), S. 32.

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ob sie bereits dem Mittelalter angeho¨rten, aber solch „profane“ Reliquien gab es auch anderwa¨rts. Man zeigte Rolands Schwert und Horn in der Kirche Saint-Romain in Blaye,69 Siegfrieds Kampfstange in Worms70 oder ein Stu¨ck der Sa¨ule, die Julius Caesar bei der Gru¨ndung Lu¨neburgs errichtete hatte, in der dortigen Johanniskirche.71

Abb. 2: Kind mit vermeintlichen Hufeisen, Wirbel und Rippe von Reinolds sagenumwobenem Pferd Bayart, ehemals aufbewahrt in der Reinoldikirche, Foto um 1923 Quelle: Stadtarchiv Dortmund

Kaiserneffe, Ma¨rtyrer und Epenheld – all das warf ungemeinen Glanz auf Sankt Reinoldus, hob ihn u¨ber viele Patrone anderer Sta¨dte hinaus. Aber Reinoldus war trotz seiner auswa¨rtigen Herkunft in ganz besonderer Weise ein Patron Dortmunds, weil er eine Qualita¨t besaß, die ihn in besonderer Weise mit dieser Stadt und dem Geschichtsversta¨ndnis der provincia Westfalen im spa¨teren Mittelalter verband und durch die er seine Stadt vor anderen Sta¨dten dieser provincia auszeichnete. Ein solcher Wettstreit der Stadtpatrone hat eine lange Tradition, die in die Zeit vor die Kommunebildung 69 Hans-Wilhelm Klein (Hg.), Die Chronik von Karl dem Großen und Roland. Der lateinische Pseudo-

Turpin in den Handschriften aus Aachen und Andernach (Beitra¨ge zur romanischen Philologie des Mittelalters 13), Mu¨nchen 1986, cap. 27–29, S. 113–119. 70 Johanek, Nibelungensta¨dte (wie Anm. 67), S. 42. 71 Johanek, Geschichtsbild (wie Anm. 25), S. 562.

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und bu¨rgerliche Emanzipation zuru¨ckreicht.72 Im Reich ist wohl das bereits mehrfach genannte Trier das herausragende Beispiel, das als a¨lteste Stadt Europas galt, weil es 1250 Jahre vor der Gru¨ndung Roms von dem Babylonier Trebeta auf der Flucht vor seiner Stiefmutter Semiramis erbaut worden war. So konnte man es in den „Gesta Treverorum“, den „Taten der Trierer“, lesen, deren erste Teile im beginnenden 12. Jahrhundert niedergeschrieben wurden, die offenbar bereits ein „Sonderbewusstsein der sta¨dtischen Fu¨hrungsschicht“ spiegelten und das Geschichtsbild der deutschen Sta¨dte nachhaltig pra¨gten.73 Trier aber war nicht nur durch sein Alter ausgezeichnet, sondern auch durch seine vielen und vor allem herausragenden Heiligen, darunter der Ju¨nger Jesu, Apostelschu¨ler und Missionar Eucharius. Auch davon erza¨hlten die „Gesta Treverorum“, die damit nur eine seit dem 10. Jahrhundert blu¨hende Hagiographie zusammenfassten, und als sich die Stadt im 12. Jahrhundert ein Siegel schuf, da zeigte es Christus und die Heiligen gemeinsam mit den Trierern im Mauerring der Stadt (Abb. 3).74 Johannes Nederhoff kannte die Trierer Geschichten, er wusste, dass Trier ganz wie Dortmund vor seiner Bekehrung ein Zentrum des Heidentums gewesen war und dass es seine Bekehrung dem Apostelschu¨ler Eucharius verdankte.75 Daran war Dortmunds Reinoldus zu messen, und daher ist Trier Nederhoffs Ausgangspunkt fu¨r seine Deutung der Dortmunder Geschichte. Der Schlu¨ssel dazu liegt in der Geschichte der Bekehrung der Westfalen, der antiqui Saxoni zum christlichen Glauben. Nur kurz schildert er den ka¨rglichen Erfolgt der Mission zur Zeit Willibrords und des Bonifatius, erkennt aber den entscheidenden Erfolg in der gewaltsamen Bekehrung Karls des Großen. Erst das weltliche Schwert, der gladius materialis, habe jene in den Glauben hineingezwungen, die die freundliche Einladung verschma¨ht hatten. Karl der Große ist bei Nederhoff der Apostel der Westfalen, und die Geschichte seiner Ka¨mpfe in Sachsen, insbesondere auch die Konfrontation mit Widukind, werden unter Erwa¨hnung und Beschreibung vieler Erinnerungsorte ausfu¨hrlich erza¨hlt.76 Die Erinnerung an die Sachsenkriege Karls des Großen als konstituierendes Ereig-

72 Vgl. dazu die aus der Zeit um 1000 stammende „Vita S. Deicoli“ des Theoderich von St. Eucharius in

¨ bersicht u¨ber die Stadtpatrone der Gallia; dazu Heinz ThoTrier (MGH SS XV, S. 675f.) mit ihrer U mas, Studien zur Trierer Geschichtsschreibung des 11. Jahrhunderts, insbesondere zu den Gesta Treverorum (RhArch 68), Bonn 1968, S. 162. 73 Gesta Treverorum (MGH SS VIII), S. 111–200; dazu Thomas, Studien (wie Anm. 72), S. 23–29; Alfred Haverkamp, „Heilige Sta¨dte“ im hohen Mittelalter, in: Mentalita¨ten im Mittelalter. Methoden und inhaltliche Probleme (VuF 35), Sigmaringen 1987, S. 120–156, hier 141; die „Gesta Treverorum“ wirkten vor allem durch die Aufnahme einiger ihrer Nachrichten in den allgemeingeschichtlichen Teil der deutschsprachigen Straßburger Chronik des Jakob Twinger von Ko¨nigshofen, die weite Verbreitung (82 Handschriften) fand, vgl. Die Chroniken der oberrheinischen Sta¨dte: Straßburg 1 (ChrDtSt 8), (1870), bes. 247f.; dazu Gert Melville, Jakob Twinger von Ko¨nigshofen II, in: VL2, Bd. 9, Sp. 1183–1186. 74 Vgl. dazu nur Haverkamp, Heilige Sta¨dte (wie Anm. 73), S. 121 mit Abb. S. 145. 75 Chronik Nederhoff (wie Anm. 16), S. 7–9, sowie S. 13; neben Trier erscheinen noch Bardowick und Ko¨ln als Ziele der Apostelschu¨ler, doch muss diese Thematik hier außer Betracht bleiben. 76 Chronik Nederhoff (wie Anm. 16), S. 13–30, die Zitate S. 15 (der hier offensichtlich intendierte Bezug auf Mt 22, 2–13 ist nicht ganz stimmig, und 23 [cum Karolus imperator christianissimus, Westphalorum apostolus, Westphaliam in fide solidasset ldots]).

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¨ ltestes Siegel der Stadt Trier, erste Ha¨lfte des 12. Jahrhunderts Abb. 3: A Quelle: Stadtarchiv Dortmund

nis der eigenen Geschichte ist im Nordwesten Deutschlands, das heißt in Westfalen unter Einschluss der Erzdio¨zese Bremen, vom ausgehenden 13. Jahrhundert bis ins 15. Jahrhundert außerordentlich stark ausgepra¨gt gewesen. Es genu¨gt, an einige Werke der Historiographie zu erinnern, an den im Umfeld Bremens entstandenen Apokalypse-Kommentar des sogenannten Alexander Minorita,77 an das historiogra77 Alexander Minorita, „Expositio in Apocalypsim“, hg. v. Alois Wachtel (MGH, Quellen zur Geistes-

geschichte des Mittelalters 1), Weimar 1955, bes. 310–320 zur Auslegung von Apk 14, 17–20.

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phische Werk Heinrichs von Herford,78 an den Dominikaner Johannes von Essen, dessen Werk beispielsweise die Grundlage fu¨r Nederhoffs Darstellung der Sachsenkriege bildete,79 und schließlich an das bekannte „Buch zum Lobe Westfalens“ Werner Rolevincks, der das gesamte II. Buch dem Bekehrungswerk Karls des Großen widmete.80 Was in dieser Intensita¨t der Erinnerung an die Sachsenkriege Karls des Großen sichtbar wird, ist ein Grundproblem westfa¨lischer Indentita¨tsfindung. Die heilsgeschichtlich notwendige Bekehrung Westfalens resultierte aus einer vernichtenden Niederlage, die nur dadurch zu ertragen war, dass auch der westfa¨lisch-sa¨chsische Widerstand, der dem Frankenherrscher dreißig Jahre zu schaffen machte, positiv zu werten und als das Instrument zu sehen war, das erst die Gro¨ße Karls bewirkte. Das ist jedenfalls die Auflo¨sung, die Werner Rolevinck fu¨r das Dilemma gefunden hat, eine Lo¨sung, die Widukind den Empo¨rer und Karl den Großen zusammen zu Identifikationsfiguren der Westfalen werden ließ81. Latent vorhanden war diese Lo¨sung stets, auch wenn Karl als Apostel und seinem Kampf gegen die Heiden das gro¨ßere Gewicht zukam. Eben hier, in dieser Perspektive, wird das Kriterium sichtbar, das Sankt Reinoldus vor anderen Stadtpatronen auszeichnete und das in dem Arrangement besonders deutlich zum Ausdruck kam, wie es nachweislich seit der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts (und vielleicht bereits in der Zeit zuvor) in der Reinoldikirche zu sehen war: im Nebeneinander des Heidenbezwingers Karl und des Ritters Reinoldus. Dies ist auch das Ziel Johannes Nederhoffs, denn seine Erza¨hlung u¨ber die Chri¨ bertragung der Reinoldusstianisierung Westfalens und Dortmunds endet mit der U reliquien und dem Lobpreis des Heiligen als Verteidiger der Stadt. Zuvor hat Nederhoff anschließend an die Schilderung vom Tod Karls des Großen, noch kurz die Regierung Ludwigs des Deutschen behandelt. Ludwig war nach der Reichsteilung der Beherrscher des Reichsteils, zu dem Westfalen geho¨rte, er ist fu¨r Nederhoff der wahre Erbe Karls, denn auch er tra¨gt das Christentum im Versta¨ndnis Nederhoffs u¨ber die Reichsgrenze hinaus, indem er Bo¨hmen und Schlesien christlich macht. Er ist es auch, der das Stiftskapitel und die Kirche gru¨ndet, die unter Anno die Reliquien Reinolds aufnahm.82 Die Erza¨hlstrategie Nederhoffs zieht demnach eine deutliche

78 Liber de memorabilioribus sive Chronicon Henrici de Hervordia, hg. v. August Potthast, Go¨ttin-

gen 1859; vgl. dazu Klaus Peter Schumann, Heinrich von Herford. Enzyklopa¨dische Gelehrsamkeit und universalhistorische Konzeption im Dienste dominikanischer Studienbedu¨rfnisse (VHKomWestf XLIV,4), Mu¨nster 1996, bes. S. 132ff. 79 Christian Ludwig Scheidt (Hg.), Johannis de Essendia belli a Carolo M. contra Saxones gesti, in: Ders. (Hg.), Bibliotheca historica Goettingensis, Bd. I, Go¨ttingen/Hannover 1758, S. 19–63; zum Autor vgl. Thomas Kaeppeli, Johannes de Essendia, in: Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 2, Rom 1975, S. 415f. 80 Werner Rolevinck, Ein Buch zum Lobe Westfalens, des alten Sachsenlandes/De laude antiquae Saxoniae nunc Westfaliae dictae. Nach der Ausgabe Hermann Bu¨ckers von 1953 neu bearb. und hg. v. Annelise Raub, Mu¨nster 2002. 81 Vgl. dazu Peter Johanek, Fra¨nkische Eroberung und Westfa¨lische Identita¨t, in: Ders. (Hg.), Westfalens Geschichte und die Fremden (Schriften der Historischen Kommission fu¨r Westfalen 14), Mu¨nster 1994, S. 23–40, bes. 30f. 82 Chronik Nederhoff (wie Anm. 16), S. 32–34.

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Verbindungslinie von Karl zu Reinoldus. Reinoldus war ein Blutsverwandter Karls – war er auch ein Ka¨mpfer gegen die Heiden? Die Frage ergibt sich aus der Inszenierung im Kirchenraum von St. Reinoldi, und sie ergibt sich aus der Erza¨hlstrategie Nederhoffs. Sie beru¨hrt jedoch einen heiklen Sachverhalt, denn nach der „Chanson“ von Renaut de Montauban lebten die Haimonskinder und ihre Familie mit Karl dem Großen im Zerwu¨rfnis und in blutiger Fehde. Der Dissens resultierte zudem gerade aus ihrer Weigerung, gegen die Sachsen zu ziehen, und die Chanson selbst gilt der Literaturwissenschaft als typisches Empo¨rer-Epos.83 An dieser Einordnung ist nicht zu ru¨tteln, doch aus der Perspektive jener, die im spa¨teren Mittelalter in solchen Texten einen historischen Beleg fu¨r ihren Heiligen suchten, las sich die Geschichte, von ihrem Ende her gesehen, anders. Sie las sich so, wie Johannes Nederhoff Reinoldus betrachtete: Er tat das alte Leben ab, und zwar in Stufen. Ganz am Schluss standen Buße und Martyrium, davor jedoch kam es noch zur Pilgerfahrt ins Heilige Land, und dort zum Kampf gegen die Heiden.84 Im Gesamtzusammenhang des Epos mag diese Episode peripher erscheinen, aus dem Blickwinkel von Hagiographie und Heiligenkult wird sie zum Dreh- und Angelpunkt, an dem der Weg zur Heiligkeit beginnt. So erwies sich Reinoldus schließlich doch als Ka¨mpfer gegen die Heiden. Er stand also zu Recht an der Seite des Westfalenapostels Karls in einer der wichtigsten Sta¨dte Westfalens und verlieh ihrer Sakralgemeinschaft eine unverwechselbare Eigenart.85 So stand Reinoldus, der bekehrte Rebell, in Dortmund an der Seite des Herrschers, gegen den er sich empo¨rt hatte, ganz a¨hnlich, wie fu¨r Westfalen als Ganzes auch der bekehrte Rebell Widukind bereits in der Darstellung Nederhoffs einen Platz in der Na¨he Karls erhielt, durch seine Bekehrungsgeschichte und seine Stiftsgru¨n¨ hnlichkeiten zwischen dung in Enger, wo er sein Grab fand.86 Die strukturellen A 87 den beiden Gestalten sind nicht zu u¨bersehen. Die spa¨tmittelalterliche Dortmunder ¨ berlieferung weiß nichts u¨ber eine besondere Beziehung Widukinds zu Dortmund, U wohl aber hat eine fru¨here Zeit eine solche Verbindung hergestellt. Kurz vor 1200 hat in Arras der jongleur und Dichter Jehan Bodel ein Epos u¨ber die Sachsenkriege Karls des Großen verfasst, die „Chanson des Saisnes“. Karls Gegner, der Anfu¨hrer der Sachsen, ist deren Ko¨nig Guitechin (Widukind) und dessen Hauptstadt ist Tremoigne (Dortmund).88 In der Darstellung Jehan Bodels zieht Karl u¨ber den Rhein,

83 Vgl. dazu nur Franc¸ois Suard, Renaut de Montauban comme Chanson de revolte, in: Weifenbach,

Reinold. Ein Ritter fu¨r Europa (wie Anm. 40), S. 61–75, bes. S. 62. 84 Vgl. das Erza¨hlschema bei Weifenbach, Haimonskinder (wie Anm. 42), S. 86. 85 Zu nachmittelalterlichen bildlichen Darstellungen als Heidento¨ter vgl. Zupancic, Der heilige Reinol-

dus (wie Anm. 56), S. 90–96. 86 Chronik Nederhoff (wie Anm. 16), S. 25f. 87 Vgl. dazu auch Beate Weifenbach, Reinold und Widukind. Zwei aufsta¨ndische Heilige in Westfalen,

in: Schilp/Weifenbach, Reinoldus (wie Anm. 20), S. 51–62. 88 Annette Brasseur (Hg.), Jehan Bodel, La Chanson des Saisnes, 2 Bde., Genf 1989; dazu bereits Joseph

Hansen, Die Reinoldssage und ihre Beziehungen zu Dortmund, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 26 (1886), S. 103–121; Peter Johanek, Die Sachsenkriege Karls des Großen und der Besuch Papst Leos III. in Paderborn 799 im Geda¨chtnis der Nachwelt, in: WestfZ 150 (2000), S. 211–233, hier 229f.; Weifenbach, Reinold und Widukind (wie Anm. 87), S. 52.

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to¨tet Guitechin in einer Schlacht zwischen Dortmund und der Ruhr und errichtet in Dortmund ein Siegesdenkmal aus den Schwertern der besiegten Sachsen.89 Der Befund verlangt nach einer Erkla¨rung, die jedoch nicht schlu¨ssig gegeben werden kann. Auf den ersten Blick scheint hier kein Eigenzeugnis fu¨r ein Dortmunder Geschichtsbild vorzuliegen, und Bodel ko¨nnte den Namen gewa¨hlt haben, weil ihm Dortmund als der bedeutendste Ort des Sachsenlandes erschien und ihm unter Umsta¨nden der Name durch die Handelsbeziehungen Flanderns bekannt geworden war.90 Angesichts der Pra¨zision der geographischen Angaben in der Chanson scheint es andererseits mo¨glich, dass sie auf Erza¨hlgut Dortmunder Kaufleute aufbaut, die in Flandern Handel trieben. Die Vorstellung von Dortmund als Widukinds Hauptstadt wa¨re dann auf einem a¨hnlichen Weg nach Arras gelangt, wie der in der Thidrekssaga zusammengefasste Erza¨hlstoff von Attilas Residenz und dem Nibelungenuntergang in Soest nach Bergen in Norwegen.91 Trifft dies zu, so spiegelt sich in der „Chanson des Saisnes“ eine a¨ltere Schicht des Geschichtsbewusstseins der Dortmunder Fu¨hrungsgruppen, das ebenfalls, aber in sehr verschiedener Weise, das Grunderlebnis der Sachsenkriege verarbeitete. Gab es diese a¨ltere Schicht, so blieb sie ohne Wirkung auf die spa¨tere Zeit, und sie ist nicht etwa als Vorstufe zur Heiligkeit des Rebellen Reinoldus ausgebaut worden. Widukind blieb bedeutsam im gesamtwestfa¨lischen Horizont, Reinoldus der Patron der Stadt Dortmund. Als solcher hat er sich bewa¨hrt. Der gelehrte Dominikaner, der Geistliche Johannes Nederhoff, hat die Berichte u¨ber wunderbare Errettungen der Stadt nicht verzeichnet, wohl aber die volkssprachliche Tradition, wie sie bei Dietrich Westhoff verarbeitet ist. Zweimal griff Reinoldus demzufolge in eigener Person ein, einmal 1352 bei einem na¨chtlichen Angriff Graf Engelberts III. von Mark durch einen Warnruf an die sta¨dtischen Wa¨chter auf dem Marienkirchturm,92 und 1377 soll er bei einer Beschießung der Stadt durch Wilhelm von Berg auf der Mauer erschienen sein und die Kugeln des Feindes zuru¨ckgeschlagen haben, als wanneer einer dem andern den bal tosleet. Die Stadt errichtete to einer ewigen gedechtnisse eine Statue Reinolds auf der Mauer neben der Westenporte, die ihn in dieser Pose zeigte, und erinnerte damit an einen kritischen Punkt ihrer Geschichte, der durch seine Hilfe glu¨cklich u¨berwunden wurde.93 Auch bei anderen Gelegenheiten schrieb man dem heiligen Reinoldus entscheidende Hilfe zu, so als 1378 der Versuch Dietrichs von Dinslaken misslang, ¨ ffnung des Tors durch Agnete Vijrbeke in Dortna¨chtens nach der verra¨terischen O mund einzudringen, oder 1506, als der geplante Brandanschlag des Johannes Timmermann aufgedeckt wurde.94 Die Stadt feierte das Geda¨chtnis dieser Ereignisse der Stadtgeschichte, die sie vor Schaden und dem Verlust der Freiheit bewahrt hatten, durch große Prozessionen mit den Reinoldusreliquien in ja¨hrlicher Frequenz u¨ber

89 Vgl. dazu die U ¨ berlegungen von Hansen, Reinoldssage (wie Anm. 88), S. 120f., der die geographische

Pra¨zision der Chanson betont.

90 So etwa Hansen, Reinoldssage (wie Anm. 88), S. 108. 91 Vgl. dazu nur Johanek, Nibelungensta¨dte (wie Anm. 67), S. 47f. sowie S. 52–54. 92 Chronik des Dietrich Westhoff (wie Anm. 14), S. 215f. 93 Ebd. (wie Anm. 14), S. 226f. 94 Ebd. (wie Anm. 14), S. 238–242, bzw. S. 387–388.

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das ganze Jahr verteilt.95 Es ist dieses repetitive Element der liturgischen Feier, das historische Erinnerung stetig in das Geda¨chtnis rief und zudem – indem die sta¨dtische Sakralgemeinschaft dabei den Geda¨chtnisort Reinoldikirche verließ, ihn zum Ausgangs- und Endpunkt nahm – die gesamte Stadt in diesen Geda¨chtnishorizont miteinbezog. Es ist dieses „Schlachtengedenken“ in Bildwerken, Inschriften und liturgischen Handlungen, in Geda¨chtnisgottesdiensten und vor allem Prozessionen (deren Vollzug ha¨ufig genug die Reformation u¨berdauerte), das die Darstellung historischer Erinnerung im o¨ffentlichen Raum der Stadt in besonderer Weise gepra¨gt hat und in dem sich die Stadt als Erinnerungsgemeinschaft zusammenfand.96 Das geschah in der Prozession nicht nur beim Schlachtengedenken. In Dortmund ist beispielsweise die a¨lteste der bekannten Prozessionen ebenfalls mit historischer Erinnerung befrachtet. Sie ist seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts bezeugt und fu¨hrte zur Kirche auf der Hohensyburg, die Karl der Große gegru¨ndet hatte und von der man annahm, dass sie durch Papst Leo III. geweiht worden war. Damit fu¨hrte diese Prozession zum Ausgangspunkt der Christianisierung im Dortmunder Raum.97 Wurden bei dieser ja¨hrlichen bedevart – wie vermutet worden ist98 – wirklich auch Reinoldusreliquien mitgefu¨hrt, so wurde wiederum in symbolischer Form das Nebeneinader von St. Reinoldus und Karl dem Großen etabliert, wie es in der Reinoldikirche im Bilde geschah. Karl und Reinoldus entbanden die Erinnerung an eine Vergangenheit, auf der Freiheit und Wohlergehen der Stadt ruhten. So haben die Sta¨dte des Mittelalters ihr Herkommen, das ihre Freiheiten schuf und legitimierte wie auch die Exempel, die von der Verteidigung dieser Freiheiten ku¨ndeten, immer wieder im o¨ffentlichen Raum lebendig werden lassen. Fu¨r die sta¨dtische Erinnerungsgemeinschaft ist diese Dimension des Bildlichen und Performativen, die an die Sinne appellierte und Emotionen entband, ohne Zweifel von außerordentlicher Wichtigkeit gewesen. Ihre Wirkung wurde versta¨rkt durch die schriftliche, ¨ berlieferung, durch die sie vor allem auch gefestigt und gesichert die chronikalische U wurde, die fu¨r Eindeutigkeit in der Interpretation zu sorgen suchte und die Einfu¨gung in die universalen Ordnungen der Welt vornahm. ¨ berlieferung – es war eingangs davon die Rede – ist enorm. Der Umfang dieser U Er ist vom Beginn sta¨dtischer, bu¨rgerlicher Geschichtsschreibung an sta¨ndig gewachsen, seit 1290 der Straßburger Ellenhard – Verwalter des Bauwesens am Mu¨nster wie Herbort Schene im Bremen des 15. Jahrhunderts – sein „Bellum Waltherianum“ verfasste, eine Geschichte des Konfliktes der Stadt Straßburg mit ihrem Stadtherrn, dem

95 Vgl. nur Schilp, Reinoldus (wie Anm. 20), S. 46. 96 Vgl. dazu grundsa¨tzlich Klaus Graf, Schlachtengedenken in der Stadt, in: Bernhard Kirchga¨ssner/

Gu¨nter Scholz (Hg.), Stadt und Krieg (Stadt in der Geschichte 15), Sigmaringen 1989, S. 83–104; weitere Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, bei Johanek, Geschichtsbild (wie Anm. 25), S. 566–568. 97 Chronik des Dietrich Westhoff (wie Anm. 14), S. 192f.; Chronik Nederhoff (wie Anm. 16), S. 28; zur Wallfahrt vgl. Joseph Prinz, Vom mittelalterlichen Ablaßwesen in Westfalen. Ein Beitrag zur Geschichte der Volksfro¨mmigkeit, in: WestfF 23 (1971), S. 107–171, hier S. 107–116 und 134–138. 98 Schilp, Reinoldus (wie Anm. 20), S. 47; die Quellen geben allerdings in dieser Hinsicht keine klaren Hinweise.

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Bischof, im Jahre 1262. Das ist ein wichtiges Datum. Zuvor hatten in den Kathedralsta¨dten der Bischof und seine Helfer das Bauwesen der Domkirche verwaltet und die Geschichte der Stadt geschrieben. Nun nahmen die Bu¨rger zumindest das letztere selbst in die eigene Hand.99 Die Texte, die hier entstanden, handelten von vielerlei: von Brot-, Wein- und Bierpreisen, von unerho¨rten Ereignissen, Katastrophen und Vorzeichen, von Kometen, Heuschreckenschwa¨rmen und Ka¨lbern mit zwei Ko¨pfen. Aber im Zentrum stand doch, was die Prozessionen in Dortmund und anderwa¨rts im o¨ffentlichen Raum kommemorierten. Sie handelten von Konflikten mit a¨ußeren Feinden, mit dem Stadtherrn und von inneren Auseinandersetzungen, von den Bu¨rgerka¨mpfen, die das ausgehende Mittelalter gepra¨gt haben und die oft genug die concordia der Bu¨rger zu sprengen drohten, die sich in deren Prozessionen spiegeln sollte.100 Kon¨ berlieflikte und ihre Beilegung bilden ein zentrales Thema dieser vielgestaltigen U ferung, gleichgu¨ltig in welcher Gattung sich diese Geschichtsschreibung pra¨sentiert, ob als Chronik, Annalenwerk, Tagebuch, Hausbuch, Denkschrift oder Relation. Und immer ging es um das Rechthaben, um das Untermauern des eigenen Standpunkts der Stadt, des Rats, der Konfliktparteien oder der Familie. Diese Seite der sta¨dtischen Geschichtsu¨berlieferung ist pragmatische Geschichtsschreibung, auf unmittelbare Nutzung oder Belehrung fu¨r Gegenwart und Zukunft gerichtet, fu¨r die Heimlichkeit des Rates oder fu¨r die o¨ffentliche Auseinandersetzung. Die Rechtsstellung einer Stadt ruhte auf ihren Privilegien und Vertra¨gen, und so ¨ berlieferung eine verwundert es nicht, dass deren Texte in dieser chronikalischen U große Rolle spielen. So kam es zu Kompilationen, die fast ausschließlich aus Urkunden, Vertra¨gen und amtlichen Texten bestanden, wie die „Chronik von alten Dingen der Stadt Mainz“101, und im Extremfalle konnten solche Chroniken zu einer Art kommentiertem Archivinventar geraten wie etwa die Chronik der Stadt Helmstedt, die der Benediktinermo¨nch Henning Hagen im Auftrag des Rates angelegt hatte. Ihm stand ganz die pragmatische Funktion dieser sta¨dtischen Geschichtsschreibung vor Augen, und er war u¨berzeugt davon, dass es eine gute Sache wa¨re, wa¨hrend der Mahlzeiten des Rates in einer Art Tischlesung die Texte von Urkunden und Vertra¨gen vorzutragen, damit die jungen Ratmannen erfu¨hren,was ihre Vorga¨nger fu¨r Gescha¨fte betrieben ha¨tten. Auch seien Artikel darunter, die ihnen in a¨hnlichen Situationen nu¨tzlich werden ko¨nnten. Dergleichen zu ho¨ren sei jedenfalls allemal nu¨tzlicher als die unnutte clepperye ... vor dem schornsteene („das unnu¨tze Schwatzen am Kamin“), zu dem es bei diesen Gelegenheiten meistens ka¨me.102

99 Dazu Dieter Mertens, Der Ellenhard-Codex in St. Paul im Lavanttal, in: Patze, Geschichtsschreibung

(wie Anm. 24), S. 543–579, bes. 576–579; vgl. auch Markus Mu¨ller, Die spa¨tmittelalterliche Bistums¨ berlieferung und Entwicklung (AKG, Beih. 44), Weimar/Wien 1998, S. 1ff. geschichtsschreibung. U 100 Vgl. dazu grundlegend Wilfried Ehbrecht, Uppe dat sulck grot vorderffenisse jo nicht meer enscheghe. Konsens und Konflikt als eine Leitfrage sta¨dtischer Historiographie, nicht nur im Hanseraum, in: Johanek, Sta¨dtische Geschichtsschreibung (wie Anm. 11), S. 51–109. 101 Die Chroniken der mittelrheinischen Sta¨dte: Mainz 1 (ChrdtSt 17), (1881). 102 Edvin Brugge/Hans Wiswe (Hg.), Henning Hagens Chronik der Stadt Helmstedt, in: NdtMitt 19/21 (1963/65), S. 113–280, hier S. 174.

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Diese Bemerkungen des strengen Mo¨nchs von St. Ludgeri in Helmstedt lassen die beiden Pole sta¨dtischer Geschichtsschreibung und Geschichtsu¨berlieferung noch einmal deutlich werden. Auf der einen Seite steht das ku¨hle Gescha¨ft sta¨dtischer Administration und Politik, fu¨r die das historische Argument zu sammeln, zu speichern und zu sichern ist. Auf der anderen dagegen entfaltet sich die vielgestaltige Welt der Bilder, Gesten und Handlungen, die im Zusammenhang mit den chronikalischen Texten die Vorstellungen der sta¨dtischen Erinnerungsgemeinschaft formte.

FEST UND INTEGRATION [Erstabdruck: Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Media¨vistenverbandes, hg. v. Detlef Altenburg/Jo¨rg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff, Sigmaringen 1991, S. 525–540]

Das Fest ist zu Ende; nun fehlt noch der Kehraus.1 Ihn zu bewerkstelligen ist dem Schlußvortrag zugedacht, in dem dieser Fest-Kongreß sich gleichsam selbst bespiegeln soll. Das ist schwierig, denn was bliebe zu sagen u¨brig, wenn mehrere Tage u¨ber das mittelalterliche Fest und seine Feiern geredet, referiert und diskutiert worden ist, auch u¨ber das Thema, das hier zur Debatte steht: Fest und Integration, u¨ber die integrierende Kraft, die vom Fest und seinem feiernden Vollzug auszugehen scheint, von seiner gemeinschaftsstiftenden Funktion. Eine Zusammenfassung zu versuchen, die auch einer systematischen Integration aller auf dem Kongreß vorgetragenen Gedanken in ein Abschlußstatement gleichka¨me, scheint unmo¨glich. Daher soll es bei Reminiszenzen bleiben an manches, was in den verzweigten Diskussionen der Paderborner Kongreßtage vielfach angeklungen sein mag. Es scheint außer Frage zu stehen, daß das Fest als fundamentales Element sozialer Koha¨sion zu gelten hat, als bewußt eingesetztes Instrument oder unbewußt gesuchtes Medium der Gemeinschaftsstiftung sozialer Gruppen.2 Dabei ist es ganz gleichgu¨ltig, ob es um kleine Gruppen geht, die nach innerem Zusammenhalt suchen – Familien, Vereine, Gefolgschaften, Gewerbe oder dergleichen –, oder ob es sich um den Zusammenschluß einer Vielzahl von Gruppen handelt, deren Interessen durchaus widerspru¨chlich sein ko¨nnen oder doch zumindest nicht in allen Punkten parallel laufen. Sie suchen aber doch nach einem gemeinsamen Nenner, um bestimmte, ihnen allen gemeinsame Interessen durchsetzen oder verwirklichen zu ko¨nnen. In solchen Zusammenha¨ngen mag es nicht ausbleiben, daß gelegentlich, ja ha¨ufig, vielleicht in

1 Mein Paderborner Vortrag gelangt hier leicht geku¨rzt zum Abdruck, die Vortragsform wurde beibe-

¨ ffentlicher Festvortrag“ angeku¨ndigt. Er beabhalten. Der Vortrag war von den Veranstaltern als „O sichtigt daher keine systematische Analyse des Themas, sondern sucht es durch ausgewa¨hlte Beispiele zu illustrieren und mo¨chte eher zu der Textsorte entertainments gerechnet werden. In den Anmerkungen werden in der Regel nur direkte Zitate oder Anspielungen belegt; Literaturu¨berblicke sind nicht beabsichtigt und angesichts der in diesem Bande versammelten Beitra¨ge nicht notwendig. Hingewiesen sei lediglich auf einen der ju¨ngsten Sammelba¨nde, auf den im folgenden gelegentlich zuru¨ckgegriffen wird: Uwe Schultz (Hg.), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Mu¨nchen 1988. 2 Vgl. dazu Jacques Heers, Feˆtes, jeux et joutes dans les socie´te´s d’occident a` la fin du moyen aˆge, Paris 1971, S. 79.

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der Regel, die Interessen einer oder verschiedener Gruppen und Individuen zugunsten anderer u¨berspielt werden. Das Fest in seinem Vollzug vermag Spannungen und Gegensa¨tze zwar nicht grundsa¨tzlich zu beseitigen und auszura¨umen, es u¨berdeckt sie jedoch oder gestattet ihre Austragung in ritualisierter Form und bewirkt dadurch ihre Za¨hmung. Das Fest – so vielleicht eine Kurzformel, mit der sich beginnen la¨ßt – ist vor allem, besonders in a¨lterer Zeit, ein Medium der rituellen Integration.3 Das alles weiß man nicht erst seit heute, ist nicht erst durch die in den letzten Jahren aufblu¨hende Festforschung ins Geda¨chtnis gerufen worden, die in diesem Paderborner Kongreß einen neuen Ho¨hepunkt erlebt hat. Friedrich Schiller etwa hat den Vorgang, um den es geht, an der Wende zum 19. Jahrhundert pra¨zise beschrieben in jener Szene der „Maria Stuart“, in der Mortimer seine Bekehrung zum Katholizismus schildert.4 Mortimer beschreibt der Puritaner dumpfe Predigtstuben, in denen er in finsterm Haß des Papsttums aufgesa¨ugt worden war, und spricht von der Begierde, die ihn auf den Kontinent trieb, u¨ber Frankreich nach Italien, nach Rom. Dort geschah es: Es war die Zeit des großen Kirchenfests, Von Pilgerscharen wimmelten die Wege, Bekra¨nzt war jedes Gottesbild, es war, Als ob die Menschheit auf der Wandrung wa¨re, Wallfahrend nach dem Himmelreich – Mich selbst Ergriff der Strom der glaubenvollen Menge, Und riß mich in das Weichbild Roms – Wie ward mir, Ko¨nigin! Als mir der Sa¨ulen Pracht und Siegesbogen Entgegenstieg, des Kolosseums Herrlichkeit Den Staunenden umfing, ein hoher Bildnergeist In seine heitre Wunderwelt mich schloß! Ich hatte nie der Ku¨nste Macht gefu¨hlt, Es haßt die Kirche, die mich auferzog, Der Sinne Reiz, kein Abbild duldet sie, Allein das ko¨rperlose Wort verehrend. Wie wurde mir, als ich ins Innre nun Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel Herunterstieg, und der Gestalten Fu¨lle Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll, Das Herrlichste und Ho¨chste, gegenwa¨rtig, Vor den entzu¨ckten Sinnen sich bewegte, ... Als ich den Papst drauf sah in seiner Pracht Das Hochamt halten und die Vo¨lker segnen. 3 Ich folge hier Gedankenga¨ngen von Achatz von Mu ¨ ller, Die Festa S. Giovanni in Florenz. Zwischen

Volkskultur und Herrschaftsinszenierung, in: Schultz, Fest (wie Anm. 1), S. 153–163, hier S. 154.

4 Maria Stuart, I/6; Friedrich Schiller, Sa¨mtliche Werke, hg. v. Gerhard Fricke/Herbert G. Go ¨ pfert,

Mu¨nchen 21960, S. 564f.

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O was ist Goldes, was Juwelen Schein, Womit der Erde Ko¨nige sich schmu¨cken! Nur Er ist mit dem Go¨ttlichen umgeben. Ein wahrhaft Reich der Himmel ist sein Haus, Denn nicht von dieser Welt sind diese Formen. (418–450) Mortimer ist u¨berwa¨ltigt, er fu¨hlt sich befreit, und: Haß schwur ich nun dem engen dumpfen Buch, Mit frischem Kranz die Schla¨fe mir zu schmu¨cken, Mich fro¨hlich an die Fro¨hlichen zu schließen. (457–459) Er sucht die Gemeinschaft und findet sie in einer Schar katholischer Schotten und Franzosen. Der Kardinal von Guise belehrt ihn u¨ber den Glauben, und in seine Ha¨nde schwo¨rt Mortimer seinem Irrtum ab, unter der nachdru¨cklichen Versicherung, daß nicht die gru¨belnde Vernunft ihn zu seinem Entschluß geleitet habe, sondern die sinnliche Erfahrung. Bei dieser Wiedergabe der Worte Schillers belasse ich es fu¨r den Augenblick und wende mich kurz einem anderen Zeugnis des 19. Jahrhunderts u¨ber die integrierende Kraft des Festgeschehens zu. Es vermag sie a¨hnlich eindringlich zu demonstrieren wie Schillers Verse. Es geht um die Worte, die der junge Karl Hediger, der Anfu¨hrer des Fa¨hnleins der Sieben Aufrechten, in Gottfried Kellers Novelle an den Empfangsredner des großen eidgeno¨ssischen Schu¨tzenfestes von 1849 richtet, das die wehrfa¨higen Ma¨nner der Schweiz in Aarau vereint. Keller hat dieser Rede in der Komposition seiner Novelle einen herausragenden Platz angewiesen. In ihr schu¨rzt sich der Knoten des Novellengeschehens fu¨r Karl Hediger, und das gibt auch dem Inhalt der Rede besonderes Gewicht. Keller setzt in ihr den Sinn der eidgeno¨ssischen Feiern auseinander. Darauf kommt es ihm an dieser Stelle an, und er la¨ßt den jungen Hediger sagen:5 Diese Alten hier haben ihre Jahre in Arbeit und Mu¨he hingebracht; sie fangen an, die Hinfa¨lligkeit des Fleisches zu empfinden, den einen zwickt es hier, den andern dort. Aber sie reisen, wenn der Sommer gekommen ist, nicht ins Bad, sie reisen zum Feste. Der eidgeno¨ssische Festwein ist der Gesundbrunnen, der ihr Herz erfrischt; das sommerliche Bundesleben ist die Luft, die ihre alten Nerven sta¨rkt, der Wellenschlag eines frohen Volkes ist das Seebad, welches ihre steifen Glieder wieder lebendig macht. Ihr werdet ihre weißen Ko¨pfe alsobald untertauchen sehen in dieses Bad! So gebt uns nun, liebe Eidgenossen, den Ehrentrunk! Es lebe die Freundschaft im Vaterlande! Es lebe die Freundschaft in der Freiheit! Schon die Bilder, die der junge Hediger hier gebraucht, machen die Funktion des Festes deutlich, und die Antwort des Festredners versta¨rkt das noch. Mo¨gen unsere Feste – so entgegnet er – nie etwas schlechteres werden als eine Sittenschule fu¨r die 5 Gottfried Keller, Sa¨mtliche Werke und ausgewa¨hlte Briefe, hg. v. Clemens Heselhaus, Bd. 2, Mu¨nchen

1958, S. 857.

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Jungen, der Lohn eines reinen o¨ffentlichen Gewissens und erfu¨llter Bu¨rgertreue und ein Verju¨ngungsbad fu¨r die Alten! Mo¨gen sie eine Feier bleiben unverbru¨chlicher und lebendiger Freundschaft im Lande von Gau zu Gau und von Mann zu Mann! Auch er kennzeichnet das Fest als ein Ereignis, bei dem die bloße ungegliederte Masse seiner Besucher zur Gemeinschaft verschmilzt, ja durch das Festgeschehen zur Gemeinschaft gestaltet wird, zu einer Gemeinschaft, die zum Tra¨ger der Ideen werden soll, die das Fest vermittelt. Neben dem Vergnu¨gen und der Festesfreude, die die allen sichtbare Oberfla¨che des Festes darstellen, hebt diese Antwort auf Hediger die innere formende Kraft hervor, die im Fest vermutet wird und die hier – vielleicht bedingt durch eidgeno¨ssische Nu¨chternheit – einen geradezu didaktischen und therapeutischen Zug erha¨lt. Beide – Schiller wie Keller – hatten bei ihren Festschilderungen das Mittelalter vor Augen. Das ist um so bemerkenswerter, als sie nicht zu den Romantikern geho¨ren, denen wir gemeinhin die Wiederentdeckung des Mittelalters und seine Instrumentalisierung fu¨r die Bedu¨rfnisse des 19. Jahrhunderts zuschreiben. Es ist die Tradition der mittelalterlichen Kirche und ihr liturgisches Zeremoniell, auf das Schiller in Mortimers Schilderung seiner Bekehrung zuru¨ckgreift, selbst wenn das Geschehen in der ausgehenden Renaissance angesiedelt ist. Es ist ja eben dieses Zeremoniell gewesen, von dem auch die Romantiker u¨berwa¨ltigt wurden. Man denke nur an Heinrich Wackenroders Bericht u¨ber seine Reise nach Bamberg und das Erlebnis des Hochamts im dortigen Dom vom Sommer 1793, das fast Zug um Zug dem Mortimer-Monolog entspricht.6 Bei Keller sind die mittelalterlichen Bezu¨ge verdeckt, aber doch unbestreitbar vorhanden. Das Fest, das er beschreibt – das eidgeno¨ssische Bundesfest – verko¨rperte ihm und seinen Zeitgenossen die Idee des vom Volk selbstgestalteten Nationalfestes, wie es Ernst-Moritz Arndt als Gegengewicht zu dem von Kirche und fu¨rstlichen Ho¨fen des Ancien Re´gime veranstalteten Festaufzu¨gen und Prozessionen gefordert hatte.7 Hinter dieser Idee des Festes als Medium bu¨rgerlicher Selbstfindung und Identita¨tsstiftung standen fu¨r Arndt ebenso wie etwa fu¨r Jacob Grimm und Joseph Go¨rres als Folie die Feste des Mittelalters, die Feiern der sta¨dtischen Genossenschaften und Korporationen. Ihre suggestivste, bis heute wirksame Gestaltung hat diese Vorstellung des bu¨rgerlichen Festes des Mittelalters sicherlich in der Festwiese des dritten Aktes von Richard Wagners „Meistersingern“ gefunden. Es ist gleichgu¨ltig, ob die Vorstellungen, die Arndt und Keller oder der sicherlich besser unterrichtete Jacob Grimm vom Fest des Mittelalters hatten, dessen einstige Realita¨t zu erfassen vermochten oder sie eher mehr oder weniger verzeichneten. Außer Zweifel steht, daß bereits Dichter und Gelehrte des 19. Jahrhunderts im Fest und seiner integrativen Kraft ein wesentliches Element des Funktionierens mittelalterlicher Gesellschaften sahen. Das gilt fu¨r das Fest der Kirche wie fu¨r das Fest des Volkes, ohne bei letzterem danach zu fragen, von wem es inzeniert wird. Es ist keineswegs so, daß nur die Dichter dieses Faktum intuitiv erfaßten und formulierten; auch 6 Wilhelm Heinrich Wackenroder, Werke und Briefe, Heidelberg 1967, S. 533–537. 7 Vgl. dazu zusammenfassend Bernward Deneke, Zur Rezeption historisierender Elemente in volks-

tu¨mlichen Festlichkeiten der ersten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nu¨rnberg (1973), S. 111–114; dort Nachweis der einzelnen Zitate.

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die Gelehrten – Literaturwissenschaftler wie Historiker – sind solchen Zusammenha¨ngen nachgegangen, fu¨r das Mittelalter wie fu¨r die Geschichte der fru¨hen Neuzeit. Es genu¨gt, an wenige Namen zu erinnern, um wenigstens eine Kontinuita¨tslinie fu¨r unser 20. Jahrhundert zu ziehen: Otto Cartellieri, Johan Huizinga, Norbert Elias und Richard Alewyn.8 Festforschung ist also nicht etwas wirklich Neues in der Media¨vistik. Wenn wir uns heute mit der Erforschung von mittelalterlichen Festen befassen, stehen wir in einer langen Traditionslinie, auch wenn diese Forschung vielleicht noch nie so intensiv betrieben und selten methodisch so reflektiert nach der Funktion des Festes in der Gesellschaft des Mittelalters gefragt wurde wie in unseren Tagen. In dieser zeitgeno¨ssischen Forschung kommen nun auch andere Aspekte des Festes zur Sprache, jene etwa, die beispielsweise Jacques Heers schon vor u¨ber einem Jahrzehnt den integrierenden Kra¨ften des Festes gegenu¨bergestellt hat: la caricature, l’agression, le de´foulement.9 Dabei geht es um das Fest, das nicht integriert, sondern im Gegenteil die Koha¨sionskraft bestehender Ordnungen zu sprengen oder gar zu zersto¨ren sucht und dabei nicht selten zum Ziel gelangt. Es mag fast scheinen, als gelte diesen Sprengkra¨ften des Festgeschehens das besondere Interesse der ju¨ngeren und ju¨ngsten Forschung; zu nennen wa¨re die deutsche Fasnachtsforschung oder Charivari-Arbeiten im Umkreis der „Annales“, auch Le Roy Laduries Buch u¨ber den Karneval von Romans10 geho¨rt hierher. Dabei wird auch nicht außer acht gelassen, daß der Vollzug solcher Aggression im Fest und durch das Festgeschehen doch gleichzeitig wieder die Koha¨sionskra¨fte der attackierenden Gruppen selbst sta¨rkt und unter Umsta¨nden neue Traditionen zu setzen vermag. Doch nicht davon soll die Rede sein, sondern von den affirmativen, koha¨sionssta¨rkenden Wirkungen des Festes, eben von Fest und Integration. Die Texte Friedrich Schillers und Gottfried Kellers, mit denen ich hier begann, demonstrieren Integration dieser Art. Sie tun es von verschiedenen Blickpunkten aus. Mortimers Monolog zeigt die Integration eines Einzelnen in eine Großgruppe, er zeigt zudem den initialen Akt der Integration, die Auslo¨sung der conversio des zu Integrierenden. Kellers Schilderung der Wirkung des eidgeno¨ssischen Festes stellt den Zusammenhalt von Gruppen innerhalb einer Großgruppe, der Schweizer Eidgenossenschaft dar. Das Fest bewirkt nicht deren Entstehung, sondern demonstriert 8 Otto Cartellieri, Am Hofe der Herzo¨ge von Burgund, Basel 1926; Johan Huizinga, Herfstij der

middeleeuwen, Leiden 1919; Richard Alewyn/Karl Sa¨lzle, Das große Welttheater. Die Epoche der ho¨fischen Feste in Dokument und Deutung (rowohlts deutsche enzyklopa¨die 92), Hamburg 1959; Norbert Elias, Die ho¨fische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Ko¨nigtums und der ho¨fischen Aristokratie, Darmstadt/Neuwied 1969; hier benu¨tzt in der Ausgabe (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 423), Frankfurt/M. 1983. 9 Heers, Feˆtes (wie Anm. 2), S. 12; diesem Aspekt ist Kapitel IV des Buchs, S. 119–142, gewidmet. 10 Vgl. nur Hermann Bausinger u. a. (Hg.) Narrenfreiheit. Beitra¨ge zur Fasnachtsforschung, Tu¨bingen 1980; E. P. Thompson, ‚Rough Music‘: Le Charivari anglais, in: Annales E. S. C. 27 (1972), S. 285–312; Claude Gauvard/Altan Gokalp, Les conduites de bruit et leur signification a` la fin du Moyen Age: le Charivari, in: Annales E. S. C. 29 (1974), S. 693–704; Rolande Bonnain-Moerdyck/Donald Moerdyck, A propos du Charivari: Discours bourgeois et coutumes populaires, in: Annales E. S. C. 32 (1977), S. 381–398; Jacques Le Goff/Jean-Claude Schmitt (Hg.), Le Charivari, Paris 1981; Emmanuel Le Roy Ladurie, Le carneval de Romans. De la Chandeleur au mercredi des cendres 1579–1580, Paris 1979.

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ihren immer wieder sich vollziehende Erneuerung. Eben dies hebt Keller hervor. Was er zu verdeutlichen sucht, ist gerade das iterative Moment, das fu¨r ihn und fu¨r die Beteiligten die Integrationskraft des Festes ausmacht. Die Integration wird – in beiden Fa¨llen – erreicht durch Appell an die Emotionen. Mortimer spricht es aus, und auch bei Keller ist Vergleichbares zu finden. Die Geschichte des Festes ist also au fond Bestandteil einer Geschichte der Emotionen, die wir in der Media¨vistik ebenso no¨tig haben wie eine Geschichte der Mentalita¨ten. Der Appell an die Emotionen wird getragen durch Liturgie, Ritus und Zeremoniell. Nicht die Verku¨ndigung des Wortes oder Lektu¨re eines Buches (das er als eng verwirft) u¨berzeugen Mortimer, sondern der Bann des beeindruckenden, an die Sinne appellierenden Ablaufs der Liturgie im weitesten Sinne. Gerade die Forschung zu den Festen der Zeitgeschichte, zu den Massenveranstaltungen des 20. Jahrhunderts, hat diese Wirkung der Mixtur von Ritus und Symbolik hervorgehoben. Sie kann sich nicht zufa¨llig auf eine Aussage Albert Speers berufen, in der dieser selbst die Absichten zu erla¨utern suchte, die hinter den Inszenierungen des Nu¨rnberger Reichsparteitages standen. Um jene Integrationskraft zu realisieren, die vom Nu¨rnberger Geschehen ausging und die ganz zweifelsfrei dokumentiert ist, setzte man weniger auf die Person des „Fu¨hrers“ als auf einen Ablauf der Veranstaltung, „der in sich selbst beeindruckend war“.11 Vergleichbares geschieht auch im Rom Mortimers, und ebenso la¨ßt es sich aus vielen mittelalterlichen Texten ablesen. Davon wird noch zu reden sein. Es sind also die Liturgie, das Zeremoniell, der Ritus, die die Teilnehmer des Festes in dessen Bann schlagen, doch Gottfried Kellers Beschreibung des eidgeno¨ssischen Festes fu¨gt ein weiteres Element hinzu. Er spricht von Vergnu¨gen, von Begeisterung, und jede Festbeschreibung im Zusammenhang gemeinschaftsstiftender Akte hebt die Begeisterung hervor, die die Teilnehmer ergreift. Gemeint ist etwas Atmospha¨risches: die Festesfreude, die durchaus mit der fro¨ide der mittelhochdeutschen Lyrik und Epik, der joie des franzo¨sischen Romans des Mittelalters gleichzusetzen ist. Es ist ein zumindest partiell rauschhafter Zustand, der die Teilnehmer ergreift. Er wird ganz sicher durch Ritus und Zeremoniell angebahnt und vorbereitet, aber doch ha¨ufig genug realiter gesteigert. Gottfried Keller spricht expressis verbis vom eidgeno¨ssischen Festwein, und man verra¨t auf diesem Kongreß wahrlich kein Geheimnis, wenn man auf die gemeinschaftsstiftende Funktion des Mahles und des Gelages hinweist. Beides, Ritus und Zeremoniell wie Gelage und Mahl, kann der Ausgangspunkt dafu¨r sein, die bewußte Inszenierung des gemeinschaftsstiftenden Festes zu betrachten, sie als einen grundlegenden Baustein mittelalterlicher Herrschaftsausu¨bung und Herrschaftsgestaltung zu erkennen. Ich wa¨hle dazu zuna¨chst Beispiele aus den archaischen Perioden des Mittelalters, also aus seiner Fru¨hzeit mit den besser u¨berschaubaren und einfacher konstruierten Gesellschaftsverha¨ltnissen. Ich entnehme ein erstes dem angelsa¨chsischen BeowulfEpos, das in seinem Eingangsteil den Charakter ko¨niglicher Herrschaft schildert. Sie gru¨ndet sich auf die Gefolgschaft, die wirkungsvoll an die Person des Ko¨nigs gebunden werden muß. Die Rede ist dabei vom Da¨nenko¨nig Hrodgar, dessen Sitz Beowulf 11 Dazu Hans-Ulrich Thamer, Faszination und Manipulation. Die Nu¨rnberger Reichsparteitage der

NSDAP, in: Schultz, Fest (wie Anm. 1), S. 352–368, hier S. 356.

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aufsucht und bei dem er seine Abenteuer mit Grendel besteht. Das Epos schildert Hrodgars Anstrengungen so: Heil im Heerkampf ward Hrodgar verliehen, stolzer Streitruhm, daß die Stammverwandten neidlos ihm folgten, bis der Nachwuchs erstand, kra¨ftige Jungmannschaft ...

(64–67)

Schon diese Zeilen lassen keinen Zweifel, daß es fu¨r Hrodgar um Integration geht, um die Domestizierung des Adels und um die Notwendigkeit, ihn so an sich zu binden, daß er neidlos ihm folgte. Weiter heißt es: ... Ihm kam in den Sinn, die Helden zu heißen eine Halle erbaun. Einen ma¨chtigen Metsaal die Ma¨nner errichten, wie ihn nie gesehn die So¨hne der Menschen, und dort innen alles auszuteilen, an Alt und Jung, was der Ewige ihm gab. gelang ihm auf Erden, der ho¨chste Hallenbau: dem des Wortes Gewalt Er hielt die Verheißung: Ringe beim Gastmahl: hoch und weitgieblig.12

(67–72)

... Zu rechter Frist daß vollendet ward Heorot nannte ihn, weithin zu eigen. hin gab er Kleinode, Es ragte der Saal (76–82)

Das ist das a¨ußere Geha¨use. Heorot, der Hallen herrlichste, beherbergt das Fest, jenes Fest, das die materiellen Anreize und die reale Entlohnung, die der Ko¨nig seiner Gefolgschaft zu bieten hat – das Weggeben der Ringe und des Edelmetalls – erga¨nzt, u¨berho¨ht und damit wirksamer macht. Der Beowulf-Dichter beschreibt auch, was in dieser Halle geschieht: Die Hochgesinnten setzten sich hin, die Kraftstolzen. Ein Krieger betreute sie: ¨ lkanne, er brachte herbei die blinkende A schenkte das Bier. Dann erscholl der Sang hell in Heorot; der Helden Menge weilte da in Wonnen, Wettern und Da¨nen.

(493–498)

12 Gerhard Nickel (Hg.), Beowulf und die kleineren Denkma¨ler der altenglischen Heldensage Wal-

¨ bertragung von dere und Finnsburg, 1. Teil, Heidelberg 1976, V. 64–82, S. 4–7; ich folge hier der U Felix Genzmer, Beowulf und das Finnsburg-Bruchstu¨ck (Reclam Universal-Bibliothek 430), Stuttgart 1968, S. 16f.; zur Kontrolle ist stets die Prosau¨bersetzung bei Nickel heranzuziehen.

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Die Zeilen machen klar, was in dieser Halle geschieht, und auch die Benennungen, die der Beowulf-Dichter fu¨r sie gebraucht, kennzeichen ihre Zweckbestimmung: Methalle, Bierhalle, Trinksaal. Das bedarf keines Kommentars, und daß das Trinkgelage Hochstimmung erzeugt, steht ebenfalls außer Zweifel. Sie spornt die Gefolgschaft zum Kampf an, selbst wenn er wenig aussichtsreich erscheinen mag. Auch dies wird im Beowulf-Epos deutlich, wenn Ko¨nig Hrodgar die Bedrohungen schildert, die von dem Ungeheuer Grendel ausgehen, das ihn seiner Bankgenossen und damit seiner Gefolgschaft beraubt: Gar oft vermaßen sich, vom Met trunken, ¨ lkrug u¨ber dem A edle Krieger, daß sie im Biersaal bleiben wollten zum Grendelkampf mit grimmer Klinge. Dann troff der Trinksaal, wenn der Tag aufging, die Methalle, zur Morgenzeit, blutbesudelt, die Ba¨nke alle, vom Schwerttau der Saal. So schwanden mir die Helden. (480–487) In diesen Passagen des Epos wird deutlich, was die Atmospha¨re des Gelages fu¨r die Gefolgschaft bedeutet. Sie fo¨rdert ihren Zusammenhalt, erzeugt ein Wir-Gefu¨hl, integriert die Mannen zur Gefolgschaft. Die im Gelage der Halle erzeugte Hochstimmung ist es, die die Macht des Ko¨nigs in der Gesellschaft ausmacht, die hier zusammengeschmiedete Gefolgschaft verleiht dem verbum regis den Grad des Nachdrucks, den es im regnum ausu¨bt. Sie garantiert seine Herrschaft. Von der integrierenden Kraft der Halle, des Gelages, gehen keineswegs nivellierende Wirkungen aus. Die Rangunterschiede innerhalb der Gefolgschaft werden – wenigstens im Prinzip – keineswegs aufgehoben. Von fast allen, die sich mit dem Zusammenhang von Fest und Herrschaft in den letzten Jahren bescha¨ftigt haben, ist auch darauf hingewiesen worden, daß im Festvollzug Hierachien nicht aufgehoben, sondern besta¨tigt werden, ja ihre Betonung durch das Festgeschehen gefo¨rdert wird. Das geschieht insbesondere dann, wenn eine große Festversammlung zusammentritt, die aus heterogenen Teilnehmergruppen besteht, wie dies etwa bei einem Hoftag der Deutschen Ko¨nige des Mittelalters der Fall ist. Peter Moraw etwa hat dieses Risiko des Festes am Beispiel des Mainzer Hoftages von 1184 – eines der beru¨hmtesten Feste des deutschen Mittelalters – herauszuarbeiten gesucht, indem er nachdru¨cklich auf die Streitigkeiten unter den Fu¨rsten hinwies, die die erste Phase dieses Festes kennzeichnen, darin liegt das Risiko des Festes.13 Wo viele zusammenkommen, bleibt die Lage wa¨hrend des Festes labil, doch haben die mittelalterlichen Herrscher Situationen wie diese immer wieder geschaffen. Offenbar scha¨tzte man den Nutzen der Integrativkraft ho¨her ein als den mo¨glichen Schaden, hielt das Risiko fu¨r kalkulierbar. Auch in der Halle des Beowulf-Epos gibt es Rangunterschiede, so u¨berschaubar in

13 Peter Moraw, Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas von 1184 und 1188, in: Schultz, Fest (wie

Anm. 1), S. 70–83, hier S. 74f.

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ihr die Verha¨ltnisse auch gewesen sein du¨rften. Das besta¨tigt ein Blick in die angelsa¨chsischen Gesetze, der zugleich belegt, daß das nach dem Epos gezeichnete Bild der Integration im Metsaal nicht lediglich ein Konstrukt aufgrund eines fiktionalen Textes bleiben muß, das keine Entsprechung in der Realita¨t gefunden ha¨tte. In den Gesetzen Ko¨nig Hlothheres aus dem Ende des 7. Jahrhunderts heißt es: „Wenn jemand einem andren den Becher fortsetzt, wo Leute trinken, ohne dessen Verschulden, so gelte er nach altem Recht einen Schilling demjenigen, der das Haus besitzt und sechs Schilling dem, welchem er den Becher wegsetzte und dem Ko¨nige zwo¨lf Schilling.“14 Das heißt: Wer einem anderen seinen Platz in der Zechgenossenschaft wegnimmt oder ihn in dem Rang, den er dort einnimmt, mindert, ohne daß ein rechtlich begru¨ndeter Anlaß dazu bestu¨nde, macht sich eines Vergehens schuldig. Darin wird deutlich, welcher Stellenwert dem Gelage des Herrschers, wie es das Beowulf-Epos als konstituierend fu¨r die Ko¨nigsherrschaft und Ko¨nigsgefolgschaft schildert, auch in der Realita¨t zukommt. Wer am Fest teilnimmt, stellt unter Beweis, daß er diese Hierarchie akzeptiert und bindet sich an ihre Geltung. Noch eins ist zu bedenken. Die Integrationskraft des Festes und des Gelages hat Grenzen. Sie greift sicherlich nicht in allen Fa¨llen, und sie kann verloren gehen, wenn die gesellschaftlichen Voraussetzungen sich a¨ndern. Das ko¨nnen la¨ngere Ausschnitte aus einem Text verdeutlichen, der den isla¨ndischen Sagas um die Gro¨nlandfahrer zugeho¨rt und die gleichzeitig auch einen weiteren Zug der integrationsstiftenden Wirkung zu verdeutlichen vermo¨gen. In dieser Saga ist die Rede von Thorbjo¨rn, der spa¨ter in Gro¨nland in den Verwandtschaftskreis Eiriks des Roten eintrat. Die Saga erza¨hlt den Vorgang, um den es geht, in ihrer gleichzeitig lapidaren und umsta¨ndlichen Art:15 Thorgeir Vifilssohn heiratete und nahm sich zur Frau Arnora, die Tochter Einar Sigmundssohns von Warmquellhang. ... Eine andere Tochter Einars hieß Hallveig. Sie heiratete Thorbjo¨rn Vifilssohn. Sie bekamen das Gebiet von Warmquellhang auf der Ho¨hlenebene. Dort siedelte sich Thorbjo¨rn an und ward ein sehr angesehener Mann. Er hatte die Godenwu¨rde und fu¨hrte einen pra¨chtigen Haushalt. Thorbjo¨rns Tochter hieß Gudrid. Sie war die scho¨nste der Frauen und ein Kernweib in ihrem ganzen Auftreten. Ein Mann hieß Orm. Der wohnte auf Adlersfels. Sein Weib hieß Halldis. Orm war ein tu¨chtiger Bauer und ein guter Freund Thorbjo¨rns. Gudrid war lange bei ihm als Ziehtochter. Ein Mann hieß Thorgeir. Der wohnte in Thorgeirsberg. Er war sehr reich, doch erst freigelassen. Sein Sohn hieß 14 Die Gesetze der Angelsachsen, hg. v. Felix Liebermann, Bd. 1, Halle 1903, S. 11. 15 Einar Ol. Sveinsson/Matthias Thordarson (Hg.), Eyrbyggja saga. Groenlendinga Sogur (Islenzk

Fornrit 4), Reykjavik 1925, S. 202–205. Ich zitiere nach: Gro¨nla¨nder und Fa¨ringer Geschichten, u¨bertragen v. Felix Niedner (Thule. Altnordische Dichtung und Prosa 13), Du¨sseldorf/Ko¨ln 1965, S. 25–27.

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Einar. Er war ein hu¨bscher Kerl, wohlgebildet, und wußte sich gut zu kleiden. Einar segelte von Land zu Land, und er fuhr gut dabei. Er verbrachte immer abwechselnd einen Sommer in Island und dann in Norwegen. Nun ist davon zu berichten, daß Einar einst im Herbst auf Island war und mit seiner Ware nach Schneebergsspitz fuhr, um sie dort loszuschlagen. Da kam er auch nach Adlersfels. Orm lud ihn zu sich ein, und Einar folgte der Einladung, denn beide waren befreundet. Man trug Einars Waren in ein Vorratshaus. Einar packte die Waren aus, ließ sie durch Orm und dessen Leute besichtigen und bat sie sich auszuwa¨hlen, war ihnen behage. Orm nahm das Anerbieten an. Er sagte, Einar sei ein tu¨chtiger Handelsmann, und das Glu¨ck sei ihm hold. Die Saga stellt Angeho¨rige dreier gesellschaftlicher Gruppen auf Island vor; sie sind das Personal der Saga. Thorbjo¨rn fu¨hrt einen pra¨chtigen Haushalt und u¨bt Einfluß aus. Die Bindungen, die zu Orm bestehen, dru¨cken sich darin aus, daß Thorbjo¨rns Tochter in Orms Haus erzogen wird. Einar, der aufstrebende Handelsmann, der Sohn eines Freigelassenen, strebt in diese Gemeinschaft hinein – das wird im weiteren Verlauf des Textes deutlich –, und Orm ist ganz offenbar bereit, ihm den Zugang bis zu einem gewissen Punkt zu ebnen. Er geht mit ihm eine tempora¨re Hausgemeinschaft ein. Doch Einar zielt ho¨her: Wa¨hrend sie aber noch sich um die Waren zu tun machten, ging eine Frau vorbei an der Tu¨r des Vorratshauses. Einar frug Orm, wer das scho¨ne Weib wa¨re, das eben an der Tu¨r vorbeigegangen sei, „ich sah sie nimmer vorher“. Orm sprach: „Das ist meine Ziehtochter Gudrid, des Bauern Thorbjo¨rn von Warmquellhang Tochter.“ Einar fragte: „Sie mag eine gute Heirat sein. Haben etwa schon andere um sie gefreit?“ Orm sagte: „Gewiß warb man schon um sie, Freund, doch so leicht geht das nicht, denn ihr Vater und sie sind offenbar ziemlich schwierig bei der Wahl eines Mannes.“ „Gleichwohl,“ sagte Einar, „ist sie doch die Frau, um die ich werben mo¨chte, und ich bitte dich, nimm die Sache fu¨r mich in die Hand bei ihrem Vater Thorbjo¨rn und tu alles, was du kannst, um sie zu fo¨rdern. Ich werd’ es dir mit gro¨ßter Freundschaft lohnen. Bauer Thorbjo¨rn wird schon sehen, die Verschwa¨gerung wird uns beiden zustatten kommen, denn er ist ein angesehener Mann und besitzt einen stattlichen Hof, doch allzuviel Geld hat er nicht, wie man mir sagt. Mir aber und meinem Vater fehlt es nicht an Land noch an Geld, und kommt die Heirat zustande, wird Thorbjo¨rn nur den gro¨ßten Vorteil davon haben.“ Orm erwiderte: „Gewiß glaub’ ich, daß du mir freundschaftlich gesinnt bist, aber doch bin ich meinerseits nicht dafu¨r, die Sache in die Hand zu nehmen, denn Thorbjo¨rn ist gar stolz und ein hochmu¨tiger Mann.“ Einar aber sagte doch, er wu¨nsche, daß man seine Werbung vorbringe. Orm sagte, es solle denn nach seinem Willen geschehen. Einar ging da wieder in den Su¨den, bis er auf seinen Hof kam.

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Diese Passage zeigt den Ansatzpunkt Einars. Er erkennt, daß der gesellschaftliche Rang des Goden Thorbjo¨rn unsicher geworden ist. Dessen Helfer Orm zo¨gert zwar, ein fu¨r Thorbjo¨rn nur schwer zu akzeptierendes Angebot weiterzugeben, entscheidet sich dann aber doch dafu¨r. Er wa¨hlt dafu¨r eine besondere Gelegenheit: Etwas spa¨ter lud Thorbjo¨rn zum Herbstgelage ein, wie er es gewo¨hnlich tat, denn er wollte gern als großer Mann gelten. Dorthin kam unter vielen anderen Freunden Thorbjo¨rns auch Orm von Adlersfels. Orm zog Thorbjo¨rn ins Gespra¨ch, und er sagte, Einar von Thorgeirsberg sei ju¨ngst bei ihm gewesen. Der wa¨re jetzt ein ho¨chst hoffnungsvoller Mann geworden. Er brachte dann Einars Werbung bei ihm vor und sagte, es sei vielleicht aus gewissen Gru¨nden gut, wenn etwas daraus wu¨rde. „Was Geld anlangt,“ meinte er, „ko¨nnte diese Heirat dir, Thorbjo¨rn, wohl eine große Stu¨tze werden.“ Thorbjo¨rn erwiderte: „Nicht versah ich mich eines solchen Vorschlags von dir, daß ich meine Tochter einem Knechtssohne zum Weibe geben sollte. Du mußt gemerkt haben, daß mein Vermo¨gen abnahm, wenn du mir einen derartigen Rat gibst. Nun aber soll Gudrid nicht la¨nger bei dir bleiben, da sie dich einer so niedrigen Heirat wert du¨nkt.“ Nun ging Orm heim und desgleichen alle andern Ga¨ste auf ihre Ho¨fe. Gudrid aber blieb bei ihrem Vater zuru¨ck und den Winter u¨ber in dessen Hause. Die Saga beschreibt das Auseinanderbrechen einer Gemeinschaft, die von Thorbjo¨rn zwar nicht beherrscht, aber doch dominiert wurde. Eines der Bindemittel dieser Gemeinschaft ist das Herbstgelage, ein periodisches Ereignis, bei dem es auch Geschenke gab und das aus anderen Sagas ebenfalls bekannt ist. Thorbjo¨rn setzte auf die gemeinschaftsstiftende Wirkung dieses Gelages: Er wollte gern als großer Mann gelten. Gerd Althoff hat darauf hingewiesen, daß das Gelage eine Atmospha¨re friedlichen Umganges zu schaffen vermochte und daher das Fest als Plattform von Bu¨ndnisvertra¨gen geeignet machte.16 Das Fest eines Verbandes, wie er hier in den Blick kommt, war demnach auch die Gelegenheit, bei der Verhandlungen angebahnt werden konnten, ganz besonders die Besprechung heikler Materien, die geeignet sein konnten, die Harmonie innerhalb des Verbandes zu sto¨ren, jedoch in der entspannten, friedlichen Atmospha¨re des Festes traktabel erscheinen mochten. Aus diesem Grunde spart Orm die Besprechung mit Thorbjo¨rn u¨ber Einars Heiratsantrag bis zu diesem Gelage auf. Doch das, was Orm vorschla¨gt, u¨berschreitet die Grenzen der Konventionen, auf denen das Zusammenleben dieser Gemeinschaft ruht, oder pra¨ziser: jene Grenzen, die Thorbjo¨rn gezogen sieht. Die Atmospha¨re des Festes reicht nicht aus, um die Zumutung zu mildern, die Orm Thorbjo¨rn stellt. Daß Orm eine solche Zumutung zu stellen wagt, macht fu¨r Thorbjo¨rn deutlich, daß die Basis seiner Autorita¨t,

16 Gerd Althoff, Fest und Bu¨ndnis, in: Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des

Media¨vistenverbandes, hg. v. Detlef Altenburg/Jo¨rg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff, Sigmaringen 1991, S. 29–38.

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die er u¨ber die u¨brigen in der Gemeinschaft ausu¨bt, geschwunden ist. Daß Orm die Zumutung ausspricht, la¨ßt Thorbjo¨rn erkennen, daß die Integrationskraft des Festes, das er ja¨hrlich gibt und das die Gemeinschaft zu Thorbjo¨rns Bedingungen in der von ihm vorgegebenen Hierarchie festigt, nicht mehr besteht. Thorbjo¨rn zieht die Konsequenzen. Beim na¨chsten Gelage im Fru¨hjahr informiert er die Teilnehmer von seiner Absicht, mit seiner Familie nach Gro¨nland auszuwandern. Damit ku¨ndigt er die Gemeinschaft auf. Das zeigt: Die Wirkung des Festes, seine Integrationskraft ist nicht absolut. Sie wird bestimmt durch die allgemeinen Verha¨ltnisse, seine Inzenierung muß auf sie hin bezogen werden. In Grenzsituationen vermag solche Inzenierung die Stimmung unter Umsta¨nden zu wenden oder sie scheitert. Im Falle Thorbjo¨rns ist das letztere der Fall. Zuru¨ck zu Heorot, zur Halle des Beowulf-Epos. Hier geht es – das du¨rfte deutlich geworden sein – um die Aktivierung eines Wert-Normensystems, das das Kriegertum in den Mittelpunkt stellt. Beabsichtigt ist eine Gemeinschaftsbildung, die die Rangund Standesschranken, die innerhalb dieser kriegerischen Gefolgschaft bestehen und auch in der Realisierung der Hallengemeinschaft fortbestehen, transzendieren soll. Erstrebt wird eine Gruppensolidarita¨t, die die Grenzen der Rangunterschiede u¨berwo¨lbt und sich in der Realita¨t des Alltags als haltbar erweist. Heorot, die Methalle, ist ein recht einfaches Modell des gemeinschaftsstiftenden Festes; das hohe wie das spa¨tere Mittelalter haben weitaus raffiniertere ausgebildet. Jedoch, es geht auch bei jenen spa¨teren Gelegenheiten stets um die Konstituierung einer Kriegergemeinschaft, ob es sich nun um die Artus-Inzenierungen der englischen Ko¨nige oder um das Fasanenfest am burgundischen Hof Herzog Philipps des Guten zur Begru¨ndung des Ordens vom Goldenen Vlies handelt, um nur die herausragendsten Beispiele aus einer Unzahl solcher Feste zu nennen.17 Propagiert wird die Idee des Rittertums, und das Ziel ist die Entfachung von Kampfesbegeisterung, sei es fu¨r den Krieg Englands gegen Schottland um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert oder fu¨r einen Kreuzzug zur Ru¨ckgewinnung Konstantinopels im 15. Jahrhundert. Ko¨nig Hrodgar sprach in Heorot vom Todesmut der Ka¨mpfer gegen Grendel, der sich aus dem Geist der Methalle herleitete, aus dem dort erzeugten Gemeinschaftsgefu¨hl. Das ist nicht lediglich eine Hyperbel der fiktionalen Literatur. Einer der beru¨hmtesten und entschiedensten Enthusiasten des Rittertums, seiner Feste und seiner Gemeinschaftsbildungen, vollzog fu¨r sich etwas vergleichbares in der Inszenierung eines subtilen Selbstmordes. In der Anfangsphase der Schlacht von Cre´cy spricht der vo¨llig erblindete Bo¨hmenko¨nig Johann von Luxemburg seine Umgebung folgendermaßen an: Signeur, vous estes mi homme et mi ami et mi compagnon a` le journe´e d’ui. Johann von Bo¨hmen wendet sich demnach an die durch das ritterliche Fest gestiftete Gemeinschaft und bittet sie, nach dem Bericht Froissarts, ihm zu helfen, in dieser

17 Vgl. etwa Peter Johanek, Ko¨nig Arthur und die Plantagenets. U ¨ ber den Zusammenhang von Historio-

graphie und ho¨fischer Epik in mittelalterlicher Propaganda, in: FMSt 21 (1987), S. 346–389, hier S. 364f. mit Literatur; Cartellieri, Burgund (wie Anm. 7), S. 143–160.

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Schlacht einen Schwertstreich zu fu¨hren, obwohl er selbst nichts sehen kann. Man ¨ bermacht des bindet die Pferde mit den Zu¨geln aneinander und stu¨rzt sich in die U englischen Heeres. Am anderen Tag fanden die siegreichen Engla¨nder die compagnie niedergemetzelt, sus le place autour dou roy leur signeur, et leurs chevaus tous alloye´s ensamble.18 Dieser Tod wurde als beispielhaft empfunden; bekanntlich soll Eduard der Schwarze Prinz, der Sohn Ko¨nig Eduards III. von England, aus diesem Grunde Ko¨nig Johanns Abzeichen, die Straußenfedern und das ihm zugeschriebene Motto „Ich dien“, selbst aufgenommen und zum badge des Prinzen von Wales gemacht haben.19 Der Schlachtentod in der Gemeinschaft wird hier zur Konsequenz des Festes, auch dies ein Motiv, das die Literatur niemals losgelassen hat. Noch Rilkes Cornet – er am deutlichsten – setzt das Fest der Nacht fort in einem anderen Fest: ... Und die sechzehn runden Sa¨bel, die auf ihn zuspringen, Strahl um Strahl, sind ein Fest. Eine lachende Wasserkunst.20 Ich verfolge diesen du¨steren Zug des Themas nicht weiter, obwohl gerade er, und auch in neuer und neuester Zeit, im Kontext von Reminiszenzen an Vorzeit und Mittelalter mentalita¨tsbildend und virulent geworden ist. Ich verfolge ihn nicht weiter, doch ging es nicht an, ihn zu verschweigen. Das ritterliche, das ho¨fische Fest des Mittelalters stiftet Integration fu¨r eine Kriegergemeinschaft. Doch seine Integrationskraft ist weitergespannt, vermag u¨ber diese engere Zielsetzung hinauszugreifen. Auch die Artus-Feste und Artus-Inszenierungen des englischen Ko¨nigtums – das Beispiel ist willku¨rlich gewa¨hlt, doch muß es hier damit sein Bewenden haben – dienten nicht lediglich der Aktivierung der Kampfbereitschaft des englischen Ritterheeres und seinem Zusammenhalt. Als Eduard I. nach der Eroberung von Wales in Nevin einen Artus-Hoftag abhielt, da bot dieses Fest auch der unterworfenen Bevo¨lkerung von Wales die Mo¨glichkeit zur Integration in den Herrschaftsverband des englischen Ko¨nigtums. Die Inszenierung dieses Festes gestattete es den Unterlegenen bei der Unterwerfung das Gesicht zu wahren. In a¨hnlicher Weise ist offensichtlich bereits Ko¨nig Heinrich II. von England 1167 bei der Eroberung der Bretagne verfahren, als er dieses Land vom Ko¨nig Arthur der Sage zu Lehen nahm.21 Wiederum sto¨ßt man hier auf die bu¨ndnisstiftende Funktion des Festes, obwohl ein formelles Bu¨ndnis der Kontrahenten nicht abgeschlossen wird. Doch jedes Fest – und ich versuche den Tatbestand auf eine kurze, vielleicht allzu pointierte Formel zu bringen – ist ein Bu¨ndnis, das der Herrscher mit den Teilnehmern am Fest schließt, ist die Realisierung eines Herrschaftsvertrags. Diese Realisierung wird mo¨glich, weil in vielen solchen Fa¨llen der Appell an die Emotionen, die die Integration bewirken, auf einen festen Bezugspunkt gelenkt wer-

18 Kervyn de Lettenhove (Hg.), Oeuvres de Froissart. Chroniques, t. 5, Bruxelles 1868, S. 54f. 19 Vgl. Dictionary of National Biography, VI, London 1971, S. 510 s. v. Edward, Prince of Wales. 20 Rainer Maria Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. Textfassungen und

Dokumente, bearb. v. Walter Simon (Suhrkamp-Taschenbuch 190), Frankfurt/Main 1974, S. 68 u. 57. Instruktiv auch die wa¨hrend des ersten Weltkriegs (1916) niedergeschriebene Interpretation von Harry Maync, ebd., S. 198. 21 Johanek, Arthur (wie Anm. 17), S. 364f., S. 384–387.

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den, in der Regel auf eine als gemeinsam gedachte Vergangenheit. Bereits im „Beo¨ berwulf“, in der Halle Heorot, spielt dergleichen eine Rolle. In Felix Genzmers U setzung heißt es da: „Dann erscholl der Sang laut in Heorots Halle.“22 Nicht die Festgenossen singen hier, sondern der Scop, jener Sa¨nger, der u¨ber die Heldentaten des Herrschers berichtete, vor allem aber u¨ber die Taten der Helden der Vergangenheit. Feste dieser Art vergegenwa¨rtigen eine gemeinsame Vergangenheit, emotionalisieren sie und machen sie der Integration nutzbar. In den Festen von Nevin und der Bretagne, von denen soeben die Rede war, ist dies die Britannien in allen seinen Teilen u¨berspannende Herrschaft Ko¨nig Arthurs, die als historisch real und gut begru¨ndet gedacht wird. Beim Fasanenfest Philipps des Guten von Burgund geht es um Jason und die Fahrt der Argonauten, um die ferne, aber nicht minder reale und gla¨nzende Welt der Antike. Die Entre´es der franzo¨sischen Ko¨nige, die regelma¨ßig die betroffene Stadt zur aktiven Festgemeinschaft verwandelten, haben die Geschichte des franzo¨sischen Ko¨nigtums, vor allem in literarischen Konnotationen der matie`re de France, in Karl und Roland, aber auch in Chlodwig und Ludwig dem Heiligen, immer wieder in Bild und Aktion realisiert und zum Mittelpunkt des Festes gemacht.23 So werden die Emotionen auf die gemeinsame Vergangenheit gelenkt, die eine Gemeinschaft zu stiften vermag, die wiederum Rang- und Standesschranken u¨berschreitet und die ¨ hnlich diesen mittelalterlichen ko¨nigliche Herrschaft zu festigen in der Lage ist. A Festen der franzo¨sischen Entre´es kommemoriert auch Gottfried Kellers eidgeno¨ssisches Schu¨tzenfest die konstituierende geschichtliche Tat der Eidgenossenschaft: den Schu¨tzen Tell aus dem Mittelalter. Damit mag es genug sein. Nur eines noch muß erwa¨hnt werden, um gegen den Vorwurf gewappnet zu sein, hier wu¨rden lediglich die Feste einer Elitekultur und ihrer Herrschaftsinteressen abgehandelt. Es ist selbstversta¨ndlich wahr, daß die Feste der ho¨fischen Gesellschaft dichter in den Quellen belegt sind, doch auch der gemeine Mann hat Feste eben dieser Art gefeiert. Nur ein Beispiel, das den kriegerischen Zug solcher Feste noch einmal hervorhebt und zugleich die Beteiligung des gemeinen Mannes an den kriegerischen Vergnu¨gungen der Eliten belegen kann, mag hier mitgeteilt werden. Eikhart Artzt, ein elsa¨ssischer Chronist des 15. Jahrhunderts, erza¨hlt, wie die Bu¨rger von Weißenburg im Zuge einer Fehde Kurfu¨rst Friedrichs des Siegreichen von der Pfalz ein pfa¨lzisches Dorf u¨berfallen. Dort raubten sie Vieh, Wein und Hausrat, brannten die Mu¨hle nieder, zogen wieder ab, und der Rat von Weißenburg tat, was er fu¨r richtig hielt. Die Ratsherren richteten ein Fest aus. Sie teilten das viehe und wein under die zunfft und gaben brot und wein dazu, das alles volk gar frolich wart. Und im Zusammenhang solcher elsa¨ssischer Siegesfeste des gemeinen Mannes heißt es dann gelegentlich auch: ... und hielten redlichen praß ... da was konig Artus Hoffe und meniglich costfrei.24 Bei diesem fernen Abglanz des Hofes des großen Ko¨nigs soll es hier sein Bewenden haben. 22 Nickel, Beowulf (wie Anm. 12), V. 496, S. 32: Scop hwilum sang. 23 Bernard Guenee´/Franc¸oise Lehoux, Les entre´es royales franc¸aises de 1328 a` 1515 (Sources d’histoire

me´die´vale 5), Paris 1968, S. 65, 187, 256 u. o¨.

24 Conrad Hofmann (Hg.), Quellen zur Geschichte Friedrich’s des Siegreichen. 2. Bd.: Michel Beheim

und Eikhart Artzt (Quellen und Ero¨rterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 3), Mu¨nchen 1863, ND Aalen 1969, S. 273; Gu¨nther Franz (Hg.), Peter Harers wahrhafte und gru¨ndliche Beschrei-

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Ein letztes bleibt zu ero¨rtern u¨brig. Die Texte Friedrich Schillers und Gottfried Kellers, mit denen hier begonnen wurde, betrafen, trotz ihrer verschiedenartigen Wirkungsweise, periodisch wiederkehrendes Zeremoniell und Fest. In der Tat ist diese iterative Wirkung von Fest und Gelage in den Quellenzeugnissen verifizierbar, im „Beowulf“ so gut wie im alten Island, wie auch in der ho¨fischen Welt. Hier reiht sich Fest an Fest, vergleichbar dem liturgischen Jahreszyklus der Kirche. Wie aber steht es um jene Feste, die ihrer eigenen Zeit etwas Herausragendes bedeuten, die nicht einer Periodizita¨t unterliegen und eine solche zumeist aus ihrer Eigenart heraus auch nicht begru¨nden ko¨nnen. Gemeint sind etwa jene Feste wie das Artus-Fest zu Nevin, der Mainzer Hoftag von 1184, eine Herrscherkro¨nung oder eine Fu¨rstenhochzeit. Sie alle haben im Moment ihres Vollzugs Gemeinschaft und damit unter Umsta¨nden Zustimmung zur Herrschaft begru¨ndet. Die Frage stellt sich, wie solchem, im Fest erzeugten Gemeinschaftsgefu¨hl Dauer zu verleihen ist. Norbert Elias hat bekanntlich in Anknu¨pfung an andere Gedankenga¨nge, aber doch bezogen auf die ho¨fische Welt und ihre Rituale, zwischen charismatischer und routinisierter Herrschaft unterschieden.25 Die Gemeinschaftsstiftung durch das Fest wird man zweifellos dem charismatischen Bereich zuordnen ko¨nnen. Wie aber entgeht dieses charismatisch begru¨ndete Gemeinschaftsgefu¨hl, das zur Basis von Herrschaftsausu¨bung werden kann, der Ausho¨hlung durch die Routine des Alltags? Mir scheint, daß der Eingang des „Nibelungenliedes“ eine Antwort darauf geben kann: Uns ist in alten maeren wunders viel geseit von helden lobebæren von groˆzer arebeit, von fro¨uden, hoˆchgezıˆten, von weinen und von klagen, von ku¨ener recken strıˆten muget ir nu wunder hœren sagen.26 Das Epos erza¨hlt – das ist der Sinn der Strophe – von Helden, von Exempelfiguren und ihren Mu¨hen; es erza¨hlt vom Kampf der Recken, denn das ist ihre ureigenste Beta¨tigung. Beides aber umschließt noch eine dritte Aussage. Das Epos erza¨hlt auch von Festen, von Festen im weitesten Sinn, denn auch Weinen und Klagen geho¨ren ¨ berlieferung, dazu, als Totenfeier und Totengedenken. Das Fest selbst ist also der U des Erinnerns, der memoria wert. Dieses Erinnern an das Fest erneuert seine Integrationskraft in jenen, die an ihm teilgenommen haben. Die Erinnerung durch die Erinnernden, die sie anderen mitteilen, la¨ßt diese an der Integration teilhaben. Wiederum pointiert ausgedru¨ckt: Die Kraft, die die Erinnerung an das Fest verleiht, u¨berspielt die Routine. In der Tat ist die Wirkungskraft der Erinnerung an die großen Feste nachhaltig gewesen, offenbar der unmittelbaren Wirkung oder Festesgegenwart vergleichbar. Der Mainzer Hoftag Friedrich Barbarossas jedenfalls ist in dieser Weise kommemoriert worden, nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern bung des Bauernkriegs (Schriften der Pfa¨lzischen Gesellschaft zur Fo¨rderung der Wissenschaften 25), Kaiserslautern 1936, S. 44. 25 Elias, Ho¨fische Gesellschaft (wie Anm. 8), S. 184ff. u. S. 404. 26 Das Nibelungenlied, nach der Ausgabe von Karl Bartsch, hg. v. Helmut de Boor, Wiesbaden 131956, S. 3.

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auch im Medium des ho¨fischen Romans, etwa in der „Eneit“ Heinrichs von Veldeke.27 Es wa¨re reizvoll, solchen Spuren in aller Breite nachzugehen. Hier aber soll ein vergleichsweise schlichtes Beispiel genu¨gen, das gleichwohl etwas von der Faszination vermitteln kann, die fu¨r die Teilnehmer von den großen Festen ihrer Zeit ausging, wenn sie ihre eigene Person und ihren Lebens- und Herrschaftszusammenhang betraf. Die Rede soll sein von den Erinnerungen eines kleinen niedero¨sterreichischen Adeligen, Andreas von Lappitz, den man wegen seiner Herkunft von der Adriaku¨ste den „Krabathen“ nannte. Er schrieb diese leider nur fragmentarisch erhaltenen Erinnerungen auf:28 Zu einem Unterricht mein Khindern, nahmblich mein So¨hnen, das sie doch wissen, was wunders und unglaublicher Handl ist geschehen bey meinen Zeiten. Andreas nahm am Kro¨nungszug Kaiser Friedrich III. nach Rom und an den anschließenden Festlichkeiten bei dessen Besuch in Neapel 1452 teil. Was ihm am Herzen liegt, ist dies: Kunde davon zu geben, welch große Ehren dem Kaiser dort wiederfuhren und wie er selbst, ihm in den Festen verbunden, daran teilhatte. Und er hatte teil. Anla¨ßlich der Kro¨nung schlug der Kaiser junge Leute zu Rittern und Andreas erza¨hlt: der Kaiser ru¨th fu¨r die Engl-Purckh auff die Tyber-Pruckhen: Da muest Er Ritter schlagen nach alter Gewohnheit, schlueg den ain Tag mehr den vierthalbhundert Ritter, da waren viel Pueben auch zu Ritter geschlagen. Ich auch mit. Auch er war darunter. Beide Elemente, die hier zu Beginn zu beobachten waren, das Zeremoniell und seine Kraft wie die Faszination der Festesfreude, schlagen auch Andreas von Lappitz in ihren Bann. Hans-Ulrich Thamer hat in seiner Analyse der Nu¨rnberger Reichsparteitage, deren Faszination und Manipulation, auch die andere Seite entgegengestellt:29 Die Stagnation im Ritual, die Pannen, zermu¨rbendes Warten, und es ist bemerkenswert, daß auch in dem Bericht des Andreas a¨hnliches zutage tritt: da giengs langsam zu, weiß er zu berichten, weret den gantzen Tag biß in die finster Nacht. Andreas beschreibt, wie sich der Zug quer durch Rom wa¨lzt, bis hin nach S. Giovanni in Laterano. Da wir dahin khamen, da was gar finster Nacht. Man het uns das Mall kocht, da nahmen wir unser Speiß ainer in Eysenhuet, der ander in ain Pruststeckh, der dritt auff ain hollen Ziegl wie ein jeder mecht, und da der Khayser gessen hat und machets nit lang, da belaitteten wir In bey der Nacht mit Wind-Liechter und grossen Hauffen biß wiederumb ins Pabst-Hoff, das heißt bis nach St. Peter. Andreas ist mu¨de, hungrig, zermu¨rbt vom Warten. Doch die Erinnerung u¨berspielt alles: Der Khayser schlueg die Ritter mit dem Schwerdt das Khayser Carl vom Himmel khumen ist ... Ich auch mit. Das allein za¨hlte. Es za¨hlt ebenso wie die Ehren, die zu Neapel auf den Kaiser und sein Gefolge geha¨uft werden und die nun erst recht die Atmospha¨re des Festes entstehen lassen, 27 Vgl. Moraw, Hoffeste (wie Anm 13), S. 73f.; dazu Heinrich von Veldeke, Eneide, hg. v. Otto Beha-

ghel, Heilbronn 1882, V. 13221–13251. 28 Johann Wilhelm v. Wurmbrand, Collectanea genealogico-historica, ex archivo inclytorum Austriae

inferioris statuum ... excerpta, Wien 1705, S. 64f.

29 Thamer, Faszination (wie Anm. 11), S. 367f.

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jenen rauschhaften Zustand kreieren, von dem hier die Rede war. Ihm hat sich der junge Andreas von Lappitz, der woll bey XVI Jaren alt war, offenbar in vollen Zu¨gen hingegeben, er, der eben noch vom Himmelsschwert Karls des Großen beru¨hrt worden war. Da waren lang Tafel khestlich auffgericht auff paiden Seyten am Platzen und kho¨stlich Prun mit Wein, weissen und rotten. Bey den Taffeln stuenden Fu¨erschneider, das Gepratens und Gesottens was jedermann frey, wer mit dem Khayser zog .... Die Frawen in Frawen-Hauß, die waren alle bestelt, derffet khaine khain Pfening nicht nemen ... zaltets alles von Hof. Da fandt ainer Mo¨rin und sonst scho¨ne Frawen, was ain lustet ... O was grosser Ehren uns geschach. Und er, Andreas von Lappitz, genannt der Krabath, war dabei und weiß noch nahezu vierzig Jahre spa¨ter davon zu erza¨hlen. Es ist die Erinnerung, die mitgeteilte und niedergeschriebene Erinnerung, die die im Fest gestiftete Integration weitertra¨gt, so wie die Memoria der Liturgie die Gemeinschaft der Lebenden und Toten erneuert. Was hier, im Bericht des Andreas von Lappitz sich vollzieht, ist eine weltliche Memoria. Sie kann ihrerseits in ein Fest umschlagen, a¨hnlich wie Shakespeare es in der Rede Ko¨nig Heinrichs V. von England auf dem Felde von Azincourt vor der Schlacht beschreibt.30 Es ist ein Festtag – St. Crispian; das Fest verschmilzt mit der Schlacht und stiftet eine societas und fraternitas des Ko¨nigs mit den Teilnehmern der Schlacht: We few, we happy few, we band of brothers. Das Fest St. Crispians wird die Memoria an diese in der Schlacht gestiftete Bruderschaft wachhalten. Zwar: Old men forget, doch dieses Geschehen wird keiner von jenen vergessen, die dabei waren: He that outlives this day, and sees old age, will yearly on the vigil feast his friends. Dann wird er seine Narben zeigen, seine Taten berichten und schließlich die Namen der Glieder der so gestifteten Bruderschaft nennen: Then shall our names, Familiar in their mouths as household words, – Harry the king, Bedford and Exeter, Warwick and Talbot, Salisbury and Gloster, – be in their flowing cups freshly remembered. Flowing cups. Da ist es noch einmal, das Gelage, das das Fest tra¨gt, Gemeinschaft, societas und fraternitas stiftet, die in der Memoria erneuert werden. Damit mag es genug sein, doch vielleicht noch eine Schlußbemerkung. Dieser Kongreß in Paderborn war dem Fest des Mittelalters gewidmet, und er hat viele 30 William Shakespeare, King Henry the Fifth, IV, 3. The Oxford Shakespeare, Henry V, ed. by Gary Tay-

lor, Oxford 1982, S. 228–230.

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verschiedene Disziplinen vereint, Disziplinen, die sich oft genug fremd gegenu¨berstehen. Nun ist das Fest in der Tat ein Gegenstand unserer Wissenschaft, der nur im gemeinsamen Bemu¨hen aller Disziplinen der Media¨vistik zu analysieren und zu beschreiben ist. Vielleicht hat dieses gemeinsame Bemu¨hen um das Fest die gleiche integrative Wirkung wie das echte Fest und vermag – zusammen mit der Erinnerung an diese Tage und unter Umsta¨nden auch an deren flowing cups – aus den Media¨visten des Media¨vistenverbandes eine echte Gemeinschaft zu machen.

SCHRIFTEN VON PETER JOHANEK 2002 BIS 2012 *

1. Aufsa¨tze

2001/2002 Zusammenfassung II, zu: Formen und Funktionen o¨ffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff (Vortra¨ge und Forschungen 51), Stuttgart 2001, S. 473–486. Zum Lobe Werner Rolevincks, in: Westfa¨lische Ehrengalerie, hg. v. Hans Wielens (Schriftenreihe der Stiftung Westfalen-Initiative 4), Mu¨nster 2002, S. 13–31. 2003 Die westfa¨lische Klosterlandschaft von 1100–1300. Ein Zeitalter der Differenzierung, in: Westfa¨lisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klo¨ster von ihrer Gru¨ndung bis zur Aufhebung. Teil 3: Institutionen und Spiritualita¨t, hg. v. Karl Hengst (Vero¨ffentlichungen der Historischen Kommission fu¨r Westfalen XLIV, 2.3), Mu¨nster 2003, S. 155–180. Mittelalterforschung in Deutschland um 2000, in: Media¨vistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplina¨ren Mittelalterforschung, hg. v. Hans-Werner Goetz und Jo¨rg Jarnut (MittelalterStudien 1), Mu¨nchen 2003, S. 21–33. Die Ta¨ufer, die Stadt und der Bischof, in: Das Ko¨nigreich der Ta¨ufer in Mu¨nster – Neue Perspektiven, hg. v. Barbara Romme´ (Edition Kulturregion Mu¨nsterland 4), Mu¨nster 2003, S. 65–84. ¨ stheDie Wiederta¨ufer und wir. Historische Betrachtungen, in: Alfred Hrdlicka – A tik des Grauens. Die Wiederta¨ufer, hg. v. Ju¨rg Meyer zur Capellen, Christine Pielken und Daniela Winkelhaus-Elsing, Mu¨nster 2003, S. 12–20. Und thet meinem herrn gar gross eer. Die rittersreis des Lev von Rozˇmital, in: Literatur – Geschichte – Literaturgeschichte. Beitra¨ge zur media¨vistischen Literaturwissenschaft. Festschrift fu¨r Volker Honemann zum 60. Geburtstag, hg. v. Nine Miedema und Rudolf Suntrup, Frankfurt a. M. 2003, S. 455–480.

* Bis 2002 siehe: Schriftenverzeichnis Peter Johanek, in: Der weite Blick des Historikers. Einsichten in

Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburtstag, hg. v. Wilfried Ehbrecht, Angelika Lampen, Franz-Josef Post und Mechthild Siekmann, Ko¨ln/Weimar/Wien 2002, S. 789–808.

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Schriften von Peter Johanek 2002 bis 2012

Zusammenfassung, zu: Gesandtschafts- und Botenwesen im spa¨tmittelalterlichen Europa, hg. v. Rainer C. Schwinges und Klaus Wriedt (Vortra¨ge und Forschungen 60), Ostfildern 2003, S. 365–376. Nibelungensta¨dte – mythische und historische Tradition in Worms und Soest, in: Sta¨dtische Mythen, hg. v. Bernhard Kirchga¨ssner und Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 28), Ostfildern 2003, S. 29–54. 2004 Slavnostnı´ rˇ eˇc pronesena´ u pˇrilezˇitosti udˇelenı´ cˇ estne´ho doctora´tu v oburu cˇ eske´ ˇ dˇejiny Prof. Dr. Peteru Johankovi Jihoˇceskou univerzitou v Cesky ´ ch Budˇejovicı´ch na podnˇet Historicke´ho u´stavu dne 13. kvˇetna 2004 (Festrede, vorgetragen bei Gelegenheit der Verleihung des Ehrendoktorats im Fach Bo¨hmische ˇ Geschichte an Prof. Dr. Peter Johanek in der Su¨dbo¨hmischen Universita¨t Ceske ´ ˇ Budˇejovice ... am 13. Mai 2004), o. O., o. J. (Ceske´ Budˇejovice 2004). Stadt und Zisterzienserinnenkonvent. Ausblick auf ein Forschungsprogramm, in: Stadtarchiv und Stadtgeschichte. Forschungen und Innovationen. Festschrift fu¨r Fritz Mayrhofer zur Vollendung seines 60. Lebensjahres, hg. v. Walter Schuster, Maximilian Schimbo¨ck und Anneliese Schweiger (Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2003/2004), Linz 2004, S. 217–230. ¨ bersetzung ins Japanische von Takashi Jinno und Masayuki Furukawa: Toshi U ¯ okai. ¯ ¯ ¯ in: Hikakutoshishi to cistercien Joshi Shud Kenkyu-Keikaku no Tenbo, Kenkyu¯ (The Comparative Urban History Review) 26 (2007), S. 13–23. 2005 Landesbewußtsein in Westfalen im Mittelalter, in: Spa¨tmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland, hg. v. Matthias Werner (Vortra¨ge und Forschungen 61), Ostfildern 2005, S. 265–292. Zu neuen Ufern? Beobachtungen eines Zeitgenossen zur deutschen Media¨vistik von 1975 bis heute, in: Die deutschsprachige Media¨vistik im 20. Jahrhundert, hg. v. Peter Moraw und Rudolf Schieffer (Vortra¨ge und Forschungen 62), Ostfildern 2005, S. 139–174. ¨ sterreichische GeschichtsforDie Erudition und die Folgen. Vom Institut fu¨r O ¨ sterreichische schung und seiner Geschichte, in: Mitteilungen des Instituts fu¨r O Geschichtsforschung 113 (2005), S. 259–268. [zusammen mit Ba¨rbel Brodt, Wilfried Ehbrecht, Susanne Freund, Kay Peter Jankrift, Angelika Lampen, Ernst Laubach, Rotraud Ries, Michael Schmitt, Brigitte Schro¨der, Franz-Josef Schulte-Althoff, Mechthild Siekmann und Thomas Tippach:] Neue Vero¨ffentlichungen zur vergleichenden historischen Sta¨dteforschung 1996–1999/2000, in: Bla¨tter fu¨r deutsche Landesgeschichte 138, 2002 (2005), S. 261–824. ¯ ¯ Capitals to Metropolises. Chusei no Shinsei Roma Teikoku no Baai. (Capitals and Metropolises. The case of the Holy Roman Empire in the Middle Ages) in: Hikakutoshishi Kenkyu (The Comparative Urban History Review) 24 (2005), S. 2f.

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2006 ¨ berlieferung in den Inszenierte Vergangenheit. Vom Umgang mit geschichtlicher U deutschen Sta¨dten des Mittelalters, in: Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter, hg. v. Matthias Ohm, Thomas Schilp und Barbara Welzel, Bielefeld 2006, S. 39–48; Literatur S. 387–419. ¨ berblick, in: PartikularsynSynodalta¨tigkeit im spa¨tmittelalterlichen Reich. Ein U oden im spa¨ten Mittelalter, hg. v. Nathalie Kruppa und Leszek Zygner (Vero¨ffentlichungen des Max-Planck-Instituts fu¨r Geschichte 219 – Studien zur Germania Sacra 29), Go¨ttingen 2006, S. 29–53. Eberhard Windecke und Kaiser Sigismund, in: Sigismund von Luxemburg. Ein Kaiser in Europa, hg. v. Michel Pauly und Franc¸ois Reinert, Mainz 2006, S. 143–156. Fru¨he Zentren – werdende Sta¨dte, in: Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, hg. v. Jo¨rg Jarnut und Matthias Wemhoff (MittelalterStudien 13), Mu¨nchen 2006, S. 511–538. Der Brunsberg und die Karte von Johannes Gigas. Kommentar zu den Abbildungen der Tafeln 6–8, in: Ho¨xter und Corvey (Westfa¨lischer Sta¨dteatlas 9. Lieferung, Nr. 4 ), Altenbeken 2006, Tafel 8. ¯ Koki ¯ Doitsu Toshi ni okeru Rekishi-Jojutsu, Rekishi-Densho, ¯ Zuzo-Densh ¯ Chusei o¯ (Geschichtsschreibung, historische Tradition und Bildu¨berlieferung in der deutschen Stadt des Spa¨tmittelalters), in: Hikakutoshishi Kenkyu¯ (The Comparative Urban History Review) 25–2 (2006), S. 13–34. 2007 Westfalenbild und Westfalenbewusstsein in der Vormoderne, in: Westfalen Regional. Aktuelle Themen, Wissenswertes und Medien u¨ber die Region Westfalen-Lippe. Gebiet und Identita¨t, Naturraum, Bevo¨lkerung, Siedlung, Wirtschaft und Verkehr, Bildung und Kultur, Gesellschaft und Politik. Festgabe fu¨r Prof. Dr. Klaus Temlitz zum 65. Geburtstag, hg. v. Heinz Heineberg unter Mitarbeit von Horst Pohlmann und Markus Wieneke (Siedlung und Landschaft in Westfalen 35), Mu¨nster 2007, S. 10–11. Der herrscherliche und der fu¨rstliche Adventus als Element der Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, in: University of Tokyo. Center for Philosophy, Bulletin Middle Ages – East and West 8 (2007), S. 66–80. Geschichtsschreibung und historische Tradition in der deutschen Stadt des Mittelalters, in: University of Tokyo. Center for Philosophy. Bulletin Middle Ages – East and West 8 (2007), S. 81–94. Landesgeschichte in Nordwestdeutschland – Der Blick aus Westfalen, in: GeschichtsLandschaft Emsland/Bentheim, hg. v. Birgit Kehne (Emsland/Bentheim. Beitra¨ge zur Geschichte 19), So¨gel 2007, S. 13–34. ¯ ¯ no Doitsu ni okeru Kako no Jojutsu to Hyosh ¯ o¯ (Narrating and repreChusei Koki ¯ Europa ni okeru Kako no senting the past in late medieval Germany), in: Chusei ¯ o¯ to Kioku no Densho. ¯ Rekishijojutsu – Monument – Girei, hg. v. YoshiHyosh hisa Hattori, Kyoto 2007, S. 9–30.

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¨ sterreich. DiverLandes- und Regionalgeschichtsschreibung in Deutschland und O gierende Wege in der Erforschung der Geschichte kleiner Ra¨ume, in: Kronikarz a historyk. Atuty i słabo´sci regionalnej historiografii, hg. v. Janusz Spyra, Cieszyn 2007, S. 54–78. e-book: http://www.sbc.org.pl/Content/7767/KRONIKARZ+ A+HISTORYK+-+e-book.pdf Valdnieku residence mazpils¯et¯a – Eiropas skat¯ıjums, in: C¯es¯ım 800. Quo vadis, C¯esis? ¯ V¯esture un musdienu nosac¯ıjumi pils¯etas att¯ıst¯ıbai, C¯esis 2007, S. 77–91. [zusammen mit Daniel Stracke:] Fru¨he Zentren in Mecklenburg, in: Schwerin (Deutscher Historischer Sta¨dteatlas 2), Mu¨nster 2007, Tafel 8.1. 2008 Paul Niedermaier zum 70. Geburtstag, in: Paul Niedermaier, Sta¨dte, Do¨rfer, Baudenkma¨ler. Studien zur Siedlungs- und Baugeschichte Siebenbu¨rgens. Als Festgabe zum 70. Geburtstag hg. v. Vorstand des Arbeitskreises fu¨r Siebenbu¨rgische Landeskunde, Ko¨ln/Weimar/Wien 2008, S. XII–XIV. Residenzen und Grablegen, in: Neue Beitra¨ge zu Adriaen de Vries. Vortra¨ge des Adriaen de Vries Symposiums vom 16. bis 18. April 2008 in Stadthagen und Bu¨ckeburg, hg. v. d. Schaumburger Landschaft (Kulturlandschaft Schaumburg 14), Bielefeld 2008, S. 9–25. Die Entstehung der su¨dbo¨hmischen Sta¨dtelandschaft, in: Zentrum und Peripherie in der Germania Slavica. Beitra¨ge zu Ehren von Winfried Schich, hg. v. Doris Bulach und Matthias Hardt (Forschungen zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropa 34), Stuttgart 2008, S. 295–316. Einleitung, zu: Die Stadt und ihr Rand, hg. v. Peter Johanek (Sta¨dteforschung A 70), Ko¨ln/Weimar/Wien 2008, S. VII–XVIII. Konfessionen im Stadtraum, in: Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa, hg. v. Evelin Wetter (Forschungen zur Geschichte und Kultur des o¨stlichen Mitteleuropa 33), Stuttgart 2008, S. 149–165. 2009 Karl IV. und Heinrich von Herford, in: Institution und Charisma. Festschrift fu¨r Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz J. Felten, Annette Kehnel und Stefan Weinfurter, Ko¨ln/Weimar/Wien 2009, S. 229–244. Adel in den o¨sterreichischen La¨ndern und in Tirol wa¨hrend des spa¨ten Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit, in: Die Wolkensteiner. Facetten des Tiroler Adels in Spa¨tmittelalter und Neuzeit, hg. v. Gustav Pfeifer und Kurt Andermann (Vero¨ffentlichungen des Su¨dtiroler Landesarchivs 30), Innsbruck 2009, S. 11–28. [zusammen mit Angelika Lampen:] Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt. Zur Einfu¨hrung, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. v. Peter Johanek und Angelika Lampen (Sta¨dteforschung A 75), Ko¨ln/Weimar/Wien 2009, S. VII–XVI.

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2010 Stadtgeschichtsforschung – ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz, in: Europa¨ische Sta¨dte im Mittelalter, hg. v. Ferdinand Opll und Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beitra¨ge zur Wiener Stadtgeschichte 52), Innsbruck 2010, S. 45–92. „Klosterlandschaft“ Ruhrgebiet. Klo¨ster und Orden im Umbruch des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Ritter, Burgen und Intrigen. Aufruhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr, hg. vom LWL-Museum fu¨r Archa¨ologie – Westfa¨lisches Landesmuseum Herne, Mainz 2010, S. 93–105. Nibelungensta¨dte – mythische und historische Tradition in Worms und Soest (Teilnachdruck von 2003), in: Soest. Geschichte der Stadt, hg. v. Wilfried Ehbrecht, Bd. 1, Soest 2010, S. 1065–1084. Historie a perspektivy vy´zkumu mestsky´ch knih ve Spolkove´ Republice Nemecko, ˇ ´ nı´ stˇredoveky´ch a rane novoveky´ch mestin: Stav a perspektivy zpˇr´ıstupnova sky´ch knih, hg. v. Michaela Hruba´, Ludmila Sulitkova´ und Vilem Za´bransky´ ´ stecky´ Sbornı´k Historicky´, Supplementum 1), U ´ stı´ nad Labem 2010, S. 39–55. (U Vorbemerkung, in: Jiˇr´ı Kejr, ˇ Die mittelalterlichen Sta¨dte in den bo¨hmischen La¨ndern. Gru¨ndung – Verfassung – Entwicklung (Sta¨dteforschung A 78), Ko¨ln/Weimar/Wien, S. IX–XI. 2011 Stadtgru¨ndung und Stadtwerdung im Blick der Stadtgeschichtsforschung, in: Stadtgru¨ndung und Stadtwerdung. Beitra¨ge von Archa¨ologie und Stadtgeschichtsforschung, hg. v. Ferdinand Opll (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas XXII), Linz 2011, S. 127–160. 2012 Spa¨tes Nachleben oder neue Kraft? Hof, Bu¨rgertum und Stadt im langen 19. Jahrhundert, in: Sta¨dtisches Bu¨rgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptsta¨dten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, hg. v. Jan Hirschbiegel, Werner Paravicini und Jo¨rg Wettlaufer, Ostfildern 2012, S. 287–312, 375–384. Die Straße im Recht und in der Herrschaftsausu¨bung des Mittelalters. Franz Irsigler zum 70. Geburtstag, in: Die Vielschichtigkeit der Straße. Kontinuita¨t und Wandel in Mittelalter und fru¨her Neuzeit. Internationales Round-Table-Gespra¨ch Krems an der Donau, 29. November bis 1. Dezember 2007 (Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r Realienkunde des Mittelalters und der fru¨hen Neuzeit 22), Wien 2012, S. 233–262. Bild und Wahrnehmung der Stadt. Anna¨herungen an ein Forschungsproblem, in: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. v. Peter Johanek (Sta¨dteforschung A 63), Wien/ Ko¨ln/Weimar 2012, S. 1–23.

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Musikkultur und sta¨dtische Gesellschaft, in: Stadtkultur – Kultur(haupt)stadt, hg. v. Ferdinand Opll und Walter Schuster (Beitra¨ge zur Geschichte der Sta¨dte Mitteleuropas 23), Wien 2012, S. 51–75.

2. Artikel in Handbu¨chern und Lexika

Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begru¨ndet von Wolfgang Stammler, fortgefu¨hrt von Karl Langosch, 2., vo¨llig neu bearb. Aufl. hg. v. Kurt Ruh u. a. 11 (2004): Herforder Stadtrechtsbuch, Sp. 645f; Magdeburger Rechtsbu¨cher, Sp. 945–953; Ordo iudiciarius, Sp. 1083–1090; Petrus Pictaviensis (Peter von Poitiers), Sp. 1225–1233; Stadtbu¨cher, Sp. 1449–1453; Stadtrechtsbu¨cher, Sp. 1454–1455. Handbuch der Historischen Sta¨tten Nordrhein-Westfalen, hg. v. den Landschaftsverba¨nden Rheinland und Westfalen-Lippe durch Manfred Groten, Peter Johanek, Wilfried Reininghaus und Margret Wensky, Stuttgart 3., vo¨llig neu bearb. Aufl. 2006: Bad Driburg, S. 50–51; Billerbeck-Gerleve, S. 113–114; Birkenbaum, S. 114; Brakel-Bo¨kendorf, S. 184–185; Bu¨ren-Wewelsburg, S. 202–203; Do¨rentrup, S. 222; Do¨rentrup-Hillentrup, S. 223; Do¨rentrup-Wendlinghausen, S. 223–224; ExtertalSternberg, S. 364–365; Hellweg, S. 449 [zusammen mit Wilfried Reininghaus]; Horn-Bad Meinberg, Externsteine, S. 486–487; Lemgo, S. 651–654; LemgoBrake, S. 654–655; Lu¨gde, S. 694–695; Max-Clemens-Kanal, S. 710–711; Paderborn-Wewer, S. 855; Petershagen-Lahde, S. 856–857; Sundern-Kloster Brunnen, S. 997; Warburg, S. 1045–1047; Warburg-Calenberg, S. 1048; Werl, S. 1072–1075; Wettringen-Maxhafen, S. 1094. Ho¨fe und Residenzen im spa¨tmittelalterlichen Reich. Grafen und Herren, Tlbd. 1, hg. v. Werner Paravicini, bearb. v. Jan Hirschbiegel, Anna Paulina Orlowska und Jo¨rg Wettlaufer (Residenzenforschung 15. IV, 1), Ostfildern 2012: Everstein, S. 404–412; Lippe, S. 870–898.

INDEX DER ORTS- UND PERSONENNAMEN

Aachen 255, 260, 266, 284 Aalen 284 Aarau 424 Aardenburg 272 Abd ar-Rahman III., Emir/Kalif von Co´rdoba 119, 120 ˚ bo 175 A Adam v. Bremen 161, 173, 174, 177, 181, 385 Aden 120 Adhab 120 Adolf II., Gf. v. Holstein 316 Ahaus 243, 245 Ahlen 273, 285, 364 Albero v. Kuenring 341 Albert v. Buxhoeveden, Bf. v. Riga 182–184 Albert v. Stade 385 Albrant, Albert, Bgm. v. Minden 206 Albrecht Achilles, Mgf. v. Brandenburg-Ansbach 256 Alewyn, Richard 426 Alexandria 120, 121 Alfeld 287, 387 Alfred d. Gr., Kg. v. Wessex/England 173 Allendorf 285 Almansor (Abu Amir al-Mansur), Regent von Co´rdoba 119 Almerı´a 120 Alpert v. Metz 133 Alt-Lu¨beck (Bucu) 176 Alt-Pilsen (Stary´ Plznec) 350 Altena 156, 162, 164, 167, 285 Altenburg 261 Amalfi 121, 124–126 Amberg 261 Amiens 134 Ammann, Hektor 79, 321 Andreas v. Lappitz 437, 438 Anklam 272, 287 Anno II., Ebf. v. Ko¨ln 315 Anshelm, Valerius 232 Antiochia 124 Antwerpen (Anvers) 257, 264, 265 Aribert (Heribert), Ebf. v. Mailand 129

Arndt, Ernst-Moritz 425 Arnhem 285 Arnim, Achim v. 14 Arnold v. Lu¨beck 182 Arnold, Gf. v. Altena 160, 315 Arnold, Wilhelm 51, 197, 198 Arnsberg 285 Arras 418 Artzt, Eikhart 435 Aschersleben 287, 387, 390 Asti 129 Attendorn 162, 264, 285 Aubin, Hermann 40, 41, 52, 58, 59 Auer, Fam. in Regensburg 205 Augsburg 28, 130, 132, 238, 255, 258, 260, 262, 264–267, 284, 319, 320, 406 Auschwitz 362 Auxerre 130 Azincourt 438 Babylon 319 Ba¨rmann, Georg Nikolaus 22 Bagdad 119, 120, 319 Balhorn 307, 308, 313 Balve 162, 285 Bamberg 261, 386, 425 Barcelona 265 Bardowiek (Bardowick) 132, 414 Barthold, Friedrich Wilhelm 197, 198 Basel 204, 244, 256, 283 Bauerwitz (Baboro´w) 351, 370 Bautzen 261 Bavor (Bawor) v. Strakonitz 340, 351, 370 Becelin, Ebf. v. Bremen 242 Beckum 273, 285, 364 Beda Venerabilis 56 Belecke 285 Belgard a. d. Persante (Białogard) 287, 288 Below, Georg v. 84, 93 Bensheim 134 Beraun (Beroun) 352 Berengar II. v. Ivrea, Kg. v. Italien 121 Beresford, Maurice 73 Bergen (Norwegen) 119, 271

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Index der Orts- und Personennamen

Bergen op Zoom 264 Bergneustadt 162, 166, 170 Berlichingen, Go¨tz v. 219, 233 Berlin 261, 287 Bern 232 Bernhard II., Herr zur Lippe, Bf. v. Selonien 182, 248 Bernhard VII., Herr zur Lippe 249 Bertha, Mgfn. v. Tuszien 121 Berthold III., Hz. v. Za¨hringen 310 Berthold v. Loccum, Bf. v. Uexku¨ll 182, 183 Berwick-on-Tweed 333 Besanc¸on 256, 261, 283 Bevergern 243 Biberach 255, 267, 284 Bielefeld 285 Bielitz 359, 364, 365, 367 Billerbeck 242 Bilstein 170 Birka 139, 141, 142, 174 Blankenstein 164, 285 Blaschke, Karlheinz 291–293 Blickle, Peter 56, 67 Bloch, Marc 105 Blomberg 248–250 Bocholt 273, 285 Bochum 285 Bockenem 287 Bo¨ckenfo¨rde, Heinz 48 Bo¨defeld 285 Bo¨hmer, Johann Friedrich 21, 31, 32 Boleslav II. d. Fromme, Kg. v. Bo¨hmen 349 Bonn 52, 241, 245, 248, 261 Boockmann, Hartmut 85, 86, 93 Bopfingen 269, 284 Bordeaux 131 Borgentreich 285 Borgolte, Michael 89 Borken 273, 285 Bote, Hermen 193, 195, 205, 213, 376, 380, 389, 393, 396 Bote, Konrad 376 Boulay, Francis Robin Houssemayne du 397 Brake 248–250 Brakel 285 Brandenburg 142, 261, 287 Brandis, Ratsfam. in Hildesheim 394 Braun, Georg 29 Braun, Sixtus 393 Braunsberg (Braniewo) 271, 287, 288 Braunschweig 28, 193, 197, 205, 208, 209, 230, 239, 240, 246, 247, 250, 257, 260, 264, 265, 268, 274, 281, 287, 301, 319, 376, 379, 380, 383, 389, 391, 396, 398, 405 Breckerfeld 156, 162, 164, 171, 285 Breisach 301

Bremen 3, 132, 160, 161, 178, 181, 182, 185, 239, 242, 244, 257, 260, 263, 271, 273, 285, 301, 316, 375, 376, 380, 381, 383, 388, 396, 405, 406, 408, 415, 419 Brenno 141 Brescia 130 Breslau (Wrocław) 260, 264, 287, 288, 365, 366, 368 Brest-Litowsk 321 Breunau (Bˇrevnov), Kl. 349 Brilon 285 Bruchsal 247 Bruck a. d. Mur 325, 351 Bru¨gge (Brugge, Bruges) 135, 188, 257, 264, 271–273, 321 Bru¨hl 241, 244 Bru¨nn (Brno) 96, 100, 261, 348 Brunner, Otto 99, 105, 107 Bruno v. Schauenburg, Bf. v. Olmu¨tz 369, 370 Brunstein v. Uhlenbrock 233 Buchau 255 Buchhorn 255, 284 ˇ Budweis (Ceske ´ Budˇejovice) 336, 352–355 Bu¨nting, Heinrich 394 Bunzlau 201 Burchard, Bf. v. Worms 134 Burg 261 Burkhard, Bf. v. Wu¨rzburg 305 Buxtehude 285 ˚ ˇ ek, Va´clav 337 Buz Caesar, Gaius Iulius 383, 385, 413 Calenberg 240, 247 Calvino, Italo 318, 319, 324 Cambrai 132, 133, 283 Canterbury 137–139 Cartellieri, Otto 426 Castorp, Hinrich, Bgm. v. Lu¨beck 220, 221 ˇ c (Zeyzt) v. Budoywiz 353, 354 Ceˇ Celle 246 Chalon-sur-Saone 264 Chejnow (Chy´nov) 352 Chemnitz 261, 302 Chester 139 Chipping Campden 334 Chisbury 138 Chlodwig, Kg. d. Franken 435 Christaller, Walter 80, 294, 325 Christian, Gf. v. Oldenburg 388 Christoph Bernhard v. Galen, Bf. v. Mu¨nster 245 Chrudim 349, 350 Chur 128 Cividale 126 Clermont 130 Co¨lln a. d. Spree 287

Index der Orts- und Personennamen Coesfeld 245, 272, 273, 285, 364 Coldingen 247 Comacchio 125 Co´rdoba 119–121, 123 Corvey 134, 223 Cosel 362, 366 Crawinkel, Johannes 399 Cre´cy 433 Cremona 129 Czok, Karl 67, 200 Dagobert I., Kg. d. Franken 298 Damaskus 119 ´ Danzig (Gdansk) 141, 197, 231, 260, 261, 265, 270, 271, 287, 288 Daugmale 139, 141, 174, 183 Demmin 287 Derby 137 Detmar, Franziskaner in Lu¨beck 28, 404 Detmold 249, 250 Deutsch Neukirch 370 Deventer 260, 263, 285 Dietrich v. Moers, Ebf. v. Ko¨ln 241, 242 Dietrich II., Gf. v. d. Mark 164, 168, 171, 172 Engelhus 386, 388 Dilcher, Gerhard 56, 291, 294, 295, 314, 315 Dinkelsbu¨hl 255, 259, 284 Dodiko, Gf. in Warburg 303, 305 Doesburg 285 Donauwo¨rth 135, 136, 284 v. Donop, Fam. in Lemgo 235 Dopsch, Alfons 99, 108 Dorestad 132 Doring, Kort, Bgm. v. Braunschweig 205, 213 Dorpat (Tartu) 174, 175, 186, 187, 271, 287, 288 Dorstelmann, Reinold (Sohn) 399 Dorstelmann, Reinold (Vater) 399 Dorsten 285 Dortmund 93, 132, 135, 154, 165–168, 188, 192, 220, 233, 255, 257, 259, 261, 263, 272, 273, 284, 285, 301, 396, 399, 401, 402, 408–414, 417–419 Dover 137 Dresden 197 Drolshagen 162, 166–168, 285 Dublin 139, 141–143 Duderstadt 287 Du¨lmen 273, 285 Du¨rer, Albrecht 77 Du¨sseldorf 285 Duisburg 285, 301, 317 Ebner, Herwig 102 ¨ . v. Edith (Eadgytha), T. v. Kg. Eduard d. A Wessex, Gem. v. Ks. Otto I. 402

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Eduard I., Kg. v. England 328, 333, 434 Eduard d. Schwarze Prinz, S. v. Kg. Eduard III. v. England 434 Eger (Cheb) 258, 261, 349 Ehbrecht, Wilfried 67, 323, 329 Eichhorn, Karl Friedrich 19, 20, 32, 51, 98, 197 Eichsta¨tt 301 Einbeck 261, 269, 287, 386 Eirik (Erik) d. Rote 430 Eisenach 194 Elbing (Elblag) ˛ 261, 271, 287, 288 Elburg 285 Elias, Norbert 426 Elisabeth I., Kgn. v. England 274 Ellenhard 419 Eltville 244 Emmerich 285 Engel, Evamaria 65, 80 Engelbert III., Gf. v. d. Mark 164, 166, 169, 418 Engels, Friedrich 39, 71 Enger 417 Enikel, Jans 97 Ennen, Edith 38, 41, 48–58, 61, 62, 64, 65, 67, 69, 74, 84, 90, 99, 300, 321, 331 Erfurt 131, 257, 260, 269, 287, 301, 319, 386 Erik VI. Menved, Kg. v. Da¨nemark 187 Erlangen 270 Escher-Apsner, Monika 336 Essen 285 Esslingen 261, 284 Everhard II., Gf. v. Altena 160, 315 Everhard II., Gf. v. d. Mark 162 Eversberg 285 Exeter 138, 139 Eynsham 333 Falkenstein, Burg 248 Falsterbo 321 Felix Fabri 191, 192, 194, 195 Fellin (Viljandi) 183, 186, 287, 288 Ferdinand III., Ks. 261 Ferdinand v. Bayern, Ebf. v. Ko¨ln 244 Fez 120 Fichte, Johann Gottlieb 18 Fichtenau, Heinrich 113 Fordwich 137 Frankfurt a. M. 255, 258, 260, 264–266, 284, 301 Frankfurt/Oder 261, 287 ¨ sterreich 9 Franz II., Ks., als Franz I. Ks. v. O Frauenberg (Hluboka) 353, 354 Frauenburg, Johannes 193, 195 Fraxinetum 128 Freiberg in Ma¨hren (Pˇr´ıbor) 349

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Index der Orts- und Personennamen

Freiburg i. Br. 261, 301, 309, 310, 314, 328 Freienohl 285 Freistadt (Frysˇta´k) 353 Freudenthal (Bruntal) 348 Freytag, Gustav 15–17, 35, 196, 197, 199 Friedberg 227, 255, 264, 284 Friedeck (Fry´dek-Mı´stek) 367, 370 Friedrich I. Barbarossa, Ks. 25, 255, 436 Friedrich II., Ks. 255, 328 Friedrich III., Ks. 256, 437 Friedrich Wilhelm IV., Kg. v. Preußen 14, 18 Fritze, Konrad 80 Fu¨llstein 369 Fu¨rstenau 285 Fulda 125 Fulnek 343 Gaeta 126 Gardelegen 287 Gaupp, Ernst Theodor 33, 98 Gebhard I. v. Plain, Bf. v. Passau 338 Gebweiler (Guebwiller) 242 Geismar, Heinrich 394 Gelnhausen 255, 284 Genf 264, 321 Gengenbach 255, 258, 284 Gengler, Heinrich Gottfried 33, 98 Gent (Gand) 134, 136, 257, 296 Genua 28, 124, 128, 130, 264, 265 Georg v. Mu¨hlhausen 340 Geraardsbergen (Grammont, Gerhardsbergen) 301, 314, 316 Gerald, Gf. v. Aurillac 126 Gerhard zur Lippe, Ebf. v. Bremen 182 Gerwin v. Hameln 385, 386 Geseke 285 Gevern 164 Gewitsch (Jevı´cˇ ko) 349 Giengen 284 Gierke, Otto v. 20, 33 Glatz 369 Gleiwitz 364 Glogau (Glogo´w) 261, 365 Gmu¨nd (Niedero¨sterreich) 355 Gnesen (Gniezno) 142 Go¨ding (Hodonı´n) 348 Go¨rlitz 193, 195, 261 Go¨rres, Joseph 425 Go¨ttingen 247, 261, 287, 386 Go¨tz v. Berlichingen 219, 233 Goldenkron (Zlata´ Koruna) 341, 352–354 Goldingen (Kuld¯ıga) 287, 288 Gollnow (Golenio´w) 287, 288 Gollwitzer, Heinz 10, 16 Gorodisˇcˇ e 139

Goslar 132, 201, 230, 255, 261, 266, 273, 284, 287, 301, 315, 394, 402 Gothaburh 138 Gottfried v. Bouillon, Herr v. Jerusalem 407 Gottfried v. Viterbo 178 Gratzen (Nove´ Hrady) 356 Graus, Frantisˇek 66 Graz 103, 104, 108 Greifenberg (Gryfice) 287, 288 Greifswald 261, 272, 287 Grevenstein 285 Grieth 285 Grillparzer, Franz 7–10, 15, 24, 25, 35, 339 Grimm, Jacob 20, 425 Grobin 139, 173 Gronau 287 Groningen 185, 261, 285 Groningen, Reynerus 393 Groß-Jena 303 Grubenhagen 240 Gru¨nenberg, Konrad 231 Gu¨nther v. Schwalenberg, Ebf. v. Magdeburg, Bf. v. Paderborn 388 Guido de Columnis 386 Gummersbach 166, 170 Haase, Carl 41, 64, 336 Hachen 285 Hadmar II. v. Kuenring 342 Hagen (Westf.) 169, 172, 285 Hagen, Henning 392, 393, 420 Hagenau (Haguenau) 255, 261, 284 Hagenrode 302 Haider, Siegfried 97 Haithabu 119, 122, 137, 139, 141, 142, 173, 174, 176 Halberstadt 230, 239, 287, 390 Halle a. d. Saale 261, 266, 287, 301, 391 Hallein 350 Haltern 273, 285 Halver 167 Halwell 138 Hamburg 23, 41, 58, 196, 200, 256–258, 260, 263, 265, 269–273, 284, 285, 301, 408 Hameln 287, 387, 389 Hamm 248, 250, 285 Hamwih 137 Hanau 270 Hannover 247, 248, 250, 261, 287, 389 Harderwijk 285 Hasselt 285 Hattem 285 Hattingen 10, 11, 23, 169–171, 285 Havelberg 287 Haverkamp, Alfred 68, 81 Hedwig v. Schaunberg 342

Index der Orts- und Personennamen Hegel, Carl 98 Heidelberg 261 Heilbronn 284 Heimpel, Hermann 90 Heine, Heinrich 24 Heinemann, Gustav, dt. Bundespra¨sident 26, 198 Heinrich I., Kg. 133 Heinrich II., Ks, 126, 132, 302 Heinrich III., Ks. 315 Heinrich IV., Ks. 314 Heinrich V., Ks. 338, 381, 407, 408 ¨ ., Hz. v. Braunschweig 389 Heinrich d. A Heinrich II., Kg. v. England 434 Heinrich V., Kg. v. England 438 Heinrich (XII.) d. Lo¨we, Hz. v. Sachsen u. Bayern 176, 178, 179, 182, 246, 255, 304, 316 Heinrich v. Broke 410 Heinrich v. Herford 416 Heinrich v. Kuenring, gen. das Hu¨ndchen 342 Heinrich v. Lamspringe 375, 383, 385, 396 Heinrich, Lettenpriester 182 Heinrich v. Lettland 181 Heinrich v. Neuhaus 340 Heinrich v. Rosenberg 351, 369 Helmarshausen 302 Helmold v. Bosau 178, 316, 385 Helmstedt 201, 204, 287, 392, 420 Hemeling, Johannes, Bgm. v. Bremen 381, 406, 407 Hemer 159 Herbord v. Fu¨llstein 351 Herdecke 169 Herder, Johann Gottfried 30, 35, 53 Hereford 137 Herford 261, 285 Hermann v. Mummersloch 161 Hermann v. d. Mu¨hlen 233 Hermann zur Lippe, Fst. in Livland 182 Herwegh, Georg 24 Heusler, Andreas 51 Higounet, Charles 73 Hildesheim 25, 201, 230, 239, 245, 261, 287, 394 Hilton, Rodney 365 Hirschberg 285 Hirschmann, Frank G. 336 Ho¨rde 285 Ho¨xter 223, 232, 285 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 16, 217 Hoffmann, Frantisˇek 336, 343, 349 Hogenberg, Frans 29 Hohenfurt (Vysˇsˇ´ı Brod) 340, 341, 356 Homeyer, Gustav 98 Horhusen 134

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Horn, Burg 248 Horstmar 243 Hotzenplotz (Osoblaha) 362, 369 Hu¨llmann, Karl Dietrich 31, 32, 98 Hu¨sten 285 Huizinga, Johan 426 Hutten, Ulrich v. 218, 233 Huy (Hu, Hoei) 139, 301, 314, 316 Ibbo, Friese im Dienste d. Trierer Kirche 298 Ibn Hawqal 123 Ibn Khordadhbeh 120, 121 Ibrahim ibn Yakub 118, 142, 144 Iburg 245, 285 Iglau (Jihlava) 100, 261 Ihleburg 383 Ille, Eduard 13, 24 Ilshofen 259 Ingigerd, T. v. Kg. Olaf Schoßko¨nig v. Schweden 174 Innsbruck 103 Ipswich 137 Irsigler, Franz 45, 72, 79–81, 295–297, 303, 325 Isenmann, Eberhard 65 Iserlohn 158, 159, 162, 165, 168, 285 Isny 267, 284, 320 Ja¨gerndorf (Krnov) 365 Ja¨schke, Kurt-Ulrich 56 Jamnitz (Jemnice) 348 Jankuhn, Herbert 72 Jansen, Peter 181 Janssen, Walter 297, 300 Jaroslav, Gfst. v. Kiev 174, 176 Jauer 201, 202 Jean Paul (eigentlich Johann Paul Friedrich Richter) 324 Jehan Bodel 417 Jena 209 Jerusalem 125 Jerwen (Ja¨rva) 186 Johann v. Luxemburg, Kg. v. Bo¨hmen 433, 434 Johann I., Hz. v. Kleve 171 Johann III. v. Rosenberg 356 Johannes, Abt v. Gorze 120, 121 Johannes v. Essen 416 Johannes v. Soest 192, 193, 195 Johansen, Paul 41, 58 Judenburg 104 Ju¨terbog 296 Julius Caesar 383, 385, 413 Justi, Johann Heinrich Gottlob v. 322

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Index der Orts- und Personennamen

Kailbach 135 Kaindl, Raimund 100 Kairo (al-Fustat) 119–121, 123, 124 Kairuan (Qairawan, Kairouan, Ifriqiyyah) 119, 120, 123, 124 Kaiserswerth 315 Kalkar 249 Kallenhardt 285 Kalmar 271, 287 Kalsching (Chvalsˇiny) 353, 354, 356 Kamen 285 Kamenz 201 Kammin (Kamien´ Pomorski) 287, 288 Kampen 260, 285 Karl I. d. Gr., Ks. 25, 192, 379–381, 385, 402, 405, 407, 409–412, 414, 416, 419, 435 Karlburg 305, 306, 311, 313 Karlsruhe 197, 247 Karlstadt 307, 311 Kasimir, Hz. v. Oppeln 366, 367 Kassel 22, 197, 261 Katscher 370 Kaufbeuren 255, 259, 284 Kaupang 139, 142 Kaysersberg 255, 284 Kejˇr, Jiˇr´ı 336 Keller, Gottfried 424–427, 435, 436 Keller, Hagen 56 Kemnade 170 Kempten 284 Kerkho¨rde, Johann, Rh. in Dortmund 396, 399, 401 Kerkho¨rde, Reinhold 399 v. Kerssenbrock, Fam. in Lemgo 235 Keyser, Erich 41, 43, 58, 59 Kiel 272, 287 Kierspe 167 Kießling, Rolf 81 Kiew 139, 143, 174 Kindberg im Mu¨rztal 324, 325 Kirchberg 259 Kladrau (Kladruby) 349 Klattau (Klatovy) 352, 353 Kleve 239 Knittler, Herbert 102, 107, 109 Kock, Reimer 181 Ko¨ln 14, 28, 96, 130, 132, 135, 154, 160, 161, 163, 165–168, 171, 177, 178, 188, 198, 209, 213, 233, 239, 241, 244, 245, 255–257, 260, 263–267, 270, 271, 273, 274, 284, 285, 314, 315, 319, 320, 381, 414 Ko¨niggra¨tz (Hradec Kralove´) 349 Ko¨nigsberg a. d. Eger (Kynsˇperk n. O.) 349 Ko¨nigsberg i. Pr. (Kaliningrad) 261, 271, 287, 288 Ko¨slin (Koszalin) 287, 288

Ko¨tzschke, Rudolf 57 Kokenhusen (Koknese) 186, 287, 288 Kolberg (Kołobrzeg) 18, 19, 139, 178, 266, 287, 288 Kolin (Kolı´n) 349 Koller, Heinrich 98, 102 Kolmar (Colmar) 255, 284 Komotau (Chomoutov) 349 Konrad II., Ks. 129, 303 Konrad III., Kg. 298, 302, 315, 317, 338 Konrad v. Querfurt, Bf. v. Hildesheim u. Wu¨rzburg 307 Konrad I., Hz. v. Za¨hringen 309 Konstadt (Wołczyn) 368 Konstantin d. Gr., ro¨m. Ks. 379 Konstantin VII., Ks. v. Byzanz 125 Konstantinopel (Istanbul, Byzanz) 118, 120, 122–126, 319 Konstanz 132, 231, 261, 284 Korbach 201 Kord v. Mo¨llenbeck 233 Kouˇrim (Kauˇrim, Gurim) 142, 349, 350 Krakau (Krako´w) 79, 142, 265, 271, 287, 288, 365, 366, 368 Krantz, Albert 181, 196, 200, 208, 394 Krems a. d. Donau 105, 110 Kreuzburg 359, 368 Kroeschell, Karl 56 Krottenschmidt, Nikolaus 393 ˇ Krumau (Cesky ´ Krumlov, Krummau, Bo¨hmisch Krumau) 336, 338, 339, 352, 353, 355 Krummacher, Fam. 4, 5 Krummacher, Friedrich Adolph 4 Krummacher, Julie 3, 16 Kuˇca, Karel 337 Ku¨gelgen, Fam. 4, 5 Ku¨gelgen, Helene, geb. Zoege v. Manteuffel 4 Ku¨gelgen, Wilhelm v. 3–7, 9, 12, 13, 15–18 Ku¨hnel, Harry 85 Kuhn, Walter 41, 58, 358–360, 362, 364, 366, 367, 370 Kuhschnappel 320, 324 Kule, Henricus 388 Kulm (Chełmno) 271, 287, 288 Kunzelmann, Ulrich 205 Kuttenberg (Kutna´ Hora) 261, 365 Kyffhausen 383 Kyritz 287 Ladenburg 244 Laer 220 Lamprecht, Karl 33, 84 Landau i. d. Pfalz 284 ´ aski) Landsberg i. Oberschlesien (Gorzo´w Sl ˛ 368

Index der Orts- und Personennamen Landshut a. d. Isar 261 Landstein (Landsˇteyn) 342 Lange, Hinrik, Bgm. v. Lu¨neburg 391 Langhans, Sebastian 394 Langschede 169 Langscheid 285 Lappenberg, Martin 36 Lazius, Wolfgang 97 Le Mans 130 Leeuwarden 261 Leicester 137 Leipzig 261, 264, 265, 267, 319 Leitmeritz (Litomˇerˇ ice) 349, 350 Lemberg (Lwiw, Lwo´w) 79, 265 Lemgo 227, 235, 248–250, 257, 261, 285, 364 Lemsal (Limbazˇi) 186, 287, 288 Lennep 162 Leo III., Papst 419 Leoben 104, 351 Leobschu¨tz (Głubczice) 348, 364, 365, 370 Leopold I., Ks. 228 Leschnitz (Le´snica) 366 Leutkirch 284, 320 Lewes 138 Lhotsky, Alphons 97 Libitz a. d. Cidlina (Libice nad Cidlinou) 142 Lichtenstadt (Hroznˇetin) 349 Liebenwerde (K˛ety) 367, 368 Liegnitz (Legnica) 194, 261 Limoges 130 Lincoln 137, 139, 333 Lindau 284 Linz a. d. Donau 96, 98, 103, 104, 109, 264 Lippstadt 261, 272, 285 Lissabon 265 Littau (Litovel) 349 Liudprand v. Cremona 121, 124, 126, 128 Liutfrid, Kaufmann aus Mainz 126 Loccum 182 ´ aski) Lo¨wenberg i. Schlesien (Lwo´wek Sl ˛ 368, 370 Logne 302, 309, 310, 314, 316 London 56, 137–139, 264, 271, 274, 319, 397 Lorsch 134 Lot, Fernand 50 Lothar III. v. Su¨pplingenburg, Ks. 315, 380 Lothar II., Kg. v. Italien 130 Ludwig d. Fromme, Ks. 121 Ludwig IV. d. Bayer, Ks. 405 Ludwig II., Kg. v. Bayern 13 Ludwig IX. d. Hl, Kg. v. Frankreich 435 Ludwig d. Deutsche, Kg. d. Ostfra¨nkischen Reiches 416 Lu¨beck 28, 176–182, 185, 187, 188, 195–197, 200, 210, 213, 220, 221, 255, 257–260, 263,

453

265, 271–273, 284, 287, 292, 316, 319, 381, 404, 407, 408 Lu¨denscheid 162, 165, 166, 170, 285 Lu¨neburg 178, 246, 247, 250, 257, 260, 263, 266, 272, 281, 287, 380, 381, 383, 385, 386, 388, 398, 413 Lu¨nen 285 Lu¨ttich (Lie`ge, Luik) 139 Lund 176, 177 Lyon 130, 264 al-Madinat al-Zahirah 119 Madinat al-Zahra (Co´rdoba la Vieja) 119 Ma¨hrisch Neustadt (Uniˇcov) 348 Ma¨hrisch Weißkirchen (Hranice) 349 Magdeburg 28, 122, 131–133, 136, 196, 213, 230, 231, 239, 257, 260, 263–265, 274, 287, 315, 356, 371, 375–377, 379, 383, 385–388, 394, 396, 398, 402, 406 Magnus, Hz. v. Braunschweig 388 Magnus II. Torquatus, Hz. v. BraunschweigLu¨neburg 257 Magnus I. d. Gute, Kg. v. Norwegen u. Da¨nemark 175 al-Mahdiyyah 124 Mailand 128–130 Mainz 118, 130, 132, 197, 244, 256, 261, 264, 314, 405, 429 Makau in Oberschlesien (Mako´w), Johanniter-Kommende 367 Mannheim 247 Mantua 130 Mark, Burg 248, 250 Martin v. Troppau 386 Maschke, Erich 42, 50, 65 Maurer, Georg Ludwig v. 51 Maximilian I., Ks. 219 Maydell, Ludwig v. 180 Meckseper, Cord 85 Medebach 177, 328 Meiners, Christoph 30, 53 Meinerzhagen 162, 167, 168 Meinhard v. Segeberg, Bf. v. Uexku¨ll 181, 183 Meinwerk, Bf. v. Paderborn 144, 305, 308 Meisterlin, Sigismund 406 Melle 285 Memmingen 261, 267, 284 Menden 162, 169, 285 Mentreuil 135 Menzel, Josef Joachim 359 Menzlin 139, 141, 142 Meppen 134 Merian, Mattha¨us 29 Merseburg 133, 287 Metz 130, 133, 255, 260, 284 Meyenberg, Konrad v. 240

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Index der Orts- und Personennamen

Michelet, Jules 84 Mies (Stˇribro) 349, 352 Miesko II., Hz. v. Oppeln 367 Milde, Erhart 393 Minden 130, 206, 223, 239, 245, 285 Mistek 370 Mitterauer, Michael 108 Mo¨lln 259 Mo¨ser, Justus 15 Mollat, Michel 66 Monnet, Pierre 65 Monterberg, Burg 249 Moraw, Peter 359 Moritz, Hz. v. Sachsen 394 ´ Mozdzioch, Sławomir 310, 311 Mu¨hlhausen (Elsass) (Mulhouse) 255, 261, 284 Mu¨hlhausen in Su¨dbo¨hmen (Milevsko) 340, 355 Mu¨hlhausen (Thu¨ringen) 257, 258, 261, 273, 284, 287, 320 Mu¨nchen 23, 197, 261, 319 v. Mu¨nchhausen, Fam. in Lemgo 235 Mu¨nster im St. Gregoriental 284 Mu¨nster (Westf.) 130, 185, 223, 226, 229, 231, 234, 235, 239, 243–245, 257, 260, 262, 263, 272–274, 285, 364 Mulher, Detmar 396, 399, 402, 408 Mummershohl 160 Murbach 242 Napoleon I. Bonaparte, Ks. d. Franzosen 8, 19 Narbonne 121 Narwa (Narva) 186, 187 Nasir-i-Khusrau 123 Naumburg 261, 264, 287, 303, 393 Neapel 124, 437 Nederhoff, Johannes 399, 411, 412, 414, 416–418 Neheim 285 Neiße 367 Netolitz (Netolice) 352–354 Neuenrade 162, 164, 167, 170, 285 ˚ Hradec) 339, 355, 356 Neuhaus (Jindˇrichuv Neuhaus (Schloß Neuhaus bei Paderborn) 245 Neumarkt 368 Neunkirchen 302 Neuß 285 Neustadt (Hessen) 285 Neustadt/Oberschlesien (Prudnik) 351, 369 Neustadt am Ru¨benberge 247 New Thame 333 Niedersta¨tter, Alois 107 Nieheim 285

Nienborg 227 Nienburg a. d. Elbe 302, 303 Nijmegen 285 Nikolaus, Hz. v. Troppau 351, 369 Nivelles (Nivele, Nijvel) 139 No¨rdlingen 264–266, 284, 320 Nordhausen 208, 257, 261, 273, 284, 287 Northeim 287 Norwich 139 Nottingham 137 Nowgorod 139, 141, 143, 174, 175, 177, 180, 185–187, 270, 271, 274 Nu¨rnberg 11–13, 16, 24, 28, 79, 85, 159, 197, 198, 216, 218, 219, 228, 229, 231, 233, 238, 255–260, 262, 264–267, 269, 275, 279, 281, 284, 319, 320, 350, 352, 381, 400, 427 Nyko¨ping 287 Obernai 255, 284 Odo, Abt. v. Cluny 126 Oexle, Otto Gerhard 93 Offenburg 255, 284 Ogris, Alfred 105, 108 Ohtere 137, 139, 143 Olaf I. Tryggvasson, Kg. v. Norwegen 174, 176 Olaf Schoßko¨nig, Kg. v. Schweden 174 Oldecop, Johann 394 Oldenburg i. Holst. (Starigard) 142 Oldenzaal 285 Oldesloe 179 Olmu¨tz (Olomouc) 261, 348 Olpe 162, 166, 285 Ommen 285 Opll, Ferdinand 93, 112 Oppeln (Opole) 142, 311, 359, 362, 364–366, 368 Oppenheim 134 Osnabru¨ck 25, 130, 201, 223, 233, 239, 245, 257, 261, 263, 272, 285, 331, 364 Osterburg 287 Osterode 287 Oswestry 333 Otacher aus der Geul 97 Othelbald, Abt v. St. Bavo in Gent 295 Ottenstein 243 Otto I. d. Gr., Ks. 120, 126, 132, 377, 379, 402 Otto II., Ks. 379 Otto III., Ks. 128, 129, 302 Otto, Mgf. v. Brandenburg 388 Otto, Hz. v. Braunschweig 387 Ottokar I. Pˇremysl, Kg. v. Bo¨hmen 348 Ottokar II. Pˇremysl (Pˇremysl Otakar II.), Kg. v. Bo¨hmen 7, 8, 35, 325, 339–343, 348, 350–356, 369

Index der Orts- und Personennamen Płock 366 Paderborn 130, 223, 239, 245, 261, 263, 285, 303, 307, 308 Pa´nek, Jaroslav 337 Papenburg 23 Paris 130, 131, 325 Passau 337, 350 Pattensen 247 Patze, Hans 75–77, 237 Paul, Jean 324 Pavia 126, 128, 139 Paviken 139, 142 Peckelsheim 285 Perleberg 287 Pernau (Pa¨rnu) 186, 187, 287, 288 Peter Johann Nepomuk Karl Wilhelm Josef Daniel, gen. “mit dem weiten Blick“ IX, 1–446 Petershagen 245 Petit-Dutaillis, Charles 50 Petronell 302 Pfullendorf 255, 284 Philipp d. Gute, Hz. v. Burgund 433, 435 ˇ 350 Pilsen (Plzen) Pirckheimer, Willibald 218, 233 Pirenne, Henri 37, 38, 54 Pisa 124, 128, 130 Pisek (Pı´sek) 350, 351, 353 Pitschen 368 Pitten 296 Planitz, Hans v. 38, 48–51, 53–58, 61, 62, 64, 66, 67, 74, 84, 90, 99 Plankenberg a. d. großen Mu¨hl 338 Pleskau (Pskov) 185, 186 Plettenberg 162–164, 166–168, 171, 287 Poeck, Dietrich W. 89 Pohl-Resl, Brigitte 112, 113 Poitiers 130 Polo, Marco 318, 319 Polock 185, 187 Pomarius, Johannes 376, 377, 402 Poppelsdorf 244, 248 Porner, Hans, Rh. in Braunschweig 391 ´ 265, 366, 368 Posen (Poznan) Potsdam 197 Prachatitz (Prachatice) 352, 353 Prag 100, 122, 142–144, 212, 260, 263–265, 301, 348, 349, 353 Prˇcice (Pertschitz) 338, 355 Prenzlau 261 Prerau (Pˇrerov) 349 Pressburg (Bratislava) 96 Preuenhuber, Valentin 97 Pritzwalk 287 Pruntrut (Porrentruy) 244 Pu¨tter, Johann Stephan 19

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al-Qarafa 120 Quakenbru¨ck 287 Quedlinburg 230, 287, 315, 389, 390 Qusan 120 Raabs 341 Radevormwald 162 Radkersburg 351 Ralswiek 139 Rammelsberg 118 Ratibor (Racibo´rz) 362, 364–366, 369, 370 Ratingen 287 Raudnitz (Roudnice) 349 Rausch, Wilhelm 43, 55, 71, 96, 109 Rautert, Friedrich Wilhelm, Bgm. v. Hattingen 10, 11, 23 Ravenna 126 Ravensburg 255, 261, 284 Recklinghausen 287 Regensburg 85, 121, 130–133, 135, 205, 238, 255, 256, 260, 264, 269, 284 Reichenhall 350 Reichert, Folker 107 Reims 130, 131 Reinald v. Dassel, Ebf. v. Ko¨ln 177 Reinhausen 302 Reininghaus, Wilfried 34, 107 Rendlesham 137 Repten 367 Rethel, Alfred 14 Reutlingen 284 Reval (Tallinn) 174, 175, 185–187, 271, 287, 288 Rheine 273, 287 Ribe 141–143 Richter, Ludwig 12, 23 Riehl, Wilhelm Heinrich 84 Riga 174, 181, 183–188, 231, 271, 287 Rincka 132 Rinesberch, Gert 375, 385, 393, 396, 406, 407 Rinteln 227 Rochester 138 Ro¨rig, Fritz 36, 39, 71, 292, 321 Roermond 285 Roessler, Emil Franz 100 Roland, Pra¨fekt d. Bretonischen Mark 406, 412, 435 Rolevinck, Werner 95, 219–221, 386, 416 Rom 126, 127, 144, 319, 414, 423, 427, 437 Roop (Straupe) 287, 288 Rosegger, Peter 324–326 Rosenberg (Rozˇmberk) 339, 353, 356 Rosheim 255, 284 Roßwald 369 Rostock 257, 259, 260, 272, 287 Rot, Otto 205

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Index der Orts- und Personennamen

Rot, Ulrich 205 Rothe, Johannes 194, 195 Rothenburg o. d. Tauber 12, 24, 255, 258, 259, 261, 284 Rottweil 255, 265, 284 Rouen 130 Rudolf I. v. Habsburg, Kg. 7–9, 15, 24, 254 Ru¨ckert, Friedrich 18 Ru¨genwalde (Darłowo) 287, 288 Ru¨then 287 al-Rusafa 119 Saaz (Zˇatec) 349 Saintes 121 Salerno 126 Salzburg 103, 104, 108, 261 Salzwedel 261, 287 Samarkand 118 Sandomir (Sandomierz) 366 Sandwich 137 Sarre 137 Sartorius, Georg 31, 32, 35, 98 Schaab, Meinrad 323 Scha¨fer, Dietrich 36 Schaffhausen 284 Schanz, Georg 33 Schedel, Hartmann 29 Schene, Herbort 375, 381, 385, 393, 396, 406, 407, 419 Schenkendorf, Max v. 13 Scheyring, Johann, Bgm. v. Magdeburg 375 Schich, Winfried 73 Schiller, Friedrich 423–426, 436 Schilling, Heinz 256 Schilp, Thomas 93 Schinkel, Friedrich 18 Schlackenwerth (Ostrov) 349 Schlan (Slany´) 349 Schlawe (Sławno) 287, 288 Schlesinger, Walter 42, 50, 57, 59, 63, 71, 302, 309 Schleswig 142, 176, 177, 179, 301 Schlo¨gel, Karl 94 Schloezer, August Ludwig 19 Schmidt, Heinrich 90 Schmieder, Felicitas 65 Schmoller, Gustav 33, 51 Schnabel, Franz 100 Schneider, Wolf 319 Schomaker, Jakob 394 Schubert, Ernst 87 Schu¨cking, Levin 7 Schu¨ttenhofen (Susˇice) 352, 353 Schulte, Aloys 36 Schulz, Knut 56 Schwa¨bisch Gmu¨nd 255, 284

Schwa¨bisch Hall 258, 259, 261, 266, 284, 320 Schwalenberg, Burg 248 ´ Schweidnitz (Swidnica) 261, 365 Schweinfurt 284, 320 Schweinitz (Trhove´ Sviny) 356 Schwerte 168, 169, 171, 287 Schwind, Fred 297 Seehausen 287 Segeberg 182 Seidl, Johannes 106 Se´lestat 255, 284 Sens 130 Shaftesbury 138 Shahar, Shulamith 69 Sigismund Meisterlin, Benediktinermo¨nch in Augsburg 28 Sigtuna 141–143, 175 Simon VI., Gf. zur Lippe 249, 257 Simonsfeld, Henry 36 Skotschau (Skoczo´w) 367 Slawentzitz (Sławi˛ecice) 367 Smolensk (Gne¨zdowo) 139, 141, 174, 185, 270 Snorri Sturlusson 174 Soden am Taunus 320 Soest 154, 165, 167, 168, 177, 178, 185, 197, 223, 257, 260, 261, 263, 266, 272, 279, 287, 301, 364, 398 ˙ Sohrau (Zory) 368 Soissons 134 Solingen 287 Southampton 137, 138, 165 Spangenberg, Cyriakus 388 Speer, Albert 427 Speyer 130, 132, 238, 244, 256, 261, 264, 284 Spittendorf, Markus 391 Sproemberg, Heinrich 55 St. Walburga im Heiligen Forst, Kl. 302 Stade 285 Stamford 137 Staraja Ladoga (Alt-Ladoga, Ladoga) 139, 141, 174, 175, 186 Staraja Russa 178 ´ Stargard/Pom. (Stargard Szczecinski) 287, 288 Stassfurt 302 Stavoren 285 Stein a. d. Donau 105 Stein, Heinrich Friedrich Karl Frhr. vom u. zum 9 Steinau 366 Steinbach, Franz 52 Stendal 201, 257, 261, 287 Sternberg (Sˇternberk, Ma¨hrisch-Sternberg) 343 Stettin (Szczecin) 272, 287 Stiepel 161, 170

Index der Orts- und Personennamen Stifter, Adalbert 337, 350 Stockholm 271, 287 Stolp (Słupsk) 287, 288 Stoob, Heinz 41, 43, 55, 58, 59, 64, 292, 293, 300, 301, 321, 322, 327, 359, 364, 366 Strakonitz (Strakonice) 340, 353 Stralsund 260, 272, 287 Straßburg (Strasbourg) 28, 130, 132, 204, 205, 209, 244, 255, 256, 258, 260, 264–266, 284, 419 Streich, Gerhard 76 Strobnitz (Hornı´ Stropnice) 356 Strodenitz (Rozˇnov) 354 Stroelin, Peter 205 Stromer v. Reichenbach, Wolfgang 79 Stromer, Ulman 401 Stuttgart 261 Sundern 287 Susa 126 Sutton Hoo 137 Sven Estridsen, Kg. v. Da¨nemark 176 Swarte, Hermann, Bgm. v. Minden 206 Sydow, Ju¨rgen 323 Tabor (Ta´bor) 338 Tachau (Tachov) 352 Tangermu¨nde 287 Taus (Domazˇlice) 350, 352, 353 Teindles (Doudleby) 352 Telgte 273, 287 Teltsch (Telˇc) 336, 355, 356 Teschen (Cieszyn) 362, 364, 367, 369 Teterow 142 Thessalonike 123 Thietmar, Bf. v. Merseburg 125, 383 ´ 261, 271, 287, 288 Thorn (Torun) Tiel 132, 133, 137, 143, 285 Tile van dem Damme, Bgm. v. Braunschweig 205 Tilleda 297 Tomaschek, Johann Adolph 98, 100 Toul 255, 256, 284 Toulouse 130 Treptow a. d. Rega (Trzebiato´w) 287, 288 Treviso 122, 126 Tribbe, Heinrich Sloen gen. 206 Trient 100 Trier 130, 132, 261, 270, 411, 414 Troppau (Opava) 348, 362, 365, 369 Truso 137, 139, 173 Tu¨rckheim (Turckheim) 255, 284 Twinger v. Ko¨nigshofen, Jakob 204, 206, 209 Udenheim 244 ¨ berlingen 255, 284 U Uelzen 287

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Uexku¨ll 183, 184 Uitz, Erika 69 Ujest 366, 367 Ulm 191, 194, 195, 202, 205, 213, 215, 258, 259, 261, 264, 267, 281, 284, 405 Ulrich III. v. Neuhaus 356 Unna 287 Uppsala 182 Uslar 287 Utrecht 239 Valencia 265 Varenholz 248 Vechelde, Hermann v., Bgm. v. Braunschweig 213 Velehrad 348 Venedig 17, 124–126, 129, 130, 264, 265, 319 Venlo 285 Verden 239, 301 Verdun 120, 121, 255, 256, 261, 284 Verona 130 Vienne 121 Villingen 135 Visby 180, 182, 184, 186, 271, 287 Vitko v. Prˇcice 338, 339 Vo¨rden 287 Vogler, Gu¨nter 67 Vok (Wok) I. v. Rosenberg 340, 341, 351, 354, 369 Voss, Johannes 399 Vreden 273, 287 Vysˇehrad 352 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 11–14, 23, 425 Wagner, Richard 13, 16, 17, 216, 217, 425 Waiblingen 14 Waldemar I. d. Gr., Kg. v. Da¨nemark 179 Waldemar II. d. Sieger, Kg. v. Da¨nemark 186 Waldemar IV. Atterdag, Kg. v. Da¨nemark 186, 274 Wangen 255, 284 Warburg 287, 297, 303, 305, 307, 311, 313 Wareham 138 Warendorf 273, 287, 364 Warstein 287 Wattenscheid 287 Weber, Carl Julius 6 Weber, Max 33, 41, 52, 59, 64, 72, 294–296, 317 Weil der Stadt 255, 284 Weinheim 134 Weißenburg (Wissembourg) 258, 284, 435 Weitra 355 Weleschin (Velesˇ´ın) 354 Wels 97

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Index der Orts- und Personennamen

v. Wend, Fam. in Lemgo 235 Wenden (C¯esis) 186, 287, 288 Wennemer Duicker, Droste zu Lu¨denscheid 170, 171 Wensky, Margret 69 Wenzel I. Pˇremysl, Kg. v. Bo¨hmen 343, 349–351 Wenzel II., Kg. v. Bo¨hmen u. Polen (als Wenzel I.) 348, 350, 369 Wenzel III., Kg. v. Bo¨hmen, Ungarn u. Polen 348 Werben 287 Werdenberg, Heinrich 205 Werdohl 167 Werenzo 160, 161, 316 Werl 266, 287 Werne 273, 287 Wesel 261, 285 Westhofen 287 Westhoff, Dietrich 399, 408, 418 Wetter 164, 287 Wetter, Burg 14 Wetzlar 201, 258, 284 Wibald, Abt v. Stablo u. Malmedy 302, 309, 310 Wichmann, Ebf. v. Magdeburg 296 Widukind, „Hz. d. Sachsen“ 414, 417, 418 Wiedenbru¨ck 287 Wien 23, 96, 98, 100, 101, 103, 104, 109, 260, 264, 301, 325, 356 Wiesloch 134 Wilhelm II./I., Gf./Hz. v. Berg 166, 192 Wilhelm, Hz. v. Braunschweig 392 Wilhelm I., Dt. Ks. 24, 25 Willehad, Ebf. v. Bremen 381, 407 William fitz William fitz Alan 333 Wimpfen 255, 284 Winchester 137–139 Windau (Ventspils) 186, 287, 288 Windsheim 284 Wipperfu¨rth 162 Wismar 261, 269, 272, 287, 319 Witiko 337, 350 Witko v. Plankenberg 338

Witten 169 Wittenberg 261 ˇ 338, 356 Wittingau (Tˇrebon) Wladimir d. Gr./d. Hl., Gfst. v. Kiew 174 Wladimir, Fst. v. Polock 185 Wladislaus, Hz. v. Oppeln 365–368 Wolbeck 243–245, 247–249 Wolfenbu¨ttel 240, 247, 248 Wolff, Philippe 66 Wolfram v. Eschenbach 226 Wollin (Wolin, Jumne) 139, 141, 142, 174, 175, 287, 288 Wolmar (Valmiera) 186, 287, 288 Woodbridge 137 Worms 130, 132, 134, 135, 244, 256, 261, 264, 284, 314, 412 Wu¨rzburg 85, 261, 270, 305, 307, 314 Wulfstan 137, 139, 173 Wurm, Nikolaus 194 York 137, 139 Ypern (Ieper, Ypres) 23, 177 Zabern (Saverne) 244 Zaltbommel 285 Zatschek, Heinz 338 Zawisch v. Falkenstein 339, 355 Zˇelivsky´, Jan 212 Zell am Harmersbach 255, 258, 269, 284 Zerbst 395 Ziegenhals 370 Zlabings (Slavonice) 355 Znaim (Znojmo) 348 Zoege v. Manteuffel, Fam. 4 Zuckmantel (Zlate´ Hory) 370 Zu¨rich 132, 260 Zullestein 134 Zurzach 264, 265 Zutphen 261, 285 Zwettl 342, 355 Zwickau 261 Zwolle 261, 285 Zycha, Adolf 100, 337, 343, 349