Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession 9783110259193, 9783110259186

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Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession
 9783110259193, 9783110259186

Table of contents :
Vorwort
Historia als Kultur – Einführung
Terra sacra - terra sancta. Territorium und Kirche in der oberdeutschen Historiographie des 17. und 18. Jahrhunderts
Katholische Historiographie im 17. Jahrhundert – was war vor Pez?
Amand Pachlers Vita des Hl. Vitalis (1663) und die Wurzeln benediktinischer Geschichtsschreibung im Umfeld der Salzburger Universität
Erinnern als Kulturtechnik: Klosterarchive im Barock
Vom gesponß, seiner schönen braut und dem Freisinger neuen Jerusalem. Wie Fürstbischof Eckher, der Benediktiner Meichelbeck und die Brüder Asam mit der Kunst der Überzeugung Geschichte darstellten
War Karl Meichelbeck ein „deutscher Mauriner“?
Die Deckenmalereien der Stiftskirche Melk oder die Visualisierung von Ordensgeschichte als Manifestation kirchenpolitischer Ansprüche
Ordensgeschichte als Kulturgeschichte? Wissenschaftshistorische Überlegungen zur Historizität in der benediktinischen Geschichtsforschung des 18. Jahrhunderts
Ecclesia als Objekt der Historiographie. Ekklesiologie, theologische Erkenntnis und Historiographie bei römischen Kirchenhistorikern im 18. Jahrhundert
„Les meilleures causes embarrassent les juges, si elles manquent de bonnes preuves“: Père Norbert’s Militant Historiography on the Malabar Rites Controversy
Il misterioso Filippi. Gottfried Philipp Spannagel zwischen den italienischen Staaten und der Habsburgermonarchie
Cluny and Benedictine Erudition in Early Modern France. Political Issues and Monastic Reform
Histoires de la grâce. „Semi-pélagiens” et „prédestinatiens“ dans l’érudition ecclésiastique du XVIIe siècle
Peiresc and the Benedictines of Saint-Maur. Further Thoughts on the „Ethics of the Historian“
(Heiligen-)Geschichte als Streitfall. Die Acta sanctorum und Mabillons Epistola de cultu sanctorum ignotorum und die römische Zensur
Vom Ding zum Denkmal. Überlegungen zur Entfaltung des frühneuzeitlichen Antiquarianismus
„Ausweitung der Diskurszone“ um 1700. Der Angriff des Barthélémy Germon auf die Diplomatik Jean Mabillons
Im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges: Leibniz bringt seine historischen Kollektaneen zum Einsatz
Der „Unglaube entstellt den Ruhm“. Ezechiel Spanheim kommentiert Julian Apostata (ca. 1660–1696)
Ursprünge und Anfänge, immer wieder. Zu unterschiedlichen Formen der Historizität in der deutschen Rechtsgeschichte des 18. Jahrhunderts
Der Normannenstreit als Gründungsschlacht der russischen Geschichtsschreibung. Zur Poetik wissenschaftlicher Anfangserzählungen
Epilogue
Abbildungsverzeichnis
Register
Abbildungen

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Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession

Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession Herausgegeben von Thomas Wallnig, Thomas Stockinger, Ines Peper und Patrick Fiska

De Gruyter

ISBN 978-3-11-025918-6 e-ISBN 978-3-11-025919-3 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress %LEOLRJUD¿VFKH,QIRUPDWLRQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRWKHN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation LQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRJUD¿HGHWDLOOLHUWHELEOLRJUD¿VFKH'DWHQ sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Satz: Dr. Rainer Ostermann, München Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen f Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Der vorliegende Band enthält die Ergebnisse der Tagung „Historia als Kultur. Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession“, die vom 23. bis zum 25. September 2010 an der Universität Wien abgehalten wurde. Veranstaltet und organisiert wurde die Tagung von den unterzeichneten Mitgliedern des Start-Projekts „Monastische Aufklärung und die Benediktinische Gelehrtenrepublik“ (Y-390) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung sowie dem Institut für Geschichte der Universität Wien. Als Sponsoren der Tagung fungierten darüber hinaus das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, die Kulturabteilungen von Land Niederösterreich und Stadt Wien, das Rektorat sowie das Dekanat der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Die Drucklegung des Bandes wurde aus den Mitteln des FWF-StartProjekts finanziert, und die Unterzeichneten danken Frau Julia Brauch, Herrn Andreas Brandmair (Verlag De Gruyter, München) sowie Herrn Rainer Ostermann (Satz) für die gute Zusammenarbeit. Wien, im Februar 2012 Thomas Wallnig, Thomas Stockinger, Ines Peper, Patrick Fiska

Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Historia als Kultur – Einführung Patrick Fiska ࣓ Ines Peper ࣓ Thomas Stockinger ࣓ Thomas Wallnig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Terra sacra – terra sancta. Territorium und Kirche in der oberdeutschen Historiographie des 17. und 18. Jahrhunderts Alois Schmid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Katholische Historiographie im 17. Jahrhundert – was war vor Pez? Stefan Benz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Amand Pachlers Vita des Hl. Vitalis (1663) und die Wurzeln benediktinischer Geschichtsschreibung im Umfeld der Salzburger Universität Barbara Lawatsch Melton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Erinnern als Kulturtechnik: Klosterarchive im Barock Helga Penz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Vom gesponß, seiner schönen braut und dem Freisinger neuen Jerusalem. Wie Fürstbischof Eckher, der Benediktiner Meichelbeck und die Brüder Asam mit der Kunst der Überzeugung Geschichte darstellten Uta Coburger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 War Karl Meichelbeck ein „deutscher Mauriner“? Thomas Stockinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Die Deckenmalereien der Stiftskirche Melk oder die Visualisierung von Ordensgeschichte als Manifestation kirchenpolitischer Ansprüche Werner Telesko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

VIII Inhalt Ordensgeschichte als Kulturgeschichte? Wissenschaftshistorische Überlegungen zur Historizität in der benediktinischen Geschichtsforschung des 18. Jahrhunderts Thomas Wallnig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Ecclesia als Objekt der Historiographie. Ekklesiologie, theologische Erkenntnis und Historiographie bei römischen Kirchenhistorikern im 18. Jahrhundert Bernward Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 „Les meilleures causes embarrassent les juges, si elles manquent de bonnes preuves“: Père Norbert’s Militant Historiography on the Malabar Rites Controversy Paolo Aranha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Il misterioso Filippi. Gottfried Philipp Spannagel zwischen den italienischen Staaten und der Habsburgermonarchie Elisabeth Garms-Cornides ࣓ Fabio Marri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Cluny and Benedictine Erudition in Early Modern France. Political Issues and Monastic Reform Daniel-Odon Hurel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Histoires de la grâce. „Semi-pélagiens“ et „prédestinatiens“ dans l’érudition ecclésiastique du XVIIe siècle Jean-Louis Quantin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Peiresc and the Benedictines of Saint-Maur. Further Thoughts on the „Ethics of the Historian“ Peter N. Miller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 (Heiligen-)Geschichte als Streitfall. Die Acta sanctorum und Mabillons Epistola de cultu sanctorum ignotorum und die römische Zensur Andreea Badea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Inhalt

IX

Vom Ding zum Denkmal. Überlegungen zur Entfaltung des frühneuzeitlichen Antiquarianismus Jan Marco Sawilla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 „Ausweitung der Diskurszone“ um 1700. Der Angriff des Barthélémy Germon auf die Diplomatik Jean Mabillons Mark Mersiowsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges: Leibniz bringt seine historischen Kollektaneen zum Einsatz Nora Gädeke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Der „Unglaube entstellt den Ruhm“. Ezechiel Spanheim kommentiert Julian Apostata (ca. 1660–1696) Sven Externbrink. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Ursprünge und Anfänge, immer wieder. Zu unterschiedlichen Formen der Historizität in der deutschen Rechtsgeschichte des 18. Jahrhunderts Colin F. Wilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Der Normannenstreit als Gründungsschlacht der russischen Geschichtsschreibung. Zur Poetik wissenschaftlicher Anfangserzählungen Konstantin Kaminskij . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Epilogue Anthony Grafton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619

Historia als Kultur – Einführung Patrick Fiska – Ines Peper – Thomas Stockinger – Thomas Wallnig „In the years around 1700, a roomy but fragile imaginary mansion housed the citizens of the Republic of Letters. Scattered geographically from Edinburgh to Naples, they were connected intellectually by their shared passion for the central issues of the day: Newton’s physics, Locke’s politics, the chronology of ancient Egypt, and the mythology of ancient Greece. Touchy, alert, and fascinated by learned gossip, they scanned the new review journals for every reference to their own work or that of their friends and enemies. Public arguments repeatedly flared up. Many of those who dwelled in this ample new house of learning feared that it was in danger of going up in flames. And no one tried more systematically to resolve these conflicts than Jacob Perizonius, professor of ancient history at Franeker and Leiden. Perizonius […] did his best to show that a sensible historian could rescue the early histories of Egypt, Babylon, and Rome from the attacks of historical skeptics, without making dogmatic assertions of the reliability of ancient writers. He tried to save as much as he could of the Greek and Latin writers’ fides historica, even as a new set of writers sharpened a new set of weapons and prepared to mount a merciless attack on the scholarly and rhetorical traditions he held dearest“1. Mit diesen Worten beginnt Anthony Grafton sein Buch „What was History“, das von der Geschichte der ars historica und mithin vom kritischen Umgang der frühneuzeitlichen Geschichtsforschung mit dem antiken Erbe erzählt – einem Erbe, dessen Bedeutung für Selbstverständnis, Topen- und Stilrepertoire des Humanismus eine kritische Sichtung der Referenzgegenstände notwendig machte. Eine vergleichbare Notwendigkeit ergab sich – zwar nicht erst im 16. Jahrhundert, von da an jedoch mit einer neuen Dynamik – auch für die religiösen Grundlagen des christlichen Abendlandes: für Bibel, Kirchenväter und -lehrer, Kirchenrecht und Hagiographie. Im Gegensatz zu den antiken Autoren war hier jedoch die Tradition in die lebendige politische und sakrale Praxis von Institutionen hineinverwoben, allen voran in die der Kirchen. Historische 1

Anthony GRAFTON, What Was History? The Art of History in Early Modern Europe (Cambridge et al. 2007) 1f. – Die Verfasserin und die Verfasser danken Brigitte Mazohl und Lukas Wolfinger für die kritische Lektüre des Manuskripts.

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Kritik an ihren Grundlagen musste diese Institutionen in ihrer Legitimität und Identität treffen, freilich mit variierender politischer Unmittelbarkeit: Ein Infragestellen der biblischen Chronologie war nicht vergleichbar mit einem bellum diplomaticum um die Echtheit einer Gründungsurkunde. In seinem Text „Memoria als Kultur“, der Einleitung zu dem gleichnamigen Tagungsband von 1995, skizziert Otto Gerhard Oexle für Mittelalter und Frühe Neuzeit Konzepte der Erinnerungskultur im Sinne der Identität stiftenden Vergegenwärtigung von Vergangenem. „Memoria“ wird als eine politische und zugleich sakrale Kulturerscheinung aufgefasst, Erinnerung und somit Geschichte als Aspekte einer breit gedachten politischen und gesellschaftlichen Praxis2. „Der Begriff der ‚Kultur‘ wird […] im Sinne einer Historischen Kulturwissenschaft verstanden. Das heißt: Er bezieht sich auf die Denkformen, Mentalitäten und geistigen Haltungen von Individuen und Gruppen sowie auf die aus ihnen resultierenden Formen des sozialen Handelns, aus dem schließlich wiederum objektive Hervorbringungen entstehen, nämlich literarische und künstlerische Werke, Symbole, Sprachen, Lebensformen, Rituale und Institutionen“3. Obwohl Oexle mit einem nach der Praxis hin offenen Kulturbegriff operiert, erscheinen bei ihm „Memoria“ und „Historiographie“ als aufeinander bezogene, jedoch getrennt gedachte Größen4; und die für die moderne Geschichtswissenschaft postulierte Distanz zum Lebensweltlichen5 wird für die früheren Epochen nicht zum Thema gemacht. Das hat seine Berechtigung für einen Zeitpunkt, als sich die Betrachtung politischer und gelehrter Tätigkeit aus der Perspektive symbolischer Kommunikation und konzeptionellen Handelns erst allmählich als Forschungsparadigma zu etablieren begann. Gemäß einem solchen Zugang wäre nun aber auch „Historia“, in ihrer weitesten Bedeutung und unter Einschluss aller gelehrten und wissenschaftlichen Aspekte, als Kulturerscheinung zu interpretieren. Wenn sich „Medien- und Kommunikationsgeschichte“ sowie „Wissens- und Wissenschaftsgeschichte“ heute zu den Teilgebieten kulturhistorischer Forschung, „Gedächtnis und Erinnerung“ zu ihren Themenfeldern rechnen dürfen6, so ist „Historia“, abhängig von der jeweiligen Betrachtung und Definition, in deren Schnittmenge zu verorten. Historische Gelehrsamkeit ist denn auch selbst mit politischen, sakralen und medialen Ansprüchen 2

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Otto Gerhard OEXLE, Memoria als Kultur, in: Memoria als Kultur, hg. von Otto Gerhard OEXLE (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121, Göttingen 1995) 9–78. Otto Gerhard OEXLE, Vorwort, in: Memoria als Kultur (wie Anm. 2) 7. OEXLE, Memoria als Kultur (wie Anm. 2) 40. OEXLE, Memoria als Kultur (wie Anm. 2) 16–18. Wolfgang E. J. WEBER, Einleitung und allgemeiner Überblick, in: Grundfragen der Kulturgeschichte, hg. von Silvia Serena TSCHOPP–Wolfgang E. J. WEBER (Kontroversen um die Geschichte, Darmstadt 2007) 1–23, hier 14, 15, 18.

Historia als Kultur – Einführung

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und Vorgaben durchwoben: vom Zugang zu den Archivarkana über die Wahl von Format und Papier, die Schaffung der Lebensgrundlagen für die Forschenden, die Zueignung und Beeinspruchung von Werken bis hin zu allen Fragen der Zensur und Bekämpfung von Geschichtsdarstellungen. In jedem Akt historischer Gelehrsamkeit schwingt – neben dem Wissen um die einschlägigen artes – auch das implizite Wissen um erwünschte und unerwünschte Bilder der Vergangenheit mit. Es fällt nun auf, dass – jedenfalls in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft – die Auseinandersetzung mit der Verbindung von frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit und Politik im Sinne politischer Kommunikation bisher eher wenig Beachtung gefunden hat7. Mehr Aufmerksamkeit wurde diesem Themenkomplex etwa für das Mittelalter zuteil. So wurde im Zuge der Analyse von Kommunikation und Herrschaftsrepräsentation sowie der Decodierung von Ritualen, Zeichen und Symbolen auch die Verflechtung der politischen und sozialen Praxis mit Historiographie erhellt8. Die im Vergleich zu 1700 eingeschränkte empirische Quellenlage für das Mittelalter mag hier sogar die Aufmerksamkeit für Phänomene gegenseitiger Beeinflussung von Politik und Historiographie befruchtet haben. Die starke Abhängigkeit der Mediävistik von historiographischen Zeugnissen9 machte jedenfalls in diesem Forschungsfeld eine tiefergehende Reflexion und die 7

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Einen anschaulichen Überblick über Historiographie an europäischen Höfen im Spannungsfeld von Gelehrsamkeit und Politik bietet etwa der Sammelband: Historiographie an europäischen Höfen (16. – 18. Jahrhundert). Studien zum Hof als Produktionsort von Geschichtsschreibung und historischer Repräsentation, hg. von Markus VÖLKEL–Arno STROHMEYER (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 43, Berlin 2009). Vgl. etwa Gerd ALTHOFF, Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter (Darmstadt 2003); Hans-Werner GOETZ, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis Mediaevalis 1, Berlin 1999). Vgl. z. B. Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter (Darmstadt 2003) 187: „Die Konzentration auf historiographische Texte, wie sie in den Untersuchungskapiteln vorherrscht, ergab sich also ganz zwangsläufig aus der Tatsache, dass diese in den untersuchten Jahrhunderten die meisten und die detailliertesten Nachrichten über rituelles Tun liefern. Mit der vorrangigen Benutzung dieser Quellengattung verbunden ist das Problem, inwieweit die jeweilige Darstellung des Geschehens mit dem tatsächlichen Geschehen deckungsgleich ist bzw. wie viel Verformung, Perspektivierung, Fiktionalisierung der einzelne Bericht enthält. Zu lösen ist dieses Problem in vielen Einzelfällen nicht – zumindest nicht mit ausreichender Sicherheit. Dies ist in moderner Methodendiskussion zu Recht hervorgehoben worden. Der hieraus resultierenden Aporie entkommt man jedoch dadurch, dass unabhängig davon, ob sich das Berichtete tatsächlich so zugetragen hat, schon der Bericht als solcher Zeugnis davon geben kann, welche Vorstellungen über richtiges oder falsches Verhalten existierten“.

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Patrick Fiska – Ines Peper – Thomas Stockinger – Thomas Wallnig

Erforschung der unterschiedlichsten Ebenen von Geschichtsschreibung unumgänglich – von der traditionellen Quellenkritik über die verschiedenen turns bis hin zu der auch für die Zeit um 1700 bedeutenden Untersuchung der Rezeptionsgeschichte, was stets auf solider handschriftenkundlicher Basis zu erfolgen hat10. Eine weitere Epoche, für die der Zusammenhang von Politik und Historiographie mittlerweile deutlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist, ist das 19. Jahrhundert, und darin insbesondere der Zusammenhang von nationalstaatlichem Paradigma und nationaler Geschichtsschreibung11. Freilich kann mit Barbara Stollberg-Rilinger auch für die Vormoderne von einer „Kulturgeschichte des Politischen“ gesprochen werden12, die es aber nun eben um den Aspekt der Gelehrsamkeit zu erweitern gilt; und dass – von der anderen Seite perspektiviert – zugleich „Geschichtsschreibung“ als Prozess im Spannungsfeld von Verhaltenscodices der res publica literaria, des Hofes, der Stadt, der kirchlichen Hierarchien und anderer sozialer Felder zu betrachten ist, kann ebenfalls als Ergebnis verschiedener rezenter Forschungen angesehen werden. Eine kurze Vorstellung dieser jüngeren Forschungen in der Form, wie sie für die Konzeption des vorliegenden Bandes von Bedeutung waren, hat jedoch ihren Ausgang zu nehmen von einer genaueren Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Facetten und Begrifflichkeiten vormoderner historischer Erudition, und hier wiederum bei einer klareren Bestimmung des Begriffs historia. Der 2005 erschienene, von Gianna Pomata and Nancy G. Siraisi herausgegebene Sammelband „Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe“ geht der in der Wissenschaftsgeschichte oft nicht ausreichend beachteten, weit über den historiographischen Bereich hinausgehenden Vielfältigkeit des Begriffs historia in der Frühen Neuzeit nach13. Neben der 10 Beispielhaft für die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Historiographie etwa die langjährigen Forschungen von Bernard Guenée, die bereits in den 1970er Jahren begannen. 11 Vgl. etwa für Deutschland, Italien und Österreich den Sammelband: Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs, hg. von Hans Peter HYE–Brigitte MAZOHLWALLNIG–Jan Paul NIEDERKORN (Zentraleuropa-Studien 12, Wien 2009). 12 Barbara STOLLBERG-RILINGER, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hg. von Barbara STOLLBERGRILINGER (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 35, Berlin 2005) 9–24; vgl. auch Achim LANDWEHR, Diskurs – Macht – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen. Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003) 71–117. 13 Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe, hg. von Gianna POMATA–Nancy G. SIRAISI (Transformations: Studies in the History of Science and Technology, Cambridge [Massachusetts]–London 2005).

Historia als Kultur – Einführung

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durch die spätere strikte Separierung der Natur- und Geisteswissenschaften in den Hintergrund gedrängten Bedeutung als historia naturalis stellte historia in der Bedeutung „Fallgeschichte“ auch einen zentralen Fachbegriff in Medizin und Jurisprudenz dar. Die in dem Band versammelten Beiträge erweisen historia als einen Schlüsselbegriff frühneuzeitlicher intellektueller Praxis, der, heutige Fächergrenzen mühelos überbrückend, eine Aufwertung und Integration empirischer Zugangsweisen innerhalb des gelehrten Buchwissens ermöglichte. Für die im Kontext des vorliegenden Bandes vor allem interessierende Entwicklung der Geschichtswissenschaft sind hier verschiedene Aspekte von Relevanz: so die Herausbildung des Konzepts der Tatsache (factum) unter anderem auf Grund von Anregungen aus der Rechtswissenschaft, oder die vielfältigen Bezüge zwischen antiquarischer und „naturgeschichtlicher“ frühneuzeitlicher Sammlungstätigkeit. Vor allem aber erhält auch die langsame Herausbildung einer kritischen historischen Methode einen wesentlich erweiterten Kontext. Diese langsame Wandlung der artes historicae von einer vor allem rhetorischen zu einer hauptsächlich empirisch zu fundierenden Disziplin lotet innerhalb des „Historia“-Sammelbandes insbesondere Anthony Graftons Beitrag am Beispiel frühneuzeitlicher Kontroversen über die Werke des römischen Historiographen Quintus Curtius Rufus aus14. Grafton hat diese Analyse seither in seinem eingangs zitierten „What Was History?“ ausgebaut und vertieft. Gerade die im Rahmen dieses Bandes zentralen Jahrzehnte um 1700 erscheinen dabei als Kulmination und Krise eines Umbruchs in der Epistemologie der Erforschung und Darstellung von Geschichte, der sich bereits seit der Renaissance vorbereitete. Die Verschiebung des Anspruchs an Historiographie von belehrender rhetorischer Wirkung zu überprüfbarer Faktizität, der eine Änderung oder zumindest Umgewichtung des Wahrheitsbegriffs zugrunde lag, war nur die eine Komponente hiervon; ihr gegenüber stand die Debatte um die Möglichkeit der Einlösung dieses Anspruchs. Ob und wie man zu gesichertem Wissen über die Vergangenheit überhaupt gelangen konnte, war gegen die Standpunkte einer bis zum Pyrrhonismus reichenden historischen Skepsis, wie sie von Markus Völkel oder Carlo Borghero beschrieben worden ist15, erst 14 Anthony GRAFTON, The Identities of History in Early Modern Europe: Prelude to a Study of the Artes Historicae, in: Historia (wie Anm. 13) 41–74. 15 Markus VÖLKEL, „Pyrrhonismus historicus“ und „fides historica“. Die Entwicklung der deutschen historischen Methodologie unter dem Gesichtspunkt der historischen Skepsis (Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 313, Frankfurt am Main–Bern–New York 1987); Carlo BORGHERO, La certezza e la storia. Cartesianismo, pirronismo e conoscenza storica (Milano 1983); vgl. auch Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer

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in Theorie und Praxis zu erweisen. Zu den zentralen Begriffen dieser Debatte gehörte jener der critica, der von verschiedenen Seiten beansprucht und je nach ihren Zielsetzungen definiert, gebraucht und umgesetzt wurde. Um 1700 gelangte er zu einer Ausformung, die bereits in wesentlichen Punkten der später lange Zeit und in vielem bis heute akzeptierten Vorstellung und Praxis von „historischer Kritik“ entsprach16. Diese schöpferische Krise der historischen Gelehrsamkeit schreibt sich ein in jenen umfassenderen Umbruch, den Paul Hazard vor zwei Generationen als „crise de la conscience européenne“ umschrieb. Hatte bereits Hazard einer neuen Textkritik einen Platz als eine der Komponenten dieser Bewusstseinsveränderung – neben der „nouvelle philosophie“ oder der „révolution dans la science“ – eingeräumt17, so ist die Parallele zwischen der Entwicklung der naturwissenschaftlichen und jener der historisch-kritischen Methode etwa von Krzysztof Pomian nachdrücklich dargelegt worden18. Jonathan Israel greift diese Überlegung in seiner vor wenigen Jahren erschienenen Darstellung „Enlightenment Contested“ auf und spricht von einer „critical revolution“ als von einem integrativen und mitentscheidenden Bestandteil des Gesamtphänomens der Aufklärung, der allerdings im Vergleich zu dessen philosophischen und naturwissenschaftlichen Ausprägungen bislang in seiner Bedeutung unterschätzt und entsprechend wenig erforscht worden sei19. Ist eine solche Forschungslücke schon auf gesamteuropäischer Ebene zu konstatieren, so macht sie sich in der deutschen Historiographiegeschichte und namentlich in jener des katholischen süddeutschen Raumes umso schmerzlicher bemerkbar20.

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Versuch (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 131, Tübingen 2009) 628–752; sowie das von Gisela Schlüter zusammengestellte Themenheft „Historischer Pyrrhonismus“ in: Das achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 31/2 (2007). Vgl. Benedetto BRAVO, Critice in the Sixteenth and Seventeenth Centuries and the Rise of the Notion of Historical Criticism, in: History of Scholarship. A Selection of Papers from the Seminar on the History of Scholarship Held Annually at the Warburg Institute, hg. von Christopher R. LIGOTA–Jean-Louis QUANTIN (OxfordWarburg Studies, Oxford–New York 2006) 135–195. Paul HAZARD, La crise de la conscience européenne (1680–1715) (Paris 1935) 184–202; die beiden zitierten Begriffe ebd. 65f. Krzysztof POMIAN, L’histoire de la science et l’histoire de l’histoire. Annales. Économies Sociétés Civilisations 30 (1975) 935–952. Jonathan I. ISRAEL, Enlightenment Contested. Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man 1670–1752 (Oxford et al. 2006) 409f. Vgl. etwa Ulrich MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus (München 1991); Markus VÖLKEL,

Historia als Kultur – Einführung

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Verbunden mit der Frage nach dem Wandel der Erkenntnisgrundlagen der Geschichtsschreibung ist jene nach ihrer Konstituierung als eigenständige Disziplin mit wissenschaftlichem Anspruch – oder, breiter und weniger teleologisch formuliert, nach der Entwicklung ihres Verhältnisses zu anderen Bereichen der Gelehrsamkeit. Neben der angesprochenen Beziehung von Geschichte und Rhetorik sind dabei vor allem ihre Verbindungen zu Religion und Theologie einerseits, zu Jurisprudenz und Politik andererseits in den Blick zu nehmen. Diese Bereiche lieferten nicht nur einen großen Teil der Anlässe und Anreize zu historiographischer Betätigung, sondern vielfach auch methodisches und argumentatives Rüstzeug. Für die religiöse Sphäre reicht dies von der Makroebene der universellen Kirchengeschichte, deren Rolle für die konfessionelle Identitätsbildung unter anderen Irena Backus21, Alexandra Kess22 oder Matthias Pohlig23 für die protestantische, Stefan Benz24 für die katholische Seite dargelegt haben, bis zur lokalen Ebene der Geschichte einzelner kirchlicher Institutionen oder der partikularen Hagiographie, wie sie namentlich Simon Ditchfield für Italien untersucht hat25. In ähnlicher Weise umfasst die Beziehung zwischen „Jus und Historie“ Ebenen von jener des Völker- und Reichsrechts, die Notker Hammerstein unter dem eben zitierten Titel abhandelte26, bis zu jener der bella diplomatica um die Reichsfreiheit der Stadt Köln oder die Privilegien des Lindauer Damenstifts27. Gerade im Falle kirchlicher Institutionen wird freilich auch

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Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive (Uni-Taschenbücher 2692, Köln–Weimar–Wien 2006). Irena BACKUS, Historical Method and Confessional Identity in the Era of the Reformation (1378–1615) (Studies in Medieval and Reformation Thought 94, Leiden– Boston 2003). Alexandra KESS, Johann Sleidan and the Protestant Vision of History (St. Andrews Studies in Reformation History, Aldershot–Burlington [Vermont] 2008). Matthias POHLIG, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617 (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 37, Tübingen 2007). Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003). Simon DITCHFIELD, Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy. Pietro Maria Campi and the Preservation of the Particular (Cambridge Studies in Italian History and Culture, Cambridge et al. 1995). Notker HAMMERSTEIN, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert (Göttingen 1972). Hans-Jürgen BECKER, Diplomatik und Rechtsgeschichte. Conrings Tätigkeit in den Bella Diplomatica um das Recht der Königskrönung, um die Reichsfreiheit der Stadt Köln und um die Jurisdiktion über die Stadt Lindau, in: Hermann Conring (1606–1681). Beiträge zu Leben und Werk, hg. von Michael STOLLEIS (Historische Forschungen 23, Berlin 1983) 335–353.

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die Verwobenheit religiöser und juristischer Fragen miteinander und mit politischen Motiven deutlich; die methodologische Weiterentwicklung und teilweise Verselbständigung der Geschichtswissenschaft mit einer Emanzipation von politischer und sozialer Interessegeleitetheit gleichzusetzen, wie dies noch vor wenigen Jahrzehnten möglich schien28, erweist sich in dieser Betrachtung als ebenso sachlich inadäquat wie wenig hilfreich. Vielmehr sind die epistemologischen und methodologischen Aspekte historischen Forschens und Schreibens als Komponenten einer Praxis zu sehen, die ihrerseits nicht außerhalb ihres sozialen Kontexts verstanden werden kann. Ein weiterer Aspekt der Bezüge zu und der Abgrenzung gegen andere Teilbereiche der Gelehrsamkeit ist die Frage nach dem Verhältnis zum Konzept des Antiquarianismus. Die seit Arnaldo Momigliano klassisch gewordene Bestimmung dieser Unterscheidung29 ist zuletzt mit Recht in einigen Punkten neu zur Diskussion gestellt worden. Der zeitgenössische Sprachgebrauch erweist sich als vielschichtig. Während historia und auch das davon abgeleitete lateinische Adjektiv, wie bereits angedeutet, eine breite Vielfalt von Anwendungsbereichen und entsprechend variierende Bedeutungen aufweisen, zeigt die Substantivierung dieses Adjektivs einen engeren, distinktiven Gebrauch: Ein Gelehrter, der ein historicus ist, befasst sich um 1700 tendenziell mit Zeitgeschichte, wogegen kritische Sichtung historischen Materials dem antiquarius oder criticus obliegt30. Die geschilderte Verwobenheit von Methodologie, Aufgabenstellung, Fächerkanon und institutionellem Umfeld verweist des Weiteren auf die Notwendigkeit, den Prozess historischer Betätigung selbst und damit das „Labor“ frühneuzeitlicher Geschichtsforscher deutlicher in den Blick zu nehmen. Einen ersten Schritt hin zur Anwendung solcher neueren wissenschaftsgeschichtlichen Ansätze, etwa jener von Bruno Latour, auf Kontexte der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit boten 2001 Martin Mulsow und Helmut Zedelmaier in dem Sammelband „Praktiken der Gelehrsamkeit“31. Hier geht es erstmals um das „Funktionieren“ des gelehrten Tuns und um einzelne 28 Vgl. etwa Andreas KRAUS, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung. Historisches Jahrbuch 88 (1968) 54–77. 29 Arnaldo MOMIGLIANO, Ancient History and the Antiquarian. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13 (1950) 285–315. 30 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 15) 259; vgl. VÖLKEL, Geschichtsschreibung (wie Anm. 20) 204f. 31 Helmut ZEDELMAIER–Martin MULSOW, Einführung, in: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Helmut ZEDELMAIER–Martin MULSOW (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 64, Tübingen 2001) 1–7; der Verweis auf Latour ebd. 7. Auch im Bereich der Wissenschaftsgeschichte lag und liegt der Akzent deutlicher auf dem 19. und 20. Jahrhundert.

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Arbeitsschritte wie „Lesen“, „Edieren“, „Kommunizieren“ und „Zensieren“; eine Herangehensweise, die sich auch in der Konzeption der von Susanne Rau, Birgit Studt, Stefan Benz, Andreas Bihrer, Jan Marco Sawilla und Benjamin Steiner herausgegebenen Quellenanthologie „Geschichte schreiben“ widerspiegelt32. Geht man den Schritt weiter von der gelehrten Praxis zum sozialen Handeln, so sind die Arbeiten von Marian Füssel zu „Gelehrtenkultur als sozialer Praxis“33, von Anne Goldgar zu „Conduct and Community“34 oder von Saskia Stegeman zu „Patronage and Service in the Republic of Letters“35 zu erwähnen. Eng verbunden mit diesem practical turn in der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeitsgeschichte ist innerhalb der Historiographiegeschichte die Anwendung eines weiter gefassten Konzeptes von „Geschichtskultur“ und „Geschichtsbewusstsein“, in deren Kontext frühneuzeitliche Geschichtsschreibung gesetzt wird. Stefan Benz hat dies folgendermaßen ausgedrückt: „Geschichtsschreibung kann daher nicht durch einen Ort in der Wissenschaft definiert werden, sondern ist eine soziale und intellektuelle Praxis des menschlichen Lebens, von der dann verschiedenste Wissenschaften wiederum abhängen mögen. Ausgangspunkt und Primärzweck ist jedoch die Arbeit des Geschichtsbewußtseins im Gedächtnis von Individuen oder Kollektiven; und Historiographie ist im übrigen nur eine der möglichen Manifestationen und Phänomene dieser anthropologisch-mentalitätsgeschichtlichen Konstante“36. Zum einen ist damit also eine Befreiung aus dem engeren Korsett der namens- und werkkonzentrierten Historiographiegeschichte verbunden, was bereits durchgeklungen ist; gleichzeitig wird dadurch bei der konkreten Forschungsarbeit Interdisziplinarität gleichsam zur Notwendigkeit, was sich auch in der Konzeption des vorliegenden Bandes niedergeschlagen hat. Was für die an der Quellenarbeit orientierte Forschung zur früh32 Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350–1750), hg. von Susanne RAU–Birgit STUDT–Stefan BENZ–Andreas BIHRER– Jan Marco SAWILLA–Benjamin STEINER (Berlin 2010). 33 Marian FÜSSEL, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst, Darmstadt 2006). 34 Anne GOLDGAR, Impolite Learning. Conduct and Community in the Republic of Letters 1680–1750 (New Haven–London 1995). 35 Saskia STEGEMAN, Patronage and Services in the Republic of Letters. The Network of Theodorus Janssonius van Almeloveen (1657–1712) (Studies of the Pierre Bayle Institute Nijmegen 33, Amsterdam–Utrecht 2005). 36 Stefan BENZ, Historiographie im Barock: Überlegungen zur frühneuzeitlichen Geschichtskultur, in: Departure for Modern Europe. A Handbook of Early Modern Philosophy (1400–1700), hg. von Hubertus BUSCHE–Stefan HEßBRÜGGEN-WALTER (Hamburg 2011) 622–640, hier 622.

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neuzeitlichen Historiographiegeschichte schon seit längerem naheliegend war – so kann z. B. ein barockes Freskenprogramm mit der Hausgeschichte eines Klosters ebenso eng verwoben sein wie mit der Predigt-Praxis –, erweist sich auf einer theoretischen Ebene, nämlich im Hinblick auf die (kulturalistische) Gedächtnisforschung, als durchaus umstürzlerisch; werden doch dabei die Konzepte von Maurice Halbwachs, Pierre Nora und noch Oexle, welche Geschichte und Gedächtnis trennten, mit einer aus der Forschungspraxis kommenden Souveränität revidiert beziehungsweise relativiert37. Kannte also die gelehrte Produktion des 18. Jahrhunderts mit Reinhart Koselleck viele Geschichten, aus denen später die Geschichte als Kollektivsingular werden sollte38, viele Geschichten eben nicht nur im institutionellen, sondern auch im medialen, politischen und kulturellen Sinn, so ist im Lichte des Gesagten für die Zeit um 1700 zugleich auch auf einer allgemeinen Ebene von Wissenschaft und Gelehrsamkeit eine Heterogenität, ein Nebeneinander von Lösungsansätzen für die intellektuellen Herausforderungen der damals neueren Zeit festzustellen. Diese Heterogenität kann auch konfessionell gedacht werden, und gerade weil die Meistererzählung vom „progressiven“ Protestantismus und „retrograden“ Katholizismus als überwunden gelten darf, so wird doch in den unterschiedlichen Handhabungen von Tradition – und damit von Erinnerung, Autorität und Geschichte – durch Protestanten und Katholiken ein heuristisches Konzept greifbar, mit dem auch im Hinblick auf das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit etwas beschrieben werden könnte, was Peter Hersche als „konfessionell verschieden geprägte Kulturen“39 bezeichnet hat. Inwiefern sich diesbezügliche Überlegungen freilich auf breiter Basis an den Quellen erhärten lassen, mögen künftige Studien zeigen. Ist mit dieser kurzen Vorstellung neuerer Forschungsansätze der theoretische Rahmen für den vorliegenden Band abgesteckt, so ist es zugleich wichtig, kurz auf den konkreten Forschungshintergrund einzugehen, vor dem sich dieser Zugang entwickelt hat. Alle nun vorgestellten Ansätze – Spielarten von historia innerhalb der Praktiken der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit, 37 Vgl. Susanne RAU, Erinnerungskultur. Zu den theoretischen Grundlagen frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung und ihrer Rolle bei der Ausformung kultureller Gedächtnisse, in: Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, hg. von Jan ECKEL–Thomas ETZEMÜLLER (Göttingen 2007) 135–170, insb. 142–145. 38 Reinhart KOSELLECK, Zeitschichten. Studien zur Historik (Berlin 2000) 29f.; vgl. Jan Marco SAWILLA, „Geschichte“: Ein Produkt der deutschen Aufklärung? Eine Kritik an Reinhart Kosellecks Begriff des „Kollektivsingulars Geschichte“. Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004) 381–428. 39 Peter HERSCHE, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter (2 Bde., Freiburg im Breisgau–Basel–Wien 2006) 2 892–924.

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gelehrtes Tun als soziales Handeln, Geschichtskultur und Erinnerungskultur als Schlüssel zu auch konfessionell denkbaren Formen von Historiographie und Wissenschaft – all diese Ansätze haben sich in den vergangenen Jahren an die Bearbeitung der gelehrten Korrespondenz zweier niederösterreichischer Benediktinermönche angelagert. Bernhard und Hieronymus Pez40 wurden schon zu ihren Lebzeiten im frühen 18. Jahrhundert mit den französischen Maurinern verglichen; ihre Teilhabe an dem zeitgenössischen Diskurs kritischer monastischer Gelehrsamkeit – einem Diskurs, der in Tegernsee ebenso produziert wurde wie in Leipzig, Florenz oder Paris – rückte sie in einen Kontext der europäischen Gelehrtenrepublik ebenso wie in den Zusammenhang des innerkatholischen Ringens um Tradition und Reform. Ziel der Brüder Pez war die kritische Herausgabe mittelalterlicher Quellen zur benediktinischen Ordensgeschichte sowie zur österreichischen Geschichte. Infolgedessen ist die Pez-Forschung aus einer vorderhand hilfswissenschaftlich perspektivierten Sicht auf die katholische Gelehrsamkeit der Vormoderne erwachsen. Das Bewusstsein für die religiöse und monastische Dimension ist im Laufe der Zeit ebenso hinzugetreten wie das Erkennen späthumanistischer Diskurse und Praktiken und eine Sensibilität für die unterschiedlichen politischen Dimensionen und Referenzfelder benediktinischer Geschichtsforschung: Kloster, Orden, Land, Dynastie, Staat, „Deutschland“, res publica literaria. Aus dieser Beobachtung geht das Bestreben hervor, historiographische Produkte stets parallel zu anderen kulturellen Äußerungen (Malerei, Plastik, Predigt, Theater etc.) als Teil einer umfassenderen „Geschichtskultur“ zu betrachten41. 40 Zu Bernhard Pez: Christine GLASSNER, Verzeichnis der im Nachlaß der Melker Historiker Bernhard und Hieronymus Pez erhaltenen Briefe. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 110 (1999) 195–243; Eduard Ernst KATSCHTHALER, Über Bernhard Pez und dessen Briefnachlass. Jahresbericht des k. k. Obergymnasiums zu Melk 39 (1889) 3–106; Thomas WALLNIG– Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010); Thomas WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien–München 2007). Vgl. auch die folgende Anmerkung. 41 Vgl. etwa Patrick FISKA, Zu Leben und Werk des Melker Benediktiners Anselm Schramb (1658–1720). Mit einer Edition seiner Briefkorrespondenz. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 122 (2011) 201௅306; Ines P EPER–Thomas WALLNIG, Ex nihilo nihil fit. Johann Benedikt Gentilotti und Johann Christoph Bartenstein am Beginn ihrer Karrieren, in: Adel im „langen“ 18. Jahrhundert, hg. von Gabriele HAUG-MORITZ–Hans-Peter HYE–Marlies RAFFLER (Zentraleuropa-Studien 14, Wien 2009) 167–185; Thomas STOCKINGER,

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Die Anwendung dieses Fragenkomplexes auf Fallstudien aus unterschiedlichen geographischen und konfessionellen Kontexten um 1700 gibt den Rahmen für den vorliegenden Band vor42. Ein erster Abschnitt behandelt den katholischen Süden des Reiches, vornehmlich Bayern und Österreich. Alois Schmid zeichnet in seinem Beitrag „Terra sacra – terra sancta“ das Bild eines historiographischen Genres, das, an humanistischen Vorbildern geformt, zu einem wichtigen Medium des katholischen Reformwillens der bayerischen Wittelsbacher im 17. Jahrhundert wurde. Eine zentrale Rolle spielten die Arbeiten des Jesuiten Matthäus Rader. Schmid arbeitet das Phänomen der kirchengeschichtlichen Territorialisierung ebenso heraus wie die enge Verbindung dieses Ansatzes mit jesuitischem Gedankengut, etwa hinsichtlich der Heiligenverehrung, und seine Verwobenheit mit den politischen Interessen der Auftraggeber, was jedoch einer Weiterentwicklung der wissenschaftlichen (Sammlung) und historischen Methodik (Kritik) nicht entgegenstand. Wiederholt spricht sich Schmid für die komplementäre Verwendung der Begriffe „Barock“ und „Späthumanismus“ im Hinblick auf den von ihm vorgestellten Bereich aus. Stefan Benz nähert sich dem Komplex der katholischen Historiographie um 1700 mit quantifizierenden Mitteln. Nach einer Präzisierung des Begriffs „Geschichtskultur“ nach Jörn Rüsen diskutiert Benz eine Tabelle, in welcher gedruckte und ungedruckte Werke der zwischen 1570 und 1680 geborenen Geschichtsschreiber und Geschichtsschreiberinnen nach Standes- und Ordenszugehörigkeit sowie nach geographischen Gesichtspunkten aufgegliedert werden. Die Analyse ergibt zum einen viele Konstanten über die Ordensgrenzen hinweg, etwa das Einbrechen der Produktion während des Dreißigjährigen Krieges, zugleich aber auch bemerkenswerte Detailergebnisse, wie die Beschränkung jesuitischer Dominanz auf die GeburtenjahrFactualité historique, preuve juridique, autorité patristique: stratégies d’argumentation dans les controverses érudites en milieu ecclésiastique, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 709–733; Thomas WALLNIG, Johann Georg Eckhart als Verwerter von Leibniz’ Kollektaneen: Geschichtsforscher in höfischen Diensten oder gelehrter Beamter? (im Druck; erscheint in dem Band zur Tagung „Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen“ [Wolfenbüttel 2007]). 42 Der folgende Text ist über weite Strecken wortgleich mit dem auf der Homepage des Start-Projekts im Oktober 2010 publizierten Tagungsbericht von Patrick Fiska, Ines Peper, Thomas Stockinger und Thomas Wallnig (www.univie.ac.at/monasti sche_aufklaerung [15. Oktober 2011]). Dieser Tagungsbericht wurde auch auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen in der BRD publiziert.

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gänge um 1600, die geringe, aber konstant vorhandene historiographische Betätigung weiblicher Ordensgeistlicher sowie die im Laufe des 17. Jahrhunderts erkennbare Schwerpunktverschiebung von Nordwesten (Rheinlande und Belgien) nach Südosten. Barbara Lawatsch Melton befasst sich in ihrem Beitrag mit der 1663 verfassten Vita des Salzburger Heiligen Vitalis von Amand Pachler, Abt des Klosters St. Peter zu Salzburg. Lawatsch Melton arbeitet zum einen die Konkurrenz zwischen Kloster und (adeligem) Domkapitel heraus, zum zweiten die mediale „Brücke zwischen Volksfrömmigkeit und Gelehrsamkeit“, die sich in der volkssprachlichen Divulgation des Werkes zeigte; schließlich die im Zusammenhang mit der Salzburger Benediktineruniversität stehenden traditionellen scholastischen Lehrformen, die Pachlers Auseinandersetzung mit Vitalis prägten. Zugleich konstatiert Lawatsch Melton jedoch auch neue methodische Impulse wie das Eingestehen von Überlieferungslücken, die Pachlers Werk schließlich auch für die Bollandisten und spätere Salzburger Historiker attraktiv machten. Helga Penz hingegen nähert sich der monastischen Geschichtsforschung aus der Perspektive des Klosterarchivs, mit Blick auf welches sie „Erinnern als Kulturtechnik“ analysiert. Indem Penz ein Panorama unterschiedlicher frühneuzeitlicher Ordensarchive in Österreich bietet, kann sie zeigen, wie Archive an der „Schnittstelle von Geschichtsschreibung und Geschäft“ standen. Sie illustriert weiters anhand einiger Beispiele, wie Ordnungs- und Verzeichnungstätigkeit oft mit historiographischer Betätigung und politischer Selbstvergewisserung zusammenhingen. Bedeutsam ist weiters der Hinweis auf „gelehrte“ Archivordnungen, die nicht der Verwaltungspraxis entsprangen (Lambach), ebenso wie auf Hausgeschichten, die in ihrer narrativen Struktur exakt die Archivordnung wiedergaben (Heiligenkreuz). Mit der barocken Umgestaltung des Freisinger Mariendoms unter Fürstbischof Eckher im frühen 18. Jahrhundert befasst sich Uta Coburger. Es geht ihr dabei einerseits um die politische Einordnung der „Eckherschen Renovatio“ als bewusste Abgrenzung gegenüber den Wittelsbachern, andererseits um die Multimedialität, durch welche das verfolgte Programm in Historiographie, Predigtliteratur und Freskierung zum Ausdruck gebracht wurde. Zentral und omnipräsent war die Polarität von Korbinian – dem heiligen Gründer des Bistums – und Eckher, der als Vollender inszeniert wurde. Der überlagerte romanische Dom wurde als „Braut“, die barocke Ausstattung als „Festkleid“ dargestellt, in welchem durch ein historisch-theologisches Konzept zugleich die Bistumsgeschichte visualisiert werden konnte. Mit dem benediktinischen Historiker in freisingischen Diensten Karl Meichelbeck beschäftigt sich Thomas Stockinger. Sein Anliegen ist es, die in der älteren Literatur rekurrente Apostrophierung Meichelbecks als „deutscher Mauriner“ zu hinterfragen und zu differenzieren. So zeigt Stockinger

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zum einen, dass Meichelbecks frühe Schriften kaum Affinität zur historisch-kritischen Methode aufwiesen und er auch keinen feststellbaren Kontakt zu den Maurinern pflegte, ja diese wegen ihrer jansenistischen Sympathien eher gemieden zu haben scheint. Zugleich kann Stockinger aber auch nachweisen, dass Meichelbeck sich im Zuge seiner Arbeit an der Historia Frisingensis intensiv und autodidaktisch mit Werken auseinandersetzte, die den historisch-kritischen Standard der Zeit spiegelten, und sein Werk schließlich auch an diesem Standard orientierte; was Meichelbeck, in Summe, freilich noch nicht zu einem „deutschen Mauriner“ machte. Wiederum aus kunstgeschichtlicher Perspektive befasst sich Werner Telesko mit der Freskierung der Stiftskirche zu Melk. Diese ist in engem Zusammenhang mit der Herrschaftsauffassung von Abt Berthold Dietmayr zu sehen und entstand eben zu jener Zeit, als die Brüder Pez ihre Forschungen betrieben. Telesko betont die beidseitige Lesbarkeit der Langhausfresken: aus der Perspektive der Gemeinde als Heilsentwicklung der ecclesia, im Sinne einer alten und mittleren Kirchengeschichte, die direkt aus der biblischen Geschichte hervorging; aus der Perspektive des Chores als Triumph und Apotheose des Hl. Benedikt, der mit Abt Dietmayr in eins gesetzt wurde. Bemerkenswert und für das zeitgenössische monastische Milieu untypisch war dabei der Anspruch einer universellen Kirchengeschichte, der durch die konsequente Verarbeitung des Motivs der ecclesia erhoben und in allen Details, auch unter Einbeziehung lokaler Traditionen, ausgeführt wurde. Thomas Wallnig zeigt in seinem Beitrag, dass konfessionelle Unterschiede im Umgang mit Tradition weit über den Bereich der Historiographie hinaus in das breitere Feld der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit hineinreichten. Die zentrale Frage ist, wie „neues“ Wissen und damit Devianz von der Vorstellung einer ecclesia semper eadem in das institutionell gebundene kirchenhistorische Bild von Geschichte integrierbar wurden. Wallnig argumentiert mit Beispielen aus der benediktinischen Geschichtsforschung in Richtung einer durch Devianz dynamisierten Narration, vergleichbar einem Paradigma von Entwicklung, auch in kirchenhistorischen, kanonistischen und philosophischen Kontexten; er versucht aber zugleich, die Zuordnung dieser Beobachtung zu einem Komplex „katholische Aufklärung“ kritisch zu hinterfragen. Der zweite Abschnitt des Bandes ist Themen aus Italien sowie dem Umfeld der Kurie gewidmet. Bernward Schmidt beleuchtet die von der Forschung oft vernachlässigten römischen Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts, die insbesondere im Umfeld der zahlreichen Akademien wirkten. Schmidt analysiert deren Umgang mit ecclesia im Zusammenspiel theologischer und historiographischer Gesichtspunkte und stellt auch im Rom des 18. Jahrhunderts eine Dynamisierung des Kirchenbegriffs durch die historische Methode fest. Grundlegend für die meisten römischen Kirchenhistoriker

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war die Auffassung der Kirchengeschichte als positiver Theologie; historische Kritik als allgemein anerkannte Methode sollte jedoch Fragen des Glaubens aussparen. Auseinandersetzungen zwischen positiver Theologie und spekulativer Scholastik oder um pyrrhonistische Geschichtsauffassungen wurden Schmidt zu Folge eher nicht publizistisch ausgetragen, fanden jedoch durchaus statt. Innovativ war beispielsweise Francesco Bianchinis Ansatz, schriftliche und dingliche Quellen in Zusammenschau zu nützen, um auf Basis aller erreichbaren Fakten zum bestmöglichen Ergebnis zu gelangen. Paolo Aranha stellt in seinem Beitrag mit Norbert von Bar-le-Duc (bekannt auch als Abbé Jacques Platel, Pierre Parisot, Pierre Curel oder Père Norbert) einen der schillerndsten Kontroversisten des 18. Jahrhunderts vor. Seinen Gegenstand, die katholische Missionsgeschichte in Indien, kannte der Kapuziner unter anderem aus eigener Erfahrung, da er von 1737 bis 1740 selbst als Missionar gewirkt hatte. Sein Stil der Geschichtsschreibung geriet trotz einer überwältigenden Fülle herangezogener Quellen zur erbitterten antijesuitischen Polemik im Rahmen des sogenannten Malabarischen Ritenstreits. Deshalb und auch aufgrund der unbefugten Verwendung von Akten aus dem Archiv der römischen Propagandakongregation gerieten mehrere seiner Publikationen auf den Index, und er selbst musste aus Rom fliehen, zunächst nach Holland, später England, bis er sich als Protegé des Marquês de Pombal in Portugal niederließ. Als Historiograph ist Norbert von Bar-le-Duc nur bedingt zu bezeichnen, sein Zugang zur Geschichte inklusive ihrer als „Beweise“ aufgefassten Quellen ist nach Aranha eher als der eines Juristen anzusehen. Elisabeth Garms-Cornides und Fabio Marri untersuchen in ihrem gemeinsamen Beitrag die frühen Jahre des pro-habsburgischen Publizisten und Historiographen Gottfried Philipp Spannagel (Pseudonym Goffredo di Filippi) auf Basis des Briefwechsels zwischen Spannagel und Lodovico Antonio Muratori. Die Briefe werfen viel neues Licht auf die historiographische Zusammenarbeit der beiden sowie die Förderung des jungen Spannagel durch Muratori. Spannagels immer dezidierterer habsburgfreundlicher Standpunkt, der sich auch in mehreren tagespolitischen Publikationen niederschlug, führte jedoch zunehmend zum Konflikt mit dem gegenüber zu großem habsburgischem Einfluss ablehnend eingestellten Muratori; für Spannagel ebneten freilich gerade diese Publikationen den Weg zu einer Karriere als Kustos der Hofbibliothek und Hofhistoriograph in Wien. Sein historiographischer und politischer Ansatz veraltete jedoch in der Ära Maria Theresias, weshalb die meisten seiner Arbeiten ungedruckt blieben, während das Lesepublikum Muratoris in Salzburg und Wien stetig wuchs. Der dritte Abschnitt zu Frankreich und den Niederlanden umfasst mithin auch die für die Entwicklung kirchlicher Historiographie so wichtigen

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Werkstätten der Mauriner und der Bollandisten. Der Beitrag von Daniel-Odon Hurel will aber gerade in Erinnerung rufen, dass das benediktinische Frankreich der Frühen Neuzeit nicht nur aus der Maurinerkongregation bestand. Er schildert das Verhältnis der Abtei Cluny und ihres Klosterverbandes zur Gelehrsamkeit, sowohl hinsichtlich eigener Arbeiten der Cluniazenser, in denen die historische Befassung mit Ordensnormen und Liturgie eine zentrale, weil identitätsstiftende Rolle einnahm, als auch hinsichtlich der Darstellung Clunys durch Auswärtige im Rahmen der Ordensgeschichte: gewissermaßen das Verhältnis von Cluny als benediktinischem lieu de mémoire und Cluny als realem Ort klösterlichen Lebens und kirchenpolitischer Auseinandersetzungen. Jean-Louis Quantin präsentiert in seinem Beitrag die historiographische Kontroverse zwischen Jansenisten und Antijansenisten, in der beide Seiten versuchten, Traditionslinien zu theologischen Konflikten in der Zeit des Augustinus sowie zum karolingischen Gnadenstreit herzustellen und dabei ihre jeweiligen Gegner in die Nachfolge damaliger (vorgeblich) häretischer Positionen einzuordnen. Rund um die Frage, ob es seit der Spätantike eine Sekte der „Prädestinarier“ gegeben habe, verstrickten sich jesuitische Gelehrte wie Jacques Sirmond und ihre jansenistischen Gegenspieler wie Gilbert Mauguin und Martin de Barcos in erbitterte Kontroversen, in denen die Auffindung, Herausgabe und Textkritik immer neuer Quellen zu den wichtigsten Kampfmitteln zählten. Einzelne Akteure schreckten auch vor Fälschungen nicht zurück wie der Oratorianer Jérôme Vignier; kaum eine der namhaften Persönlichkeiten der französischen Kirchengeschichtsschreibung von Mabillon bis zu Le Nain de Tillemont kam um eine Positionierung herum. Begriffsbildungen aus diesem Streit wirkten lange nach, etwa die in polemischer Absicht aufgebrachte Bezeichnung „Semipelagianer“, die erst von der jüngsten theologiegeschichtlichen Forschung nach gut dreihundert Jahren aufgegeben worden ist. Peter N. Miller hat im Anschluss an die Tagung einen Text beigesteuert, der sich mit dem Verhältnis des Antiquars Nicolas Fabri de Peiresc zur jungen Maurinerkongregation der 1620er Jahre befasst, und zwar in seiner Funktion als Kommendatarabt des Benediktinerklosters Notre Dame de Guîtres bei Bordeaux. Miller arbeitet anhand dieser Kontakte eine Verbindung zwischen Peirescs humanistischem Gelehrtenethos und Mabillons Ethik des Historikers heraus. Aus seit wenigen Jahren geöffneten römischen Archiven schöpft Andreea Badea in ihrem Aufsatz über die Verfahren gegen die Acta sanctorum der Bollandisten sowie gegen Mabillons Epistola de cultu sanctorum ignotorum vor der römischen Indexkongregation. Dabei zeigt sich einerseits ein grundsätzlicher Impuls, identitätswichtige Traditionen gegen Zweifel zu verteidigen und Neues schon wegen seiner Neuheit als schädlich einzustufen, etwa die Darstellungen der Acta sanctorum wegen ihrer Abweichungen

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gegenüber den Annales ecclesiastici von Cesare Baronio, die gleichsam den akzeptierten Kanon der Kirchengeschichte verkörperten; andererseits aber auch die Konterkarierung dieser Haltung durch vielfache persönliche und politische Rücksichtnahmen. Die kirchliche Autorität sah sich zu einer „schleichenden“ Erweiterung des Kanons akzeptierten Wissens genötigt. Jan Marco Sawilla setzt sich in seinem Beitrag kritisch mit dem Begriff des Antiquarianismus und seiner vermeintlichen Abgrenzung gegenüber dem Feld der Historiographie auseinander. Er versucht, das Phänomen des Antiquarianismus selbst auf einen Bedeutungs- und Medienwandel im Umgang mit Vergangenheit in der Zeit um 1600 zu beziehen, durch welchen „alte Dinge“ die Bedeutung „historischer Monumente“ annehmen und damit zum Gegenstand gelehrter Betätigung und öffentlichen Interesses werden konnten. Dies wird am Beispiel des Umgangs der Bollandisten mit den merowingischen Königsurkunden ausgeführt. Auf dieselbe gelehrte Auseinandersetzung bezieht sich auch Mark Mersiowsky, der die Kontroverse zwischen Papebroch, Mabillon und Germon nicht nur in hilfswissenschaftlich-inhaltlicher, sondern auch in mediengeschichtlicher Perspektive beleuchtet und anhand von Buchformat und Sprachgebrauch der Publikationen unterschiedliche Publika für den gelehrten Streit herausarbeitet. Zugleich reflektiert Mersiowsky kritisch die Geschichte der akademischen Diplomatik des 19. und 20. Jahrhunderts. Der vierte Abschnitt des Buches ist schließlich den protestantischen Teilen Deutschlands sowie Nord- und Nordosteuropa gewidmet. Im Beitrag von Nora Gädeke geht es um die Rolle von Gottfried Wilhelm Leibniz als Historiker im Spannungsfeld von politischen Aufträgen und res publica literaria. Gädeke zeigt dies anhand von Leibniz’ Korrespondenz mit dem Kanonikus zu Dijon Claude Nicaise, über dessen Vermittlung ihm nach und nach der Nachlass von Antoine Perrenot de Granvelles, einem einflussreichen Politiker unter Karl V. und Philipp II., zugänglich wurde. Leibniz gelang es, unter Berufung auf die Praktiken gelehrter Freundschaft und des Austauschs von nova literaria sowie unter dem Vorwand der curiosité an Quellen zu kommen, die er gezielt zur Verteidigung der habsburgischen Sache im Spanischen Erbfolgekrieg nutzbar machte – ein Bestreben, das nicht ohne Bezug zu seinem Interesse an einer Anstellung als Reichshofrat zu verstehen ist. Der Aufsatz von Sven Externbrink behandelt den vielseitigen Gelehrten und Diplomaten Ezechiel Spanheim, der sich ähnlich Leibniz zwischen Gelehrtenrepublik und Hof bewegte, etwa als Botschafter Brandenburgs in Frankreich und England. Externbrink stellt die langjährige Beschäftigung Spanheims mit den Werken des römischen Kaisers Julian dar, dem als letztem heidnischen Kaiser lange ein negatives Bild angehaftet hatte. Julians satirischer Cäsaren-Dialog wurde von Spanheim ins Französische übersetzt

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und erschien in mehreren Auflagen, von denen die Pariser Ausgabe 1683 auch im Kontext des Hofes von Versailles zu lesen ist. In Einleitung und Kommentar gelang es Spanheim, grundlegende numismatische und altertumskundliche Methoden in exemplarischer Weise zu entwickeln und einem breiten Publikum näher zu bringen. Colin F. Wilder präsentiert verschiedene Zugänge der Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts zur Vorstellung und Konstruktion eines „alten teutschen Rechts“. Wilder unterscheidet dabei antiquarische Argumente von solchen des Rechtstraditionalismus und Naturzustandsargumenten. Zum antiquarischen Zugang gehörte etwa die gelehrte Erforschung überkommener Rechtssprichwörter als Mittel der Erkenntnis alter Rechtspraktiken, die auch durch neue Anwendung rituell aktualisiert wurden; im Rechtstraditionalismus wurden aktuelle Rechtszustände der Frühen Neuzeit mithilfe alter Rechtsinstrumente legitimiert oder angefochten, etwa in der Abhandlung Justus Mösers zum Mühlenbann, der in direkter Linie von einem Regale der karolingischen Herrscher abgeleitet wurde. In derselben Schrift Mösers finden sich jedoch auch Argumentationen mit einem Naturzustand, die also der dritten Gruppe zuzurechnen sind, wobei sein Konzept eines Gesellschaftsvertrages im Gegensatz zu anderen wie Hugo Grotius, Thomas Hobbes oder John Locke nicht alle Individuen, sondern nur Machtträger vor Augen hatte. Wilder illustriert die Mehrschichtigkeit der Idee eines „ursprünglichen teutschen Rechts“ und unterstreicht dabei die Wirkmächtigkeit der drei Ansätze für die spätere Entwicklung der Geschichtswissenschaft wie der politischen Philosophie und Theorie. Konstantin Kaminskij stellt den im Zusammenhang mit der St. Petersburger Akademie zwischen dem offiziellen russischen Reichshistoriographen Gerhard Friedrich Müller und dem Chemieprofessor, Dichter und Reformer der russischen Sprache Michail Lomonosov entbrannten Streit um die so genannte „Normannentheorie“ dar. Nach dieser wurde der Name Rus’ von einem skandinavischen Wortstamm abgeleitet und die Anfänge der russischen Staatlichkeit und Kultur auf die „Normannen“ zurückgeführt. Während Lomonosovs Kritik an der „Normannentheorie“ durchaus (proto)nationale Elemente aufwies, ging es Müller eher um den Nachweis einer Zusammengehörigkeit der Anrainer-„Völker“ der Ostsee, die sich in den genealogischen Verbindungen der russischen Zaren und Zarinnen mit den Herzogen von Schleswig-Holstein-Gottorf und der schwedischen Königsfamilie spiegelte. Schließlich spielt bei Kaminskij auch die kritische Sichtung der Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Abgeschlossen wird der Band durch einen Kommentar von Anthony Grafton. Die redaktionellen Grundsätze dieses Bandes orientieren sich an den Richtlinien des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, ergänzt um Gepflogenheiten, die sich im Zuge der Arbeit an der Pez-Korrespondenz

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ergeben haben43. Dies hat unter anderem eine in der Regel weitgehende Normalisierung von Quellentexten und bibliographischen Angaben vor 1800 zur Folge. In einzelnen Fällen wurden begründete Ausnahmen von diesen Richtlinien zugelassen. Nicht zum Abdruck in diesem Band gelangen konnten die Tagungsbeiträge von Anthony Grafton und Mordechai Feingold. Grafton hatte in seinem Vortrag einen Überblick über das humanistische Erbe in der frühneuzeitlichen Kirchengeschichtsschreibung geboten, wobei er die Entstehung der historischen Kritik und bibliographischen Sammlungstätigkeit nachzeichnete und ihre Wechselwirkung betonte. Zugleich verdeutlichte er, dass auch die Humanisten klare Prioritäten hatten, wenn es um die Konstruktion konfessioneller Identitäten ging. Anhand der Frage nach jüdischen Traditionen im Neuen Testament konnte Grafton schließlich auch zeigen, dass gesicherte, auf philologischer Expertise basierende Erkenntnisse über die Konfessionsgrenzen hinweg Eingang in die Kirchengeschichte(n) finden konnten. Mordechai Feingold hatte in seinem Tagungsbeitrag die Schwierigkeiten vorgeführt, mit denen sich auch im protestantischen Bereich die Verfechter historisch-kritischer und philologisch-kritischer Methoden konfrontiert sahen. Als Beispiele dienten etwa John Selden und Johannes Drusius, denen – wie etwa bei William Whitaker – theologische Positionen gegenüberstanden, die an der Unumstößlichkeit und Wortwörtlichkeit der geoffenbarten Schrift festhielten. Da Gelehrsamkeit um ihrer selbst willen (noch) keine Kategorie darstellte, lag es nahe, Devianz als Häresie zu apostrophieren – was jedoch in keiner Weise den Intentionen und Selbstwahrnehmungen der angesprochenen Gelehrten entsprach. Anthony Grafton beendet sein eingangs zitiertes Buch „What was History“ mit dem Kapitel „Death of a Genre“44, in dem er das Aus-der-ModeKommen der ars historica beschreibt. Tatsächlich überlebte sich im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts nicht nur das Genre, es überformten sich auch die daran angelagerten kulturellen Praktiken und epistemologischen Grundlagen in eine Richtung, die sich aus der aufgeklärten Auffassung e i n e r Weltgeschichte heraus bis in die Gegenwart fortgesetzt hat. Zur Erhellung dieses Prozesses möchte der vorliegende Band einen Beitrag leisten.

43 Vgl. WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 40) 39–41. 44 GRAFTON, What Was History? (wie Anm. 1) 189–254.

Terra sacra – terra sancta Territorium und Kirche in der oberdeutschen Historiographie des 17. und 18. Jahrhunderts Alois Schmid I. Die Forschung Die ältere deutsche Historiographieforschung zergliederte die Entwicklung der gelehrten Beschäftigung mit Geschichte mit Vorliebe in die drei Großepochen des Renaissancehumanismus, der Aufklärung und des Historismus, der unmittelbar zur modernen Geschichtswissenschaft hingeführt habe. Dieses Grundmuster wurde vom Altmeister Franz Xaver von Wegele seiner bis heute wichtigen „Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus“ zugrunde gelegt1. Es wurde von Eduard Fueter in seine „Geschichte der neueren Historiographie“2 übernommen und auch von Heinrich Ritter von Srbik in seinem Fundamentalwerk „Geist und Geschichte“3 beibehalten. Demnach geht der von der Grundlegung des säkularen Geschichtsdenkens und eines methodischen Instrumentariums bestimmte Humanismus ungebrochen in die in den Arbeitsprinzipien verstärkt von der Rationalität geleitete Aufklärung über, die dann unmittelbar in den Historismus eingemündet sei, aus dem schließlich die moderne Geschichtswissenschaft erwachsen ist. Gegen dieses sehr klare Erklärungsmodell wurde mehrfach Einspruch erhoben, der vor allem die lange Übergangsphase des 17. Jahrhunderts zu konkretisieren suchte. Die Einwände kamen vor allem aus dem oberdeutsch-österreichischen und italienischen Raum, wo zwischen Humanismus und Aufklärung eine Zwischenepoche eingeschoben wurde. Ihr wurde von Alphons Lhotsky4 und Andreas 1

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Franx Xaver WEGELE, Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 20, München–Leipzig 1885). Eduard FUETER, Geschichte der neueren Historiographie (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. 1: Allgemeines 1, München–Berlin 1911). Heinrich von SRBIK, Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart (2 Bde., München–Salzburg 1950–1951). Alphons LHOTSKY, Österreichische Historiographie (Österreich Archiv. Schriftenreihe des Arbeitskreises für österreichische Geschichte, Wien 1962) 93–123; weiterhin: Anna CORETH, Österreichische Geschichtschreibung in der Barockzeit (1620–

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Kraus5 das Etikett „barocke Geschichtsschreibung“ übergeschrieben. Am breitesten wurde dieser Ansatz von Stefan Benz6 ausgearbeitet. Dennoch wird man nicht feststellen dürfen, dass sich dieser Verfeinerungsvorschlag in Breite durchgesetzt hätte. Das macht vor allem die umfassende Darstellung von Ulrich Muhlack7 deutlich, der in Anschluss an das ältere Denkmuster an den drei großen Wendemarken Humanismus, Aufklärung und Historismus festhält. Zu deren Rettung wird neuerdings das Epochenetikett Späthumanismus sehr betont, das dem 17. Jahrhundert seine Eigenständigkeit letztlich abspricht8. Offensichtlich liegt in dieser Periodisierungsfrage ein Kernproblem der neueren Historiographiegeschichte vor, das vor allem den Standort der Zeit zwischen 1600 und 1700 betrifft. Die entscheidende Frage ist, ob sie als Nachklang der vorausgehenden Epoche des Humanismus zu deuten ist oder ob ihr Eigengewicht zuzuerkennen ist. In diesem Sinne spricht sich mit großem Nachdruck neuerdings vor allem Thomas Wallnig9 aus. Der Forschungsdisput zu dieser Frage ist voll im Gang und weit von einem allgemein anerkannten Konsens entfernt. Die folgenden Erörterungen führen den derzeitigen Diskurs nicht durch die exemplarische Betrachtung einer bestimmten Persönlichkeit oder eines bestimmten Werkes weiter, sie gehen das Problem von einer grundsätzlicheren Warte her an. Sie nehmen ein breiteres Literatursegment der Epoche der frühen Neuzeit in den Blick und fragen nach dessen Standort in der Historiographiegeschichte. Eine auffallend lange Reihe von Staaten und Territorien beanspruchte in dieser Zeit für sich das Attribut der Heiligkeit und ließ dieses in oftmals großangelegten und aufwändig ausgestatteten Publikationen der res publica literaria ausführlich begründen, so dass durchaus von der kleinen, aber bezeichnenden Gattung der terra sacra- und terra sancta-Literatur gesprochen werden kann10. Es soll nach den Umständen und Hintergründen, 1740) (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 37, Wien 1950). 5 Andreas KRAUS, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung. Historisches Jahrbuch 88 (1968) 54–77. 6 Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003). 7 Ulrich MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus (München 1991). 8 Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, hg. von Notker HAMMERSTEIN–Gerrit WALTHER (Göttingen 2000). 9 Thomas WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien–München 2007). 10 Dazu erste Beobachtungen: Alois SCHMID, Von der Reichsgeschichte zur Dynastiegeschichte. Aspekte und Probleme der Hofhistoriographie Maximilians I. von Bayern, in: Späthumanismus (wie Anm. 8) 84–112; Alois SCHMID, Kirche, Territorium und

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dem Inhalt und der Bedeutung der in diesem Zusammenhang vielgebrauchten Epitheta sacer, sanctus, heilig gefragt werden.

II. Terra sacra: Die Orte Das neue literarische Genus nahm seinen Ausgang von der wegweisenden Italia illustrata des in kurialen Diensten arbeitenden Flavio Biondo11. Deren Leitgedanken suchte das mehrfach in Angriff genommene, aber nie realisierte Projekt der Germania illustrata auf Deutschland zu übertragen12. Grundziel war die Vermehrung des Ruhmes der von einer ersten Welle der Nationalbegeisterung erfassten Länder mit den Argumenten der Geschichte13. Bei dessen Bestimmung rückte das Konfessionelle Zeitalter die Religion in den Mittelpunkt und stellte eine enge Verbindung von Land, Dynastie und Kirche her. Auf diesem Wege kamen neben der Reichs-, Landes- und Stadthistoriographie auch eine rege Bistums- und Klostergeschichte in Gang14. In geographischer Grundorientierung nahmen diese zum einen die einschlägigen Orte einzeln in den Blick, bemühten sich zum anderen aber auch um territoriale Zusammenfassungen. Sie setzten sich damit ab von der nach wie vor universal ausgerichteten Kosmographie, wie sie etwa der Schwabe Sebastian Münster mit seiner oftmals aufgelegten Cosmographia universalis (1541) pflegte. Für den kirchlichen Bereich kann als herausragendes Beispiel für die nach wie vor sehr umfassend und zugleich exemplarisch angelegte Behandlung der Klostergeschichte die Monasteriologia, in qua insignium aliquot monasteriorum familiae sancti Benedicti in Germania origines, fundatores clarique viri ex eis oriundi describuntur (1619) des Benediktinerabtes zu Anhausen Karl Stengel angeführt werden.

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Dynastie in der Geschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts. Annali dell’Istituto storico Italo-Germanico in Trento 30 (2004) 361–374. Flavio BIONDO, Italia illustrata (Roma 1474). Paul JOACHIMSEN, Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus, 1 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 6, Leipzig–Berlin 1910) 155–195. JOACHIMSEN, Geschichtsauffassung (wie Anm. 12); Jacob BURCKHARDT, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, hg. von Konrad HOFFMANN (Kröners Taschenausgabe 53, Stuttgart 111988), insb. 94f. Harald ZIMMERMANN, Ecclesia als Objekt der Historiographie. Studien zur Kirchengeschichtsschreibung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 235/4 (1960) 1–86, hier 59–76; Alois SCHMID, Die Anfänge der Bistumshistoriographie in den süddeutschen Diözesen im Zeitalter des Humanismus. Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 91 (1996) 230–262.

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Am Anfang dieses Schrifttums steht der Hamburger Albert Kranz, der in seiner Saxonia und Metropolis die für die Kirchengeschichte bedeutsamen Orte in Sachsen zusammenstellte15 und vor allem mit ihnen die Bedeutung des Kurfürstentums betonte. Diese Anregung griff der gebürtige Egerländer Kaspar Bruschius mit seinen reichsweit angelegten, aber nicht vollendeten Kompendien zur Geschichte der deutschen Diözesen und Klöster auf16. In die Fußtapfen dieser Vorgänger trat dann der Kölner Minorit Petrus Kratepol mit einer kürzer gehaltenen, aber in die gleiche Richtung zielenden Beschreibung der Erzdiözesen Köln und Trier17. Wesentlich wirkungsvollere Impulse löste sodann der bayerische Hofrat Wiguleus Hund mit seiner Metropolis Salisburgensis von 1582 aus, die 1620 und 1719 mit bedeutenden Erweiterungen zweimal neu aufgelegt werden sollte18. Hier wurden die Bischofssitze und Klöster sowie Kollegiatstifte im Herzogtum Bayern in vorher nie erreichter Vollständigkeit zusammengestellt und als bestimmende Zentralorte hervorgehoben. Die beigegebenen Urkunden begründeten deren Sonderstellung mit der in frühe Zeiten zurückreichenden und dann lange anhaltenden großzügigen Förderung durch die Landesherren. Mit dieser Dokumentation wurde dem Herzogtum Bayern der Charakter eines heiligen Landes beigelegt, auch wenn dieser Anspruch nicht schon im Titel expressis verbis formuliert wurde. Einer der wirkungsvollsten Förderer dieser Forschungen wurde Herzog Maximilian I. von Bayern. Er rückte in den Mittelpunkt der regen historiographischen Bemühungen an seinem Hof19 den mit größtem Nachdruck 15 Albert KRANTZ, Saxonia (Köln 1520); Albert KRANTZ, Metropolis seu Historia de ecclesiis sub Carolo Magno in Saxonia instauratis (Basel 1548, 21564). Vgl. Ulrich ANDERMANN, Albert Krantz: Wissenschaft und Historiographie um 1500 (Weimar 1999). 16 Kaspar BRUSCH, Magni operis de omnibus Germaniae episcopatibus epitomes tomus I (Nürnberg 1549); Kaspar BRUSCH, Monasteriorum Germaniae praecipuorum ac maxime illustrium centuria prima (Ingolstadt 1551); Kaspar BRUSCH, Supplementum Bruschianum monasteriorum et episcopatuum Germaniae chronicon sive Centuria secunda (Wien 1692). 17 Petrus KRATEPOL, Omnium archiepiscoporum Coloniensium ac Treverensium a primis usque ad modernos catalogus brevisque descriptio (Köln 1578). 18 Wiguleus HUND VON SULZEMOOS, Metropolis Salisburgensis (Ingolstadt 1582); zweite, wesentlich erweiterte Auflage: Wiguleus HUND VON SULZEMOOS – Christoph GEWOLD, Metropolis Salisburgensis (3 Bde., München 1620); 3. Auflage: Stadtamhof 1719. 19 Johann FRIEDRICH, Ueber die bayerische Geschichtschreibung unter dem Kurfürsten Maximilian I. (München 1872); Alois SCHMID, Geschichtsschreibung am Hofe Kurfürst Maximilians I. von Bayern, in: Um Glauben und Reich: Kurfürst Maximilian I. Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst 1573–1651, hg. von Hubert GLASER (Wittelsbach und Bayern 2/1, München–Zürich 1980) 330–340. Zu Herzog/

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betonten Dreiklang von Dynastie, Land und katholischer Kirche. Aus der Vorstellung des Herzogtums mit seinen vielen bedeutenden kirchlichen Örtlichkeiten – und zwar in seiner frühmittelalterlichen Erstreckung – leitete er für sich und seine Nachfolger die Verpflichtung zur Bewahrung dieser Zustände ab: continens Christianae Religionis et Catholicae fidei per Boioariam ac finitimas provincias prima quasi semina ac originem, item progressum, propagationem et in hanc usque diem conservationem umschrieb Christoph Gewold im Prolog der Metropolis Salisburgensis seine Zielsetzung20. Herzog Maximilian I. machte es sich zur Hauptaufgabe der inneren Politik, sein Territorium zu einer weithin ausstrahlenden Pflegestätte sichtbarer Religiosität, eben einer terra sacra, zu machen. Denn gerade derartige Gottesliebe sei der sicherste Schutz für seine Lande: religio principum – tutela regnorum heißt es an entscheidender Stelle21 (Abb. 1). Seit sich das Problem der Heiligkeit zu einer der Kernfragen des kirchlichen Lebens herauskristallisiert hatte und zu einem entscheidenden Mittel der konfessionellen Abgrenzung aufgestiegen war22, wurden auch Orte und Länder vermehrt mit dem Attribut sacer belegt. Die katholischen Herrscher nahmen es als wichtiges Kriterium für ihre Herrschaftsräume in Anspruch und bekannten sich auch mit diesem literarischen Ausdruckmittel zu ihrer katholischen Konfession. Die Historiographie wurde als wirkungsvolles Mittel der Konfessionalisierung eingesetzt. Das Herzogtum Bayern Maximilians I. beanspruchte eine Bavaria sacra zu sein. Am konsequentesten führte diesen Anspruch schließlich im späteren 18. Jahrhundert der Münchener Jesuitenpater Anton Crammer aus, der entsprechende Werke für die Freising, Passau, Eichstätt, Salzburg, Bamberg sowie Regensburg ausarbeitete23; mit ihnen sollte der Einzelnachweis für diese süddeutschen Bischofsstädte geführt werden. Die fünf erstgenannten Städte profilierten sich ohnehin

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Kurfürst Maximilian I. grundlegend: Andreas KRAUS, Maximilian I. Bayerns Großer Kurfürst (Regensburg–Graz–Wien 1990); Dieter ALBRECHT, Maximilian von Bayern 1573–1651 (München–Wien 1998). HUND, Metropolis Salisburgensis (zweite Auflage, wie Anm. 18), Prolog (unpag.). Matthäus RADER, Bavaria sancta (3 Bde., München 1615) 1 Titelkupfer. Urbani VIII. P. O. M. secreta servanda in canonizatione et beatificatione sanctorum (Rom 1642). Vgl. Winfried SCHULZ, Das neue Selig- und Heiligsprechungsverfahren (Paderborn 1988) 26–33. Anton CRAMMER, Frisinga sacra (München 1775); Anton CRAMMER, Heiliges und gottseliges Eichstätt (Nürnberg 1780); Anton CRAMMER, Heiliges Passau oder Vollständige Geschichte aller Heiligen und Seligen, die dieses Bisthum […] beleuchtet haben (München 1782); Anton CRAMMER, Admiranda ad omnem posteritatis memoriam vita sancti Henrici et sanctae Cunigundis Bojariae ducum (Augsburg 1770); Anton CRAMMER, Ratisbona sacra – Ratisbona sancta (1764); Salisburgium sanctum (1771) (Bayerische Staatsbibliothek München, clm 27 079).

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immer mehr als „Geistliche Städte“. Aber selbst der Bischofshof in der protestantischen Reichsstadt Regensburg ließ alle katholischen Einrichtungen innerhalb der Stadtmauer in zwei kompendiösen Ausgaben der literarischen Öffentlichkeit mit unverkennbarem Nachdruck vorstellen24. In entsprechender Weise wurde der Aufstieg Altöttings zu einem mit besundern gnaden und wunderzaichen erwelt und auserkoren Brennpunkt des kirchlichen Lebens in Bayern mit ersten literarischen Ausarbeitungen begleitet25. Diese Bemühungen um die großen Zentren des kirchlichen Lebens fanden ihre Krönung schließlich in dem mehrfach aufgelegten Buch Crammers über das „Teutsche Rom“, in dem er 1784 München unmittelbar dem Mittelpunkt der katholischen Welt an die Seite stellte26. In allen Fällen wurde der Blick über die behandelten Örtlichkeiten hinaus geweitet und deren Bedeutung für das Umland herausgestellt. Dem Beispiel der „Bavaria sacra“ folgten im Druck eine „Suevia ecclesiastica“ und „Vindelicia sacra“27 für das benachbarte Schwaben. Diese Veröffentlichungen regten – bis herein in unsere Gegenwart – ähnliche Schriften für andere Territorien an, so etwa für Tirol28. Mit gleicher Zielsetzung bearbeitete Hugo Franz von Heussen die Kirchenprovinz Utrecht29.

24 Georg Heinrich PARICIUS, Kurtz gefaste historische nachricht von allen in denen ring-mauren der stadt Regensburg gelegenen reichs-stiftern, haubt-kirchen und clöstern catholischer religion (Regensburg 1725); Johann Carl PARICIUS, Allerneueste und bewährte nachricht von der Heiligen Römischen Reichs freyen Stadt Regensburg (Regensburg 1753). 25 Johannes Turmair’s genannt Aventinus Sämmtliche Werke I, hg. von Sigmund RIEZLER–Matthias LEXER (6 Bde., München 1881–1908) 1 30–45: Historia Otingae; 46–59: Chronik des Stifts Alten Oting (Zitat 59); Martin EISENGREIN, Unser liebe Fraw zu Alten Oetting: Das ist von der uralten heyligen capellen unser lieben Frawen unnd dem fürstlichen stifft S. Philip unnd Jacob zu Alten Oetting (Ingolstadt 1571, 2 1588, 31601). 26 Anton CRAMMER, Teutsches Rom: Gründlicher Bericht von den Gotteshäusern, Klöstern, eingeweihten Hauskapellen, Heiligthümern und gottseligen Einwohnern der Churbaierischen Hauptstadt München (München 1784; weitere Ausgaben). Zum Autor, dem Jesuiten Pater Anton Crammer (1737–1794): Carlos SOMMERVOGEL, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle édition (11 Bde., Bruxelles– Paris 1890–1932). 2 1619–1622. 27 Franciscus PETER, Suevia ecclesiastica seu Clericalia collegia tum saecularia tum regularia (Augsburg–Dillingen 1699); Franz Sales GAILLER, Vindelicia sacra – Heiliges Vindelizien: Landkapitel Weilheim (1756), übers. von Gregor SPANNAGL (Weilheim 2007). 28 Paul SCHÖFFEL, Herbipolis sacra (Würzburg 1948); Anton DÖRRER, Wie kam Tirol zur Bezeichnung „Heiliges Land“? Tiroler Heimatblätter 24 (1949) 146–164. 29 Hugo Franz VON HEUSSEN, Historia episcopatuum foederati Belgii (2 Bde., Utrecht 1719).

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Die Thematik wurde auch auf die Reichsebene übertragen. Das Großprojekt der „Germania sacra“ reicht in seinen Wurzeln wohl ins 16. Jahrhundert zurück30, wurde aber erst seit dem endenden 17. und dann vor allem im 18. Jahrhundert von Gabriel Bucelin31, Marcus Hansiz32 und Martin Gerbert33 auf seinen Höhepunkt geführt. An ähnlichen Werken wurde zur gleichen Zeit auch in anderen Staaten gearbeitet; es sind zu nennen die Austria sacra des Marian Fidler34, die Italia sacra des Ferdinando Ughelli35, die Sicilia sacra des Rocco Pirri36, die España sagrada des Henrique Florez37 oder die Gallia christiana der Brüder Sainthe-Marthe38. In den großen Ländern der katholischen Welt wurden also umfängliche und repräsentative Veröffentlichungen ausgearbeitet, deren Hauptzweck die wissenschaftliche Untermauerung der konfessionspolitischen Entscheidung der Regierungen durch historisch-statistische Zusammenstellungen der entscheidenden Orte des kirchlichen Lebens war. In engem Zusammenhang mit der literarischen Bearbeitung der Kirchenlandschaften stehen die Anfänge der kirchlichen Kartographie. Das Zeitalter des Humanismus und der Renaissance löste einen regelrechten Schub in der 30 Georg PFEILSCHIFTER, Die St. Blasianische Germania sacra. Ein Beitrag zur Historiographie des 18. Jahrhunderts (Münchener Studien zur historischen Theologie 1, Kempten 1921) 4–41; Irene CRUSIUS, Die Germania sacra. Stand und Perspektiven eines langfristigen Forschungsprojekts, Deutsches Archiv 52 (1996) 629–642; Irene CRUSIUS, Germania sacra, in: Lexikon für Theologie und Kirche, hg. von Walter KASPER et al. (Freiburg im Breisgau–Basel–Rom–Wien 31995) col. 530. 31 Gabriel BUCELIN, Germania topo-chrono-stemmato-graphica sacra et profana (4 Bde., Augsburg 1655–1678). Vgl. Claudia Maria NEESEN, Gabriel Bucelin OSB (1599௅ 1681). Leben und historiographisches Werk (Stuttgarter Historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte 3, Ostfildern 2003). 32 Markus HANSIZ, Germania sacra (3 Bde., Augsburg–Wien 1727–1755). Vgl. PFEILSCHIFTER, Die St. Blasianische Germania sacra (wie Anm. 30) 23–33. 33 Martin GERBERT, Germania sacra (Plan). Vgl. PFEILSCHIFTER, Die St. Blasianische Germania sacra (wie Anm. 30) 42–174; Andreas KRAUS, Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung der deutschen Akademien für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im späten 18. Jahrhundert (Freiburg im Breisgau et al. 1963) 195–199. 34 Marian FIDLER, Austria sacra. Österreichische Hierarchie und Monasteriologie (9 Bde., Wien 1780–1788). 35 Ferdinando UGHELLI, Italia sacra (9 Bde., Rom 1644–1662); hg. von Nicola COLETI (10 Bde., Venedig 21717–1722). 36 Rocco PIRRI, Sicilia sacra (2 Bde., Palermo 1630–1633). 37 Henrique FLOREZ, España sagrada. Teatro geografico-histórico de la iglesia de España (29 Bde., Madrid 1747–1773). 38 Gallia Christiana, begr. von Claude ROBERT (Paris 1626), fortgeführt von Scaevola und Louis de SAINTE-MARTHE et al. (4 Bde., Paris 1656); (13 Bde., Paris 1715– 1786). Vgl. Klaus GANZER, Gallia christiana, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 4 (wie Anm. 30) col. 273.

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Weiterentwicklung der Historischen Geographie aus. Sie äußerte sich unter anderem in der vermehrten Anfertigung von Landkarten. Der Kartendruck wurde ein wichtiger Sonderbereich des noch jungen Buchdrucks. Dieser Medienwechsel wurde aus dem profanen bald in den kirchlichen Bereich übertragen. So kam auch eine kirchliche Regionalkartographie in Gang. Deren Thema wurde die Erfassung der Brennpunkte des kirchlichen Lebens in einer bestimmten Gegend auf einer Landkarte. Entsprechende Karten wurden auch für den oberdeutschen Raum angefertigt und zum Druck gebracht. Sie wurden überwiegend auf der Diözesanorganisation aufgebaut39. Um eine Verbindung von literarischer Darstellung und Bildillustration bemühte sich dann die frühe Landesbeschreibung. Sie orientierte sich mehr am Territorium. Für das Kurfürstentum Bayern ist hier vor allem Anton Wilhelm Ertl zu nennen, der innerhalb seines Chur-Bayrischen Atlas den zweiten Band den geistlichen Zentralorten widmete und diese einerseits auf der Grundlage der uhralten stifft-brieffen und andern authentischen documenten beschrieb, andererseits in sehr ansprechenden Kupferstichen vorstellte40. Ihm folgte Michael Wening, dessen Historico-topographica descriptio Bayerns zwischen den Brennpunkten des herrschaftlichen und des kirchlichen Lebens einen weniger deutlichen Trennungsstrich zog41. Ziel war auch in diesen frühen Landesbeschreibungen, die kirchliche Prägung des Territoriums als herausragende Hauptleistung der wittelsbachischen Landesherren herauszustellen. Einen anderen Weg schlug der Jesuit Wilhelm von Gumppenberg mit seinem Atlas Marianus ein, der sich die katalogartige 39 Zu den Anfängen der kirchlichen Kartographie: Wilhelm BONACKER, Grundriss der fränkischen Kartographie des 16. und 17. Jahrhunderts (Mainfränkische Hefte 13, Würzburg 1959); Ernst BERNLEITHNER, Salzburg im Kartenbild der Zeiten. Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 105 (1965) 1–46; Edgar KRAUSEN, Die kirchengeschichtliche Kartographie im Bereich der Diözese Regensburg. Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 106 (1966) 255–260. 40 Anton Wilhelm ERTL, Des Chur-Bayrischen Atlantis zweyter theil: Das ist eine grundrichtige, historische und mit 90 schönen kupfern gezierte abbildung aller in dem hochberühmten chur-hertzogthum Ober- und Nider-Bayrn auch der Obern Pfaltz hervorleuchtenden vortrefflichen thomb- und collegiat-stifften, abteyen, probsteyen und clöstern samt deroselben ursprung, wachsthum und antiquitäten (Nürnberg 1690, Nachdr. Donauwörth 1998). Vgl. Anton Wilhelm Ertl: Große Denkwürdigkeiten Bayerns, hg. von Gerald DECKART (Düsseldorf–Köln 1977). 41 Michael WENING, Historico-topographica descriptio. Das ist: Beschreibung des churfürsten- und herzogthumbs Ober- und Niedern Bayrn (4 Bde. München 1701– 1726, Nachdr. München 1974–1977). Vgl. Rainer SCHUSTER, Michael Wening und seine „Historico-topographica descriptio“ Ober- und Niederbayerns: Voraussetzungen und Entstehungsgeschichte (Miscellanea Bavarica Monacensia 171, München 1999).

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Aufarbeitung der ihm bekannten rund 1200 Marienheiligtümer zur Aufgabe setzte. Doch richtete er diese nicht an einem Territorium oder einer Dynastie aus, sondern nahm den Gesamtbefund in den Blick. Vor allem arbeitete der Jesuitenpater nur mit dem geschriebenen Wort und verzichtete auf Bildillustrationen42. Trotz Ertl und Gumppenberg verwendete die zeittypische Quellengruppe der historischen Kartenwerke zur Kennzeichnung den Begriff des „Atlas“ nur selten. Dieser orientierte sich bis ins 18. Jahrhundert noch immer überwiegend an den überkommenen antiken und mittelalterlichen Inhalten43, die auch der Atlas sive cosmographicae medidationes des einflußreichen Kosmographen Gerhard Mercator von 1595 nicht zu verdrängen vermochte. Erst seit dem beginnenden 18. Jahrhundert kam die Gattungsbezeichnung „Atlas“ für ein Sammelwerk von Karten verstärkt in Gebrauch44, wie er – bei ungezügelter Ausweitung auf immer weitere Lebensbereiche – bis heute Verwendung findet. Für die kartographisch ausgerichteten Werke der kirchlichen Historiographie der Barockzeit spielt er noch keine Rolle. Das Konfessionelle Zeitalter entwickelte also im Rahmen der Konfessionalierung der Territorien die neue Gattung der terra sacra-Literatur. Sie wurde im katholischen Europa rege gepflegt, um die eigene Positionierung in der Auseinandersetzung der Kirchen auch mit literarischen Mitteln zu unterstreichen. Territorium, Dynastie und Kirche wurden hier vor allem über die kirchlichen Zentralorte in eine symbiotische Beziehung zueinander gesetzt45.

III. Terra sancta: Die Personen Neben den hervorgehobenen Orten wurden ein zweites Verbindungsglied die an ihnen tätigen herausragenden Persönlichkeiten des religiösen Lebens. In einem nächsten Schritt wurde auch mit ihnen die Kirchlichkeit der Territorien untermauert. Damit wurde der zunehmend an Bedeutung gewinnende Heiligenkult verstärkt für die Historiographie fruchtbar gemacht. Zur Verdeutlichung dieses engen Zusammenhanges wurde mit Vorliebe das Adjektiv sanctus eingesetzt. Hauptaufgabe der terra sancta-Literatur war der Nach42 Wilhelm VON GUMPPENBERG, Atlas Marianus (München 1657; weitere Ausgaben). Vgl. Karlheinz RUHSTORFER, Gumppenberg Wilhelm von, in: Lexikon für Theologie und Kirche 4 (wie Anm. 30) col. 1101. 43 Adolf REINLE, Atlant, in: Lexikon des Mittelalters, 1 (München௅Zürich 1980) col. 1169f.; Elisabeth VAVRA, Atlas, in: ebd. 1173. 44 Die wechselvolle Geschichte dieses Begriffes verdient eine eingehende Untersuchung. Sehr kurz: Hans SCHULZ–Otto BASLER, Deutsches Fremdwörterbuch, 2 (Berlin– New York 21996) 453f. 45 BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 6) 475.

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weis der Heiligkeit der Länder durch die Präsentation von in ihnen wirkenden musterhaften Einzelpersonen. Dieses Verfahren hat seine Wurzel ebenfalls in der humanistischen Praxis, homines illustres als nachzuahmende exempla vorzustellen46. Sie wurde mit zeitlicher Versetzung ebenfalls aus dem profanen in den kirchlichen Bereich transferiert und fand ihren deutlichsten Niederschlag in der katalogartigen Sammlung der mit einem Territorium verbundenen vorbildlichen religiösen Personen. Als wirkungsvollster Begründer der Gattung der territorialen Hagiographie darf der bayerische Jesuitenpater Matthäus Rader gelten47. Er hatte zwar einen Vorgänger im polnischen Jesuiten Piotr Skarga, dessen Werk über die Heiligen Polens48 wohl in seinem Heimatland große Verbreitung fand, aber wegen der sprachlichen Form kaum darüber hinaus Wirkung erreichte. Ähnliches gilt für die Sancti Salisburgenses des Johann Stainhauser49, die ungedruckt blieben. Erst Raders Bavaria sancta et pia steht am Anfang der terra sancta-Literatur und ist gattungsbegründend durchaus in Europa geworden. Sie kann als modellhaft für dieses Literaturgenus gelten und ist zu einer der bezeichnendsten Buchproduktionen der Epoche in Europa überhaupt aufgestiegen50. Das Werk (Abb. 2) bietet in vier Bänden, die zwischen 1615 und 1628 erschienen, insgesamt 203 Kurzbiographien von Persönlichkeiten, die entweder in Bayern geboren wurden, hier gewirkt hatten oder

46 Rüdiger LANDFESTER, Historia magistra vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts (Travaux d’humanisme et renaissance 123, Genf 1972). 47 Matthäus RADER, Bavaria sancta et pia (4 Bde., 1615–1628; 21704); deutsche Übersetzung: Matthäus RADER, Heiliges Bayerland – Gottseliges Bayerland, übers. von Maximilian RASSLER, (3 Bde., Augsburg 1714). Handschriftliche Überarbeitungen: BStB München, cgm 2831; Universitätsbibliothek München 2o Cod. ms. 316, Wilhelm Fraisslich, Heiliges Bayrland: Matthaei Raderi Bavaria sancta verteutschet. 48 Piotr SKARGA, Zywoty Switych Starego y Nowego Zakonu (Wilna 1579; weitere Ausgaben bis: Lemberg 251883/84). Zu Piotr Skarga (1535–1612) und der Frage seiner Bedeutung: SOMMERVOGEL, Bibliothèque 7 (wie Anm. 26), 1264–1287; Matthias MAYERHOFER, Religiöse Kupferstiche im Dienste politischer Propaganda: Raphael d. Ä. Sadeler, Raphael d. J. Sadeler und die Bavaria sancta für Kurfürst Maximilian I. von Bayern (München 2011) 18–28. 49 Johannn STAINHAUSER, Sancti Salisburgenses, das ist Wahrhaffte lebensbeschreibung aller deren heiligen, so leibhafftig zu Salzburg begraben und alda verehrt werden (1602; BStB München, cgm 1700). Vgl. Hans OSPALD, Johann Stainhauser, ein Salzburger Historiograph des beginnenden 17. Jahrhunderts (1570–1625). Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 110/111 (1970/71) 48–64. 50 Alois SCHMID, Die „Bavaria sancta et pia“ des P. Matthäus Rader, in: Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle, hg. von Chantal GRELL–Werner PARAVICINI– Jürgen VOSS (Pariser Historische Studien 47, Bonn 1998) 499–522.

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zumindest mit dem Land in enger Verbindung standen. Aufnahme fanden Personen, die ein heiligmäßiges Leben führten, das die Amtskirche durch ein förmliches Prüfverfahren anerkannt hatte, aber auch heiligmäßige Persönlichkeiten, bei denen ein solches Verfahren nicht durchgeführt worden war, die aber dennoch dieser Gruppe zuzugehören schienen51. Der Jesuitenpater hat das Werk im Auftrag seines Landesherrn Maximilian I. von Bayern erstellt, der den angesehenen Literaten eigens zu diesem Zweck in seine unmittelbare Umgebung geholt hatte. Die Vorbereitungen dafür setzen bereits 1603 ein. Der Auftraggeber hatte die Entstehung des Werkes mit fortdauerndem angespannten Interesse verfolgt und nach Kräften gefördert52. Durch landesherrliche Erlasse hat er alle denkbaren Institutionen zur Unterstützung angehalten. Er ordnete in diesem Zusammenhang sogar umfassende Erschließungsarbeiten in den Bibliotheken und Archiven des Landes an. Zahlreiche Gelehrte wurden durch schriftliche Anfragen in die Ausarbeitung einbezogen53. Auf diesem Wege kam ein weitgespannter Gelehrtenbriefwechsel in Gang, dessen Fäden im Münchener Jesuitenkolleg zusammenliefen54, wo dann Rektor Rader bei Einbeziehung vieler lokaler und überregionaler Sachkenner die Abfassung der einzelnen Biogramme übernahm. Bei der Ausarbeitung begnügte man sich nicht mit der Darstellung im Wort, sondern ergänzte diese zur Steigerung der Wirkung durch das Bild. Den meisten Biogrammen wurden mit Überlegung gestaltete Kupferstiche beigegeben, zu deren Erstellung hochrangige Künstler (Raphael Sadeler der Ältere und der Jüngere, Matthias Kager) verpflichtet wurden55. (Abb. 3 zeigt als Beispiel das Martyrium des seligen Engilmar). Das Werk arbeitete mit den zwei Medien des Wortes und des Bildes, um den repräsentativen Charakter zu erhöhen56. Die Erarbeitung des Manuskriptes und dann die 51 SCHMID, Bavaria sancta (wie Anm. 50) 503–507. 52 Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BHStA) München HR I 286 Nr. 299. 53 Ludwig ROCKINGER, Die Pflege der Geschichte durch die Wittelsbacher (München 1880) 40–56, 68, 55–82. 54 Bayerische Gelehrtenkorrespondenz: P. Matthäus Rader, hg. von Alois SCHMID (bisher 2 Bde., München 1995–2009). Vgl. Alois SCHMID, Der Briefwechsel des P. Matthäus Rader SJ. Eine neue Quelle zur Kulturgeschichte Bayerns im 17. Jahrhundert. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 60 (1997) 1109–1140. 55 Vgl. MAYERHOFER, Religiöse Kupferstiche im Dienste politischer Propaganda (wie Anm. 48) 110௅116, 207௅223. 56 Carsten-Peter WARNCKE, Bavaria sancta – Heiliges Bayern. Die altbayerischen Patrone aus der Heiligengeschichte des Matthäus Rader (Dortmund 1981); Sibylle APPUHN-RADTKE, Visuelle Medien im Dienste der Gesellschaft Jesu: Johann Christoph Storer (1620–1671) als Maler der Katholischen Reform (Jesuitica 3, Regensburg 2000).

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Produktion der Bände in der leistungsfähigen Hofdruckerei Berg zu München57 wurde vom Landesherrn mit Einsatz unterstützt. Auf diesem Wege entstand ein wahres Prunkwerk, das schließlich in mehrere Länder des katholischen Europa verbreitet wurde58. Ziel des Herzogs mit dieser Veröffentlichung war der literarische Nachweis, dass sein Bayern ein Land war, in dem die Kirche durch alle Jahrhunderte von den Landesherren mit Einsatz so wirkungsvoll gefördert wurden war, dass aus ihm diese einzigartig lange Reihe von Heiligen, Seligen und Gottgefälligen hervorgehen konnte. Darin hätte die Politik der Landesherrn ihre Krönung gefunden. Dementsprechend führte der Zeitgenosse Christoph Gewold in seiner Ausgabe der Metropolis Salisburgensis die katholische Prägung seines Landes auf die Politik der Herzöge zurück, die diese Bemühungen in der Gegenwart ungeschmälert fortsetzten und sich deswegen des besonderen göttlichen Schutzes erfreuten: Divina maiestas, quae inclitos Boiorum principes cum tota gente sua ab tot iam saeculis singulari favore prosecuta est, et donis simul bonisque caelestibus et humanis auxit et cumulavit, eosdem deinceps pro infinita sua clementia tueatur, et ab omnibus adversae fortune tempestatibus, quae passim imminere videntur, salvos et incolumes conservet 59. Im Land Bayern hätten regnum und ecclesia als tragende Grundpfeiler des gesellschaftlichen Lebens geradezu musterhaft zusammengewirkt. Vor allem in dieser Kooperation sei die große historische Leistung der Herrscher Bayerns zu sehen, von denen aus diesem Grund mehrere (Theodo, Theudelinde, Tassilo III., Präfekt Gerold, Heinrich II., Maria von Brabant, Agnes) sogar in die Darstellung aufgenommen werden konnten. Das gelte vor allem für das seit 1180 regierende Haus Wittelsbach: Habetis […], quos imitemini, sive in politica vita excellentes, sive in religione praestantes60. Letztlich war der Blick des Herausgebers Rader mit seiner Bavaria sancta in die Gegenwart gerichtet. Mit seinem Werk wollte er der Konfessionspolitik Maximilians eine historische Untermauerung verschaffen. Er stellte den Großen Kurfürsten Bayerns mit seinem Land als das entscheidende Bollwerk des Katholizismus im Reich und in Europa vor. Die aktuelle Politik der Gegenwart wurde geradezu folgerichtig aus der 57 Pius DIRR, Buchwesen und Schrifttum im alten München 1450–1800 (Kultur und Geschichte. Freie Schriftenreihe des Stadtarchivs München 3, München 1929) 39– 54, 135. 58 Richard VAN DÜLMEN, Aufklärung und Reform in Bayern 1: Das Tagebuch des Pollinger Prälaten Franz Töpsl (1744-1752) und seine Korrespondenz mit Gerhoh Steigenberger (1763–1768). Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 32 (1969) 606–747, 886–961, hier 652 Nr. 3, 659 Nr. 7, 681 Nr. 28: Lieferung der Bavaria sancta über das Stift Polling nach Paris. 59 HUND–GEWOLD, Metropolis Salisburgensis 1 (wie Anm. 18), Vorrede (unpag.). 60 RADER, Bavaria sancta et pia 1 (wie Anm. 47), Epistola ad serenissimum (unpag.).

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Geschichte abgeleitet. Voller Zufriedenheit konnte Rader an den Beginn seines Werkes folgende höchst aussagekräftige Beschreibung des Landes stellen: Nam ut omnes Boicae terrae partes circumspicias, nullum fere locum invenies, ubi non illustria sanctitatis religionisque vestigia deprehendas: urbes, oppida, fora, pagi, vici, agri, silvae, montes, valles catholicam et priscam religionem in Bavaria spirant et ostendunt. Plena omnia sacris aedibus, amplis coenobiis, novis collegiis, augustissimis templis, innumeris passim aediculis, religiosissimis sacrariis, suburbanis cippis, peregrinorum xenodochiis, aegrorum nosocomiis, miserorum adelpho-geronto-orphanotropiis: Tot ditia antistitum episcopia; tot ampla pontificum sedes; tot sacri canonicorum coetus et cathedrae, tot ubique per omnem provinciam nobiles paroeciae, tot religiosi sacrorum homines ordines; tot religiosorum asceteria; tot sacrarum virginum contubrernia et parthenones, tot sacra sepultorum passim ossaria, tot publica urbium coemeteria, tot pia conditoria, sanctaeque cryptae. Alle diese Einzelfeststellungen münden in das abschließende Gesamturteil: Magnam denique in Boica, terrae partem sacra obtinent, ut labor sit singulorum numerum inire, cum tota regio, nil nisi religio, et unum quoddam commune gentis templum videatur.61 Deswegen konnte der Übersetzer der „Bavaria sancta“ ins Deutsche, der Jesuit Pater Maximilian Rassler, schließlich den Auftraggeber Herzog Maximilian I. selber als geradezu vorbildliche Personifikation der idea boni principatus62 als Gottseligen in das Werk aufnehmen63. Die Bavaria sancta des Pater Matthäus Rader wurde als so musterhaft eingestuft, dass sie sehr rasch mehrfache Nachahmung auch im Ausland fand. Schon 1648 brachte der Schweizer Kartäuser Heinrich Murer seine Helvetia sancta heraus64. Wenig später folgte die Bohemia sancta des Prager Jesuiten Bohuslav Balbín65. 1750 wurde im österreichischen Kloster Melk eine Sancta et beata Austria erarbeitet66. Alle diese Nachfolger beriefen sich ausdrücklich auf das verpflichtende Vorbild Raders.

61 RADER, Bavaria sancta et pia 1 (wie Anm. 47), Epistola ad Serenissimum (unpag.). 62 Johannes ADLZREITTER, Annales Boicae gentis (München 1662–1663), Leitmotto des Bandes 3. 63 RASSLER, Heiliges Bayerland (wie Anm. 47). 64 Heinrich MURER, Helvetia sancta (Luzern 1648). 65 Bohuslav BALBÍN, Bohemia sancta (Miscellanea historica regni Bohemici 4, Praha 1682). Vgl. JiĜí ŠITLER, Bohemia sancta von Bohuslav Balbín, in: Bohuslav Balbín a kultura jeho doby v ýechách. Sborník z konference Památníku národního písemnictiví (Praha 1992) 273–275. 66 Sancta et beata Austria (Augsburg 1750). Vgl. Leo SANTIFALLER, Forschungen und Vorarbeiten zur Austria sacra 1: Geschichte und Plan des Unternehmens (Wien 1951) 21–25.

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Unter den viel behandelten Heiligengestalten wurde im Zeitalter des Barock eine Gruppe bevorzugt in den Vordergrund gerückt: die Landesheiligen. Die politische Dimension dieses europaweiten Phänomens ist nur für das Mittelalter67, noch keineswegs für die frühe Neuzeit befriedigend aufgearbeitet. Die katholischen Territorien legten sich einen oder auch mehrere Heilige zu, denen sie bevorzugte Verehrung zuerkannten. Diese Praxis setzte die Tradition der Reichs-, Landes- und Ortsheiligen des Mittelalters fort; sie erfuhr im Rahmen des intensivierten Heiligenkultes nach dem Tridentinum ihren Höhepunkt, wobei auch hier die Jesuiten die wirkungsvollsten Wegbereiter waren. Sie fand sogar im Kirchenrecht ihre Begründung und Absicherung68. Die Landesheiligen sollten als Landespatrone den Territorien einen besonderen Schutz und besondere Förderung verschaffen. Dabei bildeten sich die einzelnen Länder ihre eigenen Traditionen, durch die sie sich voneinander abhoben. Den Landesheiligen kam einerseits im Inneren die Funktion der weiteren Integration der Landesbevölkerung, andererseits nach Außen der Abgrenzung zu. Zu diesem Zweck wurden als Landespatrone mit Vorliebe Gestalten der eigenen Geschichte in Anspruch genommen, die oftmals die Missionierung wegweisend vorangetrieben und in diesem Rahmen mehrfach einen gewaltsamen Tod erlitten hatten. Das Märtyrergrab wurde verschiedentlich der entscheidende Kristallisationspunkt der Verehrung. So wurde Dionysius der besondere Patron Frankreichs, Isidor der Patron Spaniens, Stephan der Patron Ungarns, Leopold der Patron Österreichs. Einen Sonderweg schlug das Königreich Böhmen ein, das sich gleich eine ganze Gruppe von Heiligen (so Wenzel, Veit, Adalbert, Ludmilla) zu Patronen wählte und bevorzugter Verehrung zuführte69. Diese konnte im Einzelnen sehr unterschiedliche Ausformung erfahren. Sie erfolgte mit den 67 Hans Conrad PEYER, Stadt und Stadtpatron im mittelalterlichen Italien (Wirtschaft – Gesellschaft – Stadt: Zürcher Studien zur allgemeinen Geschichte 13, Zürich 1955); Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994). Zur Neubelebung des Phänomens in jüngster Zeit: Die Renaissance der Nationalpatrone. Erinnerungskulturen in Ostmitteleuropa im 20./21. Jahrhundert, hg. von Stefan SAMERSKI (Wien 2007). 68 Decreta authentica congregationis sacrorum rituum, 1: 1598–1705 (Rom 1898) 129 Nr. 526; Codicis iuris canonici fontes 7, hg. von Justinian SERÉDY (Rom 1935) 821f. 5325. 69 ýeské nebe – Böhmischer Himmel. Böhmische Landespatrone und Wallfahrtsorte in der barocken Devotionalgraphik, hg. von Jan ROYT (Schriftenreihe des Wallfahrtsmuseums Neukirchen bei Hl. Blut 5, Neukirchen 1995); Eduard HLAWITSCHKA, Ein bislang unbekanntes Flugblatt vom Jahre 1626 aus Leitmeritz, in: Beiträge zur Architektur, bildenden Kunst, Literatur und Musik, hg. von Richard Wenzel EICHLER (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 21, München 2000) 149–184.

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Ausdrucksmitteln der Kunst, Wissenschaft und der Literatur. Sie drang über die Theologie hinaus auch in die Staatssymbolik und die religiöse Praxis bis in die Volksfrömmigkeit ein. So erlangte sie Bedeutung etwa auch für die kirchlichen Festkalender, das Patrozinienwesen oder die Vornamengebung. Abermals lohnt sich ein genauerer Blick auf das Kurfürstentum Bayern70. Hier ist die Entwicklung von einem sich lange hinziehenden Ringen gekennzeichnet, das erst im beginnenden 17. Jahrhundert Klärung erfuhr. Die bayerische Entwicklung knüpfte seit dem Eintritt in die Neuzeit nicht an die Landesapostel des frühen Mittelalters (Emmeram, Rupert, Korbinian)71 an, sondern wandte sich unter jeweils nachvollziehbaren Umständen anderen Heiligen zu, von denen man besondere Hilfe erwartete. Ausdrücklich formulierte Laurentius Surius: Ja alle Bayrn erfrewen sich der getrewen fürbitt dieser heyligen und sagen dem allmächtigen Gott ewig lob und danck, das er inen ein solchen ansehnlichen doctoren und lehrer gegeben, durch dessen lehr und predigt sie den weg der wahrheit erkennet haben und auß der finsternis erlöset zu Christo dem wahren liecht zugeführt sind 72. In diesem Rahmen stiegen Nikolaus von Tolentino, Benno von Meißen, Kajetan von Thiene, Nepomuk – jeweils in einer sehr konkreten Konstellation – zu besonders verehrten Landesheiligen auf. Doch war ihr Kult in jedem Fall nur von begrenzter Intensität und zeitlicher Dauer. Er wurde schließlich überlagert und langfristig in den Hintergrund gedrängt von der dominierenden Verehrung der Gottesmutter Maria73, die schließlich in der „Patrona Bavariae“ auch kirchenrechtlich und politisch festgeschrieben wurde74. Sie drückt dem religiösen Leben und der Volkskultur Bayerns bis in die Gegenwart ihren Stempel auf. Bayern ist ein marianisches Land geworden75 und 70 Alois SCHMID, Die bayerischen Landespatrone. Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 46 (2001) 289–311. 71 Karl BOSL, Der Adelsheilige. – Idealtypus und Wirklichkeit. Gesellschaft und Kultur im merowingerzeitlichen Bayern des 7. und 8. Jahrhunderts. Gesellschaftsgeschichtliche Beiträge zu den Viten der bayerischen Stammesheiligen Emmeram, Rupert, Korbinian, in: Speculum historiale. Festschrift für Johannes SPÖRL, hg. von Clemens BAUER–Laetitia BOEHM–Max MÜLLER (Freiburg im Breisgau 1965) 167–187. 72 Laurentius SURIUS, Bewerte historien der lieben heiligen Gottes 2/1 (München 1575) 263. 73 Alois SCHMID, Die Marienverehrung Kurfürst Maximilians I. von Bayern, in: Maria in der Evangelisierung. Beiträge zur mariologischen Prägung der Verkündigung, hg. von Anton ZIEGENAUS (Mariologische Studien 9, Regensburg 1993) 33–57. 74 Michael HARTIG, Patrona Bavariae – Die Schutzfrau Bayerns (München 1948); Emmeram H. RITTER, Patrona Bavariae: „Unter Deinen Schutz und Schirm“ (Regensburg 21987). 75 Georg SCHWAIGER, Maria Patrona Bavariae, in: Bavaria sancta: Zeugen christlichen Glaubens in Bayern, hg. von Georg SCHWAIGER, 1 (Regensburg 1970) 28–37; Peter Bernhard STEINER, Maria in Bayern, in: 1000 Jahre Marienverehrung in Russland

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darin am ehesten dem Königreich Polen vergleichbar. Dieser Vorgang ist insofern bemerkenswert, weil hier keine Figur der nationalen Geschichte in die Funktion des Landespatrons erhoben wurde. Hier nahm man statt dessen eine biblische Persönlichkeit in Anspruch, um die Heiligkeit des Landes zu unterstreichen. Dieses Bemühen fand in einem breiten Schrifttum76 seine theoretische Untermauerung, das der terra sancta-Literatur zuzurechnen ist. Diese wurde von der Grundidee getragen, Kirche, Dynastie und Territorium weiter zusammenzuführen. Dieses Hauptziel fand sogar eine sehr bezeichnende ikonographische Darstellung. Über dem Chorbogen der Bruderschaftskirche St. Veit im niederbayerischen Straubing wurden im Jahre 1702 an sehr einprägsamer Stelle in Stuckplastik die zwei lebensgroßen Figuren der „Bavaria“ und der „Ecclesia“ positioniert77 (Abb. 4). Die beigegebene Schrifttafel betonte mit einer rhetorischen Frage die Unauflöslichkeit dieser Verbindung: Quis nos separabit? Diese Figurenkomposition war die bildliche Umsetzung der Leitidee der terra sancta.

IV. Der Beitrag zur Entwicklung der historischen Methodik Im Konfessionellen Zeitalter wird also eine auf das katholische Europa ausgreifende neue Literaturgattung entwickelt und rege gepflegt, die verschiedene Territorien mit dem Attribut der Heiligkeit belegte. Wirkungsvolle Impulse gingen vom Münchener Hof der bayerischen Wittelsbacher aus. Sie wiesen in zwei Richtungen: Die terra sacra-Werke waren primär geographisch und historisch-statistisch an Orten ausgerichtet, die terra sanctaSchriften bauten mehr biographisch auf Personen auf. Von beiden Seiten her wurde das gleiche Endziel angesteuert, das am eindringlichsten der Stadtpfarrer von Weilheim, Christoph Selhamer78 1701 mit Blick auf das Kurfürstentum Bayern in seiner Tuba rustica ansprach79: O wohl ein heiliges

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und Bayern (Regensburg 1988) 52–56; Florian TRENNER, Bayern, in: Marienlexikon, hg. von Remigius BÄUMER–Leo SCHEFFCZYK, 1 (St. Ottilien 1988) 390–399. So z. B. RADER, Bavaria sancta (wie Anm. 47) 1 Titelkupfer mit Inschrift: Parva sed alma Dei praesignat dextera Boiam / Propinat totum virgo parensque Deum. / Tutatur Michael caelesti milite campos, / Indigetes servant oppida Boia, times. Die Kunstdenkmäler von Bayern: Regierungsbezirk Niederbayern, 4: Stadt Straubing, hg. von Felix MADER (München 1921) 250, 253; Hans Robert WEIHRAUCH, Hanns Georg Fux, Elfenbeinschnitzer und Bildhauer in Straubing (Straubinger Hefte 18, Straubing 1968) 7 mit Abb. 16. Für das Besorgen des Fotos sei Alphons Huber und Peter Schwarz herzlich gedankt. Zu Christoph Selhamer (um 1649௅1708): Markus BRANTL, Selhamer, Christoph, in: Bayerische Biographie, 1, hg. von Karl BOSL (Regensburg 1983) 721. Christoph SELHAMER, Tuba rustica (Augsburg 1701) 163f.

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land ist unser liebes Bayrland! Man schau, wohin man woll, wird man allenthalben schöne fußstapfen finden der uraltcatholischen andacht! Alle ort stecken voller kirchen, gotteshäuser, klöster und capellen, bruder-häuser und spitäler. Wie viel heilige leut in unserem lieben Bayrland geboren worden, wie viel heilige darin gestorben, wie viel sich allda von fremden landen her niedergesetzt und heilig gelebt, hat in vier großen büchern Raderus erwiesen. Wie viel wundertätige kirchfahrten seinem heiligen blut, seiner hochheiligen hosty zu ehren, seiner werten mutter zu lob, seinem heiligen kreuz zulieb, seinen lieben heiligen zu lob durch ganz Bayren Gott aufgericht, ist fast unbeschreiblich. Drum es schier das ansehen haben mag, als haben die liebe heilige ihren himmel verlassen, so viele ihnen zu ehren herrlich erbaute gottshäuser in Bayren bezogen. Der Stadtpfarrer begründete also die Heiligkeit des Landes mit seinen vielen prächtigen Kirchen, den vielen mit ihm verbundenen Heiligen und den sehr ausgeprägten religiösen Lebensformen. Auch Stadtpfarrer Selhamer verwies auf die besondere Bedeutung der besonders ausgeprägten Marienverehrung. Sie stellte den Kern der pietas Bavarica dar80. Das unterschied diese von der pietas Austriaca 81, pietas Wettina82 oder pietas Bohemica83. Diesen Anschauungen liegt vor allem jesuitisches Gedankengut zugrunde. Die Literaturgattung wurde sehr vom ausgeprägten Heiligenkult der Societas Jesu getragen84. Das mag auch der Hauptgrund dafür sein, dass sie in der Historiographieforschung nur wenig Beachtung fand und bis in die Gegenwart findet. Sie wird als konfessionspolemisches Zweckschrifttum letztlich der jesuitischen Kontroversliteratur zugeordnet und deswegen an den Rand geschoben. Doch wird eine derartige Einordnung diesem Schrifttum zu wenig gerecht. Zum einen ist zu bedenken, dass es sich um Literatur von erstaunlicher europäischer Breitenwirkung handelt. Zum anderen sind von ihr durchaus auch Impulse zur Weiterentwicklung der historischen Methodik ausgegangen. 80 Gerhard P. WOECKEL, Pietas Bavarica: Wallfahrt, Prozession und Ex voto-Gabe im Hause Wittelsbach in Ettal, Wessobrunn, Altötting und der Landeshauptstadt München von der Gegenreformation bis zur Säkularisation und der „Renovatio Ecclesiae“ (Weißenhorn 1992). 81 Anna CORETH, Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock (Österreich Archiv, Wien 21982; ins Engl. übers. von William David BOWMAN–Anna Maria LEITGEB, Indiana 2004). 82 Heribert RAAB, Clemens Wenzeslaus und seine Zeit (1739–1812), 1: Dynastie, Kirche und Reich im 18. Jahrhundert (Freiburg im Breisgau 1962) 99–111. 83 Bohemia sacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973, hg. von Ferdinand SEIBT (Düsseldorf 1974). 84 Laurentius SURIUS, De probatis sanctorum historiis (6 Bde., Köln 1570–1575; mehrere weitere Ausgaben). Vgl. Benno HUBENSTEINER, Vom Geist des Barock. Kultur und Frömmigkeit im alten Bayern (München 21978) 65–80.

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Auch dieser Quellengruppe liegt unverkennbar ein gesteigertes Bemühen um die historische Wahrheit zugrunde. Die Einbeziehung in die Auseinandersetzung der Konfessionen schuf eine förderliche Grundlage für das gesteigerte Streben nach möglichst unangreifbaren Aussagen. Dieses Bemühen wird vor allem in den umfänglichen Briefwechseln des bayerischen Jesuitenpaters Matthäus Rader85 und der österreichischen Benediktinerbrüder Pez86 deutlich, die derzeit für Editionen aufbereitet werden. Der Rader-Briefwechsel belegt, dass dieser Mitbegründer der Gattung Verbindungen in mehrere Länder Europas unterhielt, um die vielen mit seinem Werk verbundenen Fragen organisatorischer und auch wissenschaftlicher Art weiterer Klärung zuzuführen. Dabei machte er an den Konfessionsgrenzen keineswegs halt, sondern trat auch zu Andersgläubigen oder zumindest unentschieden zwischen den Fronten Schwankenden wie der Gelehrtenkoryphäe Justus Lipsius in Verbindung87. Das sehr ausgeprägte wissenschaftliche Interesse verhalf zur Überwindung der Ordensschranken und Konfessionsgrenzen. Es gewann selbst bei diesem Jesuiten das Übergewicht gegenüber der Konfession. Konfessionelle Wirkungsabsicht und Wissenschaftlichkeit schlossen sich aber gewiß nicht aus. Oberstes Leitprinzip war, den anzufertigenden Viten den höchstmöglichen Verlässlichkeitsgrad zu verschaffen. Bei der Ausarbeitung der einschlägigen Werke gelangten unverkennbar methodische Prinzipien von zukunftweisender Bedeutung zur Anwendung88. Deren wichtigstes war die konsequente Quellenarbeit: Sie betrifft die Quellenermittlung und Quellenkritik in gleicher Weise. Die in diesem Zusammenhang angefertigten Beschreibungen von Orten und Personen wurden auf breitester Quellengrundlage oftmals archivalischer Provenienz unter Einbeziehung vieler Lokalforscher auf brieflichem Wege erarbeitet. Der Herzog von Bayern wies die Klöster und Stifte seines Territoriums sogar an, ihre Bibliotheken und Archive zu ordnen und nach von ihm vorgegebenen Leitfragen zu durchforsten89. Auf diesem Wege regte er die geradezu sprunghafte Verbreiterung der Quellengrundlage für die landesgeschichtliche Forschung an. Dabei wurden die Quellengattungen über das erzählende Schrifttum 85 Der Briefwechsel des P. Matthäus Rader SJ (wie Anm. 54). 86 Thomas WALLNIG–Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010). 87 Alois SCHMID, P. Matthäus Rader SJ und Justus Lipsius. Aus ihrem Briefwechsel, in: Geschichte in Räumen, hg. von Johannes BURKHARDT–Thomas Max SAFLEY– Sabine ULLMANN. Festschrift für Rolf KIEßLING zum 65. Geburtstag (Konstanz 2006) 261–277. 88 KRAUS, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung (wie Anm. 5). 89 BStB München, cbm cat 1–3. Vgl. ROCKINGER, Die Pflege der Geschichte (wie Anm. 53) 53f.

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hinaus auch auf dokumentarische Akten und sogar Realien (Inschriften, Münzen, Wappen) geweitet. Zur sachgerechten Auswertung der sehr heterogenen Materialien wurden weiterführende methodische Prinzipien erarbeitet. Demzufolge sind die Anfänge mancher historischer Hilfswissenschaft (Diplomatik, Historische Geographie, Chronologie, Heraldik, Sphragistik, Numismatik) durchaus auch in diesem Umfeld und vereinzelt bereits vor Jean Mabillon und Daniel Papebroch zu suchen. Trotz der in den Mittelpunkt gestellten religiösen Aussage wurde auch in der terra sacra- und terra sancta-Literatur ein bemerkenswerter Beitrag zur Weiterentwicklung der historischen Methodik geleistet90. Als wichtigste Neuerung darf man aber wohl den Arbeitsansatz einstufen. Der Humanismus hatte eine letztlich genetisch angelegte Historiographie gepflegt, die den Geschichtsprozess in pädagogischer Absicht als permanente Kette von über Ursache und Wirkung untrennbar zusammenhängenden Ereignisabfolgen deutete91. Neben dieses auch weiterhin hochgehaltene Grundprinzip wurde nun das an der Enzyklopädie ausgerichtete Sammelprinzip gestellt, das dem Werk auch durch seine Stofffülle einen repräsentativen Charakter zu verschaffen suchte. Die Summe der Detailinformationen wird als nicht minder wichtig als der exemplum-Charakter eingestuft. Man reihte Orte und Personen geradezu in Art eines Kompendiums lexikalisch aneinander. Dieses sollte bereits durch die Vielzahl der Informationen dem behandelten Territorium mit seiner Dynastie Ruhm und Ehre verschaffen. Die terra sacra- und terra sancta-Literatur führte also die Territorien und die katholische Konfession zusammen und ist somit eine sehr bezeichnende Äußerung des Konfessionellen Absolutismus. Dennoch leistete sie einen bemerkenswerten Beitrag zur weiteren Verwissenschaftlichung der Geschichte. Diese Verdienste der Mitarbeiter an der terra sacra- und terra sanctaLiteratur für den allgemeinen Wissenschaftsbetrieb hat unter den Zeitgenossen bereits der Kurhannoveraner Hofbibliothekar Gottfried Wilhelm Leibniz erkannt und mehrmals mit selbstsicherem Urteil herausgestellt. Er hat von ihrem Hauptvertreter Pater Matthäus Rader wiederholt mit Worten höchster Anerkennung gesprochen92. Schon der folgenden Epoche der Aufklärung 90 Helmut FLACHENECKER, Kirchengeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft, Hagiographie und Politik, Annali dell’Istituto storico Italo-Germanico in Trento 30 (2004) 271–284. 91 LANDFESTER, Historia magistra vitae (wie Anm. 46). 92 Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Praefatio, in: Johannis Adlzreitter et Andreae Brunneri Annales Boicae gentis, hg. von Ferdinand Ludwig BRESLER (Frankfurt am Main 1710); Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe (Darmstadt– Leipzig–Berlin 1923ff.), Reihe I: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, 5 (Berlin 1954) 108 Nr. 44; 298 Nr. 164; 616 Nr. 360; 672 Nr. 36A; 6 (Berlin 1957) 158 Nr. 76, 415 Nr. 413; 540 Nr. 316.

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ist dieses Wissen verloren gegangen93. Es ist Aufgabe unserer Zeit, es von den belastenden konfessionellen Implikationen zu befreien und so neu zu entdecken94. Ohne Zweifel liegt hier eine Quellengruppe mit hoher Aussagekraft für den Kulturbetrieb in Europa um 1700 vor.

Abstract Ulrich Muhlack’s fundamental work on the history of historiography, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus95, makes an abrupt transition from the late Humanism of the 17th century to the Enlightenment of the later 18th century. The same ideas are present in other important studies of Early Modern German historiography. The notable edited volume on late Humanism by Notker Hammerstein and Gerrit Walther may serve as an example. These studies are based on the rich and important production of Protestant scholars in northern and central Germany. The work of historians in Catholic southern Germany, though no less voluminous, is scarcely mentioned here. The main reason for this serious disequilibrium is that there is still too little known about it. This gap in research to date remains to be closed. Fundamentally, what is at issue is the central question of periodisation in the history of historiography: Were Anna Coreth, Andreas Kraus or Stefan Benz justified in postulating a distinct intermediate period, which they labelled “Baroque”? For a more profound discussion of this core question of current research discourse, the genre of “Terra sancta” and “Terra sacra” literature seems to offer a promising avenue. These works, frequently by authors in monastic orders, are centred on the two fundamental categories of the Church on the one hand, and territory and dynasty on the other. Such books, some of them of immense scope, were compiled for entire countries (Germania sacra; Austria sacra; Italia sacra; Espagna sagrada), for specific territories (Helvetia sancta; Bavaria sancta; Bohemia sancta) and also for individual localities (Ratisbona sancta; Frisinga sancta). The approach to the subject matter 93 Andreas KRAUS, Die historische Forschung an der Churbayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1806 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 59, München 1959) 38–63. 94 Max SPINDLER, Der Ruf des barocken Bayern. Historisches Jahrbuch 74 (1955) 319–341; wieder in: Max SPINDLER, Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayerischen Geschichte, hg. von Andreas KRAUS (München 1966) 55–77. 95 Ulrich MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus (München 1991).

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was partly local, partly biographical. The present contribution endeavours to describe this as yet little-known historiographical genre, which fills the gap between late Humanism and Enlightenment, and takes a decisive stance in favour of the Baroque as an intermediate period in the history of historiography.

Katholische Historiographie im 17. Jahrhundert – was war vor Pez? Stefan Benz I. Humanismus und Historismus sind als Epochen der Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung vertraut und profiliert. Das Dazwischen, heute meist mit dem Begriff Vormoderne belegt, wird in einschlägigen Darstellungen1 bestenfalls durch einige prominente Namen umschrieben. Das Problem liegt offenbar darin, dass das, was weder als modern noch als epochal-charakteristisch bestimmt werden kann, kaum Aufmerksamkeit beansprucht. Es gilt als defizitär. Und diese Defizitthese gilt es aufzubrechen2. Vor knapp 100 Jahren (Uraufführung Dresden 1911) schrieb der Nietzsche-Leser Hugo von Hofmannsthal das von Richard Strauss vertonte Opernlibretto „Der Rosenkavalier“. Ziemlich zu Beginn des zweiten Aufzugs der in der Zeit Maria Theresias spielenden Handlung begegnet Sophie, aus neu geadelter reicher Familie, dem Rosenkavalier, einem Verwandten und zugleich Hochzeitsboten der zu arrangierenden Ehe mit dem bankrotten, aber altadeligen Baron Ochs. Den Rosenkavalier kennt sie indes schon, nämlich „aus dem Buch, wo die Stammbäumer drin sind. Dem Ehrenspiegel Österreichs. Das nehm ich immer Abends mit in’s Bett und such mir meine zukünft’ge gräflich’ und fürstlich’ Verwandtschaft drin zusammen“3.

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Ein anderer Ansatz jetzt bei: Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350–1750), hg. von Susanne RAU–Birgit STUDT– Stefan BENZ–Andreas BIHRER–Jan Marco SAWILLA–Benjamin STEINER (Berlin 2010), dort die ältere Literatur. Stand des Textes September 2010. Den Tagungsteilnehmern, insbesondere Herrn Petr Mat’a, sei für wertvolle Hinweise und Ergänzungen gedankt. Hugo von HOFMANNSTHAL–Richard STRAUSS, Der Rosenkavalier. Komödie für Musik, Op. 59. Klavierauszug von Otto SINGER (London 1911). Einführend Ernst KRAUSE, Oper A-Z (Leipzig 61981) 461–466, 464 zum Geschichtlichen („historischer Hintergrund“) des Sujets von Hofmannsthal, den nicht alle zeitgenössischen Kritiker goutierten: Karl PÖRNBACHER, Hugo von Hofmannsthal – Richard Strauss. Der Rosenkavalier (München 1964) 103.

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Mimetisch und chronologisch nicht ganz korrekt zitiert Hofmannsthal über Sophie hier den berühmten Spiegel der ehren des erzhauses Österreich von 16684, aber prototpyisch und symbolisch für eine Epoche der Geschichtsschreibung und im Sinne des 1910 herrschenden Historismus für eine – natürlich antiquierte – Geschichtsbetrachtung. Zugleich ist der Ehrenspiegel übrigens ein historiographisches Werk, das nicht nur in Quellenkunden gewürdigt wurde und das damit zu den wenigen bekannten barocken Geschichtswerken zählt5. Sophie also befragt diejenige Geschichte, die sie zur Orientierung braucht: Es sind hier genealogisch gearbeitete Stammtafeln, die sie über ihre zukünftige Verwandtschaft orientieren. Die Einheirat in adelige Kreise bedeutet für den Neuadeligen, meist ohne explizite eigene Familiengeschichte, diese Fremdgeschichte zu adoptieren und in die eigene Identität, möglicherweise unter Verleugnung der bisherigen, zu integrieren. Geschichtsschreibung hat also in der Gegenwart ihres Lesers für diesen eine Orientierungsfunktion. Was Jörn Rüsen in seinen theoretischen Arbeiten zur Geschichtskultur und zum Geschichtsbewusstsein entwickelt hat6, führt Hofmannsthal ganz pragmatisch, aber mit viel Einfühlungsvermögen, vor: Geschichtsschreibung wird über diese Funktionserfüllung definiert. Mit Rüsen7 hat Sophie Interessen als „Orientierungsbedürfnisse im zeitlichen Wandel der gegenwärtigen Welt“8. Für sie funktioniert Geschichte als Aufklärung über die Vergangenheit für die Zukunft und wird damit zugleich lebensweltlich brauchbar. Das heißt verallgemeinert, dass Historiographie nicht über Inhalt, Form oder Methode defniert wird, sondern über das sie auslösende Interesse in einer Krise (geschichtstheoretisch: Kontingenz). Als zu überwindende Inhalts4 5

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Digitalisat: http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/drwFugger1668 [22. August 2011]. Markus VÖLKEL, Im Spiegel des Hauses Österreich. Zur Stiftung historiographischer Einheit zwischen den habsburgischen Ländern im 17. Jahrhundert, in: Identità territoriali e cultura politica nella prima età moderna, hg. von Marco BELLABARBA– Reinhard STAUBER (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento – Contributi 9, Bologna–Berlin 1998) 187–213. Hier nur: Jörn RÜSEN, Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte (Köln– Weimar–Wien 2001) 64–67; ferner stets: Jan ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis (München 1992); und im Überblick: Susanne RAU, Erinnerungskultur. Zu den theoretischen Grundlagen frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung und ihrer Rolle bei der Ausformung kultureller Gedächtnisse, in: Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, hg. von Jan ECKEL–Thomas ETZEMÜLLER (Göttingen 2007) 135–169. RÜSEN, Zerbrechende Zeit (wie Anm. 6) 65. Natürlich spielt Hofmannsthal mit Nietzsche das Leben gegen die Geschichte als Bettlektüre aus: Sicher war der Ehrenspiegel um 1900 noch bekannter als heute, zugleich skurril genug. Sophie wird sich selbstverständlich gegen das tote, lebensfeindliche Buchwissen samt dem Baron Ochs entscheiden.

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definition von Historiographie wäre an die frühere Politiklastigkeit zu erinnern, die in den Augen der Historiker des 19. Jahrhunderts deren Vorgänger so sehr abwertete, dass man diesen geradezu den historischen Sinn absprach. Als Form würde man die sogenannte wissenschaftliche Monographie erfassen, die mit bestimmten Ritualen, Institutionen, Erscheinungsorten oder Erscheinungsweisen, etwa dem Druck, verknüpft ist. Ungedruckte Arbeiten schlösse das meistens aus; ebenso solche, deren Stil zum Beispiel als Lehrgespräch oder in literarisch gebundener Form nicht den Erwartungen entspricht, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt haben9. Doch Stilfragen sind Zeitfragen und können daher nicht zur Definition herangezogen werden: Eine historische Abhandlung als Dialog zwischen Lehrer und Schüler zu verfassen oder gar zu reimen, mag man heute als geschmacklos empfinden. Doch die Historiographiegeschichte hat ihre geschichtstheoretische Prämisse der Historizität selbst ernst zu nehmen. Die Bindung von Geschichtsschreibung an sie scheinbar generierende Institutionen ist wiederum typisch für die ältere Historiographiegeschichtsschreibung10. Und selbst die Methode ist zwar konstitutiv für Geschichtsschreibung wegen deren Anspruch, nichts Falsches oder Erdichtetes zu erzählen, aber, wie Rüsen feststellt11, nachrangig. Denn jede Methode dient zunächst nur der Beglaubigung, wobei die Voraussetzungen des Glaubenkönnens ganz unterschiedlich ausgeprägt sind. Eine typische Beurteilung in der Debatte über Quellen des eigenen Forschens lautet oft ähnlich wie – willkürlich als Beispiel herausgegriffen – die Bewertung des Friedenweilerischen gedächtnis (einer Genealogie der Fürstenberger aus dem 17. Jahrhundert) durch Sigmund Riezler: Es enthalte einige Fabeleien, sei aber ansonsten zuverlässig12. Der Widerspruch fällt anscheinend kaum auf. Lebensweltlich 9 Daniel FULDA, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760–1860 (European Cultures 7, Berlin–New York 1996); Daniel FULDA, Erschrieben oder aufgeschrieben? Zu einigen Problemen der aktuellen Historiographieforschung. Historisches Jahrbuch 120 (2000) 301–316; Johannes SÜßMANN, Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780–1824) (Frankfurter historische Abhandlungen 41, Stuttgart 2000). 10 Clemens Emil SCHERER, Geschichte und Kirchengeschichte an den deutschen Universitäten. Ihre Anfänge im Zeitalter des Humanismus und ihre Ausbildung zu selbständigen Disziplinen (Freiburg im Breisgau 1927); Notker HAMMERSTEIN, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert (Göttingen 1972). 11 RÜSEN, Zerbrechende Zeit (wie Anm. 6). 12 Fürstenbergisches Urkundenbuch, 1: Quellen zur Geschichte der Grafen von Achalm, Urach und Fürstenberg bis zum Jahre 1299, hg. von Sigmund RIEZLER (Tübingen 1877) IX.

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erst später – nicht chronologisch oder historisch! – entwickelt sich die Methode zur Hilfe und noch später zur Hilfswissenschaft der Geschichtsschreibung. Mit der funktionalen Bestimmung von Geschichtsschreibung und ihren Vorformen wie den der Methode dienenden Arbeiten ist zugleich ein wertungebundener Zugang zur Beantwortung der Frage nach der Historiographie in einem bestimmten Zeitraum gefunden. Allerdings ist dessen Beschreitung mühsam, da er nicht über theoretische Spekulation führt. Diesem Ansatz, Geschichte als Funktion in der Gesellschaft und ihrer Kultur zu begreifen, stehen die typischen älteren Ansätze des Umgangs mit Geschichtsschreibung gegenüber – ein Paradigma, die Institutionengeschichte, wurde schon genannt. Ein anderer Umgang besteht darin, alter Geschichtsschreibung erstens nur noch Quellenwert zuzuschreiben für noch ältere, aber verlorene Quellen. Der Umgang mit antiker Geschichtsschreibung zeigt dies oft. Dann gewinnt sie – zweitens – Quellenwert für die nun alten Fragen; als Forschung zur Geschichtskultur ist dies ein verhältnismäßig junger Ansatz, gewonnen in einer Zeit, die ihrerseits hektisch Fragen an die Geschichte stellt und gelegentlich dazu kommt zu überlegen, wie die Vergangenheit mit ihren Vorvergangenheiten umgegangen ist13. Diesem Vorgehen möchte ich folgen. Ohne gleichzeitig auf die Orientierungsfunktion abzuheben, bedeutete es allerdings, sich dem letztlich selektiven Umgang der Quellenkunde zu unterwerfen, die gewissermaßen das Untersuchungsmaterial stellt. Eine sogar auf die Verlagshomepage gestellte Rezension des grundlegenden Werks „Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter“ des Mediävisten Hans-Werner Goetz zeigt dieses Problem14. Der dritte Zugang ist wieder vertrauter: Alle Geschichtsschreibung wird auf ihren Beitrag zur Geschichtsforschung untersucht. Gerade hier kann das 17. Jahrhundert erstaunlicherweise punkten – kaum eine Darstellung zur Wissensgeschichte der Geschichte kommt ohne Reflex auf Mauriner und Bollandisten und ihre im 17. Jahrhundert entwickelte Forschungspraxis aus. Trotzdem werden bereits das 19. Jahrhundert und erst recht das 20. Jahrhundert nicht müde zu betonen, dass die eigentliche, die kritische und wissenschaftliche Geschichtsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt worden sei. Die deutschsprachige Forschung übernimmt diese Selbsteinschätzung mit 13 Hans-Werner GOETZ, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Vorstellungswelten des Mittelalters 1, Berlin 22008). 14 „[…] eine weitgespannte Synthese (auch mit opulenter Bibliographie), die vom hohen Reflexionsstand moderner Quellenkunde zeugt.“ Rudolf SCHIEFFER, Rezension zu: Hans-Werner GOETZ, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Berlin 1999). Das Historisch-Politische Buch 48 (2000) 3. Nach der Verlagshomepage: www.akademie-verlag.de/olb/de/1.c.1495229.de [22. August 2011].

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wenigen Ausnahmen bis heute ungeprüft. Letztlich basiert sie auf keiner einzigen wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung15, sondern auf der Abwertung von Geistlichen, speziell Mönchen als Geschichtsforschern und -schreibern. Damit traf man das Mittelalter, sehr bewusst aber zugleich die Mauriner16. Im Hintergrund dieser Beurteilung stand das Historikerbild, das den Historiker seine Geschichte zugleich leben und schließlich schreiben sieht, vergleichbar Thukydides als Prototypen. Dem dürfte aber ausgerechnet im 19. Jahrhundert kaum ein Historiker entsprochen haben – mit Ausnahme von Barthold Georg Niebuhr, der eine Römische Geschichte im Lichte der Französischen seiner Zeit schrieb und damit eine Narration schuf, die zwar in seiner Zeit Epoche machte, heute jedoch schon längst nicht mehr nacherzählt wird17. Das Knäuel aus strukturierenden Vorannahmen in der Betrachtung von Geschichtsschreibung ist eigentlich kaum zu entwirren: Auch dies spricht für den funktionalen Zugang Rüsens. Dass eine mehr oder weniger verkappte Geschichtsphilosophiegeschichte noch weiter in die Irre führte, braucht gar nicht ausgeführt zu werden18. Damit stellt sich unmittelbar die Frage nach der Empirie barocker Geschichtsschreibung rund um den Ehrenspiegel, um den selektierenden Mechanismen späterer, anderer Orientierungsbedürfnisse auszuweichen: Man darf die Fragen an die Alten nicht aus neuen, heutigen Bettlektüren ableiten. Dies soll nun für den katholischen Teil Mitteleuropas erstmals versucht werden. Erst die daraus gewonnenen Ergebnisse sind zu erklären und zu interpretieren, was im gegebenen Rahmen natürlich nur anhand einiger Schwerpunkte und essayistisch geleistet werden kann. 15 Zu dem in diesem Zusammenhang oft genannten Althistoriker Niebuhr zusammenfassend: Gerrit WALTHER, Barthold Georg Niebuhr. Römische Geschichte, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, hg. von Volker REINHARDT (Kröners Taschenausgabe 435, Stuttgart 1997) 456–459. 16 Beispiele: Fritz WAGNER, Geschichtswissenschaft [Anthologie der Geschichtstheorie] (Orbis academicus, Freiburg im Breisgau–München 1951) 23, 52, 72, 77, 172, 174, 188f., 229, 307. Als beistimmendes Urteil der Philosphiegeschichte zentral: Kurt FLASCH, Philosophie hat Geschichte, 1: Historische Philosophie. Beschreibung einer Denkart (Frankfurt am Main 2003); 2: Theorie der Philosophiehistorie (Frankfurt am Main 2005); hier 2 280. 17 Sie endet wie so viele spektakuläre Darstellungen dort, wo der Erzähler seinen quasi Hegelschen Geist den zahlreicher erhaltenen Quellen unterwerfen müsste, ähnlich Jacques Benigne Bossuets Universalgeschichte. Vgl. Anm. 15. 18 Charles-Olivier CARBONELL, Pour une histoire de l’historiographie. Storia della storiografia 1 (1982) 7–25, insbes. 24. Zur Entstehung: Andreas Urs SOMMER, Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Entstehung spekulativ-universalhistorischer Geschichtsphilosophie zwischen Bayle und Kant (Schwabe Philosophica 8, Basel 2006).

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II. Schon länger bemühe ich mich, die katholischen Historiker der Frühen Neuzeit empirisch zu erfassen. Im Rahmen meiner 2003 erschienenen Dissertation19 habe ich auch deren Verzeichnis publiziert, sofern ihre Arbeiten von 1563 bis 1735 gedruckt veröffentlicht waren. Jan Marco Sawilla hat sie gezählt20. Es sind 1076. Für die berechtigte Frage, wie diese Daten zusammengestellt wurden, verweise ich auf das 2003 dort Gesagte. Ich drücke mich damit keineswegs vor einer klaren Definition dessen, was Historiographie denn sei. Hierzu habe ich einleitend auf die Orientierungsfunktion verwiesen, die man theoretisch wie praktisch herleiten konnte. Dies schloss Arbeiten aus, deren Methode zwar historisch-philologisch sein mochte, deren Funktion aber nicht auf Orientierung im Zeitverlauf zielte, sondern die juristisch-administrative Zwecke verfolgten21. Historiographische Werke sind demnach solche, die nicht nur als Abfallprodukt aktueller Rechts- und Verwaltungsvorgänge entstanden sind (nichtsdestoweniger wurden einige Epoche machende Deduktionen und Mischformen berücksichtigt), z. B. der Bericht an einen Vorgesetzten über Kriegsverwüstungen. Kein historisches Werk ist die historische Interpretation dogmatischer Standpunkte der Theologie (oder der Naturwissenschaften), ein historisches Werk ist auch nicht die angewandte Literaturgeschichte (also die Diskussion mit geschichtlichen Autoritäten über ein in der Gegenwart empfundenes Problem), diese selbst, als nur allgemein orientierend über die Zeiten, hingegen schon. Belletristik, schöne Literatur, ist dann Historiographie, wenn sie ein geschichtliches Sujet im rhetorischen Gewand wenigstens nicht nur beiläufig verfolgt. Eine klare Grenzziehung ist nicht einmal theoretisch möglich22. 19 Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003); neuer: Nunc alia tempora, alii mores. Storici e storia in età posttridentina, hg. von Massimo FIRPO (Fondazione Luigi Firpo – Centro di studi sul pensiero politico – Studi e testi 25, Firenze 2005). 20 Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit 131, Tübingen 2009) 66. 21 Vgl. dagegen: Richard FELLER–Edgar BONJOUR, Geschichtsschreibung der Schweiz (2 Bde., Basel–Stuttgart 1962 [die zweite Auflage lag mir nicht vor]) 1 158f.: diplomatische Akten; ebd. 159f.: Depeschen mailändischer Gesandter, ebd. 94–96: Habsburgisches Urbar von circa 1330; ebd. 95: „eine ausgezeichnete Quelle“, sonst Namen und Werktitel und Gattungsnamen wie „anonyme Schweizerchronik“. 22 Über die prekäre Grenze zwischen dem rein ästhetischen Schreiben und dem Schreiben unter einem Sachgesichtspunkt, der Prosa des wissenschaftlichen Denkens bei

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Das 2003 publizierte Verzeichnis wurde seitdem zwar nur von wenigen zur Kenntnis genommen23, aber unverdrossen weiter ergänzt. Und verstärkt wurden ungedruckte Arbeiten miteinbezogen, die allerdings zumindest beiläufig auch zuvor schon erfasst worden waren. Zahlreiche Handschriftenkataloge und auch einige ungedruckte Bibliothekskataloge wurden seitdem konsultiert. Dass dies angesichts der schlechten Katalogisierung frühneuzeitlicher Handschriften Stückwerk bleiben muss24, wird einleuchten. Im Folgenden werde ich die Qualität dieser über einen langen Zeitraum gesammelten Daten nicht über deren Quellen, sondern über die Zahlen und deren Aussagen zu erweisen suchen. Die Daten liegen nicht als Datenbank, sondern als Tabelle vor, die eigentlich den Index zu einer – wenn man so will – analogen Papierkartei darstellt. Der erste Zugang als Datenmenge, diese definiert über ihren Druckumfang, berücksichtigt in einem bescheidenen Umfang auch die von den Historikern verfassten Werke, weil sich bei hoher Werkanzahl als Produktivität die Zeilenzahl und damit die Datenmenge erhöht. Das Jahrzehnt bildet jeweils eine Kohorte, das heißt Grundlage sind die (teils angesetzten) Geburtsdaten der Historiker. 1520–1529: 2 3/4 Seiten 1530–1539: 3 1/5 Seiten 1540–1549: 4 Seiten 1550–1559: knapp 4 Seiten 1560–1569: 5 Seiten 1570–1579: 5 1/2 Seiten 1580–1589: 7 Seiten 1590–1599: knapp 7 Seiten Hegel: Käte HAMBURGER, Die Logik der Dichtung (Frankfurt am Main–Berlin– Wien 1980 = 31977) 21f.; Knut BACKHAUS–Gerd HÄFNER, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (Biblischtheologische Studien 86, Kempten 2007). 23 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 20); Martin HILLE, Providentia Dei, Reich und Kirche. Weltbild und Stimmungsprofil altgläubiger Chronisten 1517–1618 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 81, Göttingen 2010) 32. 24 Übersichten: www.handschriftencensus.de; www.manuscripta-mediaevalia.de [11. Oktober 2011]. Umso wichtiger Arbeiten wie: Christine GLAßNER, Neuzeitliche Handschriften aus dem Nachlass der Brüder Bernhard und Hieronymus Pez in der Bibliothek des Benediktinerstiftes Melk (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Denkschriften 372 = Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, Reihe IV 7, Wien 2008); oder die Bibliothekskataloge vor allem der südwestdeutschen großen Sammlungen sowie die online gestellten Kataloge der Österreichischen Nationalbibliothek.

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1600–1609: 6 1/3 Seiten 1610–1619: 6 Seiten 1620–1629: 5 3/4 Seiten 1630–1629: knapp 6 1/2 Seiten 1640–1649: knapp 5 1/2 Seiten 1650-1659: 6 Seiten 1660–1669: knapp 6 Seiten 1670–1679: 6 1/2 Seiten 1680–1689: 7 1/3 Seiten 1690–1699: 6 1/3 Seiten 1700–1709: 4 3/4 Seiten 1710–1719: knappe 3 Seiten Der Beginn des validen Bereichs der Daten ist wegen des damaligen Medienwandels infolge des Aufkommens des Buchdrucks schlecht einzuschätzen. Da mit einer raschen Steigerung der Buchproduktion zu rechnen ist, könnte der ganze Bereich einschließlich der Jahrgänge ab 1520 zumindest die Tendenz gut widerspiegeln. Der quantitative Höhepunkt der Geschichtsschreibung liegt bei der Generation ab 1580 und wieder 1680 als absolutem Höhepunkt. Der Rückgang ab 1690 – scheinbar geradezu dramatisch – ist allein auf die Datenerfassung zurückzuführen, die nur darauf angelegt war, alle bis etwa 1735 publizierenden Historiker zu erfassen. Vermutlich sind die Daten ab dem Geburtsjahrgang etwa 1687 untereinander nicht mehr vergleichbar und damit nicht mehr valide, allerdings mit pro Jahr nur langsam abnehmender Qualität. Das erste Maximum von 1580 wird man klassisch mit dem nun durchschlagenden Erfolg der katholischen Reform bis zum Restitutionsedikt erklären, das Minimum 1620 und 1640 mit seinem Rückgang ab 1590 mit den Kriegsereignissen und deren wohl nicht ernsthaft zu bestreitenden demografischen und ökonomischen Folgen für Mitteleuropa. Dieser Effekt ist auch für die Qualität der Datenerfassung von Interesse, weil die Zahlen beweisen, dass Sondereffekte wie die selbstverständlich eingearbeitete Zusammenstellung der historiographischen Selbstzeugnisse zum Dreißigjährigen Krieg von Benigna von Krusenstjern25 nicht wirklich durchschlagen: Diese bremsten den Rückgang der Historikerzahlen offensichtlich nicht wesentlich. Die Datenerfassung dürfte also als sehr tief zu bezeichnen sein und wird nicht allein dem Zufall just eingearbeiteter Bibliothekskataloge, retrospektiver Landesbibliographien (die bekanntlich nicht für jede Region Mitteleuropas vorliegen, insbesondere fehlen Altbayern und das Rheinland), gerade 25 Benigna von KRUSENSTJERN, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (Quellen und Darstellungen zur Sozial- und Erfahrungsgeschichte 6, Berlin 1997).

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exzerpierter Klostermonographien, meinen regionalen Vorlieben oder Bibliotheks- und Archivbesuchen verdankt26. Die statistisch-inhaltliche Auswertung beschränkt sich auf die 119 Jahre von 1570 bis 1689, deren Daten auf jeden Fall qualitativ hochwertig sind. Datenstand ist der Sommer 2010.

III. Zu den Rubriken der nachstehenden Tabelle (S. 52) ist Folgendes zu sagen: Die ständische Zuordnung folgt wesentlich den angenommenen kulturellen Großgruppen innerhalb einer katholischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Sie folgt den Orden, allerdings nur für männliche Historiker. Historikerinnen sind nicht einbezogen, weil die Ordenszugehörigkeit bestenfalls eine negative Rolle spielt: Wenn der Orden seine Frauenklöster – dort sitzen die Historikerinnen – straff männlich verwaltet, kommt es zu keiner weiblichen Geschichtsschreibung (prototypisch bei den Prämonstratensern). Manche Orden sind ferner geschlechtsspezifisch wie die Klarissen. Eine Differenzierung innerhalb des Laienstandes wäre vielleicht wünschenswert, etwa um berufene Historiker, genealogisierende Standesherren und Zeit- und Tagebuchschreiber zu differenzieren, brächte jedoch kaum valide Daten, zu zufällig ist die Kenntnis zu den letzten beiden Gruppen. Auch die Differenzierung zwischen Kanonikern und übrigen Geistlichen wäre nur dann wirklich valide, wenn sie ständisch unterfüttert werden könnte, was bei den zumeist bürgerlichen Kollegiatstiften jedoch selten der Fall sein kann. Außerdem ist anzunehmen, dass für nahezu jede Pfarrei im Verlauf von 300 Jahren einmal ein Pfarrer eine historische Beschreibung schrieb, die im Pfarrarchiv überliefert wäre. Angesichts der bestenfalls dezentralen Erschließung und schwierigen Zugänglichkeit von Pfarrarchiven taucht diese zu vermutende Textsorte jedoch so gut wie nicht auf. Die regionale Auswertung erscheint zunächst widersinnig angesichts der universalen Welt der katholischen Kirche, doch muss es auch um eine Zuordnung zu Großregionen gehen, um Schwerpunktbildungen historischen Interesses und Bedingungen geschichtlichen Arbeitens erkennen oder Vorannahmen falsifizieren zu können. Angenommen wurden Großregionen, die im Wesentlichen den Reichskreisen entsprechen. Das Kurrheinische Gebiet wurde dabei teils Köln (nämlich Trier), teils Franken (nämlich Mainz) zugeschlagen. Salzburg zählt selbstverständlich zu Bayern, Lüttich hier zu 26 Selbstverständlich berücksichtigt: Thomas WALLNIG–Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709– 1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010).

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Tabelle 1: Katholische Historiker im 17. Jahrhundert – Auszählung der vorhandenen Daten (Zählfehler bis zu zwei von Hundert; Datenstand 15. August 2010).

Belgien. Die Vorderösterreichischen Lande einschließlich Vorarlbergs wurden Oberschwaben/Oberdeutschland zugeordnet. Die Provinzgrenzen der Orden nehmen diese Rücksichten natürlich nicht, das heißt Schweizer und Tiroler

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Jesuiten finden sich nun tendenziell bei Bayern (was die Zahl Schweizer Historiker naturgemäß verringert), Franziskaner und Dominikaner werden eher Oberschwaben zugeschlagen, sofern der Inhalt ihrer Arbeiten dem nicht widerspricht. Eine Auswertung in Hinblick auf die geschriebenen, gedruckten und ungedruckten Arbeiten kann nicht mit Zahlen unterfüttert werden; hierzu wäre eine eingehende nochmalige Analyse des vorliegenden Zettelkatalogs nötig, insbesondere wegen der ungedruckten Arbeiten, die eher summarisch umschrieben wurden (und als bibliographische Einheit ohnehin immer dem Zufall des Buchbinders ausgeliefert sind), und wegen jener gedruckten Werke, die man gewöhnlich nicht oder nur am Rande zur Historiographie zählt, wie den Monographien zu Wallfahrtsorten, in denen die Geschichte des Orts jedoch zumeist eine bedeutende und auch theoretisch nicht akzidentielle Rolle spielt, Geschichte also als solche funktioniert, indem sie orientiert. Der Anteil der Historiographie zur Abgrenzung vom reinen Mirakelbuch ließe sich jedoch nur durch Autopsie klären, ein gerade bei diesen Schriften fast aussichtsloses Unterfangen27. So muss ich mich auf wenige qualitative Beobachtungen beschränken, die direkt in die Analyse einfließen. Die Zahlen selbst unterliegen Zählfehlern (diese habe ich zur Arbeitserleichterung akzeptiert), Zuordnungsfehlern als Folge von Einzeldatenfehlern oder nur oberflächlichen Kenntnissen des Bearbeiters und Fehlern in der Vollständigkeit, insbesondere weil sich die Erfassungskriterien im Laufe der Bearbeitungszeit natürlich verändert haben. Darauf wird bei einzelnen Ergebnissen zurückzukommen sein. Allerdings verteilt sich diese Sorte Fehler gleichmäßig auf den Zeitverlauf. Ferner wirken als Störung Einzelereignisse auf die Zahlen. Zum Beispiel verändert eine an sich bescheidene Klosterchronik, geschrieben aber von drei Verfassern, niedrige Werte gravierend, und diese sind dann folglich nicht systemisch interpretationsfähig, sondern Ausrutscher oder geschichtstheoretisch mit Johannes Thyssen definitiv „Zeiteinmaligkeit“ und daher nur als solche erklärbar. Dies dürfte die Schwankungen bei den Prämonstratensern erklären, auffällig das Maximum 1610, deutlich nach dem Norbert-Rummel der 1620/30er Jahre, gleichzeitig das freilich bescheidenere Maximum der Zisterzienser. In der Übersicht fehlen außerdem anonyme Arbeiten, was aus heutiger Sicht umso mehr zu bedauern ist, als diese lokal und sozial nahezu immer zuzuordnen gewesen wären28.

27 Viele Drucke sind nur noch aus Zitierungen und Rechnungen bekannt. Vgl. Gustav GUGITZ, Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch (5 Bde., Wien 1956–1958) passim. 28 Auch die wesentlich anspruchsvollere Arbeit von Martin Hille schließt Anonymi faktisch aus: HILLE, Providentia Dei (wie Anm. 23), 31f.

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IV. Zu den Beobachtungen im Einzelnen: Bemerkenswert beim Blick auf gleichmäßig Beobachtbares erscheint die durchgängig recht hohe Zahl von Laien, wozu noch teils die Kanoniker zu addieren sind. Die Vorstellung von einer weitgehenden Dominanz des Monastischen erweist sich als nicht ganz triftig. Ob die (geringe) Zunahme von 1680 bereits auf eine binnenkatholische Säkularisierung historiographischer Tätigkeit hindeutet, muss angesichts des Fehlens weiterer Zahlen für die folgenden Jahrzehnte offen bleiben. Eine ideen- oder geistesgeschichtliche Säkularisierung ist jedenfalls nicht zu beobachten, da die Zahlen für die Geistlichen ihrerseits ziemlich konstant bleiben. Auch die ständische Schichtung variiert kaum. Dies spricht zumindest nicht gegen die Konstruktion einer Epoche von Geschichtsschreibung – oder besser: Geschichtskultur. Innerhalb der monastischen Welt dominieren die Jesuiten nur von 1590 bis 1609; wer – wie noch Hans-Ulrich Wehler29 – die Geschichte der katholischen Welt etwa des 18. Jahrhunderts von den Jesuiten her beschreiben will, irrt also. Einschränkend muss aber bemerkt werden, dass ich die Zählung jesuitischer Historiker in Auswertung der elf Bände der Bibliothèque de la Compagnie de Jésus30 fast am Anfang der gesamten Forschungstätigkeit vorgenommen habe, noch unter dem Eindruck eines sehr engen, durch moderne Kategorien geprägten Begriffs von Geschichtsschreibung und -forschung. Eine erneute Auswertung dieser überaus zuverlässigen und informierten Datenquelle könnte die Zahlen zu Gunsten der Jesuiten erhöhen. Erklärend hingegen ist, dass die Kollegien wie der gesamte Orden naturgemäß „jung“ und damit wenig attraktiv für die eigene Geschichte waren, die Jesuiten jedoch seit der zweiten Generation überdies eifrig die Geschichte ihrer Gemeinschaft und ihrer hervorragenden Persönlichkeiten offiziell befördert haben. Als italienische oder spanische Angelegenheit spiegelt sich dies indes nicht in den hier vorgelegten Zahlen wider31. Dass in den Kollegien 29 Walter DEMEL, Wehlers „Gesellschaftsgeschichte“. Ein Monumetalwerk in der Tradition preußisch-aufgeklärter Geschichtsschreibung. Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 53 (1990) 133–147. Differenzierende Darstellungen: Peter HERSCHE, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, (2 Bde., Freiburg–Basel–Wien 2006); oder für Wehlers Zeit: Helmut Walser SMITH, German Nationalism and Religious Conflict. Culture, Ideology, Politics 1870–1914 (Princeton 1995). 30 Carlos SOMMERVOGEL, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle édition (11 Bde., Bruxelles–Paris 1890–1932 [Corrections et additions, Toulouse 1930]). 31 Jean Marie PRAT, Leben und Wirken des R. P. Peter de Ribadeneyra aus der Gesellschaft Jesu, übers. aus dem Französischen von Matthias GRUBER (Regensburg 1885), insbes. 429–554.

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nicht nur jährlich rückblickende Berichte verfasst worden sind, sondern auch das Genre der zusammenfassenden Hausannalen gepflegt wurde, ist ebenfalls nur zu bekannt und unterstreicht die nicht geringe Rolle des Geschichtlichen im Horizont der Jesuiten. Da diese Werke meist anonym verfasst wurden, tauchen sie hier ebenfalls nicht auf. Es überrascht die hohe und relativ gleichmäßige Tätigkeit der Bettelorden, wobei die Zahlen fast ausschließlich auf die Franziskaner zu buchen sind, die allerdings in Minoriten und Observanten zerfallen, was hier nicht berücksichtigt wurde. Darauf wird zurückzukommen sein. Im Zusammenhang mit den Zahlen für die Laien deutet sich an, dass die Befassung mit Geschichte eher eine Angelegenheit für diejenigen ist, die in den Augen der Zeit weniger gebildet sind, oder umgekehrt zeitgenössisch ein Indiz geringerer Intellektualität und größerer Volkstümlichkeit. Dies zeigt sich ähnlich in den Klöstern und Konventen der weiblichen Orden, wo besonders im Südwesten viele Historikerinnen arbeiteten, in einer Region (Diözese Konstanz), die als Terziarinnenparadies galt. Die Konvente waren oftmals noch nicht einmal klausuriert, und die Lateinkenntnisse sicher geringer als in den Klöstern, die österreichisch als „Stifte“ bezeichnet würden, aber einen geringeren Anteil an Historikerinnen zeigen würden. Ziemlich bedeutungslos scheinen die Dominikaner, die ihr Maximum überdies antizyklisch 1630 und 1650 erreichen. Dies ist vielleicht überraschend, angesichts der mutmaßlichen Bedeutung des Ordens für die Theologie und die Geschichtstheorie, legte doch der spanische Dominikaner Melchior Cano eine zusammenfassende Grundlage für die Historik, die bis ins 17. Jahrhundert viel zitiert wurde. Es folgt jedoch möglicherweise dem, was zuvor über den Zusammenhang von Geschichte und Bildung gesagt wurde. Innerhalb der Ordensgeschichte der Dominikaner scheint dies aber spezifisch mitteleuropäisch zu sein, fehlte es doch dem Orden kaum an Gelehrten und auch nicht an Historikern, wie beispielsweise der Blick nach Polen und Weißrussland zeigt, wo zumindest summarisch jeder Konvent seine Geschichtsbeschreibung im Rahmen von umfangreicheren Monographien gefunden hat32. Des Ordens Bemühung um eine umfassende Historiographie ab 1694, als man beschloss, eine kumulierende Haus- und Ordensgeschichte zu verfassen, die die einzelnen Ordenshäuser und Provinzen durch Einsendung 32 Ludwig FINKEL, Bibliografia Historyi polskiej (3 Bde., Lemberg 1891–1906, Reprint Warschau 1955) 2 676–678. Böhmen: Jakub ZOUHAR, PĜehled dČjepisectví dominikánského Ĝádu v ýechách a na MoravČ v 16.-18. století II. (Addenda et Corrigenda), in: Locus pietatis et vitae. Sborník pĜíspČvkĤ z konference konané v Hejnicích ve dnech 13.-15. záĜí 2007, hg. von Ivana ýORNEJOVÁ–Hedvika KUCHAěOVÁ–KateĜina VALENTOVÁ (Praha 2008) 165–188 (deutsche Zusammenfassung, hier zu Hyazinth Stixa).

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von Einzelnarrativen zu speisen gehabt hätte, trug erst ab 1756 sichtbar Früchte33. Als verhältnismäßig konstant und nicht gering erweist sich die Bedeutung des Kanonikerstands, also der Geistlichen in den rund 316 (geschätzt inklusive der habsburgischen Niederlande) Stiftskapiteln Mitteleuropas, und einiger Domkapitulare, die auch zu bischöflichen Würden aufstiegen. Am bekanntesten ist der Fürstbischof von Paderborn und Münster, Ferdinand von Fürstenberg34, zu nennen sind unbedingt35 auch Johann Flugi von Aspermont, Fürstbischof von Chur (geboren 1595), in Frankreich die bekannten Bischöfe und Geschichtslehrer Jacques-Bénigne Bossuet oder Valentin Esprit Fléchier, Bischof von Nîmes. Die Zahl normaler Geistlicher ist dagegen kaum zu interpretieren, zumal hier die Forschungs- und Verzeichnungslage viel zu schlecht ist, wie schon ausgeführt wurde: Man weiß aber, dass sich zahlreiche Ortsgeistliche für ihre lokalen Wallfahrten einsetzten und dies historiographisch begleiteten. Hinter den von mir zusammengefassten „anderen Orden“ verbergen sich zunächst Kartäuser, die nach der unmittelbaren „Gegenreformation“ jedoch aus der Statistik weitgehend verschwinden; dann Augustinereremiten. Das Minimum 1620 geht mit dem allgemeinen Trend, das Ansteigen in Folge ist zum Teil schon (in Mitteleuropa) neuen Orden wie Serviten, Piaristen und Trinitariern geschuldet. Ihre Bedeutung dürfte in den kommenden Jahrzehnten bei einer Integration von Frauengemeinschaften noch steigen, wo an Orden und Kongregationen wie Ursulinen36 und Englische Fräulein (Congregatio Jesu), Annunziaten, Elisabethinen und Salesianerinnen zu denken ist. Allerdings gilt hier, dass deren Geschichtskultur der der Jesuiten vergleichbar ist, also die Führung teils sehr umfangreicher, aber eben auch 33 Tommaso MAMACHI–Vincenzo FERRETTI, Annales ordinis Praedicatorum (Roma 1756); zum Projekt: Christine GADRAT, L’ênquete de l’ordre dominicain de 1694, in: Dom Jean Mabillon. Figure majeure de l’Europe des lettres, hg. von Jean LECLANT– André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 587–603. 34 Jörg ERNESTI, Ferdinand von Fürstenberg (1626–1683). Geistiges Profil eines barocken Fürstbischofs (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 51, Paderborn 2004) 174–190. 35 Dies, zumal der Druck in Hohenems erschien, wo zwar rare, aber bemerkenswerte historiographische Arbeiten publiziert wurden, etwa: Hans Georg SCHLEH, Die Embser Chronik (Hohenems 1616, Reprint als Jahresgabe des Vorarlberger Landesmuseums in Bregenz, Hohenems–Bregenz 1925). 36 Christine SCHNEIDER, Kloster als Lebensform. Der Wiener Ursulinenkonvent in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (1740–1790) (L’Homme Schriften 11, Wien– Köln–Weimar 2005); allgemein: Anne CONRAD, Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Abteilung Religionsgeschichte 142, Mainz 1991).

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anonymer Annalen bedeutet. Jedenfalls scheinen die Frauengemeinschaften nach 1600 einen deutlicheren Aufschwung zu nehmen als die vielleicht weniger flexiblen Männerorden. Als relativ konstant kann der sehr hohe Anteil des Benediktinerordens gelten, der sich genau dem Trend anpasst beziehungsweise diesen fast abbildet. Der Einbruch des Dreißigjährigen Kriegs ist deutlich, der Anstieg einschlägiger Arbeiten im Zuge der katholischen Reform jeweils gegen Ende der beiden Jahrhunderte ebenfalls. Die Apologie für den Benediktinerorden, mit der Bernhard Pez seine Karriere als Ordenshistoriker begann, entbehrt also nicht des triftigen Grundes37. Als recht konstant erweist sich der Anteil der Frauen innerhalb der Geschichtsschreibung, 6,5% von 2136 gezählten. Insgesamt 140 Verfasserinnen lassen sich für den Zeitraum namentlich angeben – bislang war davon wohl kaum ein halbes Dutzend bekannt38. Die Bedeutung der Geschichte auch für Frauenklöster wird durch die Arbeit der Hl. Theresa von Avila unterstrichen, die selbst die Geschichte ihrer Klosterstiftungen schrieb39. In Mitteleuropa waren mit nur einer (erschlossenen) Ausnahme (Bittrich voll deß himmlischen Manna von Maria Seraphina Gollner, erschienen in München 1721) nur ungedruckte Werke zu berücksichtigen. Auch in Italien und Portugal finden sich unter Namensnennung gedruckte weibliche Geschichten nur ausnahmsweise40. Etwaige Drucke haben die Oberinnen von Frauenkonventen offiziell Männern übertragen, was dann der Fall ist, wenn es sich zugleich um Kult37 Bernhard PEZ, Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti (Kempten 1715); vgl. das Verzeichnis der darin genannten Autoren bei: Thomas WALLNIG, Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“ von Bernhard Pez (1715). Beobachtungen und Personenregister, in: Vergangenheit und Vergegenwärtigung. Frühes Mittelalter und europäische Erinnerungskultur, hg. von Helmut REIMITZ–Bernhard ZELLER (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Denkschriften 373 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 14, Wien 2009) 9–30. 38 Charlotte WOODFORD, Nuns as Historians in Early Modern Germany (Oxford 2002); andere Überblicke: Natalie ZEMON DAVIS, Gender and genre: Women as Historical Writers 1400–1820, in: Beyond the Sex. Learned Women of the European Past, hg. von Patricia H. LABALME (New York– London 1984 [Erstausgabe 1980]) 153–182; Isobel GRUNDY, Women’s History? Writings by English Nuns, in: Women, Writing, History 1640–1740, hg. von Isobel GRUNDY–Susan WISEMAN (London 1992) 126– 138; Kate J. P LOWE, Nuns’ Chronicles and Convent Culture in Renaissance and Counter-Reformation Italy (Cambridge 2003); Electa ARENAL–Stacey SCHLAU, Untold Sisters. Hispanic Nuns in their Own Works (New Mexico 1989). 39 Wilhelm PINGSMANN, Santa Teresa de Jesus. Eine Studie über das Leben und die Schriften der heiligen Theresia (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland, Vereinsschrift 1886/1, Köln 1886). 40 Maria Seraphina Gollnerin starb 1737 in München. Nicht verschwiegen sei, dass die Münchner Franziskaner den Terziarinnen um Oberin Gollner die Verfasserschaft

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orte, um adelig dominierte Kanonissenstifte oder um Ordensgeschichte zum Beispiel in der Biographie einer Anfängerin wie Maria Ward handelte. Für den recht konstanten Anteil von Historikerinnen möchte ich zwei Erklärungen, die sich ergänzen, anbieten. Erstens treten keine Störungen durch Forschergruppen, wissenschaftliche Projekte, gegenseitige Anregungen auf, die innerhalb eines Jahrzehnts als Teil einer Generation bei den männlichen Kollegen die Zahlen einmalig nach oben treiben könnten und die Statistik als Kontingenz stören. Die Klostergeschichte, ob retrospektiv oder eher zeitgeschichtlich, ist das einmalige Produkt einer einmaligen Tätigkeit. Dies schließt nicht aus, dass Chroniken später immer wieder abgeschrieben, redigiert und fortgesetzt wurden. Einzelne Klöster wie Nonnenwerth (Benediktinerinnen) verfügen daher über eine umfangreiche, eigene Geschichtssschreibung. Da die Arbeiten sehr oft anonym sind, tauchen sie allerdings in unserer Statistik nicht auf. Dafür sind sie mittlerweile als aktuelles Forschungsprojekt des Verfassers41 ziemlich vollständig ermittelt worden. Daraus möchte ich eine zweite Erklärung (der relativen Konstanz durch die Jahrzehnte hindurch) anbieten: Hier zeigt sich die Basisarbeit des Geschichtsbewusstseins, das bekanntlich als anthropologische Konstante zeit- und kulturunabhängig definiert wird. Folglich dürfte seit dem 16. Jahrhundert jedes Frauenkloster wenigstens eine Geschichtsschreiberin oder beauftragte Geschichtsbeschreibung gefunden haben. Der Medienwandel der Frühen Neuzeit hingegen bleibt hier ohne Bedeutung, da die Geschichtsschreibung der Frauenklöster nie als Teilnahme an einem öffentlichen, potentiell wissenschaftlichen Diskurs konzipiert war (die wenigen Ausnahmen sind umso bemerkenswerter). Der Text bezieht sich nicht auf andere, bereits fertige Texte wie Ordenschroniken, Provinzdes Geschichtswerks absprachen, doch, wie die archivalische Überlieferung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zeigt, zumindest dem Geist nach zu Unrecht. Näheres: Stefan BENZ, Lob und Gedächtnis. Historiographie in Münchner Frauenklöstern der Frühneuzeit, in: Glaube und Geschlecht. Fromme Frauen – spirituelle Erfahrungen – religiöse Traditionen, hg. von Ruth ALBRECHT–Annette BÜHLER-DIETRICH–Florentine STRZELCYK (Literatur – Kultur – Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte Große Reihe 43, Köln–Weimar–Wien 2008) 198–214. Die europäischen Ausnahmen (Namensnennung auf dem Titelblatt) sind: Angelica BAITELLI, Annali di S. Giulia, hg. von Valentino VOLTA (Brescia o. J.), enthält unter anderem: Angelica BAITELLI, Annali historici dell’edificatione, erettione e donatione del monasterio di S. Salvatore e Giulia di Brescia (Brescia 1657); Angelica BAITELLI, Vita, martirio e morte di santa Giulia Cartaginese crocifissa (Brescia 1657); Maria DO BAPTISTA, Livro da fundação do mosteiro do Salvador da Cidade de Lisboa (Lisboa 1618). Weiteres vgl. auch Anm. 69. 41 Vgl. die Homepage des Verfassers: www.neu.uni-bayreuth.de/de/Uni_Bayreuth/ Fakultaeten/5_Kulturwissenschaft/Facheinheit_Geschichte/didaktik_geschichte/de/ projects/index.html [11. Oktober 2011].

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annalen, biobibliographische Historien usw., die dekonstruiert werden oder der Rekonstruktion dienen, sondern schöpft ausschließlich aus der Überlieferung des eigenen Klosters. Die durch den Buchdruck, dann durch wissenschaftliche Zeitschriften veränderte Verfügbarkeit von kursierenden Texten, Fremdtexten, spielt hier also keine anregende (kontingente) Rolle42. Zusammengefasst heißt das, dass Benediktiner, Jesuiten, Kanoniker und Frauen trotz des quantitativen Unterschieds gewissermaßen die konstante Grundströmung katholischer Geschichtsschreibung bilden (die Laien sind für diese Aussage zu inhomogen). Zur klassischen Geschichtsschreibung treten aber selbstverständlich generell, also geschlechtsunabhängig, noch andere Ausdrucksformen für Geschichte wie Geschichtsbilder (seit dem 19. Jahrhundert: Historienbilder), Rituale, an Sachobjekten kristallisierte Narrationen von Geschichte und epigraphische Denkmäler aller Art43. Das heißt, jede Institution, jedes soziale Aggregat hat über ein Narrativ verfügt, das über die Geschichte für die Zukunft orientierte. Die Zahlen unterstreichen also die These von der Zeitlosigkeit des menschlichen Geschichtsbewusstseins, dessen Deskription damit die Basis jeder Geschichtstheorie bzw. Wissenstheorie von Geschichte darstellen muss. Beim Blick auf die Regionen ist Folgendes zu bemerken: Relative Gleichmäßigkeit zeigt sich für die Regionen Schwaben, Franken und Bayern im Rahmen des global steigenden Trends. Die Minima spiegeln weitgehend die demographischen oder kulturellen Entwicklungen. Die Zahlen für die Schweiz – überdies eine Restklasse – sind kaum interpretierbar, während unter dem „Rest“ eher kosmopolitische Historiker oder oberdeutsch mobile Ordensleute zu verstehen sind, kaum jedoch Historiker, die den Resten des mitteldeutschen Katholizismus entstammen44. 42 Das war tendenziell schon im Spätmittelalter so. Musteruntersuchung: Eva SCHLOTHEUBER, Humanistisches Wissen und geistliches Leben. Caritas Pirckheimer und die Geschichtsschreibung im Nürnberger Klarissenkonvent, in: Die Pirckheimer. Humanismus in einer Nürnberger Patrizierfamilie, hg. von Franz FUCHS (Pirckheimer Jahrbuch 21, Wiesbaden 2006) 89–118. 43 Manfred HANISCH, Historienmalerei und nationale Sinnstiftung, in: Bild und Geschichte, hg. von Siegfried MATTL–Karl STUHLPFARRER–Georg TILLNER (Wiener Zeitgeschichte-Studien 2, Innsbruck–Wien 1997) 21–33; Hartmut BOOCKMANN, „Historiae“ auf Tafeln, in: Die Geschichtsschreibung in Mitteleuropa. Projekte und Forschungsprobleme, hg. von Jarosáaw WENTA (Subsidia historiographica 1, Thorn 1999) 41–51; Gertrud BLASCHITZ, Wort und Bild auf Realien. Ein Versuch zur Systematik von Inschriften, in: Text als Realie. Internationaler Kongress Krems an der Donau 3.–6. Oktober 2000, hg. von Karl BRUNNER–Gerhard JARITZ (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 704, Wien 2003) 263–296. 44 Hochstift Hildesheim und Klöster der ehemaligen Hochstifte Magdeburg und Halberstadt, hierzu: Franz SCHRADER, Ringen, Untergang und Überleben der katholischen

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Natürlich ließen sich innerhalb einer Region nun Differenzierungen vornehmen: Bayern45 zerfällt in einen monastischen Anteil an Geschichtsschreibung und einen dynastischen oder landesgeschichtlichen, kaum jedoch findet sich städtische Geschichtsschreibung. Am Niederrhein dominiert Köln, was aber schlicht eine Frage der Zentralität der mit Druckereien gut ausgestatteten Stadt ist. Es darf weder auf eine besondere Aktivität Kölner Klöster, noch der Universität oder des Patriziats geschlossen werden. Ganz im Gegenteil: Die Stadt Köln stand Arbeiten zu ihrer Geschichte eher reserviert gegenüber. In Franken scheinen die Zentren Mainz, Würzburg, Eichstätt und Bamberg numerisch relativ gleichgewichtig, wenn man die einzelnen Historiker an ihren konkreten Wirkungsort zurückversetzt. Qualitativ könnte davon natürlich keine Rede sein. Die Arbeiten zur Mainzer Geschichte sind im Untersuchungszeitraum weniger gewichtig (Ausnahme: der Sammler Georg Helwich, geboren 1588), ansonsten entweder vorher entstanden (Nikolaus Serarius) oder sie stammen von Akatholiken (Georg Christian Joannis). Das Hochstift Bamberg hat zwar eine lebendige Geschichtskultur, doch ist diese vollständig auf die beiden heiligen Anfänger, das Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde bezogen, und folgt damit einer memorialen Form von Geschichtsbetrachtung, die wir heute mit dem Adjektiv vormodern belegen würden. Eine ihrer Zeit gemäße Stadtgeschichte von Bamberg ist bis heute nicht erschienen. Im Hochstift Würzburg sind an der dortigen Landesuniversität Ansätze zur Etablierung von Geschichte schon früh zu beobachten46. Wichtiger ist die qualitativ bedeutsame historische Forschung etwa zwischen 1725 und 1755, die jedoch numerisch kaum ins Gewicht fällt, denn es handelt es sich um einige wenige Folianten. Signifikant jedoch mag sein, dass das Epitaph für den Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn im dortigen Dom von einem Würzburger Historiker verfasst wurde, zugleich ein Seitenblick auf ein Medium von Geschichtsschreibung, das bislang noch nie einschlägig berücksichtigt wurde47. Außerdem folgen in der AufklärungsKlöster in den Hochstiften Magdeburg und Halberstadt von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 37, Münster 1977). 45 Andreas KRAUS, Bayerische Geschichtswissenschaft in drei Jahrhunderten. Gesammelte Aufsätze, München 1979; jüngst Katharina KAGERER, Die Jesuiten und der Hof. Matthäus Rader, Andreas Brunner und Jacob Balde als Landesgeschichtsschreiber im 17. Jahrhundert, in: Serenissimi Gymnasium. 450 Jahre bayerische Bildungspolitik vom Jesuitenkolleg zum Wilhelmsgymnasium München, hg. von Julius OSWALD–Rolf SELBMANN–Claudia WIENER (Jesuitica 15 = Bibliotheca Instituti Historici Societatis Jesu 71, Regensburg–Roma 2010) 43–59. 46 Notker HAMMERSTEIN, Aufklärung und katholisches Reich (Historische Forschungen 12, Berlin 1977). 47 Luzie BRATNER, Die erzbischöflichen Grabdenkmäler des 17. und 18. Jahrhunderts im Mainzer Dom (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchen-

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zeit handliche Würzburger Staatsgeschichten für Jugend und Haus, ein Trend, den es zuvor nur sehr vereinzelt in den vielen Herrschaftsgebieten des Heiligen Römischen Reichs wie im Hochstift Lüttich gab und der gleichzeitig in Bayern (Anton Baumgartner 1786, Lorenz Westenrieder ab 1784) beobachtet werden kann. Es handelt sich um eine Folge des Vorliegens monumentaler, nicht ganz publikumsgängiger, also allzu gelehrter Geschichtswerke, die zur Orientierung größerer Leserkreise pädagogisch kleingearbeitet werden. Der Vergleich zwischen den Regionen müsste die Bevölkerungsdichte und -zahl berücksichtigen, was ein fast aussichtsloses Unterfangen sein dürfte48.

V. Der nächste provisorische Analyseschritt nach der Untersuchung der Konstanten soll die Veränderungen betrachten, was bei den geringen Fallzahlen nur relativ, nicht absolut sinnvoll ist: Nur der Interpretation der Veränderungen über die 110 Jahre hinweg kommt erklärendes Gewicht zu. In Schwaben beziehungsweise Oberdeutschland sehen wir ein klares Minimum als Kriegsfolge. Ansonsten bewegen sich die Zahlen dort auf einem relativ konstanten Niveau mit leicht steigender Tendenz, sicherlich ähnlich wie in Bayern der Grundströmung monastischer Geschichtsschreibung geschuldet. Der wichtigste Historiker, der Benediktiner Gabriel Bucelin, geboren 1599, liegt jedoch außerhalb des Maximums, was auch deswegen erwähnt werden sollte, weil Bucelin über ein umfangreiches Korrespondentennetz verfügte (von dem wir noch wissen49). Leicht würde man schließen, geschichte 113, Mainz 2005) 296–298: Verfasser war der Jesuit Johann Seyfried. Eine Interpretation von quantitativen und qualitativen Daten auch im Konfessionsvergleich bei: Stefan BENZ, Modelle barocker Geschichtsschreibung in und über Franken, in: Barock in Franken, hg. von Dieter J. WEIß (Bayreuther Historische Kolloquien 17, Dettelbach 2004) 133–196. Thematisch vergleicht: Matthias POHLIG, Konfessionskulturelle Deutungsmuster internationaler Konflikte um 1600 – Kreuzzug, Antichrist, Tausendjähriges Reich. Archiv für Reformationsgeschichte. Internationale Zeitschrift zur Erforschung der Reformation und ihrer Weltwirkungen 93 (2002) 278–316. Jetzt grundlegend: Matthias POHLIG, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617 (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 37, Tübingen 2007). 48 Vgl. aber BENZ, Modelle (wie Anm. 47), bislang meines Wissens die einzige Untersuchung, die unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl argumentiert. 49 Claudia Maria NEESEN, Gabriel Bucelin OSB (1599–1681). Leben und historiographisches Werk (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte 3, Sigmaringen 2003).

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dass er Anreger für einige jüngere Historiker wäre. Von den Zahlen allerdings ist es umgekehrt zu beobachten. Bucelin schließt die Reihe der Historiker ab, die noch in der Vorkriegszeit sozialisiert worden waren. Arsenius Sulger, um einen ähnlich bekannten Benediktiner zu nennen (Zwiefalten), entstammt erst dem Jahrzehnt ab 1640 (geboren 1641). Damit gehört er zu einer numerisch äußerst schwachen Generation, ablesbar daran, dass sein Hauptwerk erst nach seinem Tod zum Druck gebracht werden konnte. Der starke Zuwachs der Zahlen in Böhmen nach dem Dreißigjährigen Krieg ist sicher nicht überraschend, ebenso die absolute kriegsbedingte Depression, die hier nicht nur demografisch und ökonomisch zu interpretieren ist. Die Entmachtung und Vertreibung beträchtlicher Teile der alten, aber akatholischen Eliten zwingt das Land dazu, sich neu zu erfinden50. Zahlreiche Historiker schreiben an einer neuen böhmischen Landesidentität, nicht zuletzt im Spiegel der Heiligen Böhmens und Mährens. Hier dürften die Jesuiten dominieren, an der Spitze der berühmte Bohuslav Balbín mit seiner Landesgeschichte. Inwieweit dies mit einer gewissen Sprachlosigkeit der mehr oder weniger erfolgreich rekatholisierten deutschen und tschechischen Einwohner einherging, vermag ich nicht zu sagen. Für mich bleibt nur auffällig, dass in den böhmischen Ländern bislang nur eine einzige die Geschichte ihres Klosters schreibende Frau namentlich identifiziert werden konnte, obwohl zumindest für Mähren die Katalogsituation bei frühneuzeitlichen Handschriften gut zu sein scheint. Auf jene Schlesierin in einem Prager Kloster wies (mich) jüngst Petr Mat’a hin51. Männliche Arbeiten in tschechischer (und deutscher) Sprache gibt es hingegen, wobei die Geschichte Kuttenbergs des Jesuiten Johann KoĜinek (geboren 1626) vielleicht am interessantesten sein könnte, wie die Neuauflagen ab 1831 bis in die jüngste Zeit (Prag 2000) zeigen52. Die Geistlichkeit 50 Petr MAT’A, „Patres Patriae“ or „Proditores Patriae“? Legitimizing and De-legitimizing the Authority of the Provincial Estates in Seventeenth-century Bohemia, in: Whose Love of Which Country? Composite States, National Histories and Patriotic Discourses in Early Modern East Central Europe, hg. von Balázs TRENCSÉNY– Márton ZÁSZKALICZKY (Studies in the History of Political Thought 3, Leiden– Boston 2010) 405–442; Martin SVATOŠ, „Patria“ und die patriotischen Tendenzen in der lateinischen Historiographie in den böhmischen Ländern im 17. und 18. Jahrhundert, in: Es hat sich viel ereignet, Gutes wie Böses. Lateinische Geschichtsschreibung der Spät- und Nachantike, hg. von Gabriele THOME–Jens HOLZHAUSEN (Beiträge zur Altertumskunde 141, München–Leipzig 2001) 203–213; zum Vergleich: Kamil KROFTA, Die tschechische Geschichtsschreibung im letzten Jahrhundert vor der Schlacht am Weissen Berge. Slavische Rundschau 20 (1938) 128–133, insbes. 129. 51 Petr MAT’A, Anna Ludmilla Gräfin Gaschin (1642–1700). Schlesische Lebensbilder 9 (2007) 191–198. 52 Originalausgabe von 1675 in der Universitätsbibliothek Göttingen.

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engagierte sich ferner schon früh mit Übersetzungen zumal von Viten („Heiligenlegenden“) in die Volkssprache. Ferner wäre es interessant, die Verbreitung des Johann-von-Nepomuk-Kults nicht nur in den böhmischen Ländern in Hinblick auf die mit seiner Geschichte direkt oder indirekt ventilierten Geschichtsbilder zu untersuchen. Vielleicht sublimiert die indirekte Bloßstellung des Luxemburgers Wenzel als des Schuldigen am Martyrium die Kritik an dessen habsburgischen Nachfolgern53. Schlesien spielt in diesem Zusammenhang keine große Rolle, da die praktizierenden Historiker tendenziell eher evangelisch sind, vor allem wenn sie an den Breslauer Schulen wirkten. Die dortige katholische Universität wurde später gegründet, und die Klosterdichte dürfte geringer sein als im Westen und Süden. Abgesehen von bescheidenen Sonderkonjunkturen wie das Westfalen der Geburtsjahrgänge 1590 bis 1619 (Ferdinand von Fürstenberg wurde erst 1626 geboren!), vielleicht bedingt durch eine Reihe von Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten, entdeckt anlässlich des gut erforschten Westfälischen Friedenskongresses bis 1648, ist besonders eine Nordwest-Südostverschiebung der Historikertätigkeit auffällig. Gerade der doch fühlbare Bedeutungsverlust Belgiens, dem in der Entwicklung der Geschichts-Forschung um 1600 zweifellos der erste Rang in Europa zukommt, mag überraschen54. Nun sind Geschichtsforschung und Methode eben nicht mit Historiographie gleichzusetzen, noch weniger fördert Forschung offenbar die Genese historiographischer Texte. Es könnte ferner vor allem bedeutsam sein, dass der Jansenismus intellektuelle Kapazitäten gebunden und damit den Späthumanismus mit dessen Bindung an die Geschichte abgelöst hat. Dazu kommt die Trennung von den Niederlanden, die möglicherweise erst später als in den Generalstaaten historiographisch bewältigt wurde55. An der Forschungssituation liegt es jedenfalls nicht56. Die Beobachtung bestätigt sich im Blick 53 Robert J. W. EVANS, Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700, übers. von Marie-Therese PITNER (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6, Wien et al. 1986) als klassische Darstellung; viele interessante Beiträge mit deutschen Zusammenfassungen: Locus pietatis et vitae (wie Anm. 32). 54 Neben vielen Einzelurteilen aus Frankreich und Deutschland dazu jetzt eindrucksvoll: SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 20). 55 Raingard EßER, North and South. Regional and Urban Identities in the 17th-century Netherlands, in: Frontiers and the Writing of History, hg. von Steven G. ELLIS– Raingard EßER (Historische Formationen Europas 1, Hannover–Laatzen 2006) 127–150; (katholische Autoren hier Antoine Sanderus und Jean Baptiste Gramaye), sowie ihr Beitrag in: Geschichte schreiben (wie Anm. 1). 56 Trotz des späteren Einsetzens von: Tom VERSCHAFFEL, Historici in de Oostenrijkse Nederlanden (1715–1794). Proeve van repertorium (Studiecentrum 18de eeuwse Zuidnederlandse Letterkunde Cahier 15, Bruxelles 1996); Tom VERSCHAFFEL, De hoed en de hond. Geschiedschrijving in de Zuidelijke Nederlanden 1715–1794 (Hilversum 1998).

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auf die hier relevante Buchproduktion. Eine Auszählung der einzelnen Jahrgänge der Bibliotheca catholica Neerlandica impressa57 ergibt, dass gegen die Erwartung die Buchproduktion nicht theologisch-wissenschaftlicher Werke im 17. Jahrhundert stagniert. Stark sind die Jahre 1614 bis 1633, relativ korrespondierend mit unseren Geburtsjahrgängen 1574 bis 1593. Das späte Maximum im Jahr 1674 mit 181 Titeln steht einmalig da. Dagegen zu halten sind die Jahre 1689 bis 1697, als die bibliographierte Buchproduktion beständig im zweistelligen Bereich bleibt, was zuvor zusammenhängend letztmals 1654 bis 1658 und 1600 bis 1606 zu beobachten gewesen war. Die theologischen Streitigkeiten und die dauernden Kriegsereignisse trugen dazu bei und beschädigten sicherlich neben Antwerpen auch die Verlagsstadt Köln, die in der Bibliotheca Neerlandica zumindest teilweise berücksichtigt wurde58. Im Vierzigjahresmittel der Historiker geht die belgische Produktion auf 41%, die Kölner auf 52% des Ausgangswerts zurück. Gewinner gewissermaßen ist der Südosten, wo durchaus signifikant in gleichmäßigem Trend die letzten vierzig Jahre die Produktion der ersten um 234% übertreffen. Damit gewinnt auch die steigende Tendenz für Bayern, Oberschwaben und Franken Signifikanz und wird dem relativen Zufall, dem die niedrigen Zahlenwerte, wie erläutert, ausgesetzt sein könnten, enthoben. Die österreichische Produktion ist selbstverständlich nicht auf das heutige Land Österreich zu beziehen, sondern auf das Haus Österreich, sowohl was die Anziehungskraft der Residenzstadt Wien für Gelehrte wie auch die historische Attraktivität oder Aura des Kaiserhauses betrifft. Bibliographien wie die für den Drucker Widmanstetter in Graz59 zeigen dies deutlich. Stadt- oder Landesgeschichten, die man vielleicht erwarten würde, profitieren von dieser Konjunktur anders als in Böhmen weniger, bleiben überwiegend eher originelle denn originale Casualhistorien, die sich dem historiographischen Ehrgeiz vieler Geistlicher und der Wiener Universität verdanken. Vereinzelte Arbeiten wie die Johann Weichhards von Valvasor 57 1500–1727, Den Haag 1956. Dank an Cand. Phil. Julian Reihl für das Zählen. Die Bibliotheca beruht vor allem auf den Lokalbibliographien, etwa: Ferdinand VANDERHAEGEN, Bibliographie gantoise (7 Bde., Gent 1858–1869); Xavier THEUX DE MONTJARDIN, Bibliographie liégeoise (Brügge 21885, Reprint Nieuwkoop 1973), sowie auf einschlägigen Bibliotheksbeständen. 58 Zu Köln: Birgit BOGE, Literatur für das „Catholische Teutschland“. Das Sortiment der Kölner Offizin Wilhelm Friessem im Zeitraum 1638–1668 (Frühe Neuzeit 16, Tübingen 1993); Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, hg. von Georg MÖLICH–Gerd SCHWERHOFF (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4, Köln 2000). 59 Theodor GRAFF, Bibliographia Widmanstadiana. Die Druckwerke der Grazer Offizin Widmanstetter 1586–1805 (Arbeiten aus der Steiermärkischen Landesbibliothek 22, Graz 1993).

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(geboren 1641) sind zwar überaus gewichtig, zählen aber in der Statistik nur einmal. Ein quantitativer Faktor ist die bedeutende Zahl von Druckereien in Wien, die beschäftigt sein wollten und deren Bibliographie weitgehend geschrieben wurde60, so wird man relativierend einwenden. Ebenso ist an die phänomenale landesbibliographische Leistung von Johann Nikolaus von Vogel und Joseph Wendt von Wendtenthal im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu erinnern, offenbar unterbeschäftigte Beamte der Wiener Zentralverwaltung, die bis in entlegendste Winkel um bibliographische Auskünfte korrespondierten61. Auf ihrer Leistung bauten alle späteren Historiker wie Anna Coreth mit ihrem epochalen Werk über die barocke Geschichtsschreibung in Österreich62 auf. In der Tat stehen die Daten in hoher Dichte zur Verfügung. Da dies jedoch zeitunabhängig gilt, relativiert dies nur die absoluten Zahlen zum Beispiel im Vergleich zu Bayern, Franken und Oberschwaben, ändert aber nichts an der Tendenz. Die eindrucksvolle Nord-Süd-Verlagerung zeigt, wie dem wirtschaftlichen Niedergang Norddeutschlands durch das Ende der Hanse und dem Verlust des Niederdeutschen als Hochsprache durch die Reformation auch ein starker kultureller Rückgang folgt, wenn man Buchproduktion und historiographische Produktion darauf zu beziehen wagt. Die Größe von Bibliotheken könnte dem noch zur Seite gestellt werden63. Denn auch die Bibliotheken belgischer Klöster reichen offenbar nicht annähernd an die Bestandszahlen süddeutscher Bibliotheken heran. Man vergleiche Affligem, immerhin ein benediktinisches Reformzentrum mit seinen zuletzt rund 4600 Bänden64. 60 Anton MAYER, Wiens Buchdrucker-Geschichte 1482–1882 (2 Bde., Wien 1883– 1887). 61 Johann Nikolaus VOGEL–Leopold GRUBER–Joseph WENDT VON WENDTENTHAL, Specimen bibliothecae Germaniae Austriacae sive Notitia scriptorum rerum Austriacarum, quotquot auctori innotuerint (3 Bde., Wien 1779–1785). Briefe aus Wien beispielsweise im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv Donaueschingen, Ecclesiastica, Bestand Amtenhausen XXIIa, Fasz. 7: Schreiben von 1776 wegen Erstellung einer Österreichischen Bibliothek an das Zisterzienserinnenkloster. 62 Anna CORETH, Österreichische Geschichtschreibung in der Barockzeit (1620– 1740) (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 37, Wien 1950). 63 Hermann-Josef SCHMALOR, Die westfälischen Stifts- und Klosterbibliotheken bis zur Säkularisation (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 44, Paderborn 2005). 64 HerwigVERLEYEN, Dom Benedictus van Haeften, Proost van Affligem 1588–1648. Bijdrage tot de studie van het kloosterleven in de Zuidelijke Nederlanden (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België. Klasse der Letteren 45/106, Bruxelles 1983) 158.

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Nicht wenige der Stifte Bayerns und Österreichs werden auf das zehnfache geschätzt. Ob dies eine Folge der Reformation ist und ob es nur für den katholischen Westen gilt, verstrickt in die unfruchtbaren jansenistischen Debatten, ist kaum zu entscheiden. Manches deutet auf ein Resultat von Entwicklungen, die den ganzen Norden Mitteleuropas treffen: Die angestrengten Bemühungen beispielsweise der Hohenzollern oder Welfen mit ihren Universitätsneugründungen Halle (eigentlich noch mitteldeutsch) und Göttingen, die von späteren Historiker-Generationen als geschichtlich-paradigmatisch verklärt wurden, mögen auf ein Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem evangelischen Sachsen und dem überwiegend katholischen Süden hindeuten.

VI. 1. Die zunehmende Inferiorität des Nordens im Verlauf von 110 Jahren gehört sicher zu den interessanteren Ergebnissen dieses statistischen Versuchs. Wer davon überrascht ist, sei daran erinnert, dass Geschichtsschreibung, um zur anfangs formulierten These zurückzukehren, diese nur neu formulierend, grundsätzlich eine Sorte Text mit einem Verfallsdatum ist. Werden die Fragen nicht mehr gestellt, die sie anregten, weil sich anderen Zeiten neue Fragen stellen, verschwindet sie entweder in den Magazinen der Bibliotheken oder in der Makulatur. Die hier gezählten, nicht gewogenen Texte sind dem „Catholica non leguntur“-Verdikt des 19. und 20. Jahrhunderts naturgemäß viel stärker ausgesetzt gewesen als andere65. Inwieweit die kurz nach 1945 geforderte „Geschichtsrevision“ die Lage veränderte, plakativ gewendet als Forderung Onno Klopp statt Reinhold Koser66, bleibe offen67. Jedenfalls ist die Frage nach Geschichtsschreibung zuerst eine Frage 65 Peter J. BRENNER, „Catholica non leguntur“. Die Literatur im Spannungsverhältnis von Kirche und Wirklichkeit im frühen 20. Jahrhundert. Literaturwissenschaftliches Jahrbuch Neue Folge 48 (2007) 287–318, hier aber zur Literatur. 66 Dahlmann-Waitz. Quellekunde der Deutschen Geschichte, hg. von Paul HERRE (Leipzig 81912) 716. Gemeint sind die Biographien Friedrichs II. 67 Anton MAYER-PFANNHOLZ, Probleme, Ziele und Grenzen der Geschichtsrevision (Nürnberg–Bamberg–Passau 1947); Chris LORENZ, Wozu noch Theorie der Geschichte? Die Krise der Gesellschaftsgeschichte im Lichte der Theorie der Geschichte, in: Wozu Geschichte(n)? Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie im Widerstreit, hg. von Volker DEPKAT–Matthias MÜLLER–Andreas Urs SOMMER (Wiesbaden 2004) 117–143; dazu: Hans-Ulrich WEHLER, Replik: ebd. 145–153. Vgl. zur Praxis nach 1945: Monika FENN, Zwischen Gesinnungs- und Sachbildung.

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nach der Geschichtskultur, die sich als primär erweist und vor der Frage nach Wissenschaft oder Quellen kommt. Zentral ist die Orientierungsfunktion der Vergangenheit für die Gegenwart, so wie dies Hofmannsthal durchführte. Der zuvor gegebene Hinweis auf die implizite, eher protestantisch geprägte Norm von Historiographie kann jedenfalls bestenfalls der Versuch einer Erklärung sein, denn er basiert stark auf den Ergebnissen der eingangs kurz vorgestellten, unhinterfragten Kategorien.

2. Katholische Geschichtsschreibung, so ein zweites Ergebnis, ist weiblicher, allerdings nicht unbedingt in dem Sinne, den sich die Gender-Perspektive als Emanzipation in die säkulare Welt vielleicht wünschte68. Hierfür könnten wir wieder den „Rosenkavalier“ als Deutungshilfe heranziehen: Hofmannsthals Epoche empfand noch natürlich-naiv (nicht sentimentalisch, also im Sinne des von Schiller geprägten klassischen Begriffspaars), was wir forschend gewinnen mussten. Als sich das Geschehen durch die Begegnung Sophies mit dem Rosenkavalier anders als geplant entwickelt, droht der Brautvater seiner Tochter (II, ab 205): „Ich steck’ Dich in ein Kloster. Stante pede! [...] Auf Lebenszeit! [...] Ins Kloster! Ein Gefängnis!“ In diesem Urteil spiegelt sich indes das 19. und 20. Jahrhundert. Im Kloster hätte sie jedoch die Möglichkeit gehabt, sich zum Beispiel historiographisch zu betätigen. Um dies interpretieren zu können, ist ein wenig weiter auszuholen. Die katholische Literatur von und für Frauen ist nicht zuletzt wegen der sogenannten Frauenmystik sowie der Schwesternbücher von der Mediävistik schon lange thematisiert worden. Was hingegen in der Frühen Neuzeit von Frauen auch als historische Lektüre gelesen und von ihnen geschrieben wurde, war vor einiger Zeit Teil eines italienischen Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse sicher übertragen werden können, obwohl vergleichende Arbeiten zu Bibliotheken von Frauenklöstern weitgehend fehlen69. Die Forschergruppe Die Relevanz der Kategorie Heimat in Volksschulunterricht und Lehrerbildung in Bayern seit 1945 (Schriften zur Geschichtsdidaktik 23, Idstein 2008), 36f.; zur Praxis 1802/03 hingegen: Paul RUF, Säkularisation und Bayerische Staatsbibliothek, 1: Die Bibliotheken der Mendikanten und Theatiner (1799–1802) (Wiesbaden 1962), mit den Listen der ausgesonderten Literatur. 68 Barbara BECKER-CANTARINO, Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500–1800) (Stuttgart 1987). 69 Paola TANTULLI–Gabriella ZARRI, Testi e stampa, in: Donna, disciplina, creanza cristiana dal XV. al XVII. secolo, hg. von Gabriella ZARRI (Temi e Testi Nuova Serie 36, Roma 1996) 393–797; auf die Verzeichnung der Bibliothek des Benediktinerinnenklosters St. Walburg zu Eichstätt sei verwiesen: Die Bibliothek der Abtei

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um Gabriella Zarri stellte ab 1989 einschlägige volkssprachliche Literatur in einem Repertorium zusammen, gut 2600 Bücher zwischen 1471 und 1699 (Untersuchungszeitraum)70. Den größten Anteil stellen die Viten von weiblichen Heiligen, Seligen, Verehrungswürdigen und im Rufe der Heiligkeit Gestorbenen71. Was darf man sich darunter vorstellen? Befragen wir als Beispiel Het leven van de seer edele doorluchtighste en H. Begga hertoginne van Brabant, stightersse der Beggynnen. Met een cort begryp van de levens der salige, godtvruchtighe en lof-weerdighe Beggyntjens der vermaerde en hooghghepresen Beggyn-hoven, by een vergaedert door eenen onbekenden dienaer Godts von 1711, so blühte in vielen Beginenhöfen im 17. Jahrhundert die Biografik, denn nahezu alle ungedruckten Quellen des Werks haben wahrscheinlich Verfasserinnen, nur ein wirklich offensichtlicher BeichtvaterBeitrag findet sich, sieht man vom angeblichen Herausgeber (Herausgeberin?) ab72. Dieser Titel bezeichnet genau jenen Teil von Büchern, der zwischen Geschichte und reiner Aszese changiert, nach dem Verständnis der Zeit jedoch eindeutig zur Geschichtsschreibung gehörte. Damit schließt sich die Frühe Neuzeit genau an spätmittelalterliche Textformen und damit Interessen an. Infolge dieser weiblichen Ko-Orientierung kann man sagen, dass katholische Geschichtsschreibung strukturell biographieorientiert ist73.

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St. Walburg zu Eichstätt, hg. von Andreas FRIEDERL (Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt 45, Wiesbaden 2000), teildigitalisiert www.gbv.de/dms/belser/religion/ [gebührenpflichtig; 11. Oktober 2011]. Zum Vergleich: Die Bibliotheca Neerlandica (wie Anm. 57) verzeichnet knapp 19000 von 1500 bis 1727, allerdings sind die Grenzen der niederländischen Verzeichnung wesentlich weiter und nicht auf aszetische volkssprachliche Literatur und Literatur über Frauen eingegrenzt. TANTULLI–ZARRI, Testi e stampa (wie Anm. 69) 791–793. [J. CHARLES?] Het leven van de seer edele doorluchtighste en H. Begga hertoginne van Brabant, stightersse der Beggynnen. Met een cort begryp van de levens der salige, godtvruchtighe en lof-weerdighe Beggyntjens der vermaerde en hoogh-ghepresen Beggyn-hoven, by een vergaedert door eenen onbekenden dienaer Godts, (Antwerpen 1711, Reprint Bruxelles 1999). Peter DRONKE, Women Writers in the Middle Ages (Cambridge et al. 1987); Katrinette BODARWÉ, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg (Quellen und Studien 10, Münster 2004); Falko SCHNICKE, Begriffsgeschichte: Biographie und verwandte Termini, in: Handbuch Biographie; Methoden, Traditionen, Theorien, hg. von Christian KLEIN (Stuttgart 2009) 1–6, hier 4; Ruth ALBRECHT, Historischer Abriss: Frühe Neuzeit, in: ebd. 230–234, hier 232f.; vgl. Matthias AUMÜLLER, Narrativität, in: ebd. 17–21, hier 18f.; Esther MARIAN–Caitríona NÍ DHÚILL, Biographie und Geschlecht. Einleitung, in: Die Biographie. Zur Grundlegung ihrer Theorie, hg. von Bernhard FETZ (Berlin–New York 2009) 157–168, hier 164.

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Mit der Biographik können sich trotzdem klassische Debatten verbinden. Ein anonym 1645 gedrucktes Schwesternbuch des Dominikanerinnenklosters S. Maria Nuova in Bologna versucht zugleich zu erweisen, dass das Kloster 992 gegründet wurde und nicht erst im 13. Jahrhundert74. Ähnliche antiquarische Interessen verfolgen die Schwestern des Münchner Terziarinnenklosters St. Christoph75. Außerdem bindet der beträchtliche weibliche Anteil innerhalb der katholischen Kirche männliche Historiker, nicht nur im Sinne der üblichen Beichtvaterhistoriographie. Besonderes Engagement zeigen hier belgische Historiker, vielleicht durch die große Bedeutung des Beginentums für die historische Identität des Landes76. Die Zisterzienser Kaspar Verstockt (geboren 1614) und Chrysostomus Henriquez (geboren 1594) befassen sich mit der Geschichte des weiblichen Zweigs ihres Ordens in der Form der Geschichte einzelner Klöster; der Dominikaner Eduardus Bilius (Byl, geboren 1605) sammelte die Legende der levens, ende gedenckweerdige daeden vande voor-naemste heylige, salige ende lof-weerdige Maeghden ende wedvwen susters van de derde-orden der penitentie van S. Dominicus (erschienen in Antwerpen 1661). Die relative Seltenheit gerade dieses Buchs verweist wieder auf die Rezeptionsgeschichte oder besser Nicht-Geschichte. Mit Ausnahme der Benediktiner scheinen sich alle großen Orden auf diesem Gebiet relativ gleichmäßig engagiert zu haben.

3. Vom Autorenprofil her, also sozial gesehen, scheint katholische Geschichtsschreibung erwartungsgemäß geistlich: Die Geistlichen sind von ihrem Selbstverständnis her nicht studierte Theologen, sondern geweihte Priester, oder sie definieren sich von ihrer Ordensprofess her. Der Stand der professionellen Gelehrten ist tatsächlich kaum vertreten. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Universitäten im 17. Jahrhundert so gut wie nicht an der historiographischen Produktion beteiligen (denn auch hier würden überwiegend Geistliche wirken, Jesuiten und Kanoniker). Die Ausnahmen der Universitäten Wien, Prag und Würzburg, wo zeitweise durchaus historische Inhalte 74 Gabriella ZARRI, I monasteri femminili a Bologna tra il XIII. e il XVII. secolo. Atti e Memorie della deputazione di storia patria per le province di Romagna 24 (1973) 133–224. Hier 208 ein anonymer Druck (Dank an Professor Fabio Marri, Bologna): Breve descrittione delle virtù di molte religiose madri del monastero di S. Maria Nuova di Bologna [...] con qualche racconto della fondatione del loro monastero (Bologna 1645). Titel nicht bei TANTULLI–ZARRI, Testi e stampa (wie Anm. 69) 466. 75 Vgl. Anm. 40. 76 Vgl. Anette HETTINGER, „Selbstbestimmt und eigenwillig“. Die Beginen in der heutigen Geschichtskultur. Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2004) 149–164.

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(weniger Fragestellungen) auftauchen, ändern angesichts der Masse anders gerichteter Autoren und Institutionen das Bild nicht. Der Anteil der Laien (selbstverständlich ohne Frauen) schwankt jedoch gleichbleibend um 25%. Wieviele professionelle Historiker dagegen die akatholische Seite aufzuweisen hätte, insbesondere Nicht-Theologen, bliebe zu prüfen. Doch hängt mit diesem sozialen Ergebnis zusammen, was nur beiläufig angeklungen ist. Stadtgeschichten, politische Historien, werden im katholischen Raum nur wenige geschrieben und noch weniger gedruckt77. Diese scheinbar so bürgerliche Beschäftigung mit ihrem bürgerlichen Horizont findet sich also kaum.

4. Dies leitet über zu einem weiteren thematischen Aspekt katholischer Geschichtsschreibung in der Frühen Neuzeit. Neben den zu erwartenden Arbeiten rund um die Dynastien und zu den Ländern dominiert die Kirchengeschichte, jedoch nicht im universalen Sinn etwa eines Baronio78, sondern als – modern gesprochen – Landesgeschichte. Ich erinnere daran, dass dies ein statistisches Ergebnis ist. Das heißt, über die Häufigkeit, Beliebtheit und Verbreitung gerade von Baronio-Epitomisierungen oder von zahlenmäßig überschaubaren Einzelarbeiten wie des Jesuiten Cornelius Hazarts (geboren 1617) Kirchengeschichte der ganzen Welt79, wird damit ausdrücklich nichts gesagt. Analysiert gemäß der Vorstellung von der Orientierung durch Geschichte und damit bezogen auf den Geschichtsschreiber handelt es sich perspektivisch um Eigengeschichte, um einen von Hermann Lübbe revitalisierten Begriff seines Lehrers Wilhelm Schapp zu verwenden80. Inhaltlich ist es die 77 Vgl. Winfried MÜLLER, Zur Entstehung städtischer Erinnerungskultur unter besonderer Berücksichtigung Sachsens, in: Landesgeschichte und Archivwesen. Festschrift für Reiner GROß zum 65. Geburtstag, hg. von Renate WIßUMA–Gabriele VIERTEL–Nina KRÜGER (Dresden 2002) 1–19. 78 Zu deren möglicher visueller Präsenz in der Geschichtskultur zuletzt: Werner TELESKO, „Ecclesia militans et triumphans“. Heilsgeschichte und Universalhistorie als Leitmotive in der Ausstattung des Presbyteriums der Benediktinerstiftskirche in Melk. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010) 321–348. 79 VD 17: 12:118114Q; 12:118072H; 12:118063K; 12:118048K. In Wien bei Voigt gedruckt; Markus VÖLKEL, Caesar Baronius in Deutschland im 17. Jahrhundert, in: Nunc alia tempora, alii mores (wie Anm. 19) 517–543; vgl. auch KRAUS, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 45) 54–105. 80 Wilhelm SCHAPP, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding. Vorwort von Hermann LÜBBE (Frankfurt am Main 42004) 120–132.

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Geschichte der eigenen Institution, womit ihr Inhalt sich auf die unmittelbare Lebenswelt bezieht. Dass diese durch kirchliche Institutionen geprägt ist und sich die Zeitgenossen ihre Identität über diese (und nicht etwa über eine profane oder politische Einrichtung wie eine Stadt) erschreiben81, deutet darauf hin, dass in der katholischen Welt keine Profanierung beziehungsweise Entsakralisierung der Lebenswelt stattgefunden hat. Es gab kein Ende des Mittelalters, keine Kontingenz der Reformation82. Reformation ist vielmehr ein je einzelner, auf die Einzelinstitution bezogener Prozess, kein globalisierendes Narrem (dementsprechend gibt es einige Luther-Biographien, aber praktisch keine katholische Geschichte der Reformation). Anstelle des heutigen Kulturtourismus, den Marketingstrategen gegen den Trend der Beschleunigung forcieren83 und der zunehmend Eventcharakter erhält, finden wir im Rahmen regionaler, historischer Orientierung die Wallfahrten, die ebenso wohldosiert eine Geschichte ent- und erhalten. Das verrät viel über die Identitätsbildungsprozesse, wie sie im 17. Jahrhundert abgelaufen sein mögen. Sie verlaufen eben nicht, wie seit dem 19. Jahrhundert als selbstverständlich unterstellt wird, entlang von Nationen, kaum entlang politischer Einheiten (was war das schon im Heiligen Römischen Reich?) oder wenigstens Sprachen. Der einzelne erfährt sich offensichtlich auch als Laie viel mehr als Teil einer „Freundschaft“ eines Klosters, als Mitglied einer Bruderschaft, als Verehrer eines bestimmten Heiligen oder als regelmäßiger Teilnehmer einer Wallfahrt, die im 17. Jahrhundert zwar meist erst neu entstanden oder wiedererweckt worden ist, dann aber neu mit einer alten Geschichte ausgestattet wird. Das geht so weit, dass der Beter in einer Bauernkirche liest, dass die Geschichte des Hl. Koloman, auf gemalten Tafeln befindlich, aus dem Surio (Laurentius Surius, Sammler und Herausgeber der Viten von Heiligen und Vorgänger der Bollandisten) genommen worden ist: eindringende Methode für den besseren Glauben84 (Abb. 5). Die81 Wichtig die Untersuchungen: Simon DITCHFIELD, Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy. Pietro Maria Campi and the Preservation of the Particular (Cambridge 1995); Simon DITCHFIELD, Historia Sacra between Local and Universal Church, in: Europa sacra. Raccolte agiografiche e identità politiche in Europa, hg. von Sofia BOESCH GAJANO–Raimondo MICHETTI (Roma 2002) 405–409. 82 Dies bestätigt auch die Untersuchung: HILLE, Providentia Dei (wie Anm. 23). 83 Hartmut ROSA, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne (Frankfurt am Main 2005); Hermann LÜBBE, Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart (Berlin–Heidelberg–New York 32003). 84 Haslach, östlich München (Abb. 5); grundlegend zur theoretischen Annäherung von religiösem Bewusstsein an das Geschichtsbewusstsein wohl noch immer: Charles Y. GLOCK, Über die Dimensionen der Religiosität, in: Joachim MATTHES, Kirche und Gesellschaft. Einführung in die Religionssoziologie, 2: Kirche und Gesellschaft (Reinbek bei Hamburg 1969) 150–168, übersetzt von Joachim MATTHES.

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ses ostentative Bekenntnis zur historischen Dimension des Diesseitigen als „Invention of tradition“ auf dem Gebiet alltäglicher Religionspraxis könnte nach meinen Beobachtungen geradezu ein Charakteristikum für die katholische Geschichtskultur des 17. Jahrhunderts sein85. Je stärker umgekehrt das Mittelalter real durch Bauten und Kunstwerke in eine akatholische Lebenswelt hineinragte, desto früher beginnt die antiquarische Auseinandersetzung mit diesem, was man gut anhand der Geschichtsforschung im evangelischen Nürnberg des 18. Jahrhunderts feststellen kann: Die Kunstgeschichte entsteht86. Doch in dem Maße wie Kirchlichkeit im 19. Jh. im mitteleuropäischen Nationalstaat konfessionalisiert wird, wird die frühere Landeskirchengeschichte verdrängt beziehungsweise in Reservate wie Catholica oder eben Kunstgeschichte abgeschoben.

5. Wer so offensichtlich Eigengeschichte schreibt, gilt spätestens im 19. und 20. Jahrhundert indes als apologetisch oder subjektiv. Wie sollte ein Mönch objektiv die Geschichte seines Klosters beschreiben können? Doch der Begriff Eigengeschichte ist kein absoluter, sondern ein sozial-relativer: Selbst Universal- und Globalgeschichte ist letztlich Eigengeschichte, es ist nur die Entfernung zum vermeintlichen Gegenstand größer, der Historiker hat den größeren Überblick, dessen Leser jedoch nicht unbedingt. Diese Form von Objektivität erweist sich erkenntnistheoretisch als Trugbild. Und die Frühe Neuzeit scheint sich dieser dann nur modernen Selbsttäuschung87 nie hingegeben zu haben, unterschied vielmehr getreulich Historie und Dogma88. 85 Hierzu Wolfgang BRÜCKNER, Gnadenbild und Legende. Kultwandel in Dimbach (Würzburg 1978); Gabriela SIGNORI, Das spätmittelalterliche Gnadenbild. Eine nachtridentinische „invention of tradition“?, in: Rahmen-Diskurse. Kultbilder im konfessionellen Zeitalter, hg. von David GANZ–Georg HENKEL (KultBild. Visualität und Religion in der Vormoderne 2, Berlin 2004) 302–357. 86 Für Italien untersucht: Gabriele BICKENDORF, Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18. Jahrhundert (Berliner Schriften zur Kunst 11, Berlin 1998). 87 Rudolf BURGER, Kleine Geschichte der Vergangenheit. Eine pyrrhonische Skizze der historischen Vernunft (Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens 7, Graz 2004); Peggy COSMANN, Der Ausgang der Vernunft aus der Geschichte. Wider den Versuch einer Rehabilitierung von Geschichtsphilosophie, in: Geschichte denken, hg. von Moshe ZUCKERMANN (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 29, Gerlingen 2000) 19–53; Hans-Jürgen GOERTZ, Unsichere Geschichte, Zur Theorie historischer Referentialität (Stuttgart 2001). 88 Vgl. Christine GLAßNER, „Laßt uns das Andenken verdienter Männer erneuern, damit auch die Enkeln ermuntert werden mögen, sich verdient zu machen.“ Aspekte zum

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Die Beschränktheit historischer Wahrheit zumindest zu postulieren, war gängige Praxis, da kirchenrechtlich durch Papst Urban VIII. 1625 geboten und 1634 nochmals eingeschärft89. Die Geschichte der Erkenntnistheorie in der Frühen Neuzeit mit Bezug auf die Geschichte wäre ein interessantes Gebiet. Aufgrund dieser als subjektiv problematisierten Nähe ist es wiederum nicht erstaunlich, wenn der sogenannte Quellenwert einer Eigengeschichte für die späteren Leser als hoch eingeschätzt wird, während die Universalgeschichten, selbst die Reichsgeschichten des 17. und 18. Jahrhunderts, heute inhaltlich bedeutungslos sind. Analytisch steht man also vor dem Paradoxon, dass für Nachgeborene geringer historiographischer Wert (wegen des vermeintlich apologetisch-parteilichen Charakters) mit hohem Quellenwert des Textes als Speichergedächtnis korreliert. Dazu passt, dass die „Handbücher“ zur Historiographiegeschichte zwar die methodischen Fortschritte durch Mauriner und Bollandisten im 17. Jahrhundert betonen, aber in der Regel keine Geschichtsschreibung, überhaupt kein Geschichtsbewusstsein entdecken wollen90. Natürlich ist die barocke Geschichtsschreibung nicht objektiv, dies aber, weil diese Negation grundsätzlich gilt: Es ist kein konkreter Befund, sondern gilt allgemein. Denn dieser Objektivitätsbegriff der Moderne verkannte den nicht hintergehbaren grundsätzlichen und doppelten Auswahlcharakter aller Historiographie, wie er 1916 aus gegebenem Anlass von Wilhelm Nachlaß der Brüder Pez in Melk. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010) 229–248. Sie ediert 246–248 von Bernhard Pez einen Entwurf zur Errichtung einer Benediktinerakademie 1729, hier ganz beiläufig 246 unter 3: Man schreibe pro historie und in dogmate. 89 Nur knapp: Ludwig PASTOR, Geschichte der Päpste im Zeitalter der katholischen Restauration und des Dreißigjährigen Krieges. Gregor XV. und Urban VIII. (1623– 1644), zweiter Teil (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters 13/2, Freiburg im Breisgau 1-71929) 593. Vgl. etwa die ausführlich erläuternde, unpaginierte Protestatio authoris bei: Fortunat HUEBER, Dreyfache Chronickh des Ordens-Stiffters Francisci (München 1686). Typisch: Franz WAGNER, Leben und tugenden Eleonorae Magdalenae Theresiae, Römischen kayserin (Wien 1721) [264]. Zur philosophischen Basis Renate ZOEPFFEL, Historia und Geschichte bei Aristoteles (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 2/1975, Heidelberg 1975). 90 Poinitiert zuletzt noch: Hermann LÜBBE, Geschichtsphilosophie. Verbliebene Funktionen (Jenaer philosophische Vorträge und Studien 2, Erlangen–Jena 1993) 23: „Das historische Bewußtsein ist ein relativ junges Phänomen. Es entfaltet sich erst unter Bedingungen einer Zivilisationsdynamik, die für die Angehörigen einer einzigen Generation die gerichtete Änderung kultureller Lebensstrukturen deutlich macht. Modernisierungserfahrung und Fortschrittswille treiben das historische Bewußtsein hervor.“ Meist ist dies Folge eines verkürzt verstandenen Reinhart Koselleck.

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Windelband in aller Deutlichkeit herausgestellt wurde91. Objektivität könnte überhaupt nur und annähernd vorliegen, wenn man ein festes Narrem der Gesamtgeschichte als Erzählung einer notwendigen Entwicklung und damit als Maßstab akzeptierte. Doch gerade diese Form von Objektivität, die zugleich die Grenze zwischen Moderne und ihrer Vormoderne bestimmt hat, zwischen Mabillon und Hegel92, ist gegenwärtig beseitigt. Damit ist unser Blick auf das 17. Jahrhundert unabhängig von allen konfessionellen Überlegungen und Prämissen frei.

Abstract The 17th century was often described by those who lived in it as an age of iron. Very little time seemed to remain for scholarship, which, including historical research, had flourished in the Catholic world in the years around 1600 and well into the Thirty Years’ War, a period connected with such names as Cesare Baronio, Gabriel Bucelin, Justus Lipsius and Kaspar Schoppe. The present contribution aims to describe the status quo around 1700 as far as it can be reconstructed by means of an encompassing, statistically valid analysis of more than 2100 authors engaged in historical writing at that time, defined as the group of those between ca. 35 and 65 years of age (known or calculated to have been born between 1570 and 1689). It includes not only the comparatively better-known method-based historical research, which would subsequently have to measure up to the achievements of Belgium, but rather aims to embrace the culture of history in its entire breadth without prejudice to the Protestant concept of historiography defined in the 19th century. The past is always also an item of daily use for the orientation needs of a historically specific society.

91 Wilhelm WINDELBAND, Geschichtsphilosophie. Eine Kriegsvorlesung, hg. von Wilhelm WINDELBAND–Bruno BAUCH (Kantstudien 38, Berlin 1916); Günther PATZIG, Gesammelte Schriften, 4: Theoretische Philosophie (Göttingen 1996) 8–98 (teils mit anderen Schlussfolgerungen, da es sich um ältere Aufsätze handelt); Adam SCHAFF, Geschichte und Wahrheit, aus dem Polnischen übers. von Elida Maria SZAROTA (Wien–Frankfurt–Zürich 1970) 233–261; Rudolf UNGER, Zur Entwicklung des Problems der historischen Objektivität bis Hegel. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1 (1923) 105–138. 92 Jean MABILLON, Brèves réflexions sur quelques Règles de l´histoire, in: DanielOdon HUREL, Dom Mabillon. Œuvres choisies précédées d’une biographie par dom Henri Leclercq (Bouquins, Paris 2007) 932–951; Georg Wilhelm Friedrich HEGEL, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (Werke 12, Frankfurt am Main 1970/1986).

Amand Pachlers Vita des Hl. Vitalis (1663) und die Wurzeln benediktinischer Geschichtsschreibung im Umfeld der Salzburger Universität Barbara Lawatsch Melton Amand Pachler (1624–1673) ist der Forschung heute vor allem als Abt der Benediktinerabtei St. Peter in Salzburg (1657–1673), jedoch weniger als Historiker ein Begriff. Dennoch werden seine Vita des Hl. Vitalis und sein Chronicon Admontense (1665–1667) noch immer vereinzelt zitiert1. Pachler hat umfassende, vorwiegend historische und hagiographische Arbeiten hinterlassen, von denen die wesentlich bekanntere Historia Salisburgensis (1692) der Brüder Mezger profitiert hat. Seine historiographische Arbeit war einerseits von seiner Loyalität dem Kloster gegenüber und von seinen dort ausgeübten Funktionen geprägt, andererseits von seinem Engagement an der Salzburger Benediktineruniversität, zuerst als Student, dann als Philosophieprofessor und Dekan. Die Nachwirkung seiner Arbeit wird schon deshalb unterschätzt, weil seine Werke großteils anonym erschienen. Auch ließ er nie durch einen großen Wurf aufhorchen und widmete sich besonders der Hagiographie, die als Zweig der Historiographie mit der Zeit ganz in den Hintergrund trat oder gar nicht mehr als solcher anerkannt wird. Dennoch manifestieren seine Werke wichtige Impulse, die zur Erneuerung der katholischen Geschichtsschreibung in der Frühen Neuzeit beigetragen haben, während überkommene Ursachen und Formen der Gelehrsamkeit weiterwirken. 1

Amand PACHLER, Disquisitiones in vitam et miracula sanctissimi Vitalis (Salzburg 1663); sowie in deutscher Bearbeitung: Amand PACHLER, Historische beschreibung vom leben und wunderzeichen deß heiligen Vitalis (Salzburg 1663). Das Chronicon Admontense ist handschriftlich überliefert: Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter (StiB St. Peter), b XI 44, Chronicon Admontense (Abschrift). Zur Stellung Pachlers als Abt von St. Peter vgl. den Beitrag von Helga Penz in diesem Band. – An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank Frau Mag. Sonja Führer, Herrn Mag. Gerald Hirtner und Frau Dr. Helga Penz, die meine Forschungen in der Stiftsbibliothek und im Stiftsarchiv von St. Peter tatkräftig unterstützt haben, sowie Frau Mag. Beatrix Koll von den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Salzburg und Herrn MMag. Christoph Brandhuber, der mir wichtige Quellen im Universitätsarchiv kenntnisreich erschlossen hat.

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Zu den traditionellen Triebfedern klösterlicher Geschichtsschreibung, die in Pachlers Werk hervortreten, gehören die Heiligenverehrung als besondere Form des Totengedenkens sowie die Vertretung der Interessen des Klosters gegenüber konkurrierenden Ansprüchen2. Dass Letzteres auf Pachlers Werk zutrifft, geht schon daraus hervor, dass seine gedruckten Arbeiten alle mit der Vor- oder Frühgeschichte seines Klosters zu tun haben, dessen altehrwürdige, ungebrochene Tradition nachweisen wollen und die Rolle der Abtei in der Entstehung des Erzbistums Salzburg hervorheben. Demgemäß war nach Pachlers Version der Hl. Vitalis als Nachfolger des Hl. Rupert zweiter Bischof von Salzburg und Abt von St. Peter in Personalunion gewesen. Natürlich vertrat Pachler in der Rupertfrage die Salzburger Tradition, die das Erscheinen Ruperts früh, also in das 6. Jahrhundert datiert, während Mabillon und die spätere Forschung dies erst für das Jahr 696 annehmen3. Neben seiner Schrift über den Hl. Vitalis gab er unter anderem auch eine Monographie über das im Klosterbereich gelegene Eremitorium und angeblich zu frühchristlicher Zeit als Versteck dienende Höhlensystem heraus, dazu mehrere Arbeiten zu den im Kloster befindlichen Reliquien, nämlich des Hl. Martin und des Hl. Amandus, dessen Reliquien bei Umbauten in der Stiftskirche wieder aufgefunden wurden4. Auch seine handschriftlich erhaltenen Arbeiten beschäftigen sich überwiegend mit der Geschichte seines Klosters sowie des Benediktinerstifts Admont, weiters mit Heiligen, führenden Persönlichkeiten und Reliquien im Umfeld dieser Klöster, darunter eine Schrift über den heiligen Salzburger Erzbischof Thiemo und Viten der drei Äbte, die Pachler vorausgingen5. Die Vita Vitalis bildet damit in mancher Hinsicht die Kulmination seines historiographischen Werks und baut auf Ergebnissen seiner früheren Arbeiten auf. Mit der Vita Vitalis im Besonderen knüpfte Pachler auch an den Äbtekatalog und historischen Abriss6 seines Vorgängers Albert Keuslin (Abt 2

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Vgl. Hans-Werner GOETZ, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 1, Berlin 1999) 297–304. Vgl. Friedrich HERMANN, Geschichte der Erzabtei St. Peter zu Salzburg, 1: Frühgeschichte 696–1193 (Salzburg 1996) 16–26. Amand PACHLER, Brevis historia de origine, consecratione et reparatione speluncae seu eremitorii (Salzburg 1661); Amand PACHLER, Relatio historica de venerando corpore sancti Martini episcopi Turonensis (Salzburg 1664); Amand PACHLER, Historia de corpore sancti Amandi (Salzburg 1661). StiB St. Peter, b XI 56, Passio sancti Thyemonis Juvavensis archiepiscopi (1661); vgl. dazu Pirmin LINDNER, Professbuch der Benediktiner-Abtei St. Peter in Salzburg (1419–1856). Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 46 (1906) 1–328, hier 48. – Salzburg, Stiftsarchiv St. Peter (StiA St. Peter), Hs. A 45, PACHLER Acta abbatum Martini, Joachim et Alberti 1585–1637. Albert KEUSLIN, Catalogus cum historiae compendio abbatum monasterii S. Petri Salisburgi ex antiquis chronicis, litteris et monumentis authenticis extractus (Salz-

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1626–1657) an, der mit seinen Ausführungen über die Leistungen und Erwerbungen früherer Äbte sicher das Ziel verfolgte, St. Peters Ansprüche zu untermauern7. Keuslin, der in Ottobeuren eingetreten war und auf der Jesuitenhochschule in Dillingen studiert hatte, kam 1617 als Professor für Philosophie und Moraltheologie nach Salzburg und wurde nach der Gründung der Universität zu deren erstem Rektor gewählt8. Wie Stefan Benz erläutert hat, ist sein Äbtekatalog vor dem Hintergrund des europaweit schwelenden Rangstreites zwischen Benediktinern und Augustiner-Chorherren zu sehen9. Keuslin versuchte darin, seiner Verteidigung petrinischer Rechte und des benediktinischen Vorrangs in Salzburg durch gezieltes Heranziehen besonders alter Dokumente Glaubwürdigkeit zu verleihen, eine Methode, die Pachler später aufgriff und verfeinerte. Zu Abt Amands Zeiten war jedenfalls die katholische Front, die sich gegen protestantische Historiker, insbesondere die Zenturiatoren, gerichtet hatte, längst zerfallen. Es stellte sich das Problem der Konkurrenz zwischen den Orden seit dem Restitutionsedikt von 1629 mit zusätzlicher Dringlichkeit10. In Salzburg war zwar mit der Gründung der Benediktineruniversität das Eindringen anderer Orden, insbesondere der Jesuiten, abgeblockt worden, aber ein anderes Konkurrenzverhältnis setzte sich unvermindert fort, nämlich das zwischen den Benediktinern von St. Peter und dem Salzburger Domkapitel. Insbesondere ging es dabei immer wieder um das Präzedenzrecht, also um die Frage, wem die ehrenvollste Stelle in öffentlichen Prozessionen zustünde. Pachler war selbst massiv mit der Kontroverse um das Präzedenzrecht konfrontiert. Schon während der Zeit des Interregnums nach dem Tod seines Vorgängers trat eine Delegation mit dem dringenden Anliegen an den Konvent von St. Peter heran, das Präzedenzrecht an das Domkapitel abzutreten. Wenig später sah sich der eben erst zum Abt gewählte Amand

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burg 1646). Das Exemplar, das sich in einem Sammelband gebunden an der Emory University, Manuscript, Archives and Rare Books Library (MARBL) befindet, hatte Amand Pachler nachweislich 1663 in Händen, denn sein handschriftlicher datierter Eintrag weist es als seiner Bibliothek zugehörig aus. – An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeitern von MARBL sowie des Pitts Theology Library Archives and Manuscript Department der Emory University danken, die mir die Arbeit an diesem Beitrag wesentlich erleichtert haben. Vgl. Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 546. Adolf HAHNL, Die benediktinischen Klöster, in: Erzbischof Paris Lodron (1619– 1653). Staatsmann zwischen Krieg und Frieden, hg. von Peter KELLER–Johannes NEUHARDT–Reinhard Rudolf HEINISCH–Erich MARX (Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde Erg.bd. 20, Salzburg 2003) 56–60, hier 57. Vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 7) 546. Vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 7) 526.

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Pachler selbst zu diesem Schritt gezwungen, den er in seinem Diarium geradezu verzweifelt zu rechtfertigen versucht11. Er berichtet von schwierigen Verhandlungen wegen eines Neubaus, den der Erzbischof in einer für St. Peter untragbaren Lage errichten ließ. Wie Abt Amand erklärte, hätte dieser dem ohnedies im Schatten des Mönchsberges gelegenen Kloster das letzte Sonnenlicht geraubt und völlige Einsicht in die Klausur gewährt. Pachler konnte einen Kompromiss aushandeln, sodass dem Kloster eine Seite des Gebäudes zur Verfügung stehen sollte, während der Erzbischof die andere Seite für seine Zwecke nutzen würde. Dafür musste das Kloster aber nicht nur die erheblichen Baukosten übernehmen, sondern auch das Präzedenzrecht an das Domkapitel abtreten12. Bezeichnenderweise erklärte Pachler die Zuspitzung des Konflikts mittels historischer Analyse und führte ihn darauf zurück, dass die Domherren seit dem frühen 16. Jahrhundert nicht mehr nach der Augustinerregel lebten, sondern als Weltgeistliche, die sich aus dem Reichsadel rekrutierten und daher das Präzedenzrecht der Mönche von St. Peter als besonderen Affront betrachteten13. Der Erzbischof könne nicht umhin, sich nach den Wünschen der mächtigen Domherren zu richten14. Für Pachler waren die Verhandlungen so kurz nach seiner Wahl und das ausgehandelte Ergebnis äußerst belastend15. Die Episode ließ jedenfalls für ihn keinen Zweifel daran, dass der Gegner auch im eigenen katholischen Lager anzutreffen war und historische Rechte energisch verteidigt oder zumindest zum Nutzen des eigenen Klosters eingesetzt werden mussten. Neben rechtlichen Bestimmungen und materiellen Gütern waren es vor allem spirituelle Schätze in Form von Reliquien, die das Ansehen eines Klosters, aber auch einer Domkirche, einer Diözese, einer Stadt oder eines Territoriums mehrten, insbesondere wenn die Reliquien aus frühkirchlichen Zeiten herrührten und dazu beitrugen, die Kontinuität der katholischen Kirche zu dokumentieren16. Legenden, Volksfrömmigkeit und erbauliche Schriften 11 StiA St. Peter, Hs. A 53, Diarium P. Amandi. Res gestae abbatis, 4. 12 StiA St. Peter, Hs A 53, 14–18. Vgl. auch Christoph BRANDHUBER–Roswitha JUFFINGER, Der Fürst und seine Bauten, in: Erzbischof Guidobald Graf von Thun 1654–1668. Ein Bauherr für die Zukunft, hg. von Roswitha JUFFINGER (Salzburg 2008) 89–116, hier 95–100. 13 StiA St. Peter, Hs A 53, 26f. 14 StiA St. Peter, Hs A 53, 27. 15 StiA St. Peter, Hs A 53, 28f. 16 Vgl. Ulrike STRASSER, Bones of Contention: Cloistered Nuns, Decorated Relics, and the Contest over Women’s Place in the Public Sphere of Counter-Reformation Munich. Archiv für Reformationsgeschichte. Internationale Zeitschrift zur Erforschung der Reformation und ihrer Weltwirkungen 90 (1999) 255–288, hier 255f., 271–288; Simon DITCHFIELD, Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy. Pietro Maria

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waren aber nun nicht mehr genug. Cesare Baronio wurde durch seine umfangreichen Quellenforschungen zum Vorbild. Pachler zitierte ihn mehrfach und wurde ebenfalls ein unermüdlicher Quellensammler, auch zugunsten eines anderen benediktischen Klosters. Seine Chronik des Benediktinerstiftes Admont (Chronicon Admontense) existiert in mehreren Abschriften und ist noch jetzt von Bedeutung, weil viele der darin wörtlich zitierten Quellen verloren gegangen sind17. So hat sich der in Pachlers Vorrede dargelegte, biblisch begründete Zweck eindrucksvoll erwiesen: Colligite fragmenta, ne pereant! („Sammelt die Überreste, damit sie nicht verloren gehen!“)18. In Salzburg fanden im 17. Jahrhundert, dem großen Interesse an Reliquien in katholischen Landen folgend, etliche feierliche Erhebungen und Translationen hier begrabener Heiliger statt, darunter der in St. Peter befindlichen Heiligen Vitalis (1627) und Amandus (1661). Pachler trug dazu Arbeiten bei, welche der wissenschaftlich-historiographischen Untermauerung der lokalen Verehrung dieser Heiligen dienten19. Diese historiographischhagiographischen Arbeiten waren sicher mit dem Anliegen verflochten, die Interessen des eigenen Klosters oder zumindest des Ordens zu fördern. Doch Anstoß, Intention und Wirkung seiner Schriften waren nicht darauf beschränkt. Im benachbarten Bayern hatte Herzog (ab 1623 Kurfürst) Maximilian I. demonstriert, wie wirkungsvoll der Heiligenkult mit den Interessen des Landesfürsten verknüpft werden konnte20. Auch Salzburger Fürsterzbischöfe nahmen regen Anteil an Translationen und Heiligenkult, wie Pachler selbst vermerkte21. Obgleich Reliquien bisweilen zum Zankapfel wurden22, konnte der öffentliche, festlich-prunkvolle Heiligenkult identitätsstiftend wirken und zumindest dem äußeren Anschein nach unterschiedliche katholische Kräfte im Bistum vereinigen. Dies war durchaus mit Pachlers Intentionen vereinbar. Denn obgleich ihm das Konkurrenzverhältnis mit dem

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Campi and the Preservation of the Particular (Cambridge Studies in Italian History and Culture, Cambridge et al. 1995) 84–96. Vgl. Anm. 1; vgl. weiters Friedrich HAUSMANN, Urkundenbuch der Steiermark und ihrer Regenten. Vorstufen, Vorgänger, Vorarbeiten, in: 100 Jahre Historische Landeskommission für Steiermark 1892–1992. Bausteine zur Historiographie der Steiermark, hg. von Othmar PICKL–Robert F. HAUSMANN (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 36, Graz 1992) 91–202, hier 157–160. StiB St. Peter, b XI 44, VI; nach Joh 6,12. PACHLER, Vita Vitalis (wie Anm. 1); PACHLER, Historische beschreibung (wie Anm. 1); PACHLER, Historia Amandi (wie Anm. 4). Vgl. David LEDERER, Madness, Religion and the State in Early Modern Europe. A Bavarian Beacon (New Studies in European History, Cambridge et al. 2006) 112– 114; BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 7) 69f. Vgl. die Widmungsvorrede an Fürsterzbischof Guidobald Graf Thun in: PACHLER, Historia Amandi (wie Anm. 4). Vgl. STRASSER, Bones of Contention (wie Anm. 16) 255–288.

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Domkapitel nur allzu bewusst war, lag ihm als Abt und auch seinem Temperament nach keineswegs daran, den Konflikt mit kontroversiellen Schriften auf die Spitze zu treiben. Sein handschriftlicher Nachlass zeigt, dass er sich auch mit im Dom befindlichen Reliquien beschäftigte. Die Hagiographie bot Pachler also die Möglichkeit, die Interessen des Klosters zu vertreten, während er gleichzeitig jene des Fürsterzbischofs wahrnahm, zwischen unterschiedlichen Kräften vermittelte und identitätsstiftend wirkte. Darin trifft sich Pachlers Intention mit jener des von ihm häufig zitierten Matthäus Rader, des bayerischen Hofhistoriographen und Verfassers der hagiographischen Prachtbände der Bavaria sancta23. Aufschlüsse über Pachlers Zielsetzungen insbesondere der lateinischen Version seiner Vita Vitalis und sein intendiertes Publikum gibt auch die von seiner Studien- und Lehrtätigkeit an der Salzburger Benediktineruniversität geprägte und im Titel ersichtliche Darstellungsform: Disquisitiones in vitam et miracula sanctissimi Vitalis24. Es handelt sich also um „Untersuchungen“ oder „Forschungen“ über das Leben und die Wundertaten des Heiligen. Anders als Hagiographen der Renaissance25 strebt Pachler keine elegante, stilistisch wirkungsvolle Darstellung an. Wie sein Salzburger Vorgänger als Vitalis-Hagiograph, Johann Stainhauser26, möchte Pachler zur Frömmigkeit und Heiligenverehrung anregen, aber durch didaktisches Überzeugen mittels wissenschaftlicher Akribie. Die lateinische Version der Vita Vitalis war, wie etliche andere seiner Schriften, an gebildete, an wissenschaftlichen Diskursen interessierte Leser gerichtet. Seine historiographische Vorgangsweise entwickelte Pachler in Verbindung mit seiner Tätigkeit an der Universität, denn seine Methode orientiert sich an der scholastischen Lehrpraxis, die er souverän beherrschte. Schon 1644, bei der Erlangung des Bakkalaureats, war Pachler an der Salzburger Universität mit den Besten seines Jahrgangs zur öffentlichen Prüfung angetreten und hatte das Studienjahr als Jahrgangszweiter abgeschlossen. Im nächsten Jahr erlangte er das Magisterium sogar als Jahrgangsbester. Einige Jahre später fungierte er dann selbst als Lehrender der Philosophie und Präses bei diesen öffentlichen Disputationen, bei denen es darauf ankam, die für alle identische Prüfungsfrage (manchmal waren es zwei) mit überzeugenden Argumenten und exzellenter Logik zu erörtern. Im Jahr 1655 unter Pachlers 23 Matthäus RADER, Bavaria sancta (3 Bde., München 1615–1627); Matthäus RADER, Bavaria pia (München 1628). Zu Rader vgl. den Beitrag von Alois Schmid in diesem Band. 24 Vgl. Anm. 1. 25 Vgl. Alison Knowles FRAZIER, Possible Lives. Authors and Saints in Renaissance Italy (New York 2004) 323f. 26 Johann STAINHAUSER, Das heylige leben, wandel, auch fürtreffliche grosse wunderthaten deß seligen beichtiger und bekenners Christi Vitalis (Salzburg 1602).

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Vorsitz lautete beispielsweise eine der zwei Fragen, ob es Aufgabe eines guten Logikers sei, eher abzuwägen oder zu behaupten27. Eben diese Methode wendet Pachler bei mehreren historiographischen Schriften, auch der Vita Vitalis, an. Sie ist eine disquisitio, in der diverse Thesen über den Heiligen als Fragen formuliert sind und mit Hilfe vorhandener Quellen, historiographischer Literatur und logischer Argumentation diskutiert werden. Nach dem Muster universitärer Prüfungsfragen formuliert er daher seine Überschriften als Fragen, beispielsweise ob Vitalis der erste, zweite oder dritte Bischof von Salzburg gewesen sei. Eine Reihe von Historiographen, darunter Aventinus (Thurmair) und Hundius (Wiguleus Hund von Sulzenmoos), führt Pachler aus, hielten Vitalis für den dritten Bischof, da sie den vor dem Gründerbischof Rupert bezeugten Märtyrer Maximus als ersten Bischof zählten. Dem hält Pachler entgegen, dass etliche „uralte“ Texte, die man im Kloster aufgefunden habe, darunter eine beschriftete Tafel in der klösterlichen Friedhofskapelle, Maximus nur als Priester bezeichneten. Dies treffe auch auf die Severin-Vita des Eugippius zu28. Natürlich vertritt Pachler hier die Interessen seines Klosters, denn seine Version behauptet, dass das Erzbistum zugleich mit dem Kloster begründet wurde und beide durch die Personalunion des Bischofs und Abts engstens verbunden waren, trotz der späteren Trennung. Aber er tut dies mit Strategien, die damals sicher als legitim und sinnvoll erschienen und auch noch heute angewandt werden. Sein Ansatz, rezente Historiographie mit Hilfe älterer Dokumente und auch materieller Quellen zu prüfen und gegebenenfalls zu widerlegen, entsprang bei den alten Orden offenbar auch aus der Verfügbarkeit alter Texte, Inschriften und Grabmäler im eigenen Umfeld. Aber der Rückgriff auf frühe Viten und Texte, das Aufspüren älterer, bisher vernachlässigter Zeugnisse und der philologisch-historische Zugang reflektieren Pachlers Ringen um Methoden, welche die Glaubwürdigkeit seiner Forschungsergebnisse auch gebildeten Lesern gegenüber sichern sollten. Insofern ähnelt sein Werk durchaus der Arbeit weithin bekannter nachtridentinischer Hagiographen, einschließlich jener der Bollandisten und Mauriner des 17. Jahrhunderts29. Selbst wenn Pachlers Ergebnisse tendenziös erscheinen, so setzt er sich doch intensiv mit einschlägigen Autoren auseinander, prüft ihre Aussagen an 27 Universitätsarchiv (UA) Salzburg, bA 150, Catalogus candidatorum, qui prima aut suprema liberalium artium et philosophiae laurea promoti sunt (1644, 1645, 1655): Utrum munus boni logici sit plus cogitare quam dicere? 28 PACHLER, Vita Vitalis (wie Anm. 1) 33f. 29 Vgl. David KNOWLES, Great Historical Enterprises. Problems in Monastic History (London et al. 1963) 1–62; BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 7) 64– 79; weiters die Beiträge von Andreea Badea und Jan Marco Sawilla in diesem Band.

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Hand seiner Analyse älterer Zeugnisse und legt seine Argumentationsweise mit bemerkenswerter Klarheit offen. Damit entwickelt er ein Instrumentarium, das man als Frühform und Grundlage moderner historischer Praxis bezeichnen kann. Genau daran, also an einer verbesserten Methode, sei ihm gelegen, erklärt Pachler im Proömium der lateinischen Version. Vor dem Arbeitsfleiß Johann Stainhausers, der sechzig Jahre zuvor eine deutsche Vita des Hl. Vitalis verfasst hatte30, habe er großen Respekt. Er selbst könne in einer so alten Angelegenheit keine neuen Daten versprechen, werde aber die bekannten novo proponendi aut disserendi modo, mittels neuer Methoden der Darstellung und Erörterung, abhandeln31. Bei manchen Fragen kommt er dabei doch zu bemerkenswerten Erkenntnissen, wie etwa bei jener nach der Abstammung des Hl. Vitalis: Es sei zwar wahrscheinlich, dass Vitalis aus königlichem oder fürstlichem Geschlecht stamme, da dies alle Bücher behaupteten und Rupert ihn ja auch zum Nachfolger erwählte – wenngleich er dies auch mehr wegen des Vitalis tugendhaftem Lebenswandel getan habe. Aber die Quellenlage sei für diese frühe Zeit sehr dünn, und man könne schlichtweg nicht sagen, wer die Eltern des Hl. Vitalis gewesen seien32. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern und vielen anderen Hagiographen gibt Pachler nicht nur zu, sondern betont sogar, dass manche Fragen auf Grund der mangelhaften Quellenlage nicht eindeutig beantwortet werden können. Pachlers besondere wissenschaftliche Leistung in der Vita Vitalis besteht nicht darin, dass er die Biographie des Heiligen vervollständigte, sondern darin, dass er die Grenzen dieses Projekts aufzeigte. Was von seinen Vorgängern als Tatsache dargestellt wird, zieht Pachler in Zweifel und gibt offen zu, dass manche Rätsel durch die ungünstige Quellenlage gar nicht gelöst werden können. Gerade das wird ihm später in den Acta sanctorum als Verdienst angerechnet: Abt Amand habe den Titel Disquisitiones weise und mit Bedacht gewählt. Denn wie er selbst sehr wohl bemerkt habe, sei fast jeder Aspekt der Vita mit Fragen und Zweifeln behaftet. Dementsprechend können die Bollandisten keine bessere Vorgangsweise erkennen, als Pachlers Konzept zu folgen und nur etwas verkürzt abzuhandeln, was Pachler ausführlicher getan habe33. Wenn Pachler auch kein großer Wurf gelang, seine gedruckten Werke vom heutigen Standpunkt aus gesehen Mängel und Irrtümer enthalten und 30 31 32 33

Vgl. STAINHAUSER, Das heylige leben deß Vitalis (wie Anm. 26). PACHLER, Vita Vitalis (wie Anm. 1), Prooemium (unpag.). PACHLER, Vita Vitalis (wie Anm. 1) 5–9. AASS Octobris 8 (Bruxelles 1853) 931: Coeterum quod abbas Amandus prolixa indagine, nos breviter transigere habemus.

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seine hagiographische Ausrichtung im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb nicht ernst genommen würde, so hatte er doch Anteil an wissenschaftlich fortschrittlichen Trends seiner Zeit. Er entwickelte eine nachhaltige Wirkung, wenn diese auch nicht immer offensichtlich ist. Mit seiner enormen Kenntnis insbesondere der Quellen und Darstellungen der Salzburger Frühgeschichte wirkte er hinter den Kulissen an Franz Dückhers Salzburger Chronik mit34. Auf Bitte des Autors verfasste Pachler über dreißig Seiten kritischer Anmerkungen zum Manuskript35, wonach Dückher dann die gedruckte Version weitgehend korrigiert herausgab. Bemerkenswert ist auch Pachlers Wirkung auf das historische Werk herausragender Persönlichkeiten der Salzburger Benediktiner-Universität. Simon Rettenbacher zitiert Pachlers Studien zur Vorgeschichte von St. Peter und zu dem im Klosterbereich befindlichen Eremitorium in seiner monumentalen Historia Norica cum Annalibus monasterii Cremifanensis von 1677, in der er die Geschichte seines Klosters Kremsmünster mit Landesgeschichte und Mitteilungen zur Reichsgeschichte verband36. Allerdings führt er nicht Pachler, sondern „einen gewissen Mönch aus St. Peter“ als Autor an37, denn die meisten Werke des Salzburger Abts waren unter dieser Bezeichnung, also anonym, erschienen. Rettenbachers Darstellung der Geschichte Kremsmünsters anlässlich des 900-Jahr-Jubiläums der Gründung verfolgte natürlich noch augenscheinlicher als Pachlers Werk den Zweck, die Bedeutung des eigenen Klosters hervorzuheben. Wie Pachler trachtete aber auch Rettenbacher danach, die Interessen anderer Kräfte einzubeziehen, und ging schon aus diesem Grunde über die reine Klostergeschichte hinaus. Darin berief er sich ausdrücklich auf etliche Vorbilder, darunter die Annales Fuldenses und das Hirsaugiense ac Sponheimense Chronicon des Trithemius. Wie der gelehrte Benediktiner erklärte, könne man ohne den weiteren Zusammenhang nicht alles verstehen, und überdies gebiete die Dankbarkeit, dass man die glorreichen Taten jener nicht übergehe, die das Kloster unterstützt und beschirmt hätten38. Rettenbacher, heute vor allem als Dichter und Dramatiker bekannt, lehrte von 1671 bis 1675, also vor der Abfassung der Historia Norica, an der Salzburger Universität. Auf Initiative und ausdrücklichen Wunsch des Fürsterzbischofs 34 Franz DÜCKHER VON HASLAU, Saltzburgische chronica (Salzburg 1666). 35 StiA St. Peter, Hs A 45, Notae ad Chronicon Praenobilis & Strenui Domini Francisci Dückeri, Praefecti in Hallein. Anno 1660, 331–368. 36 Simon RETTENBACHER, Historia Norica cum Annalibus monasterii Cremifanensis (Salzburg 1677). 37 RETTENBACHER, Historia Norica (wie Anm. 36) 7; vgl. auch PACHLER, Brevis historia de origine speluncae (wie Anm. 4). 38 RETTENBACHER, Historia Norica (wie Anm. 36), Benevolo et candido lectori (unpag.).

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Maximilian Gandolph von Khuenburg las er Geschichte, und zwar in Verbindung mit Ethik39. Die für die Zeit ungewöhnliche Betonung der Historie in der universitären Lehre wurde in Salzburg durch Rettenbachers Nachfolger Otto Aicher und Roman Sedlmayr weitergeführt40. Auch Pachler trug in seinem Umkreis wesentlich dazu bei, die Verbindung zwischen Universität und Geschichtsschreibung zu festigen und gleichzeitig die Historiographie mit wissenschaftlichem Anspruch in seinem Kloster zu verankern. Dies zeigte sich vor allem in der umfangreichen Historia Salisburgensis (1692) der Brüder Mezger, die Pachler selbst bei ihrem Klostereintritt 1650 als damaliger Novizenmeister mit großer Freude und im Bewusstsein ihres Potentials empfangen hatte41. Pachlers Wertschätzung der Brüder bestätigte Jahrzehnte später der berühmte Jean Mabillon nach einem Besuch in St. Peter im Jahre 1683, und dies obgleich man in der Rupertfrage stark divergierte, da Mabillon die Ankunftszeit des Hl. Rupert wesentlich später ansetzte42. Der ausdrückliche Anspruch der Verfasser der Historia Salisburgensis, nur aus authentischen Dokumenten zu schöpfen und sich nicht auf Spekulationen einzulassen43, stimmte mit den Richtlinien Mabillons überein, wurde aber auch schon von Pachler angestrebt. Trotz des großen Umfangs und der Einbeziehung der Reichsgeschichte bleibt die Mezger’sche Historia Salisburgensis traditionellen Zielsetzungen der Klostergeschichtsschreibung verpflichtet, denn die Äbte von St. Peter erscheinen neben den Bischöfen und Erzbischöfen als zentrale Handlungsträger der Geschichte Salzburgs bis in die Zeit der Verfasser44. Für Joseph Mezger, der zwei Jahrzehnte lang an der Salzburger Universität lehrte und als eigentlicher Historiograph unter den drei Brüdern zu gelten hat45, bildeten die Forschungen Pachlers, seines vormaligen Novizenmeisters und Abtes, eine Grundlage insbesondere der Darstellung der Früh39 Annemarie MÜHLBÖCK, Die Pflege der Geschichte an der alten Universität, in: Universität Salzburg 1622 – 1962 – 1972. Festschrift, hg. von Hans WAGNER–Barbara WICHA (Salzburg 1972) 95–108, 203–205, hier 97. 40 Vgl. Emmanuel J. BAUER, Thomistische Metaphysik an der alten Benediktineruniversität Salzburg. Darstellung und Interpretation einer philosophischen Schule des 17./18. Jahrhunderts (Salzburger Theologische Studien 1, Innsbruck–Wien 1996) 8f. 41 Vgl. StiA St. Peter, Hs A 52, Diarium (privatum) P. Amandi Pachler, pro tempore Magistri Novitiorum a die 14 Aug. 1649 – Decembris 1656, 101f. 42 Vgl. MÜHLBÖCK, Pflege der Geschichte (wie Anm. 39) 99. 43 Vgl. [Joseph MEZGER–Franz MEZGER–Paul MEZGER], Historia Salisburgensis, hoc est Vitae episcoporum et archiepiscoporum Salisburgensium nec non abbatum monasterii S. Petri ibidem (Salzburg 1692), Ad lectorem (unpag.). 44 Vgl. MEZGER–MEZGER–MEZGER, Historia Salisburgensis (wie Anm. 43) passim. 45 Vgl. MÜHLBÖCK, Pflege der Geschichte (wie Anm. 39) 99; LINDNER, Professbuch St. Peter (wie Anm. 5) 58–63.

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geschichte Salzburgs46. Damit reichten von Pachler ausgehende Impulse aber noch ein gutes Stück weiter. Denn die Historia Salisburgensis wurde gleich nach ihrem Erscheinen 1692 als Tischlesung im Benediktinerkolleg in St. Peter eingesetzt, wo sie Karl Meichelbeck schon in seinem ersten Salzburger Studienjahr tief beeindruckte. Über die Brüder Mezger und die Historia Salisburgensis, die Meichelbeck binden und in sein Heimatkloster Benediktbeuern senden ließ47, lässt sich also eine mittelbare Verbindung zwischen Pachler und einem der bedeutendsten Historiker Süddeutschlands herstellen. Pachler selbst wollte sein Publikum keineswegs auf Gelehrte oder gar Historiker beschränken. Der gleichzeitig mit der lateinischen erfolgte Druck einer deutschen Version der Vita des Hl. Vitalis zeigt, dass Pachler nicht nur hochgebildete Leser und Kollegen im Auge hatte48. Dies liegt ganz in der Tradition der Hagiographie, die ja oft als volkstümliche Literaturform erscheint. Dementsprechend erklärt Pachler auch in der deutschen Vorrede, dass er die allgemeine Verehrung des Hl. Vitalis fördern möchte, insbesondere da die frühere Darstellung Stainhausers mittlerweile vergriffen sei49. Allerdings unterscheidet sich seine deutsche Version nicht allzusehr von der lateinischen. Zwar wird dem Titel nach die Disquisitio zur Historische[n] beschreibung, aber inhaltlich hat Pachler nicht viel verändert. Er behält die Form einschließlich der als Fragen formulierten Thesen beziehungsweise Kapitelüberschriften bei, wenn er auch einzelne Kapitel etwas kürzt und den interessierten Leser an diesen Stellen auf die lateinische Version verweist. Pachler setzt einen gewissen Bildungsstand voraus, schlägt aber auch eine Brücke zwischen Volksfrömmigkeit und Gelehrsamkeit. Jedenfalls zielte Pachler also auf ein breiteres Publikum ab, darunter vielleicht weniger gebildete Mitbrüder und Geistliche, aber auch junge Männer oder deren Väter, um etwa Novizen für den Orden zu gewinnen. Pachler war nämlich nicht nur Novizenmeister und Universitätslehrer gewesen, sondern zeigte zeitlebens eine väterliche Sorge um junge Mönche. Aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammend, verkörperte Pachler selbst die glänzenden Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Ordens. Wie sein Diarium abbatiale erkennen lässt, empfand er den Standesunterschied zu den aristokratischen Domherren als Belastung, insbesondere wenn er als Abt schwierige 46 Vgl. MEZGER–MEZGER–MEZGER, Historia Salisburgensis (wie Anm. 43) 69. 47 MÜHLBÖCK, Pflege der Geschichte (wie Anm. 39) 47; Karl MINDERA, Die Jugend Karl Meichelbecks und sein Weg zur Geschichtsforschung. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80/1–2 (1969) 61–104, hier 79; vgl. auch den Beitrag von Thomas Stockinger in diesem Band. 48 Vgl. PACHLER, Vita Vitalis (wie Anm. 1); PACHLER, Historische beschreibung (wie Anm. 1). 49 PACHLER, Historische beschreibung (wie Anm. 1), Vorrede, unpag.

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Verhandlungen mit dem Fürsterzbischof, zumal das Domkapitel betreffend, führen musste. Seine Gelehrsamkeit, die er ja im Interesse des Klosters einsetzte, war auch Schutz gegen die Macht der wohlgeborenen Domherren, mit denen St. Peter immer wieder Konflikte austragen musste. Pachlers Gelehrsamkeit trug zweifellos zu seinem bemerkenswerten Aufstieg bei. Doch gerade dieser Aufstieg des Sohnes eines Baders und späteren Zollbeamten50, und seine herausragenden akademischen Leistungen, ließen die Widersprüche in der gesellschaftlichen Ordnung deutlich hervortreten. Auf den Verlautbarungen des Studienerfolgs der Studenten an der Salzburger Universität stand Pachler jeweils als Jahrgangszweiter und dann sogar als Primus an prominenter Stelle51. Allerdings drängten fast nur Studenten aus bescheidenen Verhältnissen danach, sich bei der öffentlichen Disputation einer Prüfungsfrage am Ende des Semesters besonders auszuzeichnen. Angehörige der Aristokratie und Nobilität konnten aufsteigen, traten aber zu diesen öffentlichen Disputationen nur sehr vereinzelt an. Dennoch würden viele später hervorragende öffentliche Positionen einnehmen. Von Heiligen wusste man aber, dass sie sich über Standesunterschiede hinweg der Menschen annahmen. Die Viten heiliger Bischöfe verfolgten natürlich oft den Zweck, das pastorale Engagement der Oberhirten einzumahnen. Eine Tugend, die Heiligen im Allgemeinen, zum Teil formelhaft, zugeschrieben wurde, war gerade ihre Mildtätigkeit und Solidarität mit den Armen und Leidenden. Dementsprechend erfahren wir auch aus Werken wie Rettenbachers oben erwähnter Historia Norica gerade im Zusammenhang mit Heiligen von den Notlagen der Bedürftigen und der vorbildlichen Caritas, die ihnen zuteil wird. Rettenbacher berichtet beispielsweise von der Fürsorge des heiligmäßigen Bischofs Altmann von Passau, der enorme Mittel aufwandte, um in Zeiten der Getreideknappheit die Not der Bevölkerung zu lindern52. Auch posthum gewirkte Wunder werden überliefert, und in noch größerem Umfang finden sich Mitteilungen zum Heiligenkult, wobei sowohl Rettenbacher als auch die Brüder Mezger die zahlreiche Beteiligung der Bevölkerung hervorheben. Die Historia Norica verweist darauf beispielsweise in der Schilderung der Festlichkeiten zum 900-Jahr-Jubiläum des Klosters Kremsmünster, während die Mezgersche Historia Salisburgensis unter anderem ausführlich vom großen Andrang des Volkes zum Gnadenbild von Maria Plain Mitte des 17. Jahrhunderts berichtet53. 50 51 52 53

LINDNER, Professbuch St. Peter (wie Anm. 5) 46 Anm. 1. UA Salzburg, bA 150 (1644, 1645). RETTENBACHER, Historia Norica (wie Anm. 36) 147. RETTENBACHER, Historia Norica (wie Anm. 36) 50, sowie ebd. Annalium Cremifanensium Appendix, unpag.; MEZGER–MEZGER–MEZGER, Historia Salisburgensis (wie Anm. 43) 847.

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In hagiographischen Werken wie jenen Pachlers ist diese Komponente noch stärker ausgeprägt, denn die Hagiographie war traditionell ein volkstümliches Genre. Kirchliche Behörden waren aber besonders seit dem Tridentinum ständig bemüht, den Wildwuchs an Legenden und Ausformungen des Heiligenkults einzudämmen, den Festkalender zu bereinigen und die Kanonisierung neuer Heiliger strikten Regeln zu unterwerfen. Dies hatte wiederum zur Folge, dass man in vielen Diözesen alles daran setzte, die eigenen Heiligen historisch abzusichern, und hierin ist eine Ursache für die enorm gestiegene Zahl lokaler Historiker, örtlicher „Baronios“ gewissermaßen, zu sehen54. Der Hl. Vitalis war allerdings schon kanonisiert und bedurfte dieser Anstrengung eigentlich nicht. Jedoch hatten in deutschen Landen katholische Hagiographen wie Georg Witzel und Laurenz Surius im 16. Jahrhundert begonnen, den vom Tridentinum sanktionierten Heiligenkult durch akribisch recherchierte Heiligenviten gegen die Angriffe der Reformatoren zu verteidigen. In der Regel wurden die ursprünglich lateinisch verfassten Viten ins Deutsche übersetzt oder epitomisiert, denn Erbauung und Förderung der Volksfrömmigkeit blieben wesentliche Zielsetzungen der Hagiographie55. Diesem Prinzip folgte auch Pachler mit der Veröffentlichung einer deutschen Version der Vita des Hl. Vitalis, zeitgleich mit der Herausgabe der lateinischen Fassung. Die Volksnähe der Vita Vitalis und ihr Beitrag zur Sozialgeschichte beruht auch darauf, dass Pachler mit dem Heiligenkult verbundene Gebräuche schildert. Bisweilen leitet er daraus sogar historische Gegebenheiten ab. So berichtet er vom S. Vital käß, den das Kloster St. Peter am 20. Oktober, dem St.-Vitalis-Tag, zusammen mit Brot an die Armen verteilte. Den Käse aber hatten die Pinzgauer Untertanen des Erzstifts zu liefern, woraus man möglicherweise schließen könne, dass Vitalis in der Mission des Pinzgau tätig gewesen sei. Allerdings räumt Pachler ein, dass der Brauch auch auf eine Stiftung aus dem 13. Jahrhundert zurückgehen könnte56. Insbesondere war der Hl. Vitalis aber auch deswegen ein volkstümlicher Heiliger, weil ihn Menschen aller Schichten anriefen, die sich wegen unterschiedlicher Leiden, Missbildungen und schmerzhafter Zustände in verzweifelter Lage fanden. Obwohl Wundererzählungen in Hagiographien üblich sind, ist Pachlers Ausführlichkeit in seinem Katalog der Heilwunder bemerkenswert. Sein Katalog beginnt bei den ältesten überlieferten Wundern aus dem 12. Jahrhundert und führt bis in das lauffende Jahr 166357. Er 54 55 56 57

Vgl. DITCHFIELD, Liturgy (wie Anm. 16) 10–13, 17–114. Vgl. Vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 7) 64–67. PACHLER, Leben des hl. Vitalis (wie Anm. 1) 49f. PACHLER, Leben des hl. Vitalis (wie Anm. 1) 208.

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übernimmt alle von Stainhauser bereits erzählten Wunder, bietet alle Aussagen des Kanonisationsprozesses und schließt alle seit Stainhauser nachweisbaren Wunder an. Von den 280 Seiten des Büchleins sind 124 Wundertaten nach dem Tod des Heiligen gewidmet und neunzig, oder fast ein Drittel, erzählen Heilwunder. Pachler bietet nicht nur eine Statistik, sondern immer eine kleine Erzählung. Ganz am Anfang hören wir von eines Burgers weib mit schmerzhaft geschwollenem Leib, einem vom bösen feind besessenen Jüngling, einem Dienstboten des Klosters St. Peter, der unsinnig geworden sei, einem Knaben, der krumm war an der rechten Hand und am linken Fuß und einem mägdl [...] mit dem bösen feind besessen, die alle durch Vitalis’ Fürsprache Heilung erfuhren. Bei der „Nachforschung“ beziehungsweise Befragung von Zeugen, durch welche 1462 ein erster Anlauf zur Kanonisierung des Vitalis unternommen wurde, treten vor allem Geistliche, Angehörige der Nobilität und angesehene Bürger auf, als erster gleich der Abt von St. Peter, Petrus Klueghamer. Mag sein, dass dieser vor allem die Kanonisierung seines Vorgängers vorantreiben wollte, aber die Zahnschmerzen seiner Novizenjahre kann man dennoch nachempfinden. Übrigens verhinderte Klueghamer paradoxerweise dann doch die Kanonisierung, weil er die Bedingung ablehnte, der Körper des Heiligen müsse in den Dom überführt werden. Doch selbst während dieser hochoffiziellen Befragung vor kirchlichen Würdenträgern darf die Dienstmagd Margaretha über die Heilung ihrer Zahnschmerzen aussagen, und Elisabetha, ein altes weib aus dem burgerspital, erinnert sich ihrer Heilung von der hinfallenden sucht58. Der letzte Abschnitt, der Wunder von 1602 bis zum Erscheinungsjahr der Vita mitteilt, beginnt mit einer recht ausführlichen Erzählung vom Missgeschick der Äbtissin des adlichen closters St. Georgen am Längsee, der ein Glasküglein ins Ohr geriet und sich nicht mehr entfernen ließ. Wieso ausgerechnet ein Glasküglein, lässt sich nicht eruieren, aber die furchtbaren Ohrenschmerzen, endlich von Vitalis geheilt, werden glaubhaft und anschaulich geschildert59. Mehr als die Hälfte der Wunder der letzten sechzig Jahre waren jedoch Geburtswunder60. Meist wurde nach dem Cingulum des Heiligen geschickt, um es der Gebärenden während einer besonders schmerzhaften oder langwierigen Geburt aufzulegen. Damit alles seine Ordnung hatte, wurden die meisten dieser Wunder notariell beglaubigt61. 58 Vgl. PACHLER, Leben des hl. Vitalis (wie Anm. 1) 140f., 153, 167f. 59 PACHLER, Leben des hl. Vitalis (wie Anm. 1) 208–210. 60 Vgl. Christine Edith JANOTTA, Vitalis und Erentrud, in: Salzburgs Wallfahrten in Kult und Brauch. Katalog XI. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg 1986, hg. von Johannes NEUHARDT (Salzburg 1986) 90–100, hier 92f. 61 PACHLER, Leben des hl. Vitalis (wie Anm. 1) 210–223.

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Ein Grund für die lückenlose Aufzählung aller Wunder mag, neben Pachlers perfektionistischem Sammeleifer, auch darin gelegen sein, dass er eine Affinität zu den Leidenden empfand. Er selbst litt nämlich an qualvollen Erkrankungen, an Gicht, Magenbeschwerden und, wie er selbst ausdrücklich erwähnt, auch an Gemütskrankheit und seelischen Leiden, die ihn immer wieder aufs Krankenlager zwangen62. Sein Nachfolger äußerte wegen seiner Geduld im Ertragen dieser Qualen die Überzeugung, dass er zweifellos auf direktem Wege zur ewigen Glückseligkeit gelangt sei63. Pachlers Wunder-Beschreibungen erschienen in vollem Umfang auch in der lateinischen Version und sollten also auch gelehrte und wohlgeborene Leser, darunter natürlich geistliche Würdenträger, an ihre pastoralen Pflichten und die Nöte der einfachen Menschen erinnern, während alle darin bestärkt wurden, sich den Heiligen der Kirche anzuvertrauen. Trotz seiner Verwurzelung in überkommenen Formen, insbesondere der Hagiographie, weist Pachlers Werk eine Reihe von Merkmalen moderner Historiographie auf. Pachler zählt zu den zahlreichen gelehrten Autoren, die im Gefolge tridentinischer Reformimpulse historische Studien betrieben, um geistliche Disziplin und pastorales Pflichtbewusstsein zu fördern und lokale Traditionen der Frömmigkeit, insbesondere der Heiligenverehrung, zu festigen und historisch zu untermauern. Wie andere lokale „Baronios“ und ähnlich den Bollandisten und Maurinern legt Pachler großen Wert auf Quellenstudien und stützt seine Arbeiten auf eine Vielzahl schriftlicher und materieller Zeugnisse. Er zieht auch viele Autoritäten heran und stellt lokale Ereignisse in einen weiteren Zusamenhang, wägt unterschiedliche Meinungen gegeneinander und gegenüber ihm bekannten Zeugnissen ab und übt Kritik an seinen Vorgängern. Seine kritische Methode war dabei an der universitären Praxis orientiert und wirkt gerade deswegen bemerkenswert wissenschaftlich, weil er oft zu dem Schluss kommt, dass manche Fragen wegen der mangelhaften Quellenlage nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden können. In seiner Hagiographie verwies Pachler die Eliten auf das einfache Volk und bot andererseits jenen, die des Lateinischen nicht mächtig waren, einen wissenschaftlich durchsetzten Diskurs. Seine hagiographisch-historiographische Arbeit bot ihm die Möglichkeit, die Interessen seines Klosters zu vertreten und gleichzeitig auch im Sinne des Erzbischofs und Landesfürsten konsens- und identitätsstiftend zu wirken. So schlug Pachler auf mehrfache Weise Brücken über Standesgrenzen und innerkirchliche Rivalitäten hinweg. Seine Vita des Hl. Vitalis rüttelt niemals an der überkommenen Ordnung und betont die Autorität der Bischöfe und Äbte, aber diese müssen pastorale 62 Vgl. StiA St. Peter, Hs A 53, passim. 63 Vgl. LINDNER, Professbuch St. Peter (wie Anm. 5) 46 Anm. 2.

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Aufgaben wahrnehmen und die Nöte aller im Auge behalten. Pachler konstruiert eine Welt, in der die Bedürfnisse aller Menschen unter dem weiten Zelt der katholischen Kirche harmonisiert werden, wenn sie auch im irdischen Leben nur in Ansätzen erfüllbar sind.

Abstract The Vita Vitalis of Amand Pachler (1624–1673), who taught at the recently established Benedictine university and served as abbot of St. Peter’s in Salzburg, shared the traditional intent of highlighting the role of the author’s own monastery with the historiographic work of other monastic scholars. At the same time Pachler underscored the ways in which his abbey’s history was entwined with that of other actors in the church and territory, particularly the prince-archbishops. Pachler’s historical treatises were used by several well-known authors associated with the Salzburg University whose writings exhibit similar aims. These include Simon Rettenpacher, author of the Annales monasterii Cremifanensis (1677), and the Mezger brothers, who penned the Historia Salisburgensis (1692). Like Abbot Amand, these historiographers relied on a multitude of sources, reviewed a wealth of previous scholarship, and rejected mere speculation as a basis for their conclusions. Within a local context Pachler’s work demonstrates the significance of hagiography and the university’s scholastic practice for the development of a critical historical method. Pachler’s Vita Vitalis also illustrates hagiography’s ties to popular devotion and emphasizes pastoral duty and the community of the suffering faithful. While Pachler never questioned established hierarchies, he constructed a world in which the needs of all are harmonized under the wide tent of the Catholic Church.

Erinnern als Kulturtechnik: Klosterarchive im Barock Helga Penz I. Archivordnungen Als die Äbte und Delegierten der Salzburger Benediktinerkongregation in den letzten Augusttagen des Jahres 1646 zum zweiten Generalkapitel im Kloster Admont in der Steiermark zusammentraten, beschlossen sie, dass das archivum der neuerrichteten Kongregation pro autographis congregationis asservandis in der Abtei St. Peter in Salzburg sein sollte1. Dieses Archiv bestand aus einer versperrbaren Truhe, die in einer cammer gegen der orgl verwahrt wurde2. Drei verschiedene Schlüssel erhielten jeweils der Präses, der Visitator und der Abt von St. Peter, wobei die ersteren ihre Schlüssel versiegelt im Kloster hinterlegten. Im Notfall durfte der Abt das Siegel brechen3. Mit dem Begriff des Archivs, den das Generalkapitel der Benediktinerkongregation sicher bewusst gewählt hatte, verbanden sich Herrschafts- und Rechtsansprüche: Ein Archiv zu führen war Herrschaftsrecht, und was darin verwahrt wurde, konnte vor Gericht als Beweismittel vorgelegt werden4. Die Archivwürdigkeit der Schriften war von ihrem Alter unabhängig, bedeutsam waren Hinterlegung und Zugriff. Normen über Ablage und Verwahrung von Schriftgut sind insbesondere dort zu finden, wo wie in der Benediktinerkongregation ein Kollektiv ein gemeinsames Archiv führte. Sie verdichteten sich besonders bei Orden mit Provinzialsystem, denn die hierarchische Struktur dieser Gemeinschaften benötigte für ihr Funktionieren die Produktion von Schriftstücken der Über- wie der Unterordnung5. Diese Unterlagen waren in der Regel keine 1 2 3 4

5

Stiftsarchiv St. Peter (StiA St. Peter), Hs. A 210, 96, Compilatio litterarum et actorum congregationem Salisburgensem concernentium. StiA St. Peter, Hs. A 490, Stiftsinventar von 1673, 77v: 1 truchen von hartem holz, darinnen schrifften Benedictinae congregationis. StiA St. Peter, Hs. A 210, 9. Generalkapitel 1672, 242. Ernst PITZ, Beiträge zur Geschichte des Ius Archivi. Der Archivar 16 (1963) 279– 286; Friedrich MERZBACHER, Ius Archivi. Zum geschichtlichen Archivrecht. Archivalische Zeitschrift 75 (1979) 135–174. Die Beschreibung von Archivalien erfolgt hier und im weiteren nach: Michael HOCH-

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Sach-, sondern Serienakten, sie erscheinen darum in den Repertorien nur mit dem Titel, nicht mit den Betreffen. So listet beispielsweise das Repertorium des Archivs der Barnabiten an der Wiener Michaelkirche aus dem Jahr 1759 unter den acta cancellariae collegii auf: schublad 187. Libri benefactorum collegii. 188. Acta capitulorum collegii. 189. Acta collegii et liber professionum. 190. Acta collegii. 191. Requisita susceptorum. 192. Acta ad capitulorum generale.6 Aktenzirkulationen und Wiedervorlagen nötigten die Registratoren zu effektiven Ablagesystemen, die ein rasches Wiederauffinden ermöglichten. Die Materiengliederungspläne, die bei den klösterlichen Kanzleireformen des 18. Jahrhunderts eingeführt wurden, bildeten einen Ordnungsrahmen der Schriftgutverwaltung mit vorausschauender Planung, die in der Registrierung der Akten abgebildet wurde. Die angewandten Ordnungskriterien sollten daher im besten Fall selbsterklärend sein: Wie diese archiv-einrichtung in ordnung zu erhalten und durch registrirung künfftig nachkomender schrifften zu prosequiren, stehet meiner geringfügigkeit nicht zu unterricht zu geben, und wäre auch solches nur ohnnöthig überflüssig, dan jeder vernünftiger wird nach leßung deren haupt-rubricen, verschiedenen auf- und überschriften von selbsten belehret werden, was disfahls zu beobachten und zu thuen seye. Doch ist zu bemelter prosequirung für die künfftige schrifften in dem archiv platz und alda in repertorio zu deren einschreibung spatium gelassen worden7. Diese normierte Schriftgutverwaltung begünstigte die Ausbildung von Zentralregistraturen, wie sie die Kollegskanzlei der Barnabiten darstellte. In den eigenständigen Stiften sind Kanzleien mit zentraler Exhibiten- und Inhibitenprotokollierung ab etwa 1800 üblich. Die Inhaber der Stiftsämter und die Klosteroffizialen bildeten Sachbearbeiterablagen. Serienbildende Geschäftsbücher findet man in der Regel bereits ab dem 18., oft auch schon ab dem 17. Jahrhundert. In der Abtei St. Peter führten etwa die Vestiare ihre Kleiderbücher von 1626 bis 1870 mit identischer Struktur. Internes immobiles Schreibwerk zeigt immer eine größere Beharrlichkeit im Formalen, EDLINGER,

6 7

Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit (Historische Hilfswissenschaften, Wien–München 2009). Provinzarchiv der Salvatorianer Wien, Archiv des ehemaligen Barnabitenkollegs an der Michaelerkirche, Repertorium von 1759. Provinzarchiv der Salvatorianer Wien, Archiv des ehemaligen Barnabitenkollegs an der Michaelerkirche, Repertorium von 1759, Notandum.

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weil es weder Aktenumlauf noch Vorgangsbildung unterliegt. Entlang des Archivs traten Kontinuität und Beständigkeit in der Geschichte eines Klosters besonders hervor, was nicht ohne Auswirkungen auf die klösterliche Chronistik bleiben sollte. Das ordnende Verzeichnen und dauernde Verfügbarhalten von Vorakten machte die Archive zu einem Steuerungsorgan für den gesamten Geschäftsgang. Klostervorstehern waren sie darum ein Anliegen. Der Abt des Benediktinerklosters St. Peter Amand Pachler (Abt 1657–1673) ließ für das Abteiarchiv ein Repertorium anlegen, in dessen Vorwort er sich dafür entschuldigt, dass ein ordo exactus wegen der Fülle und Vielfalt der Unterlagen nicht herstellbar gewesen sei8. Man fände aber alles, denn jede Lade habe einen titulus mit dem Betreff des Inhalts: A Privilegien der Päpste

B Privilegien der Erzbischöfe

C Privilegien der Kaiser, Könige und Fürsten

D Privilegien der Bischöfe

E F Konfirmatio- Lehenbriefe nen der Äbte

G Jahrtage

H Schuldbriefe

I Frauenkonvent (Petersfrauen)

K Konföderationen

L Acta et causae romanae

M Amt Krems (Niederösterreich)

N Deposita

O Amt Arnsdorf

P Amt Breitenau

Q Hof Peterslinden

R Hausbesitz in der Stadt Salzburg I

S Hausbesitz in der Stadt Salzburg II

T Jahrtage

V Ablässe

W Amt Weildorf

X Amt Traunstein

Y Urbarprotokolle

Z Pfleggericht Goldegg u.a.

Aa Alte Leibgeding

Bb Landschaftssachen

Cc Spitalamt, Amt Fager und Abersee –Reverse

Dd Amt Weissenbach und Abtenau –Reverse

Ee Amt Weildorf

Ff Amt Tittmoning

Gg Amt Seekirchen und Fager

Hh Spitalamt

Ii Amt Viehhausen

Kk Ll Amt DornAmt bach und Hof Dornbach in Linz

Nn Amt Weildorf

Oo Amt Seekirchen Reverse

Pp Qq Amt Pinzgau Amt Pongau

8

Rr Amt Ennstal

Mm Amt Tittmoning Ss Pfarre und Amt Abtenau

StiA St. Peter, Hs. A 511a, Archivium Sancti Petri Salisburgi conscriptum sub Amando abbate anno MDCLXII.

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Tt Amt Eching

Vv Amt Weissenbach

Ww Zehent- und Begräbnisrechte

Xx Propstei Wieting

Aaa Urbaria

Bbb Regularia

Ccc Diversa maioris momenti

Ddd Eee Metzgerische Admonter, sachen Ennstaler, Breitenauer und Dornbacher Steuerqittungen

Ggg BenediktinerUniversität in Salzburg

Hhh Iii Varia antiqua Konsistorialdekrete u.a.

Kkk nachgelassene Akten von Abt Amand

Yy Amt Echinger und andere Reverse

Zz Instrumenta in catalogo abbatum citata Fff Abtei Beuron

Lll Baurechnungen über das Neugebäude

Tabelle 1: StiA St. Peter, Repertorium von Abt Amand Pachler (1662).

Die Ordnungen barocker Klosterarchive wie jenes in St. Peter waren mit der Tradition mitgewachsen. Ehedem Zusammengehöriges wurde mit neuen Materien angereichert. Ausgangspunkt frühneuzeitlicher Archivordnungen war das Urkundendepot, das in allen Klöstern bis zum 18., in St. Peter sogar bis zum 19. Jahrhundert, in seiner mittelalterlichen Ordnung bestehen blieb, bevor man die Stücke dann chronologisch reihte (Laden A bis D). Die Bestätigungen der Abtwahlen erfolgten durch den Bischof und wurden daher an die Bischofsurkunden angereiht: Die Vorgangsbildung im Verkehrsschriftgut begann in allen Klöstern bei den Elektions- und Konfirmationsakten, die mit Innenschriftgut oder Memorialschreibwerk bereichert wurden (Lade E). Normative Schriftstücke der Überordnung bildeten eine eigene Serie (Lade F). Mehr als die Hälfte der Laden wurden von Akten der Urbarämter belegt. Die topographische Ordnung ergab sich aus den entsprechend angelegten Grundbüchern. Das Verweissystem zwischen Amtsbüchern und Aktenfaszikeln war im 17. Jahrhundert in den Hofrichterregistraturen der Klöster bereits gut ausgebildet. Die Herrschaftsfunktion des Abtes als Grundherr dominiert die Überlieferung in allen Stiftsarchiven. Eine zentrale Leitungsaufgabe des Klostervorstehers war die Finanzgebarung. Darlehen, Stiftungskapitalien und Legate hatte die Abtei in Evidenz (Laden G, H, T, V, Ddd). In Lade N Deposita befanden sich Listen jener Pretiosen, die andere Klöster während des Dreißigjährigen Kriegs nach St. Peter geflüchtet hatten. Bausachen ressortierten ebenfalls beim Abt und boten einen Aufgabenbereich für gestaltetes Regieren mit Nachhaltigkeit (Lade Lll). In den Klosterchroniken wird von den Amtszeiten der Prälaten

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stets die baulich manifestierte renovatio ecclesiae oder monasterii memoriert. Schriftgut zu diesem Betreff diente aber auch den Rechenschaftsberichten der Äbte über ihre Bauausgaben gegenüber dem Kapitel. Zur Spiritualienverwaltung gehörten Regelungen des gemeinsamen Lebens wie Hausstatuten, Ordo diurnus und Visitationsvorschriften (Lade Bbb), weiters die Beziehung zu anderen Klöstern in der Gebetsverbrüderung (Lade K) sowie zum eigenen Frauenkonvent, der zur Zeit Abt Amands allerdings nicht mehr bestand (Lade I). Wichtige Materien – in St. Peter waren es der Konflikt mit Erzbischof und Domkapitel betreffend Präzedenz, Sepultur und Zehent – wurden sachthematisch abgelegt (Lade Ww). Veränderten sie allerdings ihre Bedeutung, weil sie in einem Prozess vor einem kirchlichen Gericht vorgelegt wurden, änderte sich auch die Zuordnung (Lade L). In den Registraturen wurden die Geschäftsgänge nachvollzogen, der Primärzweck der Unterlagen dominierte ihre Ablage. Konvolute wurden nach Evidenz-, nicht nach Informationswert gebildet: Unter den römischen Gerichtsakten befanden sich auch die Unterlagen zum Heiligsprechungsprozess Vitals. Die Ordnung der Schriftgutverwaltung in den Prälaturen des 17. Jahrhunderts folgte weniger der Logik eines vorausschauenden Aktenplans als vielmehr den Abläufen der Regierungspraxis, die die Normierung und Formierung ihres Geschäftsgangs aus dem Rückblick in Vorakten schöpfte. Mit „alt“ (Lade Hhh Varia antiqua) wurde jenes Archivgut bezeichnet, das zwar keine unmittelbare Funktion für aktuelle Vorgänge mehr hatte, jedoch zur Chronologie einer Administration gehörte und Kontinuität verbürgte. In Lade Kkk befanden sich laut Repertorium unterschidliche denckwürdige sachen unnd acta, welche sub Amando abbate vorbeygangen unnd in andere classes archivii nit haben khönden beygelegt werden9. Die Amandsche Archivordnung diente also auch der weiterführenden Ablage, aber die persönliche Handschrift einer äbtlichen Regierung konnte Archivpläne auch durchkreuzen. Den Inhalt von Lade Zz hat Abt Amand von seinem Vorgänger übernommen. Hier hatte Albert Keuslin (Abt 1626–1657) instrumenta in catalogo abbatum citata verwahrt. Dabei handelt es sich um jene Urkunden, die er für seine Geschichte von St. Peter nach der Ordnung der Äbte teilweise zitiert, teilweise in Volltext wiedergegeben hat10. Auf die Geschichte des Klosters reflektierend und auch als Quellensammlung für Abt Amands eigene Schriften ist die Lade mit den denkwürdigen Ereignissen zu verstehen (Lade 9 StiA St. Peter, Hs. A 511a, 419. 10 Albert KEUSLIN, Catalogus. Cum historiae compendio abbatum monasterii S. Petri Salisburgi ex antiquis chronicis, litteris et monumentis authenticis, quae in dicto monasterio asservantur, extractus (Salzburg 1646).

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Ccc). Die darin befindlichen Acta betrafen unter anderem die Melker Reform, Altarweihen in der Kirche, die Öffnung des Grabes des Hl. Vitalis und das Mirakelbuch, aber auch Kaufbriefe und Zehentnachweise, letztere vielleicht als Quellen für die Chronikmanuskripte, die ebenfalls im Repertorium für diese Lade aufgelistet erscheinen. Die Schreiboperationen beim Verfassen einer Chronik bedingten ebenso wie das Anlegen von Grundbüchern unweigerlich Autopsie und Manipulation der Quellen. Historiographie, aber auch Administration und Herrschaft, schlugen ins Archiv durch. Vergleiche mit den Archivbeschreibungen anderer Klöster zeigen auf, worin die allen barocken Klosterarchiven eigentümlichen Archivordnungen bestehen und wo Besonderheiten ausgebildet wurden. Im Archiv des Augustiner-Chorherrenstiftes Herzogenburg fehlt zwar ein Archivrepertorium wie das des Abtes Amand, aber in den Stiftsinventaren wird der Inhalt eines Archivschrankes detailliert beschrieben. Das Möbelstück ist im Kloster von 1577 bis 170911 nachweisbar und befand sich in einem Schatzgewölbe: im schatz oder gehaimen gewölb ain grosser grüener gemalter casten mit 36 schubladen, darinnen des gottshaus allerlei freyhaiten12. Der Propst verwahrte hier nicht nur wichtiges Schriftgut, sondern auch die Steuer- und Waisengelder, Schuldbriefe und etliche Kleinodien13. Das Stiftsinventar von 1640 listet den Inhalt des 36-teiligen Archivschrankes auf14: A Stiftbriefe

B Kauf von Untertanen

C Privilegien

D Hof

G Herzogenburger Hof in Wien

H Reformatio religionis, Konföderationen

J K Banntaidinge Untertaneninventare u.a.

N […] herrn praelatens sendtschreiben

O Hofrichters hochwichtige sendtschreiben

P Forst, Fischwasser, Jagd, Wildbann

E NÖ Regierung

F Niederösterreichische Landschaft

L Tatz und Ungeld

M Klosterrat

Q Verträge R Leibgemit benach- ding, Pacht barten Grundherrn

S bezahlte Rechnungen von Kaufleuten und Handwerkern

11 Stiftsarchiv Herzogenburg (StiA Herzogenburg), H.F. 327, Stiftsinventar von 1577; H.F. 328c, Stiftsinventar von 1709. Vgl. auch den Beitrag von Barbara LawatschMelton in diesem Band. 12 StiA Herzogenburg, H.F. 328 a, Stiftsinventar von 1604. 13 StiA Herzogenburg, H.F. 327, Stiftsinventar von 1577. 14 StiA Herzogenburg, H.F. 328a, Stiftsinventar von 1640.

Erinnern als Kulturtechnik: Klosterarchive im Barock T Pfarren Hain, Inzersdorf, u.a.

V Pfarre Sallapulka

X Pfarre Herzogenburg

AA Pfarre Haitzendorf mit Brunn

DD EE Oberer Markt [Eintrag Herzogenburg fehlt]

FF schwebende rechtssachen

GG Verzicht- HH Parteien- JJ quittungen VerhandNiedere Ge[Waisenamt] lungen richtsbarkeit

KK Waisenbuch

MM Grundbuch

NN Der officier ratificierte raittungen

LL Zehent

BB Pfarre Nussdorf

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CC Pfarren Reidling, Stollhofen und Ponsee

OO Lesehöfe PP in Klostercommissions neuburg und sachen Königstetten

Tabelle 2: Stiftsarchiv Herzogenburg, Archivschrank (1640).

Auch diese Archivordnung fokussiert die Stellung und Aufgaben des regierenden Klostervorstehers, insbesondere als geistlichen Grundherrn und Prälaten in der Niederösterreichischen Landschaft. Die aufgezählten Rubriken seines Archivschranks sind nahezu ausnahmslos einem dieser beiden Funktionen zuzuordnen. Aus seiner Beziehung zu Hof und Regierung des Landesfürsten und zu den Ständen erwuchs weitaus mehr Schriftgut als beim Abt von St. Peter: Im geistlichen Fürstentum Salzburg hatten Landschaft und Prälatenstand nur eine untergeordnete Bedeutung. Wie in der sanktpetrischen stand auch in der Herzogenburger Archivordnung der Urkundenschatz an erster Stelle. Für diesen gab es wie in St. Peter ein eigenes Register15. Von den Urkunden ausgehend wurden einerseits der systematische Nachweis aller dinglichen Rechte und die Anlage des Urbars, andererseits das Verhältnis zum Herrscher entwickelt. Die Privilegien und Rechtstitel waren Grundlage der alltäglichen Herrschaftsausübung. Der Propst war in hohem Maß in die Amtsgeschäfte seines Hofgerichts involviert (Laden N, O, FF). Er hatte dort seinen eigenen Schreibtisch, an dem er die Überprüfung der Abrechnungen und der Wochenzettel seiner Offizialen erledigte (Lade NN). Die Ordnung des Schriftguts war dem Regierungshandeln des Klostervorstehers untergeordnet. Kanzleiarchiv und kurrente Registratur waren nicht voneinander geschieden. Die Grundherrschaft Herzogenburgs war wesentlich kleiner als jene von St. Peter, sodass im dortigen Archiv bedeutend mehr urbarielles Schriftgut überliefert ist. Dem Chorherrenstift sind aber Pfarren inkorporiert, und einige Pfarrorte waren zugleich Sitz eines Urbaramts. Der Klostervorsteher vertrat die Grundherrschaft des Stiftes in politischen Funktionen und bei den benachbarten Grundherren. Auf den schriftlichen Nachweis der rechtlichen 15 StiA St. Peter, Hs. A 510; StiA Herzogenburg, H. n. 693.

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Grundlagen seines Hauses, auf die Stiftungen und Privilegierungen, hatte er raschen Zugriff. Trotz dieser Unterschiede sind im 17. Jahrhundert die Archivordnungen von St. Peter und Herzogenburg noch durchaus vergleichbar. Sie sind in ihrer Struktur dominiert von den Geschäftsbereichen der Prälaten. Das Archivgut erscheint als Ablagerung und Überrest ihres Handelns und desjenigen ihrer Vorgänger, mit dem das alte Urkundenarchiv angereichert worden ist. Archivregister des 17. Jahrhunderts stellten sich als Übersichten von Laden- und Truheninhalten dar, und das Ordnen der Akten im Prälaturarchiv bildete keine stabile Grundlage für einen vorausschauenden Aktenplan. Dies sollte sich allerdings mit der Übernahme von Altbeständen aus den Hofrichterregistraturen, der damit verbundenen Herausbildung der Hauptarchive und systematisierter Archivordnungen im 18. Jahrhundert ändern. Es muss auffallen, dass bestimmtes Schriftgut in keiner der beschriebenen Archivordnungen erscheint, nämlich spezifisch klösterliches wie die Professurkunden und alle weiteren, die Konventualen direkt betreffenden Unterlagen wie Taufscheine, Aufnahmepetitionen, Fastenzettel, Testamente und Familien- und Nachlassarchive. Auch Professbücher, ältere Nekrologe oder Roteln sind nicht genannt. Im Herzogenburger Archivschrank fehlen sogar die sonst stets aufgeführten Wahlakten der Prälaten, obwohl sie im Stiftsinventar von 1577 noch als in der Lade B befindlich ausgewiesen waren16. Möglicherweise waren Teile solchen und ähnlichen Archivguts unter der Obhut des Priors oder Stiftsdechants, welche in besonderer Weise für die Konvente und die Klosterdisziplin verantwortlich waren. Wichtiger aber scheint, dass die in den Quellen fassbaren Klosterarchive die Archive regierender Klostervorsteher waren. Die dort verwahrten Archivalien erwuchsen aus den Außenbeziehungen des Klosters, aus den besonderen Aufgaben des Abtes oder Propstes in ihrer Herrschaftsausübung und deren verbrieften Rechtsgrundlagen. Das Archiv selbst war ein Rechts- und Herrschaftsinstrument. Umso bemerkenswerter ist es, dass wie in St. Peter historiographische Aufzeichnungen als Archivgut angesehen wurden. Auch in einer Lade des ehemaligen Klosters Waldhausen befanden sich neben den zu erwartenden Elektionsakten der Pröpste item die beschreibung der herrn praelathen, wie sye nacheinander regieret17. Die Regierung des neuen Klostervorstehers beginnt stets am Ende einer Reihe von Vorgängern. Die Kenntnis grundlegender Entscheidungen früherer Prälaten garantierte die stabile Basis für die Erledigung der zukünftigen Geschäfte. 16 StiA Herzogenburg, H.F. 327, Stiftsinventar von 1577. 17 Klaus BIRNGRUBER, Archivgeschichte des Klosters Waldhausen. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 117 (2009) 203–224, hier 213.

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Äbtekataloge, Jahrbücher, Diarien und Schreibkalender sind in diesem Sinne als Geschäftsschriftgut aufzufassen, das Handeln dokumentiert. So wie in den Rechnungsregistern laufend die Ausgaben eingetragen wurden, protokollierten auch ein Kirchenkustos, ein Küchen- oder Kellermeister, ein Pfarrer, Prior oder Abt die Erledigung ihrer Aufgaben und besondere Vorkommnisse. Es war unbewegliches Schriftgut, das die Kanzlei des Registraturbildners nicht verließ. Es waren Produktionen an der Schnittstelle von Geschichtsschreibung und Geschäft.

II. Chronik und Archiv Zu solchen Memorialschreibwerken gehören die Annalen, die im 16. und 17. Jahrhundert in den Klöstern angelegt wurden. Im Stift Herzogenburg reichen sie von 1582 bis 1734 und bieten in der Grundanlage eine Gründungsgeschichte des Hauses, Urkundenabschriften, einen Katalog der Pröpste und eine Beschreibung ihrer Verdienste, insbesondere Denkschriften über Erneuerungen am Kloster- und Kirchengebäude18. So wie die Geschäftsund Amtsbücher des Klosters forderten auch die Annalen eine stetig fortzuschreibende Verzeichnung. Doch hatte jeder Propst andere Begriffe von den Denkwürdigkeiten seiner Regierung und trug ihm interessant erscheinende Ereignisse ein, als letztes den Bericht über die Visitation des Passauer Bischofs. Mancher Propst korrigierte Namen und Daten im Prälatenkatalog, ein anderer brachte die Gründungsgeschichte nochmals, sodass von einer konsequenten Buchführung keine Rede sein kann. Auch die Annalen des Benediktinerstiftes Kremsmünster, angelegt um 1670 von Pater Roman Pernaz, haben unausgefüllt gebliebene Seiten zum Fortführen19. Auch sie stellen sich nicht als einfache Jahrbücher dar, sondern als ein sorgfältig zusammengestelltes Gebäude mit allen Versatzstücken klösterlicher Denkwürdigkeiten. Sie bieten eine Gründungsgeschichte, einen Äbtekatalog mit Regierungsdarstellungen und Urkundenabschriften, eine Liste der Konföderationen, eine Vita des Stiftspatrons, des Hl. Agapitus, einen Chronikteil geordnet nach den österreichischen Landesfürsten sowie die Reihe der Bischöfe von Passau. Auch Simon Rettenbacher legte in seiner gedruckten Geschichte des Stiftes Kremsmünster von 1677 Wert darauf festzustellen: Annales scribo, non historiam20. 18 StiA Herzogenburg, H.2-B.164, Herzogenburgensis coenobii annales et fundatio. 19 Stiftsarchiv Kremsmünster (StiA Kremsmünster), Roman Pernaz, Annales monasterii Cremifanensis. 20 Simon RETTENBACHER, Annales monasterii Cremifanensis in Austria Superiore (Salzburg 1677), Leservorrede (unpag.).

100 Helga Penz In der Rückschau zusammengestellt wurde die Notitia universalis des Abtes Klemens Schäffer (Abt 1658–1693) des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz aus dem Jahr 167121 (Abb. 6) Der unvermeidliche Äbtekatalog reicht selbstbewusst usque ad me22. Der Aufbau dieser Hauschronik richtet sich ganz nach der Archivordnung, die den bereits dargestellten vergleichbar ist23. Die Kapitelüberschriften entsprechen den Ladenbezeichnungen, beispielsweise saltz gerechtigkeit oder parochia in Trumau, die einzelnen Abschnitte enthalten historische Darstellungen und Urkundenabschriften betreffend den Ursprung stiftlicher Rechte. Die Archivordnung selbst ging auf die Regierung seines Vorgängers Abt Michael Schnabel (Abt 1637–1658) zurück, der ebenfalls einen Abriss zur Geschichte von Heiligenkreuz verfasst hatte24. Wichtig war Abt Klemens die Erfassung verbriefter Rechte. Wenn er im Abteiarchiv nicht fand, was er suchte, erstreckte er sein Bemühen um Quellenautopsie auch auf die Sachbearbeiterablagen in seinem Haus, wie etwa folgender Eintrag belegt (Abb. 7): Die Entzerstorfferische 15 underthanen haben vor alters undt noch anno 1567 steuer geben 45 fl., also findt sich in einen alten steuer-buechel in der grundtstuben25. Von den Notitia gibt es auch eine Reinschrift in Duodez: ein praktisches Vademecum für die Heiligenkreuzer Äbte, ein Kompendium all dessen, was ein Abt über die historischen und rechtlichen Grundlagen seines Hauses wissen musste. Abt Klemens Schäffer hielt für seine Nachfolger auch die Denkwürdigkeiten seiner eigenen Regierungszeit fest, wiederum in der bewährten Form der Annalen. Diese bot sich schon deswegen an, weil er dafür, wie er selbst mehrfach verweist, die Aufzeichnungen aus seinen Schreibkalendern exzerptierte26. Auch Anselm Schramb wollte seine Chronik des Benediktinerstiftes Melk nicht als historia verstanden wissen, weil diese nicht nur die Ereignisse berichte, sondern auch Rat und Unterweisung daraus folgere, während ein chronicon die Darstellung der vorgefallenen Dinge unter Beachtung der zeitlichen Ordnung bringe27. 21 Stiftsarchiv Heiligenkreuz (StiA Heiligenkreuz), 7-IV-24. 22 StiA Heiligenkreuz, 7-IV-24, 27: Abbates qui huic Sanctae Crucis monasterio praefuerunt a primo usque ad me. 23 StiA Heiligenkreuz, 7-IV-9, Archivkatalog von Michael Schnabel, 1638. Vgl. Friedrich HLAWATSCH, Der Archivschatz von Heiligenkreuz. Sancta Crux 9 (1936) 34–38, hier 35. 24 StiA Heiligenkreuz, Rubrik 7, Memorabilia, quae circa statum monasterii Sanctae Crucis, universum ordinem Cisterciensem atque politiam ab anno 1637 acta fuere a fr. Michaele Schnabel abbate S. Crucis breviter adnotata. 25 StiA Heiligenkreuz, 7-IV-24, Steckzettel nach Seite 194. 26 StiA Heiligenkreuz, 7-IV-19, Memorabilia, z. B. 45: Caetera in calendario huius anni a me conscripta reperientur. 27 Anselm SCHRAMB, Chronicon Mellicense seu Annales monsterii Mellicensis (Wien 1702), Argumentum authoris (unpag.).

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Klösterliche Chronikunternehmungen wurzeln tief in den Memorialschreibwerken besonders der Klostervorsteher und der Überlieferung in den Abtei- und Prälaturarchiven. Zuerst waren es die Archive, in denen durch sorgfältige Verwahrung die Schriftwerke dem Zahn der Zeit entzogen werden, ihnen folgten die Chronisten. Deren Tätigkeit blieb wiederum nicht ohne Auswirkung auf die Archivierung. Der klösterliche Geschichtsforscher, der seinen Mabillon gelesen hatte, entwickelte im 18. Jahrhundert eine neue Lektüre des Archivs. Der Archivar und Historiker des Benediktinerstiftes Lambach musste feststellen, dass die aus dem Mittelalter überlieferte Ordnung der Schriftstücke nicht der gelehrten Einteilung der Urkunden nach Aussteller entsprach. Er verzeichnete darum in seinem Repertorium alle Ausfertigungen der kaiserlichen Kanzlei – seien es echte Diplome oder Rechtsentscheide, die in Aktenzusammenhängen standen – in chronologischer Reihung, auch wenn er die Dokumente selbst an ihren Standorten und im thematischen Zusammenhang beließ28. Sein Register folgte einer Logik der Gelehrsamkeit, nicht der Verwaltungspraxis. Es schien auch nicht besonders gut benützbar gewesen zu sein, denn eine Generation später beauftragte der Abt von Lambach einen professionellen Archiveinrichter mit Ordnung und Erschließung des klösterlichen Schriftgutbestands29. Die enzyklopädische Durchdringung der natürlichen und die umfassende Formgebung der künstlichen Welt hat im Zeitalter von Barock und Aufklärung auch das Archiv erfasst. Aus dem Rückvermerk auf Urkunden und Aktenfaszikeln wurde ein Etikett, das eine Einordnung in eine systematische Ordnung markierte. Die Bezeichnung der Schriften war nicht länger ein Kurzregest, sondern Zuordnung zu Sachgruppen innerhalb eines Archivplans. Auch die Amtsbücher bekamen ihre Etiketten, und schon der Grundschreiber hatte darauf zu achten, dass die biecher auch ordentlich entworffen und benambset werden30. Die archivalischen Schriften traten in ihrer Bedeutung als historische Quellen stärker hervor, dem authentischen Text wurde schon ob seiner offenkundigen Historizität besondere Wertschätzung entgegengebracht. Die Extraktion der Haustradition aus dem Archiv führte zu einer Einschätzung der 28 Stiftsarchiv Lambach (StiA Lambach), Hs. 1, Catalog zum Stiftsarchiv (1734– 1740). 29 StiA Lambach, Hs. 2, 3 und 4: Lambacher Archivregister von Johann Adam Trauner (um 1772). Siehe Helga PENZ, allerhand schreibereien. Lambacher Archivgeschichte im 18. Jahrhundert, in: Stift Lambach in der Frühen Neuzeit. Frömmigkeit, Wissenschaft, Kunst und Verwaltung am Fluss. Tagungsband zum Symposion im November 2009, hg. von Klaus LANDA–Christoph STÖTTINGER–Jakob WÜHRER (im Druck). 30 StiA Herzogenburg, H.F. 350/2, Instruktion für einen Grundschreiber, 18. Jh.

102 Helga Penz Wertigkeit von Überlieferung, doch blieben selbst jene Stücke erhalten, an denen nit vüll gelegen31 schien. Das ausgiebige Exzerpieren und Zitieren von Archivalien, besonders von Urkunden, in den barocken Klostergeschichten wurde nicht selten durch eine Neuordnung des Archivs fundiert. Eine umfassende Signaturenvergabe sollte ein rasches Auffinden und sicheres Zitieren gewährleisten. Im Archiv wurde im 18. Jahrhundert die inhaltliche Einteilung der Urkunden aufgelöst, etwaige verstreute Stücke aus den Akten gezogen und die Urkunden in strenger Chronologie aneinandergereiht und fortlaufend nummeriert. Im Stift Herzogenburg bedingte der Klosterneubau eine Neuorganisation des Archivwesens. Nach Abriss der alten Anlage gab es das Briefgewölbe in der Prälatur nicht mehr. An seine Stelle trat ein Archivraum, der sich direkt neben der Bibliothek befand. Er war mit neun Archivkästen ausgestattet, deren Inhalt sich anhand der Stiftsinventare aus den Jahren 1721 und 1740 nachvollziehen lässt32. Der erste Kasten enthielt die Urkunden, die Bauakten und Betreffe in Hausangelegenheiten, der zweite Schriftgut zu den Stiftspfarren, der dritte Wirtschaftsbücher, der vierte Prozessakten, der fünfte Untertanenangelegenheiten, der sechste Schriftgut aus dem Verhältnis zu weltlichen und kirchlichen Behörden, im siebenten Kasten waren Jahresrechnungen und Verwaltungsakten der Grundherrschaft, im achten Zehensachen und im neunten Kasten die Grundbücher. Ein Archivrepertorium wurde nicht angelegt, das Auffinden gesuchter Schriften war durch die systematische Aufstellung gegeben. Es existierte aber ein Verzeichnis der Urkunden. Frigdian Knecht (Propst 1740–1775) wurde in der zu seinem Leichenbegängnis gehaltenen Trauerrede gerühmt, dass er die Urkunden seines Hauses nach der zeitrechnung in ordnung gebracht hat, wodurch endlich die Liste seiner Vorfahren im Prälatenamt und die Besitzungen und Rechte des Stiftes unzweifelhaft belegt wurden33. Die Urkundensammlung blieb das Kernstück des Prälaturarchivs, die Prälaturakten wurden in der Folge in die Urkundenreihe eingestellt. Das von Propst Frigdian angelegte Urkundenrepertorium wurde auch von seinen Nachfolgern verwendet und ergänzt. Die verzeichneten Schriftstücke, die an die ältere Urkundenreihe angehängt und weitergezählt wurden, sind von höchst unterschiedlichem Charakter. Sie reichen von Kontrakten mit Künstlern betreffend die Ausgestaltung der neuen Stiftskirche über Verträge mit benachbarten Grund31 StiA Herzogenburg, H.F. 230/1, Beschriftung (18. Jh.) eines Faszikels mit Verwaltungsakten des 16. und 17. Jahrhunderts. 32 StiA Herzogenburg, H.4.2.-F.1001/2. 33 Ignaz WURZ, Trauerrede auf den hochwürdigen, hochedelgebohrnen und hochgelehrten herrn herrn Frigdian, Lateranensischen abt der regulirten chorherren des heil. Augustinus zu Herzogenburg probsten (Wien 1775).

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herrschaften bis zu kaiserlichen Patenten. Es handelte sich also im Grunde um rechtsverbindliche Abmachungen und normative Schriftlichkeit, mit denen der Propst als Vorsteher seines Hauses direkt befasst war. Allein in der an bürokratischer Schriftlichkeit so reichen josephinischen Ära wurden unter Michael Teufel (Propst 1781–1809) über 400 Einzelstücke in die Urkundenreihe aufgenommen. Die besondere Aufmerksamkeit, die der urkundlichen Überlieferung zuteil wurde, hatte auch Auswirkungen auf die historiographischen Unternehmungen im Stift Herzogenburg im 18. Jahrhundert. Propst Frigdian ließ von seinem Stiftsdechant Augustin Beyer eine vierbändige, ungedruckt gebliebene Stiftschronik verfassen, die den klösterlichern Urkundenschatz so ausgiebig zitiert, dass sie fast die Züge eines Kopialbuchs trägt34. Im Benediktinerkloster St. Peter hat zur gleichen Zeit Beda Seeauer (Abt 1753–1785) eine neue Archivordnung erstellt. Auch ihm ging es um Vollständigkeit, und er pflegte sein Archivrepertorium mit solcher Akribie, dass es schließlich auf 14 Bände anwuchs35. Seine Novissima registratura archivii ist allerdings weit mehr als ein einfaches Inventar. Es zeugt vielmehr vom intensiven Quellenstudium des Abtes, welches als Grundlage für sein Novissimum chronicon diente, das 1772 in Druck erschien36. Allein zu den damals schon sehr berühmten Salzburger Güterverzeichnissen des Erzbischofs Arn (Erzbischof 785–821), welche, so Abt Beda, im Archiv so sorgfältig verwahrt würden wie ein kostbarer Edelstein, füllte er in seinem Archivregister vier Seiten, in denen er eine gelehrte Forschungsdebatte zur Frühgeschichte St. Peters ausbreitet37. Immerhin stand man kurz vor der zwölften Säkularfeier und gedachte auch weiterhin das von den Maurinern als legendär abgetane Gründungsdatum 582 zu begehen. Wenig angetan war der Abt vom Inhalt der cista betreffend die Gebetsverbrüderungen mit anderen Klöstern. Es sei die Schublade zwar „angeschüttet“ gewesen mit einer menge paqueten, aber es lohne kaum, die alten Schriften zu registrieren, weil keine der hier aufgefundenen Konföderationenurkunden mehr Gültigkeit habe und schon längst andere Abmachungen über die gegenseitige Gebetsverpflichtung für verstorbene Konventualen getroffen worden seien: Indes, damit man doch weiß, was vorhin einstens gewesen und zu dieser Zeit sein hette können, will ich nur in synopsi die alte fasciculus beschreiben38. Es gibt im Archivregister des Abtes Beda auch eine 34 Stiftsbibliothek Herzogenburg, Handschriftensammlung, Augustin Beyer, Monumenta Sand Georgiana simul ac Ducumburgensia [1758–1775], 4 Bände. 35 StiA St. Peter, Hs. A 512–525. 36 Beda SEEAUER, Novissimum chronicon antiqui monasterii ad sanctum Petrum Salisburgi ordinis sancti Benedicti (Augsburg–Innsbruck 1772). 37 StiA St. Peter, Hs. A 512, 1v–3r. 38 StiA St. Peter, Hs. A 515, 98r.

104 Helga Penz Abteilung historica et alia memorabilia. Dort finden sich eine Reihe von Schriften über die elfte Säkularfeier des Klosters im Jahr 1682 und neben einigen weiteren historiographischen Kollaktaneen sogar eine „Bildquelle“, nämlich eine kleine mahlerei, welche vorstellet faciem monasterii nostri ad S. Petrum de anno 162339. Insgesamt ist in St. Peter die Archivordnung des 18. Jahrhunderts aus der des 17. weiterentwickelt worden. Die meisten alten cisten aus der Archivordnung von Amand Pachler blieben als Rubriken bestehen, wurden aber in eine neue, klare und übersichtlichere Struktur gebracht. Dem nach wie vor erstgereihten Urkundenarchiv folgte Schriftgut betreffend die fürsterzbischöflichen Zentralbehörden, dann die internen Angelegenheiten des Klosters wie Kapitel und Konföderationen, als nächstes Pfarren und Höfe. Die Urbarämter sind in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet. Neu ist auch die Bezeichnung für das ehemalige archivum abbatiale: In einer Übersichttafel aus dem Jahr 1766 wird es als haubt-archiv tituliert (Abb. 8). Die Abteioder Prälaturarchive wuchsen in den Klöstern des 18. Jahrhunderts zu Hauptund Stiftsarchiven heran. Sie erhielten echte archivische Zuwächse, nämlich Altregistraturen aus dem Hofgericht und den Wirtschaftsstellen. Man findet darum auch bei Abt Beda Seeauer neue Archivabteilungen mit Bezeichungen wie urbaria antiqua oder alte municipal-sachen. Darüber hinaus wurde auch klösterliches Schriftgut, das bisher in keiner Archivordnung erfasst war, archiviert. In St. Peter hat Abt Beda die Professurkunden, die seit 1416 überliefert sind, gereiht und dem Archiv einverleibt. Das Klosterarchiv wandelte sich zum „historischen Archiv“. Um der Überlieferung Beständigkeit zu geben, hat man einzelne Schriftstücke statt sie in Faszikelpuschen zu schnüren, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gerne in Buchform binden lassen, etwa Korrespondenzen von Äbten oder die Noteln der Hofrichter. Die 1766 von Abt Beda eingeführte neue Archivordnung hatte auch eine neue Archiveinrichtung zur Folge. Aus diesem Anlass wurde der Durchgang vom privaten Schlaf- und Arbeitszimmer des Abtes in das Abteiarchiv in Trompe-l’œil-Manier ausgemalt (Abb. 9௅10). Die Malereien befinden sich auf der Innenseite der Archivtür sowie an den Flügeltüren zu den Wandschränken in der Türlaibung. Dargestellt sind Urkunden, Aktenfaszikel, Amtsbücher, beschriftete Laden und gerollte Karten. Die Faszikel- und Buchrückenbezeichnungen sind der neuen Archivordnung und Signierung entnommen. Als Hilfsmittel für die Benützung des Archivs findet man außerdem verschiedene Listen, etwa jene der Äbte des Klosters und der Erzbischöfe von Salzburg mit Namen und Regierungsjahren. Den Listen wurde die Form entrollter Karten oder besiegelter Urkunden gegeben. 39 StiA St. Peter, Hs. A 524, Abschnitt T, 9v.

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Das Archivrepertorium des Stiftes Heiligenkreuz aus dem 18. Jahrhundert umfasste in drei Bänden 81 Rubriken40. Die Unübersichtlichkeit in dieser Vielfalt der Teilbestände erforderte mehrere, sehr elaborierte Indexbände: ein alphabetisches und chronologisches Register, eine Liste der Wohltäter sowie einen index ac catalogus abbatum, mit Seitenverweisen zu allen Regierungsjahren der Äbte. Die Kombination eines catalogus abbatum mit einer Zeitleiste, die den Gliederungsbedürfnissen der Hauschronik nach Regierungszeit der Äbte und nach Jahren gerecht wird, fand schon in den Notizen von Abt Michael Schnabel aus dem 17. Jahrhundert ein Vorbild. Die erste Rubrik des Repertoriums enthält nach einer Auflistung der Stiftungen und Herrscherprivilegien den Verweis auf einen Bericht von Marquard Herrgott über seine Untersuchung der Babenberger-Grablegen im Kloster. Der Historiker betrat die Szene und wurde selbst zum Archivdatum, weil seine fachliche Expertise gleichfalls einer quasi amtlichen Erinnerung – durch Niederschrift im Archivverzeichnis – für Wert erachtet wurde. Im übrigen hatte die Beschreibung der Grabmonumente in den Hauschroniken des Stiftes stets einen wichtigen Stellenwert eingenommen: Die Grablegen der Babenberger als Stifter des Klosters boten die Gelegenheit, in den historischen Aufzeichnungen die Beschreibung des status monasterii mit dem des status patriae zu verknüpfen41. Denk- und Archivwürdiges kamen im Klosterarchiv einander sehr nahe, weil im Kloster Recht nicht ohne Tradition, Herrschaft nicht ohne Kontinuität und Temporialien- nicht ohne Spiritualienverwaltung gedacht werden konnte.

III. Schluss Die vorangegangene Untersuchung hat Grundlinien von Bestands- und Überlieferungsbildung in barocken Klosterarchiven aufgezeigt und markante Entwicklungen vom 17. zum 18. Jahrhundert exemplarisch nachgezeichnet. Es wurde aufgezeigt, wie die älteren Prälaturarchive, die einen eigentümlichen und unverkennbaren Charakter als die Archive regierender Prälaten hatten, systematisch zu Haupt- und Stiftsarchiven ausgeweitet wurden und in welch engem Verhältnis Archivordnungen zu historiographischen Unternehmungen standen. In der Beschreibung von archivisch überliefertem 40 StiA Heiligenkreuz, 7-III-1, Theophil Heim, Extractus ac repertorium omnium litteralium instrumentorum in archivo monasterii S. Crucis continentorum (1754/55). 41 Eine ähnliche Struktur weist das Chronicon Mellicense von Anselm Schramb auf; vgl. Thomas WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien–München 2007) 117f.

106 Helga Penz Schriftgut in Begriffen der Archivalien- und Aktenkunde wurde dargestellt, dass Archivgut und selbst Archivrepertorien prozessgenerierte und kontextabhängige Daten enthalten, deren Interpretationshorizont ohne fundierte archivische Erschließung begrenzt bleibt.

Abstract The paper discusses the basic lines of how archival holdings were created and kept/preserved in early modern monastic archives, based on the example the archives of Heiligenkreuz, Herzogenburg, Kremsmünster and St. Peter (Salzburg) in Austria. The prelacy archives of the 17th century, which had a particular and unmistakable character as the archives of ruling prelates, were systematically expanded during the 18th century, to form central archives. The changes in the archive regulations were closely connected to the monasteries’ historiographic endeavours. Describing selected archival documents in the terminology of records management, the paper demonstrates that archival holdings and even inventories contain process-generated and context-dependent data which can only be adequately interpreted with the aid of thorough archival analysis.

Vom gesponß, seiner schönen braut und dem Freisinger neuen Jerusalem Wie Fürstbischof Eckher, der Benediktiner Meichelbeck und die Brüder Asam mit der Kunst der Überzeugung Geschichte darstellten Uta Coburger Anlässlich des 1000-jährigen Freisinger Domjubiläums 1724 erarbeitete der Benediktiner-Historiograph Karl Meichelbeck (1669–1734) eine umfassende Bistumschronik, die sowohl in deutscher wie lateinischer Sprache erschien. Bereits in der Einlaitung in die Freysingische Historie platzierte der scharfzüngige Meichelbeck eine Spitze gegen den nahen und so ungeliebten Wittelsbacher Kurfürstenhof in München: Freysing wird schon in dem Leben des heiligen Corbiniani, nemblich umb das jahr Christi 724 ein stadt genennet: ja schon in dem Leben des heiligen Maximiliani in dem dritten christlichen jahrhundert under jene städt gezehlet, über welche gedachter heilige bischoff die geistliche obsorg getragen, welches sodann wohl glauben machet, daß Freysing noch wohl älter und sonders zweiffel eine der ältisten städten Bayrens seye [...], daß schon in denen alten Römer-zeiten allda einige Römische land-pfleger gewohnet haben. Jenes ist unlaugbar, daß Freysing zu zeiten herzogen Grimoaldi in Obern Bayrn die hauptstatt und die residenz gedachten herzogs gewesen, indeme dazumahl München nichts als ein zwischen Sendling und Schwabing entlegnes bauren-gut ware, wie man es in den uralten Freysingischen schrifften ganz außführlich findet1. Dieses Zitat verrät viel vom Freisingischen Selbstverständnis: das Alter von Stadt und Pfalz der agilolfingischen Herzöge und 1

Karl MEICHELBECK, Kurtze Freysingische chronica oder historia (Freising 1724) 2. In seiner lateinischen Historia Frisingensis, deren erster Band ebenfalls zum Jubiläum im Oktober 1724 vorlag, findet sich an vergleichbarer Stelle zwar auch der Verweis auf das Alter der hauptstatt Freising, jedoch fehlt der ironische Seitenhieb auf das zwischen Sendling und Schwabing entlegne bauren-gut München: Karl MEICHELBECK, Historia Frisingensis (4 Bde., Augsburg–Graz 1724–1729), Dissertatio prima prolegomena: De situ, origine et nomine urbis Frisingensis (unpag.). – Zu dem Benediktiner-Historiographen vgl. auch den Beitrag von Thomas Stockinger in diesem Band.

108 Uta Coburger des Bistumssitzes2, die „historische“ Überlegenheit gegenüber der späteren Residenzstadt München der Wittelsbacher Kurfürsten und die Bedeutung der Quellen, jener uralten Freysingischen schrifften, also der Geschichtlichkeit der gelehrten Bischofsstadt Freising3.

Das Bistum Freising vor Fürstbischof Eckher Der fränkische Wanderbischof Korbinian († 724/30) gilt als erster Freisinger Bischof4 und „Gründer der Freisinger Kirche“5. Sein überliefertes Bild ist durch die Vita Corbiniani des ersten Freisinger Geschichtsschreibers, des vierten Freisinger Bischofs Arbeo (764–783), geprägt. Bischof Arbeo zeichnete Korbinian mit einem starken Charakter, der sich vor allem gegenüber den in Freising residierenden agilolfingischen Herzögen profilierte, und ließ vermutlich seine eigene Konfliktsituation mit den ansässigen Herzögen idealisiert in die Geschichte einfließen6. Diese von Beginn an herrschende Spannung zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft nahm ab dem 16. Jahrhundert mit den in München residierenden Wittelsbacher Herzögen zu, da es erhebliche Verquickungen und Einflussnahmen im wirtschaftlichen, aber vor allem geistlichen Bereich seitens der Wittelsbacher gab, denen das Freisinger Hochstift wie ein „Stachel im Fleisch“7 steckte. Die „eleganteste“ Methode der Einflussnahme war jedoch, einfach den Posten des Fürst2

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Die vier Herzogspfalzen der Agilolfinger lagen in Freising, Regensburg, Passau und Salzburg und wurden im Zuge der Bistumsorganisation durch Bonifatius und auf Betreiben des Agilolfinger-Herzogs Theodo zudem Bischofssitze; vgl. Ulrike GÖTZ, Kunst in Freising unter Fürstbischof Johann Franz Eckher 1696–1727. Ausdrucksformen geistlicher Herrschaft (Sammelblatt des Historischen Vereins Freising 33 = Jahresgabe des Vereins für Diözesangeschichte von München und Freising 1992, München–Zürich 1992) 25–29; Karl HAUSBERGER–Benno HUBENSTEINER, Bayerische Kirchengeschichte (München ²1987) 232–237. Im Vergleich zu den rheinischen und fränkischen Kirchensprengeln bildete Freising innerhalb des alten Reichsverbundes zum Zeitpunkt des Entstehens der Chroniken eines der kleineren und ärmeren Bistümer. Das Bistum wurde zwar erst 739 durch Bonifatius eingerichtet, doch wird die Kirchengründung vorher datiert. Vgl. GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 28. GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 28. Vgl. GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 28. Bischof Arbeo war stärker zum fränkischen Reich und weniger zu den heimischen Herzögen hin orientiert. GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 29. 1556 wurde in München der Geistliche Rat von den Wittelsbachern als Gegengewicht zum Freisinger Fürstbistum gegründet, und es existierten vom 16. bis ins 18. Jahrhundert Pläne zur Schaffung eines Landesbistums beziehungsweise zur Säkularisation der im Kurfürstentum gelegenen Hochstifte.

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bischofs mit einem Wittelsbacher zu besetzen, war „es doch im Haus Bayern seit der großen gegenreformatorischen Aktion in Kurköln eine selbstverständliche Gewohnheit geworden, nachgeborene Prinzen mit Rücksicht auf ihre standesgemäße Versorgung zu geistlichen Reichsfürsten zu machen“8. So stellte im 17. und 18. Jahrhundert das Haus Wittelsbach überdurchschnittlich viele Freisinger Fürstbischöfe, denen das kleine Bistum nur als perfektes „Startloch“9 für weitere Ambitionen diente und die ob ihres laissez faire oft den Unmut des Domkapitels auf sich zogen10. Zwei Fürstbischöfe aus dem bayerischen Landadel unterbrachen die Wittelsbacher Regentschaft, Veit Adam von Gepeckh (Fürstbischof 1618–51) und Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck (1649–1727, Fürstbischof 1695/96–1727; Abb. 11), und hinterließen nicht nur geistliche, sondern auch visuelle Spuren11. Fürstbischof Veit Adam ließ ab etwa 1622 den Dom gemäß tridentinischer Vorgaben in einer sehr gegenreformatorisch geprägten renovatio umgestalten12, deren Zentrum der prächtige vergoldete Hochaltar mit dem Altarblatt „Das Apokalyptische Weib“ von Peter Paul Rubens (1577–1640)13 bildete. Gepeckh ließ über die Vermittlung der Münchner Jesuiten einen Kontakt zu Rubens herstellen, der das Bild 1623/25 eigens für Freising anfertigte. Die unter Fürstbischof Gepeckh initiierte Dom-Renovierung stand durch die Betonung des Marianischen – Maria war 1610 zur Patrona Bavariae ausgerufen worden – ganz im Zeichen der Glaubenskämpfe und rückte Rubens’ Altarblatt ins Zentrum14. Das „Apokalyptische Weib“ zeigt Maria im Kampf gegen die Schlange, das Symbol für den „Unglauben“, der mit 8 HAUSBERGER–HUBENSTEINER, Kirchengeschichte (wie Anm. 2) 234. 9 GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 30. 10 Benno HUBENSTEINER, Die geistliche Stadt. Welt und Leben des Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck, Fürstbischofs von Freising (München 1954) 45. 11 GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 31 verwies darauf, dass beiden Fürstbischöfen die profiliertesten Wittelsbacher Herrscher gegenüberstanden und die Regentschaftszeiten sowie Sterbejahre fast parallel lagen: Veit Adam von Gepeckh – Maximilian I. (Regentschaft 1597–1651) und Johann Franz Eckher – Max II. Emanuel (Regentschaft 1679–1706 und 1714–1726). 12 Vgl. Meinrad von ENGELBERG, Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 23, Petersberg 2005) 249–253. 13 1804 wurde das Gemälde im Zuge der Säkularisation entfernt und befindet sich heute in der Alten Pinakothek München. Der Freisinger Hochaltar trägt heute eine Kopie des Rubensbildes. 14 Wichtigste Maßnahmen der renovatio: Entfernen des Lettners und Verlegung der Kryptaeingänge, wodurch der Blick vom Mittelschiff zum Hochaltar frei wurde, Anlage der Seitenschiffaltäre mit marianischem Programm sowie neue Pflasterung und Stuckierung.

110 Uta Coburger den kurz vorher 1620 in der Schlacht am Weißen Berg besiegten Protestanten gleichgesetzt wurde. In jener Schlacht gegen den protestantischen „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632) nahm Herzog Maximilian I. von Bayern (1573–1651) eine führende Rolle in der Katholischen Liga ein; er wurde 1623 zum Kurfürsten erhoben15. Von der übrigen Erneuerung des Doms, etwa der Neustuckierung, ist durch die spätere renovatio unter Fürstbischof Eckher im 18. Jahrhundert nichts erhalten. Interessanterweise erwähnt Karl Meichelbeck weder in seiner lateinischen Historia noch in der deutschen Kurtzen chronica das Altarblatt Rubens’ in den entsprechenden Jahrespassagen; vielmehr beschreibt er nur knapp Erneuerungsarbeiten im Dom durch Fürstbischof Veit Adam von Gepeckh16. 1684 entflammte der erste Streit um den Wittelsbacher Einfluss in Freising anlässlich der Einsetzung des zwölfjährigen Kurprinzen Joseph Klemens (1671–1723) zum Koadjutor, dessen strittige Wahl wegen der Ruhmestaten seines Bruders Kurfürst Maximilian II. Emanuel (1662–1726) in den Kriegen gegen die Osmanen vor Wien und Belgrad als päpstlicher Gunsterweis bewilligt wurde17. Der schwelende Disput zwischen Domkapitel und Wittelsbacher Hof brach endgültig im Elektionsstreit von 1695–1696 aus, als sich die Kapitularen dem höfischen Einfluss widersetzten und am 29. Jänner 1695 den Freisinger Domdekan Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck zum Bischof wählten18. Es folgte ein diplomatischer Kraftakt von Gesandten beider Parteien bei Kaiser und Papst und eine Einflussnahme oberdeutscher Hoch- und Erzstifte, vor allem des Reichsvizekanzlers Lothar Franz von Schönborn (1655–1729) und des Salzburger Metropoliten Johann Ernst von Thun (1643–1709), die sich, in Sorge um den Verlust der Wahlfreiheit von Kapiteln, für Eckher einsetzten19. Letztlich veranlasste Papst Innozenz XII. 1696 die Bestätigung Eckhers und die Bewilligung zusätzlicher Privilegien20. Der Freisinger Historiograph Meichelbeck erwähnt in 15 Vgl. Konrad RENGER–Claudia DENK, Flämische Malerei des Barock in der Alten Pinakothek (München–Köln 2002) 12, 318. Renger verweist darauf, dass die zahlreichen Arbeiten des viel beschäftigten Rubens für bayerische Auftraggeber nicht selbstverständlich waren und vor dem Hintergrund der führenden Rolle Kurbayerns in der katholischen Gegenreformation zu sehen sind. 16 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 292: angefangen zu erneuern [...] alles ganz neu machen lassen. 17 Vgl. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 46. 18 Vgl. GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 32. 19 Ausführlich dazu HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 46–59; vgl. auch GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 32. 20 Vgl. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 51–59. Eckher trug beispielsweise die eigentlich den Erzbischöfen vorbehaltenen Würdezeichen des Doppelkreuzes und des Vortragekreuzes und ließ sie auch in seinen Wappen oder in Bildform darstellen: GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 202f.

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den entsprechenden Jahrespassagen seiner Chroniken den Konflikt kaum und verweist nur zu Ende seiner Kurtzen chronica auf einige differentien zwischen dem höchstgedachten chur-hauß und diesem hochstifft, die Fürstbischof Eckher aber klug gelöst habe21. Nach einer fast 40 Jahre währenden Wittelsbacher Herrschaft in Freising gelangte somit der aus niederem Landadel stammende und mit diplomatischem Geschick sowie umsichtiger Führungsqualität ausgestattete Johann Franz Eckher auf den Bischofsstuhl.

Fürstbischof Johann Franz Eckher: Ordnung im Bistum Der neue Fürstbischof hatte schon während seiner Zeit als Domdekan (1684– 1695) auf liturgische Reformen gepocht, so auf das strenge Einhalten der Tageszeiten wie des Chordienstes und die Beachtung der römischen Riten22, so dass, nach Meichelbeck, durch Eckhers Einfluss nun alles weit ordentlicher […] begangen wurde23. Zu Eckhers ersten Taten als Fürstbischof zählte eine Generalvisitation seiner Diözese, die aus geistlicher Sicht erschreckende Ergebnisse brachte. Noch im Jahr seiner Wahl reiste Eckher durch sein Bistum, um in höchster person nachzusehen, wie dero nachgesetzte obrigkeiten sich befinden und ob die gesambte unterthanen vergnüget leben?24, aber vor allem, um zahlreiche Weihen und Firmungen vorzunehmen. Alleine 1697 firmte Eckher 39.273 Personen, weihte zwölf Kirchen und 44 Altäre und führte fortan jährliche Bistumsvisitationen durch25. Zudem beschränkte und konzentrierte er das Priesterstudium, verbot unangemessene Kleidung Geistlicher, wie etwa die „übermäßig eingepulverte Haar, so genante Paruquen“26, veranlasste regelmäßige Pfarrvisitationen und sorgte für schulische und sittliche Belehrung des Volkes. Meichelbeck konstatierte mit Blick auf die Wittelsbacher Vorgänger Eckhers spitz: Joannes Franciscus ist derjenige, so den müssiggang aus Freysing und anderen seinen herrschaften getrieben, wie auch in malefiz-sachen grosse vorsorg vorgekehret27. Während des Spanischen Erbfolgekrieges ab 1702 bemühte sich Eckher um Neutralität, vor allem, nachdem sich Kurfürst Max Emanuel auf die Seite Ludwigs XIV. und somit gegen den Kaiser, seinen Schwieger21 22 23 24 25

Alle Textstellen: MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 358. Vgl. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 45. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 308. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 310. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 311; vgl. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 193: „Weite Strecken der Diözese hatten schon Jahrzehnte keinen Bischof mehr gesehen“. 26 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 194. 27 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 359.

112 Uta Coburger vater Leopold I., gestellt hatte und Bayern zum Kriegsschauplatz wurde28, in dem es mit sengen und brennen gar übel herginge, jedoch zu Freysing alles sicher ware29. Während des Exils des Kurfürsten (1704–1715) in Brüssel und Paris nutzte Eckher mehrfach die Möglichkeit, in der Residenzstadt München Präsenz zu zeigen, so 1705 mit einem Hochamt in der Frauenkirche zu Ehren des im Krieg nach München und Freising in Sicherheit gebrachten Ettaler Gnadenbildnisses30. Nach dem Hochamt trug Eckher das wunderbild […] in begleitung einer herrlichen procession in eignen händen bis zu dem sogenannten Neuhauser-Thor mit zartester andacht31, wo es in Empfang genommen und dann nach Ettal rückgeführt wurde. Eckher verfolgte in jener Zeit kaiserlicher Besatzung ein stetes Bekenntnis zum römisch-katholischen Papsttum, was anhand seines strikten Verbotes von öffentlichen Gottesdiensten der protestantischen Soldaten der Besatzungsgarnisonen in seinem Bistum ersichtlich ist.32 Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck war es nach einem guten Jahrzehnt seines Wirkens gelungen, den römisch-katholischen Glauben in seinem Bistum zu festigen, sein Amt zu profilieren und durch das Exil des Kurfürsten die fürstliche Instanz in Kurbayern zu bilden.

Fürstbischof Eckher, Karl Meichelbeck und die Geschichte Die private Leidenschaft des dem Benediktinerorden nahe stehenden Eckher33 gehörte der Geschichtsforschung, „der traditionellen Barockhistoriographie“34. Eckhers Bibliothek umfasste Werke zu Heraldik, Ahnenforschung, Historie und Quellenedition, zudem trug er eigenhändig angefertigte Zeichnungen von Grabsteinen und Wappen in Büchern zusammen35. Auch Meichelbeck betonte dieses schon früh erwachte Interesse. Nachdem Eck28 Ausführlich dazu HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 67–78. 29 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 315. 30 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 316; weitere Beispiele bei GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 210. 31 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 316. 32 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 73. Beispielsweise gestattete der Eichstätter Fürstbischof Gottesdienste für die protestantischen Soldaten in seinem Bistum. 33 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 307, beschreibt dies wie folgt: Ihme kamen nit wenig gedancken, den orden des heiligen vatters Benedicti zu erwählen, als gegen welchen derselbe von jugend auf eine ungemeine neigung tragte. 34 GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 245. 35 Ausführlich dargelegt und in Auszügen abgebildet bei GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 36–38, 244–252.

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her als Dom-Dechant „Ordnung“ ins Hochstift gebracht habe, beflisse er sich die alte in langer, ja theils schier tausendjähriger verborgenheit unter tieffen staub gleichsam traurig seufftzende brief und urkunden des hochstüffts von ihrem völligen untergang zu retten und in ein neues leben zu versetzen36. Zudem habe Eckher unter großen Unkosten kontinuierlich auch an anderen Orten des Kurfürstentums sowie im Ausland Schriften eingesehen und Grabsteine abgezeichnet37. Der erste Kontakt Fürstbischof Eckhers zu dem benediktinischen Historiographen Meichelbeck erfolgte während eines Aufenthaltes Eckhers im Kloster Benediktbeuern, woraufhin Eckher den jungen Benediktiner 1697 nach Freising berief, damit dieser am neu eingerichteten Gymnasium und Seminar Syntax unterrichte. Das Freisinger Lyzeum war dem Benediktinerorden mit grosser solennität gnädigist anvertrauet38. Freising sollte unter Fürstbischof Eckher, so Meichelbeck, seinem vor zeiten erworbenen Ruf als mons doctus wieder gerecht werden39. Die Beschäftigung mit der Geschichte nahm auch „praktische“ Formen an. Dank der spendirung grosser geld-summen ließ Eckher 1707 Dom, Gruft und Kreuzgang mit Marmorplatten pflastern und Gräber öffnen, wo gar vil schöne antiquitäten entdecket worden40. Der Fund des Grabes samt Reliquien des frühchristlichen, von den Benediktinern als Ordensheiliger verehrten Nonnosus (ca. 500 – ca. 530) veranlasste Eckher 1709 zu einer prächtig inszenierten achttägigen Feier, die mit täglichen Jubelpredigten externer Würdenträger begangen wurde und deren Höhepunkt die herrliche translation des Heiligen in die Freisinger Krypta darstellte41. Auch die von Eckher beförderte Wiederherstellung und Aufwertung der alten Altarpatrozinien, die teilweise in der ersten renovatio durch Fürstbischof von Gepeckh verändert worden waren, spricht für das Bemühen der Wahrung historischer Authentizität und Werte42. 1717 ließ Eckher eine episkopale Ahnengalerie im Kreuzgang des Doms errichten und die alte schöne grab-stein erheben und in die maur in schönster ordnung setzen, mithin die gedächtnuß der alten bischöffen, domb-herren und anderer vornehmen personen wiederumb erwecken lassen, und zwar auf eine solche zierliche manier, daß viele wohlgereiste bekennen, man werde 36 37 38 39 40 41

MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 308. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 308. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 311. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 311. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 318. Ausführlich beschrieben bei MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 321– 325. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 199, verweist auf die große Beliebtheit der Feierlichkeiten beim Volk, das zu „Tausenden“ zu den NonnosusPredigten geströmt sei. 42 GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 175.

114 Uta Coburger (wenigst in Teutschland) bey den hohen domb-stiffteren dergleichen creutzgang nit finden43. Die wie in einer Galerie präsentierten Grabsteine wurden mit Tafeln versehen, die Namen und Lebensdaten des Verstorbenen benennen, so dass sich der Eindruck einer Freisingischen Ahnengalerie aufdrängen muss (Abb. 12). Das Gewölbe des Kreuzgangs schmückte der spätere Wittelsbacher Hofkünstler Johann Baptist Zimmermann (1680–1758) aus. Die Stuckarbeiten aus zarten Ranken, Blüten und Bandlwerk in pastelligen Tönen sowie die lichten Freskenfelder mit von Putten getragenen Wappen der Domherren entsprechen in ersten Anklängen der gerade in Süddeutschland in Mode kommenden Ausstattungskunst des französischen Régence-Stils. Allerdings sind sie, wie für die Wessobrunner Stuckateure jener Zeit typisch, noch stark von vegetabilen Elementen durchdrungen. Der Kreuzgang präsentierte nun die Altehrwürdigkeit, das gedächtnuß des Bistumssitzes mit zeitgenössischer Ausstattung auf eleganteste Weise. Zentrale Kategorien in Karl Meichelbecks Chroniken bilden die ordnung und das gedächtnuß, deren Betonung sich konsequent durch seine Schriften zieht und als Basis der Beschäftigung mit der Historie anzusehen ist. Einen ersten Hinweis auf die kommende gründliche Erforschung der Quellen, wie sie später in der Historia Frisingensis durch Meichelbeck erfolgen sollte, kann man schon 1710 anhand der Beschäftigung mit dem Geburtsort des ersten Freisinger Bischofs Korbinian erkennen. Ausgehend von der 1707 erschienenen Schrift eines bayerischen Benediktiners zum Leben des heiligen Korbinian wurde in Frankreich, so Meichelbeck, eine Verehrung des Heiligen in verwunderlicher weis44 ausgelöst. Ungeklärt blieb der Geburtsort Korbinians – Châtres (Arpajon) oder Tirol – woraufhin Eckher trotz der Kriegshandlungen zwischen Kaiser und Frankreich nach St.-Germain de Châtres schrieb und um Auskunft bat. Mit der umgehenden Antwort des Bertrand Robine de Callemont, dass Korbinian nirgend anderstwo als zu Chatres gebohren seye, was alle gelehrteste Benedictiner Frankreichs bestätigen würden, gab sich Eckher nicht zufrieden und forderte weitere Belege zu Verifizierung an45. Karl Meichelbeck, seit 1708 Historiograph der Bayerischen Benediktinerkongregation, wurde 1722 von Eckher erneut nach Freising berufen, um anlässlich des 1000-jährigen Bistumsjubiläums 1724 das Verfassen einer Bistumsgeschichte diser meiner geringsten feder, wie der Benediktiner 43 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 330f. 44 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 325. Der Verfasser der fraglichen Schrift war Meichelbeck selbst gewesen. 45 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 326. Eckher überließ, nach Erhalt weiterer Belege, den Benediktinern von Châtres ein particul des heiligen Corbiniani, welches in großer Prozession eingeholt und nach Frankreich verbracht wurde.

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schrieb, anzuvertrauen46. Die aus der unklaren Quellensituation herrührende Frage, ob man als Gründungsdatum 716 oder 724 annehmen solle, war schon früher zugunsten des Jahres 724 entschieden worden, da man 1724, so Meichelbeck, neben dem 1000-jährigen Jubiläum auch das 50-jährige Priesterjubiläum des Fürstbischofs begehen konnte und durch diesen doppelten Grund zum Feiern die gantze ehrliebende Welt [...] an solcher freud theil nehmen47 würde. Meichelbeck vermerkt ein anfängliches Zögern Eckhers, eine Jubelfeier angesichts der leeren Kassen des verschuldeten Bistums auszurichten, doch wurde im März 1722 der definitive Beschluss samt Anfertigung einer Bistumsgeschichte gefasst, denn auf solche weis wurde dem bistumb eine nachdrückliche ehre zukommen und Freysing wurde hierdurch weit besser als bis dahin bekannt werden48. Auf Grund der Christianisierung und Bistumsorganisation des heiligen Bonifatius sowie der damit einhergehenden Klostergründungen im 8. Jahrhundert begingen zahlreiche Bistümer und Klöster ihr 1000jähriges Jubiläum im 18. Jahrhundert und nahmen dies als Anlass zu prächtigen Jubelfeiern, die meist von Kirchenneuausstattungen oder gar Neubauten begleitet wurden49. Im Gegensatz zu der marianisch und gegenreformatorisch geprägten renovatio des Freisinger Doms des 17. Jahrhunderts stand nun im 18. Jahrhundert die Geschichte des Doms und des Bistums im Zentrum von historischer und bildkünstlerischer Neugestaltung.

Meichelbecks Historia Frisingensis und Kurtze chronica Karl Meichelbecks ambitionierte Chronik der 1000-jährigen Geschichte Freisings enthielt nicht nur die Auswertung des umfangreichen, in Freising verwahrten Schrifttums. Nach einem Rundbrief des Fürstbischofs an zahlreiche Prälaten stellten fürsten nit allein aus denen Bayrischen clöstern, sondern auch aus Oesterreich, Saltzburg, Tyrol, Schwaben, Francken und Sachsen50 Material zur Verfügung. Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit von nur zweieinhalb Jahren und des umfangreichen Quellenmaterials lag 46 47 48 49

MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 336. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 335. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 335. Z. B. Benediktinerkloster Altomünster 1730; Benediktinerkloster Niederalteich 1732; Dom zu Eichstätt 1745; Reichsstift Ottobeuren 1767. Vgl. dazu Peter HAWEL, Der spätbarocke Kirchenbau und seine theologische Bedeutung. Ein Beitrag zur Ikonologie der christlichen Sakralarchitektur (Würzburg 1987). 50 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 336. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 183, verweist auf die zögerliche Bereitschaft der Augustiner-Chorherrenstifte und der Jesuiten, dem Benediktiner Meichelbeck ihre Quellen zu überlassen.

116 Uta Coburger bei Beginn der Jubelfeiern am 1. Oktober 1724 nur der erste Band mit den ersten 500 Jahren der Freisinger Historia (724–1224) vor. Fürstbischof Eckher hatte darum Meichelbeck beizeiten gebeten, eine populäre Kurzfassung in deutscher Sprache zu schreiben, die neben dem ersten Band der Historia Frisingensis zu den Festivitäten vorlag. Der zweite Band der Historia Frisingensis mit den Jahren 1224–1724 erschien erst nach Eckhers Tod (am 2. Mai 1727), nachdem Meichelbeck, im Zwist mit dem Domkapitel und seines Förderers beraubt, nach Benediktbeuern zurückgekehrt war. Die Kosten des 1729 erschienenen zweiten Bandes trug das Kloster Benediktbeuern und nicht das Hochstift51. Innerhalb des Domkapitels waren Meichelbecks Forschungen auf Ressentiments gestoßen: „es sei doch sehr zu befürchten, daß in der neuen Historie Dinge inseriert würden, die dem Hochstift zum Präjudiz gereichen möchten“52. Vor allem der Geistliche Rat und Domherr Franz Anton von Fraporta sei entsetzt gewesen, dass Meichelbeck dank der Quellenkritik nun mit „mancher alten liebgewordenen Legende aufräumte“53, was den Benediktiner in seinem Tagebuch stöhnen ließ: „Und wenn das schon der gelehrteste aller Domherren ist, wie sind dann erst die anderen?“54 Fürstbischof Eckher musste mehrfach intervenieren, um das Erscheinen des Werks zu sichern55. Die herausragende Bedeutung des prächtigen Foliobandes der Historia Frisingensis liegt in der erstmaligen quellenbasierten Darstellung einer Bistumschronik im katholischen deutschsprachigen Raum jener Zeit. Die Historia umfasst nach dem Titel samt Titelkupfer Widmung, Censura, Prolegomena und eine Falttafel zur Topographie Freisings. Nach einem einleitenden Kapitel zur Lage und Vorgeschichte Freisings folgen fünf Kapitel zu den ersten fünf saecula (724–1224) der Bistumsgeschichte Freisings. Die Disposition nach Jahrhunderten ist durch Paragraphen zu den einzelnen Bischöfen sowie ausgewähltes Quellenmaterial aufgelockert. Der Verifizierung des Geschriebenen dient der umfangreiche Instrumenta-Anhang, der gleich den saecula gegliedert ist und das verwandte Quellenmaterial eines jeden Jahrhunderts nachprüfbar präsentiert. Ein abschließender Index personarum et rerum ermöglicht den gezielten Zugriff. Neben den für das Bistum bedeutsamen 51 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 189, nach dem Tagebuch Meichelbecks. 52 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 184f., nach dem Tagebuch Meichelbecks. 53 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 185, nach dem Tagebuch Meichelbecks. 54 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 185, nach dem Tagebuch Meichelbecks. 55 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 185, nach dem Tagebuch Meichelbecks.

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Ereignissen reicherte Meichelbeck die Chronik auch um historische und kirchenpolitische Begebenheiten an, sodass die Geschichte Freisings mit der gesamten Historie verknüpft ist. Der Text und die schriftlichen Quellen der Historia Frisingensis sind durch wenige Druckgraphiken historischer Relikte wie Siegel, Grabsteine oder des romanischen Domportals ergänzt, welche die Wertschätzung von überkommenen Objekten als ergänzende historische Belege für schriftliche Quellen veranschaulichen56. Im Unterschied zur die Quellen betonenden lateinischen Historia ist die deutschsprachige Kurtze chronica schlichter angelegt: die Disposition ist nicht nach Jahrhunderten eingeteilt und folgt ohne Binnengliederung chronologisch den Bischöfen. Zudem sind – bis auf das Titelkupfer – weder Schriftnoch Bildquellen dem Text angefügt, jedoch ist ebenfalls ein Register angelegt. Wichtige inhaltliche Unterschiede sind zudem die stärkere didaktische Intention der deutschen Chronica, so etwa die ausführliche Erklärung des ikonographischen Inhalts der Bildausstattung des Doms zur Belehrung des Laien sowie die Betonung der Freisinger Geschichte und der Verzicht auf viele ergänzende historische Ereignisse. So erwähnt Meichelbeck beispielsweise in der lateinischen Historia Frisingensis in den Monaten März bis Juli 1724 das aus geistlicher Sicht wichtige Ereignis des Todes Papst Innozenz’ XIII. und die Wahl Benedikts XIII. zu seinem Nachfolger57 und führt zudem die kurzzeitige Übergabe der spanischen Krone von Philipp V. von Bourbon (1683–1746) an seinen Sohn Ludwig I. (1707–1724) sowie dessen frühen Tod im August 1724 an58. In dem kleinen Duodezband der Kurtzen chronica hingegen finden diese Ereignisse keinen Eingang, sei der Grund dem Zeitdruck oder dem Zielpublikum geschuldet; stattdessen berichtet Meichelbeck nur von den Vorbereitungen für das Jubiläum im Oktober 1724, die ebenfalls in der lateinischen Historia zu finden sind. Ein durchgehendes Charakteristikum beider Werke ist die entwickelte Polarität des ersten Bischofs Korbinian zu dem regierenden Fürstbischof Eckher, die Gegenüberstellung von Beginn und Höhepunkt der Freisinger Geschichte. Wie eine Klammer rahmen die beiden Bischöfe die Freisinger Historie ein und durchziehen zugleich als Konstante die Chroniken. 56 Im Vergleich zur 1724 erschienenen Histoire de l’abbaye royale de Saint Germain des Prez von Jacques Bouillart ist die bescheidenere Gestaltung der Historia Frisingensis offenkundig. Die Histoire des im 6. Jahrhundert gegründeten Klosters von St.-Germain-des-Prés in Paris verfügt über zahlreiche Stichwerke: Pläne der Abtei, Tafeln von Grabsteinen und Grabmälern, Details der Altäre, Architektur und so fort. Hochinteressant sind die vielen Stiche, die die verschiedenen baulichen Zustände der Abtei durch die Jahrhunderte darstellen und die Geschichte „architekturhistorisch“ zu rekonstruieren versuchen. 57 MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 475. 58 MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 475f.

118 Uta Coburger Auch die Titelkupfer beider Werke unterscheiden sich in Gestaltung und inhaltlicher Gewichtung. Das Titelkupfer der Historia Frisingensis (Abb. 13) zeigt auf zwei schmalen, obeliskenhaften Pyramiden Szenen der Geschichte Freisings, die von Putten in den Stein gemeißelt werden. Die Pyramiden sind mit insigniengeschmückten Portraitmedaillons des ersten Bischofs Korbinian und des aktuellen Bischofs Eckher bekrönt und durch ein von Putten gehaltenes Band mit saecula-Plaketten verknüpft, das seinen Ausgangspunkt im Himmel in einer Darstellung der göttlichen Dreifaltigkeit nimmt. Im Bilde liegt der Ursprung der Freisinger Geschichte folglich in der göttlichen Übertragung des christlichen Glaubensfunkens, der von Korbinian aufgenommen und von Eckher empfangen wird. Die dritte Pyramide ist mit einem Portraitmedaillon des Wittelsbacher Koadjutors Johann Theodor bekrönt, mit Insignien versehen und wappengeschmückt und symbolisiert, etwas nach hinten gerückt und noch nicht in das Band der Geschichte eingebunden, die noch ferne Zukunft Freisings. Seit Cesare Ripas Iconologia59 sind jene schmalen Pyramiden als Attribute der Gloria beziehungsweise der Gloria de prencipi lesbar. Vor den Pyramiden Korbinians und Eckhers sind als ruhmreiches Ensemble die Personifikation der Stadt Freising, ein Mohr als Freisinger Wappenattribut, ein Engel oder Genius mit Stundenglas, die Allegorie des Chronos mit der Sense und vor allem die Allegorie der Historia gruppiert. In Ripas Iconologia blickt die Historia noch über ihre Schulter zurück, um das Vergangene zu betrachten; hier blickt sie empor zu den die Freisinger Geschichte verkörpernden Bischöfen Korbinian und Eckher, während sie die Geschichte des Bistums in das Geschichtsbuch einträgt. Im Hintergrund öffnet sich ein Prospekt auf die Stadt Freising mit dem Domberg. In vielschichtiger Weise stellt das von Cosmas Damian Asam (1686–1739) entworfene und sicher von Meichelbeck ikonographisch entwickelte Titelkupfer die Historia unter dem bestimmenden Aspekt der Zeit dar. Die ruhmesvolle Geschichte Freisings, die vergangene Zeit der letzten 1000 Jahre, ist durch die Geschichtsschreibung und auch die in Bildform manifesten Ereignisse (Pyramidenreliefs) für die Nachwelt dauerhaft überliefert. Die durch Chronos symbolisierte Zeit ist vor der Historia niedergesunken und stützt das Geschichtsbuch. Doch gründet alle Historie und Zeitlichkeit in der göttlichen Dreifaltigkeit, die alles überstrahlt. 59 Die erste Ausgabe von Cesare Ripas Iconologia overo Descrittione dell’imagini universali cavate dall’antichità et da altri luoghi erschien 1593 in Rom und ist als Emblembuch für das 17. und 18. Jahrhundert von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Schon 1603 erschien in Rom die erste von zahlreichen illustrierten Ausgaben; zahlreiche Auflagen und Übersetzungen etwa ins Französische, Deutsche, Niederländische folgten und belegen die große Verbreitung und den wichtigen Status des Werks, auch für die Bildkünste.

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Zudem ist die im Text ersichtliche Polarität Korbinian – Eckher paradigmatisch im Titelkupfer präsentiert. Das ebenfall von Cosmas Damian Asam entworfene Titelkupfer der Kurtzen chronica (Abb. 14) hingegen zeigt eine etwas weniger komplexe Darstellung. An einem Postament sind Portraitmedaillons mit korrespondierenden Inschriften der Historiographen des Freisinger Bistums angebracht, beginnend mit Bischof Arbeo, der im 8. Jahrhundert die Vita Corbiniani verfasst hatte, und endend bei Fürstbischof Johann Franz Eckher, der die Meichelbeckschen Chroniken des 18. Jahrhunderts in Auftrag gegeben hatte. Bischöfliche Insignien und Bücher sind locker als Zeichen der Gelehrsamkeit des Bistums vor den Sockel gelegt. Auf dem Postament thront mittig eine weibliche Personifikation mit Szepter in der erhobenen Rechten, deren Finger auf die sie überstrahlende Dreifaltigkeit mit dem allsehenden göttlichen Auge zeigt. Der Blick der Figur ruht auf einer geflügelten Kugel, auf die ihr Fuß gesetzt ist60. Vor sie ist ein Portraitmedaillon mit dem Bildnis Eckhers gesetzt, das von einem Genius gehalten und mit Lorbeer geschmückt wird. Ein Genius mit Sense und der römischen Zahl „M“ für das tausendjährige Jubiläum auf einem Spruchband komplettieren das Ensemble. Die Darstellung ist von einer Ansicht des Freisinger Doms samt alles überstrahlender Dreifaltigkeit und Strahlen der Sonne hinterfangen. Die ikonologische Aussage bildet neben den Verweisen auf Zeit, Geschichtlichkeit und Geschichtsschreibung vor allem eine Allegorie auf die ruhmreiche, tugendhafte und unter göttlichem Schutz stehende Regentschaft des Fürstbischofs Eckher, der in diesem Titelkupfer weitaus prominenter präsentiert ist als in dem Titelblatt der Historia Frisingensis. Neben den historischen Qualitäten beider Chroniken belegen Text und Bild die Intention Meichelbecks, Fürstbischof Eckher als die das Bistum prägende Figur darzustellen.

Die renovatio des Freisinger Domes durch die Brüder Asam Das sichtbare Hauptwerk des Domjubiläums ist natürlich die neue Ausstattung des Freisinger Doms (Abb. 15) durch die Asams: den Maler Cosmas Damian Asam (1686–1739) und seinen Bruder, den Bildhauer und Stuckateur Egid Quirin Asam (1692–1750). Ebenso wie die höchst aufwendigen Feierlichkeiten dürfte auch die renovatio des Domes das unvermögende 60 In der barockzeitlichen Emblematik ist die geflügelte Kugel im Kontext von Tugendsinnbildern zu finden: vgl. Arthur HENKEL–Albrecht SCHÖNE, Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Taschenausgabe (Stuttgart– Weimar 1996) col. 626f.: In Virtute duce comite Fortuna; col. 657: Victrix Fortunae Sapientia; col. 761: In Virtute et Fortuna.

120 Uta Coburger Bistum sehr gefordert haben61. In geschickter Weise koppelt Meichelbeck in seiner Kurtzen chronica die Erwähnung der Pläne zur kostbaren erneuerung des dombs62 an die unzähligen guten Taten Eckhers für Stift und Stadt, die er so ausführlich darlegt, dass der Leser der Chronica nahezu unweigerlich zum Schluss kommen muss, es gebe keinen anderen Weg, als nun auch den Dom einer gründlichen Neuausstattung zu unterziehen63. Im März 1723 wurde der Kontrakt mit den Brüdern Asam geschlossen64 und ab April ware der domb durchgehends bis an das hoche gewölb mit gerüsteren versehen 65. Die in München ansässigen Asam waren durch ihren Vater, den Freskenmaler Hans Georg Asam (1649–1711), zu dessen Hauptwerken die Ende des 17. Jahrhunderts entstandenen Fresken der Benediktinerklöster Benediktbeuern und Tegernsee zählen, sowie zahlreiche Arbeiten für bayerische Benediktinerklöster (1715–17 Ensdorf, 1715–18 Michelfeld, 1717–21 Weltenburg) beinahe schon zu „Kongregationskünstlern“ avanciert. Die Neuausstattung der Domkirche des eigenen Bistums stellte zugleich eine Ehre und eine Herausforderung dar. Zudem waren die Brüder vor die Aufgabe gestellt, in der kurzen Zeit von April 1723 bis September 1724 bei begrenzten Mitteln den Dom in ein neues Gewand zu hüllen66. In der umfangreichen Fachliteratur zu Freising wird stets die Reflexion der Historie in der Ausstattung betont. Darüber hinaus wird die AsamAusstattung der romanischen Basilika in der Asamforschung meist als „sensible Barockisierung“ charakterisiert. Folgend soll die Ausstattung vor allem 61 Von den ca. 100.000 fl. Gesamtkosten des Jubiläums beliefen sich die Renovierungskosten allerdings nur auf ca. 10.000 fl.: ENGELBERG, Renovatio (wie Anm. 12) 253f.; GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 2) 150. 62 MEICHELBECK, Kurtze Chronica (wie Anm. 1) 336. 63 Meichelbeck nennt Kreuzgang, Dompflaster, Domgestühl, liturgische Geräte, Residenz-Schulsaal, Gymnasium, Bibliothek, Pferdeschwemme, Waisenhaus, Krankenhaus, Maierhof, Brauhäuser und Wasserleitungen, die Eckher entweder in Stand gesetzt oder gar neu errichtet habe. Die anfänglichen Pläne, den Dom temporär mit Tapisserien zu schmücken, wurden daher zu Gunsten einer dauerhaften Neuausstattung fallengelassen: MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 336–338. 64 Vgl. Asam in Freising, hg. von Sylvia HAHN–Carmen ROLL–Monika SCHWARZENBERGER-WURSTER (Diözesanmuseum für christliche Kunst des Erzbistums München und Freising. Kataloge und Schriften 45, Regensburg 2007) 171–173 Nr. V.3.1 (Maria HILDEBRANDT–Sylvia HAHN). 65 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 338. 66 ENGELBERG, Renovatio (wie Anm. 12) 255f., betont die im zeitgenössischen Vergleich sehr geringen Kosten von 7.000 fl. (Kontrakt) für die gesamten Freisinger Ausstattungsarbeiten (letztlich sind insgesamt ca. 10.000 fl. für die Neuausstattung zu veranschlagen) und dass beispielsweise alleine der neue Marmoraltar der Fürstpropstei Berchtesgaden für 7.000 fl. errichtet worden sei. Zudem erbat Eckher 1724 ein Darlehen von 12.000 fl. bei den in seinem Bistum gelegenen Kirchen.

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auf diese Aspekte hin betrachtet werden. In der mit Grabsteinen und Epitaphien geschmückten Vorhalle bildet das romanische Portal, das auch in der Historia Frisingensis abgebildet ist, den Eingang zum Dom. Geöffnet fungiert es von der Vorhalle aus gesehen als visuelle Rahmung für den mächtigen, raumbestimmenden vergoldeten Hochaltar mit Rubens’ „Apokalyptischem Weib“ im Chor. In den Archivolten des mittelalterlichen Portals sind, zum Betrachter orientiert, die Gewändefiguren Kaiser Friedrichs I. Barbarossas (um 1122–1190) und Kaiserin Beatrix’ (um 1143/47–1184) eingelassen, unter deren Blicken der Gläubige den Dom betritt67. Die romanische Struktur der Emporenbasilika ist nicht zuletzt durch die neuen Fenster- und Gewölbeformen verändert und die Wandstruktur komplett durch die Asamsche Ausstattung aus Fresken und Stuck überlagert, die sich auf das Mittelschiff und die Emporen konzentriert. Das Bildprogramm, dessen Ikonographie ebenfalls Meichelbeck zuzuschreiben ist, thematisiert das Leben des heiligen Korbinian. Cosmas Damian Asam schuf für dessen Darstellung zwei Typen von Freskenmalereien: 20 Freskenfelder im Jochrapport an den Hochschiffwänden zu dem irdischen Leben und Wirken des Korbinian und fünf große Freskenfelder am Tonnengewölbe zu seiner Apotheose und zu himmlischen Themen. Die Freskenfelder zum Korbiniansleben (Abb. 16) zeigen historisch belegte Ereignisse wie seine Bischofsweihe und die Verleihung des Palliums durch Papst Gregor II., aber vor allem Wundertätiges und Heiligmäßiges. Die Bildfelder sind von lockeren und vielfach geschwungenen Rahmenelementen und Ornamentstücken eingefasst und durch jeweils ein Spruchband mit lateinischem Motto begleitet. Die Darstellung des Heiligenlebens entsprach den tradierten Heiligenviten, die vor allem Wundertätiges darlegen, und fußt inhaltlich in der Vita Corbiniani des Bischofs Arbeo. Die narrative Ebene der Korbiniansfresken erfreut durch die ansprechende Darstellung und belehrt den Gläubigen über Korbinians Wundertaten. Die „irdischen“ Fresken an den Hochschiffwänden bilden so eine Vorbereitung auf und Legitimation für die Apotheose des Heiligen an der Kirchendecke. In beiden Meichelbeckschen Chroniken sind die Fresken zum Heiligenleben aufgeführt, aber different behandelt. Während in der Historia Frisingensis nur die lateinischen Motti der 20 Bilder aufgezählt sind, werden die Motti in der Kurtzen chronica zudem mit ausführlichen Erklärungen versehen, um dem Leser 67 Bischof Otto von Freising (um 1112–1158) war der Onkel Kaiser Friedrich Barbarossas, der zusammen mit Kaiserin Beatrix zahlreiche Stiftungen für das Freisinger Bistum (unter anderem nach verheerenden Bränden) tätigte. Das Kaiserpaar findet daher in den Freisinger Chroniken und den Jubelpredigten vielfach Erwähnung; vgl. z. B. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 349; MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 481.

122 Uta Coburger die Darstellung näher zu bringen. Beispielsweise erklärt Meichelbeck das 15. Bildfeld mit dem Thema Fontem suscitat (Abb. 17) auf folgende Weise: Das 15. stuck stellet vor Corbinianum, wie derselbe durch seinen stab am berg zu Weihenstephan einen heilsamen brunnen erwecket, wie an eben dem 20. blatt zu lesen ist. Die beyschrifft ist: Fontem suscitat. Er erwecket einen brunnen68. Die Korbinians Auserwähltheit darlegende Intention der Freskenfelder findet sich analog in der deutschsprachigen Chronica mit dem Ziel, den Inhalt der Darstellung zu erklären und das heiligmäßige Leben des ersten Freisinger Bischofs zu verbreiten. Von den gebildeten Adressaten der lateinischen Historia hingegen wurde vermutlich angenommen, dass sie Kenntnis um das Korbiniansleben besaßen, so dass eine Darlegung als nicht nötig erachtet wurde. Die fünf großen Gewölbefresken sind jochübergreifend angelegt und ignorieren dadurch den durch die mittelalterliche Baustruktur gegebenen Jochrapport des Wandaufrisses. Sie sind in der lateinischen Historia ausführlich und im Umfang den Beschreibungen der Kurtzen chronica vergleichbar dargelegt; im Gegensatz hierzu werden die kleinen Fresken der Hochschiffwände in der Historia nur über die Motti erwähnt. Das westliche Fresko stellt die personifizierten fünf Haupttugenden des Korbinian vor (Abb. 18): Weisheit (Prudentia), Glaubenseifer (Religio), Eifer das Böse zu strafen (Zelus in puniendo), Hirtenliebe (Amor ovium) und Marianische Liebe (Amor Marianus). Die bewegte Darstellung zeigt den von Weisheit und Religion herabgelenkten göttlichen Strahl, der von der Marianischen Liebe begleitet wird und auf die Hirtenliebe herabfährt, der Asam die Gestalt einer reizenden Schäferin verlieh. Parallel stürzt der Eifer, das Böse zu strafen, mit blitzend rotem Strahl Ketzerei, Zauberkunst und weiteres Übel in die Tiefe, sodass die Personifikationen des Bösen aus dem Fresko und der himmlischen Sphäre „herausfallen“ und vor der gemalten Kassettierung des Gewölbes landen. Das Fresko mit der Apotheose des Korbinian (Abb. 19) zeigt eine glorienhafte und verklärende Darstellung seiner Aufnahme in den Himmel. Unter dem emporfahrenden Korbinian sind auf himmlischem Gewölk die wichtigsten Stifter, Patrone und Heiligen Freisings gegeben, die Meichelbeck in seinen Chroniken erklärt69. Die Anwesenheit der Patrone und Bischöfe verweist auf die Geschichte vor und nach Korbinians Leben und die Auserwähltheit des Bistums. Auch hier folgt Asam gängigen Mustern der 68 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 351; vgl. MEICHELBECK, Historia Frisingensis 2 (wie Anm. 1) 2/1 482. 69 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 355; MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 483: heiliger König Sigismund, Bischof Lantpert von Freising und die frühchristlichen Heiligen Nonnosus, Justinus und Papst Alexander I.

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Heiligenglorifizierung, unter der auch die Patrone als tradierte Assistenzfiguren der Freisinger Geschichte einzuordnen sind, die eine lokale Verortung und Nobilitierung des Freisinger Bistums im göttlichen Heilsgeschehen liefern. Das mittlere Deckenfresko zeigt die Geschichte Freisings weniger auf historischer denn eher auf theologischer Ebene (Abb. 20). Die glorienumstrahlten Allegorien der drei theologischen Haupttugenden – Glaube (Fides), Hoffnung (Spes), Liebe (Caritas) – sind umgeben von Personifikationen Freisings sowie Eckhers Wappen samt Insignien und bieten einen Ausblick auf den Freisinger Domberg, den mons doctus. Die ganze Szene wird enthüllt durch zur Seite geraffte Draperien mit den Wappen aller Freisinger Bischöfe. Erneut wird hier das Eckhersche Wappen dargestellt und komplettiert sich zu einer Allusion der Glaubensfestigkeit und theologischen Gelehrsamkeit des Bistums. Diese ganze figur ziehle mit ihrem concept auf dieses tausendjährige hochstüfft Freysing, welches den alten von dem heiligen Corbiniano eingeführten lebendigen glauben und religions-eyfer niemahl verlohren und nun durch Joannem Franciscum, wie auch durch ein hochwürdiges dombcapitel opfferet die mit göttlicher lieb entzündete hertzen, dero andacht-rauch der glaub vorgetraget.70 Das anschließende Fresko mit der thronenden Gottesmutter, der neben Korbinian zweiten wichtigen Patronin des Doms, dient auch der Präsentation der Kunstfertigkeit Asams als Maler von Scheinarchitekturen, da er die Gottesmutter überfangen von einer Scheinkuppel darstellte (Abb. 21). In der Mittelachse des Freskorahmens sind zwei Wappenkartuschen mit begleitenden Spruchbändern angebracht, die das Mohrenwappen – zugleich das Wappen Freisings und vorgeblich des heiligen Korbinian – dem Eckherschen Rautenwappen gegenüberstellen, so dass die inszenierte Polarität der Bischöfe hier wiederum visualisiert ist. Das Freisinger Spruchband verweist mit seiner Inschrift Cathedralis Ecclesiae Frisingensis. M. auf die Gründung durch Korbinian und die tausendjährige Geschichte des Doms, während Sacerdotii Ioannis Francisci. Episcopi. S. R. I. Prin L auf das Jubiläumsjahr der fünfzigjährigen Priesterweihe Eckhers verweist71. Das abschließende Fresko im Chor steht schließlich ganz im Kontext der eucharistischen Handlungen des Hochaltarbereichs und präsentiert die Anbetung des Lamms aus der Geheimen Offenbarung des Johannes, ohne jeden Verweis auf Freisinger Heilige oder Historie. 70 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 355; MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 483. 71 Meichelbeck ergänzt das durch das „gewellte“ Spruchband unvollständige Wort principis in seinen Chroniken: MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 354; MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 483.

124 Uta Coburger Die „Leserichtung“ der Bildausstattung ist umgekehrt, wie man anhand der Chroniken Meichelbecks erkennt. Ausgehend von Rubens’ Hochaltarblatt mit dem Apokalyptischen Weib, das gleich dem Chorfresko der Anbetung des Lamms eine Szene aus der Geheimen Offenbarung visualisiert, folgt die Anbetung des Lamms an der Decke, die thronende Maria, die theologischen Tugenden, Korbinians Apotheose, seine Tugenden und im Wandbereich Leben und Wirken des Korbinian. Entgegen dem Blick des Betrachters „vom Irdischen zum Himmlischen“ beginnt die theologische Leserichtung logischerweise beim Göttlichen, welches in Stufen zum Irdischen herabkommt. Der Ausgangspunkt der Ausstattung ist das Altarblatt Peter Paul Rubens’, nobilitiert im Raum durch den es umfassenden mächtigen vergoldeten Hochaltar. Meichelbeck erwähnt im Kontext der Beschreibung der Asam-Ausstattung erstmalig die Arbeit Rubens’, jener grosse künstler72, dessen Altarblatt eine königin seiner mahlereyen73 sei. Historisch korrekt wäre die Erwähnung in den entsprechenden Passagen der 1620er Jahre in seinen Chroniken gewesen, doch dort erwähnt Meichelbeck, wie einleitend dargelegt, nur beiläufig Erneuerungsarbeiten im Chor. Durch diese geschickte Verschleierung muss ein unwissender Leser den Eindruck gewinnen, Fürstbischof Eckher und nicht Veit Adam von Gepeckh sei das Altarblatt des berühmten Flamen zu verdanken, was die Eckhersche renovatio zusätzlich aufwertet. Die Asamschen Fresken verkörpern keine spezifische oder herausstechende Historizität, vielmehr sind sie in jenen Tagen übliche Darstellungen zur Glorifizierung von Heiligen, Klöstern oder der Kirche mit Verweis auf deren ruhmreiche und tugendsame Geschichte. Die Motivquellen Cosmas Damian Asams bilden einen „Musterkatalog möglicher Deckenlösungen alla romana“74. Der in Rom ausgebildete Asam deklinierte die Höhepunkte der römischen Sakralkunst: Il Gesu, Chiesa Nuova, S. Ignazio. Sogar die muskulösen Leiber des späten Michelangelo aus der Cappella Sistina finden sich in den gestürzten Ketzern im Korbinians-Tugendfresko. Asam orientierte sich an den prominentesten römischen Freskenausstattungen gegenreformatorischer Orden (Jesuiten, Oratorianer) und lieferte einen eindeutigen Rombezug. Hinsichtlich der Darstellung Korbinians als Benediktiner, die natürlich vom Benediktiner Meichelbeck verantwortet war, ist ein Streit zwischen Domkapitel und Meichelbeck überliefert. Nach deren Dafürhalten könne die benediktinische Darstellung Korbinians samt der vielen dargestellten Benediktiner den Eindruck erwecken, man sei in einem Benediktinerstift75. 72 73 74 75

MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 354. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 354. ENGELBERG, Renovatio (wie Anm. 12) 258. Vgl. Sylvia HAHN, „Verwunderen wurde sich König Salomon über die Kunst der zweyen Herren Gebrüderen“. Fünf Asam-Werke aus 30 Jahren in Freising, in: Asam

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Asam sollte ergo „Habits und Krägerl“76 ändern, wobei aber kaum Abweichungen von den Vorzeichnungen zu den Fresken festzustellen sind. Anhand eines Schreibens Eckhers an das Domkapitel vom 2. März 1723 kann man von einem ursprünglich abweichenden Ausstattungsplan ausgehen, der ein stärker historisierendes Konzept vorgesehen hätte: Neben dem Leben und der Apotheose des Korbinian sollten die zehn Jahrhunderte des Bistums, von Eckher als „Callender“77 bezeichnet, dargestellt werden78. Die Bildausstattung hätte somit die saecula-Disposition der Historia Frisingensis reflektiert und wäre eine Darstellung von Geschichte gewesen. Warum dieser Plan fallengelassen wurde und stattdessen nur Leben, Wundertaten und Apotheose des Korbinian samt himmlischer Glorie (Maria als Himmelskönigin, apokalyptisches Lamm der Geheimen Offenbarung) dargestellt wurden, ist bislang nicht geklärt. Das realisierte Bildprogramm entspricht den tradierten Freskenprogrammen jener Zeit ebenso wie der partiellen Integration der lokalen Geschichte, Patrone und Heiligen in den göttlichen Heilsplan. Die ecclesia militans des 17. Jahrhunderts war einem neuen Selbstbewusstsein der erstarkten Klöster und der stärker konsolidierten kirchenpolitischen Situation Süddeutschlands gewichen, welches sich in umfangreichen Bauprojekten und Ausstattungsarbeiten zur Selbstrepräsentation ausdrückte. Statt der erwähnten saecula-Fresken entwarf Meichelbeck schließlich zehn kurze Motti, die ein zentrales Ereignis jedes Jahrhunderts charakterisieren. Der ungewöhnliche Ort, wo jene Motti platziert wurden, sind die Kapitelle (Abb. 22): Weilen aber schon sonsten in diesem herrlichen tempel eine ungemeine menge von mahlereyen beobachtet worden, hat man dahin die auf die zehn Freysingische jahr-hundert folgende schriften wollen einsetzen79. In seiner deutschsprachigen Kurtzen chronica erläutert Meichelbeck jene Motti wieder ausführlich, während er sie in der lateinischen Historia nur kurz aufzählt80; man erkennt hinsichtlich der Wertung eine Analogie zu den ebenfalls in der Historia nur aufgezählten Fresken des Korbinianslebens, während die himmlischen Deckenfresken mit theologi-

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in Freising (wie Anm. 64) 16–53, hier 40: Das Kapitel bestand auf der Unterscheidung, dass Korbinian zwar sub regula, aber nicht in ordine S. Benedicti gelebt habe. HAHN, König Salomon (wie Anm. 75) 40. Karl MINDERA, Die Erneuerung des Doms im Jahre 1724 nach dem Tagebuch von P. K. Meichelbeck, in: Der Freisinger Dom. Beiträge zu seiner Geschichte. Festschrift zum 1200jährigen Jubiläum der Translation des hl. Korbinian, hg. von Joseph A. FISCHER (Sammelblatt des Historischen Vereins Freising 26, Freising 1967) 197–219, hier 207. MINDERA, Erneuerung (wie Anm. 77) 207. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 252. MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 352f.; MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 1) 2/1 482.

126 Uta Coburger scher Ikonographie auch in der lateinischen Historia ausführlich behandelt wurden. Das dritte Motto der saecula-Kapitelle war beispielsweise Inter ignes servatur. Das ist: Die domb-kirchen wird vor feuer erhalten81. Die Inschrift bezieht sich auf einen schweren Brand im Jahre 955, bei dem die gesamte Stadt Freising verbrannte und der Dom nur Dank der Gebete des heiligen Bischofs Lantpert (Bischof 937–957) verschont worden sei. Weitere Inschriften beziehen sich auf Gründung, Glaubenspflege und Blüte des Hochstifts82, die Wissenschafts- und Musenpflege83, den göttlichen Schutz und die Standfestigkeit in den Zeiten der Bedrängnis84 und letztlich das ruhmreiche tausendjährige Jubiläum85. Die Inschriftenkapitelle stehen in Bezug zur Deckendisposition des zwölfjochigen Mittelschiffs samt Chor, da sie in der Achse der fünf gemalten Gurte des Tonnengewölbes positioniert sind, fünf Kapitelle an der nördlichen und fünf Kapitelle gegenüberliegend an der südlichen Mittelschiffhochwand. Im Vergleich mit den seinerzeit projektierten großen Bildfeldern erscheinen die Inschriftenkapitelle eher als unscheinbare Relikte des ursprünglich anvisierten Bildprogramms. Allerdings verkörpern sie im Kontext des stuckplastischen Werks Egid Quirin Asams eine innovative Leistung, da Asam das architektonische Trägerelement des Kapitells mit narrativen Werten anreichert: Das Kapitell erhält den Charakter einer Inschriftkartusche und wandelt sich vom Bauelement zum Bedeutungsträger. Neben den Inschriftenkapitellen schuf Asam einen zweiten Kapitelltypus, die Puttenkapitelle, für Freising, die ein kommunikatives Moment innehaben (Abb. 23). Puttenköpfe, die anstelle von Abakusblüten der ansonsten tradierten, an der Composita orientierten Kapitelle gesetzt sind, drücken verschiedene positive Affekte wie Freude oder Staunen aus und fungieren als „Leitsystem“ durch den Raum. Zum einen sprechen sie den Betrachter direkt über Blickkontakt an, zum anderen verweisen sie durch ihre Blickführung und Flügelgestik auf die Fresken und andere Ausstattungselemente. Der Betrachter respektive Gläubige erfährt durch sie eine emotionale Ansprache und wird auf die Inhalte der Ausstattung hingewiesen, während die saeculaKapitelle auf die Geschichte von Dom und Bistum Bezug nehmen. 81 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 353. 82 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 352f.: 1. Saeculum: Ecclesia cathedralis fundatur; 2. Saeculum: A fidelibus dotatur; 4. Saeculum: Fortunis locupletatur. 83 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 353: 5. Saeculum: Mons doctus; 6. Saeculum: Laudes divinas exauget. 84 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 353: 7. Saeculum: Caelitus propugnatur; 8. Saeculum: Haereses arcet; 9. Saeculum: Fidem servat. 85 MEICHELBECK, Kurtze chronica (wie Anm. 1) 353: 10. Saeculum: Festivitati splendore illustratur.

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Betrachtet man die Stuckausstattung Egid Quirin Asams insgesamt, so vermisst man die eindeutige „römische“ Komponente seines Bruders. Egid Quirins Rezeption aktueller profaner Ausstattungskunst wie etwa Paul Deckers Traktat Fürstlicher baumeister86 zeigt seine Orientierung an der neuen, französisch geprägten Ornamentmode, jedoch unter Wahrung eines plastischen Duktus und einer Betonung des Vegetabilen, wodurch der Stuck etwas tradiert wirkt. Egid Quirins Stuck verfügt nicht über die flächige, abstrakte Eleganz Johann Baptist Zimmermanns, der 1716 den Freisinger Kreuzgang stuckiert hatte und seit den 1720er Jahren vorwiegend für den Wittelsbacher Hof arbeitete. Die bewegte und durch die Verwendung von Stuckmarmor auch etwas schwere Stuckausstattung Asams hebt sich deutlich von den eleganteren und leichteren Ausstattungsarbeiten am Münchner Hof ab, die, nicht zuletzt geprägt durch das Pariser Exil des Kurfürsten, sehr französisch am style nouveau orientiert waren. Die Asamsche Ausstattung überlagert die alte Struktur des Baus völlig und überblendet sie mit einer flirrend-unruhigen Membran aus Fresken und Stuck, die zudem die struktiven Werte der Architektur zu negieren trachtet87. Die in Meichelbecks Chroniken und den noch zu behandelnden Festpredigten vielfach verwandte Allusion des Doms als Braut mit neuem „Festkleid“ trifft die renovatio exakt, da man die romanische Struktur unter dem „Ausstattungskleid“ nicht mehr wahrnimmt. Die in der Historia mittels Abbildungen von mittelalterlichen Relikten vielfach beschworenen Aspekte des gedächtnuß und der antiquität des Freisinger Doms sind in der Ausstattung nur bedingt reflektiert88.

Jubelfeier und Jubelpredigten: Das danckbare Freysing Chroniken und Ausstattungsarbeiten waren rechtzeitig im September 1724 fertiggestellt und die achttägige Jubiläumsfeier konnte Sonntag, den 1. Oktober beginnen. In der zum Fest vorliegenden Kurtzen chronica endet die Bistumsgeschichte mit der Beschreibung des neu ausgestatteten Doms. Doch über Beschreibungen des erst 1729 erschienenen zweiten Bandes der Historia Frisingensis und vor allem durch die 1725 von Meichelbeck publi86 Paul DECKER, Fürstlicher baumeister oder Architectura civilis (3 Bde., Augsburg 1711–1716). 87 ENGELBERG, Renovatio (wie Anm. 12) 258f. vermerkt zudem das Bemühen der Asam, mittels der Fresken den Raum illusionär nach oben zu öffnen. 88 Da sich die Allusion des Doms als „Braut“ in „Schmuck“ oder „Festkleid“ ebenso wie die Aspekte des gedächtnuß und der antiquität durchgängig durch die Chroniken ziehen, sei auf Seitenverweise verzichtet.

128 Uta Coburger zierten Festpredigten (Das danckbare Freysing; Abb. 24) samt einer ausführlichen Darlegung der Festlichkeiten ist die Jubiläumswoche überliefert. Die Wahl der ersten Oktoberwoche als Zeitpunkt der Jubelfeier schien pragmatische Gründe zu haben: dass dises hoche danck-fest beliebet auf den monath October anzusetzen, weilen nemlich dises monath (in welchen weder zu grosse hitz, weder eine zu grosse kälte zu besorgen) für die reisende ganz bequem gehalten worden, sich hier einzufinden89. In seinem Tagebuch stöhnte Meichelbeck über die Probleme, hochrangige Festredner für die täglichen Festpredigten und Hochämter der Jubelwoche zu gewinnen, „denn die sonst so wortgewaltigen Prälaten zogen sich recht kleinlaut zurück. Der Propst von Schlehdorf war auf einmal todkrank, der Abt von Scheyern fürchtete einen Schlaganfall“90. Doch gelang es als Festprediger unter anderen den Abt des Benediktinerklosters Tegernsee Petrus Guetrather (Abt 1715–1725), den am Münchner Hof als Beichtvater und Prinzenerzieher wirkenden Jesuiten Albert Weinberger (1685–1746), den Benediktiner Abt Placidus Seitz von Ettal (Abt 1709–1736) und den als hervorragenden Kanzelredner geltenden Augustiner-Eremiten Gelasius Hieber zu gewinnen91. Der bedeutsamste Tag war erste Festtag, der mit einem feierlichen Einzug Fürstbischof Eckhers und der aus Schleißheim angereisten Kurfürstenfamilie in den neu renovierten Dom begangen wurde, alles in schönster kostbahrester galla mit zahlreichen kutschen92. Cosmas Damian Asam hielt den Einzug in den Dom in einem prächtigen Stich fest (Abb. 25), der zudem vortrefflich die Asamsche Domausstattung präsentiert. Die erste Festpredigt hielt der Neffe des Fürstbischofs und Augsburger Domkapitular Maximilian Franz Eckher zu Kapfing und Liechteneck, das Hochamt Fürstbischof Eckher. Mittags folgte ein üppiges Festmahl mit, laut Meichelbeck, 380 Gästen in der Residenz, bevor man nachmittags zur Jagd ging, zu welcher unser gnädigster fürst seine durchleuchtigiste gäst auch selbsten begleitet. Merckwürdig ist, daß seine churfürstliche durchleucht in höchster person

89 Karl MEICHELBECK, Das danckbare Freysing, das ist: Acht außerlesene lob- und danckpredigten (Freising 1725) 1. 90 HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 10) 187. 91 Auch die Hochämter waren prominent besetzt; zwei wurden von den beiden festpredigenden Äbten von Tegernsee und Ettal an anderen Tagen gehalten. Es fällt ein leichtes Übergewicht an Benediktinern (Tegernsee, Weihenstephan, Ettal) auf, doch wurden die Predigten und Messen von verschiedensten Orden abgedeckt: Jesuiten, Dominikaner, Augustiner-Eremiten, Kapuziner, Franziskaner, Prämonstratenser, Zisterzienser. Meichelbeck beschickte vorab alle Redner mit der deutschen Kurtzen chronica. 92 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 3.

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beyläuffig 20.mahl geschossen und jedesmahl glücklich getroffen [...]93. Nach der Jagd kehrte die kurfürstliche Familie nach Schleißheim zurück, während Fürstbischof Eckher ebenfalls höchst vergnügt94 bis in die Nacht mit 130 Gästen in seiner im Vergleich mit anderen fürstbischöflichen Residenzen eher bescheidenen Residenz tafelte. Jeder Festtag begann mit der Festpredigt mit anschließendem Hochamt, auf die mittags und abends Festlichkeiten in der Residenz folgten. Zur Unterhaltung wurden in der Festwoche eine weitere Jagd, zwei Opernaufführungen in deutscher Sprache sowie eine lateinische Komödie veranstaltet. Hervorzuheben ist die am vierten Festtag abends auf dem Domplatz errichtete machinen, aus der roter und weißer Wein sprudelte, so dem volck, und auf seine weiß auch denen vornehmen gästen zu einer fröhlichen ergötzlichkeit gedienet95. Am fünften Tag folgte unter zulauff einer gleichsam unzahlbaren menge des volcks96 nach dem Hochamt eine prächtige Prozession durch die Stadt mit zehn Triumphwagen, zahlreichem kostümiertem Personal und geschmückter Reiterei. Meichelbeck legte die phantasievolle Gestaltung und Ikonographie der Triumphwagen und Personifikationen in seiner Publikation breit und manchmal sogar um Maßangaben der Aufbauten bereichert dar97. Die Themen der Triumphwagen kreisen um die Glorie und Geschichte Freisings sowie der römischkatholischen Kirche. Während der ganzen Festwoche schmückten drei prächtige Triumphpforten vor dem Benediktiner-Lyzeum, vor der Franziskanerkirche und vor dem Rathaus die Freisinger Stadt, deren inhaltliches Programm und Lemmata Meichelbeck wiederum in seinem Danckhbaren Freysing ausführlich erklärte98. Die für heutiges Verständnis ungemein blumigen und metaphernreichen Predigten, deren teils endlos erscheinende, sich steigernde Satzkonstruktionen in deutscher Sprache gehalten wurden, standen jeweils unter einem spezifischen Motto. Thema der von Fürstbischof Eckhers Neffen gehaltenen und dem Fürstbischof gewidmeten ersten Predigt war der Guldene ehrencrantz der tausendjährigen Freysingischen gesponß, nemlich der hochen domb-stüffts-kirchen allda99. Ausgehend von der Passage Vidi civitatem sanctam Jerusalem novam descendentem de coelo a Deo, paratam sicut sponsam ornatam viro suo100 der Geheimen Offenbarung des Johannes (Apk 21,5.2), 93 94 95 96 97 98 99 100

MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 24. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 25. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 116. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 143. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 143–159. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 280–296. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 4–24. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 4.

130 Uta Coburger erläutert der Prediger anhand kostbarer Edelsteine den idealen Freisingischen ehren-crantz aus der Freisingischen Historie. Sein kostbarster Ehrenstein, der Diamant, symbolisiere die strahlende Tugendhaftigkeit und vollkommene Heiligkeit Freisings, die der Redner anhand Taten und Wesen der Bischöfe Korbinian, Erembert, Hitto, Erchanbert, Lantpert, Otto von Freising, Utto, Albert I. und Otto II. (Bescheidenheit, Mildtätigkeit, Glaubensfestigung, Demut etc.) darlegte. Der zweite kostbare Stein der Ehrenkrone, der Smaragd, stehe für die Gelehrsamkeit und die Wissenschaften des mons doctus Freising, die von Korbinian, Arbeo, Otto von Freising, Nicodemus und Johann Franz Eckher (Geschichtsschreibung, Bibliothek, Wissenschaftspflege etc.) verkörpert sind. Die Predigt verweist in noch weiteren kostbaren Allegorien auf das Bistum (Hyazinth, Karbunkel – Rubin, Gold), die anhand der Geschichte Freisings aufbereitet und verifiziert werden. Durchgehend wird, einem verbreiteten Topos der Jubelpredigten entsprechend, der Dom als braut101 apostrophiert, deren Bräutigam oder gesponß102 der jeweilige Bischof sei103. Gemäß den einzelnen allegorischen Parametern zielt die Predigt, nach der Darlegung der Bedeutsamkeit der Freisinger Geschichte und der Anführung bedeutender Bischöfe, auf eine ruhmreiche Hervorhebung Eckhers, dessen Tugenden und Wirken als gloriose Erfüllung und ideale Verkörperung der Freisinger Geschichte präsentiert sind: Alle, alle sagen mit einhelliger stimm: Dises hat gethan ein mit dem diamant der vollkommenen tugend, mit dem smaragd der gelehrtigkeit, mit dem gold-trutznden hyacinth der hauslichkeit, mit 50-jährigen priesterthum, mit 30-jährig glückseeligsten regierung gezierter bräutigam, wachtsamer seelen-hirt, verständig-kunstreicher gold-arbeiter, von Gott geschickter seines bischöfflichen ambts und der ehr seiner geliebtisten braut ohnvergessener vorsteher: In memoria aeterna erit justus, ab auditione mala non timebit104. Mittels der gemäß rhetorischer Überzeugungskunst dargelegten narratio und argumentatio der Auserwähltheit Freisings folgte zum Schluss der Predigt neben der Hervorhebung Eckhers eine weitere conclusio: Wir haben nunmehr gesehen durchleuchtigiste, hochwürdigste, hochgeborne, gnädigste in Christo versammlete hochzeit-gäst die heilige stadt Jerusalem, neu herabsteigend vom himmel von Gott, zubereitet als eine ihrem mann mit einer ohnschätzbahren ehren-cron anheut gezierte braut105. Durch seine ruhmreiche Geschichte 101 Z. B. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 4, 5, 6, 8, 9, 15, 18 (allein in der ersten Predigt). 102 Z. B. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 5, 9, 19. 103 Vgl. grundlegend zu barockzeitlichen Kirchweihpredigten HAWEL, Kirchenbau (wie Anm. 49). 104 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 21. 105 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 21f.

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wird Freising zum Neuen oder Heiligen Jerusalem, das vom Himmel herabgestiegen ist. Mehrfach wird in der Predigt der Schmuck der Kirche, der schönst gezierten braut106 und schönen braut107 hervorgehoben, die auf die renovatio des Domes durch Fürstbischof Eckher zielt. Auch die Geschichtlichkeit Freisings unter Eckher wird betont: Wer wuste bei gegenwärtigen grossen jubel-fest zu sagen, daß Freysing seye ein archiv des altherthums, eine bibliothec der denckwürdigkeit, ein ohnverfälschtes protocoll aller päbstlich-kayser- und königlichen gnaden oder freyheits-briefen, wann nicht selbe der ohnermüdete fleiß Ioannis Francisci durch offentlichen druck der gelehrten welt kund gemachet und der eyßgrauen bücher- und documenten gefräßigen zeit mit gewalt aus denen zähnen gerissen hätte?108 Die weiteren Predigten folgten jenem Muster der ruhmreichen Überhöhung der Geschichte und der Bischöfe des Bistums. Die zweite Predigt thematisierte Neu- und altes Freysing –Nova et vetera109 in der die Geschichte Freisings – fürstliche printzeßin der wahren catholischen-apostolisch-Römischen kirchen110 –, als Polarität zwischen Korbinian und Eckher spannungsvoll entwickelt ist. Diese Polarität Korbinian – Eckher findet sich in fast allen Predigten, oft erweitert um die typologische Ebene von Verheißung und Erfüllung. Korbinian wurde als Gründer, Fundator, der Freisinger Kirche geehrt, dem Eckher als renovator und Vollender gegenübersteht. Die Geschichte des Bistums wird in den Predigten eher nachrangig thematisiert, die vielmehr für Weihepredigten geläufige Allusionen auf Freising als Paradies, Neues Jerusalem, Stadt Gottes, Tempel Salomos etc. beinhalten. Auch das Alter des Freisinger Doms wird stets betont, so etwa wurde sich verwundren könig Salomon, daß sein tempel nit länger gestanden als 424 jahr, dahingegen bey unsrem es heisse: Tausend Jahr [...]111. Die meisten historischen Verweise erfolgten in der ersten Festpredigt, die die Freisinger Geschichte nach Aspekten wie Tugend, Gottesfurcht und Gelehrsamkeit sowie der Heranziehung verschiedener Bischöfe und ihres Wirkens durchmaß. Die zweite Predigt stellte diejenigen Bischöfe, die sich um die Geschichtsforschung des Bistums verdient gemacht hatten, mit ihren Taten Fürstbischof Eckher gegenüber, dessen Wirken natürlich den ruhmreichen Vorgängern in nichts nachstand112. Mehrfach betont wurden die Stiftungen, die Kaiser Friedrich Barbarossa und seine Gattin Beatrix Freising 106 107 108 109

Vgl. z. B. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 5. Vgl. z. B. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 15. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 14f. MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 25–43. Die Predigt wurde von Abt Petrus Guetrather von Tegernsee gehalten. 110 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 27. 111 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 198. 112 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 36–39.

132 Uta Coburger zukommen ließen und die sich neben den Predigten auch wiederholt in allen Meichelbeckschen Schriften finden. Die Rhetorik der deutschen Predigten zielt durch ihre metaphernreiche Wortgewaltigkeit auf den Affekt des Zuhörers, sucht ihn von den gepredigten Inhalten zu überzeugen und zeichnet Freising und seinen Fürstbischof in den schillerndsten Farben. Über allem strahlt der Lobpreis Fürstbischofs Eckher, sei es in alludierender Form als gesponß oder geliebter seiner Braut, der Freisinger Kirche, als Vollender in Polarität zu Korbinian oder als Wohltäter des Bistums, der neben zahllosen Verbesserungen (Spital, Waisenhaus etc.) vielleicht nit wenigere gebäude angelegt und auffgerichtet als könig Salomon zu Jerusalem113. Im verbreiteten Topos der Kirchweihpredigten des 18. Jahrhunderts wird die eigene Geschichte und Kirche als Vollendung alttestamentarischer Verheißung angesehen und in das Heilsgeschehen eingebettet: „Die Geschichte wird als Heilsgeschichte interpretiert, die nun ihre sichtbare Erfüllung findet“114.

Resumee Fürstbischof Johann Franz Eckher verfügte über Interesse, Sensibilität und ein Bemühen um Authentizität für die Geschichte Freisings. Die Historia Frisingensis ist mit ihrer umfangreichen pars altera instrumentaria ein Anfangspunkt quellenkritischer Geschichtsschreibung und wird so zum Zeugnis des gelehrten Freisings, das nun wieder zu Recht mons doctus tituliert werden durfte. Die populäre Kurtze chronica besitzt hohes didaktisches Potential, der lesenden Bevölkerung in erklärender Weise Geschichte und Wundertätiges zu vermitteln. Beiden Schriften gemein ist der Impetus der Verherrlichung Fürstbischof Eckhers. Die in den Schriften wie in den Predigten dargelegte Polarität Korbinians und Eckhers umfasst verschiedene Ebenen: die historische der Gründung und erneuten Blüte, die kunsthistorische eines fundator und renovator sowie die theologisch-typologische der Verheißung und Erfüllung. Wie beiläufig betont der Benediktiner Meichelbeck auch stets Wirken und Taten seines Ordens und sieht sogar Korbinian als Benediktiner. Die Regentschaft des Fürstbischofs Eckher war geprägt von der Abwehr der wiederholt versuchten Einflussnahme seitens des Wittelsbachischen Kurhauses. Letztlich musste der Fürstbischof – im Austausch gegen finanzielle Mittel zur Domrenovierung und die Stiftung einer Jubiläumsglocke – 113 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 197, aus der von Gelasius Hieber gehaltenen sechsten Predigt Das 61. capitel des Isaiae des propheten ausgelegt. 114 HAWEL, Kirchenbau (wie Anm. 49) 357.

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nachgeben und Prinz Johann Theodor als Koadjutor und designierten Nachfolger akzeptieren. Doch die Jubelfeiern, denen am ersten Tag die Kurfürstenfamilie beiwohnte, waren eine einzige Demonstration Freisinger Altehrwürdigkeit und Gelehrtheit. Die Historie diente als Repräsentationsmoment. Die Fresken Cosmas Damian Asams bilden eine Hommage an die römische sakrale Kunst des 17. Jahrhunderts und visualisieren Leben, Wundertaten und Glorie Freisings und seines ersten Bischofs. Die Stuckausstattung orientiert sich an zeitgenössischer Palastausstattung, wenn auch die Wahl Egid Quirin Asams eine Entscheidung gegen flächige Eleganz französischer Provenienz bedeutete, wie sie zeitgleich im nahen kurfürstlichen Schleißheim in Mode war. Wie die Chroniken und Predigten versucht auch die prächtige Ausstattung selbst über die Kapitelle mit rhetorischer Eleganz den Gläubigen über die Freisinger Geschichte zu belehren. Der Dom als das monumentalste Relikt und sichtbarste Zeugnis der Freisinger Geschichte wurde trotz der vielfach betonten Achtung von „Gedächtnuß“ und „Antiquität“ in seiner historischen Form negiert und zugunsten einer auf Überwältigung und Überzeugung zielenden Ausstattung überblendet. Die römischen Zitate der Fresken visualisieren das Bekenntnis Fürstbischof Eckhers zum Papsttum und der römisch-katholisch-apostolischen Kirche, deren Glaube im Freisinger Bistum nie reformatorisch bedroht war und die unter dem aus niederem Adel entstammenden Johann Franz Eckher zu neuer Blüte und Festigkeit fand. So ist die Geschichte in Freising einerseits von „modernstem“ Zugriff und wissenschaftlicher Rationalität geprägt, andererseits jedoch regierte noch stets die Kraft des Glaubens an das Transzendente und das Überirdische, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, sowie die Kunst der Überzeugung in Gottes irdische[m] paradeys115.

Abstract In 1724, the diocese and the cathedral of Freising in Bavaria celebrated the millennium of their foundation. From the beginnings of the bishopric, a permanent conflict had persisted between the Bavarian dukes and the bishops of Freising. In preparation for the festivities, prince-bishop Johann Franz Eckher commissioned the Benedictine monk Karl Meichelbeck to investigate the historical sources of the diocese and compile a comprehensive chronicle. This work, the Latin Historia Frisingensis, has frequently been considered the first example of a „scientific“, source-based regional history within the Catholic parts of the Holy Roman Empire. At the same time, 115 MEICHELBECK, Danckbares Freysing (wie Anm. 89) 218.

134 Uta Coburger Meichelbeck also published a short history of Freising in German, as well as a volume containing the jubilee sermons. Moreover, prince-bishop Eckher engaged the Bavarian artists Cosmas Damian Asam and his brother Egid Quirin to redecorate the medieval cathedral. Meichelbeck’s historical work displays, on the one hand, a very „modern“ approach by making use of numerous historical sources as integral parts of its argumentation. On the other hand, it retains many aspects of traditional historiography, such as the emphasis on saints and sanctity. The juxtaposition of Freising’s first bishop, St. Corbinian, as the founder, and princebishop Eckher as the renewer of the cathedral and the diocese, recurs throughout the chronicle and the other texts. The frescoes showcase the life and the apotheosis of St. Corbinian and the glorious past and present of Freising; they are inspired by Roman Baroque art. The powerfully eloquent sermons refer less to history; instead, they praise the present glory of the bishop, the diocese and the Roman Catholic Church. Following a metaphor common to many sermons at consecration ceremonies throughout Bavaria and southern Germany, Freising is identified with the New Jerusalem and the Heavenly Paradise. The festivities, the chronicles, the art of the renovated cathedral, and the sermons all combine into an harmonious representation of the rule of prince-bishop Eckher.

War Karl Meichelbeck ein „deutscher Mauriner“? Thomas Stockinger I. Geschichte eines Forschungskonzepts Deutschland Der Begriff eines „deutschen Maurinismus“ ist nicht ganz neu; die Formulierung findet sich erstmals vor gut achtzig Jahren bei Paul Muschard, der in seiner – sehr breit gefassten – Geschichte der benediktinischen Kanonistik die von ihm dargestellten „historischen Schulen“, namentlich jene von St. Emmeram zu Regensburg, St. Blasien und Melk, allgemein in den Zusammenhang eines „Maurinismus“ stellte. In Bezug auf Bernhard Pez von Melk sprach er speziell von einem „deutschen Maurinismus“, dessen „literarischer Mittelpunkt“ Pez zu seiner Zeit gewesen sei1. Die Wortschöpfung Muschards brachte freilich kein neues Konzept auf, sondern ordnete sich in eine bestehende Perspektive ein, welche der Maurinerkongregation2 eine prägende und leitende Vorbildwirkung für gelehrte, insbesondere für historiographische Bestrebungen der deutschen Benediktiner im frühen 18. Jahrhundert zuschrieb3. Die meist katholischen, teils selbst benediktini1

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Paul MUSCHARD, Das Kirchenrecht bei den deutschen Benediktinern und Zisterziensern des 18. Jahrhunderts. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 47 (1929) 225–315, 477–596, hier 494 (St. Emmeram), 499f. (St. Blasien), 525 (Bernhard Pez). Zur allgemeinen Geschichte der Kongregation: Yves CHAUSSY, Les Bénédictins de Saint-Maur (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen-âge et Temps modernes 23–24, 2 Bde., Paris 1989–1991). Joseph BADER, Das ehemalige Kloster Sanct Blasien auf dem Schwarzwalde und seine Gelehrten-Akademie. Freiburger Diöcesan-Archiv 8 (1874) 103–253; Joseph Anton ENDRES, Korrespondenz der Mauriner mit den Emmeramern und Beziehungen der letzteren zu den wissenschaftlichen Bewegungen des 18. Jahrhunderts (Stuttgart–Wien 1899); Ignaz E. KATHREIN, Aus dem Briefverkehr deutscher Gelehrten mit den Benedictinern der Congregation von St. Maur und deren Beziehungen zu den literarischen und religiösen Bewegungen des 18. Jahrhunderts. Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner- und dem Cistercienser-Orden mit besonderer Berücksichtigung der Ordensgeschichte und Statistik 23 (1902) 111–126, 386– 403, 625–631; 24 (1903) 175–184, 446–466; Eduard Ernst KATSCHTHALER, Über Bernhard Pez und dessen Briefnachlass. Jahresbericht des k. k. Obergymnasiums zu

136 Thomas Stockinger schen Forscher, die sich hiermit beschäftigten, konnten dabei ihrerseits an die seit dem 18. Jahrhundert bestehende Kontinuität der Würdigung Jean Mabillons in seinem Wirken für die historischen Hilfswissenschaften anknüpfen und dafür auf jeder katholischen Apologetik unverdächtige Autoritäten der deutschen Historikerzunft wie Wegele4 oder Wattenbach5 verweisen. Mit ihren Forschungen wurde allerdings der Blick über die engen Grenzen der Paläographie und Diplomatik hinaus erweitert, wenn etwa Joseph Anton Endres auf die Vermittlung von positiver Theologie und kartesianischer Philosophie in den Kontakten St. Emmerams mit den Maurinern hinwies6. Deutschland Aufgegriffen und mehrfach an prominenter Stelle verwendet wurde Muschards Begriff in den 1970er Jahren von Ludwig Hammermayer. Er schränkte das Konzept aber wieder auf den Bereich der Historiographie ein. Für ihn bedeutete die Annahme des „maurinischen Beispiels“ durch deutsche Benediktiner den „Abschied von der Tradition barocker Historiographie, von bloßer Kompilatorik, Apologetik, unkritischer Hagiographie, geistlichem und weltlichem Triumphalismus und vom Festhalten an ungeprüft adaptierten Autoritäten“ zugunsten systematischer Quellensammlung, kritischer Edition und analytisch-rekonstruierender Darstellung. Dass auch Neuerungen in der Wissenschaftsorganisation mit solchen Vorhaben einhergingen, hob Hammermayer als guter Kenner der Sozietäts- und Akademiebewegung7 hervor. Wo sich allerdings die „wissenschaftliche Tätigkeit“ benediktinischer

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Melk 39 (1889) 3–106, insb. 9–11, 26–29, 35–39, 44, 89–93. Die gründlichste Durchführung eines derartigen Ansatzes lieferte später Gall HEER, Johannes Mabillon und die Schweizer Benediktiner. Ein Beitrag zur Geschichte der historischen Quellenforschung im 17. und 18. Jahrhundert (St. Gallen 1938). Franx Xaver WEGELE, Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 20, München–Leipzig 1885) 547–549; zitiert bei MUSCHARD, Kirchenrecht (wie Anm. 1) 499. Wegele spricht aber nicht von „Maurinismus“, sondern nur allgemein von Entwicklung der „historischen Hilfswissenschaften“. Wilhelm WATTENBACH, Das Schriftwesen im Mittelalter (Leipzig 1871) 9–15, der auch Organisation und Zielsetzungen der Mauriner als Voraussetzungen für die Arbeit Mabillons würdigt; zitiert bei KATSCHTHALER, Briefnachlass (wie Anm. 3) 9. ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 4. Ludwig HAMMERMAYER, Marianus Brockie und Oliver Legipont – aus der benediktinischen Wissenschafts- und Akademiegeschichte des achtzehnten Jahrhunderts. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 71 (1960) 69–121; Ludwig HAMMERMAYER, Zur Genese und Entfaltung von Aufklärung und Akademiebewegung im katholischen Oberdeutschland und zum Anteil des bayerischen Augustinerchorherrn-Stifts Polling (ca. 1717–1787), in: Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter MÜHLPFORDT, 2: Frühmoderne, hg. von Erich DONNERT (Weimar–Köln–Wien 1997) 481–507.

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Gelehrter, wie bei Anselm Desing von Ensdorf8, auf zusätzliche Fachgebiete erweiterte, etwa Profangeschichte, Geschichtsdidaktik, Pädagogik, Kanonistik und Naturphilosophie, sah Hammermayer die Grenzen des „deutschen Maurinismus“ und zugleich die „Schwelle zur katholischen Frühaufklärung“ überschritten9. Die Vorstellung eines maurinischen Einflusses auf süddeutsche Klöster wurde auch aus der Perspektive einer anderen Disziplin aufgegriffen und weiterentwickelt: der Kunstgeschichte. Christine Liebold erklärte in ihrer 1981 erschienenen Dissertation das bayerische Sakral-Rokoko zu einem „von maurinischem Denken beeinflußten Stil“. „Bestimmte theologisch-wissenschaftliche Argumentationsweisen“ hätten den „Modus der kirchlichen Kunst“ verändert10 – und zwar von einer auf affektiver Ebene wirkenden Suggestion der barocken Kunst in Richtung einer rationalen Demonstration der zu vermittelnden Inhalte. Die Thesen Liebolds sind im Einzelnen vielfach angefochten worden11, stellen allerdings die Verbindung her zwischen der Frage nach einem „Maurinismus“ und dem bedeutenden Forschungsstrang, der sich der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Kunst, 8 Ludwig HAMMERMAYER, Anselm Desing, Abt von Ensdorf, in: Bayerische Kirchenfürsten, hg. von Ludwig SCHROTT (München 1964) 238–247; Ildefons STEGMANN, Anselm Desing, Abt von Ensdorf 1699–1772. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Bayern (Studien und Mittheilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige Ergh. 4, München 1929); Anselm Desing (1699– 1772). Ein benediktinischer Universalgelehrter im Zeitalter der Aufklärung, hg. von Manfred KNEDLIK–Georg SCHROTT (Kallmünz 1999). 9 Ludwig HAMMERMAYER, Zum „deutschen Maurinismus“ des frühen 18. Jahrhunderts. Briefe der Benediktiner P. Bernhard Pez (Melk) und P. Anselm Desing (Ensdorf) aus den Jahren 1709 bis 1725. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40 (1977) 391–444, hier 392f.; vgl. Ludwig HAMMERMAYER, Die Forschungszentren der deutschen Benediktiner und ihre Vorhaben, in: Historische Forschung im 18. Jahrhundert: Organisation, Zielsetzung, Ergebnisse. 12. Deutsch-Französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris, hg. von Karl HAMMER–Jürgen VOSS (Pariser Historische Studien 13, Bonn 1976) 122–191, hier 165–170. 10 Christine LIEBOLD, Das Rokoko in ursprünglich mittelalterlichen Kirchen des bayerischen Gebietes – ein von maurinischem Denken geprägter Stil (Miscellanea Bavarica Monacensia. Dissertationen zur Bayerischen Landes- und Münchner Stadtgeschichte 98, München 1981) 29. 11 Am eingehendsten: Meinrad von ENGELBERG, Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 23, Petersberg 2005) 375–382. Tatsächlich sind die Ausführungen Liebolds zur Charakterisierung der Mauriner und ihres Einflusses „auf die bayerischen Benediktiner und auf andere Orden in Bayern“ (LIEBOLD, Rokoko [wie Anm. 10] 20– 29) nicht nur knapp, sondern auch flüchtig gearbeitet und mit etlichen Tatsachenfehlern behaftet.

138 Thomas Stockinger insbesondere der sakralen Kunst, widmet12. Der Freisinger Dom und das Wirken Karl Meichelbecks sind dabei immer wieder ein bevorzugter Untersuchungsgegenstand gewesen13. Die Kunst- und Architekturgeschichte kann auch, vor allem wenn sie neben dem Kirchen- auch den Konventbau einbezieht, dazu beitragen, die Verbindung zum Kontext der monastischen Lebensweise wiederherzustellen14. Es entspricht gewiss dem Selbstverständnis der maurinischen Benediktiner weit besser, sie nicht einseitig mit ihren Verdiensten um die Editionstechnik oder die Paläographie zu identifizieren, sondern gelehrte Betätigung – der im Übrigen ja auch nur eine winzige Minderheit der Mauriner nachging15 – als einen Baustein einer angestrebten umfassenden Erneuerung des monastischen Lebens einzuordnen16. Aus dieser Perspektive gelangt etwa Niklas Raggenbass, selbst Benediktiner in Engelberg, zur Rekonstruktion 12 Huberta WEIGL, Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert. Zur Gegenwart der Vergangenheit, in: Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit. Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild, hg. von Markwart HERZOG–Huberta WEIGL (Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N. F. 5, Konstanz 2011) 21–67. 13 ENGELBERG, Renovatio (wie Anm. 11) 249–261; Ulrike GÖTZ, Kunst in Freising unter Fürstbischof Johann Franz Eckher 1696–1727. Ausdrucksformen geistlicher Herrschaft (Sammelblatt des Historischen Vereins Freising 33, München–Zürich 1992) 147–190; Benno HUBENSTEINER, Die geistliche Stadt. Welt und Leben des Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck, Fürstbischofs von Freising (München 1954) 140–148, 177–192; vgl. in diesem Band den Beitrag von Uta Coburger. 14 Monique BUGNER, Les bâtiments de la Congrégation de Saint-Maur, in: Sous la Règle de Saint Benoît. Structures monastiques et sociétés en France du moyen âge à l’époque moderne. Abbaye bénédictine Sainte-Marie de Paris, 23–25 Octobre 1980 (Hautes Études médiévales et modernes 47, Genève 1982) 539–554; Monique BUGNER, Cadre architectural et vie monastique des bénédictins de la Congrégation de Saint-Maur (Nogent-le-Roi 1984); Bernard CHÉDOZEAU, Architecture et liturgie. La tridentinisation de l’abbatiale mauriste de Saint-Germain-des-Prés. Une église matricielle pour les églises mauristes?, in: Les Mauristes à Saint-Germain-des-Prés. Actes du Colloque de Paris (2 décembre 1999), hg. von Jean-Claude FREDOUILLE (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen Âge et Temps Modernes 36, Paris 2001) 27–46. 15 Einen Anteil von etwa 2 % errechnet Pierre GASNAULT, Les travaux d’érudition des Mauristes au XVIIIe siècle, in: Historische Forschung im 18. Jahrhundert (wie Anm. 9) 102–121, hier 103f. 16 Manfred WEITLAUFF, Die Mauriner und ihr historisch-kritisches Werk, in: Historische Kritik in der Theologie. Beiträge zu ihrer Geschichte, hg. von Georg SCHWAIGER (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 32, Göttingen 1980) 153–209. Der Beitrag bleibt freilich der Selbstdarstellung der Mauriner in hohem Maße verhaftet und damit deutlich hinter dem Stand neuerer französischer Forschung, etwa: GASNAULT, Mauristes (wie Anm. 15); Madeleine

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eines „Reformprogramms der Mauriner“, das in deutschen Abteien nach dem Vorbild der französischen Kongregation angestrebt wurde17. Thomas Wallnig konnte jüngst sogar zeigen, dass manche Stränge gerade der frühen süddeutschen Rezeption des Wirkens der Mauriner ausschließlich auf deren asketisches Schrifttum ausgerichtet waren18 und sich mit dem Hammermayer’schen „Maurinismus“ im Sinne einer Ausbreitung der historischkritischen Methode weder inhaltlich noch personell überschnitten. Wenn man also von einem „maurinischen Modell“ sprechen will, dann sollte es jedenfalls weder auf den einzigen Aspekt der Gelehrsamkeit reduziert noch als „monolithisches Programm“ vorgestellt werden, sondern als „Bündel verschiedener administrativer, methodischer, religiöser und nicht zuletzt auch diskursiver Facetten“, welche in unterschiedlicher Auswahl und Intensität, bei entsprechend verschiedenen Resultaten, in einzelnen deutschen Klöstern rezipiert wurden19.

II. Karl Meichelbeck und die Mauriner Die Beantwortung der im Titel gestellten Frage stößt mithin schon aufgrund der höchst unterschiedlichen möglichen Definitionen der Begriffe „Maurinismus“ und „maurinisch“ auf ernste Schwierigkeiten. Der andere Terminus LAURAIN, Les travaux d’érudition des Mauristes: origine et évolution, in: Mémorial du XIVe centenaire de l’abbaye de Saint-Germain-des-Prés. Recueil de travaux sur le monastère et la congrégation de Saint-Maur (Bibliothèque de la Société d’Histoire Ecclésiastique de la France, Paris 1959) 231–271; Érudition et commerce épistolaire. Jean Mabillon et la tradition monastique, hg. von Daniel-Odon HUREL (Textes et traditions 6, Paris 2003); Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010). 17 Niklas RAGGENBASS, „Harmonie und schwesterliche Einheit zwischen Bibel und Vernunft“. Die Benediktiner des Klosters Banz: Publizisten und Wissenschaftler in der Aufklärungszeit (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige Erg.bd. 44, St. Ottilien 2006) 16–88; Niklas RAGGENBASS, Reformprogramm der Benediktiner von St. Maur – Ideal und Realisierung im Kloster Banz. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 114 (2003) 175–248. 18 Thomas WALLNIG, La congrégation de Saint-Maur comme modèle d’ascèse. Exercices spirituels de Jérôme Le Contat et méditations de Claude Martin dans la traduction de Franz Mezger (Salzbourg), in: Dom Jean Mabillon (wie Anm. 16) 293–307. 19 Thomas WALLNIG, Bernhard Pez und die Mauriner. Die Entstehung eines gelehrten Kontaktes im Spannungsfeld zwischen Vorbildhaftigkeit und Anregung, in: Érudition et commerce épistolaire (wie Anm. 16) 153–175, hier 153–155.

140 Thomas Stockinger der zu diskutierenden Proposition scheint leichter zu greifen: Persönlichkeit und Werk von Karl Meichelbeck, dem Benediktbeurer Benediktiner, Archivar und Historiker. An seinen Lebensweg, der gut erforscht ist20, sei hier nur knapp erinnert: 1669 in Marktoberdorf im Allgäu geboren, besuchte er die Klosterschule in Benediktbeuern, dann das Münchner Jesuitengymnasium21, legte 1688 in Benediktbeuern Profess ab und studierte erst am Kommunstudium der Bayerischen Benediktinerkongregation, dann an der Benediktineruniversität Salzburg22. Er unterrichtete auf Wunsch des Freisinger Bischofs Johann Franz Eckher von Kapfing am dortigen Gymnasium23, dann am 20 Franz Ludwig BAUMANN, Der bayerische Geschichtsschreiber Karl Meichelbeck 1669–1734. Festrede gehalten in der öffentlichen Sitzung der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München zur Feier ihres 138. Stiftungstages am 27. März 1897 (München 1897); Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 602–611; Josef HEMMERLE, Das Bistum Augsburg, 1: Die Benediktinerabtei Benediktbeuern (Germania Sacra N. F. 28, Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz, Berlin–New York 1991) 628–636; Pirmin LINDNER, Fünf Professbücher süddeutscher Benediktiner-Abteien. Beiträge zu einem Monasticon-benedictinum Germaniae, 4: Professbuch der Benediktiner-Abtei Benediktbeuern (Kempten– München 1910) 61–73, 152–164; ergänzend: Laurentius KOCH, Der Typus des „monachus eruditus historicus“ der Barockzeit und der Frühaufklärung im süddeutsch-katholischen Raum am Beispiel des Benediktiner-Historikers P. Carl Meichlbeck, in: Literaten – Kleriker – Gelehrte. Zur Geschichte der Gebildeten im vormodernen Europa, hg. von Rudolf W. KECK–Erhard WIERSING–Klaus WITTSTADT (Beiträge zur historischen Bildungsforschung 15, Köln–Weimar–Wien 1996) 289– 302; Leo WEBER, Karl Meichelbeck OSB (1669–1734). Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 39 (2005) 129–145. 21 Maximilian LEITSCHUH, Die Matrikeln der Oberklassen des Wilhelmsgymnasiums in München (Schriften des Wilhelmsgymnasiums in München, 4 Bde., München 1970–1976) 2 35; Maximilian LEITSCHUH, Die Schüler des Wilhelmsgymnasiums, in: Festschrift zur Vierhundert-Jahr-Feier des Wilhelms-Gymnasiums 1559–1959, hg. von Siegfried HÄFNER (München 1959) 9–37, hier 20. 22 Karl MINDERA, Die Jugend Karl Meichelbecks und sein Weg zur Geschichtsforschung. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80/1–2 (1969) 61–104; zum Studium in Salzburg: Virgil REDLICH, Die Matrikel der Universität Salzburg 1639–1810, 1: Text der Matrikel (Salzburger Abhandlungen und Texte aus Wissenschaft und Kunst 5, Salzburg 1933) 198. Zu den Lehrinhalten der Salzburger Universität: Emmanuel J. BAUER, Thomistische Metaphysik an der alten Benediktineruniversität Salzburg. Darstellung und Interpretation einer philosophischen Schule des 17./18. Jahrhunderts (Salzburger Theologische Studien 1, Innsbruck–Wien 1996). 23 Martin von DEUTINGER, Zur Geschichte des Schulwesens in der Stadt Freising. Beyträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erzbisthums München und Freising 5 (1854) 209–568, hier 453; vgl. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 13) 177f.

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Kommunstudium24. In seinem Kloster war er Bibliothekar, Kustos der Anastasia-Reliquien, vor allem aber viele Jahre Archivar25. Die Bayerische Benediktinerkongregation betraute ihn mit der Führung ihrer Kongregationsannalen26. Etwas über fünf Jahre lebte er in Freising, wo er im Auftrag Eckhers für die Millenniumsfeier von 1724 die Geschichte des Bistums bearbeitete27. Am 2. April 1734 starb Meichelbeck in Benediktbeuern. In Erinnerung geblieben ist er vor allem als Verfasser der zwischen 1724 und 1729 in vier Bänden erschienenen Historia Frisingensis28 sowie des posthum veröffentlichten Chronicon Benedictoburanum29. Insbesondere die erstere Arbeit, seine Geschichte des Bistums Freising unter ausgiebiger Benutzung handschriftlicher Quellen, fand bereits unmittelbar nach ihrem Erscheinen breite Anerkennung beim gelehrten Publikum30 und gilt bis heute vielfach als das erste Geschichtswerk aus Süddeutschland, das „die Anforderungen der kritischen Methode erfüllt[e]“31 beziehungsweise „mau24 Anselm REICHHOLD, 300 Jahre Bayerische Benediktiner-Kongregation im Spiegel der wichtigsten Beschlüsse der Generalkapitel. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 95 (1984) 522–696, hier 672. Zur Institution: Stephan HAERING, Studien und Wissenschaft in der Bayerischen Benediktinerkongregation vor 1803. Ein Überblick. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 101 (1990) 121–138, hier 124–129. 25 Karl MINDERA, P. Karl Meichelbecks Benediktbeurer Archiv. Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 13 (1967) 35–46. 26 Albert SIEGMUND, Die Annales Congregationis Benedictino-Bavaricae (1684– 1772). Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 78 (1967) 144–167, hier 153–158. 27 BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 16–18; GÖTZ, Kunst in Freising (wie Anm. 13) 246–249, 260, 272–274; HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 13) 181–189; Wilhelm WÜHR, Meichelbecks Bedeutung für die deutsche Geschichtsschreibung. 225 Jahre „Historia Frisingensis“, in: Festschrift Kardinal FAULHABER zum achtzigsten Geburtstag dargebracht vom Professorenkollegium der Philosophisch-theologischen Hochschule Freising (München 1949) 219–239, hier 232–237. 28 Karl MEICHELBECK, Historia Frisingensis (4 Bde., Augsburg–Graz 1724–1729). 29 Karl MEICHELBECK, Chronicon Benedictoburanum, in quo ex incunabulis, vicissitudinibus, decrementis, incrementis monasterii, actis abbatum et aliorum virorum celebrium, historia Germaniae a saeculo Christi VIII. usque ad saeculum XVIII. [...] elucidatur, hg. von Alphons HAIDENFELD (2 Bde., München 1751). 30 Meichelbeck selbst freute sich besonders über die durch Gottfried Bessel vermittelte günstige Aufnahme am Kaiserhof, jene an der päpstlichen Kurie sowie die Rezension in den Leipziger Acta eruditorum: Hauptstaatsarchiv (HStA) München, Klosterliteralien (KL) Benediktbeuern 125 II, 72r–73r, 79r–v; Aegidius KOLB, Karl Meichelbecks Autobiographie. Das eigenhändig verfaßte Compendium Gestorum. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80/1–2 (1969) 41–60, hier 57. 31 BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 11; ähnlich WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 219.

142 Thomas Stockinger rinischen Anforderungen im wesentlichen entsprach“32. Die „Historia Frisingensis“ ist damit auch das wohl zentrale Beweisstück dafür, Meichelbeck als „Protagonist[en] im Sinne der Mauriner“33 oder mit Hammermayer als „führenden Repräsentanten“ des deutschen Maurinismus neben Bernhard Pez einzustufen34. Er zählt im Übrigen auch – zusammen mit Gottfried Bessel35, Martin Gerbert36 und eben Bernhard Pez – zu jener Handvoll süddeutscher Benediktiner, denen das epitheton ornans eines „deutschen Mabillon“ beigelegt worden ist37. Wäre dieser Ausdruck nicht nachweislich viel 32 HAMMERMAYER, Forschungszentren (wie Anm. 9) 145; ähnlich HAMMERMAYER, Maurinismus (wie Anm. 9) 404; HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 13) 192. 33 LIEBOLD, Rokoko (wie Anm. 10) 24. 34 HAMMERMAYER, Maurinismus (wie Anm. 9) 400. 35 Emmeram RITTER, Gottfried Bessel – der „deutsche Mabillon“, in: Gottfried Bessel (1672–1749). Diplomat in Kurmainz – Abt von Göttweig – Wissenschaftler und Kunstmäzen, hg. von Franz Rudolf REICHERT (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 16, Mainz 1972) 203–215; Peter G. TROPPER, Abt Gottfried Bessel (1714–1749), in: 900 Jahre Stift Göttweig 1083–1983. Ein Donaustift als Repräsentant benediktinischer Kultur. Stift Göttweig Jubiläumsausstellung, Stift Göttweig, 29. April bis 26. Oktober 1983, im Kaiser- und Fürstentrakt mit Prälatur, hg. von Gregor Martin LECHNER (Furth bei Göttweig–Wien 1983) 644–686; Edmund VAŠIýEK, Abt Gottfried Bessel von Göttweig. Ein Lebensbild (Studien und Mitteilungen aus dem kirchengeschichtlichen Seminar der theologischen Fakultät der k. k. Universität in Wien 10, Wien 1912). 36 Alfons DEISSLER, Fürstabt Martin Gerbert von St. Blasien und die theologische Methode. Eine Studie zur deutschen Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige Ergh. 15, München 1940); Franz M. HILGER, Martin Gerbert. Fürst und Abt von St. Blasien. Festschrift zur 250. Wiederkehr seines Geburtstages (Konstanz 1970); Wolfgang MÜLLER, Martin Gerbert. Abt – Landesherr – Wissenschaftler, in: St. Blasien. Festschrift aus Anlaß des 200jährigen Bestehens der Klosterund Pfarrkirche, hg. von Heinrich HEIDEGGER–Hugo OTT (München–Zürich 1983) 127–133; Georg PFEILSCHIFTER, Korrespondenz des Fürstabtes Martin II. Gerbert von St. Blasien, 1: 1752–73 (Karlsruhe 1931) VII–XII. 37 Belege aus dem 18. Jh. zu Bessel und Gerbert bringt HAMMERMAYER, Forschungszentren (wie Anm. 9) 165. Pez wurde bereits 1717 von Johann Albert Fabricius als novus quidam [...] hodie Mabillonius bezeichnet: Joannis Mabillonii Iter Germanicum et Joannis Launoii De scholis celebribus a Carolo Magno et post Carolum Magnum in Occidente instauratis liber, hg. von Johann Albert FABRICIUS (Hamburg 1717), Ad lectorem (unpag.); als „der deutsche Mabillon“ erscheint er bei ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 9. Für Meichelbeck findet sich „bayerischer Mabillon“ anscheinend erst im 20. Jh., so bei HEMMERLE, Benediktbeuern (wie Anm. 20) 276; Maximilian Joseph HUFNAGEL, Das 1500-jährige Maximilians-Jubiläum im Hochstift Freising vom Jahre 1772. Pflege frühmittelalterlicher Tradition im Zeitalter des Spätbarock, in: Bavaria christiana. Zur Frühgeschichte des Christentums in Bayern. Fest-

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älter als „deutscher Mauriner“, man wäre versucht, ihn als Superlativ desselben anzusehen. Zugleich gilt allerdings eine nähere Ausleuchtung der Verbindungen Meichelbecks zu seinen vermuteten Vorbildern in Frankreich den Autoren, die diese Urteile abgegeben haben, häufig weiterhin als Desiderat38. Es scheint somit nicht müßig, das bereits geschlossene Dossier wieder aufzumachen und die titelgebende Frage nochmals zu stellen – wobei das bisher Dargelegte sie zu präzisieren hilft. Die Frage, ob Meichelbeck ein „deutscher Mauriner“ war, bedarf einer zweifachen Ausdehnung: Aufgrund der festgestellten definitorischen Unschärfe wäre zu differenzieren, inwiefern er einer war, und aufgrund der konstatierten Lücke in einem sonst – gerade im Vergleich zu anderen klösterlichen Gelehrten – günstigen biographischen Forschungsstand ist zu fragen, wie und wann er einer wurde. Gerade diese letztere Frage hat freilich schon frühere Generationen von Biographen frustriert, und es sei vorausgeschickt, dass auch dieser Beitrag ihre endgültige Beantwortung nicht leisten kann. Dass sich manches Neue doch vorbringen lässt, ist nicht zuletzt der erfreulichen Quellenlage zu Meichelbeck geschuldet. Als Grundlagen für eine Analyse seines Verhältnisses zu den Maurinern und ihren Werken stehen einerseits seine gedruckten Arbeiten zur Verfügung, andererseits sein großteils in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrter handschriftlicher Nachlass. Dieser umfasst neben einigen ungedruckt gebliebenen Schriften die Konzepte und Druckvorlagen seiner publizierten Werke sowie kostbare autobiographische Aufzeichnungen. Hierzu zählen das knappe Compendium gestorum oder Nucleus memorabilium39, aber auch viele, teils umfängliche Berichte über seine Aktivitäten, die er den Kongregationsannalen einfügte40. schrift Adolf Wilhelm ZIEGLER, hg. von Wilhelm GESSEL–Peter STOCKMEIER (Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 27, München 1973) 205–224, hier 210; MINDERA, Benediktbeurer Archiv (wie Anm. 25) 35; REDLICH, Matrikel Salzburg (wie Anm. 22) V; Laura SCHERR, Studien zur Geschichte des Augustiner Chorherrenstiftes Ranshofen am Inn und seines Archivs. Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 21 (2008) 143–247, hier 199. Als „deutschen Mabillon“ bezeichnet ihn Georg SCHWAIGER, Kirche und Kultur im barocken Bayern. Zum 300. Geburtstag P. Karl Meichelbecks OSB. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80/1–2 (1969) 7–20, hier 20. 38 BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 32f.; HAMMERMAYER, Forschungszentren (wie Anm. 9) 142–144. 39 Bayerische Staatsbibliothek (BStB) München, Meichelbeckiana 19; ediert von KOLB, Autobiographie (wie Anm. 30); vgl. Karl DACHS, Die Meichelbeckiana der Bayerischen Staatsbibliothek. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des BenediktinerOrdens und seiner Zweige 80/1–2 (1969) 190–204, hier 200. 40 HStA München, KL Benediktbeuern 125 I–II; vgl. DACHS, Meichelbeckiana (wie Anm. 39) 190; SIEGMUND, Annales (wie Anm. 26) 163f.

144 Thomas Stockinger Vor allem zu nennen sind aber die mehr als vierzig Jahre hindurch, von 1692 bis 1734, kontinuierlich geführten Diarien Meichelbecks41. Neben ihrer Ausführlichkeit sind sie auch durch die Unverblümtheit wertvoll, mit welcher der Verfasser seinen Gefühlen oftmals freien Lauf lässt; die teils herbe Kritik an Haltungen seines Abtes und seiner Mitbrüder zeigt, dass er großes Vertrauen in die Unverletzlichkeit der Aufzeichnungen hatte, deren primärer Adressat wohl er selbst war42. Schließlich kommen noch Briefe Meichelbecks als Quellen in Frage, von denen etwas mehr als 100 erhalten sind43. Von den Möglichkeiten, mit der Maurinerkongregation Kontakt zu pflegen und auf einen Transfer von Kenntnissen und Lebensweise hinzuarbeiten, bestand die intensivste darin, dass deutsche Benediktiner einige Zeit in St.-Germain lebten und dort studierten. Pläne in dieser Richtung waren bereits nach der Deutschlandreise Mabillons von 1683 ventiliert worden44, ernst wurde es damit aber erst um 1720. Aus St. Emmeram zu Regensburg wurde Johann Baptist Kraus 1721 zu einem etwa zweijährigen Aufenthalt entsandt45, wenig später aus St. Blasien Marquard Herrgott46. Bernhard Pez, 41 BStB München, Meichelbeckiana 18a–18c; vgl. DACHS, Meichelbeckiana (wie Anm. 39) 199; MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 70. Deutschland 42 Hierfür spricht nicht zuletzt, dass Meichelbeck in den frühesten Eintragungen von sich selbst in der zweiten Person Singular spricht; vgl. HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 13) 178; MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 70; WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 226. Ab etwa 1697 ging er zur ersten Person über. 43 Obwohl unvollständig geblieben, ist die Edition dieser Briefe höchst wertvoll: Albert SIEGMUND, P. Karl Meichelbecks Briefe. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80/1–2 (1969) 105–189; 81 (1970) 261– 314. Eine Übersicht der erhaltenen Stücke ebd. 80/1–2 107–115. 44 Eine Anfrage des Abtes Benedikt Hornstein von Ottobeuren an Mabillon zu einem möglichen Aufenthalt seines Konventualen Sebastian Textor findet sich in: Bibliothèque nationale de France (BNF), Fonds français 19679, 134r–v (undatiert, zwischen 1683 und 1688). Zu der Reise kam es wohl nicht; nichts wissen davon Pirmin LINDNER, Album Ottoburanum. Die Äbte und Mönche des ehemaligen freien ReichsStiftes Ottobeuren, Benediktiner-Ordens in Schwaben und deren literarischer Nachlass von 764 bis zu ihrem Aussterben (1858). Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 30 (1903) 77–142; 31 (1904) 1–90, hier 30 141f.; Walter STEINBÖCK, P. Sebastian Textor. Das Leben und Wirken des Ottobeurer Mönches und Salzburger Universitätsprofessors zur Zeit des Fürsterzbischofs Ernst Thun. Versuch einer Biographie. Ein Beitrag zur Geschichte der Salzburger BenediktinerUniversität. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 83 (1972) 755–834, hier 787f. 45 ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 17–27; Egon Johannes GREIPL, Abt und Fürst. Leben und Leistung des Reichsprälaten Johann Baptist Kraus von St. Emmeram zu Regensburg (1700–1762) (Regensburg 1980) 38–40. 46 Josef Peter ORTNER, Marquard Herrgott (1694–1762). Sein Leben und Wirken als Historiker und Diplomat (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Öster-

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der eine solche Studienreise schon seit mehr als zehn Jahren anstrebte, konnte sie nach vielfältigen Widerständen seines Abtes 1728 endlich antreten47. Dass Meichelbeck, der um diese Zeit bereits das fünfzigste Lebensjahr hinter sich hatte, nie nach Paris ging, ist nicht allzu erstaunlich; es sei jedoch festgehalten, dass auch an die Entsendung eines jüngeren Benediktbeurers nicht gedacht worden zu sein scheint. Jedenfalls findet sich darauf in den Quellen nirgends ein Hinweis. Freilich waren die Hürden für eine solche Reise hoch – nicht nur finanziell, denn der Aufenthalt in Paris war teuer48, sondern auch politisch und institutionell. Das Reichsstift St. Blasien hatte es hier nicht nur der bloßen Entfernung halber leichter als das bayerisch-landständische Kloster Benediktbeuern. Dietmayr, Berthold Die wichtigste Form direkter Verbindung mit St.-Germain war jedoch Korrespondenz. Die Maurinergelehrten kannten den Wert brieflicher Kommunikationsnetze als Nervengeflecht der res publica literaria zur Genüge und waren sehr bemüht um die Pflege von commercia literaria auch über nationale und konfessionelle Grenzen hinweg49; gerade benediktinischen Mitbrüdern aus dem Ausland gaben sie meist bereitwillig Antwort. Bernhard Pez gelang die Anknüpfung einer Verbindung noch 1709, als der Spanische Erbfolgekrieg in vollem Gange war, über die Vermittlung St. Gallens50. reichs 5, Wien 1972) 18–24; vgl. BADER, Sanct Blasien (wie Anm. 3) 177f.; DEISSGerbert (wie Anm. 36) 39. KATSCHTHALER, Briefnachlass (wie Anm. 3) 89–93; HAMMERMAYER, Maurinismus (wie Anm. 9) 407; WALLNIG, Pez und Mauriner (wie Anm. 19) 161. 1714 wurden die jährlichen Kosten mit 500 Livres beziffert: Thomas WALLNIG– Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010) 599–602 Nr. 364 (René Massuet an Bernhard Pez, 5. Oktober 1714); vgl. LAURAIN, Travaux d’érudition (wie Anm. 16) 246f. Daniel-Odon HUREL, La correspondance des Bénédictins de la Congrégation de SaintMaur (XVIIe – XVIIIe siècles): corpus et pratiques de sociabilité, in: Correspondance et sociabilité, hg. von Daniel-Odon HUREL (Publications de l’Université de Rouen 201, Rouen 1994) 59–66; Daniel-Odon HUREL, Correspondance épistolaire et vie monastique chez les bénédictins de la Congrégation de Saint-Maur (XVIIe – XVIIIe siècles). Recherches Augustiniennes 27 (1994) 187–212. WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 48) 74–76 Nr. 24, 81–85 Nr. 32, 117–122 Nr. 48; vgl. Gall HEER, P. Bernhard Pez von Melk OSB (1683–1735) in seinen Beziehungen zu den Schweizer Klöstern. Ein Kapitel benediktinischer Geistesgeschichte des frühen 18. Jahrhunderts, in: Festschrift Oskar VASELLA. Zum 60. Geburtstag am 15. Mai 1964 überreicht von Schülern und Freunden (Freiburg 1964) 403–455, hier 403–405; KATSCHTHALER, Briefnachlass (wie Anm. 3) 23; Thomas STOCKINGER, „Fidelis tametsi inutilis servus“. P. Moritz Müller OSB (St. Gallen) in seiner historisch-literarischen und politisch-diplomatischen Tätigkeit im Spiegel seiLER,

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146 Thomas Stockinger Kaspar Erhardt51 in St. Emmeram stellte spätestens 1715 einen ersten Kontakt mit Pez’ Briefpartner René Massuet52 her. Aus dem Zeitraum bis 1738 sind insgesamt 43 Schreiben von zehn verschiedenen Maurinern nach St. Emmeram überliefert, die Korrespondenz setzte sich bis ins späte 18. Jahrhundert fort53. Auch mehrere schwäbische Benediktinergelehrte standen in regelmäßigem Kontakt mit den Parisienses oder Galli nostri, wie man die französischen Ordensbrüder oft nannte54. Schwaben Paris Frankreich Dass auch Meichelbeck ein Korrespondent der Mauriner gewesen sei, ist der Literatur an einigen Stellen zu entnehmen55. Die erhaltenen Bestände der Maurinerkorrespondenz in der Pariser Bibliothèque nationale56 enthalten jedoch keinen Brief von ihm; freilich ist diese Sammlung zwar umfangreich, aber keineswegs vollständig. Die von Meichelbeck erhaltenen Briefe, die er selbst akribisch sammelte, sind heute nahezu vollständig verloren57. In

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ner Korrespondenz 1709–1714. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 118 (2007) 339–432, hier 348–355. ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 9–26; Friedrich LAUCHERT, Erhard: Kaspar, in: Allgemeine Deutsche Biographie, 48 (Leipzig 1904) 392–393; WALLNIG– STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 48) 800. René-Prosper TASSIN, Histoire littéraire de la congrégation de Saint-Maur, ordre de S. Benoît (Bruxelles 1770) 375–379; vgl. CHAUSSY, Bénédictins (wie Anm. 2) 2 58; Yves CHAUSSY, Matricula Monachorum Professorum Congregationis S. Mauri in Gallia Ordinis Sancti Patris Benedicti. Ab initio eiusdem Congregationis, usque ad annum 1789 (Bibliothèque d’histoire et d’archéologie chrétiennes, Paris 1959) 71; Jean-Baptiste VANEL, Les Bénédictins de Saint-Germain-des-Prés et les savants lyonnais d’après leur correspondance inédite (Paris–Lyon 1894) 289–375. Eine Übersicht findet sich bei ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 5f. Beispielsweise Anselm Fischer in Ochsenhausen oder Felix Egger in Petershausen: WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 48) 110–113 Nr. 43, 181f. Nr. 94, 355f. Nr. 219, 391–394 Nr. 246, 394–400 Nr. 248, 465–467 Nr. 281; Briefe Eggers in: BNF, Fonds français 17706, 156r–157v; 19652, 194r–195v; 19662, 98r– v; 19664, 119r–128v; Fischer: ebd. Fonds français 19664, 138r–139v; 19665, 310r–313v. Ochsenhausen Petershausen ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 10f.; LIEBOLD, Rokoko (wie Anm. 10) 25, 124; Richard VAN DÜLMEN, Anfänge einer geistigen Neuorientierung in Bayern zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Eusebius Amorts Briefwechsel mit Pierre-François Le Courayer in Paris. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 26 (1963) 493–559, hier 495, 499. Alle beruhen auf dem in Anm. 60 angegebenen Beleg Baumanns. BNF, Fonds français 12803–12804, 17667, 17678–17713, 19639–19681, 20941, 22313, 25537–25538; BNF, Fonds latin 11645, 11656–11657, 11662, 11664, 11666, 12658–12703, 12706; vgl. Pierre GASNAULT, La correspondance des Mauristes aux XVIIe et XVIIIe siècles, in: Sous la Règle de Saint Benoît (wie Anm. 14) 293–304, hier 293f. Baumann, Franz Ludwig SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 104f.; vgl. LINDNER, Professbuch Benediktbeuern (wie Anm. 20) 65. In HStA München, KL Fasz. 102/17a, sind einige Originalbriefe an Meichelbeck unter anderem von dem Hofkammer-

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seinem Diarium allerdings pflegte Meichelbeck erhaltene wie versandte Briefe zu verzeichnen, auch dies zwar nicht lückenlos, aber doch in überwiegender Zahl. Festzustellen ist nun, dass die vollständige Durchsicht dieser Diarien nicht eine einzige Erwähnung eines Briefwechsels mit einem Mauriner oder überhaupt mit irgendeinem Korrespondenten in Frankreich ergibt. Den einzigen bisher bekannten Beleg für einen solchen Kontakt liefert ein Auszug aus einem Brief von Pierre Thibault58, den Meichelbeck seinen Kongregationsannalen zum Jahr 1725 einfügte. Eingeleitet wird das Zitat mit den Worten: „Um etwa dieselbe Zeit kam von Paris aus dem Kloster St.-Germain-des-Prés ein Antwortbrief des hochwürdigen Paters Pierre Thibault an uns, welcher von einem der unseren über die in der Kongregation des Hl. Maurus gewöhnlich gehaltene Studienordnung befragt worden war“59. Franz Ludwig Baumann, der als Erster auf diese Passage hinwies, deutete quidam ex nostris als Umschreibung für Meichelbeck selbst, der sich auch an weiteren Stellen auf diese Art verhüllt60 – an vielen anderen jedoch namentlich von sich selbst spricht. Auch hier bietet das Diarium während des gesamten fraglichen Jahres keinerlei Hinweis, dass Meichelbeck eine Anfrage nach Paris geschrieben oder eine Antwort Thibaults erhalten hätte61. Dass er gerade einen so außergewöhnlichen Brief nicht erwähnen sollte, wäre erstaunlich und gegen seine sonstige Gewohnheit. Es ist daher in Betracht zu ziehen, dass Baumann geirrt haben und der Korrespondent Thibaults doch ein anderer bayerischer Benediktiner gewesen sein könnte. Hierzu ließe sich etwa die folgende Konjektur aufstellen, für die freilich ein substantieller Quellenbeleg ebenso fehlt wie für Meichelbeck als

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beamten Karl Peter in Innsbruck und dem Schneider Georg Karl in Rom erhalten; keines dieser Stücke betrifft gelehrte Themen. Prior von St.-Germain-des-Prés 1720–1725, Generalsuperior der Mauriner 1725– 1729: CHAUSSY, Bénédictins (wie Anm. 2) 1 139–157; 2 52; CHAUSSY, Matricula (wie Anm. 52) 65; Jean-Baptiste VANEL, Les Bénédictins de Saint-Maur à SaintGermain-des-Prés 1630–1792. Nécrologe des religieux de la Congrégation de Saint-Maur décédés à l’Abbaye de Saint-Germain-des-Prés (Paris 1896) 341, 348. HStA München, KL Benediktbeuern 125 I, 80v: Eodem fere tempore venere Parisiis ex monasterio S. Germani a Pratis ad nos literae responsoriae reverendi patris Petri Thibaudt, qui a quodam ex nostris interrogatus fuerat super ratione studiorum in congregatione sancti Mauri observari solita. BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 48; vgl. STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 232f. – VAN DÜLMEN, Anfänge (wie Anm. 55) 495, zitiert aus derselben Passage der Annalen unter der irrigen Behauptung, es handle sich um einen Brief Meichelbecks an den Mauriner Vincent Thuillier. BStB München, Meichelbeckiana 18c, 134v–165v.

148 Thomas Stockinger Empfänger des Briefes von Thibault. Im Herbst 1725 kam der junge Anselm Desing als neuer Professor der Rudimenta ans Freisinger Gymnasium62, wo er vielfachen Kontakt mit Meichelbeck hatte63 und diesem später auch bei den Arbeiten am zweiten Band der Historia Frisingensis zur Hand ging64. Zugleich leistete er in seiner Freisinger Zeit große Beiträge zur Umstellung der Lehrmethoden des Gymnasiums unter Forcierung des Geschichtsunterrichts65. Dass er dabei auf die Mauriner und besonders auf Mabillons Traité des études monastiques66 rekurrierte, ist gut nachweisbar. Bereits in seinem Erstlingswerk Methodus contracta historiae, das er 1725 kurz vor dem Gang nach Freising veröffentlichte, findet sich eine Würdigung der historischen Leistungen der Mauriner unter explizitem Verweis auf den Traité, freilich in Kombination mit Darlegungen zu Wesen und Inhalt der Geschichte, die noch zutiefst von der scholastischen Philosophie geprägt sind67. In seinem universalgeschichtlichen Abriss Compendium eruditionis von 1728 findet sich ein ausführlicheres Elogium Mabillons, den „die neueste Zeit als Fürsten der Gelehrsamkeit“ verehre68; auch in einem Brief von 1731 empfahl Desing den Traité zur Unterweisung des benediktinischen Nachwuchses69. Somit erscheint es zumindest plausibel, dass er um 1725 an einer Kontaktaufnahme mit den Maurinern in Fragen der Studienordnung interessiert gewesen sein könnte. Er stand nachweislich in Verbindung mit den Gelehrten von St. Emmeram, zu deren Korrespondenten unter den Maurinern Thibault zählte70. Über die Emmeramer, Desing oder beide könnte der Brief an Meichelbeck und in die Annales gelangt sein. Falls dies zutrifft, dann wären alle 62 63 64 65 66

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STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 20f. BStB München, Meichelbeckiana 18c, 162r (28. 10. 1725), 164v (16. 12. 1725). STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 27. STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 22f. Jean MABILLON, Traité des études monastiques, divisé en trois parties (Paris 1691); Jean MABILLON, Tractatus de studiis monasticis divisus in tres partes, übers. von Ulrich STAUDIGL (Kempten 1702). Anselm DESING, Methodus contracta historiae (Amberg 1725) 1 16r–17r; vgl. STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 156–159. Anselm DESING, Compendium eruditionis (München 1728) 222: [...] quem aetas proxime lapsa eruditionis principem adorat; zu diesem Werk vgl. Guillaume VAN GEMERT, Katholische Bildung an der Schwelle zur Aufklärung zwischen Tradition und Neuorientierung. Anselm Desings Compendium Eruditionis (1728) als pädagogische Programmschrift, in: Anselm Desing (wie Anm. 8) 164–184. Johannes SCHABER, Zwischen Barockscholastik und Kirchenväterrenaissance. Anselm Desing im Wandel benediktinischer Studienreformen des 18. Jahrhunderts, in: Anselm Desing (wie Anm. 8) 106–131, hier 121. HAMMERMAYER, Desing (wie Anm. 8) 241; HAMMERMAYER, Maurinismus (wie Anm. 9) 414f. Erhalten sind vier Briefe Thibaults nach St. Emmeram: ENDRES, Korrespondenz (wie Anm. 3) 73–76.

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Angaben der Literatur über Meichelbecks Maurinerkorrespondenz hinfällig, denn bei näherer Betrachtung gehen sie durchwegs auf Baumann zurück – wenn sie dessen Angabe auch teils überinterpretieren, bis zur haltlosen Behauptung, für Meichelbeck lasse sich „von 1715 an [...] ein ständiger Briefwechsel mit den Maurinern nachweisen“71. Selbst wenn dieser Beleg auszuscheiden ist, beweist das sonstige Schweigen der Quellen nicht zweifelsfrei, dass der Benediktbeurer nie einen Brief nach St.-Germain geschrieben oder von dort erhalten habe. Festgehalten sei hier allerdings, dass er regelmäßige Korrespondenz mit maurinischen Gelehrten, die mit jener der Emmeramer oder Melker zu vergleichen wäre, nicht geführt hat. Eine verwandte Frage ist die der Wissenschaftsorganisation und des höheren Bildungswesens. Die Bedeutung der Prälatenorden, speziell der Benediktiner und Augustiner-Chorherren, für die Akademiebewegung in Süddeutschland ist von Hammermayer, Andreas Kraus und Alois Schmid in zahlreichen Publikationen herausgestrichen worden72. Es ist auch unbestreitbar, dass das Vorbild der Mauriner einige dieser Bemühungen inspirierte: bei Pez, dessen Wiener Akademievorschläge in einer ersten Phase von dem jungen Johann Christoph Bartenstein unter Berufung auf Montfaucon angeregt wurden73, später nach seinem Pariser Aufenthalt neuen Elan erhielten, aber auch etwa bei dem Maurinerschüler Marquard Herrgott74. In diesen Belangen ist ein gewisses Interesse bei Meichelbeck jedenfalls festzustellen, zumindest im Hinblick auf eine ordensinterne Studienreform. Dass er den erwähnten Brief Thibaults seinen Annalen inserierte, spricht dafür; seine eigene beigefügte Äußerung dazu, wie wünschenswert eine solche Studien71 LIEBOLD, Rokoko (wie Anm. 10) 25. 72 Vgl. Anm. 7; HAMMERMAYER, Forschungszentren (wie Anm. 9) 153–165; Andreas KRAUS, Zur bayerischen Akademiebewegung im 18. Jahrhundert, in: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, hg. von Klaus GARBER–Heinz WISMANN–Winfried SIEBERS (Frühe Neuzeit 26/27, 2 Bde., Tübingen 1996) 2 1598–1616, hier 1600–1602; Alois SCHMID, Das Augustiner-Chorherrenstift Polling und die Gründung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759 (Schriftenreihe der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim 10, Paring 2005). 73 Christine GLASSNER, Bernard Pez et les tentatives pour créer une académie bénédictine en Autriche, in: Académies et sociétés savantes en Europe (1650–1800), hg. von Daniel-Odon HUREL–Gérard LAUDIN (Colloques, congrès et conférences sur le Classicisme 1, Paris 2000) 491–507; vgl. WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 48) 9. 74 BADER, Sanct Blasien (wie Anm. 3) 181f.; HAMMERMAYER, Forschungszentren (wie Anm. 9) 155f.; ORTNER, Herrgott (wie Anm. 46) 44–46.

150 Thomas Stockinger ordnung für die bayerischen Benediktiner wäre, ließ es an Deutlichkeit nicht mangeln75. Schon einige Jahre früher hatte er ähnlich reges Interesse für einen Brief des Chorherren von Ste.-Geneviève Pierre-François Le Courayer gezeigt, den ihm der Pollinger Eusebius Amort76 mitteilte; darin ging es ebenfalls unter anderem um die in Paris gepflogene Studienordnung77. Dass Meichelbeck schon lange der scholastischen Lehrmethode abgeneigt war, wird im Folgenden gezeigt werden; er setzte auch später selbst Initiativen78. An in den 1730er Jahren gegen einigen Widerstand in Gang gebrachten Bemühungen um eine Reform des Kommunstudiums der Bayerischen Kongregation war er in seinen letzten Lebensjahren noch beteiligt79. Wo es allerdings um Wissenschaftsorganisation über die Grenzen des Ordens hinweg ging, blieb Meichelbeck zurückhaltend: Als ihm 1722 die Mitarbeit an der Zeitschrift Parnassus Boicus angetragen wurde, lehnte er unter Angabe zu großer Arbeitsbelastung ab80. Die Gründe dieses Abstandhaltens sind nicht eindeutig zu bestimmen. Die Entscheidung lag gewiss nicht bei Meichelbeck allein, sondern stets auch bei seinen Superioren. Unwillen zum fortgesetzten Kontakt mit dem 75 Abgedruckt bei BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 49. 76 Zu ihm jetzt Karin PRECHT-NUßBAUM, Zwischen Augsburg und Rom. Der Pollinger Augustiner-Chorherr Eusebius Amort (1692–1775). Ein bedeutender Repräsentant katholischer Aufklärung in Bayern (Publikationen der Akademie der AugustinerChorherren von Windesheim 7, Paring 2007). 77 Der Brief Le Courayers abgedruckt bei VAN DÜLMEN, Anfänge (wie Anm. 55) 517–521; vgl. PRECHT-NUßBAUM, Zwischen Augsburg und Rom (wie Anm. 76) 150f. Zur Weitergabe an Meichelbeck vgl. BStB München, Meichelbeckiana 18b, 353v (22. Mai 1719); SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 81 263–265 Nr. 36. Meichelbecks Eintrag dazu in den Kongregationsannalen zeigt freilich, dass sein größtes Interesse an dem Brief nicht Studienfragen, sondern Passagen zum Vorrangstreit zwischen Benediktinern und Regularkanonikern galt: HStA München, KL Benediktbeuern 125 I, 409r–410r. 78 Bei einem Besuch in Benediktbeuern während seiner Freisinger Zeit vermerkt Meichelbeck in seinem Diarium zum 11. Oktober 1726: Agimus de theologia aliter docenda (BStB München, Meichelbeckiana 18c, 188r); vgl. STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 233f. 79 Wilhelm FINK, Beiträge zur Geschichte der bayerischen Benediktinerkongregation. Eine Jubiläumsschrift 1684–1934 (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige Ergh. 9, Metten–München 1934) 88– 90; HAERING, Studien (wie Anm. 24) 127; REICHHOLD, 300 Jahre (wie Anm. 24) 566; STEGMANN, Desing (wie Anm. 8) 234f., der die Einbeziehung Meichelbecks belegt. 80 KOLB, Autobiographie (wie Anm. 30) 56; vgl. PRECHT-NUßBAUM, Zwischen Augsburg und Rom (wie Anm. 76) 219f., die wohl mit Recht die Spannungen zwischen Benediktinern und Augustiner-Chorherren als Hintergrund vermutet; die wichtigsten Herausgeber des Parnassus waren Chorherren um Eusebius Amort.

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konfessionell oder theologisch Fremdartigen dürfte aber durchaus bei ihm selbst vorgelegen sein. Dies war wohl auch für seine Distanz zu den Maurinern mit ein Grund. 1716 hatte er im Briefwechsel mit Bernhard Pez noch darum gebeten, dass ihm dieser den Kontakt zu seinem Korrespondenten René Massuet vermitteln möge, dem er einige Fragen zur Geschichte der Karolinger unterbreiten wollte81. Zunächst war es der plötzliche Tod Massuets, der dieser Intention einen Riegel vorschob; Pez gelang jedoch rasch die Wiederaufnahme des Kontakts mit St.-Germain. 1717 allerdings schrieb Meichelbeck seinem Melker Freund, was er über die Haltung der Mauriner im Streit um die Konstitution Unigenitus erfahren habe, sei ihm unangenehm: „Gewiss war es bis jetzt in der Kirche Gottes und im Orden des heiligen Vaters Benedikt besser, dem Papst anzuhängen als den Königen. Haben etwa jene Herren Franzosen aus unserem Orden in ihren Codices etwas Gegenteiliges gefunden?“82 Danach ist von einer Kontaktaufnahme nicht mehr die Rede.

III. Entwicklung der Arbeitsweise Meichelbecks Was als Weg der Maurinerrezeption bei Meichelbeck bleibt, ist die Lektüre der Werke von Maurinergelehrten und deren Verwendung in und für seine eigenen Arbeiten83. Als letzter Teil der Untersuchung sollen daher im Folgenden die historischen Arbeiten Meichelbecks in einer – notgedrungen knappen – chronologischen Revue ins Auge gefasst werden. Seine erste tätige Berührung mit der Historie hatte er, soweit bekannt ist, während seiner Salzburger Studienzeit, als er von Paul Mezger84 als Amanuensis rekrutiert 81 Am 8. Januar 1716; abgedruckt bei SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 150–152 Nr. 19; vgl. WEBER, Meichelbeck (wie Anm. 20) 131. 82 Stiftsarchiv Melk, Kt. 7 Patres 7, Bd. II, 690r–692v (Meichelbeck an Bernhard Pez, 9. Februar 1717): Sed quid hoc aliunde audio de Gallis nostris, quod scilicet notae pontificis constitutioni sese inter primos opponant? Certe hactenus in ecclesia Dei et in ordine sancti patris Benedicti praestabat adhaerere pontifici quam regibus. Repereruntne nostri illi domini Galli in suis codicibus quidquam contrarium? Abgedruckt bei SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 170–173 Nr. 26; vgl. ebd. 81 270–272 Nr. 41, zur Haltung der Sorbonne gegenüber Unigenitus. 83 Dies betonen auch BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 32f.; BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 602; MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 103f.; vgl. KOCH, Monachus eruditus (wie Anm. 20) 295f., 298; WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 225–230. 84 Pirmin LINDNER, Professbuch der Benediktiner-Abtei St. Peter in Salzburg (1419– 1856). Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 46 (1906) 1–328,

152 Thomas Stockinger wurde. Meichelbeck half dem Mitautor der Historia Salisburgensis85 1694 bei der Anfertigung von Streitschriften in der Kontroverse mit dem AugustinerChorherren Augustin Erath um die Passauer Exemption86. Sehr bald nach seiner Rückkehr aus Salzburg wurde Meichelbeck die Leitung der Bibliothek anvertraut. Eine gerade einen Monat später datierte Diariumsnotiz vermerkt, dass er die Anschaffung von opera Mabillonii nostri vorschlug, welche allerdings Abt Eliland Öttl aus Kostengründen verweigerte87. Um welche Werke es sich handelte, ist an dieser Stelle nicht zu ersehen. Die Schwierigkeit wurde nicht rasch ausgeräumt. Noch 1711 musste Meichelbeck das hilfswissenschaftliche Standardwerk De re diplomatica88 aus Tegernsee entlehnen89, und erst 1716 konnte er nach langen Bemühungen Öttls Nachfolger Magnus Pachinger für den Ankauf von Mabillons Annales ordinis sancti Benedicti gewinnen90. Nachweisbar ist bereits für die frühen Jahre auch, dass sich Meichelbeck intensiv der Durchsicht der Benediktbeurer Handschriften zuwandte.

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hier 65–68; Rupert MITTERMÜLLER, Die Hauptvertreter der theologisch-philosophischen Wissenschaft an der Benedictiner-Universität Salzburg. Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner- und dem Cistercienser-Orden mit besonderer Berücksichtigung der Ordensgeschichte und Statistik 5/1 (1884) 122–148, hier 135–138; vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 392; WALLNIG, Modèle (wie Anm. 18) 301f. [Joseph MEZGER–Franz MEZGER–Paul MEZGER], Historia Salisburgensis, hoc est Vitae episcoporum et archiepiscoporum Salisburgensium nec non abbatum monasterii S. Petri ibidem (Salzburg 1692). Zur Salzburger Benediktinerhistoriographie vgl. den Beitrag von Barbara Lawatsch Melton in diesem Band. MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 79. Zum Streit: Thomas STOCKINGER, Felix mansurus, si tacuisset, Erath. Augustin Erath CRSA (1648–1719), Propst von St. Andrä an der Traisen, als Historiograph und historisch-politischer Kontroversist. Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg N. F. 20 (2008) 151–208, hier 161–172. BStB München, Meichelbeckiana 18a, 146v (25. April 1696); MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 96f., jedoch fälschlich zum 28. April 1696. Zu Öttl: HEMMERLE, Benediktbeuern (wie Anm. 20) 525–529; LINDNER, Professbuch Benediktbeuern (wie Anm. 20) 10f. Jean MABILLON, De re diplomatica libri sex (Paris 1681). BStB München, Meichelbeckiana 18b, 143v (14. Juni 1711); vgl. MINDERA, Benediktbeurer Archiv (wie Anm. 25) 37. BStB München, Meichelbeckiana 18b, 267v (9. Januar 1716): Vix non opus est strepitu, ut reverendissimus emat Annales nostri ordinis, qui iam ante multos annos in parvulis monasteriis fuerunt lecti; ebd. 283v (18. September 1716): Obtineo a reverendissimo tandem Annales nostri ordinis, quinque tomos. Es handelte sich also nicht bloß um den Nachkauf der zuletzt erschienenen Bände, sondern um das ganze Werk: Jean MABILLON et al., Annales ordinis sancti Benedicti (6 Bde., Paris 1703– 1739), bis auf den erst viel später publizierten sechsten Band. Zu Pachinger: HEMMERLE, Benediktbeuern (wie Anm. 20) 529–535; LINDNER, Professbuch Benediktbeuern (wie Anm. 20) 11–13.

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Im März 1697 gelang ihm in einem Codex der Bibliothek eine rechtlich bedeutsame Entdeckung, nämlich die Auffindung einer Notiz vom Anfang des 12. Jahrhunderts über eine Besitzteilung zwischen Benediktbeuern und Schlehdorf nahe dem Walchensee91. Da sein Kloster bereits seit Jahren mit dem benachbarten Augustiner-Chorherrenstift sowie mit den HieronymitanerEremiten, die auf dem strittigen Gebiet in den 1680er Jahren eine Niederlassung errichtet hatten, in einem für Benediktbeuern ungünstig verlaufenden Rechtsstreit lag92, war der Fund von keineswegs nur antiquarischem Interesse. Meichelbeck tadelte zwar seine Vorgänger, die von diesem Rechtstitel nichts geahnt hatten; der Fundort in einer wesentlich älteren Handschrift mit Gregors des Großen Regula pastoralis93 legt jedoch eher Zeugnis ab für seine eigene außerordentliche Genauigkeit. Die Jahre am Freisinger Gymnasium dürften wenig Gelegenheit zu historischer Forschung gegeben haben, wohl aber vertrat Meichelbeck sein Kloster im Streit mit den Eremiten und in weiteren Rechtsgeschäften94. Die Berufung an das Kommunstudium, wo er erst Philosophie, dann Theologie zu unterrichten hatte, war insoweit auch nicht gerade eine Einladung zur Geschichtsforschung. Meichelbeck brachte diese allerdings ein, wo sie gar nicht vorgesehen war. Die monatlichen Exercitationes, die er seinen Studenten zu disputieren gab – zugleich seine ersten gedruckten Arbeiten – sind schon frühzeitig als Vorzeichen seiner späteren Leistungen gewertet worden. Sein Schüler und Biograph Alphons Haidenfeld etwa schrieb darüber: „Die philosophischen und theologisch-spekulativen Feinheiten vermischte er nämlich in solcher Weise mit soliden dogmatischen, historischen, kritischen und dergleichen Fragen, dass sie auch denen nützlich und angenehm sein würden, denen nicht so sehr die scholastischen Widerwärtigkeiten als viel91 BStB München, Meichelbeckiana 18a, 174v (28. März 1697): Invenis in bibliotheca vetustissimum manuscriptum de divisione nemoris in peninsula Wallerseensi facta circa annum Domini 1100. Stupes cum aliis, quod ii, quos concerneret res ista, similia penitus non investigent; vgl. MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 97. 92 Hermann HÖRGER, Geistliche Grundherrschaft und nachtridentinisches Frömmigkeitsbedürfnis. Die Abtei Benediktbeuern im Kampf gegen das Eremitorium Walchensee (1687–1725). Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 47 (1978) 69–84; Anton SCHMID, Die Nachblüte der Abtei Benediktbeuern nach dem dreißigjährigen Kriege. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 42 (1924) 71–156, hier 94f.; vgl. HEMMERLE, Benediktbeuern (wie Anm. 20) 236f., 532; WEBER, Meichelbeck (wie Anm. 20) 135f.; WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 229f. 93 BStB München, clm 4614, 143r–v; vgl. Günter GLAUCHE, Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis, 3/Series Nova 1: Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die Pergamenthandschriften aus Benediktbeuern Clm 4501–4663 (Wiesbaden 1994) 200. 94 MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 98.

154 Thomas Stockinger mehr wahrhaftigere Gelehrsamkeit und Kenntnis kirchlicher und monastischer Geschichte am Herzen lagen“95. Auch neuere Autoren haben diese Arbeiten als bedeutsam eingestuft96, ja sogar als „entscheidenden Wendepunkt zum Geschichtsfach bei dem herangereiften Gelehrten“ gedeutet97. Ein näherer Blick in diese sich über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren erstreckenden Schriften dürfte sich also lohnen. Ab der dritten philosophischen Übung von 1702 wird die von Haidenfeld angesprochene Mischung von scholastischen Thesen und historischen Inhalten erkennbar. Diese Exercitatio handelt von Wesen und Eigenschaften der Logik; die einzelnen Punkte bestehen jedoch in der Regel aus einem einzigen Satz, der in den Begrifflichkeiten der scholastischen Philosophie eine dieser Eigenschaften beschreibt, gefolgt von langen historischen Ausführungen über das Vorliegen derselben Eigenschaft beim Hl. Benedikt und seinem Orden. Etwa beginnt die elfte Position: „Wir halten die wissenschaftliche Logik für den anderen Wissenschaften überaus nützlich, ja sogar für schlichtweg notwendig, um diese im vollendeten Stande zu erlangen. – Du fragst, ob der Orden unseres heiligen Vaters Benedikt für die Kirche Gottes nützlich gewesen ist? Ich bejahe es“. Darauf folgen vier Seiten Darlegungen über benediktinische Verdienste um die Kirche, die mit der Logik nichts zu tun haben98. Ähnlich sind auch die folgenden Exercitationes aufgebaut. Die historischen Ausführungen sind an die philosophischen Positionen zumeist nur über ein einzelnes Wort angeknüpft, wobei dessen präzise definierte scholastische Bedeutung nicht respektiert, ja teils geradezu abgetan wird. In der fünften Exercitatio handelt die zweite Position von den unterschiedlichen Arten der Einheit: unitas generica, specifica, numerica, praecisionis; hervorragender als alle diese, heißt es dann aber sofort mit dem Epheserbrief, sei die „Einheit des Geistes durch das Band des Friedens“99. Und da diese 95 Alphons HAIDENFELD, Vita autoris reverendi patris Caroli Meichelbeckii monachi Benedicto-Burani, in: MEICHELBECK, Chronicon Benedictoburanum (wie Anm. 29) L–LXVIII, hier LII: Philosophicas enim et theologico-speculativas subtilitates quaestionibus solidis dogmaticis, historicis, criticis etc. sic temperavit, ut ad usum et voluptatem etiam essent iis, quibus non tam scholarum tricae quam sincerior eruditio et historiae tum ecclesiasticae, tum monasticae notitia cordi et curae essent. 96 BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 12; WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 229. 97 MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 99. 98 Karl MEICHELBECK, Exercitatio tertia menstrua sive Positiones de natura et proprietatibus logicae (Augsburg 1702) (unpag.): XI. Logicam artificialem aliis scientiis perquam utilem, imo ad eas in statu perfecto aquirendas simpliciter necessariam existimamus. – Quaeris, fueritne ordo sancti patris nostri Benedicti ecclesiae Dei utilis? Affirmo. 99 Karl MEICHELBECK, Exercitatio quinta menstrua sive Positiones de unitate, identitate et distinctione (München 1702) 2: II. Unitas alia est generica, alia specifica, alia

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Exercitatio den Schutzengeln gewidmet ist, unter deren Patrozinium die Bayerische Kongregation stand, folgen Berichte über den freundschaftlichen Verkehr von Engeln mit Benediktinerheiligen. Wenn schließlich in der sechsten Exercitatio, zugeeignet den Hl. Petrus und Paulus, eine Position lautet, ein universale metaphysicum sei definiert als unum aptum inesse pluribus, und es dann heißt, die Leiber der Apostelfürsten könnte man beinahe als universalia metaphysica bezeichnen, weil sie nicht an einem einzigen Ort seien, sondern auf so viele – besonders benediktinische – Kirchen verteilt, dann ist wohl die Grenze vom Desinteresse an der Schulphilosophie zur Parodie derselben überschritten100. Unklar bleibt freilich, was die Studenten zu verteidigen hatten: die Positionen allein oder auch Meichelbecks historische Assoziationen dazu. Die erhaltenen Vorlesungsmitschriften weisen allerdings auf Ersteres, denn sie zeigen, dass Meichelbeck eine mehr oder minder übliche Logikvorlesung ohne ordensgeschichtliche Exkurse vorgetragen hatte101. Die Art der Beweisführung in den historischen Ausführungen ist im Übrigen nicht unbedingt quellenkritisch. Für das Benediktinertum des Hl. Rupert wird als Beleg angeführt, dass ihn der Salzburger Erzbischof Paris Lodron im Dom im Ordenshabit habe malen lassen102; für eine Begebenheit im Leben des Hl. Benedikt wird eine Bulle Urbans VIII. allegiert103. Zitiert werden Johannes Trithemius104 und immer wieder Gabriel Bucelin zu den verschiedensten Themen105, aber keine handschriftlichen Quellen. Viele Tat-

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numerica, alia praecisionis, quarum notiones ita abstrusae non sunt, ut dilucidari hoc loco debeant. – His tamen omnibus praecellentior est unitas spiritus, quae fundatur in vinculo pacis, ut habet apostolus; vgl. Eph 4,3. Karl MEICHELBECK, Exercitatio sexta menstrua sive Positiones de universalibus in genere (München 1702) 2: II. Universale ad nostrum propositum definiri rigidius solet, quod sit unum aptum inesse pluribus; et haec est definitio universalis metaphysici. [...] Caeterum sacratissima divorum apostolorum Petri et Pauli corpora pene dixeris quaedam universalia metaphysica, eo quod sint in loco non uno. BStB München, clm 4853 und 4854; vgl. DACHS, Meichelbeckiana (wie Anm. 39) 201–203. MEICHELBECK, Exercitatio tertia (wie Anm. 98) (unpag.): Illa ipsa Salisburgensium metropolitana sedes cui alii adscribenda est quam sanctissimo Ruperto nostro, primo S. Petri ibidem abbati, quem idcirco Benedictino habitu pingi in moderna metropolitana ecclesia voluit sapientissimus ille Paris Lodronius archiepiscopus rei veritate convictus. MEICHELBECK, Exercitatio tertia (wie Anm. 98) (unpag.). Meist ohne Angabe konkreter Titel, aber wohl vor allem aus De viris illustribus ordinis sancti Benedicti schöpfend. Zu Trithemius sei nur verwiesen auf Klaus ARNOLD, Johannes Trithemius (1462–1516) (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23, Würzburg 21991). Zu ihm: Claudia Maria NEESEN, Gabriel Bucelin OSB (1599–1681). Leben und historiographisches Werk (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirt-

156 Thomas Stockinger sachenbehauptungen stehen ganz ohne Beleg da, darunter reichlich fragwürdige, etwa dass Alkuin 790 die Pariser Universität gegründet habe106. Der erwähnte Absatz über den Verkehr der Benediktinerheiligen mit den Engeln – dem Hl. Dunchad reichten diese Brot und Wein, Rainald von Nocera legten sie beim Gottesdienst Ärmel an, mit dem Hl. Gudwal sangen sie das Stundengebet, Abt Wandregisel wischten sie vor den Augen des Königs Dagobert I. den Schmutz vom Gewand und so fort – erweist sich bei Nachschau als zur Gänze aus dem Menologium Benedictinum von Bucelin zusammengestellt107, das Meichelbeck jedoch nicht zitiert. Der Philosophieprofessor von 1702 zeigt zwar ein unverhohlenes Missfallen an der scholastischen Lehre und den Wunsch, von ihr zugunsten einer historischpositiven Argumentation abzugehen; von „maurinischer Methode“ lässt er allerdings wenig erkennen. Einige Jahre später, in den theologischen Disputationen von 1706 und 1707, verhält sich dies bereits deutlich anders. Der Aufbau ist weiterhin ähnlich, wenn er auch expliziter präsentiert wird, indem unter getrennten Überschriften Assertiones theologicae und Allusiones historicae abwechseln. Meichelbeck widmet eine jede dieser Exercitationes einem oder einer regionalen Heiligen – Ulrich, Afra, Korbinian, Anastasia und so weiter –, dessen oder deren Leben er untersucht, und zwar nun bereits unter Heranziehung und kritischem Vergleich handschriftlicher Überlieferungen. In der dritten Exercitatio über Korbinian etwa diskutiert er die Frage nach dessen Herkunft. Für die widerstreitenden Meinungen, die Heimat des Heiligen liege in Châtres108 bei Melun in Frankreich oder bei Mais unweit Meran in schaftsgeschichte 3, Ostfildern 2003); vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 146f., 557–560, 618f. 106 MEICHELBECK, Exercitatio tertia (wie Anm. 98) (unpag.). 107 Gabriel BUCELIN, Menologium Benedictinum sanctorum, beatorum atque illustrium eiusdem ordinis virorum elogiis illustratum (Feldkirch 1655), insb. 47 (Dunchad), 108f. (Rainald), 405 (Gudwal), 512f. (Wandregisel). – Die Vorstellung, ein quellenkritischer Blick auf die historische Vergangenheit sei notwendigerweise mit Wunderglauben unvereinbar, ist eine Rückprojektion von Historiographiehistorikern des 19. und 20. Jh., die sich mit Blick auf die Produktion frühneuzeitlicher Gelehrter nicht halten lässt; vgl. zu den Bollandisten Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 131, Tübingen 2009) 44–53, 427f., 523–535; zu Mabillon: Daniel-Odon HUREL, Jean Mabillon, Jean-Baptiste Thiers et la congrégation de Saint-Maur, in: Dom Jean Mabillon (wie Anm. 16) 59–76. 108 Heute Arpajon im Département Essonne; nicht zu verwechseln mit Chartres im Département Eure-et-Loir.

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Südtirol, nennt er die je ältesten Belege – Arbeos Vita Corbiniani109 respektive ein bei Wiguleus Hund zitiertes Freisinger Traditionsbuch110 – und zeichnet die Abhängigkeit aller späteren Autoren von diesen Quellen nach, bevor er sich für die Tiroler Herkunft entscheidet111. In der Frage der Herkunft der Stifter Benediktbeuerns, die unmittelbar daran anschließt, führt er mehrere verschiedene Codices der Klosterbibliothek als Quellen unterschiedlicher Versionen an, wiederum unter Angabe der neueren Autoren, die ihnen gefolgt sind112. Die Entscheidung zwischen diesen divergieren Überlieferungen erfolgt aufgrund ihrer inhaltlichen Plausibilität, insbesondere der chronologischen Widersprüche, die Meichelbeck den Erzählungen nachweist; die von ihm für richtig erachtete Version, wonach Landfrid, Waldram und Eliland dem agilolfingischen Herrscherhaus entstammten, ist freilich gerade diejenige, die er am wenigsten genau mit handschriftlichen Quellen belegt. Vielmehr beruft er sich auf Aventin, Hund, Aubert Le Mire und Bucelin113 und setzt dann nur noch die knappe Aussage hinzu, diese Meinung stimme mit den ältesten Benediktbeurer Dokumenten überein, „soweit diese nicht durch die so zahlreichen und schweren Unglücksfälle im Verlauf der Zeit verfälscht worden sind“114. Eine hilfswissenschaftliche Untersuchung der Quellen leistet Meichelbeck nicht, ja er erwähnt nichts in dieser Richtung, 109 In der Edition von Jean-Luc d’ACHERY–Jean MABILLON et al., Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti in saeculorum classes distributa (9 Bde., Paris 1668–1701) 3/1 500–517, hier 501; vgl. Lothar VOGEL, Vom Werden eines Heiligen. Eine Untersuchung der Vita Corbiniani des Bischofs Arbeo von Freising (Arbeiten zur Kirchengeschichte 77, Berlin–New York 2000) 42f. 110 Wiguleus HUND VON SULZENMOOS–Christoph GEWOLD, Metropolis Salisburgensis (3 Bde., München 1620) 1 101. Die zitierte Quelle ist das Traditionsbuch des Sakristans Konrad von 1187, heute HStA München, HL Freising 3c; vgl. Theodor BITTERAUF, Die Traditionen des Hochstifts Freising, 1: (744–926) (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N. F. 4, München 1905) XXII– XXV; Markus MÜLLER, Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung. Überlieferung und Entwicklung (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 44, Köln–Weimar–Wien 1998) 224–226. 111 Karl MEICHELBECK, Exercitatio tertia menstrua theologico-historica sive Positiones ex Tractatu de iure et iustitia, quas magni Frisingensium patris et pontificis Corbiniani virtutibus et meritis interpolatas [...] (Regensburg 1707) 7–9. 112 MEICHELBECK, Exercitatio tertia theologico-historica (wie Anm. 111) 9–14. 113 Johann TURMAIR [AVENTINUS], Annalium Boiorum libri septem (Ingolstadt 1554) 292; HUND VON SULZENMOOS–GEWOLD, Metropolis Salisburgensis (wie Anm. 110) 2 139; Aubert LE MIRE, Origines Benedictinae (Köln 1614) 175; Gabriel BUCELIN, Germania topo-chrono-stemmatographica sacra et profana (Augsburg 1655) 2 78. 114 MEICHELBECK, Exercitatio tertia theologico-historica (wie Anm. 111) 14: Nostris sane antiquissimis documentis (ex qua parte per tot tamque acerbas temporum vicissitudines vitium non acceperunt) accuratissime haec sententia consonat.

158 Thomas Stockinger obwohl sie ihm im zweiten Falle durchaus verfügbar waren115. Unter den zitierten Schriftstellern ist übrigens auch Mabillon mit seinen Vetera analecta116, freilich unter denen, deren Meinung abgelehnt wird. In den folgenden Jahren hatte Meichelbeck wenig Gelegenheit, sich mit ähnlichen Fragen zu beschäftigen, dafür viel mit der Zeitgeschichte zu tun. 1708 übertrug ihm das Generalkapitel die Führung der Kongregationsannalen; er zeigte hierbei mehr Initiative und Konsequenz als irgendeiner seiner Vorgänger und Nachfolger. Die fortlaufende Aufzeichnung der Geschäfte der Kongregation und ihrer Klöster erfolgte aufgrund von diesen eingesandter Berichte; deren Sammlung systematisierte und betrieb Meichelbeck mit Nachdruck117. In seinem Kloster wurde ihm die Aufsicht über das Archiv übertragen, dessen vollständige Neuordnung er in Angriff nahm. Große Teile der Bestände wurden bis auf die Ebene von Einzelstücken erschlossen und einsigniert. Das dabei erstellte Inventar füllt vier Bände mit raffinierten Indizes118. Diese Arbeiten flossen in die Rechtsangelegenheiten des Klosters ein; im Streit mit den Eremiten am Walchensee wurde Meichelbeck 1713 nach Rom entsandt und konnte dort den Gerichtsfall zugunsten Benediktbeuerns entscheiden119. Danach legte er den Hergang seit der Ansiedlung der Hieronymitaner 1687 in einer handschriftlichen Histori deß eremitory am Wallersee nieder120. Auch der Streit mit Schlehdorf wurde 1716 durch einen Vergleich beigelegt, an dem Meichelbeck entscheidend mitwirkte121; überhaupt wurde er vielfältig in Rechtsgeschäften seines Klosters und der Kongregation eingesetzt. Für den Fürstabt von Kempten Rupert von Bodman, mit dem seit der Zeit am Freisinger Gymnasium Kontakt bestand122, verfasste Meichelbeck pseudonyme Streitschriften im Streit mit dessen Kapitel 115 Das Kommunstudium befand sich 1707 in Benediktbeuern: REICHHOLD, 300 Jahre (wie Anm. 24) 672. 116 Jean MABILLON, Veterum analectorum tomi quatuor (Paris 1675–1685) 4 533f. 117 SIEGMUND, Annales (wie Anm. 26) 153–158; vgl. SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 137f. Nr. 14, 146–150 Nr. 18; 81 269f. Nr. 40, 281–288 Nr. 46–52, 296–298 Nr. 60–61; WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 48) 775–780 Nr. 474. 118 DACHS, Meichelbeckiana (wie Anm. 39) 197f.; MINDERA, Benediktbeurer Archiv (wie Anm. 25) 43–46. Zu den Verflechtungen zwischen Archivpraxis und Historiographie vgl. den Beitrag von Helga Penz in diesem Band. 119 Vgl. Anm. 92; sowie WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 48) 755–761 Nr. 464. 120 BStB München, Meichelbeckiana 16; vgl. DACHS, Meichelbeckiana (wie Anm. 39) 198f. 121 BStB München, Meichelbeckiana 18b, 275v, 277v, 286r–289r; vgl. SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 170–173 Nr. 26. 122 MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 98; zu Bodman: Joseph ROTTENKOLBER, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten (München 1933) 152–166.

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um die Wahl eines Koadjutors; auch hier bestand seine Aufgabe nach eigener Schilderung darin, große Aktenberge in kürzester Zeit zu sichten und zu einer Darstellung zusammenzufassen123. Das bereits mehrfach124 unterbreitete Angebot seines langjährigen Förderers, des Bischofs Eckher, zur Verfassung einer Freisinger Diözesangeschichte wurde 1722 schließlich in einer Weise erneuert, die keine Ablehnung mehr gestattete125. Damit begann für Meichelbeck ein fünfjähriger Aufenthalt am Freisinger Hof, der nicht immer angenehm verlief, denn der Gunst des Bischofs stand eine misstrauische bis ablehnende Haltung des Domkapitels gegenüber, das aus der Publikation der Urkunden Nachteile fürchtete und Meichelbecks Darstellung des Gründers Korbinian und der frühen Klerikergemeinschaft der Domkirche als Benediktiner beeinspruchte126. Auch die Inanspruchnahme durch die Bayerische Benediktinerkongregation reduzierte sich kaum127. Meichelbecks Verbindungen im Rahmen der Kongregation und seine Erfahrungen bei der Einholung der Berichte für die Annalen dürften allerdings hilfreich gewesen sein für eines der hervorstechenden Merkmale der Historia Frisingensis, nämlich die weit ausgreifende Quellensammlung. Neben Freisinger Beständen und den ihm gut bekannten Benediktbeurer 123 Karl MEICHELBECK [pseud. GEORGIUS A SANCTO CAROLO], Relatio super celebri controversia inter quosdam illustrissimos et reverendissimos dominos capitulares aliosque de reverendissimo conventu Campidonensi Romae vertente in puncto praetensae vocis capitularis (Kempten 1719); Karl MEICHELBECK [pseud. GEORGIUS A SANCTO CAROLO], Relatio altera super celebri controversia inter quosdam illustrissimos et reverendissimos dominos capitulares aliosque de reverendissimo conventu Campidonensi in puncto praetensae vocis capitularis (Kempten 1720); vgl. SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 81 261f. Nr. 34, 270–272 Nr. 41, 273– 276 Nr. 43. Zum Streit vgl. Joseph ROTTENKOLBER, Der Koadjutorstreit unter dem Kemptner Fürstabt Rupert von Bodmann. Zeitschrift für bayrische Kirchengeschichte 2 (1927) 34–41, 154–161. 124 Erstmals bereits 1709: BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 13f.; MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 102; WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 233. 125 BStB München, Meichelbeckiana 18c, 59r (7. März 1722): Literas prorsus singulares a reverendissimo cum inclusis celsissimi Frisingensis. [...] Evocor Frisingam. Deus esto mihi propitius! 126 Vgl. BAUMANN, Meichelbeck (wie Anm. 20) 16f.; HUBENSTEINER, Geistliche Stadt (wie Anm. 13) 184f., 188f.; WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 234, 236f. 127 Präses der Kongregation war während dieser Jahre Abt Ildephons Huber von Weihenstephan. Das Diarium weist eine dichte Folge von Besuchen Meichelbecks in dessen unmittelbar bei Freising gelegenem Kloster aus. Zu Huber vgl. Heinrich GENTNER, Geschichte des Benedictinerklosters Weihenstephan bey Freysing. Aus Urkunden angefertiget. Beyträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erzbisthums München und Freysing 6 (1854) 1–350, hier 157–166, 313–324.

160 Thomas Stockinger Quellen konnte Meichelbeck noch aus einer beträchtlichen Zahl von Klöstern128 der Region die Übermittlung von Abschriften, oft aber auch von Codices im Original erwirken – genannt sei etwa das Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg129. In der Analyse dieser Quellen war er über das Niveau seiner letzten einschlägigen Veröffentlichung in den theologischen Exerzitationen deutlich hinausgelangt, wie sich an einigen Beispielen zeigen lässt. Etwa rollte Meichelbeck hier die Frage der Herkunft Korbinians wieder auf – und revidierte seine frühere Ansicht130. Es ging immer noch um die Entscheidung zwischen denselben zwei Quellen, doch kannte er diese inzwischen genauer – nämlich beide aus eigener Anschauung und nicht mehr aus Editionen oder Zitaten – und war vor allem neuer Bewertungskriterien gewahr worden. Zum einen pochte er, was er in den Exercitationes keineswegs durchgehend getan hatte, nun auf zeitliche Nähe als wichtigsten Grund der Glaubwürdigkeit: „In diesem Streitpunkt halten wir uns mit Recht an Arbeo, den wohlgemerkt ersten Biographen des Hl. Korbinian, von dem, so wie er näher als alle anderen Schriftsteller an dem Hl. Korbinian lebte und dessen Heimat und übrige Taten vollständiger kennen konnte, ebenso auch durchaus angenommen werden muss, dass er getreulich berichtete“131. Zum anderen standen ihm inzwischen zur Altersbestimmung von Quellen zusätzliche, nämlich hilfswissenschaftliche Methoden zu Gebote; in der Historia Frisingensis datiert er geläufig nach paläographischen Kriterien in der von Mabillon propagierten Weise, also etwa manu saeculi XIII. exarata und dergleichen132. Gerade die Freisinger Traditionsbücher hatte er eingehend 128 Meichelbeck selbst nennt, abgesehen vom Domkapitel, 17 Institutionen, die Quellen bereitgestellt hatten (Benediktiner, Augustiner-Chorherren, Prämonstratenser, Jesuiten, Säkularkanonikerstifte): MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XXXVIII f. 129 Vgl. Karl FORSTNER, Das Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat der Handschrift A 1 aus dem Archiv von St. Peter in Salzburg (Codices selecti phototypice impressi 51, Graz 1974) 15f. 130 MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XVI–XX; vgl. VOGEL, Vom Werden eines Heiligen (wie Anm. 109) 75f. 131 MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XVIII: In hoc dissidio merito ad Aribonem recurrimus, primum scilicet divi Corbiniani biographum, [...] qui, uti caeteris scriptoribus omnibus propinquior sancto Corbiniano vixit ac patriam et reliqua illius acta plenius scire potuit, ita etiam fideliter retulisse omnino censendus est. 132 Hier MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XXXV. Die Datierung nach Jahrhunderten war durch die Werke Mabillons und Montfaucons seit etwa 1675 propagiert worden: Paul LEHMANN, Einteilung und Datierung nach Jahrhunderten, in: Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Studien und Texte Martin GRABMANN zur Vollendung des 60. Lebensjahres von Freunden und Schülern gewidmet, hg. von

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untersucht und wusste daher, dass dasjenige, in dem die Tiroler Herkunft behauptet wurde, um Jahrhunderte jünger ist als Arbeos Vita. Die Passage seiner Vorbemerkungen, in der er sechs verwendete Traditionsbücher der Reihe nach vorstellt, ist bemerkenswert: Er liefert Datierungen, Bemerkungen zur Scheidung von Schreiberhänden, Angaben zu Art und Zahl der Notizen sowie Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte und zeigt damit nicht nur seine Fähigkeit, den Codices dies zu entnehmen, sondern auch die nicht selbstverständliche Annahme, dass diese Informationen für die Leser von Interesse sein werden133. An Schriftstellern zitiert Meichelbeck nunmehr bevorzugt neuere und neueste Literatur, so die Editionen von Bernhard und Hieronymus Pez134, die Critica von Antoine Pagi135, Korbinian Khamms Hierarchia Augustana136, die Historia Salisburgensis der Brüder Mezger137, die Historiographen Bayerns Johann Adlzreiter und Andreas Brunner138, und natürlich Mabillon: vielfach die Annales und Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti, gelegentlich die Vetera analecta139, punktuell auch De re diplomatica und dessen

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Albert LANG–Josef LECHNER–Michael SCHMAUS (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen Supplementband 3, 2 Bde., Münster 1935) 1 35–51, hier 50f. Gerade für das frühe 18. Jh. kann sie daher als Indiz für Maurinerrezeption gewertet werden; vgl. François DOLBEAU, Les sources manuscrites des Acta Sanctorum et leur collecte (XVIIe – XVIIIe siècles), in: De Rosweyde aux Acta Sanctorum. La recherche hagiographique des Bollandistes à travers quatre siècles. Actes du Colloque international (Bruxelles, 5 octobre 2007), hg. von Robert GODDING–Bernard JOASSART–Xavier LEQUEUX–François DE VRIENDT (Subsidia hagiographica 88, Bruxelles 2009) 105–147, hier 108f. MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XXXIV–XXXVI. Bernhard PEZ, Thesaurus anecdotorum novissimus (6 Bde., Augsburg–Graz 1721– 1729); Hieronymus PEZ, Scriptores rerum Austriacarum veteres ac genuini (3 Bde., Leipzig–Regensburg 1721–1745); vgl. Christine GLASSNER, Der „Thesaurus anecdotorum novissimus“ des Melker Benediktiners Bernhard Pez. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 113 (2002) 341– 370. Antoine P AGI, Critica historico-chronologica in Annales ecclesiasticos Caesaris Baronii (Paris 1689). Korbinian KHAMM, Hierarchia Augustana tripartita in partem cathedralem, collegialem et regularem (5 Bde., Augsburg 1709–1719). Khamm, Benediktiner von St. Ulrich und Afra zu Augsburg, war ein langjähriger Korrespondent Meichelbecks; vgl. MINDERA, Jugend (wie Anm. 22) 100. MEZGER–MEZGER–MEZGER, Historia Salisburgensis (wie Anm. 85). Johann ADLZREITER [recte: Johann VERVAUX], Boicae gentis annalium partes tres (München 1662–1663); Andreas BRUNNER, Annales virtutis et fortunae Boiorum (3 Bde., München 1626–1637). M ABILLON et al., Annales ordinis sancti Benedicti (wie Anm. 90); ACHERY– MABILLON et al., Acta sanctorum (wie Anm. 109); MABILLON, Vetera analecta (wie

162 Thomas Stockinger Supplement, jedoch für einzelne Fakten, nicht für methodische Aussagen140. Grundsätzlich vertraut er allerdings keinem Autor und stützt sich auf diese nur, wo keine handschriftlichen Quellen zur Verfügung stehen: „Im Übrigen wird, wo wir unsere Angaben nicht auf Dokumente und Urkunden, sondern nur auf die Vertrauenswürdigkeit und Autorität des einen oder anderen Schriftstellers stützen, der kluge Leser leicht begreifen, dass wir für derartige Zeugnisse nicht mehr Glaubwürdigkeit behaupten, als die Gelehrten ihnen beizulegen pflegen. Was uns freilich zweifelhaft erscheint, haben wir in solchen Formulierungen ausgedrückt, aus denen niemand nicht ersehen müsste, dass wir zu diesen Ereignissen nichts Bestimmtes entscheiden wollen“141. Diese Priorität der Primärquellen bestimmt auch die Darstellung, in der für manche Perioden seitenlang kein Literaturzitat erscheint, vielmehr jedoch die Margen dicht besetzt sind mit Nummernverweisen auf den Quellenband. Dieser, die Pars instrumentaria, umfasst nicht weniger als 1385 Nummern allein für die ersten 500 Jahre Freisings. Dieses Vorgehen schien auch Meichelbeck selbst, der mit expliziten Aussagen zur Methodik sonst nicht großzügig war, gegenüber dem Publikum einer Begründung zu bedürfen. In einer eigenen Vorrede rechtfertigte er nicht nur den Umfang der Quellensammlung, sondern auch in einer genuin antiquarischen Argumentation seine Entscheidung, die Latinität der Vorlagen zu respektieren: „Wir schreiben hier nicht, um Grammatik zu unterrichten oder nach sprachlicher Anmut zu streben, sondern um das reine und wahrhafte Altertum und die Kenntnis des Geschehenen ans Licht zu bringen“142. Mit der Historia Frisingensis war Meichelbeck somit – in diesem Punkt können die Wahrnehmungen der Zeitgenossen wie die Urteile der bisherigen Historiographiegeschichte nur bestätigt werden – dem fortgeschrittensten zeitgenössischen Stand in der Entwicklung der historisch-kritischen Anm. 116). Zitate aus dem letzteren Werk etwa bei MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XXII f., 47, 136; 1/2 23. 140 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 88); Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (Paris 1704). Ersteres zitiert etwa bei MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 174; Letzteres ebd. 1/2, Praefatio (unpag.). 141 MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/1 XXXIX f.: Caeterum ubi assertiones nostras non documentis et instrumentis, sed sola unius vel alterius scriptoris fide et autoritate communimus, facile intelliget prudens lector nos eiusmodi testimoniis non postulare maiorem fidem ac eam, quam solent adhibere eruditi. Ea sane, quae nobis visa fuere dubia, iis scribendi modis expressimus, ex quibus nemo non videre debeat nos circa eiusmodi eventus nihil certi statuere velle. 142 MEICHELBECK, Historia Frisingensis (wie Anm. 28) 1/2, Praefatio (unpag.): Scribimus hic non grammaticam docendo et sermonis veneres consectando, sed puram ac germanam antiquitatem ac rerum gestarum notitiam eruendo. Vgl. zu dieser Argumentation SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 107) 395–425.

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Methode sehr nahe gekommen. Die Werke Mabillons waren ihm dabei sichtlich wichtige Hilfsmittel. Bevor er aber deshalb zum „deutschen Mauriner“ erklärt wird, sollte seine Arbeit noch in einer weiteren Hinsicht betrachtet werden, wofür man sich auf eine von Hammermayer vorgebrachte Charakterisierung des „deutschen Maurinismus“ berufen kann: Dieser besage „nicht mehr und nicht weniger [...], als daß das maurinische Vorbild für Genese, Methode und Thematik der Werke deutscher Benediktinerhistoriker entscheidend wurde“143. Die Methode sei – für die Historia Frisingensis – eingeräumt; hingegen bereiten „Genese“ und „Thematik“ erhebliche Schwierigkeiten. Die monographische Darstellung einer Bistumsgeschichte aus maurinischen Vorbildern herzuleiten, ist nicht ohne weiteres möglich. Wohl gab es entfernte Parallelen in der literarischen Produktion der Galli nostri, insbesondere die seit 1715 erscheinende Neubearbeitung der Gallia christiana144, vielleicht auch noch Guy-Alexis Lobineaus Histoire de Bretagne145, die auch im Aufbau – ein Band Darstellung, ein Band Belegmaterial – der Historia Frisingensis nicht unähnlich ist, aber nichts weist darauf hin, dass Meichelbeck diese Werke kannte oder gar imitierte. Für eine nach Sedenzzeiten geordnete Geschichte eines Bistums gab es weit naheliegendere Vorbilder, zuletzt etwa, bereits mit intensivem Gebrauch von Urkunden, Nikolaus Schatens Annales Paderbornenses, die Meichelbeck nachweislich eingehend benutzt hat146. Auch das Jubiläum als Anlass der Geschichtsdarstellung war keine Idee, die aus Frankreich hätte importiert werden müssen147. 143 HAMMERMAYER, Forschungszentren (wie Anm. 9) 165. 144 Denis de SAINTE-MARTHE et al., Gallia christiana in provincias ecclesiasticas distributa, 1 (Paris 1715). 145 Guy-Alexis LOBINEAU, Histoire de Bretagne, composée sur les titres et les auteurs originaux (2 Bde., Paris 1707); vgl. Maurice LECOMTE, Les Bénédictins et l’histoire des provinces aux XVIIe et XVIIIe siècles. Revue Mabillon. Archives de la France monastique 17 (1927) 237–246; 18 (1928) 39–58, 110–133, 302–323, hier 18 39–43. 146 Nikolaus SCHATEN, Annalium Paderbornensium partes duae (2 Bde., Neuhaus 1693– 1698). Ein Konvolut mit Notizen, das im Meichelbeck-Nachlass einem Konzept zum Chronicon Benedictoburanum beigebunden ist, tatsächlich aber überwiegend aus Vorarbeiten zur Historia Frisingensis besteht, enthält etliche Exzerpte aus Schaten: BStB München, Meichelbeckiana 8, 416v–417r, 422r–423v, 431r–v. Zum Material vgl. DACHS, Meichelbeckiana (wie Anm. 39) 194, mit irriger Zuweisung als „Vorstudien“ zum Chronicon. 147 Ralph SCHULLER, Jubiläum, Fiktion oder zentenare Memoria? Zur retrospektiven Wahrnehmung der klösterlichen Jubiläumskultur, in: Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, hg. von Winfried MÜLLER–Wolfgang FLÜGEL–Iris LOOSEN–Ulrich ROSSEAUX (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 3, Münster 2004) 139–156; Franz QUARTHAL, Kloster Zwiefalten zwischen Dreißigjährigem Krieg und Säkularisation. Monastisches Leben und Selbstverständnis im 6. und 7. Saeculum der Abtei,

164 Thomas Stockinger Die genannten maurinischen Arbeiten waren im Übrigen die ersten Ausflüsse einer gerade erst einsetzenden Neuorientierung im Schaffen der Maurinergelehrten, die im weiteren Verlauf des Jahrhunderts zu erheblichen Aktivitäten in der Profan- und Territorialgeschichte führte148. Im zweiten und dritten Jahrzehnt desselben aber waren dies, gerade in der Wahrnehmung aus dem Ausland, noch Marginalien; die weithin bekannten und bewunderten Arbeiten der Mauriner waren neben den ordensgeschichtlichen Großwerken Mabillons, die mit seinem Tod ins Stocken gerieten, sowie seinem De re diplomatica vor allem – was in einer Mabillon-fixierten Historiographie der maurinischen Gelehrsamkeit zu wenig betont worden ist – die Kirchenväterausgaben149. Die maurinische Produktion situierte sich damit im Zentrum einer gallikanischen kirchlichen Historiographie des späten 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts, deren Fokus vor allem auf der älteren und ältesten Kirchengeschichte, auf der Geschichte des Mönchtums, der Liturgie, der kirchlichen Disziplin lag und die daher schwer war von theologischen und ekklesiologischen Implikationen150. Die Ergründung der Bräuche der frühen Kirche führte implizit oder auch offen zur Kritik an gegenwärtigen Zuständen und nicht zuletzt zum gallikanischen Widerstand gegen den Primat Roms. Bei den am deutlichsten maurinisch beeinflussten benediktinischen „Forschungszentren“ in Deutschland ist eine Anlehnung an die Werke der Mauriner in Thematik und Anlage klar zu erkennen. Bernhard Pez konzipierte in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, hg. von Hermann Josef PRETSCH (Ulm 1989) 401–430, hier 405–417, 423–428; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 107) 225–227. 148 GASNAULT, Mauristes (wie Anm. 15) 115–119; LAURAIN, Travaux d’érudition (wie Anm. 16) 237–250; LECOMTE, Histoire des provinces (wie Anm. 145). 149 Daniel-Odon HUREL, Les mauristes, éditeurs des Pères de l’Église au XVIIe siècle, in: Les Pères de l’Église au XVIIe siècle. Actes du colloque de Lyon, 2–5 octobre 1991, hg. von Emmanuel BURY–Bernard MEUNIER (Paris 1993) 117–134; Jean-Louis QUANTIN, Le catholicisme classique et les Pères de l’Église. Un retour aux sources (1669–1713) (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen-âge et Temps modernes 33, Paris 1999) 169–198. 150 Pierre CLAIR, Louis Thomassin (1619–1695). Étude bio-bibliographique avec vingt lettres et deux textes inédits (Le mouvement des idées au XVIIe siècle 1, Paris 1964); Bruno NEVEU, Un historien à l’école de Port-Royal. Sébastien Le Nain de Tillemont 1637–1698 (Archives internationales d’histoire des idées 15, La Haye 1966); Bruno NEVEU, Mabillon et l’historiographie gallicane vers 1700. Érudition ecclésiastique et recherche historique au XVIIe siècle, in: Historische Forschung im 18. Jahrhundert (wie Anm. 9) 27–81; Jean-Louis QUANTIN, Document, histoire, critique dans l’érudition ecclésiastique des temps modernes. Recherches de science religieuse 92 (2004) 597–635. Zur Verbindung zwischen historischer Gelehrsamkeit, positiver Theologie und Ekklesiologie vgl. auch die Beiträge von Jean-Louis Quantin und Bernward Schmidt in diesem Band.

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seine unfertig gebliebene Bibliotheca Benedictina generalis ausdrücklich als Ergänzung zu Mabillons Annales und Acta, seine Quellenedition Thesaurus anecdotorum novissimus, in welcher mittelalterliche monastische Theologie und Lebensweise als Vorbild zur Erneuerung in der Gegenwart präsentiert wurden, orientierte sich an Edmond Martènes fast gleichnamiger Publikation151. Marquard Herrgott veröffentlichte, bevor er sich der Genealogie der Habsburger zuwandte, eine Quellenpublikation zur Vetus disciplina monastica152. Auch spätere Projekte in diesen Klöstern, etwa Frobenius Forsters Alkuin-Ausgabe oder Martin Gerberts Geschichte der Kirchenmusik153, passen in dieses Schema stark theologisch orientierter universeller Ordensund Kirchengeschichte besser als die Historia Frisingensis oder auch Meichelbecks letztes großes Werk, das Chronicon Benedictoburanum, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann. Letztlich wird man die Motivationslage von Meichelbecks historiographischer Tätigkeit nicht als besonders „maurinisch“ bezeichnen können. Die partikulare Ehre der Institutionen, für die und über die er schrieb, stand bei ihm wohl stets im Zentrum und vor der Perspektive auf die Kirche als Ganzes oder auch auf das Reich oder das Land. Rechtstitel und ihre Verteidigung spielten für ihn, dessen Werdegang immer wieder von Rechtsstreitigkeiten und der Abfassung von Deduktionen geprägt war, eine zentrale Rolle; seine sich verfestigende Überzeugung von der erstrangigen Beweiskraft urkundlicher Belege hatte ihren Hintergrund wohl nicht zuletzt darin, dass er sie oft tatsächlich – und meist mit Erfolg – vor Gericht vorgebracht hatte154. Seine Liebe zum Benediktinertum äußerte sich nicht vorrangig im Bestreben, das Mönchtum aus der Vergangenheit heraus zu reformieren, sondern vor allem in der Verteidigung seines Ordens gegen andere, seien es die Augustiner-Chorherren155 oder die Jesuiten156. Theologisch hielt sich der 151 Edmond MARTÈNE–Ursin DURAND, Thesaurus novus anecdotorum (5 Bde., Paris 1717); PEZ, Thesaurus (wie Anm. 134); vgl. GLASSNER, Thesaurus (wie Anm. 134) 343f., 348f.; WALLNIG, Pez und Mauriner (wie Anm. 19) 158f., 162–164. 152 Marquard HERRGOTT, Vetus disciplina monastica seu Collectio auctorum ordinis sancti Benedicti maximam partem ineditorum, qui ante sexcentos fere annos per Italiam, Galliam atque Germaniam de monastica disciplina tractarunt (Paris 1726); vgl. ORTNER, Herrgott (wie Anm. 46) 20–24. 153 Beati Flacci Albini seu Alcuini abbatis, Caroli Magni regis ac imperatoris magistri, Opera, hg. von Frobenius FORSTER (4 Bde., Regensburg 1777); Martin GERBERT, De cantu et musica sacra a prima ecclesiae aetate usque ad praesens tempus (2 Bde., St. Blasien 1774). 154 WÜHR, Bedeutung (wie Anm. 27) 230, spricht nicht zu Unrecht davon, Meichelbeck sei „unversehens [...] vom Juristen zum Historiker geworden“. Nicht gefolgt werden kann ihm jedoch, wenn er hierin eine direkte Parallele zu Mabillon sehen will. 155 Vgl. Anm. 77, 80, 92. Noch 1728 gefiel sich Meichelbeck darin, Amort die Erhebung

166 Thomas Stockinger Neuerungswille Meichelbecks in Grenzen: Sein resoluter Antischolastizismus und sein Interesse an historischen Studien führten ihn nicht zu Zweifeln an der päpstlichen Autorität – wie er selbst so treffend sagte, hielt er es im Gegensatz zu den Maurinern im Zweifel mit dem Papst gegen die alten Handschriften. Auch an der Barockfrömmigkeit ließ sich der lebenslange glühende Verehrer der Hl. Anastasia nicht irre machen157.

IV. Schlussbemerkungen Letzten Endes kann die Frage, ob Meichelbeck ein „deutscher Mauriner“ gewesen sei, wohl nicht absolute beantwortet werden, sondern nur secundum quid. Er war einer in der engsten Interpretation des Hammermayer’schen Konzeptes: ein deutscher Benediktiner, der sich die Grundsätze kritischer Geschichtsforschung zu eigen machte. Mit jeder Erweiterung der Definition wird sie aber schwieriger auf ihn anzuwenden. Was bleibt von dem „führenden Repräsentanten“158 des „deutschen Maurinismus“? Ein Mann, dessen direkte Kontakte mit der Maurinerkongregation bestenfalls punktuell, vielleicht aber auch inexistent waren; ein Mönch, dessen gelegentlichen maurinerfreundlichen Äußerungen159 ein Handeln nach deren Vorbild nicht in ähnlichem Maße entsprach wie bei seinen Ordensbrüdern in St. Emmeram, St. Blasien oder Melk; ein Gelehrter, für den Historiographie wohl weniger als für Bernhard Pez „als Geschichte betriebene Theologie“160 war, dafür aber die Verbindung von „Jus und Historie“161, aber auch von Verwaltung, Archivpraxis und Geschichte, ein umso größeres Gewicht hatte.

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eines Benediktiners zum Kardinal vorzuhalten, als jener Benediktbeuern besuchte: BStB München, Meichelbeckiana 18c, 225v (18. Mai 1728). Vgl. SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 150–152 Nr. 19, 154f. Nr. 21, 157–160 Nr. 23; WALLNIG–STOCKINGER, Korrespondenz 1 (wie Anm. 43) 755–761 Nr. 464, 775–780 Nr. 474; WEBER, Meichelbeck (wie Anm. 20) 134f. Vgl. WEBER, Meichelbeck (wie Anm. 20) 137f. Vgl. Anm. 34. Frankreich Bayern Österreich Vgl. Anm. 75; sowie den Brief an Bernhard Pez vom 4. Oktober 1716: SIEGMUND, Meichelbecks Briefe (wie Anm. 43) 80/1–2 162–164 Nr. 25; WEBER, Meichelbeck (wie Anm. 20) 132–134. Daraus herleiten zu wollen, bei Meichelbeck könne man „von einer Franco-Bavarico-Austriaco-Allianz sprechen“ (ebd. 133), ist jedoch – auch abgesehen vom Stilistischen – reichlich fragwürdig. Thomas WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien–München 2007) 172. Vgl. Notker HAMMERSTEIN, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert (Göttingen 1972).

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Dies lädt dazu ein, abschließend zu fragen, wie weit das Konzept eines „deutschen Maurinismus“ trägt und hilfreich ist. Angesichts dessen, in wie vielen Hinsichten sich deutsche Benediktiner an den Maurinern orientieren konnten, aber auch des Umstands, dass diese einzelnen Formen und Aspekte der Auseinandersetzung mit ihnen keineswegs notwendig alle gebündelt auftraten, wäre es vielleicht sinnvoller, von verschiedenen Spielarten der Maurinerrezeption zu sprechen, als einen einheitlichen „Maurinismus“ zu postulieren. Diese Rezeptionsprozesse in ihrer ganzen Variationsbreite, ihren zeitlichen Veränderungen und natürlich auch in ihren Ausprägungen außerhalb des Benediktinerordens, wovon das meiste in diesen Ausführungen nicht einmal berührt werden konnte, sind weiterhin ein lohnendes Forschungsgebiet. Skepsis scheint allerdings angebracht gegenüber einer Definition von „Maurinismus“, die ihn mit der Verbreitung der historisch-kritischen Methode im benediktinischen Milieu gleichsetzt. Sie ist in doppelter Weise reduktionistisch: Einerseits reduziert sie die Maurinerkongregation auf Protagonisten einer geschichtswissenschaftlichen Innovation, was deren Selbstverständnis ebenso wenig gerecht wird wie der gesamten Bandbreite ihrer Außenwirkung. Andererseits impliziert sie, zumindest für die Benediktiner, den alleinigen Ursprung dieser Methode bei den Maurinern. Das Beispiel Meichelbecks, das vor Augen führt, wie wenig „maurinisch“ ein Spitzenvertreter dieser Methode in anderen Hinsichten war, sollte ausreichen, um dies in Frage zu stellen und zur Suche nach weiteren Traditionssträngen anzuregen, aus denen sie sich konstituierte.

Abstract First coined by Paul Muschard, the term “German Maurism” was not raised to the status of a paradigm for the understanding of monastic and especially Benedictine historical scholarship in Catholic southern Germany until fifty years later by Ludwig Hammermayer. He defined it as the abandonment of Baroque historiography, which he associated with „compilation, apology, and triumphalism“, in favour of the systematic collection of sources and their use in analytic reconstruction of the past. This narrow definition of „Maurism“, which essentially equated it with the spread of the historical-critical method within the monastic milieu, was expanded by later researchers to include other aspects of Benedictine life, leading to the reconstruction of a „Maurist reform programme“ in which scholarly activity appears as a component of an encompassing renewal of monasticism, pursued in German Benedictine abbeys following the example of the French congregation of Saint-Maur. Karl Meichelbeck (1669–1734) of the abbey of Benediktbeuern, archivist and historian, was the author of the Historia Frisingensis, a history of the

168 Thomas Stockinger bishopric of Freising published in 1724–1729. The work has often been classified in the history of historiography as a milestone in the dissemination of the „Maurist method“, and Meichelbeck himself is among the handful of scholars who have received the sobriquet „the German Mabillon“: a superlative, if one will, of “German Maurist”? The present article re-examines this equation in several ways. On the one hand, it attempts to trace Meichelbeck’s actual connections to the Maurists: his use of their works, contacts by way of correspondence, references to them in his writings. These prove to be quite sparse in comparison with other Benedictine “centres of research” such as Melk or St. Emmeram’s in Ratisbon. On the other hand, the paper sketches the development of Meichelbeck’s scholarly technique on the basis of selected passages from his writings. The Historia Frisingensis and his other main work, Chronicon Benedictoburanum, appear not at the beginning but at the end, as the achievements of his old age. How Meichelbeck became a critical historian – a question which has already frustrated previous biographers – cannot be answered definitively, but some clues are presented. That Meichelbeck the critical historian was not necessarily also Meichelbeck the „German Maurist“ leads to concluding reflections on the value and weaknesses of the latter term as a paradigm for further research.

Die Deckenmalereien der Stiftskirche Melk oder die Visualisierung von Ordensgeschichte als Manifestation kirchenpolitischer Ansprüche Werner Telesko Die Entstehung des Freskenprogramms der Stiftskirche Melk in Niederösterreich gehört trotz vieler jüngerer Erkenntnisse in vielen Bereichen nach wie vor zu den noch ungelösten Problemfeldern österreichischer Barockforschung1. Zu dem weiten damit zusammenhängenden Fragenkomplex ist sowohl der Anteil Berthold Dietmayrs (Abt 1700–1739) zu rechnen als auch die thematische Ausrichtung des Programmes und dessen visuelle Umsetzung. Am 30. Juli 1701 ließ Abt Dietmayr, der am 18. November 1700 zum Melker Abt gewählt worden war und am 20. April 1701 von Papst Klemens XI. die Bestätigung erhalten hatte2, mit einer persönlichen Präferenz 1

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Zusammenfassend zu den Melker Kirchenfresken: Erich HUBALA, Johann Michael Rottmayr (Wien–München 1981) 63–82, 164–167; 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung 1989, Stift Melk, hg. von Ernst BRUCKMÜLLER–Burkhard ELLEGAST–Erwin ROTTER (Melk 1989) 324–328; Barock, hg. von Hellmuth LORENZ (Geschichte der bildenden Kunst in Österreich 4, München–London–New York 1999) 342f. Nr. 96 (Karl MÖSENEDER); Werner TELESKO, „Sanctus Benedictus triumphans“. Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk (1720/1721) und die Rolle Abt Berthold Dietmayrs, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 117 (2006) 213–235; Werner TELESKO, „Ecclesia militans et triumphans“. Heilsgeschichte und Universalhistorie als Leitmotive in der Ausstattung des Presbyteriums der Benediktinerstiftskirche in Melk. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010) 321–348; Werner TELESKO, Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie. Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk und die Visualisierung benediktinischer Tradition, in: Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit. Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild, hg. von Markwart HERZOG–Huberta WEIGL (Irseer Schriften Neue Folge 5, Konstanz 2011) 249–267. Die letzten drei Beiträge bilden die Grundlage für vorliegenden Beitrag, der hinsichtlich der Erzählstrategien und Geschichtskonzeption neues Material vorstellt. Friedrich HOLLY, Abt Berthold Dietmayr von Melk (ungedr. phil. Diss. Wien 1949) 28; Wilfried KOWARIK–Gottfried GLASSNER–Meta NIEDERKORN-BRUCK–Waltraud

170 Werner Telesko für eine radikale Lösung über die weitere Vorgangsweise betreffend die Gestaltung der Stiftskirche im Sinne einer Alternative zwischen Erneuerung des Altbaus oder Neubau abstimmen3. Aus den 27 erhalten gebliebenen Stellungnahmen sind jene von Pater Bonifaz Gallner, der für einen vollständigen Neubau der Kirche mit zwei Westtürmen und einer Kuppel votierte, und jene von Pater Basilius Lochner ohne Zweifel die historisch interessantesten Dokumente4. Essentiell für die unter Dietmayr entwickelte Gesamtplanung ist vor allem das Faktum, dass mit dem Tag der Abstimmung und seinen Ergebnissen das zuvor in Erwägung gezogene Umbauprojekt der Stiftskirche hinfällig wurde5. Nicht unwesentlich in diesem Zusammenhang scheint, dass die Ausstattungsgeschichte der Stiftskirche nicht primär von einem oder mehreren Künstlern gesteuert wurde, sondern vom Abt höchstpersönlich. Bereits in den Kontrakt mit Jakob Prandtauer (1702) ließ nämlich Dietmayr den Passus aufnehmen, dass ohne sein Wissen und Einverständnis nichts geändert werden dürfe, und im Jahr 1716 sicherte er sich sein Mitspracherecht im Falle der Freskierung vorsorglich vertraglich ab6. Als sodann 1702 der Bau der Stiftskirche tatsächlich in Angriff genommen wurde, besaß Berthold Dietmayr wahrscheinlich noch keine präzise Vorstellung, in welcher Weise das Projekt – in Bezug auf Architektur und Ausstattung – zu einem konkreten Ende geführt werden sollte7. Am 6. April 1716 schloss der Abt mit dem berühmten Freskanten Johann Michael Rottmayr einen Vertrag zum Zwecke der Anfertigung von Deckenfresken für die Stiftskirche sowie die Ausführung zweier Altarbilder ab8. Zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung blieb allerdings offen, ob entweder nach dem ihme herrn Rothmayr vorlegenten oder von demselben selbst zu erfünden

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KRASSNIG, Melk, in: Germania Benedictina, 3/2: Die benediktinischen Mönchsund Nonnenklöster in Österreich und Südtirol, hg. von Ulrich FAUST–Waltraud KRASSNIG (St. Ottilien 2001) 526–654, hier 556f. Gerhard FLOSSMANN, Der Bau der Melker Stiftskirche (1701–1715). Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 1 (1980) 11–36, hier 14; Leonore PÜHRINGER-ZWANOWETZ, Zur Planabwicklung des Melker Stiftsbaues unter Abt Berthold Dietmayr (1700– 1739), in: ebd. 120–171, hier 142. Stiftsarchiv Melk, Kt. 6 Konvent 3; vgl. PÜHRINGER-ZWANOWETZ, Planabwicklung (wie Anm. 3) 125–131, Abb. 13; Huberta-Alexandra WEIGL, Die Klosteranlagen Jakob Prandtauers 1 (ungedr. phil. Diss. Wien 2002) 29f., Abb. 20. WEIGL, Klosteranlagen (wie Anm. 4) 30f. WEIGL, Klosteranlagen (wie Anm. 4) 58. WEIGL, Klosteranlagen (wie Anm. 4) 59. Stiftsarchiv Melk, Kt. 11 Bauamt 1, Kontrakt- und Quittungsbuch, 127–131; vgl. WEIGL, Klosteranlagen (wie Anm. 4) 60; Hans TIETZE–Eduard Ernst KATSCHTHALER–Hugo OBERMAIER–Heinrich SITTE, Österreichische Kunsttopographie, 3: Die Denkmale des politischen Bezirkes Melk (Wien 1909) 196; HUBALA, Rottmayr (wie Anm. 1) 63f., 118.

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habenden desegno9 zu freskieren sei. Das für Rottmayrs Umsetzung entscheidende Bildkonzept wurde diesem offenbar vom berühmten italienischen Dekorationskünstler Antonio Beduzzi vorgelegt, dessen Entwürfe im Jahr 1716 bereits vorhanden gewesen sein dürften, und der in den Jahren 1718, 1720 und 1722 Zahlungen für Entwürfe zur Dekoration der Kuppel, des Chores und der Kreuzkapellen, der Langhausdecke (Abb. 26) sowie der Oratorien und Kapellen erhielt10. Diese – undatierten – Entwürfe betreffen die Kuppel, die Kuppelpendentifs, das Presbyterium, die Leopoldskapelle sowie die Emporen der Stiftskirche. Für das Langhaus ist hingegen kein Entwurf von Beduzzi überliefert. Huberta Weigl stellte sich in ihrer grundlegenden Arbeit zu Prandtauers Œuvre Beduzzis Rolle in Bezug auf die Freskierung der Kirche in einer Funktion als „Mittler zwischen dem namentlich nicht bekannten Konzeptersteller und dem ausführenden Freskanten Rottmayr“11 vor. Der italienische Künstler hätte dergestalt das ausführliche lateinische Concetto, das Rottmayr in der Folge zur Ausführung übergeben (Langhausfresken 1720/1721) wurde, in Entwürfe umgesetzt. Der entscheidende programmatische Angelpunkt, nämlich die Frage nach den konkreten Entstehungsumständen dieses Concetto in inhaltlicher Hinsicht, liegt aber trotz dieser Erhellungen im Bereich der gestalterischen Umsetzung nach wie vor weitgehend im Dunkeln. Programm zum frescogemälde am gewölbe der stiftskirche zu Melk. Mellicensis ecclesiae fornicem pictorio decorandum opere implebit apparitio seu revelatio, quam de divi Benedicti ad coelos ascensu duo monachi indissimilem habuerunt, quamvis loco inter se distantes forent, eodem die quo eximius monachorum in occidente patriarcha pie ac sancte in Domino quievit. Apparitio ergo unus ex monachis, quibus visio se obtulit, nempe via admiranda et divinitus efformata, quae pretiosis instrata palliis et frequenti lampadum lumine hinc unde [sic] illustrata recto Orientis tramite a terris empyreum eisque protenditur. Astat vir habitu venerando et forma, quae ipsum deceat conspicuus. Isque vir mysterium explicat; eam scilicet esse viam, qua Benedictus in coelum ascendit. Adsunt angeli circa monachum ipsum, ut visionem celitus immissam demonstrent. Ascendens videtur ipse Benedictus auspicio religionis eunden [sic] manu ducentis atque Angelo itineris duce illum praecedente, obviam se gerit angelus alter triumphalem chlamydem auro gemmisque disctinctam caelesti canditato offerens, et Benedictus in via procedens Idololatriam acriter ac fortiter conculcatam premit, eo quod in Monte Cassino prophanum templum, ubi vesano cultu falsum Apollinis Numen adorabatur, divo Martino sacrum fecit instaurata pietate ac vera religione, quo in loco error et impietas temere dominabantur. Adest Casti9 Zitiert nach: TIETZE et al., Kunsttopographie Melk (wie Anm. 8) 196. 10 Stiftsarchiv Melk, Plansammlung, Kat.-Nr. 272; vgl. TIETZE et al., Kunsttopographie Melk (wie Anm. 8) 196; Katalog 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1) 245–252, Kat.-Nr. 28.01–28.07; WEIGL, Klosteranlagen (wie Anm. 4) 60. 11 WEIGL, Klosteranlagen (wie Anm. 4) 60.

172 Werner Telesko monia et Poenitentia eiusdem comes individua: praecipue Benedicti virtutes, quarum haec tentationes vanasque mundi illecebras exterminat, illa vero Asmodeum spinoso fasciculo profligatum dimittit, spinas scilicet demonstrans, quibus denudato corpore vir castissimus sese obvolvens satanam, carnisque irritamenta sedulo debellaverat. Plures angelorum chori opportunis locis intermixti triumphi pompam augent: alii enim praecedent comitantur alii et invictum alii subsequuntur triumphatorem. Hinc flores plena manu alii spargunt, illic [sic] palmas et similia triumphi signa alii prae se ferunt. Plerique martyrii coronas, virginitatis stolas, cruces, tiaras meritorum et dignitatum ornamento ac mercedes ostendunt: sicque foecundissimam ordinis Benedictini subolem, tam quam martyrum, virginum, confessorum, episcoporum, cardinalium, pontificum atque beatorum amplissimum et perenne seminarium enunciant; ceterique imperatorias chlamydes, regalia diademata, principumque sceptra veluti religionis fastus, atque Benedictini instituti fasces conquisitas premonstrant. Plaudit triumphatori angelus, qui eum in praesentis et futurae gloriae argumentum praecedit et a quo tanquam a triumphi precone monachi duo supradicti sanctissimi patris laudes audierunt: Haec est via, qua dilectus Domini Benedictus in coelum ascendit: Via utique triumphalis et quae totum fornicem industriose occupat, et quae ipsi empyreo ubi militantis et triumphantis Ecclesiae mystica prostant emblemata, contermina apparet, ut videre est in ipso templi tholo. Extremo in spatio monachus alter conspicitur eandem revelationem habens, isque angelis circumstantibus comitatur, ut visionis exprimatur mysterium, sicuti et longe repraesentatur ab alio monacho ut loco distantia, quae inter eosdem intercesserat, demonstretur. Circa fornicem pendent angelorum manibus suspensa octo ingentia cimelia, quae potiora divi Benedicti miracula repraesentant, tanquam appendices triumphi ab eo consummati ac veluti triumphantis herois signa et monumenta12.

Der berühmten literarischen Quelle der Dialoge Gregors des Großen (um 593/594 entstanden) folgend (2,37)13 wird in den Fresken der drei Joche des Langhauses die triumphale Auffahrt des heiligen Ordensvaters Benedikt in die Glorie geschildert, wie sie in dessen Todesstunde zwei Mönche in Form einer Vision erblickt haben sollen. Nach dieser Erzählung sagte Benedikt einigen seiner Schüler, die sich bei ihm aufhielten, und einigen, die in der Ferne weilten, den Tag seines Todes voraus. Am Tag des Sterbens stand er, „die schwachen Glieder unter den Händen seiner Schüler aufrecht haltend, mit zum Himmel erhobenen Händen und tat unter Worten des Gebetes den letzten Atemzug.“14 Die eigentümliche gleichzeitige Vision zweier 12 Stiftsarchiv Melk, Kt. 11 Bauamt 2, zitiert nach: TIETZE et al., Kunsttopographie Melk (wie Anm. 8) 197; vgl. 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1) 252, Kat.-Nr. 28.09. 13 Des Heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge, übers. von Joseph FUNK (Bibliothek der Kirchenväter 2/3, München 1933) 102f. 14 Zitiert nach: Gregor des Großen Dialoge 2 37 (wie Anm. 13, 102f.); vgl. Karl GROSS, Der Tod des Hl. Benedictus. Ein Beitrag zu Gregor d. Gr., Dial. 2, 37. Revue Bénédictine 85 (1975) 164–176, hier 172–175.

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Ordensbrüder an weit auseinander liegenden Orten beschreibt, wie eine mit Tüchern belegte und von unzähligen Lampen beleuchtete Straße von Benedikts Zelle zum Himmel führt15. Die beiden Mönche, denen die Vision zuteil wurde, sind höchstwahrscheinlich im östlichsten Joch des Langhauses dargestellt, von dem ausgehend der Weg in den Himmel durch eine von Lampen beleuchtete Stoffbahn repräsentiert wird, welche die durch die Gurtbögen getrennten Joche des Langhauses verbindet, zum Teil durch vor den Scheiteln der Gurtbögen positionierte Wolken zu einer Einheit verschleift und als ein höchst ingeniöses „textkonformes Mittel der formalen Zusammenfassung“16 fungiert. In diesem Sinn wird hier dem Text der Gregordialoge zu einer gesteigerten Anschaulichkeit verholfen, indem die Stoffbahn im wahrsten Wortsinn als Folie und Erzählinstrument für den triumphalen Aufstieg des Ordensvaters eingesetzt wird, somit erzählerischer Ablauf und allegorische Überhöhung zu einer höchst innovativen Einheit verbunden werden, die durch die dem Teppich farblich angeglichene Scheinarchitektur eine entsprechende Rahmung findet. Im Mitteljoch, dem Zentrum des Geschehens, geleiten Engel den greisen, wie im Augenblick seines Hinscheidens aufrecht stehenden Benedikt in seine Glorie (Abb. 27), deren „entzeitlichter“ Zustand durch den Stillstand des Handlungsablaufs zusätzlich indiziert wird. Nur in diesem Stadium, das die Auffahrt in den Himmel in einen quasiendzeitlichen Zustand transzendiert, war eine Integration der in Melk deutlich moralisch konnotierten Triumphalikonographie möglich und sinnvoll. Die Langhausfresken der Stiftskirche Melk setzen sich in dieser und anderer Hinsicht von anderen österreichischen Deckenmalereien des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ab. Es ist – ähnlich wie in der Augustinerchorherrenstiftskirche St. Florian17 – die offensichtliche Integration einer Heiligenvita in das Gesamtkonzept, die dem Melker Programm eine innovative Richtung verleiht. Stärker jedoch als in St. Florian, wo dem Kult des Lokalpatrons gehuldigt wird, ist es in Melk der Ordensgründer, der nun exemplarisch im Vordergrund steht. An das Bild der communio sanctorum, welche Kuppel und Apsis dominiert, schließt sich im Langhaus die vita des Ordensgründers Benedikt, somit das „Idealbild“ des Ordens, an. Das Ziel 15 Gregor des Großen Dialoge (wie Anm. 13) 103; GROSS, Tod (wie Anm. 14) 171–175. 16 Bernd EULER-ROLLE, Form und Inhalt kirchlicher Gesamtausstattungen des österreichischen Barock bis 1720/30 (ungedr. phil. Diss., Wien 1983) 183; vgl. HUBALA, Rottmayr (wie Anm. 1) 70. 17 Werner TELESKO, „Feuer im Wasser“. Zum Programm der Deckenfresken in der Augustiner-Chorherrenstiftskirche von St. Florian, in: Barock in Mitteleuropa. Werke – Phänomene – Analysen. Hellmuth LORENZ zum 65. Geburtstag, hg. von Martin ENGEL–Martin POZSGAI–Christiane SALGE–Huberta WEIGL (Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 55/56, Wien–Köln–Weimar 2007) 295–305.

174 Werner Telesko besteht offensichtlich in der Propagierung einer möglichst engen Verbindung zwischen der im Chor und im Hochaltar ausgebreiteten ecclesia Romana und dem dem ekklesiologischen Ideal vollkommen entsprechenden Orden des Hl. Benedikt. Wie mit der Darstellung des Benediktiners Placidus im ersten Joch des Langhauses dezidiert auf das Blutzeugnis hingewiesen wird, so erscheint dieser zentrale Gesichtspunkt in gleichsam abstrakter Weise in den Fresken des Chors exemplifiziert sowie im Programm des Hochaltars biblisch auf die Apostelfürsten bezogen. Die Fresken im Langhaus auf der einen Seite sowie jene in Chor respektive Kuppel auf der anderen Seite entsprechen einander somit letztlich im Sinne einer ingeniösen „binnentypologischen“ Konstruktion, welche die Mitglieder und Wesenseigenschaften des Benediktinerordens als „Leitlinie“ der römischen Kirche schlechthin ansieht. In diesem Sinn ist Benedikt nichts anderes als die idealtypische Verkörperung der Kirche schlechthin. Die Heiligenvita des Langhauses ist einerseits konkret an die Geschichte des Stiftes gebunden (Darstellung des Pedums Abt Valentin Embalners [1641] in der Hand eines Putto unter dem Hl. Benedikt, sowie der Saum des Teppichs mit dem Hinweis auf das Wappen Abt Dietmayrs [Abb. 28]), andererseits fungiert sie aber als „Folie“ einer dahinter stehenden Konzeption, die auf die umfassende Verherrlichung der römischen Kirche zielt und die im Programm des Chors und Hochaltars ausgebreitet wird. Es ist ein kompositioneller Kunstgriff besonderer Art, die durchgehende Erzählung des Langhauses im Mitteljoch mit Benedikt als magister virtutum zu einem Stillstand gelangen zu lassen, andererseits aber die flankierenden Szenen dieses Joches mit der Vertreibung des Bösen und der Untugenden umso bewegungsreicher zu gestalten. Benedikt fungiert so als ein ausstrahlendes Kraftzentrum, das durch seine ruhige Dominanz die Dynamik der zentripetal organisierten flankierenden Szenen geradezu steigert. So sehr Rottmayr auf eine detaillierte Ausgestaltung aller Insignien Wert legt, so sehr ist der Haupterzählstrang des Langhauses letztlich eine Konstruktion, welche nämlich die Auffahrt des Ordensgründers Benedikt in der Krönung des Benediktinerheiligen Placidus gipfeln lässt. Dieser hält mit der Palme jenen traditionellen Märtyrerausweis in der Linken, der als Rahmung der Szenen (Benediktsvita im Langhaus) bzw. Symbole an den Ansätzen der Gurtbögen (Chor) dient. Die damit zum Ausdruck gebrachte motivische und in der Folge symbolische Verklammerung respektive Anreicherung ist ein herausragendes Kennzeichen der Konzeption. Für das Langhaus dient der recht nüchterne Bericht in den Dialogen Gregors des Großen als Ausgangspunkt für eine reiche inhaltliche Überformung, wie sie aus den Fresken des Langhauses und dem lateinischen Concetto herauszulesen ist. Dabei werden im literarischen Programm bewusst sakrale und profane Elemente miteinander vermengt: So ist dezidiert

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von einer Chlamys, somit von einem antiken (und nicht-liturgischen!), als Umhang von Königen und Kirchenfürsten verwendeten Kleidungsstück18 die Rede, mit dem der Ordensgründer in seiner Eigenschaft als magister virtutum geschmückt wird (clamydem auro gemmisque distinctam). Es ist dies ein Aspekt, der den Hauptstrang der vor der textilen Folie des Langhauses ablaufenden Erzählung insofern steigert, als dadurch neben der breiten goldenen Tapisserie eine zusätzliche textile Auszeichnung des Protagonisten Benedikt erfolgt. Dieses durch einen Engel durchgeführte Bekleiden des Ordensvaters mit einem kostbaren Stoff im Mitteljoch des Melker Langhauses könnte auch als Verweis auf das mönchische Chorgebet, somit auf den Konvent als eigentlichen Adressaten des Programms aufzufassen sein. Der auffällig prononcierte Gestus dieses Bekleidens gewinnt eine umso größere Bedeutung, vergleicht man den – ebenfalls von zwei Engeln flankierten – auferstandenen Christus des Kuppelfreskos mit dem Ordensvater. Diese auffällige Unterstützung des Erzählvorgangs mit Hilfe von Textilien verweist einerseits sicher auf deren traditionelle Bedeutung als Medien fürstlicher Ruhmestaten, sie legt aber andererseits noch einen anderen wichtigen Aspekt offen: Der Sterbebericht des Ordensgründers wird in Melk nämlich nicht der Tapisserie eingeschrieben, sondern findet vor dieser statt. Die Tapisserie hebt damit – wie vor allem seit der spätmittelalterlichen Malerei üblich – die Haupterzählung hervor und fungiert als auszeichnendes und die inhaltliche Hauptrichtung unterstützendes Merkmal19. In liturgischer Hinsicht wird man im konkreten Fall kaum von einer Chlamys, wie im Programmtext bezeichnet, sprechen können; vielmehr dürfte bei der Bekleidung Benedikts ein Pluviale (Rauchmantel) gemeint sein, das einerseits beim Stundengebet Verwendung fand und aufgrund der symbolischen Deutung seit dem 12. Jahrhundert auch als Hinweis auf die Unsterblichkeit des auferweckten Körpers gedeutet wurde20. Einen Hinweis in dieser Frage kann auch das monastische Brevier liefern, das beim Fest des Hl. Benedikt (11. Juli) beim Hymnus In I. vesperis den Passus Stolam gloriae induit eum21 anführt und damit das Bekleiden mit dem Gewand der Herrlichkeit (Sir 15,5) hervorhebt. 18 Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, hg. von Paul LEHMANN et al. (bisher 4 Bde., München 1967–2011) 2 540. 19 Beispielsweise Brigitte KLESSE, Seidenstoffe in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts (Schriften der Abegg-Stiftung Bern 1, Bern 1967) 32, Abb. 11; 144, Abb. 191; Robert L. WYSS, Ein Brüsseler Bildteppich mit Taufe Christi (Monographien der Abegg-Stiftung Bern 12, Bern 1977) 21 Abb. 7. 20 Ludwig EISENHOFER, Handbuch der katholischen Liturgik, 1 (Theologische Bibliothek, Freiburg im Breisgau 1932) 432–435. 21 Breviarium monasticum Pauli V iussu editum pro omnibus sub Regula sancti patris Benedicti militantibus, pars aestiva (Mecheln 41953) 574.

176 Werner Telesko Der Heilige wird an anderer Stelle des Concetto als „unbesiegter Triumphator“ (invictum [...] triumphatorem) bezeichnet, wie überhaupt im Programmtext eine ausführliche Verwendung von Begriffen, die sich auf weltliche Triumphe und Insignien beziehen, besonders auffällig ist. Andere Gegenstände werden im Erzählzusammenhang der Deckenmalereien in Bezug auf den Text des Programms schlichtweg umgedeutet: So vertreibt Castimonia den Dämon Asmodäus mit einem Dornengestrüpp, dessen Ursprung im Concetto auf die bekannte Episode, wonach sich der Heilige in einem Dornengestrüpp gewälzt haben soll, um die Fleischeslust zu besiegen, bezogen wird. Ein sinnfälliges Kennzeichen der Heiligenlegende wird hier gleichsam zu einer siegreichen Waffe umgeformt. Der Programmtext basiert somit hinsichtlich der Haupterzählung auf dem Bericht Gregors des Großen, formt diesen aber an einigen Stellen zu einer allegorisch konnotierten Triumpherzählung um, die aus den bei Rottmayr dargestellten Gegenständen und Attributen Siegeszeichen des Ordensgründers macht. Nur diese spezielle Art der Uminterpretation beziehungsweise Neukodierung des Todesberichts Benedikts machte es möglich, im Gesamtkontext einen entsprechend engen Anschluss an die im Chor ausführlich geschilderte Triumphthematik mit der siegreichen römischen Kirche zu erzielen. Benedikt erscheint in diesem Sinn in Text und Bild weniger als ein passiv Dahinscheidender, vielmehr tritt er in Melk in der Funktion als aktiver, endzeitlicher Triumphator auf. Damit hängt auch zusammen, dass in der Darstellung des sterbenden Heiligen auf den Betgestus (wie er etwa im Benediktaltar des Querhauses auftritt) zugunsten einer Haltung, die nur mehr äußerliche Anklänge an den Typus des Orans zeigt, verzichtet wird. Die Konzentration der das Langhausprogramm eigentlich dominierenden transzendierenden Handlungsmomente im Mitteljoch geschieht in raffinierter Weise im Schnittpunkt dreier (!) Visionen: zum einen in jener, welche die beiden Mönche in der Sterbestunde des Ordensvaters erfuhren, und zum anderen in den beiden Offenbarungen, die Benedikt selbst zuteilwurden: die Vision der Weltkugel beziehungsweise Dreifaltigkeit in der Todesstunde des Bischofs Germanus von Capua (nach Gregor, Dialoge 2,35)22, die im westlichsten Joch die zentrale Darstellung des Benediktschülers Placidus von Subiaco (mit einer Zunge, die ein den Heiligen bekrönender Putto als Attribut in der Rechten hält, als deutlicher Hinweis auf das Abtwappen Dietmayrs [mit dem Adler und der herausgeschlagenen Zunge!]) und die Menschengestalt in der Kugel (als Seelenbild des Bischofs Germanus von 22 Gregor des Großen Dialoge (wie Anm. 13) 99–102. Diese Szene wurde von Rottmayr kurz nach der Entstehung der Melker Fresken im Altarbild des westlichen Querhausaltars der Salzburger Kollegienkirche in enger Abhängigkeit zur Melker Lösung dargestellt; vgl. HUBALA, Rottmayr (wie Anm. 1) 210f., Nr. G 138a, Abb. 305.

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Capua) miteinander kombiniert, sowie die Positionierung der beiden Putten (mit Lilie und Äbtissinnenstab) auf dem Scheitel des angrenzenden Gurtbogens als Verweis auf die Benediktvision der zum Himmel auffahrenden Seele seiner Schwester Scholastika (Gregor, Dialoge 2,34).23 Die Erzählung der Handlungen in den drei Jochen des Langhauses wird durch die Verklammerung dieser drei Visionen in formaler und inhaltlicher Hinsicht miteinander verspannt und im Mitteljoch mit dem triumphalen Erscheinen des Ordensgründers (als Visionär und selbst Geschauter) gleichsam zu einem Stillstand gebracht. Nicht ohne Hintersinn erscheint in diesem tiefsinnig gedachten Netz von Visionen der Anteil des Betrachters (beziehungsweise Konvents), der durch diese feinsinnige Konzeption in besonderer Weise angesprochen erscheint, implizit selbst thematisiert, indem ausschließlich in dessen Rezipientenfunktion die Fülle der im Programm thematisierten Offenbarungen fokussiert wird und somit realiter „geschaut“ werden kann. In dieser betrachterzentrierten Schau wird der Suggestionsgrad des dargestellten Geschehens und der damit verbundenen inhaltlichen Implikationen zu einer unerhörten Intensität vertieft. Im Concetto zu den Deckenmalereien war zusätzlich eine – allerdings nicht ausgeführte – Anspielung auf Benedikts Kampf gegen Idolatrie und Heidentum vorgesehen (Zerstörung eines Apollotempels zugunsten eines Martinsheiligtums in Montecassino), womit in Kombination mit der Ikonographie des südlichen Querarmaltars der Stiftskirche eine deutliche Allusion auf den historischen Anspruch des Stiftes Melks (1699 in die Cassinenser Kongregation aufgenommen) als „neues“ Montecassino vermutet werden kann24. Der himmlische Triumph Benedikts kann somit in keiner Phase von der Visualisierung von dessen irdischer Präsenz und den damit verbundenen Aufgaben der Ordensgemeinschaft gelöst werden. Darauf weisen auch die im Programm genannten triumphi signa hin, die sich sowohl auf das reiche Fortleben des Ordens (foecundissimam ordinis Benedictini subolem) als auch auf die fortwirkende Wirksamkeit in der Gemeinschaft der Märtyrer, Bekenner, Bischöfe, Kardinäle und Päpste (deutlich in der Reihe benediktinischer Päpste über den Emporen) beziehen, indem Triumph und Glorie Benedikts der „irdischen“ Kirche den (rechten) „Weg“ weisen – gipfelnd im vorbildlichen Blutzeugnis für Christus (westliches Joch mit dem Hl. Placidus25) sowie in den – diesen zentralen Gedanken der „Nachfolge Christi“ weiterführenden – Fresken des Presbyteriums sowie im Hochaltar. 23 Gregor des Großen Dialoge (wie Anm. 13) 99. 24 Ignaz Franz KEIBLINGER, Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Niederösterreich, seiner Besitzungen und Umgebungen (3 Bde., Wien 1851–1869) 1 925; EULER-ROLLE, Form (wie Anm. 16) 185. 25 EULER-ROLLE, Form (wie Anm. 16) 183f.

178 Werner Telesko Im Jahr 1701, anlässlich der Feier zur Abtweihe Berthold Dietmayrs, erschien eine (unpaginierte) Druckschrift von Seiten des Priors und Konvents unter dem Titel Series abbatum Mellicensium honori reverendissimi ac amplissimi sui praesulis Bertholdi pro eiusdem consecrationis die a priori et conventu mellicensi devotissimo affectu aDornata aC DeDICata (Wien 1701). Als Autor dürfte Anselm Schramb fungiert haben. Dem abschließenden Abschnitt unter dem Titel Bertholdus abbas (mit graphischem Brustporträt) folgt eine Gratuatio, in der Dietmayr zweimal als instaurator bzw. als instaurator ecclesiae gepriesen wird26. Dieser Terminus erinnert nicht ohne Grund an einen Passus im Concetto zu den Deckenmalereien (instaurata pietate ac vera religione). Die ebenfalls anlässlich der Amtseinführung Dietmayrs erschienene (unpaginierte) Jubelschrift des Melker Professen Pater Joseph von Wertema mit dem Titel Applausus gratulatorius reverendissimo perillustri ac amplissimo domino domino Bertholdo Mellicensium abbati dignissimo, dum sacra infula decoraretur, institutus (Wien 1701)27 preist (unter anderem mit eingefügten Stichen) die Tugenden Dietmayrs in deutlichem Bezug zur Astralsymbolik und zum persönlichen Wappen des Abtes: Stern und Adler als wesentlichste heraldische Elemente erscheinen auch am unteren Saum der Stoffbahn (im östlichsten Joch der Langhausfresken), die an dieser Stelle von drei Engelputti in die Höhe gehalten (und somit bewusst sichtbar gemacht) wird. Diese Schrift Wertemas gibt die entscheidende programmatische Richtung vor, indem sie den Abt unmittelbar in die Verherrlichung des Ordensvaters einbindet: [...] Bertholde! hucusque te praesulem dixi, nunc filium Benedicti appello. Bina sunt nomina, sed una virtus. In weiterer Folge wird in diesem Traktat der mühevolle Weg Abt Dietmayrs im Rahmen seines klösterlichen cursus honorum zu den Ehren der Erlangung der Infel in direkter Weise auf den Aufstieg Benedikts in den Himmel bezogen: [...] Nunquam alia ad coeli decora ivit via Benedictus quam stellata: non altero tu ad coenobii honores eluctaris tramite, quam virtutis sidere. Testis Benedicti est vox illa coelitus allapsa: Haec est via, qua dilectus Domino Benedictus ascendit in coelum. Testis tuus est vocale tuum coenobium: Virtus via est candore notabilis ipso, qua dilectus Mellicio Bertholdus ascendit ad mitram28. Der Anspruch, der hier formuliert wird 26 PÜHRINGER-ZWANOWETZ, Planabwicklung (wie Anm. 3) 127. 27 Vgl. Ausstellungskatalog Jakob Prandtauer und sein Kunstkreis, Stift Melk (Wien 1960) 221, Nr. 383. 28 Hervorhebungen im Original. Der Bericht zitiert Ovid, Metamorphosen 1 169. Höchst bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ein bekanntes Werk des auch in Melk gelesenen (vgl. Thomas WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 [Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien–München 2007] 106) Jesuiten Henricus (Hendrik) Engelgrave mit dem Titel: Lux evangelica

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und in einem davor eingebundenen Stich (Nr. 3) mit dem Titel Magno speCIosa DeCore (wahrscheinlich von Johann Andreas Pfeffel d.Ä. und Christian Engelbrecht nach Petrus Schubart von Ehrenberg gestochen) eine anschauliche – und in deutlicher Analogie zum Aufstieg Benedikts in den Himmel konzipierte – Visualisierung findet, ist kein geringer und parallelisiert den Weg des Hl. Benedikt in den Himmel mit der Erlangung der Abtwürde durch Berthold Dietmayr, dessen Wappen im Stich der ersten Tafel dieser Schrift in allen Details vorgestellt wird. Auch in der oben zitierten Publikation Series abbatum Mellicensium erscheinen Glanz und Ruhm des als „österreichischer Leuchtturm“ bezeichneten Abtes unmittelbar auf das Strahlen des (heraldisch gegenwärtigen) Sternes bezogen: […] Austriae appellaberis pharus, in cuius apice gentilitiae stellae suae par lumen sapientiae radiis micat Bertholdus. In Wertemas Broschüre werden Bertholds virtus und sapientia mit deutlichem Bezug zur Astralsymbolik gepriesen. Gerade aus dieser Jubelschrift wird transparent, dass das im Concetto vorgestellte Thema des glanzvollen Aufstiegs Benedikts in den Himmel auf einer via triumphalis nur unter dem aktuellen Gesichtspunkt der Erlangung der Abtwürde durch Berthold Dietmayr seine besondere Bedeutung und Bildwürdigkeit erlangen konnte, somit die konkrete Themenwahl hinsichtlich des Freskenprogramms im Langhaus der Kirche in engster Abstimmung mit der Entwicklung der Panegyrik auf den neuen Klostervorsteher betrachtet werden muss. Vor der legendarischen Folie von Benedikts Vision und Heimgang in den Himmel schaut gleichsam der Betrachter Dietmayrs „Aufstieg“ in dessen Rangerhöhung. Dass die Position Wertemas keine isolierte Meinung darstellte, sondern geradezu als Leitmotiv in der Entwicklung der Programmatik angesehen werden kann, demonstriert das sich in direkter, vertrauter Rede an den Abt wendende Abstimmungsblatt von Pater Basilius Lochner (von 1701 bis 1703 als curator der äußeren Notwendigkeiten des Kirchenbaues nachgewiesen)29 zum geplanten Kirchenneubau in Melk vom 30. Juli 170130, in dem dieser unter anderem meinte, dass der angestrebte sub velum sacrorum emblematum recondita in omnes dominicas (2 Bde., Köln 1690 [Antwerpen 11648]) 1 39f., die Symbolik der Milchstraße unter mythologischen und monastischen (Hl. Benedikt) Vorzeichen interpretiert: […] fingunt poetae viam lacteam in caelo, per quam heroes ascenderunt; hac iter est Superis. Haec via innumeris stellis lucidissima, lactea nomen habet, candore notabilis ipso. Consimiles virtutum stellae viam lacteam sanctissimo patriarchae Benedicto stravere: qui ubi e vivis excessit, viderunt duo religiosi viam amplam et rectam innumeris stellis fulgentem: tum vocem hanc de caelo delapsam excepere: Haec est via, qua dilectus Domino Benedictus ascendit in caelum. 29 PÜHRINGER-ZWANOWETZ, Planabwicklung (wie Anm. 3) 146. 30 PÜHRINGER-ZWANOWETZ, Planabwicklung (wie Anm. 3) 146f., 169f. (Anhang 2); EULER-ROLLE, Form (wie Anm. 16) 184f.

180 Werner Telesko Bau der Kirche jene Straße sei, auf welcher der Abt am Ende seines Wirkens als ein von Gott Gesegneter zu ewiger Belohnung und Freude emporsteigen werde (idipsum tandem via, qua benedictus a Domino ad praemia, ad gaudia aeterna ascendes). Eben dieser letzte Punkt im Text des Suffragiums, der in seiner Formulierung deutlich auf den Text der Gregordialoge (2 37) rekurriert31 und in Wertemas Abthuldigung des Jahres 1701 (Virtus via est candore notabilis ipso, qua dilectus Mellicio Bertholdus ascendit ad mitram) eine interessante Parallele besitzt, ist als eine dem Klostervorsteher dargebrachte Huldigung zu verstehen, die, mit dem historischen und semantischen Doppelsinn des Wortes benedictus spielend, „in der Vorausschau auf das vollendete Werk den durch die Erbauung der neuen Kirche ausgezeichneten Lebensweg des Abtes“32 unter das Bild der Glorie des Ordensvaters, somit unter das Leitthema der Melker Langhausfresken, stellt. Die darin manifeste und wahrscheinlich von Anfang an geplante Verschmelzung von Abtpanegyrik (als Verherrlichung des ruhmreichen Lebensweges des Klostervorstehers) und Visualisierung der berühmten Vision aus den Gregordialogen (letzter Weg des Ordensgründers) schien sich geradezu anzubieten und erscheint im Suffragium von Pater Basilius Lochner, das zusammen mit Wertemas Jubelschrift den innersten Kern in der Genese der Programmatik der Melker Stiftskirche reflektiert, ausgesprochen. Abt Berthold Dietmayrs Aktualisierung der Benediktsvision in Rottmayrs Langhausfreskierung bereichert den Text Gregors des Großen, wirkt wieder auf ihn zurück und verbindet sich mit ihm zu einer neuen, visuell höchst suggestiv vorgetragenen Einheit. Die spannungsvolle Dynamik von jochverschleifend-durchgehender Erzählung und allegorisch motivierter Konzentration auf den Triumph des Ordensvaters, der im Mitteljoch als magister virtutum agiert, musste aufgrund der entsprechenden architektonischen Gegebenheiten in der Kuppel sowie im Mitteljoch des Langhauses zu einem Stillstand kommen. Auf diese Rahmenbedingungen war vom Freskanten Rottmayr in erzähltechnischer Hinsicht zu reagieren. Ein wesentlicher Verweis auf die inhaltliche Zusammengehörigkeit von Langhaus, Querhaus und Presbyterium sind die Medaillons, die durchgehend von Palmen eingefasst sind: Im Langhaus flankieren diese Medaillons (die Szenen aus der Benediktlegende zeigen) an den Ansätzen der Gurtbögen den Aufstieg des Ordensvaters; an den Gewölbeansätzen der Tonnen des Querhauses halten Engel ebenfalls Palmenkränze, und auch an den sechs Ansätzen der Gurtbögen der Joche des Presbyteriums sind je zwei Engel mit medaillonförmig geflochtenen Palmenkränzen kombiniert. Da Palmenkränze inhaltlich grundsätzlich auf das Blutzeugnis der Märtyrer und damit die ecclesia militans 31 Gregors des Großen Dialoge (wie Anm. 13) 103. 32 PÜHRINGER-ZWANOWETZ, Planabwicklung (wie Anm. 3) 147.

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anspielen, zudem aber auch auf den nördlichen Querhausaltar mit dem Hl. Koloman und der dort platzierten Inschrift Iustus ut palma florebit (Ps 91,13)33 zu beziehen sind, ist damit ein wichtiges Zeugnis einer durchgehend präsenten Leitidee der Melker Kirchenausstattung gegeben, wobei im westlichsten Joch des Langhauses die Darstellung des Benediktschülers und Märtyrers Placidus von Subiaco (mit einer Zunge, die ein den Heiligen bekrönender Putto als Attribut in der Rechten hält) einen wichtigen Hinweis auf das geleistete Blutzeugnis durch den Benediktinerorden gibt34. Während im überlieferten schriftlichen Concetto der Schilderung des Heimgangs des Ordensvaters umfangreicher Raum gewidmet wird, ist dort nur in einem Satz ein Hinweis auf die Programmatik der Kuppelfresken enthalten, und die Deckenmalereien des Presbyteriums finden überhaupt keine Erwähnung: [...] Via utique triumphalis et quae totum fornicem industriose occupat, et quae ipsi empyreo ubi militantis et triumphantis Ecclesiae mystica prostant emblemata, contermina apparet, ut videre est in ipso templi tholo35. Mit dem hier angesprochenen Begriff der ecclesia militans et triumphans wird das übergreifende Leitmotiv zitiert, das – über die Versammlung der Heiligen und der Vertreter des Alten Bundes mit zentraler Dreifaltigkeit in der Kuppel hinaus – die Presbyteriumsfresken, die im Concetto allerdings nicht explizit genannt sind, charakterisiert. Das auffälligste Kennzeichen der communio sanctorum der Kuppel ist ihre Begründung auf den vier Evangelien, deren Incipits jeweils von den vier Evangelisten in den vier Pendentifs der Kuppel (kombiniert jeweils mit den vier lateinischen Kirchenvätern) [1719 vollendet] vorgewiesen werden. Das spezifisch „Benediktinische“ des Langhauses – mit dem Heimgang des Ordensvaters und den in Reliefmedaillons präsenten Benediktinerpäpsten unter dem Hauptgesims (Stephan IV., Leo IV. und Bonifaz IV.36 respektive Leo IX., Coelestin V. und Agathon37) – wird ab der Kuppel mit der communio sanctorum in die universal-übergreifende Gestalt der „Kirche“ übergeführt, letztere aber wiederum durch vier Medaillons mit Benediktinerpäpsten (in den beiden Chorjochen) durchsetzt (Calixt II., Gregor I., Paschalis I. und Gregor VII.). 33 Vgl. Bernd EULER-ROLLE, Wege zum „Gesamtkunstwerk“ in den Sakralräumen des österreichischen Spätbarocks am Beispiel der Stiftskirche von Melk. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 43 (1989) 25–48, hier 45f. (mit einem Hinweis auf eine Verwendung des antiken Zentralbau-Memorialtypus beim Melker Kolomanialtar). 34 HUBALA, Rottmayr (wie Anm. 1) 73, 166; LORENZ, Barock (wie Anm. 1) 343, Nr. 96. 35 TIETZE et al., Kunsttopographie Melk (wie Anm. 8) 197; 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1) 252, Nr. 28.09. 36 Auf der Evangelienseite von Osten nach Westen. 37 Auf der Epistelseite von Osten nach Westen.

182 Werner Telesko Das Figurenrepertoire, das die beiden Presbyteriumsjoche und die Apsis bevölkert, ist vereinfacht gesprochen nichts anderes als eine Versammlung von Personifikationen, deren Identifikation mehr ein literarisches Vorwissen erfordert als dies durch greifbare Handlungszusammenhänge in den Malereien selbst veranschaulicht wird. Der erste Schritt zur beschriebenen inhaltlichen Universalisierung und Abstraktion der in Langhaus und Kuppel vor allem durch die Präsenz von Heiligen und Personifikationen bestimmten Aussagen wird im westlichen Presbyteriumsjoch mit der Versammlung der drei theologischen Tugenden – gipfelnd im „Glauben“ (mit Kelch, darüber befindlicher Hostie und Kreuz in der Rechten) und begleitet von den vier Evangelistensymbolen – vorgenommen. Letztere bilden ein notwendiges inhaltliches Scharnier zu den Zwickelfresken, in denen die aufgeschlagenen Evangelienincipits eine zentrale Rolle spielen. Den kompositionellen Ausgleich zu den theologischen Tugenden bildet die von einem Engel gekrönte (!) Personifikation der „Demut“ als klassische Mönchstugend, die zugleich die weltlichen Insignien unter ihren Füßen vernichtet. Die darin gegenwärtige Idee der Verherrlichung der fides-ecclesia wird thematisch im östlichen Joch weitergeführt – und dies wiederum in kompositioneller Hinsicht. Auch hier sind zwei Personifikationen in ein Spannungsverhältnis gesetzt: Zum einen bezieht sich die hier als ecclesia zu identifizierende „Apokalyptische Frau“38 (mit Kelch- und Hostienattribut sowie bekrönender Geisttaube) durch den beigefügten Kelch unmittelbar auf die fides im westlichen Joch, zum anderen wird in dem vom dahinter befindlichen Engel gehaltenen versiegelten Buch der Apokalypse der inhaltliche Zusammenhang aus der Geheimen Offenbarung weitergeführt, der hier nicht nur auf Christus (Apk 5,9) zu beziehen ist, sondern auch im apokalyptischen Triumph über dem Drachen (Apk 12,7–12) vermittelt wird. Wie im westlichen Joch ist auch hier die „Kirche“ in Gestalt einer Personifikation präsent, jedoch hat sich gleichsam das Prädikat bzw. der ikonographische Typus gewandelt, da nun die über dem Drachen triumphierende Mariaecclesia (vgl. Apk 12,1) diese Rolle einnimmt – erweitert um den Taufbrunnen rechts, dessen Wasser die ecclesia mit ihrer Linken berührt beziehungsweise segnet. Offensichtlich wird somit in den Deckenmalereien der Joche des Presbyteriums nicht mit Erzählzusammenhängen gearbeitet, sondern mit raffinierten Überleitungen wechselnder Prädikate einer zentralen Idee, nämlich der Verherrlichung der Kirche in ihren unterschiedlichen, aber inhaltlich aufeinander bezogenen Erscheinungsformen. Der inhaltlich 38 Zu den einschlägigen patristischen Quellen: Otto SEMMELROTH, Urbild der Kirche. Organischer Aufbau des Mariengeheimnisses (Würzburg 1950); Yves Marie-Joseph CONGAR, Marie et l’église dans la pensée patristique. Revue des sciences philosophiques et théologiques 38 (1954) 3–38.

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essentielle Taufbrunnen im zweiten Presbyteriumsjoch leitet zu der auf der gegenüberliegenden Seite positionierten – und hier ikonographisch eigenartig formulierten – Personifikation der siegreichen, weil lorbeergekrönten „Kirche“39 mit Lilien- und Palmattributen sowie kostbar geschmücktem Gewand über. Die solcherart ausgezeichnete ecclesia triumphans hebt den endzeitlichen Sieg der Maria-ecclesia und den Taufbrunnen als Symbol der Kirche, in welche die Gläubigen durch Christus sakramental eingegliedert werden, auf eine andere Ebene, da sie durch ihren mit der Linken angedeuteten Verweisgestus auf die kirchlichen Insignien an den Ansätzen der Gurtbögen aufmerksam macht. Die als überzeitlich-biblisch ausgezeichneten Vertreterinnen der „streitenden“ und „triumphierenden“ Kirche werden in der abschließenden Dekoration der Apsiskonche wiederum auf eine neue inhaltliche Ebene gehoben, indem sie in den zu beiden Seiten der Bekrönung des erst 1732/1733 von Peter Widerin (nach einem Entwurf von Giuseppe Galli-Bibiena) ausgeführten Hochaltars angebrachten Personifikationen weiterwirken. Die Verbindung zum Wirken der „streitenden“ und „triumphierenden“ Kirche in der geschichtlichen Welt, gleichsam die „Kirchengeschichte [...] als Fortsetzung der biblischen Heilsgeschichte“40, übernehmen die Personifikationen der „Märtyrerkirche“ im Norden (Abb. 29) und der „Papstkirche“ im Süden (mit angeketteten Lastern zu ihren Füßen) der Apsiskonche (Abb. 30). Biblisch leitet zu der in scharlachrotes Gewand gekleideten Märtyrerkirche (mit einer Dornenkrone auf dem Haupt sowie den Fasces und einem abgebrochenen Rad als Instrument der Folter zu ihren Füßen) das aufgeschlagene Buch des begleitenden Engels mit dem Passus Firmamentum virtutis (Sir 34,19) über – ein Terminus, der auch auf die „Papstkirche“ angewendet werden kann, bezeichnet doch petra als Felsen Christus, der zugleich das firmamentum – zufolge dem im ganzen wohl südgallischer Herkunft (6. Jahrhundert) entstammenden Decretum Gelasianum – darstellt. In der für den frühneuzeitlichen Katholizismus quasi normativ gewordenen Auslegung des bedeutenden Kirchenhistorikers Cesare Baronio bildet das Papsttum, der Hauptgegenstand katholischer Historiographie, das essentielle „Fundament“ sowie das sichtbare Haupt der Kirche41. Die Gegenwart des leidenden und triumphierenden Christus verkörpern im oberen Abschnitt der Apsiswölbung – gleichsam 39 Von LORENZ, Barock (wie Anm. 1) 342, Nr. 96, versuchsweise als „Keuschheit (?)“ identifiziert; 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1) 324 („triumphierende Kirche“). 40 Harald ZIMMERMANN, Ecclesia als Objekt der Historiographie. Studien zur Kirchengeschichtsschreibung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 235/4 (1960) 1–86, hier 80. 41 ZIMMERMANN, Ecclesia (wie Anm. 40) 73–75.

184 Werner Telesko in emblematischer Verdichtung von Passion und Auferstehung – die Arma Christi mit dem Veronikabild sowie die Auferstehungsfahne, die das Geschehen wieder an die Darstellung des Auferstandenen (in den Kuppelmalereien und in der Mittelfigur der Kirchenfassade) binden. Die komplexen inhaltlichen Zusammenhänge werden in den Presbyteriumsfresken wie in einem Brennpunkt aller inhaltlichen Aspekte der Melker Kirchenausstattung vor allem durch den Einsatz von Personifikationen deutlich gemacht. Diese drehen sich um die verschiedenen Prädikate der ecclesia und gipfeln ausgehend vom biblischen Auftrag der drei theologischen Tugenden (1 Kor 13,13) und der apokalyptisch streitenden und siegenden Kirche in der konkreten Gegenwart der geschichtlich handelnden Kirche. Damit verweisen sie wiederum auf das Langhaus (exemplum des Ordensvaters und Reliefmedaillons mit den Päpsten) sowie auf das Programm des Hochaltars (einerseits mit dem exemplum des Märtyrertums der Apostelfürsten, andererseits mit der Funktion von Petrus als erstem Papst) und gipfeln in der die Häresien vernichtenden ecclesia der Kanzelbekrönung. Die unterschiedlichen ecclesia-Personifikationen des Presbyteriums fungieren somit gleichsam als Referenzpunkte aller in der Kirche handelnden Figuren. Nicht das verwendete ikonographische Repertoire an sich ist somit bei den Melker Presbyteriumsfresken außergewöhnlich42, vielmehr ist es die unerhört intensive inhaltliche Verschränkung. Wie angedeutet, ist das auf die Martyriumsidee bezogene Konzept durch Engel mit den von Palmkränzen hinterfangenen Attributen an den Gewölbeansätzen des Chors zusätzlich unterstrichen. Dabei ist zu betonen, dass es sich dabei um eine Weiterführung der Ikonographie der arma Christi in der Apsiskonche handelt. Wie Trophäen verdeutlichen die Gegenstände auf der Nordseite die im Namen Christi errungenen Ämter als Zeichen der Würde von Bischöfen und Päpsten sowie auf der Südseite die blutbefleckten Zeugnisse des Gefoltert- und Getötetwerdens wie Speer, Schwert und Hellebarde. Diese von den paarweise positionierten Engeln gehaltenen Symbole sind nicht ohne Grund gerade an den Ansätzen der Gurtbögen angebracht, in dieser Weise an den zwar figurenlos gestalteten, aber reich symbolisch besetzten Intervallen zwischen den Presbyteriumsfeldern wie zur Meditation einladend. Die inhaltliche Ausrichtung der Attribute an den Gewölbeansätzen des Chors wird in ihrer kennzeichnenden Dualität von Märtyrertum und 42 Mit Melk gut vergleichbar sind in dieser Hinsicht Cosmas Damian Asams Fresken in der Tambourkuppel der Benediktinerstiftskirche von Weingarten (1718–1720), welche die ecclesia papalis mit den drei theologischen Tugenden, Heiligen und der Dreifaltigkeit kombinieren, vgl. Ausstellungskatalog Cosmas Damian Asam 1686– 1739. Leben und Werk, Kloster Aldersbach, hg. von Bruno BUSHART–Bernhard RUPPRECHT (München 1986) 213, Nr. F VII 5, Taf. 16.

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Amtskirche in den Stuckmedaillons der Vierungspfeiler mit Märtyrerwerkzeugen (Nordosten und Südwesten) sowie kirchlichen Insignien (Südosten und Nordwesten) fortgesetzt. Aus der Beschreibung der Ausstattung von Langhaus und Presbyterium wird deutlich, wie sehr man seitens des Programmerstellers und ausführenden Künstlers bis in kleinste Details bemüht war, ein Auseinanderfallen der Konzeption zu vermeiden. Fast alle relevanten Motive und Symbole sind in einer bisher unbekannten Dichte wiederholt – in dieser Rhythmik quasikatechetisch auf die Grundgedanken der „streitenden“ und „triumphierenden“ Kirche hinweisend. Im Rahmen der Ausstattung des Presbyteriums sind zudem einige Spezifika zu konstatieren, die primär mit programmatischen Rückgriffen auf die frühchristliche und mittelalterliche Kirche im Sinne der auctoritas patrum zu tun haben dürften43. Das geschichtliche Ideal, das hier offenbar dem Programmentwerfer vorschwebte, war eine Aktualisierung der ecclesia antiqua, wie sie besonders durch den Märtyrergedanken der frühen Kirche vermittelt wurde44. Hinsichtlich der Verfügbarkeit patristischer Texte konnte man sich im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit des Benediktinerordens vor allem auf die von den Maurinern seit 1670 vorangetriebene Edition der Väterliteratur stützen45. Besonders deutlich wird diese Form der Aktualisierung von antiquitas in der Integration des Taufbrunnens bzw. -beckens neben der über dem Drachen triumphierenden ecclesia im Deckenfeld des östlichen Presbyteriumsjochs: In der mittelalterlichen Messerklärung erlaubte besonders die Liturgie der Wasserweihe die Integration zahlreicher typologischer Aspekte von der Sintflut, über den Durchzug Mose und der Israeliten durch das Rote Meer bis zur Öffnung der Seitenwunde Christi und der dabei aus Wasser und Blut geborenen ecclesia 46. Die inhaltliche Verbindung zwischen der Taufe und Mose Durchzug durch das 43 Einen Beleg in diese Richtung gibt etwa die äußerst positive Bewertung der Schriften von Paschasius Radbertus (um 790–um 860) durch Bernhard Pez: vgl. WALLNIG, Gasthaus (wie Anm. 28) 170. 44 Der Bezug auf die angebliche Übereinstimmung frühneuzeitlicher Auffassungen mit dem Urchristentum ist seit den protestantischen „Magdeburger Zenturien“ (Basel 1559–1574) ein fixer Angelpunkt, vgl. ZIMMERMANN, Ecclesia (wie Anm. 40) 60–62; zu den darauf folgenden katholischen Entgegnungen, die häufig Kirchengeschichte als Papstgeschichte darstellen, vgl. ebd. 66–68. 45 Daniel-Odon HUREL, The Benedictines of the Congregation of St.-Maur and the Church Fathers, in: The Reception of the Church Fathers in the West. From the Carolingians to the Maurists, hg. von Irena BACKUS (2 Bde., Leiden–New York–Köln 1997) 2 1009–1038, hier 1020, 1025, 1029. 46 Joseph SAUER, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters. Mit Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis, Sicardus und Durandus (Freiburg im Breisgau 1924, Nachdruck Münster 1964) 138.

186 Werner Telesko Rote Meer ist in diesem Zusammenhang besonders durch die liturgische Verwendung der Erzählung vom Durchzug durch das Rote Meer in der Osternacht eine der entscheidenden patristischen Grundlagen47. Dieser Ideenkomplex erhält in Melk eine Visualisierung, die primär auf der frühchristlichen Anschauung fußt, nach der der Vermählung Christi mit seiner Kirche die Taufe als „Braut- bzw. Taufbad“ vorausgeht48. Dieser Gedanke, der von der Anschauung geleitet ist, dass die in der Taufe von ihren Sünden befreite Kirche die Fähigkeit erhält, Christi Braut zu werden (Eph 5,25–27; 2 Kor 11,2) steht insofern wieder in einem umfassenden Zusammenhang, als – ebenfalls nach frühchristlicher Anschauung – Blut- und Wassertaufe sich in einer engen inhaltlichen Beziehung befinden. Es ist nämlich eine spezifische Leitvorstellung des Frühchristentums, im Martyrium die Taufgnade erneuert zu sehen und dergestalt das Martyrium im Sinne einer „zweiten Taufe“49 zu interpretieren. An dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, wie die feinsinnig über den gesamten Kirchenraum gesponnenen Typologien die Einheit des Programmkonzeptes unterstreichen sollten. In erzähltechnischer Hinsicht existiert im Presbyterium kein dem jochverschleifenden „Teppich“ im Langhaus vergleichbares Instrument der Zusammenfassung, sollten doch die additiv aus Personifikationen komponierten Freskenfelder der Chorjoche primär zum Hochaltar mit seiner registerartigen und wiederum aus Einzelfiguren bestehenden Gliederung überleiten. An vielen Details wird deutlich, wie die dargestellten Personen und (ihre) Attribute als aufeinander verweisend gedacht sind: Ein besonders kennzeichnendes Beispiel in dieser Hinsicht ist das nordwestliche Zwickelfresko in der Hauptkuppel mit einer Darstellung des Hl. Evangelisten Johannes und der darunter befindlichen Wiedergabe des lateinischen Kirchenvaters Gregor des Großen: Pedum und Papstkreuz leiten hier über zu dem benachbarten Engelpaar am Gewölbeansatz, das kirchliche Insignien vorweist. Durch diesen Kunstgriff motivischer Verklammerung wird einerseits die Symbolkraft des Hirtenamtes an sich verstärkt, diese am Beispiel des Hl. Papstes Gregor auf eine konkrete Person bezogen und schließlich generell für die Pflichten eines gegenwärtigen 47 Ausführlich: Franz Joseph DÖLGER, Der Durchzug durch das Rote Meer als Sinnbild der christlichen Taufe, in: Franz Joseph DÖLGER, Antike und Christentum. Kultur- und religionsgeschichtliche Studien (2 Bde., Münster 21974 [ebd. 11929– 1930]) 2 63–69. 48 Odo CASEL, Die Taufe als Brautbad der Kirche. Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 5 (1925) 144–147; Joachim M. PLOTZEK, Die Taufe Christi als Brautbad der Ecclesia, in: Festschrift für Peter BLOCH zum 11. Juli 1990, hg. von Hartmut KROHM– Christian THEUERKAUFF (Mainz 1990) 55–64. 49 Ernst DASSMANN, Sündenvergebung durch Taufe, Buße und Martyrerfürbitte in den Zeugnissen frühchristlicher Frömmigkeit und Kunst (Münsterische Beiträge zur Theologie 36, Münster 1973) 153–157 (mit entsprechenden Belegstellen).

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Inhabers eines hohen Amtes, im vorliegenden Fall wohl Abt Dietmayrs, transparent gemacht. Diese Interpretation erhält eine Unterstützung durch den – kompositionell unikalen – Verweis Gregors auf das geöffnete Buch mit der Titelangabe seiner im späten 6. Jahrhundert entstandenen Regula pastoralis, dem wohl wichtigsten Pastoralwerk der frühen mittelalterlichen Kirche und überdies Gregors Programm für das päpstliche Amt. Der Autor beschreibt darin ausführlich die Pflichten der Inhaber von Prediger-, Vorsteher- und Hirtenamt unter Verwendung zahlreicher typologisch aufgebauter Exempel aus dem Alten Testament (etwa Aaron, Moses und Ezechiel)50 – eine Konzeption, die vor dem Hintergrund der Melker Hochaltarlösung mit ihrer auffälligen Präsenz von Vertretern des Alten Bundes nicht ohne Bedeutung ist. Es besteht in weiterer Folge guter Grund zur Annahme, dass hier in besonderer Weise Papst Gregor der Große gleichsam als Identifikationsfigur für Abt Dietmayr dienen sollte, sozusagen der Papst und berühmte Autor der Benediktsvita, dessen Pedum die Häresie im Zwickel der Kuppel in die Tiefe stürzt, zum Leitthema des Presbyteriums mit der „richtigen“ Führung der Kirche unter der Führung des Papsttums überleitend beziehungsweise die abstrakte Personifikation der ecclesia papalis im Chor in Gestalt einer konkreten historischen Gestalt vorbereitend. Diese Bezüge verdeutlichen die konsequent durchdachten argumentativen Strukturen der Melker Kuppel- und Presbyteriumsfresken, die – unter Vermeidung szenischer Qualitäten – aus einem geschickt inszenierten Wechselspiel von aufeinander bezogenen Personen, Personifikationen und Symbolen aufgebaut sind. Viele der dargestellten Figuren sind einerseits berühmte Autoren der in den liturgischen Formularen gegenwärtigen Texte, zugleich aber auch historische Personen und damit wiederum exempla der Kirchengeschichte. Die Deckenmalereien im Langhaus auf der einen Seite sowie jene in Chor bzw. Kuppel auf der anderen Seite entsprechen einander somit letztlich im Sinne einer raffiniert ausgearbeiteten „binnentypologischen“ Konstruktion, welche die Mitglieder und Eigenschaften des Benediktinerordens als bestimmende Leitlinie und Verkörperung der römisch-katholischen Kirche schlechthin ansieht. In diesem Sinn erscheint der Ordensgründer als eine idealtypische Vergegenwärtigung der Gemeinschaft Christi. 50 Gregor der Große, Regula pastoralis 2 2, 2 4, 2 10. Des Heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen Buch der Pastoralregel, übers. von Joseph FUNK (Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe 4, München 1933) 88f., 95, 123; grundsätzlich: Michael FIEDROWICZ, Das Kirchenverständnis Gregors des Großen: eine Untersuchung seiner exegetischen und homiletischen Werke (Römische Quartalschrift, Supplementheft 50, Freiburg im Breisgau 1995); Silke FLORYSZCZAK, Die „Regula Pastoralis“ Gregors des Großen. Studien zu Text, kirchenpolitischer Bedeutung und Rezeption in der Karolingerzeit (Studien und Texte zu Antike und Christentum 26, Tübingen 2005) 211f.

188 Werner Telesko Neben dieser zentralen ekklesiologischen Komponente spielen imperiale Ideen eine ebenso große Rolle: Der glorreiche Heimgang Benedikts von Nursia als zentrales Thema der Melker Langhausfresken bot hier einen geeigneten Anknüpfungspunkt, da eben dieses wichtige Sujet im Rahmen der Benediktinerliteratur des 17. Jahrhunderts unter anderem auch mit der Bedeutung unterlegt wurde, dass der Ordensvater durch sein beispielgebendes Wirken sämtliche säkularen Triumphe übertroffen habe. Hier ist es insbesondere der Weingartner Benediktiner Gabriel Bucelin, der Vergleiche zwischen dem Tod des Ordensvaters und kaiserlichen Triumphen heranzieht. Konkret wird von ihm auf das Motto der römischen Kaiser (Oportet imperatorem stantem mori)51 Bezug genommen, dessen Deutung eine direkte Verbindung zum Heimgang des Hl. Benedikt ermöglicht. In auffällig dichter Weise werden von Bucelin auf Benedikt Formen kaiserlicher intitulatio übertragen, wenn etwa letzterer als divus imperator noster bzw. als augustissimus imperator noster52 bezeichnet wird. Das Ableben des Ordensvaters habe – so Bucelin – alle Triumphe römischer Maiestas bei weitem übertroffen53. Die heilsgeschichtliche Funktion des Ordensvaters, des magnus triumphator noster54, liegt demnach in einer aemulatio der als Vergleichsmaßstab ständig gegenwärtigen römisch-antiken Tradition. Bucelin ist es schließlich auch, der die Gleichsetzung Benedikts, des als schützender „Adler des Reiches“ gegenwärtigen Ordensvaters, mit Rom und der Lateranensischen Basilika vollzieht55. Bucelin zufolge triumphiert Benedikt in Ewigkeit im Siegeszug der Kirche als Bannerträger eines zahllosen Heeres56.

51 Gabriel BUCELIN, Aquila imperii Benedictina (Venezia 1651) 23; vgl. Claudia Maria NEESEN, Gabriel Bucelin OSB (1599–1681) Leben und historiographisches Werk (Stuttgarter Historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte 3, Stuttgart 2003). Ebenfalls im benediktinischen Zusammenhang steht ein weiteres Werk, das auf dem typologischen Bild das Adlers aufgebaut ist: Stanisáaw SZCZYGIELSKI, Aquila Polono-Benedictina, in qua beatorum et illustrium virorum elogia, coenobiorum ac rerum memorabilium synopsis, exordia quoque et progressus ordinis divi patris Benedicti per Poloniam et eius sceptris subiectas provincias breviter describuntur (Kraków 1663). 52 BUCELIN, Aquila (wie Anm. 51) 18, 23. 53 BUCELIN, Aquila (wie Anm. 51) 23: […] ut hac quoque triumphi gloria, certum sit, omnem omnium imperatorum et Romani luxus maiestatem, quam longissime exsuperasse. 54 BUCELIN, Aquila (wie Anm. 51) 23. 55 BUCELIN, Aquila (wie Anm. 51) 24: […] tua Lateranensis ecclesia, in qua alitus, et nutritus es. Dieser Umstand dürfte auf die Legende zurückgehen, der zufolge Benedikt in dieser Kirche während des Pontifikats des Papstes Hormisdas († 523) neben dem Bau eines Klosters, dem er selbst als vorstand, einen Chor einrichtete. 56 BUCELIN, Aquila (wie Anm. 51) 23.

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Wie sehr diese ekklesiologischen und imperialen Bedeutungsebenen gerade am Beispiel des in Melk als Hauptthema gegenwärtigen Heimgangs Benedikts amalgamiert werden konnten, zeigt der von Juan Caramuel y Lobkowitz verfasste unpaginierte Traktat Sanctus Benedictus Christiformis (Prag 1648, Neuauflage 1652), der mit qualitätvollen Stichen von Johann Christoph Smischek ausgestattet ist. Caramuel y Lobkowitz vollzieht anhand der vita Christi eine unmittelbare Gleichsetzung mit dem Ordensvater: In der Illustration des Todes Benedikts (Abb. 31), der auf die Kreuzigung Christi bezogen wird, nimmt die Bildunterschrift zu Christi Tod mit dem Passus Oportet imperatorem stantem mori: stans in cruce moritur Christus. Matth: 26. interessanterweise auf das auch von Bucelin zitierte römische Kaisermotto Bezug. Die Typologie erfährt in diesem Sinn eigentlich eine Sinnstiftung aus der Perspektive des Lebens Benedikts57, an dessen Todesart sich gleichsam die vita Christi orientiert. Auf dieser Basis erscheint es möglich, das visuelle Potential der Deckenmalereien der Melker Stiftskirche präziser zu definieren. Auffällig ist die durchgehende Intention, in allen Freskenkompartimenten ein hohes Maß an Gleichsetzungen und Identitätsbildungen zu erzielen: So wie Abt Dietmayr dem Hl. Benedikt im Langhaus entsprechen soll, so agiert Gregor der Große im Zwickel der Kuppel mit dem Leitthema einer „richtigen“ Führung der Kirche unter der Führung des Papsttums als konkrete historische (und zugleich exemplarische) Figur, welche die abstrakte Personifikation der ecclesia papalis (in den Chorfresken) sowie die pastorale Aufgabe Dietmayrs in Melk präfiguriert. Diese Form der Abstraktion ist wiederum rückgebunden an die Funktion des Ordens, der auf der Basis der aus ihm hervorgegangenen ruhmreichen Päpste als ideale Verwirklichung der Kirche schlechthin fungiert. Benedikt, die Aquila Benedictina (Gabriel Bucelin), erscheint in diesem Sinne in der Figur Berthold Dietmayrs präsent, der nicht ohne Grund den Adler in seinem Wappen trägt. Die inhaltlichen Strukturen der Melker Kirchenfresken kreisen somit in personalisierter und abstrakter Hinsicht jeweils um die medial kaum fassbare Multidimensionalität der Kirche, die auf der Basis eines geschickt inszenierten Wechselspiels von aufeinander bezogenen Personen, Personifikationen und Symbolen die zentrale Heilsachse Christus-Benedikt überformt und die Geschichte des ruhmreichen Benediktinerordens als exemplarische Verkörperung der ecclesia Romana ansieht.

57 Nicht ohne Grund nehmen die Szenen aus dem Leben Benedikts im Rahmen der Altäre imaginierenden Stiche Smischeks immer die Hauptbilder (!), jene aus dem Leben Christi hingegen die kleineren Auszugsbilder ein.

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Abstract One general and significant characteristic of the practices and uses of scholarship in the Early Modern period is the special status of visual artistic decoration of public and semi-public spaces. Not only are the „principles of construction and efforts at legitimation“ different than for those sciences that operate with texts, but also the creation of artistic programmes and their (semi-public) acceptance are outcomes of a complex process of negotiation between abbots, possible advisors or authors of concepts, and artists. One must also keep sight of the problem of the reformulation of literary and liturgical traditions into visual types, that is, a shift in media, in which a particular form of the construction of history could manifest itself. In particular, the specific „visual potential“ of the visual arts regarding the construction of „Benedictine identity“ is to be considered in the light of the Baroque decoration, especially the frescoes, in the abbey church at Melk. The exceptionally complex history of the planning and construction unfortunately allows few clear insights into the thematic genesis of the frescoes. On the one hand, the history of the abbey, while being in part materially destroyed by the construction of the new buildings, lived on both through the labours of the brothers Pez and in the programme for the frescoes in the nave, which retell one of the „great narratives“ of Benedictine history, the death of St. Benedict as reported by Gregory the Great, reorganising it along the lines of the quasi-monarchic pretensions of Abbot Dietmayr. On the other hand, the hitherto usually ignored decoration of the presbytery, comprising the high altar and the frescoes in the choir and apse, seems to articulate a deliberately introduced (compensatory?) ecclesiological factor, employing multiple distinct references to the idea of the ecclesia antiqua: the ecclesia militans as the church of the martyrs, the ecclesia papalis, baptism as the „bridal bath“ of the Church, typologies of the Princes of the Apostles as Moses and Aaron etc. The „visual potential“ that was to actuate the historical past was thus present in the decoration on several levels – as an allegory of the rule of the abbot, as history of the order (St. Benedict) and as ecclesiology, the latter merging with the dedication of the church to St. Peter and Paul. In view of these complex, palimpsest-like structures of layers of content, the questions of the possibility of reconstructing a homogeneous (?) process of elaboration between the poles represented by the abbot, the monastic community and the artist, and of the specific motivational basis for this manner of visualising „history“ in a complex web of historical, patristic, liturgical and panegyric sources and impulses, pose themselves anew and with greater intensity. Is this process a specific, perhaps even local, Benedictine characteristic, or is this mode of visual culture of history paradigmatic for the position of all the old monastic orders on the

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central question of their relationship with history in the 18th century? In addition, given the appellative and even exhortative functions of monumental church interiors, the intentions of these decorations toward stimulating behaviour in the viewers must be taken into account: in the sense of concrete catechetical notions (e. g. the ideal of imitatio) or in the sense of an actuation of the idea of renovatio, of drawing closer to the original ideal of the Church.

Ordensgeschichte als Kulturgeschichte? Wissenschaftshistorische Überlegungen zur Historizität in der benediktinischen Geschichtsforschung des 18. Jahrhunderts Thomas Wallnig I. „Ecclesia semper reformanda: Eine aus der calvinistischen Theologie Anfang des 17. Jahrhunderts stammende Formulierung des reformatorischen Grundanliegens, nach dem sich die Kirche in Lebensstil, Verkündigung und Grundstrukturen ständig vom Wort Gottes richten und erneuern lassen muß. Im Zweiten Vatikanischen Konzil erfolgte eine vorsichtige katholische Rezeption.“ Diese – im Lichte jüngerer Forschung zu relativierende1 – Definition aus der rezentesten Ausgabe des katholischen „Lexikon für Theologie und Kirche“2 führt unmittelbar an eine der konfessionellen Demarkationslinien einer Frühen Neuzeit, die hier bis weit ins 20. Jahrhundert, wenn nicht in die Gegenwart zu reichen scheint. Diese Demarkationslinie ist vorderhand ekklesiologisch-theologisch, da mit ihr organisatorische und strukturelle Fragen der Kirche, nicht zuletzt die päpstliche Unfehlbarkeit angesprochen sind. Dieselben Fragen sind jedoch nicht zu trennen von dem sie umgebenden anthropologisch-philosophischen Diskurs – im Hinblick auf die Natur des Menschen ebenso wie im Hinblick auf die historische oder theologische Dimension des Weltgeschehens. Dass das Selbstverständnis der evangelischen Kirchen auf einer anderen Lesart der Kirchengeschichte (spätestens seit dem 4. Jahrhundert) beruht, kann als erwiesen gelten3; als eher neu erscheint dabei die Beobachtung, 1

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Zur Entstehung der exakten Wortfolge im 20. Jahrhundert und ihren Vorläufern im 16. bis 18. Jahrhundert vgl. Theodor MAHLMANN, „Ecclesia semper reformanda“ – eine historische Aufklärung. Neue Bearbeitung, in: Hermeneutica Sacra. Studien zur Auslegung der Heiligen Schrift im 16. und 17. Jahrhundert. Bengt Hägglund zum 90. Geburtstag, hg. von Torbjörn JOHANSSON–Robert KOLB–Johann Anselm STEIGER (Berlin 2010) 381–442. Medard KEHL, Ecclesia, in: Lexikon für Theologie und Kirche, hg. von Walter KASPER et al., 3 (Freiburg–Basel–Rom–Wien 31995) col. 437f. Vgl. Gustav Adolf BENRATH, Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie. VII/1: Reformations- und Neuzeit, 16.–18. Jahrhundert, in: Theologische

194 Thomas Wallnig dass dieser Umstand die Frage nach dem Umgang mit Tradition an und für sich bedingt und somit der konfessionelle Streit um die kirchenhistorische Deutungshoheit zugleich in die Geschichte der „Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses“ eingeschrieben ist4. Das bekräftigt einerseits den Zusammenhang einer konfessionellen Gruppenidentität mit ihrem Geschichtsbild, lenkt aber zugleich den Blick auf die politischen und sozialen Rahmenbedingungen des Erinnerns: „In England hat die Reformation Traditionen in Frage gestellt und damit die Differenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu Bewußtsein gebracht. Die gewaltsame und obligatorische Einführung eines neuen Wertesystems führte dazu, daß die Gegenwart radikal von der Vergangenheit abgeschnitten wurde. Nach einem solchen Bruch war es nicht mehr möglich, sich auf die Vergangenheit als normative Vorzeit zu beziehen, in der die Legate und Testate der Gegenwart verankert waren.“5 Versteht man also den – politischen, sozialen und zugleich historischen und theologischen – Traditionsbruch (beziehungsweise die Traditionserhaltung) als kulturelles Phänomen, als kollektiven Ausdruck einer gedanklichen Grundform, so können auf dieser Basis Analogien zu anderen Bereichen des Wissens hergestellt werden, etwa – um ein nahe liegendes Beispiel zu nennen – zu Francis Bacons radikaler Infragestellung des überlieferten Wissens für den (nun als solchen denkbaren) Fortschritt der Wissenschaften. Was bedeutet es daher also, wenn die Untersuchungskategorie „Umgang mit Tradition“ als wissenschaftshistorische Fragestellung an die Frühe Neuzeit herangetragen wird? Zum einen zeigt sich der in diesem Zeitraum zunehmende Kontrast zwischen „protestantischer“ und „katholischer“ Gelehrsamkeit nicht mehr in den schillernden Farben ihrer Radikalstandpunkte von empirisch basierter Fortschrittlichkeit und traditionsverhafteter Orthodoxie, statt dessen wird eine Vielzahl von unterschiedlichen und auch innerhalb der konfessionellen Grenzen differenzierten Ausprägungen im Umgang mit Tradition und Autorität sichtbar. Dass auch die scientific revolution heute zunehmend im Lichte einer progressiven und selektiven Aneignung „neuer“ Erkenntnisse gesehen wird6,

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Realenzyklopädie, 12 (Berlin–New York 1984) 630–643. Mit Betonung des gelehrten Aspektes: Martina HARTMANN, Humanismus und Kirchenkritik. Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Stuttgart 2001); Matthias POHLIG, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617 (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 37, Tübingen 2007). Aleida ASSMANN, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (München 22003), insb. 50–53. ASSMANN, Erinnerungsräume (wie Anm. 4) 51. Vgl. Departure for Modern Europe. A Handbook of Early Modern Philosophy (1400–1700), hg. von Hubertus BUSCHE௅Stefan HEßBRÜGGEN-WALTER (Hamburg

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macht diese Zugangsweise ebenso plausibel wie der gleichzeitig in der Wissenschaftsgeschichte statthabende practical turn, also die Frage nach der Erzeugung wissenschaftlicher Evidenz durch Normen schaffendes Handeln und kulturelle Codes7. Zum anderen lenkt der vom Theologischen über das Historische ins allgemeinere „Wissenschaftliche“ transponierte Traditionsbegriff (und damit auch die Vorstellung vom Traditionsbruch) das Augenmerk auf die extrem sensible Frage der damit verbundenen Terminologie. „Wissenschaftliche“ Terminologie ist auch als Metasprache nicht losgelöst von anderen Sprachregistern und Gebrauchskontexten der frühneuzeitlichen Gesellschaft zu denken, wie Lorraine Daston und Michael Stolleis anhand des Begriffes „Gesetz“ gezeigt haben8. Die Narrative des wissenschaftlich „Altbewährten“, „Neuen“, „Wiederentdeckten“, „Verworfenen“ etc. können sich nicht lösen von den Vorstellungen, die eine Gruppe von ihrer Vergangenheit, ihrer Zukunft und deren Verhältnis zueinander hat. Während in einem evangelischen Kontext das Ablehnen von Überliefertem zugelassen bis erwünscht, jedenfalls als Diskurs vorhanden war, musste dem „Neuen“ im katholischen Bereich von Anfang der Frühen Neuzeit an der diskursive Makel der reformatorischen novatores anhaften, weil die Tradition so eng mit der eigenen politischen Erinnerung und Identität verwoben war, dass mit dem Zulassen des „Neuen“ die eigene Institutionalität in Frage geraten musste. Es ist im Rahmen der hier vorzubringende Argumentation nicht darauf einzugehen, welche diskursiven und semantischen Lösungsvorschläge rund um den Begriff „Reform“ das Tridentinum geliefert und für die folgenden Jahrhunderte verbindlich gemacht hat9; als wesentlich sei festgehalten, dass die ins Werk gesetzten tridentinischen Maßnahmen die Grundlage vieler

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2011); The New Science and Jesuit Science. Seventeenth Century Perspectives, hg. von Mordechai FEINGOLD (Archimedes 6, Dordrecht 2003). Immer noch grundlegend für den Bereich der vormodernen studia humaniora: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Helmut ZEDELMAIER– Martin MULSOW (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 64, Tübingen 2001). Vgl. auch die Einleitung des vorliegenden Bandes. Natural Law and Laws of Nature in Early Modern Europe. Jurisprudence, Theology, Moral and Natural Philosophy, hg. von Lorraine DASTON–Michael STOLLEIS (Aldershot 2008). Vgl. etwa Ottmar FUCHS, Reform, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3, hg. von Walter KASPER et al. (Freiburg–Basel–Rom–Wien 31995) col. 927–929; Il concilio di Trento e il moderno, hg. von Paolo PRODI–Wolfgang REINHARD (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento. Quaderni 45, Bologna 1996); Clemens ZIMMERMANN, Reform, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 8, hg. von Joachim RITTER–Karlfried GRÜNDER (Basel 1992) col. 409–416.

196 Thomas Wallnig Prozesse bildeten, die für den Moment ihrer vollen Entfaltung im späten 17. und 18. Jahrhundert auch als „katholische Aufklärung“ bezeichnet werden, besonders was die Straffung administrativer und bildungspolitischer kirchlicher Strukturen betraf10. Ist aber nicht gerade die Überformung einer „katholischen Reform“ im Begriff einer „katholischen Aufklärung“ ein Widerspruch in sich? Auf einer deskriptiven Ebene – also ausgehend von der Annahme, es gebe im 18. Jahrhundert eine (protestantisch dominierte) „Aufklärung“ einerseits, katholische Reformbestrebungen andererseits – wurde schlüssig festgestellt, dass Aufklärung und katholische Reformbewegungen nur unter Ausklammerung wesentlicher Bereiche kompatibel sein konnten11. Dies darf freilich ebenso für weite Teile des protestantischen (orthodoxen) Mainstreams gelten12. Auf einer semantischen Ebene hat zuletzt eine historisierende Befassung mit dem Begriff eingesetzt13, die zugleich auch eine Analyse von „Aufklärung“ als modernem Geschichtsmythos ermöglicht: „katholische Aufklärung“ gibt es als Begriff nicht vor dem frühen 20. Jahrhundert, und alle dahin gehenden Konstruktionen enthalten das grundsätzliche Paradoxon, dass die durch 10 Ulrich L. LEHNER, Introduction: The Many Faces of the Catholic Enlightenment, in: A Companion to the Catholic Enlightenment in Europe, hg. von Ulrich L. LEHNER– Michael PRINTY (Brill’s Companions to the Christian Tradition 20, Leiden–Boston 2010) 1௅61, hier 18௅21. 11 Harm KLUETING, „Der Genius der Zeit hat sie unbrauchbar gemacht.“ Zum Thema Katholische Aufklärung – Oder: Aufklärung und Katholizismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Eine Einleitung, in: Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland, hg. von Harm KLUETING–Norbert HINSKE–Karl HENGST (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 15, Hamburg 1993) 1–35. – Gegen die Pluralisierung des Aufklärungsbegriffs argumentiert auch: Jonathan I. ISRAEL, Enlightenment Contested. Philosophy, Modernity and the Emancipation of Man (Oxford 2006). 12 Vgl. zur komplexen Situation im protestantischen Bereich: Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation, hg. von Monika NEUGEBAUER-WÖLK (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 37, Tübingen 2008); Ulrich BARTH, Aufgeklärter Protestantismus (Tübingen 2004); C. Scott DIXON, Faith and History on the Eve of Enlightenment: Ernst Salomon Cyprian, Gottfried Arnold and the History of Heretics. Journal of Ecclesiastical History 57/1 (2006) 33–54; Eruditio – Confessio – Pietas. Kontinuität und Wandel in der lutherischen Konfessionskultur am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann Benedikt Carpzovs (1639–1699), hg. von Steffen MICHEL–Anders STRAßBURGER (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 12, Leipzig 2009). 13 LEHNER, Introduction (wie Anm. 10) 3–8; Thomas WALLNIG, Approaches to the “Aufklärung” in Austrian Historiography after 1945, in: 18th Century Studies in Austria, 1945–2010, hg. von Thomas WALLNIG–Johannes FRIMMEL–Werner TELESKO (The Eighteenth Century and the Habsburg Monarchy, International Series 4, Bochum 2011) 33–50.

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„Aufklärung“ insinuierte Entwicklungslogik mit einer institutionelle Identität stiftenden Traditionslogik des alteuropäischen Katholizismus inkompatibel ist – oder scheint; dieser Frage nach der eigenen Historizität sind die folgenden Ausführungen gewidmet. Mehr als eine Semantik der „katholischen Aufklärung“ hat in der Ideengeschichte freilich die Frage Beachtung gefunden, wie denn das Historische an sich in die Geschichte gekommen sei14. Ulrich Muhlack15 hat für die frühneuzeitliche Historiographiegeschichte das Ausmaß an menschlicher Entwicklungslogik als einen Indikator für die Nähe oder Ferne von der Aufklärungshistorie angenommen, und ebenso deutlich wie detailliert zeigt sich das Phänomen etwa in der Einschätzung der historischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz16. Ähnlich weit wie Leibniz ragt in den süddeutsch-österreichischen Kontext, der im Fokus der folgenden Argumentation liegt, ein weiterer früher katholischer Verfechter kulturalistischer Geschichtsbetrachtung: Giovanni Battista Vico, in dessen Hauptwerk der Mensch in seinen Äußerungen von Kultur und Sprache als Träger historischer Entwicklung aufgefasst wird17. Etwa in den institutionsgeschichtlichen Werken von Pietro Giannone und Gottfried Philipp Spannagel war diese Form der Geschichtsauffassung auch im Wien des frühen 18. Jahrhunderts präsent18. Freilich war Giannone dezidiert antiklerikal eingestellt und wurde von der Kirche aktiv verfolgt, Vico bediente mit der Scienza nuova ein Paradigma der wissenschaftlichen Neuerung, das sich ebenfalls nicht im institutionellen Rahmen kirchlicher Traditionswahrung bewegte; Spannagel stand in 14 Nachgezeichnet für den Spannungsbogen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert etwa bei: Helmut ZEDELMAIER, Der Anfang der Geschichte. Studien zur Ursprungsdebatte im 18. Jahrhundert (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 27, Hamburg 2003). 15 Ulrich MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus (München 1991). 16 Malte-Ludolf BABIN–Gerd VAN DEN HEUVEL, Gottfried Wilhelm Leibniz. Schriften und Briefe zur Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218, Hannover 2004) 11–50, insb. 48–50. 17 Harold Samuel STONE, Vico’s Cultural History. The Production and Transmission of Ideas in Naples, 1685–1750 (Brill’s Studies in Intellectual History 73, Leiden– New York–Köln 1997). 18 Vgl. den Beitrag von Elisabeth Garms-Cornides und Fabio Marri in diesem Band. Vgl. weiters: Giuseppe RICUPERATI, L’esperienza civile e religiosa di Pietro Giannone (Milano 1970); Gisela SCHLÜTER, Giannone und Vico. Eine Bestandsaufnahme nebst einer Detailfrage, in: Gelehrsamkeit in Deutschland und Italien im 18. Jahrhundert, hg. von Giorgio CUSATELLI–Maria LIEBER–Heinz THOMA–Edoardo TORTAROLO (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 8, Tübingen 1999) 26–40.

198 Thomas Wallnig dynastischen, nicht in kirchlichen Diensten, Leibniz ebenso. Was aber ist von den zeitgenössischen Gelehrten zu sagen, die im unmittelbaren „Erinnerungsraum“ der katholischen Kirche lebten, deren Arbeit zugleich materieller und ideeller Teil desselben war?19

II. Nur mehr eingeschränkt gilt heute der Topos von der fehlenden Forschung auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen katholischen Gelehrsamkeit, wobei die (berechtigte) Kritik in dieser Richtung20 möglicherweise nicht nur auf das quantitative Missverhältnis abhob (es gab und gibt viel regionale und kirchengeschichtliche Forschung zu einzelnen katholischen Gelehrten), sondern zugleich auf die Schwierigkeit bei dem Versuch, diese Gelehrten in „breitere“ wissenschaftshistorische, „geistes“- oder ideengeschichtliche Diskurse einzuschreiben. Deren zentrale Begriffe für die Frühe Neuzeit sind eben „Aufklärung“, „Scientific Revolution“ und „Säkularisierung(en)“21, und in diese Diskurse scheint die zeitgenössische („deutsche“) katholische Produktion schwer integrierbar zu sein. Dabei teilen die „gelehrten Kulturen“ aller christlichen Konfessionen dasselbe Grundanliegen, das mit dem Humanismus auch in derselben Gedankenwelt wurzelt: eine anpassende und kritisch selektierende Lektüre (um nicht zu sagen „Überwindung“) von Aristoteles und des auf ihm fußenden mittelalterlichen und frühneuzeitlichen scholastischen „Aristotelismus“ 22. Wenn aber die Scholastik der Gegner ist23 – möglicherweise der interkonfessionelle Topos der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit –, so kann man 19 Vgl. zu diesem Problem im Bereich der römischen Kirchengeschichtsschreibung den Beitrag von Bernward Schmidt in diesem Band. 20 Etwa bei: Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 11–24. 21 Matthias POHLIG–Ute LOTZ-HEUMANN–Vera ISAIASZ–Ruth SCHILLING–Heike BOCK– Stefan EHRENPREIS, Säkularisierungen in der Frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien (Berlin 2008). 22 Vgl. Der Aristotelismus an den europäischen Universitäten der frühen Neuzeit, hg. von Rolf DRAGE–Emmanuel J. BAUER–Günter FRANK (Stuttgart 2010); Mordechai FEINGOLD, Aristotle and the English Universities in the Seventeenth Century. A Re-evaluation, in: European Universities in the Age of Reformation and Counter Reformation, hg. von Helga ROBINSON-HAMMERSTEIN (Dublin 1998) 135–148. 23 Vgl. die Behandlung der frühneuzeitlichen Scholastik bei: Ulrich G. LEINSLE, Einführung in die scholastische Theologie (Uni-Taschenbücher 1865, Paderborn– München–Wien–Zürich 1995).

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ihr diskursiv dadurch entgegentreten, dass man ihre naturphilosophischen Fundamente beseitigt und diese durch neue ersetzt; respektive, indem man, bei Umgehung ihrer philosophisch-logischen Inhalte, jene theologischen relativiert, indem man sie historisiert. Will man die unterschiedlichen frühneuzeitlichen Gelehrtenwelten dies- und jenseits der konfessionellen Grenzen studieren, so könnte man das durch den funktionalen Vergleich ihrer jeweiligen Leitdisziplinen tun: Es drängt sich hier eine parallele Betrachtung von Mathematik, Philosophie, historischer Kritik und Rechtswissenschaft in ihrer jeweiligen Funktion für die begriffliche Gesamtarchitektur des Wissenssystems und die soziale Implementierung von Wissen auf. Anders nämlich als die Frage nach „katholischer Aufklärung“, die so deutlich spätere Kategorien birgt, dass sie an der zeitgenössischen Terminologie des frühen 18. Jahrhunderts gleichsam abgleitet24, bildeten sich an der Frage der Historizität kirchlicher und monastischer Inhalte tatsächlich kontroversielle Diskurse innerhalb des katholischen Milieus des 18. Jahrhunderts heraus. Das ist insofern von eminenter inhaltlicher und methodologischer Bedeutung, als der gelehrte Konflikt25 im katholischen Bereich, innerhalb des katholischen „kulturellen Gedächtnisses“, nie „nur“ Konflikt von Ideen, sondern immer zugleich auch Konflikt von institutionalisierten Traditionen sein musste. So sehr dies eine Integration in die master narrative der Aufklärung erschwert, so sehr begünstigt es einen Blick auf Gelehrsamkeit als soziale Praxis. Die Kampfbegriffe der Personengruppen, die sich methodologisch mit einem Konzept von Quellenkritik identifizierten und gegen rhetorischpanegyrisch angelegte Historiographie und spekulative Theologie zu Felde zogen, lauteten im frühen 18. Jahrhundert etwa critica und litterae in Ab24 Eine positive Rezeption des Begriffes „Aufklärung“, freilich ohne die Epitheta „katholisch“ oder „monastisch“, erfolgte bei den „deutschen“ Benediktinern im letzten Jahrhundertdrittel: Ulrich L. LEHNER, Enlightened Monks. The German Benedictines 1740–1803 (Oxford 2011). 25 Vgl. Anne GOLDGAR, Impolite Learning. Conduct and Community in the Republic of Letters 1680–1750 (New Haven–London 1995); Maarten ULTÉE, Res publica litteraria and War, 1680–1715, in: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, hg. von Sebastian NEUMEISTER–Conrad WIEDEMANN (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 14, 2 Bde., Wiesbaden 1987) 2 535– 546; Françoise WAQUET, La République des Lettres: un univers de conflits, in: Pouvoirs, contestations et comportements dans l’Europe moderne. Mélanges en l’honneur du professeur Yves-Marie BERCÉ, hg. von Bernard BARBICHE–JeanPierre POUSSOU–Alain TALLON (Centre Roland Mousnier 23, Paris 2005) 829–840. 2011 wurde von Kai Bremer und Carlos Spoerhase ein DFG-Netzwerk zum Thema „Gelehrte Polemik“ initiiert; vgl. auch: Gelehrte Polemik. Internationale Konfliktverschärfungen um 1700, hg. von Kai BREMER–Carlos SPOERHASE (Zeitsprünge 15, Frankfurt am Main 2011).

200 Thomas Wallnig grenzung zu den nugae scholasticae und der theologia scholastica26. Mit diesen Bezeichnungen selbst jedoch, mehr noch mit der Ausschließlichkeit ihres Gegensatzes, ist mitten im Establishment der kirchlich verpflichteten katholischen Gelehrsamkeit implizit ein historisches Moment doktrinärer Divergenz angesprochen, das nur durch historische Entwicklung erklärt werden kann: Indem die positive Theologie mit einem unverfälschten Urzustand argumentierte, kam sie argumentativ nicht ohne die Historizität von Geschichte aus, wenn sie nicht den diskursiven Rahmen des tridentinischen Traditionsbegriffs in Frage stellen wollte.

III. Im späten 17. Jahrhundert wurde der maurinische Historiker Jean Mabillon, Hauptverantwortlicher – und damit de facto Träger einer institutionell durchaus umstrittenen Diskurshoheit – für die gesamte benediktinische Ordensgeschichte, mehrfach mit offiziellen, also auch kirchenrechtlich maßgeblichen Anfragen konfrontiert. Diese betrafen die Verehrung von Heiligen oder Reliquien, deren historische Authentizität nicht belegbar war27. Mabillon trennte die Legitimität des Kultes von der offensichtlichen Unhaltbarkeit seines Gegenstandes und öffnete ein nur historisch legitimierbares Fenster für falsch begründete religiöse Handlungen, indem er die Reliquienverehrung aus dem Begriff der kirchlichen Tradition heraushob. Ohne diesen ebenso theologischen wie historischen Kunstgriff hätte man ein kirchenrechtlich heikles Feld traditionswidriger Praxis betreten müssen – mit allen potentiell häresiologischen Konsequenzen. Der nachtridentinische Katholizismus, der aus programmatischer Notwendigkeit seine Legitimität auf seine ungebrochene apostolische Tradition stützen und erhebliche Energien in deren Nachweis investieren musste28, 26 Vgl. beispielsweise den Gebrauch der Begriffe in der Korrespondenz der Brüder Bernhard und Hieronymus Pez: Thomas WALLNIG–Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondernz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare. Band 1: 1709– 1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010) 3, sowie nach Index II. 27 Jean MABILLON, Lettre d’un bénédictin à Mgr. l’éveque de Blois touchant le discernement des anciennes reliques, au sujet d’une dissertation de M. Thiers contre la Sainte Larme de Vendôme; Jean MABILLON, Dissertation sur le culte des saints inconnus. Lettre d’Eusèbe à Théophile, in: Daniel-Odon HUREL, Dom Mabillon. Œuvres choisies précédées d’une biographie par dom Henri Leclercq (Bouquins, Paris 2007) 681–717, 721–786. Zu Mabillon vgl. auch die Beiträge von Andreea Badea, Mark Mersiowsky, Peter N. Miller und Jan Marco Sawilla in diesem Band. 28 BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 25–164, insb. 31, 35, 48f., 136–138, 159f.

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stand vor einem erheblichen epistemologischen Problem. Seine Verfechter sahen sich genötigt, eine alles andere als teleologisch verlaufende, alles andere als in ihrer Überlieferung nachvollziehbare und alles andere als narrativ kohärente Gemengelage an „Überresten“ in die Kategorien der eigenen Identität einer ecclesia semper eadem zu verdichten29. Der Umgang mit Divergentem in der Geschichte konnte als relativ unproblematisch gelten, solange hinsichtlich der „Häresie“ eines Autors oder einer Richtung kanonischer Konsens bestand und nur das Problem diskutiert wurde, ob man seine Schriften drucken dürfe. Ein Beispiel hierfür sind antikuriale Briefe des Berengar von Tours, gegen deren Publikation durch den Melker Geschichtsforscher Bernhard Pez der Wiener Hofbibliothekspräfekt Johann Benedikt Gentilotti polemisierte30. Schwerer hatte es derselbe Bernhard Pez hingegen, wenn mit Ratram von Corbie ein benediktinischer Autor des 9. Jahrhunderts zur Edition anstand, dessen nominalistische Kritik an der Transsubstantiation zu bemerkenswertem Interesse seitens kalvinistischer Gelehrter des 16. Jahrhunderts geführt hatte; hier ersparte ihm möglicherweise das Interesse des damals noch protestantischen Historikers Johann Georg Eckhart an der editio princeps eine weitere Auseinandersetzung31. Deklarieren musste sich Pez aber schließlich dort, wo es explizit um die Abweichung früherer Gepflogenheiten von den aktuellen ging, die, wollte er einer dogmatischen bzw. kanonistischen Beurteilung ausweichen, nicht anders als historisch erklärt werden konnten: „Wenn das [ein mittelalterlicher Text mit restriktiveren Vorgaben zum Geflügelkonsum] einem Mönch unserer Zeit missfällt und er es darum von uns für wenig klug hält, dass wir solche Bücher herausbringen, in welchen die eingeführtesten Gepflogenheiten unserer Zeit und die verbreitetsten Gebräuche gescholten werden, so möge er überlegen, dass wir niemandem ein Gesetz, nach dem er sein Leben richten soll, vorschreiben, 29 Markus VÖLKEL, Wie man Kirchengeschichte schreiben soll. Struktur und Erzählung als konkurrierende Modelle der Kirchengeschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter, in: Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Arndt BRENDECKE– Ralf-Peter FUCHS–Edith KOLLER (Pluralisierung und Autorität 10, Berlin 2007) 455–489. 30 Zu der Kontroverse vgl. Ines PEPER–Thomas WALLNIG, Ex nihilo nihil fit. Johann Benedikt Gentilotti und Johann Christoph Bartenstein am Beginn ihrer Karrieren, in: Adel im „langen“ 18. Jahrhundert, hg. von Gabriele HAUG-MORITZ–Hans-Peter HYE–Marlies RAFFLER (Zentraleuropa-Studien 14, Wien 2009) 167–185. Zu Bernhard und Hieronymus Pez vgl. die Einleitung zu diesem Band. 31 Zur Übersendung der Vorlage von Mabillon an Leibniz aufgrund der Probleme mit der französischen Zensur sowie den Druck durch Eckhart vgl. Thomas WALLNIG, Johann Georg Eckhart als Verwerter von Leibniz’ historischen Kollektaneen: Geschichtsforscher in höfischen Diensten oder gelehrter Beamter?, in: Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, hg. von Nora GÄDEKE (2011) (im Druck).

202 Thomas Wallnig sondern nur zeigen wollten, was heilige Männer Gottes von solchen Dingen gedacht haben.“32 Es liegt auf der Hand, dass die hier angesprochene Frage des Geflügelkonsums durch Mönche in ihrer theologischen Bedeutung nicht an die Transsubstantiation herankam, doch konnte die Historisierung des einen Phänomens weitreichende Folgen für das andere und das gesamte dogmatische Lehrgebäude haben. Überdies führte die Frage der Historizität monastischer Praxis unmittelbar an eine zentrale Bruchlinie der Ordensgeschichte des 18. Jahrhunderts. Während Bernhard Pez aus seiner Prädilektion für mittelalterlichen Reformmonastizismus kein Hehl machte33 und damit ganz auf der positivtheologischen und damit hortativ-restaurativen Linie der Mauriner lag34, führte die Historisierung monastischer Gewohnheiten den St. Blasianer Marquard Herrgott wenige Jahre später in seinem Werk Vetus disciplina monastica zu einer anderen naheliegenden Konsequenz: Die strengere Ordensdisziplin früherer Zeiten habe damals ihre Bedeutung gehabt, sei aber nun hinfällig und hinderlich35. Der Weg zu den zentralen lebenswelt32 Bernhard PEZ, Thesaurus anecdotorum novissimus (Augsburg–Graz 1721) 2 XXXIIIf.: Quod si cui nostri temporis coenobitae displicuerit eaque propter is parum prudenter a nobis factum censuerit, quod eiusmodi libellos protulerimus, in quibus recentissimi aetatis nostrae mores et vulgatissimae consuetudines reprehendantur: is cogitet nos memini [sic] legem, ad quam vitam exigat, praescribere, sed ostendere tantummodo, quod sancti Dei homines de huiusmodi rebus existimaverint, voluisse. Es geht um den Honorius Augustodunensis zugeschriebenen Text De esu volatilium. 33 Vgl. Bernhard PEZ, Bibliotheca ascetica antiquo-nova 1 (Regensburg 1723), Praefatio (unpag.) 34 Edmond MARTÈNE, De antiquis monachorum ritibus libri quinque, 1 (Paris 1690), Praefatio ad lectorem (unpag.): […] hanc tamen de antiquis monachorum ritibus collectionem piis lectoribus haud ingratam fore speramus; non solum, quod ea sit sacrarum rerum natura, ut quamdam sui reverentiam religiosis mentibus inspirent, sed etiam, quod delitescentes hactenus ac pene oblitae maiorum nostrorum consuetudines ac ceremoniae in ea continentur, quarum cognitio haud parum conferre poterit, tum ad excitandum in nobis avitae virtutis desiderium divinumque illum fervorem excitandum, quo succensi fuerunt ii, quos vel ut parentes colimus, vel ut frates sociosve eiusdem propositi suspicimus; tum ad praelucendum iis, qui regularis observantiae disciplinam postmodum restituere aggredientur. 35 LEHNER, Enlightened Monks (wie Anm. 24) 20. Marquard HERRGOTT, Vetus disciplina monastica (Paris 1726), Dedikationsepistel an Abt Blasius Bender (gezeichnet von den Prioren und Konventen der St. Blasianer Kongregation, unpag.): Scimus enim te christiane ambitiosum ad eas unice laudes adspirare, quibus non inanis apud homines gloria, sed immortale felicitatis aeternae proemium promeretur. Hinc in observandis, quantum urgentia negotia et affecta corporis valetudo permittunt, regularis vitae officiis diligentia, vigilantia in exigendis. Hinc media in aula fastus aversatio, religiosae modestiae studium, prudens in sumptibus moderatio, sanctioris normae custodia, solitudinis desiderium. Hinc denique sine causa abrogatarum

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lichen Konflikten der „monastischer Aufklärung“ des 18. Jahrhunderts – also zum Streit um die Zulassung von Billardtischen, Seidenhüten und verfeinerter Gastronomie in den Klöstern36 – war damit auch aus der historischkritischen Forschung heraus geebnet. Bemerkenswert ist hierbei, dass dieser ja in seinem Kern lebensweltliche Fragenkomplex monastischer Disziplin in sich selbst eine Verschränkung von spirituellen, administrativen und alltagsgeschichtlichen Problemfeldern (Essen, Kleidung, Tagesrhythmus) darstellt und somit einen „kulturhistorischen“ Zugang zu kirchengeschichtlichen Fragen geradezu erzwingt, konkret etwa in der Form von Pez’ gastronomischem Exzerpt De appetitu sanctorum37 (Abb. 32). Vielleicht geschah diese conversio38 culturalis im Rahmen der monastischen Gelehrsamkeit sogar schlüssiger als in den weitaus abstrakteren Kontexten aufgeklärter, idealistischer, historistischer, sozialhistorischer oder postmoderner Annäherung an „Kulturgeschichte“ und „-wissenschaft“. Der naheliegende Schritt zur Historisierung der eigenen Ordensgeschichte wurde von Bernhard Pez allerdings nur implizit vollzogen oder blieb im Ansatz – im Gegensatz etwa zu den deutlich auf (freilich unteleologische) Entwicklung abzielenden Vorreden zu den maurinischen Bänden der Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti und der Annales ordinis sancti Benedicti39, und ebenso im Gegensatz zu dem Werk, in das nach Pez’ Tod 1735 seine gelehrten Anstrengungen einmündeten, die Historia rei literariae ordinis sancti Benedicti von Magnoald Ziegelbauer und Oliver Legipont. Spiegelte

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legum renovatio, novarum constitutio, consuetudinum contra leges inductarum abolitio. Zu Herrgott: Josef Peter ORTNER, Marquard Herrgott (1694–1762). Sein Leben und Wirken als Historiker und Diplomat (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs 5, Wien 1972). LEHNER, Enlightened Monks (wie Anm. 24), insb. 27–79. Es handelt sich um eine kurze Notiz zu gastronomischen Episoden in Heiligenviten von der Hand des Bernhard Pez; der Hintergrund ist unklar. Stiftsarchiv Melk, Kt. 85 Varia 25, Fasz. 1, Nr. 6. Adam Friedrich KIRSCH, Abundantissimum cornu copiae linguae Latinae et Germanicae selectum (3 Bde., Augsburg 1746) 3 col. 883. Das folgende Beispiel kann für den Grundtenor gelten: Jean MABILLON, Annales ordinis sancti Benedicti (6 Bde., Paris 1703–1739) 3, Praefatio (unpag.): Annalium nostrorum tomus tertius posteriores quinque saeculi noni annorum decades, octo vero priores saeculi decimi complectitur. Mirum esset, si in tam longo tot annorum decursu res publicae uno eodemque tenore fluxissent, cum nec anni annis similes, immo nec dies diebus pariles plurimum succedant. At nihilo minus permirum nonnullis videri possit, in duobus illis saeculis, quae sese contingunt, tantam subito factam esse rerum conversionem, ut moribus longe amplius distent, quam temporum intervallis. In unmittelbarer Folge werden die Päpste des 10. Jahrhunderts kritisiert. Die weitere Praefatio lebt von der Kontrastierung der beiden saecula.

204 Thomas Wallnig die Titelgestaltung der genannten maurinischen Großprojekte eine zwischen vergegenwärtigter Vergangenheit und Heilsgeschichte oszillierende mittelalterlich-humanistische Geschichtsauffassung, evozierte Pez’ Großprojekt eines Bibliotheca Benedictina genannten Schriftstellerlexikons zeitgenössische bio-bibliographische Ordnungskategorien, so präsentierte das Werk von Ziegelbauer und Legipont das davon sichtbar abgesetzte Programm einer historia rei literariae, einer Geschichte der Gelehrsamkeit des Benediktinerordens. Dieser Anspruch zeigt sich nicht nur im Titel, sondern auch in der Konzeption des Werkes. Es besteht aus vier Teilen (einem allgemeinen und einem speziellen historischen, einem biographischen und einem bibliographischen Teil), deren zweiter eine Geschichte der Entwicklung einzelner Fächer und gelehrter Teildisziplinen darstellt. Findet sich in der Leservorrede zum ersten Teil die traditionelle Topik von der gloria des Ordens, die illustriert werden soll, so bedient die Einleitung zum zweiten Teil nicht nur vehement den Diskurs des einfachen Stils und der historischen Wahrheit, sondern zugleich auch den der Historizität und Gewordenheit. Es wird „eine volle Abhandlung dessen gegeben, was eine partikuläre Literargeschichte verlangt, damit wir nicht nur durch nackte Fakten und aufzuzählende Autorennamen nüchtern und ausschließlich beschäftigt werden, sondern wir auch ein Urteil über Schicksal und Wandel der einzelnen Disziplinen anführen und wir besonders die wahren Ursprünge der (Denk-)Systeme und Meinungen, ihre Gründe, Anfänge, Verbindung und verschiedenen Auswirkungen selbst auf die Dogmen erkennen.“ Es geht dabei – wie bei Pez – nicht darum, die „Wissenschaften, Künste und Disziplinen“ aufzuzeigen, deren Studium den Religiosen gezieme oder von den Superioren zu empfehlen sei, sondern darum, „zu erzählen, mit welchem Fleiß und welcher Sorgfalt sie betrieben wurden.“40 40 Magnoald ZIEGELBAUER–Oliver LEGIPONT, Historia rei literariae ordinis sancti Benedicti (4 Bde., Augsburg–Graz 1754) 2, Praefatio (unpag.): Paucis tamen introductionis loco monendus es, in eo nos omnium virium nervis fuisse occupatos, ut quantum historiae literariae particularis institutum postulabat plenam daremus tractationem, nec in nudis factis et authorum nominibus recensendis soli ac ieiuni distringemur, sed iudicium quoque de fatis et vicissitudinibus cuiuslibet disciplinae interponeremus, ac praesertim ad detegendas veras systematum et opinionum origines, causas, principia, nexum effectusque in ipsis dogmatibus varios respiceremus atque posthabito omni partium et praeiudiciorum studio, genuinos scientiarum inter veteres ac medii nostrique aevi Benedictinos cultarum vultus detegeremus. […] Nobis vero animo hoc loco non est, designare scientias, artes et disciplinas, quarum studium coenobitis conveniat vel etiam a superioribus concedi debeat, sed qua industria ac diligentia illae ab his excultae fuerint, tradere historiam. Zu Ziegelbauer: Martin RUF, P. Magnoald Ziegelbauer OSB (1688–1750). Ein Gelehrtenleben des Barocks. Ellwanger Jahrbuch 32 (1987/88) 85–108.

Ordensgeschichte als Kulturgeschichte? 205

Bemerkenswert ist der Gebrauch des vertrauten vormodernen Vokabulars der Gelehrsamkeit – iudicium, vicissitudo, origo, causa – in einer Bedeutung, die sich gegenüber der traditionellen Semantik um eine Nuance verschoben und „dynamisiert“ hat; ebenso ist die epochenübergreifende Disziplinengeschichte als entwicklungsgeschichtlich denkbare, „kulturhistorische“ Abstraktion gegenüber dem traditionellen Modell des status der Gelehrsamkeit in den einzelnen Jahrhunderten zu sehen. Die Begriffe systema und nexus hingegen sind „neu“: Sie finden sich noch nicht in der Sprache der Pez-Generation und können mit Vorsicht in den Kontext der benediktinischen Rezeption von Christian Wolff gerückt werden41.

IV. Anders stellte sich Geschichte freilich – auch aus benediktinischer Sicht – dar, wenn es um ihre enzyklopädische Systematisierung für den Studiengebrauch ging. So finden sich in Anselm Desings Methodus contracta historiae nur wenige Spuren der oben vorgestellten Differenzierungen, vielmehr reiht die fünffache Untergliederung von Gegenständen der entfernteren Geschichte die res religiosae seu ecclesiasticae zwischen die res divinae und angelicae einerseits, die res naturales und usuales andererseits ein. Innerhalb der kirchlichen Gegenstände nennt Desing zum einen res proprie, also sacramenta, sacrificia, cerimonia; templa, arae, imagines, idola, vestes, insignia etc., dann personae und schließlich dogmata, bei denen – in deutlicher Abgrenzung zum sichtbar kulturalistischeren Zugang zu den kirchlichen oder eben allgemein religiösen Gebräuchen – unterschieden wird zwischen vera: non alia quam catholica und falsa: quorum sunt quaedam ethnica42. Handelte es sich also bei der Historisierung der Dogmen in der Historia rei literariae OSB um eine Ausnahmeerscheinung in der Produktion gelehrter Benediktiner des 18. Jahrhundert? Hier ist, anhand von Stichproben, eine Gegenfrage zu erörtern. Wenn nicht nur historia selbst, sondern auch ihre 41 Vgl. die im Zusammenhang mit der Vorstellung von einem nexus rerum durch Leibniz, Wolff und Alexander Gottlieb Baumgarten entwickelte Erkenntnistheorie: Ursula FRANKE, Analogon rationis, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1, hg. von Joachim RITTER (Basel–Stuttgart 1971) col. 229f. Ausführlich behandelt wird die benediktinische Wolff-Rezeption bei: LEHNER, Enlightened Monks (wie Anm. 24). 42 Anselm DESING, Methodus contracta historiae (Amberg 1725), Schema 1, 1–2. Zu Desing vgl. Anselm Desing. Ein benediktinischer Universalgelehrter im Zeitalter der Aufklärung, hg. von Georg SCHROTT–Manfred KNEDLIK (Kallmünz 1999).

206 Thomas Wallnig sich dynamisierende Spielart als Kulturerscheinung aufzufassen sein soll, so dürfte ihr Wirkungskreis nicht auf die Darstellung der Ordensgeschichte im engeren Sinn beschränkt sein, sondern müsste sich auch dort nachweisen lassen, wo religiöse Tradition zur juristischen, pädagogischen und spirituellen Wirklichkeit wurde: etwa in der Kanonistik, in der Schulphilosophie und in der asketischen Literatur. Der BĜevnover Abt und Kanonist Franz Stephan Rautenstrauch, später ein bedeutender josephinischer Reformer, brachte 1769 ein kanonistisches Einführungslehrbuch heraus, in welchem er auf eine historische Kontextualisierung und damit kritische Bewertung des Kirchenrechts abzielte. Man müsse die rationes legum kennen, die Umstände, die zu kirchenrechtlichen Äußerungen geführt haben – die Affinität zum esprit des lois liegt nahe, gefasst jedoch wiederum in traditioneller lateinischer Terminologie43. Ausführlich beschäftigen Rautenstrauch die Pseudoisidorischen Fälschungen, und obwohl der Text verständlicherweise nicht aus der prinzipiellen Historisierung des Kirchenrechts dessen Relativität ableitet, muss Rautenstrauch dennoch die Fälschung als solche aufzeigen und eine historische Erklärung für ihre Übernahme in die Dekretalensammlungen bieten: „Weder der eiserne und ungekämmte Stil der Dokumente, noch die in ihnen enthaltenen Gegenstände entsprechen dem Geist der frommen Päpste der [ersten] vier Jahrhunderte.“44 Übernommen wurden die pseudoisidorischen Dekretalen, „weil die Päpste, denen sie ja ohnehin kaum missfallen konnten, vehement auf deren Autorität pochten, und die Bischöfe selbst häufig Gebrauch von ihnen machten wie von echten und wertvollen antiken Weisungen und diese wiederholt verwendeten, wenn sie sich der Gerichtsbarkeit der Metropoliten entziehen wollten.“45 Während also in der Kanonistik des späteren 18. Jahrhunderts eine Forderung nach Historisierung im Sinne der positiven Theologie nachweisbar 43 An anderer Stelle verwendet Rautenstrauch explizit die Bezeichnung spiritus, z. B. evangelicae legis spiritus in seinen Notizen zur Moraltheologie: Praha, Narodní Archiv, Benediktini BĜevnov, Kniha 92, 94r. Zu Rautenstrauch vgl. Beda MENZEL, Abt Franz Stephan Rautenstrauch von BĜevnov-Braunau. Herkunft, Umwelt und Wirkungskreis (Veröffentlichungen des Königsteiner Instituts für Kirchen- und Geistesgeschichte der Sudetenländer 5, Köngstein im Taunus 1969). 44 Franz Stephan RAUTENSTRAUCH, Institutiones iuris ecclesiastici cum publici tum privati (Praha 1769) 29: Neque stilus horum epistularum ferreus et incomtus neque res contentae genio piorum IV saeculorum pontificum consonant. 45 RAUTENSTRAUCH, Institutiones (wie Anm. 44) 27: […] quod pontifices, quibus alioquin displicere vix poterant, earum auctoritatem acerrime urgerent et episcopi ipsi frequenter iis uterentur ceu genuinis et pretiosis antiquitatis monumentis, eosque subin lubenter amplectarentur, quoties metropolitanorum iudiciis se cupiebant subducere. Es folgt die Forderung nach einer critica sacra auf der Basis der Kirchengeschichte.

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ist46, ist nun zu betrachten, wie es sich im Bereich der katholischen Schulphilosophie verhielt, die ja einen der Kernbereiche diskursiver Reproduktion darstellte, und die sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem immer stärkeren Druck der „modernen Naturphilosophie“ auseinanderzusetzen hatte. Paul Richard Blum hat verschiedene Formen dieses Konflikts dargestellt, von der strikten Gegenüberstellung der „alten“ scholastischen und der „neuen“ kopernikanisch-cartesianischen Philosophie in den Universitätsreden des Erfurter Schottenmönchs Andreas Gordon47 bis zum im 17. und frühen 18. Jahrhundert rekurrenten Integrationsmodell des „Alt-Neuen“ (antiquo-novum). Hauptstrang einer solchen Argumentation war, dass René Descartes’ Philosophie tatsächlich eine „neue“ Wiederbelebung „alten“ (antiken) Gedankengutes darstellte, was zumeist gegen ihn und die sich auf ihn als Neuerer Berufenden verwendet wurde. Umgekehrt öffnete diese Formel den Weg zu einer Integration des „Modernen“ in die katholische Schulphilosophie, wie zahlreiche „alt-neu“ ausgerichtete Werke von Ordensgeistlichen des angesprochenen Zeitraums zeigen (etwa Marian Schwab, Étienne Noël, Jean Baptiste Duhamel, José Saenz d’Aguirre, Tommaso Ceva, Giovanni Domenico Agnani, Beda Seeauer oder Adam Pfister)48. Aufmerksam für das Problem der Historizität in diesem Zusammenhang bringt Blum die Reflexionen Nicolas Malebranches vor und schließt: „Es geht nicht um diese oder jene Schule, diese Autorität oder jene oder gar keine, es geht auch nicht wirklich um die Frage des Glaubens oder des Wissens, Theologie oder Philosophie: für Malebranche geht es um die Wahrheit. Die Wahrheit allerdings scheint sich in verschiedenen Formen zu präsentieren, von denen zwei Grundtypen zu existieren scheinen, der alte und der immer neue. Dann aber bedeutet das, daß die Wahrheit auf zwei grundverschiedene Weisen gesucht sein will. Letztlich, sie will gesucht sein.“49 46 Vgl. KLUETING, Genius (wie Anm. 11) 16; Paul MUSCHARD, Das Kirchenrecht bei den deutschen Benediktinern und Zisterziensern des 18. Jahrhunderts. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 47 (1929) 225–315, 477–596; Heribert RAAB, Die „katholische Ideenrevolution“ des 18. Jahrhunderts. Der Einbruch der Geschichte in die Kanonistik und die Auswirkungen in Kirche und Reich bis zum Emser Kongress, in: Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland (wie Anm. 11) 104–118. Vgl. auch BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 88. 47 Paul Richard BLUM, Philosophenphilosophie und Schulphilosophie. Typen des Philosophierens in der Neuzeit (Studia Leibnitiana Sonderheft 27, Stuttgart 1998) 213f. Vgl. auch BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 120. 48 BLUM, Philosophenphilosophie (wien Anm. 47) 217f. 49 BLUM, Philosophenphilosophie (wie Anm. 47) 220f. Vgl. auch Patricia STEINFELD, Realität des Irrtums. Die Konzeption von Wahrheit und Irrtum in Nicolas Malebranches Recherche de la vérité (Miroir et image 2, Frankfurt am Main et al. 1997).

208 Thomas Wallnig Damit aber eröffnet sich eine weitere Konsequenz für das Verständnis von Geschichte, die weit über den ahistorischen Antagonismus von richtigfalsch und katholisch-häretisch, gleichzeitig auch noch ein Stück über das „(falsch) Gewordene“ hinausgeht: es kann ein Nebeneinander von Wahrheiten gedacht werden; und während bereits die institutionellen Kernbereiche des Religiösen mit der kritischen Historisierung von Kirchengeschichte und Kirchenrecht zumindest in der Vergangenheit Devianz als historisches Phänomen legitimieren mussten, trat in den Bereichen, wo das Wahrheitskriterium – „noch“ – im Metaphysischen und damit im Psychologischen verhaftet ist50, eine potentielle Wahrheit neben die andere. Dies zeigt sich auch in der Anwendung der Formel des „Alt-Neuen“ im Bereich der spirituellen Literatur. Der bereits erwähnte Bernhard Pez gab unter dem Titel Bibliotheca ascetica antiquo-nova im leicht erschwinglichen Kleinformat spirituell-monastische Schriften vornehmlich des Spätmittelalters für den Gebrauch in den Klöstern seiner Zeit heraus. Als Begründung des Werkes lieferte er im ersten Band (einmal mehr) den humanistischen Topos von den in den Bibliotheken von Motten zerfressenen und nun ans Licht zu bringenden wertvollen (asketischen) Altertümern. Es fällt dabei auf, dass Pez im Gegensatz zu den Gepflogenheiten des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts nicht selbst als Verfasser von Exerzitien oder Erbauungsliteratur auftrat, sondern das Wort seinen Gewährsleuten überließ „da, wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe, literarische/gelehrte Werke, dabei besonders asketische [!], nicht aufgrund ihres Alters, sondern aufgrund der Stärke und Festigkeit ihrer Lehre zu beurteilen sind.“51 Mit größter Selbstverständlichkeit führt Pez innerhalb des theologischen Diskurses der doctrina ein (höchst subjektives) Kriterium für die spirituell-ästhetische Qualität von Schriften ein52, das zugleich jedwedes Ordnungsprinzip inner50 Der asketisch-subjektive Zugang zu wissenschaftlicher Wahrheit als Wahrhaftigkeit ist ein zentrales Thema in vielen Schriften Mabillons, besonders im Traité des études monastiques und den Bréves réflexions sur quelques règles de l’histoire: HUREL, Mabillon (wie Anm. 27) 367–625, 932–951. Das Thema wird eingehend behandelt in dem Beitrag von Peter N. Miller in diesem Band. 51 PEZ, Bibliotheca ascetica (wie Anm. 33) 1, Praefatio (unpag.): Porro in hac Bibliotheca ascetica non tantum veterum a pluribus retro saeculis clarorum, sed etiam recentiorum non nihil, si quidem egregii sint, ascetarum opuscula hactenus inedita aut saltem paucissimis cognita in lucem evulgo, cum, ut alibi iam monui, monumenta litteraria, praecipue ascetica, non ex aetate, sed ex robore atque soliditate doctrinae pendenda sint. 52 Ein weiteres Beispiel hierfür bietet Pez’ Würdigung von Paschasius Radbertus in: PEZ, Thesaurus (wie Anm. 32) 1 LXVIII; dazu: Thomas WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien–München 2007) 170.

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halb der Anthologie ersetzt: Pez druckt, was er für gut hält. Was hier einerseits Anklänge einer (romantischen?) subjektiven religiösen Ästhetik erahnen lässt, weist zugleich deutlich in eine ahistorische Richtung von Erinnerungsarbeit und kann mit Friedrich Nietzsche als „überhistorisch“ gelesen werden, wenn man darin eine religiöse Spielart von „monumentalistischer Historie“ ante litteram sehen will53. In jedem Fall aber trat auch in diesem Beispiel der historische Zugang zur „Wahrheit“ als Angebot für die Gegenwart neben andere solche hinzu, die es institutionell nicht direkt herausfordern konnte.

V. War also das katholische 18. Jahrhundert eine aurea aetas des Meinungspluralismus? Sicher kann die Frage so nicht gestellt werden, doch standen sich in ihm eine Vielzahl von hinreichend institutionalisierten Gruppierungen samt den ihnen eigenen Auffassungen von Tradition und Erinnerung in einer Weise polemisch gegenüber, die eine Auseinandersetzung ebenso wie eine Schärfung des begrifflichen Arsenals nötig machten. Stefan Benz hat die provokante These vertreten, dass die katholische Geschichtsforschung des Barock, wäre sie nicht abgeschafft (und durch die folgenden Jahrhunderte diskreditiert) worden, direkt in die Postmoderne hätte münden können54. Es war im 18. Jahrhundert freilich nicht absehbar, dass auf den kritischen Umgang mit der Tradition ihre politische Liquidierung folgen würde55; und 53 Friedrich NIETZSCHE, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, hg. von Günter FIGAL (Stuttgart 2009) 24f.: „Die monumentalistische Historie täuscht durch Analogien: sie reizt mit verführerischen Aehnlichkeiten den Muthigen zur Verwegenheit, den Begeisterten zum Fanatismus, und denkt man sich gar diese Historie in den Händen und Köpfen der begabten Egoisten und der schwärmerischen Bösewichter, so werden Reiche zerstört, Fürsten ermordet, Kriege und Revolutionen angestiftet und die Zahl der geschichtlichen ‚Effecte an sich’, das heisst der Wirkungen ohne zureichende Ursachen, von Neuem vermehrt.“ Vgl. dazu die positivtheologische Doktrin der spirituellen Vergegenwärtigung von Vergangenem bei Bernhard Pez: Thomas WALLNIG, Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“ von Bernhard Pez (1715). Beobachtungen und Personenregister, in: Vergangenheit und Vergegenwärtigung. Frühes Mittelalter und europäische Erinnerungskultur, hg. von Helmut REIMITZ–Bernhard ZELLER (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 14, Wien 2009) 9–30, hier 10. 54 Stefan BENZ, Historiographie im Barock: Überlegungen zur frühneuzeitlichen Geschichtskultur, in: Departure for Modern Europe (wie Anm. 6) 622–640, hier 624. 55 Vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 20) 632–635.

210 Thomas Wallnig es war ebensowenig absehbar, dass die mit der begrifflichen Schärfung verbundene Umdeutung eine Zusammenschau mit dem Vokabular der Aufklärung und der Moderne erlauben würde: etwa im Fall von critica und Kritik56. Gleiches gilt für den nun meist von außen und gegen die monastische Kultur vorgebrachten Entwicklungsgedanken, wie ihn etwa der kurkölnische Hofkammerpräsident Wilhelm von Spiegel im Jahre 1802 formulierte. Spiegel bemerkte zum Mönchtum allgemein, es sei eine aegyptische Pflanze, welche dort, wo sie sich jetzt noch befindet, nicht mehr die Früchte trägt, welche ihre Anpflanzer von ihr erwarteten. Der Genius der Zeit hat sie auch ohnehin unbrauchbar gemacht; zu den Prälatenklöstern: Die Geschichte der Vorwelt spricht diesen Instituten das Lob; ohne sie würden Teutschlands öde Gegenden ungebauet seyn; ohne sie würde das Licht des Christenthums später zu uns gedrungen seyn; ohne sie wäre so manches classische Werk der Alten nicht auf uns gekommen. Es lässt sich also von ihnen sagen: es war eine Zeit, wo sie nützlich, wo sie nothwendig waren; diese ist nicht mehr, und so dürfen sie sich dann mit dem Schicksal aller Dinge und Wesen trösten, die die Zeit nur so lange bestehen lässt, als die Vorsehung sie nothwendig hält, und sie aufhören lässt, so bald der Zweck ihres Daseyns nicht mehr vorhanden ist57. Harm Klueting, der dieses Zitat an prominenter Stelle zur Illustration der Grundanliegen der „katholischen Aufklärung“ vorbringt, dient es zur Veranschaulichung eines antimonastischen Diskurses, wie er sich in zahlreichen Streitschriften des ausgehenden 18. Jahrhunderts findet. Der Genius der Zeit ist für ihn dabei die Aufklärung selbst; im Lichte des bisher Gesagten kann dies ergänzt werden durch die Beobachtung, dass hier der auch aus der monastischen Geschichtsforschung herleitbare Entwicklungsgedanke nun gegen die monastische Kultur selbst vorgebracht wurde. Verloren gegangen ist in dieser späteren – im doppelten Wortsinn säkularisierten – Betrachtung der monastischen Traditionskritik das Bewusstsein für den zutiefst restaurativen Charakter vormoderner kirchlicher Veränderungsdiskurse, und damit für ihre gänzlich andere Form von Historizität. Wenn aus verschiedenen Autoritäten gewählt werden konnte, so mochten diese wohl immer wieder gegeneinander ausgespielt werden, sie blieben doch eine Legitimation des eigenen Tuns aus der Vergangenheit heraus, und damit aus einem Bereich jenseits der eigenen Wahrnehmungs- und 56 Claus von BORMANN–Helmut HOLZHEY–Giorgio TONELLI, Kritik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 4, hg. von Joachim RITTER–Karlfried GRÜNDER (Basel– Stuttgart 1976) col. 1249–1282. 57 Harm KLUETING, Franz Wilhelm von Spiegel und sein Säkularisationsplan für die Klöster des Herzogtums Westfalen. Westfälische Zeitschrift 131/132 (1981/1982), 47–68, hier 53, 57. Vgl. KLUETING, Genius (wie Anm. 11) 27.

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Gestaltungsfähigkeit. Hier liegt auch der Unterschied zwischen einer postmodernen Freiheit einerseits, wie immer geartete lieux de mémoire im eigenen Tun und Denken anzunehmen und/oder zugleich zu hinterfragen – oder auch nicht58; andererseits der institutionellen Verbindlichkeit des kritisch durchgearbeiteten Katholizismus des 18. Jahrhunderts. In ihm wurde die ecclesia zwar (noch) nicht zu einer ecclesia semper reformanda59, wohl aber zu einem bewohnbaren historischen Phänomen.

Abstract How did Catholic ecclesiastical history in the 18th century deal with ecclesiastical traditions which had grown obsolete, in a situation where their institutional maintenance was one of the key postulates of confessional Catholicism? How could “innovations” be justified, if not as a return to ancient practice? Did discourses of historical development and historical degeneration arise in this context? These questions underlie the present contribution; they derive on the one hand from the finding in the history of historiography that Catholic ecclesiastical history in the 18th century could no longer be written as a history of semper idem, and that discursive strategies for dealing critically with the concepts of “tradition” and “reform” therefore had to be found. On the other hand, and as a consequence thereof, these questions arise from a critical reflexion on the concept of “Catholic Enlightenment”, as seen from the perspective of the history of ideas. One possible approach to this topic is the application of the culturalhistorical concepts of “memory” to the Church’s handling of tradition in the 18th century, in particular in the monastic context. If the image of the past in history was becoming dynamic, this could not remain without consequences for canon law, philosophy or spiritual literature. Selected examples from the field of southern German and Austrian monastic erudition are meant to illustrate various forms of dealing with tradition and also to serve to cast light from various directions on the following 58 Pierre NORA, Entre mémoire et histoire, in: Les lieux de mémoire. La problématique des lieux, 1: La République, hg. von Pierre NORA (Paris 1984) XV–XLII, hier XLI: „En ce sens, le lieu de mémoire est un lieu double; un lieu d’excès clos sur luimême, fermé sur son identité et ramassé sur son nom, mais constamment ouvert sur l’étude de ses significations.“ 59 Gerade das Beispiel monastischer Reform wird freilich auch in den unmittelbaren Zusammenhang des Diktums von der ecclesia semper reformanda gerückt, etwa von Ludwig Kaufmann: MAHLMANN, Ecclesia (wie Anm. 1) 398.

212 Thomas Wallnig working hypothesis: that historicising one’s past could lead to the coexistence of multiple truths, but that simultaneously and as a result, all innovation had to understand itself as the restoration of ancient custom.

Ecclesia als Objekt der Historiographie Ekklesiologie, theologische Erkenntnis und Historiographie bei römischen Kirchenhistorikern im 18. Jahrhundert Bernward Schmidt I. Fragehorizont und Hintergründe Kaum eine Überschrift eignet sich besser für diesen Beitrag als ein bereits existierender Titel: „Ecclesia als Objekt der Historiographie“ betitelte der Mediävist Harald Zimmermann eine Studie, die er im Juni 1959 in der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt hatte und 1960 publizierte1. Die Notwendigkeit einer Selbstvergewisserung und Neuorientierung der Geisteswissenschaften nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte nicht zuletzt die historischen Disziplinen zu verstärkter Reflexion auf das eigene Tun veranlasst und dabei – Zimmermann nimmt hierauf explizit Bezug – auch die ansonsten dabei eher zurückhaltende katholische Theologie in Gestalt ihrer Kirchengeschichte ergriffen2. Dabei konnte Zimmermann nicht ahnen, dass die Frage, was 1

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Harald ZIMMERMANN, Ecclesia als Objekt der Historiographie. Studien zur Kirchengeschichtsschreibung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 235/4 (1960) 1–86. Allgemein zu den historischen Disziplinen vgl. Hans-Werner GOETZ, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung (Darmstadt 1999) 72–84. Zur katholischen Theologie nach 1945 vgl. Hubert WOLF, Der Historiker ist kein Prophet. Zur theologischen (Selbst-)Marginalisierung der katholischen deutschen Kirchengeschichtsschreibung zwischen 1870 und 1960, in: Die katholischtheologischen Disziplinen in Deutschland 1870–1962. Ihre Geschichte, ihr Zeitbezug, hg. von Hubert WOLF–Claus ARNOLD (Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanums 3, Paderborn–München–Wien–Zürich 1999) 71–93, hier 83–85; Klaus FITSCHEN, „Kirchengeschichtsschreibung muß um das Wesen der Kirche wissen.“ Selbstbesinnung und Selbstbegrenzung des Faches Kirchengeschichte in Deutschland nach 1945. Mitteilungen zur kirchlichen Zeitgeschichte 1 (2007) 27–46; Walter BRANDMÜLLER, Kirchengeschichte in Deutschland in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Donum Veritatis. Theologie im Dienst an der Kirche. Festschrift zum 70. Geburtstag von Anton ZIEGENAUS, hg. von Manfred HAUKE–Michael STICKELBROECK (Regensburg 2006) 29–39; Wolfram HOYER, Kirchengeschichte als „Heils-

214 Bernward Schmidt denn Kirchengeschichte eigentlich sei und wie sie betrieben werden solle, in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils bis etwa 1980 noch mit viel Engagement diskutiert werden sollte; seitdem hat die Debatte an Kraft verloren3. Das scheint mir auch für die Erforschung der Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung durch katholische Theologen zu gelten, die sich offenbar nicht vom lehramtlichen „Sieg des Dogmas über die Historie“ auf dem Ersten Vatikanischen Konzil zu erholen vermag4. Die Frage, die Zimmermann an die Werke der historia ecclesiastica herantrug, war schlicht diejenige nach dem in ihnen gezeichneten Bild von Kirche. Sein Begriff des historiographischen Genus wie auch seine darauf beruhenden Auswahlkriterien wären sicherlich diskussionswürdig; gerade für die mittelalterliche Historiographie, aber auch für das späte 17. Jahrhundert dürfte die faktisch vollzogene Abgrenzung von historia ecclesiastica und historia universalis nicht streng durchzuhalten sein5. Doch erheben sich noch grundsätzlichere Fragen, die derjenigen nach dem Kirchenbild voraus liegen und es weiter erhellen können.

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geschichte“? Zum Geschichtsbild Hubert Jedins. Angelicum. Periodicum trimestre Pontificiae Studiorum Universitatis a Sancto Thoma Aquinate in Urbe 79 (2002) 647–709. Vgl. Klaus SCHATZ, Ist Kirchengeschichte Theologie? Theologie und Philosophie. Vierteljahresschrift 55 (1980) 481–513. Aus den jüngeren Beiträgen sind zu nennen: Andreas HOLZEM, Die Geschichte des „geglaubten Gottes“. Kirchengeschichte zwischen „Memoria“ und „Historie“, in: Katholische Theologie studieren: Themenfelder und Disziplinen, hg. von Andreas LEINHÄUPL-WILKE–Magnus STRIET (Münsteraner Einführungen, Theologie 1, Münster–Hamburg–London 2000) 73–103; WOLF, Historiker (wie Anm. 2); Hubert WOLF–Jörg SEILER, Kirchen- und Religionsgeschichte, in: Aufriß der Historischen Wissenschaften, 3: Sektoren, hg. von Michael MAURER (Reclams Universal-Bibliothek 17029, Stuttgart 2004) 271–338. Vgl. Klaus SCHATZ, Kirchenbild und päpstliche Unfehlbarkeit bei den deutschsprachigen Minoritätsbischöfen auf dem I. Vatikanum (Miscellanea Historiae Pontificiae 40, Roma 1975) 242; Gregor KLAPCZYNSKI, Das „Wesen des Katholizismus“ – oder: Warum Paulus in Korinth kein Pontifikalamt hielt. Ansichten des Kirchenhistorikers Hugo Koch (1869–1940). Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 25 (2006) 251–269; Judith SCHEPERS, Widerspruch und Wissenschaft. Die ungleichen Brüder Wieland im Visier kirchlicher Zensur (1909–1911). Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 25 (2006) 271–290; Claus ARNOLD, Kleine Geschichte des Modernismus (Freiburg im Breisgau–Basel–Wien 2007). Die Parallele zwischen der Problematik im ausgehenden 17. Jahrhundert und der Modernismuskrise beschreibt implizit auch Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 131, Tübingen 2009) 677–679. Man denke etwa an die Chronistik des Mittelalters oder an die Universalhistorien Jacques-Bénigne Bossuets (1683) und Francesco Bianchinis (1697).

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Hier ist zum ersten die Frage nach dem Ort von Geschichte im Gesamt der Theologie zu stellen. Situiert man die Kirchengeschichte als der „eigentlichen“ Theologie, der systematischen, untergeordnetes Phänomen, so gelangt man schnell zu einer Darstellung des „Wesens“ von Kirche, das sich im Wandel der Zeit entfaltet und mithin zu einem recht statischen Kirchenbegriff. Versteht man Kirchengeschichte jedoch als gleichwertige Partnerin der systematischen Reflexion und lässt man damit zugleich historische Methode zu, wird der Weg frei für ein dynamischeres Kirchenverständnis, das Entwicklungen anerkennt. Damit ist bereits die zweite grundsätzliche Frage angesprochen: Welche Rolle spielen historiographische Methodendiskussionen für die Kirchengeschichte? Wurden also etwa Erkenntnisse aus der Quellenkritik oder Debatten um den „historischen Pyrrhonismus“6 aufgenommen und bearbeitet? Sollte dies der Fall sein, konnte dies – siehe oben – nicht ohne Rückwirkungen auf das Bild von Kirche bleiben. Diesen beiden Fragen sei im Folgenden zunächst ein wenig nachgegangen, bevor abschließend diejenige Zimmermanns zu ihrem Recht kommen soll. Diese Fragen ausgerechnet römischen Kirchenhistorikern des 18. Jahrhunderts zu stellen, mag begründungsbedürftig erscheinen, gilt doch klassischerweise das posttridentinische und post-baronianische Rom weder als Hort hoher Gelehrsamkeit noch als Marktplatz der Innovationen, Peter Hersche sprach gar von einer „Kultur wider den Fortschritt“7. Dass dieses auf das späte 19. Jahrhundert zurückgehende Geschichtsbild jedoch wenigstens teilweise unzutreffend ist, haben in den letzten Jahrzehnten etliche Studien zur Sozial-, Geistes- und Institutionengeschichte der römischen Gelehrsamkeit zu zeigen vermocht8. Eine Gesamtwürdigung des römischen intellektuel6

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Grundlegend hierzu: Markus VÖLKEL, „Pyrrhonismus historicus“ und „fides historica“. Die Entwicklung der deutschen historischen Methodologie unter dem Gesichtspunkt der historischen Skepsis (Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 313, Frankfurt am Main–Bern–New York 1987); Carlo BORGHERO, Historischer Pyrrhonismus, Erudition und Kritik. Das achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 31 (2007) 164–178. Peter HERSCHE, Italien im Barockzeitalter 1600–1750. Eine Sozial- und Kulturgeschichte (Wien–Köln–Weimar 1999) 267–280; vgl. auch Hanns GROSS, Rome in the Age of Enlightenment. The Post-Tridentine Syndrome and the Ancien Regime (Cambridge Studies in Early Modern History, Cambridge et al. 1990) 247–269, etwa 267 zu Giuseppe Agostino Orsi. Vgl. Françoise WAQUET, Le modèle français et l’Italie savante. Conscience de soi et perception de l’autre dans la République des Lettres (1660–1750) (Collection de l’École Française de Rome 117, Roma 1989); Maria Pia DONATO, Accademie romane. Una storia sociale, 1671–1824 (Studi e strumenti per la storia di Roma 4, Napoli–Roma 2000); Naples, Rome, Florence. Une histoire comparée des milieux

216 Bernward Schmidt len Milieus während des „langen tridentinischen Jahrhunderts“9 steht zwar noch aus, doch dürfte sie kaum so vernichtend ausfallen wie die Urteile der Historiographie nach dem Risorgimento. Zudem muss Rom als der Ort angesehen werden, an dem definiert und verteidigt wurde, was als katholische Lehre zu gelten hatte; somit ist genau dies auch von den römischen Kirchenhistorikern zu erwarten. Auch eine Untersuchung der intellektuellen Tätigkeiten in Rom in der Frühen Neuzeit kommt nicht ohne den Verweis auf den Charakter des Papsttums als geistliche Wahlmonarchie aus. Die von der Kurie her geformte Sozialstruktur prägte auch die intellektuellen Milieux10: Die meisten der römischen Gelehrten waren Kleriker, die Funktionen an der Kurie oder Ordensinstituten bekleideten. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass etwa die 1671 von Giovanni Giustino Ciampini gegründete kirchenhistorische Akademie (Accademia dei Concili) relativ rasch zum Abbild der kurialen Sozialstruktur wurde, einschließlich der Teilnahme von Kardinälen. Obwohl es zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter Klemens XI. noch etliche Nachahmerakademien gab, konnte sich das Akademiewesen nicht dauerhaft in Rom etablieren, auch die sehr detailliert geplanten Akademien Benedikts XIV. konnten sich nach dem Tod des Papstes nicht halten. Wesentlich weniger Bedeutung für das intellektuelle Leben Roms als dem Akademiewesen kam den Hochschulen zu, die in der Regel auf die Ausbildung des Missions- beziehungsweise Seelsorgeklerus ausgerichtet waren; von methodischen Neuerungen blieben auch das jesuitische Collegio Romano und das Collegio Urbano der Propaganda Fide vor allem während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts relativ unberührt. Intellektuelle Betätigung fand daher nicht zuletzt im privaten Rahmen statt und in Zirkeln, die sich vor allem um die großen Ordens- und Kardinalsbibliotheken herum bildeten. Nicht zu intellectuels italiens (XVIIe – XVIIe siècles), hg. von Jean BOUTIER–Brigitte MARIN– Antonella ROMANO (Collection de l’École française de Rome 355, Roma 2005). Ein Forschungsüberblick in: Bernward SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle. Lektüre und Zensur gelehrter Zeitschriften an der römischen Kurie 1665–1765 (Römische Inquisition und Indexkongregation 14, Paderborn–München–Wien–Zürich 2009) 20–22. 9 So ein von Simon Ditchfield vorgeschlagener Begriff zur Charakterisierung der Epoche zwischen Tridentinum und Französischer Revolution: Simon DITCHFIELD, „Historia Magistra Sanctitatis“? The Relationship between Historiography and Hagiography in Italy after the Council of Trent (1564–1742 ca.), in: Nunc alia tempora, alii mores. Storici e storia in età postridentina. Atti del Convegno internazionale, Torino, 24–27 settembre 2003, hg. von Massimo FIRPO (Fondazione Luigi Firpo. Centro di Studi sul Pensiero Politico. Studi e testi 25, Firenze 2005) 3–23, hier 13. 10 Ausführlich hierzu: SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 145–207.

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übergehen ist auch die Tätigkeit zahlreicher römischer Gelehrter für die Kongregationen der Inquisition und des Index der verbotenen Bücher11. Dies wiederum verweist auf eine Art doppelter Loyalität, zu der römische Gelehrte sich verpflichtet sahen, gegenüber der Kirche und ihren (Glaubens-) Normen sowie gegenüber der Gelehrtenrepublik, für die Françoise Waquet den Begriff des pio letterato prägte12. Im Folgenden werden vor allem Werke von römischen Kirchenhistorikern herangezogen, die mit der historia ecclesiastica im Titel den Anspruch einer umfassenden Kirchengeschichte von den Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit verbinden. Einzelstudien mit kirchenhistorischem Thema, etwa aus dem Antiquarismus, können hier ebenso wie Zensurgutachten aus Inquisition und Indexkongregation nicht berücksichtigt werden.

II. Der Ort der Geschichte innerhalb der Theologie Als das theologische Handbuch nach dem Tridentinum schlechthin darf Melchior Canos Werk De locis theologicis (1563) gelten, das sich auch im 18. Jahrhundert noch großer Beliebtheit erfreute13. Die zehn darin aufgeführten loci sind als Fundorte der Prinzipien der Theologie zu verstehen: die Heilige Schrift, die apostolischen Traditionen, die katholische Kirche, die Konzilien, die römische Kirche (worunter Cano mehr oder weniger den Papst versteht), die Heiligen, die scholastischen Doktoren, die natürliche Vernunft, die Philosophen und schließlich die Geschichte. Cano steht damit am Beginn einer von Ignatius von Loyola ausgehenden Entwicklung, die das Studium der Schrift, die scholastische und die positive Theologie als Bereiche der gesamten Theologie unterscheidet. Zwar mag es bei einem oberflächlichen Blick auf die loci theologici so scheinen, als wolle Cano die drei Bereiche gleichwertig nebeneinander stellen, doch hängt für ihn der Wissenschaftscharakter der Theologie ausschließlich von ihrem spekulativen bzw. scholastischen Zweig ab. Er allein ist in der Lage, theologische 11 Vgl. SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 362–364; Jyri HASECKER, Die Römische Buchzensur im europäischen Kontext. Überlegungen zum 18. Jahrhundert, in: Kontrolle und Nutzung – Medien in geistlichen Gebieten Europas 1680–1800, hg. von Ludolf PELIZAEUS–Franz Stephan PELGEN (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 28, Frankfurt am Main et al. 2011) 113–134. 12 Françoise WAQUET, Ludovico Antonio Muratori. Le „pio letterato“ à l’épreuve des faits, in: Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus, hg. von Herbert JAUMANN (Wolfenbütteler Forschungen 96, Wiesbaden 2001) 87–103. 13 Die hier benutzte Ausgabe: Melchioris Cani episcopi Canariensis Opera, hg. von Hyacinthe SERRY (Padova 1734).

218 Bernward Schmidt Schlussfolgerungen zu ziehen, in der konfessionellen Kontroverse zu argumentieren und mit Hilfe anderer Wissenschaften Glaubenslehren zu erläutern, wie im abschließenden zwölften Buch über den Gebrauch der loci im scholastischen Disputieren deutlich wird. Um 1700 gab es zwei verschiedene Weisen, das Verhältnis von positiver und spekulativer Theologie zu beschreiben. Während ein Teil der Autoren die Einordnung beider Bereiche in das Gesamt der einen Theologie betonte, akzentuierte ein anderer die Eigenständigkeit vor allem der positiven Theologie stärker14. Es dürfte kaum verwundern, dass beispielsweise Jean Mabillons Traité des études monastiques zur zweiten Kategorie gehört. Er unterscheidet zweierlei Arten von raisonnement in der Theologie: Die eine, positive, ermittelt die geoffenbarten Wahrheiten aus der Schrift und der kirchlichen Tradition (also vor allem den Schriften der Väter und Konzilsentscheidungen), die andere, scholastische, setzt diese Wahrheiten voraus und sucht mit Hilfe der Vernunft und der Philosophie nach Konvenienzmotiven, um sie zu erläutern und glaub-würdiger zu machen15. Die Tatsache, dass Mabillon gleich darauf davor warnt, den Vernunftgebrauch und mit ihm die theologische Spekulation zu weit zu treiben, mag seine Wertschätzung der theologia positiva demonstrieren. Die Debatte um den Stellenwert der historisch orientierten positiven Theologie gegenüber der spekulativen Scholastik spiegelt sich auch im Werk des ersten römischen Autors, der hier zu nennen ist, des Dominikaners Ignace-Hyacinthe Amat de Graveson, der wohl 1705 von seinem Lehrstuhl an der Sorbonne in das römische Studienzentrum der Dominikaner, die Biblioteca Casanatense, wechselte16. Im Vorwort zu seiner Historia ecclesiastica variis colloquiis digesta (1717) betont er – nicht zuletzt unter Berufung auf Mabillon – die Notwendigkeit der positiven Theologie und bedient sich sogar noch des Topos der scholastischen Barbarei, gegen die auch in der Theologie nur historische Erudition helfe17. Denn nicht einmal der abgeho14 Vgl. Hubert FILSER, Dogma, Dogmen, Dogmatik. Eine Untersuchung zur Begründung und zur Entstehungsgeschichte einer theologischen Disziplin von der Reformation bis zur Spätaufklärung (Studien zur systematischen Theologie und Ethik 28, Münster 2001) 420–424. 15 Jean MABILLON, Traité des études monastiques (Paris 1691) 207f.; vgl. auch DanielOdon HUREL, Dom Mabillon. Œuvres choisies précédées d’une biographie par dom Henri Leclercq (Bouquins, Paris 2007) 509f. 16 Zur Biographie vgl. Herman H. SCHWEDT–Jyri HASECKER–Dominik HÖINK–Judith SCHEPERS, Römische Inquisition und Indexkongregation. Grundlagenforschung 1701– 1813, 3: Prosopographie von Römischer Inquisition und Indexkongregation 1701– 1813 (2 Bde., Paderborn–München–Wien–Zürich 2010) 1 26–29. 17 Ignace-Hyacinthe AMAT DE GRAVESON, Historia ecclesiastica variis colloquiis digesta (3 Bde., Venezia 1726) 1 XVIII. Die Erstausgabe erschien 1717 in Rom.

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benste spekulative Theologe könne leugnen, dass er zu seiner Arbeit Hilfsmittel benötige, mit denen er der Kirche dienen und die Feinde des Glaubens bekämpfen könne; diese Werkzeuge aber finde man in der Schrift und der Tradition. Näherhin bestehen sie in den Heiligen Schriften, göttlichen und apostolischen Traditionen, Dekreten der Päpste, Werken der heiligen Väter sowie den Monumenten von Konzilien, der Geschichte und der kirchlichen Disziplin – eine Aufzählung, die mehr oder weniger den loci theologici Melchior Canos entspricht. Gut zehn Jahre später sollte sich Amat de Graveson in seiner Trias dissertationum über die rechte Art, Theologie zu lehren und zu lernen, etwas gemäßigter äußern18. Hier nahm er eine seinem Objekt gemäße Akzentverschiebung hin zur Einheit der Theologie vor, innerhalb derer der positiven Theologie die Rolle des Fundaments, der scholastischen diejenige des Aufbaus zukommt. Beide haben das gleiche Objekt, nämlich Gott als Urheber der Gnade, der durch Offenbarung und Glauben erkannt wird19; beide sind sie diskursive und argumentative Wissenschaft, die aus denselben Quellen schöpfen. Und auch das Ziel ist beiden gemeinsam. Es muss betont werden, dass für Amat de Graveson ebenso wie für die Autoren des 16. Jahrhunderts das Hauptziel der Theologie weniger in einer Darlegung der kirchlichen Lehre und Disziplin ad intra liegt als vielmehr ad extra in der Widerlegung von Häresien; daher kann er auch von der bellatrix theologia sprechen20. Lediglich in der Methode unterscheiden sich die beiden Arten von Theologie: Während die scholastische Theologie mit philosophischer Methode arbeitet, wendet die positive Theologie vor allem die Mittel der Textkritik an21. Beide 18 Ignace-Hyacinthe AMAT DE GRAVESON, Trias dissertationum, in quibus agitur de recta methodo addiscendi et docendi theologiam scholasticam, positivam et moralem (o. O. [1733]). 19 Francesco Bianchini dient diese Fundierung der Kirchengeschichte in der göttlichen Offenbarung als Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Profangeschichte (istoria profana), vgl. Francesco BIANCHINI, Della istoria universale provata con monumenti e figurata con simboli degli Antichi (Roma 1697) 12. 20 AMAT DE GRAVESON, Trias dissertationum (wie Anm. 18) 3. Damit entspricht er einer theologischen Ausrichtung, die die Kurie spätestens seit dem Pontifikat Klemens’ XI. (aber schon unter Alexander VIII.) deutlich ausprägte: vgl. DONATO, Accademie (wie Anm. 8) 25. 21 Vgl. AMAT DE GRAVESON, Trias dissertationum (wie Anm. 18) 6: Utraque enim, sive scholastica sive positiva, versatur circa idem obiectum, videlicet Deum auctorem gratiae per revelationem et fidem cognitum; utraque iisdem nititur principiis, utraque discursiva et argumentativa est et ex iisdem fontibus, hoc est ex Scriptura Sacra, ex traditione et doctrina sanctorum patrum aliisque locis theologicis suas deducens conclusiones, cum hoc solo discrimine, quod theologiae scholasticae modus sit subtilior et accuratior et ad perplexa captiosaque fidei hostium dissolvenda argumenta accomodatior.

220 Bernward Schmidt aber sind aufeinander verwiesen, keine von ihnen kann den Anspruch erheben, für sich allein Theologie zu sein22. Die Diskussion um das Verhältnis von positiver und scholastischer Theologie tritt im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts in den Hintergrund, bei anderen römischen Kirchenhistorikern ist sie höchstens noch in Anspielungen zu finden. Im Gegensatz dazu bleibt die antihäretische Stoßrichtung der Kirchengeschichte lebendig: Was ist geeigneter, den Unverschämten das Maul zu stopfen als die Geschichte, so fragt sinngemäß Gianlorenzo Berti im Vorwort zu seiner Historia ecclesiastica23. Und mindestens ebenso plastisch spricht Giuseppe Agostino Orsi vom Vergnügen, das die Verteidigung der römischen Kirche dem Leser bereitet, wie von der Übelkeit, die er bei der Darlegung von Häresien empfinden muss. Doch wollen beide keine Geschichte der Häresien schreiben, deren Darstellung ist für sie vielmehr Teil der historia ecclesiastica als einer theologischen Disziplin24. Und als solche ist sie intellektuelle Auseinandersetzung mit Religion und dient der Erkenntnis letztgültiger Wahrheit25.

22 Giuseppe Agostino ORSI, Della istoria ecclesiastica (21 Bde., Roma 1747–1762) 1 22, spricht von einer gegenseitigen Erhellung von Dogma und Historie. Zu Orsi vgl. SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 16) 2 914–919. 23 Gianlorenzo BERTI, Historia ecclesiastica sive Dissertationes historicae (4 Bde., Augsburg 1761) 1 XXXIII: Ceterum ad hoc iure praestandum, ad obstruendum os impudentium quid conducibilius, quid aptius, quam memoria repetere praeteritorum saeculorum historias, scrutari, quae maiores tradiderint, quae commenti fuerint pseudoprophetae, verbo dicam, palam facere quantum spernenda sit senectutis sera et contumeliosa emendatio. Zu Berti vgl. SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 16) 1 152–155. 24 Eine römische Häresiegeschichte, die sich hervorragend verkauft haben muss, legte zu Beginn des 18. Jh. ein Sohn von Gianlorenzo Bernini vor: Domenico BERNINI, Istoria di tutte l’eresie (Rom 1705). Weitere Auflagen erschienen in Rom ebenfalls bei Bernabò 1709 und bei Mainardi 1726, in Venedig bei Baglioni 1711, 1717, 1724, 1733 und 1745 sowie bei Occhi 1760 (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Eine eigene Untersuchung könnte der Vergleich der Häresiegeschichten von Bernini, Frans van Ranst, Jacques-Bénigne Bossuet und Gottfried Arnold lohnen. 25 Vgl. BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 1 XXXII: [...] quantum utilitatis afferre valeant historicae lucubrationes, aperte suadet religio cultusque Numinis; cuius nos imaginem rationali natura gerentes, gratiae autem beneficio, adoptione et haereditatis arrha donatos ignorare dedecet ecclesiae primordia, mysteria, ritus, institutiones. Etenim religio ipsa, quae bene sapienterque ab apostolo dicitur ‫݋‬ʌަȖȞȦıȚȢ ܻȜȘ‫ׇ‬İȓĮȢ, non sinit quemquam ratione utentem ac litteris deditum ea nescire, quibus Deum optimum maximum veneramur, nec patitur nos, dum ab heterodoxis audacter ac temere lacessimur, turpiter obmutescere.

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III. Werkzeuge des Historikers: Zur Theorie der Historiographie Ordnung, unterscheidendes Urteil, Eleganz, Kürze und Klarheit werden vom Historiker verlangt – so stellt es Giuseppe Agostino Orsi in der Widmung des ersten Bandes seiner Kirchengeschichte an Benedikt XIV. fest26. Welche konkreten Anforderungen stellen aber die römischen Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts an die Vermittlung historischer Theologie und das Schreiben von Kirchengeschichte?

1. Der Historiker als Rhetor? Es mag auf den ersten Blick ein wenig überraschen, dass der genannte Giuseppe Agostino Orsi eine Debatte wieder aufzuwärmen scheint, die vor allem im 16. Jahrhundert geführt wurde und sich um die Anwendbarkeit der ciceronianischen Assoziation von Historiker und Rhetor drehte27. Dass sich Orsi jedoch so heftig gegen die Anwendung rhetorischer Mittel in der Geschichtsschreibung ausspricht, muss als ein ebensolches Mittel angesehen werden: Denn auf diese Weise vermag er sich deutlich von der Kirchengeschichte Claude Fleurys abzugrenzen, als deren Gegenpart sein Werk gedacht war28. Lieber lese er eine alte Chronik, die ohne Kunstgriffe und Geist geschrieben sei, als eine allzu artifizielle, affektierte und vernunftlos-kindische Geschichte, die sich mit ihren trügerischen „Schönheiten“ dem Leser anbiedern wolle29. 26 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1, Alla santità di n. signore papa Benedetto XIV. (unpag.): [...] sembravami certamente impossibil cosa il poterli con ordine, con distinzione e con quella eleganza e brevità e nitidezza, che dall’istorico si ricerca, scrivendo comprendere. 27 Vgl. Anthony GRAFTON, What Was History? The Art of History in Early Modern Europe (Cambridge et al. 2007) 31, 34–61; Stefan BENZ–Markus VÖLKEL, Geschichte: Rhetorik als Wissensordnung für Historie, in: Geschichte schreiben. Ein Quellenund Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350–1750), hg. von Susanne RAU– Birgit STUDT–Stefan BENZ–Andreas BIHRER–Jan Marco SAWILLA–Benjamin STEINER (Berlin 2010) 521–524. 28 Hierzu Alfonso PRANDI, La Istoria Ecclesiastica di P. Giuseppe Orsi e la sua genesi. Rivista di storia della Chiesa in Italia 34 (1980) 430–450. 29 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 8: Quanto a me, vorrei più tosto leggere una vecchia cronica scritta senz’arte, senza spirito e senza sugo, che una storia scritta con troppo patente artifizio, con uno stile gonfio ed affettato, con epiteti ampollosi e senza ragione, e carica di descrizioni puerili, di sentenze inette e fuor di luogo, di riflessioni non giuste, e finalmente come una meretrice adorna di falsi

222 Bernward Schmidt Doch ist die Kritik der Rhetorik kein Selbstzweck für Orsi, hinter ihr steht – neben dem alten Topos von der Wahrheit, die sich in Einfachheit zeige30 – die grundsätzliche Frage nach der Legitimität von Wertungen in der Geschichtsschreibung. Denn es geht zunächst einmal darum, als Historiker zu handeln, nicht als Theologe oder Polemiker, meinte Amat de Graveson, und auf diese Weise gleichzeitig die Geschichte sinnvoll auf ihr eigentliches Wesen zu beschränken31. Römische Gelehrte waren mit der Problematik von Wertungen noch aus einem anderen Kontext vertraut: Was ein Autor einem Sachverhalt oder ein Editor einem Text von sich aus hinzugefügt hatte (de suo addere), war oft genug Thema in den Zensuren der Indexkongregation; denn in solchen Hinzufügungen verbarg sich oft genug „Zensurwürdiges“32. Sollte sich der Historiker nun also auf die reine Darstellung zurückziehen und keinerlei wertende Urteile fällen? Die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens dürfte den römischen Kirchenhistorikern durchaus bewusst gewesen sein. Doch sind Wertungen und Urteile dem Historiker keineswegs unangemessen, solange sie gerecht, ohne Emotion und ohne Parteilichkeit gefällt werden – so sieht es Giuseppe Agostino Orsi33. Doch weiß auch Orsi, dass es so leicht nicht ist, zumal auf dem Feld der Kirchengeschichte. Der

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e mendicati colori, di lisci, di belletti e di posticce e straniere bellezze. Zur Gestalt von Fleurys Kirchengeschichte vgl. auch Markus VÖLKEL, Wie man Kirchengeschichte schreiben soll. Struktur und Erzählung als konkurrierende Modelle der Kirchengeschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter, in: Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Arndt BRENDECKE–Ralf-Peter FUCHS–Edith KOLLER (Pluralisierung und Autorität 10, Berlin 2007) 455–489, hier 482f.; PRANDI, Istoria Ecclesiastica (wie Anm. 28) 441. Vgl. Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 55. Vgl. AMAT DE GRAVESON, Historia ecclesiastica (wie Anm. 17) 1 XXI: [...] Historici partes agere, non vero theologi aut polemici officium usurpare [...]. Alioquin nullis limitibus circumscriberetur historia ecclesiastica [...]. Die erste Aussage begegnet als Vorwurf beim Oratorianer Saccarelli, der über Noël Alexandre sagt, ut theologum potius quam historicum egisse plerisque videatur: Gaspare SACCARELLI, Historia ecclesiastica per annos digesta variisque observationibus illustrata (25 Bde., Roma 1771–1796) 1 XV. Vgl. SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 380–385. In den dort edierten Texten aus der Indexkongregation kommt dieser Topos mehrfach vor. ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 10f.: Non è contro la legge dell’istoria, che lo scrittore giudichi sanamente e sobriamente delle persone, e molto più delle azioni, e le qualifichi con epiteti convenienti [...] purchè sempre, e verso di tutti, conservi la moderazione e l’equità, nulla conceda nè all’ odio, nè all’amicizia, nè alla compassione, nè agli umani rispetti, ma come giudice retto e benevolo a tutti, non dimostri parzialità per alcuno. Vgl. auch PRANDI, Istoria Ecclesiastica (wie Anm. 28) 442f.

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Kirchenhistoriker ist nämlich in erster Linie ein gläubiger Mensch, der in der allgemeinen Geschichte die Taten Gottes sieht und in der Geschichte der Kirche den Aufbau und die Ausbreitung des himmlischen Gemeinwesens; angesichts dessen kann er seine Bewunderung nicht zurückhalten34. Weil der Kirchenhistoriker Glauben und Arbeiten nicht trennen kann, und weil er die Anwesenheit Gottes in der Welt und seine Spuren erkennt, darum ist ihm ein objektiver, das heißt: menschlicher Verfügbarkeit entzogener Maßstab für sein Werten und Urteilen gegeben. Eine rein säkular betriebene Kirchengeschichte etsi Deus non daretur ist demzufolge ausgeschlossen. Daher ist vom Kirchenhistoriker die Parteinahme für das objektiv Gute und gegen das objektiv Schlechte beziehungsweise Böse gefordert, was ein gerechtes Urteil gegenüber Personen einschließt. Im Namen von Wahrheit und Gerechtigkeit hat der Historiker Gutes und Schlechtes in der Geschichte aufzudecken und Letzteres nur dann zu entschuldigen, wenn es diese beiden Kriterien zulassen35. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit von Stellungnahmen zugunsten der römischen Kirche und gegen abweichende Meinungen. In weitere erkenntnistheoretische Erörterungen, die Frage nach den unterschiedlichen Möglichkeitsbedingungen für Erkenntnis Gottes und Erkenntnis in der Geschichte, versteigt sich weder Orsi noch ein anderer der hier untersuchten römischen Kirchenhistoriker, wie sie überhaupt weniger an theoretischen Überlegungen als an der praktischen Durchführung der Historiographie interessiert scheinen. Dies belegt meines Erachtens auch die Einbeziehung des Lesers und seiner Frömmigkeit in die Überlegungen Orsis: Wie durch ein gutes Bild soll der Leser der Kirchengeschichte zur eigenen Reflexion angeregt werden – und nicht wie bei Fleury „gefesselt“ und vom Strom der Erzählung fortgetragen werden36. 34 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 10: Finalmente, come può chi racconta le cose della chiesa, se riflette a ciò che scrive, come può, dico, ritenersi dal sovente ammirare e far osservare al lettore la condotta veramente mirabile dell’Altissimo in fondare, propagare e stabilire questa celeste repubblica con una maniera così degna di lui, e con mezzi così degni della sua divina sapienza, e nell’uso dei quali sì vivamente risplende e fa sentire la forza del suo braccio onnipotente? 35 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 12f.: [...] conviene a un istorico prender partito in favore della pietà, della giustizia, della religione, dell’innocenza contro l’iniquità, contro l’empietà, contra il libertinaggio e l’irreligione; purchè eziando verso gli empi, gl’increduli e i miscredenti, e generalmente verso tutti coloro, i quali non hanno avuto la debita sommissione all’autorità della chiesa, osservi le regole dell’equità [...]. Siccome l’istorico non dee scusare o diminuire, se non in quanto lo permette la verità, o il richiede la giustizia, i difetti degli uomini grandi ed illustri; così non dee oscurare quei doni, che ben sovente s’è degnata di comparire ancora gli uomini empi la divina beneficenza. 36 Vgl. ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 15.

224 Bernward Schmidt Diese lebenspraktische Ausrichtung der Kirchengeschichte spiegelt sich auch in dem hohen Stellenwert, den die römischen Kirchenhistoriker den exempla zuschreiben. Ähnlich wie im klassischen Geschichtswerk des Livius kommt ihnen eine didaktische, aber auch eine argumentative Funktion zu, vor allem im Verhältnis der Geschichte zur (systematischen) Theologie37. Neben Giuseppe Agostino Orsi legt vor allem Gianlorenzo Berti Wert auf das Anführen von exempla in der Kirchengeschichte; beide meinen damit in erster Linie Heiligenviten. Ganz im Stil altkirchlicher Apologetik stellt Berti den letztlich verwerflichen Eigenschaften antiker Helden (Lasterhaftigkeit, Verbrechen, Ruhmsucht) die Tugenden und das Leiden der christlichen Heiligen gegenüber, die zur Besserung der Sitten der Gläubigen dargestellt werden sollen38. Orsi dagegen baut keinen Gegensatz zwischen heidnischer Antike und christlichem Gegenwartsanspruch auf, vielmehr betont er unter Berufung auf Melchior Cano die Vorbildhaftigkeit antiker Historiographie: Die Heiligenviten sollten mit ebensolchem Eifer, Aufrichtigkeit und Einfach37 Zu Livius vgl. Raban von HAEHLING, Titus Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.). Ab urbe condita libri (= AUC), in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, hg. von Volker REINHARDT (Kröners Taschenausgabe 435, Stuttgart 1997) 384–388. Vgl. ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 22: [...] parimente, siccome alle massime dei costumi, delle quali disputa il teologo, apportano un gran lume e aggiungono una gran forza gli esempi, che gli somministra l’istoria della chiesa; così fa d’uopo all’istorico confrontare certi fatti ed esempi straordinari co’ più giusti principi della teologia. 38 Vgl. BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 1 XXXI: ad componendos autem regendosque mores exempla sanctorum, martyrorum fortitudo et perantiquae consuetudinis ratio prae oculis sunt habenda; ebd. XXXV f. mit Blick auf die Helden der antiken Historiographie: Non huius generis sunt [...] maiorum nostrorum virtutes; neque celebrantur in ecclesiastica historia nomina et facta virorum, qui torquentur aeternis reproborum suppliciis. Enarratur antiquorum fidelium vivendi genus horridum et incultum; enarratur victus tenuissimus et asperrimus; enarrantur caumeniae atque inediae; enarrantur martyrum cruciatus, quos haud illepide appellabat Tertullianus ingenia poenarum: atque ita armantur filiorum animi, dum patrum recensentur triumphi, inquit Lugdunensis episcopus Eucherius. Zur altkirchlichen Apologetik vgl. Michael FIEDROWICZ, Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten (Paderborn– München–Wien–Zürich 2000). Darüber hinaus wäre etwa an den Vergleich der Tugenden von König und Mönch in der Comparatio regis et monachi des Johannes Chrysostomos zu denken: Joannis Chrysostomi, archiepiscopi Constantinopolitani, Opera omnia quae exstant, vel quae ejus nomine circumferuntur, 1, hg. von Bernard de MONTFAUCON (Paris 21834) 142–148; A Comparison between a King and a Monk / Against the Opponents of the Monastic Life. Two Treatises by John Chrysostom, übers. von David G. HUNTER (Studies in the Bible and Early Christianity 13, Lewiston–Queenston–Lampeter 1988). Vgl. auch DITCHFIELD, Historia magistra sanctitatis (wie Anm. 9) 23.

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heit geschrieben werden wie die biographischen Werke Suetons, Nepos’ oder Plutarchs39. Freilich sieht er seine Aufgabe nicht darin, die Legendenhaftigkeit mancher Heiligenviten aufzudecken oder gar ihren Wahrheitsgehalt zu bestreiten. Solche Dinge möchte er mit Stillschweigen übergehen und seinen Lesern diesbezüglich die Freiheit lassen, sie zu glauben oder nicht – sich in jedem Fall aber nicht gegen ihre historische Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit aussprechen40.

2. Quellenkritik und historische Gewissheit Damit kommen wir zu einer zweiten wesentlichen Frage für die römische Kirchengeschichtsschreibung: Wie weit reicht der Einflussbereich der Kritik – und woraus speist sich die historische Gewissheit? Um eines gleich vorwegzunehmen: Eine Debatte um den „historischen Pyrrhonismus“ hat es in Rom nicht in der Form gegeben wie in der französischen oder deutschen Historiographie; man hat allerdings Publikationen aus dem Norden recht aufmerksam verfolgt – solange sie auf Latein oder Französisch verfasst waren. Nicht zuletzt dem Dictionnaire historique et critique Pierre Bayles ist hier ein nicht zu unterschätzender Einfluss zuzuschreiben41. Doch gab es 39 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 17: Desiderava già Melchior Cano, che le vite dei nostri santi fossero state scritte con quel candore e sincerità, e con quella nobile semplicità, con cui furono scritte le vite dei dodici cesari da Suetonio, quelle degli uomini illustri da Cornelio Nipote e quelle dei più grand’uomini della Grecia e di Roma da Plutarco. Orsi bezieht sich in der Randbemerkung auf das 6. Kapitel des 11. Buchs von De locis theologicis. 40 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 23f.: Anzi mi protesto di non intendere di apportar loro col mio silenzio alcun pregiudizio, ma di lasciarle in quello stato di probabilità o di verisimiglianza, in cui o in realtà si trovano, o che ad alcuni par che si trovino [...]. Siccome io li lascio credere in pace ciò che essi vogliono; così li prego a non volermi inquietare, se non mi dichiaro apertamente per tutte le loro opinioni. [...] In somma, intendo d’essere debitore al pubblico per le cose che scrivo, e non per quelle che taccio; purchè ciò sia senza pregiudizio della religione e della sincerità dell’istoria. Anders sah dies Tiraboschi, der auf historische Exaktheit gerade bei Heiligenviten Wert legte: vgl. DITCHFIELD, Historia magistra sanctitatis (wie Anm. 9) 20. 41 Vgl. Marta FATTORI, Le censure di Antonio Baldigiani alla rivista „Nouvelles de la République des Lettres“ di Pierre Bayle. Nouvelles de la République des Lettres 26/2 (2006) 105–121; Patrizia DELPIANO, Il governo della lettura. Chiesa e libri nell’Italia del Settecento (Bologna 2007); Marco CAVARZERE, La fortuna di Bayle in Italia: le censure romane. Rivista di storia e letteratura religiosa 43 (2007) 525– 544; SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 186–190, 245–255.

226 Bernward Schmidt gerade auch in Italien und vor allem Rom deutliche Stimmen, die Maßhalten in der Ausübung der critica einforderten42. Es fällt auf, dass sich gerade die Kirchenhistoriker in Rom kaum zu diesem doch grundlegenden Thema äußern, einzig Amat de Graveson geht im Vorwort zu seiner Historia ecclesiastica kurz darauf ein. Das Ernstnehmen der Kirchengeschichte als positiver Theologie impliziert für ihn ein maßvolles Betreiben der Kritik, das sich gleichsam zwischen der Skylla der Leichtgläubigkeit und der Charybdis des zügellosen skeptischen Kritisierens bewegt43. Ähnlich äußerten sich auch der französische Jesuit Ignace de Laubrussel zu Beginn oder Girolamo Tartarotti in der Mitte des Jahrhunderts, deren Werke über Kritik in Rom bekannt und geschätzt waren44. Beiden Autoren liegt es ebenso fern wie Amat de Graveson, die kritische Methode als Ganzes zu verurteilen, doch wollen sie ihren Gebrauch auf den Bereich des menschlichen Wissens und Wollens beschränken; der Bereich des Glaubens sollte ausgenommen bleiben. Damit ist weniger der Traditionsprozess gemeint, der durchaus Gegenstand historisch-kritischer Forschung sein konnte, als vielmehr die Substanz von Glaubenswahrheiten45. Das entsprechende Argument Laubrussels gilt für die biblische ebenso wie die historische Kritik 42 Grundsätzlich zur Kritik in der Frühen Neuzeit: Herbert JAUMANN, Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius (Brill’s Studies in Intellectual History 62, Leiden–New York–Köln 1995); Herbert JAUMANN, Bibelkritik und Literaturkritik in der frühen Neuzeit. Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 49 (1997) 123–134. 43 AMAT DE GRAVESON, Historia ecclesiastica (wie Anm. 17) 1 XXII: In hac autem tradenda historiae et disciplinae ecclesiasticae notitia duos praesertim scopulos, ad quos multi appellere solent, maiori, qua potui, diligentia declinare studui; nimiam credulitatem dico, quae in optimi cuiusque mentem irrepit facillime, et delicatissimum quoddam fastidium sive effraenatum illud critices studium, quo morbo complures nostrae aetatis viros non parum laborare vix ausim inficiari. Zuvor schon hatte er von einem sanum artis criticae studium gesprochen (ebd. XVIII). Ähnlich AMAT DE GRAVESON, Trias dissertationum (wie Anm. 18) 27: Caeterum nemo suum in animum inducat me, dum effrenatum intemperantioris critices studium improbo, velle approbare credulitatem quorundam, qui cunctas visiones, revelationes, miracula, nec non omnes opiniones et traditiones, quae iactantur apud populum, absque praevio, maturo et deliberato examine obviis, ut aiunt, manibus amplectantur; hanc, inquam, credulitatem, quae in optimi cuiusquam mentem irrepit facillime, damno potius, nedum approbo, eamque a theologia positiva procul abesse debere constanter affirmo. 44 Vgl. Ignace de LAUBRUSSEL, Traité des abus de la critique en matière de religion (2 Bde., Paris 1710–1711); Girolamo TARTAROTTI, Dell’arte critica. Memorie inedite, hg. von Rinaldo FILOSI (Annali roveretani, Serie Documenti e fonti 8, Rovereto 2000). 45 Zusammenfassend SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 303–305, 314f.

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und lautet: Da – erstens – für den Kritiker das Wirken des Heiligen Geistes in der Geschichte nicht unbedingt erkennbar ist und – zweitens – sich der Glaube nicht auf „Grammatik“ stützen kann, ist eine Institution notwendig, die den Glauben bewahren und sich der intellektuellen Unruhe entgegenstellen kann. Vor der Autorität der Kirche muss die Kritik somit stehen bleiben46. Es dürfte kaum verwundern, dass diese Haltung immer wieder auch in den Zensurgutachten von Inquisition und Indexkongregation zu finden ist47. Gerade mit Blick auf die kritische Methode zeigt sich also ein für ihren Wissenschaftscharakter wesentlicher Grundzug der positiven Theologie in der römischen Auffassung: Als Methode zur Aufklärung von Sachverhalten ist Kritik erlaubt und erwünscht, für Glaubenslehren jedoch bietet sie nicht das geeignete Instrumentarium. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist diese Debatte jedoch auch in Rom abgeklungen48. In der seit 1771 erschienenen Historia ecclesiastica Gaspare Saccarellis etwa ist nur noch von Konjekturen im philologischen Quellenvergleich die Rede, nicht mehr jedoch von theologischen Problemen der kritischen Methode49; am Übergang hierzu scheinen mir die Schriften des Jesuiten Pietro Lazeri zu stehen, der zwar die alten Probleme noch kennt, ihnen aber keine Relevanz für seine Arbeit zubilligt50. Aus der kritischen Methode abgeleitet sind zwei Hilfswissenschaften, die allgemein als die beiden Augen der Geschichtsschreibung galten: Chronologie und Geographie51. Bezeichnenderweise setzt sich jedoch kein römischer Kirchenhistoriker dezidiert damit auseinander; wenngleich ihr Nutzen außer 46 Vgl. LAUBRUSSEL, Traité des abus (wie Anm. 44) 1 139–145. 47 Hierzu SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 351–357. 48 Die extreme Kritik Jean Hardouins war in Rom zwar bekannt, wurde aber kaum berücksichtigt, weil seine Schriften als überzogen-kritisch und absurd galten; vgl. die Gutachten aus der Indexkongregation im Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom: Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Index Prot. 80, 332r–335r, 429r–438v. 49 Vgl. SACCARELLI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 31) 1 XX. Saccarelli zählt zwar nicht zu den römischen Gelehrten, doch da sein Werk in Rom erschien und Klemens XIV. gewidmet war, wird es punktuell herangezogen. 50 [Pietro LAZERI], De vera vel falsa traditione historica regulisque ad eam internoscendam exercitatio critica (Roma 1755). Die Schrift umfasst zwar nur 15 Seiten, ihr kommt aber insofern Bedeutung zu, als ihr Autor nicht nur selbst etliche historische Studien verfasste, sondern auch für die Indexkongregation die Werke Johann Lorenz von Mosheims begutachtete: vgl. SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 16) 1 702–707. Eine umfassende Kirchengeschichte mit ausführlicher Darstellung der Methodik war von Lazeri offenbar geplant, wurde aber nicht mehr ausgeführt. 51 Vgl. GRAFTON, What Was History (wie Anm. 27) 92. Allgemein zur Chronologie: Arndt BRENDECKE, Darstellungsmaßstäbe universeller Zeit, in: Die Autorität der Zeit (wie Anm. 29) 491–521.

228 Bernward Schmidt Frage steht52, weist Berti etwa auch indirekt auf die mit ihnen verbundenen Gefahren des Pedantismus wie auch der (bewussten?) Verwirrung der Leser hin53. Denn – so wird immer wieder betont – Antiquarismus ist nicht mit Historia gleichzusetzen, die Summe gelehrter historischer Einzelstudien und Editionen ergibt noch keine Geschichte54. Der um 1600 noch so wichtige Aspekt der durch chronologische Studien aufweisbaren Ursprungstreue spielt ein gutes Jahrhundert später keine explizite Rolle mehr, die Chronologie ist zur Hilfswissenschaft geworden; die Legitimation von Konfession durch die Bindung an den Ursprung der Kirche bleibt freilich im kontroverstheologischen Repertoire nicht nur des Katholizismus55 – doch dies nur am Rande. Kaum einer in Rom war sich der methodischen Problematik so bewusst wie Francesco Bianchini, dessen Istoria universale (1697) hier angeführt 52 Vgl. etwa BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 1 XXXXIV; ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 3: [...] le quali due arti sono rispetto all’istoria, ciò che gli occhi sono nel corpo del animale. [...] Molto per tanto debbe l’istoria a quei grand’uomini, i quali una gran parte delle loro vigilie consacrarono a perfezionare queste due scienze, senza le quali ella non potrebb’essere un corpo bene ordinato e distinto nelle sue membra, ma sarebbe un chaos di confusione e una rozza e informe materia. Vgl. auch AMAT DE GRAVESON, Trias dissertationum (wie Anm. 18) 25: [...] negari igitur non potest geographiam et chronologiam esse theologo necessarias, quo duabus illis disciplinis instructus in pervestigandis historiae tam sacrae quam ecclesiasticae monumentis a recto veritatis tramite non deflectat. Zumindest auf der theoretischen Ebene war damit die Ablehnung von Chronologie und Geographie durch die jesuitische Ratio studiorum (1599) überwunden; vgl. John W. PADBERG, Development of the Ratio Studiorum, in: The Jesuit Ratio Studiorum. 400th Anniversary Perspectives. Presented in a Seminar at Fordham University Graduate School of Education, hg. von Vincent J. DUMINUCO (New York 2000) 80–100. 53 Er kleidet dies in eine Auflistung von Kritik an Baronio: BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 1 XXXXIII. Der Unsicherheiten der Chronologie ist sich auch Orsi bewusst, vgl. ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 21. 54 Vgl. ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 2. 55 Vgl. Peter LANDAU, Johann Lorenz von Mosheim über den Rechtszustand der frühen Kirche, in: Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, hg. von Martin MULSOW–Ralph HÄFNER–Florian NEUMANN–Helmut ZEDELMAIER (Wolfenbütteler Forschungen 77, Wiesbaden 1997) 329–346; Bruno NEVEU, Quelques orientations de la théologie catholique au XVIIe siècle. Seventeenth-Century French Studies 16 (1994) 35–47, hier 39f.; Markus VÖLKEL, Caesar Baronius in Deutschland im 17. Jahrhundert, in: Nunc alia tempora (wie Anm. 9) 517–543, hier 528f.; Kai BREMER, Umorientierung in der Kirchengeschichtsschreibung um 1700, in: Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt, hg. von Sylvia HEUDECKER–Dirk NIEFANGER–Jörg WESCHE (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 93, Tübingen 2004) 165–182, hier 169; SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 327–329.

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werden muss, auch wenn wir damit den eigentlichen Bereich der Kirchengeschichte verlassen56. Dies mag jedoch durch den Hinweis zu rechtfertigen sein, dass Bianchini auch eine eigene Kirchengeschichte plante, für die wir seiner Universalgeschichte vergleichbare Grundsätze annehmen dürfen57. Für Bianchini bieten Chronologie und Geographie das Skelett, das der Historiker mit Leben erfüllen muss Doch was Bianchini wirklich umtreibt, ist der historische Skeptizismus, mithin die Frage, wie sichere historische Kenntnis erlangt werden kann58. Dass Schriftquellen problematisch sein konnten, musste den zeitgenössischen Lesern nicht mehr eigens gesagt werden, doch die Weitung des Blicks und die Anwendung der Kritik auf die später so genannten „Überreste“59 bedurfte offensichtlich der ausführlichen Begründung. Bianchini spricht hier interessanterweise von simboli und meint damit in einem weiteren Sinne Artefakte, in einem spezifischeren auch die darin enthaltenen Repräsentationen, etwa auf Münzen60. Sie spielen in seinem Konzept der Historiographie eine eminent bedeutende Rolle, denn die Gewissheit über historische Fakten kann Bianchini zufolge nur in einer Zusammenschau aller erreichbaren Quellen und im Zusammenwirken von sinnlicher Wahrnehmung, Vorstellungskraft und vernünftiger Reflexion erlangt werden61. Aus diesem Grund 56 BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19); eine weitere Ausgabe erschien 1747 bei de Rossi in Rom. Bianchini begann das Werk lediglich mit dem ersten Band zu frühen Hochkulturen, legte dann aber keinen weiteren vor. Zu Bianchini: Brigitte SÖLCH, Francesco Bianchini (1662–1729) und die Anfänge öffentlicher Museen in Rom (Kunstwissenschaftliche Studien 134, München–Berlin 2007); Tamara GRIGGS, Universal History from Counter-Reformation to Enlightenment. Modern Intellectual History 4 (2007) 219–247, hier 221–228. 57 So lässt sich BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19) 12, interpretieren. 58 BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19) 31: Ogni professore d’istoria confessa, che il punto più difficile e più importante sia quello di rendre auttorevole la relazione con i segni di verità, che distinguono le narrazioni vere dalle favole de’ ramanzieri. Vgl. auch Anm. 6. 59 Vgl. die klassische Einteilung von Johann Gustav DROYSEN, Grundriss der Historik (Leipzig 1868) 14f. (Erstausgabe 1858). Vgl. BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19) 32, 40; sowie ebd. 37: [...] che i libri soli non sono i depositari delle notizie del mondo. 60 „Repräsentationen“ hier im Sinne der Neuen Kulturgeschichte verstanden, vgl. etwa Roger CHARTIER, New Cultural History, in: Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, hg. von Joachim EIBACH–Günther LOTTES (UTB für Wissenschaft 2271, Göttingen 2002) 193–205, hier 198f.; allgemein: Silvia Serena TSCHOPP, Die Neue Kulturgeschichte – eine (Zwischen-)Bilanz. Historische Zeitschrift 289 (2009) 573–605. 61 Vgl. BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19) 20f.: Nè solamente l’occhio e l’immaginazione vi lavorano intorno, formando la copia dell’esemplare; ma la ragione vi discorre e conchiude, estraendone questo discorso: che se non fossero

230 Bernward Schmidt legte Bianchini außerordentlichen Wert auf die visuelle Vermittlung von Geschichte – durch Tafeln in seinem Buch oder seine Skizzen von Museumskonzeptionen für Klemens XI.62 Je mehr sichtbare Artefakte vorhanden sind und die Schriftquellen ergänzen – so könnte man Bianchinis Grundthese vereinfacht zusammenfassen –, desto mehr historische Sicherheit entsteht. Ein immer neues skeptisches Nachfragen lehnt er als nicht erkenntnisfördernd ab63. Man mag sich in gut skeptischer Manier fragen, ob Bianchini nicht voreilig der empirischen Evidenz eine wahrhaftige Entsprechung in der Realität einräumt und ob die Konvergenz solcherart unsicherer vermeintlicher Evidenzen für eine historisch gesicherte Erkenntnis ausreicht. Doch geht es Bianchini nicht um eine Absicherung jeder historischen Erkenntnis, sondern nur von Grundtatsachen. So sei das Kolosseum in seinem ruinösen Zustand ein Zeugnis kaiserlicher Größe und der Barbareneinfälle – seine Erfahrung auf dem Gebiet der Archäologie kommt Bianchini hier sehr zugute. Ein weiteres Beispiel weist schon in die Richtung moderner Kulturgeschichte, wenn er Kronen und Herrschaftsabzeichen als Spiegel von Herrschaftsverständnissen befragen möchte64. Sicherlich konnte Bianchini damit nicht alle Probleme aus der Welt schaffen, doch seine Fähigkeiten als Archäologe waren für die Zeitgenossen unbestritten – und für uns heutige ist er der einzige römische Autor, der sich auf so hohem Niveau Gedanken zu diesem Thema gemacht hat.

IV. Ekklesiologie in der Historiographie Nach diesen theoretischen Überlegungen soll nun Ecclesia als Objekt der Historiographie im Sinne Zimmermanns anhand eines Beispiels betrachtet werden. Um dem Kirchenbild der römischen Kirchenhistoriker nachzugehen, seien ihre Darstellungen des Konzils von Ephesus im Jahr 431 exemplarisch beleuchtet. veri quei fatti, non sarebbero state le memorie di essi da gli uomini, viventi all’ora, testificate con tanti segni di pubblica auttorità. Onde l’impressione del fatto si stampa con tutta la forza della persuasione: e l’idea dell’istoria è profondamente ritenuta nell’animo come approvata, e non solamente come proposta. Di qui nasce il pregio grande, in che sono meritamente le antichità sopra gli altri lavori, ancorche eccellentissimi, del nostro secolo. [...] E perciò ancora gli animi più sollevati e più esperti nel giudicare, maggior vantaggio ricavano dalla inspezione oculata di un viaggio che dalla replicata lettura di molti libri. 62 Hierzu ausführlich SÖLCH, Bianchini (wie Anm. 56) 131–149. 63 BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19) 10: Se il compendio è succinto, il riandarlo con questi dubbi d’incertezza del fatto e di uniformità ne’ segni della espressione, contribuisce poco all’intendimento e alla memoria non molto. 64 Vgl. BIANCHINI, Istoria universale (wie Anm. 19) 34f.

Ecclesia als Objekt der Historiographie 231

Der theologische Streit, der das Zusammentreten des ersten Konzils von Ephesus auslöste, war eine Folge der Definitionen des Konzils von Nicäa im Jahr 325, das die Wesensgleichheit Jesu Christi mit Gott dem Vater und seine Zeugung aus dem Vater festgelegt hatte65: Das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in der einen Person Christi blieb noch ungeklärt. Die in Ephesus unterlegene Position des Nestorius ging mit der antiochenischen Schule von einer Trennung der beiden Naturen aus, während die alexandrinischen Theologen, in Ephesus von ihrem Bischof Cyrill geführt, gegen diese dualistischen Tendenzen an Gottheit und ganzer Menschheit Christi wie auch an der Lehre der Idiomenkommunikation festhielten66. Für unseren Kontext ist besonders interessant, dass sich beide Parteien zunächst um eine Entscheidung des römischen Bischofs Coelestin bemühten, die aufgrund geschickter Einflussnahme der Alexandriner und des theologischen Unverständnisses Coelestins für Nestorius zugunsten Cyrills ausfiel67. Coelestin sandte schließlich auch zwei Bischöfe und einen Presbyter von Rom nach Ephesus, die sich dort der Partei Cyrills anschlossen. In mehrfacher Hinsicht bietet sich der Komplex „Ephesus 431“ damit als Testfall für die Ekklesiologie der römischen Kirchenhistoriker an: Zum einen wegen der häresiologischen Dimension, zum anderen wegen der Rolle der Kirche von Rom und ihres Bischofs im Vorfeld des Konzils und auf dem Konzil selbst. Natürlich standen die aktuellen episkopalistischen beziehungsweise konziliaristischen Implikationen der historischen Verhältnisbestimmung von Papst und Konzil im Hintergrund der Darstellung68. 65 Vgl. den ausführlichen Artikel (mit Text und Übersetzung) von Wolf-Dieter HAUSCHILD, Nicäno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis, in: Theologische Realenzyklopädie, 24: Napoleonische Epoche – Obrigkeit, hg. von Gerhard MÜLLER et al. (Berlin–New York 1994) 444–456. 66 Zum Überblick: Ernst DASSMANN, Kirchengeschichte, 2/2: Theologie und innerkirchliches Leben bis zum Ausgang der Spätantike (Kohlhammer Studienbücher Theologie 11/2, Stuttgart–Berlin–Köln 1999) 71–88; Karl Suso FRANK, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche (Paderborn–München–Wien–Zürich 21997) 276–279; Klaus SCHATZ, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte (Uni-Taschenbücher 1976, Paderborn–München–Wien–Zürich 1997) 51–56; zur Theologie: Hermann Josef VOGT, Papst Coelestin und Nestorius, in: Konzil und Papst. Historische Beiträge zur Frage der höchsten Gewalt in der Kirche. Festgabe für Hermann TÜCHLE, hg. von Georg SCHWAIGER (München–Paderborn–Wien 1975) 85–101. 67 Auf der römischen Synode im Frühjahr 430. 68 Vgl. Ludger MÜLLER, Papst und ökumenisches Konzil. Zur Diskussion in der deutschen Kirchenrechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts. Archiv für katholisches Kirchenrecht mit besonderer Berücksichtigung der Länder deutscher Sprache 167 (1998) 22–48; Hermann Josef SIEBEN, Vom Apostelkonzil zum Ersten Vatikanum. Studien zur Geschichte der Konzilsidee (Konziliengeschichte, Reihe B: Untersuchungen, Paderborn–München–Wien–Zürich 1996) 527–537; Anton HÄNGGI, Der Kirchen-

232 Bernward Schmidt Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Behandlung der Lehren des Nestorius stets unter dem Vorzeichen der Häresiegeschichte vorgenommen wird. Am deutlichsten wird dies bei Amat de Graveson, wo sie in das De haeresibus überschriebene zweite Colloquium zum 5. Jahrhundert eingeordnet wird. Alle untersuchten Autoren stellen nur äußerst knapp die nestorianische Christologie dar, die immer an der Lehre der Kirche gemessen wird – die ihrerseits aber erst in Reaktion auf Nestorius (beziehungsweise Eutyches) auf den Konzilien von Ephesus und Chalcedon (451) formuliert wurde. Strenggenommen kann man den römischen Kirchenhistorikern somit ein anachronistisches Vorgehen vorhalten, doch muss an dieser Stelle auch an die oben zitierten Aussagen Giuseppe Agostino Orsis erinnert werden: Es geht nicht um eine Darstellung sine ira et studio, sondern um Parteinahme für die Wahrheit. Was der an sich unveränderlichen Lehre der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart widerspricht, muss auch mit Mitteln der Historiographie angeprangert werden. Eine Aktualisierung der historischen Häresiologie bietet Gianlorenzo Berti, der explizit nicht nur die Lehren des Nestorius attackiert, sondern auch diejenigen, die ihn in Schutz genommen haben: Louis Ellies Du Pin, Jacques Basnage und Pierre Bayle69. Kirchengeschichte bezieht demzufolge nicht nur theologisch Position, sie erfüllt auch insofern eine ekklesiologische Funktion, als sie Anleitung zur Inklusion beziehungsweise Exklusion zu geben versucht. Gehen wir den Darstellungen weiter nach, stoßen wir als nächstes auf die besondere Betonung eines Briefes Coelestins an Cyrill, der nach der römischen Synode von 430 geschrieben wurde. Cyrill sollte nicht nur über das Ergebnis informiert werden, zugleich – so die übereinstimmende Ansicht der römischen Kirchenhistoriker – habe Coelestin den Bischof von Alexandria damit als seinen Stellvertreter auf dem anstehenden Konzil installiert. Selbst wenn sie die Bitte Cyrills an den römischen Bischof um christologische Auskunft (der Coelestin mit besagter Synode nachkam) nicht explizit als Ausdruck einer Hierarchie der Bischofssitze werten70, wird an dieser Stelle die Überordnung Roms deutlich: Cyrill, der als Konzilspräsident dargestellt wird, nimmt diese Funktion aufgrund der ihm von Coelestin delegierten potestas wahr71. Zwar dürfen die drei Legaten nicht verschwiegen werden, historiker Natalis Alexander (1639–1724) (Studia Friburgensia N. F. 11, Freiburg 1955). 69 Vgl. BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 4 204. 70 Dies explizit bei Giuseppe Agostino ORSI, De irreformabili Romani pontificis in definiendis fidei controversiis iudicio (3 Bde., Roma 1739) 1/1 92–95, unter der Überschrift Sanctus Cyrillus irrefragabilem agnovit in Caelestino ad damnandam haeresim Nestorianam auctoritatem. 71 Von Stellvertretung sprechen alle konsultierten Quellen, von potestas delegata wörtlich nur SACCARELLI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 31) 8 331. Vgl. AMAT

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die Coelestin zum Konzil schickte, doch die Darstellungsabsicht ist mit der Konzentration auf die Personen Coelestins und Cyrills eindeutig: Das Konzil von Ephesus führt aufgrund päpstlicher Entscheidung und Delegation aus, was die vorangegangene römische Synode unter persönlicher Leitung des Papstes bereits beschlossen hat. Insofern konzentriert sich der Repräsentationsgedanke hier weniger auf den Repräsentierenden (Cyrill) als vielmehr auf den abwesend Repräsentierten (Coelestin), dessen Rolle auf dem Konzil gesichert werden soll72. So wird die historische Darstellung hier zum Medium einer papalistischen Ekklesiologie, die sich gegen konziliaristische und episkopalistische Tendenzen richtet. Ein dritter Aspekt soll hier hervorgehoben werden. Die heutige Historiographie macht es Cyrill implizit oft zum Vorwurf, dass er das Eintreffen der orientalischen Bischöfe um Johannes von Antiochia nicht abgewartet hat, die auf der Seite des Nestorius standen, und das Konzil dessen Verurteilung ohne Anhörung und Verteidigung seiner Positionen vorgenommen hat. Aufgrund des bereits Gesagten verwundert es nicht, dass die römischen Kirchenhistoriker im 18. Jahrhundert das anders sehen: Die Entscheidung über die dogmatische Frage war bereits gefallen, als das Konzil in Ephesus zusammentrat, da der Papst bereits entschieden hatte. Die Funktion des Konzils beschränkt sich demgemäß auf die Umsetzung der römischen Beschlüsse, wird also zu einer Gerichtsverhandlung ohne offenen Ausgang73. Nestorius wird nicht nur wegen seiner Irrlehren, sondern auch wegen Kontumaz verurteilt; die Gegen-Synode seiner Anhänger unter Johannes von Antiochia wird zum schismatischen conciliabulum74. DE GRAVESON,

Historia ecclesiastica (wie Anm. 17) 1/2 41; BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 4 241; ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 13 4. Eine Kurzformel bietet BERTI, Historia ecclesiastica 4 239: Das Konzil habe Cyrilli industria et Caelestini autoritate stattgefunden. 72 Hierzu Hasso HOFMANN, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (Schriften zur Verfassungsgeschichte 22, Berlin 1974) 116–165, 286–321. Unter Rückgriff auf Hinkmar von Reims betont BERTI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 23) 4 240, päpstliche Anweisung und kaiserliche Einberufung seien für die Abhaltung eines Konzils notwendig. 73 Vgl. ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 13 5; ebd. 18 gibt Orsi allerdings zu bedenken, dass schwer zu entscheiden ist, ob Johannes von Antiochia mit seiner Partei schuldhaft zu spät zum Konzil kam. 74 Vgl. AMAT DE GRAVESON, Historia ecclesiastica (wie Anm. 17) 1/2 41. Der Begriff conciliabulum wurde als polemische Abwertung für die von einigen Kardinälen gegen Julius II. einberufene Synode von Pisa (ab 1511) verwendet, gegen die sich das päpstliche 5. Laterankonzil (1512–1517) konstituiert hatte. Grundlegend hierzu Nelson H. MINNICH, The Healing of the Pisan Schism (1511–13). Annuarium Historiae Conciliorum. Internationale Zeitschrift für Konziliengeschichtsforschung 16 (1984) 59–192; Nelson H. MINNICH, Rite Convocare ac Congregare Procedereque:

234 Bernward Schmidt So hohes Gewicht man also der christologischen Frage in den kirchenhistorischen Werken zumaß, so sehr war man zugleich bemüht, den Stellenwert des ökumenischen (aber papstlosen) Konzils als ausführendes Organ des päpstlichen Willens zu bestimmen. Dies setzte zum einen voraus, dass man den spätantiken römischen Bischof bereits als den übrigen Bischöfen (auch von Apostelsitzen) übergeordnet darstellte, zum anderen die papalistische Linie der Ekklesiologie von Juan de Torquemada über Domenico Giacobazzi und Tommaso de Vio (Cajetan) bis hin zu Bellarmino nachvollzog75. Im 18. Jahrhundert darf auch Giuseppe Agostino Orsi als besonders eifriger Verfechter dieser Positionen in ihre Reihe gestellt werden76. Am Beispiel der Darstellung des Konzils von Ephesus ist also gut zu erkennen, wie positive und scholastische Theologie in der Praxis der römischen Kirchengeschichte zusammenwirken: Während einerseits aus den zeitgenössischen Quellen historische Tatsachen erhoben werden, stehen andererseits aber bereits die Maßstäbe für Darstellung und Wertung bereit, die aus dem als überzeitlich und Entwicklungen nicht unterworfen gedachten Glaubensgut abgeleitet werden.

V. Von Baronio zur Profanierung der Geschichte? Aus dem bisher Gesagten geht hervor, wie sehr sich die römische Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts der historiographischen Tradition des Cesare Baronio verpflichtet weiß. All jene Grundprinzipien, die etwa Markus Völkel bei Baronio ausgemacht hat, lassen sich auch hier nachweisen: die Gerichtetheit der Geschichte auf Papst und römische Kirche zu, die strikte Trennung von Orthodoxie und Häresie, die Kirche als Erfüllung der menschlichen Zeit, das Fehlen jeder wirklichen Veränderung oder Entwicklung in dieser Zeit The Struggle between the Councils of Pisa–Milan–Asti–Lyons and Lateran V, in: Nelson H. MINNICH, Councils of the Catholic Reformation. Pisa I (1409) to Trent (1545–63) (Aldershot 2008), Nr. IX. 75 Vgl. Hermann Josef SIEBEN, Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Großen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378–1521) (Frankfurter theologische Studien 30, Frankfurt am Main 1983); Hermann Josef SIEBEN, Die katholische Konzilsidee von der Reformation bis zur Aufklärung (Konziliengeschichte, Reihe B: Untersuchungen, Paderborn–München–Wien–Zürich 1988). 76 Vgl. Giuseppe Agostino ORSI, De irreformabili Romani pontificis iudicio (wie Anm. 70); Giuseppe Agostino ORSI, De Romani pontificis in synodos oecumenicas et earum canones potestate (Roma 1740). Das zweite Werk versteht sich dabei als Fortsetzung des ersten. Weiters Giuseppe Agostino ORSI, Della origine del dominio e della sovranità de’ Romani pontefici sopra gli stati loro temporalmente soggetti (Roma 1742).

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oder die ununterbrochene Fortschreibung der einmal geoffenbarten Wahrheit77. Kirchengeschichtsschreibung unterlag somit einem ekklesiologischen Kriterium, insofern sie aufzeigen sollte, wie der Weg der ecclesia militans durch alle Anfeindungen verlaufen war, erfüllte aber auch eine ekklesiologische Funktion, insofern sie Wegweisung für die Kirche sein sollte, deren Vollendung in der ecclesia triumphans logische Konsequenz aus der Geschichte sein musste. Römische Kirchengeschichtsschreibung ist im 18. Jahrhundert sehr von solchen gegenreformatorischen Denkschemata geprägt, die sich anders als bei deutschen protestantischen Historiographen im Lauf des Jahrhunderts nicht auflösten; sie ist und bleibt Teil der Theologie, freilich unter der Vorherrschaft dogmatischer Kriterien. Denn die im Konfessionalismus angelegte Spannung zwischen der eigenen katholischen Identität und der reformatorischen Alterität ließ sich ohne Schwierigkeiten auf die Auseinandersetzungen mit anderen Strömungen übertragen, etwa die vielschichtige aufklärerische Kirchen- und Religionskritik – dies gilt für die Qualifizierung von Büchern beziehungsweise Ideen durch die Zensurorgane ebenso wie in Publikationen78. An dieser grundsätzlichen Treue zum Programm des Baronio ändert auch die Tatsache nichts, dass die immer wieder gern belächelten Fehler in seinem Werk zunehmend als peinlich empfunden wurden79. Neue kirchenhistorische Werke des 18. Jahrhunderts wollten Baronio nicht revidieren, sondern vervollkommnen. In dieser Hinsicht konnte man sich die Fortschritte der historisch-kritischen Forschung zunutze machen – man denke nur an die verschiedenen großen Editionsunternehmen bis hin zu dem gewaltigen Werk Giovanni Domenico Mansis oder die Quellendiskussionen der römischen Antiquare. Die kritische Methode wurde keineswegs abgelehnt, wohl aber kritisch beäugt, denn vor Fragen der Lehre musste sie halt machen. Historische Wahrheit konnte nicht von der theologischen Wahrheit abweichen – oder salopp gesprochen: Was theologisch nicht sein darf, kann auch historisch nicht der Fall sein80. Was von Arno Seifert, Helmut Zedelmaier und anderen als Profanierungsprozess in der universalhistorischen Epistemologie beschrieben wurde, trifft für die römischen Kirchenhistoriker insofern zu, als zwar theoretisch der Anspruch einer kontinuierlichen Heilsgeschichte erhoben wurde, praktisch 77 Vgl. VÖLKEL, Caesar Baronius (wie Anm. 55) 520f. 78 Dies konnte anhand von Gutachten der römischen Zensurkongregationen gezeigt werden: vgl. SCHMIDT, Virtuelle Büchersäle (wie Anm. 8) 291–299. 79 Vgl. SACCARELLI, Historia ecclesiastica (wie Anm. 31) 1 XIVf. 80 Insofern folgten die römischen Kirchenhistoriker ganz selbstverständlich dem Dekret Apostolici regiminis des 5. Laterankonzils.

236 Bernward Schmidt aber natürlich die Methoden einer profanen Geschichtsforschung angewandt wurden81. Dies vermag die Kirchengeschichte jedoch nicht aus ihrer theologischen Einbettung zu lösen. Wie sehr ihr in dieser Sicht eine konstitutive Funktion in der Theologie zukommt, verdeutlichen etwa die Gutachten Scipione Maffeis für die Reorganisation der Universitäten Padua und Turin. Die Dominanz der scholastischen Theologie wird darin nicht zuletzt durch Diversifizierung zurückgedrängt, zudem wird die gesamte Theologie auf das Fundament der biblischen und historischen Disziplinen gesetzt. „Wer keine Ahnung von der Universalgeschichte, noch einige Kenntnis der wichtigsten Epochen und Zyklen hat, den kann man immer noch ein kleines Kind nennen, möge er sich auch mit einiger Wissenschaft schmücken“, heißt es dort82. Oder in den Worten Giuseppe Agostino Orsis: „Da die konstante Tradition durch alle Jahrhunderte hindurch eines der hauptsächlichen Fundamente der katholischen Glaubenslehre ist, kann derjenige, der keine Hilfe durch die Geschichte hat, nur ein armseliger und untauglicher Theologe sein“83. An diesem Punkt trifft sich die römische Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts mit Ansätzen einzelner deutscher Theologen der Gegenwart – die methodische und inhaltliche Vielschichtigkeit des Faches widersetzt sich jedoch stets eindeutigen Festlegungen84.

81 Vgl. Arno SEIFERT, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte. Die Rationalisierung der universalhistorischen Erkenntnis im Zeitalter der Aufklärung. Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986) 81–117; Helmut ZEDELMAIER, Die Marginalisierung der Historia sacra in der frühen Neuzeit. Storia della storiografia. Rivista internazionale 35 (1999) 15–26; GRIGGS, Universal History (wie Anm. 56) 219–247. 82 Biagio BRUGI, Un parere di Scipione Maffei intorno allo Studio di Padova sui principi del Settecento. Edizione dal testo originale con introduzione e note. Atti del Reale Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti 69 (1909/10) 575௅591, hier 585: Chi non ha idea dell’istoria universale e qualche notizia dell’epoche principali e de’ cicli, benchè da qualche scienza sia ornato, può sempre chiamarsi fanciullo. 83 ORSI, Istoria ecclesiastica (wie Anm. 22) 1 22. 84 Vgl. Walter KASPER, Kirchengeschichte als historische Theologie. Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 80 (1985) 174–188; Walter KASPER, Tradition als Erkenntnisprinzip. Systematische Überlegungen zur theologischen Relevanz der Geschichte. Theologische Quartalschrift 155 (1975) 198–215; Max SECKLER, Die ekklesiologische Bedeutung des Systems der „loci theologici“. Erkenntnistheoretische Katholizität und strukturale Weisheit, in: Weisheit Gottes, Weisheit der Welt. Festschrift für Joseph Kardinal RATZINGER zum 60. Geburtstag, hg. von Walter BAIER–Stephan Otto HORN–Vinzenz PFNÜR–Christoph SCHÖNBORN (2 Bde., St. Ottilien 1987) 1 37–66. Sozusagen eine „Retheologisierung“ der Kirchengeschichte forderte jüngst Walter BRANDMÜLLER, Kirchengeschichte in Deutschland. Die Neue Ordnung 60 (2006) 422–435.

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Abstract The contribution deals with ecclesiastical historiography in Rome in the 18th century, especially regarding methodological and theological problems. It investigates the conditions under which the Church could become the object of a historiography which was compelled to assume an unambiguous stance in favour of the papacy and Roman positions. Hence, the locus of historia either in respect to theology or within it is examined first. This is followed by a review of the Roman ecclesiastical historians’ statements in regard to debates on historiographical method; finally, their attitudes and methods are exemplified in a closer look at their narratives of the conflicts surrounding the Council of Ephesus (431). The combination of these perspectives is intended to provide an overall impression of the activity of Roman church historians in the time between the Confessional Age and the Enlightenment.

„Les meilleures causes embarrassent les juges, si elles manquent de bonnes preuves“: Père Norbert’s Militant Historiography on the Malabar Rites Controversy Paolo Aranha I. The Malabar Rites Controversy Between the seventeenth and the first half of the eighteenth century, the Catholic church was torn by violent conflicts concerning the missionary methods followed by the Jesuits in China and in the South Indian missions of Madurai, Mysore and the Carnatic. These struggles eventually came to be called the Chinese1 and Malabar Rites2 controversies and produced effects, 1

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The literature on the Chinese Rites controversy is extensive, although a comprehensive synthesis is not yet available. A first orientation can be found in George MINAMIKI, The Chinese Rites Controversy from Its Beginning to Modern Times (Chicago 1985); The Chinese Rites Controversy. Its History and Meaning, ed. David E. MUNGELLO (Monumenta Serica Monograph Series 33, Nettetal 1994). Particularly important for the wealth of its documentation and the emphasis on the Portuguese involvement in the Chinese Rites controversy – not fully appreciated by previous studies – is António VASCONCELOS DE SALDANHA, De Kangxi para o Papa, pela via de Portugal. Memória e documentos relativos à intervenção de Portugal e da Companhia de Jesus na questão dos ritos chineses e nas relações entre o Imperador Kangxi e a Santa Sé (Memória do Oriente 18, 3 vols., Macau 2002). Paul Rule, formerly of LaTrobe University, Australia, is currently completing a monumental history of the Chinese Rites controversy, in collaboration with a team of historians and sinologists. The literature on the Malabar Rites is far less developed. Until now not a single attempt has been made to trace the entire history of this controversy. A very useful contribution is Gita DHARAMPAL, La religion des Malabars. Tessier de Quéralay et la contribution des missionnaires européens à la naissance de l’indianisme (Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft Supplementa 29, Immensee 1982), a study of a major treatise produced against the Malabar Rites at the beginning of the eighteenth century. Two synthetic works can also be mentioned: Émile AMANN, Malabares (Rites), in: Dictionnaire de théologie catholique, contenant l’exposé des doctrines de la théologie catholique, leurs preuves et leur histoire, 9/2: Mabillon – Marletta, ed. Alfred VACANT et al. (Paris 1927) col. 1704–1745; Edward René HAMBYE, History of Christianity in India, 3: Eighteenth Century (Bangalore 1997)

240 Paolo Aranha although of a very different nature, both in Asia and in Europe. In India and China, what was at stake was the continuation of promising missions and their unity within the Catholic orthodoxy and orthopraxis. In Europe the Catholic church had to demonstrate to internal and external critics, such as respectively the Jansenists and the Protestants, that its missionary efforts were indeed conducive to the expansion of a genuine form of Christianity. Moreover, the good name and even the very destiny of the powerful Society of Jesus were put in question by the disputes on these Asian practices. The Malabar Rites controversy consisted to a great extent in an excruciating debate on the decree Inter graviores that Carlo Tomaso Maillard de Tournon (1668–1710), Patriarch of Antioch and papal legate to China and the East Indies, had issued in Pondichéry, a French settlement on the Coromandel Coast of India, on 23 June 1704 and published on the following 8 July3. The final papal condemnation of the Chinese and Malabar Rites, respectively in 1742 and 1744, prepared the ground for the suppression of the Society of Jesus in Portugal in 1759, then in the countries ruled by different Bourbon sovereigns – France in 1762–1764, Spain and Naples in 1767, Parma in 1768 –, and finally all over the world in 17734.

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211–237. – I am about to defend at the European University Institute (Florence) a doctoral thesis entitled „Malabar Rites: An Eighteenth-Century Conflict on Social and Cultural Accommodation in the Jesuit Missions of South India“, directed by Prof. Diogo Ramada Curto (Universidade Nova de Lisboa). This work tries both to analyse the Malabar Rites controversy in its South Indian original context and to explain the Roman decisional process that led to the condemnation by the Holy See. Anticipations of my findings are published in several articles: Paolo ARANHA, Nicodemism and Cultural Adaptation: The Disguised Conversion of the RƗja of Tanor, a Precedent for Roberto Nobili’s Missionary Method, in: Interculturation of Religion. Critical Perspectives on Robert de Nobili’s Mission in India, ed. Chockalingam J. ARUN (Bangalore 2007) 105–144; Paolo ARANHA, La formazione del giovane Roberto Nobili, in: Roberto De Nobili (1577–1656) missionario gesuita poliziano. Atti del convegno Montepulciano 20 ottobre 2007, ed. Matteo SANFILIPPO–Carlo PREZZOLINI (Linguaggi e culture: Studi e ricerche 7, Perugia 2008) 31–44; Paolo ARANHA, Roberto Nobili e il dialogo interreligioso?, in: Roberto De Nobili 137–150; and in the articles cited below in n. 8, 9 and 65. This decree and the subsequent papal decisions on the Malabar Rites are published in the Bull Omnium sollicitudinum, issued by Benedict XIV on 12 September 1744, which can be consulted in Raffaele DE MARTINIS, Iuris pontificii de Propaganda Fide pars prima, complectens bullas, brevia, acta Sanctae Sedis a Congregationis institutione ad praesens iuxta temporis seriem disposita (7 vols., Roma 1888–1897) 3 166–182, at 168. Among the vast scholarly literature on anti-Jesuitism, one may mention: Les antijésuites. Discours, figures et lieux de l’antijésuitisme à l’époque moderne, ed. PierreAntoine FABRE–Catherine MAIRE (Rennes 2010).

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 241 The rites controversies were debated throughout Europe and gave rise to a vast literature, both printed and in manuscript form. Within this wide corpus, whose full extension has not yet been charted, we can find works of different kinds. There are innumerable notorious libels, in which the Jesuits were accused of being hypocrites and idolaters by the opponents of the rites, who were in their turn stigmatised as Jansenists. However, there were also works that, even though produced in order to affirm a specific position within the controversy, did contain erudite or informed orientalist analyses of the Indian and Chinese cultures and religions5. Finally, we find publications that aimed at describing the history of the missions in India and China, highlighting the alleged faults of the adversaries and the merits of one’s own position. The matter of contention in the rites controversies was the extent to which Christianity could be adapted to the cultural and social traits of civilisations that were very different from the Western one. The Jesuits overshadowed all other religious orders in the evangelisation of South and East Asia in the Early Modern age, at least in terms of self-representation. Thanks to audacious forms of missionary adaptation – technically known as accommodatio –, they were able to implant Christianity beyond the narrow limits of the Portuguese Estado da Índia, the thalassocratic sphere of influence that the Lusitans had established in Asia after the foundational expedition of Vasco da Gama in 1498. While in areas under direct Portuguese control, such as Goa on the western coast of India, a full-fledged colonial society was created and the process of conversion was understood as a form of Lusitanisation, no evangelical progress could be attained in areas under the control of native rulers unless new methods were envisaged. In China this adaptation was undertaken for the first time by the Italian Jesuit Matteo Ricci (1552–1610), who came to the conclusion that the only way to have Christianity respected and considered as a serious religious option was to make it compatible with the official Confucian ethics professed by

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On the Jesuit side we should mention in particular Francisco LAINEZ, Defensio Indicarum missionum, Madurensis nempe, Maysurensis et Carnatensis, edita occasione decreti ab illustrissimo domino patriarcha Antiocheno domino Carolo Maillard de Tournon visitatore apostolico in Indiis Orientalibus lati (Roma 1710). This book is extremely rare; until now I have been able to find it only in two Roman institutions, the library of the Institutum Historicum Societatis Iesu and the Biblioteca Casanatense. An anti-Jesuit treatise that played a role in the genesis of European indology is the manuscript La religion des Malabars, written by Jean-Jacques Tessier de Quéralay (1668–1736), procurator in Pondichéry of the Missions Etrangères de Paris at the beginning of the 18th century. His work is still unpublished, but a detailed study is offered by DHARAMPAL, Religion des Malabars (see n. 2).

242 Paolo Aranha the Chinese Empire6. By interpreting Confucianism as a moral system without any religious implications, Ricci could claim that the Chinese Christians need not give up customs such as celebrations in honour of Confucius or ritualised demonstrations of respect towards one’s ancestors. Moreover, Christian concepts were expressed not by Chinese phonetic adaptations of Portuguese or Latin terms, but by finding within the Chinese lexicon words that translated the theological notions of the new faith7. God could thus be translated as Tien (TiƗn), even though the literal meaning of this word was „Heaven“, which did not necessarily imply the notion of a personal God. The Jesuit missionaries learned classical Chinese and presented themselves as mandarins. Thanks to these various forms of adaptation and to their advanced expertise in science and technology, the Jesuits were admitted to the imperial court, whence they were not dislodged even when persecutions were instituted against Christianity in the whole of China. Inspired by the success of Ricci and building on principles set down by Alessandro Valignano (1539–1606), Jesuit Visitor to the missions of the East Indies, a new experiment was undertaken in the internal regions of South India by a third Italian Jesuit, Roberto Nobili (1577–1656)8. He established himself in 1606 in Madurai, a major political and cultural centre, but then extended his mission to various regions of what is today called Tamil Nadu. In the case of the Madurai mission, the local system to which Christianity was adapted was not a moral and public ethos such as Confucianism, but the social system of caste hierarchies9. If Europeans had been considered 6

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A recent and rich portrait of Ricci, based on both Western and Chinese sources, is Ronnie Po-chia HSIA, A Jesuit in the Forbidden City. Matteo Ricci, 1552–1610 (Oxford et al. 2010). Even in the Malabar Rites controversy special attention was paid to the traslati by which names of saints and sacred mysteries had been rendered into the Indian local languages. In his decree Inter graviores Tournon ordered that Nec parochis seu missionariis sub quovis praetextu liceat Crucis, Sanctorum, et rerum sacrarum nomina per translata immutare, nec ea alio idiomate explicare, nisi latino, vel saltem indico, quatenus voces hujus Regionis latinae significationi liquido et adamussim respondeant: DE MARTINIS, Iuris pontificii de Propaganda Fide pars prima (see n. 3) 3 168. I have explored the continuity between Valignano and Nobili in Paolo ARANHA, Gerarchie razziali e adattamento culturale: la „ipotesi Valignano“, in: Alessandro Valignano S. I. Uomo del Rinascimento: Ponte tra Oriente ed Occidente, ed. Adolfo TAMBURELLO–Murat Antoni John ÜÇERLER–Marisa DI RUSSO (Bibliotheca Instituti Historici S. I. 65, Roma 2008) 76–98. It is important to stress that the adaptation in the Madurai mission was less concerned with cultural differences than with a non-European system of social distinctions. In this respect the accommodatio, at least in the Indian context, cannot be understood as a prefiguration of the modern missiological notion of „inculturation“.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 243 until then as low as the pa‫܀‬aiyƗr (pariahs), the outcastes10, Nobili presented himself as a Roman rƗja (king, aristocrat) who had chosen the life of a saۨnyƗsin, a penitent11. In contrast with the practice followed in the Estado da Índia, Nobili allowed to his high-caste neophytes certain signs of social distinction such as the punnjl (a thread hanging from the shoulder)12, the ku‫ڲ‬umi (a tuft of hair on the head)13 and the tilakas (signs drawn on the forehead) made out of sandal paste14. He also conceded the use of ritualised baths, performed before eating or attending religious services, arguing that they were done for the sake of hygiene and not because they were interpreted as forms of spiritual purification. These rituals caused furious debates both among Jesuits and between the Jesuits and other religious orders. Eventually the rites of the Madurai missions, not yet labelled „Malabar Rites“, were approved on 31 January 1623 by Gregory XV in the constitution Romanae sedis antistes, although the Jesuit missionaries were invited by the pope to do their best so as to remove from the Indian neophytes any form of contempt against the pa‫܀‬aiyƗr15. The Chinese Rites continued to be debated, with varying intensity, all throughout the seventeenth century, whereas the method of the Madurai mission, extended also to the regions of Mysore (now Karnataka) and the Carnatic (now northern Tamil Nadu and Andhra Pradesh) did not draw major

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I have developed this point in Paolo ARANHA, Sacramenti o saۨskƗrƗ‫ ?ۊ‬L’illusione dell’accommodatio nella controversia dei riti malabarici. Cristianesimo nella storia. Ricerche storiche esegetiche teologiche 31 (2010) 621–646. The pa‫܀‬aiyƗr are a specific jƗti (caste as a professional group) of South India, but by metonymy their name was often used to indicate all the numerous castes that were subject to untouchability. A useful, although dated, ethnographic account of the pa‫܀‬aiyƗr in Tamil Nadu and Kerala is given in Edgar THURSTON–Kadamki RANGACHARI, Castes and Tribes of Southern India (7 vols., Madras 1909) 6 77–139. For the scriptural foundation of the penitent life in Hinduism see Patrick OLIVELLE, SaূnyƗsa Upaniৢads. Hindu Scriptures on Asceticism and Renunciation (Oxford et al. 1992). Punnjl is the term used in Tamil, whereas in Sanskrit the thread is referred to as yajñopavƯta; see Robert C. LESTER, The SƗttƗda ĝrƯvaiৢ৆avas. Journal of the American Oriental Society 114 (1994) 39–53, at 40. The Tamil expression ku‫ڲ‬umi corresponds to ĞikhƗ in Sanskrit. This tuft is supposed to be arranged for the first time on a child’s head on the occasion of the sacramental ritual (saۨskƗra) of chnj‫ڲ‬Ɨkara۬a (tonsure); see Raj Bali PANDEY, Hindu SaীskƗras. Socio-religious Study of the Hindu Sacraments (Delhi 21969) 94–101. Important for all the tilakas and not only the vai‫۬܈‬ava ones is Alan W. ENTWISTLE, Vaiৢ৆ava Tilakas. Sectarian Marks Worn by Worshippers of Viৢ৆u (International Association of the Vrindaban Research Institute Bulletin 11/12, London 1982). The text of Romanae sedis antistes can be consulted in DE MARTINIS, Iuris pontificii de Propaganda Fide pars prima (see n. 3) 1 15–17.

244 Paolo Aranha critiques until the beginning of the eighteenth century. With the expedition of Carlo Tomaso Maillard de Tournon, the controversies on both the Malabar and the Chinese rites reached their ultimate intensity. Pope Clement XI (1649–1721) sent Tournon to China in order to establish direct diplomatic relations with the emperor and to bring an end to the controversies concerning the Chinese rites16. On his route to the Far East the Patriarch stopped over in Pondichéry between November 1703 and July 1704. During this period he performed various jurisdictional acts that distressed the padroado, the patronage of the Portuguese crown over all the eastern missions17. His single most important act was precisely the decree Inter graviores, with which he banned a number of rites allowed by the Jesuits to their neophytes. The list of these practices was long and varied and included marriage customs, modifications in the ritual of baptism, the use of ashes to draw signs on the forehead, Indian „translates“ used to express Christian notions or as baptismal names, the participation in pagan ceremonies on professional grounds, reading pagan books, taking ritual baths, considering women unable to receive sacraments during their menses and, most importantly, refusing to provide the viaticum to moribund pa‫܀‬aiyƗr within their huts. The common trait of all these sundry rituals was a concern for ritual purity. For instance, entering the huts of the pa‫܀‬aiyƗr was believed to transmit untouchability and defile one from one’s own caste18. The Jesuits held that without a strict observance of these rituals, the neophytes in the missions of Madurai, Mysore and the Carnatic would be persecuted for breaching the law of the country and would eventually turn back to paganism. Tournon’s decree was confirmed in 1706 by the Holy Office, in 1712 by Clement XI, in 1727 by Benedict XIII, in 1735 and 1739 by Clement XII and finally by Benedict XIV 16 There is no comprehensive biography of Tournon. Some important contributions are provided by Fernand COMBALUZIER, Ile Bourbon (3–18 août 1703). Passage et séjour de Charles-Thomas Maillard de Tournon, patriarche d’Antioche, Visiteur apostolique et Légat de Clément XI pour la Chine et les Indes orientales. Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft 6 (1950) 273–283; Francis A. ROULEAU, Maillard de Tournon Papal Legate at the Court of Peking. The First Imperial Audience (31 December 1705). Archivum Historicum Societatis Iesu 31 (1962) 264–323; Giacomo DI FIORE, Il presunto avvelenamento del cardinal Tournon e la traslazione del suo cadavere da Macao a Roma. Studi settecenteschi 18 (1998) 9–43; VASCONCELOS SALDANHA, De Kangxi para o Papa (see n. 1). 17 Among the most important sources for Tournon’s stay in Pondichéry are several manuscript volumes of official acts and original correspondence written by or addressed to the Patriarch and his party, belonging to the Fondo Fatinelli of the Biblioteca Casanatense in Rome, in particular Mss. 1629, 1641–1644, 1646, 1650. 18 I have suggested that these rites were actually christianised Hindu „sacraments“ (saۨskƗras) in ARANHA, Sacramenti (see n. 9).

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 245 with the bull Omnium sollicitudinum of 12 September 1744. Seven official acts of the Holy See were, however, not sufficient to eradicate the Malabar Rites from the South Indian missions, since the Jesuits were convinced that without the toleration of these customs the Christianity of Madurai, Mysore and the Carnatic would fall apart. It is precisely in the period before the ultimate resolution of the Malabar Rites controversy by the bull of 1744 that Norbert undertook the first steps of his career as a polemical writer. We can now consider the main works that he published and how he became a historian of the Malabar Rites controversy.

II. Norbert: A Life against the Jesuits The Capuchin Norbert of Bar-le-Duc (1703–1769) was also known, at various moments of his life, as Norbert de Lorraine, Abbé Jacques Platel, Pierre Parisot and Pierre Curel19. This chameleonic figure traversed identities and continents, making a career out of controversy and becoming le fameux Père Norbert of a highly romanticised biography, published in 176220. He was one of the major anti-Jesuit authors of the eighteenth century, and his work had a professed historiographical nature, although a very peculiar one. It is not surprising that historiography could be developed in the context of a fierce controversy. A famous instance are the competing narratives of Christian origins produced by Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) and the Centuriators of Magdeburg on the Lutheran side and Cesare Baronio (1538–1607) on the Catholic one21. Likewise well known are the conflicting interpretations of the Council of Trent provided by Paolo 19 L.-J. HUSSON, Le P. Norbert de Bar-le-Duc, capucin (Pierre Curel Parisot, dit l’abbé Platel). Études franciscaines. Mélanges d’histoire et de doctrine 49 (1937) 632– 649; 50 (1938) 63–77, 220–239; 51 (1939) 55–75. A complete biography of Norbert is still missing. Husson’s work is a rich source of information, but suffers from two major limitations. First, it provides no references at all to the archival sources that have been used to describe in great detail the actions of the Capuchin. Second, Husson (apparently a Capuchin or Franciscan, though this is not specified in the articles) has a clear partisan position. He engages in polemics against Jesuit authors such as Joseph Bertrand (1801–1884) or tries to justify the affiliation of Norbert to Freemasonry by observing that even a famous traditionalist Catholic author such as Joseph de Maistre (1753–1821) was a fervent Freemason. 20 [François Antoine de CHEVRIER], La vie du fameux Père Norbert, ex-Capucin, connû aujourd’hui sous le nom de l’Abbé Platel (London [Bruxelles] 1762). 21 Ecclesiastica historia integram ecclesiae Christi ideam complectens (13 vols., Basel 1559–1574); Cesare BARONIO, Annales ecclesiastici (12 vols., Roma 1588–1607).

246 Paolo Aranha Sarpi (1552–1623) and Pietro Sforza Pallavicino (1607–1667)22. Norbert’s historiographical contributions were different inasmuch they had a more practical nature and were aimed mainly at the goal of promoting himself by means of a violent attack against the Society of Jesus. The matter for his endeavour derived from a short missionary experience in Pondichéry, where he lived between 1737 and 1740, taking part in various conflicts which opposed the Capuchins and the Jesuits. Afterwards he came back to Europe, moving across several countries, changing identities and becoming a famous figure thanks to the credit he achieved through his books. Norbert arrived in Rome in April 1741 in order to secure papal support mainly on two burning related issues: a final and effective condemnation of the Malabar Rites and the pastoral care of the Indian Christians in Pondichéry. This settlement had been established by the French East India Company in 1674, and its spiritual needs had originally been served by the Capuchins. Once the Jesuits were expelled from the kingdom of Siam after the „Revolution“ of 1688 that overthrew king Narai23, they sought refuge in Pondichéry, and from there they eventually started the Carnatic mission in the year 1700. On account of their linguistic proficiency in Tamil and other Indian languages, the Jesuits were granted the pastoral care of the Indian neophytes by the bishop of São Thomé de Meliapur (today a residential area of Madras-Chennai, the capital city of the state of Tamil Nadu), whereas the Capuchins were confined to the Christians of European or Luso-Indian origin. The Capuchins never accepted this decision and tried for decades to obtain its reversal. Norbert started lobbying within the anti-Jesuit milieus of the Roman Curia, securing in particular the protection of Cardinals Neri Maria Corsini (1685–1770) and Domenico Silvio Passionei (1682–1761)24. Parallel to these initiatives targeting prominent figures, Norbert also committed himself to creating public awareness about the cause of the Capuchin missionaries in India and their engagement against the allegedly superstitious Malabar Rites supported by the Jesuits. The first important work published by Norbert was the edition of a sermon that he had pronounced in Pondichéry in 22 Paolo SARPI [pseud. Pietro SOAVE], Historia del Concilio Tridentino, nella quale si scoprono tutti gl’artificii della corte di Roma (London 1619); Pietro SFORZA PALLAVICINO, Istoria del Concilio di Trento, ove insieme rifiutasi con autorevoli testimonianze un’istoria falsa divolgata nello stesso argomento sotto nome di Pietro Soave Polano (2 vols., Roma 1656). 23 See Edward Walter HUTCHINSON, 1688 – Revolution in Siam. The Memoir of Father de Bèze, S.J. (Hong Kong–London 1968); Michael SMITHIES, Three Military Accounts of the 1688 „Revolution“ in Siam, by General Desfarges, Lieutenant de la Touche and Engineer Jean Vollant des Verquains (Bangkok 2002). 24 HUSSON, Norbert de Bar-le-Duc (see n. 19) 50 66–67.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 247 December 1737 on the occasion of the death of bishop Claude de Visdelou (1656–1737)25, a French Jesuit missionary who disagreed with the official position of the Society of Jesus in support of the Chinese Rites. Because of this position, Visdelou provided useful expertise to the legate Tournon, and in return was consecrated by him bishop of Claudiopolis in partibus infidelium and apostolic vicar of Kwei-chou (Guìzhǀu) in China. The disgrace of the Patriarch of Antioch with the emperor KƗngxƯ compelled Visdelou to flee first to Macao and then to Pondichéry, where he lived from 1709 until his death. Norbert had been instructed by Visdelou in the theological and political intricacies of the rites controversies, and in the sermon that he pronounced in honour of the prelate, he hinted at the persecution that Visdelou had suffered by the Jesuits, who considered him a traitor and a dangerous internal adversary. The Oraison funebre de Monseigneur de Visdelou was published in 1742 in Avignon, but with the false indication of Cadix. In that same year Norbert also published the Mémoires utiles et necessaires, tristes et consolans, sur les missions des Indes orientales26. The text, in French and Italian on two columns, contained an appeal made by Norbert, as procurator of the Capuchin missionaries, in order to obtain the restitution of the pastoral care of the Tamil Christians of Pondichéry from the Jesuits to the Capuchins. The bulk of the book was occupied by 43 documents that were supposed to demonstrate the right and the expediency of the Capuchins being in charge of the Indian neophytes. The turning point in Norbert’s career was the publication in July 1744 of the two volumes of Mémoires historiques présentés au souverain pontife Benoit XIV sur les missions des Indes orientales27. The timing was particularly fortunate because on 12 September of that same year Benedict XIV published his constitution Omnium sollicitudinum. The fact that Norbert’s 25 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Oraison funebre de Monseigneur de Visdelou Jesuîte, evêque de Claudiopolis, vicaire apostolique en Chine etc., décédé à Pondichéry, le 11 novembre 1737, et inhumé dans l’eglise des reverends Pères Capucins, missionaires apostoliques et curés (Cadiz [Avignon] 1742). 26 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires utiles et necessaires, tristes et consolans, sur les missions des Indes orientales etc., dressées selon l’ordre des supérieurs et sur l’instance des Capucins missionaires aux Indes. Memoriali utili e necessarii, aflittivi e consolanti, rispetto alle missioni delle Indie orientali etc., composti per ordine de’ superiori e sopra l’istanza de’ Cappuccini missionarii nelle Indie (Lucca 1742). 27 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques présentés au souverain pontife Benoit XIV sur les missions des Indes orientales, où l’on fait voir que les Pères Capucins missionnaires ont eu raison de se séparer de communion des reverends Pères missionaires Jésuites qui ont refusé de se soumettre au décret de Monsieur le Cardinal de Tournon, légat du Saint Siége, contre les rits malabares (2 vols., Lucca 1744).

248 Paolo Aranha work appeared in Lucca, was dedicated to Benedict XIV, and was accompanied by a series of letters of support by Roman ecclesiastics, including a qualificator of the Roman Holy Office and consultor of the Congregation of the Index such as the Franciscan Carlo Maria da Perugia28, necessarily suggested to the readers that there was a close relation between Norbert’s work and the final ban on the Malabar Rites contained in the papal constitution. An Italian translation of the Mémoires historiques was also published in the same year29, and the author took great care to distribute it widely throughout Europe. Each cardinal in Rome received a copy, as did king John V of Portugal, queen Maria Theresa of Hungary, her husband the grand duke of Tuscany Francis Stephan of Lorraine, king Charles Emanuel I of Sardinia, as well as many other prominent figures30. The Mémoires historiques saw a second edition in 1745, once again at Lucca, and a third one in 1747 at Besançon31. If this work aimed at supporting the Roman opposition to the Malabar Rites, instead it created embarrassment and was forbidden by the Congregation of the Holy Office on 1 April 1745. Six years later, on 24 November 1751, the Roman Inquisition also condemned a third volume32, published in London that same year, which integrated the two volumes of Mémoires historiques that had appeared in 1744. In the following years Norbert lived an adventurous life33. He fled from Rome, retaining the patronage of antiJesuit cardinals such as Corsini and Passionei, and – using the names Pierre Curel or Pierre Parisot – moved across Switzerland, Germany, Holland and England, obtaining protection from Protestant ministers and rulers. He developed connections with the Church of Utrecht, allegedly in order to 28 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques (see n. 27) 1 xiii–xiv. 29 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Memorie istoriche presentate al sommo pontefice Benedetto XIV intorno alle missioni dell’Indie orientali, in cui dassi a vedere che i Padri Cappuccini missionari hanno avuto motivo di separarsi di comunione da i reverendi Padri missionari Gesuiti, per aver essi ricusato di sottomettersi al decreto dell’eminentissimo Cardinale di Tournon, legato della Santa Sede (Lucca 1744). 30 HUSSON, Norbert de Bar-le-Duc (see n. 19) 50 67. 31 An inventory of the numerous editions of Norbert’s writings is given in HUSSON, Norbert de Bar-le-Duc (see n. 19) 51 70–75. 32 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques, apologétiques etc., présentès en 1751 au souverain pontife Benoit XIV sur les missions de la Societé de Jésus aux Indes et à la Chine, où l’on voit le commerce immense et les fausses rélations de leurs missionnaires, les persécutions qu’ils ont faites aux envoyés du Siege apostolique et aux fidéles ministres de l’evangile, leur opiniâtreté à pratiquer les rits idolâtres et superstitieux anathématisés par plusieurs papes et nouvellement par deux éclatantes bulles, qu’on donnera dans ce volume (London 1751). 33 For all the vicissitudes of this phase of Norbert’s life see HUSSON, Norbert de Bar-leDuc (see n. 19) 50 63–77, 220–239; 51 55–75.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 249 bring it back from Jansenism to communion with Rome. In England he undertook an entrepreneurial venture, building up a tapestry factory staffed with French specialised workers whom he recruited away from the French state factories of Gobelins and Saponnière, by using Portuguese passports in order to expatriate them. Considered a fugitive friar who had committed apostasy, he eventually obtained a dispensation from his religious vows and became a secular priest of the diocese of Toul. The count of Oeyras, then marquess of Pombal, invited the Abbé Platel – as the ex-Père Norbert was now called – to Lisbon to work on the propaganda required for his antiJesuit policies34, and probably also to explore the possibility of a schismatic solution for the Catholic church in Portugal on the model of the Union of Utrecht35. In particular, Platel contributed to crafting false accusations against the Genoese ex-Jesuit missionary to Brazil, Gabriele Malagrida (1689–1761). The deterioration of political relations between Portugal and France compelled him to leave Lisbon in 1763 and settle in Paris. There he published in 1766 a comprehensive collection of historical mémoires on the alleged misdeeds of the Jesuit missions in China, India and Indochina36. Three years later he died.

III. Falsification or bonnes preuves? Norbert and the Roman Inquisition In a period when erudite monastic historiography was at its apex, Norbert wrote a totally different kind of history. It was a „history of the present“ with direct polemical aims. Norbert’s narrative dealt mainly with clashes and disputes between missionaries in South India, Indochina and China, particularly during the first half of the eighteenth century. Norbert’s antiJesuit activity began with works such as the Oraison funebre and the Mémoires utiles et necessaires, occasional texts that did not yet have a 34 Giacomo DI FIORE, L’Abbé Platel in Portogallo (1760–1763), in: Congresso internazionale Il Portogallo e i mari. Un incontro tra culture (Napoli, 15–17 dicembre 1994), ed. Maria Luisa CUSATI (3 vols., Napoli 1997) 3 441–465. 35 Samuel J. MILLER, Portugal and Utrecht: A Phase of the Catholic Enlightenment. The Catholic Historical Review 63 (1977) 225–248, at 231–232. 36 Pierre PLATEL, Mémoires historiques sur les affaires des Jésuites avec le Saint Siége, où l’on verra que le roi de Portugal, en proscrivant de toutes les terres de sa domination ces religieux révoltés, et le roi de France voulant qu’à l’avenir leur Societé n’ait plus lieu dans ses états, n’ont fait qu’exécuter le projet déjà formé par plusieurs grands papes, de la supprimer dans toute l’église (7 vols., Lisboa [Paris] 1766).

250 Paolo Aranha specific historiographical dimension. One peculiar element, however, was already visible: a systematic effort at supporting the argumentation with extensive documentary evidence. In the case of the Oraison funebre, Norbert took care to accompany his sermon with a number of subscriptions by missionaries who approved his words. We have also seen that the Mémoires utiles et necessaires contained 43 different documents that, in Norbert’s view, demonstrated that only the Capuchins should take care of the Indian Christians of Pondichéry. This meant that almost 60 % of the book was occupied by documentary evidence, such as letters from missionaries or official acts of bishops and rulers37. Overall it was dull reading, whose purpose was mainly to provide authoritative proof that the Jesuits were responsible for all the problems afflicting the eastern missions. The Mémoires historiques of 1744 had the same purpose but were indeed a work of historiography, although a passionate and sectarian one. The book was arranged chronologically and described the history of the missions of South India since 1606, when Roberto Nobili came to Madurai and started to adapt Christianity to the local social and cultural features – an exercise that Norbert described as a conciliation between „the purity of worship and the practices of idolatry“38. The Mémoires historiques did not aim at a systematic description of the way the Indian missions developed. For this reason the first book of the work, devoted to the seventeenth century, was focused entirely on the controversy surrounding Nobili’s method, resolved in 1623 by Gregory XV, and had little to say about what happened during the second half of the century, when no major conflict took place in the missions. It is remarkable that the second book was devoted completely to a time span as short as 1700–1703, i.e. the period that preceded the advent of Patriarch Tournon to India, during which major clashes occurred between the Jesuits, the Capuchins and other missionaries of Propaganda Fide. Norbert’s conflictual history focused on the missionaries and had little to say about the great mass of the neophytes. For instance, the mission of Madurai alone numbered as many as 200.000 Indian Christians and numerous local catechists, but their voice was absent in Norbert’s plethoric account of intestine fights among European clerics. This omission comes as no surprise given the hierarchical relation between missionaries and native Christians that was as indisputable in the eighteenth century as in the first half of the twentieth. Furthermore, Norbert explained clearly what the purpose of his 37 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires utiles et necessaires (see n. 26) 93–344. The whole is composed by 25 pages of preface, 378 pages of main text and 19 pages of postface. 38 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques (see n. 27) 1 14: Ils [sc. les Jésuites] concilierent sans peine la pureté du culte avec les pratiques de l’idolatrie.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 251 history was: „The best causes embarrass the judges if they lack good evidence; the affair this work deals with suffers no such lack. This cause concerns justice and religion“39. In other words, Norbert was providing to the supreme judge of the Catholic church, pope Benedict XIV, the evidence that was required in order to condemn the Malabar Rites once and for all. Since this is in fact what the bull Omnium sollicitudinum did, it is necessary to understand why the Holy Office then condemned the Mémoires historiques on 1 April 1745 and on 24 November 1751. It is clear that a special pressure had been exerted by the Portuguese crown. On 9 March 1745 Benedict XIV wrote to John V a long letter dealing specifically with the implementation in India of Omnium sollicitudinum and the action to be taken against Norbert’s book40. The pope was replying to a letter from the king dated 4 February, presented by the Portuguese minister in Rome, Manuel Pereira de Sampaio (1689–1750). The pontiff explained that the purpose of the bull had been primarily to solve a doctrinal problem concerning the First Commandment, and only secondarily to end the quarrels among the missionaries in India. He stressed that he had given full attention to all the protests that both Franz Retz (1673–1750), Superior General of the Jesuits, and the Portuguese minister had lodged against Norbert’s work, which Benedict XIV judged to be a „bad book“. The pope had suggested that Retz denounce the book to the Holy Office. This step had been undertaken, but then the Roman Inquisition had preliminarily claimed that jurisdiction in the case belonged to the Congregation of the Index. Benedict further explained that he had overturned this determination, demanding the examination of the book by a „Thursday Congregation“, that is, a meeting of the Holy Office presided by the pope. In that way, explained Benedict, it had been possible to have the case examined in the presence of the pontiff, a situation that did not occur in the Congregation of the Index. The pope added that he expected that some delays could take place in the Holy Office (this was probably an allusion to the supporters of Norbert who belonged to that Congregation), but could also assure the king that the most rigorous justice would be rendered. In the meanwhile he could already confirm that Norbert was no longer in Rome, but hidden in some place in Tuscany where there was „bad air“ (probably an area infested by malaria, such as the region of Maremma). The Capuchin had already been deprived of the functions he had held in his order. The pope then addressed the single question that most concerned John V, namely the possible 39 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques (see n. 27) 1 1: Les meilleures causes embarrassent les juges, si elles manquent de bonnes preuves; l’afaire [sic] dont il s’agit dans cet ouvrage n’en manque pas; elle regarde la justice et la religion. 40 Roma, Arquivo da Embaixada de Portugal junto da Santa Sé, cx. 36, mç. 1, doc. 5.

252 Paolo Aranha impediment to the beatification of the Jesuit missionary João de Brito (1647–1693) which the publication of Norbert’s book might have caused. Brito had belonged to the highest aristocracy of Portugal, and the recognition of his sanctity would have been a major honour for the Lusitan monarchy. Norbert might have prevented such an outcome by stressing that, even if Brito had been killed in the exercise of his missionary activity in the Marava region of South Tamil Nadu, he had also practiced the Malabar Rites. If these were idolatrous, then it would have been impossible to argue that Brito had died as a witness of the Catholic faith. In response to this danger Benedict XIV stressed that, when he had been a consultor in the Congregation of Rites, he himself had initiated the process of beatification for Brito. Moreover, it had been he who, in the first year of his pontificate (1740– 1741), had removed the cause from the jurisdiction of the Holy Office, where it had been stopped because of the alleged practice of the Malabar Rites by Brito. On the direct initiative of the pope, the cause had then been sent again to the Congregation of Rites, so as to quickly arrive at a positive outcome. Finally, Benedict XIV expressed a complaint against the form in which Sampaio had represented the dissatisfaction of the Portuguese crown regarding Norbert’s book. The excessive emphasis of the Lusitan minister in his „gloomy pleading“ (lugubre perorazione) had led the pope to reply to him in a rather „lively“ manner (ci hà posto nel cimento di rispondergli con qualche vivacità). The tension between Lisbon and Rome because of Norbert’s book can be seen even in a letter written on 8 June 1745 from Marco Antonio de Azevedo Coutinho, Secretary of State for Foreign Affairs, to Cardinal Neri Maria Corsini. At that time the Mémoires historiques had already been condemned, but still the effects of their publication had not disappeared. In the eyes of the court of Lisbon, Norbert’s book was a satire of the Jesuit missionaries, both French and Portuguese, that attacked the martyr João de Brito, the bishop of São Thomé de Meliapur and the Portuguese crown itself. Azevedo specified that John V had not contacted Cardinal Corsini at the time when the crown was engaged in obtaining a condemnation of the Mémoires historiques. However, he was now being addressed because it had been heard that certain supporters of Norbert were trying to obtain an abrogation of the condemnation, while the Capuchin was working towards the publication of a new similar book. In fact Azevedo Coutinho was probably writing to Corsini precisely because it was known that Norbert had been concealed in his palace at the beginning of 174541. 41 Lisboa, Biblioteca da Ajuda, 54-XIII-19, doc. 128. On the protection that Neri Maria Corsini had granted to Norbert see HUSSON, Norbert de Bar-le-Duc (see n. 19) 50 75.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 253 From the letters of Benedict XIV and Azevedo Coutinho it appears that during the first months of 1745 a political struggle had taken place in Rome between the supporters and the opponents of the Père Norbert. The arena for the clash was primarily the Congregation of the Holy Office. The vota of the consultors of the Roman Inquisition who examined Norbert’s work can be read as a peculiar form of book reviews, addressing also the extent to which the Capuchin had written a work properly historiographical. Since 1998, when the archives of the former Roman Holy Office were finally opened to scholarly research, it has become possible to better understand the paradox of a work condemned by the Holy Office even though its main declared aim was to support a papal decision. A single archival dossier contains the documentation concerning both condemnations of 1745 and 175142. As mentioned in the pope’s letter to John V, the examination of Mémoires historiques had been officially introduced by a petition made by a representative of the Society of Jesus. However, while Benedict XIV had talked with the Superior General of the Jesuits, the denunciation to the Holy Office was presented by the Procurator-General of that order43. Norbert’s work was indicted on nine charges44: 1. The decree of the Holy Office of 25 September 1710 had banned all publications on the Chinese Rites. Norbert’s book dealt not only with the Malabar Rites, but also with the Chinese ones45. 2. If Norbert had knowledge of crimes against the faith committed by certain Jesuits, he was obligated to denounce them in secret to bishops or to the Holy Office. On the contrary, he had published his accusations in print. 3. Innocent XI had banned, in 1679, all private censures against doctrines that were not condemned by the Holy See. Norbert, however, was 42 Città del Vaticano, Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede (ACDF), S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 187r–392v. 43 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 191r–v, 201r–v. 44 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 194r–198v. 45 The decree can be found in: Magnum bullarium Romanum seu eiusdem continuatio, quae supplementi loco sit iis, quae praecesserunt, editionibus tum Romanae tum Lugdunensi, 2: Constitutiones Clementis XI., Innocentii XIII. et Benedicti XIII. hodie sedentis hactenus ineditas complectens (Luxembourg 1727) 398. It specifically forbade libros, libellos, relationes, theses, folia seu scripta quaecumque, in quibus ex professo vel incidenter de ritibus Sinicis huiusmodi vel de controversiis desuper seu illorum occasione exortis quomodolibet tractetur, sine expressa et speciali licentia a sanctitate sua seu pro tempore existente Romano pontifice in Congregatione supradictae Sanctae et Universalis Inquisitionis obtinenda. It was precisely the reference to works that dealt even only incidentally with the Chinese Rites controversies that made Norbert’s Mémoires historiques liable to censure according to the decree of 1710.

254 Paolo Aranha accusing of idolatry missionaries who followed principles set by bishops and prestigious theologians46. 4. Norbert had published in print and in vernacular languages infamous accusations against missionaries and neophytes, in such a manner that the „heretics“ (i. e. Protestants) would be offered an occasion to denigrate Catholicism. 5. Would a book that accused the Capuchins, pointing at certain friars who indeed had committed crimes, ever be acceptable? Would it not be considered a scandal? 6. Norbert’s accusations attacked all the Society of Jesus in general terms. 7. The „heretics“ would find grounds in Norbert’s book to direct recriminations against the Holy See, which had tolerated missionaries who were now presented as idolaters. 8. Norbert justified the separation in divinis imposed by the Capuchins against the Jesuit missionaries in Pondichéry. According to the ProcuratorGeneral, this implied that the Capuchins had appointed themselves to the function of judges entitled to sanction crimes. 9. Norbert argued that João de Brito could not be canonised because he had practised the Malabar Rites. However, on 2 July 1741 the Congregation of Rites, presided by Benedict XIV, had declared that such an objection did not prevent moving on to the following phase in the process of canonisation, i.e. the examination of his martyrdom and miracles. On 16 September 1744, just four days after the publication of Omnium sollicitudinum, the cardinals of the Congregation of the Holy Office examined the denunciation of Norbert’s work lodged by the Jesuit Procurator-General. There was a vote to determine whether such an instance belonged to the jurisdiction of the Holy Office. Four cardinals – Tommaso Ruffo (1663–1753), Luigi Maria Lucini (1665–1745), Fortunato Tamburini (1683–1761) and Neri Maria Corsini – believed that it was not a matter for the Roman Inquisition, whereas three others – Vincenzo Petra (1662–1747), Antonio Saverio Gentili (1681–1753) and Gioacchino Besozzi (1679–1755) – maintained that 46 This ban was at the end of the condemnation of 65 laxist propositions by the pope on 4 March 1679. See Magnum bullarium Romanum seu eiusdem continuatio, quae supplementi loco sit tum huicce tum aliis, quae praecesserunt, editionibus Romanae et Lugdunensi, 11: Complectens constitutiones a Clemente X. et Innocentio XI. editas (Luxembourg 1739) 256: Tandem ut ab iniuriosis contentionibus doctores seu scholastici aut alii quicumque in posterum se abstineant, et ut paci et charitati consulatur, idem sanctissimus in virtute sanctae obedientiae eis praecipit, ut tam in libris imprimendis ac manuscriptis quam in thesibus, disputationibus ac praedicationibus caveant ab omni censura et nota necnon a quibuscumque conviciis contra eas propositiones, quae adhuc inter catholicos hinc inde controvertuntur, donec a Sancta Sede recognita super iisdem propositionibus iudicium proferatur.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 255 the Jesuit request should be examined by the Congregation. A few days later the majority vote of the Congregation was reversed by Benedict XIV (as he mentioned in his letter to John V), who personally ordered that Norbert’s book should be examined by Antonio Andrea Galli (1697–1767), the General Abbot of the Regular Lateranensian Canons47. In his votum48 Galli rejected some of the Jesuit claims, in particular the ones that Norbert should have presented a secret denunciation to the Holy Office, and that he had violated the prohibition of private censures. First of all, the Jesuits had published books to defend their position, so that the Malabar Rites controversy was already public through their own action; secondly, Galli observed that Innocent XI’s ban concerned only doctrines not yet examined by the Holy See, whereas the Malabar Rites were already condemned. However, Galli conceded that Norbert’s work presented four important problems: 1. It was untimely: the Malabar Rites controversy had just been resolved by Omnium sollicitudinum, so there was no reason at all to raise new polemics. 2. The book was too bitter in its tone. 3. Norbert leveled charges against his adversaries that were either incredible or unproven. 4. The Capuchin did not respect the partial approval of certain Malabar Rites made by various popes since Gregory XV. The conclusion that Galli derived from this examination was that Norbert’s Mémoires historiques deserved to be banned, whereas no prohibition was required against the Mémoires utiles et necessaires and the Oraison funebre. However, Galli’s position was not immediately accepted by the Holy Office. Under the pretext that the abbot had fallen ill and could not continue working on the case, on 22 October 1744 the books were assigned for revision by another consultor, the Franciscan Lorenzo Ganganelli (1705–1774), later pope Clement XIV (pope 1769–1774), the very pontiff who was to sign the universal suppression of the Society of Jesus into law with the brief Dominus ac redemptor of 21 July 177349. Ganganelli’s votum 47 Galli was appointed cardinal in 1753: Remigius RITZLER–Pirmin SEFRIN, Hierarchia Catholica medii et recentioris aevi sive Summorum pontificum, S. R. E. cardinalium, ecclesiarum antistitum series e documentis tabularii praesertim Vaticani collecta, digesta, edita, 6: A pontificatu Clementis pp. XII (1730) usque ad pontificatum Pii pp. VI (1799) (Padova 1958) 17. Benedict XIV considered him buon teologo, buon professore e uomo esperto di congregazioni imparziale e non sospetto ai padri della Compagnia: Émile de HEECKEREN, Correspondance de Benoît XIV. Précédée d’une introduction et accompagnée de notes et tables (2 vols., Paris 1912) 2 306. 48 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 216r–223v. 49 The assignment to Ganganelli is recorded in ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 226v. There is no comprehensive biography of him, although an older work remains useful:

256 Paolo Aranha was very long and erudite50, so that it was necessary to make an abstract of it in order to ease its evaluation by the cardinals51. This singular document is particularly important for understanding the anti-Jesuit prejudices Ganganelli held while working at the Holy Office, and how this attitude could be a remote cultural foundation for Dominus ac redemptor, issued only 18 years later. In his votum Ganganelli compared Norbert of Bar-le-Duc to Prosper of Aquitaine (c. 390 – c. 465), a Christian author of the fifth century who had fought fiercely against the Semi-Pelagian Massilienses et Lirinienses (monks from Marseilles and Lérins)52, writing the theological poem Adversus ingratos53 and receiving support from the bishops of Rome Celestine I (bishop 422–432) and Sixtus III (bishop 432–440). This comparison was indeed flattering for Norbert, who found himself elevated to the heroic heights of ancient Christianity! According to Ganganelli, Prosper was similar to Norbert inasmuch as both resorted to very violent expressions and tones, widely publicised at the very moment when the doctrinal deviations they were inveighing against were almost defeated. Moreover, the Massilienses included figures particularly distinguished by virtue and learning, such as John Cassian (c. 360–435), St. Hilary of Arles (c. 403–449) or St. Faustus of Riez (ca. 405 – ca. 490)54. This observation served Ganganelli to conciliate his enthusiastic support of Norbert’s work with respect for the papal decision

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Augustin THEINER, Geschichte des Pontificats Clemens’ XIV. nach unedirten Staatsschriften aus dem geheimen Archive des Vaticans (2 vols., Leipzig–Paris 1853). ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 227r–246v. ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 247r–252v, Ristretto della Censura del P.re Ganganelli Reggente del Collegio di S. Bonaventura. On Prosper of Aquitaine see recently Alexander Y. HWANG, Intrepid Lover of Perfect Grace. The Life and Thought of Prosper of Aquitaine (Washington 2009). On the theological views of the monks of Lérins see Clemens M. KASPER, Theologie und Askese. Die Spiritualität des Inselmönchtums von Lérins im 5. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 40, Münster 1991). See also Rebecca Harden WEAVER, Divine Grace and Human Agency. A Study of the Semi-Pelagian Controversy (Patristic Monograph Series 15, Macon [Georgia] 1996); Donato OGLIARI, Gratia et Certamen. The Relationship Between Grace and Free Will in the Discussion of Augustine and the so-called Semipelagians (Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium 169, Leuven 2003). See also the contribution by Jean-Louis Quantin in this volume. Under the title Carmen de ingratis, the work is published in PL 51 col. 91–148. On Cassian see recently Columba STEWART, Cassian the Monk (Oxford Studies in Historical Theology, Oxford et al. 1998). A brief sketch of Hilary of Arles’ life and work is given by Marie-Denise VALENTIN, Introduction, in: Hilaire d’Arles. Vie de Saint Honorat, ed. Marie-Denise VALENTIN (Sources chrétiennes 235 – Série des textes monastiques d’Occident 46, Paris 1977) 9–57, at 9–13. On Faustus of Riez see Rossana BARCELLONA, Fausto di Riez interprete del suo tempo. Un vescovo tardoantico dentro la crisi dell’impero (Armarium 12, Soveria Mannelli 2006).

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 257 in favour of moving forward the beatification cause of João de Brito. Just as Hilary and Faustus were considered saints even if they had maintained an erroneous doctrine, it was necessary to conclude that support for the Malabar Rites, condemned by the Holy See, should not lead to the exclusion of a possible sanctity of Brito. If Norbert was a new defender of the faith, if he fought the Jesuit missionaries with as much reason as Prosper had struggled against the SemiPelagians (and the indirect equation between the Semi-Pelagians and the Jesuits was indeed suggestive), Ganganelli also considered him a historian who matched up to the standards set by Agostino Mascardi’s (1590–1640) well-known five treatises Dell’arte historica55. If the Jesuits did not like Norbert’s reproach, it was simply their own fault: Se rimane offeso il buon’ nome di coloro, de’ quali si raccontano i vizi, di se medesimi si dolgano, non dell’istorico, il quale [...] poco bada al principato danno, e molto meno al rammarico di chi si sente trafiggere56. According to Ganganelli, a further reason why the Jesuits should not seek the prohibition of the Mémoires historiques was that, as Mascardi had also noted, impeding historians in their work would only make them stronger and more pungent: Sappiamo che il vietare agli scrittori lo scrivere, non è rimedio che saldi le piaghe loro [...] gl’ingegni ingiustamente irritati crescono di valore e di forza: punitis ingeniis gliscit authoritas, diceva Tacito [...]. Lo stile degli scrittori nella durezza delle persecuzioni [...] si aguzza per ferire meglio57. In this way Lorenzo Ganganelli, a consultor of the Roman Inquisition, found himself in the rather paradoxical position of advocating free historiography and deprecating censorship. At least, we might gloss, when the Jesuits were the target of the historian. The only concession that Ganganelli made to the Jesuit request to ban Norbert’s book was that it would have been much better if his work had not been published in Italian and made available to a general public. The reason was that „we live in a time where the communities of the religious are received by the ignorant more with insults than with veneration“, and therefore there was no need to cast further light on conflict within the church58. Eventually Galli’s position prevailed over Ganganelli’s, most probably through the direct intervention of Benedict XIV, who did not want to humiliate the Society of Jesus to the extent wished by Norbert. 55 Agostino MASCARDI, Dell’arte historica trattati cinque (Roma 1636). Mascardi was a Jesuit until 1617, then professor of eloquence at the Sapienza University between 1628 and 1640. On his intellectual activity see Eraldo BELLINI, Agostino Mascardi tra „ars poetica“ e „ars historica“ (Bibliotheca erudita 18, Milano 2002). 56 MASCARDI, Dell’arte historica (see n. 55) 180, as quoted by Ganganelli. 57 MASCARDI, Dell’arte historica (see n. 55) 187, as quoted by Ganganelli. 58 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 250v: In ea enim temporum conditione versamur, ut religiosorum coetus probris potius quam veneratione ab insipientibus excipiantur.

258 Paolo Aranha However, the condemnation published on 1 April 1745 was indeed very peculiar. The first reason given for the ban was that the book had been published outside Rome (in Lucca), even though it dealt with matter under the jurisdiction of the Holy Office. Moreover, it should have received permission from the Congregation of Propaganda Fide since it concerned the missions. Finally, it dared to interfere with the beatification of João de Brito, accusing him of having practised the Malabar Rites. The decree specified that there were no reasons to believe that Brito had followed rituals forbidden by the chuch, and that even if this had ever occurred, martyrdom was sufficient to cancel such a fault. It was also specified that no one could have so rude or perverse a mind as to believe that the condemnation of Norbert’s work meant an abrogation of the ban on the Malabar Rites. However, nowhere in the inquisitorial decree could one find that Norbert’s work was based on false documents or was against truth. This specific aspect is clear also in the votum on the prohibition of the third volume of the Mémoires historiques, issued in 175159 by the consultor Giovanni Antonio Bianchi (1686–1768), a Franciscan who had published at that very time a treatise against Pietro Giannone60. Bianchi reminded his audience that the ban of 1745 had been declared without even investigating whether Norbert’s narrative was trustworthy or false61. The consultor then added emphatically that by no means did he want to excuse the Jesuit missionaries62. The main point was that Norbert’s Mémoires historiques were all notorious libels, whose slanderous quality did not require falsehood, but the simple effect of causing infamy and ignominy to people who were „grave and honoured by the public“63. Where Ganganelli had advocated the freedom and duty of the historian to denounce vices (though not in vernacular languages), Bianchi decried that important and respectable people were the target of infamous accusations, regardless of whether these might be true. In 1751 Ganganelli had changed his mind, or perhaps had understood that any support for Norbert was not conducive to a successful career within the Roman Curia – the 59 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 301r–354v. 60 Giovanni Antonio BIANCHI, Della potestà e della politia della chiesa trattati due contro le nuove opinioni di Pietro Giannone (6 vols., Roma 1745–1751); the work was directed specifically against Pietro GIANNONE, Dell’istoria civile del regno di Napoli libri XL (4 vols., Napoli 1723). 61 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 329v: [...] prescindendo dalla falsità o sincerità de fatti esposti. 62 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 330r: Dio mi liberi, santo padre, che io voglia in alcuna maniera difendere ò scusare i missionari della Compagnia. 63 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 333r: [...] la qualità di un libello infamatorio, il quale per esser tale, non è mica necessario che contenga fatti falsi, mà basta che tali fatti rechino infamia ed ignominia à persone gravi ed onorate appresso il pubblico.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 259 very goal he eventually achieved. Ganganelli discovered then that Norbert had written his work non veritatis amore, non religionis tuendae studio permotum, [...] sed potius invidiae tabe ac iracundiae furore in alios evangelii ministros64.

IV. The Documentary Limits of Norbert’s Anti-Jesuitism It is no surprise that Norbert’s historiographical works used an outward documentary rigour in order to foster a distinctively partisan position. Nonetheless such a basic circumstance was not even investigated by the Roman Inquisition, where the Mémoires historiques were eventually condemned not because they contained falsehood, but rather for disclosing embarrassing true facts to ignorant people who might thus be encouraged to hold the clergy in contempt. It is useful, therefore, to consider at least two instances of clear manipulation of facts by Norbert, which the Holy See was either unable or unwilling to ascertain. A major event in Tournon’s apostolic visitation of the Indies had been a conflict with the Capuchin missionaries on financial matters. An Armenian Dominican who had died in Madras had left in the custody of these friars a large legacy consisting of alms collected among merchants of his nation in the East in order to support his own convent in Armenia. The money was requisitioned by the Patriarch in order to make his jurisdiction felt, but most importantly to provide the capital for the establishment of an Italian East India Company under the aegis of the Congregation of Propaganda Fide 65. The Mémoires historiques omit the clash with the Capuchins, whereas the Mémoires utiles et necessaires sought to recast the obvious opposition of the Patriarch to the French friars in a heavily slanted light. Norbert published a letter by René of Angoulême, custodian of the convent of Pondichéry, claiming that Tournon had left India weeping and repeating that the conflict with the Capuchins had been provoked by Jesuit envy66. In 64 ACDF, S.O., C.L. 1751, fasc. 5, 292v. 65 I have anticipated my discoveries about this rather peculiar project of Propaganda Fide in Paolo ARANHA, „Glocal“ Conflicts: Missionary Controversies on the Coromandel Coast between the XVII and XVIII Centuries, in: Evangelizzazione e globalizzazione. Le missioni gesuitiche nell’età moderna tra storia e storiografia, ed. Michela CATTO–Guido MONGINI–Silvia MOSTACCIO (Biblioteca della „Nuova Rivista Storica“ 42, Roma 2010) 79–104. 66 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires utiles et necessaires (see n. 26) 267–268: [...] ce seigneur Patriarche me donnant avant son départ de Pondicheri le dernier adieu, avec des larmes qui m’en firent aussi répandre, m’assura que si le Seigneur le ramenoit à la Côte de Coromandel, qu’il remettroit les choses dans leur premier

260 Paolo Aranha fact such a claim is incompatible with the position that Tournon expressed in the letters he wrote to the Roman Curia, both when he was in India67 and later when he had reached China68. A second example of mystification can be seen in the claim made by Norbert that the French crown had agreed to the exercise by the Patriarch de Tournon of all his jurisdictional powers even within the settlement of Pondichéry69. On the contrary, the conseil souverain of the French colony had on 14 January 1716 issued an arrêt invalidating the publication of the Tamil translation of the decree Inter graviores, undertaken in Pondichéry by Claude de Visdelou70. If ever the French authorities had wholeheartedly accepted the actions of religious reform undertaken by Tournon, their opposition to the publication in the local language of the prescriptions decided by the patriarch would appear puzzling indeed. The accumulation of documents and the violence of the accusations raised against the Jesuits should not lead to the conclusion that Norbert was able to exert an unrestrained agency in his own partisan fight. While the support network that sustained him in Rome can explain his access to missionary documents conserved in the archives of Propaganda Fide, it is possible today to see that he was not able to find and publish sources that would have certainly contributed to an even more furious and effective polemic. We can consider three cases that illustrate eloquently the limits of Norbert’s anti-Jesuit program. A first example concerns a document that Norbert knew only through an extract, whereas its entire text could have provided far more ammunition

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état. De plus il ajouta encore avec larmes que ceux qui l’avoient injustement indisposé contre nous, en rendroient un compte terrible au jugement de Dieu. Letter written to Timothée de La Flèche from Pondichéry, 11 July 1708. Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (ASV), Fondo Albani 248, 279r– 280v, at 279v, Tournon to Cardinal Paolucci, Pondichéry, 22 February 1704: [...] prego vostra signoria illustrissima di prevenire Sua Santità, acciò sostenga con vigore la mia risolutione, anzi minacci i Padri Cappuccini di farli partir tutti dalle Indie (e ciò sarebbe senza gran pregiudizio) se il Padre Michel Angelo non parte immediatamente e non obedisce al mio precetto. In a letter written to the pope from Xao Ce Fu (= Zhàoqìng) on 20 September 1705, Tournon observed that only the Capuchins of Madras and Pondichéry had dared to publish the edict that the archbishop of Goa, Agustinho da Anunciação, had issued against the jurisdiction of the patriarch of Antioch on 22 December 1704: ASV, Fondo Albani 248, 342r–343v. A copy of that edict can be found in Città del Vaticano, Archivio della Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli o de Propaganda Fide, SOCP 23, 381r–381av. NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques (see n. 27) 1 261–262. Extrait des Registres du Conseil Superieur de Pondichery du 14me Janvier 1716. A copy made by Visdelou is in ACDF, S.O., St. St., QQ 1-h, f. 224r.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 261 for undermining the stand of the missionaries of the Society of Jesus in India. It has always been well known, mainly thanks to the information given by Norbert himself, that the method of accommodatio experimented by Roberto Nobili in Madurai had been initially disapproved by Cardinal Roberto Bellarmino, whose family was related to Nobili’s71. Subsequently the prelate became convinced of the value and necessity of adapting Christianity to the local context and played a decisive role in obtaining the approval given by pope Gregory XV in the bull Romanae sedis antistes of 1623. In his Mémoires historiques, Norbert made reference to a specific letter in which Bellarmino severely condemned Nobili’s actions72. However, Norbert did not provide any specific date, and he quoted only an excerpt. Moreover, no manuscript copy of that letter has so far been found and used by later historians. However, it has now been possible to recover an integral copy of the document among the selection of records of the archives of the Goa Inquisition which, after the suppression of that tribunal, ended up in the National Library of Rio de Janeiro73. The document had not previously been identified because in the best currently available inventory of that archival collection, the document was referred to as a letter of Roberto Bellarmino to a certain “Roberto Mobil”!74 The letter was sent from Rome on 22 November 1611. A comparison between the text in Rio de Janeiro and the one in the Mémoires historiques shows that Norbert was culpable of some strategic omissions, but did not forge the document per se: „The Gospel of Christ does not need colours and simulations. [omitted by Norbert] it is less important that the Brahmins are not converted to the faith, than that the Christians do not preach the Gospel freely and sincerely. The preaching of the crucified Christ was foolishness to the Gentiles and a scandal to the Jews, but nonetheless St. Paul and the other apostles did not cease to preach, in the most free way, Christ the crucified. I do not want to dispute on the single points, however I cannot forebear to say that it seems to me that the imitation of the arrogance of the Brahmins is diametrically opposite to the humbleness of our Lord Jesus Christ, and that it seems very dangerous for the faith to keep certain rituals. [omitted by Norbert]“75.

71 Gearóid Ó BROIN, The Family Background of Robert Nobili S. J. Archivum Historicum Societatis Iesu 68 (1999) 3–46, at 16. 72 NORBERT DE BAR-LE-DUC, Mémoires historiques (see n. 27) 14–15. 73 Rio de Janeiro, Biblioteca Nacional de Rio de Janeiro (BNRJ), Ms. 25,1,003, no 221, 454r–v. 74 Inquisição de Goa: Inventário Analítico. Anais da Biblioteca Nacional [de Rio de Janeiro] 120 (2000) 1–367, at 88. 75 BNRJ, Ms. 25,1,003, no 221, 454r.

262 Paolo Aranha It appears clear that Norbert omitted expressions that could partially nuance the condemnation expressed by Bellarmino. Nonetheless, the substance of the passage was reported without any major changes. If this section of the letter is already extremely important, the remaining part of the document in Rio de Janeiro, not reported by Norbert, is even more interesting. Roberto Nobili, acting as a client of a patron closely linked to him both by family connections and corporate affiliation as a Jesuit confrère, had requested Bellarmino to provide him some financial support for his new mission at Madurai. The reply was sarcastic and expressed very eloquently the cardinal’s distance from the approach followed by his young protegé. Bellarmino, with obvious irony, said that it was very difficult for him to satisfy the request as there were many poor people even in Rome, and the Jesuit colleges were deeply in debt, so that they could not help others. Even the pope, notwithstanding his great revenues, was burdened by expenses superior to what he earned. However, Bellarmino – and here he shifted from sarcasm to a very painful reproach – had often considered how at the very beginning of Christianity the apostles had not received subsidies from Jerusalem or Rome, and yet been able to establish churches throughout vast regions. The arm of God had not become shorter in the course of time, and He could provide to His missionaries even if no subsidies came from Rome or Spain76. In fact the apostles had been able to obtain whatever they needed thanks to the sanctity of their way of life, and the divine signs and prodigies that gave them great authority. Bellarmino argued – and a concerned reader could not be sure whether the remark was sincere or ironic – that he did not believe that the preachers of his time lacked sanctity of life. The cardinal did not know why God in that time was operating fewer miracles than in the apostolic age, even if the need for conversion was as urgent as at the 76 Until now a possible Spanish dimension of the controversy on the Madurai mission has not been considered by historians. However, given that between 1580 and 1640 Portugal was subject to the house of Habsburg in a dynastic union with Spain, connections are highly probable. In this regard, it may be significant that a copy of a key text of the early 17th-century debates has recently turned up in Madrid. This text, authored by the archbishop of Cranganore Francesc Ros (1557–1624) and entitled De triplici linea et cincinno capillorum Bracmanum Indiae Orientalis, quem curumby aut sindy vocant, was presented to the Roman Inquisition in 1614. Copies are in the archives of the Holy Office (ACDF, S.O., St. St., QQ 1-g, 22r–23v), in other Roman archives (Archivum Romanum Societatis Iesu, Goa 51, 158r–v, 159Ar–v; ASV, Congr. Concilio., Relat. Dioec. 288, 7r–8v), as well as in Lisbon (Arquivo Nacional da Torre do Tombo, Armário Jesuítico, liv. 19, 275r–276v). My colleague Jiang Wei, an expert in the history of the Catholic missions to the Far East in the 16th and 17th centuries, has now discovered a further copy in Madrid, Archivo Histórico Nacional, Jesuitas, Legajo 271.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 263 beginning of Christianity. The only possible conclusion was to acknowledge that the decisions of God were mysterious and that they should be adored and not discussed. If Bellarmino’s letter in its entirety would have considerably helped Norbert in casting a very negative light on Nobili, access to another document conserved in the Rio de Janeiro papers of the Goa Inquisition would have probably caused a great embarrassment to entire Society of Jesus. That document is an authenticated copy of a provision issued by the archbishop of Cranganore, Estevão de Brito (1567–1641), on 6 April 1625. During the eighteenth-century controversy on the Malabar Rites, the Jesuit advocates of accommodatio constantly made reference to a special permission granted to their missionaries by Estevão de Brito. In fact, whilst Romanae sedis antistes allowed the converts of Madurai to wear sandal tilakas on their forehead, no mention was made of the cheaper and more widely used tilakas drawn with ashes. According to Francisco Lainez and Antonio Broglia Brandolini, procurators in Rome for the Jesuit missions of Madurai, Mysore and the Carnatic, those tilakas had been permitted by the archbishop of Cranganore and therefore had to be considered legitimate, at least until a final decision was rendered by the Holy See. However, there was something rather vague about this alleged permission. At the time when Tournon was in Pondichéry, the Jesuits had not been able to present him with an authenticated copy of the grant. In his Defensio Indicarum missionum of 1710, Lainez reported the testimony of the bishop of São Thomé, who claimed that the permission had been given by Estevão de Brito more than 60 years before, i. e. sometime in the 1640s. He also quoted a specific passage of the original provision, as it had been reported in a treatise composed by the French Jesuit Jean-Venance Bouchet (1655–1732) at the time of Tournon’s visit77. Brandolini, in the first of his two printed works, published in 1724, suggested that the permission had been given when Balthazar da Costa (1610–1673) entered the mission of Madurai around 1640 and began the apostolate of the pa۬‫ܒ‬ƗrasvƗmi, instead of following the model of Brahmin saۨnyƗsin devised by Nobili. This meant that a specific category of missionaries – modelled on Indian mendicant holy men who dealt with ordinary people – would be devoted to the lower castes, those who actually made use of ash tilakas instead of sandal ones. It was also stressed that the decision of Estevão de Brito had been taken on the basis of a commission given from the Holy See and not on his own initiative78. Not surprisingly, the 77 LAINEZ, Defensio Indicarum missionum (see n. 5) 545. 78 Antonio Broglia BRANDOLINI, Giustificazione del praticato sin’ora da’ religiosi della Compagnia di Gesù nelle missioni del Madurey, Mayssur e Carnate (Roma 1724) 120–121. A manuscript document that Brandolini presented to the Holy Office,

264 Paolo Aranha commissar of the Roman Inquisition, the Dominican Luigi Maria Lucini, who fiercely defended Tournon’s decree against the Malabar Rites, stated even in print that it was strange that no copy of the permission by Estevão de Brito or the alleged commission given to him by the Holy See could be found either in Rome or in India79. In his second book, Brandolini could only reply, betraying a clear embarrassment, that the Roman records – either those of the Roman Inquisition or the Vatican archives – were very extensive, and maybe Lucini had not browsed them sufficiently. Moreover, it was also possible that the commission from the Holy See to the archbishop of Cranganore had been sent from Rome through some special expedition and not following ordinary channels. As for India, it was well known that the Dutch had burnt the local Jesuit archives when they conquered Cochin in 1662. Moreover, the few remaining documents had been destroyed when the king of Travancore, RƗma RƗja, burnt down the Jesuit college of Toppo in Malabar80. Whilst it might be true that Brandolini did not have access to the original document issued by Estevão de Brito, the discovery of an authenticated copy of it in the Goa Inquisition papers in Rio de Janeiro has the potential to substantially challenge the traditional accounts of the history of the Madurai mission. The document was copied in Goa on 18 September 1650 on the orders of Jerônimo de Sá, governor (that is, vicar general) of the bishopric of São Thomé de Meliapur, from a decree issued 25 years before81. It does indeed include the passage quoted by Jean-Venance Bouchet, allowing the use of ash tilakas. However, it also contains something much more interesting. Estevão de Brito states that, having received a positive report from two Jesuit theologians, he has decided to allow to the Brahmin converts of the mission of Madurai two customs which they were not yet willing to give up: on the one hand, burning the dead and burying their ashes; on the other hand, using tilakas made of ashes. In both rituals the missionaries and that anticipated the section of the book cited above, gave the year 1630, not 1640, as the moment when Balthazar da Costa entered the mission of Madurai: [...] quando poi circa l’anno 1630 entrò nelle stesse missioni il Padre Baldassarre da Costa, seconda pietra fondamentale di esse, e cominciò ad annunciare il Vangelo all’altre tribù inferiori, ed anche alle vili, allora fù, che si eccitò la questione e che i missionarii si viddero obbligati a permettere a convertiti di nuovo l’uso quotidiano delle ceneri (ACDF, S.O., St. St., QQ 1-i, 258r–283v, at 265v). 79 Luigi Maria LUCINI, Esame e difesa del decreto pubblicato in Pudiscerì da Monsignor Carlo Tommaso di Tournon (Venezia 21729) 368. The first edition appeared in 1728. 80 Antonio Broglia BRANDOLINI, Risposta alle accuse date al praticato sin’ora da’ religiosi della Compagnia di Giesù, nelle missioni del Madurey, Mayssur e Carnate (3 vols., Köln [Roma] 1729) 3 149–150. 81 BNRJ, Ms. 25,1,004, no 159, 377r–v.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 265 were to recite pious prayers that the two Jesuit theologians had to examine and approve beforehand82. It should be noted that until now we did not know at all that at the beginning of the Madurai mission the Jesuits had allowed their converts to burn the dead instead of following the universal Catholic practice of inhumation. It is known that at the end of the second century cremation was common among Christians, but „by the fourth century, inhumation had come to be the method of disposal of the dead in the Roman world generally“83. Against cremation there were no clear theological reasons, but – as the Jesuit Caspar Hartzheim observed in 1724 – among Christians it was traditional for various reasons to bury the dead in the earth rather than cremating them. First of all, inhumation seemed to agree better with the biblical words Pulvis es et in pulverem reverteris (Genesis 3,19). Secondly, there was no reason to destroy violently what nature itself would dissolve gradually. Moreover, it was fitting to be buried in the earth, whence – 82 Given the crucial importance of this document it is probably useful to quote its entire normative section: Morem vero cadavera comburendi combustosque cineres sepeliendi, cum ea tenaciter ad fidem conversi Bragmanes et alii quidem retineant, cum pro huius temporis et rerum statu nimium arduum sit in contrarium quidquam percipere [sic, for praecipere], cinerisque quotidianus usus adeo sit illis peculiaris, ut ab illo perquam difficile avellantur, multique etnhici [sic, for ethnici] huius moris denegatione minime ad fidem convertantur, nos in exordio nascentis ecclesiae ad conversionis bonum, sanctorum patrum indulta variasque concessiones mature considerantes, rem etiam pro huius temporis et rerum statu supra dictos mores prohibere fidei catholicae propagatione minime conducere perspectum habeamus, ne novellis Christi germinibus iniciamus laqueum, et ipsorum salutem paterna pietate consulentes, mores hos supra dictos minime condemnamus, donec a sanctissima sede vel a nobis aliquid in contrarium provisum fuerit, supra dictos mores permittimus, illos tamen ab omni superstitione labe expurgatos exurpari [sic]: pro qua fungimur authoritate strictissime iubemus. Quare cum cadavera cremantur, non nisi iuxta ritum piisque precibus recitatis a patribus Societatis Madurensis missionis ad hunc effectum praescriptis et a nobis per duos theologos Societatis examinatis, cremanda cadavera permittimus, et eius usu, ita permittimus, ut non nisi ecclesiasticis precibus in Romano missali contentis per sacerdotem benedictos cineres usurpari permittimus, ob eum videlicet finem, ob quem catholica ecclesia cineres usurpare et capitibus inponere consuereit [sic, for consueverit], ad excitandum scilicet postremi diei memoriam et in simbolum poenitentiae, dum modo nec ab ethico [sic, for ethnico] himine accipiant, nec trium digitorum figura in frontibus vel in aliis corporis locis desinent, sed simpliciter sine ulla figura cineribus benedictis frontem et pectus aspergant; quos supra dictos mores duos, ut supra diximus, minime condemnantes nec approbantes, ab omni superstitionis labe expurgatos tenore praesentium permittimus, donec a sanctissima sede vel a nobis contrarium aliquid provisum fuerit (BNRJ, Ms. 25,1,004, no 159, 377r). 83 Dorothy WATTS, Christians and Pagans in Roman Britain (London–New York 1991) 188.

266 Paolo Aranha as from the womb of a mother – all human beings had come. Finally, following Thomas Aquinas, it was argued that inhumation fostered among the Christians faith and hope in the resurrection of the body84. If inhumation was considered in general terms the proper burial for a Christian, on the other hand cremation was strongly associated in India with Hinduism. From the document found in Rio de Janeiro, it can be seen that just two years after the triumph of Nobili’s method, sanctioned by Romanae sedis antistes, the archbishop of Cranganore and the Jesuit missionaries had found it appropriate to extend the practice of adaptation to a new and unprecedented level. Moreover, no reference at all was made in Brito’s decree to any commission received from Rome to examine the orthodoxy of ash tilakas. Quite the contrary, it was a decision rendered by a Jesuit archbishop, assisted by two Jesuit theologians, in favour of the Jesuit missionaries of Madurai. It was specified that it was not an approval but a permission to continue the practices of cremation and using ash tilakas, as long as the Holy See or the archbishop of Cranganore himself did not decide otherwise. The omission in Lainez’s and Brandolini’s writings of any reference to the permission of cremation suggests not only that the practice had been discontinued at some point (probably during the second half of the seventeenth century), but also that by the beginning of the eighteenth century the Jesuits had no interest at all in making it known that in the past they had allowed a funeral practice so different from the one common in the rest of Christianity. Moreover, it was striking that the provision dealt with both the burning of corpses and the use of ash tilakas. It was just too easy – given the arrangement of the document – to imagine that those very ashes smeared on the foreheads were actually the ashes of the dead! As we have seen, the decree of Estevão de Brito is preserved thanks to a copy of it made in 1650. This was done as a consequence of a petition that Roberto Nobili made to Jerônimo de Sá so as to obtain the extension to the diocese of São Thomé de Meliapur of the validity of Romanae sedis antistes. Nobili desired that he and any other padre Bragmane who might come after him should be allowed to enjoy the privileges of the bull of 1623. 84 Caspar HARTZHEIM, Explicatio fabularum et superstitionum, quarum in Sacris Scripturis fit mentio, vario hinc inde sensu praeter literalem, ut allegorico, morali, anagogico etc. exornata (Köln 1724) 338. The reference in Aquinas is given as 4 Sentent. d. 15, q. 2, art. 3, which should indicate the „Scriptum Super Sententiis“, lib. 4 d. 15 q. 2 a. 3 qc. 1 ad 1, although the original passage differred from Hartzheim’s synthesis: quamvis sepultura non prosit mortuo secundum se corporaliter, prodest tamen ei secundum quod in memoriis hominum remanet; tum quia in confusionem mortui reputatur quod insepultus iacet; tum quia ex ipso tumulo magis in memoria manet, et aliqui ad orandum pro ipso excitantur; unde monumentum dicitur a memoria, ut Augustinus dicit in littera De cura pro mortuis agenda.

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 267 Moreover, he specified that the missionaries of Madurai governed their converts and punished transgressions not by imposing pecuniary sanctions (as was common in Europe), but by other punishments current in that Indian region. Nobili’s petition was initially accepted by Jerônimo de Sá on 8 April 1649. It was specified that the Italian Jesuit would be the parish priest of the Indian Christian community in the Portuguese city and that his parishioners would be subject to the principles of Romanae sedis antistes. He would be allowed to punish them, in case of faults, with „a mild and merciful punishment, in the way that the Christians of Madurai are punished“. It is important to notice that Nobili’s petition, preserved in the Goa Inquisition papers of the Biblioteca Nacional de Rio de Janeiro, is actually an authenticated copy made by command of Jerônimo de Sá on 18 September 1650. In other words, both this document and the copy of the decree of Estevão de Brito were part of one and the same strategy, devised by the governor of São Thomé de Meliapur, in favour of radical forms of adaptation advocated by the aged Roberto Nobili. However, Jerônimo de Sá sent his decree to the Goa Inquisition to obtain its approval. As provisional head of the bishopric of São Thomé, he could also perform the functions of a commissioner of the Inquisition. On 11 November 1650 the inquisitors in Goa rejected Nobili’s request to extend to Meliapur the system of Madurai. The reason was that the Portuguese town did not face the same problems as the Tamil interior, where the Christians often had to disguise their faith in order to escape persecutions. According to the Goan inquisitors, Romanae sedis antistes had been granted with many cautions and conditions. On the other hand, in a somewhat contradictory manner, the practice of adaptation was described by them as the permission to follow „gentile customs and ceremonies“. It was specifically said that the cremation and certain funeral rituals allowed in Madurai on the basis of Estevão de Brito’s permission were actually done „according to the gentile manner“85. While the Goa Inquisition rejected the extension of the method of accommodatio to São Thomé, it did not revoke the permission of ash tilakas and cremation granted by Estevão de Brito to the neophytes of Madurai. In other words, we can conclude that at least between 1625 and 1650 the ecclesiastical authorities allowed the Christians of a mission in the heart of the Tamil country to perform funeral rites that differed greatly from the customs of the universal church, while being almost identical to the ones of the surrounding „pagans“.

85 BNRJ, Ms. 25,1,004, no 161, [379bis]–380r. The decision was signed by Paulo Castelino de Freitas, Manuel da Cruz, Francisco de Barcellos, Lucas da Cruz, Manuel de Mendonça and José Rebelo Vás.

268 Paolo Aranha It is beyond doubt that Norbert could have caused even greater damage to the Society of Jesus if only he had been able to access the archives of the Goa Inquisition. There he would have discovered in its full extent the mistrust that Bellarmino initially held towards Nobili’s innovations. In that archive Norbert would have learnt that the alleged pagan leanings of the Jesuits had reached unparalleled heights, by endorsing a practice that could be interpreted as contradicting the dogma of resurrection of the body. Moreover, it would have been very easy for him to draw the conclusion that the Jesuits probably even supported the Hindu belief in metempsychosis: the violent destruction of one individual body would not appear a serious problem if each soul would reincarnate in innumerable bodies in the course of time. By recognizing Norbert’s incapacity to collect all the possible evidence against the Jesuits, we now realise the limits of his polemical agency. He knew too well that „the best causes embarrass the judges if they are deprived of good evidence“. For that purpose he put together a plethoric collection of sources that eventually gained him the reputation of a trustworthy authority. It is now possible to see not only that his collection contained predictable manipulations, but also that it did not include documents that would have made his polemics even more effective. However, the measure of his initial success can be seen by the fact that the Roman Inquisition prosecuted him mainly because he was making known to the wider world scandals which they were willing to believe had really taken place. While he was probably neither a new Prosper of Aquitaine nor a historian following the rules of Mascardi, nonetheless Norbert achieved his ambition of entirely occupying the historiographical field on the Malabar Rites controversy. From being a collection of historical sources to be critically examined, Norbert’s work – with its threatening abundance of documents – has been able to obtain the status of a historiographical narrative. Only with a thorough study of the Malabar Rites controversy, no longer focused on finding bonnes preuves for a verdict decided in advance, will we be able to understand Norbert’s polemical historiography as a source to be critically investigated.

Zusammenfassung Norbert von Bar-le-Duc (1697–1769), auch bekannt als Abbé Jacques Platel, Pierre Parisot oder Pierre Curel, durchwanderte Kontinente und Identitäten, baute seine Karriere auf Kontroversen und wurde zu jenem fameux Père Norbert, der 1762 in einer stark romantisierten Biographie dargestellt wurde. Er wirkte von 1737 bis 1740 als Missionar in Südindien und wurde hernach zu einem zentralen Akteur im malabarischen Ritenstreit, dem Konflikt um die Bräuche und Rituale, welche die Jesuitenmissionare in Südindien ihren

„Les meilleures causes embarrassent les juges“ 269 Täuflingen gestatteten. In Europa entfaltete Norbert eine literarische Offensive gegen die Jesuiten mittels historischer Denkschriften, welche zur Untersagung der malabarischen Riten durch Benedikt XIV. (1744) beitrugen, selbst jedoch 1745 und 1751 vom Heiligen Offizium verboten wurden. Sein Leben nahm damit eine abenteuerliche Wendung, denn das Verbot veranlasste ihn zur Flucht nach Holland und England, bevor er als Protegé des Marquês de Pombal nach Portugal ging. Der Beitrag behandelt die eigentümliche Form der Historiographie, die er zum Zwecke seiner antijesuitischen Polemik entwickelte. In der Blütezeit der gelehrten monastischen Historiographie schrieb Norbert eine völlig andere Art von Geschichte. Es handelte sich um Gegenwartsgeschichte mit unmittelbaren polemischen Zielen. Norbert lieferte eine eigenwillige Deutung des Apostolats der Jesuiten in den indischen Missionen und nahm deren angebliche Missbräuche letztlich zum Anlass, die Existenz der Gesellschaft Jesu weltweit grundsätzlich anzugreifen. Wegen der Instrumentalisierung der päpstlichen Verdammung der chinesischen und malabarischen Riten zum Angriff auf die Jesuiten wurden mehrere seiner Werke vom Heiligen Offizium verboten. Der Beitrag stellt Norberts Umgang mit historiographischer Darstellung in den Mittelpunkt. Er bediente sich heimlich – und missbräuchlich – der Archive der Propagandakongregation für seinen Krieg gegen die Gesellschaft Jesu. Seine Arbeiten waren oft in nachlässigem und wiederholungsreichem Stil geschrieben, jedoch stets mit reichem, wenn nicht überreichem, aktenmäßigem Belegmaterial untermauert. Er war ein Historiker mit dem Geist eines Juristen und wusste, dass „die besten Anliegen die Richter in Verlegenheit bringen, wenn es ihnen an guten Beweisen gebricht“.

Il misterioso Filippi Gottfried Philipp Spannagel zwischen den italienischen Staaten und der Habsburgermonarchie Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession bewegt sich die folgende Fallstudie zu Gottfried Philipp Spannagel, und doch fällt dieser Mann in mancherlei Hinsicht aus dem Rahmen der in diesem Band behandelten Themen. Nicht nur, weil es sich um einen Historiographen handelt, der Laie war1, während sich sonst das Interesse der dieser Publikation zu Grunde liegenden Tagung mehrheitlich auf Weltgeistliche oder Ordensangehörige konzentrierte, sondern auch, weil sich Spannagels Biographie nach wie vor trotz intensiver Recherchen einer definitiven Aufhellung entzieht. Lassen sich aber Herkunft und Bildungsweg nicht rekonstruieren, bleibt das intellektuelle Profil notgedrungen unscharf und man ist auf den Rekurs auf Selbstaussagen in Werken und Briefen angewiesen: Als Historiker und Reichspublizist bewegt sich Spannagel jedenfalls zwischen mehreren Kulturkreisen oder Wissenschaftskulturen, zwischen seiner nach wie vor geographisch und konfessionell unbekannten Heimat, dann Ligurien, der Lombardei und Wien. Durch seine intensive Korrespondenz mit Lodovico Antonio Muratori nimmt er an den Fragestellungen teil, die den modenesischen Gelehrten in der Zeit zwischen dem Spanischen und dem Österreichischen Erbfolgekrieg bewegen. Muratori, die zentrale Figur der italienischen Repubblica delle lettere in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts2, ist in unserem Kontext zunächst einmal als Koagulationspunkt einer historiographischen Sammeltätigkeit zu sehen, die, von dynastischen und territorialpolitischen Einzelinteressen 1

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Nur bei Eugen GUGLIA, Maria Theresia. Ihr Leben und ihre Regierung (2 Bde., München–Berlin 1917) 1 20, wird Spannagl (sic) unter die jesuitischen Lehrer der Kronprinzessin eingereiht. Von der sehr reichhaltigen Literatur sei als Standardwerk zitiert: Sergio BERTELLI, Erudizione e storia in Ludovico Antonio Muratori (Istituto Italiano per gli Studi Storici 12, Napoli 1960). Eine rezente umfassende Bibliographie, geordnet sowohl nach Korrespondenten wie nach Werken Muratoris, findet sich in: Carteggio muratoriano: correspondenti e bibliografia, hg. von Fabio MARRI (Emilia Romagna Biblioteche Archivi 66, Bologna 2008).

272 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri ausgehend, im weiteren Verlauf zu Gunsten der res Italicae den Partikularismus der italienischen Klein- und Mittelstaaten mit ihren jeweiligen lokalen historischen Überlieferungen, ihren scriptores, zu überwinden trachtete – Überlieferungen, denen nach wie vor politische Relevanz oder zumindest der Status eines politischen arcanum zuzukommen schien, wie man am Tauziehen um einzelne Handschriften erkennen kann. Durch das Corpus seiner großen Publikationen stellte Muratori – später gefeiert als der Entdecker des italienischen Mittelalters – auch Quellen für die Erforschung „Reichsitaliens“ bereit, doch bereits zuvor – das Stichwort Comacchio möge daran erinnern – hatte sich in einer entscheidenden Phase des Spanischen Erbfolgekrieges wieder einmal erwiesen, welche politische Brisanz der historischen Quellenforschung zukommen konnte3. Als Berater seines Fürsten hatte Muratori darüber hinaus an der politischen Entscheidungsfindung teil und konzipierte gelegentlich persönlich wichtige Briefe in dem aktuellen bellum diplomaticum4. Dass Muratori infolge der kriegerischen und diplomatischen Verwicklungen der dreißiger Jahre immer mehr von seiner „neoghibellinischen“ Position abrückte, ist zuletzt von Mario Rosa herausgearbeitet worden5. Unsere Darstellung wird zu zeigen versuchen, welche Rolle möglicherweise in diesem Zusammenhang Muratoris intensivem Gedankenaustausch mit Spannagel zukommt. Im Wesentlichen basiert der folgende Beitrag auf der von Fabio Marri und Maria Lieber veranstalteten Edition der in der Biblioteca Estense in Modena verwahrten rund 140 Briefe Spannagels an Muratori6. Über ihren 3

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Zusammenfassend zum Comacchio-Streit zuletzt: Fabio MARRI, Agli albori del filogermanesimo di Muratori: documenti inediti sulla questione comacchiese, in: Il Settecento tedesco in Italia. Gli italiani e l’immagine della cultura tedesca nel XVIII secolo, hg. von Giulia CANTARUTTI–Stefano FERRARI–Paola Maria FILIPPI (Bologna 2001) 15–59. Gesine GÖSCHEL, Das „Bellum diplomaticum“ um Comacchio zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Frankfurt am Main 1973); MARRI, Albori (wie Anm. 3) 38–58. Mario ROSA, Rileggendo Muratori tra politica e storia, in: Politica, vita religiosa, carità. Milano nel primo Settecento, hg. von Marco BONA CASTELLOTTI–Edoardo BRESSAN–Paola VISMARA (Edizioni universitarie Jaca, Storia 106, Milano 1997) 23–41. Fabio MARRI–Maria LIEBER–Daniela GIANAROLI, La corrispondenza di Lodovico Antonio Muratori col mondo germanofono. Carteggi inediti (Italien in Geschichte und Gegenwart 31, Frankfurt am Main et al. 2010), hier 194–418 (Einleitung und Edition von Fabio Marri). Spannagels Briefe an Muratori befinden sich in dem Bestand Archivio Muratoriano der Biblioteca Estense von Modena, und zwar in zwei getrennten Serien: Filza 64, fasc. 5, enthält die von Spannagel mit Filippi unterzeichneten Briefe der Jahre 1710–1721 (aus dieser Zeit liegt zusätzlich ein mit Genua, 23. August 1721, datiertes Schreiben, dem ein ausführlicher ästhetischer Traktat über Malerei beigelegt ist, in Filza 44, fasc. 21B); die sieben Briefe aus Wien (1733–

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Wert als gelehrte Korrespondenz hinaus sind diese Schreiben, zu denen bedauerlicherweise die Gegenbriefe – mit zwei Ausnahmen, auf die zurückzukommen sein wird – nicht erhalten sind, die wichtigste Quelle für die Biographie Spannagels. Alles, was wir über dessen frühe Jahre in Italien wissen, verdankt sich den mehr oder weniger verdeckten Erwähnungen in den Briefen, die Spannagel unter dem Namen Filippi zwischen 1710 und 1726 an den modenesischen Gelehrten richtete. Erst für die spätere Zeit treten administrative Quellen für die Anstellung an der Hofbibliothek und einige wenige persönliche Nachrichten aus den Wiener Jahren hinzu. Erwähnungen in verschiedenen Korrespondenzen oder die beiden Testamente Spannagels und seiner Frau erlauben es, das Wiener Umfeld des kaiserlichen Bibliothekskustoden und Historiographen abzustecken, dessen Bedeutung als Geschichtslehrer der Töchter Karls VI. man insgesamt nicht überschätzen sollte7. Für die Interpretation von Spannagels in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrtem schriftlichen Nachlass wird die Edition seiner Briefe an Muratori zahlreiche neue Gesichtspunkte bieten – Anhaltspunkte für das soziale und intellektuelle Umfeld, aus dem Spannagel stammte, wird man in dem umfangreichen Wiener Corpus allerdings wohl umsonst suchen8.

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1737), die Spannagel mit seinem richtigen Namen unterschrieb, befinden sich in Filza 85, fasc. 66. Nur diese letzteren sind angeführt bei Eleonore ZLABINGER, Lodovico Antonio Muratori und Österreich (Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 53 = Studien zur Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte 6, Innsbruck 1970) 106–108. Die Identität Filippi–Spannagel erkannte Zlabinger später und kündigte eine leider nie erschienene Studie darüber an: Eleonore ZLABINGER, L. A. Muratori und Österreich, in: La fortuna di L. A. Muratori. Atti del Convegno Internazionale di Studi Muratoriani, Modena, 1972 (Biblioteca dell’Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori 3, Firenze 1975) 109–142, hier 111. Im Folgenden werden Spannagels Briefe an Muratori nach der oben genannten Edition zitiert. Die 1733 verfasste, sehr konventionelle Geschichtsdarstellung von den biblischen Ursprüngen bis zur Gegenwart ist erhalten: Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) Wien, Cod. 7731–7732; GUGLIA, Maria Theresia (wie Anm. 1) 1 21–23. Helmut TSCHOL, Gottfried Philipp Spannagel und der Geschichtsunterricht Maria Theresias. Ein Beitrag zur Erklärung ihrer kirchenpolitischen Haltung. Zeitschrift für katholische Theologie 83 (1961) 208–221, hebt vor allem die romkritische Grundstimmung des Unterrichts hervor. Diese lässt sich zwar hinsichtlich des Mittelalters konstatieren, ist aber aus der „Zeitgeschichte“, die Regierungszeit Josephs I. und Karls VI. betreffend, ausgeblendet. ÖNB Wien, Cod. 5546–5547, 5549–5551, 5767, 7609, 7713–7722, 7723–7738, 8337–8338, 8369–8384, 8406–8410, 8414, 8417–8418, 8421–8441, 8502–8508, 8510–8514, 8518–8531, 8839, 9333, 9749–9755, 9763, 10071, 10214d, 15174, 15217, 15301; ebd. Ser. Nova 22, 29–31, 3299–3305. Vgl. bereits die wichtigen Hinweise auf diesen Bestand bei: Giuseppe RICUPERATI, L’esperienza civile e religiosa di Pietro Giannone (Milano–Napoli 1970) 243–247. Wenig ergiebig dagegen die Studie von Susanne PUM, Die Biographie Karls VI. von Gottfried Philipp Span-

274 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Was rechtfertigt die Beschäftigung mit einem Mann, dessen Bedeutung als Verfasser mehrheitlich unpublizierter Werke oder als zweiter (deutscher) Kustos der Hofbibliothek doch eher zweitrangig zu sein erscheint? Der Reiz liegt in der Diskrepanz zwischen dem sich zunächst kokett als Dilettantismus deklarierenden Habitus des Initiators einer typischen Gelehrtenkorrespondenz, zu welcher sich diejenige Filippi/Spannagels mit Muratori zunehmend entwickelt, und dem nicht nachvollziehbaren intellektuellen Hintergrund eines Mannes, der sorgfältig alle Spuren verwischt zu haben scheint. Handelt es sich bei Gottfried Philipp Spannagel alias Goffredo Filippi also um einen gipsy scholar, einen „Wandervogel“ von „sozialer und intellektueller Mobilität“, wie sie gerade im Zeitalter der Aufklärung als „intellektuelle Aufsteiger und aus akademischer Perspektive betrachtet, Außenseiter“, ja Autodidakten, bisweilen anzutreffen sind9?

Gottfried Philipp Spannagels erstes Leben als Goffredo Filippi Ist von den beiden Autoren des vorliegenden Beitrags der eine, Fabio Marri, als Editor des Spannagel’schen Briefcorpus ausgewiesen, so hat die andere, Elisabeth Garms-Cornides, sich zu wiederholten Malen mit Spannagel und seiner Bedeutung im Rahmen der habsburgischen Publizistik befasst, ohne allerdings seine rätselhafte Biographie vollständig aufklären zu können10. Die nagel. Ihr Wert als Geschichtsquelle (ungedruckte Hausarbeit für die Lehramtsprüfung, Wien 1980; Exemplar in ÖNB Wien, Handschriftensammlung). Materialien Spannagels auch in Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof-und Staatsarchiv (HHStA), Handschrift W 739. 9 Jan Wim BUISMAN, Der rastlose Repetent Johannes Nicolaus Reinar (ca. 1713– 1792). Eine Fallstudie zur Instrumentalisierung der christlichen Aufklärung. Das achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 35 (2011) 38–57, hier 56. 10 Elisabeth GARMS-CORNIDES, Zwischen Giannone, Muratori und Metastasio. Die Italiener im geistigen Leben Wiens, in: Formen der europäischen Aufklärung. Untersuchungen zur Situation von Christentum, Bildung und Wissenschaft im 18. Jahrhundert, hg. von Friedrich ENGEL-JANOSI–Grete KLINGENSTEIN–Heinrich LUTZ (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 3, Wien 1976) 224–250, hier 234; Elisabeth GARMS-CORNIDES, Die Toskana zwischen Rom und Wien, in: Italia – Austria. Alla ricerca del passato comune, hg. von Paolo CHIARINI–Herbert ZEMAN (Atti dell’Istituto Italiano di Studi Germanici 4, Roma 1995) 411–485, hier 417f.; Elisabeth GARMS-CORNIDES, Reichsitalien in der habsburgischen Publizistik des 18. Jahrhunderts, in: L’Impero e l’Italia nella prima età moderna, hg. von Matthias SCHNETTGER–Marcello VERGA (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento. Contributi 17, Bologna–Berlin 2006) 461–497, hier 491–494.

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für die frühe Zeit feststehenden Elemente sollen hier nochmals dargelegt werden. 1675 geboren11, hält sich Spannagel spätestens seit 1708, vielleicht aber schon seit etwa 1700, unter dem Namen Goffredo (de’) Filippi im Raum zwischen Genua und Sarzana auf12. Spätestens in diesen Jahren dürfte er aus nicht feststellbaren Gründen mit der Inquisition zu tun bekommen haben. Das legt ein Brief nahe, den er 1720 an den Piaristen Avanzini schrieb und in dem er Magistrum Palatinum als seinen alten Freund bezeichnet: der Maestro del Sacro Palazzo, der ranghöchste theologische Berater des Papstes, gehörte zugleich ex officio der römischen Inquisition als Konsultor an. In diesen Jahren bekleidete Gregorio Selleri das wichtige Amt13. Wann und wo können sich die Wege dieses Dominikaners mit denen Spannagels gekreuzt haben? Hing die Bekanntschaft etwa mit der Konversion Spannagels zusammen, die dieser nur ganz beiläufig einmal in einem Brief an Muratori erwähnt und die er wie so viele oltremontani in Rom vor der Heiligen Inquisition vollzogen haben könnte14? 11 Das geht aus der Altersangabe „73 Jahre“ in der Todesmeldung im Wienerischen Diarium hervor (Wienerisches Diarium, 14. Dezember 1748). 12 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 218: in einem Brief an Muratori vom 23. August 1710 erwähnt Filippi/Spannagel, dass er bei einem Aufenthalt in Sarzana 1708 Bonaventura de’ Rossi kennengelernt habe. In einem handschriftlichen Entwurf für ein Vorwort (wohl zu Spannagels Werk über die Lehenshoheit des Kaisers über Parma: ÖNB Wien, Cod. Ser. Nova 22, Nr. 105; ebd. Nr. 106–108, betreffend Parma und Piacenza) erwähnt der Autor seine 24-jährige Erfahrung in Italien. Da Spannagel sich ab 1721 über Jahre hinweg mit dem Plan einer Publikation zu diesem Thema trug – vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 330 –, ist diese „Datierung“ keine präzise Hilfe. Die ÖNB verwahrt übrigens unter der Signatur 36.Q.3 die anonyme Schrift: Ragionamenti familiari sopra il dominio e sovranità temporale nello stato di Parma e Piacenza (o.O. o. J.), geschrieben noch zu Lebzeiten Karls VI. (vgl. ebd. 321). Der Autor, der sein Vorwort als Pellegrino de’ Ragionamenti unterschreibt, gibt an, nato ed educato nel selvaggiume delle Alpi zu sein und bittet, seinen stile rozzo zu entschuldigen. Der Passus über die 24 Jahre in Italien findet sich allerdings hier nicht, dafür eine inhaltlich kaum begründete Erwähnung Sarzanas (ebd. 56) und eine scharfe Spitze gegen Fontanini, der die Rechtgläubigkeit des autore milanese in Frage gezogen habe (ebd. 1f., 6). 13 Der Brief Spannagels an Avanzini ist zitiert in: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 203 Anm. 33. Zu dem Dominikaner Gregorio Selleri vgl. Herman H. SCHWEDT–Jyri HASECKER–Dominik HÖINK–Judith SCHEPERS, Römische Inquisition und Indexkongregation. Grundlagenforschung 1701–1813, 3: Prosopographie von Römischer Inquisition und Indexkongregation 1701–1813 (2 Bde., Paderborn–München–Wien–Zürich 2010) 2 1151f. Auch wo und wann die bereits 1714 bestehende Bekanntschaft mit Nicola Avanzini geschlossen wurde, vgl. MARRI– LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 239, ist nicht festzustellen. 14 Die Konversion ist erwähnt in MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 246 (Brief vom 15. Mai 1717). In der reichhaltigen, wenngleich sehr unvoll-

276 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Oder war Spannagel sonst irgendwie auffällig geworden? Wenn man die heute im Zentralarchiv der römischen Inquisition vorhandenen, allerdings nach der napoleonischen Verschleppung und der späteren Rückführung stark dezimierten Akten durchschaut, wird klar, dass nur wenig dazugehörte, sich ein Verfahren zuzuziehen, wie es Spannagel wohl passiert sein muss: denn als er sich von Muratori Hilfe erbittet, nachdem er diesem bei ihrem ersten persönlichen Zusammentreffen in Sarzana im Herbst 1714 sein horribile secretum anvertraut hatte15, erwähnt er sowohl die conditio domicilii wie die Notwendigkeit einer kanonisch-rechtlichen Sanierung seines Falles durch einen nicht näher bezeichneten zuständigen Bischof16. Er war also gewissermaßen vorbestraft, wobei allerdings der „Hausarrest“ meist erst nach Verbüßen eines Teils der Gefängnishaft gestattet wurde. Häufig findet sich diese Abfolge von Strafmaßnahmen im Falle von Bigamie17. Dass Bigamisten zur besseren Verheimlichung ihres Vorlebens einen neuen Namen annahmen, ist ein häufig anzutreffendes Faktum, ebenso das Bestreben, durch Konversion einer bestehenden (nichtkatholischen) Ehe zu entkommen, meist, ständigen Dokumentation der Abschwörungen vor dem Heiligen Officium lässt sich keine Spur einer Konversion Spannagels in Rom nachweisen. Zu diesem Aktenbestand vgl. grundlegend Irene Fosi, Convertire lo straniero. Forestieri e Inquisizione a Roma in età moderna (Roma 2011) 67௅74. Auch als Konversionskandidat aus dem Ospizio dei convertendi ist unser Spannagel nicht bekannt, wohl aber im Jahr 1723 der aus der Pfalz stammende, zwanzigjährige Kalvinist Stanislaus Jakob Spannagel, der möglicherweise mit dem in Spannagels Testament erwähnten Neffen Jakob Spannagel identisch ist. Die Auskunft betreffend Jakob Spannagel verdanken wir Ricarda Matheus, deren Arbeit über das römische Konvertitenhaus sich ebenfalls im Druck befindet: Ricarda MATHEUS, Konversionen in Rom in der Frühen Neuzeit. Das „Ospizio dei Convertendi“ 1673–1750 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom) (im Druck) 15 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 235. 16 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 240; vgl. auch ebd. 235 (videas quid tum caute, tum canonice fieri possit). Zu Hausarrest beziehungsweise zu überwachter bedingter Freiheit konnte man von der Inquisition zum Beispiel wegen Fluchens, wegen blasphemischer Äußerungen oder Besitz häretischer Bücher verurteilt werden, vgl. eine Aufstellung der in den ersten vier Monaten des Jahres 1707 durchgeführten Prozesse: Rom, Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede Roma (ACDF), St. St. H 6 i, fol. 72 (im folgenden Folia ohne r und v zitiert); ebd. fol. 67, 179, 245 zur Strafmilderung durch Hausarrest. 17 Unter Bigamie ist nicht nur das Eingehen einer neuen Ehe unter Verheimlichung einer vorangegangenen und aufrecht bestehenden Verbindung zu verstehen, sondern auch die bigamia similitudinaria, das heisst das Eheversprechen eines durch zuvor geleistete Gelübde, beziehungsweise empfangene niedere oder höhere Weihen dazu nicht ohne weiteres Befähigten. Zur Bigamie grundsätzlich: Kim SIEBENHÜNER, Bigamie und Inquisition in Italien 1600–1750 (Römische Inquisition und Indexkongregation 6, Paderborn–München–Wien–Zürich 2006).

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um eine neue eingehen zu können18. Einer vom Präfekten der Wiener Hofbibliothek, Garelli, in einem Brief an Muratori gemachten Bemerkung zu Folge könnte es sich bei Filippis schrecklichem Geheimnis um ein solches Problem handeln19. Bei der bestehenden unübersichtlichen und lückenhaften Dokumentation kann wohl nur ein glücklicher Zufall eine definitive Aussage über das Vorleben des Goffredo Filippi bringen. Was immer es war, das mysteriöse factum lag lange zurück, aber nicht lange genug, um nicht seine Schatten auf Filippis/Spannagels Fortkommen zu werfen20. Bei einem Aufenthalt in Sarzana 1708 hatte sich Filippi in die besseren Kreise der dortigen Gesellschaft einführen können. Er verkehrte mit dem wohl einer Notarsfamilie entstammenden Juristen Bonaventura de’ Rossi, der sich bereits als Lokalhistoriker verdient gemacht hatte, wenngleich sein umfangreiches Werk über die alte Bischofsstadt Luni nie gedruckt wurde21. Durch Intervention Filippis wurde de’ Rossi zur Auskunftsperson für Muratori, mit dem er 1714 anlässlich von dessen Aufenthalt in Sarzana im Zuge 18 Vgl. zum Beispiel ein Verfahren in: ACDF, St. St. M 5 g, wie überhaupt die gesamte Serie St. St. M a–p. Hier auch in St. St. M 5 h diverse Fälle, in denen das Heilige Officium über die Frage der Gültigkeit protestantisch geschlossener Ehen zu befinden hatte. 19 Pio Nicolò Garelli an Muratori, Oktober 1726, Modena, Biblioteca Estense, Archivio Muratoriano 65.24: […] nulla qui si sapeva di un nullo suo matrimonio contratto in Genova con una dama, per lo quale fu obbligato e di cangiarsi nome e di occultarsi con diverse altre circostanze che ora si producono alla luce. Eine Verwechslung mit dem Annullierungsprozess Gianluca Pallavicinis, in den Filippi/Spannagel verwickelt war (siehe unten), ist allerdings nicht auszuschließen. Die missgünstigen Hinweise auf Spannagels Vergangenheit könnten in Wien durch Spannagels Mailänder Konkurrenten Martino de Colla ausgestreut worden sein, der sich 1725/26 dort aufhielt: HHStA, Italien–Spanischer Rat, Lombardei, Korrespondenz 21, Brief des Mailänder Gouverneurs Colloredo vom 27. Oktober 1725; ebd. Lombardei Korrespondenz 270, Colla an Villasor 7. Dezember 1729. 20 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 240: post tot annorum damnum in einem Brief von 1714. In einem in ACDF, St. St. GG 3 f, int. 4 verwahrten Verzeichnis aller an den lokalen Inquisitionstribunalen Italiens angestellten Personen fällt für die Zeit um 1700 in Albenga (Ligurien) der Name des Laienkonsultors „Filippo Gofredi“ ins Auge. Das Diözesanarchiv Albenga (Dank an Dr. Alma Oleari) konnte keine Auskunft über diese Person erteilen, deren „Namensgleichheit“ mit Spannagels Pseudonym zumindest auffallend ist. 21 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 218, 220, 224, 237. Zu Bonaventura de’ Rossi (Sarzana 1666–Genua 1741) und seinen Werken vgl. Franco BONATTI–Marzia RATTI, Sarzana (Le città della Liguria 7, Genova 1991) 165. Dem Testament von Spannagels Frau Paola, geborenen Mascardi, verwitweten Raggi, kann man entnehmen, dass ihr Onkel, der Kanoniker Agostino Mascardi, sein Testament im November 1718 bei dem Notar Gerolamo Rossi in Sarzana errichtet hatte: HHStA, Oberstmarschallamt (OMaA) 636.

278 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri einer Archiv- und Bibliotheksreise von der Lombardei in die Toskana persönlich zusammengetroffen sein könnte. Ein weiterer Bekannter Filippis, den er Muratori zuführen sollte, war der Domkanoniker und Kapitelvikar Agostino Mascardi, der dem städtischen Patriziat der seit dem späten 15. Jahrhundert von Genua verwalteten Kleinstadt entstammte. Die überaus angesehenen Mascardi waren seit dem späten 16. Jahrhundert vor allem als geistliche Würdenträger hervorgetreten22 und verfügten über eine mit einer Pfründe verbundene Familienkapelle im Dom von Sarzana23. Aber nicht nur das, der betagte Domherr wachte auch über seine Nichte Paola, eine noch junge Witwe nach einem genuesischen Patrizier aus dem Hause Raggi24. Der von Filippi/Spannagel als senex noster bezeichnete betagte Geistliche dürfte bald starke Vorbehalte gegen den sozial kaum adäquaten Filippi entwickelt haben, der sich nicht nur an die vermögende Witwe, sondern alternativ auch

22 BONATTI–RATTI, Sarzana (wie Anm. 21) 91, 93. Das bekannteste Mitglied der Familie war der Jesuit Agostino Mascardi (1590–1640), unter anderem Autor der berühmten Congiura del conte Giovanni Luigi de’ Fieschi (1629), vgl. Eraldo BELLINI, Mascardi, Agostino, in: Dizionario biografico degli italiani, 71 (Roma 2008) 525–532. 1709 hatte der 1637 geborene Domkanoniker Agostino Mascardi aus Alters- und Gesundheitsgründen die Erhebung zum Bischof von Ventimiglia abgelehnt und stattdessen erfolgreich seinen Neffen Carlo Mariano Mascardi dafür empfohlen: Rom, Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (ASV), Segreteria di Stato, Vescovi 111, fol. 403–405. Ein weiterer Geistlicher der Familie, der Domkanoniker Giovanni Bartolomeo Mascardi, fungierte 1719 in einer heiklen Angelegenheit als Visitator eines Nonnenklosters in Pontremoli: ACDF, St. St. GG 3 e. 23 Dieser Form des Laienpatronats gilt die wegweisende Studie von Christoph WEBER, Familienkanonikate und Patronatsbistümer. Ein Beitrag zur Geschichte von Adel und Klerus im neuzeitlichen Italien (Historische Forschungen 38, Berlin 1988). 24 Im Kommentar zu den zwei erhaltenen und edierten Briefen der Paola Raggi Mascardi an Muratori wird sie fälschlich für eine geborene Raggi gehalten: Ennio FERRAGLIO–Marco FAINI, Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori, 35: Carteggi con Quadrio ... Ripa (Firenze 2008) 117. Aus einer in der Biblioteca Civica von Sarzana aufbewahrten Lokalchronik ersieht man nicht nur die Bedeutung der Familie Mascardi für die kleine Bischofsstadt, sondern auch, dass mehrmals Mitglieder der genuesischen Patrizierfamilie Raggi dort das Amt des genuesischen Commissario innehatten, allerdings war Paola Mascardis erster Mann, Gianbernabò, offenbar nicht darunter: Storia d’Ippolito Landinelli Nobile Sarzanese, Canonico della Cattedrale di Sarzana […] nell’anno del Signore 1776 fedelmente copiata dal M. Gio. Vincenzo de Grossi Patrizio Sarzanese, 1131, 1136, 1163, 1168, 1171. Zu der weitverzweigten Familie Raggi: Stefano PATRONE, L’Archivio Salvago Raggi. Registri contabili e filze di documenti (Quaderni del Centro di Studi e Documentazione di Storia Economica „Archivio Doria“ 2, Genova 2004); Angelo M. G. SCORZA, Le famiglie nobili genovesi (Genova 1924) 200 Nr. 629. In keinem dieser Werke ist Gianbernabò Raggi erwähnt.

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an die begehrenswerte Pfründe heranzumachen begonnen hatte25. Missgünstige Zwischenträger hatten dem betagten Geistlichen Verdächtigungen gegen den zugereisten Fremdling eingeträufelt, und so war es Filippi/Spannagel sehr willkommen, dass der berühmte Muratori ihm ein gutes Zeugnis ausstellen konnte26. In diesem Zusammenhang hat Filippi/Spannagel Muratori wohl auch sein horribile secretum – oder arcanum, wie es anderer Stelle heißt27 – geoffenbart. Auffallend ist, dass sich der Fremdling in Genua unter seinem angenommenen Pseudonym in den besten Kreisen bewegt zu haben scheint: in der Korrespondenz mit Muratori erwähnt er Mitglieder der Familien Malaspina, Doria und Fieschi, den modenesischen und den englischen Residenten, Airolo und d’Avenant28 – und das, obwohl er nach eigener Aussage ein infelice mestiero ausübt29. Hinsichtlich des labor vilis et mercenarius, der in einem anderen Brief der einem Gelehrten zustehenden und Unsterblichkeit verheißenden tranquillitas, also dem klassischen otium, gegenübergestellt wird30, hat sich durch Zufall ein Hinweis gefunden: In einer Succinta relazione della corte di Vienna, die der Reichshofratsagent, Johann Baptist Muneretti, der auch für die Interessen des Herzogs in Modena am Kaiserhof tätig war, 1732 verfasst haben dürfte, wird behauptet, dass Spannagel lange Zeit in Italien, insbesondere in Genua, il mestiero di ballerino ausgeübt habe31. Nachdem Spannagel sich in die verwitwete Marchesa Raggi verliebt hatte, so fährt der boshafte Muneretti fort, habe er, um sich sozial zu 25 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 240: hier, Ende November 1714, stellt sich Filippi noch die Alternative faemininum probe dotatum accipere vel beneficium. Agostino Mascardi mochte über spezielle Informationsquellen verfügen, hatte er doch der lokalen Inquisition von Sarzana als Konsultor gedient: ACDF, St. St. GG 3 f, int. 4. 26 Vgl. den diesbezüglichen dringenden Brief an Muratori vom 11. Oktober 1714: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 234f. 27 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 240. 28 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 197, 216, 228f., 245. Später zählt er auch den französischen Envoyé zu seinen Bekannten, ebd. 329. Diese Verankerung in der guten Gesellschaft wiederholt sich in Mailand, wo Spannagel im Salon der Gräfin Clelia Borromeo Grillo verkehrt, vgl. deren Briefe an den Wiener Nuntius Passionei in: ASV, Segreteria di Stato, Germania 526, fol. 256, 261. 29 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 243. 30 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 240. 31 Die Kenntnis der in Modena, Biblioteca Estense, ms. it. 676, verwahrten Succinta relazione della corte di Vienna verdanken wir Univ. Doz. Dr. Alexander Koller, Vizedirektor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, der mit Einverständnis von Dr. Pierpaolo Bonacini (Universität Bologna) uns den Text zugänglich gemacht hat. Dieser soll von Pierpaolo Bonacini demnächst in den Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken veröffentlicht werden.

280 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri verbessern, sich seiner in der Jugend absolvierten Studien entsonnen, ed a forza di vigilie e di costante, ostinata applicazione es schließlich zu schriftstellerischer Tätigkeit und zur Heirat mit der Dame gebracht. Muneretti, der seit den Jahren des Spanischen Erbfolgekrieges als Agent für verschiedene geistliche und weltliche Fürsten in Wien wirkte, muss das Gerücht in der kaiserlichen Residenzstadt aufgeschnappt haben. Eine Tätigkeit als Tanzmeister oder Tanzlehrer – denn das muss Muneretti gemeint haben – mag den Zugang zur „besseren“ Gesellschaft erleichtert haben, erklärt aber weder das horribile secretum noch die finanziellen Ressourcen, die Filippi/Spannagel nach eigener Aussage zumindest ab 1717 zur Verfügung standen32. Bedenkt man hingegen, dass seit den Jahren des Spanischen Erbfolgekrieges in ganz Oberitalien verdeckte kaiserliche Agenten, oder besser Spione, nachweisbar sind, die zumeist unter falschem Namen operierten33, kann man die Möglichkeit nicht ausschließen, dass unser geheimnisvoller Filippi die Tätigkeit eines Tanzmeisters oder Tanzlehrers als geeignete Bemäntelung einer nachrichtendienstlichen Betätigung gewählt hat, um sich in die politisch und gesellschaftlich führenden Kreise der Republik oder auch Sarzanas einzuführen, war doch letzteres dank seiner Grenzlage zwischen der Toskana, Genua und den vielen kleinen formal unabhängigen Reichslehen in der Lunigiana als politisch-militärischer Beobachtungspunkt überaus geeignet34. Spannagels Deckname könnte also auch politischmilitärischen Zwecken geschuldet sein35. 32 Zu Johann Baptist Muneretti vgl. Friedrich HAUSMANN–Edith KOTASEK–Lothar GROß, Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder seit dem Westfälischen Frieden (1648), 2: (1716–1763) (Zürich 1950) 29, 197, 205, 224, 271, 401. Zum horribile secretum siehe Anm. 15; Aussagen Filippis zur seinen finanziellen Möglichkeiten: MARRI௅LIEBER௅GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 248f. 33 Das parallel in Italien operierende Spionagenetz des Prinzen Eugen übersah neben diesem selbst wohl nur der geheime Emissär des Prinzen, Johann Michael Langetl: Maximilian BRAUBACH, Prinz Eugen von Savoyen. Eine Biographie (5 Bde., Wien 1963–1965) 4 454. Es ist möglich, dass Filippi/Spannagel sich auch noch weiterer Decknamen bediente: In einem Brief, den er nach einem Aufenthalt in Modena an Muratori richtete, fragt er nach, ob nicht Post für Eriberto Ventura, madama Faustine Bellefont oder Goffredo Filippi angekommen sei, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 288. Ein Bericht an Erzherzog Karl (als Karl III. spanischer Thronprätendent in Barcelona) erwähnt, dass Genua von mysteriösen Bittstellern, Betrügern und anderen unsicheren Gestalten nur so wimmele: HHStA, Staatenabteilung, Genua 1, fol. 73–79 (1708), und ebd. weitere Meldungen aus Genua. 34 HHStA, Staatenabteilung, Genua 4, fol. 11, August 1716 (ein Dott. Marc’Antonio Tonarelli als 1713 in Sarzana tätiger Vertrauensmann erwähnt), und Genua 5, fol. 34– 35, die Korrespondenz eines Francesco Maria Giorgi, eines seit 34 Jahren in Italien tätigen Militärs, der auch Beobachterdienste leistete. Ein Nachfolger war Andrea Ginetti. Vgl. ebd. Genua 15, zur vorangegangenen Tätigkeit Giorgis in La Spezia.

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Dafür spricht nicht zuletzt die offensichtlich nahe Beziehung zu d’Avenant, dessen Karriere als britischer Diplomat zu Beginn der zwanziger Jahre infolge des eigenmächtigen Vorgehens zugunsten einer prohabsburgischen Politik irreparablen Schaden erlitt36. Aus dem Eifer, mit dem Filippi/ Spannagel während der spanischen Invasion in Italien neueste Nachrichten über Schiffs- und Truppenbewegungen an Muratori schickte37, könnte man die eingeübte Praxis des Nachrichtendienstlers herauslesen38. Die in Genua oder Sarzana geschlossene Bekanntschaft mit der verwitweten Marchesa Raggi und ihren Verwandten Mascardi eröffnete Spannagel die Aussicht auf sozialen Aufstieg. Allerdings konnte er sich nicht gleich zwischen der von den Mascardi zu vergebenden gut dotierten geistlichen Pfründe und einer vorteilhaften Ehe entscheiden39. Als Ausweg bot sich ihm einer jener Ritterorden an, wie etwa das Cavalierato Lauretano, das nach entsprechenden Dispensen sowohl eine Ehe als die Inanspruchnahme einer aus dem geistlichen Beneficium erfließenden Pension erlaubten40. Allerdings war dieser von der Cancelleria Apostolica in Rom käuflich zu 35 In einer Liste von Personen, die der kaiserliche Konsul in Genua mit Patenten ausgestattet hatte, findet sich für 1716 der Name Nob. Emanuele de Filippi di Sarzana: HHStA, Staatenabteilung, Genua 4, 11. August 1716. „Emanuele“ könnte als Variante von „Goffredo“ gelten. 36 Zu d’Avenant als britischem Sonderenvoyé in diversen italienischen Staaten ab 1714 vgl. HAUSMANN–KOTASEK–GROß, Repertorium 2 (wie Anm. 32) 151, 154, 158, 167. D’Avenant eröffnete, kaum in Italien angekommen, eine geheime Korrespondenz mit dem Mainzer Kurfürst und Erzkanzler, Lothar Franz von Schönborn, den er von früheren Aufenthalten im Reich gekannt haben dürfte: HHStA, Mainzer Erzkanzlerarchiv (MEA) 124a, und stand auch mit dem Höchsten Spanischen Rat in Wien in brieflicher Verbindung: ebd. Staatenabteilung, Genua 15. Zu Beginn der dreißiger Jahre strandete der gänzlich verarmte d’Avenant in Brüssel und suchte dort finanzielle Hilfe beim kaiserlichen Gouvernement. Seine intensiven Kontakte zum Prinzen Eugen sind für diese Zeit dokumentiert in: Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Finanz- und Hofkammerarchiv, Familienarchiv Harrach, K. 585/86 (Briefe des Prinzen Eugen an d’Avenant und Korrespondenz zwischen Friedrich August Harrach und Prinz Eugen). Spannagel setzte sich für den alten Freund ein: ebd. K. 594 (1733). 37 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 251–258. 38 Allerdings gehörte dies wohl in Genua zu jeder Berichterstattung fast automatisch dazu, vgl. zum Beispiel die Korrespondenz des Malteserritters Bailli Giovanni Battista Spinola mit dem päpstlichen Staatssekretariat in: ASV, Segreteria di Stato, Particolari 117 (betreffend 1716); oder die Meldungen d’Avenants nach Mainz in HHStA, MEA 124a. 39 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 240 (17. November 1714). 40 Gaetano MORONI, Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica da S. Pietro sino ai nostri giorni (101 Bde., Venezia 1840–1861) 37 177f. Vor- und Nachteile anderer Orden diskutiert Filippi in: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6)

282 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri erwerbende Ehrentitel nicht billig und unter Filippis speziellen, für uns geheimnisumwitterten Umständen schwierig zu erhalten41. Ab Jahresbeginn 1717 erbat Filippi/Spannagel die Hilfe Muratoris in der Angelegenheit42, die drei Jahre später zu einem glücklichen Abschluss gekommen zu sein scheint43. Der Zeitpunkt der Heirat mit der Signora marchesa Raggi, wie Filippi/ Spannagel seine Paoletta mit Vorliebe nannte, geht aus der Korrespondenz nicht klar hervor, doch kann man wohl annehmen, dass erst der Tod des Erbonkels abgewartet werden musste (nach November 1718)44. Während

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246–248, 250. Ausgerechnet 1717 erregte in Modena ein Streit die Gemüter, der den Weiterbezug einer geistlichen Pension durch einen verheirateten Loreto-Ritter betraf: ASV, Segreteria di Stato, Vescovi, 130, fol. 99–104. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 245, 248 (hier ist von 2000 bis 3000 fl. die Rede). Erstmalig muss in einem nicht überlieferten Brief Filippis in den ersten Monaten des Jahres 1717 davon die Rede gewesen sein, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 244. Nach einer von Jahresbeginn 1719 bis Januar 1720 andauernden Unterbrechung der Korrespondenz konnte Filippi melden, nicht zuletzt dank Muratoris Ratschlägen den Ausweg da quel labirinto gefunden zu haben, ebd. 261. Die in Rom, ASV verwahrte Dokumentation der Cancelleria Apostolica ist nicht zugänglich. Andere vatikanische Quellen hinsichtlich der Verleihung des lauretanischen Ritterordens, etwa ein Breve für den Empfänger, waren nicht auffindbar. Da die Angelegenheit auch vom modenesischen Geschäftsträger in Rom, Borso Santagata, betrieben wurde (MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza 249, ohne Nennung des Namens) könnten dessen Berichte vielleicht Aufschluss erteilen. Vermutlich in Folge der von dem unloyalen Bonaventura de’ Rossi verursachten Probleme – vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 340 – erging die Pension in der Folge auf den Namen von Gianluca Pallavicini, bei dem Filippi zumindest seit Jahresbeginn 1720 in Dienst stand (ebd. 261), während die Pfründe selbst offenbar einem Familienmitglied, Carlo Mariano Mascardi, Bischof von Ventimiglia, zugesprochen wurde. Nach dessen Tod erbat Spannagel nämlich 1732 die Intervention des Nuntius am Kaiserhof, Domenico Passionei, für seine Frau, der die von dem Verstorbenen lukrierten Einkünfte des Familienkanonikats in Sarzana zustünden: ASV, Segreteria di Stato, Germania 289, fol. 316–317, 426– 427, 539. 1716 gibt Filippi die Dame als sichere Postadresse in Genua an, was wohl darauf hindeutet, dass er noch nicht mit ihr verheiratet war, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 243. In einem späteren Schreiben spricht Spannagel noch davon, qualche alleanza in paesi catholici in Erwägung zu ziehen, wobei der Hinweis auf eine mögliche Einnahmsquelle durch eine Pfründe nella famiglia in cui mi fosse accasato eindeutig die Mascardi anvisiert (ebd. 247, 15. Mai 1717); daher die hypothetische Datierung „um 1717“ für die Heirat in GARMS-CORNIDES, Reichsitalien (wie Anm. 10) 491. Ob der lateinische Terminus matrona für Paola bereits eine Eheschließung voraussetzt (MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza

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Spannagels Mailänder Periode hielt sie sich zumindest noch zeitweise in Genua auf45. Zu der sorgfältig verschleierten Vergangenheit von Muratoris Korrespondent Filippi/Spannagel gehört nicht nur die nur ein einziges Mal erwähnte protestantische Herkunft, sondern auch die geographische und akademischbildungsmäßige: wenn er sich Muratori anfangs als forestiere oltremontano, tra li tedeschi il men culto vorstellt46, so ist das jedenfalls, gleich was der sarkastische Muneretti darüber zu sagen wusste, bezüglich der literarischen Bildung untertrieben. Spannagel gibt nie etwas über vorangegangene oder abgebrochene Studien in der Jugendzeit preis, denen er die Kenntnis von Latein, etwas Griechisch, Französisch47 und einem zunehmend flüssigen Italienisch verdankt haben muss48. Aus welcher Gegend des deutschen Sprachraums Gottfried Philipp Spannagel, der sich sein Pseudonym aus den beiden Vornamen gebastelt hatte, stammte, bleibt bisher unklar. Zeitgenossen bieten so widersprüchliche Angaben wie Pfälzer, Tiroler, Sachse oder Brandenburger49. Es ist jedenfalls ganz eindeutig, dass unser Geheimnis-

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251, 22. Juni 1718), muss dahingestellt bleiben. Diesem Brief zufolge reiste die matrona im Sommer 1718 auf inständiges Bitten des Onkels (vgl. ebd. 249) nach Sarzana, um sich um diesen zu kümmern und wohl auch, um eine günstige Abfassung des Testaments zu erreichen, das im November 1718 errichtet wurde (siehe Anm. 21). Unter den (unvollständigen) Ehematrikeln des in der Biblioteca del Seminario Vescovile von Sarzana hinterlegten Archivio Diocesano von Luni-Sarzana ist Filippis Eheschließung nicht belegt, dürfte also wohl in Genua stattgefunden haben. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 388, 392. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 218. Spannagel übersetzte für Muratori einen Bericht über die Pest in Marseille (MARRI– LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza [wie Anm. 6] 318), der späteren Ausgaben des Governo della peste hinzugefügt wurde (siehe unten Anm. 60), und war im Stande, die ersten Kapitel seines Traktats über die Toskana (ebd. 346) und seine Abhandlung über die Ostendische Kompanie (vgl. unten Anm. 102) auf Französisch vorzulegen. In einem Brief vom 4. November 1714 (MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza [wie Anm. 6] 239) bat Filippi/Spannagel Muratori, ihm italienisch zu schreiben, während er für sich selbst den gelegentlichen Rekurs auf das Lateinische reservierte, das er auch für einen Teil seiner eigenen historiographisch-juridischen Werke benützen sollte. Die Durchsicht in Frage kommender Universitätsmatrikel sowohl in deutschen Ländern wie in Italien erbrachte kein Ergebnis. Einzig in Tübingen scheinen 1699 ein Diakon Alexander Spannagel aus Pfullingen sowie 1700 ein Johann David Spannagel aus Ebingen (letzterer allerdings als „Barbierergesell“ bei einem Arzt) auf: Albert BÜRK–Wilhelm WILLE, Die Matrikeln der Universität Tübingen, 2: 1600–1710 (Tübingen 1953) 453 Nr. 29588, 456 Nr. 29688. Als Pfälzer wird Spannagel von seinem guten Bekannten d’Avenant bezeichnet, als er ihn dem Mainzer Kurfürsten und Erzkanzler Lothar Franz von Schönborn als Agenten empfiehlt, übrigens mit Nennung des Namens Spannagel, der von diesem selbst erst 1726 (wieder) angenommen werden wird: HHStA, MEA 124a, Brief vom

284 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri krämer über seine Vergangenheit nicht sprechen wollte und dass diese offenbar auch keine ihm für die Stelle an der Wiener Hofbibliothek relevant erscheinenden akademischen Etappen enthielt, wie man aus seinem Bewerbungsschreiben entnehmen kann50. Nicht einmal seinen Konvertitenstatus hob Spannagel damals hervor, im Gegensatz zu seinem unmittelbaren Konkurrenten Hackmann – die Spuren des sogenannten Filippi sollten, trotz des wieder angenommenen deutschen Namens, nur bis nach Mailand nachvollziehbar sein51. Auch aus dem Testament Spannagels lässt sich kein Hinweis auf seine Herkunft herauslesen52. 6. Dezember 1719. Als Sachsen bezeichnet ihn der Trentiner Buffa in einem Brief an Girolamo Tartarotti, Rovereto, Biblioteca Civica Ms. 6.14, fol. 240 (Brief vom 15. März 1756), als Tiroler dagegen der vielleicht besser informierte Martino de Colla, ein Konkurrent Spannagels in Mailand: HHStA, Italien, Spanischer Rat, Lombardei, Korrespondenz 270, in einem Brief an Rialp, Mailand, 21. April 1725; vgl. auch hier Anm. 12 zur Herkunft „aus den Alpen“. Fälschlicherweise meinte TSCHOL, Spannagel (wie Anm. 7) 208, aus einem im Nachlass Spannagels erhaltenen eigenhändigen, „Berlin 1722“ datierten Schreiben entnehmen zu können, Spannagel habe sich dort aufgehalten. Es handelt sich aber um eine von Spannagels Hand verfertigte Kopie der datierten lateinischen Vorrede zu Jakob Paul Gundlings Dissertation sur les États de Parme et Plaisance: ÖNB Wien, Cod. 13721, fol. 6. Das Werk erschien in deutscher Sprache 1723 in Frankfurt. Der sächsische Diplomat und Schriftsteller Johann Christoph Clauder bezeichnet Spannagel in einem während eines Wienbesuchs an Gottsched gerichteten Brief als recht aus dem schooß von Teutschland, aus der Marck Brandenburg, bürtig: Detlef DÖRING–Rüdiger OTTO–Michael SCHLOTT–Franziska MENZEL, Johann Christoph Gottsched. Briefwechsel, unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched, 4: 1736–1737 (Berlin–New York 2010) 14, doch sind die biographischen Informationen Clauders zumindest hinsichtlich der Konversion Spannagels unzuverlässig (diese sei in Wien erfolgt). 50 Bewerbungsschreiben: HHStA, Obersthofmeisteramt (OmeA), Alte Akten 22, abgelegt unter 18. Dezember 1726; sowie die Angaben Spannagels in: OmeA Protokolle 11, fol. 476–477. 51 Bewerbung Hackmanns in HHStA, OmeA SR 46, fol. 1–2, 17. Juli 1726. Garelli wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der Kaiser einen anderen Kandidaten bevorzuge (ebd. fol. 3–4). Zur Konkurrenzsituation vgl. Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 462f. Garelli selbst soll angeblich zunächst Pietro Giannone favorisiert, diesen aber wegen befürchteter Probleme mit Rom wieder fallen gelassen haben: so der Reichshofratsagent Muneretti in seinem Bericht (siehe oben Anm. 31). 52 HHStA, OMaA 638; (ebd. 636 das Testament seiner Frau von 1742). Ob der sonst nicht gebräuchliche lateinische Ortsname Alestadii in einer von Spannagels Publikationen, die (unter dem Namen Palignesius) tatsächlich in Wien gedruckt war, ein Hinweis auf die Stadt Hall in Tirol oder auf Hallstatt im Salzkammergut geben soll, woher Spannagels Familie stammen könnte, etwa weil sie evangelische Bergleute

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Muratori und Filippi/Spannagel: Gelehrte Korrespondenz und private Dienstleistung 1710, bei Beginn der Korrespondenz, als Filippi/Spannagel unaufgefordert ein Schreiben an Muratori richtet, wendet sich letzterer gerade nach den ästhetischen und kulturpolitischen Interessen der frühen Jahre vermehrt der Geschichtsschreibung zu: durch seine Interventionen im Comacchiostreit, der 1708 mit der kaiserlichen Einnahme der kleinen Lagunenstadt beginnt, wird der Bibliothekar des Herzogs von Modena zum Sammler dynastischterritorialer Geschichtsquellen53. Die Antichità Estensi werden 1717 erscheinen und zu den gigantischen Unternehmungen der Rerum Italicarum scriptores (der erste Band erscheint 1723) und der Antiquitates Italicae (1738– 1742) überleiten. Die bis in die Gegenwart reichenden Annali d’Italia werden schließlich Muratoris historiographisches und editorisches Schaffen abschließen (1744–1749)54. Filippi trägt Muratori Materialien zu, vor allem Abschriften von Chroniken, stellt Kontakte zu lokalen Archiven und Gelehrten sowie zu adeligen Familien her, in deren Privatarchiven man auf Entdeckungen hoffen konnte oder deren Mitglieder selbst sich historiographisch betätigten, wie ein Mitglied der weitverzweigten reichsunmittelbaren Familie Malaspina55. Mit einigen von ihnen hat er Muratori persönlich bekannt gemacht, als der modenesische Gelehrte eine Rundreise über Pavia nach Sarzana und weiter in die Toskana unternahm. Die von Filippi in Genua aufgebauten Kontakte zu den Kreisen des Patriziats und zu den dort ansässigen Diplomaten wurden in der Folge auch nutzbringend für den modenesischen Gelehrten eingesetzt56.

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waren, muss Hypothese bleiben. Das Pseudonym Palignesius könnte man in Richtung der Konversion oder der Rückkehr als Wiedergeburt deuten, hätte es nicht ein zeitgenössischer Rezensent einfach als Anagramm aus Spannagels Namen gelesen, der dann allerdings Spanigel hieße: Nützliche und auserlesene Arbeiten der Gelehrten im Reich (7 Bde., Nürnberg 1733–1736) 1 36. Von hier übernommen in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, hg. von Johann Heinrich ZEDLER (68 Bde., Leipzig et al. 1731–1754) 26 330. Zuletzt MARRI, Albori (wie Anm. 3). Zu den Annali zuletzt ROSA, Rileggendo Muratori (wie Anm. 5). Zur Zusammenarbeit Muratoris mit dem Marchese Giuseppe Malaspina di S. Margherita vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) ad indicem. Wohl aus Spannagels Besitz in ÖNB Wien, Cod. 5764: Giuseppe Malaspina, Lucca provata imperiale (1718). Malaspina bemühte sich später unter Hinweis auf seine Schriften um eine Anstellung im habsburgischen Mailand, vgl. HHStA, Staatenabteilung, Genua 16, Korrespondenz Malaspinas mit Villasor, Präsident des Italienischen Rates. Im Mai 1717 erklärte sich d’Avenant bereit, die Annahme der Widmung der Antichità Estensi durch den englischen König und braunschweigischen Kurfürsten

286 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Der Gleichklang der gelehrten Interessen und der politischen Ausrichtung auf die kaiserlichen Rechte in Italien, beziehungsweise die Ablehnung der vom päpstlichen Stuhl gegenüber italienischen Fürsten erhobenen Ansprüche, war aber nicht das einzige, was Muratori und Filippi in diesen Jahren zusammenbrachte. Genauso wichtig war es dem Deutsch-Ligurier, Muratoris andere Schriften zu verbreiten: so setzte er sich für die handschriftliche Verbreitung von Muratoris Replik auf die Angriffe ein, die Giusto Fontanini, Muratoris Erzfeind in der Comacchio-Frage, gegen De ingeniorum moderatione lanciert hatte, jenes Werk des Modenesen, das aus Zensurgründen 1714 in Paris gedruckt worden war57; auch versuchte Filippi, Muratoris 1720 fertiggestelltes Werk Della carità cristiana mittels eigener Kontakte nach Rom, zu den schon erwähnten Theologen Avanzini und Selleri, durch die kirchliche Zensur zu bringen – ein Unterfangen, das wiederum an Interventionen Fontaninis scheiterte. Das Buch, das Kaiser Karl VI. gewidmet war und bereits viele später weiter entwickelte Ansätze zu einer Regolata devozione enthielt, konnte erst 1723 in Modena erscheinen58. Auf der langen Reise durch Italien, auf die noch zurückzukommen sein wird, führte Filippi/Spannagel 1720 verschiedene Werke seines Korrespondenzpartners mit sich und verschaffte sich als deren Überbringer gleichzeitig einen privilegierten Zutritt in gelehrte Milieus von Florenz oder Neapel59. Nicht überall hinterließ er bei seinen Auftritten in der Repubblica dei letterati einen günstigen Eindruck, wie wir noch sehen werden. Neben gelehrten Materialien für Muratoris große historische Werke interessierte sich Filippi/Spannagel auch für das von seinem berühmten Freund behandelte aktuelle Thema des richtigen Umgangs mit der Pestgefahr, wobei er für den Neudruck des 1714 erstmals erschienenen Governo della peste die Übersetzung eines Berichtes über die Pest in Marseille beisteuerte60.

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Georg I. zu vermitteln: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 247. Die Widmung an einen nichtkatholischen Fürsten diente wenig später als Begründung für eine Anzeige gegen Muratori bei der Inquisition von Modena: Giuseppe ORLANDI, L. A. Muratori negli archivi del Sant’Offizio Romano. La censura dei „Rerum Italicarum Scriptores“. Lateranum 65 (1999) 7–39, hier 21. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 204. Die verschiedenen Versuche, dieses Werk Muratoris einer Verurteilung zuzuführen, sind behandelt bei: Paola VISMARA, Muratori „immoderato“. Le censure romane al De ingeniorum moderatione in religionis negotio. Nuova Rivista Storica 83 (1999) 315–344 (Filippi/ Spannagel nicht erwähnt). MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 203f. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 202f. Dieser von Filippi/Spannagel übersetzte Bericht wurde erstmals der bei Vigoni und Cairolo in Mailand gedruckten Neuauflage beigegeben und findet sich auch in späteren Nachdrucken; vgl. auch oben Anm. 47.

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In den Jahren nach 1720, greift „Filippi“ selbst disparate Themen auf: so berichtet er, über Duelle geschrieben zu haben, ein Thema, das auch Muratori beschäftigt hatte (1708, Delle paci private), er versucht sich mit einer ästhetischen Schrift über die Einheit von Zeit und Raum in der Malerei, er verfasst ein Epitaph für einen in Genua verstorbenen spanischen Diplomaten, das allgemeinen Anklang findet, er verteidigt die souveränen Rechte des Dogen hinsichtlich des Zutritts zu Klöstern, und er wird zu komplizierten Ehefragen konsultiert61. Eine solche kuriose Angelegenheit führte auch 1720 zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Muratori und Filippi/Spannagel: letzterer war inzwischen – wohl über Vermittlung der Mascardi62 – als Sekretär in die Dienste des genuesischen Patriziers Gianluca Pallavicini getreten, den eine brillante Karriere schließlich auf höchste Stellen in der habsburgischen Militär- und Zivilverwaltung in Italien führen sollte. Im Auftrag des jungen Pallavicini spannte Filippi/Spannagel seinen modenesischen Korrespondenzpartner in die äußerst heikle Debatte ein, die sich um das Heiratsprojekt des Genuesen entsponnen hatte. Nicht nur erfreute sich Muratori des Rufs universeller Gelehrsamkeit, sondern auch sein Abrücken von einer restriktiven Interpretation veralteter adeliger Ehrenvorstellungen und sein Aufruf zu gütlichen Kompromissen mögen ihn als Mediator ebenso empfohlen haben wie sein Nahverhältnis zu dem bolognesischen Adeligen Giovan Gioseffo Orsi, einem Spezialisten für Ehrenfragen63. Auch dieser sollte 61 Zu der Schrift über das Duell vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 323f., 327 (im ersten Brief auch eine frühere Schrift erwähnt, die Spannagel Muratori zur Begutachtung geschickt hatte); über Spannagels Verteidigung der Rechte des Dogen: ebd. 347f.; über ein Bild mit antikisierendem Thema: ebd. 332f.; zum Epitaph: ebd. 327f. Dasselbe Epitaph sandte Filippi auch an Paolo Mattia Doria, den er in Neapel kennengelernt hatte, vgl. Giambattista VICO, L’Autobiografia, il Carteggio e le Poesie varie, hg. von Benedetto CROCE–Fausto NICOLINI (Scrittori d’Italia 11, Bari 21929) 158f., wobei er sich en passant auf ein Werk Vicos beruft, doch wird man Filippi/Spannagel deswegen nicht die Verbreitung Vicos in Genua zuschreiben können, wie dies Salvatore ROTTA, Idee di riforma a Genova e la diffusione del pensiero di Montesquieu. Il Movimento Operaio e Socialista in Liguria 7 (1961) 205–284, hier 215, getan hat. 1721 verfasste Spannagel ein Gutachten zu einem Eheprojekt, das einen über sechzigjährigen Mann und ein minderjähriges Mädchen betraf: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 328. 62 Eine Tochter der Paola Mascardi Raggi war mit einem Pallavicini verheiratet, die allerdings eine sehr weit verzweigte Familie waren. Vgl. auch MARRI–LIEBER– GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 305, zu dem Empfehlungsschreiben, mit dem Paola den Kontakt zwischen Giuseppe Pallavicini und Muratori herstellte. 63 Zu Orsis viel beachtetem Vorwort zu Agostino PARADISI, Ateneo dell’uomo nobile (Venezia 1704–1713), vgl. Claudio DONATI, L’idea di nobiltà in Italia – secoli XIV–

288 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri übrigens zu der anstehenden Frage konsultiert werden, ob es mit dem adeligen Ehrenkodex vereinbar sei, eine Dame zu heiraten, die ein Annullierungsverfahren mit seinen kompromittierenden Zeugenaussagen hinter sich hatte. Erst im Zuge der jetzigen Edition der Spannagel-Korrespondenz konnten die beiden kleinen, im Konzept in Muratoris Nachlass überlieferten, Abhandlungen als die von dem modenesischen Bibliothekar an Filippi/Spannagel gesandten Gutachten, und zugleich auch die einzigen erhaltenen Briefe Muratoris an diesen, identifiziert werden64. Der absurde und anachronistische Streit innerhalb der Familie Pallavicini gab Spannagel die Gelegenheit, auf der Suche nach weiteren gewichtigen Befürwortern eines „modernen“ Standpunkts Italien zu bereisen65. So konnte er, wie schon erwähnt, in Florenz, Rom und Neapel führende Vertreter der intellektuellen Elite kennen lernen. Die erste Station war allerdings Modena, wo er offenbar mit Muratori die von diesem und auch von Spannagel selbst entwickelte Argumentationsstrategie besprach. Das ausgezeichnete Verhältnis zwischen dem herzoglichen Bibliothekar und dem von ihm intensiv betreuten Gast wird von einem Beobachter bestätigt66.

XVIII (Roma–Bari 1988) 300f. Paradisi stammte – wie Muratori – aus Vignola und wurde von Muratori in der Pallavicini-Frage konsultiert. Orsi verbrachte die letzten zwanzig Jahre seines Lebens in Modena (1712–1733) in engem Kontakt mit Muratori, der ihm 1735 eine Biographie widmete. 64 Die beiden Schreiben Muratoris (27. Januar und 1. März 1720) wurden auf Grund der Konzepte in Modena, Biblioteca Estense, Archivio Muratoriano, Filza 44 fasc. 18 D, als an „N.N.“ gerichtet veröffentlicht in: Matteo CAMPORI, Epistolario di L. A. Muratori (14 Bde., Modena 1901–1922) 5 2019–2023 Nr. 1879, 2028–2031 Nr. 1885; jetzt MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 270–274, 278–281. Ebenfalls in Archivio Muratoriano 74/14 die dazu gehörigen Briefe Gianluca Pallavicinis an Muratori. 65 Über die von Filippi/Spannagel geknüpften Kontakte hinaus wurde auch Scipione Maffei konsultiert, doch dieser, Verfasser des weit verbreiteten Werks Della scienza chiamata cavalleresca (Roma 1710), nahm einen für Pallavicini nicht in allen Punkten günstigen Standpunkt ein, sodass Filippi/Spannagel Muratori eine Überarbeitung des Gutachtens von Maffei nahelegte, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 295. Darin hatte sich nämlich nicht nur Maffeis negative Einstellung zu den adeligen Ehrvorstellungen als Erbe eines barbarischen Mittelalters niedergeschlagen, sondern auch seine Kritik an Muratoris Introduzione alle paci private (1708) und an Paradisis Ateneo dell’uomo nobile. 66 Bericht von Muratoris Sekretär Giuseppe Bertagni vom 13. April 1720: Modena, Biblioteca Estense, Archivio Muratoriano, Filza 45, fasc. 4, gedruckt in: Lodovico Antonio Muratori. Scritti autobiografici, hg. von Tommaso SORBELLI (Vignola 1950) 153: il sig. Goffredo Filippi […] sono da dieci giorni che mattino e giorno frequenta questa biblioteca Estense, ed il sig. Muratori gli usa mille finezze, avendo la pazienza d’impiegarsi 4 o 5 ore continue alla volta nell’ascoltarlo.

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In Florenz traf Filippi/Spannagel, mit einem schmeichelhaften Empfehlungsbrief Muratoris ausgestattet, auf den großen Philologen Antonio Maria Salvini, der eine Neuausgabe von Muratoris Perfetta poesia (1706) plante. Die von Salvini verfassten Kommentare sollten eingearbeitet und für den Druck vorbereitet werden. In der an den neapolitanischen Fürsten Antonio Caracciolo gerichteten Widmung des schließlich 1724 in Venedig erschienenen Werks finden sich lobende Worte für Goffredo de Filippi, uomo di chiaro e distinto discernimento, e se mai altro degli oltramontani amantissimo della nostra lingua, der Salvini zur Fertigstellung seiner Postillen bewegt und dann einem anderen, Sebastiano Paoli, den Ruhm der Neuausgabe überlassen habe67. In Rom vernachlässigte Filippi/Spannagel neben der schon erwähnten Beschleunigung des kirchlichen Zensurverfahrens für die Carità Cristiana keineswegs den eigentlichen Zweck der Reise, die Beschaffung positiver Gutachten für die Ehefrage Pallavicinis. Das eröffnete ihm offenbar sehr positive Kontakte zu einem der bedeutendsten Kanonisten seiner Zeit, Prospero Lambertini, der zwanzig Jahre später als Benedikt XIV. den päpstlichen Thron besteigen sollte68. Während des fast vier Wochen dauernden Aufenthalts in Neapel konnte unser Rundreisender schließlich nicht nur ein Gutachten des bekannten Juristen Costantino Grimaldi einholen, das von einer Reihe hochrangiger Juristen und Vertreter des neapolitanischen Adels mitunterschrieben wurde69, wenngleich Filippis Mission angeblich auch allgemeinen Spott erregt haben soll70. Darüber hinaus konnte er wichtiges Material für die Rerum Italicarum scriptores aus dem Süden mitbringen71. In Pisa gaben angesehene Professoren der Jurisprudenz, darunter Spannagels späterer Gegenspieler Averani, ein für Pallavicini positives Parere zu Papier. In Siena schließlich traf Filippi/Spannagel den gelehrten Uberto Benvoglienti, dem seine Parteinahme für den kaiserlichen Standpunkt im Comacchiostreit sogar einen Inquisitionsprozess und einige Monate Kerker eingebracht hatten72. 67 68 69 70

MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 202f., 289. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 292. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 296f. VICO, Autobiografia (wie Anm. 61) 282: Verweis auf ein zeitgenössisches Zeugnis über die risate generali, die Filippis Mission in Neapel hervorgerufen habe. 71 Die von Spannagel in Neapel gesuchte Historia principum Langobardorum des Camillo Pellegrino (1643–1644) wurde ihm schließlich nach Genua nachgeschickt, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 306, von wo er sie Muratori zukommen ließ. Das Werk enthielt einige mittelalterliche Chroniken, darunter die Langobardenchronik des Mönches Erchempert, die Muratori im fünften Band der Rerum Italicarum Scriptores veröffentlichen sollte. 72 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 301. Zu Uberto Benvoglienti vgl. Armando PETRUCCI, Benvoglienti, Uberto, in: Dizionario biografico degli italiani, 8 (Roma 1966) 705–709.

290 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Allein die Erfüllung seines Auftrags war – bedenkt man die italienweite Reaktion auf ein für heutige und teils schon damalige Begriffe absurdes Quaesitum – ein persönlicher Erfolg für den bis dahin völlig unbekannten Goffredo de Filippi, der sich übrigens, wohl infolge seiner erkauften Würde eines Loreto-Ritters ein kleines, aber feines de zugelegt hatte. Doch auch in Hinblick auf die eigene publizistische Tätigkeit kommt der Reise durch Italiens Hauptstädte große Bedeutung zu: während er in Neapel bei seinen Gesprächspartnern den scharf antipäpstlichen Wind hatte schnuppern können, der im südlichen Königreich wehte73, hat Spannagel in Florenz wohl mitbekommen, worüber nicht nur die patriotischen toskanischen Intellektuellen und Politiker, sondern auch die europäischen Diplomaten auf den Friedenskongressen jener Jahre diskutierten, nämlich wie es mit der Toskana nach dem zu erwartenden Aussterben der Medici weitergehen sollte.

Als angehender Reichspublizist im habsburgischen Mailand Bereits Anfang 1721 ließ sich Spannagel, der sich in Genua in Folge seiner Rolle in der peinlichen Pallavicini’schen Eheangelegenheit Anfeindungen ausgesetzt fühlte74, von Muratori nach Mailand an den Senator Olivazzi empfehlen. Ein Jahr später verwendete sich auch der bereits mehrfach erwähnte englische Diplomat d’Avenant beim Grafen Hieronymus Colloredo, der 1719 sein Amt als Gouverneur angetreten hatte, und wieder bei Olivazzi für Filippi/Spannagel75. Nun kam endlich Bewegung in die Angelegenheit. Olivazzi, selbst Autor einer polemischen Schrift im Comacchiostreit76, regte eine Studie zur kaiserlichen Oberhoheit in Italien an77. Filippi 73 Dafür spricht schon, dass seine hauptsächliche Bezugsperson Costantino Grimaldi war; zu diesem RICUPERATI, Esperienza civile (wie Anm. 8) 266–271; Franco Aurelio MESCHINI, Grimaldi, Costantino, in: Dizionario biografico degli Italiani, 59 (Roma 2002) 490–495. Schon im November 1724 hatte Spannagel Giannones 1723 erschienene Istoria civile gelesen: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 374f.; RICUPERATI, Esperienza civile 244. 74 Der odio femminile, dem Filippi/Spannagel sich ausgesetzt sah, war derjenige der Mutter Gianluca Pallavicinis, die ihren rigorosen Standpunkt betreffend die adelige Ehre nicht hatte durchsetzen können: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 320; vgl. ebd. 317. 75 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 342f. Die engen Beziehungen d’Avenants zu Colloredo belegen die Korrespondenzen in ÖNB Wien, Cod. 5633, fol. 214, 216, 236–237, 257–259; sowie HHStA, Staatenabteilung, Genua 15. 76 Der Senator Giorgio Olivazzi hatte bereits im Juni 1710 eine erste, nie gedruckte Replica im Comacchiostreit verfasst, in der er den estensischen Standpunkt vertrat. 1717 erschien in Frankfurt anonym seine Memoria di quanto sia giusto e convenevole che Comacchio si conservi al Sacro Romano Impero per lo serenissimo duca di

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hielt eine Replik auf die Schrift, mit der in letzter Zeit die kaiserliche Oberhoheit in der Toskana in Frage gestellt worden war, für aussichtsreicher als die bereits von ihm begonnene Beschäftigung mit Parma und Piacenza, bei der er mit Muratoris altem Antagonisten in der ComacchioFrage, Giusto Fontanini, die Klinge hätte kreuzen müssen und sich zweifellos Ärger mit der römischen Kurie eingehandelt hätte78. Der toskanische Jurist Averani, den Filippi/Spannagel in Pisa kennengelernt hatte, hatte nämlich ein anonymes Mémoire sur la liberté de Florence publiziert, das dadurch besondere Brisanz erhielt, dass es den auf dem Kongress von Cambrai sich einfindenden Vertretern der europäischen Mächte zugespielt worden war79. Spannagel las es im August 1721 und zog daraus den Schluss, dass nicht nur die Reichspublizistik in der Frage der kaiserlichen Lehensoberhoheit in Italien versagt habe, sondern auch nicht ausreichend gefördert worden sei: È cosa chiara che l’imperio ha mai sempre fatto come fa in oggi di non curare gl’ingegni che potrebbero conservare o rinalzare le ragioni di lui. Auf die militärische Macht zu vertrauen, sei zu wenig, ja schlicht dumm. Wenn man schon nicht l’aura de’popoli, den Konsens der öffentlichen Meinung, erreichen könne, so müsse man wenigstens die intellektuelle Elite, die savi, überzeugen80. Darin sah er nun seine Berufung.

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Modena; vgl. BERTELLI, Erudizione (wie Anm. 2) 473, 479. Olivazzi fungierte auch zeitweise als modenesischer Vertreter bei Gesprächen, die der kaiserliche Unterhändler Prié in Rom wegen der Rückgabe Comacchios führte, die aber durch den Tod Josefs I. unterbrochen wurden; vgl. GÖSCHEL, Bellum diplomaticum (wie Anm. 4) 35. Weitere biographische Informationen in HHStA, Italien, Spanischer Rat, Lombardei, Korrespondenz 217. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 343f. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 344. Zu einer gleichzeitigen scharf staatskirchlichen Gelegenheitsschrift Filippis siehe oben Anm. 61. Zu dieser und ähnlichen Schriften grundlegend: Mario BENVENUTI, L’erudizione al servizio della politica: la polemica per la successione in Toscana. Nuova Rivista Storica 42 (1958) 484–506. Für die Datierung von Averanis Mémoire und seiner nachfolgenden Schrift De libertate civitatis Florentiae eiusque dominii (1722– 1723, aber im Druck auf Pisa 1721 vordatiert) vgl. Marcello VERGA, A pubblica utilità della Toscana tutta. L’ „Accademia Etrusca delle antichità ed inscrizzioni“ di Cortona nel Settecento, in: L’Accademia etrusca, hg. von Paola BAROCCHI–Daniela GALLO (Milano 1985) 23–30, hier 29; Marcello VERGA., Dai Medici ai Lorena: aspetti del dibattito politico nella Toscana del primo Settecento dall’epistolario di Bernardo Tanucci. Società e storia 29 (1985) 546–594. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 331. Das negative Urteil Spannagels bezog sich im wesentlichen auf die Promotionsschrift, die Thomas Fritsch 1721 unter dem Vorsitz von Johann Jakob Mascov vorgelegt hatte: Exercitatio iuris publici de iure imperii in Magnum Ducatum Etruriae quam in academia Lipsiensi praeside domino Joanni Jacobo Mascovio publicae disquisitioni subiicit autor et respondens Thomas FRITSCH (Leipzig [1721]).

292 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Mitte des Jahres 1722 übersiedelte Filippi nach Mailand und widmete sich intensiv seinen neuen Aufgaben. Mit deren Übernahme reihte er sich unter diejenigen ein, die in diesen Jahren versuchten, mit dem „Neoghibellinismus“, dem Nachweis kaiserlicher Rechte in Italien, zu punkten oder gar Karriere zu machen. Es sei nur an Leibniz (1713), an die Reichsjuristen Struve, Mascov und Gundling oder an Johann Jakob Moser erinnert, deren Traktate Spannagel zumindest teilweise gekannt haben dürfte81. Wieviel dem in Mailand vielfach angefeindeten Colloredo daran gelegen war, sich selbst am Wiener Hof mit einem Produkt seines neuen Protégés zu profilieren, erhellt daraus, dass er ihn zumindest ausreichend bezahlte82 und ihn ständig zur Fertigstellung seines Toskana-Traktats drängte, den er dem Kaiser anlässlich von dessen Prager Krönungsreise 1723 vorlegen wollte83. In Mailand erwuchs Spannagel allerdings auch ein Konkurrent in Martino de Colla, einem Funktionär der habsburgischen Verwaltung84, der die von Spannagel zurückgestellte Thematik der farnesischen Herzogtümer aufgriff und sich offenbar auch mit Gerede über die nicht lupenreine Vergangenheit des Konkurrenten – was immer es gewesen sein mag – vorteilhaft von diesem absetzen wollte85. Beide wetteiferten in Wien mit ihren Elaboraten um die 81 Vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 374–377: Spannagel verteidigt Muratori gegenüber die Länge seines Werks, er musste ausführlich schreiben, da die von Deutschen verfassten Schriften sehr kurz seien. Zu diesen vgl. GARMS-CORNIDES, Toskana (wie Anm. 10) 417f. Zu seiner Kopie von Gundlings Vorrede siehe oben Anm. 49. 82 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 392; vgl. auch HHStA, Italien-Spanischer Rat, Lombardei, Korrespondenz 16, Kostenaufstellung über den Gasto segreto für das Jahr 1725; allerdings erhielt Spannagel nur etwas weniger als die Hälfte des Gehalts des lang gedienten Sekretärs Ernst August Paradisies. Zu diesem vgl. ebd. Lombardei, Collectanea 28, fol. 297: Neubestellungsurkunde von 1737, die die bereits bei Colloredos Vorgänger Löwenstein geleisteten Dienste erwähnt. 83 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 362f. 84 Zu dem aus Finale (Ligure) stammenden Colla, der 1713 in habsburgische Dienste getreten war und auch an den Rerum Italicarum scriptores mitarbeitete (fünf Briefe an Muratori, 1727–1732, in Modena, Biblioteca Estense, Archivio Muratoriano Filza 61, fasc. 1) vgl. Claudio DONATI, Erudizione e pubblica felicità nella prima metà del Settecento in Italia, in: Storia religiosa dell’Austria, hg. von Ferdinando CITTERIO–Luciano VACCARO (Europa ricerche 4, Milano 1997) 169–197, hier 182– 184, 195. Hier auch der Hinweis auf: Assunta Maria LEONE, Una carriera per gli Asburgo: Martino de Colla (1667–1743) (ungedr. Dipl. arb., Mailand 1991/1992). Zu Collas Rolle als von der habsburgischen Regierung eingesetzter Zensor für die Rerum Italicarum scriptores vgl. ORLANDI, Muratori (wie Anm. 56) 8. 85 Martino Felice DE COLLA, Apologia per la scrittura pubblicata in Milano l’anno 1707, ed Osservazioni critiche sopra l’Istoria del dominio temporale della sede apostolica sul ducato di Parma e Piacenza pubblicata in Roma l’anno 1720, e sopra

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Gunst der höchsten Vertreter der kaiserlichen Behörden – des Reichsvizekanzlers Schönborn oder des Reichshofrats und nachmaligen Präsidenten des höchsten Reichsgerichts, Wurmbrand. Spannagel hatte allerdings den Vorteil – oder es mochte ihm zunächst so erscheinen –, dass er sein Werk vorab dem verehrten Mentor Muratori unterbreiten und so größere Fehler vermeiden konnte.

Wissenschaft und Politik im Dialog Spannagels mit Muratori Schon vor der Übersiedlung nach Mailand konnte Spannagel eine erste programmatische Kostprobe seiner publizistischen Aufgabe nach Modena schicken, die Adversaria ad methodum recte instituendam vindicandi ius summum imperii in ditiones Italicas superioritatem idoneam, eine Schrift, die wie die meisten von Spannagels Elaboraten nie gedruckt wurde86. Wichtig war ihm dabei nicht nur die historische Argumentationsmethode87, wie er sie von Muratori gelernt hatte, sondern auch die Einbeziehung der deutschen Reichspublizistik, die – wir haben es schon gehört – bisher versagt habe88. Insbesondere bat er inständig um Muratoris Meinung und auch Hilfe zu seinem im Entstehen begriffenen Hauptwerk, der Notizia della vera libertà fiorentina considerata ne’ suoi giusti limiti, per l’ordine de’ secoli. Con la sincera disamina, e confutazione delle scritture, e tesi, che in vari la dissertazione istorico-politica e legale della natura e qualità delle città di Piacenza e Parma (Milano 1727). 1725 musste Colla befürchten, von dem Tirolese überholt zu werden, der unter Benützung von Collas Argumenten eine Schrift zu Parma plane: Brief an Rialp 21. Mai 1725, siehe oben Anm. 49; ein anderes, undatiertes Mémoire in HHStA, Italien, Spanischer Rat, Lombardei, Collectectanea 21; in HHStA, Handschriften W 556 und B 537, vermutlich Schriften Collas. Zu Spannagels Opus über Parma vgl. oben Anm. 12. 86 ÖNB Wien, Cod. 15301 (mit leicht verändertem Titel), spricht sowohl die Problematik von Florenz wie die der farnesischen Herzogtümer an. In einem Schreiben an Muratori bezeichnet Spannagel die Schrift als sein tirocinio, vgl. MARRI–LIEBER– GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 344. In der gleichen Zeit versucht er sich auch an einer Darstellung des Reichsvikariats für Italien, vgl. ebd. 389, und ÖNB Wien, Cod. 5550–5551. 87 Methodisch interessant ist die Suche Spannagels nach Quellen für den Zeremonialstreit zwischen Ferrara und Florenz anlässlich der Hochzeiten mit Kaisertöchtern (1565), vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 359f. 88 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 331: Il raciozinio e lo ius pubblico fornisce argomenti abondantissimi, ma questi vogliono essere corredati dalla storia di vari tempi, luoghi ed autori. Il fidarsi nelle sole sciable è grande stolidità; ci vuole l’aura de’ popoli, o almen il consenso de’ savi, e questi bisogna convincerli colle ragioni.

294 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri tempi ed a’ nostri dì sono state pubblicate per negare, ed impugnare i sovrani diritti degli augustissimi imperadori, e del sacro romano impero, sovra la città, e lo stato di Firenze, e il Gran Ducato di Toscana89. Die Fertigstellung der wie der Titel auch insgesamt monströs langen Schrift von insgesamt 1400 Seiten, die zwischen 1723 und 1726 in 100 Exemplaren in Mailand gedruckt wurde90, verzögerte sich allerdings immer wieder, sodass Muratori sie nur sehr partiell zu sehen bekam. Andererseits konnte Spannagel die Einwände seines Korrespondenzpartners angeblich in Folge des Zeitdrucks, der sich aus der politischen Aktualität des Themas ergab, gar nicht einarbeiten und hätte es wohl auch nicht gewollt, denn in seinen Antwortschreiben verteidigte er wortreich seine Sichtweise gegen diejenige Muratoris91. Aus den Schreiben, mit denen Spannagel Muratoris Einwände zu entkräften sucht, erkennt man seine Suche nach einzelnen aussagekräftigen Dokumenten, und als sich manche erwünschte nicht finden lassen, die Hinwendung zu eher spitzfindigen Argumentationen, mit denen er die Grauzone nicht formell erneuerter Belehnungen als argumentum ex silentio überspielen möchte. Muratori hatte sich schon in den vorangehenden Jahren gelegentlich gegen die Vermutung gewehrt, er suche in ganz Italien Quellen per promuovere i diritti imperiali o che almeno, s’io non ho tal disegno, i documenti stessi ch’io desidero potessero, senza ch’io ci pensassi, promuovere essi diritti, e nuocere in qualche parte quella libertà, che costì [Lucca] quietamente si gode. Ed io rispondo con tutti i più santi giuramenti d’esser lontanissimo da così fatto disegno, ed incapace di tanta indegnità92. Die von Spannagel prophezeite gloria maxima des Kaisers in der militärischen Auseinandersetzung mit dem bourbonischen Angriff auf Sizilien stimmte ihn skeptisch93 und so ist es nur folgerichtig, dass er Spannagel vorwirft, die relative Unabhängigkeit der italienischen Fürsten, ihre specie di sovranità herab zu setzen, die sie, wenngleich Reichsvassallen, doch auszeichne94. Nach Erscheinen der Notizia leugnete Muratori folgerichtig jede Implikation in dieses Werk, um nicht die guten Kontakte in die Toskana zu riskieren, 89 Ausdrückliche Bitten um Beistand Muratoris als correttore, rivisore e maestro in: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 344; vgl. auch ebd. 345f. 90 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 391. 91 Zum Beispiel MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 374–377. 92 CAMPORI, Epistolario (wie Anm. 64) 5 1829–1831 Nr. 1657, an Genesio Ambrogio Calchi in Lucca (14. August 1716). Ähnlich gleichzeitig an Tommaso Del Bene, Rat des Großherzogs Cosimo III. in Florenz, die Toskana betreffend: ebd. 1832 Nr. 1659. 93 Vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 254: Te leniori esse sententia existimo de rerum summa deque imperatoria auctoritate, offenbar bezogen auf eine Bemerkung Muratoris zu Spannagels siegessicheren Äußerungen (ebd. 252). 94 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 404f.

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die ihm für die eigene Arbeit wichtig waren95. Ja noch mehr: sein eigenes Projekt einer Sammlung der für Italien gültigen Reichsgesetze – ein Projekt, das er interessanterweise Spannagel gegenüber verschwiegen zu haben scheint – verschwand in der Schublade, denn Muratori befürchtete einen abuso zum Nachteil der italienischen Fürsten in ihrer Eigenschaft als Reichsvassallen96. Claudio Donati hat auch auf die subtile Formulierung der Widmung an Karl VI. hingewiesen, die Argelati, sicher nicht ohne Wissen Muratoris, der Sigonio-Edition von 1732 vorangestellt hat97: Von der Gegenüberstellung von Occidentalis imperii et Italiae n o s t r a e historia und Sacri Romani imperii t u i origo et iura ist es nur mehr ein Schritt zur bewegten Klage Muratoris im letzten Band der Annali d’Italia, wo er von dem unerklärlichen Unglück Italiens spricht, das nach und nach seine natürlichen Fürsten verloren habe. Am ärgsten sei es wohl den Einwohnern der Toskana ergangen, die sich in der Hoffnung gewiegt hätten, zur Staatsform einer Adelsrepublik zurückkehren zu können. Sie hätten nicht nur ihre Fürsten aus dem Hause Medici verloren, die das Land zu großem Glanz geführt hatten – nein, sie hätten jetzt sogar einen Fürsten, der nicht einmal in Italien residiere98. In einem anderen Punkt dürften Muratori und Spannagel über die habsburgische Italienpolitik gleichermaßen enttäuscht gewesen sein: die Rückgabe Comacchios an den Heiligen Stuhl wird zumindest von Spannagel mit bitteren Worten kommentiert99. Dass immer wieder lange Pausen in der Korrespondenz eintreten, sollte man allerdings nicht als Zeichen beginnender 95 Muratori an Anton Francesco Marmi, vgl. Corrado VIOLA, Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori, 28: Carteggi con Mansi ... Marmi (Firenze 1999) 416 Nr. 237. 96 DONATI, Erudizione (wie Anm. 84) 181f. Möglicherweise hat Muratori das Projekt in Folge der von Garelli geäußerten Skepsis über dessen Opportunität fallen gelassen: Pio Nicolò Garelli an Muratori, Oktober 1726, Modena, Biblioteca Estense, Archivio Muratoriano 65.24. 97 DONATI, Erudizione (wie Anm. 84) 182. Sperrung im folgenden Zitat von den Autoren. 98 Lodovico Antonio MURATORI, Annali d’Italia (12 Bde., Milano [recte Venezia] 1744–1749) 12 232; vgl. Franco VENTURI, Settecento riformatore, 1: Da Muratori a Beccaria (Biblioteca di cultura storica 103, Torino 1969) 46. Sehr interessante Detailbeobachtungen zu diesem Prozess in: ROSA, Rileggendo Muratori (wie Anm. 5); DONATI, Erudizione (wie Anm. 84) 181f.; vgl. auch Claudio DONATI, Tra urgenza politica e memoria storica: la ricomparsa dei ghibellini (e dei guelfi) nell’Italia del primo Settecento, in: Guelfi e ghibellini nell’Italia del Rinascimento, hg. von Marco GENTILE (I libri di Viella 52, Roma 2005) 109–128. 99 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 376. Weder Muratori noch Spannagel dürften sich über das „Gegengeschäft“, die Anerkennung der Monarchia Sicula durch den Papst, im Klaren gewesen sein, vgl. ebd. 209.

296 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri Entfremdung werten100: stets von neuem versichert Filippi/Spannagel, Muratoris Bedenken nicht als kränkend zu empfinden und sein andauernder Einsatz für die Rerum Italicarum Scriptores und andere Belange seines Briefpartners spricht dafür. So riskiert er sogar eine Verstimmung seines ehemaligen Dienstherrn Pallavicini, um Muratori mit genuesischen Quellen zu versorgen und das mag ihm um so leichter gefallen sein, als er sich nunmehr der Protektion Colloredos und Schönborns sicher glaubte101. Kaum war die Notizia fertig gedruckt, hatte er schon die nächste, diesmal glücklicherweise wesentlich kürzere Abhandlung fertig, mit der er das Recht Karls VI. auf eine eigene Kolonialpolitik verteidigte102. Nahezu gleichzeitig konnte er Muratori den großen Karrieresprung verkünden, wobei er den Mund wohl etwas zu voll nahm, denn davon, dass er Präfekt der Hofbibliothek werden sollte, war wohl nie die Rede gewesen und er sollte es auch nach dem Tod Garellis nicht werden103. Dass sich Muratori bei dem tatsächlichen Präfekten, Garelli, für ihn eingesetzt hatte, quittierte Filippi, der nun schon sein Pseudonym abzulegen begann104, zwar mit Dank, aber auch mit dem Hin100 Vgl. zum Beispiel die lange Pause zwischen August 1722 und April 1723, als Muratori anfragt, ob Spannagel etwa beleidigt sei: MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 361. 101 Unterstützung erfuhr Spannagel auch durch Colloredos Sekretär Paradisies, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 363. 102 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 406, 28. Mai 1726. Das Werk wurde kurz vor Spannagels Abreise aus Mailand durch den Gouverneur Daun nach Wien gesandt, um dort nach Billigung durch den Kaiser gedruckt zu werden: HHStA, Italien, Spanischer Rat, Lombardei, Korrespondenz 46, Daun an den Kabinettssekretär Imbsen, 20. April 1726. Da keine Bedenken bestanden (vgl. ebd. Imbsen an Daun, 29. Mai 1726), konnte die Schrift bald erscheinen: La verité du fait, du droit et de l’interêt de tout ce qui concerne le commerce des Indes, établi aux Païs Bas Autrichiens par octroi de sa majesté imperiale et catholique (o.O. 1726). Ein Exemplar (ohne Identifizierung des Autors) vorhanden in ÖNB Wien, 48.Q.3.(5). Im Dezember 1726 sandte der päpstliche Nuntius Grimaldi ein Exemplar nach Rom, ohne Angaben über den Autor machen zu können: ASV, Segreteria di Stato, Germania 282, fol. 747–794. 103 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 407. Garelli spricht in seinem in Anm. 19 zitierten Brief wohlmeinend von einem Missverständnis, dem Filippi/Spannagel aufgesessen sei. Noch 1741 berichtet Gian Domenico Brichieri Colombi aus Wien an Muratori, dass man von einem Avancement Spannagels munkele, vgl. Fabio MARRI–Barbara PAPAZZONI, Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori, 10/1: Carteggio con G. Domenico Brichieri Colombi (Firenze 1999) 145 Nr. 52. 104 Dem Grafen Daun muss Filippi seinen wahren Namen bereits geoffenbart haben, vgl. dessen Brief an Imbsen vom 20. April 1726 (wie oben Anm. 102). Noch vor seiner Abreise aus Mailand unterzeichnet Spannagel seine Briefe an Bini (siehe unten Anm. 105) mit Goffredo Filippi de Spannagel (ab Februar 1726). In der Gazetta di

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weis, dass seine Übersiedlung nach Wien auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers stattfinde105. Tatsächlich hatte sich der Nachfolger Colloredos als Gouverneur von Mailand, Graf Wirich Daun, energisch am Kaiserhof für Spannagel eingesetzt und diesen alternativ zur Hofbibliothek auch für den Reichshofrat empfohlen106.

Vom Reich zu den Erblanden: Spannagel und die österreichische Geschichte Die Wiener Jahre und die Hinwendung Spannagels zur österreichischen Geschichte sind dank der großen Studie von Stefan Benz und des Aufsatzes von Brigitte Mazohl und Thomas Wallnig der bekannteste Teil seiner intellektuellen Biographie und wir können uns daher kurz fassen, auch wenn man sagen muss, dass die nahezu 120 Codices des handschriftlichen Nachlasses nach wie vor einer gründlichen Bearbeitung bedürfen107. Anfang Mantova (eigentlich Foglio di notizie) Nr. 37 erschien am 13. September 1726 eine Notiz mit Nennung des richtigen Namens, auf die Filippo Argelati Muratori fünf Tage später hinwies: Cristiana VIANELLO, Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori, 3: Carteggio con Filippo Argelati (Firenze 1976) 252 Nr. 258. Die Zeitungsmeldung ist für Spannagel derart schmeichelhaft, dass man annehmen kann, er selbst habe sie lanciert. Zwanzig Jahre später konnte sich Pietro Ercole Gherardi, der mit Muratori und Spannagel 1714 in Sarzana zusammengewesen war, an dessen „wahren Namen“, das heißt an „Filippi“, nicht erinnern: Guido PUGLIESE, Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori, 20: Carteggio con Pietro Ercole Gherardi (Firenze 1982) 337 Nr. 373. 105 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 410. Aus der im Erzbischöflichen Archiv von Udine verwahrten Korrespondenz Spannagels mit dem ehemaligen Sekretär des Gouverneurs Colloredo, dem Abate Giuseppe Bini, kann man allerdings ersehen, dass trotz dieser triumphalistischen Töne die Zukunft des ehemaligen Filippi noch keineswegs gesichert war: Udine, Archivio Capitolare, Lettere erudite all’abate Bini XXII (P–Z), insgesamt 13 Briefe zwischen 1722 und 1726. 106 HHStA, Italien, Spanischer Rat, Lombardei, Korrespondenz 46, Daun an Imbsen, 20. April 1726. Daun zog auch eine Anstellung Spannagels im Mailänder Magistrato Ordinario in Betracht, ebd. 18. Mai und 8. Juni 1726. 107 BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 51) 418–421, mit Aufarbeitung der älteren Literatur; Brigitte MAZOHL-WALLNIG–Thomas WALLNIG, (Kaiser)haus – Staat – Vaterland? Zur „österreichischen“ Historiographie vor der „Nationalgeschichte“, in: Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs, hg. von Hans Peter HYE– Brigitte MAZOHL-WALLNIG–Jan Paul NIEDERKORN (Zentraleuropa-Studien 12, Wien 2009) 45–72, hier 60–64.

298 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri 1727 erfolgte die ersehnte Ernennung zum Kustos der Hofbibliothek, wobei das beschämende „zweiter Kustos“ in ein ehrenvolleres „deutscher Kustos“ (im Gegensatz zu dem Exil-Neapolitaner Nicola Forlosia, dem italienischen Kustos) umgewandelt wurde108. Das von Spannagel beklagte niedrige Gehalt wurde nach dem Tod des Hofhistoriographen Freiherrn von Dumont durch die Zuweisung dieses Postens aufgebessert. Zunächst erscheint Spannagel noch seinen früheren Lieblingsthemen verhaftet, der Hochsaison kaiserlicher Gewaltausdehnung auf der Apenninenhalbinsel und der Denunzierung päpstlicher Übergriffe. Dazu bot sich eine Biographie Josephs I. an, für deren Abfassung, wie Benz aus den Papieren Spannagels rekonstruiert hat, der direkte Kontakt zum Umkreis der Kaiserin-Witwe Amalia essentiell war. Ein aus den Vorarbeiten an diesem Projekt entstandenes Pamphlet soll 1730 beim Konklave zirkuliert haben109. Echtes Interesse konnten aber derlei Schriften nicht mehr beanspruchen und so sah sich Spannagel genötigt, sich Forschungen zuzuwenden, die der aktuellen politischen Fragestellung der habsburgischen Sukzession gewissermaßen zuarbeiteten, insbesondere auf dem Gebiet der Genealogie: die angeblich direkt vom kaiserlichen Hof veranlassten, gegen den bayerischen Geheimrat Franz Xaver Wilhelm gerichteten und mit fingiertem Druckort und unter dem Pseudonym Palignesius veröffentlichten Monita genealogica autori vindiciarum arboris genealogicae augustae gentis Carolino-Boicae […] von 1732110 gehören hierher ebenso wie die Polemik gegen Marquard Herrgotts Genealogia diplomatica augustae gentis Habsburgicae. Spannagels Beschäftigung mit dem dominanten Thema jener Jahre, der Pragmatischen Sanktion, führte ihn immer mehr von seiner am ius publicum des Reichs orientierten Kaisergeschichte zu einer österreichischen Geschichte, die nun aber nicht eine Geschichte 108 HHStA, OmeA, Protokoll 11, 48. 109 ÖNB Wien, Cod. 5546–5547; vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 51) 419; TSCHOL, Spannagel (wie Anm. 7) 215–217. 110 Alestadii, ex officina Agheleni 1732, vgl. oben Anm. 52 zum fiktiven Druckort. „Agheleni“ bezieht sich auf den Wiener Drucker und Verleger Ghelen. Zu Wilhelm und Spannagels Replik vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 51) 508–514. Es handelt sich wohl um die letzte Produktion Spannagels, die er Muratori zukommen ließ, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 414. Der päpstliche Nuntius Passionei, der die anonyme Schrift umgehend nach Rom schickte, bezeichnet sie als Auftragswerk des Hofs: ASV, Segreteria di Stato, Germania 289, fol. 264. 1733 zählte Friedrich August Harrach Spannagel unter die wenigen nennenswerten savants, denen man in Wien begegnen könne: Elisabeth GARMS-CORNIDES, On n’a qu’a vouloir, et tout est possible oder i bin halt wer i bin. Eine Gebrauchsanweisung für den Wiener Hof, geschrieben von Friedrich August Harrach für seinen Bruder Ferdinand Bonaventura, in: Adel im „langen“ 18. Jahrhundert, hg. von Gabriele HAUG-MORITZ–Hans Peter HYE–Marlies RAFFLER (Zentraleuropa-Studien 14, Wien 2009) 89–111, hier 104.

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des Hauses Österreich in der Art seiner Kaiserbiographien sein sollte, sondern eine österreichische Staatsgeschichte, eine Histoire civile et d’état, wie eine der unzähligen Titelvarianten in den umfangreichen Vorarbeiten lautet, durch die eine Einheit der nachmalig habsburgischen Territorien seit der Römerzeit bis zur Pragmatischen Sanktion postuliert wurde. Neben Giannones Storia civile del regno di Napoli (1723) dürfte auch Calmets Histoire ecclésiastique et civile de la Lorraine (Nancy 1728) ein unmittelbares Vorbild gewesen sein, da Spannagel diesem eine der ersten Versionen zur Begutachtung vorgelegt hat, nachdem er Calmets Werk bereits für seine Polemik gegen Herrgott verwendet hatte111. In dem vom kurzem endlich erschienenen Aufsatz von Brigitte Mazohl und Thomas Wallnig ist das Werk ausführlich analysiert112. Im Zusammenhang dieses Beitrags, der in erster Linie Spannagels Verbindung mit Muratori thematisiert, fällt der Parallelismus zu Muratoris letztem Werk, den Annali d’Italia, auf: beides sind, wenn man so will, Landesgeschichten, Geschichten eines Landes oder einer Ländergruppe, die aus je verschiedenen Gründen als Einheit oder vielleicht Einheit in der Vielfalt begriffen werden soll.

Spannagels Kontakte zu Muratori in der Wiener Zeit Spannagels vielfache Beschäftigungen in Wien führten dazu, dass der Dialog mit Muratori fast verstummte, worüber sich dieser gegenüber verschiedenen Korrespondenten, darunter dem modenesischen Geschäftsträger in Wien, Giuseppe Riva beklagte113. Letzterer hielt aber die Kontakte zu dem Biblio111 RICUPERATI, Esperienza civile (wie Anm. 8) 244f. Das Begriffspaar historia civilis als Pendant zu historia ecclesiastica, historia sacra, historia geographica, auch historia litteraria findet sich mehrmals in Buchtiteln des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Zu Spannagels Verwendung von Calmets Histoire vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 51) 452f. 112 MAZOHL-WALLNIG–WALLNIG, (Kaiser)haus – Staat – Vaterland (wie Anm. 107) 60– 64; vgl. auch GARMS-CORNIDES, Reichsitalien (wie Anm. 10) 491–494. 113 So schrieb Muratori am 14. September 1730 an Riva, er sei überzeugt vom continuato buon cuore del signor Spanagel, der versprochen hatte, sich auch um le monete de’ secoli di mezzo zu kümmern, und er bat Riva, dem Kustoden der Hofbibliothek und der degnissima sua consorte respektvolle Grüße auszurichten, vgl. CAMPORI, Epistolario (wie Anm. 64) 7 2936 Nr. 2959. Am 28. November 1731 hakte Muratori nach und bat Riva, einen neuen Versuch bei dem carissimo sig. Spanagel, zu unternehmen, dem er gerne sein ewiges Schweigen verzeihen wolle. Diesmal ging es um Materialien für den Novus thesaurus veterum inscriptionum (ebd. 3016 Nr. 3078) – auch diesmal anscheinend erfolglos, da es zu einer neuen, nun schon ungeduldigeren Anfrage bei Riva kam: Ma gran cosa che il signor Spanaghel non si ricordi più di me, né mi ha più scritto, con tuttochè passasse fra noi tanta strettezza d’amicizia.

300 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri thekar und vor allem zu dessen Frau, der signora Paoletta, spiritosa dama, aufrecht, um so mehr als beide in den gleichen Salons der Wiener italienischen Kolonie verkehrten114. Dass man in Spannagels Haus nur italienisch spreche, wurde von einem Korrespondenten Gottscheds mit Missbilligung vermerkt, doch schiebt er die Schuld daran auf die vornehme und schöne Genueserin, die Spannagel geheiratet habe115. Sieben Jahre und drei Wochen liegen zwischen dem letzten erhaltenen Brief Spannagels aus Mailand und dem ersten aus Wien. Nun unterschreibt er mit seinem neuen/alten Namen, dem er ein adeliges „von“ (di) vorausschickt und dazu gelegentlich als Amtstitel istoriografo e consigliere di sua Mi dica di grazia se sa come io stia di presente nella sua memoria e nel suo cuore. Veramente io non ho mai scritto a lui, perché non ne ho avuta occasione; ma egli l’aveva bene di notificarmi gli avanzamenti delle sue fortune costì (ebd. 3107 Nr. 3217, 10. Januar 1733). Aber auch sonst scheint Spannagel seine Kontakte zu Personen aus seinem früheren Leben nicht gepflegt zu haben. 1728 reiste Giovanni Lami, später eine wichtige Figur im Florentiner Kulturleben, mit Gianluca Pallavicini, dem er als Sekretär diente, nach Wien, doch findet sich kein Hinweis auf ein Zusammentreffen zwischen Pallavicini und Spannagel, noch wird letzterer überhaupt erwähnt: Maurice VAUSSARD, Les lettres viennoises de Giovanni Lami. Revue des études italiennes N. S. 2 (1955) 154–183. 114 Muratori an Riva, Epistolario (wie Anm. 64 und 113) 7 2879 (Nr. 2879), 5. Januar 1730. Riva machte Spannagels Frau ein wenig den Hof, vgl. Ercole SOLA, Curiosità storico-artistico-letterarie tratte dal carteggio dell’inviato estense Giuseppe Riva con Lodovico Antonio Muratori. Con giunte e note illustrative. Atti e memorie delle RR. Deputazioni di Storia patria per le provincie modenesi e parmensi Ser. III 4 (1886) 197–392, hier 362; vgl. ebd. 357: hohes Lob für deren Bildung und Witz. Eine Anspielung auf Spannagels gesellschaftlichen Umgang mit den Italienern im Umkreis des Hofes findet sich in einem Brief Apostolo Zenos an Muratori vom 28. Juli 1731: Monsignor di Apollonia [Giuliano Sabbatini, Titularbischof von Apollonia, modenesischer Gesandter in Wien], i signori Riva, Spanagel e Metastasio vi risalutano con ogni affetto ed ossequio: Anna BURLINI CALAPAJ, Edizione nazionale del carteggio di L. A. Muratori, 46: Carteggi con Zacagni ... Zurlini (Firenze 1975) 375 Nr. 209. Kurz nach dem letzten erhaltenen Brief Spannagels an Muratori – MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 418 – vom 3. Dezember 1737 schickte der Hofbibliothekar über Riva Grüße an Muratori, auch im Namen von Frau und Tochter: Modena, Biblioteca Estense, Autografoteca Campori, 27. Januar 1738. Allerdings findet sich weder in der Korrespondenz Metastasios noch in den Aufzeichnungen des piemontesischen Gesandten am Kaiserhof, Luigi Malabaila di Canale, ein Hinweis auf deren Bekanntschaft mit Spannagel. Zu Letzterem vgl. Ada RUATA, Luigi Malabaila di Canale. Riflessi della cultura illuministica in un diplomatico piemontese (Deputazione Subalpina di Storia Patria N. S. 12, Torino 1968), insb. 53: eine Aufzeichnung Canales betreffend das zum Verkauf angebotene ouvrage complet de Spanaghen; gemeint ist wohl die mehrbändige Notizia. 115 Brief Clauders an Gottsched, 11. Januar 1736: DÖRING et al., Gottsched Briefwechsel 4 (wie Anm. 49) 14.

Il misterioso Filippi 301

maestà imperiale e cattolica anführt116. Allerdings dürfte an dieser zögerlichen Wiederaufnahme der Kontakte auch die schlechte Postsituation in den Jahren des Polnischen Erbfolgekrieges mit schuld sein, denn als der Hofbibliothekar im Sommer 1733 mehrere Exemplare von Bessels Chronicon Gotvicense an Muratori für diesen selbst und für eine Art kommissarischen Verkauf schickte, war schon ein Bücherpaket mit seinen eigenen Monita genealogica und den von Bessel edierten Epistolae anecdotae sancti Augustini verloren gegangen117. Wie man zwei weiteren, eher kurzangebundenen Briefen Spannagels von 1737 entnehmen kann, hatte diese Werbeaktion nicht funktioniert, niemand hatte für die Exemplare bezahlt und die Angelegenheit sollte nun in die Hände des venezianischen Verlegers Albrizzi gelegt werden118. In den letzten Lebensjahren unserer beiden ehemals so eifrigen Korrespondenzpartner – Muratori sollte im Januar 1750 ziemlich genau ein Jahr nach Spannagel sterben – kam es nicht mehr zu direkten Briefkontakten, auch wenn sich Spannagel für die Vermittlung einer Widmung der Antiquitates Italicae eingesetzt haben dürfte119. Doch meinte Muratori noch immer, für eine eventuelle Hilfestellung in österreichischen Bibliotheken und Sammlungen auf Spannagels Hilfe zählen zu können – eine optimistische Sicht, von der ihn einer seiner letzten Korrespondenten aus Wien, der junge Jurist Domenico Brichieri Colombi, energisch abzubringen suchte: „Macht euch keine Hoffnungen auf den Baron Spannagel. Ehrlich gesagt, stellt euch darauf ein, dass er der Ursprung aller dieser Scherereien ist [Muratori war wegen einer an den italienischen Kustos Forlosia gerichteten Anfrage, lateinische Inschriften aus Kärnten betreffend, enttäuscht]. Er möchte alles in der Bibliothek für sich reservieren und war immer dagegen, wenn ihr um etwas gebeten habt“120 – ein negatives Urteil über Spannagels Charakter, das auch von anderen Zeitgenossen bestätigt wird121. 116 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 410–418, consigliere ebd. 413 und 414; dazu vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 51) 418. Hin und wieder fügt er auch Grüße von seiner Frau, der marchesa Paula, an, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 417. 117 Die vorangegangene Büchersendung war über Giuseppe Antonio Sassi, mit dem Spannagel in Mailand für die Rerum Italicarum scriptores zusammengearbeitet hatte, sowie über Riva und über den modenesischen Gesandten Sabbatini gelaufen, vgl. MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 410f., 414f. 118 MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 417f.; zum unglücklichen Ausgang der Angelegenheit vgl. ebd. 214. 119 CAMPORI, Epistolario (wie Anm. 64) 8 3567f. Nr. 3653, 30. Mai 1736 (Muratori an Riva); MARRI–LIEBER–GIANAROLI, Corrispondenza (wie Anm. 6) 214. 120 MARRI–PAPAZZONI, Carteggio 10/1 (wie Anm. 104) 84 Nr. 29 (Muratori an Brichieri Colombi, 18. Januar 1741), 86 Nr. 30 (Brichieri Colombi an Muratori, 1. Februar 1741). 121 SOLA, Curiosità (wie Anm. 114) 356f., 375f.; vgl. ebd. 373: Spannagel beuge sich nur

302 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri

Zusammenfassung Sollen wir mit diesem Misston aufhören? Endet so eine drei Jahrzehnte dauernde Zusammenarbeit, ja Freundschaft zwischen zwei grundverschiedenen, aber durch gemeinsame Interessen verbundenen Gelehrten – wenn wir denn den selbsternannten Reichspublizisten und vermutlichen Autodidakten Spannagel als einen solchen bezeichnen wollen? Spannagels Pech war es, dass sich die politischen Rahmenbedingungen für seine Forschertätigkeit geändert hatten. Der scharfe Konfrontationskurs gegenüber dem Papsttum hatte schon ab der Mitte der zwanziger Jahre nachgelassen und sollte erst unter geänderten Prämissen am Ende der fünfziger Jahre wieder auferstehen. Spannagels Spezialgebiet, die kaiserlichen Prärogativen gegenüber der Mehrzahl der italienischen Staaten, wurde in Anbetracht der ständig wechselnden Bündniskonstellationen und Planungen für eine Neuordnung Italiens zunehmend obsolet, ja inopportun und zudem nach dem Tod Karls VI. und der Wahl des bayerischen Kandidaten aus österreichischer Sicht geradezu kontraproduktiv. Das zeigt der Vergleich mit dem aus Neapel nach Wien geflüchteten Giannone, mit dem ebenfalls als eingefleischten Antikurialen bekannten abate Biagio Garofalo oder mit verschiedenen Reichspublizisten, wie dem Sachsen Gottfried Ernst Fritsch oder dem Schlesier Johann Caspar von Pogarell, denen insgesamt eine große Karriere am Wiener Hof oder in den Reichsbehörden verwehrt blieb122. Spannagel erkannte zwar, welche Forschungsthemen für die Politik im letzten Jahrzehnt der Regierung Karls VI. aktuellen Wert hatten, war aber offenbar geistig nicht mehr in der Lage, sie in vor Garelli potente e misantropo. In seinem Brief an Tartarotti beschreibt Buffa Spannagel als einen extrem eitlen Menschen, der andere für sich arbeiten lasse, um sich mit falschen Meriten zu schmücken: Rovereto, Biblioteca Civica, Ms. 6.14, fol. 240. Das Urteil des Reichshofratsagenten Muneretti über Spannagels Eitelkeit, der sich allen lebenden und auch den meisten verstorbenen letterati überlegen fühle, schlägt in die gleiche Kerbe; vgl. oben Anm. 31. Auch der heftige Streit mit Fabio Ricci, dem Mann der frühverstorbenen Tochter Spannagels aus der Ehe mit Paola Mascardi, in den der kaiserliche Bibliothekar zum Zeitpunkt der Abfassung seines Testaments (1748) verwickelt war, wirft ein zumindest zweifelhaftes Licht auf Spannagels Charakter: HHStA, OMaA 638. 122 Zu den beiden Letzteren: GARMS-CORNIDES, Reichsitalien (wie Anm. 10) 471–485, 488–490. Zu Giannone vgl. RICUPERATI, Esperienza civile (wie Anm. 8); zu Garofalo vgl. Eugenio DI RIENZO, Garofalo, Biagio, in: Dizionario biografico degli Italiani, 52 (Roma 1999) 362–364, und speziell zu dessen Wiener Jahren Elisabeth GARMS-CORNIDES, Zur Geschichte der geistigen Beziehungen zwischen Österreich und Italien im 18. Jahrhundert: der Abate Biagio Garofalo. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 85 (1977) 77–97. Garofalos Korrespondenz mit Muratori wird voraussichtlich 2011 als Band 19 der Edizione Nazionale del Carteggio di L. A. Muratori, hg. von Ennio FERRAGLIO, erscheinen.

Il misterioso Filippi 303

schlagkräftiger Form zum Druck zu bringen, mit Ausnahme der PalignesiusSchrift, die immerhin ein gewisses Echo auslöste123. Muratoris Glück war es dagegen, dass er ab den späten dreißiger und den vierziger Jahren für seine letzten großen Schriften in Wien, aber auch in Salzburg, in Passau und Mähren, auf eine neue Generation von begeisterten Lesern und eifrigen Propagatoren zählen konnte, die er zum Teil auch persönlich kannte124. Sie vermittelten für Muratori Buchwidmungen, sie planten Übersetzungen, sie identifizierten sich mit den in Schriften wie der Regolata devozione oder der Pubblica felicità vorgegebenen Reformzielen, in denen nun Geschichte nicht mehr als Quellensammlung oder als quellengestützte Argumentationsbasis für Herrschaftsansprüche, sondern als Entwicklung der Formen menschlichen Zusammenlebens in Kirche und Staat begriffen wurde, die es von historisch bedingten Verkrustungen zu befreien und, eventuell im Rückgriff auf frühere theologische Positionen oder Frömmigkeitsformen, der Zeit anzupassen galt. All das hat Muratori in der historischen Forschung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts den Ruf eines geistigen Vaters des Josephinismus eingetragen125. Spannagels historische Kultur, wie er sie noch in den dreißiger Jahren den Töchtern Karls VI. vermittelt hatte, muss dagegen hoffnungslos veraltet ausgesehen haben.

Abstract Many unresolved questions remain regarding the biography of Gottfried Philipp Spannagel (ca. 1675–1748). The complete publication of his letters to Ludovico Antonio Muratori and of two previously unknown responses by the great Modenese scholar in 2010 has cast much new light on the years between 1710 and 1737. Spannagel’s origins continue to be mysterious, however, as do the circumstances surrounding the beginning of his stay of nearly two decades in Italy under an assumed name. During his years spent in Liguria, “de Filippi” not only made contact with local learned men and with Muratori, but also entered the service of the Genoese patrician Gianluca Pallavicini, who would later attain an important position in the Habsburg 123 Siehe oben Anm. 52. 124 ZLABINGER, Muratori (wie Anm. 6); ZLABINGER, L. A. Muratori (wie Anm. 6); GARMS-CORNIDES, Italiener (wie Anm. 10). 125 Georgine HOLZKNECHT, Ursprung und Herkunft der Reformideen Kaiser Josefs II. auf kirchlichem Gebiete (Forschungen zur inneren Geschichte Österreichs 11, Innsbruck 1914); Eduard WINTER, Der Josefinismus. Die Geschichte des österreichischen Reformkatholizismus 1740–1848 (Beiträge zur Geschichte des religiösen und wissenschaftlichen Denkens 1, Berlin 1962); ZLABINGER, Muratori (wie Anm. 6) 112–153; TSCHOL, Spannagel (wie Anm. 7).

304 Elisabeth Garms-Cornides – Fabio Marri administration of Austrian Lombardy. Pallavicini’s intention of marrying a lady – incidentally a close relative – whose first marriage had been annulled, stirred up an Italy-wide discussion as to whether such a step was compatible with the noble code of honour. Dispatched by Pallavicini, “de Filippi” / Spannagel travelled throughout Italy and interrogated famous jurists and scholars such as Scipione Maffei and Muratori on this question, which even at the time (1720) carried a hint of anachronism. In 1722, he moved to Milan and intensified his co-operation with Muratori, but also his own literary production, which was centred on the problem of imperial feudal rights in Italy. With the publication of his Notizia della vera libertà fiorentina in several volumes (1724–1726), he made use of the scholarly methods developed by Muratori to intervene in a highly topical legal-political debate. Throughout Italy, reactions were heated and often negative, including that of Muratori. On the other hand, these and other pro-imperial writings secured for Spannagel the protection of the Milanese governor Colloredo, and thus the decisive advancement of his career (1726). As second custodian of the Aulic Library and German court historiographer, he worked for the remainder of his life in Vienna. Recent historiographic literature has focused on him mainly in connection with the fact that Charles VI entrusted him with the historical education of Maria Theresa. Contact with Muratori, which had been interrupted for a considerable length of time, was renewed during Spannagel’s Viennese years, at first through middlemen, but eventually by direct exchange of letters (1732–1737). A certain distrust on the part of the Modenese scholar proved almost impossible to overcome. Spannagel undertook laudable efforts to make the works of Gottfried Bessel, specifically the Chronicon Gotwicense, known in Italy and to spur their distribution. In Vienna too, Spannagel remained faithful to his preferred subject, imperial rights in Italy; he wrote biographies of Joseph I and Charles VI and a great many other, for the most part unpublished, works, and also took part in the debate on the central political topic of the time, the Pragmatic Sanction and in particular its compatibility with imperial law. Already during the lifetime of the last male Habsburg, but even more after 1740, Spannagel’s output thus gained a new “Austrian” dimension, which, however, oscillated between dynastic and territorial historiography. Nonetheless, his abandonment of the learned languages, Latin and Italian, which he had used in works oriented along the lines of the Ius publicum of the German universities and of methods of Muratori, points to Spannagel’s effort to reach an educated European readership with his Histoire civile autrichienne. The last work of this unusual and solitary man, it offers a testimony to the formation of the Habsburg Monarchy into a state that, while imperfect in every regard, is highly revealing of the political culture in the time of the War of the Austrian Succession and the first reforms of the Maria-Theresan period.

Cluny and Benedictine Erudition in Early Modern France Political Issues and Monastic Reform Daniel-Odon Hurel In Early Modern Benedictine France, which like all of Early Modern monastic Europe saw a proliferation of national and regional congregations following such models as those of Santa Giustina of Padua, Bursfelde, Melk, Valladolid or Chezal-Benoît, there was of course first and foremost the Congregation of Saint-Maur. It has received preferential treatment in traditional historiography mainly on account of its erudite activity, which scarcely needs to be called to mind here, but until recent years these studies have primarily been the work of medievalists and specialists in the Church Fathers, on account of the role played by certain Benedictines of that congregation (notably, of course, by Jean Mabillon) for the edition and transmission of the great Christian authors1. During the last two decades, these same researchers, but also specialists in Early Modern erudition and Early Modern monasticism, have attempted to analyse the religious, monastic, theological and political aspects of the direction taken by the Congregation of Saint-Maur, as well as the conditions under which that choice, and later the image of the congregation, came to be. They have moreover put the work of the Maurists in perspective within the broader context of the history of scholarship, by focussing, for example, on connections between the intellectual practices of the Benedictines and the contributions of the Jesuits, particularly the Bollandists, with regard to certain approaches to research work such as the voyage de lettres in search of manuscripts, or the increasing concentration of a group of „professional“ savants working in relation with an internal network of fellow monks and other local scholars, formed according to specific needs and possibilities2. 1

2

The work of François Dolbeau, Pierre Gasnault or Jean-Loup Lemaître especially comes to mind. See, for example, the volume: Troisième centenaire de l’édition mauriste de saint Augustin. Communications présentées au colloque des 19 et 20 avril 1990 (Collection des Études Augustiniennes, Série Antiquité 127, Paris 1990). This recent research owes much to the pioneer work of Bruno Neveu, and of Dom Yves Chaussy in regard to the internal history of the congregation. See, for instance, Jean-Louis QUANTIN, Le catholicisme classique et les Pères de l’Église. Un retour aux

306 Daniel-Odon Hurel And yet Saint-Maur, which at the pinnacle of its glory around 1700 embraced some 190 monasteries, including the most important ones in the history of France, was not the only monastic union. The Cluniac family and the abbey of Cluny itself were still present, though the confessionalisation of Europe, the Wars of Religion and the rise of the modern state had done away with the „Cluniac international“. Faced with Saint-Maur, but refusing to be absorbed into a unitary French Benedictine congregation, Cluny attempted to make a way for itself between modernity and the reinterpretation of its origins, going through incessant divisions and debates between 1630 and 1730. Unlike Saint-Maur, Cluny suffered from the extraordinarily high degree of dispersion of its few hundred monks, distributed not in major historical monasteries but in several dozens of priories frequently numbering only a handful of monks, and subject to the twin constraints of competition and pressure to reform on the one hand, the weight of traditions and customs on the other, in spite of the firm will displayed by the abbot of the Order and by the general chapter under the attentive and confining surveillance of the royal authorities. It would be gratuitous to point out here how central politics was to all these histories: that of the creation and the meteoric rise of the Congregation of Saint-Maur as well as that of the difficult survival of a divided Cluniac family. The royal power, the authority of the Tridentine bishops and that of the commendatory abbots were behind Maurist success. The same royal power attempted, by nominating Richelieu and later Mazarin as abbots of Cluny, to impose a union with Saint-Vanne or Saint-Maur, but met with little success before deciding around 1675 to maintain appearances by upholding a façade of unity of the Cluniac family in the form of the general chapter, behind which the Old Observance and the Mauristinspired Strict Observance could pursue parallel existences3.

3

sources (1669–1713) (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen-âge et Temps modernes 33, Paris 1999); as well as the proceedings of the two recent conferences on Mabillon, cited in n. 5. The bibliography on Cluny in the Early Modern period is scattered and overall not very ample. Besides two recent books: Jean-Marie LE GALL, Les moines au temps des réformes, France (1480–1560) (Époques, Seyssel 2001); Daniel-Odon HUREL– Denyse RICHE, Cluny. De l’abbaye à l’ordre clunisien, Xe – XVIIIe siècle (Paris 2010), a series of articles by Dom Charvin should be mentioned: Gaston CHARVIN, L’abbaye et l’Ordre de Cluny sous l’abbatiat de Mazarin, 1654–1661. Revue Mabillon 34/35 (1944/45) 20–81; Gaston CHARVIN, L’abbaye et l’Ordre de Cluny en France de la mort de Richelieu à l’élection de Mazarin (1642௅1654). Revue Mabillon 34/35 (1944/45) 85–124; Gaston CHARVIN, La succession de Mazarin à l’abbaye de Cluny. Le cardinal Renaud d’Este (1661–1672). Revue Mabillon 37 (1947) 17–46; Gaston CHARVIN, Dom Henri-Bertrand de Beuvron, abbé de Cluny (1672–1682) et la vacance du siège abbatial. Revue Mabillon 37 (1947) 69–97; Gaston CHARVIN,

Cluny and Benedictine Erudition in Early Modern France 307

The writing of Cluniac history and that of the abbey itself were not neglected by 17th- and 18th-century scholarship; quite the contrary, as I will attempt to show, albeit schematically. In fact, certain moments in Early Modern Cluniac history saw a particular intensification of historiographical efforts, in direct connection with the political dimension of that history. These were, first, the end of the 16th and the beginning of the 17th century, just after the Wars of Religion, with the historical and controversialist writings of Dom Marcaille and of Dom Marrier, centred on Souvigny and on the Parisian monastery of Saint-Martin-des-Champs; second, the final years of the 17th and the first decades of the 18th century, with their tensions both internal and between the royal power and that of the abbots, encouraging reflection on liturgy – as in the case of Dom Claude de Vert – and on the statutes of the Order.

Emmanuel-Théodose de la Tour d’Auvergne, cardinal de Bouillon, abbé de Cluny (1683–1715) et le conflit de la juridiction abbatiale. Revue Mabillon 38 (1948) 7– 57; Gaston CHARVIN, Henri-Oswald de la Tour d’Auvergne, abbé de Cluny (1715– 1747). Revue Mabillon 38 (1948) 61–99; Gaston CHARVIN, L’abbaye et l’Ordre de Cluny à la fin du XVIIIe siècle (1757–1790). Revue Mabillon 39 (1949) 44–58; Gaston CHARVIN, L’abbaye et l’Ordre de Cluny de la fin du XVe au début du XVIIe siècle (1485–1630). Revue Mabillon 43 (1953) 85–117; 44 (1954) 6–29, 105–132. To these references should be added: Daniel-Odon HUREL, La représentation de Cluny chez les auteurs des XVIIe et XVIIIe siècles. Revue Mabillon. Revue internationale d’histoire et de littérature religieuses 72 (2000) 115–128; Grégory GOUDOT, Le personnel clunisien en France à la veille de la Révolution. Sources, méthode et premiers résultats d’une enquête. Siècles. Cahiers du Centre d’Histoire „Espaces et cultures“ 19 (2005) 25–40; Grégory GOUDOT, Monachisme clunisien et vie rurale sous l’Ancien Régime. Le cas auvergnat de Menat aux XVIIe et XVIIIe siècles. Histoire et sociétés rurales 25 (2006) 9–35. In terms of sources, there are two recent publications: Gaston CHARVIN, Statuts, chapitres généraux et visites de l’Ordre de Cluny (9 vol., Paris 1965–1976); Paul DENIS–Yves CHAUSSY, Matricula monachorum professorum reformationis abbatiae et totius sacri Ordinis Cluniacensis (Publications de l’Encyclopédie bénédictine 2, Turnhout 1994). Older sources include, besides the works cited in n. 20 and 21, the statutes, starting with those issued by Richelieu in 1633: Statuts et règlements pour l’Ordre de Cluny faits par monseigneur l’eminentissime cardinal duc de Richelieu (Paris 1670); Regula sanctissimi patris Benedicti cum declarationibus et constitutionibus, prout servantur in ordine sacro Cluniacensi a patribus strictioris observantiae (Lyon 1655); Statuta sacri ordinis Cluniacensis (n. p. 1676); Statuta et consuetudines sacri ordinis Cluniacensis cum constitutionibus pro regulari seu stricta observantia (n. p., n. d. [ca. 1715]).

308 Daniel-Odon Hurel

Cluny in Early Modern Monastic Erudition In the historiography of monasticism during the Early Modern period, the chronological question was crucial, even before the major – and initially controversial – contribution made by Dom Mabillon first in the Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti4, then confirmed with his Annales ordinis sancti Benedicti5. If, within the history of monasticism in the West, St. Benedict was viewed as being, in a manner, the „author“ of the Benedictine order6, Cluny was considered an essential link, as emphasised by Aubert Le Mire in his Origines coenobiorum benedictinorum in Belgio, published in 1606, or by Gabriel Bucelin and Antonio de Yepes in their annals7. Above all, in connection with the very idea of monastic „reform“, a concept which was very much in the foreground in the Benedictine west of the late Middle Ages and the Early Modern period on both a religious and a political level, Odo of Cluny was considered the first great reformer of what was defined as the Order of St. Benedict. However, while the Cluniac stage of Benedictine history was particularly emphasised within the Cluniac sphere, this was not necessarily the case with other Benedictine authors. A notable example, at the very beginning of the 17th century, is the work of Dom Jacques Du Breul, monk of Saint-Germain-des-Prés (and thus of the Congregation of Chezal-Benoît) and, in some measure, Benedictine rival to Dom Marrier, the historian of Saint-Martin-des-Champs, the stronghold of Cluniac monasticism in Paris. Dom Du Breul, known primarily for his Theatre des antiquitez de Paris 8, in his edition of the works of Aimoin focused much more 4 5

6 7

8

Jean-Luc D’ACHERY–Jean MABILLON, Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti in saeculorum classes distributa (9 vol., Paris 1668–1701). Jean MABILLON et al., Annales ordinis sancti Benedicti (6 vol., Paris 1703–1739). On Mabillon and his work, see: Érudition et commerce épistolaire. Jean Mabillon et la tradition monastique, ed. Daniel-Odon HUREL (Textes et traditions 6, Paris 2003); Daniel-Odon HUREL, Dom Mabillon. Œuvres choisies précédées d’une biographie par dom Henri Leclercq (Bouquins, Paris 2007); Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, ed. Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010). See HUREL, Représentation (see n. 3). Gabriel BUCELIN, Annales Benedictini, quibus potiora monachorum eiusdem ordinis merita ad compendium referuntur (Augsburg 1656); Antonio de YEPES, Chroniques generales de l’ordre de S. Benoist, patriarche des religieux, transl. Olivier MATHIEU (2 vol., Paris 1619–1624). The original Spanish edition of Yepes’s chronicles dated from 1609–1621; a Latin translation was published in 1648–1650. Jacques DU BREUL, Le theatre des antiquitez de Paris (Paris 1612).

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strongly on St. Benedict and Monte Cassino, and on the necessity of a return to the fundamental sources9, than on the contribution of Cluny, which he only barely mentioned10. This attitude displays the peculiar situation of Benedictine monasticism in France at the beginning of the 17th century: on one side, the reform movement originating from Santa Giustina in Padua and relayed, in a modern dynamic, by the Congregation of Chezal-Benoît11; on the other, a Cluniac monasticism within which its medieval heritage exercised so determinant an influence that it could not be dissolved within a new congregation. Nonetheless, it did not entirely escape reforming ideas, as is shown by the position of Dom Laurent Bénard, prior of Cluny’s Parisian college and crucial instigator of the Benedictine reform which would result, some years later, in the creation of the Congregation of Saint-Maur12. With the stabilisation of the Maurist reform around 1650 and the recognition of the Cluniac Strict Observance in the 1670s, however, the Cluny of the beginnings and of the saintly abbots regained its place as the first reformed „congregation“. It is this vision that is found in the Histoire des ordres religieux by Jean Hermant, published in 171013. 9 Aimoini monachi inclyti coenobii divi Germani a Pratis libri quinque De gestis Francorum. Eiusdem Aimoini libri duo De inventione et translatione corporis sancti Vincentii levitae et martyris. Abbonis, discipuli Aimoini, libri duo De obsessa a Nortmannis Lutecia, ed. Jacques DU BREUL (Paris 1602). 10 On Dom Du Breul, of whom I am currently preparing a study, there are several older articles: Roger LIMOUZIN-LAMOTHE, Du Breul (Jacques), in: Dictionnaire de biographie française, 11: Des Planches – Duguet, ed. Jean-Charles ROMAN D’AMAT–Roger LIMOUZIN-LAMOTHE (Paris 1967) col. 1086–1087; Antoine DES MAZIS–André RAYEZ, Du Mas (Pierre), in: Dictionnaire de spiritualité, ascétique et mystique, doctrine et histoire, 3: Dabert – Duvergier de Hauranne, ed. Marcel VILLER et al. (Paris 1957) col. 1796–1799, at col. 1798; Valentin DUFOUR, Le Bénédictin Jacques du Breul (1528–1614), ses rapports avec Pierre de L’Estoile (1546–1611), sa maison natale sur le Petit-Pont. Bulletin de la Société de l’histoire de Paris et de l’Ile-deFrance 11 (1884) 113–123; Antoine LE ROUX DE LINCY–Alexandre BRUEL, Notice historique et critique sur Dom Jacques du Breul, prieur de Saint-Germain-des-Prés. Bibliothèque de l’École des Chartes. Revue d’érudition 29 (1868) 56–72, 479–512; Ursmer BERLIÈRE, La Congrégation bénédictine de Chezal-Benoît. Revue bénédictine 17 (1900) 29–50, 113–127, 252–274, 337–361; 18 (1901) 1–20, at 17 355–360. 11 Du Breul occupied himself both with the constitutions of Chezal-Benoît and with those of the Congregation of Monte Cassino, which he re-edited: Regula sancti patris Benedicti cum declarationibus et constitutionibus editis a patribus congregationis Casinensis, ed. Jacques DU BREUL (Paris 1603). 12 Dom Bénard presented himself first and foremost as a Benedictine, transcending his belonging to the Cluniac family; see in particular: Laurent BÉNARD, De l’esprit des ordres religieux. En quoy il consiste, et des moyens pour l’acquérir. Spécialement de l’esprit de l’ordre de sainct Benoist, avec une apologie pour sa reigle (Paris 1616). 13 Jean HERMANT, Histoire de l’etablissement des ordres religieux et des congregations

310 Daniel-Odon Hurel The final stage was the recognition of Cluniac modernity as a monastic presence in parallel with Saint-Maur, or, in other words, the normalisation of Cluny as merely one congregation among others. In the fifth volume of his Histoire des ordres monastiques, Pierre Hélyot in 1718, making use of Mabillon and Luc d’Achery, but also of other texts of a legal nature and even of some of the polemics in connection with the current affairs of Cluny, proposed a more balanced chronology. For example, he strongly emphasised the role of Benedict of Aniane in the diffusion of the Rule of St. Benedict, casting him as a sort of Superior-General for all or nearly all the Benedictine monasteries in Carolingian France. Acutely aware of Cluniac normative texts and statutes – a sign of the place of normative writings and sources in Early Modern monasticism –, Hélyot expounded on Cluniac continuity, particularly the importance of the statutes of Jean de Bourbon around 1450, but also the politico-religious imbroglio surrounding the Cluniac observances between 1630 and 1700. By setting aside a chapter of its own for the Cluniac Strict Observance (c. 19 of Book 4), Hélyot positioned Cluny no longer only as a moment in western monastic history, but as a contemporary actor in monastic life under the watchful eye and control of its abbots, themselves closely connected with a royalty for which Cluny was an issue in its policy towards the regular orders14. A century of internal debates focusing on survival in the face of a royal will to create a single French Benedictine congregation uniting Saint-Maur and Cluny, and on a way to allow the Old and the Strict Observance to coexist, did not leave much leisure for erudite activity. Additionally, aside from perhaps ten monasteries capable of sustaining real communities, Early Modern Cluniac France was weakened by its extreme numerical dispersion and the insufficiency of its human and material resources. Nonetheless, a common identity and the definition of a Cluniac Benedictine spirit were at the heart of the Cluniacs’ attachment to their specificities.

regulieres et seculieres de l’Eglise. Avec l’eloge et la vie en abregé de leurs saints patriarches et de ceux qui y ont mis la réforme (Rouen 1697); new edition as Jean HERMANT, Histoire des ordres religieux et des congrégations régulieres et séculieres de l’Eglise. Avec l’éloge et la vie en abregé de leurs saints patriarches et de ceux qui y ont mis la réforme (4 vol., Rouen 1710). 14 Pierre HÉLYOT–Maximilien BULLOT, Histoire des ordres monastiques, religieux et militaires, et des congregations seculieres de l’un et de l’autre sexe, qui ont esté establies jusqu’à present (8 vol., Paris 1714–1719) 5 184–226.

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The Cluniacs and the Writing of History As stated in the introductory paragraphs, when one brings up the Benedictines of the Early Modern period, it is most frequently on account of their contribution to the history of historical erudition and of the transmission of patristic and medieval texts. This is simultaneously one of the reasons for the oblivion into which the history of Cluny during the 17th and 18th centuries has sunk. However, this is to forget that these monks, and also these nuns, from the 1450s onward were first and foremost confronted with the necessity of an evolution of their monastic way of life in the light of changes in society and of contemporary reformist aspirations, be they Benedictine, monastic or otherwise, as is shown by the presence of the theologian and humanist Josse Clichtove at Cluny in 151315. Before being able to engage in erudition, the first issue was to define the respective places of the Rule and of custom within the Cluniac tradition. The great Cluniac reformers such as Jean Raulin16 and Philippe Bourgoing sought above all to remind their fellows of the fundamental importance of the Rule. Thus Saint-Martindes-Champs in 1502, in the midst of its process of reform, purchased more than forty copies of the Rule17. Only some twenty Cluniac authors can be named for the 17th and 18th centuries, and moreover, these were for the most part reformed monks who belonged or were close to the Strict Observance. Among their manuscript and printed works, of which a complete inventory has yet to be made, we find monographic historical investigations of the history of the Order of Cluny in France and of the history of several of its houses. The spatial framework is primarily that of France; it appears that, for the Cluniac historians themselves just as in Early Modern monastic reality in general, there was a tendency to relate everything to the national or regional space, including medieval monastic history. One may cite, in this regard, the history of the seven monasteries of Franche-Comté written by Dom Albert Chassignet at the beginning of the 18th century, at the very time when these houses were definitively rejoining the Cluniac family in the decades following the annexation of Franche-Comté to the kingdom of France18. In connection with 15 LE GALL, Moines (see n. 3) 37. 16 The year 2010 marked the occasion for commemorating the 1100th anniversary of the founding of Cluny. The Early Modern period was not left out. Besides the publications cited in n. 3, the bilingual edition (in Latin and French) of an essential speech by Jean Raulin held before the general chapter at Cluny in 1498 deserves mention: Vincent DESPREZ, Jean Raulin (1443–1514). Conférence tenue à Cluny en 1498 sur la réforme de l’ordre clunisien. Lettre de Ligugé 334 (2010) 4–45. 17 Archives nationales (AN) Paris, LL 1387; cited by LE GALL, Moines 612. 18 AN Paris, Q1 417. There exists a partial edition by Achille CHEREAU–Désiré THIBOU-

312 Daniel-Odon Hurel this, it would be of interest to investigate former Cluniac monasteries abroad and to see in what terms, after becoming independent, they viewed their own history and their medieval membership in the Cluniac movement. While this example is taken from the late 17th century and from the Strict Observance, the same interest in monastic history also accompanied the beginnings of the reform, in particular in connection with the monastery of Saint-Martin-des-Champs around 1610, thanks to the publications of Martin Marrier. His Martiniana, a collection of the legal titles, privileges and charters of the Parisian grand priory, appeared in 160619, followed in 1635 by his history of the monastery, entitled Monasterii regalis Sancti Martini de Campis Parisiensis ordinis Cluniacensis historia, a book whose construction and method of presentation prefigured the great Maurist monographs. Less erudite and far more directed toward anti-Protestant controversy were the Antiquitez du prieuré de Souvigny, published in 1610, whose author Sébastien Marcaille was at the time subprior of the monastery in question and one of the vicars of the abbot of Cluny, promoter of Cluniac reform at the abbey of Le Moutier d’Ahun20 and counselor to the Benedictine nuns of Saint-Menoux21. A century later, while he was in exile for the Jansenist positions he had taken up in 1730–1736, Dom Hilaire Tripperet of the Strict Observance composed the Mémoires pour servir à l’histoire du prieuré de Souvigny, a work combining elements of both monograph and chronicle22. Aside from these examples of local monographs, which originated in the most dynamic monasteries usually belonging to the Strict Observance, benefiting DET,

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Abrégé de l’histoire du prieuré conventuel de Notre-Dame de Vaux-sur-Poligny de la province du comté de Bourgogne, de l’Ordre et Étroite Observance de Cluny, dressé l’an 1708 par le Révérend Père Dom Chassignet, religieux bénédictin de la réforme de St-Vannes. Mémoires de la Société d’émulation du Jura. Section de l’Association philotechnique (1866) 165–355. Martin MARRIER, Martiniana, id est Literae, tituli, cartae, privilegia et documenta tam fundationis, dotationis et confirmationis per Henricum I., Philippum I., Ludovicum VI., VII., XII., et Franciscum I., christianissimos Francorum reges, quam statuta reformationis monasterii seu prioratus conventualis S. Martini a Campis Parisiis ordinis Cluniacensis (Paris 1606). Now in the département of Creuse. See Daniel-Odon HUREL, L’histoire de Cluny et la lutte contre les hérésies: l’exemple de l’œuvre historique de Sébastien Marcaille, prieur de Souvigny, in: L’argument hérésiologique et la Réforme (ca. 1520 – ca. 1700), ed. Irena BACKUS–Philippe BUTTGEN–Bernard POUDERON (forthcoming). Souvigny and Saint-Menoux are now in the département of Allier. Arlette MAQUET, Dom Tripperet, „Mémoires“, forgeries et réalités, in: Écrire son histoire. Les communautés régulières face à leur passé. Actes du 5e Colloque International du C.E.R.C.O.R., Saint-Étienne, 6–8 novembre 2002 (C.E.R.C.O.R. Travaux et Recherches 18, Saint-Étienne 2005) 479–497.

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from the proximity of the Maurists and Vannists, we should nonetheless not underestimate the involvement of certain monks in work on a grander scale, especially in the years 1600–1610, and notably the Bibliotheca Cluniacensis published in 1614 by Dom Martin Marrier and that great historiographer of the early 17th century, André Duchesne23. In parallel to this, the debates and conflicts within the Cluniac family also produced historical and polemical works, which mostly remained unprinted or took the form of legal consultations. Erudition occupied a nonnegligible place in these works, such as the Mémoire pour servir à l’établissement de la jurisdiction des abbez généraux de Cluni sur tout l’Ordre de Cluny, composed by a supporter of the Cardinal de Bouillon, Dom Marin, in 170624, or the Histoire des grands prieurs de l’Ordre de Cluny by Dom Georges Buyrin, or finally the Apologeticum sive Iurium voltae et reformationis ordinis Cluniacensis in prioris maioris vota vindex oratio written in 1670 by Dom Placide Des Prés25. Such texts had their place within the debates that accompanied the internal tensions between the Strict and the Old Observance, and within the periods of conflicts of authority arising in part from the personality of certain abbots who, although their position was commendatory, nonetheless wished to secure for themselves a structural and spiritual authority as well. With the exception of a few individual cases, most commonly originating within the Strict Observance, such as the edition of the Bullarium ordinis Cluniacensis dedicated to Pope Innocent XI by Dom Pierre Simon in 168026, it is clear that Cluny, and even the Strict Observance, possessed neither the means nor the energy, nor perhaps the will or desire, nor perhaps even felt any need, for reasons of politics or identity, to establish an organisational structure in the service of erudite work, as was the case in the Congregation of Saint-Maur. Nonetheless, with the flourishing of scholarship within a 23 Martin MARRIER–André DUCHESNE, Bibliotheca Cluniacensis, in qua sanctorum patrum abbatum Cluniacensium vitae, miracula, scripta, statuta, privilegia chronologiaque duplex, item catalogus abbatiarum, prioratuum, decanatuum, cellarum et ecclesiarum a Cluniacensi coenobio dependentium, una cum chartis et diplomatibus donationum earumdem (Paris 1614). 24 [N. MARIN], Mémoire pour servir à l’établissement de la jurisdiction des abbez généraux de Cluni sur tout l’ordre de Cluni, avec le recueil des titres et pièces justificatives de l’exercice de cette jurisdiction (Paris 1706). 25 The works of Buyrin and Des Prés are cited by Guy de VALOUS, Cluny, in: Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques, 13: Clinge – Czorna, ed. Alfred BAUDRILLART et al. (Paris 1956) col. 35–174, at col. 168. 26 Pierre SIMON, Bullarium sacri ordinis Cluniacensis, complectens plurima privilegia per summos pontifices tum ipsi Cluniacensi abbatiae, tum ei subditis monasteriis hactenus concessa (Lyon 1680).

314 Daniel-Odon Hurel pacified Cluny from the 1720s onward, several projects directed towards a history of the Order came into being, from a re-edition of the Bibliotheca Cluniacensis27 to plans for the publication of the Order’s general chapters28. Next to this there was the constant work done on the constitutions and statutes, which was founded throughout on a historical knowledge of and approach to the Cluniac normative texts. This intellectual „reservedness“ on the part of the Cluniacs by no means prevented a number of outside scholars from having recourse to the manuscripts and the archives of the abbey of Cluny, although sometimes not without tensions, as in the case of the relations between the Maurist Dom Anselme Le Michel and the monks of Cluny, following Le Michel’s prolonged stay there, which had allowed him to carry off a certain number of documents. This stay occurred in 1644, at the very time that the brief union between Saint-Maur and the Order of Cluny was drawing to a close29. Some decades later, it was Dom Mabillon’s turn to come to Cluny during his voyage to Burgundy, from the 9th to the 13th of May 1682, accompanied by Dom Michel Germain, on which occasion they visited the archives in the north tower and the library. The two Maurists were very cordially received by the prior, Dom Joachim Lestinois30. Another scholar who was close to Mabillon and the Maurists, Étienne Baluze, likewise paid several visits to the abbey, in 1699, 1701 and 170331. A decade later, as the Maurists were becoming involved in the continuation of the Gallia christiana and in the history of the provinces, Dom Edmond Martène and Dom Ursin Durand travelled, in the course of several years, to a large number of priories and abbeys, including several Cluniac houses and Cluny itself in 1710, a new occasion for confirming the excellent relations between the Strict Observance and the Congregation of Saint-Maur32. They were able to work for 27 See Franz NEISKE, Bicentenaire de la mort du dernier abbé de Cluny, Dominique de la Rochefoucault, à Münster († 23 septembre 1800). Annales de Bourgogne 72 (2000) 429–434, at 432; CHARVIN, Cluny à la fin du XVIIIe siècle (see n. 3) 45. 28 A manuscript collection of the general chapters was compiled from 1715, eventually growing to 33 volumes, entitled Recueil des chapitres généraux de l’Ordre de Cluny avec diverses pièces s’y rapportant (910–1758) (now Paris, Bibliothèque de la Chambre des Députés, B 89, Ms. 94–126). See CHARVIN, Cluny à la fin du XVIIIe siècle (see n. 3) 45–48. 29 Pierre GASNAULT, Dom Anselme Le Michel et les manuscrits de l’abbaye de Cluny. Bibliothèque de l’École des Chartes. Revue d’érudition 131 (1973) 209–219. 30 Henri LECLERCQ, Mabillon (2 vol., Paris 1953–1957) 1 190–193. 31 On Baluze, see the recent volume: Étienne Baluze, 1630–1718. Érudition et pouvoirs dans l’Europe classique, ed. Jean BOUTIER (Collection Histoire, Limoges 2008). 32 Besides Cluny, they came to La Charité-sur-Loire, Saint-Marcel at Chalons, and Souvigny: Edmond MARTÈNE–Ursin DURAND, Voyage littéraire de deux religieux bénédictins de la Congrégation de Saint-Maur (2 vol., Paris 1717–1724) 1 36, 46, 225.

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more than two weeks, from May to June, in the library and the collection of charters33. Around this time, a number of notices were sent to SaintGermain-des-Prés for the purposes of the Monasticon Benedictinum being prepared by the Maurists, and the Cluniacs composed biographical and hagiographical catalogues such as the Illustres viri Cluniacenses34 or the Nécrologe historique35, the work of Dom Georges Buyrin, who died at Marcigny in 1694. This work was possible only because the archives and the library were carefully maintained, as evidenced by the inventory drawn up by Claude Loquet, advocate and secretary of the abbot’s chamber, around 1685. This would later, between 1770 and 1790, permit another advocate, Louis-Henri Lambert de Barive, to transcribe thousands of documents for the Cabinet des chartes, an institution in service to the royal power, in which a number of Maurists were collaborators. It was thus by way of their archives, not of their own human resources, that the Cluniacs participated in the national effort toward a history of the realm in the middle of the century of the Enlightenment36.

The General Chapters and Annual Diets: Between Realism and Awareness of Cluniac History The general chapters37 embodied a number of continuities of the centralised structure of the Cluniac family, particularly its division into provinces. While displaying a marked interest for effective visitations of the monasteries, the Cluniac central assembly artificially maintained the international structure of the Order in an Early Modern Europe whose political and religious realities had fundamentally changed. Thus, if a few monasteries located outside the kingdom of France were still being mentioned in the 16th century, this was primarily in the context of hypothetical nominations of visitors for provinces which had become entirely notional: Italy, England, Germany, Spain. In fact, the German province was present only in the form of the monasteries of Alsace, Lorraine, Franche-Comté, the Vosges, and a few Swiss houses. This shrinking of Cluniac space in the 16th century was also 33 34 35 36

MARTÈNE–DURAND, Voyage littéraire (see n. 32) 1 228–229. Bibliothèque nationale de France (BNF), Ms. lat. 9876. BNF, Ms. lat. 9092. See especially Sébastien BARRET, La mémoire et l’écrit: l’abbaye de Cluny et ses archives (Xe – XVIIIe siècle) (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen 19, Münster 2004). 37 All references to the general chapters and diets are taken from CHARVIN, Statuts (see n. 3).

316 Daniel-Odon Hurel perceptible within France itself. The affirmation of a specific „Cluniac identity“ appears as a necessity in the context of increasing fragility in the face of the royal will to unify the French Benedictines and of the competition represented by the Maurists. Thus, at the end of the 17th century, if the question of relations between mendicants and Cluniacs in certain monasteries appeared resolved, there was still a need to be exceedingly strict about the reception of monks from other orders in general. As late as 1759, the general chapter, in a decision targeted particularly at the Old Observance, which was less controlled and centralised than the Cluniac reform, reaffirmed its determination to exclude all monks who had made their vows in any other order. This strictness in relation to individuals was, however, accompanied by a more political and accommodating position when the issue was welcoming into the Order, and more specifically into the Old Observance, monasteries which had nothing Cluniac about them, but whose accession enriched the Cluniac family numerically, economically and symbolically. This was notably the case of Lérins in the 18th century: a prestigious abbey, but also a monastery on a political border, between Italy and the French kingdom38. There is another moment in Cluniac history in the Early Modern period which is likewise highly revealing of this reflection on the identity of a monastic family, and of the weight of that reflection in arriving at political decisions based on a writing of Cluniac history. I am referring to the complete integration of the Cluniac Strict Observance into the „Congregation of St. Benedict“, lasting from 1636 until 1644, in which Cluny and SaintMaur were united on the orders of Richelieu, then abbot of Cluny39. In this situation, Cluniac identity was, if not suppressed, then certainly pushed into the background: there was no Cluniac province, no liturgical or organisational specificities inherited from the tradition of the Order of Cluny; on the contrary, the principles of the new congregations of Saint-Vanne and SaintMaur were to be applied. Even within the Strict Observance, this model of integration appeared difficult to sustain. Thus in 1646, after the break with the Congregation of Saint-Maur, the reaction was immediate. While the Strict Observance remained close to Vannist and Maurist ideas of the reinterpretation 38 See the recent synthesis on Lérins: Mireille LABROUSSE–Eliana MAGNANI–Yann CODOU–Jean-Marie LE GALL–Régis BERTRAND–Vladimir GAUDRAT, Histoire de l’abbaye de Lérins (Cahiers cisterciens, Série Des lieux et des temps 9, Bégrolles-enMauges 2005). 39 On this point, the reader is referred to the old but still important study by Paul DENIS, Le cardinal de Richelieu et la réforme des monastères bénédictins (Bibliothèque d’histoire bénédictine 1, Paris 1913); as well as to the first volume of Yves CHAUSSY, Les Bénédictins de Saint-Maur (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyenâge et Temps modernes 23–24, 2 vol., Paris 1989–1991).

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of the Rule, the reference to Cluny as an abbey and an Order, founded on a shared history, was reaffirmed. It was only this double dimension that could, at the time, even justify the existence of the reform of the Strict Observance. Some fifteen years later, around 1659–1661, on the occasion of a new attempt at unification between the Strict Observance and the Congregation of Saint-Vanne, the maintenance of a Cluniac identity seems to have been mapped out with a wise balance between the two sides. This negotiated equilibrium failed at the time, but it prefigured to some degree the development that we find at the end of the 17th century between the two Cluniac observances, when the survival of Cluny was made possible by way of an internal coexistence of its two branches. Recourse to the Cluniac myth formed the foundation of a future that was fragile, but realistically envisioned. This relation to the Cluniac heritage worked as the basis for the survival of a sense of community both internally between the two observances, and outward towards the formerly Cluniac monasteries outside France. While these had detached themselves from the Cluniac family on an institutional level, the reference to Cluny nevertheless remained important to them. The general chapter of 1742 provides an example. At that date, the German abbey of Abdinghof near Paderborn officially requested relics of St. Majolus and of St. Odilo, which were kept at Souvigny40. For the two families to live together, certain visible common points of reference were needed. The constitutions and the liturgy were debated and sometimes decided in common; these were areas in which the writing of history and knowledge of the sources were essential.

The Impossibility of Normative Unity On the one hand, there were normative statutes formally enacted by the decisions of the general chapters and of the diets. On the other, there was the will and the necessity to publish, at certain particular times, printed or manuscript statutes and constitutions. Finally, there was the importance accorded to the dissemination of official communications within the monastic institution itself. The interlocking of these three aspects was essential because it created the conditions for uniformity of the way of life within the Cluniac family, in the 16th century as much as in subsequent ones, and particularly at times when tensions were high and the centralisation and 40 Franz NEISKE, Les monastères de Souvigny (Allier) et d’Abdinghof (Westphalie). Une translation de reliques au XVIIIème siècle. Mémoires de la Société pour l’histoire du droit et des institutions des anciens pays bourguignons, comtois et romands 45 (1988) 331–340.

318 Daniel-Odon Hurel organisation of the Order were called into question. I will not expound here on the formally enacted statutes; it is important, however, to bear in mind that debates about the centralisation of Cluniac authority were ongoing from the beginning of the 16th century, and that the general chapters were at the heart of the functioning of the Order in the Early Modern period. One expression of Cluniac centralism was the intention, periodically reiterated since the first decades of the 16th century, of assembling or reclaiming documents concerning the Order of Cluny and its houses. Whether in the 16th or the 17th century, each difficult phase eventually sparked a reaction of re-establishing control, which in turn took the shape of a reaffirmation of Cluniac centralism. In 1600, it was requested that copies of the legal titles of all houses be sent to Cluny. In 1685, the general chapter, after its reorganisation in 1676, was again in a position to emphasise the necessity for the abbey of Cluny to be the receptacle for the archives of the Order. In parallel, from the beginnings of the Strict Observance, and particularly in 1633, the Cluniac reform movement looked to the maintenance of its archives located at Cluny and especially at Saint-Martin-des-Champs. In the end, it seems that around 1720, in a further reflection of both the complexity and the reality of the Cluniac family, the archives of the Order as such were kept at Cluny and those of the Strict Observance at Paris, in the priory of Saint-Martin-des-Champs. The Old Observance apparently kept no archives of its own, the individual houses retaining theirs and the papers of the definitory of the general chapter presumably being included with those of the overall Order. Thus the archives, their management, and consequently their use for erudite purposes when needed, reflected the Early Modern Cluniac duality. Archives are one thing, normative texts in the proper sense another. Some of them, starting with the statutes of Jean de Bourbon, were considered to have become points of reference. In 1571, a series of Constitutiones reformationis was distributed: statutes which were inscribed at the same time within the continuity of Cluniac tradition and within the Tridentine dynamic. These emphasised the three hierarchical levels of authority: that of the abbot of Cluny, that of the general chapter and that of the claustral priors. They also reaffirmed the importance of the education of the monks and of communal life. Later on, in the 1630s and 1640s, the rapprochement between Cluny and the congregations of Saint-Vanne and Saint-Maur furnished an occasion for the composition of comprehensive normative texts within the framework of the Congregation of St. Benedict. The publication of constitutions brought with it a form of separation from Cluniac tradition and history, in that they concerned all aspects of the organisation of the new monastic family. Beyond this, the decision to confer upon one monastery in each province

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the task of collecting the archives of that province likewise contributed to a break with the Cluniac centralism affirmed throughout the preceding century. Despite a declared intention of respecting the Cluniac heritage, the chapter of 1636 instituted a complete integration into the Maurist model, which was felt to be detrimental to the maintenance of a specific Cluniac unity. This was quite the opposite of the future Cluniac dualism between the two observances starting in 1676. The failure of the Congregation of St. Benedict at the death of Richelieu again led to the creation of normative texts, particularly in order to provide a permanent basis for the reform of the Strict Observance, whose leaders were at odds with the abbot of Cluny and his council. Although they followed Maurist or Vannist models, these texts originated within the reformed Cluniac sphere and were therefore able to gain acceptance, a sign that the Strict Observance had attained a real and permanent autonomy in relation to those two congregations. The decision to reunite the entirety of the Order of Cluny at the general chapter of 1676 gave rise to the publication of Statuta sacri ordinis Cluniacensis, which in fact consisted simply of the proceedings of the chapter itself, accompanied by the statutes of Jean de Bourbon and by texts attesting the royal will, which conferred all the needed authority. This collection of texts expressed both a Cluniac identity and the control assumed by the royal power over the fate of Cluny, both on the level of the election of the abbot and on that of the implementation of the return to joint life and administration. Behind the façade of unity, it was in fact the existence of the two branches that was recognised. Pragmatism therefore required the composition of a single corpus of the statutes and other decrees of the general chapters, organised by the same principle as the declarations on the Rule and the Early Modern constitutions, that is, following the chapters of the Rule of St. Benedict. The decision in favour of this project was made in 1685, and the task was entrusted to a commission on which both sides were equally represented. This was the first such body, but Cluny would later adopt the same formula for the composition of other normative and liturgical texts. This form of committee work would meet with various obstacles, among them the difficult and progressive installation of the new organisation, which contained within itself serious contradictions and discrepancies between the observances. While the constitutions specific to the Strict Observance were approved in 1717 and published in 1732, it would fall to the royal Commission des réguliers in the 1770s to enforce the creation of constitutions common to the entire Cluniac Order. The very title of the constitutions of 173241, which were those of the 41 Statuta et consuetudines sacri ordinis Cluniacensis, seu Regula sancti Benedicti cum constitutionibus pro regulari seu stricta observantia (n. p., n. d.).

320 Daniel-Odon Hurel Strict Observance exclusively, is revealing in that it includes in its phrasing the Rule, the Cluniac statutes and customs, and the constitutions of the Strict Observance, as if the reformed branch were the sole depositary of the tradition and the only one with the capacity to implement a synthesis. The prologue further articulates this conception of Cluniac history and normative memory. With reference to the Council of Trent, it calls to mind the Benedictine Rule as the foundation of the Strict Observance, which is confirmed by the dispositions of the holy abbots Odo, Majolus, Odilo and Hugo and the testimony of Peter the Venerable. Additionally, the authors of this synthesis went as far as possible in sourcing the normative decisions it contained to various medieval Cluniac statutes, and particularly, besides those of Jean de Bourbon, to those of Peter the Venerable, of Hugo V from the beginning of the 13th century and of Henry I de Fautrières in 1314, without omitting the papal texts of Gregory IX from 1235–1237 and of Nicholas IV around 1290, to which were added references to the reforming general chapters of the beginning of the 16th century, of 1600 and of 1633.

Liturgy: In Search of the Lost Unity Within the context of an actually very fragile Cluniac family, liturgy appears as a central preoccupation, offering a vision of a lost or paradoxical unity. What seems to us a specificity or characteristic of Cluniac history was only partly so for the Early Modern Cluniacs themselves. Liturgy, the divine services recited with dignity and the celebration of the mass, is among the foundations of cenobitic monasticism, at Cluny as much as elsewhere. It contributed to the reputation of the monastery and justified its very usefulness in the eyes of the population. The situation of the monastic communities in the Cluniac priories made the issues all the more complex. Monastic liturgy requires the participation of the entire body of monks. Without communal life, without a real community, the choral recitation of the hours is called into question, if not made impossible. It was therefore not necessarily out of nostalgia for a Golden Age that the Early Modern Cluniacs attached such great importance to liturgical reform; it was because without a communal and shared liturgy, without a uniformity of their ceremonies and times of prayer, an essential part of Benedictine life is lost, threatening to carry off with it the rest of the cenobitic way of life. As a result, from the 16th to the 18th century the general chapters of Cluny were constantly at work on all aspects of liturgy: general recommendations, but also reforms to the liturgical books and practices and, above all, efforts to adapt the general rules to the numerical disparity of the communities.

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The general chapter occupied itself first and foremost with the development of the liturgical calendar, and particularly of the sanctoral cycle, whose evolution reflected a pronounced interest in taking into account newly canonised saints, in putting emphasis on certain specific cults, and in placing the Benedictine and Cluniac saints in a perspective that was at once proprietary, spiritual, and therefore identitary. It was on account of this connection between liturgy and Cluniac history that the feast of St. Menulphus was introduced into the entire Cluniac family in 1540, when the women’s abbey of Saint-Menoux was integrated into the Order of Cluny. A century later, in 1633, the Strict Observance did not neglect its own sanctoral when it declared Hugo of Cluny the patron saint of its reform, and also accorded a prominent position to the patron saints of the Lotharingian Benedictine congregation, Vitonus and Hydulphus, who were assigned a double feast. While the Cluniac sanctoral was being brought up to date, liturgy also allowed for giving prominence to certain devotional practices which were particular to Cluny and its tradition. Thus in 1557, the liturgy for the dead was intensified, and in 1564, in a particularly difficult political and religious situation, the assembled superiors insisted most vehemently on the mass and the holy sacrament, which were central issues in the debates and controversies between Catholics and Protestants. A century after, in 1662, the Strict Observance decided to celebrate a mass every Wednesday in honour of St. Joseph, in order to pray for novices and vocations. All decisions in matters of liturgy, whether initiated by the general chapters, by local demands or by the need to comply with Roman decisions, especially after the Council of Trent, had to be inserted into the liturgical books used throughout the Order. This necessity could be met either by simply adding leaves or by embarking on the arduous work of the revision and publication of new missals, breviaries and rituals, which was difficult to organise and particularly onerous both for the Order and for the individual communities, which were under the obligation of acquiring these books in order to implement the desired unity42. This was especially true during the first decades of the 16th century, when the development of printing was very recent and was transforming the liturgical realities and practices of communities and individuals. At the general chapter of 1540, it was decided to entrust to Parisian printers the production of the entirety of the antiphonaries, graduals and processionals for Cluny, which all priories would have to purchase. 42 On the revision of liturgical books in the 17th century, see the recent synthesis concerning the ceremonial, the modern liturgical book par excellence: Les cérémoniaux catholiques en France à l’époque moderne. Une littérature de codification des rites liturgiques, ed. Cécile DAVY-RIGAUX–Bernard DOMPNIER–Daniel-Odon HUREL (Eglise, liturgie et société dans l’Europe moderne 1, Turnhout 2009).

322 Daniel-Odon Hurel With the publication of the liturgical books emanating from the Council of Trent, it became necessary to engage in an overall revision of the Order’s liturgical books. In 1627, the general chapter decided to prepare a Roman monastic breviary (that of Paul V) for the use of Cluny; the task was entrusted to a committee of four monks who had joined the nascent Cluniac reform. The Strict Observance appears, until 1676, as the principal active influence in the renewal of liturgical books and practices within the Order, before the authority of the abbot of Cluny was enforced and collaboration between the two branches was imposed. This collaboration was to result in the publication of the fundamental Cluniac breviary. Liturgy was also at the centre of the first general chapter of the Strict Observance in 1633, at a time when the attempt was being made to impose a union with the Congregation of Saint-Vanne. In fact, the only major decision of that general chapter in its attempt to position the Cluniac reform within the tradition of the Order concerned liturgy: St. Hugo, designated the patron saint of the reform, was assigned a solemn feast, while St. Odilo was given prominence by being credited as having inspired devotional practices relating to the Mystery of the Incarnation and to St. Mary. This liturgical insertion of the Cluniac reform continued far beyond these beginnings, in regard to both Benedictine and Cluniac identity. In 1698, the Strict Observance requested that the feasts of saints Placidus, Scholastica, and Majolus, although only minor feasts, be celebrated as major ones. A good ten years later, in 1711, the solemnisation of the feast of St. Benedict on the 21st of March was requested and obtained. In the light of this liturgical renewal, a synthesis was needed between the ancient practices of the Order and these transformations. Work on updating the breviary was begun around 1667–1669, under the responsibility of Dom Pierre Simon, vicar-general of the Strict Observance. A profound revision, it seems to prefigure the later Cluniac breviary commissioned by the abbot of Cluny himself in the course of re-establishing control of the entire Cluniac organisation in 1676. This „reformed“ breviary, essentially the work of the Old Observance Cluniac, Dom Claude de Vert, was published in 1686. It emphasised the Psalter above all else, aiming to respect the disposition of the psalms proposed by the Rule of St. Benedict, that is to permit the entire Psalter to be recited every week, and also to reorient the texts of the antiphons and especially the lessons towards Scripture and the Church Fathers, to the detriment of the more „legendary“ aspects of saints’ lives. The hymns alone were of often very recent composition, including those of the great hymnographer Santeuil. These choices gave rise to profound reactions both in the monastic world and in the Gallican church as a whole, which was itself in the midst of an enterprise of liturgical reform, and their author was compelled to take up his pen in defense against his

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critics43. The work of Dom de Vert was grounded in an erudite and Gallican approach consisting in a fundamental re-appropriation of Benedictine tradition and of Biblical and patristic texts. This resulted in a simplification of the liturgy of the hours. Simultaneously, Scripture received a central place both in the lessons and in the composition of responses and antiphons. This primacy of the Bible also affected the sanctoral cycle, which was likewise reduced in spite of the intensified veneration of the Cluniac saints. In the final analysis, Dom de Vert appears as a guardian of Benedictine tradition and a protagonist of true monastic reform, the kind that meant finding a synthesis between the medieval heritage on the one hand and fidelity, at least on a spiritual and liturgical level, to the Rule of St. Benedict on the other hand; all this while faced with the two major Early Modern congregations of Saint-Vanne and Saint-Maur, which themselves did not engage in a reform of the breviary before the mid-18th century44.

Conclusion Erudition and religious politics are at the heart of Early Modern monastic reform, within which various readings and definitions of the internal traditions of orders stemming from the Middle Ages confronted the will to reconnect with what were considered the origins, in this case, the Rule of St. Benedict, not without accepting or even embracing institutional changes imposed by external society (such as the commendatory system), but also by a royal power which, in France, strove for political and religious efficiency by way of simplification and centralised control of the world of Benedictines, in the name of a specific notion of the utility of the religious orders. That utility was at once spiritual, economic and erudite, as Mabillon himself proclaimed in some of his reflections. In the mid-18th century, the utility of monks would be defined by the Benedictines themselves in terms of 43 Claude de VERT, Eclaircissements sur la réforme du Bréviaire de Cluny (Paris 1690). 44 Cluny republished its breviary in 1779: Pierre GASNAULT, La publication du dernier bréviaire de l’Ordre de Cluny (1778–1779). Revue Mabillon. Revue internationale d’histoire et de littérature religieuses 72 (2000) 129–134. As for Saint-Vanne, it was not until 1777 that a new breviary appeared: Breviarium monasticum iuxta Regulam sancti patris Benedicti ad usum congregationis sanctorum Vitoni et Hydulphi (Nancy 1777). This in turn served as inspiration to the Maurists for the publication of their own, in 1787, at the end of an exceptionally agitated period in their history: Breviarium ad usum congregationis sancti Mauri, ordinis sancti Benedicti in Gallia (Paris 1787). See Daniel-Odon HUREL, Monachisme bénédictin entre réforme catholique et Lumières: la Congrégation de Saint-Maur (forthcoming).

324 Daniel-Odon Hurel contributions to teaching45, to scientific investigation and to general, political and literary history, as demanded by the royal government and by municipalities. This work could be done within the movement of national and regional academies or outside it, in either a collective or an individual manner46. On account of the structural weaknesses of their Order, the Cluniacs scarcely participated in these efforts.

Zusammenfassung Im benediktinischen Frankreich der Neuzeit gab es zunächst die Kongregation von St.-Maur, die von der traditionellen Historiographie vornehmlich aufgrund ihrer gelehrten Aktivitäten bevorzugt studiert worden ist, dies aber lange Zeit vor allem von Mediävisten und Patristen. Seit etwa fünfzehn Jahren bemühen sich Spezialisten für frühneuzeitliche Gelehrsamkeit und frühneuzeitliches Mönchtum auch um die Erforschung religiöser, monastischer, theologischer sowie politischer Aspekte der von den Maurinern eingeschlagenen Richtung. Allerdings war die Maurinerkongregation nicht der einzige Zusammenschluss. Die Abtei Cluny war ebenso wie der kluniazensische Verband weiterhin präsent. Konfrontiert mit der maurinischen Reform bemühte sich Cluny, die Absorbierung in eine einheitliche Familie der französischen Benediktiner zu verhindern und sich einen Weg zwischen Modernität und Neuinterpretation seiner Ursprünge zu bahnen, und dies unter fortwährenden Spaltungen und Debatten zwischen 1630 und 1730. Die königliche Macht, die Autorität der tridentinischen Bischöfe und jene der Kommendataräbte lagen dem Erfolg der Mauriner zugrunde; dasselbe Königtum bemühte sich erfolglos um eine Union Clunys mit St.-Vanne oder St.-Maur, bevor es sich um 1675 dazu entschied, die äußerliche Einheit des kluniazensischen Klosterverbands in Form des Generalkapitels zu erhalten, dahinter aller45 See Dominique JULIA, Les bénédictins et l’enseignement aux XVIIe et XVIIIe siècles, in: Sous la Règle de Saint Benoît. Structures monastiques et sociétés en France du moyen âge à l’époque moderne. Abbaye bénédictine Sainte-Marie de Paris, 23–25 Octobre 1980 (Hautes Études médiévales et modernes 47, Genève 1982) 345–400; Daniel-Odon HUREL, Sorèze dans la Congrégation de Saint-Maur, in: Sorèze, l’intelligence et la mémoire d’un lieu, ed. Marie-Odile MUNIER (Toulouse 2001) 35–47; Daniel-Odon HUREL, Les Mauristes et les Lumières: un plan général d’instruction publique fondé sur le „Débris des Ordres de Saint Benoît et de Saint Bernard“. Revue Bénédictine 114 (2004) 382–394. 46 See especially: Académies et sociétés savantes en Europe (1650–1800), ed. DanielOdon HUREL–Gérard LAUDIN (Colloques, congrès et conférences sur le classicisme 1, Paris 2000).

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dings die alte und die (maurinisch orientierte) strenge Observanz parallele Existenzen führen zu lassen. In dem Beitrag wird zunächst untersucht, wie Cluny im Rahmen der maurinischen und der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit insgesamt erscheint und welcher Stellenwert ihm in der Geschichte benediktinischen Mönchtums eingeräumt wird. In weiteren Abschnitten wird auf einige Aspekte der Verbindungen zwischen politischen Zeitumständen und gelehrter Arbeit bei den Kluniazensern selbst eingegangen: zu Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts in Souvigny und Saint-Martin-des-Champs mit Martin Marrier und Sébastien Marcaille; in der Arbeit an der Liturgie und an den Ordensstatuten am Ende des 17. Jahrhunderts um Claude de Vert; schließlich die ordensgeschichtlichen Projekte, die in Cluny in der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt wurden. Diese drei Phasen sind zugleich drei Momente in der politischen Geschichte von Cluny.

Histoires de la grâce „Semi-pélagiens“ et „prédestinatiens“ dans l’érudition ecclésiastique du XVIIe siècle Jean-Louis Quantin La crise janséniste ne mettait pas seulement en cause l’interprétation de la doctrine d’Augustin, mais aussi, et sans doute même surtout, l’autorité de cette doctrine dans l’Église1. Conformément à la tendance générale des théologiens du XVIIe siècle, tout particulièrement en France, à ramener le plus possible les questions de droit à des questions de fait, les deux partis allèrent chercher leurs preuves dans l’histoire. La controverse de la grâce devenait histoire des controverses sur la grâce. Les moments-clefs étaient, d’une part, le siècle qui va des dernières années d’Augustin au concile d’Orange, surtout les débats qui agitèrent le clergé dans le sud de la Gaule, d’autre part, la grande dispute carolingienne sur la prédestination, à propos de la doctrine de Gottschalk d’Orbais. Les deux étaient liés puisque Hincmar, pour mieux convaincre Gottschalk d’avoir renouvelé l’hérésie des „anciens prédestinatiens“, avait, le premier, utilisé polémiquement des textes du Ve siècle. Dans un complexe jeu de miroirs, étudier les débats du IXe siècle faisait nécessairement surgir ceux du Ve, qui renvoyaient eux-mêmes, en dernière analyse, aux livres d’Augustin. Et parler d’Augustin, de Lucidus et de Fauste de Riez, de Prudence de Troyes et de Hincmar, c’était aussi, par la force des choses, parler de Jansénius et de ses adversaires. Les deux parties se référaient aux mêmes épisodes et utilisaient les mêmes sources. Seuls changeaient les jugements de valeur. Pour les antijansénistes, Fauste était le champion de l’orthodoxie contre l’hérésie prédestinatienne; pour les jansénistes, il était lui-même un hérétique, doublé d’un hypocrite. Dans l’imbroglio politico-ecclésiastique du IXe siècle, les anti-jansénistes retenaient avant tout les capitula de Quierzy; selon les jan1

Aspect mis en lumière de manière définitive par les travaux de Bruno NEVEU, Juge suprême et docteur infaillible: le pontificat romain de la bulle In eminenti (1643) à la bulle Auctorem fidei (1794). Mélanges de l’École française de Rome. Moyen Âge, Temps modernes 93 (1981) 215–275; Bruno NEVEU, Augustinisme janséniste et magistère romain. XVIIe siècle 34 (1982) 191–209; Bruno NEVEU, L’erreur et son juge. Remarques sur les censures doctrinales à l’époque moderne (Istituto italiano per gli studi filosofici, Serie Studi 12, Napoli 1993).

328 Jean-Louis Quantin sénistes, au contraire, ces capitula avaient été condamnés à bon droit par le concile de Valence. Les héros des premiers étaient les mauvais des seconds. Le phénomène est assez rare pour être relevé, dans une controverse qui, d’ordinaire, à l’intérieur de la même Église, portait sur des autorités reconnues et revendiquées de part et d’autre. En dernière analyse, ce qui était histoire pour les uns se retournait en fable pour les autres, ou, plus précisément, en histoire d’une fable. Les auteurs qui, pour les anti-jansénistes, attestaient l’existence de l’hérésie prédestinatienne n’avaient fait, aux yeux des jansénistes, que calomnier les disciples de saint Augustin: s’ils portaient effectivement témoignage, c’était de leur propre semi-pélagianisme.

I. La mise en œuvre théologique de ces textes ne date certes pas du jansénisme. Il faudrait une étude à part pour suivre la réception au XVIe siècle du De gratia de Fauste, dont Érasme donna, ou du moins préfaça, l’édition princeps en 1528, avec la lettre de Fauste à Lucidus et la rétractation de ce dernier, et qui fut repris par les Bibliothèques des Pères2. L’usage antiprotestant qu’en firent les théologiens de Louvain, Joannes Driedo et Ruard Tapper, donna lieu à son tour à de nombreuses discussions au siècle suivant3. Dans l’ensemble, pourtant, les anciennes disputes sur la grâce étaient très mal connues, même s’agissant de l’Antiquité tardive – du moins pour 2

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Fausti episcopi De gratia Dei et humanae mentis libero arbitrio opus insigne, cum D. Erasmi Roterodami praefatione (Basel 1528). Sur cette édition et le manuscrit utilisé, voir August ENGELBRECHT, Prolegomena, in: Fausti Reiensis praeter sermones pseudo-Eusebianos Opera. Accedunt Ruricii Epistulae, éd. August ENGELBRECHT (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 21, Praha–Wien–Leipzig 1891) V–LXXX, à XXXIV, XXXVIII sq. La lettre-préface d’Érasme à Ferry Carondelet, datée du 25 juin 1528, est reproduite dans: Percy Stafford ALLEN–Helen Mary ALLEN, Opus epistolarum Desiderii Erasmi Roterodami, 7: 1527–1528 (Oxford 1928) 406–408 N° 2002. Voir par exemple Willem VAN EST, Responsio ad ea, quae sibi obiecta erant a reverendo patre Joanne Deckerio Societatis Jesu professore [1609], in: Lucerna Augustiniana. Editio altera auctior (s.l.n.d. [Louvain 1650]) 86–88; Tomás DE LEMOS, Panoplia gratiae (4 vol., Liège [Béziers] 1676) 1/1 122; Jean-Libert HENNEBEL, Thesis VI. historico-theologica [1687], in: Jean-Libert HENNEBEL, Opuscula (Louvain 1703) 212–214 (hostiles à Fauste); dans l’autre sens, Jacques SIRMOND, Historia praedestinatiana, quibus initiis exorta et per quos potissimum profligata praedestinatorum haeresis olim fuerit et oppressa (Paris 1648) 61sq. Pour un survol de la réception de Fauste, on peut voir Carlo TIBILETTI, Fausto di Riez nei giudizi della critica. Augustinianum. Periodicum quadrimestre Instituti Patristici „Augustinianum“ 21 (1981) 567–587.

Histoires de la grâce 329

la période postérieure aux écrits d’Augustin et de Prosper –, et a fortiori pour l’époque carolingienne. L’histoire des controverses sur la prédestination esquissée par Georg Cassander en 1552, qui resta longtemps influente, saute directement de Cassien au XIIe siècle4. Les sources disponibles étaient rares. Dans le Traicté contre l’erreur vieil et renouvellé des predestinez qu’il composa en 1548 au concile de Trente (alors transféré à Bologne), Claude d’Espence souligna, selon un procédé classique, que cette erreur n’était pas nouvelle, mais comme quasi toutes les autres de ces derniers et perilleux temps, renouvellée, et comme des enfers resuscitée depuis plus d’unze cens ans5. Il se limita pourtant à une seule référence, la Chronique de Sigebert de Gembloux, dont l’édition princeps est de 1513. Y était relevée, à l’année 415, l’apparition de „l’hérésie des prédestinatiens“, selon lesquels les bonnes œuvres ne servaient pas à ceux qui étaient prédestinés à la mort, pas plus que les mauvaises ne nuisaient à ceux qui étaient prédestinés à la vie. „On dit que cette hérésie tire son origine des livres d’Augustin mal compris“ – d’Espence, qui paraphrase la notice de Sigebert en français, laisse de côté cette dernière clause6. Il ne fit pas le lien avec Lucidus, – qu’Érasme, il est vrai, peut-être pour mieux mettre en valeur l’orthodoxie de Fauste, avait présenté comme coupable, non de prédestinatianisme mais de pélagia4

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Honorii Augustodunensis ecclesiae presbyteri De praedestinatione et libero arbitrio dialogus, éd. Georg CASSANDER (Köln 1552) †II r – †XI v. Le texte est republié en appendice par Jan DE LAET, De Pelagianis et Semipelagianis commentariorum ex veterum patrum scriptis libri duo. Hodiernis controversiis dirimendis peropportuni ac perquam necessarii (Harderwijk 1617) 193–203; Gerard Jan VOSSIUS, Historiae de controversiis, quas Pelagius eiusque reliquiae moverunt, libri septem (Leiden 1618) 71, le qualifie de de Pelagianis et Semipelagianis praefatio [...] sane luculenta. Claude D’ESPENCE, Traicté contre l’erreur vieil et renouvellé des predestinez (Lyon 1548) 2. Sur l’ouvrage et son contexte, voir Guy BEDOUELLE, Claude d’Espence et le „Traicté contre l’erreur vieil et renouvellé des Predestinez“ (1548), in: Un autre catholicisme au temps des Réformes? Claude d’Espence et la théologie humaniste à Paris au XVIe siècle. Études originales, publications d’inédits, catalogue de ses éditions anciennes, éd. Alain TALLON (Nugae humanisticae sub signo Erasmi 12, Turnhout 2010) 227–237. Sigeberti Gemblacensis coenobitae Chronicon ab anno 381 ad 1113 […] nunc primum in lucem emissum (Paris 1513) 7v: Praedestinatorum haeresis hoc tempore coepit serpere, qui ideo praedestinati vocantur, quia de praedestinatione et divina gratia disputantes asserebant, quod nec pie viventibus prosit bonorum operum labor, si a Deo ad mortem praedestinati fuerint, nec impiis obsit, quod improbe vivant, si a Deo praedestinati fuerint ad vitam. Quae assertio et bonos a bonis avocabat et malos ad mala provocabat. Haec haeresis ex libris Augustini male intellectis initium sumpsisse dicitur. Cf. Sigeberti Gemblacensis Chronographia, éd. Ludwig Conrad BETHMANN, in: MGH Scriptores 6 (Hannover 1844) 268–535, à 306. Texte paraphrasé par D’ESPENCE, Traicté 2–3.

330 Jean-Louis Quantin nisme7, – ni avec Gottschalk, dont Sigebert notait sans autre précision la condamnation pour hérésie8. Les Centuriateurs de Magdebourg mentionnent les prédestinatiens au Ve siècle, en se bornant à citer Sigebert9. Ils s’étendent davantage sur Fauste, relevant le pélagianisme de ses ouvrages et signalant qu’il fut réfuté par Avit de Vienne, d’après Adon, et par Fulgence, d’après Isidore de Séville10. Ils traitent de Gottschalk parmi les hérétiques du IXe siècle, d’après des sources en partie inédites, mais toutes hostiles, et qu’ils reprennent sans réserve11. Gottschalk ne faisait nullement partie alors des testes veritatis du protestantisme, alors que Hincmar y était inclus, pour son refus des appellations au pape12. Des précisions supplémentaires, toujours du point de vue 7 Fausti De gratia Dei (cit. n. 2) 2v; cf. ALLEN–ALLEN, Opus epistolarum 7 (cit. n. 2) 407. Affirmation reprise par Johann Jacob GRYNAEUS, Monumenta sanctorum patrum orthodoxographa (3 vol., Basel 1569) 1 a7r–v. Le premier anathème de la lettre de Fauste à Lucidus vise expressément la doctrine de Pélage mais les suivants condamnent sans doute possible l’erreur opposée; la lettre de rétractation de Lucidus ne fait, quant à elle, aucune mention du pélagianisme. Pour une interprétation possible de cette différence, voir Ralph W. MATHISEN, Ecclesiastical Factionalism and Religious Controversy in Fifth-Century Gaul (Washington 1989) 260sq. 8 Sigeberti Chronicon (cit. n. 6) 66r; cf. Sigeberti Chronographia (cit. n. 6) 339. 9 Quinta centuria ecclesiasticae historiae, continens descriptionem amplissimarum rerum in regno Christi, quae quinto post eius nativitatem seculo acciderunt (Basel 1562) col. 620. 10 Quinta centuria ecclesiasticae historiae (cit. n. 9) col. 1365–1368. Voir, pour Adon: Adonis Viennensis archiepiscopi Breviarium chronicorum ab origine mundi ad sua usque tempora, id est ad regnum Ludovici Francorum regis cognomento Simplicis anno Domini DCCCLXXX (Paris 1561) 179; PL 123 col. 107; pour Isidore: PL 83 col. 1097 (De viris illustribus, recension longue, c. 27); Carmen CODOÑER MERINO, El „De viris illvstribvs“ de Isidoro de Sevilla. Estudio y edición crítica (Theses et studia philologica Salmanticensia 12, Salamanca 1964) 142 (recension brève, c. 14). 11 Nona centuria ecclesiasticae historiae, continens descriptionem amplissimarum rerum in regno Christi, quae nono post eius nativitatem seculo acciderunt (Basel 1565) col. 224sq., citant en particulier Raban, à Eberhard comte de Frioul, et Hincmar, Epistola ad Hincmarum Laudunensem. Pour Raban, voir Hrabani (Mauri) abbatis Fuldensis et archiepiscopi Moguntiacensis Epistolae, éd. Ernst DÜMMLER, in: Epistolae Karolini aevi 3 (MGH Epistolae 5, Berlin 1899) 379–533, à 481sq.; sur le manuscrit utilisé, voir ibid. VI, 379. Pour Hincmar, voir Rudolf SCHIEFFER, Die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon 869–871 (MGH Concilia 4 Suppl. 2, Hannover 2003) 119sq., 306. 12 Voir Matthias FLACIUS ILLYRICUS, Catalogus testium veritatis, qui ante nostram aetatem pontifici Romano eiusque erroribus reclamarunt (Strasbourg 1562) 111–120, 217 [sic pour 187]–198; Simon GOULART, Catalogus testium veritatis, qui ante nostram aetatem pontificum Romanorum primatui variisque papismi superstitionibus, erroribus ac impiis fraudibus reclamarunt (Genève 1608) 959–966, 966 [sic pour 996]–1017.

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de Hincmar, furent fournies par Nicolas Chesneau, chanoine de Reims, qui publia en 1580 une traduction française de l’Historia Remensis ecclesiae de Flodoard, inédite en latin. Dans le chapitre De Gothescalc schismatique (qui reprend la portion correspondante de la grande lettre de Hincmar au pape Nicolas), il inséra des manchettes pour faire le rapprochement avec les heretiques de maintenant et plus particulièrement avec Calvin13. Le dixième tome des Annales de Baronius donne l’état des connaissances sur la controverse carolingienne à l’aube du XVIIe siècle. Par Flodoard, – qu’il lut d’abord dans une rétroversion en latin de la traduction Chesneau, mais dont il obtint ensuite communication dans l’original14, – par les actes du concile de Valence (le premier sur la question à figurer, et bien daté de 855, dans les collections conciliaires, à partir de l’édition Surius de 1567)15, par ceux du concile de Savonnières de 859, – encore inédit mais dont il avait des manuscrits16, – Baronius avait les moyens de se faire une idée assez précise de ce qui s’était passé. Il ne pouvait lui échapper, en tout cas, que les évêques des Gaules s’étaient divisés et que la doctrine de Hincmar avait été rejetée par une partie de ses confrères, au premier chef par les Pères du concile de Valence. Désintérêt ou embarras, il préféra pourtant tout réduire à un long combat de Hincmar contre l’hérétique Gottschalk, „cette bête“17, insistant sur la condamnation initiale de ce dernier – il reproduisit tout du long le récit de Hincmar au pape Nicolas18 –, et passant très vite sur la suite. 13 L’histoire de l’eglise metropolitaine de Reims, premierement escrite en latin (non encores imprimé) par Floard iadis chanoine d’icelle eglise, trad. Nicolas CHESNEAU (Reims 1580) 132r–135v; manchettes 132v–133r, 133v–134r. Cf. Flodoard von Reims. Die Geschichte der Reimser Kirche, éd. Martina STRATMANN (MGH Scriptores 36, Hannover 1998) 237–241. 14 Voir Jean-Louis QUANTIN, Baronius et les sources d’au-delà des monts. La contribution française aux Annales, in: Baronio e le sue fonti. Atti del Convegno internazionale di studi, Sora 10–13 ottobre 2007, éd. Luigi GULIA (Fonti e Studi Baroniani 4, Sora 2009) 51–101, à 61. 15 Voir Wilfried HARTMANN, Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 843–859 (MGH Concilia 3, Hannover 1984) 350. Cesare BARONIO, Annales ecclesiastici, 10 (Roma 1602) 118, ad annum 855 [No I–II], cite d’après Conciliorum omnium tam generalium quam provincialium, quae iam inde ab apostolorum temporibus hactenus legitime celebrata haberi potuerunt, volumina quinque (Venezia 1585) 3 888–893. – Je cite toujours Baronius d’après les éditions originales de chaque volume mais j’ajoute entre crochets la numérotation des paragraphes dans l’édition de référence (Lucca 1738–1759). 16 BARONIO, Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 170–180, ad annum 859 [No XVII– LI] (sous le nom de concile de Toul). Sur les manuscrits utilisés, voir HARTMANN, Konzilien 843–859 (cit. n. 15) 450sq., 454. 17 BARONIO, Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 63, ad annum 848 [No XI]. 18 BARONIO, Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 61–63, ad annum 848 [No V–X]. Une comparaison avec le texte plus tard publié par Sirmond (Flodoardi presbyteri ecclesiae

332 Jean-Louis Quantin À l’en croire, le concile de Valence avait été réuni pour condamner la doctrine répandue par „certains Écossais vagabonds“ disciples de Gottschalk19; les capitula lus au concile de Savonnières qui indignèrent les „évêques orthodoxes“ portaient sur „les erreurs de Gottschalk“20. Quant aux controverses du Ve siècle, Baronius, dans son tome six, en 1595, n’avait pas été moins unilatéral, cette fois contre Fauste. Il affirmait même que le second concile d’Orange, – que, à ce stade, il datait faussement de 463, – avait été réuni par Césaire d’Arles contre le crypto-pélagianisme de Fauste21. Celui-ci avait gagné la confiance des évêques orthodoxes en rédigeant une lettre contre Lucidus, un hérétique prédestinatien, de ceux que mentionnait Sigebert, et en l’amenant à résipiscence – Baronius admettait sans difficulté le témoignage de Fauste sur ce point, ainsi que sur la condamnation de Lucidus par deux conciles, à Arles et à Lyon, pour lesquels il constitue la seule Remensis canonici Historiarum eiusdem ecclesiae libri IV. Nunc primum Latine, ac multo quam Gallica versio exhibebat auctiores, éd. Jacques SIRMOND [Paris 1611] 201r–204v, lib. 3 c. 14) prouve sans doute possible que Baronius cite ici d’après la rétroversion du français, non d’après un manuscrit. Baronius cite en outre (ibid. 61) un bref passage de l’Opusculum LV capitulorum de Hincmar (SCHIEFFER, Streitschriften [cit. n. 11] 307), qui ne figure pas dans Flodoard et ne correspond pas à la citation des Centuries (voir n. 11). Il avait donc dû avoir accès à un manuscrit, vraisemblablement celui de Pierre Pithou (voir SCHIEFFER, Streitschriften 116; sur Baronius et les manuscrits de Pithou, QUANTIN, Baronius [cit. n. 14] 84–88). 19 BARONIO, Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 118, ad annum 855 [No I]: Scoti quidam vagi homines, quorum princeps Gothescalcus. La dénonciation des Scoti dans les actes du concile (Concilia omnia [cit. n. 15] 3 890; HARTMANN, Konzilien 843– 859 [cit. n. 15] 356) vise en réalité Jean Scot Érigène. 20 BARONIO, Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 170, ad annum 859 [No XVII], qui se réfère à la dédicace par Hincmar à Charles le Chauve de son troisième traité sur la prédestination: Hincmari archiepiscopi Remensis Epistolae, éd. Ernst PERELS (MGH Epistolae 8/1, Berlin 1939) 70sq. Sur la numérotation conventionnelle des traités de Hincmar, voir n. 67. Voir déjà BARONIO, Annales ecclesiastici 10 118, ad annum 855 [No I] (Hincmari Epistolae 72). La mention par Baronius de deux lettres (Habentur apud Frodoardum [sic] in Rhemensis historiae libro tertio duae epistolae Hincmari ad Carolum regem scriptae eodem argumento de erroribus Gothescalci, eaedemque nuncupatoriae praefixae libris, quibus eiusdem haeretici confutavit errores) et la précision donnée en marge (c. 15 et 16) prouvent qu’il cite ici d’après l’original. La traduction Chesneau fusionne en un seul chapitre (lib. 3 c. 13, mais numéroté 14 dans la table) les chapitres 15 et 16, et ne donne qu’une seule lettre, la dédicace du troisième traité, en supprimant entièrement celle du second. 21 Cesare BARONIO, Annales ecclesiastici, 6 (Roma 1595) 259, ad annum 463. Baronius se corrigea sur ce point dans Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 957, 961sq., où il donna un nouveau développement sur le concile d’Orange, à insérer au vol. 7, ad annum 529 (ce qui fut fait dans les éditions postérieures). Ce nouveau texte ne fait plus référence à Fauste et se contente de parler en général des hostes gratiae Dei, plus satis quam par esset libero arbitrio tribuentes (ibid. 962).

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source22. Mais Fauste en avait ensuite profité pour écrire son traité De gratia, dans lequel „l’hérésie était cachée, comme le serpent dans l’herbe sous les fleurs qui s’étalent“23. Il avait été démasqué et réfuté, en particulier par Fulgence24. Baronius concluait en s’étonnant que certains donnassent „très imprudemment“ le titre de saint à l’évêque de Riez25.

II. La controverse entre catholiques et protestants n’avait pas suffi à faire revivre ces épisodes oubliés. Il fallut attendre pour cela les grandes querelles sur la grâce à l’intérieur des Églises. Les anciennes disputes devinrent d’une actualité brûlante, non seulement pour leur objet mais parce que, exactement comme les disputes contemporaines, elles se situaient aux frontières de l’orthodoxie. Il y avait une exagération polémique par trop visible à taxer les molinistes – ou, du côté calviniste, les arminiens – de pélagianisme. Il était bien plus plausible, – comme le fit Jansénius en appendice de son Augustinus pour les recentiores jésuites, Molina, Lessius et Suarez, – de mettre leur doctrine en parallèle avec celle de Fauste, de Cassien et des anti-augustiniens de Marseille dénoncés par Prosper et son associé Hilaire26. L’hostilité de Baronius au molinisme naissant se laisse clairement voir dans l’avertissement par lequel il tint à conclure son exposé sur Fauste: „Puis donc que l’Église catholique s’opposa partout à l’opinion de Fauste, que certains modernes voient quel danger ils courent, lorsque, en se dressant contre les novateurs [protestants] pour les réfuter ils s’écartent de l’opinion de saint Augustin sur la prédestination27“. 22 BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 445–448, ad ann. 490 [No XVI–XXX]. Dans sa lettre à Lucidus, Fauste dit qu’il garde un exemplaire pour le produire in conventu sanctorum antestitum (Fausti Opera [cit. n. 2] 164); dans le prologue de son De gratia à Léonce d’Arles, il mentionne expressément deux conciles, tenus successivement à Arles et à Lyon (voir n. 124). Ce sont encore les seules sources dont on dispose aujourd’hui: voir Charles MUNIER, Concilia Galliae A. 314 – A. 506 (Corpus Christianorum, Series Latina 148, Turnhout 1963) 159–161. 23 BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 444 [No XI]: in quo lateret haeresis ceu anguis in herba sub prominentibus floribus. 24 BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 449 [No XXXIII–XXXV]. 25 BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 451 [No XLII]: quem miramur ab aliquibus imprudenter sane inscribi sanctum. 26 Cornelis JANSEN, Augustinus (3 t. en 1 vol., Louvain 1640) 3 col. 1072–1144, Erroris Massiliensium et opinionis quorundam recentiorum ʌĮȡ੺ȜȜȘȜȠȞ et statera. In qua discrimen utriusque sententiae ʌĮȡĮȜȜ੾ȜȦȢ indagatur et compluribus notis perspicue ostenditur. 27 BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 449sq., ad annum 490 [No XXXVI]: Cum igitur Fausti sententiae ubique ab ecclesia catholica fuerit contradictum;

334 Jean-Louis Quantin Fauste et son milieu furent alors rebaptisés „semi-pélagiens“, d’un nom nouveau, calqué sur „semi-ariens“ (terme hérité, celui-là, de l’hérésiologie antique), qui visait à bien marquer leur place dans la nomenclature des hérésies28. Le nom se répandit vite. Baronius, qui ne s’était servi que de périphrases équivalentes dans ses Annales29, parla systématiquement de Semipelagiani dans la Censura qu’il composa contre Molina, en 1603, pour souligner combien la doctrine du jésuite était identique ou au moins „apparentée“ aux erreurs de ceux-ci30. L’Index librorum expurgandorum romain de 1607 (compilé par des dominicains, ex professo anti-molinistes) prescrivit d’ajouter dans la Bibliotheca patrum, en tête des ouvrages de Fauste, et en particulier du De gratia, des avertissements contre ce „chef des semi-pélagiens“, en citant notamment Isidore sur sa réfutation par Fulgence31. Baronius avait

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videant, quanto periculo quidam ex recentioribus, dum in novatores insurgunt, ut eos confutent, a sancti Augustini sententia de praedestinatione recedunt. Voir en particulier LEMOS, Panoplia gratiae (cit. n. 3) 1/1 118–120 (Tract. 5, c. XVII: Quare sint dicti Semipelagiani [Massilienses]) – ouvrage composé par Lemos après la clôture des congrégations de auxiliis. Outre la note de Mammès JACQUIN, À quelle date apparaît le terme „Semipélagien“? Revue des sciences philosophiques et théologiques 1 (1907) 506–508, voir Émile AMANN, Semi-pélagiens, in: Dictionnaire de théologie catholique 14/2 (Paris 1941) col. 1796–1850, à 1796. Le terme était déjà en usage dans la théologie protestante mais, semble-t-il, seulement pour désigner des adversaires contemporains: voir William PERKINS, A golden chaine, or the description of theologie, containing the order of the causes of salvation and damnation, according to Gods worde (London 1591) A2r. Voir Cesare BARONIO, Annales ecclesiastici, 5 (Roma 1594) 498, ad annum 426 [No XXI] (Pelagianis, clam sub catholico nomine latentibus); 499, ad annum 426 [No XXIV]; 639sq., ad annum 433 [No XXV–XXVII]; BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 259, ad annum 463: Cum […] quidam Gallicani presbyteri, etsi Pelagium damnare viderentur, ex obliquo tamen eidem faverent, impugnantes sancti Augustini aliqua scripta adversus Pelagianos edita – passage supprimé par la suite, voir n. 21. Venerabilis Caesaris Baronii sacrae Romanae ecclesiae cardinalis bibliothecarii Epistolae et opuscula, éd. Raimondo ALBERICI (3 vol., Roma 1759–1770) 2 124– 139, en particulier 138 (Huic affinis est Molinae sententia); cf. aussi la lettre de Baronius à Lamata, 5 janvier 1603, ibid. 3 342sq. Voir Dino P ASTINE, Baronio e il Molinismo, in: Baronio storico e la Controriforma. Atti del Convegno internazionale di studi, Sora 6–10 ottobre 1979, éd. Romeo DE MAIO–Luigi GULIA–Aldo MAZZACANE (Fonti e studi Baroniani 1, Sora 1982) 233–251. Giovanni Maria GUANZELLI DA BRISIGHELLA, Indicis librorum expurgandorum in studiosorum gratiam confecti tomus primus (Roma 1607) 107, 119sq., 162–164; pour le texte d’Isidore, voir n. 10. L’expurgation de la Bibliotheca patrum (dans l’édition de 1589) serait due au dominicain espagnol, Tomás Malvenda. Voir Pierre PETITMENGIN, Deux „Bibliothèques“ de la Contre-Réforme: la Panoplie du Père Torres et la Bibliotheca Sanctorum Patrum, in: The Uses of Greek and Latin. Historical Essays, éd. Anna Carlotta DIONISOTTI–Anthony GRAFTON–Jill KRAYE (Warburg

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nuancé son hostilité à Fauste, après avoir reçu des informations sur le culte immémorial rendu à celui-ci dans son diocèse de Riez: distinguant désormais, dans une addition de 1603, entre la personne et les ouvrages, il suggéra que Fauste avait pu rétracter ses erreurs dans des écrits perdus, ou alors qu’il était mort avant d’être officiellement condamné par l’Église32. On soupçonne ici l’influence du P. Sirmond, alors un des principaux collaborateurs de Baronius à Rome. Il est vraisemblable que le jésuite joua aussi un rôle à propos du deuxième concile d’Orange – que Baronius, dans le même appendice de 1603, replaça correctement en 52933: les deux questions étaient liées, on va le voir, puisque reculer Orange un demi-siècle après la composition du De gratia de Fauste permettait de soutenir que celui-ci avait erré de bonne foi dans une question qui n’était pas encore décidée. L’Index de 1607, qui renvoie par ailleurs à Baronius, n’en ordonna pas moins la suppression systématique du titre de saint donné à Fauste dans la Bibliotheca patrum, dont celui-ci était „absolument indigne“34. Désormais et pour longtemps, l’hostilité à l’évêque de Riez devenait une marque d’antimolinisme. Dans les décennies suivantes, les érudits catholiques français se limitèrent à publier des sources. Le Supplément à la Bibliothèque des Pères publié à Paris en 1610 inclut l’édition princeps des écrits de l’Église de Lyon, faisant ainsi entendre, pour la première fois, le point de vue des évêques opposés à Hincmar35. Preuve de l’horizon dans lequel ces textes étaient reçus, ils étaient Institute Surveys and Texts 16, London 1988) 127–153, à 142–144; Gigliola FRAGNI„In questo vasto mare de libri prohibiti et sospesi tra tanti scogli di varietà et controversie“: la censura ecclesiastica tra la fine del Cinquecento e i primi del Seicento, in: Censura ecclesiastica e cultura politica in Italia tra Cinquecento e Seicento. VI giornata Luigi Firpo. Atti del Convegno, 5 marzo 1999, éd. Cristina STANGO (Fondazione Luigi Firpo Centro di Studi sul pensiero politico. Studi e testi 16, Firenze 2001) 1–35, à 30sq.; Elisa REBELLATO, Il miraggio dell’espurgazione. L’indice di Guanzelli del 1607. Società e storia 31 (2008) 715–742, à 731sq. BARONIO, Annales ecclesiastici 10 (cit. n. 15) 958, addition pour le vol. 6, ad annum 490 [No XLII]. Voir n. 21. Sur la contribution de Sirmond aux Annales, voir QUANTIN, Baronius (cit. n. 14) 57–59. Il n’est pas remercié à propos du concile d’Orange mais il l’est presque immédiatement avant (BARONIO, Annales ecclesiastici 10 [cit. n. 15] 956sq.), pour avoir redaté le concile d’Arles de 524, également présidé par Césaire, que Baronius avait d’abord placé en 453. GUANZELLI, Index librorum expurgandorum (cit. n. 31) 86, 93, 107, 119: quod eo [nomine Divi vel Sancti] prorsus indignus Faustus extiterit. Auctarii Bibliothecae patrum et auctorum ecclesiasticorum tomus secundus (Paris 1610) col. 1063–1254. La source était un manuscrit de Nicolas Le Fèvre, l’actuel Bibliothèque nationale de France (BNF) Ms. lat. 2419, transcription du manuscrit autographe de Florus de Lyon, Ms. lat. 2859; voir Catalogue général des manuscrits latins, éd. Philippe LAUER, 2: Nos 1439–2692 (Paris 1940) 451; 3: Nos 2693–3013A (Paris 1952) 170sq. TO,

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336 Jean-Louis Quantin accompagnés de notes dues au théologien de Sorbonne André Du Val. Tout en soulignant leur portée anti-protestante – en particulier contre „l’horrible blasphème“ des calvinistes qui font Dieu auteur du péché36 –, Du Val avertit que plusieurs passages devaient „être lus avec prudence“. L’affirmation que le Christ n’avait pas souffert pour ceux qui meurent dans l’infidélité, qui figurait aussi parmi les canons du concile de Valence, „a besoin d’une interprétation indulgente“, en comprenant qu’il s’agit de la satisfaction du Christ „selon l’efficacité, mais non selon la suffisance“37. Dans le contexte de la lutte contre la Réforme, l’augustinisme rigide paraissait dangereux. Le jésuite Maldonat, qui avait lu en manuscrit le De tribus epistolis, soupçonnait même que Remi de Lyon (auquel il l’attribuait) partageait l’erreur des prédestinatiens et de Gottschalk, selon laquelle le Christ n’était mort que pour les prédestinés38. Sirmond, surtout, après son retour en France en 1608, entama son immense série d’éditions, qui touchèrent souvent aux controverses sur la grâce – s’il fallait y trouver un fil directeur, ce serait celui-là. Ennode de Pavie, dont il publia les Opera en 1611, avait écrit une longue lettre contre un hérétique selon qui le libre arbitre était juste capable de se porter au mal, et le salut ou la perte de l’homme avait pour seule cause la prédestination divine: à cette „peste libyenne“ et ce „serpent des sables“, l’évêque de Pavie opposait une doctrine très influencée par le De gratia de Fauste39. En 1614, Sirmond donna une nouvelle édition de Sidoine Apollinaire: celui-ci avait couvert d’éloges un ouvrage de Fauste où Sirmond, à la suite de Baronius, reconnaissait le De gratia40. Les Concilia Galliae de 1629 incluaient plusieurs inédits sur les querelles carolingiennes. Les précédentes collections 36 Auctarium Bibliothecae patrum 2 (cit. n. 35) col. 1256, 1261, 1263. 37 Auctarium Bibliothecae patrum 2 (cit. n. 35) col. 1263. 38 Juan MALDONADO, Commentarii in quattuor evangelistas nunc primum in lucem editi (2 vol., Pont-à-Mousson 1596) 1 col. 481sq. (sur Matth. 20,28); 2 col. 1080 (sur Jean 17,9). Sur l’intérêt de Maldonat pour les prédestinatiens, voir aussi n. 59. 39 Magni Felicis Ennodii episcopi Ticinensis Opera, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1611) 65–68, notes (paginées à part) 11sq.; cf. Ennode de Pavie. Lettres, 1: Livres I et II, éd. Stéphane GIOANNI (Collection des universités de France, Série latine, Paris 2006) 72–76, 181–184. Ce problème est entièrement ignoré dans Stefanie A. H. KENNELL, Ennodius and his editors. Classica et mediaevalia. Revue danoise de philologie et d’histoire 51 (2000) 251–270. On jugera des compétences, et de la culture historique, de l’auteur quand on aura vu que selon elle (ibid. 256), Sirmond eut une controverse avec „Pierre d’Orléans“: il s’agit de Petrus Aurelius, le célèbre pseudonyme de Jean Duvergier de Hauranne, abbé de Saint-Cyran – Aurelius (et non Aurelianensis!) étant bien sûr une référence à Aurelius Augustinus. 40 C. Sollii Apollinaris Sidonii Arvernorum episcopi Opera, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1614), notes (paginées à part) 162.

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conciliaires n’avaient pu, pour le concile de Mayence contre Gottschalk, que donner des notes compilées à partir de Baronius (c’est-à-dire, pour l’essentiel, de la rétroversion de Flodoard)41. Sirmond les remplaça par la lettre où Raban Maur expliquait à Hincmar la condamnation de Gottschalk et le lui renvoyait42. À la suite de ce concile de Mayence, Sirmond introduisit celui de Quierzy, absent jusque là des collections conciliaires. Il publia la sentence qui y avait été portée contre Gottschalk (le condamnant à être flagellé et jeté en prison)43, et surtout, tirés de Hincmar, les „quatre capitula établis à Quierzy dans le concile contre les prédestinatiens“: pour Sirmond, il s’agissait du même concile, qu’il datait de 84844. Les Concilia Galliae comprenaient encore l’édition princeps des actes du concile de Tusey (avec une lettre synodale dont la première partie résume le dogme de la grâce et de la prédestination)45. Sirmond travaillait par ailleurs à une édition de Hincmar, pour laquelle il avait rassemblé de nombreux matériaux46. Avant les années 1640, pourtant, il n’aborda jamais de front la question, s’en tenant à quelques brèves remarques dispersées dans ses éditions. Dans celle de Sidoine, il nota ainsi qu’on pouvait „excuser en quelque manière“ Fauste et ceux qui avaient pensé comme lui, puisqu’ils „vécurent avant le concile d’Orange, dont les décrets servirent ensuite à l’Église de norme de doctrine 41 Voir Concilia generalia et provincialia, quaecunque reperiri potuerunt, éd. Severin BINIUS (Köln 1606) 3/1 636–638; reproduit sans changement dans la nouvelle édition (Köln 1618) 3/1, pars posterior, 377sq. 42 Concilia antiqua Galliae, éd. Jacques SIRMOND (3 vol., Paris 1629) 3 64sq., d’après Hincmar, De praedestinatione c. 2; cf. PL 125 col. 84; HARTMANN, Konzilien 843– 859 (cit. n. 15) 184. 43 Concilia antiqua Galliae (cit. n. 42) 3 680; cf. HARTMANN, Konzilien 843–859 (cit. n. 15) 198sq. 44 Concilia antiqua Galliae (cit. n. 42) 3 66sq.: Capitula quatuor apud Carisiacum in synodo contra praedestinatianos constituta; cf. HARTMANN, Konzilien 843–859 (cit. n. 15) 296sq., qui suggère que la source est un manuscrit des capitula, mais Sirmond me semble clairement dire (Concilia antiqua Galliae 3 65) qu’il cite d’après le De praedestinatione de Hincmar. Les Conciliorum antiquorum Galliae a Iacobo Sirmondo S. J. editorum Supplementa, éd. Pierre DELALANDE (Paris 1666) 160, donnent des références précises à Hincmar. Sur le problème chronologique, voir n. 78. 45 Concilia antiqua Galliae (cit. n. 42) 3 164–167; cf. Wilfried HARTMANN, Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 860–874 (MGH Concilia 4, Hannover 1998) 23–27, et 14sq. sur les manuscrits utilisés par Sirmond. 46 Outre les extraits du De praedestinatione de Hincmar cités par Sirmond, Concilia antiqua Galliae 3 (cit. n. 42) 65sq. (PL 125 col. 85; HARTMANN, Konzilien 843–859 [cit. n. 15] 195sq.), voir Oxford, Bodleian Library, Ms. Rawl. lett. 89, N° 79, Johann Jakob Frey à Ussher, 25 juin 1635; The Whole Works of the Most Rev. James Ussher, D. D., Lord Archbishop of Armagh and Primate of All Ireland, éd. Charles Richard ELRINGTON (17 vol., Dublin 1847–1864) 16 524.

338 Jean-Louis Quantin contre les erreurs des semi-pélagiens“47. Outre le silence général ordonné sur la controverse de auxiliis par le Saint-Office, en 1611 puis en 1623 et encore en 162548, tout plaidoyer en faveur des Massilienses – sauf peut-être quand il pouvait être attribué à une piété diocésaine49 – exposait à l’accusation de semi-pélagianisme. Son édition de Valérien de Cimiez, où il s’était pourtant abstenu de toute note théologique, suffit à faire dénoncer Sirmond au Saint-Office, et l’ouvrage n’échappa que de justesse à une condamnation50. Les Histoires des anciennes controverses sur la grâce virent alors le jour en terre protestante, en liaison avec la controverse arminienne. Les calvinistes orthodoxes des Provinces-Unies ouvrirent le feu en 1617, avec le traité „des pélagiens et des semi-pélagiens“ de Jan de Laet, ouvrage bien informé mais qui s’arrêtait au début du VIIe siècle51. La première vue d’ensemble, en englobant les controverses carolingiennes, fut donc l’Historia Pelagiana composée par l’érudit arminien Gerard Jan Vossius, à l’instigation

47 Sidonii Opera (cit. n. 40), notes (paginées à part) 162: Faustum vero, et si qui tum in Gallia, quod dissimulari non potest, cum eo senserunt, aliquo modo excusare ratio illa videtur, quod ante synodum Arausicanam vixerint, cuius placitis ecclesia deinceps tanquam norma doctrinae adversus Semipelagianorum errores usa est. 48 Voir Lucien CEYSSENS, Sources relatives aux débuts du jansénisme et de l’antijansénisme 1640–1643 (Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique 31, Louvain 1957) XVI–XXIX, 8sq.; Lucien CEYSSENS, Le côté juridique des premières difficultés jansénistes, in: Reformata reformanda. Festgabe für Hubert JEDIN zum 17. Juni 1965, éd. Erwin ISERLOH–Konrad REPGEN (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Supplementband 1, 2 vol., Münster 1965) 2 401–413. Mais voir aussi, quant à l’interprétation, les importantes corrections de Konrad REPGEN, Das Hl. Offizium und der „Fall Sylvius 1621–1627“. Ein Kapitel aus der Vorgeschichte des Jansenismus-Streits, in: Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max BRAUBACH zum 10. April 1964, éd. Konrad REPGEN–Stephan SKALWEIT (Münster 1964) 340– 387, dont Ceyssens n’a jamais tenu compte. 49 Comme dans le cas de Simon BARTEL, Sancti Fausti Episcopi Regiensis Apologia, in: Simon BARTEL, Historica et chronologica praesulum sanctae Regiensis ecclesiae nomenclatura (Aix 1636), paginée à part 3–95. 50 Sancti Valeriani episcopi Cemeliensis Homiliae XX. Item Epistola ad monachos de virtutibus et ordine doctrinae apostolicae, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1612). Le dossier fait l’objet de ma contribution: Philologie et querelle de la grâce au XVIIe siècle: Sirmond, Valérien de Cimiez et le Saint-Office, in: Amicorum societas. Mélanges offerts à François DOLBEAU, éd. Jacques ELFASSI–Cécile LANÉRY–AnneMarie TURCAN-VERKERK (Florence, à paraître). 51 DE LAET, De Pelagianis et Semipelagianis commentarii (cit. n. 4). Résumé biographique et abondantes références dans Johannes A. F. BEKKERS, Correspondence of John Morris with Johannes de Laet (1634–1649) (Van Gorcum’s Litteraire Bibliotheek 17, Assen 1970) XV–XVIII, 229–232.

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de Hugo Grotius52, et publiée en 1618, juste avant l’ouverture du synode de Dordrecht. L’ouvrage soulignait la complexité des discussions sur la grâce au Ve siècle, que l’on ne pouvait réduire à une opposition binaire entre orthodoxie augustinienne et hérésie pélagienne; il relevait le danger persistant du prédestinatianisme, enseigné par Lucidus et renouvelé par Gottschalk; selon lui, la controverse carolingienne s’était terminée à l’avantage de Hincmar, qui y avait eu le dernier mot53. Au témoignage de Grotius, lui-même admirateur du livre, celui-ci eut du succès en France et y valut à son auteur „de grandes amitiés“54: il ne dut pas être en tout cas pour déplaire aux jésuites. La réplique calviniste fut donnée outre-Manche par James Ussher, archevêque d’Armagh, d’abord dans son Historia Gotteschalci de 1631, puis dans ses Britannicarum ecclesiarum antiquitates de 1639. L’auteur y déployait une maîtrise des sources supérieure à celle de Vossius pour montrer que le prédestinatianisme n’avait jamais existé: ce n’était qu’une invention polémique des semi-pélagiens pour discréditer la doctrine d’Augustin55.

III. Le grand essor de l’historiographie catholique sur le sujet suivit la publication de l’Augustinus, en 1640. L’ouvrage lui-même n’y contribua pas directement: sa démonstration qu’il „n’y avait jamais eu au monde ni hérésie prédestinatienne ni hérétiques prédestinatiens“56 n’apportait rien de nouveau par rapport 52 Voir en particulier Grotius à Vossius, 30 déc. 1616, dans Philip C. MOLHUYSEN, Briefwisseling van Hugo Grotius, 1: 1597 – 17 Augustus 1618 (Rijks geschiedkundige publicatiën 64, Den Haag 1928) 543. 53 VOSSIUS, Historia de controversiis (cit. n. 4). Voir Cornelis S. M. RADEMAKER, Life and Work of Gerardus Joannes Vossius (1577–1649) (Respublica literaria Neerlandica 5, Assen 1981) 87–125; Jean-Louis QUANTIN, The Church of England and Christian Antiquity. The Construction of a Confessional Identity in the 17th Century (Oxford-Warburg Studies, Oxford–New York 2009) 173–176. 54 Grotius à Vossius, 19 août 1621 (Philip C. MOLHUYSEN, Briefwisseling van Hugo Grotius, 2: 30 Augustus 1618 – 30 December 1625 [Rijks geschiedkundige publicatiën 82, Den Haag 1936] 124): scito librum tuum de Pelagiana Historia magnas tibi hic amicitias parasse. […] Sed Historiae Pelagianae omnia exemplaria quae hic erant distracta sunt et valde a multis desiderantur; Hugo GROTIUS, Animadversiones in Animadversiones Andreae Riveti (Paris 1642) 30. 55 James USSHER, Gotteschalci, et praedestinatianae controversiae ab eo motae, historia: una cum duplice eiusdem confessione nunc primum in lucem edita (Dublin 1631); James USSHER, Britannicarum ecclesiarum antiquitates. Quibus inserta est pestiferae adversus Dei gratiam a Pelagio Britanno in ecclesiam inductae haereseos historia (Dublin 1639). Voir QUANTIN, Church of England (cit. n. 53) 179–181. 56 JANSEN, Augustinus (cit. n. 26) 1 col. 541–549 [lib. 8, c. 23].

340 Jean-Louis Quantin à l’Historia Gotteschalci d’Ussher – Jansénius, mort en 1638, n’avait pu connaître les développements supplémentaires des Antiquitates. S’il ne cita jamais l’archevêque d’Armagh, l’évêque d’Ypres l’avait certainement lu: les parallèles, s’agissant, par exemple, de rejeter le témoignage de Gennade sur les prédestinatiens, sont trop précis pour être une simple rencontre57 – les jésuites en firent grand bruit quand ils s’en aperçurent58. Mais la crise janséniste décida Sirmond à passer à la phase décisive de ses publications. Il commença, en 1643, par l’édition princeps du Praedestinatus, selon le nom qu’il lui donna, un traité sans titre et anonyme qu’il proposait d’attribuer à Arnobe le jeune59, dont Hincmar s’était servi contre les „prédestinatiens“ 57 JANSEN, Augustinus (cit. n. 26) 1 col. 547: Qua de causa sanctus Isidorus Hispalensis episcopus Hincmaro antiquior atque doctior, cum librum istum Gennadii vidisset atque inde plures haereses iisdem omnino verbis descripsisset, Pelagianos a Gennadio praetermissos addidit et praedestinatianos a Gennadio positos praetermisit. Comparer USSHER, Gotteschalci historia (cit. n. 55) 20: Itaque Isidorus Hispalensis, relicto hic Gennadio, quem alias in suo haereticorum catalogo sequi solet, praedestinatianorum horum mentione prorsus praetermissa Pelagianorum haeresim eorum loco, iudicio longe rectiore, substituit; cf. Isidori Hispalensis episcopi Etymologiarum sive Originum libri XX, éd. Wallace M. LINDSAY (Scriptorum classicorum Bibliotheca Oxoniensis, 2 vol., Oxford 1911) VIII, v, 63. Le texte de Gennade sur les prédestinatiens, dans son appendice à l’Indiculus de haeresibus du Pseudo-Jérôme, avait été publié pour la première fois par Claude Ménard, Andium propraetor (lieutenant de la prévôté d’Angers) en 1617: voir Sancti Hieronymi Stridoniensis Indiculus de haeresibus Iudaeorum, éd. Claude MÉNARD (Paris 1617) 26sq.; cf. Franz OEHLER, Corporis haereseologici tomus primus, continens scriptores haereseologicos minores latinos (Berlin 1856) 297sq. JANSEN, Augustinus 1 col. 465 [lib. 8, c. 7], avait auparavant déclaré Gennade semi-pélagien à cause de ses éloges de Cassien et de Fauste dans son De viris illustribus. C’était là une idée classique chez les auteurs catholiques: voir par exemple Opera divi Aurelii Augustini Hipponensis episcopi ad veterum codicum collationem per theologos Lovanienses emendata, 3 (Antwerpen 1576) 380; BARONIO, Annales ecclesiastici 5 (cit. n. 29) 640, ad ann. 433 [No XXVIII, XXX]; GUANZELLI, Index librorum expurgandorum (cit. n. 31) 119, 162; Roberto BELLARMINO, De scriptoribus ecclesiasticis (Roma 1613) 130. 58 Voir Étienne DECHAMPS [pseud. Antonius RICARDUS], Defensio censurae sacrae facultatis Parisiensis, latae XXVII. Junii anni MDLX, seu Disputatio theologica de libero arbitrio. Editio tertia prioribus multo auctior (Paris 1646) e2r–v, 134–140 (série de parallèles textuels). Accusation reprise par Jean MARTINON [pseud. Antonin MORAINES], Anti-Jansenius, hoc est, Selectae disputationes de haeresi Pelagiana et Semipelagiana, deque variis statibus naturae humanae, et de gratia Christi Salvatoris (Paris 1652) 158. 59 Praedestinatus. Praedestinatorum haeresis et libri sancto Augustino temere adscripti refutatio. Ab auctore ante annos MCC conscripta, nunc autem in lucem primum edita, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1643) a3r, 217–220: l’attribution repose sur des parallèles avec les passages consacrés aux prédestinatiens dans le Commentaire sur les Psaumes d’Arnobe le jeune; cf. Arnobii Iunioris Opera omnia, 1: Arnobii Iunioris

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de son temps et qui faisait ainsi le pont entre les Ve et IXe siècles: dans sa préface, Sirmond souligna que le manuscrit qu’il utilisait était celui même de Hincmar60. Une attaque aussi expresse contre la doctrine augustinienne de la prédestination n’aurait guère pu voir le jour tant qu’elle ne pouvait être couverte du pavillon de l’anti-jansénisme. Sirmond possédait vraisemblablement le Praedestinatus depuis longtemps et il semble l’avoir communiqué en manuscrit à des amis dans les années 163061. Lucas Holstenius, qui l’avait découvert de son côté à Rome, écrivit au jésuite: „l’unique cause qui me dissuada d’en donner une édition fut qu’il était plus savant dans l’école de Cassien que dans celle d’Augustin“62. Sans jamais nommer Jansénius, Sirmond le visa clairement en dénonçant ceux qui, „depuis quelques années“, soutenaient qu’il n’y avait jamais eu d’hérésie prédestinatienne. „Ils n’écoutent pas les anciens auteurs qui disent le contraire, et ils accusent principalement Gennade de Marseille, qu’ils soupçonnent d’avoir le premier introduit cette erreur“. La publication du Praedestinatus, certainement antérieur à Gennade, allait couper court à toute contestation63. Les défenseurs de Jansénius, par la plume de Martin de Barcos, neveu et successeur de l’abbé de Saint-Cyran, dénoncèrent avec véhémence le Praedestinatus comme, non seulement semi-pélagien, mais Pelagien tout

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Commentarii in Psalmos, éd. Klaus-Detlef DAUR (Corpus Christianorum, Series Latina 25/1, Turnhout 1990) 185 sq., 250sq. Le deuxième passage était cité par MALDONADO, Commentarii in quattuor evangelistas (cit. n. 38) 1 col. 481 (sur Matth. 20,28); 2 col. 567 (Jean 3,16); 2 col. 1080 (Jean 17,9); voir aussi une lettre de Maldonat à Francisco Torres, citée dans Jacobi Sirmondi Societatis Jesu presbyteri Opera varia, nunc primum collecta, ex ipsius schedis emendatiora, éd. Jacques DE LA BAUNE (5 vol., Paris 1696) 4 e3v. Praedestinatus (cit. n. 59) a2v–a3r. Sur ce manuscrit, voir Franco GORI, Prolegomena, in: Arnobii Iunioris Praedestinatus qui dicitur, éd. Franco GORI (Corpus Christianorum, Series Latina 25B, Turnhout 2000) V–XXII, à XVI sq. Le Praedestinatus (sous le nom de Anonymus, quem Hincmarus Remensis Hyginum per errorem vocat. Scripsit autem adversus praedestinatianos paulo post obitum sancti Augustini) est cité par Nicolas Rigault parmi les Veterum scriptorum testimonia quaedam de Tertulliano en tête de Q. Septimii Florentis Tertulliani Opera ad vetustissimorum exemplarium fidem locis quamplurimis emendata, éd. Nicolas RIGAULT (Paris 1634) e2v–e3r. Il est vraisemblable qu’il en avait eu communication par Sirmond; sur leurs rapports, voir ibid., notes (paginées à part) 117. Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Barberini latin 2179, 38v, Lucas Holste à Sirmond, 2 avril 1644: Me sane una haec caussa ab editione deterruit, quod in Cassiani potius quam Augustini ludo doctus fuerit (lettre publiée en partie, sans ce passage, dans Sirmondi Opera varia [cit. n. 59] 1 ee1v; la réponse de Sirmond, 6 mai 1644, ibid. FF2v, n’aborde pas la question du semi-pélagianisme). Praedestinatus (cit. n. 59) a2r: Proinde antiquos scriptores, qui contradicant, non audiunt, et Gennadium Massiliensem, quem erroris ducem suspicantur, praecipue insimulant.

342 Jean-Louis Quantin declaré, et s’indignèrent que Sirmond eût osé mettre en lumiere un livre si impie et si fol tout ensemble, au risque de deshonorer sa vieillesse64. Dans le milieu érudit gallican, où l’on cultivait volontiers l’anti-jésuitisme, et a fortiori parmi les calvinistes, on semble avoir donné raison à Barcos65. Grotius, en revanche, défendit la doctrine du Praedestinatus: l’ouvrage montrait que c’était „une vieille habitude des prédestinatiens“ de traiter leurs adversaires de pélagiens ou de semi-pélagiens66 – accusation, on le voit, qui est l’exact miroir de la position d’Ussher ou de Jansénius. Presque jusqu’au bout – il mourut à 92 ans en 1651 –, Sirmond travailla à étoffer le dossier du prédestinatianisme. Il fit paraître en 1645 les Opera omnia de Hincmar, qui incluaient en particulier l’édition princeps du „second écrit“ – le troisième selon notre numérotation actuelle – De praedestinatione67. Trois lettres de Raban Maur contre Gottschalk suivirent en 164768. Fort de toutes les sources ainsi publiées, le savant jésuite donna enfin, en 1648, une synthèse, brève mais décisive, l’Historia praedestinatiana, en douze chapitres chronologiques, des „commencements des prédestinatiens en 64 Martin DE BARCOS [pseud. AUVRAY], Censure d’un livre etc., que le P. Jacques Sirmond a publié sur un vieil manuscrit, et qu’il a intitulé Praedestinatus (Paris 1644) 17, 15, 97, 102. 65 Voir BNF, Fonds français 3934, 41r, Jacques Dupuy à Saumaise, 23 avril 1644; André RIVET, ǻȚ੺ȜȣıȚȢ discussionis Grotianae Rivetiani Apologetici, quam paulo ante obitum typographo excudendam dederat Grotius [1646], in: Andreae Riveti Pictavi Opera theologica (3 vol., Rotterdam 1651–1660) 3 1123. 66 [Hugo GROTIUS], Rivetiani Apologetici pro schismate contra votum pacis facti discussio (Irenopoli [Amsterdam] 1645) 12: Sed bene ostendit liber a summae eruditionis viro Jacobo Sirmondo nuper editus veterem morem esse eorum, qui ob errorem noxium circa praedestinationem praedestinati dicti sunt, […] recte de gratia liberoque arbitrio sentientes Pelagianorum aut Semipelagianorum nominibus infamare. 67 Hincmari archiepiscopi Remensis Opera, éd. Jacques SIRMOND (2 vol., Paris 1645). Sirmond ne connaissait que deux traités de Hincmar sur la prédestination, un premier, perdu, dont seule la lettre-préface est conservée par Flodoard, et un second, dont la lettre-préface est également dans Flodoard (voir n. 20), et dont il donnait l’édition princeps. Depuis la redécouverte du premier écrit de Hincmar, Ad reclusos et simplices, on parle respectivement de second et troisième traités. Voir Wilhelm GUNDLACH, Zwei Schriften des Erzbischofs Hinkmar von Reims. Zeitschrift für Kirchengeschichte 10 (1889) 92–145, 258–310, à 258; et, par exemple, Jean DEVISSE, Hincmar. Archevêque de Reims 845–882 (Travaux d’histoire éthico-politique 29, 3 vol., Genève 1975–1976) 1 215sq.; David GANZ, The Debate on Predestination, in: Charles the Bald: Court and Kingdom. Papers Based on a Colloquium Held in London in April 1979, éd. Margaret GIBSON–Janet L. NELSON–David GANZ (B. A. R. International Series 101, Oxford 1981) 353–373, à 363sq. 68 Rabani archiepiscopi Moguntini De praedestinatione Dei adversus Gothescalcum epistolae III, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1647).

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Afrique parmi les moines d’Adrumète“, jusqu’à l’époque carolingienne69. Jansénius était cette fois expressément nommé: un extrait de son „oracle sur l’hérésie des prédestinatiens“ était même reproduit en tête du texte70. Pour prouver que celle-ci avait bien existé, Sirmond rassembla tous les témoignages qu’il avait, pour la plupart, publiés lui-même, ainsi la lettre d’Ennode de Pavie à Constantius, qu’il reproduisit presque intégralement, sans commentaire71. Il relativisa les disputes entre évêques carolingiens. Le concile de Valence avait effectivement adopté des canons opposés aux capitula de Quierzy, rédigés par Hincmar, et ces canons de Valence avaient ensuite été confirmés par le concile de Langres, puis „présentés et relus au concile de Savonnières“. Hincmar les avait alors „réfutés avec soin“, tout en confirmant sa propre doctrine – Sirmond arrêtait là son histoire72. Reste que les canons de Valence, et aussi bien les écrits de l’Église de Lyon, s’accordaient avec Hincmar pour rejeter sans ambiguïté le prédestinatianisme. Les évêques méridionaux avaient saisi l’occasion de s’opposer à Hincmar, „soit excités par la haine personnelle d’Ebbon de Grenoble contre Hincmar, soit poussés par quelque autre cause“, mais sans vraie raison de doctrine73. L’année suivante, Sirmond publia encore la lettre d’Amolon à Gottschalk74, puis un florilège augustinien qu’il attribuait au même Amolon, et que les savants du XXe siècle ont rendu à Florus de Lyon. „À la suite d’Amolon“, souligna Sirmond dans sa préface, „nous prendrons les pensées 69 SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3). L’ouvrage est reproduit à la suite du Praedestinatus dans PL 53 col. 671–692. 70 SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3) a3v: Jansenii Iprensis De praedestinatorum haeresi divinatio (extrait de JANSEN, Augustinus [cit. n. 26] 1 col. 542: voir n. 56). 71 SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3) 69–75. 72 SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3) 83: haec ipsa synodi Valentinae capitula in synodo Lingonica posthaec confirmata et in Tullensi apud Saponarias oblata et relecta, cum ad Hincmarum pervenissent, accurate ab eodem confutata fuerint, suaque ipsius, quae illi [Lugdunenses] oppugnabant, constabilita. 73 SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3) 89: quis non intelligit in hac illos [Lugdunenses] altercatione, seu Ebonis Gratianopolitani privato in Hincmarum odio incitatos seu alia re quapiam adductos, redarguendi Hincmari tuendique Gothescalci causas quaesiisse potius et captasse quam reipsa nactos esse? 74 Amolonis archiepiscopi Lugdunensis ad Gothescalcum Epistola, in qua eius de praedestinatione et gratia errores aliquot reprehendit, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1649); cf. Amulonis archiepiscopi Lugdunensis Epistolae, éd. Ernst DÜMMLER, in: Epistolae Karolini aevi 3 (MGH Epistolae 5, Berlin 1899) 361–378, à 368–378. Sirmond ajouta le Sermo Flori (PL 116 col. 97–100), qu’il avait trouvé dans le même manuscrit et qu’il attribuait également à Amolon: voir Jean-Paul BOUHOT, Le Sermo Flori sur la prédestination. Revue bénédictine 119 (2009) 371–402, à 376 n. 18, 388, 391. Sur le manuscrit, voir n. 75.

344 Jean-Louis Quantin d’Augustin dans le sens qui s’accorde le plus avec les décrets de l’Église“, et non à la manière de Gottschalk75. Les jansénistes répondirent par deux volumes de Vindiciae praedestinationis et gratiae publiés en 1650 par Gilbert Mauguin, président à la Cour des monnaies – il s’agit vraisemblablement pour partie d’un travail collectif 76. Le premier volume réunissait les principaux textes du IXe siècle encore inédits. En dehors du De divina praedestinatione de Scot Érigène, c’étaient des défenses de l’augustinisme rigide, tels le De praedestinatione contra Scotum de Prudence de Troyes „qui est de première importance“, et le De praedestinatione de Ratramne de Corbie; figuraient aussi des textes déjà publiés, mais revus sur les manuscrits, comme les écrits de l’Église de Lyon77. Le deuxième volume contenait une histoire détaillée de la „contro75 Sancti Augustini Sententiae de praedestinatione et gratia Dei et de libero hominis arbitrio, ante annos DCCC ex eius libris collectae, éd. Jacques SIRMOND (Paris 1649) a2v: Nos Amolone duce Augustini sententias in eam partem accipiemus, quae ecclesiae placitis maxime congruat. Sur ce recueil (PL 116 col. 105–140) et le manuscrit utilisé, voir Célestin CHARLIER, Les manuscrits personnels de Florus de Lyon et son activité littéraire, in: Mélanges E. PODECHARD. Études de sciences religieuses offertes pour son éméritat au doyen honoraire de la Faculté de théologie de Lyon (Lyon 1945) 71–84, à 80; Georges FOLLIET, La tradition indirecte du De correptione et gratia de saint Augustin (6e – 13e s.). Sacris Erudiri. A Journal on the Inheritance of Early and Medieval Christianity 38 (1998/99) 245–280, à 260sq.; Klaus ZECHIEL-ECKES, Augustinus-Rezeption im frühmittelalterlichen Lyon. Ein quellenkritischer Beitrag zu den Beati Augustini sententiae de praedestinatione et gratia Dei et de libero hominis arbitrio. Mit Edition der ungedruckten Exzerpte aus De civitate Dei (Cod. Gent 249), in: Quellen, Kritik, Interpretation. Festgabe zum 60. Geburtstag von Hubert MORDEK, éd. Thomas Martin BUCK–Julia HERRMANN– Petra WIENANDS–Oliver MÜNSCH–Gernot WAHA (Frankfurt am Main et al. 1999) 31–56 (qui donne cependant des indications erronées sur l’édition de Sirmond pour n’avoir pas consulté l’original mais seulement la réimpression dans la PL). Voir aussi n. 110. 76 Voir les références données par Régine POUZET, Mauguin, Gilbert, in: Dictionnaire de Port-Royal, éd. Jean LESAULNIER–Antony MCKENNA (Dictionnaires et références 11, Paris 2004) 729. Signalons que selon [Philippe LABBE], Triumphus catholicae veritatis adversus novatores, sive Jansenius damnatus a conciliis, pontificibus, episcopis, universitatibus, doctoribus atque ordinibus religiosis (Paris 1651) e1v, Mauguin était parent d’Amable de Bourzeis, alors un des principaux théologiens port-royalistes. 77 Gilbert MAUGUIN, Vindiciae praedestinationis et gratiae, 1: Veterum auctorum, qui IX. saeculo de praedestinatione et gratia scripserunt, opera et fragmenta plurima nunc primum in lucem edita (Paris 1650). Liste des textes et de leurs sources, ibid. e2r–v (Liber sancti Prudentii De praedestinatione contra Ioannem Scotum, qui praecipuus). Pour l’édition de Jean Scot, voir Goulven MADEC, Introduction, in: Iohannis Scotti De divina praedestinatione liber, éd. Goulven MADEC (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 50, Turnhout 1978) V–XIX, à X sq., XIII–XV;

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verse gotteschalcienne“. Grâce aux Annales de Saint-Bertin, publiées par Duchesne en 1641, Mauguin montra que le Concilium apud Carisiacum de Sirmond était en réalité un amalgame de deux assemblées différentes: le concile qui avait condamné Gottschalk, pour des raisons disciplinaires et non doctrinales – Mauguin le redatait du début de 849 –, et une petite assemblée de quelques évêques autour de Hincmar, en 853, qui avait adopté les capitula mais n’avait été qu’un „conventicule“, un „pseudo-synode“78. Le concile de Valence avait condamné à juste titre ces capitula de Quierzy. En 859, les canons de Valence, nouvellement confirmés au concile de Langres, avaient été seuls lus au concile de Savonnières, où ils n’avaient suscité l’opposition que de Hincmar et de ses partisans. Hincmar, pour sa part, n’avait pas osé présenter les capitula de Quierzy, qui avaient donc été „tacitement réprouvés, au moins jusqu’à ce qu’il en fût autrement décidé. Mais il n’en fut jamais autrement décidé […]. Et ainsi, ces quatre capitula apocryphes et illégitimes de Hincmar ayant été rejetés, les canons des conciles de Valence et de Langres ont toujours conservé l’autorité de définitions légitimes et de décrets concilaires“79. Hincmar avait encore fait de même, l’année suivante, au concile de Tusey, préférant accepter le rejet tacite de ses capitula plutôt que de risquer leur condamnation explicite80. Les Pères de Tusey, du reste, dans leur lettre synodale, avaient „très complètement et très savamment professé l’essentiel de la doctrine de saint Augustin sur la grâce et le libre arbipour Prudence, Pierre PETITMENGIN, D’Augustin à Prudence de Troyes: les citations augustiniennes dans un manuscrit d’auteur, in: De Tertullien aux Mozarabes. Mélanges offerts à Jacques FONTAINE, Membre de l’Institut, à l’occasion de son 70e anniversaire, par ses élèves, amis et collègues, 2: Haut Moyen-Âge (VIe – IXe siècles), éd. Louis HOLTZ–Jean-Claude FREDOUILLE–Marie-Hélène JULLIEN (Collection des Études augustiniennes. Série Moyen-Âge et Temps modernes 26, Paris 1992) 229– 251, à 232, 236; pour Ratramne, voir n. 116. 78 Gilbert MAUGUIN, Vindiciae praedestinationis et gratiae, 2: Tomus posterior continens historicam et chronicam synopsim cum gemina dissertatione et pacifica operis coronide (Paris 1650) 7–9, 15sq., 74–78. Voir André DUCHESNE–François DUCHESNE, Historiae Francorum scriptores, 3 (Paris 1641) 206sq.; cf. Annales de Saint-Bertin, éd. Félix GRAT–Jeanne VIELLIARD–Suzanne CLÉMENCET (Paris 1964) 67. Sirmond avait répété sa chronologie initiale (un seul concile en 848) dans Hincmari Opera (cit. n. 67) 1 †4r, mais s’était montré plus prudent dans Historia praedestinatiana (cit. n. 3) 80: In eadem quoque synodo [in Carisiaco palatio habita], aut in eodem certe loco. 79 MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 328: Capitula illa quatuor tacite reprobata, saltem donec aliter fuisse definitum. Atqui nunquam aliter definitum […]. Et sic canones illi utriusque concilii Valentini et Lingonensis reiectis illis quatuor spuriis et illegitimis Hincmari capitulis auctoritatem legitimarum definitionum et decretorum synodalium semper retinuerunt. 80 MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 334.

346 Jean-Louis Quantin tre“81 – Mauguin paraît avoir été le premier à reconnaître que ce texte, que ni Ussher ni Sirmond n’avaient mentionné dans leurs Histoires, mettait le point final à la controverse sur la prédestination82. Venait enfin une réfutation point par point de „l’histoire, ou de la fable prédestinatienne du R. P. Sirmond“. Plus de trente pages étaient ainsi consacrées à démonter le témoignage d’Ennode. „Il est plus clair que le jour“ que l’évêque de Pavie était imprégné de pélagianisme et qu’il n’attaquait pas un hérétique prédestinatien, mais „quelqu’un qui professait la vraie foi catholique et orthodoxe“83. La „peste libyenne“ désignait évidemment Augustin, „évêque libyen ou africain“84. La réplique jésuite fut donnée en 1655 par le P. Louis Cellot dans un énorme in-folio, muni de copieux appendices, l’Historia Gotteschalci. Cellot disposait des papiers de Sirmond, d’après lesquels il publia en appendice plusieurs textes inédits85. Il n’entendait pas pourtant récrire toute l’Historia praedestinatiana, – il n’entreprit pas, par exemple, de défendre Ennode de Pavie, – mais seulement reprendre l’histoire des disputes carolingiennes contre Mauguin86. Il convint qu’il y avait eu deux conciles de Quierzy: le second, qui avait promulgué les capitula, avait été „le supplément du premier dans l’affaire de Gottschalk“. Mais il maintint que l’un et l’autre étaient parfaitement légitimes87. Tant les capitula de Quierzy que les canons de Valence avaient été lus à Savonnières: aucune décision officielle n’avait été 81 MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 335: in cuius [epistolae synodalis] praefatione episcopi illi praecipuam beati Augustini de gratia et libero arbitrio doctrinam plenissime et doctissime professi sunt. Voir aussi ibid. 19–21. 82 L’interprétation de Mauguin fut immédiatement reprise par [Antoine ARNAULD], Apologie pour les saincts Peres de l’Eglise, defenseurs de la grace de Jesus-Christ (Paris 1651) 315–317. 83 MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 624: luce clarius patet non impugnatum ab eo haereticum praedestinatianum […], sed ab Ennodio impetitum verae catholicae et orthodoxae fidei professorem. 84 MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 654: quidni dogmata sancti Augustini Libyci seu Africani episcopi de gratia et praedestinatione toxicorum Lybicae pestis nomine infamare studuerit? 85 Louis CELLOT, Historia Gotteschalci praedestinatiani et accurata controversiae per eum revocatae disputatio (Paris 1655). Voir en particulier la lettre en vers de Gottschalk à Ratramne, ibid. 414–419 (cf. Godescalci Carmina, éd. Ludwig TRAUBE, in: Poetae Latini aevi Carolini 3 [MGH Poetae 3, Berlin 1896] 707–738, à 733–737; Marie-Luise WEBER, Die Gedichte des Gottschalk von Orbais [Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 27, Frankfurt am Main et al. 1992] 151–159); la lettre de Prudence à Hincmar et Pardule, ibid. 420–463 (PL 115 col. 971–1010). 86 Voir ce qu’il dit lui-même: CELLOT, Historia Gotteschalci (cit. n. 85) 94, 329. 87 CELLOT, Historia Gotteschalci (cit. n. 85) 53–57, 243–246; voir 243: prioris Carisiacensis in causa Gottheschalci supplementum.

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prise, ni sur les uns ni sur les autres, mais les débats s’étaient conclus, de fait, par la victoire de Hincmar, „puisque personne dans les Gaules n’avait osé ensuite écrire contre Hincmar pour défendre aucune proposition de Valence“88. Ce que Mauguin avait dit de l’attitude de Hincmar au concile de Tusey s’appliquait en réalité exactement, „en changeant les noms“, aux évêques de la province de Lyon et aux canons de Valence89. La lettre synodale, rédigée par Hincmar, avait répété, – sous une forme non polémique, pour ne pas relancer la controverse, mais très clairement, – la doctrine même des capitula de Quierzy90. En une douzaine d’années, tandis que s’enchaînaient les publications de sources, les grands récits rivaux du jansénisme et de l’anti-jansénisme se fixèrent ainsi définitivement. La même période vit la constitution du jansénisme en hérésie, de la bulle In Eminenti de 1643 à la bulle Ad sacram de 1656. Les érudits font explicitement le rapprochement. Sirmond ne mit en tête de son Hincmar qu’une préface minimale mais il y fit remarquer que la publication du De praedestinatione serait jugée „opportune et très appropriée, à notre époque, pour réfuter les mêmes“ adversaires91. Mauguin ne craignit pas, pour sa part, de faire entrer dans la préface de ses Vindiciae un éloge de l’Augustinus92. Cellot reproduisit dans un appendice de son Histoire tout le dossier de la condamnation des cinq propositions: il conclut que la bulle Cum occasione d’Innocent X était au XVIIe siècle ce que les capitula de Quierzy avaient été au neuvième93. En outre, les épisodes ainsi remis au jour furent immédiatement mobilisés dans la polémique contemporaine. Le jésuite Philippe Labbe ne craignit pas de réclamer pour les jansénistes le traitement qui avait été infligé à Gottschalk, les verges et la prison94. Pendant tout le XVIIe siècle et au-delà, l’existence d’hérétiques prédestinatiens demeura âprement disputée. Mabillon inclut la question dans la Liste des principales difficultez du Traité des études monastiques95. Auparavant, dans son Iter Italicum, il avait mentionné sa conversation à Rome avec le cardinal Capisucchi sur Gottschalk et les prédestinatiens, „que le cardinal 88 CELLOT, Historia Gotteschalci (cit. n. 85) 324: nemine posthac per Gallias contra Hincmarum pro ulla Valentinarum propositionum tuenda auso scribere. 89 CELLOT, Historia Gotteschalci (cit. n. 85) 332: totam hanc orationem, mutatis nominibus, ad Lugdunenses transferendam comprobo. 90 CELLOT, Historia Gotteschalci (cit. n. 85) 332–334. 91 Hincmari Opera (cit. n. 67) 1 †4r: Erunt etiam, qui nobilem illam adversus praedestinatianos dissertationem, quae nunc primum exoritur, opportunam hoc tempore ad eosdem refellendos aptissimamque arbitrentur. 92 MAUGUIN, Vindiciae 1 (cit. n. 77) a4v–e1r. 93 CELLOT, Historia Gotteschalci (cit. n. 85) 483–520; voir la conclusion, ibid. 519sq. 94 LABBE, Triumphus (cit. n. 76) 51. 95 Jean MABILLON, Traité des études monastiques (Paris 1691) 414.

348 Jean-Louis Quantin n’estime nullement fictifs“96. Les enjeux théologiques restaient considérables. Ce fut, par exemple, la question du prédestinatianisme qui valut au Syntagma variarum ecclesiae definitionum du franciscain irlandais anti-janséniste, Francis Porter, d’être condamné par le Saint-Office en 1682, au sommet de la réaction anti-jésuite sous Innocent XI97. La façon dont les érudits présentaient cette histoire, et plus particulièrement les deux grandes figures de Fauste et de Gottschalk, constituait un marqueur théologique très net. Le jugement de Mabillon sur Gottschalk, par exemple, exprimait sa prudence et sa crainte des disputes inutiles comme son respect sincère pour la hiérarchie de l’Église. Distinguant dans ses Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti entre la doctrine du Saxon – dont il n’entendait pas discuter – et sa conduite, il le blâma d’avoir voulu, simple moine, enseigner publiquement malgré les évêques, comme de s’être obstiné à employer des formules dures qui n’étaient nullement nécessaires98. Le passage déplut aux mauristes jansénistes du XVIIIe siècle, qui préférèrent reprendre à leur compte la conclusion du théologien dominicain Contenson: Gottschalk, bien loin d’être un sectaire et un prédestinatien, doit être regardé comme un généreux défenseur de la doctrine de S. Augustin et de la foi catholique, qui a souffert pour la justice, pour la vérité et pour la grace, et qui est mort dans la soufrance 99.

96 Jean MABILLON–Michel GERMAIN, Museum Italicum seu Collectio veterum scriptorum ex bibliothecis Italicis, 1 (Paris 1687), Iter Italicum (paginé à part) 135 (13 janvier 1686). Voir Raimondo CAPISUCCHI, Dissertatio historico-theologica de haereticis praedestinatianis et illorum erroribus, in: Raimondo CAPISUCCHI, Quaestiones theologicae selectae morales et dogmaticae (Roma 1684) 357–418: les arguments historiques sont tous empruntés à Sirmond, Cellot et Labbe (dans sa collection conciliaire, sur laquelle voir n. 111). 97 Francis PORTER, Syntagma variarum ecclesiae definitionum in materia fidei et morum a saeculo quarto ad praesens usque tempus editarum (Rome 1681). Voir Lucien CEYSSENS, François Porter, franciscain irlandais à Rome (1632–1702), in: Miscellanea MELCHOR DE POBLADURA. Studia Franciscana historica P. Melchiori a Pobladura dedicata, LX aetatis annum et XXV a suscepto regimine Instituti historici O.F.M.Cap. agenti, éd. ISIDORO DE VILLAPADIERNA (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 23–24, 2 vol., Roma 1964) 1 387–419, à 401–404. 98 Jean MABILLON, Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti in saeculorum classes distributa, 4/2 (Paris 1680) lxxiii. 99 [René-Prosper TASSIN], Histoire littéraire de la congrégation de Saint-Maur, ordre de S. Benoît, où l’on trouve la vie et les travaux des auteurs qu’elle a produits, depuis son origine en 1618, jusqu’à présent; avec les titres, l’énumération, l’analyse, les diférentes éditions des livres qu’ils ont donnés au public, et le jugement que les savans en ont porté; ensemble la notice de beaucoup d’ouvrages manuscrits, composés par des Bénédictins du même corps (Paris 1770) 230sq., traduisant librement Vincent de CONTENSON, Theologia mentis et cordis, 5 (Lyon 1681) 437. Voir aussi

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Les divergences théologiques se reflétèrent aussi dans l’hagiographie. Labbe s’indignait que le calendrier publié par les port-royalistes dans leur Office de l’Église et de la Vierge, en 1650, inclût Prudence de Troyes mais omît sainct Fauste Evesque de Riez, sainct Cassian Abbé, et autres, qui ont eu à la verité quelques defauts dans leur doctrine, mais qui ont mené une vie pleine de saincteté et de belles actions, ausquelles vous ne sçauriez rien monstrer de semblable dans Prudence100. Rencontrant incidemment Prudence dans le premier volume des Acta sanctorum en 1643, Bolland lui avait donné le titre de saint et avait noté que sa fête était célébrée le 6 avril101. Lorsque, pourtant, les Acta sanctorum en arrivèrent à ce jour, en 1675, les successeurs de Bolland, Henschenius et Papebroch, refusèrent d’inclure l’évêque de Troyes: sa sainteté était mal attestée et il apparaissait, „par ses propres ouvrages et par ceux des autres, qu’il n’avait pas été parfaitement orthodoxe dans la foi“ – les bollandistes renvoyaient pour plus de détails à l’Historia Gotteschalci de leur confrère Cellot102. Au XVIIIe siècle, la sainteté de Prudence donna encore lieu à une âpre polémique entre un chanoine de Troyes, janséniste ou au moins théologiquement proche du jansénisme, Remi Breyer, et les jésuites des Mémoires de Trévoux103. „S. Fauste, évêque de Riez“, fut en revanche inclus dans les Acta sanctorum en 1760, avec une longue défense de son orthodoxie et, inversement, de la réalité de l’hérésie prédestinatienne, par le bollandiste Jean Stilting104.

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l’exposé, prudent mais dont les sympathies vont clairement à Gottschalk, dans: Histoire literaire de la France […]. Par des Religieux Benedictins de la Congregation de S. Maur, 5 (Paris 1740) 352–364. [Philippe LABBE], Le calendrier des heures surnommées à la Janseniste, reveu et corrigé par François de Sainct-Romain prestre catholique (Paris 1650) 24sq.; voir encore ibid. 36. Acta sanctorum, quotquot toto orbe coluntur vel a catholicis scriptoribus celebrantur (AASS) Januarii 1 (Antwerpen 1643) 511 n. a (sur la Vie de saint Frobert). AASS Aprilis 1 (Antwerpen 1675) 531: ex quibus [ipsius aliorumque operibus] constat non omnino recte in fide sensisse. Voir sur cette polémique, qui mériterait une étude à part, [Remi BREYER], Les vies de S. Prudence evêque de Troyes, et de Ste. Maure vierge (Troyes 1725); Mémoires pour l’histoire des sciences et des beaux arts (1736) 603; [Remi BREYER], Défense de l’eglise de Troyes, sur le culte qu’elle rend à S. Prudence evesque. Contre ceux qui prétendent que sa sainteté n’est pas assez avérée pour être placé dans le recueil des Vies des Saints (Paris 1736); Mémoires pour l’histoire des sciences et des beaux arts (1736) 2693–2754; [Remi BREYER], Suite de la Défense de l’eglise de Troyes, sur le culte qu’elle rend à S. Prudence evesque (Paris 1738: l’exemplaire de la Bibliothèque de l’Arsenal, Paris, 8° 21359 [3] donne le texte de plusieurs longs développements théologiques effacés par le censeur). AASS Septembris 7 (Antwerpen 1760) 651–714.

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IV. Malgré leurs divergences doctrinales, à l’intérieur des Églises et même entre catholiques et protestants, les érudits avaient en commun un même mode d’écriture, – héritage de l’histoire ecclésiastique antique, ranimé au XVIe siècle par les exigences de la controverse religieuse, – fondé sur la reproduction des documents originaux, tout particulièrement des lettres105. Ussher dénonça „l’impudence“ du jésuite Nicolas Serarius qui, traitant dans son Histoire de Mayence, en 1605, de la condamnation de Gottschalk (en ne faisant du reste que décalquer Baronius), avait affirmé que la vieille hérésie des prédestinatiens, renouvelée par Gottschalk, l’était à présent par les calvinistes106. Mais Ussher, dans le premier livre qu’il publia, avait pris explicitement pour modèle la méthode de Serarius („donner les noms et rapporter les termes de ceux chez qui j’avais trouvé l’histoire“)107: il la suivit encore dans son Historia Gotteschalci et ses Antiquitates. Vossius n’écrivait pas autrement108. On a vu l’importance que tiennent les documents chez Sirmond et Mauguin. Celui qui fit le plus pour mettre au jour des sources nouvelles fut bien sûr Sirmond, au point qu’il en fournit même à ses adversaires théologiques109. Dans les années 1640, pour compléter les matériaux considérables qu’il avait accumulés pendant les décennies précédentes, il activa un réseau international. La lettre d’Amolon et les Sententiae augustiniennes qui l’accompagnaient étaient conservées par un manuscrit de l’abbaye bénédictine de 105 Je me permets de renvoyer à mes études: Jean-Louis QUANTIN, Document, histoire, critique dans l’érudition ecclésiastique des temps modernes. Recherches de science religieuse 92 (2004) 597–635, en particulier 603–607; QUANTIN, Baronius (cit. n. 14) 53–56. 106 USSHER, Gotteschalci historia 26. Voir Nicolaus SERARIUS, Moguntiacarum rerum […] libri quinque (Mainz 1605) 130–134 (130 pour la citation d’Ussher). 107 James USSHER, Gravissimae quaestionis de christianarum ecclesiarum, in Occidentis praesertim partibus, ab apostolicis temporibus ad nostram usque aetatem continua successione et statu historica explicatio (London 1613) A1v–A2r, citant SERARIUS, Moguntiacae res (cit. n. 106) 2: ut […] ipsorum, apud quos historiam invenissem, et nomina ederem et verba redderem. 108 Voir la défense des longues citations des sources (en l’occurrence des écrits de l’Église de Lyon) par VOSSIUS, Historia de controversiis (cit. n. 4) 746sq. 109 Il communiqua à Ussher les deux confessions de Gottschalk, d’après un manuscrit de Corbie, et Ussher en profita pour les publier, sans l’accord de Sirmond, dans sa Gotteschalci historia; voir Jean-Louis QUANTIN, Les jésuites et l’érudition anglicane. XVIIe siècle 59 (2007) 691–711, à 703sq. Plus tard, Sirmond communiqua à Mauguin la préface de la lettre de Prudence à Hincmar et Pardule: voir MAUGUIN, Vindiciae 1 (cit. n. 77) e2v; ibid. 1/2 6–8. Voir aussi n. 85, pour la publication intégrale par Cellot.

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Saint-Maximin de Trèves, dont Sirmond obtint une transcription par un jésuite luxembourgeois, Alexander Wiltheim110. Celui-ci lui envoya encore, tirés de la même bibliothèque, les Capitula sancti Augustini in urbem Romam transmissa du concile d’Orange, finalement publiés par Labbe dans sa collection des conciles en 1672, certainement d’après le Nachlaß de Sirmond111. Des trois lettres de Raban Maur que Sirmond publia en 1647, la première, à Hincmar, était „depuis de nombreuses années“ en sa possession – il l’avait signalée dans son édition des Conciles112. Il avait „longtemps cherché en vain en France“ les deux autres (à l’évêque Noting et à Eberhard comte de Frioul), mentionnées par Raban dans la précédente113. Il les reçut finalement d’un érudit romain, Giovanni Battista Mari, auquel il abandonna en échange un sermon authentique d’Augustin – Mari avait publié trois ans plus tôt huit sermons sous le nom d’Augustin, mais tous apocryphes114. On a là une 110 Voir les lettres échangées à ce propos par Wiltheim et Sirmond en 1649, dans Sirmondi Opera varia (cit. n. 59) 4 col. 693–699; voir aussi n. 75. 111 Wiltheim à Sirmond, 25 juin 1650; Sirmond à Wiltheim (réponse, sans date, à la lettre précédente), dans Sirmondi Opera varia (cit. n. 59) 4 col. 713, 715; Sacrosancta concilia ad regiam editionem exacta, éd. Philippe LABBE–Gabriel COSSART, 4 (Paris 1671) col. 1676–1678; cf. Maxentii aliorumque Scytharum monachorum necnon Ioannis Tomitanae urbis episcopi Opuscula. Accedunt „Capitula S. Augustini“, éd. François GLORIE (Corpus Christianorum, Series Latina 85A, Turnhout 1978) 251–273. Voir Maïeul CAPPUYNS, L’origine des „Capitula“ d’Orange 529. Recherches de théologie ancienne et médiévale 6 (1934) 121–142; François GLORIE, Prolegomena, in: Maxentii aliorumque Opuscula 243–250. Wiltheim joua le même rôle au profit des bollandistes: voir François DOLBEAU, Les sources manuscrites des Acta Sanctorum et leur collecte (XVIIe – XVIIIe siècles), in: De Rosweyde aux Acta Sanctorum. La recherche hagiographique des Bollandistes à travers quatre siècles. Actes du Colloque international (Bruxelles, 5 octobre 2007), éd. Robert GODDING–Bernard JOASSART–Xavier LEQUEUX–François DE VRIENDT (Subsidia hagiographica 88, Bruxelles 2009) 105–147, à 118sq. 112 Concilia antiqua Galliae (cit. n. 42) 3 680. 113 Rabani De praedestinatione epistolae (cit. n. 68) a3r; cf. Hrabani Epistolae (cit. n. 11) 490–499 No 44, 428 No 22, 481sq. No 42. Ces deux lettres sont en fait antérieures à la précédente, mais Sirmond choisit de les publier non quo [ordine] exaratae fuerunt, sed quo ad Hincmari manus, ac, si hoc quoque addi placet, ad nostras pervenerunt (Rabani De praedestinatione epistolae a2v). La lettre à Noting est la préface de Raban à son traité De praedestinatione, publié à la suite par Sirmond (PL 112 col. 1531–1553). 114 Rabani De praedestinatione epistolae (cit. n. 68) a3r. Voir British Library (BL), Add. MS 22037, 41r, Giovanni Battista Mari à Sirmond, 26 août 1646; Sancti Aurelii Augustini Hipponensis episcopi Sermo in natali sancti Joannis Baptistae, éd. Giovanni Battista MARI (Roma 1647) 5; Pierre PETITMENGIN, À propos des éditions patristiques de la Contre-Réforme: Le „Saint Augustin“ de la Typographie Vaticane. Recherches augustiniennes 4 (1966) 199–251, à 237sq. Les deux lettres de Raban furent publiées simultanément par Ferdinando UGHELLI, Italia sacra, 3 (Roma 1647) col. 675–704. Sur leur recherche par Sirmond, voir aussi Sirmond à Holste,

352 Jean-Louis Quantin image frappante de la manière dont la controverse janséniste faisait passer du texte d’Augustin à l’histoire de la réception d’Augustin. La chasse aux inédits devenait parfois compétition entre savants. Sirmond s’était efforcé d’obtenir le De praedestinatione de Ratramne, conservé à l’abbaye bénédictine de Lobbes aux Pays-Bas espagnols, mais s’était heurté à la mauvaise volonté des moines. Comme le lui écrivit son confrère belge, le P. Gilles Bouchier, Ces bons moines peu versez aux livres MS n’en font pas d’estat, sinon que quand ils voyent, que notre Compagnie les recherche115. Mauguin parvint à obtenir une transcription „par les soins d’un docteur de Louvain et du R. P. Luc d’Achery, bénédictin, le très méritant bibliothécaire de Saint-Germain“116. Est-ce le premier cas de rivalité savante, doublée de divergences doctrinales, entre mauristes et jésuites117? Il n’y avait qu’un pas, dès lors, selon une logique fréquente dans la controverse théologique depuis le XVIe siècle, à soupçonner ses adversaires de mettre délibérément certains textes sous le boisseau118. Mauguin insinua que, si Sirmond ne publiait pas le texte intégral de la lettre en vers de Gottschalk à Ratramne, dont il avait cité des extraits à plusieurs reprises, c’était „parce que le reste paraissait contraire à sa cause“119. On incriminait aussi

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6 mai 1644, dans Sirmondi Opera varia (cit. n. 59) 1 FF2v. La lettre à Eberhard avait déjà été utilisée par les Centuriateurs (voir n. 11). BL, Add. MS 22037, 11r, Gilles Bouchier à Sirmond, 20 décembre 1646, en lui transmettant une lettre du P. Jean Érard Foullon, 3 octobre 1645, 21r, qui racontait à Bouchier ses démarches infructueuses à Lobbes. Sur ces deux jésuites, voir les notices de Carlos SOMMERVOGEL, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle édition (11 vol., Bruxelles–Paris 1890–1932) 1 col. 1866–1868, 3 col. 899–903. MAUGUIN, Vindiciae 1 (cit. n. 77) e2r: cura doctoris Lovaniensis, et reverendi patris domni Lucae Dacherii Benedictini S. Germani bibliothecarii meritissimi. Sur le Codex Lobiensis de Ratramne (aujourd’hui Bibliothèque de l’Université de Gand, Ms. 909), voir Jan Nicolaas BAKHUIZEN VAN DEN BRINK, Ratramnus De corpore et sanguine Domini. Texte établi d’après les manuscrits et notice bibliographique (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde, Nieuwe Reeks 61/1, Amsterdam 1954) 9–14. Le manuscrit de Lobbes fut plus tard examiné par Mabillon lors de son voyage de Flandre, en 1672: voir MABILLON, Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti 4/2 (cit. n. 98) xlv. Les mauristes avaient auparavant mené des recherches au profit de Sirmond, à en juger par une lettre d’Anselme Le Michel à d’Achery, 24 mars 1644, publiée par Pierre GASNAULT, Dom Anselme Le Michel et les manuscrits de l’abbaye de Cluny. Bibliothèque de l’École des Chartes. Revue d’érudition 131 (1973) 209–219, à 212. Voir Jean-Louis QUANTIN, Philologie et théologie: les textes patristiques dans les controverses religieuses (XVIe – XVIIe siècles). Studia Borromaica 21 (2007) 93–128, à 110௅112. MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 59: si totam epistolam publicae utilitati non invidisset, maiores certe ipsi deberentur gratiae, nec crederetur ideo caetera tacuisse, quod susceptae causae contraria viderentur. Sirmond en avait cité un extrait

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les hérétiques du passé. Barthélemy Petri, professeur de théologie à l’Université de Douai et fort anti-moliniste, fit l’hypothèse, reprise par Ussher, que les ouvrages perdus d’Avit et de Fulgence contre Fauste avaient été „supprimés par les soins des pélagianisants“120. L’oratorien Jérôme Vignier joua habilement de cet imaginaire philologico-théologique pour accréditer son faux virtuel: sa prétendue découverte du Contra Faustum, qu’il se serait refusé à publier pour ne pas favoriser la cause janséniste121. Les meilleurs critiques des XVIIe et XVIIIe siècles, y compris Le Nain de Tillemont et les mauristes, en furent la dupe, d’autant plus aisément que leur strict augustinisme les préparait à croire le pire dès qu’il était question de Fauste. Les sources étaient soumises à des discussions minutieuses, dans lesquelles la philologie, – selon un mécanisme que l’on retrouve, là encore, dans toutes les controverses du temps, – était un instrument essentiel. On n’en peut prendre ici qu’un exemple, celui de la lettre de Fauste à Lucidus. Dans l’édition d’Érasme, elle était suivie des souscriptions de onze évêques, „qui furent également présents à ce concile [d’Arles]“, dont Fauste luimême, puis de celle de Lucidus122: venaient ensuite la rétractation de Lucidus, puis le De gratia de Fauste. Baronius s’appuya sur ces souscriptions pour „séparer ce qui est précieux de ce qui est vil“, à savoir la lettre à Lucidus, orthodoxe, et le De gratia, hérétique123. Dans son hostilité de principe à l’encontre de Fauste, il s’imaginait même, assez gratuitement, que l’évêque de Riez avait d’abord placé les souscriptions à la fin de son traité, pour faire croire que le concile d’Arles avait approuvé celui-ci, mais que „ces souscriptions avaient ensuite prudemment et à bon droit été ôtées de là et placées avant ce livre de Fauste […], pour éviter que la fraude de Fauste ne pût tromper les plus simples“124. La distinction entre lettre et traité fut en

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dès 1611 dans Ennodii Opera (cit. n. 39), notes (paginées à part) 26; pour ses autres citations, voir Godescalci Carmina (cit. n. 85) 722. L’accusation détermina Cellot à publier le texte complet (voir n. 85). Barthélemy PEETERS, Apostolicae sedis definitiones veteres de gratia Dei. Secunda editio plurimum aucta (Douai 1627) 38: tametsi neque ipsius Commentarii [Aviti] neque sancti Fulgentii libri septem hodie extent, suppressi fortassis opera Pelagianizantium; USSHER, Antiquitates (cit. n. 55) 489. Voir Jean-Louis QUANTIN, Combat doctrinal et chasse à l’inédit au XVIIe siècle. Vignier, Quesnel et les sept livres contre Fauste de Fulgence de Ruspe. Revue des études augustiniennes 44 (1998) 269–297. Fausti De gratia Dei (cit. n. 2) 6r–v: Et subscripserunt episcopi, qui ordine subsequuntur, qui in ea quoque synodo adfuerunt. BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 446, ad ann. 490 [No XVII]: hic tibi primum ipsam ad Lucidum Fausti epistolam reddendam putavimus, ut de reliquis Fausti scriptis pretiosum a vili secernas (Jérémie 15,19). BARONIO, Annales ecclesiastici 6 (cit. n. 21) 445, ad ann. 490 [XVI]: prudenter iureque inde postea esse sublata et ante illud Fausti opus collocata […], ne Fausti

354 Jean-Louis Quantin tout cas reprise par la plupart des auteurs catholiques125. En 1604, cependant, dans son grand recueil d’inédits, Antiqua lectio, le canoniste Heinrich Canisius signala que les souscriptions des évêques manquaient dans un manuscrit des lettres de Fauste à l’abbaye de Saint-Gall126. Les calvinistes, De Laet d’abord, puis surtout Ussher dans ses Antiquitates, prirent argument de cette variante pour conclure que la lettre à Lucidus n’avait jamais été approuvée par les autres évêques127. L’argument, que Jansénius n’avait pas utilisé, fit son apparition dans la controverse janséniste avec la Seconde apologie pour Jansenius d’Arnauld, en 1645128. Les anti-jansénistes y dénoncèrent un nouveau plagiat d’Ussher129, mais il semble bien que, cette fois-ci, l’accusation était infondée – ou, à tout le moins, si Arnauld put trouver l’argument chez Ussher, il ne le reprit certainement pas sans vérifier. Les variantes de Canisius avaient été incluses dans la Bibliothèque des Pères de Cologne, parue en 1618; Antoine Le Maistre, neveu et collaborateur d’Arnauld, en détenait un exemplaire, qui servit d’instrument de travail à tous les Messieurs de Port-Royal: ce qui concerne les souscriptions manquantes y est souligné130. À en croire le jésuite

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fraus simpliciores decipere posset. Baronius se fonde sur ce que dit Fauste dans le prologue du De gratia à Léonce d’Arles: in quo quidem opusculo post Arelatensis concilii subscriptionem novis erroribus deprehensis adici aliqua synodus Lugdunensis exegit (Fausti Opera [cit. n. 2] 4). Le texte est ambigu mais il n’implique pas, en tout cas, que les souscriptions aient figuré matériellement à la fin du livre. Elle est faite expressément par GUANZELLI, Index librorum expurgandorum (cit. n. 11) 163sq., en renvoyant à Baronius. Heinrich CANISIUS, Antiqua lectio, 5/2 (Ingolstadt 1604) 429sq., 551. Sur le manuscrit de Saint-Gall, voir ENGELBRECHT, Prolegomena (cit. n. 2) XLVI sq., LII sq. DE LAET, De Pelagianis et Semipelagianis commentarii (cit. n. 4) 176sq.; USSHER, Antiquitates (cit. n. 55) 436sq. [Antoine ARNAULD], Seconde apologie pour monsieur Jansenius evesque d’Ipre, et pour la doctrine de sainct Augustin, expliquée dans son livre intitulé Augustinus (s.l. 1645) 2 313. L’argument n’était pas dans [Antoine ARNAULD], Apologie de monsieur Jansenius evesque d’Ipre, et de la doctrine de S. Augustin expliquée dans son livre intitulé Augustinus (s.l. 1644) 191–205, qui rejette le pretendu concile d’Arles, mais présente les souscriptions comme authentiques (voir en particulier ibid. 192, 195sq.). Voir ensuite MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 568sq. DECHAMPS, Defensio (cit. n. 58) 145sq.; suivi par MARTINON, Anti-Jansenius (cit. n. 58) 162. Magna bibliotheca veterum patrum et antiquorum scriptorum ecclesiasticorum, 5/3 (Köln 1618) 526, souligné dans l’exemplaire de Le Maistre, Paris, Bibliothèque Mazarine, coté 1197. Voir Odette BARENNE, Une grande bibliothèque de Port-Royal. Inventaire inédit de la Bibliothèque de Isaac-Louis Le Maistre de Sacy (7 avril 1684) (Paris 1985) 12sq., 31. D’après les indications chronologiques du Memoire de M. Le Maitre touchant les personnes que Dieu avoit touchées d’un sentiment de pénitence, et qui s’étoient retirées en divers tems dans l’ancienne abbaye de Port-

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Dechamps, les port-royalistes avaient emprunté à l’archevêque d’Armagh tout ce qui, dans leurs ouvrages, „manifeste ne serait-ce qu’une légère ombre d’érudition“131. Mais la théologie gallicane du temps, dont les port-royalistes maîtrisaient les codes à la perfection, était toute nourrie d’érudition textuelle. Sirmond, dans ses Concilia Galliae, avait reproduit la lettre à Lucidus avec ses souscriptions, sans même mentionner leur absence dans le manuscrit de Saint-Gall, auquel il fit pourtant, d’après Canisius, référence par ailleurs132. Dans son Historia praedestinatiana, en revanche, tout en affirmant que les conciles d’Arles et de Lyon avaient été „la plus grave blessure jamais infligée aux prédestinatiens“133, il rejeta catégoriquement les souscriptions de la lettre à Lucidus comme „certainement apocryphes et interpolées“. Elles avaient „donné à nos adversaires l’occasion de nous calomnier, en prétendant que nous donnions le nom de concile à cette seule lettre de Fauste, ce qui est tout à fait faux“134. Le huguenot Jean Daillé, qui suivait de très près la crise janséniste, jugeait que Sirmond, en incluant les souscriptions épiscopales dans ses Concilia Galliae, avait „cédé à l’esprit de parti“: un exemple supplémentaire de l’impossibilité de recourir à l’argument patristique pour trancher les controverses religieuses135. Il serait plus juste de dire que Sirmond, en

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Royal des Champs, in: Nicolas FONTAINE, Memoires pour servir à l’histoire de Port-Royal, 1 (Köln 1738) lxxxiii–xcii, à xci, les port-royalistes acquérirent précisément l’ouvrage entre la rédaction de la première et celle de la seconde Apologie pour Jansénius. Pour la collaboration de Le Maistre à la Seconde apologie, voir Œuvres de messire Antoine Arnauld, docteur de la maison et société de Sorbonne, 16 (Paris–Lausanne 1778) xiv, xvi. DECHAMPS, Defensio (cit. n. 58) 148: quidquid ex incidenti tractant, quod vel levem eruditionis umbram praeferat, indidem [ex Usserio] emendicarunt. Il en donne comme exemple la référence à la Bibliotheca patrum de Cologne, dans ARNAULD, Seconde apologie (cit. n. 128) 340, qui était fournie par Ussher: mais on a vu que les port-royalistes avaient certainement travaillé de première main sur cet ouvrage. Concilia antiqua Galliae (cit. n. 42) 1 150. Dans ses notes, ibid. 600, Sirmond mentionne une addition dans la rétractation de Lucidus in vetusto codice S. Galli, ut admonuit Henricus Canisius tomo IV. [sic] Antiquae lectionis. Voir CANISIUS, Antiqua lectio 5/2 (cit. n. 126) 432. SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3) 42: Omnium, quae praedestinatis inflicta sunt, gravius nullum vulnus fuit, quam quo a triginta episcopis affecti sunt in synodo Arelatensi, atque iterum postea in Lugdunensi. Ce chiffre de trente est celui des évêques auquel est adressée la rétractation de Lucidus. SIRMOND, Historia praedestinatiana (cit. n. 3) 49: adversariis nostris calumniae ansam praebuit, ut nos concilii nomen huic uni Fausti epistolae dicerent tribuere, quod est falsissimum. Jean DAILLÉ, De usu patrum ad ea definienda religionis capita, quae sunt hodie controversa (Genève 1655) 92sq.: tametsi, quod merito mireris, ipse quoque partium studio victus in conciliorum Gallicanorum editione eam [epistolam] ab his ipsis episcopis subscriptam repraesentare non dubitarit. Il s’agit d’une addition par rapport à

356 Jean-Louis Quantin changeant d’avis en 1648, deux décennies après ses Conciles, fit preuve de ce que les contemporains appelaient la candeur, – la recherche de la vérité sans esprit de parti, – qui était aussi le meilleur moyen de gagner la confiance du lecteur. Il avait peut-être été convaincu par la lecture d’Ussher: il avait certainement compris que maintenir l’authenticité des souscriptions, comme il lui eût été aisé de le faire, ferait plus de tort que de bien à sa cause136. Les conflits théologiques du XVIIe siècle, et au premier chef le jansénisme, furent une école historique. Vers 1600, on ignorait à peu près tout de la controverse carolingienne sur la prédestination: Gottschalk n’était guère plus qu’un nom. Cinquante ans plus tard, les connaissances avaient atteint un niveau auquel on n’a pu ensuite que peu ajouter. Presque toutes les sources étaient dès lors publiées, et dans des éditions qui, bien souvent, n’ont pas été remplacées et commandent aujourd’hui encore, via la Patrologie de Migne, notre lecture de Hincmar ou de Prudence. Certains des manuscrits utilisés, en particulier par Sirmond, ont du reste disparu depuis. Il est légitime en ce sens de parler de progrès. On s’égarerait pourtant si l’on voulait faire des érudits du XVIIe siècle des précurseurs des Monumenta Germaniae Historica. Sans même parler de l’arrière-plan polémique de leurs travaux, l’histoire ecclésiastique était pour eux une histoire du salut et ils lisaient les controverses du passé selon des catégories hérésiologiques qui nous sont devenues complètement étrangères. Preuve en est qu’il est tout simplement impossible, du point de vue de l’historiographie actuelle, de dire qui avait tort ou raison. Si l’effort de Sirmond pour comprendre la théologie des Massilienses à sa date, au lieu de la condamner au nom de l’orthodoxie augustinienne, est en consonance avec un vaste courant de la recherche récente137, sa reconstruction de l’édition française: Jean DAILLÉ, Traité de l’employ des saincts Pères pour le jugement des différends qui sont aujourd’huy en la religion (Genève 1632). L’accusation avait été insinuée par MAUGUIN, Vindiciae 2 (cit. n. 78) 568sq. 136 Canisius lui-même ne disait pas que les souscriptions étaient fausses mais que Fauste avait d’abord signé seul sa lettre, quam etiam variis episcopis misit, ut subscriberent (CANISIUS, Antiqua lectio 5/2 [cit. n. 126] 430). Pour une solution de ce type, qui considère les souscriptions comme authentiques mais rajoutées ultérieurement (soit au concile d’Arles soit, plus vraisemblablement, hors du concile), voir Enrico NORIS, Historia Pelagiana et Dissertatio de synodo V. oecumenica (Padova 1673) 290sq.; CAPISUCCHI, Quaestiones (cit. n. 96) 373; ENGELBRECHT, Prolegomena (cit. n. 2) XIV sq.; et encore MATHISEN, Factionalism (cit. n. 7) 246–256. Elles sont rejetées en revanche par Bruno KRUSCH, Fausti aliorumque epistulae ad Ruricium aliosque, in: MGH Auctores antiquissimi 8 (Berlin 1887) 265–298, à 290. 137 Voir en particulier TIBILETTI, Fausto (cit. n. 3); Salvatore PRICOCO, Storia ecclesiastica e storia letteraria: il De viris inlustribus di Gennadio di Marsiglia, in: La storiografia ecclesiastica nella tarda Antichità. Atti del Convegno tenuto in Erice

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l’hérésie prédestinatienne, en revanche, ne serait plus soutenable138. Si les spécialistes actuels s’accordent pour ne plus parler de „semi-pélagiens“, ils ne croient plus guère aux „prédestinatiens“. Quant aux questions de détail, qu’on pourrait penser plus aisées à trancher, certaines, du fait de l’ambiguïté des sources, ont continué à diviser les historiens du XXe siècle139, tandis que d’autres sont désormais à peine évoquées. Telle grande thèse sur Hincmar affirme sans plus que l’on relut à Savonnières „les capitula de Langres, puis ceux de Quiersy [sic]“140; un ouvrage de référence allemand ne mentionne que la lecture des canons de Langres141. Des points de ce genre, qui passionnaient Sirmond et ses contemporains, sont devenus littéralement insignifiants: la querelle théologique donnait une acribie qui a disparu avec elle. On vérifie ainsi, une fois de plus, qu’il est impossible de faire l’histoire des controverses religieuses du XVIIe siècle, tout particulièrement en France, en négligeant les développements, en liaison intime avec elles, de l’érudition historique et philologique. Si l’on veut éviter que la référence incantatoire à l’augustinisme dans les études dix-septiémistes ne devienne un tour de passe-passe, – le moyen commode de se dispenser de jamais examiner la réception textuelle d’Augustin, y compris en traitant de l’édition des Opera omnia d’Augustin142, – il faut étudier non pas seulement ce que disaient jansénistes et anti-jansénistes, mais ce qu’ils faisaient: les procédures qu’ils mettaient en œuvre, leur manipulation des autorités, le travail par lequel ils se fabriquaient une généalogie doctrinale, tout en identifiant leurs adversaires

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(3–8 XII 1978). Scuola superiore di archeologia e civiltà medievali (3o corso). C. C. S. „E. Majorana“ (Messina 1980) 241–273; Augustine M. C. CASIDAY, Tradition and Theology in St. John Cassian (Oxford 2007). Ces auteurs, tout particulièrement le dernier, paraissent cependant en partie inspirés par des options théologiques. Voir par exemple Franco GORI, Il Praedestinatus di Arnobio il Giovane. L’eresiologia contro l’agostinismo (Studia Ephemeridis Augustinianum 65, Roma 1999), en particulier 91–94. L’interprétation par DEVISSE, Hincmar (cit. n. 67) 1 273–277, du concile de Tusey de 860 (qu’il appelle passim „Douzy“) est très proche de celle de Cellot, mais voir l’appréciation assez différente de Wilfried HARTMANN, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen, Paderborn–München–Wien–Zürich 1989) 265sq. DEVISSE, Hincmar (cit. n. 67) 1 223. HARTMANN, Synoden (cit. n. 139) 265. Comme le font par exemple Blandine BARRET-KRIEGEL, Les historiens et la monarchie, 3: Les Académies de l’histoire (Les chemins de l’Histoire, Paris 1988) 118–125; Sylvio Hermann DE FRANCESCHI, L’orthodoxie thomiste au secours de l’augustinisme jansénisant. La publication des 10e et 11e volumes de l’édition bénédictine des œuvres de saint Augustin. Augustiniana. An International Review Devoted to the Study of St. Augustine and the Augustinian Order 59 (2009) 323–358.

358 Jean-Louis Quantin avec les hérétiques du passé. Tout comme les œuvres d’Augustin, transformées de corpus en canon par des opérations d’exclusion et de délimitation qui étaient indissociablement philologiques et théologiques143, l’exaltation d’Augustin comme docteur de la grâce fut une construction textuelle: le produit de la constitution des „semi-pélagiens“ en hérétiques, d’un côté, et de la démonstration, de l’autre, que „l’hérésie prédestinatienne“ n’avait pas existé. Hors Augustin et l’erreur, il n’y avait jamais rien eu.

Abstract About 1600, late antique and early medieval debates on grace and predestination were very little known. This situation began to change in the following decades under the impact of internal strifes in both the Roman Catholic and Reformed Churches. While French Roman Catholic scholars published a number of new sources, the first overall treatment came from the Dutch Arminian Gerard Jan Vossius, who was then challenged by James Ussher, the Calvinist archbishop of Armagh. But the real breakthrough took place in the 1640s and 1650s after the publication of Cornelis Jansen’s Augustinus. The Jesuit Jacques Sirmond, who had long been working on the subject, now brought out a whole range of previously unknown texts from both the fifth and the ninth centuries, on the strength of which he gave a sketch of the „predestinarian heresy“ in 1648. The Jansenist response, Gilbert Mauguin’s Vindiciae praedestinationis et gratiae, came out in 1650. This was answered in turn by Louis Cellot in his 1655 Historia Gotteschalci, by which point the Jansenist and anti-Jansenist grands récits had reached their final form. Despite their theological oppositions, all the scholars involved shared the Eusebian, documentary model of historical writing, hence the vital importance for them of securing access to manuscript sources. These were subjected to minute philological criticism, since scholars systematically suspected past and present heretics of textual corruptions. The historiographical constructions of Sirmond and his contemporaries were both immensely learned and essentially heresiological.

143 Voir Jean-Louis QUANTIN, L’Augustin du XVIIe siècle? Questions de corpus et de canon, in: Augustin au XVIIe siècle. Actes du Colloque organisé par Carlo Ossola au Collège de France, les 30 septembre et 1er octobre 2004, éd. Laurence DEVILLAIRS (Biblioteca della Rivista di storia e letteratura religiosa, Studi 19, Firenze 2007) 3–77.

Histoires de la grâce 359

Zusammenfassung Um 1600 waren die spätantiken und frühmittelalterlichen Debatten über die Gnadenlehre sehr wenig bekannt. Diese Situation begann sich in den folgenden Jahrzehnten als Auswirkung interner Kontroversen sowohl in der Römisch-katholischen als auch in der Reformierten Kirche zu ändern. Während französische römisch-katholische Gelehrte eine Reihe neuer Quellen veröffentlichten, stammte die erste Gesamtdarstellung von dem niederländischen Arminianer Gerard Jan Vossius, gegen den sich in der Folge der calvinistische Erzbischof von Armagh James Ussher wandte. Der entscheidende Durchbruch erfolgte aber in den 1640er und 1650er Jahren im Gefolge der Veröffentlichung von Cornelis Jansens Augustinus. Der Jesuit Jacques Sirmond, der sich bereits länger mit der Materie befasst hatte, legte nun eine größere Anzahl bislang unbekannter Texte sowohl des fünften als auch des neunten Jahrhunderts vor, auf deren Grundlage er 1648 eine Skizze der „prädestinarischen Häresie“ publizierte. Die jansenistische Erwiderung, Gilbert Mauguins Vindiciae praedestinationis et gratiae, erschien 1650. Hierauf antwortete wiederum Louis Cellot mit seiner Historia Gottescalchi von 1655; mit diesem Zeitpunkt hatten die „großen Erzählungen“ der jansenistischen und der anti-jansenistischen Seite ihre endgültige Ausprägung gefunden. Ihren theologischen Gegensätzen zum Trotz war allen beteiligten Gelehrten das eusebianische, dokumentarische Modell der Geschichtsschreibung gemeinsam, weshalb ihnen die Sicherung des Zugriffs auf die handschriftlichen Quellen von erster Wichtigkeit war. Diese wurden genauester philologischer Kritik unterzogen, da die Gelehrten systematisch den Verdacht textlicher Verfälschungen durch frühere und gegenwärtige Häretiker hegten. Die historiographischen Konstruktionen Sirmonds und seiner Zeitgenossen waren sowohl überaus gelehrt als auch essentiell häresiologisch.

Peiresc and the Benedictines of Saint-Maur Further Thoughts on the „Ethics of the Historian“ Peter N. Miller I. „We cherish the memory of Jean Mabillon not only for the De Re Diplomatica but for the Traité des Études Monastiques where he recommended: ‚avoir le coeur dégagé des passions, et sur tout de celle de critiquer‘“1. The presence of Mabillon in the last sentence of Momigliano’s classic treatment of antiquarianism, „Ancient History and the Antiquarian“, has all the trademarks of his classic style. It is at the same time subtly provocative – what place has the medievalist in a study of antiquities anyway? –, wholly appropriate – Mabillon’s contribution to establishing certainty belongs to the sub-text of Momigliano’s article, Pyrrhonianism –, pointing in a new direction – signalling the importance of emotion („love of learning“, „ethos“) for the history of antiquarianism –, and hinting at a relationship that only great learning could discover – in the middle of the eighteenth century the authors of the revised De re diplomatica had referrred to their hero as l’antiquaire2. Bringing Mabillon, and the kind of sacred philology Mabillon represents, into a conversation about seventeenth-century antiquarianism is entirely appropriate. As Jan Marco Sawilla has recently demonstrated in great detail, there is a dense relation between philologia and critica sacra on the one hand, and antiquarianism on the other3. Certainly, the skills developed by 1

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Arnaldo MOMIGLIANO, Ancient History and the Antiquarian. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13 (1950) 285–315, at 313. The immediately preceding sentence reads: „His preference for the original documents, his ingenuity in discovering forgeries, his skill in collecting and classifying the evidence and, above all, his unbounded love for learning are the antiquary’s contributions to the ‚ethics‘ of the historian“. See, for example, [Charles-François TOUSTAIN–René-Prosper TASSIN], Nouveau traité de diplomatique (6 vols., Paris 1750–1765) 1 30. Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 131, Tübingen 2009); also Jean-Louis QUANTIN, The Church of England

362 Peter N. Miller earlier seventeenth-century antiquaries when they turned to the study of medieval remains were precisely those that Mabillon would inherit, build upon, and refine. Nicolas Fabri de Peiresc (1580–1637), the „archetype“ or „dean“ of the antiquaries in the first half of the seventeenth century, lets us explore the dimensions of „medieval history and the antiquarian“4. Pierre Gassendi’s outstanding biography of his good friend presents him as the patron of a project to collect and then publish French royal antiquities5. His surviving archive shows him deeply engaged with the history of the Angevins, the genealogy of the Habsburgs and the origins of the French Parlement6. Peiresc’s sense of time’s passage and the necessity to combat tempus edax rerum; the emotive side of scholarship, is also something that is inescapable7. But what about Momigliano’s point about the „ethos of the scholar“? Surely one of the largest stumbling blocks to the comprehension of the age of antiquaries has been the contrast between their amazing attention to vast quantities of detail on the one hand, and an equal but opposite inattention to the life of real human beings. It was this that George Eliot satirized so comprehensively in Middlemarch’s Edward Casaubon8. But we are now, perhaps, coming round to, and coming up with, the tools to grasp some of the humanity that Momigliano saw in the antiquarian

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and Christian Antiquity. The Construction of a Confessional Identity in the 17th Century (Oxford-Warburg Studies, Oxford–New York 2009). The former term was Momigliano’s: Arnaldo MOMIGLIANO, The Classical Foundations of Modern Historiography (Sather Classical Lectures 54, Berkeley–Los Angeles– Oxford 1990) 54; the latter Grafton’s and Weinberg’s: Anthony GRAFTON–Joanna WEINBERG, „I Have Always Loved the Holy Tongue“. Isaac Casaubon, the Jews, and a Forgotten Chapter in Renaissance Scholarship (Cambridge [Massachusetts]– London 2011) 16. Pierre GASSENDI, Viri illustris Nicolai Claudii Fabricii de Peiresc senatoris Aquisextiensis vita, in: Petri Gassendi Diniensis ecclesiae praepositi et in Academia Parisiensi matheseos regii professoris Opera omnia (6 vols., Lyon 1658) 5 243– 350, at 285 (year 1618). See Peter N. MILLER, Peiresc’s „History of Provence“ and the Discovery of a Medieval Mediterranean (Transactions of the American Philosophical Society 101/4, Philadelphia 2011); Peter N. MILLER, The Ancient Constitution and the Genealogist: Momigliano, Pocock, and Peiresc’s Origines Murensis Monasterii (1618). Republics of Letters: A Journal for the Study of Knowledge, Politics, and the Arts 1/1 (2009), http://rofl.stanford.edu/node/37 [10 October 2011]; Peter N. MILLER, Peiresc’s Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century (New Haven–London 2000) 90–96. MILLER, Peiresc’s Europe (see n. 6) 130–154. See the marvelous book by Anthony D. NUTTALL, Dead From the Waist Down. Scholars and Scholarship in Literature and the Popular Imagination (New Haven– London 2003).

Peiresc and the Benedictines of Saint-Maur 363

endeavor. Our age’s Casaubon, for example, the one of Grafton and Weinberg, is a real person with real feelings. When plunged into the history of emotions, into what we can call the historical psycho-dynamics of erudition, we come, eventually, to large questions of mortality and meaning that in the seventeenth century would have been shaped and encountered via the category of religion. Trying in the later twentieth century to understand the effort made by these scholars to know every little detail about the past even while knowing that such details were never-ending in number, Siegfried Kracauer pointed to religion: „Our preoccupation with the course of history is grounded in religious prophecy, theological computations, and metaphysical ideas about mankind’s lot“9. Indeed, it is easier to grasp the mania for precision or the unstinting desire for reconstruction if we allow ourselves to re-imagine this as a religious obligation. An example, contemporary to Peiresc, can help us here. Abraham Portaleone (1542–1612) was a Jewish physician from Mantua. In the final years of his life he wrote an extensive description of Solomon’s Temple10. The Shiltei ha-gibborim („Shields of the Mighty“) is a rambling antiquarian treatise devoted to detailed reconstruction of the temple and its service, including priestly rituals, costume, instruments, music, sacrifice, physical environment and so on. The detail is great, but it is also explicitly linked to a contemplative-theurgic experience. In other words, it is not scholarship for scholarship’s sake, but scholarship as a stand-in for ritual performance11. In this, Portaleone follows in the footsteps of Maimonides’ reconstruction of the Temple rite in book 8 of his Code („Book of Temple Service“). On a prosaic level, we know that Peiresc, like Portaleone, was actively religious. Gassendi tells us that he went to mass daily, and Peiresc makes clear on nearly every page of his letters that he is no libertin érudit. This, though, is less interesting than the question of how the „religion of scholarship“ functioned for Peiresc. For he might be casually described as a secular monk, clearly retaining a powerful sense of the sacredness of detail. 9 Siegfried KRACAUER, History. The Last Things Before the Last, ed. Paul Oskar KRISTELLER (New York 1969) 190. 10 On Abraham ben David Portaleone, see Gianfranco MILETTO, Glauben und Wissen im Zeitalter der Reformation. Der salomonische Tempel bei Abraham ben David Portaleone (1542–1612) (Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums 27, Berlin–New York 2004); Alessandro GUETTA, Avraham Portaleone. From Science to Mysticism, in: Jewish Studies at the Turn of the Twentieth Century. Proceedings of the 6th EAJS Congress, Toledo, July 1998, 2: Judaism from the Renaissance to Modern Times, ed. Judit TARGARONA BORRÁS–Angel S ÁENZ-BADILLOS (Leiden–Boston–Köln 1999) 40–47. 11 For a possible relation with the spiritual exercises of Ignatius of Loyola, see GUETTA, Avraham Portaleone (see n. 10) 42–43.

364 Peter N. Miller But is this only a suggestive parallel? In fact, Peiresc actually was, as an abbé commendataire, a secular abbot of a Benedictine abbey near Bordeaux. He took his role very seriously. As abbot he sought to put his church, Notre Dame de Guîtres, under the discipline of the Congregation of Saint-Maur. Reading through some of the relevant material in the Peiresc archive lets us explore a connection whose meaning is generally overlooked. Peiresc’s commitment to the Benedictine order in general, and to the Congregation of Saint-Maur in particular, suggests that what emerged from the Congregation in the next generation, in the work of Luc d’Achery, and then in that of Mabillon, belongs on a continuum with Peiresc. What remained private and idiosyncratic with him, they made institutionalized, public and systematic. We need to make this connection visible in order to complete our understanding of Peiresc, but also of the Maurists. In what follows we will explore this question on two tracks: first, Peiresc and Saint-Maur, and second, SaintMaur and Peiresc.

II. The story of Peiresc „Abbé de Guîtres“ was told already a century ago by Antoine-Louis Bertrand12. Peiresc was nominated abbé commendataire of Notre Dame de Guîtres in autumn 1618 by Louis XIII and was confirmed by Paul V in January 1619. The document was itself addressed to Petrisco clerico Tolonensi, iuris utriusque doctori13. The objective of both king and pope was to restart the abbey that had been destroyed early in the Wars of Religion (1570). Writing to his Roman agent, Pierre Eschinard, in May 1619, Peiresc described sight unseen the desolation into which the abbey had fallen in the past half-century. Its rents were down to around 1000 livres annually and so could no longer support any religious. He asked Eschinard to secure the support of then-Cardinal Maffeo Barberini on behalf of his abbey14. Peiresc himself visited the abbey only once: on his way from Paris back to Aix in early September 1623. Thus all his plans to reorganize and resuscitate the abbey were conducted through correspondence and, therefore, can be traced through Peiresc’s papers, in particular Ms. 1820 of the Bibliothèque Inguimbertine in Carpentras. This volume, of 466 folio pages, contains the range of paperware produced by Peiresc of, for, and by his role as abbot 12 Antoine-Louis BERTRAND [pseud. Antoine de LANTENAY], Peiresc, abbé de Guitres (Bordeaux 1888). 13 BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 7. 14 Bibliothèque Inguimbertine (BI) Carpentras, Ms. 1873, 320r, Peiresc to Eschinard, 22 May 1619.

Peiresc and the Benedictines of Saint-Maur 365

of Guîtres. There are minutes and drafts of letters to and from the religious there, the lawyers and the nearby clerics. There are lists of work and plans for work that he put together. There are instructions to various people to do various things. There are legal strategies devised to be shared with his agents, copies of relevant papal bulls, attestations, declarations, and other prooftexts. Because Guîtres was a Benedictine abbey, within the story of Peiresc’s work on and with the it, we can tease out the story of Peiresc and the Benedictines. This narrative can then be turned upside down and read for what it says about Peiresc’s attitude towards the Benedictines. Peiresc faced two main problems: the absence of qualified, appropriate clerics and lack of money. He addressed himself to the General of the Congregation of the Benedictines called „Exempts“ seeking to find personnel. He was given an erudite religious from the abbey of Caunes, belonging to the diocese of Narbonne, named Jean Margalet Du Val. He had received the Benedictine habit from the hands of Jean d’Alibert, abbot of that monastery and also Visitor-General of the French Benedictines. It was also before d’Alibert that Du Val, later named prieur claustral at Guîtres, would make profession of the rule of St. Benedict. Peiresc’s desire to place the abbey in their hands was resisted by the monk he had inherited, and by his brother, a lawyer. In these first few years, Peiresc struggled with their back-biting and personal attacks against the Benedictines he had brought in. In a letter to the Cardinal de Sourdis of Bordeaux, himself covetous of Guîtres and its lands, of November 1622, Peiresc explained that with Guîtres so dilapidated, he felt a need to find those mieux disposer à vivre selong la bonne discipline reguliere. J’estois enfin venu à bout de mon dessein, sinon d’y mettre de ceux de la Congregation de Verdun à faute de revenu competant; au moings des plus resolus à bien vivre qui fussent dans la congregation des Benedictins de vostre province et aultres d’all’entour. Dont le reverend père general m’avoit donné l’un des meilleurs religieux et des plus doctes de tout son ordre, mais (ce qui est le principal) homme de trez bonnes moeurs et vie exemplaire [...]15. Peiresc was already expressing his preference for Saint-Maur (which he sometimes persists in calling the Congregation de Verdun) and was identifying the Benedictines with a particular disposition to discipline and moeurs. Writing to Eschinard in April 1623, Peiresc complained about various shenanigans which prevented him, thus far, from collecting any revenue from the abbey16. By the end of that year, Peiresc’s mood had improved 15 Quoted in BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 27. The term Congregation de Verdun refers to the reformed Benedictines of Saint-Vanne, in Lorraine, whose customs were adopted by the French Congregation of Saint-Maur. 16 BI Carpentras, Ms. 1873, 328r, Peiresc to Eschinard, 17 April 1623.

366 Peter N. Miller considerably. He had visited the abbey and shared with Bonnaire in Rome that it was now worth 2000 livres and that he was conducting negotiations with Saint-Maur17. There are in fact a series of letters from Peiresc to the President of the Congregation (later called General) from August 1623, written just before his visit to the abbey18. The relationship between Peiresc and Saint-Maur seems to have been mutual. The Provincial of Guyenne, at the beginning of 1624, wrote to Peiresc asking him to establish at his abbey the noviciate for the province. Peiresc agreed immediately19. A letter from Du Val to d’Alibert, abbot of Caunes, dated 29 November 1624, reports that the provincial chapter was deliberating about whether to establish a seminary at Guîtres20. A procuration instructing Du Val to treat with the reformed Benedictines about establishling the reform at the abbey of Guîtres is dated 15 August 162521. But none of this came to pass. In 1625, Peiresc was valuing Guîtres at 2000 livres annually, based on its old status – though reaching this figure would depend on Peiresc recuperating the revenue lost with the lands that slipped away with the destruction of the abbey’s titles during the Wars of Religion22. From here, already, we can see the outline of the plan that Peiresc would hatch, and then implement, over the next decade. It also explains the resistance to these efforts that he encountered from his neighbor, the Cardinal de Sourdis. So much so that Peiresc appealed directly to his acquaintance, now Pope Urban VIII, to command the recalcitrant Cardinal to lend more assistance. Just such a brief was sent on 22 February 1625; another followed on 5 April 162523. Sourdis, undeterred, in 1627 offered informally to pension Peiresc at 2000 livres annually, paid to whomever he named in Marseille, if Peiresc would relinquish the abbey to him24. By 1633, the price – offered this time by Peiresc’s next17 BI Carpentras, Ms. 1872, 147r, Peiresc to Bonnaire, undated [before 7 December 1623]. 18 BI Carpentras, Ms. 1820, 68r, Peiresc to [Colomban Regnier], 25 August and 29 August 1623. These letters would have been written just before his arrival at Guîtres in the first days of September 1623: BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 37. 19 BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 40. 20 BI Carpentras, Ms. 1820, 34r–v, Du Val to d’Alibert, 25 November 1624. 21 BI Carpentras, Ms. 1820, 133r. A model for this might have been the concordat between the prior of Saint-Jean-d’Angély, in the diocese of Saintes, and the reformed Benedictines of Saint-Maur for the restoration of the ancienne discipline reguliere (BI Carpentras, Ms. 1820, 356r, dated 1 April 1623). 22 Peiresc to Du Val, 1 February 1625: Je vous ay promis affermer Guistres à 2,000 livres comme il estoit; quoted in BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 50. 23 BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 50, 55. 24 BI Carpentras, Ms. 1820, 370r–v, Instructions a monsieur le prieur de Roumoulles sur les negotiations qu’il peut avoir a faire avec monsigneur le Cardinal de Sourdis

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door neighbor, the Duc de Fronsac –, had gone up to 2500 or 3000 livres, suggesting that the real value of the property might be even higher25. The story of how Peiresc fended off Cardinal Richelieu, for that was the Duc de Fronsac’s better known title, with a mixture of legal brilliance, extreme politesse, and tactical dilatoriness is marvelous, but sheds little light on Peiresc’s inclination to the reformed Benedictines of Saint-Maur26. In 1625 Peiresc’s aspiration to Saint-Maur is made explicit. In a long letter to Du Val of 30 May, he notes that he is still keen on the reform of the „Congregation of Verdun“: vous scavez bien que c’avoit esté mon premier dessain de l’y mettre [...]. If there was a problem getting the other priests to go along, then they were to be replaced. Il fauldroit traicter avec ces bons peres réformés, soit de Sainct-Ferme ou de Sainct-Jean d’Angely [SaintFerme belonged to the Exempts, Saint-Jean-d’Angély to Saint-Maur] et les disposer de me donner une mission de six religieux dans Guistres, lesquels vous pourrez choisir27. Peiresc looked to Saint-Maur and the reformed Benedictines because of his respect for their learning and manners. Car de trouver des religieux bien doctes, bien habiles en economye, bien devots, et auxquels on se peult bien confier de toutes choses, comme vous me dictes d’en chercher, c’est chose trop difficile et où il fauldroit bien du temps et courir bien du hasard en faisant l’essay; tandis que ces bons peres réformés qui peuvent changer, tantost les uns tantost les autres, il n’y aura rien à craindre [...]28. In a post-script to this letter, Peiresc added: S’il falloit traicter quelque chose à Paris avec le general de la Congregation de Saint Maur, mon frere le pourroit bien faire tandis qu’il y est, principalement pour estorquer leur consentement à un petit nombre de religieux, attendant plus de revenus pour l’augmenter, et pourroit employer l’authorité du legat pour le faire comander au general. Le superieur du College de Cluny qui estoit un scavant homme me l’avoit promis devant sa mort de peste à Paris. Ceux de SaintJean d’Angely me l’offrirent hardiment. Souvenez-vous de la qualité du premier instituteur de cette Congregation de Verdun qui ne pensoit non moins à estre cause d’un si grand bien29.

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de la part du sieur de Peiresc abbé de Guistres. Peiresc made clear that Guillemin, the prior of Roumoules, was free to threaten retaliation from Peiresc’s Roman friends, Pope Urban VIII and Cardinal Francesco Barberini (ibid. 371r). BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 111. Indeed, it is not even mentioned in Philippe TAMIZEY DE LARROQUE, Peiresc, abbé de Guîtres. Supplément à la notice d’Ant. de Lantenay (Paris 1893). BI Carpentras, Ms. 1830, 51v–52r, Peiresc to Du Val, 30 May 1625. BI Carpentras, Ms. 1830, 52v, Peiresc to Du Val, 30 May 1625. BI Carpentras, Ms. 1830, 54v, Peiresc to Du Val, 30 May 1625. Bertrand identifies the dead Superior of the College of Cluny as Laurent Bénard,who had been one of the first religious of Saint-Maur: BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 74.

368 Peter N. Miller In this letter Peiresc expressed the hope that in time, a policy of „reunions“ would substantially increase the abbey’s revenues – bringing more to the skeleton crew of monks he was assembling, but also, of course, to himself, for spending on his projects: car, avec le temps et les réunions que nous ferons, Dieu aydant, les moyens s’augmenteront pour accroistre le nombre, et pour pouvoir aux reparations plus necessaires30. On 14 August 1625, in Aix, before a notary, Peiresc gave Du Val power to traiter et passer concordat, si besoin est, avec les reverends pères Bénédictins de la reforme de S. Maur de S. Jean d’Angely pour les établir dans ladite abbaye de Guistres, et leur affecter telle portion de revenus de ladite abbaye qui sera jugée nécessaire pour leur entretien, à tel nombre que pourra porter ladite abbaye, en attendant la réunion des pièces démembrées, par le moyen desquelles on pourra augmenter le nombre des religieux31. A copy of the agreement placing Saint-Jean-d’Angély under the discipline of Saint-Maur, dated 1 April 1627, was kept by Peiresc, perhaps as a model for what he was hoping to achieve at Guîtres32. In 1626, still facing various resistances, Peiresc wrote to Gilbert Gaulmin, conseiller du roy en ses conseils and advocat general au grand conseil, asking him to enforce the papal bull against the persistent abuses en la disposition de petits benefices despendants des abbayies S. Benoit and to help reestablish the old ordre et discipline according to the reform of the Congregation of Saint-Maur33. To advance the abbey’s reform, Peiresc sent Du Val to Toulouse and the Séminaire de Saint-Louis for the noviciate of the Benedictines of SaintMaur. This was at end of 1627 and beginning of 1628. Denis Guillemin, the prior of Roumoules and Peiresc’s „fixer“, happened to be going to Toulouse, while Du Val was resident at the seminary. Peiresc prepared for Guillemin a set of instructions, one of many that survive in the Peiresc archive. He was first to go to the church of St. Louis and make contact with the superior in charge of the noviciate, Paul d’Hilaire34. Grégoire Tarisse, in 1630 to be elected first Superior General of the Congregation of Saint-Maur, was then in charge of the seminary35. Peiresc wanted Guillemin to see if d’Hilaire had received his two letters, but also to make sure that whatever expenses Du Val had incurred had been taken care of. Then, he was to ask d’Hilaire if 30 31 32 33 34 35

BI Carpentras, Ms. 1830, 54r, Peiresc to Du Val, 30 May 1625. BI Carpentras, Ms. 1820, 133r. BI Carpentras, Ms. 1820, 356r. BI Carpentras, Ms. 1873, 485r, Peiresc to Gaulmin, 18 January 1626. BI Carpentras, Ms. 1820, 121r. D’Hilaire, one of the first two religious brought by Tarisse to the Séminaire de SaintLouis, reports to Peiresc about Du Val’s progress in two letters, 14 January and 3 February 1628: BI Carpentras, Ms. 1874, 16r.

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Peiresc could send another religious from Guîtres for several months’ more of training, pour s’instruire un peu dans la bonne discipline reguliere [...] et s’ilz permettroient que aucuns de mes religieux demeurassent parmy leurs reformez pour la continuation de leurs estudes36. While at Toulouse, Guillemin also looked in on the son of one Granier, a lawyer in the Admiraulté de Levant based in Marseille, and part of Peiresc’s network of contacts there. He was doing well and Peiresc added that if he were a little older it would be best to keep him there et se metter à la philosophie37. Writing to his friend Louis Aubery in 1628, Peiresc updated him on the problems of getting his ruined abbey back to functioning, and the difficulty of maintaining discipline in its current condition. Here, too, he expresses his commitment to the Benedictines of Saint-Maur as partners in his effort. On traita neantmoins avec les peres Benedictins de la reforme de St Maur pour les introduire en mon abbaie et pour cet effect j’ay faict de grande et immense despence pour y bastir les logementz necessaires a un nombre cependant des religieux de ladit refforme et estoit en bien advancé en ce traicté38. By this time the abbey had begun working for Peiresc. We know that in March 1628 Guillemin could report that 1200 livres would be coming to him at Marseille. This represented the revenues of Fronsac, while those of Guîtres were being ploughed back into its upkeep. This was quite a substantial amount and the beginning of this regular flow of cash coincides exactly with the beginning of Peiresc’s regular outlays of cash on his oriental studies. But as Peiresc’s attention turned to the task of organizing the research and the legal recourse needed to recover lost lands and their revenues, and as he saw how intractable was the human material he had to work with at the abbey, his high hopes for learning and discipline were brought down to earth. The ambition of his first decade as abbot disappears in his second. Peiresc’s skills as a negotiator and diplomat, however, are very present, as he fended off the acquisitive approaches of first the Cardinal de Sourdis and then Cardinal Richelieu, the Duc de Fronsac.

36 BI Carpentras, Ms. 1820, 121r. Close dealings between Peiresc and Saint-Maur continued; for example, see BERTRAND, Peiresc (see n. 12) 96. 37 BI Carpentras, Ms. 1873, 580r, Peiresc to Granier, 28 February 1628. Typically, in exchange for this piece of news, Peiresc asked the father for any news he had from the Levant. 38 BI Carpentras, Ms. 1871, 485r, Peiresc to Aubery, 29 March 1628.

370 Peter N. Miller

III. Still, it is fascinating to reflect on Peiresc’s inclination to Saint-Maur. That he was attracted to the Benedictines, with their tradition of erudition, makes sense. But the Congregation of Saint-Maur was young, officially founded only in 1618 (while Peiresc was serving at court, as secretary to the Keeper of the Seals), and its celebrity as an incubator of erudition is generally located on the other side of 1650. Peiresc’s reaching out to it almost immediately after its foundation suggests that he perceived an affinity already existing. Perhaps during his time in Paris he learned something about its aspirations and felt a kinship. The figure who decisively oriented the Congregation towards historical studies was Grégoire Tarisse who, as we have noted already, was put in charge of novices at Saint-Louis de Toulouse in 1623, and was Peiresc’s contact there as he sought to reeducate his religious. Tarisse was elected Superior General of the Congregation on 22 November 1630 – celebrated by Marc Bloch as „une des grandes dates de l’histoire de la science française“39. As head of the Congregation, Tarisse pushed in the 1630s for its history to be written, and in the 1640s for more advanced Hebrew studies. His idea was to supplant the Benedictines’ tradition of strenuous physical labor with even more strenuous intellectual labor40. Choosing as his collaborator Luc d’Achery, Tarisse got monks at other monasteries to inventory their charters and put together memoires. He set an example by going through the library of Saint-Germain-des-Prés. In the later 1640s Tarisse and d’Achery formulated a series of questionnaires designed to elicit standardized responses from respondents. It is in these that we can begin exploring the affinity not of Peiresc for the Maurists, but of the Maurists for Peiresc. First of all, there is the role of correspondence. Communication by letter is a central feature of the historical operation set in motion by Tarisse and d’Achery and which would only be elaborated in the decades to come41. 39 François ROUSSEAU, Un promoteur de l’érudition française bénédictine. Dom Grégoire Tarrisse, Premier Supérieur Général de la Congrégation de St-Maur, 1575–1648 (Collection Pax 15, Lille–Paris–Maredsous 1924) 30–37. The phrase from Bloch is quoted in François-Olivier TOUATI, Marc Bloch et Mabillon, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, eds. Jean LECLANT–André VAUCHEZ– Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 411–452, at 419. 40 ROUSSEAU, Promoteur (see n. 39) 71, 74. 41 For an attempt to theorize this practice see Daniel-Odon HUREL, L’étude des correspondances et l’histoire du monachisme: Méthodes et enjeux historiographiques, in:

Peiresc and the Benedictines of Saint-Maur 371

Second and even more tellingly, they worked through questions emphasizing sources and precision42. The questionnaire of 1647, for example, was meant as a model for others; it in turn illustrates the formalization of a revolution in the care – we might even say the „curation“ – of historical sources. Some of these questions are very straightforward, others less so: foundation details (by whom, where, when, what documents survive); the situation of the monastery and its description; whether it had ever been ruined or remained intact; how many priories did it support and their documentation; how many other benefices, whether cures, prebends etc; were there any significant benefactors; were there any changes or notable accidents; what rules were observed there over time; was there anything rare or important in the vicinity; what important people were associated with its history; could its abbots be listed; did it possess old monuments still unpublished; was there anything not covered in the above but nevertheless of importance to the history of the Order; and so forth. Tarisse and d’Achery asked that the answers to these queries be recorded accurately (fidèlement) and also reduced to an epitome, with the significant dates being indicated in the margin43. In another memoire from the same period, those setting out to write a history or saint’s life were enjoined to use large paper with good margins, to use no abbreviations, not to make use of large letters except for proper names, to number the pages, to write on only one side of a leaf, and after transcribing each individual document to review the copy for any errors. Barbarisms or unusual spellings were to be retained parce qu’il y a des mots qui montrent l’antiquité. Il faut faire la mesme chose pour le reste qui regarde l’histoire44. This commitment to the importance of questions, precision, presentation and to the possible historicity of errors, and of course to letters as vehicles Érudition et commerce épistolaire. Jean Mabillon et la tradition monastique, ed. Daniel-Odon HUREL (Textes et traditions 6, Paris 2003) 301–342; to explore its possible relationship to correspondence in the Republic of Letters, see Thomas WALLNIG, Mönch oder Gelehrter? Zur Semantisierung von Argumentationsmustern in den Briefen und Werken von Bernhard Pez, in: Érudition et commerce épistolaire 367–385. 42 ROUSSEAU, Promoteur (see n. 39) 200–213, reprints the questionnaire of 1647, Mémoire des instructions qu’il faut avoir des monastères pour l’Histoire générale de la Congrégation, Instructions from 1648, and Méthode pour la recherche des manuscripts c. 1648. These documents were originally published in Paul DENIS, Documents sur l’organisation des études dans la congrégation de Saint-Maur. Revue Mabillon. Archives de la France monastique 6 (1910/11) 133–156, 437–453; 7 (1911/12) 169–204. 43 ROUSSEAU, Promoteur (see n. 39) 204–205. 44 ROUSSEAU, Promoteur (see n. 39) 209.

372 Peter N. Miller for intellectual exchange – all these are characteristic of Peiresc’s practice. One does not, however, have to assume that Tarisse or d’Achery were a reader of Gassendi’s Vita Peireskii or that they had made the pilgrimage to Aix to read Peiresc’s manuscripts. We know, however, that when it came to history, d’Achery hailed André Duchesne as his model45. In fact, in the circular of March 1648 the only historian proposed as a model was Duchesne, and in a letter written a year later a correspondent in the provinces asked d’Achery: Je vous prie seur tout de nous envoyer au plustost les œuvres de Mr Duchesne puisque on nous le propose pour l’imiter46. Duchesne was a friend of Peiresc’s, but also a collaborator. They shared a working practice, and if Peiresc was the more experimental and wide-ranging of the two, in the area of medieval studies Duchesne put into finished form much that Peiresc left in his manuscript archive47. In other words, when d’Achery celebrated Duchesne he was endorsing a scholarly method that was Peiresc’s. In the next two generations, however, we do know that Peiresc was read by the most important of all the Maurists. Deep, deep into the discussion of seals in De re diplomatica, Mabillon first mentions Peiresc, citing from Gassendi’s Vita on Peiresc’s study of Merovingian and Carolingian seals as historical documents48. He then refers to Peiresc again in a discussion of diadems and crowns49. This might seem a disappointingly slight encounter given how much the two had in common. Though Mabillon’s contemporary Jacob Spon did go to Aix and drank deeply at the manuscript font, Mabillon’s knowledge of Peiresc seems only to have been at second hand. But one generation later, the relationship between the Maurists and Peiresc reached its zenith. Bernard de Montfaucon published the first modern 45 ROUSSEAU, Promoteur (see n. 39) 210. 46 François DOLBEAU, Les instruments de travail des mauristes, in: Dom Jean Mabillon (see n. 39) 621–669, at 623. 47 For Peiresc and Duchesne, see MILLER, Ancient Constitution (see n. 6). Fustel de Coulanges yoked Mabillon to another of Peiresc’s collaborators, Théodore Godefroy: Daniel-Odon HUREL, Introduction, in: Érudition et commerce épistolaire (see n. 41) 7–11, at 8. 48 Jean MABILLON, De re diplomatica libri sex (Paris 1681) 135: Hinc est, quod tanto studio viri antiquitatis periti vetusta haec sigilla perquirunt, quos inter Peireskius, testante Gassendo (Gassend. lib. 2 Vitae Peireskii), commendabat vetera sigilla, quae coram inspexit ectypisque expressa tulit ex archivis abbatiarum Sancti Dionysii, Sancti Germani, Sancti Mauri et ceterarum, ut in quibus continerentur germanae effigies Karoli Magni, Hludovici Pii, Hlotharii imperatoris, Pippini regis Aquitaniae, Karoli Calvi, Karoli Simplicis aliorumque regum ex secunda stirpe. Eadem et nos aliaque archiva diligenter perscrutati sumus: ex quibus regum nostrorum effigies hic repraesentare visum est in gratiam studiosorum, sed maxime in Francorum regum memoriam immortalem. 49 MABILLON, De re diplomatica (see n. 48) 143.

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catalogue of Peiresc’s papers50. Along with Spon and the Comte de Caylus he is among the few to perceive the full scope of Peiresc’s research empire without relying on Gassendi’s „crib“. Furthermore, Montfaucon’s L’Antiquité expliquée draws heavily from Peiresc’s images and perhaps even more from Peiresc’s thinking, though compared to Mabillon, and certainly compared to Peiresc, he seems much less interested in the materiality of his sources51. In fact, we can see Montfaucon’s late Les monumens de la monarchie françoise (1729–1733) as the realization of Peiresc’s idea of a century earlier of publishing the monuments of the French monarchy52. Thus much for the Maurists as practicing what Peiresc practiced. Then there is the realm of their preaching what he preached. This connection is hard to document but also hard to avoid. Can it be only coincidence that Mabillon’s great twentieth-century biographer, Henri Leclercq, also wrote the best short life of Peiresc53? It is in the Traité des études monastiques, cited by Momigliano for its value in elucidating the „ethics“ of the scholar, that the shadow of Peiresc seems longest. The first task of the scholar, Mabillon writes, is pursuit of truth, and the second is charity. These virtues were to enable the scholar to work fidelement, exactement et perseveramment. „Fidelity“, in Mabillon’s reading, was underpinned, as if metaphysically, by faith in a way that was perfectly intelligible to a religious: „Fidelity consists in applying oneself as best as one can to the same prayers, to the same studies, in order to honor God by the order of our studies as well as by the studies themselves“54. The 50 Bernard de MONTFAUCON, Bibliotheca bibliothecarum manuscriptorum nova (2 vols., Paris 1739) 2 1181–1189. See Francis W. GRAVIT, The Peiresc Papers (University of Michigan Contributions in Modern Philology 14, Ann Arbor 1950) 7. 51 Nevertheless, Montfaucon was keeper of the cabinet of antiquities at Saint-Germaindes-Prés, so we should not assume that he was entirely „unmusical“ about objects. See Pierre GASNAULT, Montfaucon antiquaire, le conservateur du cabinet d’antiquités de Saint-Germain-des-Prés, in: Dom Bernard de Montfaucon. Actes du Colloque de Carcassonne, octobre 1996, eds. Daniel-Odon HUREL–Raymond ROGÉ (Bibliothèque Bénédictine 4, 2 vols., Caudebec-en-Caux 1998) 1 187–210. 52 The pages devoted to Montfaucon by Francis Haskell are typically insightful: Francis HASKELL, History and Its Images. Art and the Interpretation of the Past (New Haven– London 1993) 131–143, 158–163. 53 Henri LECLERCQ, Mabillon, in: Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie, 10/1: Lyon – Manosque, eds. Fernand CABROL–Henri LECLERCQ (Paris 1931) col. 427–724; Henri LECLERCQ, Peiresc (Nicolas-Claude Fabri de), in: Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie, 14/1: Peiresc – Porter, eds. Fernand CABROL– Henri LECLERCQ (Paris 1939) col. 1–40. 54 Traité des études monastiques, pt. III, ch. 4: La fidélité consiste à s’appliquer autant que l’on peut aux mêmes heures, aux mêmes études, afin d’honorer Dieu par l’ordre de nos études aussi bien que par nos études mêmes, et de ne se laisser point

374 Peter N. Miller assimilation of prayer and religious discipline to study is striking. „Exactitude“, Peiresc’s secular-sounding precision, is annexed by Mabillon in very much the same way that Max Weber, much later but also more famously, identified the connection between scholarship and the secularized notion of a „calling“: „Wissenschaft als Beruf“55. „Exactitude consists in doing things as well as we can, bearing in mind that we do them for God, and this deserves all our effort“56. Finally, the last of the virtues, „perseverance“ – what Peiresc, a child of his time, would have labelled constantia – „consists“, Mabillon wrote, „in the continuation of the same project, as long as it is useful or necessary, and avoiding the inconstancy that is natural to amour propre“57. „Fidelity“, „exactitude“, and „perseverance“: these are the virtues of Peiresc’s learning. The history of his scholarship and of his leadership of the Republic of Letters documents this at every turn. But as we would expect, they also filter into the details of his practice. And so, for instance, we find them manifested in the instructions that he regularly formulated for others’ use, and for his own, under the heading On desireroit scavoir. As we know, Peiresc took extreme care to assure the accuracy and precision of his observations. He insisted on the most accurate, or loyal, reproduction of images, objects or words, regardless of whether they seemed wrong to modern eyes or not. And no one who followed him doubted the determination with which he pursued people, objects or ideas. When Daniel Morhof called him „that great hunter“, he knew of what he spoke58. Mabillon’s ethic of the scholar drew enough criticism to force him to explain himself. Dom Denis likened the Mémoires pour justifier le procédé que j’ay tenu dans l’édition des vies de nos saints to chapters in the Traité

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surmonter à la paresse, qui nous porteroit à employer inutilement le temps que nous avons destiné pour nos études (cited following the edition by Daniel-Odon HUREL, Dom Mabillon. Œuvres choisies précédées d’une biographie par dom Henri Leclercq [Bouquins, Paris 2007] 621). Maximilian WEBER, Wissenschaft als Beruf (Geistige Arbeit als Beruf. Vorträge vor dem Freistudentischen Bund 1, München–Leipzig 1919). Traité des études monastiques, pt. III, ch. 4: L’exactitude consiste à faire les choses aussi bien que nous les pouvons faire, en considérant que c’est pour Dieu que nous les faisons, et qu’il merite bien toute notre application (HUREL, Mabillon [see n. 54] 621). Traité des études monastiques, pt. III, ch. 4: Et la persévérance consiste dans la continuation d’une même sorte d’étude, tant qu’elle nous est utile ou nécessaire, en évitant ainsi l’inconstance qui est si naturelle à l’amour propre, et la langueur et la paresse qui en sont les suites (HUREL, Mabillon [see n. 54] 621). Daniel MORHOF, Polyhistor (3 vol., Lübeck 1708) 1 50: Peirescii, magni illius librorum venatoris. Examples of all of this can be found in Peter N. MILLER, Peiresc’s Orient: Antiquarianism as Cultural History in the Seventeeth Century (forthcoming London 2012).

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des études monastiques, but including also an application of these virtues to the practice of the historian59. Truth is key for Mabillon; and his definition of a historian follows from this. In it we can see how, for example, Peiresc’s commitment to detail and precision is incorporated easily into a religious perspective on scholarship: „Finally, a historian being a public person, he must rid himself of all sorts of passions and prejudices that are contrary to the love of truth and sincerity. And if there could remain in him some particular inclination to his country, or for those of his estate and condition, it must lead him to examine things with more curiosity and exactitude than others that do not concern him as personally“60. We understand how „exactitude“ could be connected to a sacred notion of the pursuit of truth. But harvesting „curiosity“ for the sacred shows how much Mabillon’s religion had taken account of Peiresc’s notion of learning as virtue. And viewing personal engagement not as a taint, but as a challenge to even greater objectivity shows how much Mabillon had spiritualized the practice of scholarship. One of the puzzles of Peiresc, both then and now, is the extreme dedication to detail that we find in everything he does. Where does this come from? Whence did he come by this commitment? The Benedictine link helps us understand this. One of the puzzles of Mabillon ought to have been where he came by his attention to detail and love of questions. Peiresc and the antiquarian dimension help make sense of this. Attention to small detail in Peiresc’s time was often perceived as vanity. Gassendi, in fact, felt the need to put an explicit reply to this assertion into Peiresc’s own mouth in the Vita Peireskii: To which his answer was, I am not ignorant that many laugh heartily at these Studies, as neither honourable to my self, nor useful to others: howbeit, those men alone are justly to be blamed, who refer the things to no learning, or to such as in vain; seeing most men get them only to adorn their Armories and the walls of their Houses, and have them to no other purpose, but that it may be said, they have such things. But those men are worthy of praise, and do not vainly spend their time, who seek out such things, weighing and illustrating the same, to the end they may give light to the understanding of good Authors; 59 Paul DENIS, Dom Mabillon et sa méthode historique. Mémoire justificatif sur son édition des Acta Sanctorum O.S.B. Revue Mabillon. Archives de la France monastique 6 (1910/11) 1–64, at 9–10. 60 HUREL, Mabillon (see n. 54) 938: Enfin, un historien étant une personne publique, doit se dépouiller de toutes sortes d’affections et de préjugés qui sont contraires à l’amour de la vérité et à la sincerité. Et, s’il lui peut rester quelque inclination particulière pour sa patrie ou pour ceux de son état et de sa condition, elle doit être que pour en examiner les choses avec plus de curiositié et d’exactitude que les autres qui ne le touchent pas de si près.

376 Peter N. Miller that the circumstances of Histories may be more perfectly understood; and that the Persons, things and actions, may be more deeply fixed in the mind 61. Tarisse and d’Achery gave their „answer“ in the final paragraph of the questionnaire of 1648: L’œuvre estant de telle importance, il ne faudra épargner la peine de faire des recherches partout où l’on croira pouvoir rencontrer quelque chose qui puisse servir à ce dessein, ny la despense pour retirer les manuscrits et pièces nécessaires qui pourroient estre en aultres mains. Cet employ estant très utile et profitable, tant pour le bien de l’ordre en général que pour la consolation de chaque religieux en particulier, et d’ailleurs très propre pour occuper le temps que plusieurs employent souvent inutilement, en un sujet très digne de nostre profession, délectable et très utile à ceux qui s’y employeront. Je vous prie donc d’y employer ceux de vostre monastère qu’en jugerez capables, tout le temps qui reste après les exercices et fonctions régulières62. The Maurists, on their parallel track, bring the same precision and diligence as Peiresc – the same discipline, we might add? – to an institutionalhistorical project. It is his wakefulness, or precision, that actually is inherited, as much as the methods of handling evidence. The usual complaint about antiquarianism is that too much effort is spent on subjects of too little importance. But the question of Peiresc’s motivation seems less vexing when viewed through the lens of the Maurists. Their sacred vocation helps us understand his, whether it too is theologically driven, or whether it is already – just – „secularized“. I believe it is the latter, and that in his case we see exactly what „secularization“ means: a change in the subject matter pursued, but not the passion guiding the pursuit. This is the terrain which the late Bruno Neveu made his own and so one can only regret that his studies of ecclesiastical erudition never went back a step further, to the early seventeenth century of Peiresc and Duchesne and their not obviously theological scholarship63. 61 Pierre GASSENDI, The Mirrour of True Nobility and Gentility. Being the Life of the Renowned Nicolaus Claudius Fabricius, Lord of Peiresk (London 1657) 291–292; GASSENDI, Viri illustris (see n. 5) 342: Non nescio, inquit, effuse a multis rideri haec studia, quasi nec nobis ornamento nec caeteris usui sint: ii tamen soli iure carpuntur, qui ad vanam aut etiam nullam eruditionem haec referunt; cum plerique comparent solum in ornamentum armariorum ac parietum, nec alio fine habeant, quam ut habere perhibeantur. Porro laude digni videntur nec tempus frustra terere, qui talia conquirunt, expendunt, illustrant, ut bonis authoribus legendis facem praeferant; ut historiarum circumstantiae perfectius clarescant; personaeque, res et actiones animo melius infigantur. 62 Quoted in ROUSSEAU, Promoteur (see n. 39) 206. 63 Bruno NEVEU, Érudition et religion aux XVIIe et XVIIIe siècles (Bibliothèque Albin Michel, Histoire, Paris 1994).

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Our voyage has taken us from Peiresc to Mabillon and back again. In the twentieth century, one of Mabillon’s most careful readers was Marc Bloch64. At the very same time that the sociologist François Simiand was challenging the Rankean vision of Charles-Victor Langlois and Charles Seignobos, Bloch was thinking about how Mabillon evaluated sources. And even as he would eventually cast his lot with Simiand, who said that the historian’s job was to interpret documents, not simply discover and publish them, he remained deeply cognizant of the role of Mabillon and the tradition he emerged from. At the end of year lecture he delivered at the Lycée in Amiens in the glorious mid-July weather of 1914, Bloch declaimed that „Élaborées surtout par les historiens et les philologues, les règles de la critique du témoignage ne sont pas un jeu d’érudits. Elles s’appliquent au présent, comme au passé“65. And again, even as he was working on „Les Rois thaumaturges“, Bloch saw no caesura between the work of antiquaries and the most modern cultural sciences. Indeed, he took it upon himself to remind historians that the most sensitive approaches to evidence were developed in the seventeenth century: „Les historiens ont suivi avec le plus vif intérêt les progrès accomplis au cours de ces dernières années par la psychologie du témoignage. Cette science est toute jeune […]. Il est juste d’ajouter que la critique historique, plus vieille, lui avait frayé les voies. […] Les psychologues ont dû en cette matière prendre pour point de départ les règles appliquées pratiquement, plutôt que formulées en théorie, par les Papenbroch, les Mabillon, les Beaufort et leurs émules“66. Bloch famously likened historians to ogres with their passion for the human, and he somewhat less famously distinguished antiquaries from historians by making the latter interested in the living person and the former in the dead only67. But even here he was anticipated by one of those self-same antiquaries, albeit one he respected so much, Mabillon. In the chapter De l’étude de l’histoire sacrée et profane in his Traité des études monastiques (pt. II, ch. 8), the Mabillon who was known to his followers as l’antiquaire wrote that there was nothing more useless than history when it was done badly, nor nothing better when done right. Badly, meant studying the past as a series of names, or dates, or events. This, he wrote, ne mérite pas le nom 64 See the references collected in TOUATI, Marc Bloch (see n. 39) 449–451. 65 Quoted in TOUATI, Marc Bloch (see n. 39) 425. 66 Quoted in TOUATI, Marc Bloch (see n. 39) 431, but first published in Marc BLOCH, Réflexions d’un historien sur les fausses nouvelles de la guerre. Revue de synthèse historique 33 (1921) 13–35, at 13. 67 Both analogies are in Marc BLOCH, The Historian’s Craft, trans. Peter PUTNAM (New York 1953) 43.

378 Peter N. Miller de science de l’histoire. Studying history correctly, by extension, defined what history was: c’est connaître les hommes […]. Étudier l’histoire, c’est étudier les motifs, les opinions et les passions des hommes, pour en connaître tous les ressorts, les tours et les détours [...]. En un mot, c’est apprendre à se connaître soi-même dans les autres [...]68. Whether we read our history forwards or backwards, from Peiresc to Mabillon to Bloch, or Bloch to Mabillon to Peiresc, we find antiquaries and antiquarianism at the center of the story.

Zusammenfassung Der Beitrag geht den Beziehungen zwischen Nicolas-Claude Fabri de Peiresc und den Benediktinern von St.-Maur nach. Als Kommendatarabt der Benediktinerabtei Notre Dame de Guîtres seit 1618 wandte sich Peiresc behufs der Ausbildung seiner Religiosen an die Mauriner. Diese Bemühungen lassen sich anhand eines Guîtres gewidmeten Bandes in seinem handschriftlichen Nachlass gut nachvollziehen. Daneben gibt es jedoch auch die spätere, weniger konkrete, Beziehung der Mauriner zu der Art von Gelehrsamkeit, die Peiresc vertrat. Ein kurzer Überblick über die Generation vor Jean Mabillon führt zu abschließenden Bemerkungen über die Kontinuität zwischen dem Antiquarianismus des frühen 17. Jahrhunderts und der reifen, systematisierten Arbeitsweise Mabillons und derer, die nach ihm kamen.

68 Traité des études monastiques, pt. II, ch.8 (HUREL, Mabillon [see n. 54] 525).

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall Die Acta sanctorum und Mabillons Epistola de cultu sanctorum ignotorum und die römische Zensur Andreea Badea Auf die historiographischen Herausforderungen der Reformation hatte die katholische res publica literaria reagiert und das Terrain der Papst-, Bischofsund Heiligengeschichte sowie der Patristik bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mit eigenen Werken abgesteckt1. Diese zumeist groß angelegten, antiquarisch geprägten Unternehmungen hatten sich nicht zuletzt aufgrund ihres methodischen Vorgehens einen Namen gemacht und genossen mittlerweile die Anerkennung der Gelehrtenwelt. Unter den Schlagworten Wahrheit und Kritik etablierte sich eine zunehmend professionalisierte Gruppe von Gelehrten, die historisch arbeiteten und die zunehmend in den Rang viel zitierter und oft konsultierter Autoritäten aufstiegen2. Das Verfassen von Geschichte, das zunächst als bewährte Waffe der Gelehrsamkeit3 zur konfessionellen Abgrenzung und Selbstvergewisserung eingesetzt worden war, kennzeichnete im Laufe des langen nachtridentinischen Jahrhunderts das katholische Aktionsfeld4. Historiographie war nicht 1

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Vgl. dazu Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 164. – Dieser Beitrag entstand als ein Ergebnis der Arbeit am Teilprojekt „Index, Zensur und Historiographie in der Res publica literaria catholica“, das dem von Hubert Wolf geleiteten Langzeitprojekt „Indexkongregation und Inquisition in der Neuzeit“ zugeordnet ist. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 164, mit Bezug auf: Donald R. KELLEY, Johann Sleidan and the Origins of History as a Profession. The Journal of Modern History 52 (1980) 573–598; Jean JEHASSE, La Renaissance de la critique. L’essor de l’humanisme érudit de 1560 à 1624 (Saint-Étienne 1976). Bruno NEVEU, Les armes de l’érudition dans la guerre diplomatique au XVIIe siècle, in: Les premiers siècles de la République européenne des Lettres. Actes du Colloque international, Paris, décembre 2001, hg. von Marc FUMAROLI–Marianne LION-VIOLET (La République européenne des Lettres 1 = La République européenne des Arts 1, Paris 2005) 407–425, hier 408. Simon Ditchfield sieht diese Epoche erst mit der Amtszeit Benedikts XIV. (1740– 1758) beendet und bietet damit, allein die katholische Kirche und ihre nachtridentinischen Reformen berücksichtigend, die zeitliche Erweiterung der Konfessionalisierung. Vgl. Simon DITCHFIELD, „Historia Magistra Sanctitatis“? The Relationship between

380 Andreea Badea nur magistra vitae, sondern sollte in erster Linie Gewissheit hinsichtlich der Heiligkeit der Kirche und ihrer Repräsentanten verschaffen5 und eine der sichersten Grundlagen für die Erfüllung dieser Aufgabe war die Erforschung und Verifizierung der Heiligen. Sie und die durch sie zustande gekommenen Wunder galten als marques essentielles der wahren Kirche. Das Sammeln, Prüfen und Ordnen der Heiligenviten war der beste Weg, Gottes Gegenwart über die Zeit hinweg in dieser und keiner anderen Kirche zu belegen. Auch die lokalen und ordensgebundenen Heiligensammlungen hatten, wiewohl sie Partikularinteressen bedienten und oft gegensätzliche Identitäten stärkten, an dieser Aufgabe teil, indem sie die Selbstvergewisserung der gesamten Konfession stützten und vorantrieben6. Nach der im 16. Jahrhundert schon längst vollzogenen Abkehr von der Rhetorik hatte der interkonfessionelle Diskurs bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die philologische und juristische Überprüfbarkeit der Evidenz zur Grundlage historiographischen Arbeitens gemacht7. Unter Zuhilfenahme der Kritik und mit Anspruch auf faktische Wahrheit sollte die Tradition der katholischen Kirche diese als wahre Kirche Gottes beglaubigen8. Doch war dieses Unterfangen schwieriger als angenommen,

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Historiography and Hagiography in Italy after the Council of Trent (1564–1742 ca.), in: Nunc alia tempora, alii mores. Storici e storia in età postridentina. Atti del Convegno internazionale, Torino, 24–27 settembre 2003, hg. von Massimo FIRPO (Fondazione Luigi Firpo. Centro di Studi sul Pensiero Politico. Studi e testi 25, Firenze 2005) 3–23, hier 13. DITCHFIELD, Historia magistra sanctitatis (wie Anm. 4) 4. Jean-Louis QUANTIN, Document, histoire, critique dans l’érudition ecclésiastique des temps modernes. Recherches de science religieuse 92 (2004) 597–635, hier 600. Ob man es nun „Wahrheits- und Evidenzkriterium“ wie Ginzburg oder „Vorlage unanfechtbarer Zeugnisse“ wie Kraus nennt, beide Autoren unterstreichen damit den Vormarsch der Kritik als Methode. Zu Ginzburg vgl. Helmut ZEDELMAIER, „Im Griff der Geschichte“: zur Historiographiegeschichte der frühen Neuzeit. Historisches Jahrbuch 112 (1992) 436–456, hier 451. Vgl. ebenfalls Andreas KRAUS, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung. Historisches Jahrbuch 88 (1968) 54–77, hier 56. Auf die methodische Verwebung historischer Forschung mit der Jurisprudenz verweist auch Thomas STOCKINGER, Factualité historique, preuve juridique, autorité patristique: stratégies d’argumentation dans les controverses érudites en milieu ecclésiastique, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 709–733, hier 710. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 164; Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 131, Tübingen 2009) 70f.

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall 381

zumal man allseits davon ausging, dass die gelehrte Tätigkeit dem offiziellen Ansinnen der Kirche das nötige verifizierte Rüstzeug an die Hand geben würde9. Dass sich dieses Rüstzeug allerdings gegen die Kirche wenden könnte, hatte man nicht erwartet, weshalb sich die Indexkongregation genau mit denjenigen Autoren um 1700 beschäftigte, die nicht nur innerhalb der katholischen Gelehrtenwelt großes Ansehen für ihre historiographische Arbeit und ihre methodische Genauigkeit genossen. Neben Größen wie Daniel Papebroch und Jean Mabillon – deren Verfahren im Folgenden hier näher betrachtet werden sollen – gerieten gleichzeitig auch Autoren wie Étienne Baluze und Giovanni Palazzi ins Visier der römischen Zensur. Sie alle schrieben Kirchengeschichte in ihren verschiedenen Facetten und fielen auf, weil die Entscheidung für bestimmte Quellencorpora sowie deren Deutung nicht mehr bei der Kirche lag. Gerade die Heiligenverehrung galt als Garant katholischer Loyalität und Integrationskriterium im Prozess der Konfessionalisierung10, weshalb das nachtridentinische Papsttum seinen Anspruch auf ein Deutungsmonopol auch normativ absicherte und seinen institutionellen Ausbau auf dieser Grundlage vorantrieb. Die Bemühungen Klemens’ VIII. (1536–1605) kulminierten in der Einrichtung der Congregazione per i beati 1602 und unter Urban VIII. erfuhr die kirchenrechtliche Normierung dieser Frage durch Dekrete sowie durch den verstärkten Einsatz der Inquisition einen weiteren Höhepunkt11. Gegen Ende des Jahrhunderts war zumindest an der Kurie davon auszugehen, dass Einigkeit darüber herrschte, was kirchenrechtlich und theologisch unter einem Heiligenkanon zu verstehen war und was in diesem Zusammenhang Wahrheit bedeutete. Das heißt aber auch, dass jede Revision dieses Wissens als Rechtsakt, durchgeführt von der Kirche als normgebende Instanz, gelten musste, weshalb diese Aufgabe nicht mehr zur Disposition der Publizistik – unabhängig von deren religiösem oder gelehrtem Impetus – stehen konnte. Dass dabei auch oder (besser:) gerade das Selbstverständnis der Geschichtsschreibung als gelehrte Praxis und ihr hoher Anspruch auf Evidenz, Überprüfbarkeit und Faktizität des Beschriebenen keine Rolle spielen durfte, erstaunt nicht12. Eine sich so definierende Historio9 Zur Gefährdung der Tradition durch die Kritik vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 164. 10 DITCHFIELD, Historia magistra sanctitatis (wie Anm. 4) 14. 11 Vgl. Miguel GOTOR, I beati del papa. Santità, Inquisizione e obbedienza in età moderna (Biblioteca della Rivista di storia e letteratura religiosa, Studi 16, Firenze 2002), insb. 127–253, 285–418. Vgl. darüber hinaus Giovanni PAPA, Le cause di canonizzazione nel primo periodo della Congregazione dei Riti (1588–1634) (Sussidi per lo studio delle cause dei santi 7, Città del Vaticano 2001) 57, 61–63. 12 Jean-Louis Quantin weist eine ähnliche Attitüde auch in der gelehrten (mit Rom kompatiblen) Welt nach, vgl. seine Ausführungen zu Bossuet, der zwar Kritik als

382 Andreea Badea graphie konnte als Angriff auf die sich als apostolisch und göttlich verstehende Tradition der Kirche gedeutet werden13. Im Gegenzug schützte die Kurie ihre Vorstellung von Tradition mit juristischen Mitteln, indem sie den Anspruch erhob, solche Angriffe gerichtlich zu ahnden. Diese zwei Positionen können unterschiedlichen Wissenskulturen14 zugeordnet werden, deren Verhältnis zueinander hierarchisch strukturiert ist. Einerseits besteht ein kirchenrechtliches, systematisch-theologisches Gefälle, das die Präzedenz der Kurie voraussetzt. Dem gegenüber steht die durch die res publica literaria zunehmend gefestigte Autorität professionalisierter Gelehrter. Die im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts losgetretenen Zensurverfahren gegen die Acta sanctorum der Bollandisten und Jean Mabillons Epistola de cultu sanctorum ignotorum15 eignen sich als Illustrationen des Gegeneinanders einer gelehrten, auf Kritik als Methode rekurrierenden, die ständige Reproduktion von Wissen voraussetzenden und einer normierenden, institutionalisierenden Wissenskultur. Es ist zu beachten, dass diesen Kulturen keine klar definierten Personengruppen zuzuordnen sind, sondern dass diese in einem doppelten Netz eingebunden erscheinen. Einerseits ist von Mitarbeitern Methode begrüßte, sie aber eindeutig von sich wies, wenn sie Widerspruch generierte: Jean-Louis QUANTIN, Bossuet et l’érudition de son temps, in: Bossuet. Le Verbe et l’Histoire (1704–2004). Actes du colloque international de Paris et Meaux pour le troisième centenaire de la mort de Bossuet, hg. von Gérard FERREYROLLES (Colloques, congrès et conférences sur le Classicisme 8, Paris 2006) 65–103, hier 102. Zum Verständnis von Geschichtsschreibung als gelehrter Praxis vgl. Helmut ZEDELMAIER– Martin MULSOW, Einführung, in: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Helmut ZEDELMAIER–Martin MULSOW (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 64, Tübingen 2001) 1–7, hier 1–3. 13 Zu diesem tridentinisch geprägten Traditionsbegriff vgl. Siegfried WIEDENHOFER, Zur Entwicklung des frühneuzeitlichen Traditionsverständnisses. Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 1 (1997) 22–38, hier 33. Zur Definition des Traditionsbegriffes seit dem Trienter Konzil im Sinne von „mündlicher apostolischer Tradition“ vgl. zudem prägnant Siegfried WIEDENHOFER, Tradition, Traditionalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 6: St – Vert, hg. von Otto BRUNNER–Werner CONZE–Reinhart KOSELLECK (Stuttgart 1990) 607–649, hier 625f. 14 Wissenskultur soll dabei als Diskurs verstanden werden, innerhalb dessen auf ein bestimmtes Kontingent von epistemischen Praktiken, beruhend auf Wahrheitskriterien, zurückgegriffen wird. Vgl. dazu Wolfgang DETEL, Wissenskulturen und epistemische Praktiken, in: Wissenskulturen. Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept, hg. von Johannes FRIED–Thomas KAILER (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 1, Berlin 2003) 119–132, hier 119f. 15 [Jean MABILLON], Eusebii Romani ad Theophilum Gallum epistola de cultu sanctorum ignotorum (Paris 1698).

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall 383

eines Dikasteriums auszugehen, die vorgegebene Normen respektieren und innerhalb eines bestimmten institutionellen Rahmens umsetzen, und andererseits können die gleichen Personen als Produzenten und Rezipienten von Wissen auftreten und im Privaten am gelehrten Diskurs teilnehmen. Vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen um das Ungleichgewicht der beiden Wissenskulturen ist zu fragen, ob und in welcher Form von der Unterwerfung der einen durch die andere auf dem Weg des Verfahrens die Rede sein kann. Beziehungsweise es stellt sich die Frage, ob die bereits erreichte Professionalisierung innerhalb der res publica literaria überhaupt noch eine institutionell bedingte Hierarchie erlaubt. Die Existenz von (gelehrten) Autoritäten, die die Tradition auf der Grundlage eigenen Wissens verunsichern, scheint für die Kirche ein Widerspruch zu sein, dem man sich außerhalb der jeweiligen Diskurse allein auf einer politischen Ebene nähern konnte, indem man Zwischenlösungen bot. Dieser Lösungen bedurfte es, weil die Kurie so weit ging, in vielen Fällen sogar die methodologische Effizienz der verhandelten Autoren zu bestätigen, die Ergebnisse dieser gelehrten Tätigkeit aber als Rechtsbruch sehen musste, als Widerspruch zur Tradition, also zu all dem, was ihr dogmatisches und juristisches Rückgrat ausmachte. De facto genossen sowohl Daniel Papebroch und seine Mitarbeiter als auch Mabillon hohes Ansehen in der gesamten res publica literaria und gingen mit Blick auf die Posterität gestärkt aus den Auseinandersetzungen um eine mögliche Zensur ihrer Bücher hervor. Dass man mit diesen Ereignissen einen der zahlreichen Übergangspunkte hin zur Aufklärung sehen kann, ist längst ausgesprochen worden16. Innerhalb der Kirche konnten sie sich vorläufig allerdings nicht durchsetzen, obwohl man weder ihre Bücher hätte verbieten können, noch ihre Wahrheiten anzweifelte. Deshalb kombinierte die Kurie langfristig die Quasi-Erlaubnis der Werke mit einer Mischung aus befohlenem und sich einschleichendem Schweigen.

I. Heilige auf dem Prüfstand Die Mechanismen, deren sich die gelehrten Ordensleute bedienten, um neues historisches Wissen zu generieren, sind vielschichtig und schwer nachvollziehbar17. Einer der großen Streitfälle um die Acta sanctorum entfachte sich eben an solch auf der Grundlage der Kritik neu generiertem Wissen18. Den Stein des Anstoßes, der nur sehr langsam ins Rollen kommen sollte, 16 BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 163f. 17 Vgl. hierzu SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 632–673, der eine beeindruckend präzise Untersuchung dieser Mechanismen gelehrter Praxis unternimmt. 18 Vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 549.

384 Andreea Badea bot die im 13. und 14. Jahrhundert entfaltete Gründungsmythologie der Karmeliten. Damit hatten sie bereits Skepsis bis Hohn bei französischen Gelehrten wie zum Beispiel Jean de Launoy (1603–1678) geerntet19 und erwarteten nun von den mittlerweile berühmten Bollandisten in gewisser Weise einen Urteilsspruch in dieser Frage. Sie mussten sich allerdings etwas gedulden, und zwar bis die Antwerpener Jesuiten die Heiligen des Monats März bearbeiten würden, weil die ersten Festtage der Heiligen aus den Reihen des Karmel Ende März lagen. Der sich daraus anbahnende Streitfall ist bereits zur Genüge in all seinen Details dargestellt worden20. Um auf die Diskrepanz zwischen dem Wissen, das die Bollandisten mittlerweile als Wahrheit kolportierten, und den römischen Normen als Grundlage des Glaubens eingehen zu können, soll im Folgenden nicht die Austragung des Streits im Mittelpunkt stehen, sondern das römische Zensurverfahren gegen die Acta sanctorum. In dem 1668 erschienenen letzten Märzband der Acta sanctorum konnten die Bollandisten – vermutlich speziell Gottfried Henschen (1600–1682) – einer klaren Stellungnahme noch etwas ausweichen, auch wenn bereits im Titel zum Dossier des Hl. Berthold von Kalabrien zum 29. März jener eindeutig als erster Prior seines Ordens bezeichnet wurde21. Der Ton sollte allerdings schärfer werden, zumal die Bände zum Monat April noch viel mehr Zündstoff für den Karmel boten. Der viel forschere und kompromisslosere Papebroch bezog mit seinem Dossier über den Hl. Albert von Jerusalem († 1214) unter dem 8. April klar Stellung in der Auseinandersetzung um die Vergangenheit des Ordens, dessen kühne Mitglieder sich manchenorts sogar in die Tradition des Pythagoras und der Druiden setzten22. Der Jesuit ging noch weiter und verfasste im Propylaeum zum 1675 erschienenen zweiten Aprilband einen Abschnitt unter dem Titel De praetensa quorumdam Carmeliticorum conventuum antiquitate23. Die empörten Reaktionen 19 Vgl. Franz Heinrich REUSCH, Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte (2 Bde., Bonn 1883–1885) 2 267f. 20 Umfangreiche Darstellungen finden sich bei Hippolyte DELEHAYE, A travers trois siècles. L’œuvre des Bollandistes 1615–1915 (Bruxelles 1920) 125–140; Paul PEETERS, L’œuvre des Bollandistes (Bruxelles 1942) 27–33. Die neueste Darstellung mit Hinweisen auf weiterführende Literatur findet man bei SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 673–752. 21 Acta sanctorum, quotquot toto orbe coluntur vel a catholicis scriptoribus celebrantur (AASS) Martii 3 (Antwerpen 1668) 791f.; zu Henschens Autorschaft vgl. SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 675 Anm. 137. 22 AASS Aprilis 1 (Antwerpen 1675) 769–802; vgl. REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 268. 23 Daniel PAPEBROCH, Propylaei antiquarii pars secunda. De praetensa quorumdam Carmeliticorum conventuum antiquitate, in: AASS Aprilis 2 (Antwerpen 1675) XXXII–XLI.

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der Karmeliten sollten sich nun in den nächsten Jahren langsam innerhalb der res publica literaria verbreiten und einen Nährboden für die kommende Auseinandersetzung auch vor der Indexkongregation schaffen24. Allerdings strengten vorerst Autoren wie der Löwener François de Bonne-Espérance (1617–1677) oder der belgische Provinzial des Ordens Sébastien de SaintPaul (1630–1706) einen – von der Gelehrtenrepublik schlichtweg ignorierten – Angriff auf die Bollandisten an, während jene unbeeindruckt weiterarbeiteten25. Auf Seiten der Karmeliten suchte man der Publizistik quasi-rechtlichen Anstrich zu geben, weshalb Sébastien de Saint-Paul auch seine 1683 publizierte Schrift an Innozenz XI. gerichtet hatte und damit den Eindruck einer Anzeigeschrift erweckte26. Eine kirchenrechtliche Dimension verliehen ihm die Karmeliten erst 1690, indem sie die Autoren der Acta sanctorum bei der Indexkongregation denunzierten. Allerdings hielt es deren Sekretär Giulio Maria Bianchi (1626?–1707)27 nicht für nötig, dieser Anzeige nachzugehen. Die Berühmtheit der Autoren und die Komplikationen, die das mögliche Verbot eines solchen Projektes mit sich gebracht hätten, ermahnten ihn zur Vorsicht, weshalb er die Anzeige vorerst einfach ignorierte28. Und auch die Spanische Inquisition, bei der die Antwerpener 1691 angezeigt worden waren, schien sich nicht mit der Urteilsfindung zu beeilen. 24 Zu den Formalia des Dikasteriums und zu dem Konsult vgl. Jyri HASECKER, „Decet enim de artibus solos artifices iudicare.“ Beobachtungen zum Konsult der Indexkongregation im 18. Jahrhundert, in: Inquisition und Buchzensur im Zeitalter der Aufklärung, hg. von Hubert WOLF (Römische Inquisition und Indexkongregation 16, Paderborn–München–Wien–Zürich 2011) 67–86. 25 Vgl. REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 268f.; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 677f.; BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 550. So nahm auch der kampferprobte Mabillon erst Bezug auf dieses Problem, als es ein juristisches wurde, vgl. Mabillon an Colloredo, 2. Januar 1696, in: Ouvrages posthumes de Dom Jean Mabillon et de Dom Thierri Ruinart, benedictins de la congregation de Saint Maur, 1, hg. von Vincent THUILLIER (Paris 1724) 304f. 26 Bei der Schrift handelt es sich um SÉBASTIEN DE SAINT-PAUL, Libellus supplex sanctissimo domino Innocentio XI. pro origine et antiquitate ordinis Carmelitarum variisquie illius historiis a sacra congregatione rituum iterato recognitis et approbatis nec non summorum pontificum bullis adversus patrem Danielem Papebrochium Societatis Jesu eas ut commenta et imposturas explodentem exhibitus (Frankfurt [Fehlangabe] 1683). Der fingierte Erscheinungsort weist allerdings auf etwaige Bedenken des Autors bezüglich des qualitativen Stellenwerts seiner Schrift hin. 27 Zu Bianchi vgl. Herman H. SCHWEDT–Jyri HASECKER–Dominik HÖINK–Judith SCHEPERS, Römische Inquisition und Indexkongregation. Grundlagenforschung 1701–1813, 3: Prosopographie von Römischer Inquisition und Indexkongregation 1701–1813 (2 Bde., Paderborn–München–Wien–Zürich 2010) 1 169–171. 28 Vgl. Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede Roma (ACDF), Index Diari 10, 26v.

386 Andreea Badea Erst die Vakanz des Großinquisitorenamtes am 14. November 1695 führte zu einem Verbot aller 14 von Papebroch betreuten Bände durch die Inquisition von Toledo. Bis Januar 1696 schlossen sich die Inquisitionen von Saragossa, Madrid und Valladolid zügig an29. Diese Urteile führten nicht nur zur Entfachung eines veritablen publizistischen Disputs innerhalb Spaniens einerseits und auf europäischer Ebene andererseits, sondern versetzten nun auch die Kurie in vorsichtige Bewegung. Zwar war bereits 1693 eine erneute Anzeige gegen die Acta sanctorum bei der Indexkongregation eingegangen, man beließ es aber in Rom dabei, kleine Schritte zu machen. Immerhin hatte Bianchi vorerst in der Kongregationssitzung vom 21. April 1693 festgestellt, dass trotz der Berühmtheit der Sammlung [è] però ben vero che per il proprio caso può far molto male, se in essa si fossero dottrine perniciosissime alla fede cattolica, pietà de fedeli, e auttorità della Santa Sede30. Im gleichen Atemzug hatte er auch die neuerliche Anzeige der Ordensgenerale beider Zweige verlesen, wonach die Acta sanctorum gegen die Armut Jesu, summorum pontificum acta et gesta, bulla, brevia et decreta, concilia, Sacram Scripturam sanctorumque patrum auctoritatem communemque explicandi sensum, ecclesiae capitis primatum et unitatem, sacri Romani collegii cardinalium dignitatem et authoritatem, sanctos ipsos eorumque cultum, reliquias, acta et scripta, indulgentiarum antiquitatem, historias sacras, breviaria, missalia, martyrologia, kalendaria verfasst seien, die Bollandisten sich darüber hinaus satirisch und sarkastisch gezeigt und die Schriften von Häretikern, Häresiarchen und anderen von der Kirche verurteilten Autoren rezipiert und wiedergegeben hätten31. Dem Schreiben lagen noch die von den Karmeliten formulierten 241 beziehungsweise 250 propositiones zu den Acta sanctorum bei, auf die während des Streits immer wieder rekurriert werden sollte32. Was aber 1693 recht emsig begonnen hatte, sollte nun schnell wieder verebben. Vermutlich versetzte man sich auch allseits in abwartende Haltung, um den Dissens einfach auszusitzen. Von der spanischen Anklage schien zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt gewesen zu sein. Es wäre dementsprechend noch möglich gewesen, den Konflikt erneut durch Nichtbeachtung herunterzuspielen, zumal das Ausmaß der damit einhergehenden Komplikationen für die gesamte Kirche abzusehen war. Also vertagte man das Thema vorerst 29 Es handelt sich dabei um alle Bände zu den Monaten März bis Mai; vgl. REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 269f.; darüber hinaus Jean-Louis QUANTIN, Bollandisti, in: Dizionario storico dell’Inquisizione, 1: A – D, hg. von Adriano PROSPERI– Vincenzo LAVENIA–John TEDESCHI (Pisa 2010) 207–208, hier 208. 30 ACDF Index Prot. 50, 324r. 31 ACDF Index Prot. 50, 350r. 32 ACDF Index Prot. 50, 352r–373r.

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während des Sommers und Herbstes 169333, bis in der Sitzung vom 16. November 1693 Bianchi eine Zusammenfassung seiner Einschätzung der angezeigten Bücher vorlegen konnte. Nicht nur die Karmeliten suchten den Kontakt zur Kurie und verliehen ihren Forderungen durch erneute Anzeigen den nötigen Nachdruck. Auch die Jesuiten reagierten; pünktlich zum Referat des Sekretärs hatte auch der Ordensgeneral Tirso González de Santalla (1624–1705) eine auf den 9. November datierte Supplik eingereicht, in der er um die Angabe möglicher korrekturbedürftiger Stellen in den untersuchten Bänden der Acta sanctorum gebeten hatte34. In seinem Gutachten richtete Bianchi sein Augenmerk und damit das der gesamten Kongregation für die nächsten Jahre weg von den einzelnen Bänden hin zum Propylaeum 35 des Monats Mai und hier speziell auf die chronologisch geordneten Aufzeichnungen zu den Päpsten. Vollkommen ungewöhnlich für einen Sekretär der Indexkongregation, zu dessen organisatorischer Tätigkeit eher die Auswahl der verhandelten Bücher und zu jener Zeit nur manchmal diejenige der Konsultoren gehörte, hatte Bianchi ein 24seitiges Gutachten gefolgt von 104 Seiten Propositiones zu den Acta sanctorum beziehungsweise hauptsächlich zu dem im Propylaeum eingebundenen Conatus chronico-historicus36 verfasst37. Besonders erwähnte er natürlich die Kommentare zu einzelnen Päpsten wie Sergius III. († 911), Bonifaz VIII. (1235–1303) und Alexander VI. (1431–1503), bei denen Papebroch bewusst von dem in seinem Urteil viel vorsichtigeren Baronio abgewichen war. Vermutlich war es die außergewöhnliche Bedeutung des Falles, die die Kardinäle und den Sekretär dazu verleitete, das reguläre Zensurverfahren und den Kompetenzrahmen des Sekretärs etwas zu erweitern. Immerhin bot Bianchis Gutachten die Grundlage für weitere Verhandlungen. Im Anschluss an das Referat des Sekretärs beauftragten die Kardinäle den Autor der Historia Pelagiana sowie Konsultor und baldigen Kardinal der Indexkongregation, den Augustiner Enrico Noris (1631–1704)38, mit 33 ACDF Index Diari 10, 43r, 53r. 34 ACDF Index Prot. 54, 264v. 35 Daniel PAPEBROCH–Gottfried HENSCHEN–François BAERT–Konrad JANNING, Propylaeum ad Acta sanctorum Maii sub felicissimis auspiciis Innocentii XI Romani pontificis optimi maximi et Caroli II Hispaniarum Indiarumque regis catholici in septem tomos digesta (Antwerpen 1685). 36 Daniel PAPEBROCH, Conatus chronico-historicus ad catalogum Romanorum pontificum cum praevio ad eumdem apparatu Godefridi Henschenii atque Petri Possini, a sancto Petro usque ad Paschalem II. deductus ante tomum quartum de Actis sanctorum Maii, in: Propylaeum ad Acta sanctorum Maii (wie Anm. 35) (gesondert paginiert). 37 Vgl. ACDF Index Prot. 51, 325r–337v, 340r–392v. 38 Zu ihm vgl. SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 27) 2 891–894.

388 Andreea Badea der Begutachtung des Propylaeum zum Monat Mai39. Doch auch wenn – vollkommen ungewöhnlich für das Verfahren der Kongregation, das keine Zwischenberichte zum Stand eines Gutachtens vorsah – sehr bald beteuert worden war, Noris sei bereit zu referieren, kam es nie dazu. Im Sommer 1695 gab der Gutachter Befangenheit als Grund für die Weitergabe des Referats an, zumal seine Historia Pelagiana im fünften Band zum Monat Mai kritisiert worden war40. Durchaus als Verzögerungstaktik muss das Verhalten der Indexkongregation auch anderweitig verstanden worden sein, zumal nun eine erneute Anzeige der Karmeliten eintraf, die darüber Beschwerde führte, dass die Bollandisten das Schweigen Roms als Zustimmung deuteten, weshalb sie ihre Bücher in der Zwischenzeit weiterhin veröffentlicht hätten41. Auf Seiten der Jesuiten hatte man sich vorläufig nicht auf schriftliche Dispute mit den Karmeliten eingelassen. Man behielt allein die Kurie im Auge, da man der Gefahr, die von dem Verfahren in Rom ausging, durchaus gewahr war. Deshalb hatte sich González im Frühsommer 1695 erneut an die Kongregation gewandt, um einen Expurgationsvorschlag für die beanstandeten Bände zu erhalten42. Die Nachricht von dem spanischen Verbot veränderte allerdings die Parameter des Streits, denn in ihren Bemühungen um seine Aufhebung ließen sich die Jesuiten doch auf den publizistischen Kampf auf der Halbinsel ein43 und setzten gleichzeitig auf die politischen Interventionen des Ordensgenerals in Rom. Pünktlich zur Sitzung der Kongregation vom 9. Juli 1696 schickte er eine weitere Supplik an sie. Darin verlangte González, den zu erwartenden Urteilsspruch über das nunmehr zum dritten Mal verhandelte Propylaeum zurückzustellen, bis alle 14 von den spanischen Inquisitionen verbotenen Bände überprüft seien44. Dass er genau über die Sitzungstermine der Kongregation und über ihre vermeintlich geheimen Tagesordnungspunkte sowie über den Stand des Verfahrens informiert war, mag wenig über39 ACDF Index Diari 10, 57v. 40 Vgl. dazu ACDF Index Diari 10, 121v–122r, sowie die Briefe des Kardinals Noris vom 24. August und 5. September 1695 an Bianchi und an die Kardinäle der Kongregation, ACDF Index Prot. 53, 423r, 424r–v. 41 Vgl. ACDF Index Diari 10, 121r. 42 ACDF Index Prot. 52, 268r, 269r–v. 43 Zu den spanischen Auseinandersetzungen vgl. Biblioteca Casanatense, Vol. Misc. 739, Nr. 17, Libellus supplex a patribus Societatis Jesu provinciae Toletanae oblatus Madrid anno 1696, mense Aprili, contra libellum supplicem eidem regiae maiestati oblatum a reverendis patribus Carmelitis ad suadendum, ut universis imponatur silentium circa antiquitates ordinis Carmelitici tenendum; post decretum Inquisitionis Toletanae contra XIV volumina de Actis sanctorum. Vgl. ferner REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 271f.; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 686–689. 44 ACDF Index Prot. 54, 264r.

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raschen, zumal er das römische politische Parkett gut kannte, die beteiligten Kardinäle den Bollandisten durchaus zugeneigt waren und sich auch anderweitig in ihrer Korrespondenz über die Schwierigkeiten des gerade laufenden Verfahrens ausließen45. Auf die Supplik des Ordensgenerals war Bianchi eingegangen unter Verweis auf die auf den 9. November 1693 datierte Bittschrift, in der González Korrekturbereitschaft in allen von der Kongregation noch aufzuzeigenden Fällen signalisiert hatte46. Dass man das Verfahren nicht mehr umgehen konnte, lag auf der Hand, wichtig war den Jesuiten nun aber auch, einem Urteil zu entkommen, indem sie Kooperationsbereitschaft zeigten. Auf europäischer Stufe bauten sie ihre Geschütze gegen die Karmeliten und gegen eine Verurteilung durch Rom ganz anders auf: Vier deutsche Kurfürsten, sämtliche weitere katholische Fürsten und Prälaten des Reichs, der König von Polen und Kaiser Leopold I. selbst setzten sich für sie ein. Die politische Bühne gehörte damit den Bollandisten und in der gelehrten Welt waren Protestanten wie Katholiken, darunter Berühmtheiten wie Jean Mabillon, auf ihrer Seite47. Die europäische Fürsten- und Gelehrtenwelt stand geschlossen hinter den Antwerpenern, und auch wenn Innozenz XII. sich durch seine bourbonische Präferenz in der spanischen Erbfolgefrage recht weit in die große Politik gegen Habsburg eingemischt hatte, so konnte er es sich nicht leisten, ein weiteres Schlachtfeld zu eröffnen. Politisch sprach also viel für einen äußerst vorsichtigen Umgang mit diesem Thema, allein kirchenrechtlich und theologisch konnte man dem kaum beikommen, folgte man zumindest der in der Kongregation vertretenen Meinung. In diesem Sinn fielen auch die Gutachten der Konsultoren aus. Giovanni Maria Gabrielli (1654–1711)48, der erste Gutachter des Propylaeum, votierte in der Sitzung vom 21. November 1695 für ein absolutes Verbot, nicht nur weil er durch den Rückgriff der Bollandisten hauptsächlich auf häretische oder „unbekannte“ Autoren das Breviarium und das Martyrologium in Frage gestellt sah, sondern vor allem, weil die Berühmtheit 45 González kannte sogar die Namen der einzelnen Gutachter, vgl. ACDF Index Diari 10, 129v–130r, 138r, 142v–145v. Zu den Vernetzungen zwischen der Kurie und den Orden in den Provinzen sowie zur besonderen Rolle des Ordensgenerals vgl. Markus FRIEDRICH, Der lange Arm Roms? Globale Verwaltung und Kommunikation im Jesuitenorden 1540–1773 (Frankfurt am Main–New York 2011), insb. 174. Enrico Noris berichtete zum Beispiel Antonio Magliabechi (1633–1714) sehr genau über den Stand des Verfahrens, vgl. REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 272f. 46 ACDF Index Prot. 54, 264v. 47 Vgl. PEETERS, Œuvre (wie Anm. 20) 32; BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 550. 48 SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 27) 1 545–548.

390 Andreea Badea der Autoren innerhalb der res publica literaria zur sicheren Verbreitung ihrer Ansichten und somit zur Schädigung der Kirche führen würde49. Beachtet man die zeitliche Differenz zwischen Veröffentlichung und Vortrag, erstaunt der Konjunktiv. Dennoch war es nicht die bereits erfolgte Diffusion des kolportierten Wissens, sondern die noch ausstehende, die Gabrielli beunruhigte. Ebenfalls für ein Verbot wegen der Autorität Papebrochs und seiner Mitarbeiter sprach sich wenige Monate später, am 6. Februar 1696, auch Giovanni de Miro (1656–1731)50 aus, und auch Andrea Borelli (1651–1710) entschied sich in seinem Vortrag am 9. Juli 1696 für das Verbot des Propylaeum51. Die Ereignisse überschlugen sich nun: Noch am selben Tag fällten die Kardinäle ihr Urteil über das Verbot des Propylaeum52. Doch sollte es nicht von langer Dauer sein, denn bereits wenige Monate später, im Oktober des gleichen Jahres, beschwerte sich Papebroch gemeinsam mit seinen Mitstreitern beim Kardinalsekretär Fabrizio Spada (1643–1717) über das vermeintlich noch geheime Urteil gegen seinen Band53. Stante pede bestellte Spada den Indexsekretär zu sich, verlangte eine Erklärung, und als jener auf der Notwendigkeit des Verbots bestand, schickte er ihn weiter zu Innozenz XII., um dort sein Anliegen vorzutragen beziehungsweise damit einzuknicken. Der Papst, bestürzt über den faux pas der Bollandisten, soll Bianchis Ausführungen zu den genannten Verfehlungen mit dem doppelten Ausruf O, che imprudenza! Oh, che grande imprudenza! quittiert und die Aufhebung des Verbots verlangt haben54. Dieser kurze Moment offenbart bereits, wie weit sich der historiographische Diskurs von der einstigen Indienstnahme durch die Kirche zu einer selbständigen Kultur mit eigenem Definitionsanspruch gewandelt hatte. Die mittlerweile hohe Autorität der 49 ACDF Index Prot. 54, 93r–102r, hier 102r. Dazu ebenfalls ACDF Index Diari 10, 129v–130r. 50 SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 27) 2 845–849. 51 ACDF Index Diari 10, 138r; ACDF Index Prot. 54, 230v. 52 Enrico Noris informierte Magliabechi über den Ereignisablauf, vgl. REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 272f. Seine Erläuterungen hinsichtlich eines Verbotes donec corrigatur lassen sich allerdings anhand des Aktenmaterials aus der Kongregation nicht bestätigen, viel eher sind diese Berichte mit seiner eigenen Haltung zu erklären, da Noris der einzige war, der einer kompletten Korrektur „unter der Hand“ das Wort sprach, vgl. ACDF Index Prot. 55, 222r. 53 Gemeint ist damit ein Schreiben der Bollandisten an Innozenz XII. und Spada, das sich in ACDF Index Diari 55, 230r–231v, befindet und kürzlich ediert worden ist: Margherita PALUMBO, I Bollandisti e la censura di Roma. Cinque memoriali del 1696 nell’Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede. Analecta Bollandiana. Revue critique d’hagiographie 127 (2009) 364–381, hier 378f. 54 Zum gesamten Abschnitt vgl. ACDF Index Diari 11, 15v–16r; das Zitat ebd. 16r.

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Bollandisten und die politische Macht, die ihnen zur Seite stand, reichten als Grund für Innozenz XII., das Urteil aufzuheben, damit das Paradoxon der beiden miteinander konkurrierenden Deutungsansprüche weiterhin bestehen zu lassen und einen Schritt weiter zur Entsakralisierung des Wissens außerhalb institutionalisierter juristischer und theologischer Grenzen zu gehen55. Nur war der Sekretär nicht bereit, dem Papst Folge zu leisten. Das Verbot war seiner Ansicht nach zur Genüge durch das Verfahren der Indexkongregation legitimiert, weshalb er Innozenz XII. schlichtweg die Befugnis absprach, es aufzuheben. Quasi als Kompromisslösung bot er allerdings die Suspendierung der Promulgation (und eben nicht des Verbots) an. Der Papst gab nach und behielt sich vorläufig vor, die Veröffentlichung zurückzuhalten56. Am 26. November 1696 einigten sich die Kardinäle, vorerst auf die Einholung der facultas publicandi zu verzichten und abzuwarten, zumal ihnen auch gleichzeitig die im Oktober des gleichen Jahres von den Bollandisten verfasste Supplik vorgelegt worden war57. Ausgehend davon, che essendosi sparsa in Europa la fama della proibitione des Propylaeum, unterstellen die Antwerpener nicht ganz frei von Ironie, dass dieses Urteil vielleicht eine Bestätigung des spanischen vom letzten Jahr sein könnte. Der dortigen Inquisition sei parlando sempre col rispetto verso chi si deve nämlich ein solennissimo sbaglio unterlaufen, da sie das Propylaeum mit dem darin enthaltenen Conatus chronico-historicus verwechselt und damit ein Buch verboten habe, das nicht zensurwürdig sei58. Abschließend bitten die Antwerpener, nicht das gesamte Propylaeum in das Verbot einzubeziehen, sondern nur den Conatus, dessen Verurteilung die Kongregation vermutlich tatsächlich vorgehabt habe. Freilich würden sie sich selbst in diesem Punkt qualche moderatione erhoffen, zumal die Indexkongregation damit dem spanischen Beispiel folgen würde, dem wiederum die päpstliche Approbation fehle59. Letztlich sollten die Kardinäle dieser Zensurempfehlung Folge leisten; mit Bando vom 22. Dezember 1700, vier Jahre später, wurde allein das Verbot des Conatus chronico-historicus veröffentlicht60. Bis dahin blieb es bei einer 55 Zur Entsakralisierung des Selbstverständnisses und der Praxis der Geschichte vgl. Arno SEIFERT, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte. Die Rationalisierung der universalhistorischen Erkenntnis im Zeitalter der Aufklärung. Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986) 81–117, insb. 82. Vgl. ferner die Deutung dieses Aufsatzes bei ZEDELMAIER, Im Griff der Geschichte (wie Anm. 7) 438. 56 Vgl. ACDF Index Diari 11, 16r–v. 57 ACDF Index Diari 11, 16v. 58 Vgl. ACDF Index Diari 55, 234r–235v, die Zitate ebd. 234r. Die Supplik ist ebenfalls abgedruckt bei PALUMBO, Bollandisti (wie Anm. 53) 370–380. 59 Vgl. ACDF Index Diari 55, 235v. 60 Vgl. ACDF Index Prot. 60, 137r–v.

392 Andreea Badea Pattsituation zwischen der Kongregation, vertreten von ihrem streitbaren Schriftführer, und dem Papst, denn das Verbot blieb zwar erhalten, hatte aber keine Promulgationserlaubnis. Allerdings bedurfte es auch keiner, da vorerst überhaupt keine Bandi gedruckt wurden. Ob letztlich die oben genannte späte Veröffentlichung aller Verbote der Indexkongregation zwischen Mai 1696 und Dezember 1700 mit diesem Fall in Verbindung steht oder nicht, ist nur höchst spekulativ zu beantworten. Es sei hier dennoch gesagt, dass Innozenz XII. am 27. September 1700 verstorben war und ihm das ehemalige Mitglied der Indexkongregation Giovanni Francesco Albani (1649–1721) am 27. November des gleichen Jahres als Klemens XI. im Amt folgte. Albani hatte sich am 26. November bei der erneuten Abstimmung für das Verbot ausgesprochen61 – ein Umstand, der die geäußerten Vermutungen bestätigen würde –, er war aber auch gleichzeitig derjenige Papst, während dessen Amtszeit die Verhandlungen über die Acta sanctorum ins Nichts versickerten. In den Jahren nach dem Verbot des Propylaeum beziehungsweise des Conatus chronico-historicus und bis zur Sitzung am 9. Juli 1703, in der zwar ein weiteres Gutachten zum zweiten Band des Monats April erfolglos gefordert worden war, sollten die Bände der Monate März bis Mai des Öfteren – zumeist jeweils drei Mal – begutachtet werden. In der Welt der Gelehrten trat Papebroch den publizistischen Kampf gegen die Karmeliten an und wurde dabei kräftig unterstützt von seinen mächtigen Gönnern62. Vor allem gab er den Vorwurf der Ketzerei an seine Gegner zurück, indem er darauf verwies, dass sie mit dem Beharren auf ihrer Genealogie den Häretikern Anlass zum Angriff geben würden63. Gleichzeitig fand dieses Argument immer wieder Anwendung in den einzelnen Gutachten der Indexkongregation. Durchweg handelt es sich bei diesen Voten um sorgfältige Überprüfungen der Inhalte sowie um deren Abgleich mit Schriften anerkannter wie verbotener Autoren. Allen Gutachten ist letztlich aber gemein, dass sie nicht in Kategorien von Falsch und Richtig urteilten, sondern dass sie den schwerwiegenderen Vorwurf der Häresie äußerten. Den für den gelehrten Diskurs so wichtigen Wahrheitsgehalt der Aussagen stellten sie nicht in Frage und auch nicht die Genauigkeit der Methode oder die Qualität der Evidenzen64. Im Auftrag der Kon61 Vgl. ACDF Index Prot. 55, 222r. 62 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 698f. 63 Vgl. die Flugschrift in Biblioteca Casanatense, Vol. Misc. 739, Nr. 20: Vera origo et continuata physice nec unquam interrupta successio sacri ordinis Carmelitani, historice demonstrata per Danielem Papebrochium Societatis Jesu theologum; vgl. ferner SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 8) 699. 64 Die einzige Ausnahme macht hier der Zisterzienser Giulio Lucenti, der eines der Gutachten zum 3. Band des Monats April verfasst hatte. Lucenti unterscheidet sehr

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gregation verfasst, sind die Gutachten klare Belege dessen, was das Dikasterium als Wissen vertrat65. In ihnen offenbart sich gleichzeitig ein kirchenrechtlich und theologisch auf Tradition beruhendes, auf die pastorale Pflege der Gläubigen gerichtetes und von der gelehrten Welt getrenntes Verständnis von Geschichte und vom Schreiben über Geschichte. Den Kern der negativen Urteile machte der Umstand aus, dass die Bollandisten mit der Beschreibung und Kommentierung ihrer Befunde nicht bloß bisher abgesichertes und allen bekanntes Wissen in Frage stellten; sie stürzten Normen um, sie widersprachen päpstlichen Dekreten und den allseits benutzten Heiligenverzeichnissen der Kirche, dem Martyrologium und dem Breviarium Romanum. Indem die Bollandisten nun in diesem Feld historisch abgesicherte Wahrheit verkündeten, verstießen sie in der Wahrnehmung zahlreicher der Gutachter nach Deut 17,8–13 gegen das Urteil des höchsten Richters66. Sie maßten sich die Definitionsgewalt, die eigentlich allein dem Papst zustand, über den Heiligenkanon an, und dies konnte ihnen als Selbstherrlichkeit ausgelegt werden. In einer Zusammenfassung mehrerer Gutachten am 10. Dezember 1697 brachte es Bianchi auf den Punkt: Mit dieser hochmütigen Attitüde riskierten die Bollandisten die Verwirrung der einfältigen Gläubigen und die Einheit der katholische Kirche, zudem waren ihre Bücher ein grober Verstoß gegen die Reform der Kanonisation unter Urban VIII. Dass es die historisch belegte Wahrheit war, die sie recherchiert hatten, stellte er nicht in Frage. Es konnte aber nicht sein, dass auf der Ebene der Publizistik die juristische und theologisch gesicherte Autorität des Papstes und der Kirche umgestürzt werde67. Indem aber alle weiteren Bücherverbote unterlassen wurden, blieb es bei einem offiziell zumindest geduldeten Nebeneinander der beiden kulturellen Zugriffe auf die Geschichte der Heiligen. Die Kirche erlaubte damit stillschweigend die Existenz einer weiteren Wissenskultur, die ihr die Deutungshoheit fast unbewusst aus der Hand nahm. Bianchis Befürchtung, man könne wohl zwischen der Ebene des Martyrologiums und der Kirchenreformen und derjenigen des gelehrten Schreibens und problematisiert auch den methodischen Zugriff der Bollandisten. Andererseits beginnt Lucenti auch sein Gutachten bereits mit dem Verweis auf die Häresie mancher Aussagen in dem Band, vgl. ACDF Index Prot. 59, 92r–99v, insb. 92r, 99v. Auch Bianchi bezeichnet die Inhalte des Propylaeum als verderblich, vgl. ACDF Index Diari 11, 55v. 65 Zur Abweisung von Gutachten, die dem Stil der Kongregation nicht entsprachen, vgl. ACDF Index Prot. 54, 63r. 66 Vgl. das Gutachten von Antonio Tommaso Schiara († 1718) zum 7. Band des Monats Mai, ACDF Index Prot. 57, 93r–100r, hier 94r. Vgl. ferner Giulio Lucentis Gutachten zum 3. Band des Monats April, ACDF Index Prot. 59, 92r–99v, hier 98v. Vgl. darüber hinaus die Notizen des Sekretärs zur Sitzung vom 10. Dezember 1697, ACDF Index Diari 11, 56v. 67 Vgl. dazu ACDF Index Diari 11, 56v.

394 Andreea Badea in Fragen der Heiligenviten nicht mehr wie bisher Rom, sondern von nun an Antwerpen aufsuchen68, entbehrte nicht einer realen Grundlage. Die Professionalisierung der Bollandisten auf ihrem Spezialgebiet sollte die Hagiographie zunehmend aus dem Kompetenzbereich der Kirche heben und sie bis heute als allseits anerkannte Spezialisten auszeichnen. Kurzfristig sah es durchaus so aus, dass trotz des unterlassenen Verbotes die Deutungshoheit in dieser Frage institutionell gebunden blieb, da sich in den Folgejahren kaum noch Gelehrte fanden, die sich eines solchen Themas auf der Grundlage der Kritik annehmen wollten69.

II. Darf das Buch einer gelehrten Autorität verboten werden? Auch im Falle Jean Mabillons saß die Indexkongregation über einen verdienten, anerkannten Gelehrten zu Gericht und ermöglichte die Unterlassung eines Buchverbots zu einem hohen Preis für beide Wissenskulturen70. Mit seiner bereits 1691 verfassten, allerdings erst 1698 veröffentlichten Epistola de cultu sanctorum ignotorum ad Theophilum Gallum reagierte Mabillon unter dem Pseudonym Eusebius Romanus auf die römische Praxis der Bergung und Vermarktung von Katakombenleichen als Heilige71. Ihren Ursprung hatte diese Heiligenproduktion in der Entdeckung der vermeintlichen Priscilla-Katakombe am 31. Mai 157872. Die inflationäre Deklarierung von Märtyrergräbern bezogen auf die christlichen Ruhestätten führte gar zu einer Ausdifferenzierung des gesamten kurialen Verwaltungsapparates. Die unter der Ägide des Kardinalvikars73 sowie der seit 1669 ständig eingerichte68 Vgl. zum Beispiel ACDF Index Prot. 57, 95v. 69 Vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 164. 70 Zur Darstellung des Falles vgl. Henri LECLERCQ, Mabillon (2 Bde., Paris 1953– 1957) 2 712–750; REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 591–595. 71 REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 592. 72 Vgl. vor allem Trevor JOHNSON, Holy Fabrications: The Catacomb Saints and the Counter-Reformation in Bavaria. The Journal of Ecclesiastical History 47 (1996) 274–297, hier 279; Andrea POLONYI, Römische Katakombenheilige – Signa authentischer Tradition. Zur Wirkungsgeschichte einer Idee in Mittelalter und Neuzeit. Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 89 (1994) 245–259, hier 253; ferner Ingo HERKLOTZ, Antonio Bosio und Carlo Bascapè. Reliquiensuche und Katakombenforschung im 17. Jahrhundert, in: Festschrift für Max KUNZE. „... die Augen ein wenig zu öffnen“ (J. J. Winckelmann). Der Blick auf die antike Kunst von der Renaissance bis heute, hg. von Stephanie-Gerrit BRUER– Detlef RÖßLER (Ruhpolding–Mainz 2011) 93–104, hier 93. 73 Zu den Aufgaben des Kardinalvikars vgl. POLONYI, Katakombenheilige (wie Anm. 72) 253.

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ten Indulgenzien- und Reliquienkongregation74 stattfindenden Ausgrabungen trugen maßgeblich zu einer nie dagewesenen Heiligeninflation bei. So war es zum Beispiel möglich, dass die 40 im vierten Jahrhundert gelisteten römischen Märtyrer sich 1651 in den Aufzeichnungen des übereifrigen BosioSchülers Paolo Aringhi zu 174.000 multipliziert hatten75. In seinem Büchlein lässt Mabillon seinen römischen Eusebius einem französischen Protestanten den Kult der Katakombenheiligen erklären. Dieser Eusebius bezieht sich dabei ausdrücklich auf das Generaldekret der Ritenkongregation vom 19. Oktober 1691, wonach das Abhalten von Messen zu Ehren aller Heiligen, die nicht im Martyrologium verzeichnet waren, strengstens verboten war. Dieses Verbot galt unabhängig davon, ob die Kirche über die Reliquien des jeweils nicht verzeichneten Heiligen verfügte oder nicht, also auch für den Besitz von Katakombenheiligen76. Bereits im Iter Italicum hatte Mabillon seine Zweifel bekundet, dass die Verzierung der Särge und der Grabsteine mit dem Kreuz, dem Monogramm, der Taube oder dem Lamm als Zeichen von Märtyrergräbern zu deuten sei77. In der Epistola de cultu sanctorum ignotorum setzte er sich nun mit weiteren als eindeutige Kriterien betrachteten Zeichen auseinander. Er interpretierte das Dekret der Indulgentien- und Reliquienkongregation vom 10. April 1668 dahingehend, dass die darin vermerkten Gegenstände und Zeichen wie Palmzweig, Kreuz und die vermeintlichen Blutampullen, die oft als Grabbeigaben aufgefunden worden waren, lediglich als die sichersten unter allen (unsicheren), nicht aber als eindeutige Zeichen eines Märtyrergrabes zu verstehen seien. Unter Verweis auf Papebrochs Kommentar zu Lucifer Calamitanus zum 20. Mai und auf Baronios Nachweis des Grabes einer gewissen Flavia Jovina zum Jahr 367 gelang es Mabillon, den Palmzweig nun als Kriterium stark zu relativieren78. Ähnlich verfuhr er mit dem 74 Vgl. Paul HINSCHIUS, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, 1: System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland (Berlin 1869) 473f. 75 Vgl. JOHNSON, Holy Fabrications (wie Anm. 72) 279. 76 MABILLON, Epistola (wie Anm. 15) 6; Abdruck des Dekrets ebd. 29. Vgl. Bruno NEVEU, Mabillon et l’historiographie gallicane vers 1700. Érudition ecclésiastique et recherche historique au XVIIe siècle, in: Historische Forschung im 18. Jahrhundert: Organisation, Zielsetzung, Ergebnisse. 12. Deutsch-Französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris, hg. von Karl HAMMER–Jürgen VOSS (Pariser Historische Studien 13, Bonn 1976) 27–81, hier 58f. 77 Vgl. Franz Xaver KRAUS, Die Blutampullen der römischen Katakomben (Frankfurt am Main 1868) 6. 78 MABILLON, Epistola (wie Anm. 15) 9; vgl. dazu Antonio FERRUA, Introduzione, in: Giovanni Battista DE ROSSI, Sulla questione del vaso di sangue. Memoria inedita con introduzione storica e appendici di documenti inediti, hg. von Antonio FERRUA (Studi

396 Andreea Badea Kreuz, und im Falle des Blutgefäßes führte er Indizien zugunsten der damals bereits diskutierten These von den Phiolen als Duftbehälter an, weshalb ihm gerade diese Beigabe als schwächstes Merkmal eines Märtyrergrabes erschien79. Auch wenn Mabillon letztlich nichts überraschend Neues in seinem Büchlein geschrieben hatte80, so war dennoch mit starkem Widerspruch zu rechnen81. Der Kardinal der Indexkongregation Leandro di Colloredo (1639–1709), dem der Mauriner die Epistola sogar widmen wollte, riet nach der bereits 1696 stattgehabten Lektüre zu einer Überarbeitung82. Mit Blick auf die rasche publizistische Reaktion sind Andeutungen auf beaucoup de bruit bereits im Vorwort der gleichfalls 1698 erschienenen französischen Fassung des Briefes enthalten83. Weitsichtig wird darin auch die Begründung dieser Unruhe angegeben, und zwar sei es die Einheitlichkeit des Glaubens für Gelehrte wie für simples, die eine adäquate Auseinandersetzung mit dem Thema verhindere84. Letztlich wird damit eine Inkompatibilität der gelehrten theologischen Erkenntnis mit dem allseits etablierten und normativ gestützten Glauben angesprochen, die es unmöglich macht, sich diskursiv mit Wissen zu beschäftigen, schließlich lief auch Mabillons Buch – genau wie die Acta sanctorum – darauf hinaus, den Heiligenkorpus entschieden zu verändern und damit letztlich unter Umgehung dessen, was Norm war, den jeweiligen Kult sogar außer Kraft zu setzen.

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di antichità cristiana 18, Città del Vaticano 1944) VII–CII, hier XVIII. Dazu KRAUS, Blutampullen (wie Anm. 77) 6. MABILLON, Epistola (wie Anm. 15) 9; vgl. FERRUA, Introduzione (wie Anm. 78) XIX. Vgl. HERKLOTZ, Antonio Bosio (wie Anm. 72) 98. Mabillon erwartete selbst von Gelehrten, die ihm sehr nahe standen, wie zum Beispiel Magliabechi, Missbehagen, vgl. seinen Brief an Magliabechi, 15. Mai 1698: Antoine-Claude PASQUIN [pseud. VALERY], Correspondance inédite de Mabillon et de Montfaucon avec l’Italie, contenant un grand nombre de faits sur l’histoire religieuse et littéraire du 17e siècle; suivie des lettres inédites du P. Quesnel à Magliabechi, bibliothécaire du grand-duc de Toscane Côme III, et au cardinal Noris; accompagnée de notices, d’éclaircissements et d’une table analytique (3 Bde., Paris 1846–1847) 3 7. REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 592. [Jean MABILLON], Lettre d’Eusebe Romain a Theophile François, sur le culte des saints inconnus (Grenoble 1698) 1: Je vous envoye la traduction d’une lettre qui fait beaucoup de bruit et qui merite vôtre lecture. MABILLON, Lettre (wie Anm. 83) 14: Voilà dit-on, Monsieur, des observations et des doutes qu’il faudroit cacher aux simples, crainte de les scandaliser, et moy je tiens, Monsieur, que c’est à faire aux payens d’éloigner le peuple des misteres: ces déguisemens n’appartiennent qu’à de fausses religions, nous n’avons point une religion pour les doctes et une religion pour le peuple […].

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall 397

Mit Blick auf die Resonanz des Büchleins schrieb Claude Estiennot de la Serre (1639–1699), der Generalprokurator der Mauriner in Rom, bereits im Februar 1698 an Mabillon, dass der Kardinal Girolamo Casanate (1620– 1700) eine sehr hohe Meinung von dem Buch habe, dennoch (genau wie zuvor bereits Colloredo) zu einer Neuedition rate, cependant la tradition de l’eglise étant constante et universellement reçûe dans l’eglise depuis plusieurs siécles85. Wie im Fall der Acta sanctorum war es auch hier der Widerspruch zur Tradition, der als gefährlich eingestuft wurde und den beide Prälaten vermutlich auch in ihrer Funktion als Kardinäle der Indexkongregation sofort sahen. Casanate war zwar ein großer Bewunderer und Freund Mabillons86, und als solcher hatte er auch seinen Brief an den Gelehrten geschrieben. Er war aber auch gleichzeitig Mitglied der Indexkongregation und ab Juni 1698 ihr Präfekt, eine Situation, die Mabillon durchaus zum Vorteil gereichen sollte, da sie vermutlich maßgeblich dazu beigetragen hatte, die Epistola bis 1700 so fern wie möglich von der römischen Zensur zu halten. Diese Bemühungen waren auch dringend nötig, da Mabillon sehr bald mit seinem Werklein ins Kreuzfeuer der Publizistik geriet. Aufgrund des mächtigen Fürsprechers schien es vorerst unmöglich, institutionell gegen den Mauriner vorzugehen. Es ist deshalb zu vermuten, dass die dem Buch abgeneigten Kreise in Rom eine (eher ungeschliffene) Kölner Antwort vorbereiteten87, während Estiennot seine Verbindungen zu den Kardinälen der Indexkongregation mit Sorgfalt pflegte. Innerhalb kürzester Zeit konnte er auf Colloredo, auf den – sowieso Mabillon nahe stehenden – Dekan des Kardinalskollegs Emmanuel-Théodose de la Tour d’Auvergne de Bouillon (1643–1715)88 und sogar auf den nicht mehr unbedingt freundschaftlich gesinnten Kardinal Enrico Noris (1631–1704) oder zumindest auf dessen Zurückhaltung zählen89. Man stellte sich nicht nur schützend vor Mabillon, sondern stand ihm sogar – wie bereits gesehen – mit Rat zur Seite; genau wie im Vorfeld der Publikation versuchte Casanate nun erneut einzugreifen, indem er aus Furcht vor weiteren Komplikationen den Mauriner davon abbringen wollte, öffent85 Estiennot an Mabillon, 18. Februar 1698: Ouvrages posthumes de Mabillon (wie Anm. 25) 1 309. 86 Vgl. Maria D’ANGELO, Il Cardinale Girolamo Casanate (1620–1700). Con appendice di lettere inedite di Mabillon, Baluze ecc. (Roma 1923) 103. 87 Vgl. Estiennot an Mabillon, 1. Juli 1698: PASQUIN, Correspondance (wie Anm. 81) 3 9. 88 Vgl. SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 27) 1 219f. 89 Zum schwierigen Verhältnis der beiden Gelehrten vgl. Arnaldo MOMIGLIANO, Mabillon’s Italian Disciples, in: Arnaldo MOMIGLIANO, Terzo contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico (Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi 108–109, 2 Bde., Roma 1966) 1 135–152, hier 139f.

398 Andreea Badea lich auf die gegen ihn verfassten Polemiken zu reagieren90. Mabillon trat die Streitschriftenschlacht aber an und musste gleichzeitig zuschauen, wie sich seine Lage in Rom verschlimmerte, denn Estiennot starb 1699 und ein Jahr später, am 3. März 1700, verschied Casanate, womit die maßgeblichen Sicherheitsgaranten des Buches ausfielen. Ob und inwiefern diese zwei Todesfälle tatsächlich zur Eskalation beigetragen hatten, ist unklar, jedenfalls ist ungefähr zeitgleich eine Verschärfung des allgemeinen Tons gegen die Epistola in Rom zu beobachten. Zuerst erschien eine Refutatio von Mabillons Rechtfertigungsschrift, die nicht besonders ungewöhnlich gewesen wäre, wenn sie nicht den Imprimaturstempel des Magister Sacri Palatii getragen hätte91. Es folgte die Eröffnung des Zensurverfahrens am 25. Januar 1701. Regie führte erneut der bereits bekannte Bianchi, der sich in diesem Fall noch viel offensichtlicher und für alle Beteiligten auf unerwartet scharfe Weise gegen das Buch und gegen seinen Autor stellte92. Immerhin war ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kardinäle nicht einmal zu einem Verfahren, geschweige denn zu einem Verbot bereit. Da sie sich dem Procedere nicht entziehen konnten, waren sie gezwungen, den Weg über die ständige Vergabe neuer Gutachten sowie über verfahrensinterne Verzögerungsmechanismen zu gehen, um sich letztlich gegen ein Verbot und gegen den das Verfahren aufrechterhaltenden Sekretär durchzusetzen. Deshalb informierten sie Mabillon zum Beispiel durch Estiennots Nachfolger im Amt des Generalprokurators, Guillaume de la Pare, über den Arbeitsfortgang93. Für die erste Sitzung am 25. Januar 170194 hatte Bianchi einen gewissen Giovanni Giacomo da Genova mit dem Gutachten beauftragt, doch konnte dieser sein äußerst negativ ausfallendes Urteil – das Buch qualifizierte er als verderblich und frommer Ohren unwürdig – aufgrund des vorzeitigen 90 VALERY, Correspondance (wie Anm. 81) 3 14–19, 41. 91 Vgl. Bernard de Montfaucon (1655–1741) an Magliabechi, 12. Juni 1700: PASQUIN, Correspondance (wie Anm. 81) 3 94; vgl. ferner REUSCH, Index (wie Anm. 19) 2 593. 92 Vgl. De la Pare an Mabillon, 22. April 1704, über die Versessenheit des Sekretärs in dieser Sache: Ouvrages posthumes de Mabillon (wie Anm. 25) 1 352. 93 De la Pare wusste zum Beispiel recht schnell, dass Bianchini als zweiter Gutachter des Buches vorgesehen war, vgl. De la Pare an Mabillon, 22. November 1702: Ouvrages posthumes de Mabillon (wie Anm. 25) 1 342. Vgl. dazu ebenfalls De la Pare an Mabillon, 6. November 1703: P ASQUIN, Correspondance (wie Anm. 81) 3 159–161. De la Pare kannte weiters bereits am Tag nach der Sitzung vom 21. April 1704 die wohlwollende Entscheidung der Kardinäle und teilte diese unvermittelt Mabillon mit: Ouvrages posthumes de Mabillon 1 352. Vgl. auch die ungefähr zeitgleich verfassten Briefe der Kardinäle Colloredo und Ottoboni an den Mauriner, ebd. 355–358. 94 Vgl. ACDF Index Prot. 60, 325r.

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall 399

Endes der Sitzung nicht vortragen. Das Referat sollte auch nicht in der folgenden, am 25. April des gleichen Jahres stattfindenden Sitzung gehört werden. Der Gutachter verschwand unerwartet und – wie es aussieht – eher unfreiwillig noch vor der Sitzung und ist damit der einzige Relator in circa 150 Jahren, dem es passierte, dass er Rom übereilt wegen seiner Residenzpflicht verlassen musste95. Bianchis unorthodoxe Versuche, dieses Gutachten am 11. Juli 1701 doch noch außerhalb der Sitzung allen Kardinälen zur Kenntnis zu bringen, scheiterten auf ganzer Linie96. Dass er dennoch das Verfahren verkürzen wollte, mag mit einem Schreiben Bouillons zusammenhängen. Jener hatte nämlich den außerdienstlichen Weg eröffnet, indem er am 30. Juni 1701 schriftlich die Einstellung des Verfahrens verlangte97. Zwar gehörte der Kardinal zu den Mitgliedern der Kongregation, er wohnte allerdings keiner der Sitzungen dieser Jahre bei, sondern teilte seine Wünsche allein außerhalb des Verfahrens mit und erwartete vermutlich gerade deshalb, dass sie Erfüllung fänden98. Nachdem Giovanni Giacomos Gutachten endgültig verworfen worden war, schlug nun Bianchi in einem Schreiben vom 17. Juli an Bouillon vor, un consultore discreto con attenzione piu precisa auszuwählen, den er mit einem Votum beauftragen wollte99. Bianchi wählte als zweiten Gutachter den in der Gelehrtenwelt recht bekannten Francesco Bianchini (1662– 1729)100, den Bibliothekar des Kardinals Pietro Ottoboni (1667–1740), der ebenfalls zu den Vertrauten Mabillons gehörte. Bianchini war zwar kein Anhänger des Mauriners, dennoch soll er sich zumindest öffentlich voller Bewunderung über das Buch geäußert haben101. Als Verfasser des Gutachtens 95 Die Residenzpflicht war zwar offiziell nur für Konsultoren aufgehoben, vgl. HASECKER, Decet enim (wie Anm. 24) 79, dennoch war der Ausfall von Vorträgen nicht üblich. 96 ACDF Index Diari 12, 30r, 11. Juli 1701 außerhalb der Tagesordnung. 97 ACDF Index Prot. 61, 29r. 98 Ein Abgleich mit Bianchis Diarium belegt die Abwesenheit des Kardinals. 99 ACDF Index Prot. 61, 28r. 100 SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 27) 1 171–175. Zu Bianchinis Gratwanderung zwischen den Wissenskulturen vgl. Bernward SCHMIDT, „In Erudition There Is No Heresy“. The Humanities in Baroque Rome, in: The Making of the Humanities, 1: Early Modern Europe, hg. von Rens BOD–Jaap MAAT–Thijs WESTSTEIJN (Amsterdam 2010) 177–195, hier 182–186. Zum komplizierten Verhältnis zwischen Bianchini und Mabillon vgl. MOMIGLIANO, Mabillon’s Italian Disciples (wie Anm. 89) 141. 101 Vgl. De la Pare an Mabillon, 20. Mai 1704, wonach Bianchini voller Ehrfurcht und Bewunderung für das Buch sprach, das er selbst fast zwei Jahre zuvor, allerdings in seiner Funktion als Gutachter der Indexkongregation und nicht als Bibliothekar des Kardinals, als zensurwürdig eingestuft hatte: Ouvrages posthumes de Mabillon (wie Anm. 25) 1 353.

400 Andreea Badea schlug er einen anderen Ton an: Am 11. September 1702 trug er vor, wobei von den involvierten Kardinälen nur Colloredo und Noris das Referat hörten, denn weder Ottoboni noch Bouillon waren anwesend102. Bianchini vermisste die fides historica in dem Buch und beharrte auf dem Dekret der Indulgenzien- und Reliquienkongregation vom 10. April 1668, womit er die Evidenz von Palmzweig, Kreuz und Blutampullen belegte103. Gerade im Fall der Blutampullen sah er erhebliche Schwierigkeiten, zumal diese über Jahrzehnte als einziger Martyriumsbeweis anerkannt worden seien104. Weil man in diesem Punkt Sicherheit gehabt haben wollte – so Bianchini weiter –, habe der Archäologe Raffaele Fabretti (1618–1700) auch den Protestanten Gottfried Wilhelm Leibniz105 mit der chemischen Untersuchung des Flascheninhaltes beauftragt106. Das mehr als unpräzise, auf Wahrscheinlichkeiten pochende Urteil des Hannoveraners bog der Gutachter genau wie viele andere katholische Gelehrte in eine vollkommene Bestätigung des Blutgehaltes der ausgetrockneten Substanz in den Ampullen um107. Über längere Passagen betont Bianchini die Gelehrsamkeit Mabillons, um im Anschluss daran auf Argumente des gelehrten Diskurses zu rekurrieren. Er erklärt nämlich, die Widersprüche der Epistola mit der Tradition seien lediglich zustande gekommen, weil der Mauriner es unterlassen habe, Fabrettis diesbezügliche Ausführungen genau zu lesen, sonst hätte er ganz andere Schlüsse aus seinen Beobachtungen gezogen108. Vollkommen unüblich für den Stil eines Gutachtens fährt Bianchini im Folgenden fort, Mabillons Argumente zu entkräften. Einer gelehrten Refutatio gleich beantwortet er den harschen Angriff des Mauriners auf die Exhumierungs- und Verkaufspraxis mit dem Verweis auf Gregor III. und das Konzil von Nicäa, und hinsichtlich der empörten Beschreibung der 102 Vgl. die für die Sitzung im Diarium angelegte Anwesenheitsliste, ACDF Index Diari 12, 78v. 103 ACDF Index Prot. 62, 281r–v. 104 ACDF Index Prot. 62, 281r–v. 105 Zu Bianchini und Leibniz: Margherita PALUMBO, „Sed quis locus nobis plura dare posset et meliora, quam Roma?“ Die Römische Kurie und Leibniz’ Editionen, in: Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, hg. von Nora GAEDEKE (im Druck). Für die Überlassung des Druckmanuskripts sei Frau Palumbo an dieser Stelle herzlich gedankt. 106 ACDF Index Prot. 62, 282r. Zu dem Auftrag, die eingetrocknete Substanz zu untersuchen, vgl. Christian Friedrich BELLERMANN, Über die ältesten christlichen Begräbnisstätten und besonders die Katakomben zu Neapel mit ihren Wandgemälden. Ein Beitrag zur christlichen Altertumskunde (Hamburg 1839) 57. 107 Zur Unzulänglichkeit von Leibniz’ Proben und zu seinen Ergebnissen, die er selbst durchaus nicht als Bestätigung des Blutgehaltes sehen wollte, vgl. KRAUS, Blutampullen (wie Anm. 77) 24f.; BELLERMANN, Begräbnisstätten (wie Anm. 106) 57. 108 ACDF Index Prot. 62, 282v–283r.

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall 401

nachträglichen Taufe der Knochen erklärt er, der Generalvikar habe sie vorgenommen, um sicher zu stellen, dass das Sakrament tatsächlich erhalten worden sei109. Nachdem er sein Gutachten eher als Erklärung für das Zustandekommen von Mabillons Überzeugungen verfasst hatte, qualifizierte Bianchini das Buch anders als Giovanni Giacomo da Genova lediglich mit dem Vermerk falsa narratio und rechtfertigte damit seine Empfehlung für ein Verbot donec corrigatur110. Nach der Anhörung beauftragte die Indexkongregation Colloredo, De la Pare zu kontaktieren und ihn nach der Korrekturbereitschaft Mabillons zu fragen111. Die dafür nötige Liste mit Verbesserungsanweisungen hatte Bianchini bereits vorbereitet112. Trotzdem wurde – vermutlich auf Drängen des Sekretärs – ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben113, das Giovanni Michele Teroni (1660–1726)114 in der Sitzung vom 21. April 1704 vortrug115. Wie nicht anders zu erwarten, sprach auch er sich für ein Verbot donec corrigatur aus. Es blieb bei der Korrekturenliste Bianchinis, die Mabillon zugestellt werden sollte116. Dass dies allerdings unter der Hand und ohne Verkündung des Verbotes geschehen würde, entschieden die Kardinäle eine Sitzung später, am 7. Juli des gleichen Jahres 117. Das Lavieren der Kongregation in dieser Frage kann erklärt werden mit der Dissonanz zwischen dem Sekretär und den Kardinälen, die sehr wohl wussten, dass auch dem Papst ein Freispruch am Herzen lag. Es ist gleichzeitig die Suche nach einer politischen Lösung für die erneut offensichtlich gewordene Inkompatibilität zwischen einer auf Überprüfbarkeit und Revision des Wissens setzenden und einer den starren juristischen und theologischen Rahmen wahrenden Kultur. Dass hier ein ausgezeichneter Gelehrter das rückständige Rom auf der Grundlage seines Wissens in die Knie gezwungen hatte, war gerade in der protestantischen Gelehrtenwelt mit Schadenfreude angesprochen worden118. Doch auch in der Stadt selbst registrierte De la Pare eine gewisse Zurückhaltung beim Verkauf der Reliquien nach 1698119. 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

ACDF Index Prot. 62, 284v–285r. ACDF Index Prot. 62, 285v. Vgl. ACDF Index Diari 12, 82r; sowie ACDF Index Prot. 62, 347r. Vgl. ACDF Index Diari 13, 15r. Vgl. ACDF Index Diari 12, 82r; sowie ACDF Index Prot. 62, 347r. SCHWEDT et al., Prosopographie (wie Anm. 27) 2 1242–1245. Vgl. die Relation des Sekretärs über diese Sitzung an den Papst, ACDF Index Prot. 64, 420v–421r. Zu Mabillons Antwort darauf vgl. sein Schreiben vom 13. Juni 1704: Ouvrages posthumes de Mabillon (wie Anm. 25) 1 351f. ACDF Index Diari 13, 15r–v, 19v–20r. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1) 620. Vgl. Estiennot an Mabillon, 1. Juli 1698: PASQUIN, Correspondance (wie Anm. 81) 3 9.

402 Andreea Badea Mabillons Wort schien mittlerweile mächtig genug zu sein, um die Arbeit des Kardinalvikars und der Reliquienkongregation zumindest zu stören. Der in Mabillons Korrespondenz immer wieder angeführte vermeintliche Starrsinn des Sekretärs ist schließlich nicht mehr und nicht weniger als unbedingte Beamtentreue und absolute Verortung innerhalb einer der beiden Wissenskulturen. Letztlich war der Eingriff des Papstes nötig, um Bianchi Einhalt zu gebieten. Auf Ottobonis Betreiben hin zitierte Klemens XI. den Sekretär zu sich und befahl ihm, das als Beleidigung empfundene Vorgehen gegen Mabillon zu unterlassen120. Einen letzten Versuch hatte der Sekretär allerdings noch bei der Prüfung der vermeintlich korrigierten Fassung der Epistola unternommen, indem er auf dem Verfahren beharrte und ein Gutachten dazu forderte121. Die Kardinäle wichen ihm allerdings aus, erteilten die Druckerlaubnis und setzten auch dem Diskurs um die Katakombenheiligen ein vorläufiges Ende. Genau wie die Bollandisten im Fall der Acta sanctorum ging auch Mabillon langfristig gestärkt aus diesem Procedere hervor. Die Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, schreckten allerdings von weiteren Auseinandersetzungen auf der Grundlage seiner Arbeit ab. Nur so ist die umfangreiche Darstellung des Palmzweigs, des Kreuzes und der Blutampullen als absolut sichere Merkmale eines Märtyrergrabes in dem 1720 erschienenen Werk des Kustoden der Indulgenzienund Reliquienkongregation Marcantonio Boldetti zu erklären122. Anders als Mabillon erntete Boldetti nun scharfe Kritik aus der res publica literaria, dafür bewegte er sich aber mit seinem Buch innerhalb eines institutionalisierten Rahmens und hatte so die Möglichkeit, erneut Geschichte im Auftrag zu schreiben123. 120 Vgl. De la Pare an Mabillon, 20. Mai 1704, sowie Colloredo an Mabillon, 8. Juli 1704: Ouvrages posthumes de Mabillon (wie Anm. 25) 1 353, 355–356. 121 Bianchi baute sein Argument auf die Gutachten zur ersten Auflage auf. Weil zwei davon sich für ein Verbot donec corrigatur und das dritte sogar vollkommen gegen das Buch ausgesprochen hatte, betrachtete er es im Dezember 1704 als notwendig, ein weiteres Gutachten für die überarbeitete Fassung einzuholen; vgl. ACDF Index Diari 13, 34v–35v. Sein Anliegen war so ungewöhnlich nicht, zumal es im Verlauf des 17. Jahrhunderts üblich wurde, die Fälle bei Vorlage einer korrigierten Fassung erneut aufzurollen und Gutachten anfertigen zu lassen, vgl. ACDF Index Prot. 36, 265r, 269r, 283r; ACDF Index Prot. 43, 2r; ACDF Index Diari 10, 42r–v. Der Fall fand in der Sitzung vom 11. Mai 1705 mit einem Vortrag zur frisch gedruckten Neuausgabe sein Ende, vgl. ACDF Index Diari 13, 67v. 122 Marcantonio BOLDETTI, Osservazioni sopra i cimiteri de’ santi martiri e d’antichi cristiani di Roma (Roma 1720); vgl. dazu HERKLOTZ, Antonio Bosio (wie Anm. 72) 99. 123 Zur Rezension des Buches vgl. Acta eruditorum (1722) 513–524. Vgl. im Gegenzug die Äußerungen zur Epistola in der Rezension zu Basnages Histoire de l’eglise, in: Acta eruditorum (1699) 481–490, ferner ebd. 108–111.

(Heiligen-)Geschichte als Streitfall 403

Fazit Dass die Zensurverfahren gegen Mabillon und gegen die Bollandisten überhaupt als Eklat wahrgenommen werden konnten, ist ein Beleg für die bereits weit vorangeschrittene Professionalisierung der Gelehrten innerhalb einer Wissenskultur, die mit derjenigen, der sie aufgrund ihrer institutionellen Einbindung angehörten, kaum noch Berührungspunkte hatte. Der juristisch und theologisch genormte Zugriff der kurialen, institutionalisierten Wissenskultur auf Geschichte hatte zwar ursprünglich eine Indienstnahme der Gelehrten zur zusätzlichen Absicherung der normativen Ebene vorgesehen. Deren zunehmende Professionalisierung sowie die Erstellung eigener normativer Hintergründe (in diesem Fall Wahrheitskriterien) und die Entwicklung eigener Wissenspraktiken ließ sie aber Teil einer weiteren, sich zunehmend verselbständigenden Wissenskultur werden. Aufgrund ihrer Dynamik und Bereitschaft zur Revision und Reproduktion von Wissen drohte sie zunehmend die institutionelle Wissenskultur zu vereinnahmen. Überhaupt schienen sowohl Mabillon als auch Papebroch die Deutungshoheit über diejenigen zu erlangen, die als heilig galten. Der Weg dahin war vorgegeben von ihrer Forschungsleistung und von ihren Arbeitsergebnissen. Damit widersprachen sie allerdings dem kirchlichen Anspruch, über Geschichte als unveränderbare Größe innerhalb der Tradition zu verfügen. Die Interferenz mit dem juristischen und theologischen Rückgrat der ecclesia Romana machte es aber notwendig, auf eine politische Lösung zu rekurrieren, die das paradoxe Nebeneinander der beiden Kulturen zumindest duldete, wenn nicht kaschierte. Eben der Rekurs auf politische Rücksichten war die einzige Möglichkeit, den Skandal einerseits und die Zerrüttung der Kirche andererseits zu vereiteln. Er ist aber auch Beweis gegen die Permanenz der Tradition und für ihre Wandelbarkeit124, denn auch wenn es noch Zeit brauchen sollte, um das von den Bollandisten und von Mabillon generierte Wissen zu inkorporieren, so ist bereits ihre stillschweigende Zulassung in welcher Form auch immer ein weiterer Schritt zu einer Grenzverschiebung der Tradition und damit einhergehend zur Umdeutung dessen, was unter Tradition zu verstehen ist.

124 Aleida ASSMANN–Jan ASSMANN, Kanon und Zensur, in: Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, hg. von Aleida ASSMANN–Jan ASSMANN (München 1987) 7–27, hier 11.

404 Andreea Badea

Abstract In the course of the long post-Tridentine century, the investigation and verification of the lives of saints provided the solid bases for the sanctity of the Church and its representatives. Catholic scholars were expected to authenticate the Catholic tradition by way of their historiographical work. Due to methodological specialisation and the introduction of criticism as a method, this scholarly practice increasingly implied a level of professionalisation that turned the leading historiographers into genuine authorities. Yet at the same time, the domain of knowledge about sanctity was systematically brought under the control of the Curia and increasingly centralised after Trent. Although scholars were meant to perform their work as commissioned, their scholarly practice made for the development of a culture in its own right. This culture possessed the capacity to produce new knowledge, and it resisted letting this knowledge depend upon the normative standards of the Curia and the Pope. As a consequence, Rome was faced with the unacceptable prospect of „scientific“ criteria overruling canonical decisions. High-profile scholars in particular, such as the Bollandists in Antwerp or Jean Mabillon, were targeted by ecclesiastical censorship and accused of hubris. Roman experts advised forbidding their books, not because the statements they contained were false, but because the authority acquired by the scholars was considered potentially harmful. The works and their authors were accused of confusing the views of ordinary, impressionable believers. Yet the bans were not promulgated for political reasons, as the Church deemed it too dangerous to attack the scholarly flagships of Catholicism by means of the Index, and thus to undermine the idea of a unified Church. Around the turn of the 18th century, Rome decided instead to tacitly condone a more or less parallel culture of knowledge that focused on historiography as a scholarly practice and resisted its being reduced to an argument within dogmatic and legal discourse.

Vom Ding zum Denkmal Überlegungen zur Entfaltung des frühneuzeitlichen Antiquarianismus Jan Marco Sawilla I. Fragmentierter Sinn? Antiquarianismus in der Geschichtswissenschaft Die Überwindung eines Zustands einstiger barbaries war aus frühneuzeitlicher Perspektive ohne das Wirken des antiken Rom kaum zu denken. Das galt auch für christliche Autoren. Diese hatten allerdings den Prozess der Zivilisierung zugleich mit der Überwindung des Polytheismus in Verbindung zu bringen und mithin die historische Siedlungslage der von ihnen beschriebenen Völkerschaften zu bedenken. Eine Landschaft wie das alte Thüringen, die keinen nennenswerten Kontakt mit den Kulturen der klassischen Antike besessen hatte, war auf der Suche nach den Ursprüngen ihrer Akkulturation folglich auf einige Winkelzüge angewiesen. In diesem Sinne zeichnete der Trierer Jesuit Christoph Brower (1559–1617) in seinen 1612 publizierten Fuldensium antiquitatum libri IIII das Bild einer seit der Völkerwanderung schrittweisen und providentiell gelenkten Versittlichung der „barbarischen“ Völker. Nachdem sie die Herrschaft Roms beseitigt und, der Wildheit entkleidet (feritate exuta), dessen zivilisatorisches Niveau adaptiert hatten, hätte auch das Christentum schnell Fuß gefasst. Ausgehend von den ehedem „barbarischen“ Provinzen Roms sei es dann den sowohl in kultureller als auch in religiöser Hinsicht zivilisierten Gentes wie den Franken verstattet gewesen, auf ihren Eroberungszügen Christi Namen in Landstriche wie Thüringen zu tragen, die noch lange unter der Herrschaft von Königen gestanden hatten, denen weder Latinität noch Christentum zu eigen gewesen sei1. 1

Christoph BROWER, Fuldensium antiquitatum libri IIII (Antwerpen 1612) 1: Quod olim divino consilio in Romani nominis provincias immissis concitatisque barbaris evenit, ut feritate exuta mansuefactae iam pridem gentis disciplinam moresque condiscerent; idem quoque postera aetate accidisse cernimus, ut barbarorum in barbaros imperia surgerent, quo Christi nomen, immanitate victa, religioque longius iret et subitis mox incrementis adolesceret. Sic Francis rerum in Thuringia dominis esse licuit, quo id loci populis salute superne data, rectius esset, iam Francis victoribus, quam sub barbaris regibus extitisset.

406 Jan Marco Sawilla Browers Fuldaer Antiquitates waren ein typisches Werk antiquarischer Gelehrsamkeit. Formal gesehen verbanden sie erzählende Passagen mit historische Materialien – wie etwa von Brower abgezeichnete Inschriften aus klerikalen Gebäuden der Region – reproduzierenden Anteilen2. Programmatisch betrachtet dienten sie dazu, „an die Frömmigkeit der Alten“ (pietate maiorum) zu gemahnen und das, was entweder nicht mehr bekannt oder sogar willentlich dem Vergessen anheim gestellt worden sei, zu vergegenwärtigen3. Einerseits waren für Brower die Kräfte des Vergessens mit den konfessionellen Verwerfungen des vorangegangenen Jahrhunderts durchaus konkret benennbar. Andererseits trugen seine altertumskundlichen Streifzüge durch die „fahlen Trümmer unseres Erdkreises“ (orbis nostri ferales ruinas) und die „Brandlager der großen Germania“ (magnae Germaniae busta)4 die Züge jenes Bewusstseins über die verhängnisvollen Effekte des Wirkens der Zeit an sich – dem, wie Marc Fumaroli es formuliert hat, „natürlichen Feind“ jener Gelehrten, die sich an der Wende zum 17. Jahrhundert von dem optimistischen Menschenbild des Humanismus zugunsten eines melancholischen Pessimismus entfernt hatten5. Die „antiquarische Praxis“ der frühen Neuzeit war keineswegs dadurch gekennzeichnet, so unlängst noch Thomas Götzelt, dass sie die „Fragmentierung und Unvollkommenheit der Überlieferung tautologisch als empirische Trivialität vorführte“, während sie von der Konstituierung historischen Sinns und den damit verbundenen Operationen Abstand genommen habe6. Nicht nur ein vergleichsweise einfaches Beispiel wie Browers Antiquitates, sondern auch die Resultate der neueren Forschung geben derlei Einschätzungen, die in der Substanz der älteren Historiographiegeschichte verpflichtet sind, nur wenig Rückhalt; dies zeigt sich gleichermaßen mit Blick auf die inzwischen vorliegenden Überblicksarbeiten, die sich mit Phänomenen des frühneuzeitlichen Antiquarianismus beschäftigt 2

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Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit 131, Tübingen 2009) 248, 893f. Abb. 7, 8. Der vorliegende Beitrag stellt den Versuch dar, einige der in dieser Studie thematisierten Zusammenhänge zu systematisieren. BROWER, Antiquitates (wie Anm. 1), Dedikationsepistel (unpag.), *3vf. Christoph BROWER, Sidera illustrium et sanctorum virorum, qui Germaniam praesertim magnam olim gestis rebus ornarunt (Mainz 1616), Leserapostrophe (unpag.) (2v௅)(3r). Marc FUMAROLI, Temps de croissance et temps de corruption. Les deux Antiquités dans l’érudition jésuite française du XVIIe siècle. XVIIe siècle 33 (1981) 149–168, hier 149f. Thomas GÖTZELT, Trümmer, Tropen, Traditionen. Zeichenformen in der Geschichte der Archäologie. Zeitschrift für Semiotik 28 (2006) 105–122, hier 106.

Vom Ding zum Denkmal 407

haben7, wie in der Lektüre jener Studien, die sich auf einzelne seiner Protagonisten konzentriert8 oder den zeitgenössischen Umgang mit bestimmten 7

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Philip JACKS, The Antiquarian and the Myth of Antiquity. The Origins of Rome in Renaissance Thought (Cambridge 1993); Graham PARRY, The Trophies of Time. English Antiquarians of the Seventeenth Century (Oxford–New York 1995); Alain SCHNAPP, The Discovery of the Past, aus dem Französ. übers. von Ian KINNES– Gillian VARNDELL (New York 1996); Rosemary SWEET, Antiquaries. The Discovery of the Past in Eighteenth-Century Britain (Hambledon–London 2004); zur Forschung Thomas DACOSTA KAUFMANN, Antiquarianism, the History of Objects, and the History of Art before Winckelmann. Journal of the History of Ideas 62 (2001), 523–541, hier 523–527; kurze Überblicke vermitteln: Gerrit WALTHER, Altertumskunde, in: Der neue Pauly. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, hg. von Manfred LANDFESTER–Hubert CANCIK–Helmuth SCHNEIDER (16 Bde., Stuttgart et al. 1996–2003) 13 86–101; Gerrit WALTHER, Altertumskunde, in: Enzyklopädie der Neuzeit (16 Bde., Stuttgart u.a. 2005–2012) 1 282–287; Manfred LANDFESTER, Antikenrezeption, ebd. 447–463; Jan Marco SAWILLA, Antiquar, ebd. 472–475. In Auswahl: William MCCUAIG, Carlo Sigonio. The Changing World of the Late Renaissance (Princeton 1989); Alexandra HERZ, Lelio Pasqualini. A Late SixteenthCentury Antiquarian, in: IL 60. Essays Honoring Irving LAVIN on His Sixtieth Birthday, hg. von Marilyn ARONBERG LAVIN (New York 1990) 191–206; Anne A. BAADE, Melchior Goldast von Haiminsfeld. Collector, Commentator and Editor (Studies in Old Germanic Languages and Literatures 2, New York–San Francisco et al. 1992); Jean-Louis FERRARY, Onofrio Panvinio et les antiquités romaines (Collection de l’École française de Rome 214, Rome 1996); Marc LAUREYS, Bartolomeo Marliano (1488–1566). Ein Antiquar des 16. Jahrhunderts, in: Antiquarische Gelehrsamkeit und Bildende Kunst. Die Gegenwart der Antike in der Renaissance, hg. von Gunter SCHWEIKART (Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung 1, Köln 1996) 151–167; Ingo HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo und die Archäologie des 17. Jahrhunderts (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 28 = Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana [Max-Planck-Institut] in Rom, München 1999); Peter N. MILLER, Peiresc’s Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century (New Haven–London 2000); Anna SCHREURS, Antikenbild und Kunstanschauungen des neapolitanischen Malers, Architekten und Antiquars Pirro Ligorio (1513–1583) (Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung 3, Köln 2000); Ann E. MOYER, Historians and Antiquarians in Sixteenth-Century Florence. Journal of the History of Ideas 64 (2003) 177–193; David R. COFFIN, Pirro Ligorio. The Renaissance Artist, Architect, and Antiquarian. With a Checklist of Drawings (University Park 2004); Gundula CASPARY, Späthumanismus und Reichspatriotismus. Melchior Goldast und seine Editionen zur Reichsverfassungsgeschichte (Formen der Erinnerung 25, Göttingen 2006); zu späteren Zeiten: Michael VICKERS, Greek and Roman Antiquities in the Seventeenth Century, in: The Origins of Museums. The Cabinet of Curiosities in Sixteenth- and Seventeenth-Century Europe, hg. von Oliver IMPEY–Arthur MACGREGOR (Oxford 1985) 223–231; Documentary Culture. Florence and Rome from Grand-Duke Ferdinand I to Pope Alexander VII. Papers from a Colloquium Held at the Villa Spelman, Florence, 1990, hg. von Elizabeth CROPPER–Giovanna PERINI–Francesco SOLINAS (Villa Spelman Colloquia 3, Bologna

408 Jan Marco Sawilla Überlieferungstypen in Augenschein genommen haben9. Auch Arnaldo Momiglianos (1908–1987) nach wie vor überaus einflussreichem Essay Ancient History and the Antiquarian von 1950 tritt die engere Fachdebatte seit einigen Jahren mit wachsendem Unbehagen entgegen10. Zu einer Revision gängiger Epochenmuster haben diese Entwicklungen jedoch noch nicht geführt. An diesem Punkt setzt der vorliegende Beitrag an. Es wird darum gehen, vorhandene Positionen aufzugreifen und jüngere zu skizzieren. Auf dieser Basis sollen, nach Maßgabe einiger wissens- und kommunikationstheoreti1992); Archäologie der Antike. Aus den Beständen der Herzog August Bibliothek. 1500–1700. Ausstellung im Zeughaus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 16. Juli bis 2. Oktober 1994, hg. von Margaret Daly DAVIS (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 71, Wiesbaden 1994); vgl. auch mit weiterführender Literatur die Beiträge bei: Vorwelten und Vorzeiten. Archäologie als Spiegel historischen Bewußtseins in der Frühen Neuzeit, hg. von Dietrich HAKELBERG– Ingo WIWJORRA (Wolfenbütteler Forschungen 124, Wiesbaden 2010). 9 David JAFFÉ, Aspects of Gem Collecting in the Early Seventeenth Century, NicolasClaude Peiresc and Lelio Pasqualini. The Burlington Magazine 135 (1993) 103–120; John CUNNALLY, Images of the Illustrious. The Numismatic Presence in the Renaissance (Princeton 1999); Martin OTT, Die Entdeckung des Altertums. Der Umgang mit der römischen Vergangenheit Süddeutschlands im 16. Jahrhundert (Münchener Historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte 17, Kallmünz 2002); William STENHOUSE, Reading Inscriptions and Writing Ancient History. Historical Scholarship in the Late Renaissance (Bulletin of the Institute of Classical Studies, Supplement 86, London 2005). 10 Arnaldo MOMIGLIANO, Alte Geschichte und antiquarische Forschung, in: ARNALDO MOMIGLIANO, Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, 2: Spätantike bis Spätaufklärung, hg. von Anthony GRAFTON, übers. von Kai BRODERSEN–Andreas WITTENBURG (Stuttgart–Weimar 1999) 1–37; zuerst: Arnaldo MOMIGLIANO, Ancient History and the Antiquarian. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13 (1950) 285–315. Vgl. dazu Timothy J. CORNELL, Ancient History and the Antiquarian Revisited. Some Thoughts on Reading Momigliano’s Classical Foundations, in: Ancient History and the Antiquarian. Essays in Memory of Arnaldo Momigliano, hg. von Michael H. CRAWFORD–Christopher R. LIGOTA (Warburg Institute Colloquia 2, London 1995) 1–14; Peter N. MILLER, Introduction. Momigliano, Antiquarianism, and the Cultural Sciences, in: Momigliano and Antiquarianism. Foundations of the Modern Cultural Sciences, hg. von Peter N. MILLER. (Toronto–Buffalo et al. 2007) 3–65; Ingo HERKLOTZ, Arnaldo Momigliano’s „Ancient History and the Antiquarian“. A Critical Review, in: ebd. 127–153; DACOSTA KAUFMANN, Antiquarianism (wie Anm. 7) 525, 528; Christian ZWINK, Imagination und Repräsentation. Die theoretische Formierung der Historiographie im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert in Frankreich (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 31, Tübingen 2006) 84, 97f.; Markus VÖLKEL, Historischer Pyrrhonismus und Antiquarismus-Konzeption bei Arnaldo Momigliano. Das Achtzehnte Jahrhundert 31 (2007) 179–190. Vgl. auch den Beitrag von Peter N. Miller in diesem Band.

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scher Prämissen, Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie die – insgesamt sehr heterogene – Strömung des frühneuzeitlichen Antiquarianismus einer revidierten Betrachtungsweise unterzogen werden könnte. Dies scheint auch deswegen von Relevanz zu sein, weil der Antiquarianismus, trotz der sich mit ihm teilweise bis heute assoziierenden peiorativen Untertöne, in der historiographiegeschichtlichen Literatur eine Schlüsselposition bekleidet. Im Zuge des sich in den 1990er Jahren intensivierenden Bemühens, eine konsistente Geschichte der „Verwissenschaftlichung“ der Geschichtsschreibung zu erarbeiten11, verkörperten sich in ihm zum einen nahezu pars pro toto die Errungenschaften barockzeitlicher Historiographie12. Mit seinen 11 Fritz WAGNER, Die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft im 17. Jahrhundert (Vorgetragen am 8. Dezember 1978) (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: Philologisch-historische Klasse 1979/2, München 1979); Horst Walter BLANKE, Historiographiegeschichte als Historik (Fundamenta historica. Texte und Forschungen 3, Stuttgart–Bad Cannstatt 1991); Urlich MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus (München 1991); Horst Walter BLANKE, Die Entstehung der Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historiographiegeschichtsschreibung, in: Geschichtsdiskurs, 2: Anfänge des modernen historischen Denkens, hg. von Wolfgang KÜTTLER– Jörn RÜSEN–Ernst SCHULIN (Frankfurt am Main 1994) 62–66; Wolfgang HARDTWIG, Die Verwissenschaftlichung der neueren Historiographie, in: Geschichte. Ein Grundkurs, hg. von Hans-Jürgen GOERTZ (Reinbek bei Hamburg 32007) 218–236; und den Überblick von Ulrich MUHLACK, Geschichte und Theorie der Geschichtswissenschaft, Teil 1–4. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 (1998) 119–136, 187–199, 246–259, 360–369; dieses Projekt ist aufgrund seiner teleologischen Anlage und empirischen Enge vielfach kritisiert worden; vgl. insbesondere Helmut ZEDELMAIER, „Im Griff der Geschichte“. Zur Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit. Historisches Jahrbuch 112 (1992) 436–456; und Irmline VEIT-BRAUSE, Eine Disziplin rekonstruiert ihre Geschichte. Geschichte der Geschichtswissenschaft in den 90er Jahren (I). Neue Politische Literatur 43 (1998) 36–66, bes. 36f., 40–47; ferner Siegfried BAUR, Revidivus oder redivivus? Zur Kritik neuerer Historiographiegeschichtsschreiber. Etappe 9 (1993) 136–143; Thomas BRECHENMACHER, Postmoderner Geschichtsdiskurs und Historiographiegeschichte. Kritische Bemerkungen mit Blick auf eine narrativistische Darstellung. Historisches Jahrbuch 119 (1999) 295–306, hier 295–297. 12 Diese epochale Fixierung mag angesichts der inzwischen intensiv untersuchten Entfaltung des Antiquarianismus in der Renaissance überraschen. Sie erklärt sich allerdings dadurch, dass die Typik der humanistischen und aufklärungszeitlichen Historie lange vor allem aus ihren theoretischen Artikulationsformen abgeleitet wurde. Zugleich wurden Werke wie etwa Flavio Biondos Italia illustrata nicht unbedingt unter dem Attribut des Antiquarischen vermerkt, sondern unter dem der historischen „Landeskunde“: MUHLACK, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 11) 199. Dies mag der Grund sein, weshalb eine Studie wie: ZWINK, Imagination (wie Anm. 10) 88–97, und das dort gebotene Kapitel zu den „Entwicklungslinien des Antiquarianismus“ ohne Hinweis selbst auf die antiquarischen Bestrebungen aus der ersten Hälfte des

410 Jan Marco Sawilla realienkundlichen Implikationen konnte er nicht nur mit der Entwicklung grundlegender methodologischer – „hilfswissenschaftlicher“ – Operationen in Verbindung gebracht werden. Vielmehr schien er auch den Brückenschlag zwischen der Historie und der Wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts in Gestalt des Rationalismus, des Skeptizismus13 und der „Naturbeobachtung in der empirischen Wende“14 insgesamt zu ermöglichen. Zum anderen begann der Antiquarianismus nahezu zeitgleich erhebliche Attraktivität für eine mediengeschichtlich inspirierte Reflexion historiographischer Formen zu entwickeln, wie sie sich noch in der eingangs zitierten Bemerkungen Götzelts artikuliert. Der Antiquarianismus erfuhr in diesem Kontext keine empirische Vertiefung, sondern eine wissenschaftsprogrammatisch unterlegte Neubewertung, die sich indes nach wie vor der in der Forschung etablierten Größen wie Sammlung, Ordnung und Klassifikation bediente. In den Arbeiten des Medienwissenschaftlers Wolfgang Ernst trat der Antiquarianismus auf dieser Basis als historiographische Projektion in Erscheinung, in der „[d]er kalte Blick einer positivistischen Archäologie als Mangel an warmer historischer Imagination“ den Ausweg aus den impliziten Logiken narrativer Formen und geschichtsphilosophischer Sinnbildungen in Aussicht zu stellen schien. In der „antiquarischen Distanzierung von der Narration“ und in der „Rückverwandlung der gesprächigen Dokumente in stumme Monumente“, so Ernst, läge die „Perspektive eines Zeitalters, dessen Aufschreibsystem Informatik heißt“15. 17. Jahrhunderts auskommen. Vgl. dazu SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 259. Namentlich für die Erklärung der Beziehung zwischen Antiquarianismus und historischem Skeptizismus ist dieser Sachverhalt nicht ohne Bedeutung. Darauf wird noch einzugehen sein. 13 Horst GÜNTHER, Geschichte, Historie, V: Historisches Denken in der frühen Neuzeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto BRUNNER–Werner CONZE–Reinhart KOSELLECK (8 Bde., Stuttgart 1974–1997) 2 625–647, hier 635f.; BLANKE, Historiographiegeschichte (wie Anm. 11) 93–95; Christian SIMON, Historiographie (UTB für Wissenschaft 1901, Stuttgart 1996) 62–68; Johannes SÜSSMANN, Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780–1824) (Frankfurter historische Abhandlungen 41, Stuttgart 2000) 51, 53f.; Carlo BORGHERO, Historischer Pyrrhonismus, Erudition und Kritik. Das Achtzehnte Jahrhundert 31 (2007) 164–178, hier 170. 14 ZWINK, Imagination (wie Anm. 10) 118–124. 15 Wolfgang ERNST, Antiquarianismus und Modernität. Eine historische Verlustbilanz, in: Geschichtsdiskurs 2 (wie Anm. 11) 136–147, hier 138f., 142; Wolfgang ERNST, Bausteine zu einer Ästhetik der Absenz, in: Wahrnehmung und Geschichte. Markierungen zur Aisthesis materialis, hg. von Bernhard J. DOTZLER–Ernst MÜLLER (LiteraturForschung, Berlin 1995) 211–236, hier 211–214. Diese Dichotomien bestimmen als „Spannung von antiquarisch-archivischem versus rhetorisch-imaginativem

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Der Hinweis auf Äußerungen wie diese mag zumindest hervortreten lassen, dass Antiquarianismus als eine Bewegung zu reflektieren ist, die an sensiblen Punkten in die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Historiographie eingegriffen hat – und dies auf eine Weise, die von der Einlinigkeit historiographiegeschichtlicher Erklärungsmuster gerade nicht mehr aufgefangen wird. Ausgehend von einigen wort- und begriffsgeschichtlichen Überlegungen wird daher in den ersten Abschnitten zu thematisieren sein, in welchem Umfang sich Antiquarianismus in der modernen Literatur zunächst als negative Kategorie verfestigt hat, die im Sinne einer symmetrischen Idealtypik einem „eigentlichen“ Feld des Historiographischen gegenübergestellt wurde. Diese Konstruktion, die dem Antiquarianismus den Ruf einbrachte, eine weithin sich selbst genügende Gelehrsamkeit zu repräsentieren16, wird allerdings der Dynamik gerade nicht gerecht, die das historiographische Feld zumal des 17. Jahrhunderts auszeichnete17. Daher soll an dieser Stelle die Hypothese verfolgt werden, dass die Intensivierung antiquarischer Bestrebungen seit den Jahrzehnten um 1600 als Teil und Ausdruck einer fundamentalen Verschiebung im Denken dessen zu bewerten ist, was unter Historie verstanden wurde; es handelt sich um den Umschwung von einer Historie, die sich als Gegenwartsgeschichte konstituiert hatte, hin zu einer Historie, die sich essentiell als Vergangenheitsgeschichte formieren Diskurs“, als Konfrontation von „Gedächtnisinstitution (Archiv) und Interpretation (Historiographie)“ auch Ernsts jüngere Essayistik: Wolfgang ERNST, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung (Internationaler Merve-Diskurs 243, Berlin 2002) 55, 72; Wolfgang ERNST, Im Namen von Geschichte. Sammeln – Speichern – Er/Zählen. Infrastrukturelle Konfigurationen des deutschen Gedächtnisses (München 2003) 132. Im Hintergrund mag die Lektüre von Michel FOUCAULT, Archäologie des Wissens, übers. von Ulrich KÖPPEN (stw 356, Frankfurt am Main 71995) 15, stehen. Gegen eine hermeneutisch operierende Geistesgeschichte gewandt, die darauf beruht habe, „die Monumente der Vergangenheit […] in Dokumente zu transformieren und diese Spuren sprechen zu lassen“, wollte Foucault die Wirksamkeit der Dinge selbst erneut zur Geltung zu bringen: „Es gab eine Zeit, in der die Archäologie als Disziplin der stummen Monumente, der bewegungslosen Spuren, der kontextlosen Gegenstände und der von der Vergangenheit hinterlassenen Dinge nur durch die Wiederherstellung eines historischen Diskurses zur Geschichte tendierte und Sinn erhielt; man könnte, wenn man etwas mit den Worten spielt, sagen, daß die Geschichte heutzutage zur Archäologie tendiert – zur immanenten Beschreibung des Monuments.“ 16 Harry RITTER, Antiquarianism, in: Dictionary of Concepts in History, hg. von Harry RITTER (Reference Sources for the Social Sciences and Humanities 3, New York– Westport et al. 1986) 13–16. 17 Grundlegend dazu: Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003).

412 Jan Marco Sawilla sollte18. Das heutige Assoziationsfeld von „Geschichte“ ist aus dieser Bewegung, die sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein erstreckte, hervorgegangen. Ihre Implikation sind jedoch bislang keineswegs hinreichend untersucht19. Noch Friedrich II. von Preußen (König 1740–1786) betrachtete es in der Histoire de mon temps als Ausdruck der publizistischen Raserei (fureur d’ecrire) seines Zeitalters, dass quelques auteurs der Idee verfallen zu sein schienen, Geschichte über das schreiben zu wollen, qui s’est passé quelques siècles avant leur naissance20. Sämtliche Arten des distanzvermittelten Zugriffs auf geschichtswürdige Begebenheiten – die zeithistorischen eingeschlossen – schienen ihm Plausibilität und Seriosität zu ermangeln. Für ihn waren sie keine Grundlage, um dem für die Historie grundlegenden Anspruch auf Wahrhaftigkeit gerecht zu werden21. Die Frage also, welche Prozesse vonstatten gingen, als sich die Frage der Wahrhaftigkeit von der Autorität und ethischen Integrität jener, die zeitnah historische Ereignisfolgen verschriftlichten22, zu lösen und sich an historischen Artefakten zu fixieren begann, die zu Medien geschichtlicher Erkenntnis wurden, wird in der zweiten Hälfte des Beitrags zu verfolgen sein. Dass sie an dieser Stelle nicht erschöpfend geklärt werden kann, muss nicht eigens betont werden. Dies gilt umso mehr, als diese Problematik kaum von den mediengeschichtlichen Entwicklungen des 17. Jahrhunderts 18 Auf diese Problematik hat auch Markus VÖLKEL, Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive (UTB für Wissenschaft 2692, Köln–Weimar et al. 2006) 204f., aufmerksam gemacht. Vgl. dazu auch unten Anm. 34. 19 Jan Marco SAWILLA, Das Zeugnis des Historiographen. Anwesenheit und gestufte Plausibilität in der Historiographie der frühen Neuzeit, in: Zeugnis und Zeugenschaft. Perspektiven aus der Vormoderne, hg. von Wolfram DREWS–Heike SCHLIE (Trajekte, München 2011) 311–335. 20 Frédéric II. Histoire de mon temps (Redaction von 1746), hg. von Max POSNER, in: Memoiren der Herzogin Sophie nachmals Kurfürstin von Hannover, hg. von Adolf KÖCHER (Publicationen aus den Königlich Preussischen Staatsarchiven 4, Leipzig 1879) 153–499, hier 153: […] la fureur d’écrire a séduit quelques auteurs à faire l’histoire de ce qui s’est passé quelques siècles avant leur naissance. 21 Frédéric II., Histoire (wie Anm. 20) 153: Beaucoup de personnes ont écrit l’histoire, mais bien peu on dit la vérité. Les uns ont voulu rapporter des anecdotes qu’ils ignoraient, et en ont imaginé; d’autres ont fait des compilations de gazettes, ils ont écrit laborieusement des volumes qui ne contiennet que des ramas informes de bruits et de superstitions populaires; d’autres ont fait des journaux de guerre insipides et diffus […]. 22 Wolfgang HARDTWIG, Die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung und die Ästhetisierung der Darstellung, in: Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, 4: Formen der Geschichtsschreibung, hg. von Reinhart KOSELLECK–Heinrich LUTZ– Jörn RÜSEN (München 1982) 147–191, hier 153; BLANKE, Historiographiegeschichte (wie Anm. 11) 89, 147.

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und deren wissenshistorischen Implikationen zu trennen ist. Denn in dem Moment, als eine wachsende Zahl historischer „Monumente“ publizistisch verfügbar wurde, begannen sich notwendig überindividuelle Beobachterpositionen zu vervielfältigen und sich die „Denkmäler“ mit unterschiedlichen Erläuterungs-, Begründungs- und Erklärungszwängen zu verbinden. Damit war die Voraussetzung für die Konstituierung szientistischen Wissens geschaffen23. Dies wird exemplarisch anhand der Entfaltung der Debatten um die frühmittelalterlichen Diplome und einiger Bemerkungen zu den aus frühneuzeitlicher Perspektive vielleicht komplexesten Artefakten, den mittelalterlich Handschriften, zu skizzieren sein.

II. Zwischen Bürokratie, Philologie und historischer Brauchtumskunde – der Antiquar ein Typus jenseits der Historie? Antiquarianismus ist eine heterogene Kategorie. Sie entspricht im Deutschen dem Lexem der „Altertumskunde“, das sich mit dem Fremdwortpurismus des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hat24. Wortgeschichtlich gesehen konnten sich die mit den Hinterlassenschaften eines – wie auch immer definierten – „Altertums“ (antiquitas) beschäftigenden Gelehrten spätestens seit dem späten 15. Jahrhundert wechselseitig als antiquarii bezeichnen25. Ein antiquarius war allerdings auch eine Person, die mit historischen Objekten handelte26. Das Wort selbst könnte eine Entdeckung der altertumskundlichen Forschung gewesen sein. Guido Panciroli (1523–1599) erläuterte in seinem Traktat De magistratibus municipalibus von 1593 im Rekurs auf die rechtlichen Corpora der Spätantike, auf patristische Texte sowie auf den unter „Suidas“ firmierenden byzantinischen Lexikographen des 10. Jahrhunderts, dass es 23 Niklas LUHMANN, Die Wissenschaft der Gesellschaft (Frankfurt am Main 1992) 167–172. 24 Die Artikel im Grimmschen Wörterbuch bestehen aus einer lateinischen Umschreibung ohne weitere Belegstellen. Art. Alterthumsforscher. Deutsches Wörterbuch, begr. von Jacob GRIMM–Wilhelm GRIMM (16 Bde., 1854–1954, Nachdr. in 33 Bd. München 1984) 1 271: „antiquitatis scrutator.“ Art. Alterthumsforschung. Ebd.: „antiquitatis studium.“ Art. Alterthumskenner, Ebd.: „antiquitatis peritus.“ Art. Alterthumskunde, Ebd.: „scientia antiquitatis eruditae.“ Art. Alterthumswissenschaft. Ebd.: „antiquarum literarum studia.“ Lemmata zu „Antiquarianismus“ oder „Antiquität“ befinden sich nicht im Grimm. 25 MOMIGLIANO, Geschichte (wie Anm. 10), 262; SCHNAPP, Discovery (wie Anm. 7) 126; HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 22f., 246. 26 STENHOUSE, Inscriptions (wie Anm. 9) 17.

414 Jan Marco Sawilla sich ursprünglich um eine antike Amtsbezeichnung gehandelt habe. Das tabularium als der Ort, „an dem die öffentlichen Schriften“ abgelegt worden seien, sei neben anderen Ausdrücken wie chartophylacium und grammatophilacium im Griechischen bevorzugt als archeion bezeichnet worden. Im Lateinischen habe man von archivum oder antiquarium gesprochen. Der oströmische Kaiser Leo I. (Kaiser 457–474) wollte nach einem im Codex Iustinianus verzeichneten Erlass wenigstens vier antiquarii mit der Verwahrung seines Schrifttums betraut wissen. „Diese“, so Panciroli, „hielten die Codices der Stadt instand und schrieben die durch Alter verdorbenen ab“. Im Sinne eines librarius standen sie nach Ansicht Pancirolis unter den – diese Einrichtung leitenden – magistri archivi oder städtischen cancellarii 27. 27 Guido PANCIROLI, De magistratibus municipalibus, in: Guido PANCIROLI, Notitia dignitatum (Venezia 1593) 183–198, hier 195a [fehlerhaft als 295 paginiert]: Tabularium locus erat, in quo scripturas publicas reponebant, Graece ܻUFHîRQ dictum, ut ait Suidas. Id est antiquarium, in quo vetustae memoriae res conservabantur, aliqui chartophylacium seu grammatophilacium vel archivum vocant. Qui vero huic loco et scripturis praeficiebatur, archeonta ab ipsos archivo nuncupabatur. Latini antiquarium appellant. Leo A. antiquarios, inquit, qui habentur in scrinio memoriae nunquam minus esse, quam quatuor volumus. Hi codices civitatis conservabant et vetustate corruptos describebant. Valentinianus antiquarios, ait, ad bibliothecĊ codices componendos et pro vetustate reparandos quatuor Graecos et tres Latinos scribendi peritos legi iubemus. Divus Gregorius antiquarios, ait, librarios reperii. His successere qui magistri archivi, alibi cancellarii civitatum appellantur. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden Pancirolis Stellennachweise – es handelt sich um alphabetisierte Marginalnoten – hier nicht wiedergegeben. Vgl. Corpus iuris civilis. Editio stereotypa tertia, 2: Codex Iustinianus, hg. von Paul KRÜGER (Berlin 1884) XII,19,10, 459b: Idem [imperator Leo I.] A. Hilariano comiti et magistro officiorum ac patricio. Statutos memoriales praecipimus esse in scrinio quidem memoriae sexaginta duos, epistularum vero triginta quattuor, libellorum quoque triginta quattuor: antiquarios vero, qui habentur in scrinio memoriae, numquam minus esse quam quattuor. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes, 1/2: Textus cum apparatu, hg. von Theodor MOMMSEN (Berlin 1935) XIV,9,2, 787 (8. Mai 372): Idem [imperator Valentinianus I.] aaa. Clearcho p(raefecto) u(rbi). Antiquarios ad bibliothecae codices componendos vel pro vetustate reparandos quattuor Graecos et tres Latinos scribendi peritos legi iubemus. Lemma DZȡȤİîĮ, in: Suidae lexicon, hg. von Ada ADLER, 1 (Lexicographi graeci 1,[1], Leipzig 1928) 372f. Nr. 4089. Ein Amt der klassischen Antike im engeren Sinn war der antiquarius offenbar nicht. Vgl. unten Anm. 29. Die Nachweise im Art. Antiquarius, in: Thesaurus Linguae Latinae ([bisher] 10 Bd., Berlin–Leipzig et al. 1900–1997) 2 173f., entstammen vor allem der spätantiken und frühchristlichen Literatur. Als lateinisches Äquivalent für ਕUFHîRQ wird heute neben der Lehnübersetzung archiv(i)um ausschließlich tabularium geführt. Karl DZIATZKO, Archive, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, hg. von Georg WISSOWA (48 Bde., Stuttgart 1893–1978) 1/3 (1895) 553–564; Konrad VÖSSING, Archiv, in: Der neue Pauly (wie Anm. 7) 1 1021–1025.

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Joseph Justus Scaliger (1540–1609) hatte 1588 in seinen Kommentaren zu den Briefen des Rhetorikers und Dichters Decimus Magnus Ausonius († nach 393) antiquarius als Synonym für kalligraphos ausgemacht28. Es ist bemerkenswert, dass die Momigliano vor allem interessierende antike historiographische Strömung des Antiquarianismus auf der Ebene der Lexika, einschließlich „Paulys Realenzyklopädie“, bis vor kurzem dennoch nicht mit dem Lexem des „Antiquars“ verbunden worden ist29. Die vordringlich der Spätantike verpflichtete und von den frühneuzeitlichen Lexikographen auf antikisierende Weise mit einer technischen Amtsbezeichnung verknüpfte Wortbedeutung bestimmte die Erklärung der Lemmata „Antiquarium“ und „Antiquarius“ im „Zedler“30. Mit der Verfestigung vernakulärer Gelehrtensprachen etablierten sich hingegen das französische antiquaire und das englische antiquary primär als eine Bezeichnung für die synchronisch existierende, gelehrte Richtung des Antiquarianismus. Deutlich getrennt wurde die vermeintliche „antike“ Amtsbezeichnung von der aktuellen historiographischen Richtung in der Encyclopédie31. In der 28 Joseph Justus SCALIGER, Ausonianarum lectionum libri duo ([Genf] 1588) 116: In seque[n]ti Epistola ad Probum, antiquarii sunt Ƞì țĮȜȜȚȖȡȐijȠȚ. Dies bezieht sich – nach der modernen Ausgabe – auf: AUSONIUS, Works, hg. von Roger P. H. GREEN (Oxford 1991) 201–204 Nr. 9, hier 201. Vgl. den Kommentar von Green ad Nr. 9, ebd., 619: „antiquarios: copyists of old texts.“ 29 In Paulys Realencyclopädie (wie Anm. 27) I/2 (1894) 2534, wird unter dem Lemma „Antiquarius“ vermerkt: „s. Schreiber“. Aus dem entsprechenden Beitrag von Ernst KORNEMANN, Scriba, in: ebd. II A/3 (1921) 848–857, geht zumindest hervor, dass antiquarius auf diesem Feld in der Antike kaum gebräuchlich gewesen zu sein scheint. Vgl. vor allem die Abschnitte III. Staatsschreiber (850–855); IV. Stadtschreiber (855f.) Vgl. zu der historiographischen Strömung der Antike erst: Kyriakos SAWIDIS, Antiquare, in: Der neue Pauly (wie Anm. 7) 1 789f. Hier wiederum wird nicht mehr auf das (mögliche) Bedeutungspotential von antiquarius als scriptor oder librarius verwiesen. 30 Art. Antiquarium, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, hg. von Johann Heinrich ZEDLER (68 Bde., Leipzig et al. 1731– 1754) 2 652: Griechisch, ܻUFHLRQ, war der Ort wo rare und alte Sachen auffgehoben wurden. Pancirollus, De Magistratibus municipalibus c. 10. Art. Antiquarius. Ebd.: […] war derjenige, welcher über das „antiquarium“ und geschriebenen uhrkunden gesetzt war. ingleichen derjenige, welcher alte bücher abschrieb. Dazu wurden bey einer „bibliothec“ meisten theils 4. der Griechischen und 3. der Lateinischen alten schreib-art erfahrene bestellet. 31 [Edmond] MALLET, Antiquaire, in: Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (35 Bde., Paris 1751–1780) 1 515a–b: est une personne qui s’occupe de la recherche et de l’étude des monumens de l’antiquité, comme les anciennes médailles, les livres, les statues, les sculptures, les inscriptions, en un mot ce qui peut lui donner des lumieres à ce sujet. […] Autrefois il y avoit

416 Jan Marco Sawilla zuerst 1768 publizierten Encylopaedia Britannica verbanden sich beide Bedeutungspotentiale zu einer antikisierenden Projektion. Der Antiquar sei demnach „eine Person, die nach Denkmälern und Überresten des Altertums sucht und diese studiert“. Eine ähnliche Funktion meinte der Verfasser dieses Artikels jedoch bereits in der Antike ausmachen zu können, denn: „Es gab früher in den wichtigen Städten Griechenlands und Italiens Personen von Rang, die es sich zu ihrer Aufgabe machten, die alten Inschriften zu erläutern und Neulingen, die Liebhaber dieser Art der Gelehrsamkeit waren, jede andere in ihrer Macht liegende Unterstützung zukommen zu lassen“32. Der Terminus des „Antiquars“ hatte sich auf der Ebene der frühneuzeitlichen Lexika also vor allem mit bürokratischen und konservatorischen und erst vergleichsweise spät mit erschließenden und erläuternden Tätigkeit assoziiert. Über das, was die Eigentümlichkeit der sich als antiquitatis amatores bezeichnenden Gelehrten ausmachte33, war und ist damit jedoch nur wenig ausgesagt34. Der später von Momigliano systematisierte Versuch, Antiquare und Historiker voneinander abzugrenzen, scheint auf ähnliche Traditionen zurückzugehen. Mit Jean Bodin (1530–1596) sah der in der Moderne wahrscheinlich am intensivsten rezipierte Geschichtstheoretiker der Frühen Neuzeit ausdrücklich davon ab, die Erzeugnisse von Autoren wie Onofrio Panvinio (1530–1568) und Carlo Sigonio (1522/23–1584), in denen sich aus heutiger Sicht auf nahezu idealtypische Weise die Bandbreite antiquarischer Gelehrsamkeit verkörpert, zu diskutieren. Sie zählten aus différentes autres especes d’antiquaires: les libraires ou les copistes, c’est-à-dire ceux qui transcrivoient en caracteres beaux et liables ce qui avoit auparavant été seulement écrit en notes, s’appelloient „antiquaires“. Vgl. auch die Nachweise von ZWINK, Imagination (wie Anm. 10) 86. 32 Art. Antiquary, in: Encyclopaedia Britannica; or, a Dictionary of Arts and Sciences (3 Bde., 1768–1771) 1 328b: a person who studies and searches after monuments and remains of antiquity. There were formerly in the chief cities of Greece and Italy, persons of distinction called antiquaries, who made it their business to explain the ancient inscriptions, and give every other assistance in their power to strangers who were lovers of that kind of learning. 33 Jean BOLLAND, Praefatio, in: AASS Januarii, 1 (Antwerpen 1643) IX–LXII, hier XIVa, XXXVIIIa. 34 Detaillierter ist das, was antiquarisches Tun ausmachte, beschrieben bei: William BORLASE, Antiquities, Historical and Monumental of the Country of Cornwall (London 21769) V: […] the proper business of an antiquary is, to collect what is dispersed, more fully to unfold what is already discovered, to examine controverted points, to settle what is doubtful, and, by the authority of monuments and histories, to throw light upon the manners, arts, languages, policy, and religion, of past ages. SWEET, Antiquairies (wie Anm. 7) XIV, bemerkte zu dieser Passage, dass sich der damit beschriebene Antiquar vermutlich näher an „current conceptions of the work of an historian“ befände als die meisten promintenten Historiographen des 18. Jahrhunderts.

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seiner Perspektive zu einer Gruppe von Gelehrten, die sich, wie er es in seinem Methodus ad facilem historiarum cognitionem von 1566 formulierte, „im Bereinigen der Entstellungen der alten Bücher ergehen würden“35. Es ist auch hier evident, dass die Charakteristik des rekonstruierenden Zugriffs Panvinios und Sigonios, als sie etwa ihren Studien zu den römischen fasti den Versuch unternahmen, die literarische Tradition mit den 1546 und 1547 ergrabenen Listen der Konsuln und Triumphatoren vom Partherbogen des Augustus abzugleichen, auf diese Weise nicht hinreichend beschrieben ist36. Die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts über ihren Gegenstandsbereich verständigende Historiographiegeschichte operierte mit ähnlichen Argumenten. In seinen Überlegungen Zur Theorie und Geschichte der Historiographie identifizierte Benedetto Croce (1866–1952) die „Geschichte der Historiographie“ mit der „Geschichte des historischen Gedankens“ oder der „Geschichte […] des historiographischen Denkens.“ Sie hätte ebenso die erzählende Historiographie wie die Geschichtstheorie und Geschichtsphilosophie zu analysieren. Nicht berücksichtigt werden solle allerdings die Geschichte der „Gelehrsamkeit“ – ein Ausdruck, der als Übersetzung von eruditio/érudition wissenschaftspragmatisch weithin identisch mit dem sich erst später durchsetzenden Ausdruck Antiquarianismus gehandhabt wurde und wird37. 35 Es handelte sich um das letzte der insgesamt drei von Jean Bodin konstatierten genera scribendi. Jean BODIN, Methodus ad facilem historiarum cognitionem ab ipso recognita et multo quam antea locupletior. Cum indice rerum memorabilium copiosissimo (Paris 1572) = Corpus général des philosophes français. Auteurs modernes, 5/3: Œuvres philosophiques de Jean Bodin, hg. von Pierre MESNARD (Paris 1951) 105–269, hier 107a: unum in rebus inveniendis et materia suppeditanda: alterum in rebus ordine tradendis et forma perpoliendis: postremum in maculis veterum librorum eluendis. Ebd.: Bodins Methodus behandelte das zweite genus. Mit dem ersten waren die seines Erachtens unkontrolliert wuchernden Kommentierungswerke insbesondere zum römischen Zivilrecht angesprochen; zu Sigonio und Panvinio ebd. 134a. 36 MCCUAIG, Sigonio (wie Anm. 8) 9f., 26, 28–30, 171f.; Jean-Louis FERRARY, Onofrio Panvinio et les antiquités romaines (Collection de l’École française de Rome 214, Rom 1996) 116f.; HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 219; STENHOUSE, Inscriptions (wie Anm. 9) 1, 103–111, 116f. 37 Chantal GRELL, L’histoire entre érudition et philosophie. Étude sur la conaissance historique à l’âge des Lumières (Questions, Paris 1993) 14; mit Versuchen der Unterscheidung: ZWINK, Imagination (wie Anm. 10) 84f. Gelegentlich wird auch der – zeitgenössisch allerdings bereits deutlich technischer gefasste – Begriff des „Polyhistors“ mit einschlägigen Gelehrten assoziiert. Erhard WIERSING, Geschichte des historischen Denkens. Zugleich eine Einführung in die Theorie der Geschichte (Paderborn–München et al. 2007) 232. Die Tätigkeit etwa der Mauriner oder Bollandisten kann in der Literatur mit allen drei Attributen belegt werden.

418 Jan Marco Sawilla Diese jedenfalls identifizierte Croce mit „Philologie“. Als „Sammlung, Anordnung, Sichten von Material“ verkörpere sie eben nicht „Geschichte“. Sie sei ebenso wenig historiographiegeschichtlich relevant wie die „Geschichte der Bibliotheken, der Archive, der Museen, Universitäten, der Seminare“ und „anderer Einrichtungen und Verfahren von hervorstechend praktischem Charakter“38. Trotz verschiedener Konfliktpunkte traf er sich in diesem Punkt mit der Programmatik, die Eduard Fueter (1876–1926) seiner Geschichte der neueren Historiographie von 1911 zugrundegelegt hatte39. Bald darauf trat diese Argumentation in Paul Hazards (1878–1944) La Crise de la conscience européenne von 1935 als historische Diagnose in Erscheinung, die seines Erachtens den historiographischen Raum des 17. Jahrhunderts ausgezeichnet habe. Hazard war zwar bereit, den Anstrengungen der érudits einen gewissen Respekt zu zollen. Grundsätzlich allerdings sprach er von einer Tätigkeit von „Sklaven“ („esclaves“), deren Produkte von den darstellenden Historiographen gar nicht erst zur Kenntnis genommen worden seien: „So saßen auf der einen Seite die Arbeitstiere, schrieben einen miserablen Stil, überluden die Ränder ihrer schwerfälligen und unklaren Bücher mit Notizen – nach eigenem Willen zur Arbeit ohne Ruhm verurteilt. Auf der anderen Seite standen die Historiker, verschmähten es als erhabene Geister, sich mit Kleinigkeiten abzugeben, überließen die spitzfindigen Unterscheidungen mittelmäßigen Leuten, und gingen allen Diskussionen, welche das Feuer, das sie belebte, nur hätten ersticken können, aus dem Wege. Die Sklaven häuften Material an, und die großen Herren ließen es verächtlich beiseite liegen.“40 In diesem Rahmen leistete Momigliano Bemerkenswertes. Er führte lexikalisch und systematisch Typus des Antiquars und mit ihm eine Vielzahl bis dahin kaum mehr beachteter Gelehrter in die Historiographiegeschichte 38 Benedetto CROCE, Zur Theorie und Geschichte der Historiographie. Aus dem Ital. übers. von Enrico PIZZO (Tübingen 1915) 126f., 131f. 39 Eduard FUETER, Geschichte der neueren Historiographie (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte Abt. 1, München–Berlin 31936, Nachdr. Zürich– Schwäbisch Hall 1985) XVIIf. Vgl. dazu SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 261f. 40 Paul HAZARD, Die Krise des europäischen Geistes. 1680–1715, aus dem Franz. übers. von Harriet WEGENER (Hamburg 1939) 78; Paul HAZARD, La Crise de la conscience européenne. 1680–1715 (Paris 31961) 55: „D’une part, les tâcherons, qui écrivaient mal, qui chargeaient de références les marges de leurs livres, qui étaient lourds, qui étaient obscurs, condamnés volontaires aux travaux sans gloire. De l’autre les historiens, génies élevés, dédaignant de s’abaissaer aux minuties, laissant aux esprits médiocres les recherches pointilleuses, évitant des discussions qui auraient étouffé le feu qui les animait. Les esclaves amassaient des matériaux que les grands seigneurs des lettres méprisaient.“

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ein41. Und er verband Antiquarianismus mit einer der antiken entlehnten Idealtypik, um ihn in seinen frühneuzeitlichen Spielarten als eine bestimmte Art der Antikenrezeption auszuweisen42. Damit gewann der Antiquarianismus zunächst thematisch an Kontur. Als antiquarisch waren für Momigliano demnach jene Gelehrten zu kennzeichnen, die sich, nach dem Vorbild von Marcus Terentius Varros († 27 v. Chr.) Antiquitates rerum humanarum [et] divinarum, mit den privaten wie öffentlichen, den religiösen wie profanen Institutionen und Brauchtümern namentlich des antiken Rom beschäftigt hatten – mit Flavio Biondos (1392–1463) um 1459 vollendeten De Roma triumphante libri X. als protoantiquarischem Werk der Frühen Neuzeit43. Damit eröffnete Momigliano einerseits ein Feld, das in seiner Relevanz für die frühneuzeitliche Historiographie kaum überschätzt werden kann44. Mit den instituta et mores stand fortan ein nahezu universal applizierbares Ordnungsmuster zu Verfügung, das den Aufbau altertumskundlicher Kenntnisse regulierte. Die einzelnen Aspekte konnten in selbständigen Abhandlungen vertieft werden, und seine Kategorien kamen noch dort zum Tragen, wo es in synchronischer Hinsicht – wie in Reisebereichten – den sozialen und politischen Aufbau sowie die rituellen Gepflogenheiten „fremder“ Völker zur Darstellung zu bringen galt45. Andererseits schloss auch Momigliano den Antiquarianismus vom Feld des im engeren Sinne Historiographischen aus. Er konzipierte ihn als dessen strukturelles Negativ, indem er davon ausging, dass sich in ihm all das versammelt habe, was die „eigentlichen“ und das 41 Dass sich dies aus heutiger Sicht bisweilen nur wenig organisiert ausnimmt, hat VÖLKEL, Pyrrhonismus (wie Anm. 10) 185, angemerkt. 42 CORNELL, History (wie Anm. 10) 2f.; Eckhard MEYER-ZWIFFELHOFFER, Alte Geschichte in der Universalgeschichtsschreibung der Frühen Neuzeit. Saeculum 46 (1995) 249–273, hier 251; MILLER, Introduction (wie Anm. 10) 9f. 43 Hier benutzt in der Ausgabe: Flavio BIONDO, De Roma triumphante libri X, in: Flavio BIONDO, De Roma triumphante libri X. Romae instauratae libri III. De origine ac gestis Venetorum liber. Italia illustrata, sive lustrata (Basel 1559). Vgl. JACKS, Antiquarian (wie Anm. 7) 113–121; SCHNAPP, Discovery (wie Anm. 7) 122f. 44 Deutlich herausgestellt wird dies von: HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 204–234. Vgl. dazu auch Markus VÖLKEL, Das Altertum auf der Suche nach seiner Geschichte. Überlegungen zu einer Monographie über den römischen Antiquar Cassiano dal Pozzo (1588–1656). Zeitschrift für Historische Forschung 28 (2001) 263–275, hier 270, 272; zu Biondo grundlegend Ottavio CLAVUOT, Biondos „Italia Illustrata“ – Summa oder Neuschöpfung. Über die Arbeitsmethoden eines Humanisten (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 69, Tübingen 1990). 45 Kursorisch skizziert anhand des Beispiels der Darstellung von Bestattungsriten von Jan Marco SAWILLA, „Von Todten=Töpffen und andern Merckwürdigkeiten“. Zur Reflexion heidnischer Bestattungsriten und ihren Überresten in Norddeutschland um 1700, in: Vorwelten (wie Anm. 8) 481–512, hier 488–491.

420 Jan Marco Sawilla heißt politischen Historiographen sowohl in materieller als auch in thematischer Hinsicht nicht interessiert habe46. Zugleich suchte er im Hinblick auf die darstellenden Formen und die intellektuelle Durchdringungskraft der jeweiligen Tätigkeiten scharfe Grenzen zu fixieren. Demnach könne „der Antiquar“, so Momigliano, auch deswegen „nicht wirklich ein Historiker genannt werden […], weil Historiker (1) in chronologischer Reihenfolge berichten, während die antiquarische Forschung nach systematischer Ordnung vorgeht, und (2) Historiker jene Fakten vorlegen, die dazu dienen, eine bestimmte Situation zu schildern oder zu erklären, während die antiquarische Forschung alle Einzelheiten sammelt, die mit einem bestimmten Thema in Zusammenhang stehen, egal ob sie zur Lösung eines Problems beitragen oder nicht.“47 Mit diesen Dichotomien sind zweifellos die Grenzen dessen erreicht, was an Momiglianos Essay heute noch Aktualität beanspruchen kann. Dies betrifft zum einen die politische und im weiteren Sinne vergesellschaftende Funktion antiquarischen Arbeitens. So ist es spätestens seit Gerhard Oestreich (1910–1987) gut bekannt, dass ein klassischer antiquarischer Traktat wie Justus Lipsius’ (1547–1606) De militia Romana libri V von 1595 nicht nur auf die Rekonstruktion, Erläuterung und Illustration des römischen Heerwesens abzielte. Vielmehr verband er seine historiographischen Aspirationen auch mit der Propagation einer idealen Heeresverfassung. Damit setzte er maßgebliche Impulse für die Oranische Heeresreform48. In einer Gesellschaft, die die Möglichkeiten zur Reflexion ihrer eigenen Strukturen in hohem Umfang aus der Historie schöpfte, besaß die Beschäftigung mit der Art, wie Vergemeinschaftung in früheren Zeit organisiert worden war, bereits an sich politische Relevanz. Auch dies mag das starke Interesse erklären, das an den Mechanismen des römischen Staatswesen bestand49. Die 46 MOMIGLIANO, Geschichte (wie Anm. 10) 29: „Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts waren die Antiquare zwei Tätigkeiten ungestört nachgegangen: Sie hatten sich um jene Art von Quellen gekümmert, die der gewöhnliche Historiker, der sich mit politischer Geschichte beschäftigte, geneigt war, beiseitezulassen; und sie hatten sich mit Themen befaßt – Sitten und Gebräuchen, Institutionen, Kunst, Religion –, die außerhalb des Gebiets des politischen Historikers lagen […].“ 47 MOMIGLIANO, Geschichte (wie Anm. 10) 4. 48 Gerhard OESTREICH, Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in: Gerhard OESTREICH, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze (Berlin 1969) 11–34; Jan PAPY, An Antiquarian Scholar between Text and Image? Justus Lipsius, Humanist Education, and the Visualization of Ancient Rome. Sixteenth Century Journal 35 (2004) 97–131, hier 101, 124f. 49 Der Rechtsgelehrte und Bischof von Tarragona Antonio Agustín etwa suchte, unter anderem in Auseinandersetzung mit Nicolas de Grouchys De comitiis Romanorum libri III von 1555, Paolo Manuzios Liber de Comitiis von 1555 und Sigonios Kommentaren zu Livius aus demselben Jahr, in seinem 1583 gedruckten De legibus

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zwischen 1586 und 1607 in London bestehende Society of Antiquaries beispielsweise wurde im Laufe der Zeit zu einem Forum von Juristen und Parlamentariern. Seit etwa 1598 rückten mit den Fragen nach den historischen Grundlagen der königlichen Gerichtsbarkeit, der Entstehung der politischen Verfassung und der Entwicklung der englischen Rechtssysteme solche Bereiche ins Zentrum der Erörterung, die in den letzten Regierungsjahren Elisabeths I. (Königin 1553–1603) die tagespolitischen Debatten bestimmten. Die Anstrengungen der Society, eine Academye for the Studye of Antiquity and History ins Leben zu rufen, wurden von der Königin abschlägig beantwortet. Ein Versuch aus dem Jahr 1614, die Society wiederzubeleben, scheiterte am Einspruch Jakobs I. (König 1603–1625)50. Auf ähnliche Weise steht inzwischen außer Frage, dass die häufig in fürstlichen Diensten stehenden Antiquare als Teil einer politischen Kultur reflektieren werden können, deren Strukturbildung sich essentiell auf repräsentative und kommunikative Faktoren stützte51. Insofern besaß die gelehrten Aufarbeitung antiker Artefakte und deren Überführung etwa in architektonische Programme und herrschaftliche Selbstentwürfe – wie im Falle Pirro Ligorios (1513–1583) oder Jacopo Stradas (um 1505/10–1588)52 – keine rein ornamentale Funktion. Vielmehr konvergierte sie mit der Eigenlogik frühneuzeitlicher Vergesellschaftung53. Andere Zugriffsweisen zielten auf die Formierung und Stabilisierung unterschiedlicher Arten der Identitätsbildung

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et senatus consultis liber die Kenntnisse der sozialen Hierarchien des antiken Rom und seines politischen Versammlungswesens zu verfeinern. Vgl. William MCCUAIG, Antonio Agustín and the Reform of the Centuriate Assembly, in: Antonio Agustin between Renaissance and Counter-Reform, hg. von Michael H. CRAWFORD (Warburg Institute Surveys and Texts 24, London 1993) 61–80; Jean-Louis FERRARY, La Genèse du „De legibus et senatus consultis“, in: ebd. 31–60. Christiane KUNST, Römische Tradition und englische Politik. Studien zur Geschichte der Britannienrezeption zwischen William Camden und John Speed (Spudasmata 55, Hildesheim–Zürich et al. 1994) 129–136; vgl. zu analogen Aspekten der französischen Altertumskunde: MILLER, Europe (wie Anm. 8) 76–81. Vgl. grundsätzlich: Rudolf SCHLÖGL, Der frühneuzeitliche Hof als Kommunikationsraum. Interaktionstheoretische Perspektiven der Forschung, in: Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien, hg. von Frank BECKER (Frankfurt am Main–New York 2004) 185–225. SCHREURS, Antikenbild (wie Anm. 8); Volker HEENES, Jacopo Strada – Goldschmied und Maler, Antiken- und Münzhändler, in: Vorwelten (wie Anm. 8) 295–310. Zum repräsentativen Sammlungs- und Ausstattungswesen vgl. Paula FINDLEN, Possessing the Past. The Material World of the Italian Renaissance. American Historical Review 103 (1998) 83–114; Lisa JARDINE, Der Glanz der Renaissance. Ein Zeitalter wird entdeckt, aus dem Engl. übers. von Anne SPIELMANN (München 1999); Laurie FUSCO–Gino CORTI, Lorenzo de’ Medici. Collector and Antiquarian, Cambridge 2006; Gerrit WALTHER, Schöne Freiheit. Motive adligen Interesses für „Antiquitäten“ in der Frühen Neuzeit, in: Vorwelten (wie Anm. 8) 209–225.

422 Jan Marco Sawilla ab. So ließen die Verfasser zumal der an den großen Höfen entstandenen antiquarischen Werke diese häufig als Teil und Ausdrucksform fürstlicher Memorial- und Prestigekultur in Erscheinung treten54. Letztlich bildete Rom zwar lange Zeit den Modellfall und das Zentrum antiquarischer Interessen. Allerdings verbanden sich diese schon sehr früh, wie im oben erwähnten Falle Browers, mit lokal-, stadt- oder staatspatriotischen Tendenzen. In den Landstrichen jenseits Italiens konnte die Herrschaftszeit Roms folglich zum Angelpunkt werden, um sich, je nach historischem Hintergrund, dem jeweils eigenen vor-, nach- oder außerrömischen Altertum zu nähern55. Auf diese Weise assoziierten sich der Antiquarianismus mit protonationalen Formen der Identitätsbildung56, auch wenn dieses über die Frühe Neuzeit hinweg eine vergleichsweise elitäre Angelegenheit geblieben sein dürfte. Die politischen und vergesellschaftenden Implikation antiquarischer Tätigkeiten sollen mit diesen Bemerkungen nicht überzeichnet werden. Schiere Selbstzweckhaftigkeit allerdings wird man bei genauerer Untersuchung kaum je feststellen können. Dies gilt sowohl für die analytische Ebene als auch für die der zeitgenössischen Selbstbeschreibung. Unabhängig von der Notwendigkeit, sich mit diesen – bislang keineswegs erschöpfend untersuchten – Aspekten vertiefend zu befassen, scheint es dabei kaum mehr sinnvoll zu sein, (ereignis-)politische Darstellungsformen und Darstellungsintentionen mit „eigentlicher“ Historiographie und diese wiederum mit 54 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 250–252. 55 Dietrich HAKELBERG–Ingo WIWJORRA, Vorwelten, Vorzeiten und die „Archäologie“ in der Frühen Neuzeit, in: Vorwelten (wie Anm. 8) 15–40, hier 25; PARRY, Trophies (wie Anm. 7) 2; Philip HICKS, Neoclassical History and English Culture. From Clarendon to Hume (Studies in Modern History, Basingstoke 1996) 31–40; SWEET, Antiquaries (wie Anm. 7) 2. Dieser Gesichtspunkt wird von der Renaissanceforschung bisweilen verdeckt, die dazu tendiert, Antiquarianismus epochal zu definieren: STENHOUSE, Inscriptions (wie Anm. 9) 17: „When I use the term ‚antiquarian’ in this book it is to refer to people involved with the material remains of Classical antiquity […].“ Diese Fokussierung hat dazu beigetragen, dass in frühneuzeitlichen Werken, die neben der römischen auch germanische und frühchristliche Zeiträume behandelt hatten, letztere von der Forschung deutlich weniger beachtet worden sind. SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 245–248 mit Anm. 78. 56 Dies ist am Beispiel von nordeuropäischen Gelehrten wie Olof Rudbeck und Ole Worm untersucht worden. Diese hatten Teile ihrer Ausbildung in Italien genossen und nutzten die ihnen bekannt gewordenen Techniken, um die historischen Eigenarten ihrer heimatlichen Regionen zu erkunden und zu propagieren. Bernd HENNINGSEN, Die schwedische Konstruktion einer nordischen Identität durch Olof Rudbeck (Arbeitspapiere „Gemeinschaften“ 9, Berlin 1997); Ole Peter GRELL, In Search of True Knowledge. Ole Worm (1588–1654) and the New Philosophy, in: Making Knowledge in Early Modern Europe. Practices, Objects, and Texts, 1400–1800, hg. von Pamela H. SMITH–Benjamin SCHMIDT (Chicago–London 2007) 214–232.

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politischer Relevanz zu verschränken – und an deren Rückseite den Antiquarianismus zu lokalisieren. Ohnehin könnte grundsätzlich darüber diskutiert werden, ob es angesichts der aktuellen Forschungslage von mehr als nur wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung ist, sich weiter an Details von Momiglianos Überlegungen abzuarbeiten57. Interessanter mag sein, sich über die dynamischen Momente zu verständigen, die mit der wachsenden Erschließung und Aufbereitung historischer Güter in der Frühen Neuzeit einhergingen und welche Konsequenzen sich daraus in epistemologischer Hinsicht ergaben.

III. Die Enteignung der Gegenwartsgeschichte Geschichte zu schreiben, hieß über weite Strecken der Frühen Neuzeit, deutend oder dokumentarisch zeithistorisches Geschehen zu verschriftlichen. Die Historiographen stellten das Material und den Bezugsrahmen bereit, mit deren Hilfe die Nachwelt über die Vorwelt sowie die künftige Nachwelt (posteritas) über die Handlungen der Gegenwart zu urteilen in der Lage sein sollten. Aus Ciceros fünfgliedriger Bestimmung der Rolle der historia (De oratore II,9,36) entsprach dies ihrer Funktion als testis temporum und nuntia vetustatis. Die Historiographen selbst partizipierten – im Idealfall – als Augen- und Ohrenzeugen an dem beschriebenen Geschehen oder nutzten Informationen, die ihnen auf möglichst kurzen Wegen der Vermittlung zugänglich gemacht worden waren58. Sie stützten den Tatsächlichkeitsanspruch ihrer Narration auf diesen Sachverhalt und unterschieden in erkenntnistheoretischer Hinsicht nicht zwischen älteren Historien, die durchaus aufbereitet und fortgesetzt werden konnten, und ihren eigenen Erzeugnissen59. 57 Natürlich beherrschte und benutzte ein Autor wie Biondo auch annalistische Gliederungsformen. HERKLOTZ, Momigliano’s „Ancient History“ (wie Anm. 10) 130; ebenso ist zu bemerken, dass Biondo in der Zusammenschau seiner – keineswegs notorisch nicht-schriftlichen – Materialien durchaus Probleme chronologischer Art löste. In dem Abschnitt, in dem er sich mit der Duplizität im „Brauch, die Körper zu bestatten“ (sepeliendi corpora duplex mos) auseinandergesetzt hatte, hatte er sich beispielsweise der aus christlicher Perspektive ausnehmend bedeutenden Frage zugewandt, wann genau der Übergang von der als älter bewerteten Erdbestattung zu dem „paganen“ Brauch, die Toten einzuäschern, zu verzeichnen gewesen sei. BIONDO, De Roma triumphante (wie Anm. 43) 39f.; vgl. SAWILLA, „Von Todten=Töpffen“ (wie Anm. 45) 488f. Biondo stützte sich in diesem Fall vor allem auf Ciceros De legibus und Plinius’ des Älteren Historia naturalis. Vgl. dazu auch HERKLOTZ, Momigliano’s „Ancient History“ (wie Anm. 10) 136f. 58 SAWILLA, Zeugnis (wie Anm. 19) 314–320. 59 Arno SEIFERT, Cognitio historica. Die Geschichte als Namengeberin der frühneuzeitlichen Empirie (Historische Forschungen 11, Berlin 1976) 23f.

424 Jan Marco Sawilla Um die korrekte Deutung der Ereignisse wurde, was das Eigenbild der Historiographen anbelangte, folglich nicht gestritten. Sie wurde der Nachwelt – „ohne zu urteilen“60 – präsentiert. In gewisser Weise stellte jede Historie, die von einem Zeitgenossen mit hoher Autorität, mit Weisheit, ethischer Integrität und möglichst unvermittelter Kenntnis des Beschriebenen verfasst worden war61, die erste und die letzte Form dar, über einen Ereigniszusammenhang zu berichten; ein Standpunkt, von dem ausgehend etwas hätte gesagt werden können, das – unbenommen allen zeitgenössischen Wissens um die Fragilität dieser Ideale62 – von höherer Wahrhaftigkeit hätte sein können als eine auf derlei Grundlagen errichtete historiographische Darstellung, war jedenfalls nicht vorgesehen. In der Frühen Neuzeit nahm diese Art der Historie verschiedenen Entwicklungen. Auf der einen Seite entfaltete die historia das präsentische Potential, das sich mit ihrem griechischen Wortsinn assoziierte, derart, dass sie über den Bereich der Anschauung politischer und sozialer Ereignisse hinaus zu einer Leitkategorie der frühneuzeitlichen Erkenntnistheorie und Wissenschaftssystematik wurde63. Auf der anderen Seite, und darauf kommt es hier an, scheint die Relevanz der „historiographie de l’instantané“64 seit dem späten Mittelalter keineswegs ab65, sondern eher zugenommen zu haben. 60 So beispielsweise über Leben und Herrschaft Heinrichs IV.: Théodore Agrippa D’AUBIGNÉ, Histoire universelle, 1: Livres 1 et 2, hg. von André THIERRY (Textes littéraires français 293, Genf 1981) 9f.: […] n’estant mon mestier que d’escrire sans juger des actions, comme les praemisses d’un argument, duquel celui qui lit amasse la judicieuse conclusion. 61 SAWILLA, Zeugnis (wie Anm. 19) 321f. 62 Markus VÖLKEL, Clio bei Hofe. Einleitende Überlegungen zum Hof als Produktionsstätte von Geschichtsschreibung, in: Historiographie an europäischen Höfen (16.– 18. Jahrhundert). Studien zum Hof als Produktionsort von Geschichtsschreibung und historischer Repräsentation, hg. von Markus VÖLKEL–Arno STROHMEYER (Zeitschrift für Historische Forschung Beih. 43, Berlin 2009) 9–35, hier 31. 63 SEIFERT, Cognitio historica (wie Anm. 59) 50, 81, 87f., 125–127, und passim. 64 Claude THIRY, Historiographie et actualité (XIVe et XVe siècles), in: Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, 11/1: La litterature historiographique des origines à 1500, hg. von Hans Ulrich GUMBRECHT–Ursula LINK-HEER–Peter-Michael SPANGENBERG (Heidelberg 1987) 1025–1063, hier 1026. 65 Fritz ERNST, Zeitgeschehen und Geschichtsschreibung. Die Welt als Geschichte 17 (1957) 137–189, hier 139–148. An die bei Ernst angelegte Unterscheidung zwischen dokumentarischer „Gegenwartschronistik“ und deutender Zeitgeschichte schließt jetzt an: Ines MAYER, Sprachspiele der Revolution. Zur Geschichte der Historiographie in Deutschland zwischen Revolution und „Realpolitik“ 1789–1848/50 (Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung 33, Münster 2007). Mit dieser Studie wird auch deutlich, dass auf dem Feld des Historiographischen natürlich nur mit einer Verschiebung der Gewichte zu argumentieren ist und kaum mit Ausschlusskategorien. Dies gilt auch für die Ausführungen im Folgenden.

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Politische Memoiren als eine ausnehmend typische Form frühneuzeitlicher (Zeit-)Geschichtsschreibung genossen in adligen Kreisen wachsende Popularität66. Die lockere Fügung der älteren Annalistik wiederum begann sich in der frühneuzeitlichen Chronistik aber auch in den französischen Journaux zu verdichten; ein Prozess, der sich mit dem zunehmenden Gebrauch der Schrift nicht zuletzt auf sich vervielfältigende Trägerschaften stützen konnte67. Aufgrund der primären Adressierung dieser Traditionen an eine zunächst im engeren Umfeld vorgestellte „Nachwelt“ wurden zahlreiche der daraus hervorgehenden Produkte allerdings nicht oder deutlich nach den dargestellten Geschehnissen in den Druck gegeben68. Die Reorganisation der publizistischen Landschaft im Lauf des 17. Jahrhunderts und die 66 Nadine KUPERTY-TSUR, Se dire à la Renaissance. Les mémoires au XVIe siècle (De Pétrarque à Descartes 65, Paris 1997); Hermann KLEBER, Die französischen Mémoires. Geschichte einer literarischen Gattung von den Anfängen bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. (Studienreihe Romania 14, Berlin 1999); Frédéric CHARBONe NEAU, Les silences de l’histoire. Les Mémoires français du XVII siècle (Les collections de la République des Lettres. Études, Laval 2000); La mémoire des guerres de religion. La concurrence des genres historiques. XVIe–XVIIIe siècles. Actes du colloque international de Paris (15–16 novembre 2002), hg. von Jacques BERCHTOLD–Marie-Madeleine FRAGONARD (Cahiers d’Humanisme et Renaissance 79, Genève 2007); zur zeitgenössischen Gattungsdebatte vgl. Emmanuèle LESNE, La poétique des mémoires (1650–1685) (Lumière classique 10, Paris 1996) 27–51. 67 Die Anfänge dieser Entwicklung gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Juliane KÜMMEL, Alltagsweltliche Erfahrung und Formen der volkssprachlichen Historiographie in den spätmittelalterlichen Städten Frankreichs, in: Grundriss (wie Anm. 64) 735–754, hier 742f. Das vielleicht bekannteste frühneuzeitlich Beispiel sind die zunächst handschriftlichen und seit 1621 in zahlreichen Drucken verbreiteten Aufzeichnungen des Pariser Kanzleidieners Pierre de l’Estoile; vgl. Madeleine LAZARD– Gilbert SCHRENCK, Introduction, in: Pierre de L’ESTOILE, Registre-Journal du règne de Henri III, hg. von Madeleine LAZARD–Gilbert SCHRENCK, 1: 1574-1575 (Textes littéraires français 420, Genf 1992) 1–32. Das der Herrschaft Heinrichs IV. geltende Journal wurde allerdings erst im 18. Jahrhundert gedruckt. Fanny MARIN, La fortune éditoriale des „Registres Journaux des règnes de Henri III et Henri IV“ de Pierre de l’Estoile. Nouvelle revue du XVIe siècle 20/2 (2002) 87–108, hier 106. 68 Dazu liegt meines Wissens keine systematische Forschung vor. Weithin vollständig erfasst und systematisch gedruckt wurden etwa die Memoiren erst in der seit dem 18. Jahrhundert verfolgten Collection universelle des mémoires particuliers relatifs à l’histoire de France. Vgl. dazu Marie-Madeleine FRAGONARD, Une mémoire individualisée. Editions et rééditions des acteurs et témoins des guerres, in: La mémoire des guerres (wie Anm. 66) 29–66. Selbst die bereits erwähnte Histoire de mon temps Friedrichs II. wurde erst posthum 1788 gedruckt. Ferdinand SCHWILL, Über das Verhältnis der Texte der „Histoire de mon temps“ Friedrichs des Großen (Freiburg im Breisgau 1892) 5f. Andere Quellenreihen wie die weithin unpublizierte Materialien erschließenden „Chroniken der deutschen Städte“ brechen gerade aufgrund der Fülle frühneuzeitlicher Materialien spätestens mit der Reformation ab.

426 Jan Marco Sawilla schrittweise Verfestigung tagesaktueller Formen von gedruckter Schriftlichkeit – wie etwa den Kriegsjournalen69 – sollten schließlich einen Bruch für diese Tradition bedeuten. Denn die neuen Medien ließen das, was lange Zeit der Inbegriff des Historiographischen gewesen war, an Funktionalität und Sichtbarkeit verlieren. Wurden zeitnah politische oder soziale Ereignisse verschriftlicht, geschah dies nicht mehr, um „Denkwürdigkeiten“ aufzuzeichnen, sondern um „Informationen“ von dezidiert beschränkter Halbwertszeit an ein sich dadurch erst konstituierendes Publikum zu verbreiten70. Dies war Teil jenes gemeinhin als Entstehung der „Öffentlichkeit“ diskutierten Vorgangs, der dazu führte, dass Politik und das Beobachten von Politik sich „gegeneinander ausdifferenziert[en]“71 und die Entfaltung sekundärer Beobachterpositionen zur Voraussetzung für die Tätigung wahrer Aussagen wurde. Vergleichbare Prozesse sind im Zusammenhang mit der Verfestigung des Antiquarianismus festzustellen. Dieser drängte mit seinen Produkten auf publizistische und szientistische Positionen, die von der traditionellen Historie teils geräumt, teils aber auch nie beansprucht worden waren.

IV. Vom Ding zum „Monument“ – Epistemologische Rupturen in der Geschichte der Historia Mit dem Antiquarianismus war es nicht mehr möglich, die Historie als einen sich kontinuierlich fortpflanzenden Traditionszusammenhang zu denken. Bodin hatte noch Gruppen bilden können, in denen sich die Vertreter der Militärgeschichte (in militari disciplina) von Julius Caesar († 44 v. Chr.) 69 Der Prototyp der Kriegsjournale im Alten Reich war der seit 1673 in Nürnberg gedruckte Teutsche kriegs-kurier. Die Gazetten nahmen seit den 1630er Jahren von der sich als offiziöses Organ des französischen Königtums konstituierenden Gazette ihren Ausgang. Sonja SCHULTHEIß-HEINZ, Politik in der europäischen Publizistik. Eine historische Inhaltsanalyse von Zeitungen des 17. Jahrhunderts (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 16, Stuttgart 2004) 42–58. 70 Noch Johann Gustav Droysen schien es möglich zu sein, die Zeitungen des 19. Jahrhunderts als immens verdichtete Form der mittelalterlichen Annalistik und anderer chronographischer Genres der Vormoderne zu begreifen. Der veränderte Status des Verschriftlichten wurde von ihm allerdings nicht in Rechnung gestellt. Johann Gustav DROYSEN, Historik. Die Vorlesungen von 1857 (Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassungen aus den Handschriften), in: Johann Gustac DROYSEN, Historik, 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), hg. von Peter LEYH (Stuttgart–Bad Cannstatt 1977) 1–393, hier 70. 71 Rudolf SCHLÖGL, Politik beobachten. Öffentlichkeit und Medien in der Frühen Neuzeit. Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008) 581–616, Zitat 607.

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bis Guillaume Du Bellay (1491–1543) und jene, die sich religiösen Fragen gewidmet hatten, von Philon von Alexandrien († 45/50 n. Chr.) bis zu den „Magdeburger Centurien“ erstreckt hatten72. Demgegenüber setzte der altertumskundliche Zugriff die Historisierung der in Augenschein genommenen Güter bereits voraus. Dies lag insofern in der Natur der Sache, als solche Produkte Aufmerksamkeit für sich zu beanspruchen begannen, deren genuine Funktion längst erloschen war – wie Münzen oder an ganz andere lebensweltliche Zusammenhänge adressierte kultische Gegenstände – oder die aus einem lebendigen Traditions- und Rezeptionsprozess gerade herausgefallen waren. Der Antiquar kann folglich als ein Typus des frühneuzeitlichen Gelehrten definiert werden, unter dessen Zugriff aus prinzipiell jedem geschichtlichen Gut ein historisches „Monument“ werden konnte, sofern an ihm nur Altertümlichkeit zu haften schien. Dies schloss ebenso komplexe zivilisatorische Artefakte wie die Trajanssäule ein, deren Bildprogramm der Dominikaner Alfonso Chacón (1540–1599) in seiner Historia utriusque belli Dacici a Traiano Caesare gesti von 1576 zu entschlüsseln gesucht hatte73, wie stumpf gewordene Glasscherben oder kleine metallene Objekte mit unklarer Funktion, die man ein gutes Jahrhundert später aus prähistorischen Hügelgräbern des nördlichen Mitteleuropa bergen sollte74. Der Statuswandel der Dinge wiederum vollzog sich nicht von selbst. Er benötigte Kontexte, in denen sich das jeweilige Gut als historisches stabilisieren, in dieser Qualität verstanden werden und mithin neue Funktionen – gelehrte eingeschlossen – erhalten konnte. Ausgehend von dem für die antiquarische Selbstbeschreibung über Jahrhunderte hinweg typischen Zweischritt von Verfall und Rettung, Vergessen und Entbergen75 systematisierte sich auf dieser Basis eine Vielzahl von abbildenden und reproduzieren Verfahren, denen zugleich konservierende Funktionen zugeschrieben werden konnte76; ebenso ist der Antiquarianismus nicht ohne Formen der Exposition und Erläuterung der auf diese 72 73 74 75

BODIN, Methodus (wie Anm. 35) 129a. HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 215f., 222–225. SAWILLA, „Von Todten=Töpffen“ (wie Anm. 45) 481f., 505f. Franz Josef WORSTBROCK, Harmann Schedels „Liber antiquitatum cum epitaphiis et epigrammatibus“. Zur Begründung und Erschließung des historischen Gedächtnisses im deutschen Humanismus, in: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Kolloquium Reisenburg, 4.–7. Januar 1996, hg. von Dietmar PEIL–Michael SCHILLING– Peter STROHSCHNEIDER (Tübingen 1998) 215–243; Susan A. CRANE, Collecting and Historical Consciousness in Early Nineteenth-Century Germany (Ithaca 2000) 38–59. 76 Noch Gottfried Wilhelm Leibniz konnte damit argumentieren, dass eine mittelalterliche Handschrift in ihrer gegenständlichen Dimension an Bedeutung verlieren würde, sobald der Textbestand durch den Druck gesichert sei. SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 320.

428 Jan Marco Sawilla Weise objektivierten Güter vorzustellen. Denn der Anspruch das, was lange Zeit dem Verfall anheim gegeben oder – nach einem häufig anzutreffenden Topos – von „Motten“, „Schaben“ oder „Würmern“ belagert worden sei77, einem anderen Publikum zuzuführen, hätte sich im Diskreten nicht realisieren lassen. Zugleich konnte man nicht eo ipso auf das Verständnis derer rechnen, die mit den „ans Licht gebrachten“78 historischen Gütern konfrontiert wurden. Historizität als Wert zu begreifen, blieb lange Zeit eine vergleichsweise elitäre Angelegenheit. Sie bedurfte der Arbeit am sozialen Konsens. Ein norddeutscher Gelehrter wie der Kieler Mediziner und Antiquar Johann Daniel Major (1634–1693) beispielsweise, der sich Ende des 17. Jahrhunderts darum bemühte, prähistorische Hügel- und Großsteingräber zu ergraben, äußerte sich wiederholt verbittert darüber, dass die einst zur Einfassung von Großsteingräbern benutzten Steine, aber auch andere grab- und denck-steine, einschließlich möglicher Inschriften, von den meisten Leuten entweder ignoriert oder zur Einfriedung von Kirchhöfen, Äckern oder Mistplätzen und zu ähnlichen Zwecken missbraucht würden: Dergleichen höchst-straffbahre thummheit billig so vielmehr zubeklagen stehet, ie kräfftigeren beweiß der Antiquitäten man sonst von solchen denck-steinen, in ermangelung aller anderer Schrifften, zu nehmen hat […]79. Antiquarianismus bedeutete daher nicht nur die Selbstermächtigung einer Gruppe von Gelehrten, die sich als Spezialisten für bestimmte Objektzusammenhänge zu profilieren suchten. Vielmehr kann er auch als Bestreben gedeutet werden, sich um die Sichtbarmachung und Aufwertung einiger in ihrer historischen Konsistenz allererst zu begreifen Teilbereiche von Welt zu bemühen, die von der Gegenwart lange übersehen worden zu sein schien. Die damit assoziierten Vorgänge erfassten auch den Textbestand der handschriftlichen Überlieferung des Mittelalters. Dessen Entwicklung zu einem antiquarischen Gut soll im Folgenden näher in Augenschein genommen werden. Denn diese ist sowohl in wort- und begriffsgeschichtlicher Hinsicht als auch, was die zeitgenössische Programmatik anbelangt, insofern von besonderer Aussagekraft, als sich anhand ihrer verdeutlichen lässt, wie aus der skizzierten Selbstbeschreibung antiquarischen Tuns dynamische Interaktionsformen hervorgehen konnten. 77 André DUCHESNE, Historiae Francorum scriptores coaetanei, 1 (Paris 1636), Praefatio er, bemerkte, dass bereits alle europäischen Völker die sie betreffenden Historiographen gebündelt und im Druck aufbereitet hätten: Sola Francorum gens, etsi gestorum gloria non minus quam nomine ceteris illustrior, praecipuis tamen historiae auctoribus hactenus caruit, qui variis in locis omnino delitescentes, aut in pulvere neglecti, cum tineis et blattis diutissime colluctati sunt. 78 Vgl. unten Anm. 91. 79 Johann Daniel MAJOR, Bevölckertes Cimbrien oder die zwischen der Ost- und West-see gelegene halb-insel Deutschlandes (Plön 1692) 49, 83f.

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Wenn man in der frühen Neuzeit auf die materiellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit im Allgemeinen Bezug nahm, sprach man in der Regel nicht „Quellen“ (fontes) sondern von „Denkmälern“ (monumenta) und „Altertümern“ (antiquitates)80. Dabei scheint es erst im fortgeschrittenen 16. Jahrhundert gebräuchlicher geworden zu sein, Handschriften oder die in ihnen aufgehobenen Texte, möglicherweise orientiert an dem zu dieser Zeit schon länger etablierten Vorbild der Beschreibung der steinernen Überreste81, als „Denkmäler“ zu bezeichnen. Die Humanisten, die vielfach selbst noch als Protagonisten einer durch Handschriftlichkeit geprägten Gelehrsamkeit zu betrachten sind, bezeichneten die von ihnen benutzten Überlieferungsträger daher lange Zeit auch nicht als monumenta oder antiquitates. Vielmehr verwandten sie in der Regel das Eigenwort und sprachen ganz einfach von volumina, libri oder manuscripta82. Hinsichtlich der sie vor allem interessierenden Texte der klassischen Antike und der patristischen Zeit verbanden sich zwar auch bei ihnen die Emphase der Entdeckung mit der Klage über Vergessen und Degeneration. Diese artikulierte sich insbesondere in der bekannten Kritik, die an der vermeintlichen Nachlässigkeit und sprachlichen Inkompetenz monastischer Schreiber geübt wurde83. Allerdings folgte daraus 80 Deutlich später als zumeist vermutet verfestigte sich fons als Bezeichnung für historische Güter erst am Ende des 16. Jahrhunderts und zunächst in einer metaphorischen Redeweise. SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 297f., 305–313, und unten Anm. 91. 81 Norbert WIBIRAL, Ausgewählte Beispiele des Wortgebrauchs von „Monumentum“ und „Denkmal“ bis Winckelmann. Österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege 36 (1982) 93–98, hier 95. 82 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 311–313. 83 In diesem Sinne mehr als konsterniert zeigte sich der päpstliche Schreiber Cencio de’ Rustici, als er zur Zeit des Konstanzer Konzils an seinen Lehrer Francesco da Fiano über einen Besuch in einer St. Galler Bibliothek an der Seite Bartolomeo Aragazzis Bericht erstattete: Sed ubi turrim sacre edis S. Galli contiguam, in qua innumerabiles pene libri utpote captivi detinentur, diligentius vidimus bibliothecamque illam pulvere tineis fuligine ceterisque rebus ad obliterationem librorum pertinentibus obsoletam pollutamque, vehementer collacrimavimus, per hunc modum putantes linguam Latinam maximum ornatum maximamque dignitatem perdidisse. Hec profecto bibliotheca si pro se ipsa loqueretur, magna voce clamaret: ne sinite, viri linguae Latinae amantissimi, me per huiusmodi negligentiam funditus deleri; eripite me ab hoc carcere, in cuius tenebris tantum librorum lumen apparere non potest. Erant in monasterio illo abbas monachique ab omni litterarum cognitione alieni. O barbariem Latine lingue inimicam, o perditissimam hominum colluvionem. Cencio de’Rustici an Francesco da Fiano (1416), in: Ludwig BERTALOT, Cincius Romanus und seine Briefe. Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 21 (1929/1930), 209–255, Nr. 3, 222–225, hier 223f. Englische Übersetzung und Kommentierung: Cincius Romanus to His Most Learned Teacher Franciscus de Fiana, in: Two Renaissance Book Hunters. The Letters of Poggius

430 Jan Marco Sawilla für die Humanisten keineswegs ein Zugriff, der bestrebt gewesen wäre, vorgefundene Textbestände zu sichern und den historischen Prozess der fortlaufenden Modifikation zunächst einmal zu stoppen. Woran ihnen gelegen war, war vielmehr die (mehr oder minder) kontrollierte Schöpfung von Texturen, die sich an einer idealen und als historisch überdeckt vorgestellten Latinität orientierten, welche man in den tradierten Manuskripten gerade nicht mehr erkennen zu können meinte. Auf dieser Basis entwickelte sich die Emendation zu ihrem Leitprinzip. Dieses hatte sich neben einer zumeist sehr überschaubaren Zahl von Handschriften in erster Linie auf die eigene Sprachkompetenz zu stützen. Seit dem späten Mittelalter zogen viele der humanistischen Ausgaben teilweise vehemente Kontroversen darüber nach sich, ob man auf dieser Grundlage wirklich historische Texte erzeugte oder nicht doch einer neuen Art der progredierenden Textverderbnis Vorschub leistete84. Vor diesem Hintergrund konstatierte Michael Giesecke in seiner Arbeit zu den Konsequenzen der Etablierung des Buchdrucks, dass es in der Frühen Neuzeit „zu einer Abwertung der mittelalterlichen Leistungen der skriptographischen Kultur“ insgesamt gekommen sei85. Lisa Jardine wiederum stellte in ihrer Studie zur Sammlungskultur der Renaissance zwar fest, dass neben exklusiven Drucken der Inkunabelzeit auch mittelalterliche Prachthandschriften dazu beigetragen hätten, den exponierten Status ihrer Besitzerinnen und Besitzer zu unterstreichen86. Allerdings meinte auch Jardine ein im Laufe des 16. Jahrhunderts abnehmendes Interesse an diesen Artefakten bemerken zu können: „Es ist unmöglich, den genauen Zeitpunkt auszumachen, zu dem die Handschrift aufhörte, als Liebhaber- und Sammelobjekt begehrenswert zu sein.“87 Aus der hier vertretenen Perspektive scheint jedoch die umgekehrte Frage von Relevanz zu sein, nämlich wann selbst mittelalterliche Gebrauchshandschriften und die in ihnen überlieferten Texte – welcher Art auch immer sie sein mochten – zu Gegenständen der

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Bracciolini to Nicolaus de Niccolis. Translated from the Latin and Annotated by Phyllis Walter GOODHART GORDAN (Records of Civilization. Sources and Studies 91, New York–London 1974) 187–191, Appendix 1. Klara VANEK, Überlieferung und Textverderbnis. Konrad Rittershausens „Monitio de varietate lectionum“ von 1597, in: Übertragungen. Formen und Konzepte von Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Britta BUßMANN–Albrecht HAUSMANN–Annelie KREFT–Cornelia LOGEMANN (Trends in Medieval Philology 5, Berlin–New York 2005) 9–27; Klara VANEK, „Ars corrigendi“ in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte der Textkritik (Historia Hermeneutica. Series Studia 4, Berlin–New York 2007); SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 298–305. Michael GIESECKE, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (Frankfurt am Main 1991) 154. JARDINE, Glanz (wie Anm. 53) 141–185. JARDINE, Glanz (wie Anm. 53) 143.

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„konvergierenden Konzentration von Aufmerksamkeit“88 wurden. Denn solche Güter, die sich alleine aufgrund ihres Materialwerts oder der Kunstfertigkeit, mit der sie hergestellt worden waren, von der Masse des Tradierten abhoben, dürften kaum je unbeachtet geblieben sein. Nach heutiger Kenntnis scheint es eine Generation junger katholischer Gelehrter gewesen zu sein, die ihre Ausbildung essentiell im Rahmen der inzwischen fest etablierten typographischen Kultur genossen hatte, mit der sich der Blick auf die handschriftlichen Traditionen strukturell zu verändern begann89. In diesem Sinn formulierten Zeitgenossen wie Marcus Welser (1558–1614), Heinrich Canisius (1550/60–1610) oder der Jesuit Heribert Rosweyde (1569–1629) seit dem Ende des Jahrhunderts den Anspruch, ein weithin unverändertes typographisches Abbild des Wortbestands möglichst alter Texte erstellen zu wollen90. Dieses Ideal leiteten sie aus der Dignität des Alters, mithin aus der prinzipiellen Hochschätzung des institutionellen Rahmens, innerhalb dessen diese einst entstanden waren – der Klöster –, und der jeweils dargestellten Gegenstände ab. Sie verteidigten es gegen eine Reihe von Stimmen auch innerhalb des eigenen Umfelds, die den Nutzen dieser Art der Aufbereitung jener nun auch kontinuierlich als monumenta beschriebenen historischen – und vor allem genuin mittelalterlichen – Schriften durchaus zu bestreiten gewillt war91. Aufzuhalten war diese Strömung aller88 LUHMANN, Wissenschaft (wie Anm. 23) 24. 89 Grundlegend: Michele C. FERRARI, „Mutare non lubuit“. Die mediävistische Philologie der Jesuiten im frühen 17. Jahrhundert. Filologia mediolatina 8 (2001) 225–248. 90 Es könnte vermutet werden, dass sich dieser Gedanke an der Art, wie es beispielsweise Inschriften zunächst einmal abzubilden galt, orientierte. Allerdings konnten sich auf diesem Feld die einschlägigen Gelehrten auch im fortschreiten 17. Jahrhundert noch darüber beklagen, dass die Zeichner, die mit der Abbildung der Denkmäler beauftragt worden waren, diese kaum je ohne eigene künstlerische Zusätze umzusetzen gewillt waren. HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 234. Insofern scheint das Ideal einer – je nach technischen Möglichkeiten – einfachen Reproduktion eines historischen Guts auf den meisten Feldern nur mit Mühe durchsetzbar gewesen zu sein. 91 In diesem Kontext begann auch der Ausdruck fons sich auf materielle Hinterlassenschaften der Vergangenheit zu beziehen. Vgl. beispielsweise: Historia ab Eugippio ante annos circiter MC scripta. Qua tempora, quae Attilae mortem consequuta sunt, occasione vitae sancti Severini illustrantur. Ex bibliotheca S. Emmerani [!] Reginoburg. Nunc primum edita, cum scholiis [zuerst 1595], in: Marcus WELSER, Opera historica et philologica, sacra et profana (Nürnberg 1682) 629–676, hier die Lektüreanleitung 633f.: Nos adepti amicorum beneficio librum chirographum veterem, ex bibliotheca monasterii S. Emmerani Reginoburgensi, in quo cum plerisq[ue] aliis sanctorum vitis, Severini quoque perscripta erat, gratiam inituros speravimus, apud priscae primum pietatis studiosos, inde apud homines antiquae historiae amantes, quae ex fontibus, non dubium est purius quam ex deductis rivulis hauritur, si auctorem multis laudatum, pluribus expetitum, publico hactenus non visum, primi integrum

432 Jan Marco Sawilla dings nicht. In den Jahrzehnten nach 1600 ist eine sich offenbar sehr schnell vollziehende Umwertung der lange Zeit diskreditierten mittelalterlichen manuscripta zu beobachten. Mit diesen begann sich eine Vorstellung von formaler und inhaltlicher Authentizität zu assoziieren, die die Gelehrten, die sich den Texten der klassischen Antike zugewandt hatten, in den von ihnen konsultierten Handschriften gerade nicht hatten erkennen können. Symptomatisch kann dieser Vorgang an den Titelblättern altertumskundlicher Werke abgelesen werden. Auf diesen entwickelte sich in den Jahrzehnten seit um 1600 neben dem Hinweis auf den exklusiven Status des Produkts (nunc primum editum) das Attribut ex manuscripto zur Signatur dieser Seite der altertumskundlichen Bewegung92. Man könnte nun sagen, dass damit Aspekte angesprochen sind, die in der Tat der Geschichte der Philologie und nicht der der Historiographie zugehörig sind. Entscheidend für letztere ist allerdings, dass auf diese Weise im west- und mitteleuropäischen Maßstab eine Fülle historischer Texte in den Geltungsbereich der Historie gespült wurde93, denen ihre Historizität vulgaremus. Canisius verwies in seiner Widmungsvorrede auf Marcus und Anton Welser († 1618), auf Jacob Gretser (1562–1625) und den Münchener Propst Georg Lauther (um 1562–1610), die sich als „Bewunderer der Altertümer“ (admiratores antiquitatum) um die Bergung und Publikation der – teils durch die „Ungerechtigkeit der Zeiten“, teils „durch die Unachtsamkeit der Menschen“ – in „tiefer Finsternis versunkenen“ historischen Bestände besonders verdient gemacht hätten. Dem Widmungsträger der Antiquae lectiones, dem Regensburger Dompropst Quirin Van Leeuwen, wurde die Eigenschaft zugeschrieben, sich nicht nur an jüngeren Schriften, sondern auch an den „Denkmäler[n] der alten Autoren“ zu erfreuen, die „zu Unrecht so lange“ des Lichts hatten entbehren müssen. Heinrich CANISIUS, Antiquae lectionis tomus primus, in quo XVI antiqua monumenta ad historiam mediae aetatis illustrandam nunquam edita continentur (Ingolstadt 1601), Dedikationsepistel (unpag.), (2r–v): Mihi quidem omnia huiusmodi, quantumvis pretiosae antiquitatis, sordent prae monumentis ingeniorum, illisque libris, qui iniquitate temporum, an incuria hominum dicam, sepulti iacebant, e latebris tandem eruuntur et in publicum prodeunt. Unde gratiae, quae habendae sunt ipsis auctoribus, qui rerum memoriam scriptis suis consignarunt, eaedem merito debentur iis, qui eiuscemodi libros, altis tenebris immersos, in lucem vindicant et restituunt. Inter quos eminent hodie Marcus Velserus II. vir Augustanus, reconditae eruditionis laude notissimus, eiusque germanus Antonius Velserus, vir sine ambitione doctissimus; et, quem honoris causa nomino, Georgius Lautherius, praepositus ad D. Virginem Monachii, in omni disciplinarum genere versatissimus. Addo Jacobum Gretserum Societatis Jesu theologum, virum magnae eruditionis et memoriae. Horum enim beneficio et humanitate manu scriptos codices e variis bibliothecis nacti hos auctores in publicum proferimus, nunquam antehac editos, vel certe iam auctiores. 92 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 317–319. 93 Die schloss Fälschungen oder sich nur vermeintlich auf handschriftliche Funde stützende Reproduktionen älterer Drucke mit ein. CASPARY, Späthumanismus (wie

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auch angesehen werden sollte und die es den sich dafür begeisternden Gelehrten gestattete, die in der Gegenwart kursierenden historischen Kenntnisse gleichsam vom Kopf auf die Beine zu stellen. Genauer gesagt wurde damit – ohne dass es von jemand intendiert oder als Programm ausgegeben worden wäre – die Möglichkeit geschaffen, eigene Funde oder Entdeckungen mit dem abzugleichen, was von anderen publiziert und in Einleitungen, Hinführungen oder Anmerkungen erschließend kommentiert worden war. Der Antiquarianismus und die von ihm konventionalisierten Zugriffsweisen mündeten also nicht nur in eine Bewegung der Abgleichung, der Zusammenschau und der rekonstruierenden Aufarbeitung dessen, was als Vergangenheit an Breite und Heterogenität gewann. Vielmehr vollzog er diese Bewegung auch kontinuierlich selbst. Dies kann als das methodische Zentrum des Antiquarianismus beschrieben werden. Er stellte materielle Modifikationsprozesse an tradierten oder überkommenen Gütern still und setzte mit deren Hilfe das historische Wissen der Zeit in Bewegung. Dass es in diesem Zusammenhang zu allerlei Aufruhr kam, lag vielleicht in der Natur der Sache. Ein Verlust an Kenntnissen ging damit allerdings keineswegs einher. Dies soll abschließend anhand eines prominenten Fallbeispiels vertieft werden.

V. Jenseits des Skeptizismus? Verwerfungen im Aufbau historischen Wissens Die für die Historiographiegeschichte lange Zeit wichtigste Interpretation Momiglianos war seine Annahme, dass der Antiquarianismus auf die Impulse reagiert hätte, mit denen die Vertreter des Cartesianismus und historischen Skeptizismus die Glaubwürdigkeit der historischen Traditionen an und für sich problematisiert hätten94. Auch diese Lesart wird von der engeren Fachdebatte heute nicht mehr geteilt. Abgesehen davon, dass die antiquarische Bewegung gegenüber dem sich erst seit den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts systematisierenden historischen Skeptizismus als vorgängig zu betrachten ist, entsprach es, so Ingo Herklotz, keineswegs den altertumskundlichen Gepflogenheiten, die vermeintlich unglaubwürdig gewordene literarische Überlieferung gegen die angeblich höhere Glaubwürdigkeit der Realien Anm. 8) 211; Jean-Louis QUANTIN, Combat doctrinal et chasse à l’inédit au XVIIe siècle. Vignier, Quesnel et les sept livres contre Fauste de Fulgence de Ruspe. Revue des Études Augustiniennes 44 (1998) 269–297; Jean-Louis QUANTIN, Jérôme Vignier (1606–1661). Critique et faussaire janséniste? Bibliothèque de l’École des chartes 156 (1998) 451–479. 94 MOMIGLIANO, Geschichte (wie Anm. 10) 12–25; diese Interpretation bereits auf breiter Basis ausgearbeitet bei: HAZARD, Crise (wie Anm. 40) 37–56.

434 Jan Marco Sawilla auszuspielen. Dies war eines der zentralen Argumente Momiglianos gewesen, um die Emergenz altertumskundlicher Interessenfelder zu erklären95. Auch wies Markus Völkel unlängst darauf hin, dass nicht überall dort, wo man auf Fragen der historischen Wahrhaftigkeit und deren Problematik zu sprechen kam, skeptisches Gedankengut die Aussagen diktierte. Grundsätzlich, so Völkel, könne ohnehin festgehalten werden, dass der Antiquarianismus „niemals die Antwort auf Fragen gewesen ist, die die Zweifler an die Texte stellten.“96 Möglicherweise könnten die antiquarischen Gelehrten allerdings Fragen aufgeworfen, Probleme isoliert und Erkenntnisse erarbeitet haben, die später dazu beitrugen, skeptischem Gedankengut empirisch Rückhalt zu verleihen. Mit dieser Vermutung würde der traditionelle ideen- und geistesgeschichtliche Primat des Theoretischen ebenfalls derart invertiert, dass in Rechnung gestellt würde, dass bestimmte Probleme erst abstrakt formulierbar und in ihrer Brisanz erkennbar wurden, nachdem ihnen aus der empirischen Praxis heraus ein differenziertes Fundament verliehen worden war. Im Gestus mag es im 17. Jahrhundert zweifellos noch Aufsehen erregt haben, wenn ein Autor wie François La Mothe Le Vayer (1588–1672) in seinem Essay Du peu de certitude qu’il y a dans l’histoire von 1668 zu bedenken gab, ob Troja von den Griechen wirklich erobert worden sei und bezweifelte, dass es Helena, mit Herodot, nach ihrem Raub durch Paris nach Ägypten verschlagen habe97. Auf dem Gebiet des Altertumskundlichen allerdings gewöhnte man sich nahezu zeitgleich daran, historische Probleme von ganz anderer Reichweite und auf Grundlagen in Angriff zu nehmen, deren Lösung mehr als nur auf ein allgemeines Plausibilitätsempfinden abzielte. Als Modellfall des historischen Skeptizismus galten und gelten in ideen- und historiographiegeschichtlichen Zusammenhängen lange Zeit die Ausführungen, mit denen der Jesuit und Bollandist Daniel Papebroch (1628– 1714) 1675 im Rahmen seiner Arbeit an den Acta sanctorum die Authentizität zahlreicher merowingerzeitlicher Diplome in Abrede gestellt hatte. Genau genommen hatte Papebroch eine Bemerkung John Marshams (1602–1685) bestätigend aufgriffen, der zwanzig Jahre zuvor bemerkt hatte, dass Urkunden umso weniger Vertrauen entgegengebracht werden könne, je älter sie zu sein beanspruchten. Diese Aussage kam mit Papebrochs eigenen Beobachtungen zur Deckung. Er hatte, nach eigenem Dafürhalten, festgestellt, dass sämtliche vor Dagobert I. († 639) und die meisten der seit dessen Herrschaft 95 HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 233. 96 VÖLKEL, Pyrrhonismus (wie Anm. 10) 184–188, Zitat 187; vgl. auch HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo (wie Anm. 8) 232f.; HERKLOTZ, Momigliano’s „Ancient History“ (wie Anm. 10) 137f. 97 François LA MOTHE LE VAYER, Du peu de certitude qu’il y a dans l’histoire, in: François LA MOTHE LE VAYER, Œuvres, 13 (Paris 1669) 409–448, hier 420f.

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ausgestellten Diplome als Fälschungen zu qualifizieren seien98. Dies war Anlass genug, dass bereits Friedrich Meinecke (1862–1954) Papebroch einen „hemmungslosen […] Skeptizismus“99 konzedierte. Sergio Bertelli sprach von einem aus Ordensstreitigkeiten erwachsenen und in diesem Sinne „akritischen, polemischen Exzess“ („eccesso polemico, acritico“)100. Peter Burke wiederum ging von einer zu dieser Zeit fast habituell gewordenen Tendenz aus, die Glaubwürdigkeit tradierter Güter zu in Frage zu stellen, „following Descartes and his systematic doubt“ 101. Unabhängig davon, dass selbst nach gegenwärtiger Kenntnis aus der Zeit vor Dagobert I. lediglich zwei ohne Vorbehalte als echt zu qualifizierende Diplome existieren102, war der Aufbau, der Papebrochs Äußerungen ermöglicht hatte, deutlich komplizierter. Es ist ein Kennzeichen dieser Art der fortgeschrittenen altertumskundlichen Kultur, dass die Gelehrten nicht nur die Ergebnisse ihrer Studien präsentierten, sondern den Weg, auf dem sie zu diesen Ergebnissen gelangt waren, mit zur Darstellung brachten. Das 98 Daniel PAPEBROCH, Propylaeum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis. Pars prima: De veterum fundationum, donationum, privilegiorum instrumentis discernendis, in: AASS Aprilis, 2 (Antwerpen 1675; neue Edition Paris 1866) I–XXXIII, hier XXXb: Porro hactenus deducta considerans, et in tot Francorum regno nullam omnino chartam sinceram ac genuinam reperiens ante regnum primi Dagoberti; paucissimas item sub illo atque post illum, usque ad secundae stirpis reges scriptas haberi, quae vel autographae dici possent, vel ex autographo fideliter desumptae: vehementer laudo monitum Joannis Marshami, heterodoxi quidem circa religionem, sed a monachis reque monastica minime alieni, datum in propylaeo ad Monasticum Anglicanum: „Caute intuendae sunt istiusmodi chartae: quae fidem habent eo minorem quo maiorem praeferunt antiquitatem. Rudis olim et iners gens nostra (de Anglo-Saxonibus et de communiori usu loquitur)‚ absque scripto donationes conferre solebat. Ex Beda sane non constat scripturam adhuc illius aetate in transferendis praediis aut concedendis privilegiis usurpatam fuisse.“ Vgl. John MARSHAM, ȆȇȅȆȊȁǹǿȅȃ, in: Roger DODSWORTH–William DUGDALE, Monasticon Anglicanum, sive Pandectae coenobiorum Benedictorum, Cluniacensium, Cisterciensium, Carthusianorum (London 1655) d2r. 99 Friedrich MEINECKE, Die Entstehung des Historismus, 1: Vorstufen der Aufklärungshistorie (München–Berlin 1936) 38. 100 Sergio BERTELLI, Ribelli, libertini e ortodossi nella storiografia barocca (Biblioteca di storia 6, Firenze 1973) 332. 101 Peter BURKE, Two Crises of Historical Consciousness. Storia della storiografia 33 (1998) 3–16, hier 5f., 8. 102 D Merov. 22 und 28: MGH DD Merov., Teil 1, hg. von Theo KÖLZER (Hannover 2001) 63f., 76f. Für die Zeit Dagoberts I. sind ebenfalls nur zwei echte Diplome zu verzeichnen. D Merov. 32 und 41, ebd., 88f., 108–110. Die Lebensdaten der Merowinger entsprechen im Folgenden den Angaben von Margarete WEIDEMANN, Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert. Francia 25/1 (1998) 177– 230.

436 Jan Marco Sawilla schloss die Auseinandersetzung mit den Stimmen anderer Gelehrter und den jeweiligen historischen Gütern, auf die man sich bezogen hatte, ein. Papebrochs Argumente sind hier nicht im Detail nachzuzeichnen103. Es genügt, darauf zu hinzuweisen, dass er zunächst an die stark verfeinerte Chronologie der Herrschaftsdaten der Merowingerkönige anschließen konnte, die nicht zuletzt unter Beteiligung eines weiteren Bollandisten, Gottfried Henschen (1601–1681), seit Beginn des 17. Jahrhunderts erarbeitet worden war. Im Zuge der Arbeit an den Acta sanctorum hatte sich Henschen anlässlich der historischen Kommentare zu den als Heiligen verehrten Königen Gunthram († 592/93) und Sigibert III. († 656/57) intensiv mit der Genealogie der Merowinger befasst. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit standen die Konsequenzen, die sich aus der Tatsache ergaben, dass Sigibert III. einen – schon vor Henschen bekannten – Sohn mit Namen Dagobert besessen habe, der im Zuge des sogenannten Staatsstreichs des Hausmeiers Grimoald († um 662) im Jahr 656 und der Inthronisation von Grimoalds Sohn als Childebert (adoptivus) (III.) († um 662) zum Mönch geschoren und durch Bischof Dido (Desiderius) von Poitiers nach Irland verbracht worden war. Was von der Historiographie – von Cesare Baronio (1538–1607) über Aubert Le Mire (1573–1640) und Jacques Sirmond (1559–1651) – bis dahin allerdings noch nicht erschlossen worden war, war die Tatsache, dass Dagobert aus seinem Exil zurückgekehrt und für eine gewisse Zeit – nach heutiger Kenntnis zwischen 676 und 679 – in Austrasien regiert hatte. Diese nach 1655 sowohl von Henschen als auch von dem französischen Historiographen Adrien Valois (1607–1692) für sich beanspruchte „Entdeckung“ stützte sich auf einige Bemerkungen aus den Gesta pontificum Anglorum des William von Malmesbury († kurz nach 1142) und der Vita der Hl. Sadalberga (Salaberga) († 665/70)104. Da die frühmittelalterlichen Herrscher natürlich nur mit ihrem 103 Vgl. SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 632–673. 104 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 633–641; Gottfried HENSCHEN, De tribus Dagobertis Francorum regibus diatriba (Antwerpen 1655), Dedikationsepistel á3v: „De Hibernia Dagobertus“, uti Willelmus Malmesburiensis lib. 3 de gestis Pontif. Angl. auctor est, ad S. Wilfridum archiepiscopum Eboracensem „venit“, qui eum „hospitio recepit, et equis sociisque adiutum, patriae remisit“. Ibi ille in paterni regi est portionem a Childerico patrueli suo, Chlodovei II filio, admissus. Ebd. ér-v: Redivivus itidem adest Dagobertus [II.], nullius egens ad splendorem sepulchralis apparatus, cuius sumptu constructa tot olim ampla et operosa templorum ac monasteriorum extant etiamnum, ad gloriam eius sempiternam, aedificia. Huius a me nomen, et (si fas ita loqui) regnum refossum est: non, ut Childerici, ex ruinosae domus disiectis fundamentis, sed ex sanctorum actis, Wilfridi praesertim ac Salabergae abbatissae. Illi nempe anno DCLXXX, „Episcopatum Strateburgensem“, quem tu nunc, serenissime princeps, feliciter administras obtulit „Dagobertus [II.] rex Transrhenanorum Francorum“. Idemque, ut in sanctae Salabergae Actis narratur, adversus Theodericum [III.] regem in Austrasiae Burgundiaeque finibus bellum

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Namen geurkundet hatten und aus der zeitgenössischen Historiographie, die Heiligenviten eingeschlossen, nur eine relative, nicht allerdings eine in Jahreszahlen fixierte Chronologie ihrer Abfolge zu entnehmen war, handelte es sich um Informationen, die in Abwägung der unterschiedlichen Materialien rekonstruiert werden mussten. Die chronologischen Verschiebungen, die aus der Existenz des zweiten Dagobert erwuchsen und namentlich Henschens Bemühungen, zugleich das Spektrum der in diesem Kontext nachweisbaren heiligen Äbtissinnen neu zu ordnen, führten mittelbar zu Papebrochs Untersuchungen zur Diplomatik. Vermutlich auch im Bestreben, seine Funde aufzuwerten, suchte Henschen zu belegen, dass die Hl. Irmina von Oeren († nach 706, vor 709), die – heute von Teilen der Forschung als Irminas Tochter betrachtete – Hl. Adela von Pfalzel († um 735) und vielleicht auch deren Schwestern Regentrudis und Chrodelindis als die Töchter des neu entdeckten Dagobert II. gelten könnten. Hingegen sei die Hl. Modesta († nach 659) nicht als Schwester Irminas und Äbtissin von Oeren, sondern als Äbtissin von Remiremont zu bewerten105. In der Literatur vor Henschen waren beispielsweise Irmina, gessit. Adrien VALOIS, Rerum Francicarum tomus II (Paris 1658), Praefatio (unpag.) [35 = aar]: Quibus ex duorum auctorum locis inter se collatis collegi, Dagobertum Sigiberti iunioris Austrasiorum regis filium tonsum quidem a Grimoaldo maiore domus regiae post patris sui mortem, et parvulum in Hibernam seu Scotiam maiorem per Didonem Pictauorum episcopum deportatum fuisse: sed postea (quod hactenus scierat, hactenus scripserat nemo) in regnum patrium revocatum restitutumque esse a Vulfoaldo praefecto palatii domum […]. 105 Gottfried HENSCHEN, Exegesis praeliminaris secunda de genealogico stemmate regum Francorum primae stirpis per tres Dagobertos deducendo, in: AASS Martii, 3 (Antwerpen 1668) XII–XXIV. Tafel: Stemma genealogicum, XIII, XXI: Nunc ad Dagoberti nostri II filias transitus fiat. Rathildem sive Rotildim, Regentrudem nominant aliqui, communi quidem errore ad Dagobertum I, vel etiam ad puerum sive III delati, quia secundum ignorabant: sed quas huius fuisse oportuit, si fuerunt alicuius Dagoberti. Mit Blick auf seine Diatriba von 1655 bemerkte er: […] nominanda imprimis nobis est sancta Irmina: quam tam illustribus argumentis probauimus esse ex II. Dagoberto prognatam […]. Interim fidenter asserimus Modestam, non Horreensem, sed Auendensem abbatissam, maiori longe errore dici sanctae Irminae sororem: […]. Ibidem […] probavimus Dagoberti nostri filiam fuisse Adelam […]. Irmina gilt insgesamt nicht mehr als Königstochter; zur heutigen Kenntnislage vgl. Matthias WERNER, Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger. Die Verwandtschaft Irminas von Oeren und Adelas von Pfalzel. Personengeschichtliche Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Führungsschicht im Maas-Mosel-Gebiet (Vorträge und Forschungen Sonderbd. 28, Sigmaringen 1982) 26f., 38, 171–175; Eduard HLAWITSCHKA, Zu den Grundlagen des Aufstiegs der Karolinger. Beschäftigung mit zwei Büchern von Matthias Werner. Rheinische Vierteljahrsblätter 49 (1985), 1–61, bes. 12–28.; Dieter VON DER NAHMER, Adela von Pfalzel, in: Lexikon des Mittelalters, 1 (1980) 143; Hans Hubert ANTON, Irmina, in: ebd. 5 (1991) 662.

438 Jan Marco Sawilla Adela und Chrodelindis von dem Jesuiten Jodocus Coccius (1581–1622) in dessen Dagobertus rex Argentinensis episcopatus fundator von 1623 als Töchter Dagoberts I. und seiner zweiten Gattin Nanthildis († 642) apostrophiert worden106. Johannes Trithemius (1462–1516) und Kaspar Brusch (1518–1557) galt Irmina als Tochter Dagoberts II. und erste Äbtissin von Oeren, auf welche die Hl. Modesta, die Nichte des Trierer Bischof Modoald (Bischof nach 614–vor 646/47) nachgefolgt sei107. Valois hingegen vertrat sowohl gegen diese Autoren als auch gegen Henschen die Auffassung, dass keine der besagten Frauen als Tochter irgendeines merowingischen Königs zu bewerten sei. Die Personen Adela und Chrodelindis galten ihm sogar als fiktiv. In der Distanzierung von Browers Antiquitatum et annalium Trevirensium libri XXV qualifizierte Valois zudem die von diesem angenommene Stiftung des Klosters St. Marien in Oeren durch Dagobert I. unter Bischof Modoald als fabulös und das mögliche Abbatiat Modestas und Irminas als erfunden108. Diese Äußerungen Henschens und Valois’ blieben keineswegs unbeachtet. Sie riefen die Widerrede des Trierer Jesuiten Jacob Masen (1606–1681) auf den Plan. Masen hatte 1670/71 die erste offiziöse Version von Browers Antiquitates publiziert, ergänzt um einen Anhang mit Notae et additamenta 109. 106 Jodocus COCCIUS, Dagobertus rex Argentinensis episcopatus fundator (Molsheim 1623) 112, zum Tod Dagoberts I.: […] qui Anno regni XIIX. [! = XXII] Christi DCXLIV. vitam turpissimam pari exitu terminavit. At secundioribus fere astris tergeminam prolem, etsi minus legitimam, Nanthildis alter enixa est. Irminam, Adelam, Rothildam. Irmina, maxima Dagoberti voluntate […]. 107 Kaspar BRUSCH, Monasteriorum Germaniae praecipuorum ac maxime illustrium centuria prima (Ingolstadt 1551) 75v: Horreum Treverense […]. Eius loci abbatissarum ac gubernatricium talis extat Treveri Catalogus. Ebd. 76r: 1. Sancta Irmina Dagoberti [I] filia, fundatrix et gubernatrix prima coeobii sui, centumque monialium laudabilis abbatissa […]. 2. Sancta Modesta sancti Willibrordi archiepiscopi Ultraiectini soror [!], et sancti Modowaldi Trevirorum episcopi e sorore neptis, alumna prius Montis Romarici monialium antiquissimi coenobii: […]. Johannes TRITHEMIUS, Compendium sive Breviarium primi voluminis chronicorum sive annalium, in: Johannes TRITHEMIUS, Primae partis opera historica, quotquot hactenus reperiri potuerunt, omnia (Frankfurt am Main 1601) 1–63, hier 53: ¢marginal: Sancta Irmina fit prima abbatissa in Horreo Treverensi […].² Irmina virgo sanctissimae conversationis, una ex filiabus regis Dagoberti [II.] fuit […]. Huic pater adhuc vivens in urbe Trevirorum, in palatio suo antiquissimo, quod Horreum vocabatur, monasterium puellarum sub regula sancti Benedicti, ecclesiam in honorem beatae Mariae semper virginis construxit […]. Huic Irminae in regimine sanctimonialium coenobii memorati successit Modesta, coenobii Romarici alumna, et filia sororis beati Modoaldi, archiepiscopi Trevirorum […]: quae inter sanctos omnes sunt relatae. 108 Adrien VALOIS, Rerum Francicarum tomus tres (Paris 1658) 131. 109 Christoph BROWER–Jacob MASEN, Antiquitatum et annalium Trevirensium libri XXV, 1 (Lüttich 1671). Notae et additamenta reverendi patris Jacobi Masenii Societatis Jesu,

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Gegen Valois’ Verwerfung des gesamten Datenstands und Henschens Qualifikation der Irmina als Tochter Dagoberts II. könne, so Masen, mit den in ubris ac dioecesanis archivis vorhandenen Materialien variisque scriptorum monumentis Irminas Abkunft von Dagobert I. ohne weiteres erwiesen werden110. Im Zentrum seiner Argumentation stand, wie man heute weiß, jene diplomatische Fälschung aus dem ersten Viertel des 12. Jahrhunderts, mit der man seinerzeit König Dagobert, im zweiten Jahr seiner Herrschaft und im Jahr des Herrn 646, verschiedene Besitzungen dem von seiner Tochter Irmina gegründeten Kloster Oeren (ab Irmina filia nostra constructo) hatte übereignen und ihr Dotalgut hatte bestätigten lassen111. Masen reproduzierte dieses Pseudodiplom zur Gänze. Zuvor war es, wie er sagte, von ihm und anderen eiusdem saeculi diplomatum exploratores gnari insbesondere aufgrund des paläographischen Befunds als authentisch erkannt worden112. Dies war der Stand der Diskussion, den Papebroch mit seinem 1675 publizierten Traktat Propylaeum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis grundlegend modifizieren sollte. Dass das Jahr 646 als das Datum der Urkunde problematisch war, war allen an der Diskussion Beteiligten bewusst. In der Historiographie des 17. Jahrhunderts war man lange davon ausgegangen, dass Dagobert I. 644 verschieden war; dieses Datum sollte Charles Le Cointe 1668 innerhalb ebd. 573–626. Brower hatte seine Antiquitates bereits in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts fertiggestellt. Nach einigen kirchenpolitischen Verwicklungen war die 1626 in Köln angelaufene Drucklegung zwar unterbrochen worden. Dies hatte es allerdings nicht verhindert, dass noch vor Masens Ausgabe einige der bereits gedruckten Bände in Umlauf geraten waren und auch zitiert wurden. BENZ, Tradition (wie Anm. 17) 205–207. 110 BROWER–MASEN, Antiquitates Trevirenses (wie Anm. 109) Notae et additamenta XIII, Annotatio 607a. 111 BROWER–MASEN, Antiquitates Trevirenses (wie Anm. 109) Notae et additamenta XIII, Annotatio 607b: Ita habet. „In nomine sanctae et individuae Trinitatis. Dagobertus“ […]. Sequitur deinde: „Actum anno DC. XLVI. incarnationis Dominicae, Indictione IV. Sept. Kal. Sept. anno regni domini Dagoberti II. Treviris in Domini nomine feliciter. Amen.“ Es handelt sich um D Merov. †65: MGH DD Merov., 1 (wie Anm. 102) 165f. Theo KÖLZER, [Einleitung], in: ebd. 163f., hier 163, zählt MASEN irrtümlich und mit unrichtiger Wiedergabe des Datums zu jenen Zeitgenossen, die diese Urkunde Dagobert II. zugeschrieben hätten. 112 BROWER–MASEN, Antiquitates Trevirenses (wie Anm. 109) Notae et additamenta XIII, Annotatio 607a: […] tamen ipsae nobis fundationis literae, quas ex archivio monasterii depromptas accepi transcripsique, icone etiam signoque Dagoberti regis, probe ad aliorum similium authenticorum diplomatum formam scripturamque collatis, luculentissimum hac in re testimonium relinquunt. Quod alii eiusdem saeculi diplomatum exploratores gnari, statim, ut solos conspexere, absque signis literarum, ductus, Gothico more formatos, uncialibusque in principio et fine characteribus insignitum, repente Dagobertinum esse diploma pronuntiarunt.

440 Jan Marco Sawilla seiner Annales ecclesiastici Francorum auf dann für die folgenden Jahrhunderte maßgebliche Weise auf 638 korrigieren113. Mit dem Datum des Diploms konnte allerdings beides nicht in Einklang gebracht werden. Das war auch Masen nicht entgangen. Er vermutete, dass es sich um einen unzulänglichen Zusatz späterer Zeiten handelte114. Papebroch hielt diese Interpretation für unplausibel. Er beschäftigte sich zum einen mit den in der Urkunde genannten Personen und namentlich mit der Lebenszeit der Hl. Irmina und Hl. Adela. Er verglich verschiedene diplomatische und hagiographischer Zeugnisse, in denen beide jenseits des besagten Pseudodiploms in Erscheinung getreten waren. Dies brachte ihn zu dem Schluss, dass Irmina bis wenigstens 708 und Adela bis wenigstens ins Jahr 731 und nicht nur, wie von Masen exponiert, bis 720 gelebt habe. Falls Irmina und Adela als Töchter Dagoberts I. zu qualifizieren seien, würde dies also bedeuten, dass sie eine ungewöhnlich lange Lebenszeit genossen hätten. Zudem gab er zu bedenken, dass das Testament der Hl. Adela Pfalzel als eine Erwerbung aus dem ehemaligen Besitz des Hausmeiers Pippin auswies. Sollte dieser Pippin mit Masen als Hausmeier Dagoberts I. – und also als Pippin I. – gedeutet werden, dann müsse, so Papebroch, angenommen werden, dass dieses geschah, als die laut Masen 636 geborene Adela höchstens vier oder fünf Jahre alt gewesen sei115. Neben diesen Frage nach chronologischer Plausibilität und Stimmigkeit widmete sich Papebroch zum anderen, und darauf kommt es hier an, dem diplomatischen Formelschatz. Methodisch konnte er dabei an die Überlegungen seines Ordensbruders Coccius anschließen. In dem Streit, der in den 1620er Jahren zwischen dem Trierer Erzbischof und der Abtei St. Maximin um die Besitzrechte an diesem Kloster entbrannt war116, hatte Coccius 1623 auf der Seite der Abtei den Versuch unternommen, ihre althergebrachte Reichsunmittelbarkeit zu belegen. Im Zuge dessen hatte er einige der Diplome Dagoberts I. als Fälschungen gekennzeichnet, in denen der Status, die Privilegien und Besitzstände des Klosters als von Bischof Modoald verliehen oder als von diesem bestätigt in Erscheinung traten. Mit Blick auf ein vermeintlich 643 ausgestelltes Diplom begründete Coccius seine Diagnosen zwar in erster Linie mit den chronologischen Inkonsistenzen, die den Personen- und Datenstand dieser Urkunde, auch im Vergleich mit anderen vermeintlich von Dagobert I. herrührenden Diplomen und gemessen an 113 Charles LE COINTE, Annales ecclesiastici Francorum, 3 (Paris 1668) 42 Nr. 1, ad annum 638; zu den Grundlagen der Errechnung SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 650–653. 114 BROWER–MASEN, Antiquitates Trevirenses (wie Anm. 109) Notae et additamenta XIII, Annotatio 607b. 115 SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 654–656. 116 BENZ, Tradition (wie Anm. 17) 613f.

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Baronios Annales ecclesiastici, auszeichneten117. Allerdings argumentierte Coccius auch mit Aspekten des Formulars. So sei in der Zeit vor Karl dem Großen die in diesem Diplom vorzufindende Datierung nach dem Annus incarnationis Domini unter den Merowingern ebenso unüblich gewesen wie, nach Ansicht Coccius’, die Nennung des Titels eines Dagobertus rex anstelle des bloßen Namens und Monogramms118. Damit war ein Hebel gefunden, mit dem man auf effiziente Weise in einem ersten groben Schritt flächendeckend Fälschungen von echten Diplomen unterscheiden konnte. Papebroch bildete aus den ihm bekannten Diplomen verschiedene Serien. Da er selbst keine Möglichkeit hatte, problemlos auf Originale zurückzugreifen, beruhte dieser Zugriff darauf, dass zu seiner Zeit zahlreiche Diplome bereits in gedruckter Form vorlagen. Von Coccius und Masen abgesehen konnte er sich unter anderem auf die Histoire de l’abbaye de Sainct-Denys en France des Benediktiners Jacob Doublet (1560–1648) von 1625 stützen, auf Le Mires Diplomatum Belgicorum libri duo von 1628, auf die Defensio abbatiae imperialis S. Maximini des Syndikus der Abtei St. Maximin Nikolaus Zillesius von 1638, in der die Monogramme und Siegel mit abgebildet worden waren, auf die ebenfalls zahlreiche realienkundliche Reproduktionen enthaltende Italia sacra Ferdinando Ughellis (1597–1670) oder Ferdinand von Fürstenbergs (1626–1683) Monumenta Paderbornensia von 1669. Auf dieser Basis erkannte Papebroch bei117 COCCIUS, Dagobertus (wie Anm. 106). Pars secunda, caput primum, sectio secunda: Diploma Dagobertinum praetensum refutatur, 57–71. Es handelte sich um D Merov. †33: MGH DD Merov., 1 (wie Anm. 102) 91f. Die Datierung auf das Jahr 643 scheint nur in den frühneuzeitlichen Abschriften und Drucken dieser Urkunde enthalten zu sein. KÖLZER [Einleitung], in: ebd. 89–91, hier 90. Die Konzentration auf die diplomatischen Diskussionen nach Papebroch lassen diese früheren Gelehrten bisweilen in den Hintergrund treten. Folglich greift Kölzers Einschätzung zu kurz: „D †33 wurde schon von Mabillon, De re diplomatica […], als Fälschung erkannt.“ Aus historiographiegeschichtlicher Sicht ist dies deswegen von Nachteil, weil der keineswegs abrupt erfolgende Aufbau einschlägiger Debatten dadurch in den Hintergrund tritt. 118 COCCIUS, Dagobertus (wie Anm. 106) 61: Plura alia indicia deprehenduntur in praetenso dicto Dagobertino, quae plane demonstrant illud tale, quale exhibetur nunquam fuisse, et proinde omnem ille fidem denegandam. Primo, quia ponitur in illo annus incarnationis Domini, sed manifeste constat ex historia, Dagoberti aetate et multo post, usque ad Caroli M. tempora, expeditas non fuisse a regibus Francorum litteras, adscriptis incarnationis Domini annis. […] Secundo, quia nomen Dagoberti in praetenso diplomate habetur ad longum exscriptum, hoc modo, „Dagobertus rex“, cum tamen certum sit ea aetate, et centenis etiam annis post, nullius imperatoris vel regis nomen ad longum ullo in diplomate scribi solitum, sed tantum characterismo quodam, et nota eius regis, qui rescribebat, insigniri, cum huiusmodi epigraphe, signum Dagoberti, Pipini, Caroli etc. regis.

442 Jan Marco Sawilla spielsweise, um hier nur diesen Aspekt zu nennen, dass die Invocatio In nomine sanctae et individuae Trinitatis, die das von Masen bemühte Pseudodiplom von 646 auszeichnete, als Teil eines späteren Formelschatzes zu klassifizieren sei. Sie sei in einem von Zillesius gedruckten Diplom Heinrichs III. anzutreffen. Der Schlussteil dieses Dokuments – angesprochen war die Corroboratio – und der eines Diploms Heinrichs IV. kämen ihrerseits mit dem des Oerener Diploms zur Deckung. Es sei demnach klar und könne beliebig vertieft werden, dass die Trierer Fälschung aus solchen Traditionen erstellt worden sei. Noch die Urkunden aus der Zeit Karls des Großen seien keineswegs mit der Anrufung der Trinität, sondern mit der Invocatio In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti eröffnet worden119. Erstere habe sich erst mit den Urkunden Ludwigs des Deutschen und Karls des Kahlen und zwar dann derart tiefgreifend durchzusetzen begonnen, ut etiam qui pro temporibus multo anterioribus supponenda diplomata componere praesumebant, sich ihrer ohne Zögern bedient hätten, nescientes aliud aliquid in usu unquam fuisse120. Papebroch kann demnach ebenso wenig wie Coccius als Skeptiker bezeichnet werden121. Er war der erste frühneuzeitliche Gelehrte, der das Ausmaß der Fälschungen begriff und auf der Grundlage der ihm zugänglichen Materialien nicht einmal inadäquat beschrieb. Mit den Diplomen aus der späteren Zeit der Merowingerkönige war er allerdings vergleichsweise nachlässig verfahren. Es sollte Jean Mabillon (1632–1707) vorbehalten bleiben, in seinen De re diplomatica libri VI von 1681 anhand zahlreicher Originale ein differenzierteres Bild zu erarbeiten und die diplomatischen Techniken zu systematisieren. Unter seinen Zugriffen wurde das Diplom in seiner Gesamtheit ein „epistemisches Ding“122, das dazu gebracht wurde, Aussagen zu tätigen, die nicht im Horizont seiner Verfasser gelegen hatten. Auf gut 630 Seiten 119 PAPEBROCH, Discrimen. Pars prima (wie Anm. 98) VIIa. 120 PAPEBROCH, Discrimen. Pars prima (wie Anm. 98) VIIb. Die Invocatio In nomine sanctae et individuae Trinitatis gilt in der Tat als Neuerung Ludwigs des Deutschen. Heinrich FICHTENAU, Zur Geschichte der Invokationen und „Devotionsformeln“, in: Heinrich FICHTENAU, Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze, 2: Urkundenforschung (Stuttgart 1977) 37–61, hier 43f. 121 Auch andere Diplome, deren Authentizität von Papebroch bestritten worden war, werden heute in der Tat als Fälschungen bewertet. Dies gilt auch für einige Stücke, von deren Echtheit er noch überzeugt war. SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 2) 663; Theo KÖLZER, Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin vor Trier (10.–12. Jahrhundert) (Vorträge und Forschungen Sonderbd. 36, Sigmaringen 1989) 13. 122 Im Anschluss an Hans-Jörg RHEINBERGER, Das „Epistemische Ding“ und seine technischen Bedingungen, in: Hans-Jörg RHEINBERGER, Experiment – Differenz – Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge (Marburg 1992) 47–66.

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in folio untersuchte Mabillon die Beschaffenheit des Beschreibstoffs und beschäftigte sich mit der Verwendung und Gestalt der Siegel. Er verglich die Schriftbilder und den Formelschatz, referierte über Überlieferungszusammenhänge, prüfte Monogramme und Rekognitionszeichen und veröffentlichte letztlich, neben einigen quasi faksimilierten Diplomen, die von ihm als echt bewerteten Stücke123. Die literale Ebene war damit nur noch eine unter mehreren, die zu berücksichtigen war, sollte – in diesem Fall – die Frage nach wahr und falsch fundiert beantwortet werden. Diese wiederum genügte nicht sich selbst, sondern zog verschiedene Folgefragen nach sich, die die Deutung geschichtlicher Zusammenhänge betrafen. Mit unterschiedlichen Ergebnissen hatten sich Mabillon und Papebroch beispielsweise damit auseinandergesetzt, in welchem Umfang das frühe Mittelalter bei seinen rechtlichen Transaktionen insgesamt auf Schriftlichkeit zurückgegriffen habe oder ob die Fälschungen nicht als späte Versuche zu deuten seien, prinzipiell rechtmäßige Transaktionen, die zunächst ohne Schrift ausgekommen waren, ex post zu verbriefen124. In Begriffen der Zeit als altertumskundlich qualifizierte Studien erschlossen also nicht nur historische Materialien und kreierten Techniken, um das Tradierte und Überkommene zu begreifen. Vielmehr trugen sie auch dazu bei, historische Deutungshorizonte zu eröffnen, die sich aus der einfachen Lektüre dieser oder jener historiographischen Darstellung nicht ergeben hätten.

123 Léon LEVILLAIN, Le „De re diplomatica“, in: Mélanges et documents publiés à l’occasion du 2e Centenaire de la Mort de Mabillon (Archives de la France monastique 6, Ligugé–Paris 1908) 195–252, hier 210–252; einen groben Überblick über die Struktur bietet Blandine BARRET-KRIEGEL, Les historiens et la monarchie, 2: La défaite de l’érudition (Paris 1988) 158f.; für die Frage nach den argumentativen Linien dieses inhaltlich nach wie vor kaum erschlossenen Werks sind ebenfalls nur bedingt weiterführend: Alfred HIATT, Diplomatic Arts. Hickes against Mabillon in the Republic of Letters. Journal of the History of Ideas 70 (2009) 351–373; Paul BERTRAND, Du „De re diplomatica“ au „Nouveau traité de diplomatique“. Réception des textes fondamentaux d’une discipline, in: Dom Jean Mabillon figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon. Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007. Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 605–619. 124 Zu dieser Ansicht neigte PAPEBROCH, Discrimen. Pars prima (wie Anm. 98) Ia, XXVa, XXXb. Auf diese Weise hätte er, ähnlich wie Baronio in seinen Studien zur Konstantinischen Schenkung, der Debatte einen Gutteil ihrer Brisanz genommen. Jean MABILLON, De re diplomatica libri VI (Paris 1681) 10–15, trug hingegen zahlreiche Dokumente zusammen, die erhärteten, dass bei rechtlichen Transaktionen sehr wohl regelhaft auf Schrift zurückgegriffen worden war.

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VI. Resümee oder: Geschichte aus der Ferne? Es ist von untergeordneter Bedeutung, ob und in welcher Hinsicht das, was von Mabillon oder Papebroch an rekonstruierenden und analytischen Arbeiten geleistet wurde, als „antiquarisch“ zu kennzeichnen ist. Mabillon selbst jedenfalls näherte sich mit den De re diplomatica libri VI in seinen eigenen Worten einem [n]ovum antiquariae artis genus – einer „[n]euen Art der altertumskundlichen Kunst“125. In zeitgenössischen Ausdrücken war damit das bezeichnet, was im heutigen Sprachgebrauch als Gegenstandsbereich einer szientistisch auslegten Vergangenheitsgeschichte betrachtet würde. Szientistisch meint dabei, das Arten von Wissen erarbeitet wurden, mit denen sich implizit oder explizit der Zwang zur Begründung oder Erläuterung des je Gesagten verband und verbindet126. Dies wiederum setzte eine bestimmte mediale Konfiguration in dem Sinne voraus, dass diejenigen, die ihre Materialien oder Aussagen publik zu machen gewillt waren, dies im Bewusstsein taten, dass andere Gelehrte existierten, die diese Aussagen gegebenenfalls zu korrigieren – oder die Materialien als Fälschungen auszuweisen – in der Lage waren. Auf diese Weise entfalteten sich, in den Worten Niklas Luhmanns, sekundäre Beobachterpositionen und mit ihnen die Möglichkeit, die von anderen angestellten Beobachtungen auf der einen Seite nach wahren und falschen Sätzen zu unterscheiden und sich damit auf der anderen Seite „zu den Erfordernissen des Wissenserwerbs und der Wissenskontrolle […] kognitiv zu verhalten.“127 Der Antiquarianismus scheint insofern für diesen Prozess disponiert gewesen zu sein, als mit dem Anspruch, das faktisch oder vermeintlich Vergessene zu entbergen, eine organische Nähe zu den sich ausdifferenzierenden publizistischen und interaktiven Verkehrsformen der Frühen Neuzeit bestand. Die aus einem kontinuierlichen Überlieferungszusammenhang gefallenen historischen Güter konnten dann auf verschiedenen Wegen für die Gegenwart nutzbar und verständlich gemacht werden – beides ging Hand in Hand. Einerseits traten sie in höfischen Kontexten als Teil einer obrigkeitlicher Repräsentationskultur in Erscheinung, die, wie heute außer Frage steht, frühneuzeitliche Vergemeinschaftung nicht nur arrondierte, sondern diese in der Substanz verkörperte. Andererseits fanden sie Eingang in die im engeren Sinne gelehrten Kontexte der Frühen Neuzeit. Das hier systematisierte Bestreben, die geborgenen und gesicherten Güter in formaler wie 125 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 124) 1. 126 Alexander BECKER, Kann man Wissen konstruieren?, in: Wissen und soziale Konstruktion, hg. von Claus ZITTEL (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 3, Berlin 2002) 13–25, hier 20–23. 127 LUHMANN, Wissenschaft (wie Anm. 23) 170f.

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inhaltlicher Hinsicht zu erschließen und mit vorhandenen Kenntnissen abzugleichen, setzte auf bald flächendeckende Weise das Feld des historischen Wissens in Bewegung. Die daraus erwachsende Destabilisierung und Restabilisierung historischer Kenntnisse sollte nicht mit historischem Skeptizismus verwechselt werden. Sie war vielmehr das Resultat eines mit den altertumskundlichen Studien der Frühen Neuzeit anwachsenden Reservoirs an historischen Kenntnissen, die nicht mehr einfach „erlesen“ werden konnten, sondern der Rekonstruktion bedurften. Vor diesem Hintergrund lässt sich das, was in der herkömmlichen Historiographiegeschichte lange Zeit als Zug zur Realie interpretiert wurde, präziser als ein Prozess der Konstituierung „epistemischer Dinge“ beschreiben, dem sowohl historische Realien als auch vergleichsweise abstrakte Größen wie der Textbestand mittelalterlicher Handschriften unterliegen konnten. Gegenüber der lange Zeit dominant als Gegenwartsgeschichte konzipierten Historia der Frühen Neuzeit hatten sich damit entscheidende erkenntnistheoretische Positionen verschoben. Nicht mehr die zeitliche und räumliche Nähe zu einem beschriebenen Geschehen verbürgten Wahrhaftigkeit, sondern gerade die Möglichkeit, in ihrer Historizität isolierte Objekte so betrachten, dass aus den mithin gegenläufigen Aussagen verschiedener Zeugnisse konsistente Schlüsse gezogen werden konnte. Um dazu wiederum in der Lage zu sein – etwa das römische Priesterwesen zu begreifen –, bedurfte es nicht mehr eines eigenen Lebens- und Wirkungszusammenhangs, der sich möglichst nahe an den historiographisch beschriebenen Feldern befand. Vielmehr genügte es, eine Reihe sich zusehends spezialisierender Techniken zu beherrschen, auf die sich die eigene Sachkompetenz zunächst zu stützen hatte. Was die Zeitgeschichte anbelangt, so sollte ein Genre wie die politischen Memoiren, mittelfristig gesehen, selbst aus dem Status des im engeren Sinne Historiographischen verschwinden und seinerseits nur noch ein Teil jener Rekonstruktionsbemühungen werden, die sich auf breiterer Basis der Untersuchung zeithistorischen Geschehens widmeten. Für einen in diesem Sinne antiquierten Historiographen wie Friedrich II. von Preußen sollten beide Bewegungen ein Rätsel bleiben.

Abstract Within the last ten years, the understanding of Early Modern antiquarianism has changed fundamentally. First, antiquarianism is no longer considered as a defensively-minded reaction to the challenges of seventeenth-century historical scepticism. Second, new research has made clear that it is not without problems to construct, in accordance with Arnaldo Momigliano’s famous essay „Ancient History and the Antiquarian“ from 1950, a sharp

446 Jan Marco Sawilla distinction between historiography in the proper sense of the word, and a specific area of historiographical subjects and techniques which can be qualified as „antiquarian“. For that reason – and beyond the models of a traditional history of historiography – this essay undertakes an effort to explain some of the main characteristics of Early Modern antiquarianism and its development. It is argued that antiquarianism was part of a fundamental shift in the way „historiography“ was conceived in the Early Modern period: From about 1600 onwards historiography increasingly became a technique of dealing with the past and its remains, in contrast to the traditional concept of historiography as a means of instructing posterity about the events of the respective present. This shift interfered with significant changes in the structure of public culture, and particularly in the status of „old things“. All kinds of artifacts could now, purely on account of their antiquity, potentially become historical „monuments“, and thus objects of learned investigation and public curiosity. In this vein, the present essay argues for a re-evaluation of Early Modern antiquarianism as a part of the general history of historical knowledge.

„Ausweitung der Diskurszone“ um 1700 Der Angriff des Barthélémy Germon auf die Diplomatik Jean Mabillons Mark Mersiowsky „Als Dom Mabillon in Reims das erreicht hatte, was er zu tun hatte, kehrte er Anfang Oktober nach Paris zurück, wo er einen neuen Gegner fand, der sich gegen die Diplomatik erhoben hatte. Man dachte bis dahin, dass gar kein Disput um diese Sache entstehen könne und schon allein die Lektüre seines Werkes zur Verteidigung ausreiche. Andere Leute waren freilich der Meinung, dass man wenigstens in einer Form eine Antwort geben solle, die zumindest denen diene, so sagten sie, die nicht die Zeit oder Bequemlichkeit hätten, selbst das Buch zu untersuchen; einige andere Leute konnten sich vorstellen, dass ein Buch, das angegriffen und nicht verteidigt worden sei, zumindest der Fehlerhaftigkeit verdächtig sein müsse, die ein Gegner, wer auch immer er sei, ihm wohl zuschreiben möge. Diese Verschiedenheit der Ansichten veranlasste den P. Mabillon, zu einem Medium zu greifen, das vom Publikum approbiert zu sein schien.“1 Thierry Ruinart (1657–1709) war 1

Thierry RUINART, Abregé de la vie de dom Jean Mabillon, prêtre et religieux benedictin de la congregation de Saint Maur (Paris 1709), inzwischen auch zugänglich als: Mabillon. Vie et portrait par Dom Thierry Ruinart, hg. von Thierry BARBEAU (Collection Monastica, Solesmes 2007), hier aber zitiert nach dem Original: 303f.: Dom Mabillon aïant achevé à Reims ce qu’il y avoit à faire, revint à Paris au commencement d’octobre, où il trouva un nouvel adversaire, qui s’étoit élevé contre la Diplomatique. On crût d’abord qu’il ne devoit point entrer en aucune dispute sur cette matiere, et que la lecture seule de son ouvrage suffiroit pour sa défense. D’autres personnes cependant furent d’avis que l’on fit une réponse en forme, qui serviroit au moins, disoient-ils, à ceux qui n’auroient pas le temps ou la commodité d’examiner le livre en luy-même: outre que bien des gens s’imagiment qu’un livre attaqué, et qui n’est pas défendu, doit être au moins soupçonné des défauts, qu’un adversaire, quel qu’il soit, veut bien luy attribuer. Cette diversité de sentimens determina le pere Mabillon à prendre un milieu, qui paroît avoir été approuvé du public. Zu Ruinart immer noch wichtig Henri JADART, L’origine de D. Mabillon à Saint-Pierremont. Sa jeunesse, ses études et sa profession religieuse à Reims (1632–1656), sa liaison avec D. Thierry Ruinart (1682–1707), in: Mélanges et Documents publiés à l’occasion du 2e Centenaire de la Mort de Mabillon (Ligugé– Paris 1908) 3–47, hier 32–37. Zur Bedeutung des Abregé vgl. Sylvette GUILBERT, Henri Jadart, un biographe de dom Jean Mabillon à la fin du XIXe siècle, in: Dom

448 Mark Mersiowsky ein enger Mitarbeiter Mabillons. In der von Ruinart verfassten kurzen Lebensbeschreibung Mabillons, die er 1709 bald nach dem Tode seines Lehrers am 27. Dezember 1707 und kurz vor seinem eigenen Tod am 27. September 1709 veröffentlichte, schilderte er dann eingehend das geplante Vorgehen seines verehrten Kongregationsbruders. Mabillon habe bereits einen Neudruck seiner „Diplomatik“ im Blick gehabt und entsprechende Vorbereitungen getroffen. Um die Besitzer seiner ersten Auflage nicht zum Erwerb der zweiten zu nötigen, dachte er an ein Supplement mit neuen Beispielen und Ergänzungen, wo es nötig erschien. Das Erscheinen der Kritik habe ihm nun Anlass gegeben, die zweite Auflage weiterzubetreiben und so ganz natürlich den aufgetretenen Zweifeln und möglichen weiteren Einwänden entgegenzutreten, ohne den Gegner wirklich beim Namen zu nennen2. Dieser Angriff auf die „Diplomatik“ war nicht nur Thierry Ruinart eigener Platz in der Lebensbeschreibung Mabillons wert, es war in den Augen der Zeitgenossen wie der disziplinären Nachwelt der große Angriff auf das Hauptwerk des Mauriners, der als der berühmteste Schriftsteller seiner Kongregation galt3, der Beginn eines neuen bellum diplomaticum4. Natürlich darf in einem Band zur Geschichtskultur um 1700 weder Dom Jean Mabillon, eine „figure majeure de l’Europe des lettres“, wie jüngst anläßlich seines dreihundertsten Todestages ein Tagungsband betitelt wurde5, noch sein großes Werk De re diplomatica libri sex fehlen. Das für

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Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18௅19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 385–397, hier 389. RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 304–306. Zu Ruinart schon Philippe LE CERF, Bibliotheque historique et critique des auteurs de la Congregation de St.-Maur. Où l’on fait voir quel a été leur caractére particulier, ce qu’ils ont fait de plus remarquable: et où l’on done un catalogue exact de leurs ouvrages et une idée générale de ce qu’ils contiennent (Den Haag 1726) 434–457. LE CERF, Bibliotheque historique (wie Anm. 2) 213. So schon Charles-François TOUSTAIN–René Prosper TASSIN, Nouveau traité de diplomatique, où l’on examine les fondemens de cet art, 1 (Paris 1750) XXVf.; die große Verteidigung Mabillons ebd. 8–34; Daniel Eberhard BARING, Clavis diplomatica, specimina veterum scripturarum tradens, alphabeta nimirum varia, medii aevi compendia scribendi, notariorum veterum signa perplura (Hannover 21754), Praefatio 5; ebd. 4 [„Bibliotheca diplomatica“]; ebd. 399f. [aus dem Neuabdruck von Johann Wilhelm WALDSCHMIEDT, Dissertatio de probatione per diplomataria (Marburg 1726), in: ebd. 391–464]; Johann SCHWAB, Institutiones diplomaticae (Wetzlar o. J.) 10f., 13f.; Kurze Erzählung der Streitigkeiten über die älteren Urkunden. Von einem Freunde der Wahrheit, 1783. Zum Drucke befördert 1785 (Heidelberg [1785]) 3–6. Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1). Zu Mabillon mit Verzeichnung der älteren Literatur Blandine BARRET-KRIEGEL, Les historiens et la monarchie, 1:

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die Diplomatik gleichzeitig grundlegende wie namengebende Opus erschien erstmals 16816 und wurde in Folge des im eingangs zitierten Text etwas nebulös geschilderten Auftretens eines Gegners 1704 durch ein Supplement ergänzt7. Schließlich wurde es von Mabillon nochmals überarbeitet und nach dessen Tod von Thierry Ruinart in einer zweiten Auflage posthum zusammen mit dem Supplement 1709 vorgelegt8. Genau dieses, das Verfassen eines Supplements, in dem Mabillon die Früchte jahrelanger Reise- und Sammeltätigkeit nach Erscheinen der Erstausgabe einarbeitete und zugleich die Kritik seines neuen Gegners beantwortete9, war das geeignete, das „vom Publikum approbierte Medium“10, von dem im Auszug aus dem Abregé die Rede war. Doch nicht allein das Motiv, der wirkmächtigen und für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft so folgenreichen maurinischen Diplomatik11 in

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Jean Mabillon (Les chemins de l’Histoire, Paris 1988); Philippe DUPONT, Dom Mabillon, un grand moine, un grand érudit, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 9–11; Jean DELUMEAU, Mabillon, „le plus savant homme du royaume“, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 13–20. Jean MABILLON, De re diplomatica libri VI. In quibus quidquid ad veterum instrumentorum antiquitatem materiam, scripturam et stilum; quidquid ad sigilla, monogrammata, subscriptiones ac notas chronologicas; quidquid inde ad antiquariam, historicam, forensemque disciplinam pertinet, explicatur et illustratur. Accedunt Commentarius de antiquis regum Francorum palatiis, veterum scripturarum varia specimina, tabulis LX comprehensa. Nova ducentorum, et amplius monumentorum collectio (Paris 1681). Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum. In quo archetypa in his libris pro regulis proposita, ipsaeque regulae denuo confirmantur, novisque speciminibus et argumentis asseruntur et illustrantur (Paris 1704). Jean MABILLON, De re diplomatica libri VI (Paris 21709). Richard ROSENMUND, Die Fortschritte der Diplomatik seit Mabillon vornehmlich in Deutschland-Österreich (Historische Bibliothek 4, München–Leipzig 1897) 19. RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 304. Vgl. nur Theodor SICKEL, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger (751–840) (Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata. Die Urkunden der Karolinger. Gesammelt und bearbeitet von Theodor SICKEL, Erster Theil: Urkundenlehre, Wien 1867) 33–36; Harry BRESSLAU, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, 1 (Berlin ²1912, Nachdruck Berlin 1969) 23–29; Heinrich FICHTENAU, Diplomatiker und Urkundenforscher. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 100 (1992) 9–49, hier 9–11; Theo KÖLZER, Mabillons „De re diplomatica“ in Deutschland: Johann Nikolaus Hert (1651–1710), in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann JAKOBS zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim DAHLHAUS–Armin KOHNLE (Köln–Weimar–Wien 1995) 619–628, hier 619f.; Peter G. TROPPER, Urkundenlehre in Österreich vom frühen 18. Jahrhundert bis zur Errichtung der „Schule für Österreichische Geschichtsforschung“ 1854 (Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 28, Graz 1994) 13–20, 169–189; Paul BERTRAND, Du De re diplomatica au Nouveau traité de diplo-

450 Mark Mersiowsky diesem Band den ihr angemessenen Ort zu verschaffen, sondern der Reiz, es eben im Sinne der Betrachtung von res diplomatica als Kultur zu tun, bildet den Anlass zu diesem Beitrag. Jörn Rüsen fasst unter Geschichtskultur bekanntlich unterschiedliche Strategien der wissenschaftlichen Forschung, der künstlerischen Gestaltung, des politischen Machtkampfes, der schulischen und außerschulischen Erziehung, der Freizeitanimation und anderer Prozeduren der öffentlichen historischen Erinnerung, die etwa die Funktionen der Belehrung, der Unterhaltung, der Legitimation, der Kritik, der Ablenkung, der Aufklärung und anderer Erinnerungsmodi integriert12. Im Abregé de la vie de Dom Jean Mabillon13 haben wir einen expliziten Hinweis darauf, dass die Rüsenschen Kategorisierungen bei entsprechender Modifikation durchaus für die Analyse der Zeit um 1700 tragen. Es gab mit Mabillons De re diplomatica nicht nur ein Produkt, sondern sogar Programm wissenschaftlicher Forschung, um das sich Diskurse ganz verschiedenen Niveaus entwickelten, und nicht die wissenschaftlichen, sondern andere Bereiche der Geschichtskultur berührenden Diskurse bewegten Mabillon nach Ruinarts so vorsichtigen wie verschleiernden Worten zu einer Reaktion mittels geeignetem Medium. Und weiter heißt es dort: „Aber da er die Diplomatik angegriffen sah, dachte er, dass es nun an der Zeit sei, das Erscheinen dieses Bandes nicht mehr aufzuschieben, denn ohne irgendeinen besonderen Protest zu erheben gäbe es eine ganz natürliche Gelegenheit, den angesprochenen Einwänden gegen die Diplomatik zu antworten und selbst solchen, die man noch in Folge aufbringen könnte, zuvorzukommen, ohne sich von anderen Arbeiten abwenden zu müssen, mit denen er befasst war. Er wählte auch diese Lösung, um nicht verpflichtet zu sein, seinen Gegner namhaft machen zu müssen, um damit persönliche Differenzen zu vermeiden, die

matique: réception des textes fondamentaux d’une discipline, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 605–619. Zu den Maurinern vgl. die Literatur bei: Mark MERSIOWSKY, Graphische Symbole in den Urkunden Ludwigs des Frommen, in: Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik, hg. von Peter RÜCK (Historische Hilfswissenschaften 3, Sigmaringen 1996) 335–383, hier 337f.; zu ergänzen BARRET-KRIEGEL, Mabillon (wie Anm. 5) 7–159, zur De re diplomatica 57–59. Zu den Folgen der Hinwendung zur Beschäftigung mit Geschichte: Bruno MAES, L’érudition critique de dom Mabillon et les livrets de pèlerinage des mauristes, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 77–93, insbes. 81. Als Darstellung wie Quelle ist wichtig: René-Prosper TASSIN, Histoire littéraire de la congrégation de Saint-Maur, ordre de S. Benoît (Bruxelles 1770, Nachdruck Ridgewood 1965), hier zu Mabillon 205–269. 12 Jörn RÜSEN, Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewußtseins, sich in der Zeit zurechtzufinden (Köln–Weimar–Wien 1994) 211–245. 13 RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 303f.

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oft soweit gehen, dass sie missliche Spaltungen zwischen den bestgeregelten Kongregationen begründen.“14 Gleich mehrere Faktoren machen diese zeitgenössische Aussage von Mabillons Mitarbeiter Ruinart so bezeichnend. Zum einen ist es die semantische Verschiebung. Aus dem adjektivischen Gebrauch im Titel De re diplomatica war schon früh, wie Paul Bertrand kürzlich herausstellte, la Diplomatique, „die Diplomatik“, ein Substantiv, geworden, und es ist nicht ganz eindeutig, ob „die Diplomatik“ sich nur auf das Buch Mabillons bezog oder nicht schon eine etablierte Disziplin meinte15. Nach Ruinarts Zeugnis hatten Antworten auf Einwände gegen die „Diplomatik“ überdies weiterreichende Folgen, die nicht den Konventionen einer innerwissenschaftlichen Diskurskultur allein folgten. Reaktionen auf wissenschaftliche Einwände konnten also schon nach dem Zeugnis der Zeitgenossen zu persönlichen Differenzen führen, die in misslicher Spaltungen gutorganisierter Kongregationen gipfelten, zu Verwerfungen innerhalb des katholischen Lagers. Insofern sind die Kritik an Jean Mabillons De re diplomatica und seine Reaktion darauf ein Musterfall für die in diesem Sammelband behandelten Fragen nach historia als Kultur. Daher sollen Mabillons De re diplomatica und sein französischer Kritiker Barthélémy Germon im Mittelpunkt der Darstellung stehen16. Natürlich ist diese Episode wohlbekannt, aber in neuerer Zeit noch nicht wieder eingehend untersucht worden17. Im vorgegebenen Rahmen war es nur möglich, die angesprochenen Fragen auf Basis der gedruckten Werke anzugehen, ohne in Frage zu stellen, dass eine gründliche 14 RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 305: Mais lors qu’il vit la Diplomatique attaquée, il crût qu’il n’étoit point â propos de differer davantage à publier ce nouvel ouvrage: parce que sans entrer dans aucune contestation particuliere, il y auroit une occasion toute naturelle de répondre aux difficultez proposées contre la Diplomatique, et de prévenir même celles que l’on pourroit encore former dans la suite, sans qu’il eût besoin de se detourner des autres travaux dont il se trouvoit chargé. Il pris aussi ce parti, pour n’être pas obligé de nommer son adversaire, et éviter par là les differens personnels, qui vont souvent jusqu’à causer des divisions fâcheuses entre les congregations les mieux reglées. 15 Vgl. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 608. 16 Ausgespart bleiben daher die auf ganz anderem Felde geführten Diskussionen über Mabillon und seine Methode, vgl. ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 6–8. 17 Eine umfassende Sichtung der Literatur schon in: Kurze Erzählung (wie Anm. 4). Zur Germon-Episode weiter: ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 19f.; BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 613–615; Christian ALBERTAN, Bénédictins et jésuites devant la question historiographique dans la première moitié du XVIIIe siècle, in: Érudition et commerce épistolaire. Jean Mabillon et la tradition monastique, hg. von Daniel-Odon HUREL (Textes et traditions 6, Paris 2003) 89–111, hier 92–95; Michaela BRAESEL, Buchmalerei in der Kunstgeschichte. Zur Rezeption in England, Frankreich und Italien (Studien zur Kunst 14, Köln–Weimar–Wien 2009) 100.

452 Mark Mersiowsky Bearbeitung der Briefe und Handschriften hier natürlich weitere und oft bessere Aufschlüsse ermöglicht18. Um diesen Streit einordnen zu können, gilt es etwas weiter auszugreifen. Nach einem kurzen Blick auf die Erforschung der Geschichte der Diplomatik muss zunächst kurz die Entwicklung der Urkundenlehre bis um 1700 skizziert werden, bevor dann der schon angeklungene Konflikt zwischen Mabillon und seinen Kritikern im Mittelpunkt steht. Natürlich ist dieser Streit gerade in jüngerer Zeit mehrfach gedeutet worden, doch glaube ich, unter unseren Vorzeichen doch noch ein Stückchen weiter als die bisherige Forschung zu kommen. Um die Erforschung der Geschichte der Diplomatik ist es nicht zum Besten bestellt. Zu Recht monierte Peter Rück 1992: „Es gibt keine Geschichte der Hilfswissenschaften; wo einzelne Disziplinen sich auf die ihre besannen, verharrten sie lange Zeit auf dem Niveau der annotierten Bibliographie ihrer eigenen Entdeckungen. Bresslaus ‚Geschichte der Urkundenlehre‘ ist eine Geschichte der Fälschung und der Beiträge, die einzelne Männer auf dem Weg der Diplomatik zur exakten Wissenschaft geleistet haben [...]“19. In der Tat beschränkte sich Bresslau darauf, die Leistungen der einzelnen Autoren auf dem Weg zur Diplomatik des späteren 19. Jahrhunderts in knappster Form herauszustellen und sparte nicht mit Verdikten. Gegen den Glanz der unter Sickel und seinen Nachfolgern im späten 19. Jahrhundert zu ihrer Höchstform entwickelten diplomatischen Methoden, vor allem Schreiber- und Diktatvergleich20, verblassten in Bresslaus Augen die 18 Zur Bedeutung der Briefe und handgeschriebenen, unpublizierten Materialien verweise ich nur auf: Daniel-Odon HUREL, Introduction, in: Érudition et commerce (wie Anm. 17) 7–11, hier 10f.; Daniel-Odon HUREL, L‘étude des correspondances et l’histoire du monachisme: Méthodes et enjeux historiographiques, in: Érudition et commerce (wie Anm. 17) 301–342; François DOLBEAU, Les instruments de travail des mauristes, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 621-669. 19 Peter RÜCK, Historische Hilfswissenschaften nach 1945, in: Mabillons Spur. Zweiundzwanzig Miszellen aus dem Fachgebiet für Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum 80. Geburtstag von Walter HEINEMEYER, hg. von Peter RÜCK (Marburg 1992) 1–20, hier 9. Vgl. auch Carlrichard BRÜHL, Studien zu den merowingischen Königsurkunden, hg. von Theo KÖLZER (Köln–Weimar– Wien 1998) 1. 20 Paradigmatisch SICKEL, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 55–63, 366–393; Carlrichard BRÜHL, Gli atti sovrani, in: Fonti medioevali e problematica storiografica. Atti del congresso internazionale tenuto in occasione del 90q anniversario della fondazione dell’Istituto Storico Italiano (1883–1973), Roma 22–27 ottobre 1973, 1: Relazioni (Roma 1976) 19–40, hier 27f.; Carlrichard BRÜHL, Die Entwicklung der diplomatischen Methode im Zusammenhang mit dem Erkennen von Fälschungen, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 16.–19. September 1986, 3: Diplomatische Fälschungen (I)

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nach Mabillon erzielten Fortschritte. In der Bresslau’schen Forschungsgeschichte fällt alles heraus, was nicht wesentliches zur Herausbildung der Methoden – und zwar im Sinne des späten 19. Jahrhunderts – beigetragen hat. Bresslaus Sicht der Dinge wurde maßgeblich und in den jüngeren diplomatischen Handbüchern von Rudolf Thommen und Oswald Redlich wie in der allgemeinen diplomatischen Literatur weitergetragen21. Ohne Bresslaus Verdienste in der Synthese eines gewaltigen Stoffes schmälern zu wollen, seien einige Bemerkungen erlaubt. Bresslau stellte für seinen Forschungsüberblick Werke ganz unterschiedlichen Charakters aus völlig verschiedenen Umfeldern nebeneinander, ausschließlich gedruckte Werke, und beurteilt sie nicht in ihrem Kontext, sondern quasi absolut. Seine Beurteilung der älteren Diplomatik hatte er bereits 1889 umrissen. Diese Passagen änderte er in der zweiten Auflage seines Werks 1915 so gut wie überhaupt nicht22. Die Reduzierung der älteren diplomatischen Literatur auf das, was der Urkundenwissenschaft des späten 19. Jahrhunderts wesentlich erschien, ist ein zutiefst ahistorisches Vorgehen, wenngleich vor dem Hintergrund des damals herrschenden positivistischen und historistischen Absolutheitsanspruches nur logisch. Mit der Revidierung solcher Geschichtsauffassungen sollten allerdings auch ihre Werturteile neu hinterfragt werden. Das Problem sind nicht die ja durchaus begründeten Urteile Harry Bresslaus. Das Problem ist, dass man diese unreflektiert zu kanonischem Wissen gemacht hat. Weitet man den Blick über die Diplomatik auf die all(Monumenta Germaniae Historica. Schriften 33/3, Hannover 1988) 11–27, hier 23f.; Carlrichard BRÜHL, Die diplomatischen Editionsmethoden und die Regestenarbeit in Deutschland, vorwiegend im Zeitalter der Romantik, in: Carlrichard BRÜHL, Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze 3: Studien zur Verfassungsgeschichte und Diplomatik (1984, 1988–1996) (Hildesheim–München–Zürich 1997) 241–252, hier 251f. 21 Vgl. die Ausführungen zur Geschichte der Diplomatik bei Rudolf THOMMEN: Diplomatik. Einleitung und Grundbegriffe, in: Grundriss der Geschichtswissenschaft zur Einführung in das Studium der deutschen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit hg. von Aloys MEISTER, 1/2: Urkundenlehre I. und II. Teil (Leipzig– Berlin ²1913) 1–21, hier 3f.; Oswald REDLICH, Einleitung. I. Geschichtlicher Überblick. II. Allgemeine Begriffe und Grundlagen, in: Wilhelm ERBEN–Ludwig SCHMITZKALLENBERG–Oswald REDLICH, Urkundenlehre. I. Teil (Handbuch der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte. Abteilung IV: Hilfswissenschaften und Altertümer, München–Berlin 1907) 1–36, hier 7–9. Vgl. BRÜHL, Entwicklung (wie Anm. 20) 22. 22 BRESSLAU, Handbuch (wie Anm. 11) 32–36; erste Auflage: Harry BRESSLAU, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, 1 (Leipzig 1889) 29–33. Während er den Überblick über die aktuelle Forschung natürlich weiterführte, blieben die forschungsgeschichtlichen Passagen so gut wie unverändert. Allenfalls modernisierte er den Text, so tauschte er die 1889 geschriebene Wendung „ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts“ gegen „ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts“ aus.

454 Mark Mersiowsky gemeine Geschichtswissenschaft aus, so begegnen ähnliche Phänomene. Es hat lange gedauert, bis man etwa die im 19. Jahrhundert verdammte Aufklärungshistorie mit adäquaten Maßstäben zu messen lernte und sie in ihrer vollen Bedeutung für die Entwicklung der Geschichtsschreibung erkannte23. Historistisch geprägte Negativurteile über die barocke und aufklärerische Wissenschaft sind inzwischen längst revidiert und neue Aufschlüsse unter kulturgeschichtlichen Fragestellungen gewonnen24. Für die Diplomatik aber stehen die alten Wertungen weiter im wissenschaftlichen Raum. Eine historische Teildisziplin darf ihre eigene Geschichte nicht von den allgemeinen Zeitumständen isolieren oder gar nur partiell wahrnehmen. Sie geht sonst ein doppeltes Risiko ein: Sie kann sich vom allgemeinen intellektuellen Diskurs abkoppeln25 und zugleich sich selbst wichtige Zugänge verstellen. Hier liegt für die historischen Hilfswissenschaften und speziell die Diplomatik vieles noch im Argen26. Eine moderne, umfassende Geschichte der Diplomatik fehlt – obwohl es an Bausteinen zu einer solchen nicht mangelt. Die vorliegenden Arbeiten nahmen nicht das Ganze in den Blick, sondern gingen von konkreten Einzelfragen aus. Sie beschäftigten sich vor allem mit einzelnen Forscherpersönlichkeiten und ihren Schlüsselwerken27 sowie wichtigen, die Urkundenforschung tragenden Institutionen28. Mittlerweile 23 Jeremy TELMAN, Historismuskritik: Aufarbeitung der Vergangenheit oder Selbstkritik, in: Historismus in den Kulturwissenschaften. Geschichtskonzepte, historische Einschätzungen, Grundlagenprobleme, hg. von Otto Gerhard OEXLE–Jörn RÜSEN (Beiträge zur Geschichtskultur 12, Köln–Weimar–Wien 1996) 289–305, hier 294f. 24 Ich verweise nur auf: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Helmut ZEDELMAIER–Martin MULSOW (Frühe Neuzeit 64, Tübingen 2001). 25 RÜCK, Historische Hilfswissenschaften (wie Anm. 19) 9–12. 26 Vgl. RÜCK, Historische Hilfswissenschaften (wie Anm. 19) 7–11. 27 Vgl. etwa KÖLZER, Mabillons „De re diplomatica“ (wie Anm. 11); Gerd VAN DEN HEUVEL, Johann Georg von Eckharts Entwurf einer Geschichte des Bistums Osnabrück. Osnabrücker Mitteilungen 101 (1996) 65–81. 28 Die klassischen Beispiele sind die Arbeiten über die wichtigsten Institutionen in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien. Monumenta Germaniae Historica: Harry BRESSLAU, Geschichte der Monumenta Germaniae historica im Auftrage ihrer Zentraldirektion (Hannover 1921) [= Neues Archiv 42 (1921)], in wichtigen Aspekten ergänzt durch: Horst FUHRMANN, „Sind eben alles Menschen gewesen“. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert. Dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter. Unter Mitarbeit von Markus WESCHE (München 1996). Institut für Österreichische Geschichtsforschung: Leo SANTIFALLER, Das Institut für österreichische Geschichtsforschung. Festgabe zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Weiner Haus-, Hof- und Staatsarchivs (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 11, Wien 1950); Alphons LHOTSKY, Geschichte des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1854–1954 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Erg.bd. 17: Festgabe zur Hundert-Jahr-Feier des Instituts, Graz–Köln 1954); ergän-

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scheint sich eine generelle Trendwende in der Geschichtsschreibung der Diplomatik abzuzeichnen. Einen wichtigen Beitrag lieferte 1994 Peter G. Tropper mit seiner Dissertation zur Urkundenlehre in Österreich. Ihm ging es darum, „die ‚Wirklichkeit‘ des Diplomatikstudiums zu untersuchen“29. Ergänzt werden seine Erkenntnisse durch die bei Peter Rück entstandene und 1997 veröffentlichte Dissertation von Johannes Burkardt30 über die verschiedenen Formen der Lehre einzelner historischer Hilfswissenschaften an der traditionsreichen Universität Marburg bis Ende des 19. Jahrhunderts. Ich selbst habe mit Aufsätzen über diplomatische Apparate und die Rolle des Sammelns kleinere Beiträge beigesteuert31. Diese Werke sind auf dem zend dazu Heinrich SCHMIDINGER, Erforschung des Mittelalters: Institutionen und Unternehmungen der Habsburgermonarchie (im 19. Jahrhundert), in: Italia e Germania. Immagini, modelli, miti fra due popoli nell’Ottocento: Il Medioevo. Das Mittelalter. Ansichten, Stereotypen und Mythen zweier Völker im neunzehnten Jahrhundert: Deutschland und Italien, hg. von Reinhard ELZE–Pierangelo SCHIERA (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento. Contributi 1, Bologna–Berlin 1988) 405–440, hier 412, 416–419; Walter KOCH, Das Institut für Österreichische Geschichtsforschung und die Geschichtswissenschaft in Österreich, in: Erudición y Discurso Histórico: Las Instituciones Europeas. (S. XVIII–XIX), hg. von Francisco M. GIMENO BLAY (Publicaciones del „Seminari Internacional d’Estudis sobre la Cultura escrita“ 1, València 1993) 265–284; Manfred STOY, Das Österreichische Institut für Geschichtsforschung 1929–1945 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Erg.bd. 50, München 2007). École des Chartes: Olivier GUYOTe JEANNIN, Aperçus sur l’École des Chartes au XIX siècle, in: Erudición y Discurso Histórico (wie Anm. 28) 285–307 (mit Angabe der älteren Lit.). Vgl. auch Giulio BATTELLI, La scuola di paleografia, diplomatica e archivistica presso l’Archivio Vaticano, in: Un secolo di paleografia e diplomatica (1887–1986). Per il centenario dell’Istituto di paleografia dell’Università di Roma, hg. von Armando P ETRUCCI– Alessandro PRATESI (Roma o. J). 1–19. An weiteren Arbeiten seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt Eckart HENNING, Die Historischen Hilfswissenschaften in Berlin, in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, hg. von Reimer HANSEN–Wolfgang RIBBE (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 82, Berlin–New York 1992) 365–408 (mit Angabe älterer Literatur); Ignacio PEIRÓ MARTÍN௅Gonzalo PASAMAR ALZURIA, La Escuela Superior de Diplomática (Los archiveros en la historiografía española contemporánea, Madrid 1996). 29 TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 1. 30 Johannes BURKARDT, Die Historischen Hilfswissenschaften in Marburg (17.–19. Jahrhundert) (elementa diplomatica 7, Marburg 1997). 31 Mark MERSIOWSKY, Barocker Sammlerstolz, Raritätenkabinette, Strandgut der Säkularisation oder Multimedia der Aufklärung? Diplomatisch-paläographische Apparate im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Arbeiten aus dem Marburger hilfswissenschaftlichen Institut, hg. von Peter WORM–Erika EISENLOHR (elementa diplomatica 8, Marburg 2000) 229–241; Mark MERSIOWSKY, „ ... so wohl ihr Auge zu üben, als ihr Urtheil durch sichere Kenntnisse zu schärfen ...“. Aufklärung und Sammeln um

456 Mark Mersiowsky Weg zu einer modernen Wissenschaftsgeschichte, in die nun auch kulturgeschichtliche Fragestellungen einfließen müßten. Anläßlich des dreihundertsten Todestages Jean Mabillons wurde 2007 ein großer Doppelkongress zu Ehren Mabillons veranstaltet, dessen wissenschaftliche Erträge inzwischen vorliegen. Hier hat es Paul Bertrand unternommen, die Entwicklung der Diplomatik von Mabillon bis zum Nouveau Traité gestützt auf gedruckte Publikationen zu umreißen. Dabei verwies er weit über die bisherige Literatur hinaus auf geistesgeschichtliche Hintergründe der maurinischen Diplomatik wie das grundsätzliche Vertrauen auf die Quellen und den ihm zugrundeliegenden Optimismus wie den zentralen Begriff des Wahren32. Ausgehend von diesen Ansätzen muss die in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkte allgemeinhistorische, historiographiegeschichtliche wie theologische Forschung über die Zeit um 1700 rezipiert und verarbeitet werden33. Natürlich kann dieses im vorgegebenen Rahmen nur ansatzweise geschehen. Um die um 1700 aufkommende Kritik an Mabillon einzuordnen, bedarf es noch eines Blickes auf die Geschichte der Diplomatik. Am Beginn der Diplomatik steht bekanntlich eine im Jahre 1633 in Trier erschienene anonyme Schrift unter dem Titel Archiepiscopatus et electoratus Trevirensis per refractarios monachos Maximinianos aliosque turbati (Abb. 33), auf die Nikolaus Zilles, Amtmann von St. Maximin, fünf Jahre später mit einer Gegenschrift antwortete. So entbrannte ein langanhaltendes bellum diplomaticum zwischen der Abtei St. Maximin und dem Erzbistum Trier34. Die anonyme Streitschrift wider die Mönche von St. Maximin bot zunächst eine juristische Abhandlung, dann als Beweisstücke eine Reihe von Urkunden und Urkundenauszügen35. Die Verteidigungsschrift stellt ebenfalls im Gutachtenstil zunächst Recht und Vogtei von St. Maximin dar36, dann werden

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1800, in: Schätze aus dem Verborgenen. Sammeln und Sammlungen in Tübingen, hg. von Evamaria BLATTNER–Karlheinz WIEGMANN (Tübingen 2010) 18–29. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11). Statt einer notwendigerweise stets ausschnittsweisen Angabe von Literatur verweise ich hier auf die übrigen Beiträge in diesem Sammelband. Archiepiscopatus et electoratus Trevirensis per refractarios monachos Maximinianos aliosque turbati (Trier 1633). Als Gegenschrift erschien: Nikolaus ZILLES, Defensio abbatiae imperialis Maximini, qua respondetur libello contra praefatam abbatiam ab authore anonymo, anno MDCXXXIII Treviris edito (Trier 1638, Köln 21648). Vgl. BRÜHL, Entwicklung (wie Anm. 20) 20f. Zu Nikolaus Zilles (Zillesius) Karl VON DAMITZ, Die Mosel mit ihren Ufern und Umgebungen von Koblenz aufwärts bis Trier. Mit dem begleitenden Texte nebst einigen Episoden aus der modernen Welt (Köln 1838) 40f. Archiepiscopatus (wie Anm. 34) 1–34 [recte 54!] Abhandlungen, 55–214 Beweisstücke. ZILLES, Defensio (wie Anm. 34) 7–50.

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die einzelnen Positionen der Streitschrift von 1633 diskutiert37, schließlich folgt eine pars tertia mit Abdrucken von 90 Urkunden über die kaiserlichen und päpstlichen Privilegien der Abtei38. Gegenüber der ersten Streitschrift ist die Entgegnung dadurch ausgezeichnet, dass sie nun nicht mehr nur die Texte der Urkunden bietet, sondern für die Dokumente bis zum Ende des Mittelalters, bis Maximilian I. 1512, in den Texten montiert Monogramme, Benevalete oder Perpetuum-Ligaturen als Holzschnitte und Siegelabbildungen als Kupfer präsentiert39 (Abb. 34). Zugleich machte das Erscheinen der Schrift von 1633 Epoche. Mit gutem Grund lässt man seit 1721 mit diesem Ereignis die Zeit der bella diplomatica beginnen. Den Begriff prägte Johann Peter Ludewig in seiner umfassenden Geschichte der Diplomatik, die er 1720 veröffentlichte40. In diesen bella diplomatica stritten sich die beteiligten Parteien um die Echtheit bestimmter Urkunden als Garanten der in ihnen enthaltenen Gerechtsame. Im Zuge dieser Streitigkeiten, die nicht nur vor Gericht, sondern auch durch veröffentlichte Denkschriften publizistisch geführt wurden, entstand ein reichhaltiges Schrifttum41. Nicht alle diese Schriften hatten weiterdauernde Bedeutung. Ebenso wie ungedruckte Gutachten in Gerichtsprozessen waren sie Gelegenheitsschrifttum. Dennoch gab es Ausnahmen. Von überragender wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung blieb das im Rahmen des bellum diplomaticum verfasste und 1672 veröffentlichte Gutachten des Helmstedter Professors und Polyhistors Hermann Conring über eine Urkunde eines Kaisers Ludwig für das Kloster Lindau aus dem Jahre 866. Conring hatte bereits mehrere Gutachten zur Echtheit prozessual wichtiger Urkunden abgegeben. In seinem Lindauer Auftragswerk entwickelte er in systematischer Form den methodischen Grundsatz, die Echtheit einer Urkunde durch den Vergleich mit anderen, unzweifelhaft echten Stücken desselben Ausstellers zu untersuchen42. Betrachtet man die 37 ZILLES, Defensio (wie Anm. 34) 51–207. 38 ZILLES, Defensio (wie Anm. 34), Pars tertia (eigene Seitenzählung) 3–177. 39 ZILLES, Defensio (wie Anm. 34), Pars tertia (eigene Seitenzählung) 10, 12–18, 20– 22, 24–26, 28f., 32, 34, 36, 38, 41–43, 45, 47, 50, 52, 54f., 57, 59–61, 63, 103. 40 Der Begriff geht bekanntlich zurück auf: Johann Peter LUDEWIG, Reliquiae manuscriptorum omnis aevi diplomatum ac monumentorum ineditorum tomi tres ex museo Joannis Petri Ludewig, 1 (Frankfurt–Leipzig 1720) 36–77; zur forschungsgeschichtlichen Bedeutung: BRESSLAU, Handbuch (wie Anm. 11) 21f. 41 Die umfassende, grundlegende Literaturübersicht der bella diplomatica in BARING, Clavis (wie Anm. 4) 12–17, 26–53. Vgl zur Forschungsgeschichte SICKEL, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 30–33; BRÜHL, Entwicklung (wie Anm. 20) 20f.; BURKARDT, Hilfswissenschaften (wie Anm. 30) 21 (mit weiteren Literaturangaben). 42 Hermann CONRING, Censura diplomatis quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense. Qua simul res imperii et regni Francorum ecclesiasticae ac civiles, seculi cumprimis Carolovingici, illustrantur (Helmstedt 1672). Zur Bedeutung

458 Mark Mersiowsky mediengeschichtliche Dimension der Abhandlungen, so waren die Streitschriften nur ein Segment des meist in Quart gedruckten rechtswissenschaftlichen Publikationsspektrums. Bezeichnend ist aber, dass seit der Entgegnung durch Zillesius von 1638 die Beigabe von Abbildungen der Monogramme und Siegel in Schriften zu den bella diplomatica oder anderen Abhandlungen, die sich mit Urkunden befassen, immer wieder zu beobachten ist43 (Abb. 35, 36, 40). Der Streit zwischen dem Erzbischof von Trier und der Abtei St. Maximin stand aber nicht nur Pate an den Anfängen der bella diplomatica, sondern auch bei der nächsten großen Etappe. Die Acta sanctorum waren ein hagiographisches wie historiographisches Großunternehmen der Jesuiten, der so genannten Bollandisten44. Im zweiten Aprilband veröffentlichte der Jesuit Daniel Papebroch 1675 ein 31 Seiten umfassendes Propylaeum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis. Es war schon eine gute Conrings für die Diplomatik und zum Lindauer Gutachten: Patricia HERBERGER, Hermann Conring 1606–1681. Ein Gelehrter der Universität Helmstedt. Ausstellung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel im Juleum Helmstedt 12. Dezember 1981 bis 31. März 1982, im Alten Rauthaus zu Norden Frühsommer 1982, im Museum für das Fürstentum Lüneburg Herbst 1982. Ausstellungskatalog, hg. von Michael STOLLEIS (Ausstellungskataoge der Herzog August Bibliothek 33, Wolfenbüttel 1981) 76, Kat.-Nr. 89. Vgl. SICKEL, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 31–33; BRESSLAU, Handbuch (wie Anm. 11) 22f.; Hans-Jürgen BECKER, Diplomatik und Rechtsgeschichte. Conrings Tätigkeit in den bella diplomatica um das Recht der Königskrönung, um die Reichsfreiheit der Stadt Köln und um die Jurisdiktion über die Stadt Lindau, in: Hermann Conring (1606௅1681). Beiträge zu Leben und Werk, hg. von Michael STOLLEIS (Historische Forschungen 23, Berlin 1983) 335–353, hier zum Lindauer Streit 346–348, zu Conrings Methodik 351f.; TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 12. 43 Ich verweise etwa auf CONRING, Censura (wie Anm. 42) 369; Christian KNAUT, Antiquitates pagorum et comitatuum principatus Anhaltini, ex antiquis et per-illustribus rerum monumentis erutae, et quam plurimis diplomatis, nunquam antea visis, illustratae (Frankfurt am Main 1699), 4, 9, 17, 19, 22, 26, 34, 37, 41, 45, 48, 50, 54. 44 Zu den Bollandisten jetzt Bernard JOASSART, Regards sur quatre siècles de recherche bollandiennes. Perspectives d’études historiographiques, in: De Rosweyde aux Acta Sanctorum. La recherche hagiographique des Bollandistes à travers quarte siècles. Actes du Colloque international (Bruxelles, 5 octobre 2007), hg. von Robert GODDING–Bernard JOASSART–Xavier LEQUEUX–François DE VRIENDT (Subsidia hagiographica 88, Brüssel 2009) 285–302; Jan Marco SAWILLA, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext. Frühe Neuzeit 131, Tübingen 2009); Bernard JOASSART, Les mauristes et les bollandistes: une même approche de l’érudition?, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 567–585. Vgl. auch den Beitrag von Jan Marco Sawilla in diesem Band.

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Tradition der Acta sanctorum, den jeweiligen Editionsbänden kleinere kritische Abhandlungen vorzuschalten. Ausgelöst von der Notwendigkeit chronologischer Einordnung bei frühmittelalterlichen Heiligenviten und dem Problem, ob es zwei oder drei merowingische Könige namens Dagobert gegeben hat, wollte Papebroch grundlegend das Problem der Echtheit fränkischer Herrscherurkunden angehen. Unter Beachtung von historischem Umfeld, Schrift, Schriftzeichen, Siegeln und graphischen Symbolen suchte er mittels Vergleichs hier einen Weg bahnen45. Zu diesem Behuf stattete er seine Abhandlung reich mit Abbildungen aus: Vier einseitige und drei doppelseitige Kupfertafeln gaben die behandelten Stücke und Vergleichsstücke auszugsweise wieder, dazu kamen noch 27 Monogramme im Holzschnitt (Abb. 37–38)46. Mit dem systematischen Vergleich schloss er sich dem wenige Jahre vorher, nämlich 1672, von Hermann Conring in seinem Gutachten entwickelten Vorgehen an47. Natürlich waren solche Verfahren in der Theologie durchaus vertraut. Im mancher Hinsicht hatte Daniel Papebroch mit seinem auf der Höhe der Zeit stehenden Werk einfach Pech. Mit der Urkunde eines Dagoberts für Oeren, dem ersten behandelten Stück, stieß Papebroch nämlich fatalerweise in einen der größten und schwierigsten Fälschungskomplexe des Mittelalters, die St. Maximiner Fälschungen, die erst 1989 von Theo Kölzer grundlegend geklärt werden konnten48. Pape45 Daniel PAPEBROCH, Ad tomum II Aprilis propylaeum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis, in: Acta sanctorum, quotquot toto orbe coluntur vel a catholicis scriptoribus celebrantur (AASS) Aprilis 2 (Antwerpen 1675) I–XXXI. Ich folge der modernen Schreibweise der Bollandisten, die statt des alten „Papebroich“ mit dem flämische Dehnungs-i jetzt „Papebroch“ benutzen. Vgl. zu Papebroch: BRÜHL, Entwicklung (wie Anm. 20) 18–20; SICKEL, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 33–36; ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 8–12; BRESSLAU, Handbuch (wie Anm. 11) 23–29; FICHTENAU, Diplomatiker (wie Anm. 11) 9–11; KÖLZER, Mabillons „De re diplomatica“ (wie Anm. 11) 619f.; TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 13–15; JOASSART, Mauristes (wie Anm. 44) 568, 575–584; BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 605f.; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 44) 654–664. Zur Bedeutung der Chronologie als kritische Wissenschaft vgl. Olivier PONCET, Promouvoir la diplomatique à l’époque de Louis XIII: les exigences de Jean Besly, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 497–515, hier 509f. Dagobert I. Dagobert II. Dagobert III 46 PAPEBROCH, Propylaeum (wie Anm. 45) XIII–XV, XIX, XXI, XXVII. 47 CONRING, Censura (wie Anm. 42). 48 Zu St. Maximin: Erich WISPLINGHOFF, Untersuchungen zur frühen Geschichte der Abtei Maximin bei Trier von den Anfängen bis etwa 1150 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 12, Mainz 1970); Theo KÖLZER, Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin vor Trier (10.–12. Jahrhundert) (Vorträge und Forschungen Sonderband 36, Sigmaringen 1989), zur Forschungsgeschichte 13–16, zum Fonds 18–22.

460 Mark Mersiowsky brochs Versuch, die Echtheit zu klären und zugleich Kriterien für das discrimen veri ac falsi zu benennen, schlug insofern fehl, als er untaugliche, weil gleichfalls bedenkliche Stücke als Vergleiche heranzog. So ist es mehr als verständlich, wenn Papebroch nach intensivem Studium keine einzige originale Urkunde vor Dagobert I. ausmachen und nur wenige danach als Autographa akzeptieren konnte. So griff er ein Bonmot des englischen Gelehrten Sir John Marsham (1602–1685) in dessen Einleitung zu dem von Roger Dodsworth und William Dugdale veröffentlichten Monasticum Anglicanum 49 auf und verstieg sich zu der Behauptung, um so älter die Urkunden seien, um so geringer ihre Glaubwürdigkeit50. Daher wurde Papebroch oft Hyperkritik vorgeworfen. Doch wenn wir seine Referenzgruppe, die sich um St. Maximin gruppierenden Urkunden, besehen, wenn wir mit Theo Kölzer von einer Fälschungsquote von 65,8% für die Merowingerurkunden ausgehen, lag Papebroch gar nicht so falsch51. Das Hauptproblem Papebrochs lag nicht so sehr in seiner Methodik, sondern in seinem Vergleichsmaterial, war doch seine Quellenauswahl eher stichprobenartig und taugte nicht dazu, tragfähige Grundlagen für das von ihm erwünschte discrimen veri ac falsi in vetustis membranis zu legen. Betrachtet man Papebrochs Werk im Sinne einer Kulturgeschichte der Diplomatik, ist noch ein weiteres hervorzuheben. Zwar betrafen die Werke aus den bella diplomatica ganz selbstverständlich Klöster und Bistümer, doch waren die in ihnen erzeugten Schriften, seien es gedruckte oder ungedruckte Werke, keineswegs Ausdruck monastischer Kultur als vielmehr ein Segment des juristischen Gebrauchsschrifttums, meist betrieben von Jurisconsulti und juristischen Praktikern. Nicht nur das Aufgreifen und Ausformulieren des discrimen veri ac falsi in vetustis membranis ist Papebroch und den 49 John MARSHAM, Propylaion, in: Roger DODSWORTH–William DUGDALE, Monasticon Anglicanum, sive Pandectae coenobiorum Benedictinorum, Cluniacensium, Cistercensium, Carthusianorum (London 1655) (unpag.). 50 PAPEBROCH, Propylaeum (wie Anm. 45) XXVII–XXIX; Zitat XXIX: Porro hactenus deducta considerans, et in toto Francorum regno nullam omnino chartam sinceram ac genuinam reperiens ante regnum primi Dagoberti; paucissimas item sub illo atque post illum, usque ad secunda stirpis reges scripta haberi, quae vel autographa dici possent, vel ex autographo fideliter desumptae; vehementer laudo monitum Joannis Marshami, heterodoxi quidem circa religionem, sed a monachis reque monastica minime alieni, datum in Propylaeo ad Monasticum Anglicanum: „Caute intuende sunt istiusmodi chartae, quae fidem habent eo minorem quo maiorem praeferunt antiquitatem [...]“. Vgl. TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 15. 51 Die Urkunden der Merowinger, 1, hg. von Carlrichard BRÜHL–Theo KÖLZER– Martina HARTMANN–Andrea STIELDORF (MGH Diplomata regum Francorum e stirpe merovingica, Hannover 2001) XII. Vgl. auch SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 44) 661–664.

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Bollandisten zu verdanken, sondern auch seine Implementierung in die Welt monastischer Gelehrsamkeit. Der lang anhaltende Erfolg dieser Implementierung ist aber nicht den Bollandisten, sondern der Revanche der Benediktiner zu verdanken. Papebrochs Generalverdacht traf besonders die französischen Benediktiner, in deren Archiven im späten 17. Jahrhundert noch fast alle merowingischen und die meisten karolingischen Urkunden lagen (hier hat erst die Revolution vieles zerstört). Ihre ältesten Urkunden „abzuschreiben“, um einen finanztechnischen Begriff zu benutzen, war den Maurinern natürlich nicht möglich, beruhte doch sowohl ihre rechtliche wie politische Stellung, ihr Prestige wie auch ihr durch gelehrte Aktivitäten gerade so stolz etabliertes Selbstbewusstsein auf ihrer Tradition und auf ihren Archiven52. Die Karmeliter, denen in der nachfolgenden Abhandlung im zweiten Aprilband der Acta sanctorum ihre Frühgeschichte weitgehend dekonstruiert und so das Alter des Ordens deutlich zurückgeschraubt wurde, agierten kirchenrechtlich und brachten den Fall vor die spanische Inquisition, die 1695 den zweiten Aprilband auf den Index der verbotenen Bücher setzte, wo er bis 1715 verblieb53. Auch die Benediktiner empfanden Papebrochs Abhandlung als Provokation54, zumal gerade das dritte Viertel des 17. Jahrhunderts als der Höhepunkt gelehrter Konkurrenz zwischen jesuitischen und maurinischen Bestrebungen gilt55. Der gebührenden Antwort widmete sich der 1632 geborene Jean Mabillon, seit 1653 Mönch, der bereits durch die Mitarbeit an den Werken von Dom Luc d’Achery, die Edition der Werke Bernhards von Clairvaux und den Beginn der Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti ausgewiesen war.56 Wie er selbst gleich zu Beginn seiner Einleitung schrieb, hatten 52 BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 618f.; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 44) 664–668. 53 Daniel PAPEBROCH: Propylaei antiquarii pars secunda. De praetensa quorumdam Carmeliticorum conventuum antiquitate, in: AASS Aprilis 2 (wie Anm. 45) XXXII– XL. Vgl. dazu zuletzt Hubert BOST, Bayle et Mabillon: histoire critique, histoire savante, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 361–371, hier 362– 364; JOASSART, Mauristes (wie Anm. 44) 568f.; BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 605f.; JOASSART, Regards (wie Anm. 44) 291; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 44) 674–680. 54 ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 12f.; TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 19. 55 DOLBEAU, Instruments (wie Anm. 18) 624; Jean-Dominique MELLOT, Les mauristes et l’édition érudite. Un gallicanisme éditorial?, in: Érudition et commerce (wie Anm. 17) 73–88, hier 77f. 56 RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 42–59. Das gelehrte Europa wusste schon 1680 vom Vorhaben Mabillons, vgl. Malte-Ludolf BABIN, Mabillon et Leibniz, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 373–383, hier 373.

462 Mark Mersiowsky Mabillon zwei Dinge dazu veranlasst, ein Buch De re diplomatica zu verfassen: utilitas argumenti cum novitate coniuncta, atque defensionis necessitas57. Im Rückblick des Jahres 1704 hebt Mabillon dann nochmals hervor, es sei ihm zuvorderst um die Verteidigung des Archivs von St.-Denis gegangen, das Papebroch so stark angegriffen habe: [...] sed in primis vindicandi archivi Dionysiani causa, cuius „aestimationem“, ut eius verbis utar, „laesisse videbatur, secutus Launoii iudicium“58. Sein zuerst 1681 erschienenes Buch De re diplomatica libri sex59 basierte auf einem gewaltigen Materialfundus, der von den Maurinern zur Geschichte ihrer Klöster und Kongregation zusammengetragen worden war60. Er bot ein allgemeines, umfassendes System der Urkundenlehre und schuf das methodische Rüstzeug für das Papebroch-Mabillon’sche discrimen61. Dabei hebt das Werk schon – wie zitiert – in der dritten Zeile des Vorwortes die Notwendigkeit der Verteidigung hervor62, ohne dass polemisch auf Papebroch eingegangen wird. Stattdessen setzt sich Mabillon an den entsprechenden Stellen sachlich mit dessen Ergebnissen auseinander und verzeichnet diese sogar unter Papebrochii opiniones examinatae im Index universalis63. Wie die Argumentation gegen die Positionen Papebrochs sachlich, sozusagen auf Augenhöhe erfolgte, so haben beide Werke auch einen gemein57 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8), Praefatio auctoris (unpag.) [S. 1]. 58 MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7), Praefatio III. In seiner Laufbahn wurde Mabillon 1663 Trésorier von St.-Denis, vgl. RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 40f. 59 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 6), zu benutzen in MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8). 60 RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 45–50. Vgl. Damien BLANCHARD, À propos d’un texte de dom Racine (1699–1777). Les monographies d’abbayes, de dom Mabillon aux éditeurs du XIXe siècle, in: Érudition et commerce (wie Anm. 17) 215–237, hier 217–221. 61 PAPEBROCH, Propylaeum (wie Anm. 45); MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) I 1–3; Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) I 1–5. Vgl. dazu BRÜHL, Entwicklung (wie Anm. 20) 18–20; FICHTENAU, Diplomatiker (wie Anm. 11) 9f.; Harald ZIMMERMANN, Verschiedene Versuche, Vergangenheit vollständig zu vermitteln, in: Die Regesta Imperii im Fortschreiten und Fortschritt, hg. von Harald ZIMMERMANN (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 20, Köln–Wien–Weimar 2000) 1–17, hier 14f.; Rudolf SCHIEFFER, Zur derzeitigen Lage der Diplomatik, in: Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland, hg. von Tom GRABER (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 12, Leipzig 2005) 11–27, hier 12; SAWILLA, Antiquarianismus (wie Anm. 44) 668. 62 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8), Praefatio auctoris (unpag.) [S. 1]. 63 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8), Index universalis (unpag.). Zur Rolle der Indices bei den Maurinern und Mabillons Rolle: DOLBEAU, Instruments (wie Anm. 18) 645–647.

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samen medialen Aspekt. Sowohl die Acta sanctorum wie De re diplomatica nutzten denselben Träger, den Folianten (Abb. 39). Mabillons Werk war sogar etwas größer als die Acta sanctorum. Das ist nicht nur eine Äußerlichkeit, war doch der Foliant der traditionelle Träger monastischer Gelehrsamkeit. Die im Zuge der bella diplomatica erschienenen Schriften, manchmal nur Heftchen, hatten meist Quartformat, das klassische Format der barocken Dissertationen (Abb. 35, 36, 40). Wie wichtig diese scheinbar so äußerliche Frage war, wird nicht nur dadurch deutlich, dass sie bereits in der zeitgenössischen Diskussion ventiliert wurde64, sondern auch, wenn man berücksichtigt, dass der erste und einzige im Druck erschienene Band des Chronicon Gotwicense des Göttweiger Abtes Gottfried Bessel, 1732 nach langer Druckzeit fertiggestellt65, bekanntlich vom Format bis hin zur Drucktype dem Vorbild des Mabillonschen Bandes nacheiferte66 und selbst noch die ersten Ausgaben der Scriptores der „Monumenta Germaniae Historica“ in folio erschienen. Mabillon übertraf den zweiten Aprilband aber nicht nur leicht im Format, sondern im Gewicht. Statt auf der Analyse einer Reihe einzelner Texte, die zum größten Teil aus der Literatur stammten, legte Mabillon dem Band ein auf langen Archiv- und Bibliotheksreisen zur Geschichte des Benediktinerordens und unter Nutzung eines funktionierenden Kommunikationsnetzes der französischen Mauriner systematisch zusammengestelltes und gesammeltes Material zugrunde67, das er systematisch unter Behandlung aller 64 Histoire des contestations sur la Diplomatique avec l’analyse de cet ouvrage composé par le R. P. Dom Jean Mabillon (Paris 1708; Napoli 21767 [hier nach dieser Ausgabe zietiert]) 24: un bel in folio capable de bien tenir son coin in bibliothéque [sic]. 65 Chronicon Gotwicense, seu Annales liberi et exempti monasterii Gotwicensis, ordinis sancti Benedicti Inferioris Austriae, faciem Austriae antiquae et mediae usque ad nostra tempora, deinde eiusdem monasterii fundationem, progressum, statumque hodiernum exhibens, 1 [tomus I] (Tegernsee 1732); Tomus prodromi pars altera (o.O. o.J) (ohne eigenen Titel). Zu Bessel: Emmeram RITTER, Gottfried Bessel – Der „deutsche Mabillon“, in: Gottfried Bessel (1672–1749). Diplomat in Kurmainz – Abt von Göttweig. Wissenschaftler und Kunstmäzen (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 16, Mainz 1972) 203–215, zum Chronicon 209–215; umfassend und mit Nachweisen älterer Literatur: TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 27–46; vgl. Anna CORETH, Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit (1620–1740) (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 37, Wien 1950) 106–109; Anna CORETH, Historiographie in der Zeit des Barock, in: Welt des Barock. hg. von Rupert FEUCHTMÜLLER–Elisabeth KOVÁCS (Wien–Freiburg–Basel 1986) 186–203, hier 192f. 66 TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 43. 67 Vgl. MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8), Praefatio (unpag.); RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 77f. Einen instruktiven Einblick in Kommunikationsnetze und Reisetätigkeit vermittelt mit neuerer Literatur Francesco G. B. TROLESE, Mabillon e il monachesimo italiano. Aspetti di un fecondo incontro monastico e culturale, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 267–291, hier 268–291.

464 Mark Mersiowsky denkbaren Aspekte sichtete. Die umfassende Kenntnis vieler Tausend originaler Urkunden und Handschriften gab ihm ein unvergleichlich größeres Reservoir, aus dem er schöpfen und anhand dessen er ein System schaffen konnte. Auf dieser quantitativ wie qualitativ völlig neue Dimensionen bildenden Materialbasis musste er nicht stichprobenartig, sondern konnte vergleichend arbeiten und so manche Fehlannahmen Papebrochs korrigieren68. Immer wieder ist der Aufbau des Mabillonschen Werks geschildert worden, so dass sich dies hier erübrigt69. Nicht nur die Materialgrundlage setzte neue Standards, sondern auch die Ausstattung. Abgesehen von Titelkupfer und Kopfvignetten sind die ersten vier Bücher nicht illustriert70. Das fünfte Buch beginnt mit einer kurzen Vorrede71, dann bietet es jeweils mit vorgeschaltetem Kommentar 46 ganzseitige72, 14 doppelseitige73 Kupfertafeln (Abb. 41) sowie sogar eine noch größere ausklappbare74, als Holzschnitte finden sich zwei Bullenabbildungen, eine Rota und ein Benevalete aus Papsturkunden (Abb. 42)75. Für die äußeren Formen nutzte er wie schon Papebroch eine Form eines graphischen Regestes76, da die Gesamtwiedergabe als Kupferstich sehr aufwendig und teuer war. Schließlich musste für die Herstellung kupfergestochener Handschriftenoder Urkundenfacsimilia ein mit Wachs und Honig getränktes Papier über die Originale gelegt und die Schrift genau nachgezogen, diese Vorlage dann vom Stecher seitenverkehrt auf das Kupfer übertragen werden77. Um die wesent68 Vgl. ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 12f.; TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 13–15. 69 Schon bei LE CERF, Bibliotheque historique (wie Anm. 2) 256–259. Ich verweise nur auf ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 15–18; TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 19, vor allem und sehr detailliert 169–189. Ähnlich verweisend BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 606f. 70 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 1–342. Ich benutze hier die mit der ersten Ausgabe in dieser Hinsicht identische zweite. 71 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 343. 72 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 345, 347, 349, 351, 353–355, 357, 359, 361–363, 365, 367, 369, 371, 373, 377, 379, 381, 385, 389, 391, 397, 401, 409, 413, 415, 417, 419, 421, 423, 425, 427, 429, 431, 433, 437, 441, 443, 445, 447, 449, 453, 457, 637. 73 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 374f., 382f., 386f., 394f., 398f., 402f., 406f., 410f., 434f., 438f., 450f., 454f., 458f., 458*f. 74 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8), Tafel 17 nach 376. 75 MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 640f. 76 PAPEBROCH, Propylaeum (wie Anm. 45), Tafeln 1, 3, 4, 5. Zum Begriff des graphischen Regestes: Peter RÜCK, Fünf Vorlesungen für Studenten der Ecole des chartes, Paris, in: Arbeiten aus dem Marburger hilfswissenschaftlichen Institut (wie Anm. 31) 243–315, hier 262 sowie 265 Abb. 17. 77 Peter G. TROPPER: 1181 d Chronicon Gotwicense, in: 900 Jahre Stift Göttweig. 1083–1983. Ein Donaustift als Repräsentant benediktinischer Kultur. Stift Göttweig

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lichen Merkmale in einem solchen graphischen Regest wiederzugeben, wurde das Layout auf die Tafelgröße angepasst, die erste Zeile der Urkunde zum Teil in mehreren Zeilen und meist eine Kontextzeile nachgezeichnet, weiters das Eschatokoll und Siegel wiedergegeben; manchmal findet sich eine Transkription zwischen den Zeilen (Abb. 41, 43)78. Nur wenige Stücke wurden vollständig reproduziert, sei es aufgrund ihrer Bedeutung oder weil sie relativ klein waren. Das gilt für das berühmte Original Dagoberts II. für St.-Denis und einige spätere, kleinformatige Urkunden, die komplett als Facsimile beiliegen79. Neben den Urkundenfacsimilia und den graphischen Regesten enthält Mabillons Werk noch instruktive Kupfertafeln mit unterschiedlichen Buchstabenalphabeten von Handschriften und Urkunden (Abb. 44)80. Das sechste seiner De re diplomatica libri sex präsentierte hunderte bisher ungedruckter Urkunden. Mabillon gab zwar keine Regeln für die Anlage von Editionen vor, doch bestand das Buch aus Textabdrucken und prägte für lange Zeit den Standard der Urkundeneditionen. Für die Texte versuchte er stets, auf das Original oder die älteste Überlieferung zurückzugreifen, in den abgedruckten Texten wies er seine Quelle stets nach: aus dem Autograph, oft mit Lagerort, nach einem Chartular, nach der Abschrift eines Gelehrten oder aus einem Druck. Diese Vermerke setzte er in kleinerer Schriftgröße an den Buchrand. Der eigentliche Text wurde graphisch von Kommentaren und Erschließungshilfen abgesetzt (Abb. 45)81. Mabillons De re diplomatica war also ein barockes Prachtwerk grundlegender Arbeit, wie es die Geschichtforschung bis dahin noch nicht erlebt hatte. Gegenüber Papebrochs Abhandlung war dies zwar nichts absolut Neues, sondern griff dessen Vorgehen auf, übertraf das Werk jedoch durch die empirische Grundlage wie systematische Ausarbeitung und Ausstattung. Auch in der Form der Ausstattung wurde Mabillons De re diplomatica zum Maßstab82. Sie war aber keineswegs nur Akzidenz, vielmehr war sie Ausdruck wie Niederschlag der neuen Rolle von Empirie83, für die Mabillons De re diplomatica zum Flaggschiff wurde.

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29. April bis 26. Oktober 1983 (Bad Vöslau–Baden 1983) 656–658; MERSIOWSKY, Sammlerstolz (wie Anm. 31) 238. MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 374f., 377, 379, 381, 385, 389, 391, 394f., 397, 398f., 401, 402f., 406f., 409, 410f., 413, 415, 417, 419, 421, 423, 425, 431, 433, 434f., 437, 438f., 441, 443, 445, 447, 449, 453, 454f., 458f., 458*f. Noch die Abzeichnungen der Monumentisten des 19. Jahrhunderts nutzten die Form des graphischen Regestes, um durch Pausen Unterlagen für den Schreibervergleich zu schaffen; diese Pausen finden sich oft im Archiv der MGH in München. MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) Tafel 17 nach 376, 427, 429. MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 345, 347, 349, 351, 353. MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) 462–621. TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 43. Vgl. die Einleitung zu diesem Band.

466 Mark Mersiowsky Der Erfolg war durchschlagend. In einem Schreiben vom 20. Juli 1683 reagierte Papebroch bekanntlich auf De re diplomatica in einen Brief, dessen Veröffentlichung er Mabillon anheimstellte. Er habe nur die Genugtuung, dass er Mabillon den Anstoß zu dessen Werk gegeben habe. Zunächst habe er das Werk mit einigem Schmerz gelesen, doch sei er in einer Weise widerlegt worden, auf die er nicht antworten könne. Deshalb mache es ihm keine Schwierigkeit, dass, wann immer Mabillon dazu Gelegenheit habe, öffentlich zu verkünden, dass Papebroch voll und ganz seiner Ansicht sei, er dies tun möge: Initio quidem lectionis, fateor, patiebar humanum aliquid: sed mox ita me rapuit ex utilissimo solidissimeque tractato argumento proveniens oblectatio et gratus emicantis ubique veritatis fulgor cum admiratione tot rerum hactenus mihi ignotarum, ut continere me non potuerim, quin reperti boni participem statim facerem socium meum patrem Baertium. Tu porro, quoties res tulerit, audacter testare, quam totus in tuam sententiam iverim, meque, ut facis, perge diligere, qui quod doctus non sum, doceri saltem cupio84. Mabillon ließ diesen Brief übrigens zunächst ungedruckt. Nicht nur Papebroch nahm De re diplomatica als einen Markstein historischer Arbeit und Quellenkritik und epochemachendes Werk wahr85. Schnell wurde er auch außerhalb der Sphäre monastischer Gelehrsamkeit im klassischen Millieu der Urkundenpraktiker bekannt. So benutzte bereits eine Helmstedter Dissertation von 1688 über das Recht der Archive Mabillon86. Als erster nachweislicher deutscher Rezipient der neuen Lehre, der nicht nur einzelne Stellen zitierte, sondern die Methode aufnahm, darf der Jurist Johann Nikolaus Hert (1652–1710) in Gießen mit einer Abhandlung von 1699 gelten87, ihm folgte 1704 sein Helmstedter Kollege Johann Eisen84 MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7), Praefatio VI; in französischer Übersetzung auch in: RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 84f.: C’est pourquoi il ne fait pas difficulté, toutes les fois que vous en aurez l’occassion, de dire publiquement que je suis entièrement de votre avis. LUDEWIG, Reliquiae manuscriptorum (wie Anm. 40) 29. Vgl. auch Albert PONCELET, Mabillon in Papebroch, in: Mélanges et Documents (wie Anm. 1) 171–175, hier 172; JOASSART, Mauristes (wie Anm. 44) 568; BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 606. 85 Bruno NEVEU, Paris capitale de la république des Lettres et le De re Diplomatica de Mabillon. Annuaire-Bulletin de la Société de l’Histoire de France 1981–1982 (1983) 29–50. 86 Georg ENGELBRECHT [praeses]–Friedrich Ernst RINCKHAMER [respondens], Dissertatio de iure archivorum, die 16. Junii anno MDCLXXXVIII (Helmstedt o. J.), Abschnitt IV (unpag.). 87 Johann Nikolaus HERT [praeses]–Friedrich Ludwig WALDNER VON FREUNDSTEIN [respondens], Dissertatio de diplomatis Germaniae imperatorum et regum, Calendas Septembris MDCIC (Gießen o. J.); wiederabgedruckt unter dem Titel: Dissertatio de fide diplomatum Germaniae imperatorum et regum, in: BARING, Clavis (wie Anm. 4) 325–368. Vgl. ROSENMUND, Fortschritte (wie Anm. 9) 30f.; TROPPER,

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hart88. Schon 1710 wurde de instauratoribus artis diplomaticae gehandelt, wobei man vor allem Conring und Mabillon meinte89. Natürlich beendete Mabillons System der Diplomatik noch nicht die bella diplomatica, gab ihnen aber neues methodisches Rüstzeug90. Bis kurz nach 1700 glänzte der Ruhm Mabillons weit über Frankreich hinaus ohne Eintrübung91. Die nach Abschluß des Werkes und seiner glücklichen Aufnahme möglichen großen Archivreisen Mabillons nach Deutschland, die Schweiz und Italien sowie zahlreiche neue Kontakte, die sich im Korrespondenznachlass der Mauriner ausreichend niederschlugen, erweiterten das verfügbare Material erheblich und legten nach und nach eine Überarbeitung nahe. Mabillon war allerdings mit anderen Arbeiten ausreichend beschäftigt, wie seine Vita glaubhaft versichert92. Die Zeit um 1700 kann als Sattelzeit der Wissenschaftsgeschichte gelten. Die kritische Methode als empirisch basierte Analyse hatte sich durchgesetzt, die Philosophie beschäftigte sich mit der Frage, wie man zur Wahrheit kommt. Um 1700 stand Mabillon im Zenit seines Ruhms. Er wurde 1701 in die „Academie Royale des Inscriptions et Belles Lettres“ aufgenommen – als Ehrenakademiker, denn die aus demselben Jahr stammenden Regularien der Akademie ließen Mönche nicht als Akademiker zu, nur einzelne Persön-

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Urkundenlehre (wie Anm. 11) 26; BURKARDT, Hilfswissenschaften (wie Anm. 30) 21. Kölzer bemerkte übrigens, Hert sei „– soweit wir sehen – auf diplomatische Fragen später nicht zurückgekommen [...]“: KÖLZER, Mabillons „De re diplomatica“ (wie Anm. 11) 627. Hinzuweisen ist aber auf eine kleine Abhandlung unter dem Titel: Johann Nikolaus HERT, Tractatio synoptica de iactitata vulgo ordinis Cisterciensis libertate ac exemtione a superioritate territoriali et advocatia (Frankfurt am Main–Leipzig 1718). Bei der oben zitierten Schrift De diplomatis Germaniae imperatorum et regum war trotz des entgegenlautenden Titels Hert selbst der Verfasser, vgl. KÖLZER, Mabillons „De re diplomatica“ (wie Anm. 11) 622f. Zur Frage der Entstehung und Zuschreibung der Tractatio an Hert vgl. die Praefatio, Tractatio synoptica (unpag.). Zu Hert vgl. auch den Beitrag von Colin Wilder in diesem Band. Überarbeitung: Johann EISENHART, Tractatus iuridicus de iure diplomatum, hg. von Georg Stephan WIESAND (Leipzig 31757). TROPPER, Urkundenlehre (wie Anm. 11) 26 (mit falschen Lebensdaten für Eisenhart); BURKARDT, Hilfswissenschaften (wie Anm. 30) 21. Simon Friedrich HAHN, Diploma fundationis Bergensis ad Albim coenobii, recensuit et historicis adnotationibus, res aevi antiquioris praecipue complectentibus, illustravit Simon Fridericus Hahnius. Adiecta est eiusdem auctoris Praefatio de instauratoribus artis diplomaticae (Magdeburg–Leipzig 1710), Praefatio (unpag.). Vgl. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 612f.; BABIN, Mabillon (wie Anm. 56) 382f. RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 72–77; vgl. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 607f. RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 304–306; vgl. LE CERF, Bibliotheque historique (wie Anm. 2) 262–265.

468 Mark Mersiowsky lichkeiten als académicien honoraire. Mabillon war der erste, dem diese Ehre zuteil wurde93. Mabillons Werk, so schrieb kürzlich Paul Bertrand pointiert, sei nahezu sakralisiert worden, er habe eine Religion der Quellen geschaffen und sei ihr bester Prediger gewesen94. Die ihm entgegengebrachte Verehrung hatte bisweilen sogar überzogene Folgen. So machte schon der Nouveau traité auf einen Fall aufmerksam, in dem ein zeitgenössischer Autor aus der Tatsache, dass eine Urkunde nicht bei Mabillon behandelt und ediert sei, deren Unechtheit ableitete95. Dennoch muss man von einem wissenschaftsklimatischen Wandel um 1700 sprechen96. Eine Vorreiterrolle spielte dabei das seit 1701 erscheinende jesuitische Rezensionsorgan der sogenannten Mémoires de Trévoux, genauer die Mémoires pour l’histoire des sciences et des beaux-arts. Diese Zeitschrift wurde monatlich im südfranzösischen Trévoux, das als Hauptstadt des Herzogtums Dombes nicht dem vollen Zugriff der französischen Krone und ihrer Zensur unterlag und daher den Jesuiten größere Freiheit bot, herausgebracht97. Vermutlich gehörte der aus Orléans stammende Theologieprofessor Barthélémy Germon (1663– 1718) zum Kreise dieser anonymen Autoren. Germon veröffentlichte 1703 eine Schrift, die ihn zum oben bereits aufgeschienenen namenlosen Gegner oder Widersacher Mabillons in dessen Vita machte98. Bislang nur durch zwei kleinere Schriften zur Kongregationsgeschichte ausgewiesen99, machte er sich ans Werk, Mabillons Autorität grundsätzlich anzugreifen. Anders als 93 Daniel-Odon HUREL, Mabillon, les mauristes et l’Académie royale des inscriptions et belles-lettres, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 323–350, hier 324, 341; BOST, Bayle (wie Anm. 53) 368. 94 BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 608–610. 95 Vgl. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 608. 96 Vgl. auch MELLOT, Mauristes (wie Anm. 55) 83f. 97 Zu diesem Organ immer noch grundlegend Alfred R. DESAUTELS, Les Mémoires de Trévoux et le mouvement des idées au XVIIIe siècle, 1701–1734 (Bibliotheca Instituti Historici Societatis Jesu 8, Rom 1956); ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 89–111, hier 89; Christian ALBERTAN, La correspandance du Père Léonard de Sainte-Catherine: une religion des lettres, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 351–360, hier 354. Digitalisate der Bände finden sich zum Teil in den Netzangeboten der französischen Nationalbibliothek: www.voltaire-integral.com/ zEtudes/Trevoux/JounalTrevoux.html [3. November 2011]; nicht zugänglich war mir die Benutzung der kostenpflichtigen Datenbank des ARTFL-Projektes, http:// artfl-project.uchicago.edu/content/journal-de-tr%C3%A9voux. 98 Barthélémy GERMON, De veteribus regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplomata vera a falsis disceptatio (Paris 1703). 99 Barthélémy GERMON, Question importante à l’occasion de la nouvelle histoire des congrégations De Auxiliis (Lüttich 1700); Barthélémy GERMON, Lettre à M. l’abbé Le Blanc sur la nouvelle Histoire des disputes De Auxiliis, qu’il prépare (Lüttich 1698).

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die Acta sanctorum und De re diplomatica war die kritische Publikation kein Foliant, entsprach also nicht dem klassischen Medium monastischer Gelehrsamkeit. Stattdessen war es ein Duodez-Band, also eine Kategorie von Büchern, die eher für Romane, vor allem aber für Schulliteratur und Lehrbücher wie Summen typisch waren (Abb. 46). Schon der anonyme „Freund der Wahrheit“ von 1783/85, wohl Johann Schwab, verwies auf diese Tatsache und zog sie so etwas ins Lächerliche: Allein Bartholomä Germon eben ein wichtiges Mitglied der berühmten Gesellschaft fieng im Jahr 1703 – in einem Duodezbändchen den Streit von neuem an100. Albertan sprach 2003 davon, die Jesuiten hätten sich leichter Waffen, der „armes legères“ bedient101. In seiner 1703 erschienenen Abhandlung in lateinischer Sprache resümiert Germon zunächst die Methode Mabillons, aus der Betrachtung der Originale Bewertungskriterien abzuleiten und darauf seine ars aufzubauen. Germon beschränkt sich auf die ältesten Zeugnisse, die Urkunden der fränkischen Könige der Merowinger- und Karolingerzeit102. Im ersten Teil des Buches geht er systematisch vor. Der erste skeptische Einwand ist der, dass Originale aus dieser Zeit nicht leicht bis in die Jetztzeit überliefert sein könnten. Anders als Steininschriften seien die Beschreibstoffe nicht dauerhaft gewesen103. Bei Handschriften sei es noch vorstellbar, dass eine von vielen Kopien auf uns gekommen sei, doch bei Urkunden, bei denen höchstens ein oder zwei Exemplare erstellt worden seien, sei diese Chance verschwindend gering, zumal die Wachsamkeit ihrer Bewahrer nicht immer die größte gewesen sei104. Aus der unzweifelhaften Existenz von Fälschern und gefälschten Diplomen105 leitet Germon einen Generalverdacht gegen die aus diesen Beständen stammenden Stücke ab: nur die Stücke, die mit klaren Argumenten als wahr und gerechtfertigt gelten können, bleiben nicht zweifelhaft und verdächtig106. Die von Mabillon angeführten Originale der ältesten Urkunden gelten Germon als verdächtig, weil dieser sie gerade aus jenen Orten hole, wo die Zahl der Fälschungen groß sei. Wie ein kluger Richter einen Menschen, den er inmitten einer Räuberbande verhaftet hatte, 100 Kurze Erzählung (wie Anm. 4) 5. 101 ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 89. 102 GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 12. Vgl. zu Germons Angriff schon LUDEWIG, Reliquiae manuscriptorum (wie Anm. 40) 30f. 103 GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 17–19. Vgl. Albertan, BÉNÉDICTINS (wie Anm. 17) 93. 104 GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 19–24. 105 GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 28–37. Vgl. Albertan, BÉNÉDICTINS (wie Anm. 17) 93. 106 GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 37f. Vgl. auch ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 92f.; BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 613.

470 Mark Mersiowsky verdächtigen müsse, bis sich dieser vom Verdacht der unguten Vergemeinschaftung gereinigt habe, so gelte dies auch für die Urkunden107. Wie dies aber geschehen könne, wisse er nicht: Siegel, Schriftform, Chirographe, Monogramme, chronologische Angaben: alles sei den Fälschern bekannt gewesen und von dieser verwendet worden108. Auch die schlechte Orthographie der ältesten Diplome mache diese verdächtig, da die Referendare doch gebildete Männer gewesen seien109. Nichts, was in dieser Zeit geschrieben worden sei, entspreche dem Stil der verdächtigen Urkunden110. Dann geht er speziell auf das Archiv von St.-Denis ein, das ihm verdächtig bleibt111. Im zweiten Teil der Abhandlung befasst sich Germon näher mit neun Merowinger- und sechs Karolingerurkunden, die Mabillon ediert und als Originale angesprochen hatte, und erklärt sie alle für gefälscht oder verdächtig112. Schließlich konkludiert er: Keine der Urkunden, die Mabillon für echt und unbedenklich gehalten habe, bleibe ohne Zweifel. Da dies aber so sei, liege es nicht am Kritiker, Beweise für die Fälschung zu liefern, sondern an Mabillon, Beweise für die Echtheit zu erbringen. Fälschungen, so räumt er ein, seien von den Mönchen und Klerikern nicht erstellt worden, um sich unrecht Besitz zu verschaffen, sondern weil Zeitläufte und Verluste sie dazu zwangen. Allen Regeln, die Mabillon aufgestellt habe, lägen Fälschungen oder unsichere Stücke zugrunde, und was könne man mit Regeln anfangen, die auf falschen Beweisstücken beruhten? Germon rief Mabillon auf, die Echtheit seiner Belege zu beweisen, und hoffte, dass dieser ihm die Mühe der Arbeit durch solches belohne. Nur das Bemühen, die Wahrheit ganz inwendig zu erkennen, habe ihn zu diesem Schreiben bewegt113. Ein in der gelehrten Welt noch nicht durch besondere Meriten hervorgetretener vierzigjähriger Autor wagte es hier, ein Monument der Gelehrsamkeit anzugreifen114, und dies im doppelten Sinne: sowohl De re diplomatica wie die Person ihres berühmten Autors. Die vom zeitmodischen Skeptizismus durchdrungenen Ausführungen Germons gehen zwar eingehend auf das Material der fränkischen Herrscherurkunden ein, bleiben aber nicht dabei. Anders als Mabillon, der eine ars und ihre Methoden umrissen und praktiziert hatte, will sich Germon auf dieses Modell erst gar nicht einlassen, 107 108 109 110 111 112

GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 41f. GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 42–49. GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 65–78. GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 78–94. GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 94–114. GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 115–266. Vgl. ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 93. 113 GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 266–273. Vgl. ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 93; BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 613f. 114 ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 93.

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sondern unterminiert mit skeptizistischen Einzelbeobachtungen die Grundlage der Mabillonschen ars, aber mit durchaus sachfremden Zugriffen und Beweggründen. Anstöße und Maßstäbe aus der zeitgenössischen Philosophie wie Theologie lassen Germon den Anspruch erheben, die ars diplomatica müsse sich an diesen messen lassen. Wissenschaftsgeschichtlich war Germons Opus ein Rückschritt. Statt der breiten, epochemachenden Empirie Mabillons auf gleicher Augenhöhe entgegenzutreten, führte der aus dem Schulmilieu stammende Germon die Diplomatik zurück in die durch Mabillon eigentlich überwundene Sphäre rhetorischer Untersuchung115. Dass Mabillons Regeln auf einem gewaltigen, mit Scharfsinn durchdrungenen Material beruhen und in bewundernswerter Form durch Textabdrucke wie Kupfer präsentiert und zugänglich gemacht wurden, spielt keine Rolle. Auf die Diskussion der empirischen Grundlagen lässt sich Germon gar nicht ein, sein Werk hat keine einzige Abbildung, er argumentiert textimmanent. Der Germons Werk durchziehende generelle Skeptizismus musste mit dem fundamentalen Optimismus der maurinischen oder besser mabillonischen Diplomatik116 kollidieren. Hatte Mabillon mit De re diplomatica die Diplomatik, die Beschäftigung mit den Urkunden, auf ein neues Niveau gehievt, so sah Germon die Diplomatik sichtlich als Säulenheiligen und suchte diesen zu stürzen. Gleichzeitig zog er die von Mabillon auch semantisch in eine Sphäre der Erudition gerückte (oder soll man sagen entrückte?) Bewertung von Echtheitsfragen zurück in die Welt polemischer Auseinandersetzungen, in der sie seit den bella diplomatica angesiedelt war. Mabillons Werk, das eigentlich dieses Stadium überwunden hatte, wurde so selbst zum Auslöser eines „bellum diplomaticum“117. Dass die Rezension in den Mémoires de Trévoux die Positionen Germons nach einer kurzen Würdigung Mabillons in voller Breite und ohne Abschwächung referiert, kann nicht verwundern, war doch der Rezensent vermutlich Barthélémy Germon selbst118. In dieser Rezension wurde der Angriff auf Mabillon sogar noch zugespitzt: wenn sich eine falsche Urkunde unter den Grundlagen des Mabillonschen Systems befinde, sei dieses obsolet119. Nach dem eingangs angeführten Zeugnis Thierry Ruinarts sah sich Mabillon unter Zugzwang und machte einen geschickten Schachzug, indem er das lange vorbereitete Supplement herausbrachte120. Nach Zeugnis des 115 116 117 118

Vgl. zur diesem Aspekt die Einleitung zu diesem Band. Vgl. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 610f. BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 612f. Mémoires pour l’histoire des sciences et des beaux-arts (1704) 108–117. Vgl. Kurze Erzählung (wie Anm. 4) 59f.; ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 93f. 119 Mémoires pour l’histoire des sciences et des beaux-arts (1704) 117. Vgl. ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 94. 120 RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 304–306.

472 Mark Mersiowsky Abregé schätzte Mabillon contestations, mehr oder minder polemische Auseinandersetzungen, grundsätzlich nicht: [...] qui n’a jamais aimé les contestations [...]121. Dabei dürfte es Mabillon nicht generell um Konfliktvermeidung gegangen sein, denn in anderen Fällen war er durchaus zu entschiedener Diskussion bereit122. Hinter seiner Ablehnung der contestations stehen unterschiedliche Modi wissenschaftlicher Kommunikation. Das knappe Vorwort zum Supplement hebt vor allem Daniel Papebrochs Bewertung der Diplomatik hervor123. Zunächst wendet Mabillon sich der Diplomatik und ihrer Bedeutung zu, dann den Archiven und wiederum St.-Denis, den Beschreibstoffen, der merowingischen Schrift, Orthographie, Stil und Sprache, den Verderbnissen in Urkunden, behandelt weiters die Echtheit bestimmter Herrscherurkunden, Privaturkunden, dann die Chronologie von den Merowingern bis Hugo Capet124. Ein Kapitel über Metallbullen und das angelsächsische Siegelwesen125 und die Pfalzen und Feder und Calamus126 und schließlich die Besprechung neuer Funde127 leiten zu allgemeineren Überlegungen zum Wert älterer Handschriften über128. Wie schon das Hauptwerk ist auch das Supplement prächtig ausgestattet mit ganzseitigen Abbildungen (Abb. 47), mit Schrift- und Bullenkupfern im Text (Abb. 48)129 wie ausfaltbaren Tafeln130. Mabillon blieb in seiner Reaktion also dem systematischen Aufbau der Diplomatik verbunden und hielt damit am neuen wissenschaftlichen Standard fest, präzisierte allenfalls etwa seine Darstellungen zur Urkundenüberlieferung und zum Archiv von St.-Denis131. Bei all diesen Ausführungen bezieht er sich aber nicht ausdrücklich auf Germon, sondern bleibt allgemein. Nur ein Beispiel sei angeführt. Germons Verweis, dass Originale aus dieser Zeit nicht leicht bis in die Jetztzeit überliefert sein könnten, da die Beschreibstoffe nicht dauerhaft gewesen seien,132 greift Mabillon ohne Namensnennung auf, stellt aber fest, dass es solche in der Vatikanischen Bibliothek, in der Ambrosiana in Mailand und in St.-Denis gebe133. 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133

RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 85. RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 59–72. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) III–VI. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 1–45. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 45–49. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 49–51. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 52–57. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 57–67. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 11, 13, 40, 46, 47, 48, 98, 105, 109f., 114f. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 70–76. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 2, 5–8. GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 17–19. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 8–10.

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Auch Germons skeptischer Verweis, bei Handschriften sei es noch vorstellbar, dass eine von vielen Kopien auf uns gekommen sei, doch bei Urkunden, bei denen höchstens ein oder zwei Exemplare erstellt worden seien, sei diese Chance verschwindend gering, zumal die Wachsamkeit ihrer Bewahrer nicht immer die größte gewesen sei134, repliziert Mabillon mit der einfachen Feststellung, es gäbe sie aber: Factum constat135. Obwohl gerade bei letzterem eine gewisse Süffisanz spürbar ist, bediente sich Mabillon weder der Semantik polemischer Darstellung noch üblicher Disputtechniken. Damit zieht er die Linie der Diplomatik fort und begibt sich nicht auf Germons Ebene. Nur ganz knapp reagiert er auf dessen grundlegenden Skeptizismus, unter anderem mit der Feststellung, es gäbe verschiedene Formen von Sicherheit136. Mabillon blieb übrigens mit dem Supplement auch medial wieder im gewohnten Register wissenschaftlicher, monastischer Produktion, er legte einen Folianten vor. Wie Mabillon über Germon dachte, lässt ein 1724 in seinen Gesammelten Werken publizierter Brief an Giusto Fontanini erahnen. Germon halte sich selbst für einen Meister der Diplomatik, erweise sich aber gerade einmal als Schüler: [...]ut is, qui se in re diplomatica magistrum putabat, vix discipulum se reputari facile sustineat137 . Natürlich war der Druck des Briefes von Papebroch an Mabillon, den wir sowohl im Supplement zu De re diplomatica wie in Ruinarts kurzer Biographie Mabillons finden138, ein typischer Zug gelehrter Kontroversen der Zeit, versuchte man doch gerne, die eigene Positionen durch Zitate bestätigender Urteile aus dem intellektuellen „Gegenlager“ zu untermauern139. Wie konnte man den jesuitischen Gegner besser beschämen als ihm die Anerkennung der mabillonschen Diplomatik durch einen der anerkanntesten jesuitischen Gelehrten entgegenzuhalten? Das Supplement war dennoch ein wirkliches Supplement der Diplomatik und keine diplomatische Streitschrift. 134 135 136 137

GERMON, Disceptatio (wie Anm. 98) 19–24. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 6. MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7) 3. Ouvrages posthumes de Dom Jean Mabillon et de Dom Thierri Ruinart, bénédictins de la congregation de Saint Maur, 1: Un recueil des petits écrits de Dom Jean Mabillon avec des additions. Ses lettres et celles des personnes illustres par leurs dignitez, ou par leur savoir, qui lui ont écrit. Et l’histoire de quelques contestations littéraires, où ce savant homme est éntre, hg. von Vincent THUILLIER (Paris 1724) 536. 138 MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7), Praefatio VI; RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 84f. 139 Thomas STOCKINGER: Factualité historique, preuve juridique, autorité patristique: stratégies d’argumentation dans les controverses érudites en milieu ecclésiastique, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 709–733, hier 722. Noch TOUSTAIN–TASSIN, Nouveau traité (wie Anm. 4) 1 32f., benutzt diese Technik. Vgl. auch allgemein Gelehrte Polemik. Internationale Konfliktverschärfungen um 1700, hg. von Kai BREMER–Carlos SPOERHASE (Zeitsprünge 15, Frankfurt am Main 2011).

474 Mark Mersiowsky So wurde es bei Neuauflage der Diplomatik 1709 mitabgedruckt, nun als unverzichtbarer und organisch das Vorangehende ergänzender Bestandteil des Gesamtwerkes. Interessanterweise reagierten die Mémoires de Trévoux nicht auf das Erscheinen des Supplements140, wohl aber Barthélémy Germon selbst, der gegen das Supplement eine zweite Schrift verfasste. Format wie Technik der zweiten Disceptatio blieben ähnlich, neue Gesichtspunkte treten nicht auf 141. Schon in der Vorrede an den Leser weist Germon darauf hin, dass er eigentlich gleich in einer Abhandlung die Entgegnungen Mabillons wie Giusto Fontaninis abhandeln wollte, doch nachdem ihm letztere kürzlich zugegangen seien, konzentriere er sich auf die Auseinandersetzung mit Mabillon und werde möglichst bald Fontanini entgegnen142. Germons Versicherung, er habe nur aus Bemühen um die zu ermittelnde Wahrheit geschrieben, nicht aus Liebe von Streit und Auseinandersetzungen, erscheint im Spiegel seiner lustvollen Polemik wenig glaubhaft, gibt aber immerhin einen Schlüssel zu seinen Intentionen: Eram quidem mihi ipse conscius, quod solo inquirendae veritatis studio impellerer ad scribendum, non amore rixarum et contentionis [...]“143. Es geht um die veritas inquirenda. Wieder beschäftigt sich Germon mit der Echtheit der ältesten Urkunden144 und dem Archiv von St.-Denis145, geht dann die von Mabillon im Supplement neu präsentierten Stücke durch, deren Echtheit er wieder durchgehend anzweifelt146, und greift dann nochmals das ganze System der Diplomatik an147, wobei er seinen Verdacht über die Urkunden hinaus auch auf die ältesten Handschriften des Augustinus ausweitet: auch hier seien Fälscher am Werk gewesen, was den Wert der ältesten Überlieferung zunichte mache148. Wie in der Rezension seines eigenen Werken in den Mémoires de Trévoux lobt er Mabillon als gebildeten, gelehrten Wissenschaftler149, doch wirft er ihm immer wieder vor, auf die Argumente gegen die Echtheit der Urkunden gar nicht eingegangen zu sein: Quid ergo ad id quod obiectum fuerat respondisti? Nihil.150 Keine einzige Urkunde bestehe und habe sich als frei von aller 140 Dies hob schon ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 93, hervor. 141 Barthélémy GERMON, De veteribus regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplomata vera a falsis disceptatio II. (Paris 1706). 142 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141), Leservorrede (unpag.). 143 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 2. 144 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 9–78. 145 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 79–172. 146 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 172–297. 147 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 298–409. 148 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 331–409. 149 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 290–292. 150 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 294.

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Fälschung erwiesen151. Dabei argumentiert er, private Archive hätten keine Glaubwürdigkeit, nur öffentliche152. Den Wert empirischen Arbeitens bestreitet er für merowingische und karolingische Urkunden, denn wo könne man Erfahrung gewinnen, wenn es keine sicheren, echten Urkunden gibt153? Mit dem Verweis Germons auf die Kritik Fontaninis wurde schon klar, dass Mabillons Supplement nur die erste Reaktion auf Germons Provokation und nur der erste Schritt der Auseinandersetzung gewesen war. In seiner 1705 erschienenen Entgegnung auf die erste Disceptatio sichtete Giusto Fontanini (1666–1736), Professor der Beredsamkeit am päpstlichen Archigymnasium in Rom, ebenso systematisch wie kenntnisreich die einzelnen Einwände Germons, wobei er dessen Aufbau in zwei Büchern folgte. Unter umfassendem Rückgriff auf die in der Literatur der Zeit kursierenden wie auf ihm bekannte italienische, oft friaulische Beispiele widerlegte er Germons Einwände und fand dabei mitunter klare Worte wie Disceptator exultans alia incredibilia sophismata154. Mabillon dankte ihm brieflich155. Eine Reihe von Autoren attackierten Germon heftig, manchmal in kleinen, broschierten Streitschriften, die heute trotz der Digitalisierung wichtiger Altbestände immer noch schwer aufzufinden sind. Neben Ruinart, der sich gegen Verdächtigungen eines Testaments für die Pariser Kirche wandte156, und Coustant157 verweise ich etwa auf die Kleinschriften von Domenico Lazzarini158, Marco Antonio Gatti159 und Scipione Maranta160, die nun die sprichwörtlichen Glacéehandschuhe auszogen und Germon heftig angriffen.

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GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 297. GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 68, 74f., 319f, 326–329, 336f. GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 71–75, vgl. auch 299–311, 329f. Giusto FONTANINI, Vindiciae antiquorum diplomatum adversus Bartholomaei Germonii Disceptationem de veteribus regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplomata vera a falsis libri duo, quibus accedit veterum auctorum appendix (Roma 1705) 53, vgl. auch 58. Zur Gegenkritik Fontaninis schon LUDEWIG, Reliquiae manuscriptorum (wie Anm. 40) 30f. Ouvrages posthumes (wie Anm. 137) 537f. Thierry RUINART, Ecclesia Parisiensis vindicata adversus R. P. Bartholomaei Germonii duas Disceptationes (Paris 1706); vgl. LE CERF, Bibliotheque historique (wie Anm. 2) 440–442. Pierre COUSTANT, Vindiciae manuscriptorum codicum a R. P. Bartholomaeo impugnatorum (Paris 1707). Domenico LAZZARINI, Defensio in P. Bartholomaeum Germonium (Venedig 1708); ein Wiederabdruck in: Domenico LAZZARINI, Osservazioni sopra la Merope del signor Marchese Scipion Maffei ed altre varie operette parte finora qua e la disperse, parte non publicate (Roma 1743) 151–176; vgl. LUDEWIG, Reliquiae manuscriptorum (wie Anm. 40) 32. Auch ihm dankte Mabillon brieflich, vgl. Ouvrages posthumes (wie Anm. 137) 538f.

476 Mark Mersiowsky Die massive Reaktion der literarischen Welt bedarf natürlich einer Erklärung. Lazzarini sah Germons Kritik nicht als Einzelphänomen, sondern als Teil einer breiteren Kampagne: Hardouin gegen die Werke des Thukydides, weiterer Historiker und griechischer wie lateinischer Poeten, andere gegen die Kirchenväter, schließlich Germon gegen die ältesten Herrscherurkunden. Lazzarini spricht von einer pyrrhonischen Schule, bezieht sich also auf den seit dem 16. Jahrhundert gut bekannten Skeptizismus des Pyrrhon von Elis161. Mit seiner Sicht scheint er nicht allein geblieben zu sein, und in der Tat verschob sich die Front der Diskussion von den Diplomen immer stärker zu den Handschriften, die Germon in seiner zweiten Disceptatio stärker verdächtigt hatte162. Noch auf einen schon angesprochenen Faktor ist hier ausdrücklich zu verweisen. Neben den gedruckten Schriften gab es briefliche Diskussionen, die zum Teil wiederum gedruckt kursierten. Im Falle von Domenico Lazzarini bietet seine Werkausgabe von 1743 eine Reihe zunächst ungedruckt gebliebener Briefe, die zeigen, dass die gedruckten Schriften nur die sprichwörtliche Spitze des Eisberges bilden163. Dabei vernetzte sich die Diskussion und Kommunikation sichtlich. Lazzarinis früh gedruckter Brief an einen ungenannten Freund in Paris zeigt die intensive Beschäftigung mit Germon, den Rezensionen der Mémoires de Trévoux und Giusto Fontanini164. Mabillon dankte – wie schon erwähnt – sowohl Fontanini165 wie Lazzarini166. Wohl 1709 schrieb auch Ruinart an Fontanini und dankte ihm für sein Ein159 Marco Antonio GATTI, Epistola ad virum clarissimum Jacobum Bernardum pro vindiciis antiquorum diplomatum Justi Fontanini Foroiuliensis (Amsterdam 1707). 160 Scipio MARANTA, Expostulatio in Bartholomaeum Germonium pro antiquis diplomatibus et codicibus manuscriptis (Messina 1708). 161 LAZZARINI, Defensio (wie Anm. 158) 174. Zur Diskussion um die Kirchenväter mit umfassenden Nachweisen: Jean-Louis QUANTIN, Le catholicisme classique et les Pères de l’Église. Un retour aux sources (1669–1713) (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen-Âge et Temps Modernes, 33, Paris 1999); Jean-Louis QUANTIN, La philologie patristique et ses ennemis: Barthélémy Germon, S.J., et la tentation pyrrhoniste chez les anti-jansénistes, in: Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher „Philologie“, hg. von Ralph HÄFNER (Frühe Neuzeit 61, Tübingen 2001) 305–332. 162 GERMON, Disceptatio 2 (wie Anm. 141) 331–409, dagegen vor allem COUSTANT, Vindiciae (wie Anm. 157). 163 Domenico LAZZARINI, Epistola ad amicum Parisiensem pro vindiciis antiquorum diplomatum Justi Fontanini Foroiuliensis, in: Domenico LAZZARINI, Osservazioni (wie Anm. 158) 137–150; Briefe an Giusto Fontanini von 1707 ebd. 177–187; ebd. 188; ebd. 189–192; ebd. 193f.; ebd. 194–196 (der Brief scheint weiterzugehen, doch Lücke in meinem Exemplar). 164 LAZZARINI, Epistola ad amicum (wie Anm. 163) 142f. 165 Ouvrages posthumes (wie Anm. 137) 537f. 166 Ouvrages posthumes (wie Anm. 137) 538f.

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treten für Mabillon. Germon sei tollkühn gewesen und habe die verdiente Strafe für einen Athleten erlitten, der unvorbereitet in die Arena gestiegen sei167. Gerade die Briefe zeigen, wie dicht das Netz wissenschaftlicher Kommunikation war, wie oft die Beteiligten miteinander kommunizierten, Bücher austauschten, Schriften und Briefe versandten, sich auf diese bezogen und dies anderen kommunizierten. Im konkreten Falle war Lazzarini nach eigener Auskunft gerade in einer Bibliothek, als ihm die neue Ausgabe der Mémoires gebracht wurde, und als er die Rezension zu Fontanini sah, griff er zur Feder und schrieb einen Brief an einen ungenannten französischen Freund, den er wiederum drucken ließ168. Die multimediale Diskussion kann nicht allein auf gedruckten Schriften basierend nachvollzogen werden, sondern eine auf die handschriftliche Überlieferung zurückgreifende, grundlegende Darstellung dieser Streitigkeiten wäre notwendig, die ich hier jedoch nicht leisten kann. Wieder reagierte Germon mit einer, nun der dritten, Disceptatio. Zunächst ging er auf die Kritik Ruinarts, dann Fontaninis ein, während er sich in den Appendices Lazzarini und Gatti widmete169. Charakteristisch für die Auseinandersetzung ist aber nicht nur die schnelle und wechselseitige Reaktion in einem gelehrten Netzwerk, sondern die „Ausweitung der Diskurszone“. Schon 1708 erschien eine Histoire des contestations sur la diplomatique, in französischer Sprache, ein fiktiver Dialog zwischen einem „Abbé“, einem Freund der Mauriner, und einem „Conseiller“, einem Freund der Juristen, vor einem Magistrat. Diese didaktische, in Form einer Brieffolge aufgebaute Darstellung der unterschiedlichen Positionen war bewusst an ein größeres, literarisch interessiertes Publikum gerichtet, dem es zur Befriedigung seines Interesses wie zur Belustigung anempfohlen wurde. In der Tat ist die wahrlich manchmal etwas trockene Materie geschickt in ein volkssprachlich präsentiertes, durchaus unterhaltsames Streitgespräch gekleidet. Der Anstoß zu diesem Band, so behauptet der Autor, sei nicht von ihm ausgegangen, sondern Personen ersten Ranges hätten ihn dazu aufgefordert, dass man die in fünf oder sechs lateinischen Schriften über die Diplomatik versammelten Dinge in einem einzigen französischen Band 167 Als Nr. 3 bei JADART, Origines (wie Anm. 1) 41f. 168 So etwa bei LAZZARINI, Epistola ad amicum (wie Anm. 163) 188, wo er berichtet, er habe gestern den Brief des Marco Antonio Gatti an „Jacobus Bernardus“ erhalten. Vgl auch den Brief Bacchinis an Mabillon in: Correspondance inédite de Mabillon et de Montfaucon avec l’Italie, contenant un grand nombre de faits sur l’histoire religieuse et littéraire du 17e siècle, suivie des lettres inédites du P. Quesnel à Magliabechi, bibliothécaire du grand-duc de Toscane Come III, et au cardinal Noris, 3, hg. von Antoine-Claude VALÉRY (Paris 1846) 177–181 Nr. 387, hier 178. 169 Barthélémy GERMON, De veteribus regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplomata vera a falsis disceptationes (Paris 1707).

478 Mark Mersiowsky zusammenfasse170. Mit diesem Werk, das 1767 in Neapel nochmals aufgelegt und 1790 ins Lateinische rückübersetzt wurde, sind wir endgültig in anderen Bereichen der Geschichtskultur. Unterhaltung und Belehrung gehören in andere Segmente als die wissenschaftliche Beschäftigung mit Geschichte171. Systematisch geht der Autor der Contestations nach der Vorstellung der Mabillonschen Diplomatik die verschiedenen Einwürfe Germons gegen Mabillon durch und montiert die Positionen der beiden Lager zu einem Dialog. Am Ende des langes Durchganges, bei dem auch die einzelnen Urkunden eingehend besprochen wurden, resümmiert der Magistrat, er wolle kein Urteil fällen, es sei nötig, ein souveränes Gericht anzurufen, das er das „Gericht der Öffentlichkeit“ nennt: la faut porter à un tribunal qui prononce souverainement, je veux dire le tribunal du public. Zwar sei die Öffentlichkeit durch die öffentlichen Schriften bereits angesprochen, doch bezweifele er, dass das Publikum bereits so weit sei, ein richtiges Urteil zu fällen, da es sich doch um mehrere Bände, dazu noch in lateinischer Sprache handele. Als Grundlage des nun anstehenden Urteils soll der Band dienen, damit sei sein Zweck erfüllt172. Diese „Ausweitung der Diskurszone“ erfasste alle Beteiligten, selbst die Mauriner wechselten nun das Register: Ruinart veröffentlichte seinen Abregé de la vie de Dom Jean Mabillon nun auch auf Französisch und als Duodez-Bändchen173. Hier verließ er die wissenschaftliche Ebene und druckte Papebrochs schon oben zitierten, die mabillonschen Erkenntnisse voll anerkennenden Brief nun sogar in französischer Übersetzung ab174. Diese Sprachwahl verdankte sich wohl noch eher der Nähe zur gallikanische Tradition volkssprachlicher Erbauungsliteratur, wohingegen sich in derselben Entscheidung für das Französische beim Nouveau traité bereits deutlich ein aufklärerischer Impuls zeigte175. Allerdings reagierten die 170 Histoire des contestations (wie Anm. 64) III. Nach TOUSTAIN-TASSIN, Nouveau traité (wie Anm. 4) 1 LVIII, war der Verfasser der Abbé Gilles Bernard Raguet. 171 RÜSEN, Historische Orientierung (wie Anm. 12) 211–245. 172 Histoire des contestations (wie Anm. 64) 183. 173 RUINART, Abregé (wie Anm. 1). Die Wahrnehmung, dass der Abregé mehr erbaulichen als gelehrten Zwecken diente, artikulierte auch René Massuet: Thomas WALLNIG–Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010) 312–324 Nr. 192. 174 MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (wie Anm. 7), Praefatio VI; in französischer Übersetzung auch in RUINART, Abregé (wie Anm. 1) 84f.: C’est pourquoi il ne fait pas difficulté, toutes les fois que vous en aurez l’occassion, de dire publiquement que je suis entièrement de votre avis. 175 Notker HAMMERSTEIN, Aufklärung und Universitäten in Europa: Divergenzen und Probleme, in: Universitäten und Aufklärung, hg. Notker HAMMERSTEIN (Das Achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 3, Göttingen 1995) 191–205, hier 202f.

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Mauriner hier ganz in Mabillons Sinne noch einmal im gewohnten Register wissenschaftlicher Erudition. 1709 kam die zweite Auflage von Mabillons Werk heraus, in bewährter Ausstattung, an vielen Stellen korrigiert, im Kern aber unverändert, neu gesetzt in einer klareren Schrift und zusammen mit dem Supplement ausgeliefert. Vorgeschaltet ist eine Vorrede Ruinarts. Durch Mabillons Tod sei die Neuauflage zunächst liegengeblieben. Ruinart hebt unter Verweis auf Leibniz auf den Quellenwert der Urkunden ab, der höher als der der Geschichtsschreibung sei. Aus der hohen Bedeutung der Urkunden ergäbe sich die Notwendigkeit, über die alten Urkunden diligenter et accurate scribere. Hierbei erwähnt er zwar nicht Germon, paraphrasiert aber fast den Titel der ersten Disceptatio. Germon und seine Werke wurden mit Schweigen übergangen, der englische Kritiker George Hickes dagegen, der bei seiner Beschäftigung mit angelsächsischen Quellen ebenfalls Kritik an Mabillon geübt hatte, eingehend gewürdigt. Die Einwände Hickes waren aufgrund seiner Vertrautheit mit angelsächsischen Herrscherurkunden, die völlig anderen Gesetzen gehorchen als die kontinentalen Stücke, begründet, überdies bewegte sich Hickes – anders als Germon – in gewohnten Modi, und so handelt Ruinart einzeln die Einwände Hickes’ gegen Mabillons Regeln ab176. Mit dem Nouveau traité wird das Erbe Mabillons fortgeführt. Auch er verlässt – wie schon Mabillons Supplement und die zweite Auflage von De re diplomatica – die manchmal billig wirkende Polemik der Streitschriften und Afterstreitschriften und präsentiert in neuer Form und diesmal französischer Sprache ein Denkmal der Erudition177. Dabei unterscheidet eines den Nouveau traité grundlegend von allen Schriften dieses Streits außer Mabillons Supplement: er ist wieder mit Kupfertafeln ausgestattet, während alle anderen Schriften als reine Textausgaben erschienen und damit auch medial weit hinter Mabillons Diplomatik zurückblieben. 176 Thierry RUINART, In hanc editionem praefatio, in: MABILLON, De re diplomatica (wie Anm. 8) (unpag.). Zu Hickes: Geoffrey SCOTT, Mabillon in England, and the English Benedictines, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure (wie Anm. 1) 249–265, hier 245. 177 TOUSTAIN௅TASSIN, Nouveau traité 1 (wie Anm. 4); Charles-François TOUSTAIN– René Prosper TASSIN, Nouveau traité de diplomatique, où l’on examine les fondemens de cet art: on etablit des regles sur le discernement des titres et l’on expose historiquement les caractéres des bulles pontificales et des diplomes donnés en chaque siècle: avec des éclaircissemens sur un nombre considerable de points d’histoire, de chronologie, de litterature, de critique et de discipline; et la réfutation de diverses accusations intentées contre beaucoup d’archives célébres, et sur tout contre celles des anciennes eglises, 2 (Paris 1754); 3 (Paris 1757); 4 (Paris 1759); 5 (Paris 1762); 6 (Paris 1765). Zum Nouveau traité: BERTRAND, Du De re diplomatica (wie Anm. 11) 611f., 617f. Zu Toustain und Tassin vgl. das von Tassin selbst verfasste Werk: TASSIN, Histoire littéraire (wie Anm. 11) 704–721.

480 Mark Mersiowsky Mit Germons Kritik und den Gegenreaktionen geriet die Diplomatik zurück in die Sphäre polemischer Diskussionen, der Schriften und Gegenschriften, die für die bella diplomatica so typisch waren. Und doch griffen sie weit über das klassische Milieu dieser Diskurse hinaus und erreichten eine größere Öffentlichkeit. Die Prominenz des Angegriffenen wie die benutzten Medien dürften dazu beigetragen haben, dass die Auseinandersetzung schnell solch weite Kreise zog, aber es muss auch ein Zug der Zeit gewesen sein, der veränderten Positionierung von Wissenschaft und Gelehrsamkeit im frühen 18. Jahrhundert, etwas, das ich ein wenig ironisch als „Ausweitung der Diskurszone“ bezeichnet habe. Im Vorwort zu Lazzarinis Defensio schrieb Gaetano Lombardo 1708, dass jüngst Germon in der Gelehrtenrepublik Unruhe hervorgerufen habe178. Der Streit zwischen Mabillon und seinen Unterstützern auf der einen und Germon auf der anderen Seite sei, so heißt es im selben Jahr, wahrlich der Aufmerksamkeit aller Gebildeten wert179. Die ganze Welt wisse, dass Pater Germon gegen die Diplomatik von Mabillon geschrieben habe, so hebt 1710 eine Rezension zu einer der im Zuge der Auseinandersetzungen erschienenen Kleinschriften an180. Nicht nur die Briefe Lazzarinis, sondern auch solche Rezensionen lassen die Breitenwirkung der Diskussionen in der gelehrten Welt erahnen181. Der Autor der Contestations lässt seine Streitgesprächsteilnehmer gleich am Beginn unterschiedliche Positionen zur Rolle der Diskussion vertreten. Der Magistrat, vor dem sich der jesuitisch orientierte „Conseiller“ und der benediktinische „Abbé“ streiten, sieht mit Freude die aufgehitzte Kontroverse, während der Abt sie als beendet sieht: Die Benediktiner antworteten nicht mehr, und das sei gut. Dagegen wendet der Magistrat ein, dass literatische Kämpfe sowohl für die Betrachter angenehm wie für den Fortschritt der Wissenschaften nützlich seien. Nie entwickele man mehr Geist als wenn man ein wenig pikiert sei. Der Krieg der Gelehrten bereichere die literarische Welt182. Ob diese stärkere Öffentlichkeit, die die Histoire des contestations sogar als Gerichtshof stilisierten183, der ursprüngliche und eigentliche Sinn der Auseinandersetzung waren, ist offen. Was Germon wirklich zu seiner andauernd und mit zunehmender Verve vorgetragenen Kritik bewegte, ist schwer ergründlich, zumal man sehr wenig über ihn und seine Beweggründe 178 Gaetano LOMBARDO, Praefatio ad lectorem, in: LAZZARINI, Osservazioni (wie Anm. 158) 201–203, hier 201. 179 Histoire des contestations (wie Anm. 64) III. 180 Journal des sçavans (1710) 56. 181 Zur Bedeutung der Zeitschriften in der gelehrten Welt dieser Zeit: ALBERTAN, La correspandance (wie Anm. 97) 355f., 358. 182 Histoire des contestations (wie Anm. 64) 8. 183 Histoire des contestations (wie Anm. 64) 183.

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weiß; ein schriftlicher Nachlass oder Briefe aus seiner Feder sind bisher nicht bekannt geworden. Christian Albertan stellte heraus, dass Mabillon keineswegs der einzige prominente Mauriner war, den die Jesuiten und insbesondere ihre Mémoires de Trévoux kritisierten, und vermutete, dass die Verve, mit der die Attacken vorgetragen wurden, daher rührte, dass die Jesuiten die Mauriner und Mabillon des Jansenismus verdächtigten oder gar in Mabillons Methodik Werkzeuge zur Unterstützung dieser Lehre sahen. Diese Überlegungen lassen sich durchaus mit den Erkenntnissen von JeanLouis Quantin vereinbaren184. Doch dürften auch Stilfragen eine grundsätzliche Rolle gespielt haben. Im Zeitalter der Postmoderne, von „anything goes“, sind wir vielleicht zu wenig sensibilisiert für die Bedeutung der Angemessenheit, die natürlich in der Rhetorik selbstverständlich war. Ein anonymer Autor schrieb in seinen Instruktionen für die Geschichtsschreibung: La forme, qu’on doit donner à l’histoire, est ce qu’elle a de plus essentiel [...]185. Form und Stilfragen trennten Mabillon und seinen Kritiker ohne jeden Zweifel, was schon den Zeitgenossen bewusst war. Das von der „Academie Royale des Inscriptions et Belles Lettres“ herausgegebene Rezensionsorgan Journal des sçavans schrieb bezeichnenderweise: „Wir sind überzeugt, dass, wäre Dom Mabillon noch am Leben, er sehr verärgert wäre zu sehen, dass man in seiner Angelegenheit so wenig die Regeln der Höflichkeit und des Anstandes achtet. Diese Art von Satyrn entehren die Wissenschaften […]“186. Allerdings beschwerten sich die Jesuiten nicht zu Unrecht, die Gegner Germons zögen die Invektive der wissenschaftlichen Diskussion vor187. Wir können also in der Auseinandersetzung zwischen Mabillon, Germon und dessen Kritikern nicht nur das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Wissenschaftsauffassungen, unterschiedlicher wissenschaftspolitischer Grundhaltungen, die wiederum theologisch bedingt sind, wie unterschiedlicher Diskursmodelle sehen, sondern auch erkennen, wie sie sich in der und durch die Auseinandersetzung verändern. 184 ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 96–100, zum Wissen über Germon: 100; QUANTIN, Philologie patristique (wie Anm. 161). Zur Bedeutung des Jansenismus: JOASSART, Regards (wie Anm. 44) 296; Marie-Louise AUGER, Les mauristes et l’histoire des provinces de France, in: Érudition et commerce (wie Anm. 17) 103– 111, hier 103f. 185 Dies galt auch für die Geschichtsschreibung, ich verweise etwa auf die anonyme Schrift: Instructions pour l’histoire (Paris 1677) 3–20 (Zitat: 26). 186 Journal des sçavans (1710) 56: Nous sommes persuadez que si D. Mabillon étoit en vie, il seroit tres-fâché de voir qu’à son sujet, on eût si peu d’égard aux régles de la politesse et de la bienséance. Ces sortes de Sartyres deshonorent les lettres […]. Zur Akademie und ihrem Verhältnis zu den Maurinern HUREL, Mabillon (wie Anm. 93) 324–326. 187 ALBERTAN, Bénédictins (wie Anm. 17) 94f.

482 Mark Mersiowsky Es ist hier nicht der Ort, die weitere Entwicklung in extremis nachzuvollziehen. Noch mehrere Jahrzehnte beschäftigte die Auseinandersetzung zwischen Mabillon und Germon das gelehrte Europa188, und noch im Vorwort zum Nouveau traité von 1750 bleibt die Vehemenz der Auseinandersetzung spürbar: Es gäbe Leute, denen der historische Pyrrhonismus derartig die Lichter des Verstandes verdunkelt habe, dass sie sich fragen, ob authentische Urkunden echt oder falsch seien, sicher oder zweifelhaft, und die gefordert haben, man solle ihnen die Wahrheit beweisen189. Der Nouveau traité warf Germon vor, sich auf Bagatellen gestürzt und gestützt zu haben, spricht von frivolen Argumenten, die nur der Verachtung wert seien, und nennt ihn schließlich einen Scharlatan190. Gleichzeitig distanziert er sich aber noch von den Diskussionen: Nachfolgende Schriften hätten aus einer Mücke einen Elefanten gemacht191. Die neapolitanische Neuauflage der Histoire des contestations 1767, Pietro Rosinis Collegio Mabilloniano wie die Abhandlungen des Heidelberger Diplomatikers Johann Schwab und noch die Übersetzung der Werke Germons ins Lateinische sind ein Nachhall der Streitigkeiten192. Es geht fehl, die Auseinandersetzungen zwischen Mabillon, Germon und seinen Kritikern nur als Konfrontation von Benediktinern und Jesuiten zu sehen. So gab es durchaus Jesuiten, die auf Mabillons Seite standen. Schon im Vorwort verweist der Jesuit Maximilian Rassler, Kanzler der Universität Dillingen, 1711 auf Mabillon und Giusto Fontanini193. Er nennt 188 Ein wichtiges Hilfsmittel bietet Daniel-Odon HUREL, L’historiographie de Mabillon aux XIXe et XXe siècles. Restauration monastique (années 1830), commémoration (1908) et démytification, in: Érudition et commerce (wie Anm. 17) 15–51. 189 TOUSTAIN–TASSIN, Nouveau traité 1 (wie Anm. 4) VIIIf.: Cependant il s’est trouvé des hommes en qui le pyrrhonisme historique avoit tellement ofusqué les lumiéres de la raison, qu’ils ont osé demander, si des actes authentiques étoient vrais ou faux, certains ou douteux, qui ont exigé qu’on leur en démonstrât la vérité. Der Begriff la fausse critique ebd. X. 190 TOUSTAIN–TASSIN, Nouveau traité 1 (wie Anm. 4) X, XII–XIV. 191 TOUSTAIN–TASSIN, Nouveau traité 1 (wie Anm. 4) 20. 192 Pietro ROSINI, Il collegio Mabilloniano sostenuto nelle sue vere regole diplomatiche e garantito da’sofismi de Pirronici Germoniani (Napoli 1773); Histoire des contestations (wie Anm. 64); Johann SCHWAB, Disquisitio quibus ex causis Germon a Mabillonio speciminum, quibus tota eius ars diplomatica nititur, probationem postulaverit (Heidelberg 1777); Johann SCHWAB, Disquisitio utrum Germon temeritatis in simulari iure possit quod celeberrimum opus Mabilonii De de diplomatica ad examen vocaverit? (Heidelberg 1777); Barthélémy GERMON, Disceptationes diplomaticae, quibus praemittitur earundem historia e Gallico A. B. Ragueti recens in Latinum versa (Wien 1790). 193 Maximilian RASSLER, Vindicatio contra vindicias sive Ad vindicias historicas Wilhelmi Ernesti Tenzelii pro Hermanni Conringii Censura non ita pridem editas magnis

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Mabillon verdientermaßen den consul in der kunst der diplomatik, auch druckte er einen Brief Fontaninis im Anhang ab, in dem ihn Fontanini lobt und sich den Argumenten Rasslers unterwirft, wobei Fontanini die wissenschaftliche Argumentation des Jesuiten Rassler von der Germons ausdrücklich abhebt: Ihm zolle er das verdiente Lob, nicht aber Germon, der sich dessen unwürdig erwiesen habe194. Auch der anonyme Verfasser einer Schrift über die Auseinandersetzungen von 1783/85, eben wohl Johann Schwab aus Heidelberg, dekonstruierte und ironisierte die Vorstellung einer großen Auseinandersetzung zwischen Jesuiten und Benediktinern und schreibt unter Rückgriff auf Horaz: Fast möchte ich sagen: Parturiunt montes, wenn ich den P. Germon ridiculus mus nennen könnte195. Schwab war übrigens selbst zeitweilig Jesuit196. Die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der Auseinandersetzungen von Mabillon, Germon und seinen Kritikern steht außer Frage. Sichtet man die wissenschaftliche Substanz von der Warte des Hilfswissenschaftlers, so kann man die Scharfsinnigkeit wie Argumentationsfähigheit Germons durchaus bewundern, doch sein grundsätzlicher Skeptizismus, sein grundsätzliches oder sogar vorsätzliches Missverstehen der Eigenlogik rechtlicher Beweisinstrumente und der Diplomatik sind nur in Maßen nachvollziehbar. Wenn Germon und seine Unterstützer des historischen Pyrrhonismus wie Sophismus bezichtigt wurden197, lagen die Kritiker trotz aller Polemik so falsch nicht. In manchem erinnert der Stil und die Argumentationsstruktur Germons an Diskussionen um vermeintliche mittelalterliche Phantomzeiten, wo ebenfalls Diskutanten sich außerhalb der etablierten Wissenschaften positionieren und mit Scheinschlüssen und fixen Grundannahmen arbeiten. Und mit Mabillon ist es nicht falsch, sie mit Schweigen zu übergehen. Es ist nun an der Zeit, unsere Überlegungen abzuschließen. Die Auseinandersetzungen um die Diplomatik Mabillons kurz nach 1700 zeigen schlagend, dass sich das Milieu der Gelehrsamkeit um diese Zeit grundsätzlich geändert hat. Ein Konsens über Modi und Formate, der vorher bestand, wurde aufgebrochen, neue Einflüsse greifbar und mächtig, gleichzeitig fächerten

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rationum momentis fundata responsio (Kempten 1711), Epistola nuncupatoria *2r. Vgl. auch Leibniz’ Erwiderung auf Rasslers Schrift: Malte-Ludolf BABIN–Gerd VAN DEN HEUVEL, Gottfried Wilhelm Leibniz. Schriften und Briefe zur Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218, Hannover 2004) 312–345. RASSLER, Vindicatio (wie Anm. 193), Epistola nuncupatoria **2r: [...] quam merito in rei diplomaticae scientia consulem dixerim; Brief Fontaninis: ebd. 60. Kurze Erzählung (wie Anm. 4) 66. Eike WOLGAST, Die Universität Heidelberg 1386–1986 (Berlin 1986) XI, 81. So schon LAZZARINI, Defensio (wie Anm. 158) 174; später TOUSTAIN–TASSIN, Nouveau traité 1 (wie Anm. 4) VIIIf.; vgl. auch ROSINI, Collegio (wie Anm. 192).

484 Mark Mersiowsky sich die Ebenen der Diskurse ganz im Sinne der Rüsenschen Geschichtskultur auf. Neue Kreise scheinen sich, ausweislich der Buchproduktion, für solche Fragen und Diskussionen interessiert zu haben, es kam zu einer „Ausweitung der Diskurszone“. Natürlich hatte dieses wenig Auswirkungen auf die Methoden der Diplomatik, aber für den Stellenwert dieser Kunst im 18. Jahrhundert und ihre nicht unbeträchtliche Bedeutung für die Anfänge historischer Professionalisierung im Zuge dieses Jahrhunderts dürfen die wissenschaftgeschichtskulturellen Faktoren nicht unterschätzt, keineswegs aber negiert werden – aber das ist ein weiteres Kapitel der ars diplomatica als Kultur, das noch zu schreiben ist.

Abstract Dom Jean Mabillon’s work De re diplomatica libri sex paved the way for diplomatics to emerge from the milieu of legal controversies and establish itself as a recognised academic discipline in its own right in the 18th century, with manifold consequences for the historiographic production of the time. Rather than the well-known long-term results, however, the paper focuses on the early reactions to Mabillon’s work. The critics are situated, their intellectual milieu investigated, their position relative to Mabillon’s teachings and their criticism scrutinised, and finally, the form and media in which criticism was presented, communicated and received are taken into consideration.

Im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges Leibniz bringt seine historischen Kollektaneen zum Einsatz Nora Gädeke Es ist geradezu ein Gemeinplatz, dass die kritische Geschichtswissenschaft aus dem Geist der Politik entstanden ist. Konfessionelle Apologetik und bella diplomatica haben nicht nur Instrumentarien der kritischen Überprüfung von Quellen hervorgebracht, sondern auch ein Interesse an Quellensammlungen und -publikationen1; ein Interesse, dem freilich immer wieder Schranken gesetzt wurden eben wegen seiner politischen Implikationen. Dass die Höfe und ebenso die Klöster sich der Schätze ihrer Archive wohl bewusst waren (und zwar weniger im heutigen Sinne wegen des Alters, der Kostbarkeit, der Fragilität der Überlieferung, als aufgrund ihres Inhalts), dass der Benutzung durch Fremde Grenzen gesetzt und Riegel vorgeschoben wurden, wissen wir aus vielen Beispielen2. Zuletzt hat der kürzlich erschienene erste Band der Korrespondenz der Brüder Pez gezeigt3, dass selbst innerhalb der benediktinischen res publica literaria die Türen nicht unbedingt 1

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Vgl. dazu den grundlegenden Aufsatz von Andreas KRAUS, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung. Historisches Jahrbuch 88 (1968) 54–77; sowie jetzt Martina HARTMANN, Matthias Flacius Illyricus, die Magdeburger Centuriatoren und die Anfänge der quellenbezogenen Geschichtsforschung, in: Catalogus und Centurien. Interdisziplinäre Studien zu Matthias Flacius und den Magdeburger Centurien, hg. von Arno MENTZEL-REUTERS–Martina HARTMANN (Spätmittelmittelalter, Humanismus, Reformation 45, Tübingen 2008) 1–17. Dass die aus den Kontroversen erwachsenden methodischen Innovationen freilich nicht unbedingt intendiert waren, betont Thomas STOCKINGER, Factualité historique, preuve juridique, autorité patristique: stratégies d’argumentation dans les controverses érudites en milieu ecclésiastique, in: Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18– 19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT– André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010) 709–733, hier 732f. Vgl. z. B. Armin REESE, Die Rolle der Historie beim Aufstieg des Welfenhauses 1680–1714 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 71, Hildesheim 1967), insb. 52–56. Thomas WALLNIG–Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010), insb. 6–8.

486 Nora Gädeke offen standen. Es scheint freilich eine Hintertür gegeben zu haben: ein unpolitisches Interesse von reisenden Gelehrten und Gebildeten, die curiosité. So erhält um 1700 ein Italienreisender mit dem Auftrag zur Quellensuche für das Welfenhaus die Ermahnung: Das beste wird […] seyn, daß man […] nichts von der intention und habenden ordre melde; weilen es zu nichts anders dienet, als nachdencken, jalousie und schwührigkeit zu erwecken […]; wenn man sich bloß als einen reisenden aufführt, der zu seiner curiosität und information allerhand, zumahl ad res patrias dienliches zu bemercken trachtet 4. Dass dieses Interesse aber auch ohne Vorwand mit der Zeit selbst den politischen Zweck transzendieren kann, dass aus der Quellensuche im Dienste der Kirche oder Politik die Materialsammlung zur historischen Rekonstruktion im Dienste der fides historica wird, ist in den Grundzügen ebenfalls bekannt5 – eine Differenzierung hat sich durch diese Tagung ergeben. In meinem Beitrag möchte ich das Spannungsfeld, in dem historische Quellenarbeit und -sammlung zwischen dem Dienst an der fides historica und dem politischen Einsatz steht, an einem Beispiel behandeln. Es ist ein sehr spezielles Beispiel; ich möchte es deshalb zunächst in einen größeren Rahmen stellen.

I. Das eben angeführte Zitat stammt von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646– 1716); er ist Thema meines Beitrages – und als Historiker ein bekannter Unbekannter. Mit seinem Namen verbindet man heute (abgesehen von der Apostrophierung als „letzter Universalgelehrter“) vor allem sein Schaffen auf den Gebieten Mathematik und Philosophie sowie als Wissenschaftsorganisator6. Wohl gehört zu den Basiselementen unseres Leibniz-Bildes auch, 4 5

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Leibniz für Friedrich August Hackmann, Mitte Oktober 1699, A (wie Anm. 11) I, 17 N. 70. Vgl. z. B. KRAUS, Grundzüge (wie Anm. 1) 59f.; Bruno NEVEU, Mabillon et l’historiographie gallicane vers 1700. Érudition ecclésiastique et recherche historique au XVIIe siècle, in: Historische Forschung im 18. Jahrhundert: Organisation, Zielsetzung, Ergebnisse. 12. Deutsch-Französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris, hg. von Karl HAMMER–Jürgen VOSS (Pariser Historische Studien 13, Bonn 1976) 27–81, insb. 45–50, 57–60. Zahlreiche Beispiele gibt Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003), etwa 163f., 611–635. Gesamtdarstellung von Leibniz’ Leben und Werken jüngst bei Maria Rosa ANTOGNAZZA, Leibniz. An Intellectual Biography (Cambridge et al. 2009).

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dass der gelernte Jurist, der Geheime Justizrat der hannoverschen Welfen von den 40 Jahren, die er mehr oder weniger an deren Hof verbrachte, 30 mit der Abfassung einer welfischen Hausgeschichte beschäftigt war, die er unvollendet hinterließ und die erst 130 Jahre nach seinem Tode von Georg Heinrich Pertz zum Druck gebracht werden konnte7. Dass Leibniz von Amts wegen mit der Historie befasst war, hat das Interesse an dieser Seite seines Œuvre aber nicht gerade beflügelt, ganz im Einklang mit seinen eigenen Aussagen, wenn er klagt, der Zwang zur Beschäftigung mit ce qui ne regarde que certains temps et certains hommes8 halte ihn von seinen eigentlichen Interessen wie der Entwicklung seines philosophischen Systems ab. Dennoch ist das Thema „Leibniz als Historiker“ kein Randgebiet. Dieses historische Œuvre ist umfangreich und reicht weit über den welfischen Kontext hinaus. Es umfasst Historiographie ebenso wie Quelleneditionen, rechtshistorische Gutachten und Denkschriften zur Organisation historischer Forschung, Äußerungen zur historischen Methode, zu Quellenkritik und Narration ௅ und ist immer noch ziemlich unbekannt. Wohl findet das Thema in den letzten Jahren zunehmend das Interesse der Zunft9 (ein Meilen7

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Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Annales Imperii Occidentis Brunsvicenses ex codicibus Bibliothecae regiae Hannoveranae, hg. von Georg Heinrich PERTZ (Leibnizens Gesammelte Werke aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover 1/1–3, 3 Bde., Hannover 1843–1846, Nachdr. Hildesheim 1966). Vgl. dazu z. B. Louis DAVILLÉ, Leibniz historien. Essai sur l’activité et la méthode historiques de Leibniz (Collection historique des grands philosophes, Paris 1909); Günter SCHEEL, Leibniz als Historiker des Welfenhauses, in: Leibniz. Sein Leben – sein Wirken – seine Welt, hg. von Wilhelm TOTOK–Carl HAASE (Hannover 1966) 227–276; Sven ERDNER, Plagiat an Leibniz’ historiographischem Werk? Rekonstruktion frühmittelalterlicher Adelsgeschichte bei G. W. Leibniz und J. G. Eckhart, Teil 1. Studia Leibnitiana 35 (2003) 194–224; Teil 2. Studia Leibnitiana 36 (2004) 178–209. Leibniz an Joachim Bouvet, 15. Februar 1701, A (wie Anm. 11) I, 19 N. 202, hier 411. Den Titel und die Funktion eines Hofhistoriographen hat Leibniz für sich abgelehnt; vgl. seinen Brief an Herzogin Eleonore von Braunschweig-LüneburgCelle, 3./13. Januar 1699, A (wie Anm. 11) I, 16 I, 44, hier 69: je n’ay jamais pris, et ne prendray pas la qualité d’historiographe, ayant esté chargé de travailler comme j’ay fait avec assez d’application. Nach dem monumentalen Werk von DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7), war es über Jahrzehnte vor allem Günter Scheel, der sich mit dem Thema befasst hat; vgl. Anm. 7 sowie z. B. Günter SCHEEL, Leibniz und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1700, in: Historische Forschung (wie Anm. 5) 82–101. Zu neueren Arbeiten vgl. ERDNER, Plagiat (wie Anm. 7); Rüdiger OTTO, Leibniz als Historiker. Beobachtungen anhand der Materialien zum Sachsen-Lauenburgischen Erbfolgestreit, in: Labora diligenter. Potsdamer Arbeitstagung zur Leibnizforschung vom 4. bis 6. Juli 1996, hg. von Martin FONTIUS–Hartmut RUDOLPH–Gary SMITH (Studia Leibnitiana Sonderheft 29, Stuttgart 1999) 197–221; Rüdiger OTTO, Leibniz’ Akti-

488 Nora Gädeke stein war die 2004 erschienene Auswahledition seiner „Schriften und Briefe zur Geschichte“ von Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel)10. Aber noch immer ist der Historiker Leibniz dort am wenigsten präsent, wo sein Werk für die Forschung aufbereitet wird: in der historisch-kritischen Leibniz-Edition11. Seine Beteiligung am historischen Diskurs spiegelt sich in Reihe I mit dem „Allgemeinen, politischen und historischen Briefwechsel“, seine rechtshistorischen und wissenschaftsorganisatorischen Denkschriften werden in Reihe IV, den „Politischen Schriften“, ediert. Aber die zentrale Reihe V zu den „Historischen Schriften“ existiert noch immer nur in der Planung. Die unvollständige Quellenbasis sollte allerdings kein Hinderungsgrund sein; sie liegt für alle Gebiete von Leibniz’ Schaffen gleichermaßen vor: Sein immenser Nachlass ist noch längst nicht vollständig ediert. Anders als bei den „großen“ Leibniz-Gebieten fehlt es hier aber auch an Kontextualisierung und an Kontroversen. Wenn ich im Folgenden versuche, den Historiker Leibniz kontrovers zwischen der Gelehrtenrepublik und den Höfen, zwischen fides historica und politischer Zweckorientierung hin und her zu schieben, so ist eine solche Dichotomie natürlich von vornherein virtuell. Denn Leibniz oszilliert zwischen beiden Polen. Das zeigt sich bereits an der Hausgeschichte. Für diese Aufgabe hatte er sich 1685 selbst gegenüber seinem Herzog ins Spiel gebracht: indem er eine Welfengenealogie „alter Schule“, die das Geschlecht auf altrömische Vorfahren zurückführte, der Lächerlichkeit preisgab und, unter Hinweis auf die inzwischen in Westeuropa gesetzten modernen Standards, anbot, eine eigene, quellengestützte, kritisch erarbeitete, unangreifbare Genealogie aufzustellen, die immerhin bis ins 6. Jahrhundert, d. h. zu den frühen Karolingern zurückreichen sollte12. Dass dieses Angebot bei vitäten für die sachsen-lauenburgische Erbfolge, in: Leibniz und Niedersachsen. Tagung anlässlich des 350. Geburtstages von G. W. Leibniz, Wolfenbüttel 1996, hg. von Herbert BREGER–Friedrich NIEWÖHNER (Studia Leibnitiana Sonderheft 28, Stuttgart 1999) 53–75. 10 Malte-Ludolf BABIN–Gerd VAN DEN HEUVEL, Gottfried Wilhelm Leibniz. Schriften und Briefe zur Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218, Hannover 2004). 11 Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Sämtliche Schriften und Briefe, hg. von der Preußischen [später: Deutschen, zuletzt: Berlin-Brandenburgischen] Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (Darmstadt [später: Leipzig, zuletzt Berlin] 1923ff.), Reihe I–IV, VI–VIII. Künftig abgekürzt: A [Reihe], [Band] [Nummer], gegebenenfalls [Seite]. Die Zitierweise in diesem Beitrag folgt den Gepflogenheiten dieser Edition. 12 Leibniz für Herzog Ernst August, Gutachten über das Opus Genealogicum des Teodoro Damaideno, April (?) 1695, A (wie Anm. 11) I, 4 N. 149, hier 194f.; jetzt auch bei BABIN–VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 86–93, hier 91f.

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seinem Dienstherrn Gehör fand und im Sommer desselben Jahres zu dem Auftrag führte, die historiam unsers furstl[ichen] hauses, deßen uhrsprung und ankunfft bis auff itzige zeit auszuarbeiten und zu beschreiben und darin seinen fleis und beywohnende wißenschaften anzuwenden13, zeigt eine – durchaus in der Luft liegende – Aufgeschlossenheit14 für dieses neue Paradigma am hannoverschen Hofe; sie sollte sich in einem jahrzehntelangen (und vergeblichen) Warten bewähren. Wenn die (erheblichen) Kosten jahrzehntelang von den Welfen getragen wurden, so entsprang dies aber nicht so sehr fürstlichem Mäzenatentum für einen hochrangigen Gelehrten als vielmehr dem Wunsch nach einer Darstellung von grandeur et gloire des Hauses als einer publizistischen Untermauerung seines rasanten Aufstiegs seit dem späteren 17. Jahrhundert – aber nicht traditionell, sondern mit modernsten Mitteln15. Das Begriffspaar grandeur et gloire führt auch Leibniz an16 – aber tatsächlich hat er sich weit von dem höfischen Auftrag entfernt. Entstanden ist ein Mammutwerk, das in jetzt fast 900 Druckseiten die Jahre 768–1005 umfasst17. Der Stoffreichtum ist immens, die kritische Rekonstruktion, die sich weder von ausufernden Traditionen noch vom Skeptizimus des Historischen Pyrrhonismus beirren lässt, erstaunlich – und immer wieder auf Augenhöhe auch mit der heutigen Forschung18. Es zeigt sich die souveräne 13 Herzog Ernst August für Leibniz, Resolution, 31. Juli/10. August 1685, A (wie Anm. 11) I, 4 N. 159; Zitat ebd. 206. 14 Vgl. REESE, Historie (wie Anm. 2), insb. 15–18, 45f. Zu einer ähnlichen Interessenlage der Landgrafen von Hessen-Kassel vgl. Thomas FUCHS, Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik. Geschichtsschreibung in Hessen in der Frühen Neuzeit (Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde 40, Kassel 2002), insb. 432–437. Vgl. auch Thomas FUCHS, Grandeur, Gloire und Kritik. Zum Verhältnis von Politik und Geschichtsschreibung im 17. Jahrhundert. Ein Vergleich zwischen den Höfen in Hannover und Kassel, in: Debatten über die Legitimation von Herrschaft. Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit, hg. von Luise SCHORNSCHÜTTE–Sven TODE (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 19, Berlin 2006) 159–174, hier 171–174. 15 FUCHS, Grandeur (wie Anm. 14) 173f. 16 Neben zahlreichen Äußerungen en passant in der Denkschrift für Herzog Ernst August vom Herbst 1684 De la grandeur de la serenissime maison de BronsvicLunebourg (A [wie Anm. 11] I, 4 N. 173). Dazu REESE, Historie (wie Anm. 2) 35– 38; FUCHS, Grandeur (wie Anm. 14) 172. 17 LEIBNIZ, Annales (wie Anm. 7). 18 Vgl. z. B. demnächst Martina HARTMANN, „die Arbeit seines Lebens … dem Gedächtnisse entschwunden“. Leibniz’ Annales Imperii Occidentis Brunsvicenses (1843–1846) und ihre Edition durch den MGH-Präsidenten Georg Heinrich Pertz, in: Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, hg. von Nora GÄDEKE (Wolfenbütteler Forschungen, erscheint voraussichtlich 2012).

490 Nora Gädeke Beherrschung eines großen hilfswissenschaftlichen Arsenals – Chronologie, Genealogie, Diplomatik, Heraldik und Sphragistik, politisch-historische Geographie. Einziges Gliederungsprinzip ist der annalistische Aufbau (der jedoch immer wieder in Exkursen durchbrochen wird)19. Inhaltlich reicht das Werk weit über eine welfische Hausgeschichte hinaus. Der von Leibniz selbst vorgegebene Titel Annales imperii occidentis Brunsvicenses sowie eine Bemerkung in der Praefatio über die bewusste Überschreitung des welfischen Rahmens20 haben zur Apostrophierung als (erste kritisch erarbeitete) frühmittelalterliche Reichsgeschichte geführt21. Die eigentlichen welfischen Schwerpunkte, insbesondere Heinrich der Löwe, zentrale Identifikationsfigur des Hauses22, oder der von Leibniz zum neuen welfischen Spitzenahn ausgerufene Azzo von Este23, sind schließlich nicht mehr vorgesehen: 1024, mit dem Ende der sächsischen Kaiserzeit, wollte Leibniz den Schlusspunkt setzen24. Weit entfernt von der ursprünglichen Vorgabe die historiam unsers furstl. hauses bis auff itzige zeit auszuarbeiten, in der Wissenschaftssprache Latein abgefasst und auch sonst nicht gerade dem Auftrag entsprechend, scheint das Werk sich weniger an politisch-dynastisch-höfischen Interessen des Auftraggebers zu orientieren als an den Maßstäben der gelehrten Welt25. Bezahlt hat Leibniz das mit jahrzehntelanger Belastung durch seinen „Sisyphosstein“26 und zunehmender Ungnade durch seinen Dienstherrn: der Einsatz für die fides historica hatte einen Preis. Dass Leibniz sich von ihr leiten ließ, zeigt sich nicht nur in programmatischen Äußerungen, sondern auch in Details: Denn die Skrupulosität, 19 Zu den Exkursen vgl. DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7) 650f. 20 Stellenangaben bei Nora GÄDEKE, Hausgeschichte – Reichsgeschichte – Landesgeschichte in den Annales Imperii: die Behandlung des „Sachsenherzogs“ Widukind, in: Leibniz und Niedersachsen (wie Anm. 9) 105–125, hier 106 Anm. 10. 21 Vgl. etwa DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7) 327f.: „l’histoire de l’Empire était comme enchâssée dans celle de Brunswick“ bzw. „montrant [...] la fusion de l’histoire de Brunswick et de celle de l’Empire qui domine tout l’ouvrage“, der sich dabei auf Leibniz’ eigene Äußerungen stützt. 22 Vgl. REESE, Historie (wie Anm. 2) 2–6. 23 Vgl. SCHEEL, Leibniz als Historiker (wie Anm. 7), insb. 247–249. 24 Vgl. DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7) 308f. 25 Vgl. z. B. Leibniz’ Aussage gegenüber Herzogin Eleonore von BraunschweigLüneburg-Celle vom 3./13. Januar 1699, A (wie Anm. 11) I, 16 N. 44, hier 70: [...] quoyque mon but n’ait pas esté d’ecrire un[e] histoire propre à estre lûe pour le divertissement. Car j’ay voulu travailler à des recherches propres à contenter ceux qui aiment les preuves solides, chose presque sans exemple jusqu’icy dans les histoires d’Allemagne et d’Italie. 26 Gegenüber Adam Adamandus Kochánski, wohl von 2. Hälfte Januar 1693, A (wie Anm. 11) I, 9 N. 152, hier 266: haereo ad Sisyphium historiae nostrae saxum; vgl. DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7) 45.

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mit der er seine zentralen Koordinaten Genealogie und Chronologie immer wieder prüft und dabei zum Teil auch bereits gewonnene Ergebnisse wieder verwirft, geht weit über einen rein instrumentalen Einsatz einer historischen Rekonstruktion hinaus (bzw. konterkariert diesen mitunter sogar)27. Rüdiger Otto hat dies vor einigen Jahren so ausgedrückt: „Die [...] Neigung des Historikers Leibniz zur umfassenden Berücksichtigung des gesamten einschlägigen Materials [...] zeigt das Bemühen, die Determinanten eines Geschehens so weit wie möglich zu erfassen, und das heißt im historischen Bereich, soviel wie möglich Quellen und Überlieferungen zu berücksichtigen“28. Das impliziert natürlich, dass jede neu gefundene Quelle bisherige Ergebnisse in Frage stellen kann. Mit genau diesem Argument verteidigt Leibniz in seinem letzten Lebensjahr das allzu langsame Voranschreiten seines Werkes: So sei es trotz mehrerer neuer Quelleneditionen noch nicht überholt29. Die politische Verwendbarkeit muss demgegenüber zurücktreten. Mit Quelleneditionen ist das zweite Stichwort gegeben. Denn Leibniz hat die strenge Orientierung an möglichst zeitnahen Quellen nicht nur selbst praktiziert (und propagiert), sondern auch anderen ermöglicht: durch seine Editionen30. Und anders als mit der Hausgeschichte war er mit ihnen bereits zu Lebzeiten in der Öffentlichkeit präsent: vor allem mit seiner Sammlung politischer Verträge des hohen und späten Mittelalters im Codex juris gentium diplomaticus (1693) und dessen 1700 erschienener Ergänzung Mantissa, der Teiledition des Diarium des päpstlichen Protonotars Johann Burchard als Specimen historiae arcanae sive Anecdotae de vita Alexandri VI. Papae (1696), den vor allem historiographische Zeugnisse präsentierenden Accessiones historicae von 1698 und den 1707௅1711 in drei Bänden herausgekommenen Scriptores rerum Brunsvicensium. Mit ihnen hat Leibniz sich, mehr als mit seiner ausgedehnten Korrespondenz, seinen Reisen, seinen mathematischen Entdeckungen, seinem philosophischen System, in der Gelehrtenrepublik als einer der peers positioniert. Insbesondere den Codex juris gentium diplomaticus kann man geradezu als sein Eintrittsbillet für 27 Vgl. das instruktive Beispiel von Leibniz’ Verwerfung seiner ersten, bereits in die Annales imperii eingegangenen These von der Abstammung der Brunonen bei ERDNER, Plagiat Teil 2 (wie Anm. 7) 196–203. 28 OTTO, Leibniz als Historiker (wie Anm. 9) 208f. 29 OTTO, Leibniz als Historiker (wie Anm. 9) 208f. Anm. 52. 30 Vgl. SCHEEL, Leibniz als Historiker (wie Anm. 7) 261–265; Alfred SCHRÖCKER, Leibniz als Herausgeber historischer Quellen. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 29 (1976) 122–142; Horst ECKERT, Gottfried Wilhelm Leibniz’ Scriptores rerum Brunsvicensium. Entstehung und historiographische Bedeutung (Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 3, Frankfurt am Main 1971); BABIN–VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 129–257; Rüdiger OTTO, Leibniz’ Codex juris gentium diplomaticus und seine Quellen. Studia Leibnitiana 36 (2004) 147–177; sowie demnächst den in Anm.18 zitierten Sammelband.

492 Nora Gädeke die erste Reihe ansehen31; von Zeitgenossen wird ihm größere Bedeutung zugestanden als allen anderen seiner inventa32. Ebenso wie Scriptores und Accessiones wird er ein Referenzwerk für Generationen von Geschichtsforschern werden33. Aber gerade die Quellensammlungen sind ohne den höfischen Hintergrund nicht zu denken. Dies gilt für den Akt des Sammelns selbst, der durch den Auftrag zur historia domus sehr erleichtert wurde34, das gilt für die Verwendung der reichen Bestände der von Leibniz seit 1691 mitverwalteten Bibliotheca Augusta der Herzöge zu Wolfenbüttel, die insbesondere den Codex juris gentium erst ermöglicht haben35, und das gilt für die Scriptores, die als Quellenwerk zur historia domus entstanden (und von den Welfenhöfen finanziert wurden)36. Und überhaupt, auch wenn es das Urteil der gelehrten Welt ist, vor dem Leibniz’ Werk vor allem Bestand haben soll, so ist doch der politische Charakter seiner Betätigung auf dem Gebiet der Historie evident. Es gibt genügend Hinweise darauf, dass er immer auch den instrumentalen Nutzen historischer Quellen und Literatur aktiv im Blick hatte. Dies entspricht seiner Aufgabe am hannoverschen Hof, die zwar explizit auf die historia domus ausgerichtet war, tatsächlich aber eine Tätigkeit als „Sachbearbeiter und Referent“ in rechtshistorischen Fragen insgesamt einschloss37, und lässt sich an zahlreichen Beispielen zeigen. Für den Komplex Sachsen-Lauenburg kommt Rüdiger Otto sogar zu dem Schluss: „Offensichtlich hatte Leibniz nicht die Absicht, ein ausgewogenes Urteil über die Wahrscheinlichkeit historischer Sachverhalte und die Angemessenheit ihrer Überlieferung zu finden. Er praktiziert nur, was nach seiner Überzeugung zu den Aufgaben des Historikers gehört: aus den Überlieferungen Rechtsansprüche für seinen Dienstherrn zu gewinnen“38. 31 Zur „Erfolgsbilanz“ des Codex in den europäischen Zeitschriften vgl. Rüdiger OTTO, Leibniz’ Codex juris gentium diplomaticus im Urteil der Zeitgenossen – eine Bestandsaufnahme. Studia Leibnitiana 35 (2003) 162–193, insb. 164–166. 32 Rudolf Christian von Bodenhausen an Leibniz, 26. Mai 1695, A (wie Anm. 11) III, 6 N. 119 mit der Beurteilung, Leibniz habe bey allen höffen, räthen und vulgo literatorum mehr ehre mit der edition gedachten Codicis eingeleget als mit allen seinen andern unvergleichlichen meditationibus et inventis. 33 OTTO, Codex juris gentium (wie Anm. 31) 168f. 34 Vgl. REESE, Historie (wie Anm. 2) 135–139 und passim; ECKERT, Scriptores (wie Anm. 30) 32–36 und passim; sowie demnächst den in Anm. 18 genannten Sammelband. 35 Dazu BABIN–VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 132; sowie detailliert OTTO, Quellen (wie Anm. 30). 36 Dazu detailliert ECKERT, Scriptores (wie Anm. 30). 37 So Günter SCHEEL in: A I, 8 Einleitung XXVIII. Zahlreiche Beispiele bei REESE, Historie (wie Anm. 2) passim. 38 OTTO, Erbfolge (wie Anm. 9) 75. Zum Hintergrund vgl. auch Walter JUNGE, Leibniz

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Das bellum diplomaticum um Sachsen-Lauenburg stellt nur ein Beispiel dar; anführen ließen sich z. B. auch Leibniz’ Tätigkeiten im Rahmen der Erlangung der Neunten Kur39, der Erweis der Verwandtschaft zwischen den Welfen und den Este40, ein genealogisches Gutachten zur Ausräumung von Bedenken gegen die Verheiratung der Welfin Amalie Wilhelmine an den Kaiserhof41. Bald nach Eintreten der englischen Sukzession hat Leibniz für seinen Dienstherrn seine diesbezüglichen Aktivitäten für Hannover einmal aufgelistet: der politische Einsatz der Historie als Element der Selbstbeschreibung42. Freilich ist diese Äußerung unverkennbar apologetisch. Und überhaupt könnte man dies alles vorrangig mit der Position am Welfenhof erklären: zur Herrschernähe gehörte der Nachweis der eigenen Nützlichkeit. Aber der Blick auf den politischen Nutzen historischer Überlieferung ist keinesfalls allein von Leibniz’ amtlicher Tätigkeit bestimmt. Nicht nur den Welfen hat er seine Dienste und seine rechtshistorischen Kenntnisse zur Verfügung gestellt, sondern auch dem Kaiserhof zu Wien.

II. Auch dies geschah in Hinblick auf ein Amt: fast lebenslang hat Leibniz sich bemüht, in den Dienst des Kaisers übernommen zu werden43; bereits 1701

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und der Sachsen-Lauenburgische Erbfolgestreit (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 65, Hildesheim 1965). Zu den Details seiner Tätigkeit auf diesem Gebiet vgl. A (wie Anm. 11) I, 8, XXVII–XXXI, A IV, 4, Einleitung XXXVI–XXXVIII; A IV, 5, Einleitung XXV– XXX, A IV, 6, Einleitungen XXVIII–XXXIII; zusammenfassend SCHEEL, Leibniz als Historiker (wie Anm. 7) 268f. A (wie Anm. 11) IV, 6 N. 13: Lettre sur la connexion des Maisons de Brunsvic et d’Este, 16./26. November 1695; jetzt auch in: BABIN௅VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 897–906. Vgl. A (wie Anm. 11) I, 15 N. 87: Leibniz an Jobst Christoph von Reiche für Bodo von Oberg (?). Entkräftung von Einwänden gegen die Prinzessin Wilhelmine Amalie wegen ihrer Abstammung von Lucrezia Borgia [25. Juli 1698] sowie Briefe in diesem Zusammenhang A I, 15 N. 85 und N. 86. Leibniz an Caroline, Kurprinzessin/Princess of Wales, 3. Oktober 1714. Gedruckt in: Die Werke von Leibniz […]. Erste Reihe. Historisch-politische und staatswissenschaftliche Schriften, ed. Onno KLOPP 11 (Hannover 1884) 15–17. Der Bericht war wohl in der Hoffnung auf Carolines Fürsprache bei ihrem Schwiegervater, Kurfürst Georg Ludwig, jetzt König Georg I., abgefasst; vgl. Waltraud FRICKE, Leibniz und die englische Sukzession des Hauses Hannover (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 56, Hildesheim 1957) 13. Dazu kürzlich Sabine SELLSCHOPP, „Eine kleine tour nach Hamburg incognito“ – zu Leibniz’ Bemühungen von 1701 um die Position eines Reichshofrats, in: Studia

494 Nora Gädeke muss die (erst 1713 erfolgte) Ernennung zum Reichshofrat zum Greifen nah gewesen sein44; wohl nur durch die Umstände der Tagespolitik verhindert. In einer Art „Bewerbungsschreiben“45 hat er damals seine Eignung für den kaiserlichen Dienst dargestellt und in einem weiteren Schreiben sein künftiges Aufgabenfeld – wieder vor allem im Bereich von Jus und Historie – skizziert: eine Zusammenstellung und Sichtung der jura des Hauses ex archivis, manuscriptis bibliothecae caesareae et aliis monumentis deducenda. Auch wenn die Anstellung unterblieb: dass Leibniz seine Kenntnisse der Historie und seine Quellensammlungen auch in den Dienst des Kaisers gestellt hat, ist gut bezeugt – insbesondere im Zusammenhang des Spanischen Erbfolgekrieges. Evident wird das für uns (wenngleich nicht für die Zeitgenossen) in zwei Polemiken gegen die französischen Ansprüche auf die spanische Krone im Vorfeld bzw. in der Frühzeit des Krieges. Beide Schriften, die 1701 erschienene Justice encouragée46 und das Manifeste contenant les droits de Charles III. roi d’ Espagne47 von 1703, wurden anonym (und unter einigermaßen konspirativen Umständen) in Holland gedruckt48, dem Kaiserhof wurde jedoch bekannt gemacht, wer sich hier so vehement für die Interessen des Hauses einsetzte49. Beide stellen einen zentralen Streitpunkt in den Mittel-

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Leibnitiana 37 (2005) 68–82; grundlegend: Margot FAAK, Leibniz als Reichshofrat (ungedr. phil. Diss. Berlin [Humboldt-Universität] 1966). SELLSCHOPP, Eine kleine tour (wie Anm. 43) 81. A (wie Anm. 11) I, 19 N. 356 (Leibniz an Franz Anton von Buchhaim, 9. Mai 1701); vgl. auch A I, 19 Einleitung XXXf. Zitat nach A I, 19 N. 386 (Leibniz für Franz Anton von Buchhaim. Vorschlag für ein Schreiben an Dominik Andreas von Kaunitz; Ende Mai ௅ Anfang Juni 1701). La Justice encouragée contre les chicanes et les menaces d’un partisan des Bourbons contenues dans sa Lettre, qu’on donne icy avec la Refutation / Die auffgemunterte gerechtigkeit, gegen die drohungen und verdrehungen eines anhängers der Bourbonischen parthey, so enthalten in dessen Brieffe, den man der Widerlegung beyfügen wollen. (o. O. 21701) 26–73; Edition für A (wie Anm. 11) IV vorgesehen. Dieser französisch-deutschen Auflage ging eine erste, französische Auflage voraus, die nicht mehr nachweisbar ist (vgl. A I, 19 Einleitung LIVf.). Manifeste contenant les droits de Charles III. roi d’Espagne. Et les justes motifs de son expedition (Den Haag 1703); Edition für A (wie Anm. 11) IV vorgesehen. Zur Drucklegung der Justice unter Vermittlung von Johann Bernoulli vgl. A (wie Anm. 11) I, 19 Einleitung LV; zum Manifeste, das unter Vermittlung Jacob van Wassenaers zum Druck gegeben wurde, vgl. A I, 22 Einleitung LVIf. sowie die Korrespondenz mit Wassenaer (Oktober bis Dezember 1703). Im Falle der Justice waren neben dem Vermittler, dem Bischof von Wiener Neustadt Franz Anton Graf Buchhaim, Reichsvizekanzler Dominik Andreas Graf Kaunitz und der Sekretär der Reichshofkanzlei Caspar Florentin von Consbruch eingeweiht – vgl. A (wie Anm. 11) I, 19 Einleitung, beim Manifeste sollten es neben Wassenaer

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punkt: die Renuntiation der Infantin Maria Theresia, Gemahlin Ludwigs XIV., Mutter des Dauphin und Großmutter Herzog Philipps von Anjou, des nachmaligen Königs Philipp V. von Spanien. Aber worum ging es hier eigentlich? An dieser Stelle muss ich, auch wenn ich Eulen nach Athen trage, einen kurzen Exkurs über die Vorgeschichte des Spanischen Erbfolgekrieges einschalten. Das Erbe des letzten spanischen Habsburgers, Karls II., war riesig und disparat – neben den spanischen Königreichen Kastilien und Aragon umfasste es Nebenlande und Kolonien: die Spanischen Niederlande, das Herzogtum Mailand, die Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien, die Balearen, die kanarischen Inseln, die überseeischen Provinzen in Amerika und Ostasien; disparat auch aufgrund unterschiedlicher Rechtsformen in den Bindungen an die Krone und in den Sukzessionsordnungen50. So geht in Kastilien im Falle des Fehlens eines Königssohnes die Thronfolge an die älteste Königstochter, in Aragon dagegen an den nächsten männlichen Seitenverwandten in agnatischer Linie. Bereits in der ersten Generation nach den Katholischen Königen kommt es zu einem Konflikt zwischen beiden Sukzessionsordnungen; die Entscheidung nach kastilischem Recht wird von den aragonesischen Ständen pragmatisch als Ausnahmeregelung akzeptiert51. Jetzt, bereits lang vor dem Tode des kränkelnden, kinderlosen Karl II. am 2. November 1700, zeichnet sich die Erneuerung eines solchen Konfliktfalles ab. Nach kastilischem Recht stehen dem Thron am nächsten der Dauphin, Sohn der älteren Schwester Karls II. (und Enkel von dessen Tante), und der Kurprinz von Bayern, Sohn der jüngeren Schwester. Aus der nächsten Generation kommen weitere potentielle Erben, darunter auch Kaiser Leopold I., dessen Mutter eine Tante Karls II. war52. Vor allem aber können die österreichischen Habsburger sich auf ihre Abstammung von Ferdinand I. der eben zum spanischen Gegenkönig proklamierte Erzherzog Karl und sein Hofmeister Anton Florian Fürst Liechtenstein sein (vgl. Leibniz an Jacob van Wassenaer, 7. Dezember 1703 = A I, 22 N. 420). 50 Zu den Sukzessionsordnungen in den spanischen Königreichen vgl. Horst PIETSCHMANN, Reichseinheit und Erbfolge in den spanischen Königreichen, in: Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, hg. von Johannes KUNISCH௅Helmut NEUHAUS (Historische Forschungen 21, Berlin 1982) 199–246. 51 Mit der Erklärung Johannas der Wahnsinnigen und Philipps von Burgund zu Thronfolgern in Aragon im Jahre 1500; vgl. PIETSCHMANN, Reichseinheit (wie Anm. 50) 228–232. Bereits zuvor, 1410, war es trotz Existenz eines agnatischen Kandidaten zur Zustimmung zu einem cognatischen Königsverwandten auch durch die aragonesischen Stände gekommen (ebd. 218–221). 52 Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen vgl. PIETSCHMANN, Reichseinheit (wie Anm. 50) 239f.

496 Nora Gädeke berufen: als die nächsten rein agnatischen Seitenverwandten, das heißt auf das in Aragon geltende salische Erbrecht53. Da das spanische Erbe bereits für die Zeitgenossen globale Dimensionen hat, die weit über die Interessen der beteiligten Konkurrenten hinausgehen, ist es lang vor dem Tode Karls II. Gegenstand internationaler Verhandlungen. Es kommt 1698 und 1700 zu zwei Teilungsverträgen54; der erste erledigt sich durch den Tod des Kompromisskandidaten, der zweite wird obsolet durch das Testament Karls II., in dem er den zweitgeborenen Sohn des Dauphin, Philipp von Anjou, zum Alleinerben seiner gesamten Herrschaft einsetzt55. Dieses Testament wird, sobald die Kunde davon nach dem Tode des Königs in die Öffentlichkeit gelangt, weit über den Wiener Hof hinaus in Europa nicht nur hinsichtlich der Modalitäten seines Zustandekommens kritisiert56, sondern auch hinsichtlich der Grundlage eines bourbonischen Anrechts auf das Erbe. Denn (ebenso wie bereits die Infantin Anna bei ihrer Vermählung mit Ludwig XIII. von Frankreich) Philipps Großmutter Maria Theresia hatte bei ihrer Eheschließung mit Ludwig XIV. auf alle Erbansprüche im väterlichen Haus feierlich verzichtet57. Diese Renuntiation freilich wurde von den Bourbonen jetzt nicht mehr anerkannt, da die damals zugesagte Mitgift niemals ausgezahlt worden sei. Die Renuntiationsfrage ist es, auf die Leibniz sich in seinen beiden Schriften konzentriert; ein Auszug aus dem Ehevertrag der Maria Theresia ist beiden Werken als Anhang beigegeben58. Aber die Renuntiation ist für Leibniz nicht das einzige, was die bourbonische Sukzession in der gesamten spanischen Herrschaft angreifbar macht, dies deutet er bereits in der Justice an59. Denn angesichts der verschiedenen Sukzessionsordnungen in 53 Bereits Philipp IV. hatte testamentarisch für den Fall eines kinderlosen Todes seines Sohnes Karl II. die österreichische Linie für erbberechtigt erklärt, vgl. PIETSCHMANN, Reichseinheit (wie Anm. 50) 239. 54 Vgl. Arnold GAEDEKE, Die Politik Oesterreichs in der Spanischen Erbfolgefrage (2 Bde. Leipzig 1877) passim; sowie Reginald DE SCHRYVER, Max Emanuel von Bayern und das spanische Erbe. Die europäischen Ambitionen des Hauses Wittelsbach (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 156, Mainz 1996) 93–96, 107f. 55 DE SCHRYVER, Max Emanuel (wie Anm. 54) 109f. 56 Darüber kursierende Spottverse finden sich mehrfach in A (wie Anm. 11) I, 19 (N. 22, N. 169, N. 231). Leibniz selbst äußert einem französischen Korrespondenten gegenüber puisque les rois ne peuvent point disposer de leur royaumes par des testamens (Brief an Christophe Brosseau, 10. März 1701 = A I, 19 N. 247). 57 Vgl. PIETSCHMANN, Erbfolge (wie Anm. 50) 239f. 58 Justice (wie Anm. 46) 73–76 bzw. Manifeste (wie Anm. 47) 34–36. 59 Justice (wie Anm. 46) 33 (Neapel als päpstliches Lehen, Mailand als Reichslehen, die Spanischen Niederlande als Reichslande können nicht ohne Einwilligung des

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den beiden Königreichen sowie der unterschiedlichen Rechtsgrundlage der Bindung der einzelnen Nebenlande an die spanischen Habsburger hält er es für aussichtsreich, von dort ausgehend das Eintrittsrecht Philipps V. in Frage zu stellen. Dies hat er offenbar auf mehreren Ebene verfolgt, in (Denk-)Schriften ebenso wie in mündlichen Unterredungen. An Denkschriften ist hier vor allem eine zu nennen: Conspectus brevis juris Austriaci in successionem Hispanicam60, mit detaillierter Darlegung der unterschiedlichen Sukzessionsordnungen in den spanischen Haupt- und Nebenlanden, ihrer historischen Entwicklung und ihren Sonderfällen; auf den ersten Blick historische Darstellung, tatsächlich juristisches Strategiepapier61. Den Abschluss dieser offensichtlich nicht als vollendet gedachten, aber weit gediehenen Untersuchung bildet ein Katalog Index inquirendorum mit offen gebliebenen Fragen62. Dieser Katalog sollte in unserem Zusammenhang vor allem deshalb interessieren, weil Leibniz mit den Fragen zumeist auch Lösungen anbietet: in (explizit aufgeführten) Quellentexten – Sukzessionsordnungen, Testamenten, Renuntiationen und Investitururkunden für Spanien bzw. die Nebenlande. Zum Teil wären diese erst herbeizuschaffen63, zum Teil liegen sie Leibniz vor (in einem Fall verweist er auf seinen Codex juris gentium diplomaticus)64. Gleich an erster Stelle wird eine Papstbulle

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Lehnsherrn bzw. Kaisers neu vergeben werden); ebd. 34f. (unterschiedliches Erbfolgerecht in Kastilien, Aragon und den Nebenlanden; ob das kastilische Recht auf Aragon und Neapel übertragbar ist, ist zweifelhaft); ebd. 35 (auch wenn die Renuntiation der Maria Theresia für Aragon und Kastilien unwirksam sein sollte, ist sie in jedem Fall für die Nebenlande, da Lehen bzw. Reichslande, gültig). Sie liegt im Leibniz-Nachlass der Gottfried Wilhelm Leibniz-Bibliothek (GWLB) Hannover als Reinschrift vor: LH XI 6 A 1 Bl. 3–12; die Edition ist für A (wie Anm. 11) IV vorgesehen. Dass es sich hier nicht um allein für den eigenen Gebrauch bestimmte Aufzeichnungen, sondern um einen zur Weitergabe bestimmten Text handelt, legt die äußere Form nahe (halbbrüchig, Reinschrift mit Ergänzungen und Korrekturen). Ein stark durchkorrigiertes Konzept mit Vorarbeiten dazu findet sich ebd. Bl. 13–18. Dies zeigt § 45 am Schluss des Textes (Bl. 10v): Haec breviter et velut indice tantum digito designari nunc satis fuit, cum quaedam attenti per se sint clara, quaedam etiam ex facto pendeant in quod amplius est inquirendum. Et licet alia quoque argumenta efficacia opponi Gallis possent et deduci utiliter altioris tamen sunt discussionis quam ut haec brevitas etiam patiatur. GWLB Hannover, LH XI 6 A Bl. 11r. Durch Paragraphenangaben hinter den einzelnen Punkten ist der Index auf den Conspectus bezogen. Eine Vorstufe dieser Liste (Inquirenda et desiderata ratione juris Austriaci in successionem Hispanicam) liegt als Konzept vor in: GWLB Hannover, Ms XLI 1814, 7 Bl. 59. So stehen zwei Desiderata-Blöcke am Schluss unter dem Titel A pontifice peti potest bzw. Ab imperio similiter peti potest. Die eigentlich Agenda-Liste trägt Bemerkungen wie: Haec poterit haberi, Etiam spero facile haberi posse. Erectio ducatus Mediolanensis habetur in Codice Diplomatico.

498 Nora Gädeke aufgeführt, die von der Investitur Ferdinands von Aragon mit dem Königreich Neapel handelt65. Sie muss sich abschriftlich in Leibniz’ Besitz befunden haben – zusammen mit einer weiteren Bulle für Ferdinands Enkel Karl V. Dies geht hervor aus zwei Zusatzbemerkungen: neben dem Kommentar zur ersten Urkunde Hanc suppeditare potero steht: Carolo V. datam jam suppeditavi66. Lässt bereits die zweite Bemerkung vermuten, dass dieser Text in einem Dialog entstanden sein muss, so wird das ganz deutlich aus einem weiteren Zeugnis, das diese Urkunden ebenfalls zur Sprache bringt: einem Brief. Dieser findet sich jetzt in der Akademie-Ausgabe in Band I, 19 als Nr. 129, das heißt zwischen Stücken aus dem Spätherbst 1700. Die durch diese Einordnung postulierte Datierung ist nicht evident, sondern ergab sich erst durch die Analyse des Inhalts67. Das Stück, als Konzept überliefert, datiert offensichtlich aus einer Zeit, in der sich Leibniz fern von Hannover aufhielt, nach dem Tode Karls II. und wohl noch aus dem Jahre 1700 (also November/Dezember) – aufgrund eines Epigramms auf die drohende französische Besetzung des Herzogtums Mailand (die im Januar 1701 einsetzte) am Schluss des Textes, das nach einer anderen Überlieferung von Leibniz selbst stammt und dort mit der Datierung 1700 versehen ist68. Eben in diesem Zeitraum (nämlich von Oktober bis Mitte Dezember 1700) befand sich Leibniz an einem Brennpunkt des Geschehens: in Wien; hier muss ihn auch die Kunde vom Tode Karls II. – und von seinem Testament – erreicht haben. 65 Investitura Ferdinando Catholico avo Caroli V. et Ferdinandi I. data [§ 33]. Mit dieser Investitur wird argumentiert in § 33 (Bl. 9r) des Conspectus. Auch die Inquirenda-Vorstufe (vgl. Anm. 62) beginnt mit den Papstbullen und dem Hinweis, dass Leibniz diese verfügbar gemacht habe bzw. machen könne; hier mit dem Zusatz: inquirendum ergo erit an etiam aliae habeantur quae ad rem faciant. 66 Aus beiden Papstbullen (von 1504 bzw. 1521: Rom, Cittá del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano, A.A. Arm. I-XVIII 553 (III) und A.A. Arm. I-XVIII 4401; die Autorin dankt für diese Information Christine Maria Grafinger sowie für die Herstellung des Kontaktes Andrea Sommerlechner) wird auch zitiert in einer anderen anonymen Verteidigungsschrift der kaiserlichen Rechte in Spanien: Ius Austriacum in successione regnorum Hispaniae vindicatum (o. O. 1704) hier 8f., 18. In Leibniz’ Handexemplar (GWLB Hannover, W-A 171) findet sich auf dem Titelblatt von seiner Hand der Verfassername eingetragen: der Tübinger Historiker und Rechtsgelehrte Johann Ulrich Pregitzer. Mit ihm unterhielt Leibniz eine eher sporadische, aber inhaltlich gewichtige Korrespondenz, in der die Beschaffung von Quellenmaterial eine große Rolle spielt. Ob in unserem Fall ein Materialaustausch stattgefunden hat oder Pregitzer unabhängig von Leibniz auf die Papstbullen stieß, lässt sich nicht sagen. 67 Vgl. die Datierungsbegründung in A (wie Anm. 11) I, 19 N. 129. 68 Überliefert GWLB Hannover, LH V 4, 3 Bl. 119, mit dem Zusatz Epigramma meum 1700 (vgl. A [wie Anm. 11] I 19 N. 129 Erläuterung); gedr.: Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Gesammelte Werke (wie Anm. 7), 4 (Hannover 1847, Nachdr. Hildesheim 1966) 323 (Edition für A IV vorgesehen).

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Leibniz’ Wienaufenhalt, eigentlich einem anderen Vorhaben gewidmet (dem Dialog zwischen der protestantischen und der katholischen Seite zur Förderung der kirchlichen Reunion)69, fand inoffiziell und unter verschiedenen Tarnmaßnahmen statt70. Die Reise war nicht vom hannoverschen Hofe genehmigt71, das Reiseziel sollte nach Leibniz’ Vorstellung dort nach Möglichkeit zunächst nicht bekannt werden72. So hielt er sich in Wien weitgehend incognito auf – allerdings nicht vollkommen. Denn eine Einladung des Kaiserhofes hatte ihn hierher geführt; die Ergebnisse des Reunionsdialogs wurden dem Hof kommuniziert73; der Kaiser selbst nahm Leibniz’ Anwesenheit billigend zur Kenntnis74. In Zusammenhang mit dem Kaiserhof stehen dürfte auch unser Brief. Auch das lässt sich nur erschließen: eine explizite Adressatennennung gibt es nicht. Die Ansprache als „Excellence“ weist aber auf einen hohen Rang hin. In unserem Kommentar haben wir uns zunächst einer Festlegung enthalten75; ich halte das inzwischen für übervorsichtig. Denn der Text ist eindeutig auf die Interessen der österreichischen Habsburger im spanischen Erbfall bezogen (und setzt Leibniz’ Abwesenheit von Hannover voraus). Er beginnt mit dem Hinweis auf die beiden Investitururkunden, die bereits der Index inquirendorum des Conspectus aufgeführt hatte, und nimmt dabei Bezug auf eine vorangegangene Unterredung: Voicy le diplome sur l’investiture du Royaume de Naples, donnée à l’empereur Charles Quint par le pape Leon X. sur le quel son excellence a demandé si j’avois. Die zweite Investitururkunde, nämlich von Papst Julius II. für Ferdinand von Aragon, hält Leibniz für nicht weniger wichtig, denn darin sei die gesamte Nachkommenschaft des Königs angesprochen, das heißt sowohl Karl V. als auch Ferdinand und damit die von ihnen begründeten Zweige der spanischen wie der österreichischen Habsburger76. Dieses Zeugnis müsste sich nach Leibniz’ 69 Dazu kürzlich SELLSCHOPP, Eine kleine tour (wie Anm. 43) 70f. sowie A (wie Anm. 11) I, 19 Einleitung XXIX, XLVII–LI. 70 Vgl. A (wie Anm. 11) I, 19 Einleitung XXIX. 71 Vgl. A (wie Anm. 11) I, 19 Einleitung XLVII, LI. 72 Neben der Verwendung von Pseudonymen spiegeln sich Leibniz’ Tarnmaßnahmen insbesondere in A (wie Anm. 11) I, 19 N. 11 und N. 14, woraus hervorgeht, dass er dem offiziellen Hannover gegenüber seine (genehmigte) Bäderreise mit einem Abstecher nach Nürnberg verband. 73 Vgl. A (wie Anm. 11) I, 19 Einleitung XLIX–LI. 74 Vgl. das (von Leibniz selbst aufgesetzte) „Handschreiben“ Kaiser Leopolds an Kurfürst Georg Ludwig vom 11. Dezember 1700 (A [wie Anm. 11] I, 19 N. 14). 75 Angesichts des Zeitrahmens und Leibniz’ angesprochener Abwesenheit von Hannover wurde auch eine bald nach der Rückkehr aus Wien stattfindende kurze Reise an den Celler Hof (Mitte Januar 1701) in Erwägung gezogen; bei dieser Variante fehlt aber ein Adressaten-Interesse. 76 Celuy qui fut donnée à l’ayeul maternel de cet empereur, c’est à dire à Ferdinand

500 Nora Gädeke Erinnerung unter seinen Papieren befinden (parmy les papiers, ramassés dans mes voyages, avec beaucoup d’ autres qui regardent Ferdinand le Catholique); falls gewünscht, stellt er auch dessen Übersendung in Aussicht quand je seray chez moy, also nach seiner Rückkehr nach Hannover. Der Empfänger des Briefes dürfte nicht nur eine Abschrift der Investitururkunde von 1521 erhalten haben, sondern auch einen Kommentar dazu; entsprechend einem weiteren Text, in dem Leibniz von der Frage handelt. Zusätzlich zur Urkundenwiedergabe bietet er Erläuterungen zu einigen Punkten sowie eine kleine Abhandlung zur Frage der neapolitanischen Investitur insgesamt77. Auch hier findet sich ein Hinweis auf die bei Wunsch lieferbare Investitururkunde für Ferdinand von Aragon und deren Bedeutung für die Sukzessionsfrage78. Leibniz hatte also kurz nach dem Tode Karls II., im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges noch als eines bellum diplomaticum, in einem der Zentren des Geschehens, im Umfeld des Kaiserhofes, Gelegenheit, seine Dienste anzubieten: und diese bestanden in der Zusammenstellung von rechtshistorischen Argumenten und in ihrer Untermauerung mit Quellenzeugnissen – mit Zeugnissen aus seinen eigenen Sammlungen zudem.

III. Leibniz’ Quellensammlungen, die weit über das hinausgingen, was sich in seinen Editionen findet, sind noch längst nicht wirklich erschlossen. Das betrifft den Umfang ebenso wie das Zustandekommen, das sich nur in den Grundzügen skizzieren lässt79. Zu nennen wäre hier als Arsenal die Bibliole Catholique, roy des Espagnes par le pape Jule II. ne seroit pas moins important, tant parce que celuy de Leon X. s’y rapporte, que parce qu’il regarde tous les descendans du roy Ferdinand, et par consequent ses deux petits fils Charles V. et Ferdinand empereurs; et appartient ainsi tant à l’auteur de la branche d’Allemagne, qu’à l’auteur de celle d’Espagne. 77 GWLB Hannover, Ms XLI 1814, 7 Bl. 63v, zusammen mit dem ersten Konzept von A (wie Anm. 11) I, 19 N. 129 sowie ebd. Bl. 66–69. Eine weitere Aufzeichnungen zu päpstlichen Investituren mit Neapel findet sich ebd. Bl. 63. – Schließlich ist eine ebd. Bl. 70, überlieferte Liste zur spanischen Erbfolge zu nennen, die neben Quellentexten auch historische Literatur anführt; sie enthält ebenfalls einen Hinweis auf die Investitur Karls V. mit Neapel und Sizilien. 78 [...] Carolus imperator eius nominis quintus, et Ferdinandus I. imperator, ille Hispanici, hic Germanici rami autor; ideo investitura Ferdinandi Catholici tanquam originaria consideranda est pro utroque ramo; eiusque diploma habeo inter schedas meas, in itineribus collectas, si opus submittendum. 79 Vgl. dazu demnächst den Anm. 18 zitierten Sammelband.

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theca Augusta in Wolfenbüttel80, die Italienreise im Dienste der historia domus, auf der Leibniz bedeutende Quellenfunde gelangen81 und last not least die Bereitstellung durch Korrespondenten82. Vor allem in letzterem zeigt sich Leibniz’ Einbindung in die Gelehrtenrepublik, zu deren Maximen das do ut des, zu deren Idealen die générosité gegenüber anderen citoyens gehörte83. So, wie Editionen ein Dienst an dieser Gemeinschaft sind (und mit entsprechendem Prestige honoriert werden können), ist es auch die Bereitstellung von Quellen zur Edition durch andere. Leibniz hat hieran reichlich partizipiert. Insbesondere das Erscheinen seines Codex juris gentium diplomaticus, verbunden mit der Ankündigung geplanter Fortsetzungsbände, haben ihm zahlreiche Material-Angebote eingebracht84. Eines der großzügigsten kam aus der Franche-Comté. Besançon war Heimatstadt (und zeitweise auch Bischofssitz) eines der Großen im Dienste der ersten spanischen Habsburger: des Erzbischofs und Kardinals Antoine Perrenot de Granvelle (1517–1586)85. Im Dienste Karls V. 80 So entstammte der Bibliotheca Augusta ein guter Teil der Druckvorlagen von Leibniz’ Editionen. Für den Codex juris gentium geht dies bereits aus dem Titelblatt hervor; vgl. hierzu im Einzelnen OTTO, Quellen (wie Anm. 30) 149f., 160– 176. Für die Scriptores rerum Brunsvicensium vgl. die Auflistung bei ECKERT, Scriptores (wie Anm. 30) 111–140; für die Accessiones historicae ebd. 25f.; für die Historia arcana ebd. 25; sowie demnächst Margherita PALUMBO, Sed quis locus orbis nobis plura dare posset et meliora, quam Roma? Die Römische Kurie und Leibniz’ Editionen, in: GÄDEKE, Sammler und Herausgeber (wie Anm. 18). 81 Zu Leibniz’ Quellenstudien und -funden während der Italienreise vgl. André ROBINET, G. W. Leibniz Iter Italicum (Mars 1689–Mars 1690). La dynamique de la République des Lettres (Accademia Toscana di Scienze e Lettere „La Colombaria“ Studi 40, Firenze 1988) hier 25f., 169f., 172–179, 289f., 342–345, 378–387, 424–426, 441– 449. Vgl. auch zusammenfassend SCHEEL, Leibniz als Historiker (wie Anm. 7) 248f. 82 Zu Leibniz’ Quellenbeschaffung vgl. bereits DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7) 102–108 und passim. Vgl. auch REESE, Historie (wie Anm. 2) 135–138; ECKERT, Scriptores (wie Anm. 30) 36–43; sowie demnächst Malte-Ludolf BABIN, Leibniz’ Verbindungen in die Niederlande, in: GÄDEKE, Sammler und Herausgeber (wie Anm. 18) sowie PALUMBO, Die Römische Kurie (wie Anm. 80). 83 Vgl. Christiane BERKVENS-STEVELINCK–Hans BOTS, Introduction, in: Les grands intermédiaires culturels de la République des Lettres. Études de réseaux de correspondances du XVIe au XVIIIe siècles, hg. von Christiane BERKVENS-STEVELINCK– Hans BOTS–Jens HÄSELER (Les dix-huitièmes siècles 91, Paris 2005) 9–28, hier 13f. 84 Einige Beispiele bei BABIN–VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 134 Anm. 34. 85 Vgl. Maurice VAN DURME, Les Granvelle au service des Habsbourg, in: Les Granvelle et les anciens Pays-Bas, hg. von Krista de JONGE–Gustaaf JANSSENS (Symbolae Facultatis Litterarum Lovaniensis. Series B 17, Leuven 2000) 11–81, hier 20–44 (Anm. S. 57–81).

502 Nora Gädeke und Philipps II. nahm er mehrere hohe Ämter ein, darunter auch das eines Vizekönigs von Neapel. Berühmt war er auch als Mäzen und Sammler86. Noch heute befinden sich seine Bibliothek und sein Nachlass – seine Briefschaften wie die von ihm gesammelten Handschriften, darunter zahlreiche Abschriften von Urkunden und Akten – zum großen Teil in Besançon87, und dort, im nahegelegenen Kloster Saint-Vincent, befanden sie sich bereits im späten 17. Jahrhundert, in den Händen von Abt Jean-Baptiste Boisot88. Der gelehrten Öffentlichkeit war die Überlieferung dieses Quellenschatzes durch ein vieldiskutiertes Werk zur Kenntnis gekommen; durch Paul Pellisson-Fontaniers De la Tolérance des Réligions (1692), das im Anhang einen Brief Pellissons an Boisot mit einer diesbezüglichen Bemerkung abdruckt89. Aus diesem Werk90 erfuhr Leibniz nach eigenen Worten vom Verbleib dieser bedeutenden Sammlung; daran anknüpfend stellte er erste weitere Erkundigungen an. Er wandte sich damit nicht an den ihm unbekannten Boisot, sondern an einen Vermittler: seinen Korrespondenten Claude Nicaise, Abt zu Dijon91, 86 VAN DURME, Les Granvelle (wie Anm. 85) 39f. Nicht zugänglich war mir Maurice PICARD, Les livres du Cardinal Granvelle à la bibliothèque de Besançon (o. O. 1974). 87 Vgl. Papiers d’État du Cardinal de Granvelle d’après les manuscrits de la Bibliothèque de Besançon, hg. von Charles WEISS (9 Bde., Collection de documents inédits sur l’histoire de France [...] Première série = Histoire politique 44, Paris 1841–1852) hier 1 I–LVII; Notice préliminaire sur la collection Granvelle; Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France. Départements – Tome 33/1. Besançon, hg. von Auguste CASTAN (Paris 1900, Nachdr. Vaduz 1979). 88 Boisot (1638–1694) hatte den von seinem Landsmann, dem Abt von Balerne Jules Chifflet geretteten Nachlass Granvelles sowie weitere Papiere von Nachkommen der Familie erworben und mit der Erschließung begonnen; vgl. Art. Boisot, JeanBaptiste, in: Nouvelle biographie générale, 16 […], hg. von [Jean Chrétien Ferdinand] HOEFER (Paris 1853) 444f.; sowie Papiers Granvelle (wie Anm. 87) passim (v. a. XXIV–XXXI). Ein detaillierter Bericht über die Rettung des von Zerstreuung bedrohten Nachlasses findet sich in einem Brief Boisots an Pellisson; gedr.: Cataloge général (wie Anm. 87) (Paris 1897) 32 IV. Seit 1696 standen aufgrund von Boisots testamentarischer Bestimmung Bibliothek und Nachlass Granvelles der Öffentlichkeit zur Benutzung zur Verfügung (vgl. ebd. V). 89 Brief vom 29. Dezember 1691, gedr. in: Paul PELLISSON-FONTANIER, De la tolerance des religions. Lettres de M. de Leibniz et réponses de M. de Pellisson (Paris 1692), Additions 69–72. Der hier (70) angesprochene vostre tresor de Granvelle wird in einer Randbemerkung erläutert: Tous les papiers et memoires du cardinal de Granvelle qui sont entre ses mains où il y a un grand nombre de pieces originales et curieuses. 90 Vgl. Leibniz’ Brief an Nicaise vom 9./19. Januar 1693 (A [wie Anm. 11] II, 2 N. 204). 91 Zu Nicaises’ (1623–1701) Biographie vgl. Biographie générale (wie Anm. 88) 37 (Paris 1863) 915f.; jetzt auch Herma KLIEGE-BILLER, Nova literaria aus Paris: Zum Briefwechsel zwischen Leibniz und Nicaise (1692–1700), in: Natur und Subjekt.

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der zu Boisot direkten Kontakt hatte92. Damit stellt sich diese Anfrage und ihre weitere Entwicklung als typischer Vorgang in der Gelehrtenrepublik dar. Nicaise selbst ist eine ihrer zentralen Gestalten, vor allem berühmt für seine Korrespondenz (die sogar in seinem Epitaph Erwähnung finden sollte)93; auch mit Leibniz führt er einen umfangreichen Briefwechsel94. Und auch dieser erscheint typisch: geprägt vor allem von dem, was man geradezu als „Währung“ der Gelehrtenrepublik ansehen kann: von nova literaria95. Diese werden vor allem häppchen-, das heißt passagenweise weitergegeben und handeln von dem, was die gelehrte Öffentlichkeit bewegt: Projekte, Neuerscheinungen, Gelehrtenstreitigkeiten, Beförderungen und Todesfälle – und eben auch von Nachlässen. Leibniz’ Erkundigung nach dem Granvelle-Nachlass in Boisots Hand (d’excellens memoires venus du feu Cardinal de Granvelle) und seine Bitte nach einem Verzeichnis, am Ende seines Briefes an Nicaise vom 9./19. Januar 169396, passt ganz in diesen Kontext. Von da an durchzieht das Thema sieben Jahre lang die Korrespondenz – en passant, aber immer wieder. Nachdem Nicaise schon im Februar97 die Weitergabe von Leibniz’ Anliegen meldet, folgt im Mai98 dessen erneute Anfrage, wieder im nova literaria-Kontext: verbunden mit dem Hinweis auf seinen eben erschienenen Codex juris gentium

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IX. Internationaler Leibniz-Kongress 26. September – 1. Oktober 2011, hg. von Herbert BREGER–Jürgen HERBST–Sven ERDNER (Hannover 2011) 536–543. KLIEGE-BILLER, Nova literaria (wie Anm. 91) 537, 541f. KLIEGE-BILLER, Nova literaria (wie Anm. 91) 542f. In der Reihe von Gelehrten, die durch Nicaises’ Tod einen Verlust erlitten hätten, wird hier auch Leibniz genannt. Zu Nicaise’ Etikettierung als l’agent général de la république des lettres vgl. DAVILLÉ, Leibniz historien (wie Anm. 7) 125 Anm. 4. Von der Korrespondenz, die von 1692 bis 1701 geführt wurde, sind 64 Briefe (26 von Leibniz, 38 von Nicaise) überliefert; neben diesem eigentlichen Briefwechsel umfasste sie auch zahlreiche Briefe und Texte Dritter, die Nicaise an Leibniz weiterleitete (vgl. z. B. A [wie Anm. 11] I, 16 N. 475). Leibniz’ Briefe an Nicaise sind ediert bei: Die philosophischen Schriften von Leibniz 2, hg. von Carl Immanuel GERHARDT (Berlin 1879, Nachdr. Hildesheim 1978) 523–594; zu älteren Editionen vgl. KLIEGEBILLER, Nova literaria (wie Anm. 91) 538f. Die Edition der gesamten Korrespondenz in der Akademie-Ausgabe liegt gedruckt vor bis Ende 1694: A (wie Anm. 11) II, 2; die Briefe der Jahre 1695–1700 (A II, 3; Erscheinen für 2012 vorgesehen) sind als Vorausedition zugänglich unter www.uni-muenster.de/Leibniz/DatenII3/nicaise. pdf. [16. Oktober 2011] Die Bearbeiterin, meine Münsteraner Kollegin Herma KliegeBiller, ermöglichte mir bereits vor der Publikation der Vorausedition Einblick in die für II, 3 vorgesehenen Briefe, wofür ihr auch an dieser Stelle gedankt sei. Auf ihre Kommentierung stützen sich – ohne Einzelnachweis – die folgenden Überlegungen. BERKVENS-STEVELINCK–BOTS, Introduction (wie Anm. 83) 14–16. A (wie Anm. 11) II, 2 N. 204. A (wie Anm. 11) II, 2 N. 209. Leibniz an Nicaise, 15./25. Mai 1693 (A [wie Anm. 11] II, 2 N. 218).

504 Nora Gädeke und seine Pläne zu Fortsetzungsbänden zum 16. und 17. Jahrhundert99. Hierfür, für die Materialsammlung, wird Nicaise um Hilfe gebeten: um Bekanntgabe des Projekts im Freundeskreis allgemein – und namentlich bei Boisot. Leibniz erhofft sich daraus ein paar Brosamen. Der Codex juris gentium mit seiner fast einhellig positiven Resonanz in der Gelehrtenrepublik verfehlt auch seine Wirkung auf Boisot nicht. Am 1. August 1693100, nach einer Bemerkung über die lobende Aufnahme des Codex in seinem Umfeld101, berichtet Nicaise, der Abbé habe versprochen, die 80 Bände seiner Sammlung danach durchzusehen, ob er etwas für die Fortsetzungsbände finden könne102. Leibniz’ Dank erfolgt im nächsten Monat103; aber das versprochene Material lässt auf sich warten. Erst nach einem erneutem Vorstoß104 zehn Monate später (wieder bittet Leibniz um ein paar miettes, die diesen Schatz nicht schmälern sollten, aber bestimmt ein Prunkstück seiner Edition würden)105, im September 1694106, wird das Angebot konkreter: Nicaise kann, aus einem Brief Boisots zitierend107, vermelden, dieser biete drei Vertragstexte aus dem habsburgischen Kontext für die Codex-Fortsetzung an108. Leibniz geht in seiner Antwort vom Oktober freudig dankend darauf 99 Leibniz an Nicaise, 15./25. Mai 1693 (A [wie Anm. 11] II, 2 N. 218). (S. 697): Je viens de publier un tome de mon recueil, intitulé Codex juris gentium diplomaticus. Il y a des actes publics de toute sorte, la plus part non imprimés encor. Ce premier Tome finit à l’an 1500 ou environ. Le second tome sera pour le siecle superieur, le troisiême pour le nostre. [...] Je vous dis cecy monsieur, tant pour implorer vostre faveur et celle de vos amis, si quelque chose de curieux se presente sans prendre trop de peine à le chercher; que pour vous supplier à reiterer vos instances auprés de M. le prieur Boissot, qui a tant de tresors dont seront remplis les papiers du feu cardinal de Granvelle. Je ne luy demande que quelques petites miettes, qui ne luy feront point de tort, et qui me serviront. 100 A (wie Anm. 11) II, 2 N. 232. 101 Vostre Codex juris gentium diplomaticus a esté admiré de mons.r le chancelier et de tous mess.rs les conseillers d’etat ausquels il a esté monstré. 102 J’ay donné une copie du project de vostre Codex à nostre amy l’abbé Boisot [...]; il m’a promis qu’il jetteroit les yeux sur ses 80 vol. in fol. de receüils mss. et qu’il vous envoyeroit ce qu’il y trouveroit de propre à estre mis dans ce livre. 103 A (wie Anm. 11) II, 2 N. 238. 104 Brief vom 2./12. Juli 1694 (A [wie Anm. 11] II, 2 N. 276). 105 Je vous fais souvenir de ma priere que je vous supplie de nouveau de favoriser auprés de mons. l’abbé Boisot, s’il voudroit bien me faire part de quelques pieces curieuses tirés du recueil des memoires du cardinal de Granvelle. Ces miettes ne diminueroient pas son tresor et seroient un ornement de mon Code diplomatique. 106 Brief vom 12. September 1694 (A [wie Anm. 11] II, 2 N. 284). 107 Boisot an Nicaise, 24. August 1694 mit der Eingangsbemerkung: il [= Leibniz] peut disposer de tout ce que j’ay. 108 Es handelt sich dabei um einen Friedensvertrag Karls V. mit dem Hafsidenherrscher Muley Hassan, einen Ehevertrag seiner illegitimen Tochter Margarethe von Parma

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ein109; er bestätigt, dass ihm die genannten Texte noch nicht vorlägen und schlägt einen Übermittlungsweg vor110 – aber auch jetzt bleibt die Sendung aus. Monate später erfährt er, dass Boisot bereits im Dezember 1694 (à la veille de vous envoyer ce qu’ il vous promettoit) verstorben ist111. Auf die Materialbeschaffung wirkt sich das aber gerade nicht gravierend aus, denn der Bruder des Abbé, der Advokat in Besançon Jean-Jacques Boisot112, sieht sich dem Versprechen des Verstorbenen verpflichtet. Mitte Oktober 1695113 kann ein weiterer Vermittler, Johann Bernoulli, vermelden, die gewünschten Verträge seien an Nicaise zur Weiterleitung gegangen, und bereits am Monatsende schreibt Leibniz zurück114: Boisotiana quaedam ab Abbate Nicasio accepi. Dies war aber nur der Auftakt in Sachen Granvelliana. Denn bereits im September, noch vor Eintreffen dieser Sendung, war Leibniz durch Nicaise die Bereitschaft Jean-Jacques Boisots signalisiert worden115, weiteres Material zur Verfügung zu stellen – und in wesentlich größerem Umfang; Texte zudem, die eigentlich zunächst einem Konkurrenzunternehmen zum Codex juris gentium zugedacht waren, dem großangelegten Werk Recueil des traitéz de paix des Pariser Buchhändlers Frédéric Leonard116. Es wird ein Verzeich-

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mit Alessandro de Medici und eine „promesse“ seiner Großmutter Maria von Burgund mit Herzog Nikolaus I. von Lothringen und Kalabrien. Brief vom 1./11. Oktober 1694 (A [wie Anm. 11] II, 2 N. 289). Dieser sollte über Leibniz’ Korrespondenten Jakob Bernoulli in Basel (qui n’est pas fort loin de la Franche-Comté) und von dort, mittels Kaufleuten, über Leipzig führen. Vgl. auch A (wie Anm. 11) III, 6 N. 81 (Leibniz an Johann Bernoulli, 6. /16 Dezember 1694), hier S. 245f. Nicaise an Leibniz, 8. Mai 1695: Druck in A (wie Anm. 11) II, 3, vorerst Vorausedition. Biogramm im Kumulierten Korrespondenzverzeichnis der Akademie-Ausgabe (www. gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Korrespondentendatenbank/index. php [16. Oktober 2011]). Brief vom 8./18. Oktober 1695 = A (wie Anm. 11) III, 6 N. 167: Bibliopola Basiliensis mihi monstrabat literas Vesontione, ubi monumenta historica a Boisotio tibi promissa abbati Nicaise tradita dicuntur ut eorum te compotem reddat. Brief vom 20./30. Oktober 1695 = A (wie Anm. 11) III, 6 N. 169 (S. 528). Brief vom 12. September 1695 (Druck in A (wie Anm. 11) II, 3; vgl. vorerst die Vorausedition [wie Anm. 94]): il [= Jean-Jacques Boisot] continuera [...] non seullement pour vous envoyer les 3 traictés que [...] son frere vous avoit promis mais aussi tous les autres qu’il avoit voulu donner à Leonard pour mettre dans son receüil des traictés de paix, comme en devant faire la meilleure partie et la plus curieuse, qu’il negligea neanmoins d’y mettre; ce qui l’obligea de m’écrire, qu’il seroit plus ayse que vous en profitassiés que ce libraire ignorant“. Frédéric LEONARD, Recueil des traitez de paix, de treve, de neutralité, de confederation, d’alliance, et de commerce, faits par les rois de France, avec tous les princes, et potentats de l’Europe et autres: depuis pres de trois siecles: en six tomes (Paris

506 Nora Gädeke nis erstellt, aus dem Leibniz seine Auswahl treffen soll; dieses (d. h. zwei Listen) geht ihm im April 1697117 zu. Bis er seine ausgewählten Vertragsabschriften in Händen hat, werden drei weitere Jahre vergehen, in denen ein Hindernis nach dem anderen auftritt, insbesondere postalische Verwicklungen und der mehrfache Verlust der Listen118. Eine Zeit lang ist das Vorhaben überhaupt in Gefahr, da auch die französische Krone Interesse an der Sammlung hat und sie nach Paris verlagert sehen möchte119. Erst 1699 bewegt sich diese unendliche Geschichte, die sich nicht nur in der NicaiseKorrespondenz, sondern auch in einem direkten Briefwechsel zwischen Leibniz und Jean-Jacques Boisot spiegelt, auf einen Abschluss zu: nachdem die Listen Leibniz wieder vorliegen, kann er im September seine Wahl treffen120; im November121 kündigt Boisot die Übersendung der gewünschten Abschriften an, die im April 1700122 schließlich in Hannover eintreffen.

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1693). Zu diesem Werk als Konkurrenzunternehmen zum Codex vgl. BABIN–VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 132. Vgl. auch Leibniz’ eigene Abgrenzung davon gegenüber Nicaise in A (wie Anm. 11) II, 2 N. 218. Brosseau an Leibniz, 15. April 1697 (vgl. A [wie Anm. 11] I, 13 N. 426). Leibniz’ Dank an Boisot erfolgte am 10. Mai 1697 (A [wie Anm. 11] I, 14 N. 98). Vgl. zusammenfassend die Erläuterungen zu Leibniz’ Briefen an Jean-Jacques Boisot vom 10. Mai 1697 (A [wie Anm. 11] I, 14 98) und vom 20./30. September 1699 (A I, 17 N. 309) sowie die folgende Anm. Vgl. den Brief Jean-Jacques Boisots an Nicaise vom 18. April 1698, den dieser am 19. April kommentiert an Leibniz weiterleitete, Druck in A (wie Anm. 11) II, 3, vorerst Vorausedition: on m’a ecrit de Paris pour faire tomber dans la Biblioteque du Roy les manuscrits de celle de feu mon frere, Et que j’ay faits sur cela des propositions dont j’atends des reponces [...]. Si Mr de Leibnitz croit que je puisse luy fournir quelques copies des papiers qui y sont, Il me semble qu’il n’a poin de temps à perdre parceque si lesdits manuscrits passent en d’autres mains je seray privé du plaisir que je me faisois de luy rendre mes services là dessus. In seiner Antwort an Boisot (A I, 15 N. 363, 4./14. Mai 1698) bestätigt Leibniz sein Interesse, bringt aber auch den Verlust der ersten Liste zur Sprache mit der Bitte um erneute Übersendung. A (wie Anm. 11) I, 17 N. 309 mit Auflistung der von Leibniz gewünschten Abschriften aus der zweiten Liste. Brief vom 15. November 1699, A (wie Anm. 11) I, 17 N. 376. Die Übersendung der Abschriften erfolgte separat über Christophe Brosseau, den braunschweig-lüneburgischen Residenten in Paris; vgl. die Erläuterung zum Brief Nicaise an Leibniz, 28. Dezember 1699 (Druck in A [wie Anm. 11] II, 3, vorerst Vorausedition). Vgl. auch I, 18 N. 152 (Pinsson an Leibniz, 8. Januar 1700) Vgl. A (wie Anm. 11) I, 18 N. 309 (Leibniz an Leopold von Klencke (?), 6. April 1700) und A I, 18 N. 348 (Brosseau an Leibniz, 23. April 1700, die Antwort auf einen nicht gefundenen Leibnizbrief von Anfang April). Noch Monate später, am 1. August 1700 (zuvor bereits am 6. Mai und am 14. Juni) beklagt Nicaise, er habe von Leibniz noch keine Nachricht über den Verbleib der Sendung erhalten (Druck der Briefe in A II, 3, vorerst Vorausedition).

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Auch Boisots Materialangebot und die Auswahl, die Leibniz daraus getroffen hat, sind bis ins Detail überliefert: die beiden Listen, die so oft verloren gegangen waren, im Leibniz-Nachlass123 ebenso wie das Konzept des Leibniz-Briefes an Boisot mit seiner Bestellung124. Aus dem ersten, umfangreicheren Verzeichnis, das 27 politische Verträge des 14. bis 17. Jahrhunderts auflistet125, hat Leibniz nur einen Titel (Vertrag von Ulm zwischen Maximilian und Karl VIII. von Frankreich, 1489) gewählt; aus der zweiten Liste dagegen neun. Diese Auswahl liegt uns auch als materielles Pendant vor: in der allgemeinen Handschriftensammlung der Gottfried Wilhelm Leibniz-Bibliothek Hannover126. Die Übereinstimmung der neun Titel mit Leibniz’ Bestellung zeigt: hier haben wir den Inhalt der Sendung. Der Schwerpunkt liegt bei Spanien und den Habsburgern, darunter drei Heiratsverträge127. Die beiden oben diskutierten Investitururkunden finden sich nicht dabei.128 Doch bietet diese Zusammenstellung einen Fundus, auf die sich Leibniz’ Behauptung gegenüber dem Wiener Hof beziehen mochte, er habe d’ autres qui regardent Ferdinand le Catholique. Nicht für den Einsatz in einem bellum diplomaticum hatten die Brüder Boisot Leibniz ihr Material zur Verfügung gestellt, sondern für den Dienst an der gelehrten Öffentlichkeit – und von dort konnten sie den Dank für ihre générosité erwarten. So kursierte in der gelehrten Welt bald nach dem Tode des Abbé eine Eloge, in der auch seine Unterstützung von Leibniz’ Codex 123 Vgl. A (wie Anm. 11) I, 17 N. 309 Erläuterungen mit Hinweis auf die Überlieferung im Leibniz-Nachlass und auf Parallelüberlieferung in Besançon. 124 A (wie Anm. 11) I, 17 N. 309 mit Anhang, beginnend: Pieces que je souhaitte du second volume dont mons. le president Boisot m’a envoyé la liste. 125 Vgl. A (wie Anm. 11) I, 17 N. 309, Erläuterung. 126 GWLB Hannover, Ms XXVIII 1657. Die Entdeckung dieses Zusammenhangs ist den Vorarbeiten zur Edition von A (wie Anm. 11) I, 17 N. 309 durch Carl-Erich Kesper (jetzt Bonn) zu verdanken. Die Liste hatte ursprünglich wohl 57 Titel enthalten; im Boisot-Nachlass der Bibliothèque Municipale Besançon finden sich keine Hinweise auf die Vorlagen. 127 Die im Unterschied zur Liste streng chronologisch geordneten Abschriften betreffen: Geheimartikel (bezüglich Neapel) zum Heiratsvertrag zwischen Ferdinand von Aragon und Germaine de Foix (1506); Vertrag zwischen Papst Paul III., Karl V. und Venedig (1538), zwischen Papst Paul III. und Karl V. gegen den Schmalkaldischen Bund (1546), zwischen Ferdinand I. und Sultan Suleiman dem Großen, ratifiziert von Karl V. (1547); Friedensvertrag zwischen Papst Paul IV. und Philipp II. (1557); Renuntiation der Infantin Anna in Hinblick auf ihre spätere Verheiratung mit Ludwig XIII. von Frankreich (1612); Vertrag zwischen Holland und Persien von Isfahan (1623); Kontrakt zwischen Erzherzog Ferdinand und der Infantin Maria im Hinblick auf ihre spätere Eheschließung (1627). 128 Leibniz’ Vorlage ließ sich bisher ebensowenig ermitteln wie eine Abschrift der Bulle Julius’ II. in Leibniz’ Nachlass in der GWLB Hannover.

508 Nora Gädeke zur Sprache kommt129. Aber umgesetzt wurde diese ursprüngliche Bestimmung des Materials nie. Denn der Plan von Fortsetzungsbänden zum Codex juris gentium, der am Anfang von Boisots Sendung steht, wurde bekanntlich nicht realisiert130. Erschienen ist nur noch 1700 der Ergänzungsband Mantissa131 Hier, im Vorwort (Bl. a r), wird den Brüdern Boisot (und dem Vermittler Nicaise) dann auch der gebührende Dank abgestattet132. Jedoch weist die Mantissa keinen Text auf, den man tatsächlich auf die Sendung aus Besançon zurückführen könnte133. Erklären ließe sich das mit deren spätem Eintreffen: Leibniz, in Erwartung der Sendung, hätte seinen Dank also im vorab formuliert, dann aber die Texte nicht mehr aufnehmen können in den Band, an dessen Drucklegung bereits Ende 1699 gearbeitet wurde134. Gegenargument: noch im September 1700135 erwägt er, einen ihm erst kürzlich angebotenen Text136, der gut in die Mantissa passen würde, in einen Anhang aufzunehmen und gibt auch entsprechende Anweisungen an den 129 Etienne Moreau, Lettre escrite à Monsieur*** au sujet de la mort de Monsieur Boisot ([Dijon] 1694). Leibniz erwähnt dies selbst gegenüber Johann Bernoulli am 24. Juni (4. Juli) 1695 [A (wie Anm. 11] III, 6 N. 137): [...] cum in elogio abbatis typis edito facta sit perhonori¿ca mentio consilii mei et voluntas defuncti in me juvando inter laudes eius referatur. 130 Vgl. BABIN–VAN DEN HEUVEL, Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 10) 134. 131 Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Mantissa Codicis juris gentium diplomatici (Hannover 1700). 132 LEIBNIZ, Mantissa. Bl. a r: Iam tum cum in priore collectione versarer, abbas S. Vicentii Boisotius ex Burgundico comitatu […] auxilia policitus erat; sed cum mors intercessit, voluntatem eius velut ex legato secutus frater praeses in suprema Vesuntina curia […], voluit thesauri partem aliquam cedere in usus meos; adiuvantibus ex fraterno monasterio viris […]; intervenitque in mei gratiam Cl. Nicasius canonicus Divionensis. 133 Papiers Granvelle (wie Anm. 87) 1 XXXVII, führt den Traité du Chancelier de Bourgogne (Mantissa P. 1 1–61) und die Ordonnances et statuts de l’Ordre de la Thoison d’or Philipps des Guten (Mantissa P. 2 17–32) auf Boisot zurück; gegen diese ansprechende Vermutung spricht weniger, dass diese Texte keine Erwähnung finden in Leibniz’ uns vorliegender Bestellung als, dass beide Texte ihm bereits vor dem Eintreffen von Boisots Sendung vorgelegen haben müssen. Für den Traité ergibt sich dies aus der Position am Anfang der Mantissa, für den Ordre aus A (wie Anm. 11) I, 18 N. 185 (Leibniz an George Stepney, 17./27. Januar 1700) und N. 264 (Leibniz an Friedrich von Walter, wohl Mitte März 1700). 134 Dies geht hervor aus den Briefen des Amanuensis Johann Georg Eckhart an Leibniz vom 21. November/1. Dezember 1699 und 28. November/8. Dezember 1699, A (wie Anm. 11) I, 17 N. 82. und N. 86. 135 Leibniz an François Pinsson, 1. September 1700, A (wie Anm. 11) I, 19 N. 72. 136 Mit A (wie Anm. 11) I, 18 N. 421 (Pinsson an Leibniz, 28. Juni 1700), hier S. 729f. Vgl. auch I, 19 N. 73 (Leibniz an Pinsson, Anfang 1700), hier S. 125, mit der Überlegung: j’en pourrois faire une addition, soit à present, soit pour une autrefois.

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mit der Überwachung der Drucklegung beauftragten Amanuensis137. Die von Boisot gekommenen Texte haben also, so muss man schließen, trotz des Danks in der Praefatio, weniger gut in die Mantissa gepasst138, oder Leibniz hatte gar nicht vor, sie in diesem Kontext zu veröffentlichen: weil er andere Verwendungsmöglichkeiten als die der Edition sah und wohl auch einen anderen Interessentenkreis – einen Hof? Wenn ich bekenne, dass ich letzteres für die wahrscheinlichere Variante halte, so mag das recht spekulativ erscheinen. Aber es gibt nicht nur Leibniz’ Vorschlag in dieser Richtung gegenüber Jean-Jacques Boisot von 1698 (als Alternative zur Verbringung der Sammlung nach Paris)139, sondern vor allem eine Äußerung, die genau das, was ich andeuten wollte, in aller nur wünschenswerten Deutlichkeit formuliert. Sie findet sich in Leibniz’ Brief140 vom 29. Januar 1697 an Christoph Joachim Nicolai von Greiffencrantz141, mit dem er eine langjährige, umfangreiche Korrespondenz vor allem zu historisch-genealogischen Themen führte142. Hier ist zu lesen: „Ich habe interessante Sachen bekommen aus den Papieren des weiland Kardinals von Granvelle, des Ministers Karls V. und Philipps II., und es gäbe die Möglichkeit, noch mehr zu bekommen, insbesondere wenn ich dafür einige Ausgaben auf mich nähme, was eine Kleinigkeit wäre angesichts der Bedeutung des Materials, aber ein bisschen zu aufwendig für die pure curiosité eines Privatmannes. Diese Papiere sind in den Händen einiger französischer Privatleute, deshalb muss ich sie mit Geschick behandeln, damit die Sache nicht zum Platzen kommt. Aber mein Codex Diplomaticus gibt mir einen schönen Vorwand für die Nachfrage, dessen der Kaiserhof sich bedienen könnte, wenn man es für angebracht halten sollte“143: nicht nur gegenüber 137 Leibniz an Eckhart, Ende September 1700 (A [wie Anm. 11] I, 19 N. 8): Quodsi nondum absoluta sit continuatio, haec appendix utiliter adjicietur. Sin minus vel in aliam continuationem differetur vel superstitibus exemplis jungetur. 138 Papiers Granvelle (wie Anm. 87) 1 XXXVII, führt als Erklärung den Abschluss der Mantissa mit dem Jahr 1505 an. 139 Vgl. A (wie Anm. 11) I, 15 N. 363 vom 4./14. Mai 1698: je pourrois vous offrir l’occasion de traiter avec un Prince d’Allemagne, qui cherche à enrichir sa Bibliothèque de quelque chose de Curieux. 140 A (wie Anm. 11) I, 13 N. 316. 141 Zur Person vgl. das Biogramm im Kumulierten Korrespondenzverzeichnis der Akademie-Ausgabe (wie Anm. 112). 142 Zur Position der Greiffencrantz-Korrespondenz unter Leibniz’ intensivsten Korrespondenzen vgl. Nora GÄDEKE, Leibniz lässt sich informieren – Asymmetrien in seinen Korrespondenzbeziehungen, in: Kommunikation in der Frühen Neuzeit, hg. von Klaus-Dieter HERBST–Stefan KRATOCHWIL (Frankfurt am Main et al. 2009) 25–46, hier 32. 143 GÄDEKE, Leibniz (wie Anm. 142) 508: J’ay obtenu des choses curieuses des papiers du feu cardinal de Gra[n]velle, grand ministre de Charles V. et de Philippe II. et il

510 Nora Gädeke den im Dienste ihrer Territorialherren agierenden Archiv- und Bibliotheksdienern konnte die curiosité als Vorwand dienen, sondern auch gegenüber Mitbürgern in der Gelehrtenrepublik. Damit ist eigentlich alles gesagt. Und die Verwunderung über die Offenheit, mit der Leibniz seinem Korrespondenten gegenüber (auch wenn es sich um eine langjährige Korrespondenz mit beträchtlicher Brieffrequenz handelt) seine Strategie – und seinen Einsatz gelehrter Interessen zur Camouflage der politischen – darlegt, legt sich etwas, wenn man bedenkt, dass Greiffencrantz einige Jahre als Gesandter am Kaiserhof verbracht hatte und immer noch Kontakte nach Wien pflegte. Möglicherweise war auch diese Aussage instrumental: um den Vorschlag auf indirektem Wege über einen Vermittler am Kaiserhof zu lancieren144. Leibniz als Historiker lässt sich nicht nur nicht eindeutig für den Dienst an der historischen Wahrheitssuche oder an den Interessen der Politik vereinnahmen: auch seine eigenen Aussagen dazu sind mit Vorsicht zu lesen, nicht ohne den Vorbehalt eines spezifischen Adressatenbezuges und eines instrumentalisierenden Subtextes, der in der Informationsvermittlung steckt. Einzeln herausgegriffen und verabsolutiert, können sie leicht in die Irre führen. Erst das vielgestaltige Mosaik, das aus der Aufarbeitung von Leibniz’ immensem Nachlass – Abertausenden von Briefen, Denkschriften, Notizen – unter Einbeziehung seines Arbeitsapparates (beides in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover gut erhalten) entsteht, gibt ein differenziertes Bild. Noch immer fehlen hier viele Steinchen: mit dem Voranschreiten der historisch-kritischen Leibnizedition werden die Konturen aber hoffentlich immer deutlicher hervortreten. Leibniz als Historiker wird frei-

y auroit moyen d’en avoir encor bien d’autres sur tour si je faisois quelque depense pour cela, qui seroit peu de chose pour l’importance de la matiere, mais un peu trop excessive pour la simple curiosité d’un particulier. Ces papiers sont entre les mains de quelques particuliers françois, c’est pourquoy je suis obligé de les manier avec adresse afin que la chose n’eclate point. Mais mon Code Diplomatique me fournit un beau pretexte d’enquerre, dont la cour imperiale se pourroit servir, si on le jugeoit à propos. 144 Ein weiteres Beispiel für den Einsatz gelehrter Interessen als Vorwand für die Verfolgung politischer Ziele liefert: Leibniz an Gilbert Burnet, 10./20. November 1696 (A [wie Anm. 11] I, 13 N. 223), der dem Anschein nach vor allem der Handschriftenbeschaffung gilt, tatsächlich aber (wie Leibniz gegenüber Kurfürstin Sophie in A I, 13 N. 58 vom 14.(?) November 1696 deutlich macht) den Zweck hat, die Einstellung des Bischofs von Salisbury zu ihrem Haus hinsichtlich der englischen Sukzession zu erkunden; dazu demnächst Nora GÄDEKE, Gesandte ohne Akkreditierung: die Gelehrtenrepublik als Rekrutierungsfeld für inoffizielle politische Missionen? in: Geheime Eliten?, hg. von Volkhard HUTH (im Druck, erscheint voraussichtlich 2012). Den Hinweis auf diese Textstelle verdanke ich Herbert Breger (Hannover).

Im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges 511

lich weiterhin schemenhaft bleiben – solange Reihe V nur auf dem Papier existiert.

Abstract The development of historical criticism from the confessional apologetic writing and the bella diplomatica of the 17th century is well known, as is the fact that already in that same century, historical scholarship could disengage from that finality and subscribe to the ideal of fides historica. The tension between these poles can be exemplified in the person of the universal scholar Gottfried Wilhelm Leibniz. Occupied for decades in the service of the courts of the house of Brunswick in the composition of a history of the house of Welf, he placed this work (which remained incomplete and was not published until the middle of the 19th century) from its inception under the paradigm of severe and disinterested criticism of traditions, and posited contemporary sources as the precondition of any historical argumentation. Leibniz takes his place among the scholars of his time who set out in search of material for historical reconstruction, and frequently found themselves rudely brought home to the reality of territorial interests before the closed doors of archives and libraries. The model of erudite curiosité could also, however, serve as a pretext in a bellum diplomaticum. This may be shown by means of an example from the years preceding the War of the Spanish Succession. Not only did Leibniz, in an anonymous, source-based polemic, attack the legal basis of Bourbon succession in Spain; he also put his entire collection of sources on Spanish history at the disposal of this effort. This political use of historical collected material is complemented by the history of the making of the collection, which Leibniz had deliberately pursued in the 1690s, ostensibly in order to expand his work Codex juris gentium diplomaticus, but with a view to the interests of the imperial court.

Der „Unglaube entstellt den Ruhm“ Ezechiel Spanheim kommentiert Julian Apostata (ca. 1660–1696) Sven Externbrink Im Frühjahr 1683 erschien in Paris, beim Verleger Denys Thierry in der Rue Saint Jacques, ein rund 550 Seiten starker Band mit dem Titel Les Cesars de l’empereur Julien, traduits du Grec, avec des remarques et des preuves illustrées par les médailles, et autres anciens monumens. Der Name des Autors und Herausgebers fehlt auf dem Titelblatt, wir finden ihn erst nach dem Widmungsbrief, der nicht an Ludwig XIV., oder an eine hochgestellte Persönlichkeit der französischen Gesellschaft gerichtet ist, sondern an Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg, auch bekannt als der Große Kurfürst, bei dem sich der Verfasser für die Aufnahme in seine Dienste bedankt. Unterzeichnet ist das Widmungsschreiben von Ezechiel Spanheim, zu diesem Zeitpunkt Gesandter des (noch) mit Ludwig XIV. verbündeten Kurfürsten am französischen Hofe. Beim Werk, das im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen wird, handelt es sich um die Übersetzung einer vom letzten heidnischen Kaisers Julian (Kaiser 361–363), von seinen christlichen Gegnern mit dem Beinamen Apostata versehen, verfassten Satire. Julian lässt darin, die Tradition der menippeischen Satire aufgreifend (wenn auch ohne burleske Elemente), die heidnischen Götter auftreten, die sich zu einem saturnalischen Festmahl versammelt haben und dabei über die Leistungen der römischen (Gott-)Kaiser bis Konstantin urteilen. Von den Kaisern, die einzeln vor die Götter treten und sich rechtfertigen müssen, wird am Ende Marc Aurel aufgrund seiner Rechtschaffenheit der erste Platz zugewiesen. Hingegen wird Konstantin – der erste christliche Kaiser der Antike – vom Bankett ausgeschlossen – aufgrund seiner Gottlosigkeit. Das Urteil der Götter über Konstantin gibt Julian Gelegenheit zu einer massiven Kritik und Parodie des christlichen Glaubens1. 1

Über die Satire Julians vgl. Klaus BRINGMANN, Kaiser Julian (Darmstadt 2004) 107–111; Klaus ROSEN, Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser (Stuttgart 2006) 319–324. Eine kommentierte zweisprachige Edition der Satire hat Friedhelm Müller vorgelegt: Die beiden Satiren des Kaisers Julianus Apostata (Symposion oder Caesares und Antiochikos oder Misopogon), hg. von Friedhelm MÜLLER (Stuttgart 1998).

514 Sven Externbrink In zwei zeitgenössischen Rezensionen, im Journal des sçavans und in den Acta eruditorum, wurde auf das Werk hingewiesen, sein Autor uneingeschränkt gerühmt ob seines Wissens, und nicht zuletzt hoben beide Rezensenten Spanheims Widerlegung der Kritik Julians am Christentum hervor2. Als besonders gelungen lobte man die Zweiteilung des kritischen Kommentars, der sowohl aus inhaltlichen Erläuterungen und Erklärungen des Textes als auch aus einem textkritischen Teil bestand. Dabei vergaß man nicht zu erwähnen, dass Spanheim als Beleg seiner Kommentare immer wieder auf antike Bauwerke, auf Medaillen und Inschriften Bezug nahm. Soweit die beiden Rezensionen, in denen, anders als in unserer Gegenwart üblich, auf eine Einordnung des Buches in die „Forschungslandschaft“ verzichtet wird, und die sich stattdessen vor allem auf eine knappe Wiedergabe des Inhalts beschränken. Bevor nun auf Spanheims Bearbeitung und Kommentierung des Dialogs näher eingegangen wird, gilt es, Edward Hallet Carrs Forderung – „Before you study the history, study the historian“ und „Before you study the historian, study his historical and social environment“3 – aufzugreifen und zuerst Ezechiel Spanheim vorzustellen sowie den Entstehungskontext seiner Übersetzung zu skizzieren. Dabei interessiert nicht zuletzt warum Spanheim ausgerechnet den heidnischen Kaiser Julian Apostata zum Studienobjekt gewählt hat? Zu welchen Debatten leistet er mit seiner Edition einen Beitrag? In welche historiographische Tradition ist er einzuordnen? Wie verhält sich seine Arbeit zur Praxis der Geschichtsschreibung seiner Zeit?

I. Wer war Ezechiel Spanheim? All diejenigen, die sich mit der Geschichte des Hofes Ludwigs XIV. beschäftigt haben, kennen seinen Namen als Verfasser einer Relation de la cour de France, in der Spanheim seine Beobachtungen als brandenburgischer Gesandter in Frankreich zwischen 1680 und 1689 niederschrieb und die seit ihrem Bekanntwerden gegen Ende des 19. Jahrhunderts als eine der besten Quellen über den ludovizianischen Hof gilt. Einer kleineren Schar von Spezialisten für die Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Antiquarismus des 17. Jahrhunderts ist er als Autor und – so Arnaldo Momigliano – einer der Begründer der modernen Numismatik als historischer Hilfswissenschaft bekannt4. Dies sind zwei extreme Pole, die ein wenig geschlossen werden sollen. 2 3 4

Acta eruditorum (1684) 164–166; Journal des sçavans (1683) 229–233, hier 231. Edward H. CARR, What is History?, hg. von Richard EVANS (Basingstoke 2001) 38. Arnaldo MOMIGLIANO, Alte Geschichte und antiquarische Forschung, in: Arnaldo MOMIGLIANO, Wege in die Alte Welt (Berlin 1991) 79–107, hier 92.

Der „Unglaube entstellt den Ruhm“ 515

Beginnen wir mit den Fakten: Ezechiel Spanheim wurde am 7. Dezember 1629 in Genf geboren, er starb am 7. November 1710 in London und wurde in der Westminster Abbey beigesetzt5. Zwischen diesen Daten verbirgt sich eine wahrhaft europäische Biographie – Ezechiel Spanheim war weder Deutscher, noch Genfer, noch Schweizer, noch Franzose, seine Staatsangehörigkeit (die anachronistische Verwendung des Begriffs sei einmal erlaubt) war europäisch. Seine Eltern waren beide Flüchtlinge, die in Genf Fuß gefasst hatten. Die Mutter Charlotte Du Port entstammt einer französischen Hugenottenfamilie, der Vater, Friedrich Spanheim, war 1619 aus der heimatlichen Kurpfalz geflohen und nach einigen Wanderjahren Professor für Theologie an der Genfer Akademie geworden. Die Gelehrsamkeit Ezechiels, für die er bereits zu Lebzeiten gerühmt wurde, war ihm geradezu in die Wiege gelegt worden. Mütterlicherseits zählt Guillaume Budé zu seinen Vorfahren, sein Vater und seine Großväter traten vor allem als calvinistische Theologen hervor, die hervorragende Beziehungen zur kurpfälzischen Herrscherfamilie hatten und darüber hinaus in der europäischen Gelehrtenrepublik vernetzt waren6. In den Lebensläufen seines Vaters und seiner Vorfahren väterlicherseits zeigt sich bereits die für Ezechiels Biographie so charakteristische Verbindung von Gelehrsamkeit, Konfession und politischer Welt. Ezechiels Vater, ein streitbarer Verfechter der calvinistischen Orthodoxie, war 1642 auf einen Lehrstuhl für Theologie an die Universität Leiden berufen worden und dort nahm sein ältester Sohn im Juli 1643 das Studium der alten und orientalischen Sprachen, der Theologie und Philosophie auf 7. 5

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Zur Biographie: Victor LOEWE, Ein Diplomat und Gelehrter: Ezechiel Spanheim (1629–1710) (Berlin 1924); Stefan LORENZ, Ezechiel Spanheim und das höhere Bildungswesen in Brandenburg-Preußen um 1700, in: Vom Kurfürstentum zum „Königreich der Landstriche“. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklärung, hg. von Günther LOTTES (Aufklärung und Europa 10, Berlin 2004) 85–136; Sven EXTERNBRINK, Diplomatie und République des Lettres. Ezechiel Spanheim (1629–1710). Francia 34/2 (2007) 25–59; zur Familie: Sven EXTERNBRINK, Internationaler Calvinismus als Familiengeschichte: die Spanheims (ca. 1550–1710), in: Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Cordula NOLTE– Claudia OPITZ (Köln–Wien 2008), 137–155, Sven EXTERNBRINK, Spanheim, un erudit à la cour de Louis XIV, in: Savoir et pouvoir au siecle des Lumieres, hg. v. Jan BORM–Monique COTTRET–Bernard COTTRET (Paris 2011) 21–37. Vgl. z. B. den Briefwechsel von Ezechiels Vater Friedrich Spanheim (1600–1649) mit Anna Maria von Schurmann: Anne Marie de Schurman. Femme savante (1608– 1678). Correspondance, hg. v. Constant VENESOEN (Paris 2004) 174–182, 187, 197– 199. Album Studiosorum Academiae Batavae, MDLXXV–MDCCCLXXV, accedunt nomina curatorum et professorum per eadem secula (2 Bde., Leiden 1875) 342.

516 Sven Externbrink Der talentierte junge Professorensohn erregte schnell die Aufmerksamkeit seiner Lehrer. Er galt als Meisterschüler sowohl des Latinisten Claude Saumaise und auch von dessen Kollegen und Rivalen und Gräzisten Daniel Heinsius8. Auch den Professor der Eloquenz und „Sprachwissenschaftler“ Marcus Zuerius Boxhorn zählte Spanheim zu seinen Lehrern9. Eine akademische Karriere schien Ezechiel vorbestimmt: Nach dem frühen Tode seines Vaters (1649) erhielt er im folgenden Jahr einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Geschichte und Eloquenz an der Genfer Akademie. Publizistisch trat er als Herausgeber und Kommentator der Schriften seines Vaters und als Autor theologischer Traktate (Discours sur la crêche, Genf 1655) hervor. Ohne Zweifel hätte Ezechiel Spanheim eines Tages wieder nach Leiden zurückgehen können, doch er zog dem Katheder das Leben am Hofe vor und folgte 1656 dem Rufe des Kurfürsten Karl von der Pfalz, der ihn – neben Samuel Pufendorf – zum Erzieher des Kurprinzen ernannte. Seitdem nahm die vita activa immer mehr Raum in Spanheims Leben ein. Er bekleidete weitere Funktionen am kurpfälzischen Hofe und wurde immer häufiger als Gesandter eingesetzt: Missionen nach Rom, London, Paris und Köln folgten bis 1680. In diesem Jahr wechselte er den Dienstherrn und ließ sich als Gesandter des Kurfürsten von Brandenburg an den französischen Hof schicken, wo er bis 1689 blieb. Es folgten in Berlin verbrachte Jahre während des Pfälzischen Erbfolgekriegs, ein zweiter kurzer Aufenthalt in Versailles und von 1701, zum Baron Spanheim erhoben, bis zu seinem Tode die Vertretung des jungen Königreiches Brandenburg-Preußen in London. Soweit die Fakten. Für uns wichtig ist, dass Spanheim zeitlebens nicht nur dem realen Staatswesen, sondern auch dem ideellen „Staat“ der république des lettres verbunden blieb. Trotz einer ständig wachsenden Inanspruchnahme durch seine Aufgaben als Gesandter fand er immer wieder Zeit, seine philologischen und antiquarischen Studien fortzuführen und ein beeindruckendes 8

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Über Saumaise siehe: Herbert JAUMANN, Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, 1: Bio-Bibliographisches Repertitorium (Berlin–New York 2004), 579; Frans F. BLOK, Isaac Vossius and his Circle. His Life until his Farewell to Queen Christina of Sweden 1618–1655 (Groningen 2000) 27–45; über Heinsius: Karl Felix HALM, Heinsius, Daniel, in: Allgemeine Deutsche Biographie; 11 (Leipzig 1880) 653–656; Jan H. MEYER, The Literary Theories of Daniel Heinsius. A Study of the Development and Background of his Views on Literary Theory and Criticism during the Period from 1602 to 1612 (Republica Literaria Neerlandica 6, Assen 1984), über seine Werke: Daniel Heinsius. Klassischer Philologe und Poet, hg. v. Eckart LEFÈVRE–Eckart SCHÄFER (Neolatina 13, Tübingen 2008). Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe ([Darmstadt–Leipzig– Berlin] 1923ff.), Reihe I: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, 11 (Berlin 1982) 257 Nr. 181. Über Boxhorn: Herbert JAUMANN, Handbuch Gelehrtenkultur (wie Anm. 8) 125.

Der „Unglaube entstellt den Ruhm“ 517

Werk vorzulegen. Prägend für seine Themenwahl waren die Gegenstände der Studien von Saumaise und Heinsius sowie anderer Gelehrter in Leiden10. Saumaise hatte frühchristliche Autoren wie Tertullian kommentiert, ein anderer Leidener Gelehrter, Bonavenutura Vulcanius, hatte im 16. Jahrhundert eine zweisprachige Kallimachos-Edition publiziert, und auch Spanheim widmete dem hellenistischen Dichter eine Edition mit einem umfangreichen Kommentar. Parallel zu seinen in der (spät)humanistischen Tradition stehenden Studien als Textkritiker und Philologe entwickelte sich Spanheim zum europaweit anerkannten Spezialisten für antike Numismatik. Auch hierfür wird er Anregungen in Leiden erhalten haben. Darüber hinaus ist er seit seinen Leidener Jahren auch mit den Debatten um die Gestalt des Bibeltextes vertraut, an dem die oben genannten, vor allem Boxhorn, sich beteiligt hatten11. Die endgültige Hinwendung zum Studium der Münzen erfolgte wohl endgültig während seiner Italienreise von 1661 bis 1665, als er in Rom die Münzsammlung Christinas von Schweden ordnete12. In Rom verfasste und publizierte er die erste Auflage seines numismatischen Hauptwerkes Dissertationes de praestantia et usum numismatum antiquorum, der bis 1710 zwei weitere Auflagen folgen sollten, und die ihn zu unbestrittenen Autorität in allen Fragen der Medaillenkunde machten13. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass Spanheim in der europäischen Gelehrtenrepublik hervorragend vernetzt war. Zwar ist sein gelehrter Briefwechsel nur fragmentarisch erhalten, aber aus den verstreuten Funden lassen sich Kontakte nachweisen zu Historikern, Antiquaren, Philosophen und Naturwissenschaftlern in England (Edward Bernard14, Hans Sloane15), 10 Vgl. den Überblick von Jan Hendrik WASZINK, Classical Philology, in: Leiden University in the Seventeenth Century. An Exchange of Learning, hg. von Theodor H. LUNSINGH SCHEURLEER–Guillaume H. M. POSTHUMUS MEYJES (Leiden 1975) 161–175. 11 Jürgen Christian LEBRAM, Ein Streit um die Hebräische Bibel und die Septuaginta, in: Leiden University in the Seventeenth Century (wie Anm. 10) 21–63; Henk Jan de JONGE, The Study of the New Testament, in: ebd. 65–109. 12 Carl BILDT, Les Médailles romaines de Christine de Suède (Roma 1908). 13 Vgl. die Bemerkung Leibniz’ über Spanheims Kompetenz im Feld antiker Medaillen und Münzen: Vous estes maintenant le dictateur dans le pays de cette jurisdiction; Leibniz Schriften und Briefe (wie Anm. 9) I, 8 498f., Nr. 302. Weitere Beispiele bei EXTERNBRINK, Diplomatie (wie Anm. 5) 25f. 14 Edward Bernard (1638–1696), fellow in Oxford, Altphilologe und Orientalist: vgl. Agnes M. CLERKE, Bernard, Edward, in: Dictionary of National Biography, 2 (London 2=31949–1950) 378–380; Hugh DE QUEHEN, Bernard, Edward (1638–1697), in: Oxford Dictionary of National Biography, 5 (London 2004) 424–426; vgl. www. oxforddnb.com/view/article/2240 [gebührenpflichtig; 25. Oktober 2011]. 15 Hans Sloane (1660–1753), Arzt, Universalgelehrter und Sammler; seine Sammlung und seine Bibliothek, die er 1753 der Krone vermachte, bilden den Grundstock des

518 Sven Externbrink Frankreich (Pierre-Daniel Huet16, Jean Mabillon17, Abbé Claude Nicaise18, Étienne Baluze19, Père La Chaise20, und andere mehr), Italien (Ottavio Falconieri21, Antonio Magliabechi22) und im Reich (die bekanntesten Namen sind Samuel Pufendorf23, Gottfried Wilhelm Leibniz24 und Hermann

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British Museum: vgl. Norman MOORE, Sloane, Hans, in: Dictionary of National Biography (wie Anm. 14) 18 379f.; Arthur MACGREGOR, Sloane, Sir Hans, baronet (1660–1753), in: Oxford Dictionary of National Biography, 50 (London 2004) 943–949; vgl. www.oxforddnb.com/view/article/25730 [gebührenpflichtig; 25. Oktober 2011]. Über Huet vgl. Pierre Daniel Huet (1630–1721). Actes du colloque de Caen, 12– 13 novembre 1993, hg. von Suzanne GUELLOUZ (Papers on French Seventeenth Century Literature, Paris–Seattle–Tübingen 1993). Blandine BARRET-KRIEGEL, Jean Mabillon (L’Histoire à l’âge classique 1, Paris 2 1996); vgl. auch : Dom Jean Mabillon, figure majeure de l’Europe des lettres. Actes des deux colloques du tricentenaire de la mort de dom Mabillon, Abbaye de Solesmes, 18–19 mai 2007, Palais de l’Institut, Paris, 7–8 décembre 2007, hg. von Jean LECLANT–André VAUCHEZ–Daniel-Odon HUREL (Paris 2010); Daniel-Odon HUREL, Dom Mabillon. Œuvres choisies précédées d’une biographie par dom Henri Leclercq (Bouquins, Paris 2007). Vgl. Lettres de divers savants à l’Abbé Claude Nicaise, hg. von Etienne CAILLEMER (Lyon 1885); Les Correspondants de l’Abbé Nicaise, 1: Un diplomate érudit au XVIIe siècle. Lettres inédites 1681–1701, hg. von Emile DU BOYS (Paris 1889). Étienne Baluze (1630–1718) war Bibliothekar von Jean-Bapiste Colbert, über ihn jetzt: Etienne Baluze, 1630–1718. Érudition et pouvoirs dans l’Europe classique, hg. von Jean BOUTIER (Limoges 2008); Jean BOUTIER, Stephanus Baluzius tutelensis – Étienne Baluze (1630–1718). Un savant tullois dans la France de Louis XIV (Tulle 2007). Über François de la Chaise d’Aix, genannt père De la Chaise (1624–1709): vgl. Ségolene DAINVILLE-BARBICHE, La Chaize, in: Dictionnaire du Grand Siècle, hg. von François BLUCHE (Paris 1990) 812–814. Ottavio Falconieri (1636–1675), Humanist und Antiquar, Vertrauter Königin Christines von Schweden: vgl. Matteo SANFILIPPO, Falconieri, Ottavio, in: Dizionario biografico degli italiani, 44 (1994) 385–388 (vgl. www.treccani.it/enciclopedia/ ottavio-falconieri_(Dizionario-Biografico)/ [25. Oktober 2011]). Antonio Magliabechi (1633–1714): Massimiliano ALBANESE, Magliabechi, Antonio, in: Dizioniario biografico degli Italiani, 67 (2006) 422–427; vgl. auch: Carteggio Magliabecci. Lettere di Borde, Arnaud e associati lionesi ad Antonio Magliabechi (1661–1700), hg. von Salvatore USSIA (Biblioteca del „Archivium Romanum“, I/160, Firenze 1980); Lettere e carte Magliabechi alla Biblioteca nazionale centrale. Inventario cronologico, hg. von Manuela DONI GARFAGNINI (2 Bde., Fonti per la storia d’Italia 137, 143, Roma 1981–1988). Über Samuel Pufendorf (1632–1694): Notker HAMMERSTEIN, Samuel Pufendorf, in: Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, hg. von Michael STOLLEIS (München 31995), 172–196. Über Leibniz (1646–1716) jetzt die ausführliche Biographie: Eike Christian HIRSCH, Der berühmte Herr Leibniz (München 22001), insbes. 299, 351, 385f.

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Conring25). Mit Ihnen stand Spanheim in einem zum Teil über Jahrzehnte andauernden Gedankenaustausch, ihre Werke fanden Eingang in seine große Bibliothek, die er 1698 an den Kurfürsten von Brandenburg verkaufte26.

II. Am Beginn der Studien Ezechiel Spanheims über Julian steht eine unkommentierte Übersetzung des Cäsaren-Dialogs, publiziert 1660 in Heidelberg im Duodezformat, am Ende eine umfangreiche kommentierte Edition, die sowohl die gesammelten Werke des Kaisers, als auch die Fragmente der Schriften seines Gegners Cyrill von Alexandrien enthalten (1696) und über die sich Leibniz begeistert äußerte27. Die erste in Heidelberg publizierte Version seiner Übersetzung widmete Spanheim der Schwester des Kurfürsten, Sophie, der späteren ersten Kurfürstin von Hannover, die er in seiner Vorrede nach allen Regeln der Redekunst pries. Die beiden hatten sich möglicherweise schon während des Dreißigjährigen Krieges in Leiden oder Den Haag am Exilhofe der Pfälzer Kurfürstenfamilie, den Spanheims Vater regelmäßig besuchte, kennen gelernt. In Heidelberg, wo Sophie bis 1658 lebte, trafen sie sich regelmäßig. Wie alle Kinder des Winterkönigs und der englischen Königstochter Elisabeth Stuart hatte auch Sophie eine gründliche humanistische Ausbildung genossen und zeigte zeitlebens großes Interesse für Literatur und Philosophie. Mit Spanheim verband sie eine lebenslange, Standesgrenzen überschreitende Freundschaft28. Spanheims Formulierungen erwecken den Eindruck, dass von Sophie der Anstoß zur Übersetzung ausging. Dies ist keine abwegige 25 Über Hermann Conring (1606–1681): Dietmar WILLOWEIT, Hermann Conring, in: Staatsdenker in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 23) 129–147. 26 EXTERNBRINK, Diplomatie (wie Anm. 5) 38f., 46–58. 27 Leibniz Schriften und Briefe I, 13 233f., Nr. 151. Positiv auch die Rezension im Journal des sçavans, die insbesondere die textkritischen Ergänzungen und Konjekturen Spanheims lobt: Journal des sçavans (1699) 37f. 28 Vgl. hierzu die überschwänglichen Bemerkungen Spanheims in der Widmung der ersten Edition: Pour moy, Madame, je conte encore les iours entre les plus precieux momens de ma vie, ceux qui m’ont procuré un bonheur de cette nature,et celuy principalement, qui m’a fait recevoir diverses marques de sa bonté et de son approbation. Aussi dès que le bonheur d’un prince également auguste en nom, en merite, et en naissance, nous a osté celuy de nous en prévaloir de plus près, ie n’ay point trouvé de plus agréable ni de plus glorieuse occupation, que dans le souvenir, qui me reste, et dans la permission, qu’elle m’a accordée de luy en donner moy même des asssurances. Ezechiel SPANHEIM, Les Cesars de l’empereur Julien traduits nouvellement du Grec (Heidelberg 1666), Dedikationsepistel (unpag.).

520 Sven Externbrink Vermutung, angesichts der Tatsache, dass Sophie antike (Seneca, Epiktet, Lukian) und zeitgenössische Philosophen (Descartes, Hobbes, Spinoza) las29. Es ist aber auch zu bedenken, dass die Beschäftigung mit Julian Apostata unter den Humanisten und Philosophen in der Mitte des 17. Jahrhunderts en vogue war. Bodin und Montaigne waren die ersten, die versuchten, Julian nicht mehr mit den Augen seiner christlichen Gegner zu betrachten und deren Polemik zu wiederholen, sondern seiner vielschichtigen Persönlichkeit gerecht zu werden. Es ging darum, mit Julian einen interessanten und bedeutenden Literaten, Philosophen und vor allem Rhetor der Antike zugänglich zu machen, dessen schriftstellerische Kunst unabhängig von seinem Glaubensbekenntnis einen eigenen Wert darstellte30. Darauf verwiesen sowohl der erste Herausgeber einer Sammlung der Briefe und des Misopogons Julians, der Hugenotte Pierre Martini (Petrus Martinius) 1566, der ihn in eine Reihe mit den kanonischen aber auch heidnischen Autoren wie etwa Homer, Vergil, Platon und Aristoteles stellte, als auch der Jesuit Denis Petau, der 1614 und 1630 eine Edition der Werke Julians vorlegte31. Auf Martinius und Petau folgten bis 1683 weitere Ausgaben seiner Werke, zum Teil begleitet von Übersetzungen ins Lateinische, die sich alle in Spanheims Bibliothek finden. Dabei entwickelte sich die Satire über die Caesaren zum „Publikumsliebling“ – Spanheims „kommentierte“ Übersetzung von 1683 konkurrierte mit einer weiteren, 1682 von Moret vorgelegten Übertragung ins Französische32. 29 Zu ihrer Lektüre vgl. Mathilde KNOOP, Kurfürstin Sophie von Hannover (Niedersächsische Biographien 1, Hildesheim 21969) 80; über die Freundschaft der beiden jetzt: Sven EXTERNBRINK, Quel Carnaval mon Dieu... Ein unbekannter Brief von Elisabeth Charlotte von der Pfalz an Ezechiel Spanheim anlässlich des Todes der Königin Sophie Charlotte von Preußen (1705). Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 158 (2010) 259–271. 30 Marc FUMAROLI, L’Âge de l’Éloquence. Rhétorique et res literaria de la Renaissance au seuil de l’époque classique (Genf 32002) 395. Erst im späten 15. Jahrhundert wurde mit Ammianus Marcellinus der für die Regierung Julians wichtigste spätantike Historiker „entdeckt“ und ediert, vgl. ROSEN, Julian (wie Anm. 1) 413f. 31 Joseph BIDEZ, La Tradition manuscrite et les éditions des discours de l’Empereur Julien (Université de Gand. Recueil de Travaux publiés par la Faculté de Philosophie et Lettres 61, Gent–Paris 1929) 107; Jean LARMAT, Julien dans les textes du XVIe siècle, chez Érasme, Calvin, Guillaume Postel, Jean Bodin, Montaigne, Agrippa d’Aubigné. Florilège d’autres écrivains, in: L’Empereur Julien. De l’histoire à la légende (331–1715), hg. von René BRAUN–Jean RICHER (Paris 1978) 269–294; Claude FAISANT, Julien en France au XVIIe siècle chez la Mothe Le Vayer, Moreri, Bossuet. Les éditions des Œuvres de Julien, in: ebd. 303–319. Über Petau vgl. auch: JAUMANN, Handbuch Gelehrtenkultur (wie Anm. 8), 501f.; Jules MARTIN, Petau (1583–1653) (Paris 1910). 32 [Julian Apostata] Les Césars invitez à la table des dieux, übers. von P. MORET (Paris 1682).

Der „Unglaube entstellt den Ruhm“ 521

In der Begründung der Wahl seines Studienobjektes orientiert sich Spanheim an der erstmals von Martinius vorgelegten Argumentation. Unglücklicherweise gebe es einige Flecken, die das wunderbare Bild des Kaisers verunstalten, so heißt es in der ersten Auflage, und durch seinen Unglauben hervorgerufen werden – und seinen Ruhm entstellen. Aber, so Spanheim resigniert, wo gebe es schon Gemälde ohne Fehler – abgesehen von der Erscheinung der Herzogin Sophie33? Dieser Argumentationsgang wird (ohne den Verweis auf Herzogin Sophie) in der Edition von 1683 wieder aufgenommen und differenziert. Das sich an den Widmungsbrief anschließende Vorwort dient der Einführung in die Lektüre der Satire und gliedert sich in Ausführungen über die Person des Autors, über die antike Satire im Allgemeinen, den Cesars als Satire im Vergleich zur antiken Tradition und innerhalb des Werkes Julians sowie schließlich in Bemerkungen über die Methode des Übersetzens. Spanheim beginnt seine Ausführungen mit einer wohl als notwendiges Ritual zu bezeichnenden Kritik des Heidentums Julians, um jeden Verdacht von sich zu weisen, sein Lob der Gelehrsamkeit und der Eloquenz Julians schließe dessen Kritik des Christentums mit ein. Julians Apostasie bereitet dem orthodoxen Calvinisten Spanheim kein größeres Kopfzerbrechen, doch kann er sich noch nicht völlig von den Vorgaben der Verurteilung Julians durch die Kirchenväter lösen, deren Autorität noch immer schwer wiegt34. Entsprechend distanziert er sich von La Mothe Le Vayer, der Julian in seinem Traité de la vertu de païens zum ersten der römischen Kaiser erklärt hatte. Indirekt folgt Spanheim La Mothe Le Vayer aber doch, denn an der Tugendhaftigkeit Julians hält Spanheim – mit den genannten Abstrichen – fest. Denn man muß ergänzen, dass La Mothes Le Vayers Verteidigung der heidnischen Tugend der Behauptung des Cornelius Jansen galt, der grundsätzlich bestritt, dass Heiden tugendhaft handeln konnten, weil sie nicht über das Geschenk der göttlichen Gnade verfügten35. Die Kernthese La Mothe La Vayers – die Fähigkeit der Heiden zur Tugendhaftigkeit – aber wird von Spanheim nicht berührt, er stimmt ihr sogar zu36. La Mothe Le Vayers Urteil 33 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 28), Dedikationsepistel (unpag.): il n’y a que quelques malheureux traits, que la créance et l’impiété de ce prince, y ont laissé contre nos sacrez mysteres, qui en défigurent toute la béauté et qui d’ailleurs ont effacé tout le lustre et terny la gloire de cet empereur. Mais, Madame, où est-ce qu’on a veu des tableaux sans aucun défaut, et où en pourroit-on trouver un de cette nature, à moins peut-estre que de voir tiré au naturel celuy de V. A. 34 Zur dauerhaften Prägung des Julian-Bildes durch die Kirchenväter wie Gregor von Nazianz, vgl.: ROSEN, Julian (wie Anm. 1) 397f. 35 Vgl. April G. SHELFORD, François de La Mothe Le Vayer and the Defence of Pagan Virtue. The Seventeenth Century 15 (2000) 67–89, 69f. 36 Ezechiel SPANHEIM, Les Cesars de l’empereur Julien, traduit du Grec, avec des remarques et des preuves illustrées par les médailles, et autres anciens monumens

522 Sven Externbrink über Julian hat vor Spanheim deshalb keinen Bestand, da er sich über den Befund der Quellen – er nennt Ammianus Marcellinus – hinwegsetzt37. Von diesem Minenfeld – man darf auch nicht vergessen, dass Spanheim in einer Zeit der zunehmenden konfessionellen Intoleranz in Frankreich schreibt – leitet er über zu den „unpolitischen“ Wissenschaften. Als Gelehrter wird Julian zum Vorbild: Er habe die Literatur und die Wissenschaft geliebt, sie seit seiner Kindheit gepflegt und beständig an der Vervollkommnung seiner Kenntnisse gearbeitet. Sein Hauptinteresse habe der Eloquenz und der Philosophie gegolten, doch habe er darüber die anderen Wissenschaften – „Kritik, Geschichte, Poesie“ – nicht vernachlässigt. Platon und Aristoteles seien in allem die von ihm gewählten Lehrmeister gewesen38. Nachdem sich Spanheim einerseits der Diskussion um die Christenfeindlichkeit Julians entzogen, andererseits an seiner Tugendhaftigkeit festgehalten und ihn zum Mitglied der république des lettres ernannt hat, in der religiöse Konflikte aufgehoben werden können, kann er sich ganz seinem Studienobjekt widmen, den Schriften Julians, deren Edition er vorbereitet, im Allgemeinen, und den Cesars im Besonderen. Von allen Schriften, die die Gelehrsamkeit und das Wissen, kurz das génie des Kaisers belegen, ragen (Paris 1683), Vorwort e iij vo–e iiij: En faisant l’éloge de son ouvrage, je ne prétens pas de faire le sien, que par le rapport de l’un à l’autre; et ainsi, sans m’engager à faire son spologie, avec les panégyristes d’entre les payens, pour ne pas dire parmi les chrétiens; ni aussi à composer une nouvelle invective contre luy, avec des saintes pères […]. Qu’on ne luy conteste pas, si on veut, qu’il ne fust chaste; qu’il ne fust temperant; qu’il ne fust juste; qu’il ne fust libéral; qu’on acorde même, que sa conduite dans la guerre fust admirable, sa valeur extrême, son courage héroique; qu’en un mot, à son apostasie près, comme en parle et comme juge un auteur moderne [am Seitenrand: M. la Mothe le Vayer], il fut le premier des césars. 37 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36) ebd.: Je ne voudrois pas de vray, garantir ce dernier éloge, qui enchérit sans doute par dessus ce qu’on en dit ses plus grands admirateurs d’entre les payens; sur tout par ce qu’on en doit recueillir de celuy d’entre eux, qui a écrit avec le plus de sincérité et de bonne foy l’histoire de sa vie [am Seitenrand: Ammian Marcellin]; et qui en publiant les vertus de son héros, n’en a pas dissimule les défauts et les vices. 38 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort e iiij: Julien aima les lettres et les sciences; qu’il cultiva avec soin dès son enfance […] Aussi il y joignit-il le travail et l’application […]. C’est par là, qu’il fortifia, qu’il remplit cet esprit, qu’il avoit d’excellent, de toutes les lumières, qu’on peut tirer de l’étude et de la conversation; qu’il se perfectionna particulièrement dans la philosophie et dans l’eloquence. Il ne négligea de vray aucune des autres connoissances utiles ou curieuses, la critique, l’histoire, la poëtique, toutes celles enfin, qui pouvoient satisfaire une avidité isatiable de tout sçavoir: mais après tout, il fit ses favorites, de ces deux, dont je viens de parler. Platon et Aristote furent dans l’une et l’autre ses veritables maîtres, et ses meilleurs guides.

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besonders die Cesars hervor39. Die Schrift zeichne sich einerseits durch die „Würde ihres Themas“40 und andererseits durch die Tatsache aus, dass hier keine grobschlächtige, derbe Spötterei vorliege, sondern eine „gelehrte Satire, fein gezeichnet und erfindungsreich“41. Seine Edition „entspreche“ daher „dem Geschmack unseres Jahrhundert und der Zerstreuung des Publikums“ und so könne dieses „geistreiche“ Spiel des Vergleichs der Leistungen der großen Kaiser die Leser „erheitern und belehren“42. Dieselbe kritische, abgewogene Distanz prägt auch Spanheims Vorwort zu seiner Julian-Gesamtausgabe des Jahres 1696, über dessen Entstehung er Leibniz berichtete43. Im Gegensatz zur heute weit verbreiteten Praxis ist die Vorrede für Spanheim kein Ort der programmatischen Erklärungen. Damit ist für Spanheim die Frage nach der Legitimation der Edition abgeschlossen – der Rest des Vorwortes dient der Ausbreitung seines Wissens über die antike Satire. Erst gegen Ende seiner Ausführungen kommt Spanheim noch einmal auf Methode und Theorie der Übersetzung zu sprechen. Hier bezieht er eindeutig Stellung in der aktuellen Debatte über das Übersetzen (frei oder möglichst eng), indem er sich seinem Freund Pierre39 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort e iijjv: Mais ce n’est pas icy l’endroit, ni mon dessein de parler en détail des ouvrages de Julien, comme il y aura lieu de la faire, et avec plus de fondement, dans la nouvelle édition Grecque et Latine, que je pretens d’en donner au public. Je me contenteray de dire en passant, qu’on y voit par tout un beau génie; un esprit vif aisé fécond; un sçavoir exquis; une recherche et une connoissance profunde de l’antiquité; une éloquence du siècle de Demosthène; une élegance en un mot, et une justesse d’expression, non de Constantinople, mais d’Athènes, et d’Athènes florissante […]. Cependant quelque mérite, qui recommande en général les ouvrages de Julien, on ne sçaurait nier avec justice, que ces Cesars n’en remportent le prix. 40 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36) ebd.: C’est un avantage qu’ils tiennent également de la dignité du sujet, et de la manière dont il est traitté. Celuy-là ne pouvoit estre ni plus noble, ni plus agréable, ni plus utile; et le titre seul, qu’il porte, suffit pour le faire avoüer sans peine. 41 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort iv: une raillerie sçavante, fine et ingénieuse. 42 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort e iij: je crûs mêmes ne pouvoir rien faire qui fust plus conforme au goust de nostre siècle, et au divertissement du public. Un ouvrage, ou, s’il faut avoüer, une satyre de la façon d’un empereur; une raillerie, qu’elle contient, aussi fine et ingénieuse […] un jeu d’esprit par conséquent sur la matière la plus noble et la plus délicate, sur laquelle il pust s’egayer et nous instruire, tout en un mot, me parut concourir à me flatter dans cette entreprise. 43 Leibniz Schriften und Briefe I, 12 565, Nr. 360; 746 Nr. 477: J’ay taché dans la préface d’y donner quelque idée de l’esprit de Julien, et de ce qu’il y a de bon ou de mauvais dans ses ouvrages; et d’y toucher quelque chose de celuy de Cyrille, reservant le surplus de mes remarques sur ce prélat. J’ay bien sujet de craindre, que tout cela ne repondra pas à l’attente du public.

524 Sven Externbrink Daniel Huet (den er ausdrücklich nennt) und seiner Theorie der Übersetzung anschließt. Huet hatte als einer der ersten in Frankreich dafür plädiert, dass Übersetzungen aus dem Lateinischen und Griechischen möglichst eng am Original bleiben sollten. Bei ihrer Übersetzung gehe es nicht nur darum, dass der Übersetzer den „Sinn erfasse“, wie es Perrot d’Ablancourt, Befürworter einer freien, literarischen Übersetzung, forderte. Sein Ziel es war, ein Werk zu schaffen, dass dem zeitgenössischen Publikum gefallen sollte44. Seinem Freund Huet folgend, bekannte Spanheim: „Ich bin immer überzeugt gewesen, dass jeder gute Übersetzter sich das Ziel setzen sollte, seinen Autor so zu zeigen, wie er ist, und nicht so, wie er sein sollte, ihn in seiner Eigenart belassen, ihn nicht zu verdrehen oder beschönigen unter dem Vorwand, ihn angenehmer oder lesbarer zu gestalten.“45 Und er ergänzt, dass, bevor mit einer Übersetzung begonnen werde, der Textkritiker gefragt sei46: Die bestmögliche Vorlage sei zu wählen, die vorliegenden Editionen sind zu prüfen. Für seine Übersetzung habe er einen Codex im Besitze von Isaac Vossius, den er 1675 in England einsehen konnte, benutzt47. Darüber hinaus geht er auf die Schwächen der Editionen seiner Vorgänger, Petau und Cunaeus, ein. Nach Einschätzung des Julian-Kenners Joseph Bidez hat Spanheim mit dem Vossianus für seine Edition die wichtigste und präziseste Handschrift herangezogen. Spanheims Edition der gesamten Werke des Kaisers diente auch noch im 18. und 19. Jahrhundert als Grundlage für Studien zu Julian48. 44 Zur Debatte zwischen d’Ablancourt und Huet: Richard W. LADBOROUGH, Translation from the Ancients in Seventeenth-Century France. Journal of the Warburg Institute 2 (1938) 85–104, insbes. 85–93; Daniel HUET, Traité de la traduction (Paris 1660); Peter BURKE, Lost (and found) in Translation: A Cultural History of Translators and Translating in Early Modern Europe (Netherlands Institute of Advanced Study in the Humanities and Social Sciences Koninklijke Bibliotheek Lecture 1, Wassenaar 2005); vgl. www.nias.knaw.nl/Content/NIAS/Publicaties/KB%20 Lectures/KBLect1.pdf [25. Oktober 2011]. 45 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort ii.: j’ay toûjours crû, que tout bon traducteur doit avoir pour but, de faire voir son auteur tel qu’il est, et non tel qu’il doit estre, de le mettre en son jour, mais non de le farder ou le travêtir, sous pretexte de le rendre plus agréable, ou plus intelligible (Übersetzung des Verfassers). 46 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36) ebd: il faut estre bon Critique, et quelque chose de plus, avant d’estre bon interpréte. 47 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36) ebd. iijj: Ce fut derniérement en Angleterre, et durant mon séjour dans sa belle maison de campagne proche de Windsor, où je me trouvois à la suite de la cour, que j’eus occasion de voir ce beau manuscrit, et de le conferer d’un bout à l’autre avec les ouvrages de Julien, de l’édition du P. Pétau. 48 Über den Codex Vossianus siehe BIDEZ, Tradition (wie Anm 31) 7–10. Über Vossius’ frühe Jahre vgl. BLOK, Isaac Vossius (wie Anm. 8); Thomas SECCOMBE, Vossius, Isaac, in: Dictionary of National Biography, 58 (London 1899) 392–396; ergänzt: Thomas SECCOMBE, Vossius, Isaac (1618–1689), bearb. von Frans Felix BLOK,

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Auf das Besondere seiner Edition kommt Spanheim erst auf den letzten Seiten seines Vorwortes zu sprechen: Die Verbindung von Erläuterung und textkritischen Bemerkungen mit zeitgenössischen Münzen und Medaillen. Sie dienen als die „wichtigsten Belege“ für seine Ausführungen, dahingehend, dass er anhand von Münzen die Aussagen Julians über die Ereignisse während der Regierung der in der Satire auftretenden Kaiser prüft. Spanheim versteht seine Übersetzung als exemplarisch für den Erkenntnisgewinn und für den „Nutzen“, der sich aus der Verbindung von Text und Medaillen für die historischen Studien ziehen lässt49. Mit einer für den immer um Ausgleich bemühten Spanheim überraschenden Eindeutigkeit und Bestimmtheit warnt er vor jeglicher Einseitigkeit und fordert die Verbindung von antiquarischer und textkritischer Forschung: „Ich war immer davon überzeugt, dass es ebenso gefährlich wie tadelnswert ist, sich entweder nur auf die Medaillen zu stützen oder sie zu verwerfen; das eine zeugt von Borniertheit, das andere von Unwissenheit oder von einem lächerlichen Vorurteil. Sprechen wir ganz offen: Unser Unglück ist, dass bislang die gelehrtesten und größten Kritiker die Medaillen ignoriert haben, und das die meisten der Medaillenkundler oder Antiquare, wie man sie auch nennt, keine (Schrift-) Gelehrten waren; die einen mangels Gelegenheit, oder weil sie nicht erkannten, welchen Nutzen man aus ihrem Studium ziehen konnte; die anderen dagegen, weil sie sich darauf beschränkten, damit Handel und Geschäfte zu treiben, anstatt daraus einen wahren Beruf zu machen.“50 Spanheim ist nicht der erste, der dies fordert (und er weiß dies auch), dies hatten vor ihm bereits Autoren wie Giovanni Nanni (Annius von Viterbo), in: Oxford Dictionary of National Biography, 56 (London 2004) 602–607; vgl. www.oxforddnb.com/view/article/28356?docPos=2 [gebührenpflichtig; 25. Oktober 2011]. 49 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort ii ijv–ii iij: Je crûs en même temps, que mon dessein ne seroit pas inutile, pour faire voir, et même faire toucher au doigt, comme on parle, l’utilité de la médaille, pour en persuader ceux qui l’ignorent, ou convaincre ceux qui en doutent, ou qui ne veulent pas le croire jusques icy. 50 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), ebd. ii iij: j’ay toûjours crû, qu’il estoit également dangereux ou blâmable, de ne s’attacher uniquement qu’à la médaille, ou de la mépriser; que l’un estoit l’effet d’un petit sens; et l’autre d’une pure ignorance, ou d’une prévention ridicule. Disons la chose sans déguisement; le malheur a voulu jusques icy, que les plus doctes et les plus grands critiques ont ignoré la médaille, ou la pluspart des médaillistes et des antiquaires, qu’on apelle, n’ont pas esté sçavans; les uns faute d’ocasion, faute d’avoir sçeu toute l’utilité, qu’on en pouvoit tirer, ou enfin faute de loisir; les autres au contraire, pour s’estre contentez d’en faire un mêtier et une profession, d’en faire purement un trafic et un commerce (Übersetzung des Verfassers). Ohne Angabe der Fundstelle auch zitiert bei Francis HASKELL, Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die Deutung der Vergangenheit (München 1995) 35.

526 Sven Externbrink Enea Vico, Pomponio Leto oder François Baudouin angemahnt51. Er knüpfte damit an seine Überlegungen über die Bedeutung der Numismatik für die historische Erkenntnis an, die bereits sein Hauptwerk, die Dissertationes de praestantia et usu numismatum antiquorum prägen52. So kommt seiner Edition der Cesars nach der Erbauung und Belehrung des Publikums noch eine weitere Funktion zu, nämlich die einer eindeutigen Stellungnahme gegen die pyrrhonische Skepsis, und gegen seinen Zeitgenossen Père Jean Hardouin, der glaubte belegen zu können, dass fast die gesamte antike schriftliche Überlieferung das Werk einiger Fälscher des Frühmittelalters sei53. Doch Spanheim zeigt sich optimistisch über die beginnende Zusammenarbeit zwischen den „Disziplinen“ der Philologen, Historikern und den Antiquaren, denn er glaubt beobachten zu können, dass die „Gelehrten beginnen, zu Medaillenkundlern werden und umgekehrt die Medaillenkundler zu Gelehrten“54. Beleg hierfür sind ihm die gelehrten Kreise in Paris, etwa im 51 Siehe Antony GRAFTON, What was History? The Art of History in Early Modern Europe (Cambridge 2007) 94, 104. Von den genannten Autoren besaß Spanheim Werke von Giovanni Nanni (Annius von Viterbo) und Baudouin in seiner Bibliothek: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Handschritftenabteilung, Ms. Cat A 311, 103f. (Nanni) und 214f. (Baudouin). 52 Ezechiel SPANHEIM, Dissertationes de praestantia et usu numismatum antiquorum (Amsterdam 21671) 50, 341; MOMIGLIANO, Alte Geschichte und antiquarische Forschung (wie Anm. 4) 79–107, insbes. 92f.; dazu kritisch im Hinblick auf die Originalität Spanheims: Edith LEMBURG-RUPPELT, Zur Position Ezechiel Spanheims (1629–1710) in der numismatischen Literatur, in: Europäische numismatische Literatur im 17. Jahrhundert, hg. von Chistian Edmond DEKESEL–Thomas STÄCKER (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 42, Wiesbaden 2005) 89–99; wichtig auch (wenngleich mit einigen Ungenauigkeiten hinsichtlich Spanheims Biographie): Ida CALABI LIMENTANI, Spanheim, Burman, Maffei: L’origine della equivoca rivalità tra numismatica ed epigrafia. Studi Secenteschi 32 (1991) 191–212; Peter BURKE, Images as Evidenc in Seventeenth-Century Europe. Journal of the History of Ideas 64 (2003) 273–296. 53 Anthony GRAFTON, Jean Hardouin: The Antiquary as Pariah. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 62 (1999) 241–267, insbes. 253. Deutliche Urteile Spanheims über Hardouin finden sich in Briefen an Leibniz : Leibniz Schriften und Briefe I, 9 (1997) 372f., Nr. 230: A l’egard de la nouvelle lettre du P. Hardouin […] je n’ay pas esté surpris qu’il y conserve son caractere, qui es d’ecrire avec agrément et en même temps avec une presomtion terrible. Ce n’en est pas une mediocre, que le jugement qu’il continuë d’y faire de Josephe, comme un ouvrage supposé, et de la fasson d’un insigne imposteur; et de plus de fonder la dessus ses conjectures: et de vouloir en estre crû sur sa parole. Je ne sache point d’exemple en ce genre d’une hardiesse, pour ne pas dire d’une effronterie plus grande. Ähnlich auch I, 11 (1982), 256f., Nr. 181. 54 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort ii iiij: Mais disons à la gloire de notre siècle, que les sçavans commencent à devenir médaillistes, et les médaillistes à devenir sçavans (Übersetzung des Verfassers).

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Hause des Duc d’Aumont, an denen er selbst regelmäßig teilnahm und die vielen in Arbeit befindlichen Projekte zur Edition numismatischer Werke55. An das Vorwort schließt sich die Übersetzung an, die in 974 Anmerkungen erläutert wird, gefolgt von weiteren 175 Seiten textkritischen Kommentaren der Edition und Quellenbelegen der Erläuterungen, auf die im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Sie zeugen von der Belesenheit Spanheims, der in beinahe jedem Satz Anspielungen findet, und diese auf die Autoren zurückführt, die Julian zitiert, oder der Bemerkungen Julians über die Regierung und Persönlichkeiten der Kaiser mit den Zeugnissen der antiken Historiker oder Medaillen und Inschriften abgleicht. Auch in den heiklen Passagen der Satire, etwa wenn Marc Aurel präsentiert wird, das Vorbild Julians und der „Gewinner“ des Wettstreits der Cäsaren, oder wenn am Schluß der Rede Kaiser Konstantin und zugleich der Ritus der christlichen Taufe lächerlich gemacht werden, bleibt Spanheim wissenschaftlich nüchtern und weist nach, aus welchen zeitgenössischen Autoren sich Julians Informationen über das Christentum speisen. Von christlicher Empörung über den Apostat ist hier nichts zu spüren56. An anderer Stelle werden Marc Aurel und sein Werk ausdrücklich gelobt – auch aus der Perspektive des 17. Jahrhunderts. Eine gewisse Affinität Spanheims zum Stoizismus, der in den „Gedanken“ Marc Aurels am „geistreichsten und reinsten“ zum Ausdruck kommt, ist unübersehbar. Dem Stoizismus diametral entgegen stellt er die „Schule Pyrrhons, oder die der Skeptiker, die nichts definieren und alles bezweifeln“57.

55 Vgl. zum Überblick: Marie WEILLON, La Science des médailles antiques sous le règne de Louis XIV. Revue Numismatique 152 (1997) 359–377; Thierry SARMANT, Le Cabinet des médailles de la bibliothèque nationale (Mémoires et documents de l’École de Chartes 40, Paris 1994) 34–46; Antoine SCHNAPPER, Curieux du Grand Siècle. Collections et collectionneurs dans la France du XVIIe siècle (Paris 22005) 299–302, 334–336. 56 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36) 296–300. Über das „Finale“ der Cesars urteilt Klaus Rosen, es sei „das Giftigste, was Julian je gegen Jesus und Konstantin vom Stapel gelassen hat“: ROSEN, Julian (wie Anm. 1), 320. 57 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36) 242: le livre admirable de cet empeureur, nous étalle encore aujourd’huy la philosophie stoïque la plus fine et la plus épurée. [...] l’ecole de Pyhrron, ou […] sceptiques, qui ne définissont rien, et doutoient de tout.

528 Sven Externbrink

III. Soweit ein kurzer Durchgang durch Spanheims Übersetzung der Cesars des Kaisers Julian; abschließend sollen noch einmal die eingangs formulierten Fragen aufgegriffen werden. Erstens: Spanheim als Historiker. Zweifellos zählt Spanheim – trotz seiner Verdienste um die Numismatik – nicht zu den Historikern der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wie etwa Jean Mabillon, von denen bahnbrechende Impulse für die Entstehung der modernen Geschichtsschreibung ausgingen. Spanheims Wahl seiner Forschungsgegenstände steht in der Tradition des Humanismus des späten 16. und der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Die Leidener „Schule“ der Nachfolger Scaligers und Lipsius’, die Debatten um den Text der Bibel und die rhetorische Tradition des (Spät-)Humanismus haben dauerhaft seine Arbeit geprägt. Der Philologie und der Textkritik ist er sein Leben lang treu geblieben und entwickelte eine Vorliebe für griechische beziehungsweise griechisch schreibende Autoren, wie seine Editionen zu Julian, Kallimachos und Aristophanes sowie seine posthum publizierten Kommentare zu Josephus bezeugen.58 In diesen, wie auch in seinen numismatischen Schriften zeigt sich Spanheim als nüchterner, positiv pedantischer Kommentator und Analytiker seiner Gegenstände. „Innovativ“ ist Spanheim für die Zeitgenossen durch die konsequente methodische Verknüpfung von Text- und Sachquellen, die er zwar nicht als erster propagiert hat, für deren Verbreitung er aber viel geleistet hat59. Wie wir gesehen haben, hatte Spanheim feste Überzeugungen und teilte diese auch mit, jedoch ohne Schärfe, immer um die Würdigung der Leistung des Kritisierten bedacht. Diese Einstellung findet sich auch in seinem gelehrten Briefwechsel: Die Ideen Hardouins, die nicht nur die antiken Quellen in Frage stellten, sondern auch die Studien und Lebensleistungen der Humanisten und Antiquare wie Spanheim, werden zur Kenntnis genommen und argumentativ entkräftet, ohne allzu sehr zu polemisieren. So erweist sich Spanheim auch in der Gelehrtenrepublik als Diplomat, immer um Ausgleich und Vermittlung bemüht und auf dem Austausch der Argumente bestehend sowie auf die Kraft des Wortes vertrauend. Damit kommen wir, zweitens, zur Position Spanheims in den gelehrten Debatten der Epoche. Wie wir gesehen haben, bezog Spanheim ausdrücklich, aber ohne Polemik, Position in der Debatte um Möglichkeit historischer Erkenntnis gegen die pyrrhonische Skepsis. In seinen Cesars fällt der Name 58 Eine Liste seiner Schriften bei: Lothar NOACK–Jochen SPLETT, Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1688–1713 (Berlin 2000), 436–450, hier 443f. 59 CALABI LIMENTANI, Spanheim, Burman, Maffei (wie Anm. 52), 196f.

Der „Unglaube entstellt den Ruhm“ 529

des prominentesten Kritikers, Hardouin, nicht; wohl aber wendet sich Spanheim explizit gegen die in seinen Augen unhistorische Überhöhung Julians durch La Mothe Le Vayer, dem er aber in der Verteidigung der Möglichkeit der Tugendhaftigkeit der Heiden folgt – exemplarisch steht dafür die Charakterisierung von Marc Aurel durch Spanheim in seinem Kommentar. Spanheim hat die großen Debatten der sogenannten „Krise des europäischen Bewusstseins“ (etwa um Spinoza, den Jansenismus, die Querelle des anciens et des modernes) zur Kenntnis genommen und verfolgt, dies belegen die Kataloge seiner Bibliotheken. Interveniert in diese Auseinandersetzungen hat er nur mit einer „Rezension“ von Richard Simons Histoire du Vieux Testament, die von Simon und seinen Verlegern für so wichtig gehalten wurde, dass sie mitsamt einer Entgegnung Simons in spätere Editionen des Werkes über die Historizität des Bibeltextes aufgenommen wurde60. Seitdem verzichtete Spanheim auf öffentliche Stellungnahmen. Persönliche Äußerungen Spanheims zu den Disputen in der Gelehrtenrepublik gibt es nur wenige, aber vieles spricht dafür, dass er die Arbeit an den schriftlichen und gegenständlichen Quellen dem Disput vorgezogen hat. Von den innerkonfessionellen Kontroversen innerhalb des Calvinismus, die seine Jugend und seine ersten Publikationen prägten, hatte er sich bereits seit den 1650er Jahren zurückgezogen. Dies zeigt sich, drittens, an seinen Arbeiten zu Julian. Auf Französisch publiziert kann man sie als Versuch der „Populärwissenschaft“ deuten: Ein antiker Autor, bis dahin von christlicher Polemik perhorresziert, soll dem gelehrten und interessierten Publikum näher gebracht werden und damit bis zu einem gewissen Grade rehabilitiert werden. Ausdrücklich visiert Spanheim den Hof und den Hochadel als Publikum an. Er ist überzeugt, dass die „Höflinge, die Damen und die Gelehrten“, ja sogar Fürsten durch die Lektüre seiner Übersetzung belehrt und unterhalten werden61, denn das im Dialog 60 Ezechiel SPANHEIM, Lettre à un amy, où l’on rend compte d’un livre, qui a pour titre Histoire critique du vieux testament, publié à Paris en 1678 (Amsterdam 1679); auch in: Richard SIMON, Histoire critique du Vieux Testament. Nouvelle edition, et qui est la première imprimée sur la copie de Paris, augmentée d’une apologie générale, de plusieurs remarques critiques, et d’une réponse par un théologien protestant (Rotterdam 1685) 565–624. Vgl. hierzu: Lutz DANNEBERG, Ezechiel Spanheim’s Dispute with Richard Simon: On the Biblical Philology at the End of the 17th Century, in: The Berlin Refuge. 1680–1780. Learning and Science in European Context, hg. von Lutz DANNEBERG–Martin MULSOW–Sandra POTT (Leiden–Boston 2003) 49–88. 61 SPANHEIM, Les Cesars (wie Anm. 36), Vorwort ee iij: Tout cela me persuada, qu’il y avoit dequoy contenter également les courtisans, les dames et les sçavans; qu’il y avoit même de quoy instruire les princes, et les divertir; qu’on ne pouvoit peutestre leur mettre en main une lecture plus convenable à l’un et l’autre but; et ainsi que c’estoit satisfaire à un goût assez universel.

530 Sven Externbrink von Julian propagierte Herrscherbild, als dessen vollkommenste Verkörperung Marc Aurel galt, wurde auf diese Weise auch den Zeitgenossen als Vorbild präsentiert. Kontrastiert man diesen Idealtypus eines Herrschers mit der Persönlichkeit des „größten“ Herrschers des 17. Jahrhunderts, mit Ludwig XIV., an dessen Hof sich Spanheim regelmäßig aufhielt, so entfaltet der Dialog sogar ein gewisses subversives und kritisches Potential: Wie würden die Götter über Ludwig XIV. urteilen, der sich zeitweise als Apollo darstellen ließ? Die Differenz zwischen den Herrschaftsauffassungen eines Ludwigs XIV. und eines Marc Aurel sollten den Zeitgenossen nicht verborgen geblieben sein. Vielleicht spielt Spanheim darauf in den auf dem ersten Blick schmeichelhaften Bemerkungen an, mit denen er ein Exemplar der Cesars versah, dass er dem ehemaligen Frondeur, dem Prinzen von Condé, übergab: Niemand anderes als er, Condé, in der Lage sei, die Fähigkeiten der römischen Caesaren (und damit auch der gegenwärtigen Herrscher) zu beurteilen62. Mit der Wahl seines Themas bewies Spanheim Gespür für das Interesse des Publikums, denn der Rezensent der Spanheimschen Edition der Schriften Julians von 1696 im Journal des sçavans des Jahres 1699 weiß von einer starken Nachfrage nach den Werken des Kaisers zu berichten63. Damit ging aber keine offizielle Rehabilitierung Julians einher. Auch in der Buchanzeige von 1699 werden den positiven Eigenschaften des Kaisers – etwa sein Geist, sein Wissen, seine Eloquenz – die schlechten – seine Apostasie, sein Haß gegen das Christentum – entgegengestellt64. 62 Katia BEGUIN, Les Princes de Condé. Rebelles, courtisans et mécènes dans la France du Grand Siècle (Seyssel 1999), 357. Musée Condé, Chantilly, Papiers de Condé, Correspondance passive du Grand Condé 1647–1686, Série P, Bd. XCI/91, Ezechiel Spanheim an Condé, Paris, 8. Mai 1683, 219r–220v: Monseigneur, je prends la liberté d’envoyer à Vostre Altesse un ouvrage qui ne merite de luy estre presenté que par la dignité de l’auteur et du sujet, dont je ne suis que l’interprete. J’ay crû, Monseigneur, que l’examen de la vie et des exploits d’un Alexandre et des plus grands césars de l’ancienne Rome, ne pouvoit être soumis à personne, qui pust mieux décider de leur mérite, soit par la conformité des ses actions, soit par les lumières de son esprit. 63 Journal des sçavans (1699) 37: Le public a reçu favorablement toutes les éditions qui ont été faites de ses œuvres, et sur tout la dernière procurée il y a près de cinquante ans par le sçavant père Pétau. Comme les exemplaires avoient presque touts étés débités, et qu’ils étoient devenus fort rares, les libraires de Lipsic en ont entrepris une nouvelle edition, à laquelle les amis de M. Spanheim l’ont invité de contribuer. 64 Journal des sçavans (1699) 37: L’empereur Julien est si connu des tous les sçavans, si estimé pour son esprit, pour son sçavoir, pour son éloquence, pour ses vertus naturelles et acquises, pour sa temperance, sa moderation, son éloignement des divertissements et des plaisirs, et sa valeur: si detesté pour son apostasie, pour sa

Der „Unglaube entstellt den Ruhm“ 531

Die Idealisierung des Heidentums Julians, wie sie in der Aufklärung und im 19. und 20. Jahrhundert zu beobachten ist, lag dem überzeugten Christen Spanheim fern, ihm ging es um den historischen Julian, um den brillanten und wichtigen Autor der Spätantike. Eine Instrumentalisierung des Kaisers im Rahmen seines Kampfes gegen das „Infame“, wie bei Voltaire, lag ihm fern. Aber dennoch würde Voltaire Spanheim sicher zu jenen „unvoreingenommenen Kritikern“ und „aufgeklärten Personen“ zählen, die das Urteil über den Kaiser revidierten, das die Ignoranz verkündet hatte65.

Abstract The scholar and diplomat Ezechiel Spanheim (1629–1710), recognised for most of his life as one of the greatest learned men of his period, spent more than forty years working on the Roman emperor Julian the Apostate. The inception of his studies on this personage is marked by an uncommented translation of the last pagan emperor’s dialogue „The Caesars“, published in 1660 in duodecimo, while at their end stands the voluminous commented edition of the emperor’s collected works, also including those of his opponents (1696). The present contribution will seek to answer the question of what motivated Spanheim, a member of a “dynasty” of orthodox Calvinist theologians, to these decades of effort. Clues point to an impetus coming from court circles of the Palatine Electorate, where Spanheim was active in the 1660s. For the enlarged, commented edition of his translation, which appeared in Paris in 1683, Spanheim likewise sought to arouse the interest of the court at Versailles. Secondly, in addition to these links with late 17th-century court society (a final edition was prepared in London), his work on Julian is to be situated in relation to the erudite debates of the period. Spanheim was a “diplomat” and a courtier on the one hand, but also on the other a recognised and respected member of the république des lettres, who communicated with Leibniz and Le Clerc, to name only two of its luminaries.

haine envers la religion Chrétienne, et pour la persécution des fideles, qu’il n’est pas nécessaire que j’en parle ici. 65 VOLTAIRE, Dictionnaire philosophique, hg. von René POMEAU (Paris 1964, Nachdruck 1988) 249f.: On rend justice quelquefois bien tard […]. Enfin le temps de la saine critique arrive, et, au bout de quatorze cent ans, des hommes éclairés revoient le procès que l’ignorance avait jugé. […] Enfin il [Julian] fut en tout égal à Marc Aurèle, le premier des hommes.

532 Sven Externbrink Thirdly, the content of his relevant works is to be analysed, based on the example of his translation and commentary on Julian’s Cesars. How was a satire from late Antiquity on the Roman emperors elucidated by a committed Calvinist with the “crisis of European consciousness” as a background and the court of Versailles as a setting?

Ursprünge und Anfänge, immer wieder Zu unterschiedlichen Formen der Historizität in der deutschen Rechtsgeschichte des 18. Jahrhunderts Colin F. Wilder I. Einführung: Dernbachs Ritt Drei Zugänge zur Vorstellung des „Anfangs“ können im frühneuzeitlichen deutschen Rechts- und Geschichtsdenken beobachtet werden, die ich im Folgenden als Antiquarianismus, Rechtstraditionalismus (in Anlehnung an das englische Konzept von ancient constitutionalism) sowie Naturrechtsdenken bezeichnen möchte. Je nach Ausrichtung betonen sie mehr den Aspekt des Ursprungs oder den der menschlichen Begründung von Gesellschaft. Gegenstand der vorliegenden kurzen Studie sind Schriften von Historikern und Juristen an Universitäten des Heiligen Römischen Reichs im Zeitraum vom späten 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Das herrschende juristische Paradigma der Zeit kann, auf die Gefahr einer missverständlichen Vereinfachung hin, als usus modernus bezeichnet werden, in welchem Juristen den Versuch unternahmen, unterschiedlichste Rechtsquellen, -vorstellungen und -gebräuche miteinander in Einklang zu bringen: lehensrechtliche Traditionen, überkommenes römisches Recht, alten teutschen Rechtsbrauch1, Naturrecht sowie in gewissem Ausmaß – selbst in protestantischen Territorien – kanonisches Recht. In professioneller Hinsicht war dies die Blütezeit des Universitätsjuristen in seiner Rolle als Gutachter in komplizierten Rechtsfragen und sogar als 1

Auf die damit verbundene Problematik wird weiter unten eingegangen. – In diesem Text wird der zeitgenössische Quellenterminus teutsch Bezeichnungen wie „deutsch“ oder „germanisch“ vorgezogen. So soll die damalige Ebene des In-Bezug-Setzens von (früh-)mittelalterlichen Rechtsbräuchen mit der aktuellen Rechtspraxis angesprochen werden können, ohne dass das Risiko einer Vermengung mit Begrifflichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts entstehen sollte. – Übersetzt von Thomas Wallnig, dem der Autor zugleich für zahlreiche Anregungen dankt; ebenso dankt er Martin Paul Schennach für hilfreiche Anmerkungen. Eine inhaltlich eng verwandte Studie erscheint auf Englisch unter dem Titel: The Importance of Beginning, Over and Over: The Idea of Primitive Germanic Law, in: Foundation, Dedication, and Consecration Ritual in Early Modern Culture, hg. von Minou SCHRAVEN–Maarten DELBEKE (Intersections 25, Leiden 2011) (im Druck).

534 Colin F. Wilder inoffizielle Appellationsinstanz, was sich im Prozedere der Aktenversendung ebenso zeigte wie in der Konsultation von Universitätsjuristen durch Streitparteien oder durch Richter abgelegener Gerichte2. Rechtswissenschaftliche Forschung durch Universitätsjuristen führte, wie seit langem als etabliert gelten kann3, besonders im 17. und 18. Jahrhundert zu fachlichen Verbesserungen in Diplomatik und Quellenkritik; die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts knüpfte schließlich in methodologischer Hinsicht, aber auch im Hinblick auf subtile paradigmatische Vorannahmen an die Arbeit der vormodernen Rechtshistoriker an. Ziel der vorliegenden Studie ist somit, die drei genannten Zugänge nebeneinander als solche zu skizzieren, die verschiedene Generationen von Rechtshistorikern im Hinblick auf die Vorstellung eines „alten“ Rechts der Teutschen wählten. Solch eine Fragestellung mag für Historiker im Lichte der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in irreparabler Weise fragwürdig, problematisch, wenn nicht gefährlich anmuten, doch ist mein Anliegen keineswegs eine Sichtung der Faktenlage mit dem Ziel, bei hinreichender Fundierung einen Gegenstand wie „altes“ teutsches Recht etablieren und behaupten zu wollen. Vielmehr geht es darum herauszuarbeiten, dass Antiquarianismus, Rechtstraditionalismus und Naturrechtsdenken unterschiedliche Vorstellungen von „altem“ teutschem Recht bedingten, die ihrerseits sämtlich an Zwecken der jeweiligen Gegenwart ausgerichtet waren. Für die zeitgenössischen Juristen war dies kein Widerspruch, oder ein möglicher 2

3

Vgl. Notker HAMMERSTEIN, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert (Göttingen 1972) 17–42. Für eine allgemeine Einführung vgl. die Beiträge in: Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz SCHILLING zum 65. Geburtstag, hg. von Stefan EHRENPREIS–Ute LOTZ-HEUMANN–Olaf MÖRKE–Luise SCHORN-SCHÜTTE (Historische Forschungen 85, Berlin 2007). Zur Kultur und Geschichte einer universitären Rechtsfakultät, an der einer der hier besprochenen Autoren (Nikolaus Hert) beheimatet war, vgl. Dieter SCHWAB, Rechtsideen aus Gießen. Aus der Geschichte der Rechtswissenschaft an der Gießener Universität. Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 30 (2008) 186–200. Eine rezente Alltagsgeschichte gelehrter deutscher Professoren, wie sie in diesem Beitrag besprochen werden, bietet: Marian FÜSSEL, Akademische Lebenswelt und gelehrter Habitus. Zur Alltagsgeschichte des deutschen Professors im 17. und 18. Jahrhundert. Jahrbuch für Universitätsgeschichte 10 (2007) 35–51. Die umfassendste Studie zur Rechtsgeschichte des besprochenen Zeitabschnitts bleibt: Franz WIEACKER, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (Jurisprudenz in Einzeldarstellungen 7, Göttingen 1952). Zum Niedergang der Praxis von Aktenversendungen vgl. James Q. WHITMAN, The Legacy of Roman Law in the German Romantic Era. Historical Vision and Legal Change (Princeton 1990). Vgl. etwa das traditionelle Narrativ bei Heinrich BRESSLAU, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, 1 (Leipzig 1889) 19–22.

Ursprünge und Anfänge, immer wieder 535

solcher stellte keine Beeinträchtigung dar. Jeder Zugang sollte überdies in späterer Zeit seine eigene wissenschaftliche Rezeptionsgeschichte haben und kann ideengeschichtlich mit späteren – teilweise auch noch gegenwärtigen – Vorstellungen, Disziplinen und Paradigmen in Zusammenhang gebracht werden. An den Beginn stellen möchte ich eine Episode, in welcher sich alle genannten Aspekte gleichzeitig, wenn auch in unterschiedlicher Hinsicht, spiegeln. Im Jahr 1657 brach in Holzhausen, einem Gut in Oberhessen, östlich von Marburg an der Lahn, ein Rechtsstreit zwischen zwei Zweigen des Adelsgeschlechts Rau aus. Nach dem Tod des Johann Heinrich Rau hatten sich seine Schwester Anna Agnes, seine Witwe Sabina Maria sowie deren zweiter Ehemann Kaspar Friedrich Dernbach daran gemacht, von den Familiengütern in und um Holzhausen Besitz zu ergreifen. Als Gegner trat ein agnatischer Verwandter Johann Heinrichs, ein Cousin zweiten Grades auf väterlicher Seite, auf. Die drei genannten Personen luden einen Notar und Zeugen zu der Verlassenschaftsabwicklung des Verstorbenen, wonach Dernbach im Namen der beiden Frauen sein Pferd bestieg und durch das gesamte Gut galoppierte. Dabei führte er sorgfältig inszenierte Handlungen – man könnte auch sagen: Rituale – zur Inbesitznahme von Land durch, und zwar eine Art von Handlung an den natürlichen Dingen, eine andere an den menschlichen Artefakten: fort in der Baumgartten ahm Haus, brach Zinkem oder ast vor der Baümen [...] stach Schollem aus der Erde so weit zu dem adelich freyen Ritterguth gehörig, und Junker Johan Henrich Rau [...] zuständig gewesen und in seinem leben eingehabt und besessen wollte [...] selbiger gleicher gestalt hiermit in besitzt genommen haben [...] ferner hieb er stäne aus der Mühlen thür Posten, in gleichen nahm er steins aus dem Gewasser so die Mühle treibet [...] über weilte mihr selbige stürtzete auch daß Mühle Raht zu, zog er wiederumb auf, und lies daß wasser wieder auf das Mühlen Rath laufen, und sagte darbey daß er gleichengestalt wolte solches alles mit dem Mahlwerck wassergang und allem andern gerechtigkeit in Possess dardurch und darmit genommen haben4. Die schriftliche Dokumentation dieser Handlungen wurde in der Form eines instrumentum apprehensionis als Nachweis einer überlieferten gewöhnlichen subarrhation an das Gericht in Marburg übermittelt, das ihre Gültigkeit bestätigte. In späterer Zeit vermerkte ein für den Bestand Rau zuständiger Archivar des Marburger Staatsarchivs zu diesen und anderen verwandten Akten: Berufung auf germanische Tradition5. 4 5

Staatsarchiv Marburg, 340 Rau, Paket 54e, Instrumentum apprehensionis vom 8. Juni 1657, 12f., 15f. – Die ansonsten in diesem Band durchgeführte Normalisierung von Titeln und Zitaten vor 1800 wurde in diesem Beitrag unterlassen. Vgl. Staatsarchiv Marburg 17.I 2620, 3096, 3172, alle mit Bezug auf den RauErbstreit.

536 Colin F. Wilder Aber um was für eine germanische Tradition handelte es sich? Wie ist es zu verstehen, dass es zur Durchsetzung ihrer Rechtsgültigkeit einer Beglaubigung durch einen Notar sowie der „Übersetzung“ in römischrechtliche Begrifflichkeit bedurfte? In welchem Verhältnis stand diese (angenommene) Rechtstradition zu anderen Formen der Rechtsfindung? Ein Bewusstsein für den engen Zusammenhang von rechtsgeschichtlicher und historischer Forschung, insbesondere in den evangelischen Reichsteilen, kann seit der grundlegenden Studie von Notker Hammerstein als erwiesen gelten. Das dort skizzierte Panorama frühneuzeitlichen Rechtsdenkens hebt insbesondere auf die antiquarische Rechtsgelehrsamkeit im Frankreich des 16. Jahrhunderts sowie auf die naturrechtlichen Ansätze in den Niederlanden als Voraussetzungen für die dynamische Entwicklung dieser Disziplinen an einigen Reichsuniversitäten des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ab6. Natur- und staatsrechtliches Denken überformte die bestehende Koexistenz von römischrechtlichen und gewohnheitsrechtlichen Ansätzen und führte in der Frühaufklärung zu einer lebhaften gegenseitigen Beeinflussung von Philosophie, Geschichtsforschung, Staatswissenschaft sowie einem Antiquarianismus, der sich nun vermehrt einer Sach- und Kulturkunde des teutschen Rechts zuwandte7. Um eine skizzenhafte Auslotung dieser unterschiedlichen Ansätze anhand der Werke reichischer Rechtsgelehrter des 18. Jahrhunderts geht es in diesem Beitrag. Im Fokus zu halten ist dabei stets die Grundlegung rechtlicher Validität durch Berufung auf einen Ursprungszustand – dieser Ursprungszustand variierte jedoch, sodass anhand der unterschiedlichen Auffassungen von „altem Recht“ auch verschiedene Vorstellungen von Geschichtlichkeit herausgearbeitet werden sollen. Dernbachs Ritt weist auf eine Kontinuität älterer Rechtspraxis, seine notarielle Beglaubigung hingegen auf historische Distanz hin; und methodologisch deutet die historische Erforschung und Dokumentation von gültigen Rechtstiteln in eine andere Richtung als die historische Rekonstruktion einer präsumptiven Rechtspraxis oder gar die systematisch-philosophische Erarbeitung allgemeiner Rechtsprinzipien.

6 7

Vgl. HAMMERSTEIN, Jus und Historie (wie Anm. 2). Horst DREITZEL, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Ein Beitrag zu Kontinuität und Diskontinuität der politischen Theorie in der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte Beiheft 24, Mainz 1992).

Ursprünge und Anfänge, immer wieder 537

II. Juristischer Antiquarianismus Im Gegensatz zum römisch-rechtlichen Antiquarianismus des Humanismus8 wandte sich das späte 17. Jahrhundert den Rechtsgepflogenheiten eines angenommenen teutschen Altertums – auch jenseits von Tacitus – zu. Dies ergab sich als notwendige Begleiterscheinung der kritischen Sichtung und Durcharbeitung des Rechtsbestandes im Reich nach dem Westfälischen Frieden und führte gleichermaßen zur Verfeinerung der historischen Hilfswissenschaften wie zur Etablierung einer nach altem Rechtsbrauch und dessen anhaltender Gültigkeit fragenden Rechtsgeschichte. Basis hierfür war zugleich auch eine philologisch-kritische Annäherung an die Rechts- und Sprachdenkmäler des ersten Jahrtausends, wie sie etwa im Gefolge seines Mentors und Lehrers Gottfried Wilhelm Leibniz auch Johann Georg Eckhart betrieb9. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog sich dieserart ein Perspektivenwechsel vom „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ zu den Teutschen und vom „Rechtsbrauch“ zum „Rechtssystem“. In seiner Abhandlung von der Gerichtsverfassung der Teutschen von 1741 versuchte Johann Leonhard Hauschild (1694–1770), alte teutsche Rechtsbräuche zu rekonstruieren. Gestützt auf unterschiedliche Quellen behauptete Hauschild, dass die fundamentale Einheit des teutschen Rechts das Eigentum gewesen sei: Jede Rechtsfindung vor Gericht habe mit der Frage begonnen, wer in Possess oder Besitz sey10. Ironischerweise projizierte Hauschild dabei gerade eine antike römische Praxis auf die alten Teutschen, nämlich das Zivilrecht des späten Römischen Reiches, das seinerseits Eingang in die mittelalterliche Rechtspraxis gefunden hatte. Für mehr als tausend Jahre wurde das Römische Recht für ein kulturelles und sogar juristisches Erbteil der Teutschen gehalten, das zugleich jedoch die Ingenuität jeglichen eigenen teutschen Rechtsbrauchs in Frage stellen musste. Neben Hauschild betonten freilich andere Autoren wie Johann Nikolaus Hert (1651–1710) oder Johann Georg Estor (1699–1773) verschiedentlich das Ablegen von Versprechen, 8 HAMMERSTEIN, Jus und Historie (wie Anm. 2) 27f. 9 Vgl. Malte-Ludolf BABIN–Gerd VAN DEN HEUVEL, Gottfried Wilhelm Leibniz. Schriften und Briefe zur Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218, Hannover 2004); zu Eckhart: Helga BÄHRECKE, Johann Georg von Eckhart (1674–1730) (ungedr. phil. Diss., Würzburg 1944). Vgl. etwa Johann Georg ECKHART, Leges Francorum Salicae et Ripuariorum (Frankfurt am Main 1720). 10 Wenn über eine Sache oder über einige Gerechtsamen und Befugnüse Streit entstehet, so ist die erste Frage, wer deshalb in Possess oder Besitz sey; Und der Prozess darüber wird Possessorius Summariissimus: Johann Leonhard HAUSCHILD, Abhandlung von der Gerichtsverfassung der Teutschen von 8. bis zum 14. Seculo (Leipzig 1741) 3.

538 Colin F. Wilder Loyalität oder Treue zum Herren-Vasallen-Verhältnis als die Grundideen von teutschem Recht11. Es war kein Zufall, dass Hauschild bei den alten Teutschen Rechtspraktiken ausmachte, die denen des römischen Zivilrechts stark ähnelten, wie sie in dem überall in Europa bekannten Corpus iuris civilis zu finden waren. Deutsche Rechtsantiquare wie Hauschild, Estor und Hert litten – mit einem Wort von Constantin Fasolt – unter „Roman law envy“. Dies bestätigt sich bei einem Blick auf die zeitgenössische Erforschung juristischer „Volksweisheit“. Sie kam im 17. Jahrhundert in Deutschland als ein Resultat des späthumanistischen Interesses an deutscher Philologie in Gang und stand ebenso im Zusammenhang mit einem quasi-anthropologischen Interesse an alter teutscher „Lebensweisheit“, wie sie die Forscher in Tacitus’ Germania zu finden glaubten. Es war während der Frühen Neuzeit für Fürsten und Herrschende üblich, Humanisten für die Politur und Publikation mittelalterlicher Chroniken anzustellen, die ihre politischen Ansprüche zu legitimieren schienen; es war von hier ein möglicherweise kleiner, aber bedeutsamer Schritt hin zu anderen einschlägigen Quellen wie Liedern, „Volksbräuchen“ und „Sprichwörtern“. Vielleicht war es das Werk von Hermann Conring, das um die Mitte des 17. Jahrhunderts das Interesse an teutschen Altertümern erweckte, zumal Conring argumentierte, dass das Reich seiner Epoche formal nichts mit dem Römischen Reich zu tun hatte12. Das mag Forschern wie Hert Anlass zu der Frage gegeben haben, wer denn die alten Teutschen überhaupt gewesen sein mochten. Hert – Jurist, Rechtsgutachter und schließlich Kanzler der Universität Gießen im südlichsten hessischen Territorium, HessenDarmstadt – war einer der wesentlichsten zeitgenössischen Erforscher von teutschen Lebensweisheiten und Rechtssprüchen. Er sammelte und kommentierte paroemiae – Sprichwörter – und saß als Präses mehreren juristischen Disputationen zum Thema vor13. Seine Arbeiten wurden von seinen 11 Vgl. Johann Georg ESTOR, Bürgerliche Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen, hg. von Johann Andreas HOFMANN (3 Bde., Marburg–Frankfurt am Main 1757–1767); etwa 2 303 §3520 zum Lemma Teutsche sitten: Bei den Teutschen mußte alles aus freiem mute beschehen; ebd.: Die belehnung mit einer sache tilget die res merae facultatis und werket ein verbithungs-recht. Ein ähnlicher Fall – Teutsche gewohnheit – findet sich in: Johann Georg ESTOR, Neue Kleine Schriften (4 Bde., Marburg 1761) 4 86 §5. 12 Vgl. Hermann Conring (1606–1681). Beiträge zu Leben und Werk, hg. von Michael STOLLEIS (Historische Forschungen 23, Berlin 1983); Constantin FASOLT, The Limits of History (Chicago–London 2004). 13 Zu Hert vgl. Günter HERRMANN, Johan Nikolaus Hert und die deutsche Statutenlehre (Neue Kölner rechtswissenschaftliche Abhandlungen 25, Berlin 1963); Michael STOLLEIS, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1: Reichspublizistik

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Zeitgenossen ebenso breit rezipiert wie von späteren Juristen, darunter Autoren wie Estor oder seinem Kollegen Johann Stephan Pütter (1725–1807) in Göttingen. Die Sprichwörter bieten ironische, unterhaltsame oder schlicht alltäglichmenschliche juristische Gegenstände, etwa: Augen auf, Kauf ist Kauf; Kauf bricht Miete; Ein Nachbar ist dem andern ein [sic] Brand schuldig; Der ältere theilt, der jüngere wehlt; Gemein ist selten ein; Pfand giebt offt Land; oder Wann es dem Wolff zur Heyde, und dem Dieb zum Eyde kommt, so haben sie gewonnen Spiel. Zumeist betrafen die Sprichwörter privatrechtliche Angelegenheiten, konnten aber auch in den Bereich alltäglicher Lebensweisheit reichen: Wann die Liebe also zunehme, wie sie abnimbt, fressen sich die Eheleute vor Liebe14. Eines der bekanntesten der mehr als 180 Sprichwörter, mit denen sich Hert befasste, lautet Hand muss Hand wahren15. Herts dreiseitige Besprechung ist exemplarisch für seine Vorgehensweise in seiner einschlägigen Studie: Er belegt die frühesten Erwähnungen des Sprichworts (im Lübecker Stadtrecht sowie im Sachsenspiegel, beide aus dem 13. Jahrhundert), bietet Vergleiche (in diesem Fall zu verwandten schwedischen Rechtsquellen), eine theoretische Erklärung (die Regel ist gut für den Handel) und schließlich Angaben zu anderen bekannten Juristen, bei welchen die Regel besprochen wird (Johann Strauch, David Mevius, Lodovico Guicciardini). und Policeywissenschaft 1600–1800 (München 1988) 241f. Unter den Arbeiten von Hert zu Sprichwörtern sind zu nennen: Nikolaus HERT (praeses)–Georg Arnold SCHAUBACH (respondens), Satura prima paroemiarum iuris Germanicarum (Gießen 1684); Nikolaus HERT, De paroemiis iuris Germanicis libri tres, in: Nikolaus HERT, Commentationum atque opusculorum tomi tres (2 Bde. in 6 Teilbänden, Frankfurt am Main 1700–1713) 1/3 382–639; Nikolaus HERT, Observationes iuris Germanici in paroemiam: Da nichts ist, hat der kayser sein recht verlohren (o.O. 1702); Nikolaus HERT, Dissertatio de epidipnide paroemiarum iuris Germanicarum, in: Nikolaus HERT, Commentationum atque opusculorum tomi tres 2/3 429–488. Die Libri tres enthielten 139, die Dissertatio de epidipnide paroemiarum iuris 44 Sprichwörter. Vgl. auch den Beitrag von Mark Mersiowsky in diesem Band. 14 Vgl. Clausdieter SCHOTT, Augen auf, Kauf ist Kauf, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 1: Aachen–Anarchismus, hg. von Albrecht CORDES–Wolfgang STAMMLER (Berlin 2004) 356f.; HERT, De paroemiis libri tres (wie Anm. 13) 481–487 Nr. 46; 430–432 Nr. 22; 433f. Nr. 24; 434f. Nr. 25; 440f. Nr. 11; 438 Nr. 29. 15 HERT, De paroemiis libri tres (wie Anm. 13) 425–427 Nr. 18. Zu diesem Sprichwort vgl. auch: Rudolf HÜBNER, A History of Germanic Private Law, übers. von Francis S. PHILBRICK (The Continental Legal History Series 4, Boston 1918) 409; Frederick POLLOCK–Frederic William MAITLAND, The History of English Law before the Time of Edward I (Cambridge 21898–1899) 155; Ludwig C. HOFMANN, Ueber den Rechtssatz „Hand muss Hand wahren“. Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 11 (1931/32) 78–94.

540 Colin F. Wilder Tatsächlich war der Inhalt des Sprichworts als Rechtsgebrauch in ganz Europa verbreitet. Dieser lautete: Wenn eine Person A einer Person B freiwillig den Besitz an einem Gegenstand übertragen hatte und dieser dann an eine Person C weitergegeben worden war, oder aber C den Gegenstand gefunden oder sogar gestohlen hatte, dann konnte A niemanden als B in der Sache belangen. In den Worten eines thematisch verwandten Sprichworts: Wo du deinen Glauben gelassen hast, muss du ihn suchen. Von Herts’ Zeit bis zur Gegenwart haben Kommentatoren diese Regel als vorteilhaft für Handel und Geschäft erkannt, da sie besagt, dass, ausgenommen in Fällen von Diebstahl oder Verlust, kein am freien Markt erworbener Titel von einem vormaligen Besitzer, der einen Vertrag beeinsprucht, rückabgewickelt werden kann16. Die Regel erkennt somit die „rights in the good-faith purchaser of movables superior to those of the true owner“17 an, wodurch Käufer in gutem Glauben darin versichert werden, das, wofür sie gezahlt haben, auch behalten zu können. In vielerlei Hinsicht repräsentierten diese Sprichwörter gutes Recht, was auch Hert so sah. Während sich der Anspruch von Antiquaren manchmal darin erschöpfte, kuriose Hervorbringungen von Mensch oder Natur aufzubereiten und zu präsentieren, versah Hert jedes Sprichwort mit einer wissenschaftlichen Besprechung und stellte es zugleich in einen Zusammenhang mit Ideen und Praktiken anderer Teile Europas und, wo möglich, mit traditionellen Autoritäten wie der Bibel oder – in gewisser Weise hier von noch größerer Relevanz – dem Römischen Recht. Hert wollte zeigen, dass das teutsche Rechtscorpus anspruchsvoll und weise war (was etwas anderes ist, als seine Rechtsgültigkeit belegen zu wollen). Die Teutschen waren ebenso weise wie die Römer, und altes teutsches Recht entsprach Teilen des römischen Systems. In solchen Fällen verwies Hert in der Marge auf die – vertmütlich – entsprechende Stelle, etwa in den Digesten. In dieser Logik war die teutsche „Volksweisheit“ auf eigenständigem Weg auf dieselben oder ähnliche Lösungen gekommen wie die römische Antike18. 16 Abhängig von den jeweiligen Umständen oder anderen anwendbaren Regeln könnte A lediglich eine finanzielle Entschädigung von B anstatt der Sache selbst erhalten. Vgl. ESTOR, Bürgerliche Rechtsgelehrsamkeit (wie Anm. 11) 2 409 §3969: Die Absicht dises sprüchwortes ist unter andern, daß selbiges die process-weitläufigkeiten abschneiden soll. 17 Harold BERMAN, Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition (Cambridge [Massachusetts] 1983) 349, 620 Nr. 30. 18 Zahlreiche weitere Abhandlungen über Rechtssprichwörter könnten angeführt werden. Die folgenden Werke bieten sowohl Material als auch Diskussion: Johann Ulrich CRAMER, Wetzlarische Nebenstunden 5 (1757); Johann Friedrich EISENHART, Grundsätze der deutschen Rechte in Sprüchwörtern (Helmstedt 1759); ESTOR, Bürgerliche Rechtsgelehrsamkeit (wie Anm. 11); Georg Melchior von LUDOLFF, Variarum obser-

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III. Rechtstraditionalismus Antiquarianismus war freilich nur ein möglicher Modus, in welchem juristische Akteure die Idee eines ursprünglichen teutschen Rechts entdeckten, artikulierten und zu verwerten suchten. Es war zudem ein umstrittener Zugang, wie Abhandlungen wie die Coniecturae de origine et natura legum Germanicarum privatarum antiquarum earumque ad statum praesentem provinciarum Germaniae habitu von Christoph Gottfried Hoffmann zeigen, der darin die anhaltende Gültigkeit alter Rechtsbräuche wie der Stammesrechte zu widerlegen suchte und sich damit gegen diejenigen wandte, qui patrias antiquas Teutonum leges hodie adhuc valere aut, ut valeant, optandum esse existimant19. Freilich war die Frage nach der Gültigkeit (oder gar Nützlichkeit) solch angenommenen „alten Rechts“ nicht das zentrale Anliegen des Antiquarianismus; und überdies stellten sich die damit verbundenen Fragen anders, wenn man sie nicht nur auf den privatrechtlichen Bereich bezog, wie in den bisher genannten Beispielen, sondern der Ursprung des öffentlichen Rechts zur Diskussion gestellt wurde. Es gab eben auch andere rechtshistorische Zugänge zum Thema des autoritativen Ursprungs, die anders funktionierten und an die sich wiederum unterschiedliche Konzepte von Geschichtlichkeit anlagerten: Rechtstraditionalismus und Naturrechtsdenken. Deren Vorstellungen vom Anfang hatten performative und konzeptionelle Aspekte, dienten politischen Anliegen in der Gegenwart und stellten die ferne juristische Vergangenheit Teutschlands dar – und unterschieden sich doch vom Antiquarianismus ebenso wie voneinander. Im Gegensatz zu jenem hatten Rechtstraditionalismus und Naturrechtsdenken konkrete (echte oder fiktionale) Handlungsträger als Protagonisten, die zu einem lange vergangenen Zeitpunkt Entscheidungen getroffen und Gesetze gemacht hatten, welche noch immer von Belang für das Reich des 18. Jahrhunderts waren. Ein kurzer Aufsatz von Justus Möser (1720–1794) bietet eine konzise, erhellende Einführung in beide dieser Zugänge20. Mehrere Jahrzehnte lang bekleidete Möser hohe Ämter im kleinen westfälischen Fürstbistum Osnavationum forensium pars tertia et ultima (Wetzlar 1734); Johann Philipp ORTH, Samlung merckwürdiger Rechtshändel 16 (1778); Georg Tobias PISTORIUS, Thesaurus paroemiarum Germanico-iuridicarum (10 Bde., Leipzig 1715–1725); Otto Philipp ZAUNSCHLIFFER, Disquisitio de veritate proverbii „Kauf geht vor Miethe“ (Rinteln 1687). 19 Johann Christoph Bartenstein an Bernhard Pez, 10. Februar 1715: Thomas WALLNIG– Thomas STOCKINGER, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010) 648–653 Nr. 386. 20 Zu Möser vgl. Ingmar Kurt AHL, Möser, Justus (1720–1794), in: Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Michael

542 Colin F. Wilder brück. Er wirkte als Anwalt, Syndikus, Geheimer Justizrat und führte schließlich die Regentschaft des Fürstbistums. Ebenso war er als Schriftsteller tätig, der sich für teutsche Altertümer interessierte. Während eines Großteils seiner späteren Karriere publizierte er regelmäßig kurze Zeitschriftenartikel unter dem Titel Patriotische Phantasien zu Fragen der Kultur, des Rechts und der Politik. In einem dieser Artikel befasste er sich mit dem lokalen Mühlenbannrecht, einer alten, im ganzen Reich verbreiteten Rechtsgepflogenheit. Möser bot zwei voneinander unabhängige Erklärungen für dieses Monopol; zum einen das, was man heute als „Naturzustandsargument“ bezeichnen würde: Betrachtet man die Anreize und Anfangskosten, die mit dem Betrieb einer Mühle verbunden sind, so erscheint es aus der Sicht lokaler Herrschaftsträger als sinnvoll, jeweils einem Individuum in jedem Gebiet das Monopol für den Bau und Betrieb von Wassermühlen zur Mehlproduktion zu verleihen. Zum anderen brachte Möser ein rechtstraditionalistisches Argument vor, nämlich dass genuines Recht und genuine Autorität von der Karolingerzeit an über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart weitergetragen worden wären, sodass die zeitgenössischen Müller sich mit aller Legitimität im Besitz ihrer Rechte befanden. War ein Rechtstitel in der Vergangenheit unanfechtbar und korrekt weitergegeben worden, so musste der gegenwärtige Träger dieses Rechtstitels darin unbeeinspruchbar sein. Um diesen Sachverhalt aus heutiger Sicht beschreiben zu können, bedarf es einer kurzen terminologischen Reflexion. Zum einen bietet sich eine Anlehnung an den englischen Begriff des ancient constitutionalism an. Die ancient oder Gothic constitution war ein historisches Konzept, das von einigen englischen Monarchomachen und Republikanern des 17. und 18. Jahrhunderts angewandt wurde, wobei insbesondere die Magna Charta im Mittelpunkt stand. Sie wurde von parlamentarischen Kräften gegen den Absolutismus der Stuarts ins Treffen geführt. Im dortigen wie im hier angesprochenen Kontext ist somit die Berufung auf eine ungebrochene Kontinuität in der Gültigkeit von Rechtstiteln angesprochen. Tatsächlich entsprach es aber auch einer weit verbreiteten Rechtspraxis im Heiligen Römischen Reich, jegliche politische Autorität ebenso wie rechtmäßigen Besitz und Herrschaftsrechte in hierarchischer Folge von Lehensmann zu Lehensherr bis auf den Fürsten und den Kaiser selbst zurückzuführen. Somit ist auch der enge Zusammenhang des hier beschriebenen rechtswissenschaftlichen Kontexts mit der so genannten „Reichspublicistik“ und dem „Territorialstaatsrecht“ angesprochen21. STOLLEIS (München 1995) 432–434; Jonathan B. KNUDSEN, Justus Möser and the German Enlightenment (Cambridge et al. 1986). 21 Vgl. Notker HAMMERSTEIN, Justus Möser und die Reichs-Publicistik. Möser-Forum 2 (1994) 69–85.

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Möser selbst bietet nun die folgende rechtshistorische Darstellung: Im Jahrhundert nach dem Tod Karls des Großen blieb die kaiserliche Autorität in der Hand deutscher (karolingischer) Herrscher erhalten, doch zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert wurde diese Macht zersplittert22. In dieser Zeit einer – unterstellten – chaotischen Dezentralisierung ging die Autorität auf die hunderten Machthaber über, die im Namen des Kaisers die Gaue regierten. Manche von ihnen wurden mit der Zeit Fürsten, während in anderen Fällen die herrscherliche Macht weiter zersplittert, verkauft und verloren wurde: Ein rechtmäßig erworbenes Recht ist ein rechtmäßig besessenes Recht, denn Hand muss Hand wahren. Möser führte aus, dass das Mühlenrecht juristisch zu den kleineren Regalien zählte, die der Kaiser durch die Gaugrafen als seine Agenten an lokale Müller übertragen konnte23. Wie andere solcher Rechte, waren die Mühlenrechte über die Jahrhunderte von den Herrschern an „einfache Leute“ verkauft worden, was nicht selten zu der Situation fühen konnte, daß ein Leibeigner Gutsherr eines andern Leibeignen sein kann24. Diese Situation war für Möser absurd, und dennoch hatte man anzuerkennen, dass durch die korrekte Weitergabe viele geschäftstüchtige Bauern in den Besitz alter herrscherlicher Rechte im ganzen Reich gelangt waren; das galt auch für Osnabrück. Diese recht eigenwillige Deutung der deutschen Rechtsgeschichte sollte jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass jeder rechtstraditionalistische Zugang nur ein Ausfluss Patriotischer Phantasie war. Ebenso wie der juristische Antiquarianismus hegte auch diese Richtung durchaus den motivierten Anspruch humanistischer Gelehrsamkeit und repräsentierte zugleich ein polemisch-publizistisch-politisches Aktionsprogramm. Einige der bekanntesten rechtstraditionalistischen Autoren waren monarchomachische Humanisten, etwa François Hotman (Autor der Franco-Gallia, 1576) oder Théodore de Bèze (De iure magistratum, 1572), beide auf hugenottischer Seite aktiv 22 Gemäß der allgemeinen Geschichte, die Möser zeichnet, ereignete sich diese Zersplitterung entweder während der Übertragung der Autorität auf die Ottonen im 10. Jahrhundert oder während des Großen Interregnums vor dem Regierungsantritt Rudolfs von Habsburg. 23 Andere Gegenstände dieser Kategorie waren die Etablierung von Handelsmessen oder Münzregalien; zu den „großen“ Regalien zählte man etwa die Entscheidung über Krieg und Frieden; vgl. Hugo GROTIUS, The Rights of War and Peace, übers. von John MORRICE, hg. von Jean BARBEYRAC (London 1738, Nachdruck Indianapolis 2005) II.4. §13 Nr. 1. 24 Justus MÖSER, Von der landesherrlichen Befugnis bei Anlegung neuer Mühlen, in: Justus Mösers sämtliche Werke, 5/2: Patriotische Phantasien und Zugehöriges, hg. von Ludwig SCHIRMEYER–Werner KOHLSCHMIDT (Oldenburg 1945) 237–240, hier 240.

544 Colin F. Wilder in den französischen Religionsstreitigkeiten. Ähnlich ihrer Arbeit war die von Edward Coke (1552–1634), der die außerkonstitutionelle Königsmacht in England bekämpfte. Wenn ihnen, so hofften die Monarchomachen, der Nachweis gelang, dass die früheren Könige keine Souveräne gewesen waren, so sollten sie ihre Leser davon überzeugen können, dass auch die gegenwärtigen Könige das „alte Recht“ – und damit Minderheitenrechte – anzuerkennen hatten. Tatsächlich stellten sich viele der europäischen Kriege des 17. Jahrhunderts als Kämpfe zwischen souveränen Fürsten und Adelsgruppen dar, die auf überkommene Rechte pochten. Englische, französische, hessische und hildesheimische Konflikte des frühen und mittleren 17. Jahrhunderts lassen sich auf diese Weise charakterisieren, und die Liste kann mühelos erweitert werden, auch um Beispiele aus der Habsburgermonarchie25. Rechtstraditionalismus wirkte aber auch in den alltäglichen zivilrechtlichen Umgang mit Ursprung und Gründung hinein. So publizierte etwa der Hessen-Darmstädter Geheimrat und Professor Heinrich Christian Senckenberg (1704–1768) 1744 eine Quellensammlung zu der kleinen Stadt Freienseen in der nahe gelegenen Landschaft Wetterau. Diese Sammlung sollte den Anspruch der Stadt belegen, nicht der Jurisdiktion des nahebei begüterten Grafen Solms zu unterstehen. Grundlage für die Behauptung der Stadtbürger war ein Dokument von 1471, das der Stadtgemeinde attestierte, ursprünglich frei gewesen zu sein und dem Schutz eines anderen Herren unterstanden zu haben. In den Augen von Gerichtskundigen und Gelehrten 25 Die Schriften der humanistischen Monarchomachen im Frankreich der Religionskriege folgten demselben forensischen Schema; vgl. Julian H. FRANKLIN, Constitutionalism and Resistance in the Sixteenth Century. Three Treatises by Hotman, Beza and Mornay (New York 1969), mit Übersetzungen aus den genannten Werken Francogallia, De iure magistratum sowie Vindiciae contra tyrannos von Stephanus Junius Brutus [pseud.]. Zu England vgl. John G. A. POCOCK, The Ancient Constitution and the Feudal Law. A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century (Cambridge 1957); Kevin SHARPE, Remapping Early Modern England. The Culture of Seventeenth-Century Politics (Cambridge et al. 2000); für einen rezenten Überblick: Jacob LEVY, Not So Novus an Ordo. Constitutions without Social Contracts. Political Theory. An International Journal of Political Philosophy 20 (2009) 1–27. Zu Hessen und Hildesheim vgl. Robert von FRIEDEBURG, Widerstandsrecht und Landespatriotismus. Territorialstaatsbildung und Patriotenpflichten in den Auseinandersetzungen der niederhessischen Stände mit Landgräfin Amelie Elisabeth und Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel 1647–1653, in: Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16. – 18. Jahrhundert), hg. von Angela DE BENEDICTIS–Karl-Heinz LINGENS (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 165, Frankfurt am Main 2003) 267௅326; Colin F. WILDER, Property, Possession and Prescription: The Rule of Law in the Hessian and Rhine-Main Region of Germany, 1648–1776 (Ph.D. thesis, University of Chicago, 2010) 116–124, 432–437.

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war die freienseeische Urkunde von 1471 ebenso „altes Recht“ und „alte Verfassung“ (antiqua constitutio) wie etwa die Magna Charta26. Die verfolgte Strategie bestand in beiden Fällen darin, alte, autoritative Dokumente zu suchen und zu veröffentlichen; die eine oder andere Seite behauptete auf der Basis dieser Dokumente ein uneingeschränkt ererbtes, untergründig stets vorhandenes Recht, sei es ein Recht zu Handeln oder ein Immunitätsprivileg. Oft behaupteten die beteiligten Parteien nicht nur, dass sie sich aufgrund spezifischer Vorgänge vor langer Zeit im rechtmäßigen Besitz dieser Titel befanden, sondern dass diese zugleich alten teutschen Rechtsformen entsprachen. Gab es aber überhaupt irgend einen besseren Grund, einen Rechtstitel zu beanspruchen, als die schlichte Behauptung, er sei über die Jahrhunderte von Person zu Person weitergegeben worden? Wohl existierte ein tiefer Respekt gegenüber Tradition, altem Herkommen und überkommener, anerkannter politischer Autorität; diese Faktoren hatten jedoch mitunter vor gesundem Menschenverstand, Wohltätigkeit oder der Bibel zurückzustehen. Um zu Justus Möser zurückzukehren: Er fand noch ein weiteres Argument für die Legitimität des Mühlenbanns in Form eines anderen rechtshistorischen Zugangs. Er berief sich auf das Naturrechtsdenken.

IV. Naturrechtsdenken Möser war gut bekannt als „engagierter Kritiker an Absolutismus und Aufklärung“. Ingmar Kurt Ahl führt dies auf zwei Faktoren zurück. Zum einen war Möser „Sproß einer einflußreichen Familie des altständisch geprägten Fürstbistums Osnabrück“; zum anderen durchlief er eine lange Laufbahn im Staatsdienst, während welcher er sogar die Regentschaft innehatte. „In seinen zahlreichen Auseinandersetzungen zum Thema Recht und Staat spielte er immer wieder die geschichtlich gewachsenen politischen Rechte und Privilegien der Stände gegen die egalitäre Naturrechtslehre der Zeit aus“, schreibt Ahl27, in dessen Darstellung sich Möser zu der Idee bekannte, dass der Staat durch einen ursprünglichen Gesellschaftsvertrag begründet worden 26 Vgl. Heinrich Christian SENCKENBERG, Unfug des Recursus ad Comitia in unerheblicher Antastung seiner Kayserl. Majestät reservati iuris cognoscendi de suis privilegiis, welcher ab Seiten der armen gemeinde Freyenseen gegen des Herrn Grafen zu Solms-Laubach Hoch-Gräfliche Excellence gründlich dargethan wird, hg. von J. HASE (Gießen 1744). Zu antiqua constitutio vgl. Nikolaus Hieronymus GUNDLING, De iure oppignorati territorii secundum ius gentium et teutonicum, in: Nikolaus Hieronymus GUNDLING, Exercitationes academicae (Halle 1736) 31–96, hier 38. 27 AHL, Möser (wie Anm. 20) 432f.

546 Colin F. Wilder sei – jedoch eher einen der Großgrundbesitzer denn aller Bürger28, wie John Locke ihn sich vorgestellt haben mag. Im Zusammenhang mit dem Mühlenrecht spekulierte Möser, dass am Anfang, als es noch wenig oder kaum Besiedelung gab, jeder eine Mühle bauen konnte, um sein eigenes Getreide zu mahlen. Der Eintritt in den Markt war kostenfrei, doch die Einstiegskosten waren hoch, da man die eigene Mühle zu bauen hatte. Wenn im selben Gebiet nun eine zweite Mühle gebaut wurde, so war das Gewerbe nicht mehr rentabel, da jetzt jeder der beiden Müller nur mehr die Hälfte der Kunden und Einnahmen für sich beanspruchen konnte. Jeder potentielle Müller musste aber, so Möser, mit genug Einnahmen rechnen können, um seine anfänglichen Schulden zu bezahlen. Um so einem hypothetischen Marktversagen zu begegnen, würde sich der hypothetische Herrscher einbringen und die Anzahl der Mühlen in einer bestimmten Gegend begrenzen. Unter dieser Bedingung konnte der einzige Müller im Gebiet mit genug regelmäßigen Einnahmen für einen ausgeglichenen Haushalt rechnen. Für sich allein genommen wäre dies lediglich ein eindimensionales naturrechtliches Argument zur Legitimierung der gegebenen Ordnung von Mühlenmonopolen und theoretischen Herrschaftsrechten. Möser ging aber einen Schritt weiter und fragte nach dem konkreten Funktionieren solch einer Rechtsvorschrift. Wie groß sollte demnach etwa die Bevölkerung oder das Gebiet sein, das von einem Mühlenmonopolisten bedient wurde? Sollte eine Familie eine Tagesreise – oder zwei, oder drei – benötigen müssen, um ihr Getreide zu mahlen29? Ab welcher Distanz wäre ein zweiter Müller zugelassen worden? Man wollte schließlich das Anwachsen von Kapital anregen, nicht aber mehr Restriktionen als nötig schaffen30. 28 AHL, Möser (wie Anm. 20) 433: „Dennoch geprägt vom herrschenden naturrechtlichen Vertragsdenken, entsteht auch bei ihm der Staat durch Vertragsschluß, allerdings nur der Landeigentümer untereinander“. 29 MÖSER, Von der landesherrlichen Befugnis (wie Anm. 24) 238f. 30 Möser bleibt eine umstrittene Figur in der Geschichte von Liberalismus, Konservativismus und früher nationalpolitischer Ökonomie. Er ist wohl am treffendsten als Ständisch-Konservativer zu charakterisieren (wie Edmund Burke), zumal er ein dezidiertes und zugleich traditionalistisches Programm politischer Freiheiten vertrat; die Frage dabei ist, wie so häufig, die nach der Definition von Freiheit; vgl. Jerry Z. MULLER, Justus Möser and the Conservative Critique of Early Modern Capitalism. Central European History 23 (1990) 153–178; DREITZEL, Absolutismus (wie Anm. 7) 123 und passim. Eine weitere Persönlichkeit, die auf konstruktive Weise rechtstraditionalistische und naturrechtliche Zugänge verband, war der englische Jurist William Blackstone; vgl. Nigel E. SIMMONDS, Reason, History and Privilege: Blackstone’s Debt to Natural Law. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 105 (1988) 200–213.

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Um wessen Naturzustand aber handelte es sich bei diesen Überlegungen überhaupt? Möser ist als Ständisch-Konservativer charakterisiert worden, vergleichbar mit Edmund Burke (1729–1797) in Großbritannien. Sein Lebensgang und seine anderen Schriften legen nahe, dass er sich „natürliche“ Verhältnisse nicht zwischen Individuen, sondern zwischen den Machtträgern eines Gebietes dachte; oder er betrachtete lediglich die Beweggründe für die Konzentration von Macht – bei Fürst oder Graf. Der deutsche Historiker Diethelm Klippel hat einmal bemerkt, dass man so viele Naturrechtssysteme wie Naturrechtstraktate annehmen könne31. In diesem Sinn lässt sich differenzieren, auf wie unterschiedliche Weise Philosophen und Juristen im 17. und 18. Jahrhundert unterschiedliche Naturzustände zu unterschiedlichen Zwecken konstruierten. Genannt werden in der Wissenschaft in diesem Zusammenhang zumeist die Ansätze von Thomas Hobbes, John Locke oder Jean-Jacques Rousseau32. Im Reich war Hobbes wohlbekannt, doch viel öfter als er und die beiden anderen liberalen Denker wurde im 18. Jahrhundert von Naturrechtslehrern der berühmte niederländische Jurist Hugo Grotius zitiert, hauptsächlich in der 1712 erschienenen Ausgabe von De iure belli ac pacis33. In dieser erstmals 1622 erschienenen Arbeit präsentierte Grotius eine klassische und überaus wirkmächtige Form von Naturzustandsargument im Hinblick auf Besitz, das an Lockes spätere Ausführungen im Second Treatise of Government von 1690 erinnert. Die Juristen des antiken Rom hatten bei den Möglichkeiten des Besitzerwerbs natürliche und zivilrechtliche Formen 31 Diethelm KLIPPEL, The True Concept of Liberty. Political Theory in Germany in the Second Half of the Eighteenth Century, in: The Transformation of Political Culture. England and Germany in the Late Eighteenth Century, hg. von Eckhart HELLMUTH (Studies of the German Historical Institute London, Oxford et al. 1990) 447–466, hier 450f., mit Verweis auf eine Teilerfassung naturrechtlicher Traktatenliteratur im Deutschland des 18. Jahrhunderts bei Christian Friedrich Georg MEISTER, Bibliotheca iuris naturae et gentium (3 Bde., Göttingen 1749–1757). Christian Friedrich Georg MEISTER, Bibliotheca iuris naturae et gentium (3 Bde., Göttingen 1749–1757). Vgl. auch WIEACKER (wie Anm. 2); SIMMONDS (wie Anm. 30); Brian TIERNEY, The Idea of Natural Rights: Studies on Natural Rights, Natural Law, and Church Law, 1150– 1625 (Atlanta 1997); Manlio BELLOMO, The Common Legal Past of Europe: 1000– 1800, übers. von Lydia G. COCHRANE (Washington D.C. 1995); Leonard KRIEGER, Kant and the Crisis of Natural Law. Journal of the History of Ideas 26 (1965) 191– 210. 32 Angesprochen sind besonders Thomas Hobbes’ Leviathan, or The Matter, Forme and Power of a Commonwealth, Ecclesiastical and Civil, erstmals 1651 erschienen; die Two Treatises of Government von John Locke, erschienen 1690, sowie Jean-Jacques Rousseaus Du contract social, ou Principes du droit politique von 1762. 33 Hugo GROTIUS, De jure belli ac pacis libri tres, hg. von Jean BARBEYRAC–Johann Friedrich GRONOVIUS (Amsterdam 1712).

548 Colin F. Wilder unterschieden. Der ursprüngliche zivilrechtliche Weg führte über die formelle Übertragung von Besitz, der mit der Zeit ein „Heranreifen“ desselben zu einem Rechtstitel folgte, der nicht mehr beeinspruchbar war, sollte ein früherer Besitzer behaupten, unrechtmäßig enteignet worden zu sein. Die Vorstellungen von natürlichen Modi der Besitzübertragung waren dagegen heterogen und eher phantasievoll. So konnte es beispielsweise zu natürlichem Besitzwechsel kommen, wenn ein Fluss seinen Lauf änderte, sodass neues Land entstand, das dem Besitzer des Uferstreifens zugeschlagen wurde (auf Kosten eines anderen Uferbesitzers, der einen Teil seines Ufers an den Fluss verlor). Ein weiterer „natürlicher“ Modus betraf die handwerkliche Umarbeitung von Material im Besitz einer Person zu einem neuen Gegenstand, was eine Regelung der Besitzverhältnisse dieses Gegenstands notwendig machte: Gehörte er dem Besitzer des Materials oder dem der Arbeitskraft? Was Grotius nun vornahm, war eine Klassifizierung von Möglichkeiten des Besitzerwerbs danach, ob sie ursprünglich (nicht von einem früheren Inhaber des Titels abgeleitet) oder derivativ (übernommen von einem früheren Inhaber des Titels) waren. Er begann mit der Vorstellung, dass alle Dinge auf der Welt ursprünglich gemeinsamer Besitz gewesen seien, ein Zustand, der etwa im Falle des Meeres bis in die Gegenwart reiche. Generell jedoch besitze man etwas entweder von Natur aus, oder durch einen von einem früheren Inhaber abgeleiteten Titel. Die originäre Form war somit der Erstbesitz, der, wie Grotius meinte, alle (!) ursprünglichen Rechte erklärte, darunter Rechte auf Land, Wege und sogar die Herrschaft über Menschen (die ihre Eroberung zugelassen hatten, wie Land, das darauf wartete, besiedelt zu werden). Im Gegensatz dazu wurde jeder Rechtserwerb durch freiwillige oder erzwungene Besitzübertragung – jede Art von direktem Austausch zwischen altem und neuem Besitzer – als eine derivative Form eingestuft, die viel eher in der historischen Zeit existierte, als am „Anfang“ der gesamten Ordnung. Manchmal können Dinge in einen Zustand ohne Besitzer zurückfallen, etwa wenn Ladegut bei einem Schiffbruch verlorengeht oder Land verlassen wird. Was Grotius’ Distinktion hier zeigt, ist, dass die gängige Dichotomie von Naturzustand und moderner, historischer Gesellschaft nicht nur eine Frage der ursprünglichen Verfasstheit menschlicher Gemeinschaft auf abstrakter Ebene war; sie diente auch zur Erklärung gewöhnlicher Besitzrechte. Entweder schuf eine Person einen Besitztitel auf etwas, das (zumindest in dieser Form) keinen Vorbesitzer hatte, oder sie erhielt den Titel von einer anderen Stelle. So wurde eine „Besitzkette“ vorgestellt, die sich in der Zeit zurück bis zu einem Erstbesitzer erstrecken musste. Der Vizekanzler von Hessen-Kassel und Rechtsprofessor in Marburg, Johann Georg Estor, bot eine weitere Spielart von Naturzustandsargumenten. Er nahm ein Naturrechtskonstrukt auf, das in gewisser Weise an Hugo

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Grotius anknüpfte, wohlgemerkt aber ohne Bezugnahme auf dessen eben beschriebene Vorstellung von „ursprünglichem Allgemeinbesitz“. Estor präsentierte den Naturzustand als der zivilisierten Gesellschaft in der Zeit nicht chronologisch vorangestellt, sondern vielmehr mit dieser gleichzeitig bestehend. Der Naturzustand, in welchem die Menschen ihre „einfachen natürlichen Fähigkeiten“ (res merae facultatis) genießen, wurde als eine Art dauerhafter Möglichkeit, eine stetige Gegenwart natürlicher Potentialität (facultas) gedacht. Estor betrachtete diese als logisch vorangestellt und daher begründend. Im Gegenzug waren die bürgerlichen Rechte diesen natürlichen Möglichkeiten logisch und im engeren Sinn auch chronologisch nachgereiht34.

V. Schluss und Ausblick Was genau glaubten die Raus und Dernbachs also 1657 in Holzhausen zu tun? Gleich wie die späteren Forschungen von Hauschild und Hert versuchten sie, einen verlorenen – oder sterbenden – Rechtsbrauch „wiederzubeleben“, namentlich einen komplexen Handlungscode zur Inbesitznahme adeliger Güter und Gerechtigkeiten. Antiquarische Gelehrsamkeit freilich trachtete in gewisser Weise nach einer Würdigung der Vergangenheit nach ihren eigenen Verdiensten, entweder als Kuriositätenkabinett oder zur Ehrenrettung der teutschen gegenüber der römischen Kultur. Dernbachs Ritt ähnelte auch den rechtstraditionalistischen Programmen von adeligem und bürgerlichem Widerstand gegenüber europäischen Herrschern des 17. Jahrhunderts, wo es um die Behauptung und den Schutz „alten Rechts“ ging. Dies beruhte auf der rechtstraditionalistischen Annahme, dass altes Recht ungeschmälert über die Zeiten weitergegeben werden konnte, was einem pragmatischen, modernen Gebrauch einer rekonstruierten oder halbverstandenen Vergangenheit gleichkam. Rechtstraditionalistische und Naturzustandsargumente bezogen sich beide auf die Handlungen konkreter Individuen, Handlungen, die bis in die damals gegenwärtige Verteilung der Rechte in der Gesellschaft hineinwirkten. Ex hypothesi galt das Gegenteil für das antiquarische Interesse an alten Gebräuchen. Wie auch immer ihre wissenschaftliche Qualität beschaffen war, rechtstraditionalistische Traktate wie Hotmans Franco-Gallia oder durchschnittlichere Arbeiten wie die von Senckenberg handelten von echten 34 Johann Georg ESTOR, Opusculum de abusu rerum merae facultatis in foro Germanico praesertim feudali (Jena 21744) 3–11; Johann Georg ESTOR, Die belehnung mit einer sache tilget die res merae facultatis und werket ein verbithungs-recht, in Johann Georg ESTOR, Neue Kleine Schriften (wie Anm. 11) 4 84–92.

550 Colin F. Wilder Menschen und Begebenheiten, deren Handlungen bis in die Gegenwart wirkten. Naturzustandsargumente waren hypothetisch, indem sie von spekulativen Annahmen über das Handeln und Denken allgemeiner Akteure in vereinfachten, idealisierten Szenarien am Beginn der Zivilisation ausgingen. Justus Möser verwendete diesen Zugang für die mittelalterliche Kultur Europas; Grotius ging zurück zum Garten Eden, um sich vorzustellen, wie die Rechtekette funktionieren konnte. Anders als in diesen ging es in Estors Arbeit zum Naturrecht um die ewige Gleichzeitigkeit von Natur- und Gesellschaftszustand. Seine Arbeit zeigt, dass nicht alle Naturzustandsargumente den Eindruck spekulativer, diachroner Geschichtsbetrachtung erwecken mussten; sie konnten auch synchronisch sein. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass der Rechtstraditionalismus spezifisch und themenbezogen argumentierte, während Naturzustandsargumente punktuell Figuren und Szenarien heranzogen, die als typisch und repräsentativ gelten sollten. Die drei genannten Zugänge weisen eine bemerkenswerte Ansammlung heterogener Eigenschaften auf und sind doch aufs engste miteinander verwoben. Sie zeigen, dass es in der Frühen Neuzeit eine Vielzahl von Bedeutungen und Gebrauchsformen der Idee eines ursprünglichen teutschen Rechts gab. Darüber hinaus hatten alle drei eine starke Nachwirkung, zumal durch das Ende des Alten Reiches und des Ancien Régime im Europa des 19. Jahrhunderts eine neue Grundlegung der Rechtsordnung notwendig wurde. In der Folge der hier diskutierten Epoche vertieften die Rechtshistoriker der Romantik, etwa Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) und sein Freund Jakob Grimm (1785–1863), die antiquarische Annahme von Hert, dass die alten Rechtssprichwörter Spuren des authentischen Nationalgeistes alten „germanischen“ Rechtes enthielten. Nach den Romantikern inkorporierten die Schöpfer großer Rechtssynthesen wie Rudolf Hübner und Heinrich Brunner die Sprichwörter in das Corpus oder System des deutschen Rechtes. Das deutsche (rechts-)historische Establishment des 20. Jahrhunderts hat dieses Forschungsparadigma übernommen und deutlich ausgebaut, allerdings unter Zurücklassung der älteren Glaubensartikel vom Nationalgeist. Jüngst wurde auch vorgeschlagen, das Interesse von Juristen wie Hert, Estor und Pütter an teutschen Altertümern als einen ersten Schritt zur Historisierung des Rechts zu betrachten, die sich dann prominent mit den späteren Arbeiten von Gustav von Hugo und Savigny durchsetzte35. 35 Friedrich Carl von SAVIGNY, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Heidelberg 1814); Jakob GRIMM, Weisthümer (7 Bde., Göttingen 1840–1878); Jakob GRIMM, Von der Poesie im Recht. Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 2 (1815/1816) 25–99. Vgl. FASOLT, Limits of History (wie Anm. 12) (zu Hermann Conring); Arno BUSCHMANN, Estor, Pütter, Hugo – Zur Vorgeschichte der Historischen Rechtsschule, in: Vielfalt und Einheit in der Rechtsgeschichte. Festgabe für Elmar WADLE zum 65. Geburtstag, hg. von Thomas GERGEN

Ursprünge und Anfänge, immer wieder 551

Auf der anderen Seite stellten Naturzustandsargumente während der vergangenen Jahrzehnte (wenn nicht Jahrhunderte) das herrschende rhetorische Paradigma der politischen Philosophie und Theorie dar. Sowohl Antiquarianismus als auch das humanistische Forschungsprogramm des Rechtstraditionalismus haben die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im Hinblick auf Quellenkritik und Editionstechnik nachhaltig beeinflusst. Gleiches gilt für eine historisierende Betrachtung von Recht, die dann besonders in den Arbeiten späterer Autoren wie Edward Gibbon und Gustav von Hugo zur Geltung kam36. Weit entfernt davon, obskure Konzepte darzustellen, bieten die drei skizzierten Zugänge vielmehr einen universellen Verständnisschlüssel für Naturrecht, Konstitutionalismus, Anthropologie und selbst für die Geschichte der klassischen und historischen Gelehrsamkeit. Was ist also von diesen drei Zugängen zu halten, die die Vorstellung einer weit zurückliegenden Vergangenheit ge- und missbrauchten? Eric Hobsbawm hat bekanntermaßen festgestellt, dass „traditions which appear or claim to be old are often quite recent in origin and sometimes invented“. Während Hobsbawm selbst seine Kritik am Traditionalismus zurückhaltend formulierte, stellt die Phrase „invention of tradition“ (ebenso wie Benedict Andersons „imagined community“) eine vielleicht kraftvollere, einfachere These dar, als ihr Autor eigentlich vorbringen wollte37. Es ist verlockend, Hauschild oder Hert als solche bloßen Schöpfer von Tradition zu begreifen; wenn aber der Enthusiasmus für ein kulturelles Erbe ein berechtigter Grund ist, an der Qualität von Forschung zu zweifeln, dann muss dies ganz allgemein für weite Teile der Geistes- und Sozialwissenschaften gelten. Denn (Schriftenreihe Annales Universitatis Saraviensis – Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung 136, Köln 2004) 75–101. Zum verwandten Thema der Geschichte der deutschen Philologie vgl. John CONSIDINE, Dictionaries in Early Modern Europe. Lexicography and the Making of Heritage (Cambridge et al. 2008). 36 Angesprochen sind hier besonders: Edward GIBBON, History of the Decline and Fall of the Roman Empire (London 1776–1789); Gustav von HUGO, Lehrbuch eines civilistischen Cursus (7 Bde., 1792–1821). 37 Eric HOBSBAWM, Introduction: Inventing Traditions, in: The Invention of Tradition, hg. von Eric HOBSBAWM–Terence RANGER (Past and Present Publications, Cambridge et al. 1983) 1–14; Benedict ANDERSON, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism (London 1983). Ich übergehe hier bewusst die Fragen von „vorgestellter Gemeinschaft“ und Protonationalismus, wobei ein Vergleich des Einflusses von Antiquarianismus und Rechtstraditionalismus auf die Bildung nationaler Identitäten bei deutschen und englischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts lohnend wäre und eine große Anzahl an Ähnlichkeiten unterstellt werden kann. In diesem Sinn anregend: Rainer SCHÖTTLE, Politische Freiheit für die deutsche Nation: Carl Theodor Welckers politische Theorie. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Frühliberalismus (Schriften der Friedrich-Naumann-Stiftung. Wissenschaftliche Reihe, Baden-Baden 1985).

552 Colin F. Wilder auch Historiker sind Menschen; und eine andere Spezies von Historiker, Niccolò Machiavelli, hat vor vielen Jahren gelehrt, dass der Anfang eben eine „sehr schwierige Zeit“ ist38.

Abstract This paper argues that historians and jurists in the Holy Roman Empire in the eighteenth century took three approaches to ancient law, each of which had important legacies. The three approaches were antiquarianism, ancient constitutionalism (Rechtstraditionalismus) and state of nature arguments. Each approach used the past differently. Antiquarian historians investigated ideas, institutions and laws of the past for their own sake, unconnected to present-day concerns. Finding and examining the ancient past like a timeless Garden of Eden, antiquarians presented ancient laws or “folk” ideas as general structures. Such laws and ideas were set forth as comparable in dignity and sophistication to those of ancient Roman civilization. Ancient constitutionalist arguments investigated concrete individuals and events in the past. Such individuals were conceived as having established a distribution of rights or laws at a discrete time in the past which underwrote the present legal order. In other words, ancient constitutionalism investigated how ancient right or law was established and then transmitted down through the ages, undiminished. Finally, state of nature arguments proposed speculative hypotheses about what laws had been established by general, idealized actors at the birth of society. This was a stripped-down scenario, but history nonetheless. State of nature arguments used classical legal terms and Stoic philosophy to create a new form of philosophical foundationalism which (like ancient constitutionalism) served present purposes. I present examples of these three approaches in the works of a number of jurists and legal historians of the period, including Johann Georg Estor, Hugo Grotius, Johann Leonhard Hauschild, Johann Nikolaus Hert, Justus Möser and Heinrich Christian Senckenberg.

38 E debbasi considerare, come non è cosa più difficile a trattare, né piú dubia a riuscire, né piú pericolosa a maneggiare, che farsi capo ad introdurre nuovi ordini: Niccolò MACCHIAVELLI, Il Principe, hg. von Federico CHABOD–Luigi FIRPO (Nuova Universale Einaudi 4, Torino 1961) 28; vgl. Harvey C. MANSFIELD, Machiavelli’s New Modes and Orders. A Study of the Discourses on Livy (Ithaca 1979).

Der Normannenstreit als Gründungsschlacht der russischen Geschichtsschreibung Zur Poetik wissenschaftlicher Anfangserzählungen Konstantin Kaminskij Im Jahre 1750 schickte sich die Kaiserliche Russische Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg an, ihr 25-jähriges Bestehen zu feiern. Das Jubiläumsjahr wurde von einem Ereignis überschattet, das im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte schrieb. Der Reichshistoriograph Gerhard Friedrich Müller (1705–1783) reichte im Herbst 1749 den Text seiner Festrede Origines gentis et nominis Russorum zur Beurteilung in der akademischen Versammlung ein. Müllers historischer Entwurf über die Herkunft des Volkes und des Namens der Russen löste unter den Akademiemitgliedern eine heftige Debatte aus, die knapp ein Jahr lang dauern sollte und letztendlich zu einem Publikationsverbot dieser Schrift und zur Vernichtung bereits gedruckter Exemplare führte. In der Folge dieses sogenannten „Normannenstreites“ formierte sich die historiographische Dichotomie von „Normannismus“ und „Antinormannismus“, These und Antithese der Normannentheorie, die zum Schlüsselnarrativ der russischen Geschichtsschreibung avancierte und fortan jede Diskussion über den Ursprung und die Ethnogenese der Russen strukturierte, geht es darin doch um die Grundfragen der russischen kulturellen Identität, Sprache, Herrschaftslegitimität, aber auch um die Konstruktion des Fremden und Modelle interkultureller Kommunikation. Im vorliegenden Beitrag soll der Versuch unternommen werden, dem normannistischen Paradigma der russischen Historiographie in seinen beiden Ausprägungen und in seiner rhetorisch-medialen Struktur auf den Grund zu gehen. Der Normannenstreit als der grundlegende Initiationsakt der russischen Geschichtsschreibung hängt in seiner Entstehungszeit mit gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zusammen, die im Genre der akademischen Debatte ihren Ausdruck fanden. Dieses Genre reproduziert sich als modus operandi historiographischer Modelle im Laufe der russischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei die polemischen Redefiguren und die latente „Skandalträchtigkeit“ des Normannenstreits auf die geschichtswissenschaftliche Quellenauswertung, neuere archäologische Befunde und die Formulierung der geschichtswissenschaftlichen Argumente sowie auf die Kommunikationsstruktur und die Repräsentationsformen des nationalen

554 Konstantin Kaminskij Geschichtsbewusstseins nachhaltig zurückwirken. Die Form des Gelehrtenstreits modelliert auf diese Weise den Gegenstand der russischen nationalen Geschichte.

I. Legende, Chronik und Historie Normannismus und Antinormannismus1 sind die zwei konkurrierenden Interpretationsansätze der Gründungslegende des russischen Staates, die in der ältesten russischen Chronik aus dem 12. Jahrhundert überliefert ist. Die nach ihrem Verfasser benannte Nestorchronik erhebt in ihrem Titel selbst den Anspruch eines fundamentalen Gründungsnarrativs: „Die Erzählung von den Anfangsjahren, von einem Mönch des Höhlenklosters des Feodosij, woher das Russische Land gekommen ist und wer in ihm zuerst begonnen hat, als Fürst zu herrschen, und woher das Russische Land entstanden ist“2. Die warägische Berufungslegende, der zufolge die Novgoroder Bevölkerung, ein Konglomerat slavischer, baltischer und finno-ugrischer Stämme, nach gemeinschaftlichem Beschluss eine diplomatische Mission an die Waräger entsandte und den warägischen Fürsten Rjurik zur Herrschaft einlud, stellt für die Gründung des russischen Staates eine Anfangserzählung bereit, die auf den ersten Blick die Entstehung der russischen Kultur und ihrer politischen Institutionen plausibel erklärt3. Dmitrij 1

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Das Begriffspaar hat sich in der russischen Geschichtswissenschaft erst im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der 1000-Jahr-Feier der Gründung des russischen Staates (1862) herauskristallisiert; vgl. Birgit SCHOLZ, Von der Chronistik zur modernen Geschichtswissenschaft. Die Warägerfrage in der russischen, deutschen und schwedischen Historiographie (Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts München. Reihe Forschungen zum Ostseeraum 5, Wiesbaden 2000) 113. Für einen Überlick über die russische Historiographie vom 17. bis zum 19. Jahrhundert vgl. Michael SCHIPPAN, Die Reichshistoriographie in Rußland im Zeitalter der Aufklärung, in: Historiographie an europäischen Höfen (16. – 18. Jahrhundert). Studien zum Hof als Produktionsort von Geschichtsschreibung und historischer Repräsentation, hg. von Markus VÖLKEL– Arno STROHMEYER (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 43, Berlin 2009) 323–352. Ludolf MÜLLER, Die Nestorchronik. Die altrussische Chronik, zugeschrieben dem Mönch des Kiever Höhlenklosters Nestor, in der Redaktion des Abtes Sil’vestr aus dem Jahre 1116, rekonstruiert nach den Handschriften Lavrent’evskaja, Radzivilovskaja, Akademiþeskaja, Troickaja, Ipat’evskaja und Chlebnikovskaja (München 2001). Neben der Novgoroder Berufungslegende bildet die Erzählung von der Christianisierung der Kiever Rus (988) die zweite identitätsstiftende Gründungssäule innerhalb der Nestorchronik. Die Expansion der Rjurikiden-Dynastie von Novgorod nach Kiev und ihre Kriegszüge im 10. Jahrhundert gegen Konstantinopel verbinden die

Der Normannenstreit 555

Lichaþev erklärt das Aufkommen der warägischen Berufungslegende in der Nestorchronik als eine Widerspiegelung des religiös-kulturellen Loslösungsprozesses der Kiever Rus von Byzanz und der dadurch bedingten Verschiebung des nationalen Identitätsnarrativs in der Entstehungszeit der Chronik im 12. Jahrhundert, deren politisches Adressierungsziel sich in erster Linie nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft des russischen Staates richtet: „Die ‚Normannentheorie‘ der Mönche des Kiewer Höhlenklosters war vor allem eine antigriechische Theorie und gleichzeitig eine gemeinrussische. Sie behauptete gerade den entgegengesetzten Standpunkt der Herkunft des russischen Staates: nicht vom byzantinischen Süden, sondern vom skandinavischen Norden“4. Als die Nestorchronik im 18. Jahrhundert „wiederentdeckt“ wird und ins Blickfeld der Historiker gerät, wird die Gründungslegende aus dem 12. Jahrhundert zu einer historisch-narrativen Projektionsfläche für die petrinische Neugründung des Russischen Kaiserreichs. Mit der Überführung der russischen Hauptstadt und zentraler Verwaltungsstrukturen von Moskau nach St. Petersburg (1703), der Öffnung Russlands für europäische Formen der Machtrepräsentation und Kulturproduktion rückt die Historie von der Gründung Novgorods von einer Vorgeschichte des Moskauer Staates zur Gründungslegende des Russischen Reichs auf 5.

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beiden historischen Sujets – die Berufung der warägischen Fürsten und die Berufung griechischer Missionare. Damit wird in der Nestorchronik erstmalig das ursprüngliche Land der Rus’ (Russkaja zemlja) als räumlich-kulturelle Einheit mit gemeinsamer Sprache und gemeinsamen Ursprungsmythen konzipiert. Der von Nestor entworfene narrative Kern der nationalen Identität erweist sich in der russischen Kulturgeschichte als ein integratives Modell, welches kulturelle Importe effektiv adoptieren kann; vgl. Sergii PLOKHY, The Origins of the Slavic Nations. Premodern Identities in Russia, Ukraine, and Belarus (Cambridge 2006) 25. Dmitrij LICHAýEV, The Legend of the Calling-in of the Varagians, and Political Purposes in Russian Chronicle-Writing from the Second Half of the 11th to the Beginning of the 12th Century, in: Varangian Problems. Report on the First International Symposium on the Theme „The Eastern Connections of the Nordic Peoples in the Viking Period and Early Middle Ages“, Moesgaard – University of Aarhus, 7th – 11th October 1968 (København 1970) 170–187; zit. nach SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 44. Die Emanzipation der Kiever Rus von Byzanz und die damit zusammenhängende kulturelle Umorientierung auf ihren nordisch-warägischen Ursprung im 12. Jahrhundert erlebte im 16. Jahrhundert eine kardinale Wende mit der Herrschaftsideologie der Rückbesinnung auf Russlands byzantinisches Erbe unter Ivan IV. (1530– 1584), wobei im „Stufenbuch der zarischen Genealogie“ (Kniga Stepennaja Carskogo Rodoslovija), das um 1563 entstand, die Abstammung Rjuriks vom sagenhaften Prus, einem Bruder des römischen Kaisers Augustus, konstruiert wurde; vgl. SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 56. Die „Europäisierung“ Russlands unter Peter I. (1672–1725) am Anfang des 18. Jahrhunderts führte zu einer tiefen Spaltung

556 Konstantin Kaminskij Deshalb wurde für die Debatten an der St. Petersburger Akademie auch die Frage nach der in Müllers Rede angekündigten historischen Etymologie des Russischen Reiches und die ethnische Zugehörigkeit der Novgoroder Gründungsstämme, vor allem der Rus’ und der Waräger, virulent6. Der Normannismus, der auf Gerhard Friedrich Müller zurückgeführt wird, interpretiert die Berufungslegende folgendermaßen: Die Slaven wurden von der Donau und vom Schwarzen Meer durch die Römer vertrieben, siedelten am Dnjepr, gründeten Kiev und breiteten sich nach Nordrussland aus, wo sie an der Stelle einer älteren warägischen Siedlung (Hólmgarðr) Novgorod gründeten und mit der indigenen Bevölkerung verschmolzen. „Waräger“ ist eine Eigenbezeichnung der skandinavischen Eroberer („Krieger“ von skandinavisch war; vgl. heute englisch war), zu denen auch der Stamm der Rus’ gehört, die mit Rjurik die erste regierende Dynastie in Novgorod gründeten und ihren Namen auf die Slaven übertrugen. Den Kern der Normannentheorie bildet die Analogie zwischen normannischen Eroberungen in Westeuropa und den warägischen Eroberungen im Ostseeraum7.

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zwischen den byzantinischen und westlich-romanischen Identitätskonstruktionen; vgl. Richard S. WORTMAN, Scenarios of Power. Myth and Ceremony in Russian Monarchy. From Peter the Great to the Death of Nicholas I. (Princeton 1995) 29. Die warägische Berufungslegende der Nestorchronik leistet in diesem Sinne eine weitreichende historisch-kulturelle Legitimation, wobei die Gründung St. Petersburgs in der Gründung Novgorods ihre Anfangserzählung erhält. (Bezeichnenderweise ließ Ivan IV., der zum letzten Rjurikiden auf dem russischen Thron werden sollte, die Bevölkerung von Novgorod 1570 in einem Akt bis dahin beispielloser Grausamkeit ausradieren, wofür er seinen Beinamen „der Schreckliche“ erhielt.) In den historischen Schriften des 17. Jahrhunderts herrschte im Allgemeinen Konsens darüber, dass die Waräger aus der holsteinischen Provinz Wagrien abstammen, eine These, die auf Siegmund von Herberstein zurückgeht, dessen 1549 erschienenes Buch Rerum Moscoviticarum commentarii bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zu den wichtigsten ethnographischen, geographischen und historischen Beschreibungen Russlands zählte. Leibniz schloss sich dieser These an, vermutete in den Wagriern/ Warägern aber keine slavischen Wenden, sondern dänische Normannen: SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 194. Den Namen der Russen leitete Leibniz von den Roxolanen ab: Die Alani sind auch allem ansehn nach ein Sarmatisch oder Slavonisch Volck gewesen und dürfften die Roxalani wohl ein alter Nahme der Russen seyn; zit. nach Woldemar GUERRIER, Leibniz in seinen Beziehungen zu Russland und Peter dem Grossen. Eine geschichtliche Darstellung dieses Verhältnisses nebst den darauf bezüglichen Briefen und Denkschriften (St. Petersburg–Leipzig 1873) 240. – Die ansonsten in diesem Band durchgeführte Normalisierung von Titeln und Zitaten vor 1800 wurde in diesem Beitrag unterlassen. Die bedeutendsten Streitfragen der Normannentheorie – die skandinavische Abstammung der Waräger und ihre staatsgründende Rolle in Nordrussland – wurden in den Schriften, vor allem der für die Historiographie des 18. Jahrhunderts einflussreichen Abhandlung De Varagis des Königsberger Orientalisten Gottlieb Siegfried Bayer

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Der Antinormannismus hingegen, der auf Michail Lomonosov (1711– 1769)8, Müllers Kontrahenten im Akademiestreit, zurückgeführt wird, schlägt folgende Interpretation der Berufungslegende vor: Die Urbevölkerung von Novgorod setzt sich aus assimilierten Finnen und Slaven zusammen, die sich selbst als Russen (Rus’) bezeichnen. Der Name Rus’ ist eine lautliche Transformation von „Roxolanen“, von denen die Russen abstammen sollen. „Waräger“ ist eine baltisch-slavische Sammelbezeichnung für multiethnische Kampfverbände der Ostseeräuber („Feinde“ oder „Diebe“ von russisch vrag beziehungsweise vor). Deren Anführer Rjurik sei deshalb nicht skandinavischer, sondern baltischer oder westslavischer Herkunft9.

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formuliert, der seit der Gründung der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg 1725 dort die Professur für griechische und römische Altertümer übernahm: Gottlieb Siegfried BAYER, De Varagis. Commentarii Academiae Scientiarum Imperialis Petropolitanae 4 (1735) 275–311. Zu Bayer vgl. Franz BABINGER, Gottlieb Siegfried Bayer (1694–1738). Ein Beitrag zur Geschichte der morgenländischen Studien im 18. Jahrhundert (Leipzig 1916). Gilt Leibniz gemeinhin als der letzte Universalgelehrte Europas, so gilt Lomonosov als Russlands erster: Verfasser des ersten Gedichts in korrektem Versmaß (1738) und Begründer der neueren russischen Literatur; Verfasser des ersten russischen Rhetorik-Handbuchs (1748), der ersten russischen Grammatik (1755) und der ersten russischsprachigen Abhandlung zur russischen Geschichte (1765); einer der beiden ersten russischstämmigen Professoren an der St. Petersburger Akademie (1745); Gründer des ersten russischen Chemie-Laboratoriums (1748); Gründer und Besitzer der ersten russischen Glasmanufaktur (1754); Begründer der Elektrizitätsforschung in Russland (1753) und Gründer der ersten russischen Universität in Moskau (1755). Lomonosov hat sich in die Anfangserzählungen zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen eingeschrieben und in hohem Maße die Selbstwahrnehmung der nationalen Wissenschaftstradition geprägt, die sich in Auseinandersetzung mit der europäischen Wissenschaft als patriotische Mythenschöpfung konstituiert. Exemplarisch für die Konzeption der Gründungsrolle Lomonosovs in der russisch-sowjetischen Wissenschaftsgeschichtsschreibung: Boris KUZNECOV, Patriotizm russkich estestvoispytatelej i ich vklad v nauku (Moskva 1951). Der Erfolg von Lomonosovs Argumentation, den er in den gut dokumentierten Debatten an der Akademie davontrug, gründet vor allem darauf, dass Lomonosov eine kohärente slavische Etymologie der Flussnamen aufführen konnte; vgl. Michail Vasil’eviþ LOMONOSOV, Zameþanija na dissertaciju Millera, in: Polnoe sobranie soþinenij, 6: Trudy po russkoj istorii 1747–1764 gg., hg. von Sergej Ivanoviþ VAVILOV (Moskva–Leningrad 1952) 19–80, hier 32f. Diese Argumentationsmethode (Hydronymie), die Leibniz in seiner Abhandlung Dissertatio de origine Germanorum (1697) mit polemischer Haltung gegenüber dem schwedischen Gothizismus an den Tag legte, war für die Rhetorik des Normannenstreits instruktiv: vgl. Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Dissertatio de origine Germanorum seu Brevis disquisitio, utros incolarum Germaniae citerioris aut Scandicae ex alteris initio profecto, verosimilius sit judicandum, in: DERS., Opera omnia 4/2 (Genève 1768) 198–205.

558 Konstantin Kaminskij Die Herausbildung dieser Interpretationsparadigmen im Normannenstreit an der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften um 1750 wurde so zur Gründungsschlacht der russischen Geschichtswissenschaft. Der Antinormannismus prangert die Theorie der skandinavischen Abstammung Rjuriks als ein ideologisches Konstrukt an, der die russische Staatsgründung als einen normannischen bzw. westeuropäischen Kulturexport darstellt. Die Vertreter der Normannentheorie hingegen desavouieren ihrerseits den Antinormannismus als ein pseudo-wissenschaftliches Geschichtsbild, das die objektiven Methoden der Geschichtsforschung durch patriotische Propaganda korrumpiere. Normannismus und Antinormannismus sind zwei Aussagesysteme, die sich aus einem Paradigma speisen. So kontradiktorisch sie sich in ihrer gegenseitigen Polemik gebaren, so komplementär verhalten sie sich im Grunde zueinander. Denn durch die interpretative Rekonstruktion der historischen Ereignisse wird die Vergangenheit danach „befragt“, wohin sich nationale und kulturelle Identität der Russen in der Zukunft orientieren soll. Birgit Scholz, die eine umfangreiche quellenkritische Studie zur Warägerfrage anhand von russischen, deutschen und skandinavischen Überlieferungstraditionen vorgelegt hat, sieht die Ursache des Normannenstreites in einer Kommunikationsstörung zwischen russischen und deutschen Wissenschaftlern an der Akademie, die „aneinander vorbeiredeten“. Den Normannenstreit betrachtet sie als ein „Produkt des Kampfes der westeuropäischen Wissenschaften um ihre objektive Geltung und des Kampfes der Russen um ihre nationale Identität“10. Geht man dieser Kampf-These auf den Grund, betrachtet man ihre Ausformulierungen in den Debatten des 19. und 20. Jahrhunderts11, so muss unweigerlich der Eindruck entstehen, dass die „nationale Identität der Russen“ sich von der „objektiven Geltung der westeuropäischen Wissenschaften“ wenn nicht angegriffen, so doch zutiefst verunsichert wähnt. Dies mag umso mehr erstaunen, wenn man bedenkt, dass die Aufnahme der Verhandlungen zwischen dem Russischen Reich und der res publica litteraria als ein vielversprechender, freundschaftlicher Dialog begann.

10 SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 112. 11 Besonders die sowjetische Historiographie pflegte das Bild der russischen nationalen Geschichtswissenschaft, die sich am Anfang in einer Art Befreiungskampf gegen die „normannische“ Okkupation der ausländischen Gelehrten durchsetzen musste; vgl. Michail ALPATOV, Russkaja istoriþeskaja mysl’ i Zapadnaja Evropa XII –XVII vv. (Moskva 1973) 47: „Der Sieg von Poltawa vernichtete die Ambitionen des schwedischen Eroberers Karl XII., Bayers Normannentheorie führte mit Rjuriks Schwert einen Hieb auf die nationalen Ambitionen der Russen über die historische Flanke“ (Übersetzung des Verfassers).

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II. Ein Dialog vor einer leeren Tafel Es schien der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, als Peter I. im Oktober 1711 mit Gottfried Wilhelm Leibniz in Torgau zusammentraf12. In Leibniz fand der russische Zar einen Gelehrten, der sich ihm nicht nur mit seinem Ruf, seinen Beziehungen und seiner Erfahrung in puncto Akademiegründung zur Verfügung stellte, sondern auch das Modell eines höfischen Naturphilosophen repräsentierte, das Peter I. für sein Reich zu applizieren bestrebt war13. In Peter I. begegnete der deutsche Gelehrte wiederum einem Herrscher, der nicht nur ein offenes Ohr für sein Aufklärungsprogramm hatte, sondern auch das „monadische Ideal“ eines aufgeklärten Philosophenkönigs verkörperte14. Das Russische Reich schien Leibniz ebenfalls das optimale Terrain für die Umsetzung seiner Aufklärungsideale zu sein, eine tabula rasa, durch die langwierige (Fehl-) Entwicklung europäischer Bildungslandschaft nicht vorbelastet und gerade deshalb für eine „saubere“ Übertragung der aufgeklärten Gelehrsamkeit prädestiniert15. Die Aufnahme des Dialogs zwischen dem Russischen Reich und der Gelehrtenrepublik war zu diesem Zeitpunkt bereits von zwei kardinalen Missverständnissen geprägt. Das erste bestand darin, dass man bei der Bildungslandschaft nur äußerst bedingt von einer unbeschriebenen Tafel sprechen könnte. Wie in der neueren Forschung herausgearbeitet wurde, war das rus12 Dieses Treffen war von einer großen symbolischen Bedeutung, da es im Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten des Sohns Peters I., Alexej Petroviþ Romanov, mit Charlotte Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel stattfand und sowohl den Bund der Romanov-Dynastie mit den Welfen und Habsburgern als auch den des russischen Absolutismus mit der Gelehrtenrepublik besiegelte. Der Geschichte und Dokumentation dieser ungewöhnlichen Liaison zwischen Peter I. und Leibniz wurde in der internationalen Forschungsliteratur viel Aufmerksamkeit geschenkt: vgl. Michael GORDIN, The Importation of Being Earnest: The Early St. Petersburg Academy of Sciences. Isis 91 (2000) 6 Anm. 9. 13 Wie Michael Gordin gezeigt hat, sollte mit dem „Modell Leibniz“ nicht nur eine Forschungs- und Bildungsstruktur nach Russland importiert werden, sondern ebenfalls ein entsprechender Verhaltenskodex sozialer Kommunikation. Den Repräsentanten der westlichen Wissenschaft in Russland kam damit eine bestimmte Vorbildfunktion in Sachen Manieren und Betragen zu, die bei der Herausbildung einer nationalen Gelehrtenschicht in Russland etabliert werden sollten: vgl. GORDIN, Importation (wie Anm. 12) 15. Damit sollte im beschleunigten Modus ein Erziehungsprojekt der Aufklärung in Russland integriert werden, das auf einen langwierigen Prozess der Herausbildung sozialer Interaktionsnormen der Gelehrtenschicht in der ständischen Ordnung Europas zurückging. Vgl. dazu Marian FÜSSEL, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit (Darmstadt 2006). 14 GORDIN, Importation (wie Anm. 12) 6. 15 Vgl. GUERRIER, Leibniz (wie Anm. 6) 95.

560 Konstantin Kaminskij sische Bildungswesen seit dem 17. Jahrhundert durch die Verbreitung des polnisch-ukrainischen Modells der Geistlichen Akademien geprägt, die ihrerseits erfolgreich die Tradition jesuitischer und piaristischer Bildungseinrichtungen mit den Anforderungen der orthodoxen Kirche amalgamierten16. Dieses „süd-westliche“ Modell der katholisch-orthodoxen Bildung stand am Anfang des 18. Jahrhunderts dem „nord-westlichen“ Modell der protestantischen Universitäten gegenüber, das mit der Gründung der St. Petersburger Akademie nach Russland importiert wurde17. Das zweite Missverständnis betraf die Importware selbst. Peter I. hatte das Modell der von Leibniz 1700 mitbegründeten Berliner KurfürstlichBrandenburgischen Societät der Wissenschaften vor Augen, um damit eine zentralisierte nationale Bildungs- und Forschungsverwaltung in Russland zu instituieren18. Leibniz seinerseits wollte im Endeffekt Russland in die supranationale Gelehrtenrepublik eingliedern, denn ausgerechnet die russische tabula rasa entsprach in seiner Vorstellung dem Ideal einer von den Nationalstaaten unabhängigen Entwicklung der Wissenschaften19. Als Ergebnis des Dialogs zwischen Peter I. und Leibniz stellt die 1725 gegründete Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg in ihrer Zeit den östlichsten Ableger der europäischen Wissenschaftskultur dar und wurde bereits unter den Zeitgenossen als die abschließende Krönung des Reformwerks Peters I. betrachtet20. Insbesondere für die deutsche Universitätslandschaft bot die St. Petersburger Akademie eine Markterweiterung in Hinblick auf den Export von akademischen Strukturen und Dienstleistungen. Das russische „Paradies der Gelehrten“21 wurde von einem Strom 16 Grundlegend dazu Max J. OKENFUSS, The Rise and Fall of Latin Humanism in Early Modern Russia. Pagan Authors, Ukrainians, and the Resiliency of Muscovy (Brill’s Studies in Intellectual History 64, Leiden–New York–Köln 1995). 17 Vgl. Ljudmila POSOCHOVA, Transformacija obrazovatel’noj tradicii v Vostoþnoj Evrope XVII – XVIII vv., in: „Byt’ russkim po duchu i evropejcem po obrazovaniju“. Universitety Rossijskoj imperii v obrazovatel’nom prostranstve Central’noj i Vostoþnoj Evropy XVIII – naþala XX v., hg. von Andrej ANDREEV (Moskva 2009) 51. 18 Vgl. GORDIN, Importation (wie Anm. 12) 5. 19 Im Konzept eines Briefes an Peter den Großen vom 16. Januar 1712 formulierte Leibniz: Ich werde es mir vor die gröste Ehre, Vergnügung und Verdienst schätzen E. Gr. Cz. M. in einem so löblichen und gottgefälligen Werke dienen zu können; denn ich nicht von den bin, so auff ihr Vaterland, oder sonst auf eine gewisse Nation, erpicht seyn; sondern ich gehe auf den Nutzen des gantzen menschlichen Geschlechts; denn ich halte den Himmel für das Vaterland und alle wohlgesinnte Menschen für dessen Mitbürger. (zit. nach: GUERRIER, Leibniz [wie Anm. 6] 208). 20 Vgl. James E. MCCLELLAN, Science Reorganized. Scientific Societies in the Eighteenth Century (New York 1985) 75. 21 Dieses Image prägte Christian Wolff, als er 1727 Leonhard Euler nach St. Petersburg verabschiedete. Vgl. Rudolf MUMENTHALER, Im Paradies der Gelehrten. Schweizer Wissenschaftler im Zarenreich (1725–1917) (Zürich 1996) 12.

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deutscher Wissenschaftler, Bibliothekare, Verleger, Buchhändler, Übersetzer, Ärzte, Ingenieure, Gerätemacher, Sekretäre und Hauslehrer überflutet. Die Osterweiterung der Gelehrtenrepublik lockte vor allem auch Geisteswissenschaftler mit großzügigen Honoraren, der Verheißung steiler wissenschaftlicher Karrieren und bahnbrechender Entdeckungen auf einer terra incognita des europäischen kulturellen Bewusstseins22. Geradezu beispielhaft dafür verlief die Karriere von Gerhard Friedrich Müller, der als 20-jähriger Student 1725 in den Dienst der Russischen Akademie eintrat23. Die Ausbildung, die Müller in Leipzig bei Johann Burckhardt 22 Diesen besonderen Abenteurer-Geist der deutschen Studierten in Russland, der bis in die 1760er Jahre anhielt, schildert August Ludwig Schlözer in seinen Memoiren: Das Laufen und Rennen aus Deutschland nach Rußland, sonderlich von Studierten, war damals (1760) vorzüglich stark. Die Toren wänten, nirgends ließe sich leichter Fortüne machen, als da; vielen stak der aus Jena relegierte Studiosus Theologiae (Ostermann, der zuletzt russischer ReichsCanzler geworden war) im Kopf: alle suchten wenigstens unterzukommen, aber eben das ward durch die starke Conkurrenz erschwert: August Ludwig SCHLÖZER, August Ludwig Schlözer’s öffentliches und privat-Leben, von ihm selbst beschrieben (Göttingen 1802) 31. 23 Die Gestalt Müllers, dessen Leistungen als Historiker in der sowjetischen Historiographie teils verfemt, teils ignoriert wurden, erlebt seit etwa 2000 eine Renaissance in der russischen Geschichtswissenschaft: vgl. Peter HOFFMANN, Gerhard Friedrich Müller (1705–1783). Historiker, Geograph, Archivar im Dienste Russlands (Frankfurt am Main 2005) 25. Die schrittweise Rehabilitierung Müllers durch die DDRHistoriker, die mit der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Müller und Leonhard Euler einsetzte (Die Berliner und Petersburger Akademie der Wissenschaften im Briefwechsel Leonhard Eulers. Bd. 1: Der Briefwechsel Leonhard Eulers mit Gerhard Friedrich Müller 1735–1767, hg. von Adolf Pavleviþ JUŠKEVIý–Eduard WINTER [Berlin-Ost 1959]), schlug sich bereits Ende der 1980er Jahre in einigen Publikationen nieder. Besonders hervorzuheben sind die englischsprachige Biographie Müllers (Joseph Laurence BLACK, G.-F. Müller and the Imperial Russian Academy [Kingston 1985]) und die Monographie von Larisa P. BELKOVEC, Rossija v nemeckoj istoriþeskoj žurnalistike XVIII v. G. F. Miller i A. F. Bjušing (Tomsk 1988), die den Briefwechsel zwischen Gerhard Friedrich Müller und Anton Friedrich Büsching (1724–1793) eingehend untersucht hat. Die vollständige Edition der Korrespondenz zwischen Müller und Büsching in deutscher Sprache besorgte Peter Hoffmann: Geographie, Geschichte und Bildungswesen in Rußland und Deutschland im 18. Jahrhundert. Briefwechsel Anton Friedrich Büsching – Gerhard Friedrich Müller 1751 bis 1783, hg. von Peter HOFFMANN (Berlin 1995). 1996 erschienen erstmalig einige ausgewählte Arbeiten Müllers zur russischen Geschichte in russischer Sprache: Gerard Fridrich MILLER, Soþinenija po istorii Rossii. Izbrannoe, hg. von Aleksandr B. KAMENSKIJ (Moskva 1996). Seit 1999 wurde eine kritisch edierte Neuauflage von Müllers „Geschichte Sibiriens“ veröffentlicht: Gerard Fridrich MILLER, Istorija Sibiri. 3 Bd. (Moskva 1999–2005). Eine gesonderte Sektion erhielt Müller im Sammelband zur Geschichte der Deutschen in St. Petersburg: Galina Ivanovna SMAGINA, Nemcy v Rossii, Peterburgskie nemcy (Sankt-Peterburg 1999). 2002 erschien eine

562 Konstantin Kaminskij Mencke genossen hat, qualifizierte ihn für äußerst vielfältige Einsatzgebiete in Diensten der St. Petersburger Akademie, wo er zuerst Geschichte, Geographie und Latein am akademischen Gymnasium lehrte, die Redaktion der St. Petersburger Zeitung besorgte und die Akademiearchive verwaltete. 1731 wurde Müller bereits zum Professor für Geschichte an der Akademie ernannt. 1732 beginnt er mit der Herausgabe der Sammlung russischer Geschichte – eines mit Unterbrechungen bis 1765 erscheinenden Kompendiums, welches dem deutschsprachigen Lesepublikum Quellenübersetzungen und Fachartikel zur russischen Geschichte vermittelte24. 1733 bis 1743 nahm Müller an der Großen Nordischen Expedition teil – er bereiste Sibirien in diesen zehn Jahren mit dem Auftrag, die dortigen Archive auszuwerten sowie eine geographische, ethnographische und historische Beschreibung Sibiriens anzufertigen. Zurück in St. Petersburg wird Müller 1747 zum Rektor der akademischen Universität und ein Jahr später zum Historiographen an dem neugegründeten Historischen Departement der Akademie ernannt. 1748 nahm Müller die russische Staatsbürgerschaft und einen russischen Namen an und hieß fortan Fjodor Ivanoviþ Miller. So beispiellos erfolgreich Müllers Karriere an der St. Petersburger Akademie – vom mittelosen Studenten zum Reichshistoriographen und Mitbegründer der russischen Geschichtswissenschaft – auf den ersten Blick erscheinen mag, so beispielhaft erweist sie sich beim näheren Hinsehen für Reprint-Ausgabe von Müllers „Sammlung russischer Geschichte“ in vier Bänden: Gerhard Friedrich MÜLLER, Sammlung rußischer Geschichte des Herrn Collegienraths Müllers in Moscow. Faksimile-Reprint der Ausg. Offenbach 1777–1779 (Chestnut Hill, MA 2002); weiters eine Monographie über Müllers eigentümliche ethnographische Methodologie, die seiner Sibirischen Geschichte zugrunde lag: Gudrun BUCHER, „Von Beschreibung der Sitten und Gebräuche der Völcker“. Die Instruktionen Gerhard Friedrich Müllers und ihre Bedeutung für die Geschichte der Ethnologie und der Geschichtswissenschaft. (Stuttgart 2002). 2005 publizierte Peter Hoffmann eine detaillierte deutschsprachige Biographie Müllers (vgl. oben), die von seiner 50-jährigen intensiven Forschung zu deutsch-russischen wissenschaftlichen Beziehungen im 18. Jahrhundert profitiert. 2006 wird erstmalig die russischsprachige Version der Rede Origines gentis et nominis Russorum in Müllers „Ausgewählten Werken“ veröffentlicht: Gerard Fridrich MILLER, Izbrannye trudy, hg. von Simon S. ILIZAROV (Moskva 2006). 2007 erschien ein umfassender Sammelband unter Beteiligung russischer und deutscher Historiker, welcher der vielfältigen akademischen Tätigkeit Müllers und seiner Bedeutung für das westeuropäische Russlandbild im 18. und 19. Jahrhundert Rechnung trägt: G. F. Miller i russkaja kul’tura, hg. von Dittmar DAHLMANN–Galina Ivanovna SMAGINA (Sankt-Peterburg 2007). 24 Zur zeitgenössischen Rezeption Müllers in Deutschland vgl. Gudrun BUCHER, Auf verschlungenen Pfaden. Die Aufnahme von Gerhard Friedrich Müllers Schriften in Europa, in: Die Kenntnis Rußlands im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert. Wissenschaft und Publizistik über das Russische Reich, hg. von Dittmar DAHLMANN (Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte 2, Göttingen 2006) 111–124.

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die prekäre soziale Stellung der neuen Gelehrtenschicht in Russland in den Gründerjahren der Akademie25. Müllers Hinwendung zur russischen Geschichte 1731 bedeutete für den jungen Mann eine Art Notlösung, nachdem seine Hoffnungen, eine Karriere in der Akademieverwaltung unter der Leitung von Johann Daniel Schuhmacher zu machen, gescheitert waren26. Die Teilnahme an der Sibirienexpedition um 1733 bedeutete für Müller nach dem Zerwürfnis mit dem Kanzler der Akademie eine Art Flucht aus St. Petersburg. Bei seiner Rückkehr nach St. Petersburg 1743 fand Müller die Akademie gespalten vor. Schuhmacher war verhaftet und musste sich vor einer Untersuchungskommission wegen Korruptionsvorwürfen verantworten. Müller ergriff die Partei Schuhmachers in der Akademieversammlung und kam dabei in direkte Konfrontation mit Lomonosov – dem Wortführer der russischen Gelehrten, die sich gegen Schuhmacher gewendet hatten27. Die unter Müllers 25 Die Situation der Gelehrten an der Akademie war stets durch ein ausgeprägtes Konkurrenzverhalten gegenüber der Akademie-Kanzlei unter der Leitung von Johann Daniel Schuhmacher (1690–1761) gekennzeichnet. Der aus Colmar stammende Schuhmacher machte in Russland eine Karriere als Bibliothekar Peters I. Zu Beginn der 1730er Jahre musste sich Schuhmacher wiederholt mit den Vorwürfen des „bürokratischen Despotismus“, der Korruption und Vetternwirtschaft auseinandersetzen: vgl. Petr Petroviþ PEKARSKIJ, Istorija Imperatorskoj Akademii Nauk v PeterburgČ Petra Pekarskago. Izdanie otdČlenija russkago jazyka i slovesnosti Imperatorskoj Akademii Nauk, Bd. 1. (St. Petersburg 1870) 336f. 26 Vgl. P EKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 318: Müller war nach seiner Ankunft in St. Petersburg zunächst Schuhmachers Assistent, pflegte ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm und machte seine Karriereaussichten von Schuhmachers Protektion abhängig. 1730 trat Müller eine Reise nach Europa an, um nach dem Tod seines Vaters seine privaten Angelegenheiten zu regeln und wurde dabei von Schuhmacher mit einigen diplomatischen Aufgaben in England und Holland betraut. Zurück in St. Petersburg fand sich Müller mit feindseligem Verhalten seitens Schuhmachers konfrontiert. Dieser weigerte sich die versprochenen Reisespesen auszuzahlen. In seiner Wohnung fand Müller seinen Schrank erbrochen, der die Korrespondenz mit Schuhmacher enthielt, die spurlos verschwunden war. Müller musste seine Zukunftspläne einer grundlegenden Änderung unterwerfen, wie er Grigorij Teplov in einem Brief vom 25. Oktober 1748 mitteilte: „Dann schwanden meine Hoffnungen sein [Schuhmachers] Schwiegersohn und Amtsnachfolger zu werden. Ich hielt es nun für angebracht, mir einen anderen Weg in der Wissenschaft zu bahnen – dies war die russische Geschichte, die ich nicht nur eifrig zu erlernen beschloss, sondern auch anderen nach den besten Quellen bekannt zu machen. Ein mutiges Unterfangen!“ (zit. nach PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 318; Übersetzung des Verfassers). 27 Unter anderem wurde Schuhmacher vorgeworfen, dass er die deutschen Wissenschaftler an der Akademie begünstigt und damit die ursprüngliche Zielsetzung der Akademie – russische Wissenschaftskader zu fördern, untergraben habe: vgl. PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 38. Letztendlich konnte Schuhmacher sich gegen

564 Konstantin Kaminskij aktiver Mitwirkung an die Kaiserin verfasste Bittschrift, Lomonosov künftig von den Akademieversammlungen auszuschließen, beschuldigte Lomonosov in erster Linie grober Verstöße gegen den Verhaltenskodex – „unerträgliche Beleidigungen“ und „unerhörte Beschimpfungen“ – „Dies hatte Lomonosov Müller nie verziehen.“28 Wie auch andere ausländische Akademiemitglieder, die sich in der Vergangenheit über Schuhmacher beklagt hatten, sich aber während der Untersuchung auf seine Seite geschlagen haben, spekulierte Müller darauf, dass Schuhmacher im Endeffekt den Forderungen der Wissenschaftler gegenüber in Zukunft kulanter sein würde, wenn er sich einer starken Partei feindlich gesinnter russischstämmiger Gelehrter gegenüber sähe. Dieses Kalkül ging nicht auf. Als Müller 1744 die Gründung eines historischen Departements an der Akademie beantragte, das ihm eine weitgehende Unabhängigkeit von Schuhmacher und der akademischen Kanzlei sichern sollte, wurde sein detaillierter Antrag 1746 nach langwieriger Bearbeitung abgelehnt. 1747 lief Müllers Kontrakt mit der Akademie aus. Im Zuge der Verhandlungen über die Vertragsverlängerung wurde die Gründung des historischen Departements doch noch bewilligt und Müller bekam die Stellung des Reichshistoriographen und wurde zum Rektor der akademischen Universität ernannt29. Beide Ämter sicherten ihm ein großzügiges Einkommen die Vorwürfe seiner Ankläger durchsetzen und seine Machtstellung in der Akademiekanzlei ausbauen. Dennoch brachte dieser Vorfall deutlich zu Tage, dass sich das geistige Klima in Russland in Bezug auf Ausländer seit der Thronbesteigung der Kaiserin Elisabeth I. 1741 grundlegend gewandelt hatte. Für die Akademie bedeutete dies in erster Linie, dass neben dem alten Antagonismus zwischen der akademischen Konferenz (dem Selbstverwaltungsorgan der Gelehrten) und der akademischen Kanzlei unter Schuhmachers Leitung nun das schwelende Konkurrenzverhalten von ausländischen und russischstämmigen Akademiemitgliedern hinzukam. Vgl. dazu Ludmilla SCHULZE, The Russification of the St. Petersburg Academy of Sciences and Arts in the eighteenth century, in: The British Journal for the History of Science 18/3 (1985) 315. 28 PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 336. Kurz vor seinem Tod entwarf Lomonosov 1765 einen deutschsprachigen Brief an Euler: Sie wußten genug, was Schuhmacher in Ansehung der Gelehrten für ein Schelm gewesen, und daß sein Lehrling, SchwiegerSohn und Nachfolger noch Ärger ist; daß Müller ein Ignorant und von den aller ersten Professoribus flagellum professorum genannt, ein lebendiger Machiavel und stetiger Stöhrer der academischen Ruhe ist und immer gewesen. (zit. nach HOFFMANN, Müller (wie Anm. 23) 125. 29 Im Vorfeld der Verhandlungen wurde im Juli 1747 das Reglement der Akademie von der Kaiserin bestätigt. Gemäß diesem Regelwerk, das erneut die Heranbildung der russischstämmigen wissenschaftlichen Kader als primäres Ziel der Akademie fokussierte, wurde die geisteswissenschaftliche Klasse der Akademie ausgegliedert. Die Geisteswissenschaften wurden der akademischen Universität übertragen und die Stellung des Rektors an das Amt des Historiographen gekoppelt: vgl. Galina

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und befreiten ihn sogar von der Pflicht, Vorlesungen abzuhalten. Der neue Vertrag war allerdings mit strengen Auflagen verbunden30. Seit der Gründung der St. Petersburger Akademie 1725 war nahezu ein Vierteljahrhundert vergangen. In dieser Zeit war die Akademie stets von Finanzierungsschwierigkeiten und internen Zwistigkeiten betroffen gewesen, die ihrem Prestige beim Hofe und im Ausland abträglich waren. Wissenschaftler erhielten zeitweise kein Gehalt; der Antagonismus zwischen den Akademiemitgliedern und der Akademieverwaltung sorgte für permanente Spannungen, die ein intaktes Funktionieren des akademischen Betriebs behinderten. Die Verabschiedung des Akademiereglements von 1747 trug maßgeblich zur institutionellen Stabilisierung der Akademie bei und sicherte ihr erneut großzügige Finanzierung zu31. Es schien zu diesem Zeitpunkt, dass der Dialog zwischen der Gelehrtenrepublik und dem Russischen Kaiserreich nach anfänglichen Schwierigkeiten eine gemeinsame Kommunikationsbasis gefunden hatte, auf der die Interessen der Gelehrten, der Akademieverwaltung und des Kaiserhofes zur Übereinkunft kommen könnten. Es galt nun die Ergebnisse der Akademietätigkeit präsentabel zu machen und in das geistige Leben der Hauptstadt zu integrieren. Im Reglement von 1747 war die jährliche Durchführung öffentlicher Akademieversammlungen vorgesehen, die durch die Anwesenheit der Kaiserin das Interesse des Hofes an der Verbreitung der Gelehrsamkeit in Russland demonstrieren sollten.

III. Ein unterbrochener Monolog Die erste öffentliche Akademieversammlung war für den 6. September – im Zuge der Feierlichkeiten des Namenstages der Kaiserin – angesetzt. Laut SMAGINA, Akademik G.F. Miller i ego „Proekt Reglamenta Akademiþeskogo universiteta“ (1748), in: ANDREEV, Byt’ russkim (wie Anm. 17) 54f. 30 Müller war gezwungen die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, was er nur äußerst unwillig tat. Vgl. PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 345. Außerdem verpflichtete der Vertrag Müller dazu, sich ausschließlich auf die Abfassung der Sibirischen Geschichte zu konzentrieren und erlaubte ihm erst nach deren Fertigstellung, sich dem Studium der Russischen Geschichte zu widmen. Darüber hinaus schrieb der Vertrag Müller vor, seine gesamte Korrespondenz mit europäischen Gelehrten ausschließlich über die Akademiekanzlei zu führen.1748 wurde darüber hinaus an der Akademie das Gremium der Historischen Versammlung (dem unter anderen Lomonosov angehörte) ins Leben gerufen, dessen Aufgabe es war, die Arbeit Müllers zu überwachen. 31 Vgl. Petr Petroviþ PEKARSKIJ, Istorija Imperatorskoj Akademii Nauk v PeterburgČ Petra Pekarskago. Izdanie otdČlenija russkago jazyka i slovesnosti Imperatorskoj Akademii Nauk, Bd. 2. (Sanktpeterburg 1873) XXXf.

566 Konstantin Kaminskij dem Einladungsschreiben vom 2. September 1749 sollte Herr Professor, Rektor der Universität und Historiograph Gerard Fridrich Miller eine Dissertation über den Anfang des russischen Volkes und warum dieses so heißt, lesen; Herr Professor für Chemie, Michajlo Lomonosov ein Panegyrikos zu Ehren Ihrer Kaiserlichen Majestät vortragen32. Es kann nicht verwundern, dass ausgerechnet die beiden Kontrahenten Müller und Lomonosov, deren Wege sich in der Vergangenheit mehrfach gekreuzt hatten und bei beiden wenig erfreuliche Erinnerungen hinterlassen haben mögen33, für den feierlichen Vortrag ausgewählt wurden. In gewisser Weise waren Müller und Lomonosov die idealen Repräsentanten des Dialogs zwischen dem Russischen Reich und der Gelehrtenrepublik. Müller, der kurz zuvor auf Lebenszeit in russische Dienste getreten war und laut Schuhmachers Begründung für dessen Nominierung „eine recht ordentliche russische Aussprache, eine laute Stimme und eine Geistesgegenwart, die an Frechheit grenzt“34, besaß, repräsentierte die erste Generation der aus Europa nach Russland importierten Gelehrtenschicht. Lomonosov gehörte zur ersten Generation russischer Gelehrten, denen die Förderung durch die Akademie ein Studium in Marburg bei Christian Wolff und Freiberg bei Johann Friedrich Henckel ermöglicht hatte, ebenfalls war er einer der ersten russischstämmigen Professoren und Akademiemitglieder (1745) und galt als der bedeutendste russische Hofdichter, der im Verfassen von Lobreden und Gedichten geübt war und darüber hinaus 1748 mit seiner Kurzen Anleitung zur Wohlredenheit das erste russischsprachige Rhetorik-Handbuch verfasste35. Schuhmachers Entscheidung, die beiden ver32 Die Ankündigung der feierlichen Versammlung der Akademie zitiert nach der Einleitung des Herausgebers (Simon S. Ilizarov) in: MILLER, Izbrannye trudy (wie Anm. 23) 13f. 33 So ist bekannt, dass am 20. Oktober 1748 die ersten russischstämmigen Professoren der Akademie, Michail Lomonosov und Vasilij Trediakovskij, in Müllers Wohnung gewaltsam eingedrungen seien und seine Schränke durchsucht und die genealogischen Tabellen russischer Adelsgeschlechter beschlagnahmt haben sollen: vgl. Aleksandr KAMENSKIJ, Sud’ba i trudy istoriografa Gerarda Fridricha Millera (1705–1783), in: MILLER, Soþinenija (wie Anm. 23) 383. 34 Zit. nach PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 359 (Übersetzung des Verfassers). 35 Die Ausbildung in klassischer Rhetorik, die Lomonosov an der Moskauer Geistlichen Akademie erhielt, stellte bereits ein Amalgam lateinischer und kirchenslawischer Tradition dar. Vgl. Renate LACHMANN, Die Zerstörung der schönen Rede. Rhetorische Tradition und Konzepte des Poetischen (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 93, München 1994) 184: „Das Kirchenslavische richtete sich am Latein als einem funktionalen Paradigma aus. Ein funktional weitergefächertes Kirchenslavisch war nicht mehr ausschließlich Sprache der kirchlich-orthodoxen, sondern auch der weltlich-westlichen Bildung.“ Zu weiteren wichtigen Einflüssen auf Lomonosovs Rhetorik und Poetik zählen die polnische Barockrhetorik (vgl. LACH-

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feindeten Gelehrten vor der Kaiserin und dem Hofstaat auftreten zu lassen, mag der Überlegung entsprungen sein, damit einen Konsens der Akademie zu demonstrieren, der einen Schlussstrich unter die harschen Zwistigkeiten der letzten Jahre ziehen und damit einen intakten Akademiebetrieb vorführen sollte. Der konstruktive Dialog russischer und europäischer Gelehrter sollte ausgerechnet in den Monologen ihrer Repräsentanten Ausdruck finden. Doch dazu kam es nicht. Auf Weisung des Präsidenten der Akademie wurde die Festveranstaltung auf den 26. November (im Zuge der Krönungstagfestivitäten zu Ehren der Kaiserin Elisabeth I.) verschoben. Stattdessen wurden die gedruckten Exemplare der geplanten Rede Müllers am 6. September an ausgewählte Akademiemitglieder verschickt, mit der Aufforderung „zu untersuchen, ob sich in dieser Rede etwa Vorurteile gegenüber Russland finden lassen?“36 Eine Woche später lagen die Urteile der Rezensenten der akademischen Kanzlei vor und am 27. September wurde der Beschluss gefasst, Müller von der öffentlichen Versammlung auszuschließen und die bereits gedruckten Exemplare der Rede über die Herkunft des Volkes und des Namens der Russen aus dem Verkehr zu ziehen und bis auf weiteres im Kanzleiarchiv zu verwahren37. Was also war an Müllers skandalöser Rede so verbrecherisch, dass sie eine Sicherheitsverwahrung provozierte? Im Eröffnungsteil der Rede kündigt Müller seinen Zuhörern an, sie über ihre Geschichte und ihre Herkunft aufzuklären. Nachdem er die herkömmlichen Etymologien und Abstammungstheorien der Russen von den Roxolanen oder Skythen und Sarmaten her bereits zu Beginn seiner Ausführungen zurückweist und die Slaven als fremde, vom Schwarzen Meer durch die Römer vertriebene Ankömmlinge im Ostseeraum darstellt, führt er die Skandinavier als Gründer des Novgoroder Staatswesens ein: „So viel zu den Slaven. Berichten wir noch von einem anderen Volke, von dem Russland nicht nur bevölkert ist, sondern auch ihre Zaren und ihren Namen erhielt. Dieses Volk war am Anfang in seiner Sprache und Lebensweise den Slaven sehr verschieden, doch vermischten sich in der Folge beide Völker aufs Engste, so dass es bereits seit mehreren Jahrhunderten unmöglich ist, sie auseinanderzuhalten. Nämlich als die Slaven bereits über Russland herrschten, kamen von Zeit zu Zeit vom Norden die Skandinavier, ein Volk, das durch die Stärke seiner Waffen am Meer und zu MANN, Zerstörung 148), Gottscheds Ausführliche Redekunst und Critische Dichtkunst, sowie Boileaus L’Art poétique: vgl. Harsha RAM, The Imperial Sublime. A Russian Poetics of Empire (Publications of the Wisconsin Center for Pushkin Studies 5, Madison, Wisconsin 2003) 51. 36 Zit. nach PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 360 (Übersetzung des Verfassers). 37 Vgl. die Einleitung von Simon S. Ilizarov in: MILLER, Izbrannye trudy (wie Anm. 23) 14.

568 Konstantin Kaminskij Lande sowie durch den Handel vor allen anderen Völkern ruhmreich [slavnoj] ist.“38 Müller identifiziert die Waräger-Russen der Nestorchronik als eine Eigenbezeichnung der skandinavischen Truppenverbände, die analog zu den normannischen Eroberern in England, Frankreich und Sizilien im Ostseeraum die herrschenden Dynastien begründeten. Dabei verwirft er die Theorie der westslawischen Abstammung, nach der die Waräger von dem holsteinischen Volk der Wagrier abgeleitet werden. Um die Analogie zwischen normannischen Eroberungen in Westeuropa und der warägischen Vorherrschaft im Ostseeraum zu untermauern, zieht Müller etymologische Befunde heran: „Nach meiner Meinung kann man keinen klareren Beweis dafür verlangen, dass der Name der Russen [Rossian] bereits mit der Ankunft der Waräger in Russland [Rossii] entstand und von jenen auch auf die übrige Bevölkerung, d.h. die Slaven, überging. Wie dies vor sich gegangen, wollen wir, da wir in Skandinavien keine Spuren dieses Namens haben, uns folgendermaßen vorstellen. Die Schweden werden von den Finnen, man weiß nicht weshalb, heute noch Rossen, in ihrer Sprache Ruotsalaiset [Rossalejne] genannt, die Russen nennen sie Venäläiset [Vennelejne], also Veneter […] Die Novgoroder Slaven hörten den Namen Russen [Rossen] von den Finnen, die damit alle Fremden aus dem Norden bezeichneten, und deshalb wurden die Waräger von den Slaven auch Russen [Rossejane] genannt. Und dann haben die Slaven unter warägischer Herrschaft den Namen Russen [Rossijan] übernommen, auf eine ähnliche Weise wie Gallier Franken und Britten Engländer genannt werden.“39 Diese Analogiebildung ist für die Debattanten an der St. Petersburger Akademie der eigentliche Stein des Anstoßes. Wenngleich die Anwesenheit der Waräger in Novgorod gemäß der Nestorchronik weitgehend unbestritten ist, so ist ihre ethnische Herkunft und vor allem die These der skandinavischen Namensentlehnung für die Eigenbezeichnung der Russen ein Gegenstand von unversöhnlichen Kontroversen, die jeweils auf agonaler Interpretationsleistung beruhen. Zusammenfassend lässt sich über die Herkunft des russischen Volkes und seines Namens mit Scholz sagen: „Müller argumentierte in seiner Rede nur an wenigen Stellen. Sein Stil ist mehr der eines Erzählers, der eine geschlossene Darstellung der Ereignisse liefern will und dabei allenfalls einzelne Gedanken erläutert oder illustriert, jedoch nicht Thesen aufstellt, Argumente dafür anführt und Quellen analysiert.“40 38 Gerard Fridrich MILLER, Proizchoždenie naroda i imeni Rossijskago, in: DERS., Izbrannye trudy, hg. von Simon S. ILIZAROV (Moskva 2006) 39 (Übersetzung des Verfassers). 39 MILLER, Proizchoždenie (wie Anm. 38) 54 (Übersetzung des Verfassers). 40 SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 371.

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Dabei gerät die eigentlich angekündigte Herkunft der „Russen“ zunehmend aus dem Blick, während die skandinavische Kolonisierung und Akkulturation sich in den Vordergrund der Darstellung drängt. Diese unglückliche Gewichtung im Textaufbau wird von vielen Akademiemitgliedern als ein politisch-subversives Programm ausgelegt. Grigorij Teplov – ehemaliger Hauslehrer des Akademiepräsidenten und Assessor der akademischen Kanzlei – fasste die Kritik folgendermaßen zusammen: „[…] in der ganzen Rede zeigte er kein einziges Ereignis zum Ruhm des russischen Volkes, sondern erinnerte vielmehr nur an das, was zur Ruhmlosigkeit beitragen kann: wie sie oftmals in Schlachten geschlagen wurden, wo sie mit Plünderung, Feuer und Schwert vernichtet und ihren Zaren die Schätze geraubt wurden. Aber zu guter Letzt kann man nur staunen, mit welcher Unvorsichtigkeit er die Formulierung verwendete, dass die Skandinavier mit ihren siegreichen Waffen mit günstigem Erfolg ganz Russland unterwarfen […]“41. Die Kritik der Zeitgenossen in Bezug auf Müllers Ausführungen oszilliert merklich zwischen ideologischem Vorsatz und stilistischer Unmündigkeit. Während die sowjetische Historiographie Müllers „Normannismus“ als eine bewusste politische Subversion stilisierte, die den Einfluss der Ausländer in der Akademie und in der Staatsverwaltung legitimieren sollte, überwiegt heutzutage die Meinung, Müller hätte sich „im Genre vertan“42 beziehungsweise „sich offensichtlich von seinem spannenden Thema und dem vielfältigen Material, das er dazu in den skandinavischen Quellen fand, hinreißen lassen. Er war davon überzeugt, seinem Publikum eine hochinteressante Sache zu präsentieren und verhielt sich äußerst unsensibel gegenüber der politisch-gesellschaftlichen Stimmung seiner Zeit, insbesondere an der Akademie.“43 Peter Hoffmann vermutet, dass die allgemeinen stilistischen Unzulänglichkeiten der Rede Müllers an sich diesen Text mit großer Wahrscheinlichkeit in Vergessenheit hätten geraten lassen, wenn er seine Zuhörer erreicht hätte: „Dieses Thema bot Müller zwar die Möglichkeit, seine Belesenheit und Bildung zu demonstrieren, aber beim mindestens zwei Stunden dauernden Vortragen seiner Ausarbeitung wäre wohl kaum jemand im erlauchten Publikum in der Lage gewesen, seinen Gedanken zu folgen. Die Masse der aneinandergereihten Detailangaben lässt eine klare Linie vermissen.“44 Dass es anders kam und die Dissertation Müllers zu einem Schlüsseltext der modernen russischen Geschichtsschreibung wurde, ist laut Hoffmann in erster Linie das „Verdienst“ Lomonosovs, der als der eigentliche Urheber der Normannentheorie betrachtet werden muss. Demnach sei die 41 Zit. nach SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 374. 42 Gasan GUSEJNOV, Nekotorye osobennosti ritoriþeskoj praktiki M. V. Lomonosova. Scando-Slavica 40 (1994) 88–112, hier 105. 43 SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 374. 44 HOFFMANN, Müller (wie Anm. 23) 106f.

570 Konstantin Kaminskij Rede Müllers grundsätzlich neutral in ihren Kernaussagen, erst die Rezeptionshaltung Lomonosovs bringe jenes ideologische Interpretationssystem hervor, das als Normannismus bezeichnet wird und gegen das Lomonosov in den Akademiedebatten selbst argumentierte. Lomonosovs Kritik offenbart auf den ersten Blick vor allem böswillige Unterstellungen, wobei Müllers stilistische Schwäche seinen eigenen Absichten geradezu zuwiderläuft: „Zwar ist es wahr, wenn Herr Müller sagt: ,Eure Vorfahren wurden wegen ihrer ruhmvollen Taten Slawen genannt‘; aber in seiner ganzen Dissertation bemüht er sich, das Gegenteil zu beweisen; denn auf fast jeder Seite werden die Russen geschlagen und gehörig ausgeplündert, siegen die Skandinavier, zerstören sie und vernichten sie mit Feuer und Schwert […] Das ist so absonderlich, dass Herr Müller, wenn er in einem lebendigen Stile schreiben könnte, die Russen zu einem derart armseligen Volk gemacht hätte, wie noch kein Volk, und wäre es das niedrigste, das von irgendeinem Schriftsteller geschildert wurde.“45 Unübersehbar heben die Kritiker Müllers in erster Linie darauf ab, dass in seiner Rede der Ruhm Russlands geschmälert wird, der in den Augen der Rezensenten über die Etymologie slava – Ruhm zum identitätsstiftenden Merkmal der Slaven gehört. In der Tat lässt Müllers unvorsichtige Formulierung, Skandinavier seien ruhmreicher als andere Völker46 im Lektüreakt der russischstämmigen Akademiker eine Kontextualisierung zu, die auf das verkürzte Enthymem „Skandinavier sind slavischer als Slaven“ hinausläuft. Es sei dahin gestellt, ob es sich dabei um eine unglückliche Übersetzung, mangelnde kulturelle Sensibilität und Sprachkenntnis oder sogar tatsächlich um eine Art polemischer Provokation von Müllers Seite aus handelt. Zweifellos riefen Müllers Formulierungen bei den Lesern die Beschreibung des russischen Volkes aus Pufendorfs Einleitung zu der historie der vornehmsten reiche und staaten (1682) schmerzhaft in Erinnerung: Von der russischen nation qualitaeten ist nicht viel sonderliches zu schreiben, das ihnen zu grossem ruhm dienen kan. Bey ihnen ist keine solche cultur als bey den meisten andern Europaeischen voelckern, und ist schreiben und lesen der hoechste grad ihrer studien; […] Sind mißtraeuisch, grausam und blutduerstig, wenn ihnen das glueck fueget, fuer ubermuth unertraeglich, im unglueck aber kleinmuethig und verzagt. Halten doch sehr viel von sich selbst, und kan man ihnen nicht gnug ehre anthun 47. 45 Michail Vasil’eviþ LOMONOSOV [Michail Wassiljewitsch LOMONOSSOW], Ausgewählte Schriften in 2 Bänden, Bd. 2: Geschichte, Sprachwissenschaft und anderes. Briefe, hg. von Willi HOEPP (Berlin 1961) 15. 46 MILLER, Proizchoždenie (wie Anm. 38) 39. 47 Samuel von PUFENDORF, Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden (Frankfurt am Main 21683) 715.

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Wie Birgit Scholz in ihrer umfangreichen Studie zur Warägerfrage gezeigt hat, resultierte die übertriebene Empfindlichkeit der russischstämmigen Wissenschaftler im Hinblick auf „normannistische“ Geschichtsentwürfe aus der politisch motivierten schwedischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, deren Vertreter konsequent nachzuweisen bestrebt waren, dass Russland seit alters her ein Teil des Schwedischen Reiches gewesen sei und unter der Herrschaft des schwedischen Königshauses gestanden habe. Daraus wurden die historisch begründeten Herrschaftsrechte Schwedens über Russland für die Gegenwart abgeleitet48. Die Ursache der Auseinandersetzungen zwischen Müller und Lomonosov wird in der heutigen Forschung auf die unterschiedlichen Geschichtsauffassungen beider Kontrahenten zurückgeführt. Demnach sei Müller der Vertreter einer professionalisierten Geschichtswissenschaft, dem es lediglich um die historische Wahrheit an sich und nicht um die historischen Modelle der Gegenwart ginge. Lomonosov hingegen sei ein Laienhistoriker, dem es vor allem an der patriotischen Überhöhung der nationalen Geschichte gelegen sei, wenngleich sein Ansatz, die Urgeschichte der Ostslaven vor Rjuriks Staatsgründung auszuleuchten in seiner Zeit recht innovativ und für die moderne Geschichtswissenschaft fruchtbar gewesen sei49. Müllers Themenwahl für den Festvortrag wird tendenziell als eine Art naive Kurzsichtigkeit dargestellt: „Müller gab sich Mühe ein allgemein interessierendes Thema zu wählen, und verlor dabei die politische Stimmung seiner Zeit aus dem Blick.“50 Peter Hoffmann führt die Entstehung des Normannenstreits nicht nur auf die verschiedenen Geschichtsauffassungen Müllers und Lomonosovs zurück, sondern auf die Differenz ihrer epistemischen Methodik: „Es war die Stärke Lomonosovs, und das ist in der Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts durchaus nicht alltäglich, dass er sich grundsätzlich nicht auf das Pufendorfs Einleitung zur europäischen Geschichte war nicht nur in Europa äußerst populär, wo das Buch bis 1699 vier Auflagen erlebt hatte, sondern gehörte auch mit zu den ersten Büchern, die Peter I. 1718 für den Druck ins Russische übersetzen ließ. Müller selbst war mit der Einleitung nur allzu gut vertraut. Nach seinem Bruch mit Schuhmacher hielt er an der Akademie im Jahre 1732 öffentliche Vorlesungen über Universalgeschichte nach Pufendorf ab: vgl. HOFFMANN, Müller (wie Anm. 23) 65. 48 Besonders eklatant traten schwedische Großmachtansprüche auf nordrussische Gebiete in Olof von Dalins Schwedischer Reichsgeschichte (1747) zu Tage, die im offiziellem Auftrag der Regierung verfasst wurde. Vgl. SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 390: „Seine [Lomonosovs] Argumentation in einem der Gutachten zu Müllers Rede spricht überdies dafür, dass er genau diese Gefahr des Missbrauchs der Warägerfrage von schwedischer Seite zur Durchsetzung politischer Ziele, wie sie bei Dalin deutlich wird, im Blick hatte.“ 49 SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 378. 50 SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 367.

572 Konstantin Kaminskij Detail, sondern auf das Zusammenwirken gegebener Faktoren konzentrierte. Das war die Grundlage seiner molekular-kinetischen Wärmetheorie […] Und auch jetzt stellte er das umfangreiche von Müller zusammengestellte Material in einen Zusammenhang, den Müller nicht einmal im Ansatz für möglich gehalten hatte.“51 Demnach sei Müller lediglich der Quellenauswertung und dem Detail verhaftet gewesen, während Lomonosov Schlussfolgerungen für die Gegenwart erwartet hätte und zeitgeschichtliche Zusammenhänge in Müllers Hypothesen hineininterpretiert habe. „Müller erkannte zu keiner Zeit, dass es gar nicht darauf ankomme, ob dieses oder jenes Detail in seinen Ausführungen richtig sei, sondern dass alleine die grundsätzliche Richtung seiner Aussagen zur Diskussion stand.“52 – fasst Peter Hoffmann zusammen.

IV. Ein lang anhaltender Gelehrtenstreit Rücksichtsloses politisches Kalkül, dessen Müller seitens der sowjetischen Historiographie bezichtigt wurde, um „seine“ Normannentheorie als einen kulturideologischen Sabotageakt zu diffamieren, wird in der heutigen Bewertung der Person Müllers durch das Verweisen auf seine kommunikative Naivität und mangelnde politische Sensibilität konterkariert. Allein kann dieses mittlerweile gängige Bild den Erfahrungen Müllers an der St. Petersburger Akademie nicht gerecht werden. In seinem bisher ein knappes Vierteljahrhundert dauernden Dienstverhältnis an der Akademie wurde er unweigerlich in die unaufhörlichen dort im Gange befindlichen Intrigen involviert, was ihn für die „politische Stimmung seiner Zeit“ sicherlich hinreichend sensibilisiert haben dürfte. Obendrein kann man davon ausgehen, dass Müller als Reichhistoriograph und Rektor der Universität (kein weltabgewandter Stubengelehrter also, sondern ein hochrangiger Staatsbeamter) sich über die Konsequenzen seiner öffentlichen Auftritte grundsätzlich im Klaren gewesen sein müsste, wenngleich es durchaus möglich ist, dass er sich dabei verkalkulierte. Unter diesen Gegebenheiten ist viel eher davon auszugehen, dass er mit seiner Rede das Ziel verfolgte, das politische Tagesgeschehen zu kommentieren und historisch zu legitimieren53. 51 HOFFMANN, Müller (wie Anm. 23) 107. 52 HOFFMANN, Müller (wie Anm. 23) 109. 53 In seinem Antrag zur Gründung des historischen Departements an der Akademie definierte Müller die Geschichte als einen „Spiegel der menschlichen Taten, nach dem man über alle Begebenheiten gegenwärtiger und künftiger Zeiten mit dem Blick in die Vergangenheit urteilen kann“: zit. nach PEKARSKIJ, Istorija (wie Anm. 25) 339 (Übersetzung des Verfassers).

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Dies wird auch deutlich, wenn man neben den historischen Argumenten die rhetorischen Enthymeme des Normannenstreites in Betracht zieht. Es zählt zu den signifikanten Merkmalen der Kritik Lomonosovs, dass sie konsequent auf die formalen und stilistischen Mängel der Rede Müllers abhebt: „Der ganze Komplex der Dissertation ist ohne Zusammenhang und geordnete Aufeinanderfolge verfasst; besonders ist sie wegen der vielen Abschweifungen sehr dunkel. Das Ziel, um dessentwillen diese Dissertation verfasst worden ist, besteht darin, unserer allergnädigsten Herrscherin die ersten Früchte der Akademie, die durch Ihre Majestät erneuert worden ist, darzubieten, aber außerdem darin, dass sie den russischen Zuhörern angenehm wäre und jedem Leser mit ihren Neuigkeiten und ihrer Gerechtigkeit Nutzen brächte. Das erste erfordert Würde und Glanz, das zweite und dritte Lebendigkeit, Klarheit und Wahrheit, die eifrig gesucht werden muss; aber all diese Eigenschaften hat diese Rede keineswegs, sondern sie ist sehr würdelos und für den russischen Zuhörer lächerlich und kränkend zugleich; nach meiner Meinung kann sie keinesfalls so verbessert werden, dass sie sich jemals zu einer Veröffentlichung eignen würde.“ 54 Die pragmatische Zielsetzung der Rede Müllers gibt Lomonosov jedoch nur verkürzt wieder, und dabei werden ihre eigentlichen politischen Intentionen verschleiert, die Müller in dem abschließenden Dankes- und Lobeswort auf die Kaiserin Elisabeth I. formuliert hat: „Dank Ihrer Weisheit, Großzügigkeit und Ihre m Edelmut herrscht des Großen Peter Blut auf dem Kaiserthrone und das Imperium ist zu seiner einstigen Blüte zurückgekehrt. Dank Ihre r höchstmütterlichen Sorge und Liebe für die dem russischen Zepter untertaner Völkerschaften ist der erlauchteste En kelsoh n P eters des Großen, die Hoffnung des Vaterlandes, zum Allrußischen Thronfolger ernannt und mit der Vortrefflich sten Gattin vermählt worden. Dank Ihre r Waffen ist das Reich von den Übergriffen des feindseligen Nachbarn beschützt und um die von ihm eroberten Ländereien erweitert. Dank Ih rer Liebe zum Frieden ist der Norden befriedet und dank Ihre r allgegenwärtigsten Hilfe für die Verbündeten wiegt sich ganz Europa in Ruhe und Frieden. Dank Ihre m unermüdlichen Eifer sind alte Bündnisse erneuert und neue geschlossen worden, die Freundschaft mit verbündeten Staaten ist erstarkt und der Frieden mit Nachbarn gewahrt.“ 55 Dieser in der historischen Forschung kaum berücksichtigte rhetorische Teil der Rede Müllers56 wirft ein prinzipiell anderes Licht auf seinen Ge54 LOMONOSOV, Schriften (wie Anm. 45) 17f. 55 MILLER, Proizchoždenie (wie Anm. 38) 55 (Hervorhebungen im Original; Übersetzung des Verfassers). 56 Jenem Teil der Rede also, der sich laut Lomonosovs Formulierung bezeichnenderweise „am meisten gegen die Russische Sprache versündigt“: LOMONOSOV, Schriften (wie Anm. 45) 18.

574 Konstantin Kaminskij schichtsentwurf und seine politischen Implikationen. Müllers eigene Hervorhebungen machen es deutlich – seine Identifizierung der warägischen Fürsten mit Skandinaviern fungiert als eine historische Legitimation für die Bündnispolitik der Kaiserin Elisabeth I. Die „Befriedung des Nordens“ und das Bündnissystem, auf die Müller anspielt, beziehen sich auf den russischschwedischen Krieg, der unmittelbar nach der Thronbesteigung Elisabeths 1741 ausbrach und 1743 mit dem Friedensvertrag von Åbo beendet wurde. In dessen Folge setzte die Zarin Elisabeth I. durch, dass Adolf Friedrich von Holstein-Gottorf vom schwedischen Parlament zum Thronfolger gewählt werden musste. Mit ihm saß seit 1751 ein Verwandter des russischen Thronfolgers Peter III. auf dem schwedischen Thron. Peter III., Herzog von Holstein-Gottorf, die Hoffnung des Vaterlandes, wurde im Übrigen bereits 1742 zum schwedischen Thronfolger gewählt, lehnte den schwedischen Thron aber zu Gunsten der russischen Kaiserkrone ab und wurde 1745 mit der Vortrefflichsten Gattin – seiner Cousine 2. Grades und Nichte des schwedischen Thronfolgers Adolf Friedrich – Sophie Auguste Friederike von AnhaltZerbst-Dornburg, der künftigen Kaiserin Katharina II., vermählt. Damit befand sich nahezu der gesamte Ostseeraum bis zum Ende des 18. Jahrhunderts praktisch unter der Regentschaft einer Dynastie57. Im Lichte der Expansion des Russischen Reiches unter Elisabeth I. nach Westen, das heißt auch der Eroberung und Assimilierung finnischer und baltischer Gebiete, muss die Normannentheorie in ihrer integrativen Substanz betrachtet werden, da sie eine weit zurückreichende kulturelle und familiäre Verwandtschaft slavischer, baltischer, preußischer und skandinavischer Fürstenhäuser und Völker in den Vordergrund stellt. Schließlich sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Umgangsund Verhaltensnormen am russischen Kaiserhof seit den Reformen Peters des Großen von westeuropäischen Vorbildern geprägt waren, was dazu führte, dass die russischstämmigen Hofleute sich selbst als Ausländer empfanden58. Der Kulturimport aus Westeuropa, wie er den historischen Ausführungen Müllers unterstellt werden kann, entsprach weitgehend dem Erfahrungshorizont und der Erwartungshaltung der Höflinge, an die Müllers Rede adressiert war. Peter Hoffmann geht vermutlich recht in der Annahme, dass diese Rede, 57 Der Sohn Adolf Friedrichs, der schwedische König Gustav III., war ein Cousin von Katharina II. und ein Neffe von Friedrich II. von Preußen. In Polen-Litauen herrschte seit 1764 der ehemalige Liebhaber von Katharina II. – Stanislaus II. Die Teilungen Polens 1772/1793 taten das Übrige. Zur dynastischen Verflechtung der Gottorfer und Romanovs vgl. Michail P. LUKIýEV, Die Gottorfer auf dem Weg zum Zarenthron. Russisch-gottorfische Verbindungen im 18. Jahrhundert (Schleswig 1997). 58 Vgl. Jurij Michajloviþ LOTMAN, Poơtika bytovogo povedenija v russkoj kul’ture XVIII veka, in: DERS., Stat’i po semiotike kul’tury i iskusstva (St. Petersburg 2002) 486.

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hätte sie ihr Auditorium erreicht, keine besondere Aufregung, eher Langeweile hervorgerufen hätte. Entsprechend ist anzunehmen, dass die historischen Analogien, die darin gezogen werden, beim höfischen Publikum womöglich sogar Beifall gefunden hätten. Der Grund, dass es anders kam, ist nicht allein Lomonosovs „Verdienst“, sondern ist auch einer gewissen medialen und rhetorischen Differenz geschuldet, die der Rezeption und Interpretation der Festrede zugrundelag. Kennzeichnend dafür sind die Adressierungssignale, die Müller in seinen Origines gentis setzt: „In Erfüllung der mir anlässlich dieser feierlichen Versammlung übertragenen Pflicht, möchte ich Euch, verehrteste Zuhörer, auf ein Feld führen, auf dem ich mich täglich bemühe, auf kein fremdes Feld, sondern auf unser eigenes, das zwar noch nicht ordentlich bestellt ist, das aber bereits zahlreiche Blumen und Früchte hervorbringt […]“59. „Ohne Zweifel, verehrteste Zuhörer, erkennt Ih r darin Eure Waräger, von denen in Chroniken und allen Büchern zur russischen Geschichte berichtet wird […]“60. „Dies! ist die Herkunft Eure s Volkes und Namens, die ich Euch, geneigte Zuhörer, sofern es die kurze Zeit erlaubte, versucht habe darzulegen“61. In einem mündlichen Vortrag vor einem höfischen Publikum mögen solche auktorialen Distanzierungen des ausländischen, bürgerlichen Gelehrten 59 MILLER, Proizchoždenie (wie Anm. 38) 32 (Übersetzung und Hervorhebungen des Verfassers). Müller aktiviert am Anfang seiner Rede das bestellte Feld als Geschichtsmetapher und verweist auf die ursprüngliche Bedeutung der Kultur als Agrikultur, wie es in Vicos Scienza nuova (1725) gebraucht wird. Vgl. Giambattista VICO, Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker. Nach der Ausgabe von 1744 übersetzt und eingeleitet von Erich AUERBACH (München 1924, Nachdr. Berlin 1965) 54: „Der Pflug lehnt mit einer gewissen Majestät den Handgriff vorn an den Altar, um uns zu verstehen zu geben, dass die gepflügten Felder die ersten Altäre des Heidentums waren […]“. Vanessa Albus hat in ihrer Studie hervorgehoben, dass die Verwendung von Wachstumsmetaphorik bei Vico prinzipiell neue Denkkategorien für die Philosophie des 18. Jahrhunderts eröffnet. Vgl. Vanessa ALBUS, Weltbild und Metapher. Untersuchungen zur Philosophie im 18. Jahrhundert (Würzburg 2001) 287: „Im Gegensatz zu den rationalistischen Raum-Denkern ist Vico ein ZeitDenker. Die Dynamisierung der Metaphorik geht mit der Historisierung des Weltbildes einher. Organische Wachstumsmetaphorik sowie Bewegungsmetaphorik sind dynamische Metaphernarten, die es weder bei Leibniz noch bei Wolff gegeben hat.“ In der hier zitierten Stelle – dem selbstreferentiellen Programm seiner Rede – stellt sich Müller als Landwirt und Kultivator dar, wobei das spärlich bebaute Feld der nationalen Geschichtsschreibung von ihm im Auftrag seiner Zuhörer bewirtschaftet wird. 60 MILLER, Proizchoždenie (wie Anm. 38) 39 (Übersetzung und Hervorhebungen des Verfassers). 61 MILLER, Proizchoždenie (wie Anm. 38) 55 (Übersetzung und Hervorhebungen des Verfassers).

576 Konstantin Kaminskij durchaus angebracht sein, doch rufen sie bei dem Lektüreakt der russischstämmigen Wissenschaftler heftigen Widerstand hervor, die sich dadurch in ihrer nationalen Kompetenz – buchstäblich in ihrer Herkunft und Sprache – bevormundet fühlten. Es ist anzunehmen, dass die Motivation, aus der heraus Müller seine Rede verfasste, weniger von nationalistischen Untertönen bzw. der Ideologie westlichen Kulturträgertums geprägt war, wie es ihm vom Antinormannismus unterstellt wird. Aber genauso unwahrscheinlich scheint auch die These, der zufolge der ganze Normannenstreit auf ein Missverständnis zurückzuführen sei. Viel eher müsste man die soziale Konkurrenz unter den Akademiemitgliedern, die um die Gunst des Hofes wetteiferten, berücksichtigen. Lomonosov hat Müllers Intentionen sicherlich richtig verstanden – mit Origines gentis wollte Müller offenbar seine Position beim Hof stärken, indem er eine historische Legitimation für die Heiratspolitik der Kaiserin Elisabeth darbot62. Allerdings führte seine mangelhafte Erfahrung im Verfassen öffentlicher Reden dazu, dass Lomonosov es umso leichter hatte, aus diesem Konkurrenzkampf (vorerst) als Sieger hervorzugehen. Neben Müllers Rede war im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Thronbesteigung Elisabeths, wie bereits erwähnt, ein Panegyrikon vorgesehen, mit dessen Verfassung Lomonosov beauftragt wurde. Darin lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf die Heranbildung nationaler Wissenschaftskader, indem er diese Zielsetzung mit dem Verfahren der direkten Rede der Kaiserin in den Mund legte: „Oh, wie herrlich ist euer Glück, Söhne Russlands, die ihr, von der grenzenlosen Güte der Herrscherin genährt, euch in freudigen Werken übt! Stellt euch eure künftigen Erfolge vor, für die ihr auserwählt seid, vernehmt mit Ehrfurcht, was die Augusteische Kaiserin (die euch mit Staatsgeldern unterhält) euch mütterlich befiehlt: ,Lernt fleißig. Ich wünsche die Russische Akademie aus Söhnen Russlands bestehend zu sehen; strebt danach, Vollkommenheit in den Wissenschaften zu erlangen: zum Nutzen und zum Ruhm dem Vaterlande, dies war das Sinnen Meiner Eltern, das ist auch Mein Verlangen. Noch sind die Taten 62 Unter einem gewissen Blickwinkel spiegelt sich im Normannenstreit auch der Umbruch im sozialen Selbstverständnis der Gelehrten, der sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts abzeichnet. Vgl. Daniel FULDA, Von der Polyhistorie zur modernen Wissenschaft. Zum politisch-galanten Gelehrtenideal der Frühaufklärung, in: Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert, hg. von Ulrich Johannes SCHNEIDER (Berlin– New York 2008) 286: „Das polyhistorische Gelehrsamkeitsideal war dysfunktional geworden, weil es der unvermeidlichen Spezialisierung entgegenstand. […] Die neuen Maßstäbe, an denen der Gelehrte gemessen wurde, waren zum einen das aufklärerische Nützlichkeitsideal, zum anderen aber auch – und ich meine: sogar vor allem – das politisch-galante Kompetenzideal.“

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Meiner Ahnen nicht beschrieben, noch ist des Peters großer Ruhm nicht gebührend besungen.‘“63 Lomonosovs Panegyrikon war äußerst erfolgreich, nicht nur in Russland, wo es bereits zu Lebzeiten des Autors vier Auflagen erlebte, sondern auch im Ausland, wo Lomonosovs eigene Lateinübersetzung bekannt wurde64. Im Unterschied zu Müller, der das Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und Schweden als einen Prozess kultureller Integration und vorausschauender Bündnispolitik in seiner Rede beschreibt, rückt in Lomonosovs Panegyrikon der militärische Sieg über die unzuverlässigen Schweden und die vorausschauende Rüstungspolitik der Kaiserin in den Vordergrund. Die vom 23. Oktober 1749 bis zum 8. März 1750 andauernden Diskussionen an der St. Petersburger Akademie verliefen zum Teil recht heftig65. Im abschließenden Bericht Lomonosovs an die akademische Kanzlei hieß es, „die vielen offenkundig einander entgegengesetzten, widersprechenden Meinungen und ungereimten Erfindungen“ Müllers „könnten dem Ansehen der Akademie schaden“ und der „rechtgläubigen russischen Kirche dadurch Ärgernis entstehen“ 66. Zum 8. Oktober 1750 wurden die Akademiemitglieder zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen, bei der eine Weisung des Präsidenten verlesen wurde: Professor Müller wurde für ein Jahr aus der Liste der Professoren gestrichen und in den Adjunktenstand zurückversetzt. Vor Ablauf des Jahres jedoch wurde die Maßnahme wieder zurückgenommen. Peter Hoffmann fasst zusammen, dass die Weisung des Präsidenten 63 Michail Vasil’eviþ LOMONOSOV, Slovo pochval’noe Eja Veliþestvu Gosudaryne Imperatrice Elisavete Petrovne, Samoderžice Vserossijskoj, govorennoe Nojabrja 26 dnja 1749 goda, in: Michail Vasil’eviþ LOMONOSOV, Polnoe sobranie soþinenij 8: Poơzija. Oratorskaja proza. Nadpisi 1732–1764 gg., hg. von Sergej Ivanoviþ VAVILOV (Moskva–Leningrad 1959) 254 (Übersetzung des Verfassers). 64 Michail Vasil’eviþ LOMONOSOV, Panegyricus Elisabetae Augustae Russiarum imperatrici patrio sermone dictus orante Michaele Lomonosow. Latine redditus eodem auctore, in: LOMONOSOV, Poơzija (wie Anm. 63) 257–272. Leonhard Euler bezeichnete das Panegyrikon als un chef d’oeuvre dans son genre: vgl. LOMONOSOV, Poơzija (wie Anm. 63) 957. 65 Später, als Lomonosov bereits Schuhmachers Stellung als Leiter der Akademiekanzlei inne hatte, schrieb er 1764: „Miller verlangte, dass seine Dissertation von der akademischen Konferenz begutachtet werden solle, was auf Weisung des Präsidenten auch geschah. Diese Zusammenkünfte erstreckten sich über ein Jahr. Was gab es da nicht für Geschrei, Beleidigungen und fast schon Handgreiflichkeiten! Miller hatte sich mit allen Professoren zerstritten, beschimpfte und beleidigte viele von ihnen in Wort und Schrift und drohte gar manchen in der Versammlung mit seinem Stock und schlug damit auf den Konferenztisch ein.“ (LOMONOSOV, Trudy po russkoj istorii (wie Anm. 9) 549; Übersetzung des Verfassers). 66 LOMONOSOV, Schriften (wie Anm. 45) 40.

578 Konstantin Kaminskij letztendlich eine „völlig überzogene Demonstration seiner Macht sowie des Einflusses der Kanzlei, die jegliche Form eines Protestes gegen ihre Herrschaft zu unterdrücken suchte“ gewesen sei und ergänzt, dass „[…] hier zugleich die Unreife und die Unfähigkeit des Präsidenten erkennbar wird, eine wissenschaftliche Institution zu leiten. Letztlich wurde Müller ein mehr zufälliges Opfer im Machtkampf der Kanzlei gegen die Konferenz.“67 Müller ist allerdings nicht unbedingt als Opfer zu sehen. Schließlich hat seine Rede über die Herkunft des Volkes und des Namens der Russen ihre Adressatin erreicht. Nach der Thronbesteigung Katharinas II. 1762 war Müller für die Zarin als historisch-politischer Berater tätig68. Lomonosov formulierte im Laufe der Debatten einzelne Standpunkte, die später zur Grundlage des Antinormannismus werden sollten69. Kurz nach dem Tode Lomonosovs 1766 erschien seine Alte russische Geschichte vom Ursprung des russischen Volkes bis zum Tode des Großfürsten Jaroslav I. oder bis zum Jahre 1054, verfasst von Michailo Lomonosov, Staatsrat, Professor der Chemie und Mitglied der Sankt-Petersburger Kaiserlichen und der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften – das erste im Druck veröffentlichte Buch zur russischen Geschichte in russischer Sprache70. Dem Normannenstreit selbst waren aber noch viele Jahrzehnte, genau genommen Jahrhunderte beschieden. 1860 wurde er in St. Petersburg vor großem Publikum und unter Beteiligung der Massenmedien ausagiert. Hundert Jahre später wiederholte sich der Normannenstreit 1960 in Leningrad, diesmal jedoch weitgehend unter Ausschluss des fachfremden Publikums. Der Wortführer der Normannisten, Lev Klejn, beschreibt in seinem vor kurzem erschienennen Buch die schwierigen Bedingungen – den Druck 67 HOFFMANN, Müller (wie Anm. 23) 113. 68 SCHOLZ, Warägerfrage (wie Anm. 1) 369. 69 Lomonosov konnte der Normannentheorie vorerst kein geschlossenes Theoriekonstrukt entgegenstellen. Zur Erklärung des Ursprungs des Namens rus’ lieferte Lomonosov zum einen erste Entwürfe einer genuin ostslavischen Etymologie (vgl. Anm. 9), zum anderen bemühte er die von Müller abgestrittene „Iranische Theorie“, von der Leibniz ausgegangen war (vgl. Anm. 6) und gemäß welcher die Russen von den Roxolanen abstammten und damit mit den Alanen-Osseten verwandt wären. Diese Verschiebung der Perspektive geokultureller Identität der Russen vom Nordwesten nach Südosten wird ebenfalls von der damaligen außenpolitischen Lage bestimmt. Von 1749 bis 1752 wurde Alanien-Ossetien in St. Petersburg durch eine Botschaft vertreten, von der die Initiative zu Verhandlungen über den Beitritt der Osseten zum Russischen Reich ausging. 1774 wurde Alanien-Ossetien in Folge des russischtürkischen Krieges 1768–1774 von der Türkei an Russland abgetreten. 70 Michail Vasil’eviþ LOMONOSOV, Drevnjaja Rossijskaja istorija ot naþala rossijskago naroda do konþiny velikogo knjazja Jaroslava Pervago ili do 1054 goda, in: LOMONOSOV, Trudy po russkoj istorii (wie Anm. 9) 165–286. 1768 erschien in Riga und Leipzig die deutsche Übersetzung, 1769 die französische Übersetzung in Dijon und Paris.

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der Universitätsleitung, der Parteiorganisationen und die ideologischen Kompromisse –, unter denen der Normannenstreit 1960 ausgetragen werden musste71. Außerdem setzt er sich darin kritisch mit der sich heute erneut abzeichnenden Konjunktur des Antinormannismus in der russischen Geschichtswissenschaft auseinander.

V. Ein vorläufiges Schlusswort Der Normannenstreit, der um 1750 an der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften entbrannte, wird mit dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Geschichtsauffassungen der beiden Kontrahenten, als ideologische Konfrontation oder gar als Missverständnis nur unzureichend erklärt. Vielmehr akkumulierte dieser Gelehrtenstreit die latenten Konfliktlagen, die seit der Gründung der Akademie das geistige Klima in der russischen Hauptstadt bestimmten: den Konflikt zwischen einem katholisch-orthodoxen und einem protestantischen Bildungsmodell, wobei jedem dieser Modelle für sich genommen bereits genügend Konfliktpotential inhärent war. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts versuchten die in Russland nach dem polnischukrainischen Vorbild gegründeten Geistigen Akademien sich ihrer lateinischkatholischen Komponente zu entledigen72, während mit der Übertragung des protestantischen Modells der Reformuniversitäten zugleich der Konflikt zwischen August Hermann Francke und Christian Wolff nach St. Petersburg transplantiert wurde73. Des Weiteren spielen dabei die internen Konflikte zwischen dem Selbstverwaltungsorgan der Gelehrten – der akademischen Konferenz und der akademischen Kanzlei – eine maßgebliche Rolle. Außerdem muss die schwelende Rivalität zwischen den ausländischen und russischstämmigen Gelehrten mitberücksichtigt werden. In Anbetracht dessen wurden im Normannenstreit anhand von historischen Narrativen in erster Linie akademieinterne Konkurrenzkämpfe ausgetragen. Neben den historischen Argumenten sind bei den antithetischen Interpretationen der nationalen Gründungslegende vor allem auch die rhetorischen Verfahren der wissenschaftlichen Kommunikation für eine Deutung der Intentionen der verfeindeten Parteien von Interesse. Letztendlich stehen sich mit Normannismus und Antinormannismus zwei Identitätsmodelle gegenüber, die Russlands Zukunft in einem Fall als 71 Lev S. KLEJN, Spor o varjagach. Istorija protivostojanija i argumenty storon (SanktPeterburg 2009). 72 POSOCHOVA, Transformacija (wie Anm. 17) 43. 73 Eduard WINTER, Halle als Ausgangspunkt der deutschen Russlandkunde im 18. Jahrhundert (Berlin-Ost 1953) 192.

580 Konstantin Kaminskij Importmarkt für europäische Strukturen der Bildung, Wissenschaft und Kultur konzipiert. Im anderen Fall wird hingegen der russische Kulturexport in die neueroberten südöstlichen Gebiete im Kaukasus und Zentralasien gefordert. Der bis in die heutigen Tage fortdauernde Normannenstreit modelliert die unsichere Balance zwischen historischem Fakt und historischem Narrativ im russischen kulturellen Bewusstsein und perpetuiert damit die nationale Kultur als Streit um die eigene Historia.

Abstract In 1750 the Imperial Russian Academy of Sciences was preparing to celebrate its 25th anniversary. The jubilee year was overshadowed by an event which made history in the truest sense of the word. In autumn 1749 the director of the academy’s historical department, Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), delivered a trial reading of his dissertation Origines gentis et nominis Russorum for a lecture at the public meeting of the Academy. In his paper Müller accentuated the central role of Scandinavians and Germans for the foundation of the Russian state and even derived the name rus’ from a Scandinavian root. The Russian historiography assumed Müller’s hypotheses as the so-called „Normanist“ Theory. The dissertation on the origins of the Russian people and language started a heated controversy among the Academy’s members, which lasted over a year and ended in a publishing ban on the dissertation and further restrictions for its author. One of the most fervent adversaries of Müller in the Normanist controversy was Mikhail Lomonosov (1711–1765) – professor of chemistry, author of the first Russian rhetoric textbook (1748) and a popular poet at the Imperial court. Lomonosov’s philological critique of Müller’s historical theory divided the Academy’s members into the „Normanist“ camp – German scientists, who largely controlled the Academy’s administration –, and the „Antinormanist“ camp – young Russian scholars around Lomonosov. Although the Antinormanists were successful with the publishing ban on Müller’s dissertation and gained influence at the Academy, the „Normanist“ Theory became the key narrative of Russian historiography in the 19th century and henceforth structured all historical discussions on the ethnogenesis of Russians, given that it closely concerned Russian cultural identity, language, and the foundations of authority, but also advanced the construction of auto- and hetero-images and paradigms of intercultural communication. The present paper analyzes the argumentative structure and the rhetorical configuration of the Normanist Controversy, focusing on Müller’s speech about the origins of the Russians, and on the origins of this controversial

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treatise itself within the social-historical context of the founding period of the St. Petersburg Academy and its communication with the Russian Imperial Court. At the core of my considerations, the question of the interrelation between historical awareness and political discourse in the 18th century is highlighted.

Epilogue Anthony Grafton In 1664 Henri Valois published the edition of the Passio SS. Perpetuae et Felicitatis that Lucas Holste, Catholic convert and prefect of the Vatican Library, had left incomplete at his death. Holste would undoubtedly have had more to say about this fascinating set of texts, which describe the last days and death of a group of Christians at Carthage, at the beginning of the third century, if he had lived longer. Still, his notes displayed expert knowledge of the language of early Christian writers and deep historical insight into the world in which Perpetua and Felicitas lived and died. Holste explicated the text’s unfamiliar Latin terms for everything from the equipment of the arena in which the Christians died to their beliefs. He took in stride the passage in which Perpetua’s brother spoke of her high spiritual standing and urged her to ask God for a vision that would reveal their future, and he argued that, although these martyrs were contemporaries of the visionary Montanists, they were themselves quite orthodox. With considerable ingenuity, Holste used the art of the catacombs, as revealed by Antonio Bosio’s Roma sotterranea, to show that the imagery of Perpetua’s vivid dreams belonged to the standard Christian iconography of her time. And when, as the text recalled, Perpetua’s prayers seemingly eased the suffering of her dead brother Dinocrates, Holste made a simple but deadly polemical point against the Protestants: here, from very early in the history of organized Christianity, was clear support for the practice of praying for the dead1. Valois praised Holste’s work, in the language of the time, as a contribution both to the larger Republic of Letters and to the study of ecclesiastical antiquity. Looked at in the light of the excellent papers collected in this volume, it seems a typical work of seventeenth-century ecclesiastical scholarship, and perhaps of historical scholarship more generally – typical 1

Passio sanctarum Perpetuae et Felicitatis cum notis Lucae Holstenii, ed. Henri VALOIS (Paris 1664). For Holstenius see Jean-François BOISSONADE, Lucae Holstenii Epistolae ad diversos, quas ex editis et ineditis codicibus collegit atque illustravit (Paris 1817); Alfonso MIRTO, Lucas Holstenius e la corte medicea. Carteggio (1629–1660) (Accademia Toscana di Scienze e Lettere „La Colombaria“. Studi 179, Firenze 1999). For a rich study of the texts he edited, see Brent D. SHAW, The Passion of Perpetua. Past and Present. A Journal of Historical Studies 139 (1993) 3–45.

584 Anthony Grafton in both its accomplishments and its apparent conflicts. On the one hand, Holste applied the most up-to-date scholarly methods. To illuminate individual terms he piled up parallel passages, as close as possible in date to his text, in the manner pioneered by Lorenzo Valla and Isaac Casaubon and applied most systematically by Charles Du Cange. To recreate the setting in which the Christians suffered, he drew on his knowledge of antiquarian literature. Throughout, he showed that he was willing – rather more so than Augustine had been when he preached about Perpetua, in passages that the edition collected – to appreciate the courage, and even the partial religious autonomy, of early Christian women. At the same time, though, Holste turned the text into a weapon that could be used in a current theological and liturgical polemic. Like most of the scholars studied by the contributors to this book, he saw no conflict between these enterprises. More strikingly still, Holste clearly found support in the Passio for his general belief that the Catholic church had been in some respects, as Baronio and so many „local Baronios“ held, semper eadem, always the same, across the centuries. Yet the very precision with which he localized the language of the documents and the details of the narrative in time and place could well have suggested – especially to Protestant readers – a very different view, one that emphasized development rather than uniformity. Here too, his work fits the complex and turbulent scene described, from so many points of view, above. Like Holste, the many scholars described in this volume – Maurists real and imagined, Jesuits and Jansenists, monastic archivists compiling materials in systems worthy of a novel by Umberto Eco and hagiographers trying simultaneously to recreate the past wie es eigentlich gewesen and to nurture Catholic devotion – engaged in a passionate and innovative collective inquiry that has only begun to receive its due of attention from modern scholars. For generations – from the great Paul Hazard in the 1930s to the great Jonathan Israel in the 2000s – most historians have emphasized the radical transition in all areas of thought that took place in the decades around 1700: the rise of doubts about the biblical text and biblical chronology, the floods of subversive information about other religions and cultures that poured into scholars’ studies, and above all the development of skepticism about inherited religious doctrines and beliefs – this last vividly embodied by Pierre Bayle’s Philosophical and Critical Dictionary, with its many levels of footnotes and annotations undermining the authority of received wisdom and its many voices singing, sometimes cacophonously, on every page. In recent years, by contrast, some of the most erudite and creative scholars in Europe and elsewhere have begun to teach us to see the churches in this period with new eyes. We have been taught to appreciate the suppleness of the Jesuit doctrine of accommodation and the extent – not complete,

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but astonishing nonetheless – to which it allowed them to appreciate and understand Chinese thought. We have been shown that the lively imaginations of the most Orthodox Catholic theologians – as well as those of the underground radicals so brilliantly studied by Martin Mulsow – played a major role in articulating a formally atheistic theology. Above all, we have been taught, by several of the scholars whose work appears here and by many others – I should like to mention, honoris causa, Arnaldo Momigliano and Bruno Neveu, as well as Stefan Benz, Jean-Louis Quantin, Jan Marco Sawilla and Thomas Wallnig, all of whom appear here – to grasp the richness, the intellectual power and the sheer variety of Catholic (and Protestant) scholarship on the history of the church, ancient and modern2. We have long known that in the Early Modern period, as Owen Chadwick argued long ago, the grounds of debate about the identity of the true church became historical3. What took historians far longer to understand was the range and depth of the historical debates that took place, within as well as between churches – especially those that, unlike the bella diplomatica of the Maurists and Jesuits, never found a place in the accepted narratives of modernity. The appearance of this volume, with its eloquently narrated case studies and sharply argued polemical essays, marks a new stage in our understanding of what the new ecclesiastical scholarship aimed at and what it accomplished. To read these essays is to grasp, in stunning detail, the many forms that historical research and historical argument could take in the period that stretches from the Counter-Reformation to the Enlightenment: to see that the decorative programs of the cathedral of St. Mary in Freising and the Benedictine abbey of Melk, for example, articulated complex historical theses in forms at once powerful and accessible, and to appreciate the extraordinary richness of Salzburg as a center for historical research and argument. 2

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See Arnaldo MOMIGLIANO, Pagan and Christian Historiography in the Fourth Century A.D., in: The Conflict Between Paganism and Christianity in the Fourth Century, ed. Arnaldo MOMIGLIANO (Oxford-Warburg Studies, Oxford 1963) 79–99; Arnaldo MOMIGLIANO, The Classical Foundations of Modern Historiography (Sather Classical Lectures 54, Berkeley–Los Angeles–Oxford 1990). See also Arnaldo MOMIGLIANO, La formazione della moderna storiografia sull’Impero Romano. Rivista storica italiana Ser. V 1/1 (1936) 35–60; 1/2 (1936) 19–48; Arnaldo MOMIGLIANO, Mabillon’s Italian Disciples, in: Arnaldo MOMIGLIANO, Terzo contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico (Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi 108–109, 2 vol., Roma 1966) 1 135–152; Arnaldo MOMIGLIANO, Bacchini, Benedetto (al secolo Bernardino), in: Dizionario biografico degli Italiani, 5 (Roma 1963) 22–29. For Neveu see the studies collected in Bruno NEVEU, Érudition et religion aux XVIIe et XVIIIe siècles (Bibliothèque Albin Michel – Histoire, Paris 1994). Owen CHADWICK, From Bossuet to Newman. The Idea of Doctrinal Development (The Birkbeck Lectures 1955–56, Cambridge 1957).

586 Anthony Grafton The reader discovers that the characteristic debates of the sixteenth century over the nature of historical knowledge continued, in recognizably similar form, into the Catholic Enlightenment; realizes that what the Renaissance saw as the two eyes of history, geography and chronology, also survived into the eighteenth century as fundamental categories of historical work; and finds that even the work of the Bollandists and the Maurists – often presented, in surveys, as unchallenged and unchallengeable – was sharply criticized by contemporaries, often from other orders. History and memory, history and tradition – those complex and elusive forms of experience of the past – are all at play here. The complex interaction between current controversy and detailed research also appears constantly, whether in the study of ancient views on salvation or in the debate over the Malabar Rites, and makes clear the immediate relevance of the immense batteries of erudition that ecclesiastical historians leveled at one another, as well as at the enemies of their churches. So, more than once, does the fascinatingly complex and contingent role of censorship – which could play multiple roles, from suppressing inconvenient material and arguments to a form of editorial collaboration. Several unforgettable individuals – Amand Pachler, Karl Meichelbeck, abbot Berthold Dietmayr, Norbert of Bar-le-Duc, Gottfried Philipp Spannagel, not to mention Peiresc, Leibniz, Spanheim and Mabillon – receive unforgettable portraits. As in the Renaissance, finally, other fields of historical work – notably the collection of political and diplomatic texts, the reconstruction of legal history, and the pursuit of antiquarian research – intersected and interacted with ecclesiastical history in multiple ways. It all makes a complex and constantly changing scene. Many large questions remain to be answered: here are three of them. First of all, we confront a question of long-term impact. The history of historical scholarship, as traditionally written, localized the story of modernity in Protestant North Germany: more particularly, in the University of Göttingen, with its pioneering historical seminar and its emphasis on using all the Hilfswissenschaften to give history – even speculative history – a rigorous foundation. In his classic essay of 1950, „Ancient History and the Antiquarian“, Arnaldo Momigliano challenged this story, revealing in magisterial detail the role that Early Modern antiquaries had played in crafting what became the technical tools of modern scholarship. Many aspects of Momigliano’s argument have been qualified or challenged by later scholars, including at least one of the contributors to this volume. It is now clear that the antiquaries did not develop their methods in order to resist the challenge of historical Pyrrhonism4. 4

See Arnaldo MOMIGLIANO, Ancient History and the Antiquarian. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13 (1950) 285–315. For criticism, in addition to

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Yet these articles with their fascinatingly detailed portraits of the development of antiquarian methods and their application to the history of the church, ancient and medieval, offer powerful support for Momigliano’s larger thesis. In the nineteenth-century university, individual professors like August Böckh and Theodor Mommsen would unite what had been the separate pursuits and practices of antiquarians and historians, relegating those who continued the former tradition to museums and historical societies. In the seventeenth and eighteenth centuries, however, as these articles show, a vast range of technical practices – most famously the efforts to date manuscripts systematically, which began in the world of humanistic philology5, though they were further developed by the antiquaries studied here – were forged and honed in order to answer questions about church history. As the new nations and national consciousness of the nineteenth century raised new historical questions and drove the creation of new enterprises, so, we can now see, the need to infuse landscapes with holiness, to reorganize and revitalize religious orders, and to recreate liturgies did the same, in an earlier world. What happened, then, to the various forms of inquiry – from fierce debate about particular documents to general efforts to reframe the art of history in Catholic terms – in the transition to the nineteenth century? To what extent did the decades of secularization around 1800 erase or suppress the memory of these earlier enterprises? How did the fates of ecclesiastical scholarship differ as the nineteenth-century schools of history declared their novelty and independence? And how did it come about that a great and widely read Catholic scholar like Lord Acton saw himself as the heir far more of Protestant than of Catholic erudition? It seems clear that the French, and to a lesser extent the British, treated the ecclesiastical scholars of the Early Modern period more as early colleagues on whose work they built, while the historians of the new German universities did not. But this story remains largely untold. Second, there is a question about context. One point these studies put beyond doubt, collectively, is that ecclesiastical history had a far larger institutional base than any other form of historical inquiry in the Early

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Sawilla’s article above, see Mark Salber PHILLIPS, Reconsiderations on History and Antiquarianism: Arnaldo Momigliano and the Historiography of Eighteenth-Century Britain. Journal of the History of Ideas 57 (1996) 297–316; Momigliano and Antiquarianism. Foundations of the Modern Cultural Sciences, ed. Peter N. MILLER (UCLA Center/Clark Series, Toronto–Buffalo–London 2007). See Silvia RIZZO, Il lessico filologico degli umanisti (Sussidi eruditi 26, Roma 1973); Anthony GRAFTON, Joseph Scaliger. A Study in the History of Classical Scholarship (Oxford-Warburg Studies, 2 vols., Oxford 1983–1993) 1 9௅100, 161௅ 179.

588 Anthony Grafton Modern period. Monks, friars and canons could draw on the resources of their orders’ collections and weave vast networks of informants from their membership. The Jesuit community of the Bollandists, so brilliantly recreated by Jan Marco Sawilla, and the several hundred Benedictines of SaintMaur, formed research communities that have never wholly disappeared from the history of learning. But the papers presented here confirm what a number of the authors have already shown in individual studies and editions. Across Catholic (and parts of Protestant) Europe, ecclesiastical scholarship became a collective humanistic venture on a scale never seen before in the West – a collective project that involved, as we learn from this book, a substantial number of women, though the majority of ecclesiastical historians were male, and that extended its grasp from the ancient Christian world explored by Holste to the recent missions in the New World and East Asia. Ecclesiastical scholars benefited from resources that few of their counterparts could hope for. Lay historians from Jacques-Auguste de Thou to Edward Gibbon depended for information on their own libraries and, to a limited extent, on networks of informants. Ecclesiastical historians, by contrast, worked in libraries and archives designed to serve their purposes and richly stocked with primary and secondary sources. A few lay historians – for example, the pioneering historian of art Giorgio Vasari, whose work was enriched and chastened by the advice and collaboration of Vincenzo Borghini and other literary professionals – had substantive help from collaborators. Most of them, however, worked alone. By contrast, ecclesiastical historians – though subject to all the pressures of censorship – could also depend on a level of advice and criticism that almost none of their lay counterparts obtained. Ecclesiastical scholarship was a collaborative enterprise. Long ago, historians of science taught us to see collaboration as a new feature of scientific practice in the seventeenth and early eighteenth centuries – the period that saw the rise of the first scientific societies. They have also shown us how some of these organizations – notably the Royal Society of London – promoted new attitudes and practices. They framed rules for conducting inquiry into the natural world and laid a new emphasis on precision and objectivity in the reporting of data (or at least in the rhetoric in which reports were couched). The essays collected here, however, make clear that both the framing of protocols for inquiry and new efforts to claim – and sometimes to attain – objectivity in reporting evidence can be found in the work of the ecclesiastical scholars – and that just as the results of the members of the Royal Society challenged principles that many of them accepted, so the results that the ecclesiastical scholars reached, in some cases, led them to recognize historical processes and historical changes that ran counter to their own ideological expectations. Future histories of knowledge making in the seventeenth and eighteenth centuries will have to juxta-

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pose the story of the scientific societies with that of the orders and academies that plumbed the church’s past. They may well determine that the project of ecclesiastical history was larger in scale and earlier in formation than most of the better-known scientific societies. And they will certainly pose new questions about how far these enterprises affected, and even shaped, one another. The third question, finally, has to do with origins and background. For the most part, though not entirely, these excellent studies treat the ecclesiastical scholarship of the seventeenth and eighteenth centuries as a phenomenon of its time – one largely brought into being by the Counter-Reformation and largely shaped by religious, political, institutional and intellectual demands. This perspective, as they show, yields rich results. Yet the coin has another side. Ecclesiastical history – as Leibniz pointed out in his preface to the Scriptores rerum Brunsvicensium – had a tradition of its own6. It was the fourth-century creator of Christian ecclesiastical history, Eusebius, who made vital choices: to base his work on extensive if sometimes sloppy archival research, part of it carried out by assistants, and to insert the documents that he and they turned up, in full, in his history, with titles and introductions that made their importance clear. He, in turn – as Eduard Schwartz and Arnaldo Momigliano, among others, have pointed out – followed the example of the Jewish historian Josephus, who was probably inspired by the biblical books of Ezra and Nehemiah7. Over the centuries after Bede – as Momigliano showed –, ecclesiastical history retained the imprint of Eusebius. From the Venerable Bede, who, in the preface to his ecclesiastical history of the Anglo-Saxon nation, thanked the friend who had done research on his behalf in the Vatican archives, to Johannes Trithemius, who did his own research (and invention) in order to stuff his history of the Benedictine convent at Hirsau with rich and vivid documents, ecclesiastical history had a distinctive look and feel. To what extent did the historians whose work is surveyed here see themselves as cultivating a garden that Baronio had extended, but had certainly not created – a garden whose origins lay in the age of the Fathers? Did they see themselves as practicing a sort of Christian classicism? Did they see Eusebius

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Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes (3 vols., Hannover 1707–1711) 1 a r; reprinted in Malte-Ludolf BABIN–Gerd VAN DEN HEUVEL, Gottfried Wilhelm Leibniz. Schriften und Briefe zur Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218, Hannover 2004) 240. Eduard SCHWARTZ, Ueber Kirchengeschichte. Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Geschäftliche Mitteilungen (1908) 106–122. For Momigliano’s work on the subject see above.

590 Anthony Grafton and other early church historians as working with methods comparable to their own? Henri Valois certainly seems to have thought in this way when he tried to show that Eusebius’s lists of bishops, in the Ecclesiastical History, rested on exhaustive archival research of the sort he himself regularly engaged in – a futile effort that drew the justified criticism of John Pearson8. Did others also see themselves as working in a tradition that, like the church itself, was semper eadem? If so, how far were they correct? These questions, like the many others opened up by this splendid collective inquiry, will not find answers soon. I hope, though, that they confirm the value and interest of this volume and of the vast subject matter that it helps to illuminate. It is to be hoped that full-scale monographs soon illuminate many of the careers and works of scholarship presented here, and that comparative studies as rich and cogent as those collected here are soon brought together to illuminate, by a similarly comparative approach, the world of Protestant ecclesiastical scholarship in the same period9. Meanwhile all students of the Religious Enlightenment, as well as of the history of historical scholarship, will benefit from this remarkable collection, which restores a great era in the development of scholarly practice to the collective memory of historians.

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Eusebii Pamphili Ecclesiasticae historiae libri decem. Eiusdem De vita imperatoris Constantini libri IV, ed. Henri VALOIS (Paris 1659–1673), notes (paginated separately) 96; John PEARSON, Dissertatio prima de successione primorum Romae episcoporum in genere, in: Johannis Pearsonii Opera posthuma chronologica, ed. Henry DODWELL (London 1688) 7. See for now Jean-Louis QUANTIN, The Church of England and Christian Antiquity. The Construction of a Confessional Identity in the 17th Century (Oxford-Warburg Studies, Oxford–New York 2009).

Abbildungsverzeichnis Zu Alois SCHMID Abb. 1: Matthäus RADER, Bavaria sancta, 1 (München 1615), Titelkupfer (© Thomas Wallnig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2: Matthäus RADER, Bavaria sancta, 1 (München 1615), Titelblatt (© Thomas Wallnig). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3: Matthäus RADER, Bavaria sancta, 1 (München 1615) 217: Martyrium des Engilmar (© Thomas Wallnig) . . . . . . . . . . . Abb. 4: Bruderschaftskirche St. Veit, Straubing: Figuren der Ecclesia und Bavaria (© Peter Schwarz). . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu Stefan BENZ Abb. 5: Emporenbemalung mit der Kolomansvita in der Filialkirche St. Koloman in Haslach (Marktgemeinde Glonn), 1646 (Ausschnitt) (© Stefan Benz) . . . . . . . . . . . . . 623

Zu Helga PENZ Abb. 6: Stiftsarchiv Heiligenkreuz, 7-IV-24: Klemens Schäffer, Notitia universalis, Titelblatt (© Stift Heiligenkreuz, Helga Penz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 7: Stiftsarchiv Heiligenkreuz, 7-IV-24: Klemens Schäffer, Notitia universalis, 194f. (© Stift Heiligenkreuz, Helga Penz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 8: Stiftsarchiv St. Peter zu Salzburg, Register über das kloster Petersche haubt-archiv anno 1766. (© Archiv der Erzabtei St. Peter, Helga Penz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 9: Erzabtei St. Peter zu Salzburg, Trompe-l’œil-Malerei im Durchgang zum ehemaligen Abteiarchiv, Gesamtansicht (© Archiv der Erzabtei St. Peter, Reinhard Weidl) . . . . . . . . Abb. 10: Erzabtei St. Peter zu Salzburg, Trompe-l’œil-Malerei im Durchgang zum ehemaligen Abteiarchiv, Detail (© Archiv der Erzabtei St. Peter, Reinhard Weidl) . . . . . . . .

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592 Abbildungsverzeichnis Zu Uta COBURGER Abb. 11: Franz Joseph Lederer, Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck, 1699, Domkirchenstiftung Freising (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Wolf-Christian von der Mülbe). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 12: Freisinger Dom, Kreuzgang (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Uta Coburger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 13: Karl MEICHELBECK, Historia Frisingensis, 1 (Augsburg 1724), Titelkupfer und Titelblatt (Exemplar Universitätsbibliothek Heidelberg, © Uta Coburger) . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 14: Karl MEICHELBECK, Kurtze chronica (Freising 1724), Titelkupfer (Exemplar Universitätsbibliothek Mannheim, © Uta Coburger). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 15: Freisinger Dom, Mittelschiff mit Blick nach Osten zum Hochaltar (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 16: Freisinger Dom, Mittelschiffhochwand und Emporen (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . . . . . . Abb. 17: Freisinger Dom, Korbiniansleben: Korbinian erweckt den Brunnen (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 18: Freisinger Dom, Tugenden des Hl. Korbinian (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . . . . . . Abb. 19: Freisinger Dom, Der Hl. Korbinian und die Freisinger Patrone (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . Abb. 20: Freisinger Dom, Die drei göttlichen Tugenden (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . . . . . . Abb. 21: Freisinger Dom, Scheinkuppel mit der thronenden Gottesmutter (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Achim Bunz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abb. 22: Freisinger Dom, Inschriftenkapitell (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Uta Coburger). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 23: Freisinger Dom, Puttenkapitell (© Erzbistum München und Freising, Erzbischöfliches Ordinariat München, Kunstreferat, Uta Coburger). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 24: Karl MEICHELBECK, Das danckbahre Freysing (Freising 1725), Titelkupfer (Exemplar Dombibliothek Freising, © Uta Coburger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 25: Cosmas Damian Asam, Einzug Fürstbischof Eckhers in den renovierten Dom, 1724, Kupferstich, Diözesanmuseum Freising (© Diözesanmuseum Freising, Carola Wicenti) . . . .

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Zu Werner TELESKO Abb. 26: Melk, Stiftskirche, Langhaus, Gesamtansicht der Decke (© Martin Mádl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 27: Melk, Stiftskirche, Langhaus, Mitteljoch mit Benedikt als magister virtutum (© Martin Mádl). . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 28: Melk, Stiftskirche, Langhaus, Joch mit den beiden Sehern des Todes Benedikts (© Martin Mádl) . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 29: Melk, Stiftskirche, nördliche Apsiskonche, „Märtyrerkirche“ (© Martin Mádl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 30: Melk, Stiftskirche, südliche Apsisknoche, „Papstkirche“ (© Martin Mádl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 31: Juan CARAMUEL Y LOBKOWITZ, Sanctus Benedictus Christiformis (Prag 1652, 11648, s. p.), Tod Benedikts und Kreuzigung Christi (© Österreichische Nationalbibliothek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu Thomas WALLNIG Abb. 32: Stiftsarchiv Melk, Karton 85 Varia 25, Fasz. 1, Nr. 6: Exzerpt von Bernhard Pez, De appetitu sanctorum (© Stift Melk, Abubakar Sidyk Bisayew) . . . . . . . . . . . . . . . 647

594 Abbildungsverzeichnis Zu Mark MERSIOWSKY Abb. 33: Archiepiscopatus et electoratus Trevirensis per refractarios monachos Maximinianos aliosque turbati (Trier 1633), Titelblatt (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 34: Nikolaus ZILLES, Defensio abbatiae imperialis Maximini (Trier 1638) 28f. (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 35: Hermann CONRING, Censura diplomatis, quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense (Helmstedt 1672) 368f. (© Mark Mersiowsky). . . . . . . . . . . Abb. 36: Christian KNAUT, Antiquitates pagorum et comitatuum principatus Anhaltini (Frankfurt am Main 1699) 36f. (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 37: Daniel PAPEBROCH, Ad tomum II Aprilis propylaeum antiquarium, in: AASS Aprilis 2 (Antwerpen 1675) I–XXXI, Falttafel (© Mark Mersiowsky). . . . . . . . . . . . . . . Abb. 38: Daniel PAPEBROCH, Ad tomum II Aprilis propylaeum antiquarium, in: AASS Aprilis 2 (Antwerpen 1675) I–XXXI, hier XIV f. (© Mark Mersiowsky). . . . . . . . . . . . . Abb. 39: Band der Acta sanctorum; Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709): Formatvergleich (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 40: Hermann CONRING, Censura diplomatis, quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense (Helmstedt 1672); Johann Reinhard WEGELIN, Sacri Romani imperii liberae civitatis Lindaviensis praerogativa antiquitatis (Jena 21713): Formatvergleich (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 41: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Tafel 26 (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 42: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), 640f. (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 43: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Tafel 36 (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 44: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Tafel 5 (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 45: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), 498f. (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 46: Barthélémy GERMON, De veteribus regum Francorum diplomatibus disceptatio. (Paris 1703); Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Formatvergleich (© Mark Mersiowsky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis 595

Abb. 47: Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (Pairs 1704), Tafeln(© Mark Mersiowsky) . . 660 Abb. 48: Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (Pairs 1704) 48 (© Mark Mersiowsky) . . . . . 661

Register A Abersee 93 Åbo 574 Abtenau 93 Achery, Luc d’ 310, 352, 364, 370௅372, 376, 461 Acton, John Edward Dalber-Acton, baron 587 Adalbert, Hl. 34 Adela von Pfalzel, Hl. 437, 438, 440 Adlzreiter von Tettenweis, Johann 161 Admont 75, 76, 79, 91, 94 Adolf Friedrich von Holstein-Gottorf (König von Schweden) 574 Ado, Hl. (Erzbischof von Vienne) 330 Affligem 65 Afra, Hl. 156 Afrika 343, 346 Agapitus, Hl. 99 Agathon (Papst) 181 Agilolfinger (Familie) 107, 108, 157 Agnani, Giovanni Domenico 207 Agnes (Herzogin von Bayern) 32 Agustín, Antonio 420 Agustinho da Anunciação 260 Ägypten 1, 210, 434 Ahl, Ingmar Kurt 545 Aicher, Otto 84 Aimoin von Fleury 308 Airolo, Giovanni Pietro 279 Aix-en-Provence 364, 368, 372 Alanien-Ossetien 578 Albenga 277 Albert von Jerusalem, Hl. 384 Albert I. von Harthausen (Bischof von Freising) 130 Albertan, Christian 469, 481 Albrizzi, Giandomenico 301 Albus, Vanessa 575 Alexander der Große 530

Alexander I., Hl. (Papst) 122 Alexander VI. (Papst) 387 Alexander VIII. (Papst) 219 Alexandre, Noël 222 Alexandria 231, 232 Alexej Petroviþ (Zarewitsch) 559 Alibert, Jean d’ 365, 366 Alkuin, Hl. 156, 165 Allgäu 140 Allier 312 Alpen 275 Altmann, Hl. (Bischof von Passau) 86 Altomünster 115 Altötting 26 Amalia Wilhelmine (Kaiserin) 298, 493 Amandus, Hl. 76, 79 Amat de Graveson, Ignace-Hyacinthe 218, 219, 222, 226, 232 Amerika 588 Amiens 377 Ammianus Marcellinus 520, 522 Amort, Eusebius 150, 165 Amulo (Erzbischof von Lyon) 343, 344, 350 Anastasia, Hl. 141, 156, 166 Anderson, Benedict 551 Andhra Pradesh 243 Angers 340 Anhausen 23 Anjou (Familie 362 Anna (Infantin von Spanien) 496, 507 Annius von Viterbo 525, 526 Antiochia 231, 233, 240, 247, 260 Antwerpen 64, 69, 384, 385, 389, 391, 394 Aquitanien 256, 268, 372 Aragazzi, Bartolomeo 429 Aragon 495, 496 Aranha, Paolo 15 Arbeo (Bischof von Freising) 108, 119, 121, 130, 157, 160, 161

598 Register Argelati, Filippo 295, 297 Aringhi, Paolo 395 Aristophanes 528 Aristoteles 198, 520, 522 Arles 256, 332, 333, 335, 353௅356 Armagh 339, 340, 355, 358, 359 Armenien 259 Arn 103 Arnauld, Antoine 354 Arnobius der Jüngere 340 Arnold, Gottfried 220 Arnsdorf 93 Arpajon 114, 156 Asam, Cosmas Damian 118–124, 127, 128, 133, 134, 184 Asam, Egid Quirin 119–121, 124, 126– 128, 133, 134 Asam, Hans Georg 120 Asien 240, 241, 588 Athen 523 Aubery, Louis 369 Augsburg 128, 161, 432 Augustinus, Hl. 16, 266, 301, 327௅329, 333, 334, 336, 339, 341, 344௅346, 348, 350௅352, 357, 358, 474, 584 Augustus (Kaiser) 417, 555 Ausonius, Decimus Magnus 415 Australien 239 Austrasien 436, 437 Avanzini, Nicola 275, 286 Aventin (Turmair), Johannes 81, 157 Averani, Giuseppe 289, 291 Avignon 247 Avitus, Hl. (Bischof von Vienne) 330, 353 Azevedo Coutinho, Marco Antonio de 252, 253 Azzo von Este 490

B Babenberger (Familie) 105 Babin, Malte-Ludolf 488 Babylon 1 Bacchini, Benedetto 477 Backus, Irena 7 Bacon, Francis, Viscount Saint Albans 194

Badea, Andreea 16 Baert, François 466 Balbín, Bohuslav 33, 62 Balearen 495 Baltikum 557, 574 Baluze, Étienne 314, 381, 518 Bamberg 25, 60 Barberini, Francesco 367 Barcelona 280 Barcos, Martin de 16, 341, 342 Baronio, Cesare 17, 70, 74, 79, 87, 89, 183, 228, 234, 235, 245, 331௅337, 350, 353, 354, 387, 395, 436, 441, 443, 584, 589 Bartenstein, Johann Christoph (von) 149 Basel 505 Basnage de Beauval, Jacques 232, 402 Baudouin, François 526 Baumann, Franz Ludwig 146, 147, 149 Baumgarten, Alexander Gottlieb 205 Baumgartner, Anton 61 Bayer, Gottlieb Siegfried 556, 558 Bayern 12, 24௅26, 28, 30, 32, 35௅38, 50, 51, 53, 59௅61, 64௅66, 79, 80, 107, 109, 110, 112–115, 120, 133, 134, 137, 140௅143, 145, 147, 150, 155, 159, 161, 166, 298, 302, 495 Bayle, Pierre 225, 232, 584 Beatrix (Kaiserin) 121, 131 Beaufort, Louis de 377 Beda Venerabilis, Hl. 435, 589 Beduzzi, Antonio 171 Belgien 13, 52, 63௅65, 69, 352, 385 Belgrad 110 Bellarmino, Roberto 234, 261௅263, 268 Bénard, Laurent 309, 367 Benedikt, Hl. 14, 112, 151, 154, 155, 171௅181, 187௅190, 308, 309, 322, 323, 438 Benedikt von Aniane, Hl. 310 Benedikt XIII. (Papst) 117, 244 Benedikt XIV. (Papst) 216, 221, 240, 244, 247, 248, 251–255, 257, 269, 289, 379 Benediktbeuern 85, 113, 116, 140, 141, 145, 149, 150, 152, 153, 157–159, 166–168 Benno von Meißen, Hl. 35

Register 599 Benvoglienti, Uberto 289 Benz, Stefan 7, 9, 12, 22, 40, 77, 209, 297, 298, 585 Berchtesgaden 120 Berengar von Tours 201 Berlin 516, 560 Bernard, Edward 517 Bernhard von Clairvaux, Hl. 461 Bernini, Gianlorenzo 220 Bernoulli, Jakob 505 Bernoulli, Johann 505, 508 Bertagni, Giuseppe 288 Bertelli, Sergio 435 Berthold von Kalabrien, Hl. 384 Berti, Gianlorenzo 220, 224, 228, 232 Bertrand, Antoine-Louis 364, 367 Bertrand, Joseph 245 Bertrand, Paul 451, 456, 468 Besançon 248, 501, 502, 505, 507, 508 Besozzi, Gioacchino 254 Bessel, Gottfried 141, 142, 301, 304, 463 Beuron 94 Beyer, Augustin 103 Bèze, Théodore de 543 Bianchi, Giovanni Antonio 258 Bianchi, Giulio Maria 385௅390, 393, 398, 399, 402 Bianchini, Francesco 15, 214, 219, 228௅230, 398௅401 Bidez, Joseph 524 Bihrer, Andreas 9 Bilius, Eduardus 69 Bini, Giuseppe 296, 297 Biondo, Flavio 23, 409, 419, 423 Blackstone, William 546 Bloch, Marc 370, 377, 378 Blum, Paul Richard 207 Böckh, August 587 Bodin, Jean 416, 417, 426, 520 Bodman, Rupert von 158 Böhmen 34, 55, 62, 64 Boileau, Nicolas 567 Boisot, Jean-Baptiste 502௅509 Boisot, Jean-Jacques 505௅509 Boldetti, Marcantonio 402 Bolland, Jean 349 Bologna 69, 287, 329

Bonifatius, Hl. 108, 115 Bonifaz IV., Hl. (Papst) 181 Bonifaz VIII. (Papst) 387 Bonnaire, NN. 366 Bordeaux 16, 364, 365 Borgia, Lucrezia (Herzogin von Ferrara) 493 Borelli, Andrea 390 Borghero, Carlo 5 Borghini, Vincenzo 588 Borromeo del Grillo, Clelia, contessa 279 Bosio, Antonio 395, 583 Bossuet, Jacques-Bénigne 47, 56, 214, 220, 381 Bouchet, Jean-Venance 263, 264 Bouchier, Gilles 352 Bouillart, Jacques 117 Bouillon, Emmanuel-Théodose de la Tour d’Auvergne, duc de 313, 397, 399, 400 Bourbon, Jean de 310, 318௅320 Bourbonen (Familie) 240, 294, 389, 496, 511 Bourgoing, Philippe 311 Bourzeis, Amable de 344 Boxhorn, Marcus Zuerius 516, 517 Brandenburg 283, 284, 514, 516, 519, 560 Brandolini, Antonio Broglia 263, 264, 266 Brasilien 249 Braunschweig-Lüneburg 285, 490, 506, 511 Breitenau 93, 94 Bremer, Kai 199 Breslau 63 Bresslau, Harry 452, 453 BĜevnov-Broumov 206 Breyer, Remi 349 Brichieri Colombi, Domenico 296, 301 Brito, Estevão de 263, 264, 266, 267 Brito, João de 252, 254, 257, 258 Brosseau, Christophe 506 Brower, Christoph 405, 406, 422, 438, 439 Brunn 97 Brunner, Andreas 161

600 Register Brunner, Heinrich 550 Brusch, Kaspar 24, 438 Brüssel 112, 281 Bucelin, Gabriel 27, 61, 62, 74, 155௅157, 188, 189, 308 Buchhaim, Franz Anton, Graf 494 Budé, Guillaume 515 Buffa, Carlo von 284, 302 Burchard, Johann 491 Burgund 314, 436 Burkardt, Johannes 455 Burke, Edmund 546, 547 Burke, Peter 435 Bursfelde 305 Büsching, Anton Friedrich 561 Buyrin, Georges 313, 315 Byzanz 413, 444, 555

C Cadiz 247 Caesar, Gaius Julius 426 Caesarius, Hl. (Erzbischof von Arles) 332, 335 Calixt II. (Papst) 181 Calmet, Augustin 299 Calvin, Johannes 331 Cambrai 291 Canisius, Heinrich 354, 355, 356, 431, 432 Cano, Melchior 55, 217, 219, 224, 225 Capisucchi, Raimondo 347 Caracciolo, Antonio, principe di Torella 289 Caramuel y Lobkowitz, Juan 189 Carlo Maria da Perugia 248 Caroline (Prinzessin von Wales) 493 Carpentras 364 Carr, Edward Hallet 514 Casanate, Girolamo 397, 398 Casaubon, Isaac 363, 584 Cassander, Georg 329 Caunes 365, 366 Caylus, Anne-Claude-Philippe de Tubières de Grimoard, comte de 373 Cellot, Louis 346௅350, 353, 357௅359

Ceva, Tommaso 207 Ceyssens, Lucien 338 Chacón, Alfonso 427 Chadwick, Owen 585 Chalcedon 232 Chalons 314 Charité-sur-Loire, La 314 Charlotte Christine von BraunschweigWolfenbüttel (Zarewna) 559 Chartres 156 Charvin, Gaston 306 Chassignet, Albert 311 Chaussy, Yves 305 Chesneau, Nicolas 331, 332 Chezal-Benoît 305, 308, 309 Chifflet, Jules 502 Childebert III. (fränkischer König) 436 Childerich II. (fränkischer König) 436 China 239௅244, 247, 249, 253, 260, 269, 585 Chlodwig II. (fränkischer König) 436 Christina (Königin von Schweden) 517 Chrodelindis (fränkische Adlige) 437, 438 Chur 56 Ciampini, Giovanni Giustino 216 Cicero, Marcus Tullius 423 Clauder, Johann Christoph von 284 Claudiopolis 247 Clearchus (Stadtpräfekt von Rom) 414 Clichtove, Josse 311 Cluny 16, 306௅325 Coburger, Uta 13 Coccius, Jodocus 438, 440௅442 Cochin 264 Coelestin I. (Bischof von Rom) 231௅233, 256 Coelestin V., Hl. (Papst) 181 Coke, Edward 544 Colbert, Jean-Bapiste 518 Colla, Martino de 277, 284, 292, 293 Colloredo, Hieronymus, Graf 277, 290, 292, 297, 303 Colloredo, Leandro di 396௅398, 400, 401 Colmar 563 Comacchio 272, 285, 286, 289–291, 295

Register 601 Conring, Hermann 457௅459, 467, 519, 538, 550 Consbruch, Caspar Florentin von 494 Constantius von Lyon 343 Contenson, Vincent de 348 Corbie 344, 350 Coreth, Anna 40, 65 Cornelius Nepos 225 Coromandelküste 240, 259 Corsini, Neri Maria 246, 248, 252, 254 Costa, Balthazar da 263, 264 Coustant, Pierre 475 Crammer, Anton 25, 26 Cranganore 262, 263, 264, 266 Creuse 312 Croce, Benedetto 417, 418 Cunaeus, Petrus 524 Cyrill (Bischof von Alexandria) 231௅233, 519, 523

D Dagobert I. (fränkischer König) 156, 434, 435, 437௅440, 459, 460 Dagobert II. (fränkischer König) 436௅439, 459, 465 Dagobert III. (fränkischer König) 459 Daillé, Jean 355 Dalin, Olof von 571 Dänemark 556 Daston, Lorraine 195 Daun, Wirich Philipp, Graf 296, 297 D’Avenant, Henry 279, 281, 283, 285, 290 De la Pare, Guillaume 398, 399, 401 De Laet, Jan 338, 354 Dechamps, Étienne 355 Decker, Paul 127 Del Bene, Tommaso 294 Demosthenes 523 Den Haag 519 Denis, Paul 374 Dernbach, Kaspar Friedrich 535, 536, 549 Des Prés, Placide 313 Descartes, René 207, 433, 435, 520

Desiderius von Poitiers 436, 437 Desing, Anselm 137, 148, 205 Deutschland (bzw. Teutschland) 11, 17, 18, 23, 25, 40, 63, 114, 118, 125, 134௅137, 139, 141௅144, 149, 163, 164, 166௅168, 210–211, 284, 315, 317, 389, 454, 466, 467, 490, 500, 515, 533, 534, 536–538, 540– 542, 545, 549, 550, 561, 580, 586, 587 Dietmayr, Berthold 14, 169, 170, 174, 176, 178௅180, 187, 189, 586 Dijon 17, 502, 578 Dillingen 77, 482 Dinokrates 583 Dionysius, Hl. 34 Ditchfield, Simon 7, 216, 379 Dnjepr 556 Dodsworth, Roger 460 Dolbeau, François 305 Dombes 468 Donati, Claudio 295 Donau 556 Dordrecht 339 Doria (Familie) 279 Doria, Paolo Maria 287 Dornbach 93, 94 Douai 353 Doublet, Jacob 441 Dresden 43 Driedo, Joannes 328 Droysen, Johann Gustav 426 Drusius, Johannes 19 Du Bellay, Guillaume 427 Du Breul, Jacques 308, 309 Du Cange, Charles du Fresne 584 Du Pin, Louis Ellies 232 Du Port, Charlotte 515 Du Val, André 336 Du Val, Jean Margalet 365–368 Duchesne, André 313, 345, 372, 376 Dückher von Haslau zu Urstein und Winckl, Franz 83 Dugdale, William 460 Duhamel, Jean Baptiste 207 Dumont von Carlscroon, Jean 298 Dunchad, Hl. 156 Durand, Ursin 314

602 Register E Ebbo (Bischof von Grenoble) 343 Eberhard (Graf von Friaul) 330, 351, 352 Ebingen 283 Eching 94 Eckhart, Johann Georg (von) 201, 508, 537 Eckher von Kapfing und Liechteneck, Johann Franz 13, 109௅120, 123௅125, 128௅134, 140, 141, 159, Eckher zu Kapfing und Liechteneck, Maximilian Franz 128, 129 Eco, Umberto 584 Edinburgh 1 Egerland 24 Egger, Felix 146 Eichstätt 25, 60, 112, 115 Eisenhart, Johann 467 Eleonore (Herzogin von BraunschweigLüneburg-Celle) 490 Eliland, Hl. 157 Eliot, George 362 Elisabeth I. (Königin von England) 421 Elisabeth I. (Zarin) 564, 565, 567, 573, 574, 576 Elisabeth Stuart (Königin von England) 519 Elisabetha (Spitalspfründnerin zu Salzburg) 88 Elsass 315 Embalner, Valentin 174 Emmeram, Hl. 35 Endres, Joseph Anton 136 Engelberg 138 Engelbrecht, Christian 179 Engelgrave, Hendrik 178 Engilmar, Sel. 31 England, Großbritannien 15, 194, 248, 249, 269, 279, 281, 285, 290, 315, 479, 517, 519, 524, 544, 547, 563, 568, 587 Ennodius (Bischof von Pavia) 336, 343, 346 Ennstal 93, 94 Ensdorf 120, 137 Enzersdorf 100

Ephesus 230௅234, 237 Epiktet 520 Erasmus von Rotterdam 328, 329, 353 Erath, Augustin 152 Erchanbert (Bischof von Freising) 130 Erchempert 289 Erembert (Bischof von Freising) 130 Erfurt 207 Erhardt, Kaspar 146 Ernst, Fritz 424 Ernst, Wolfgang 410, 411 Ertl, Anton Wilhelm 28, 29 Eschinard, Pierre 364, 365 Espence, Claude d’ 329 Essonne 156 Estiennot de la Serre, Claude 397 Estoile, Pierre de l’ 425 Estor, Johann Georg 537௅539, 548௅550, 552 Ettal 112, 128 Eucherius (Bischof von Lyon) 224 Eugen Franz (Prinz von SavoyenCarignan) 280, 281 Eugippius 81 Euler, Leonhard 560, 561, 564, 577 Eure-et-Loir 156 Eusebius von Caesarea 358, 359, 589, 590 Eutyches 232 Externbrink, Sven 17

F Fabretti, Raffaele 400 Fabricius, Johann Albert 142 Fager 93 Falconieri, Ottavio 518 Fasolt, Constantin 538 Faustus, Hl. (Bischof von Riez) 256, 257, 327௅330, 332௅338, 340, 348, 349, 353௅356 Feingold, Mordechai 19 Felicitas, Hl. 583 Feodosij 554 Ferdinand der Katholische (König von Aragon) 498௅500, 507

Register 603 Ferdinand I. (Erzherzog von Österreich, Kaiser) 495, 500, 507 Ferdinand III. (Erzherzog von Österreich, Kaiser) 507 Ferrara 293 Fiano, Francesco da 429 Fidler, Marian 27 Fieschi (Familie) 279 Finale Ligure 292 Finnland 568, 574 Fischer, Anselm 146 Flacius Illyricus, Matthias 245 Flandern 352 Flavia Jovina 395 Fléchier, Valentin Esprit 56 Fleury, Claude 221, 222 Flodoard von Reims 331, 332, 337, 342 Florenz 11, 240, 286, 288, 289, 290, 293, 294, 300 Florez, Henrique 27 Florus von Lyon 335, 343 Flugi von Aspermont, Johann 56 Fontanini, Giusto 275, 286, 291, 473௅477, 482, 483 Forlosia, Nicola 298, 301 Forster, Frobenius 165 Foucault, Michel 411 Foullon, Jean Érard 352 Franche-Comté 311, 315, 501, 505 Francke, August Hermann 579 François de Bonne-Espérance 385 Franeker 1 Franken 51, 59, 60, 64, 65, 108, 115 Frankfurt 290 Frankreich 15, 16, 34, 47, 56, 63, 114, 118, 127, 133, 138, 139, 143, 146, 147, 151, 156, 163, 166, 167, 240, 246, 247, 249, 252, 259, 260, 263, 279, 305, 306, 309௅311, 315, 316, 323, 324, 327, 335, 339, 351, 357– 359, 362, 365, 373, 384, 421, 426, 451, 454, 461, 467, 468, 477௅479, 497, 510, 513௅516, 518, 522, 524, 529, 536, 544, 568, 587 Franz I. Stephan (Kaiser, Großherzog von Toskana) 248 Fraporta, Franz Anton von 116 Freiberg 566

Freienseen 544, 545 Freising 13, 14, 25, 107௅123, 125௅134, 138, 140, 141, 148, 150, 153, 157௅160, 162, 168, 585 Friaul 330, 351, 475 Friedrich I. Barbarossa (Kaiser) 121, 131 Friedrich V. (Pfalzgraf, Kurfürst, König von Böhmen) 110, 519 Friedrich I. (König in Preußen) 519 Friedrich II. (König von Preußen) 66, 412, 425, 445, 574 Friedrich Wilhelm I. (Kurfürst von Brandenburg) 513, 516 Fritsch, Gottfried Ernst 302 Fritsch, Thomas 291 Fronsac 369 Fueter, Eduard 21, 418 Fulda 83 Fulgentius, Hl. (Bischof von Ruspe) 330, 333, 334, 353 Fumaroli, Marc 406 Fürstenberg (Familie) 45 Fürstenberg, Ferdinand von 56, 63, 441 Füssel, Marian 9 Fustel de Coulanges, Numa-Denis 372

G Gabrielli, Giovanni Maria 389, 390 Gädeke, Nora 17 Galli, Antonio Andrea 255, 257 Galli-Bibiena, Giuseppe 183 Gallien 327, 331, 338, 347 Gallner, Bonifaz 170 Gama, Vasco da 241 Garelli, Pius Nikolaus 277, 284, 295, 296, 302 Garms-Cornides, Elisabeth 15, 274 Garofalo, Biagio 302 Gasnault, Pierre 305 Gassendi, Pierre 362, 363, 372, 373, 375 Gatti, Marco Antonio 475, 477 Gaulmin, Gilbert 368 Genf 515, 516 Gennadius von Marseille 340, 341

604 Register Gentili, Antonio Saverio 254 Gentilotti von Engelsbrunn, Johann Benedikt 201 Genua 249, 272, 275, 277௅283, 285, 287, 289, 290, 296, 303 Georg I. (König von England) 286 Gepeckh, Veit Adam von 109, 110, 113, 124 Gerbert, Martin 27, 142, 165 Germain, Michel 314 Germaine de Foix 507 Germanus von Capua 176, 177 Germon, Barthélémy 17, 447, 451, 468௅483 Gerold in der Baar 32 Gewold, Christoph 25, 32 Ghelen, Johann Peter van 298 Gherardi, Pietro Ercole 297 Giacobazzi, Domenico 234 Giannone, Pietro 197, 258, 284, 290, 299, 302 Gibbon, Edward 551, 588 Giesecke, Michael 430 Gießen 466, 538 Ginetti, Andrea 280 Ginzburg, Carlo 380 Giorgi, Francesco Maria 280 Giovanni Giacomo da Genova 398, 399, 401 Goa 241, 260, 261, 263, 264, 267, 268 Godefroy, Théodore 372 Goetz, Hans-Werner 46 Goldegg 93 Goldgar, Anne 9 Gollner, Maria Seraphina 57 González de Santalla, Tirso 387௅389 Gordin, Michael 559 Gordon, Andreas 207 Göttingen 62, 66, 539, 586 Gottorfer (Familie) 574 Gottschalk von Orbais 327, 330௅332, 336, 337, 339, 342௅348, 350, 352, 356 Gottsched, Johann Christoph 284, 300, 567 Götzelt, Thomas 406, 410 Grafton, Anthony 1, 5, 18, 19, 362, 363 Gramaye, Jean Baptiste 63

Granier, NN. 369 Granvelle, Antoine Perrenot de 17, 501௅505, 509 Graz 64 Gregor I. der Große, Hl. (Papst) 153, 172–174, 176, 180, 181, 186, 187, 189, 190, 414 Gregor von Nazianz, Hl. 521 Gregor II. (Papst) 121 Gregor III. (Papst) 400 Gregor VII., Hl. (Papst) 181 Gregor IX. (Papst) 320 Gregor XV. (Papst) 243, 250, 255, 261 Greiffencrantz, Christoph Joachim Nicolai von 509, 510 Grenoble 343 Gretser, Jacob 432 Griechenland 1, 225, 416 Grimaldi, Costantino 289, 290, 296 Grimm, Jakob 550 Grimoald (Herzog von Bayern) 107 Grimoald (fränkischer Hausmeier) 436, 437 Grotius, Hugo 18, 339, 342, 547௅550, 552 Grouchy, Nicolas de 420 Gudwal, Hl. 156 Guenée, Bernard 4 Guetrather, Petrus 128, 131 Guicciardini, Lodovico 539 Guillemin, Denis 367௅369 Guîtres 364௅369 Guìzhǀu 247 Gumppenberg, Wilhelm von 28, 29 Gundling, Jakob Paul (von) 284, 292 Gunthram, Hl. (fränkischer König) 436 Gustav III. (König von Schweden) 574 Guyenne 366

H Habsburger (Familie) 15, 17, 63, 64, 165, 274, 290, 292, 295, 298, 299, 303, 304, 362, 389, 501, 559 Hackmann, Friedrich August 284 Hadrumetum 343 Haidenfeld, Alphons 153, 154

Register 605 Hain 97 Haitzendorf 97 Halberstadt 59 Halbwachs, Maurice 10 Hall in Tirol 284 Halle 66 Hallstatt im Salzkammergut 284 Hamburg 24 Hammermayer, Ludwig 136, 137, 139, 142, 149, 163, 166, 167 Hammerstein, Notker 7, 40, 536 Hannover 39, 400, 487, 492, 493, 498௅500, 506, 507, 519 Hansiz, Marcus 27 Hardouin, Jean 227, 476, 526, 528, 529 Harrach, Friedrich August 281, 298 Hartzheim, Caspar 265 Haskell, Francis 373 Haslach 71 Hassan (Muley) 504 Hauschild, Johann Leonhard 537, 538, 549, 551, 552 Hazard, Paul 6, 418, 584 Hazart, Cornelius 70 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 47, 49, 74 Heidelberg 482, 483, 519 Heiligenkreuz 13, 100, 105 Heinrich II. (Kaiser) 60 Heinrich III. (Kaiser) 442 Heinrich IV. (Kaiser) 424, 425, 442 Heinrich der Löwe 490 Heinrich II. (Herzog von Bayern) 32 Heinsius, Daniel 516, 517 Helmstedt 457, 466 Helwich, Georg 60 Hélyot, Pierre 310 Henckel, Johann Friedrich 566 Henri I. de Fautrières (Abt von Cluny) 320 Henriquez, Chrysostomus 69 Henschen, Gottfried 349, 384, 436௅439 Herberstein, Siegmund von 556 Herklotz, Ingo 433 Hermant, Jean 309 Herodot 434 Herrgott, Marquard 105, 144, 149, 165, 202, 203, 298, 299

Hersche, Peter 10, 215 Hert, Johann Nikolaus 466, 467, 534, 537௅540, 549௅552 Herzogenburg 96௅99, 102, 103 Hessen 535, 544 Hessen-Darmstadt 538, 544 Heussen, Hugo Franz von 26 Hickes, George 479 Hieber, Gelasius 128, 132 Hieronymus, Hl. 340 Hilaire, Paul d’ 368 Hilarianus 414 Hilarius (Bischof von Arles) 256, 257, 333 Hildesheim 59, 544 Hille, Martin 53 Hinkmar (Erzbischof von Reims) 233, 327, 330௅332, 335, 337, 339௅343, 345௅347, 350, 351, 356, 357 Hirsau 83, 589 Hitto (Bischof von Freising) 130 Hobbes, Thomas 18, 520, 547 Hobsbawm, Eric 551 Hoffmann, Christoph Gottfried 541 Hoffmann, Peter 561, 562, 569, 571, 572, 574, 577 Hofmannsthal, Hugo von 43, 44, 67 Hohenems 56 Hohenzollern (Familie) 66 Holland 15, 248, 269, 494, 507, 563 Holste, Lucas 341, 583, 584, 588 Holstein 556, 568 Holstein-Gottorf (Familie) 574 Holzhausen 535, 549 Homer 520 Honorius Augustodunensis 202 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 483 Hormisdas, Hl. (Papst) 188 Hornstein, Benedikt 144 Hotman, François 543, 549 Hrabanus Maurus 330, 337, 342, 351 Huber, Ildephons 159 Hübner, Rudolf 550 Huet, Pierre-Daniel 518, 524 Hugo von Cluny, Hl. (Abt von Cluny) 320, 321, 322 Hugo Capet (König von Frankreich) 472

606 Register Hugo V. (Abt von Cluny) 320 Hugo, Gustav von 550, 551 Hund von Sulzenmoos, Wiguleus 24, 81, 157 Hurel, Daniel-Odon 16 Husson, L.-J. 245 Hydulphus, Hl. 321

I Ignatius von Loyola, Hl. 217, 363 Imbsen, Johann Theodor von 296 Indien 15, 240௅246, 249௅251, 259௅261, 264, 266–269 Indochina 249 Innozenz X. (Papst) 347 Innozenz XI. (Papst) 253, 255, 313, 348, 385 Innozenz XII. (Papst) 110, 389௅392 Innozenz XIII. (Papst) 117 Innsbruck 147 Inzersdorf 97 Iran 578 Irland 348, 436, 437 Irmina von Oeren, Hl. 437௅440, 442 Isfahan 507 Isidor, Hl. (Bischof von Sevilla) 34, 330, 334, Israel, Jonathan I. 6, 584 Italien 14, 54, 57, 72, 171, 241, 242, 247, 248, 257, 259, 267, 271௅273, 275, 277, 280, 281, 283, 286௅288, 290௅295, 300, 302௅304, 315, 316, 416, 422, 454, 467, 472, 475, 486, 490, 501, 517, 518 Ivan IV. (Zar) 555, 556

J Jakob I. (König von England) 421 Jansen, Cornelis 327, 333, 340௅343, 354, 358, 359, 521, 529 Jardine, Lisa 430 Jaroslav I. (Fürst von Novgorod) 578 Jean de Bourbon, comte de Velay 310, 318–320

Jerusalem 129௅131, 262 Joannis, Georg Christian 60 Johann von Nepomuk, Hl. 35, 63 Johann V. (König von Portugal) 248, 251–253 Johann Theodor von Bayern (Koadjutor von Freising) 118, 133 Johannes (Bischof von Antiochia) 233 Johannes Scotus Eriugena 332, 344 Joseph I. (Kaiser) 273, 291, 298, 304 Joseph Klemens (Kurprinz von Bayern) 110 Josephus Flavius 526, 528, 589 Juan de Torquemada 234 Julian „Apostata“ (Kaiser) 17, 513, 514, 519௅525, 527௅532 Julius II. (Papst) 233, 499, 507 Justinus, Hl. 122

K Kager, Matthias 31 Kajetan von Thiene, Hl. 35 Kallimachos von Cyrene 517, 528 Kaminskij, Konstantin 18 Kanarische Inseln 495 KƗngxƯ 247 Karl I. der Große (Kaiser) 372, 441, 442, 543 Karl II. der Kahle (Kaiser) 332, 372, 442, 495, 496, 498, 500 Karl V. (Kaiser) 17, 498, 499, 500, 501, 504, 507, 509 Karl VI. (Erzherzog von Österreich, als Karl III. König von Spanien, Kaiser) 273, 275, 280, 286, 295, 296, 302௅304, 494, 495 Karl III. der Einfältige (König des Westfränkischen Reiches) 372 Karl VIII. (König von Frankreich) 507 Karl XII. (König von Schweden) 558 Karl Emmanuel I. (König von SardinienPiemont) 248 Karl I. Ludwig (Pfalzgraf bei Rhein) 516 Karl, Georg 147 Karnataka 239, 243௅246, 263

Register 607 Kärnten 301 Karolinger (Familie) 151, 310, 372, 461, 469, 470, 475, 488, 543 Karthago 583 Kassian, Hl. 256, 329, 333, 340, 341, 349 Kastilien 495 Katharina II. (Zarin) 574, 578 Kaufmann, Ludwig 211 Kaukasus 580 Kaunitz, Dominik Andreas, Graf 494 Kempten 158 Kerala 243 Kess, Alexandra 7 Keuslin, Albert 76, 77, 95 Khamm, Korbinian 161 Khuenburg, Maximilian Gandolph, Graf 84 Kiel 428 Kiev 554௅556 Klejn, Lev 578 Klemens VIII. (Papst) 381 Klemens XI. (Papst) 169, 216, 219, 230, 244, 392, 402 Klemens XII. (Papst) 244 Klemens XIV. (Papst) 227, 255௅259 Klippel, Diethelm 547 Klopp, Onno 66 Klueghamer, Petrus 88 Klueting, Harm 210 Knecht, Frigdian 102, 103 Köln 7, 24, 51, 60, 64, 109, 210, 354, 355, 397, 439, 516 Koloman, Hl. 71, 181 Kölzer, Theo 441, 459, 460, 467 Konfuzius 242 Königsberg 556 Konrad (Sakristan zu Freising) 157 Konstantin (Kaiser) 513, 527 Konstantinopel 523, 554 Konstanz 55, 429 Kopernikus, Nikolaus 207 Korbinian, Hl. 13, 35, 107, 108, 114, 117௅119, 121௅125, 130௅132, 134, 156, 157, 159, 160 KoĜinek, Johann 62 Koselleck, Reinhart 10, 73 Koser, Reinhold 66

Kracauer, Siegfried 363 Kranz, Albert 24 Kratepol, Petrus 24 Kraus, Andreas 22, 40, 149 Kraus, Johann Baptist 144 Krems 93 Kremsmünster 83, 86, 90, 99 Krusenstjern, Benigna von 50 Kunigunde (Kaisergattin) 60 Kurfürstentum 113 Kurpfalz 515, 516, 531

L La Chaise, François d’Aix de („Père La Chaise“) 518 La Mothe Le Vayer, François de 434, 521, 522, 529 La Spezia 280 Labbe, Philippe 347௅349, 351 Lainez, Francisco 263, 266 Lambach 13, 101 Lambert de Barive, Louis-Henri 315 Lambertini, Prospero 289 Lami, Giovanni 300 Landfrid, Hl. 157 Langetl, Johann Michael 280 Langlois, Charles-Victor 377 Langres 343, 345, 357 Lantpert (Bischof von Freising) 122, 126, 130 Latour, Bruno 8 Laubrussel, Ignace de 226 Launoy, Jean de 384, 462 Lauther, Georg 432 Lawatsch Melton, Barbara 13 Lazeri, Pietro 227 Lazzarini, Domenico 475௅477, 480 Le Clerc, Jean 531 Le Cointe, Charles 439 Le Courayer, Pierre-François 150 Le Fèvre, Nicolas 335 Le Maistre, Antoine 354, 355 Le Michel, Anselme 314, 352 Le Mire, Aubert 157, 308, 436, 441 Le Nain de Tillemont, Loius-Sébastien 16, 353

608 Register Leclercq, Henri 373 Legipont, Oliver 203, 204 Leibniz, Gottfried Wilhelm 17, 39, 197, 198, 201, 205, 292, 400, 427, 479, 483, 486௅511, 517௅519, 523, 531, 556, 557, 559, 560, 575, 578, 586, 589 Leibnizedition 510 Leiden 1, 515௅517, 519, 528 Leipzig 11, 141, 505, 530, 561, 578 Lemaître, Jean-Loup 305 Lemos, Tomás de 334 Leo I. (Kaiser) 414 Leo IV., Hl. (Papst) 181 Leo IX., Hl. (Papst) 181 Léonard, Frédéric 505 Leontius (Erzbischof von Arles) 333, 354 Leopold I. (Kaiser) 112, 389, 495 Leopold, Hl. 34 Lérins 256, 316 Lestinois, Joachim 314 Leto, Giulio Pomponio 526 Levante 369 Leys, Lenaert 333 Lhotsky, Alphons 21 Lichaþev, Dmitrij 554, 555 Lieber, Maria 272 Liebold, Christine 137 Liechtenstein, Anton Florian von 495 Ligorio, Pirro 421 Ligurien 271, 277, 286, 303 Lindau 7, 457, 458 Linz 93 Lipsius, Justus 38, 74, 420, 528 Lissabon 240, 249, 252, 262 Livius, Titus 224, 420 Lobbes 352 Lobineau, Guy-Alexis 163 Lochner, Basilius 170, 179, 180 Locke, John 1, 18, 546, 547 Lodron, Paris, Graf 155 Lombardei 271, 278, 304 Lombardo, Gaetano 480 Lomonosov, Michail 18, 557, 563, 564, 566, 569௅573, 575௅578, 580 London 248, 421, 515, 516, 531, 588 Loquet, Claude 315

Lothar I. (Kaiser) 372 Lothringen 248, 315, 321, 365 Louis II. de Bourbon, prince de Condé 530 Löwen 328, 352, 385 Löwenstein-Wertheim-Rochefort, Maximilian Karl Fürst zu 292 Lübbe, Hermann 70 Lübeck 539 Lucca 248, 258, 294 Lucenti, Giulio 392, 393 Lucidus 327௅330, 332, 333, 339, 353௅355 Lucifer Calamitanus, Hl. 395 Lucini, Luigi Maria 254, 264 Ludewig, Johann Peter 457 Ludmilla, Hl. 34 Ludwig I. der Fromme (Kaiser) 372 Ludwig II. der Deutsche (Kaiser) 442, 457 Ludwig XIII. (König von Frankreich) 364, 496, 507 Ludwig XIV. (König von Frankreich) 111, 495, 496, 513, 514, 530 Ludwig I. (König von Spanien) 117 Luhmann, Niklas 444 Lukian von Samosata 520 Luni 277 Lunigiana 280 Luther, Martin 71 Lüttich 51, 61 Luxemburg 351 Luxemburger (Familie) 63 Lyon 224, 332, 333, 335, 343, 344, 347, 350, 354, 355

M Mabillon, Jean 16, 17, 39, 74, 76, 84, 101, 136, 142௅144, 148, 152, 156, 158, 160, 161, 163௅165, 168, 200, 201, 208, 218, 305, 306, 308, 310, 314, 323, 347, 348, 352, 361, 362, 364, 372௅375, 377, 378, 381௅383, 385, 389, 394௅404, 441௅444, 447௅ 453, 456, 461௅483, 518, 528, 586 Macao 247

Register 609 Machiavelli, Niccolò 552 Madras 246, 259, 260 Madrid 262, 386 Madurai 239, 242௅245, 250, 261௅267 Maffei, Scipione, marchese 236, 288, 304 Magdeburg 59, 245, 330, 427 Magliabechi, Antonio 389, 390, 396, 518 Mähren 62, 303 Mailand 275, 277, 279, 283௅285, 290, 292௅294, 296, 297, 300, 301, 303, 472, 495, 498 Maillard de Tournon, Carlo Tomaso 240, 242, 244, 247, 250, 259, 260, 263, 264 Mainz 51, 60, 281, 283, 337 Mais 156 Maistre, Joseph de 245 Majolus, Hl. (Abt von Cluny) 317, 320, 322 Major, Johann Daniel 428 Malabaila di Canale, Luigi, conte 300 Malabar 264 Malagrida, Gabriele 249 Malaspina (Familie) 279, 285 Malaspina di S. Margherita, Giuseppe, marchese 285 Maldonado, Juan 336, 341 Malebranche, Nicolas 207 Malvenda, Tomás 334 Mansi, Giovanni Domenico 235 Mantua 363 Manuzio, Paolo 420 Maranta, Scipione 475 Marava 252 Marburg 455, 535, 548, 566 Marc Aurel (Kaiser) 513, 527, 529௅531 Marcaille, Sébastien 307, 312, 325 Marcigny 315 Maremma 251 Margaretha (Dienstmagd zu Salzburg) 88 Margarethe von Parma 504 Mari, Giovanni Battista 351 Maria Anna (Infantin von Spanien, Kaiserin) 507 Maria Plain 86

Maria von Brabant (Herzogin von Bayern) 32 Maria von Burgund 505 Maria Theresia („Kaiserin“) 15, 43, 248, 304 Maria Theresia (Infantin von Spanien, Königin von Frankreich) 495, 496 Marin, NN. 313 Marktoberdorf 140 Marri, Fabio 15, 69, 272, 274 Marrier, Martin 307, 308, 312, 313, 325 Marseille 256, 283, 286, 333, 334, 338, 341, 356, 366, 369 Marsham, John 434, 435, 460 Martène, Edmond 165, 314 Martin, Hl. 76 Martini, Pierre 520, 521 Mascardi (Familie) 278, 281, 282, 287 Mascardi, Paola (verwitwete marchesa Raggi) 277, 278, 279, 281, 282, 287, 300௅302 Mascardi, Agostino (Jesuit bis 1617, Professor an der Sapienza) 257, 268, 278 Mascardi, Agostino (Domkanoniker) 277௅279 Mascardi, Carlo Mariano 278, 282 Mascardi, Giovanni Bartolomeo 278 Mascov, Johann Jakob 291, 292 Masen, Jacob 438௅442 Massuet, René 146, 151, 478 Mat’a, Petr 62 Mauguin, Gilbert 16, 344௅347, 350, 352, 358, 359 Maurus, Hl. 147 Maximilian I. (Kaiser) 457, 507 Maximilian I. (Herzog und Kurfürst von Bayern) 24, 25, 31, 32, 79, 109, 110 Maximilian II. Emanuel (Kurfürst von Bayern) 109௅111, 127, 128 Maximilian, Hl. 107 Maximus, Hl. 81 Mazarin, Jules 306 Mazohl, Brigitte 297, 299 Medici (Familie) 290, 295 Medici, Alessandro de’ 505

610 Register Meichelbeck, Karl 13, 14, 85, 107, 110௅125, 127௅129, 132௅134, 138௅163, 165௅168, 586 Meinecke, Friedrich 435 Meliapur 246, 252, 263, 264, 266, 267 Melk 14, 33, 96, 100, 135, 149, 151, 166, 168, 169, 171, 173, 175௅181, 184, 186௅190, 201, 305, 585 Melun 156 Ménard, Claude 340 Mencke, Johann Burckhardt 561, 562 Menippos von Gadara 513 Menulphus, Hl. 321 Meran 156 Mercator, Gerhard 29 Merowinger (Familie) 17, 372, 435, 436, 438, 441. 442, 459–461, 469, 470, 472, 475 Mersiowsky, Mark 17 Metastasio, Antonio Pietro (Pietro Trapasso) 300 Mevius, David 539 Mezger, Franz 75, 84௅86, 90, 94, 161 Mezger Joseph 75, 84௅86, 90, 94, 161 Mezger Paul 75, 84௅86, 90, 94, 151, 161 Michelangelo 124 Michelfeld 120 Migne, Jacques-Paul 356 Miller, Peter N. 16 Miro, Giovanni de 390 Modena 271௅273, 279, 280, 282, 285௅288, 291, 293, 300, 301, 303, 304 Modesta, Hl. 437, 438 Modoald (Bischof von Trier) 438, 440 Molina, Luis de 333, 334 Momigliano, Arnaldo 8, 361, 362, 373, 408, 415, 416, 418௅420, 423, 433, 434, 445, 514, 585௅587, 589 Mommsen, Theodor 587 Montaigne, Michel Eyquem de 520 Monte Cassino 171, 177, 309 Montfaucon, Bernard de 149, 160, 372, 373 Moret, P. 520 Morhof, Daniel 374 Moser, Johann Jakob 292

Möser, Justus 18, 541௅543, 545௅547, 550, 552 Moses Maimonides 363 Mosheim, Johann Lorenz von 227 Moskau 555, 557, 566 Moutier d’Ahun, Le 312 Muhlack, Ulrich 22, 40, 197 Müller, Friedhelm 513 Müller, Gerhard Friedrich (Fjodor Ivanoviþ Miller) 18, 553, 556, 557, 561௅578, 580 Mulsow, Martin 8, 585 München 25, 26, 31, 32, 36, 57, 69, 107௅109, 112, 127, 128, 432, 465 Muneretti, Johann Baptist von 279, 280, 283, 284, 302 Münster 56 Münster, Sebastian 23 Muratori, Lodovico Antonio 15, 271௅304 Murer, Heinrich 33 Muschard, Paul 135, 136, 167 Mysore 239, 243–245, 263

N Nanthildis (fränkische Adlige) 438 Narai (König von Siam) 246 Narbonne 365 Neapel 1, 240, 286௅290, 298, 302, 478, 482, 495, 498, 502, 507 Nestor 554, 555, 568 Nestorius 231௅233 Neveu, Bruno 305, 376, 585 Newton, Isaac 1 Nicäa 231, 400 Nicaise, Claude 17, 502௅506, 508, 518 Nicodemus (Bischof von Freising) 130 Niebuhr, Barthold Georg 47 Niederalteich 115 Niederlande 15, 56, 63, 68, 118, 264, 338, 358, 547 Niederösterreich 11, 93, 96, 169 Nietzsche, Friedrich 43, 44, 209 Nikolaus I. (Herzog von Lothringen und Kalabrien) 505 Nikolaus I. (Papst) 331

Register 611 Nikolaus IV. (Papst) 320 Nikolaus von Tolentino, Hl. 35 Nîmes 56 Nobili, Roberto 242, 243, 250, 261௅263, 266௅268 Noël, Étienne 207 Nonnenwerth 58 Nonnosus, Hl. 113, 122 Nora, Pierre 10 Norbert von Bar-le-Duc 15, 245௅263, 268, 269, 586 Noris, Enrico 387௅390, 397, 400 Noting (Bischof von Verona) 351 Novgorod 554௅557, 567, 568 Nürnberg 72, 426 Nussdorf 97

O Ochsenhausen 146 Odilo, Hl. (Abt von Cluny) 317, 320, 322 Odo von Cluny, Hl. (Abt von Cluny) 308, 320 Oeren 437–439, 442, 459 Oestreich, Gerhard 420 Oexle, Otto Gerhard 2, 10 Olivazzi, Giorgio, marchese di Spinola 290, 291 Orange 327, 332, 335, 337, 338, 351 Oranien 420 Orléans 468 Orsi, Giovan Gioseffo 287, 288 Orsi, Giovan Giuseppe, marchese 220௅225, 228, 233 Orsi, Giuseppe Agostino 215, 220௅222, 224, 232, 234, 236 Osmanen 110 Osnabrück 542, 543, 545 Ossetien 578 Ostermann, Heinrich Johann Friedrich, Graf 561 Österreich 12, 13, 33, 34, 44, 55, 64௅66, 115, 166, 179, 211, 271, 297௅299, 302, 304, 454, 499 Ostsee 18 Öttl, Eliland 152

Otto II. von Berg (Bischof von Freising) 130 Otto von Freising 121, 130 Otto, Rüdiger 491, 492 Ottobeuren 77, 115, 144 Ottoboni, Pietro 398௅400, 402 Ottonen (Familie) 543

P Pachinger, Magnus 152 Pachler, Amand 13, 75–90, 93௅96, 104, 586 Paderborn 56, 317 Padua 236, 305, 309 Pagi, Antoine 161 Palazzi, Giovanni 381 Pallavicini (Familie) 288 Pallavicini, Gianluca 277, 282, 287௅290, 296, 300, 303, 304 Pallavicini, Giuseppe 287 Pallavicino, Pietro Sforza 246 Panciroli, Guido 413௅415 Panvinio, Onofrio 416, 417 Paoli, Sebastiano 289 Papebroch, Daniel 17, 39, 349, 381, 383, 384, 386, 387, 390, 392, 395, 403, 434௅437, 439௅444, 458௅462, 464௅466, 472, 473, 478 Paradisi, Agostino 288 Paradisies, Ernst August 292, 296 Pardulus (Bischof von Laon) 346, 350 Paris 11, 18, 112, 117, 127, 144௅147, 149–151, 156, 241, 249, 286, 307௅309, 312, 318, 321, 325, 335, 364, 367, 370, 425, 447, 475, 476, 506, 513, 516, 531, 578 Parma 240, 275, 291, 293 Paschalis I., Hl. (Papst) 181 Paschasius Radbertus, Hl. 185, 208 Passau 25, 86, 99, 108, 152, 303 Passionei, Domenico 246, 248, 279, 282, 298 Paul III. (Papst) 507 Paul IV. (Papst) 507 Paul V. (Papst) 322, 364 Paolucci, Fabrizio 260

612 Register Paulus, Hl. 155, 261 Pavia 285, 336, 343, 346 Pearson, John 590 Peeters, Barthélemy 353 Peiresc, Nicolas-Claude Fabri de 16, 362௅370, 372௅378, 586 Pelagius 330, 334 Pellegrino, Camillo 289 Pellisson-Fontanier, Paul 502 Penz, Helga 13 Perizonius, Jacob 1 Pernaz, Roman 99 Perpetua, Hl. 583, 584 Perrot d’Ablancourt, Nicolas 524 Persien 507 Pertz, Georg Heinrich 487 Petau, Denis 520, 524 Peter I. der Große (Zar) 555, 559, 560, 563, 571, 573, 574577 Peter III. (Zar) 574 Peter, Karl 147 Petershausen 146 Peterslinden 93 Petra, Vincenzo 254 Petrus, Hl. (erster Bischof von Rom) 155, 184 Petrus Venerabilis (Abt von Cluny) 320 Pez, Bernhard 11, 14, 38, 57, 73, 135, 142, 144௅146, 149, 151, 161, 164, 166, 185, 190, 200௅205, 208, 209, 485 Pez, Hieronymus 11, 14, 38, 161, 200, 201, 485 Pfalz, Kurpfalz 276, 283, 515, 516, 519, 531 Pfalzel 440 Pfeffel, Johann Andreas 179 Pfister, Adam 207 Pfullingen 283 Philipp II. (König von Spanien) 17, 502, 507, 509 Philipp III. der Gute (Herzog von Burgund) 508 Philipp IV. (König von Spanien) 496 Philipp V. (König von Spanien) 117, 495, 496, 497 Philon von Alexandrien 427

Piacenza 275, 291 Piemont 300 Pinzgau 87, 93 Pippin (König von Aquitanien) 372 Pippin I. (fränkischer Hausmeier) 440 Pirri, Rocco 27 Pisa 233, 289, 291 Pithou, Pierre 332 Placidus von Subiaco, Hl. 174, 176, 177, 181, 322 Platon 520, 522 Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus Maior) 423 Plutarch 225 Pogarell, Johann Caspar von 302 Pohlig, Matthias 7 Polen 30, 36, 55, 301, 389, 560, 574, 579 Polling 150 Poltawa 558 Pomata, Gianna 4 Pombal, Sebastião José de Carvalho e Mello, Marques de 15, 249, 269 Pomian, Krzysztof 6 Pondichéry 240, 241, 244, 246, 247, 250, 254, 259, 260, 263 Pongau 93 Ponsee 97 Pontremoli 278 Portaleone, Abraham ben David 363 Porter, Francis 348 Portugal 57, 239௅242, 244, 248, 249, 251, 252, 262, 267, 269 Prag 62, 69, 189, 292 Prandtauer, Jakob 170, 171 Pregitzer, Johann Ulrich 498 Preußen 516, 574 Prié, Ercole Turinetti, marchese di 291 Prosper von Aquitanien 256, 257, 268, 329, 333 Prudentius (Bischof von Troyes) 327, 344௅346, 349, 350, 356 Pufendorf, Samuel (von) 516, 518, 570, 571 Pütter, Johann Stephan 539, 550 Pyrrhon von Elis 476, 526–528 Pythagoras 384

Register 613 Q Quantin, Jean-Louis 16, 381, 481, 585 Quierzy 327, 337, 343, 345௅347, 357 Quirin Van Leeuwen 432

R Rader, Matthäus 12, 30௅33, 37௅39, 80 Raggenbass, Niklas 138 Raggi (Familie) 278 Raggi, Gianbernabò, marchese 278 Raguet, Gilles Bernard 478 Rainald von Nocera, Hl. 156 RƗma RƗja 264 Ramada Curto, Diogo 240 Ranke, Leopold von 377 Rassler, Maximilian 33, 482, 483 Rathild (fränkische Adlige) 437, 438 Ratram von Corbie 201, 344, 345, 346, 352 Rau (Familie) 535, 549 Rau, Anna Agnes 535 Rau, Johann Heinrich 535 Rau, Sabina Maria 535 Rau, Susanne 9 Raulin, Jean 311 Rautenstrauch, Franz Stephan 206 Redlich, Oswald 453 Regensburg 25, 26, 108, 135, 136, 144, 146, 148, 149, 166, 168, 431, 432 Regentrudis (fränkische Adlige) 437 Regnier, Colomban 366 Reidling 97 Reims 331, 332, 447 Remigius von Lyon 336 Remiremont 437, 438 René d’Angoulême 259 Rettenbacher, Simon 83, 84, 86, 90, 99 Retz, Franz 251 Rhein, Rheinlande 13, 50, 51, 108 Rialp, Ramon de Vilana Perlas, marques de 284 Ricci, Fabio 302 Ricci, Matteo 241, 242

Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de 306, 307, 316, 319, 367, 369 Riez 256, 327, 333, 335, 349, 353 Riezler, Sigmund 45 Riga 578 Rigault, Nicolas 341 Rio de Janeiro 261௅264, 266, 267 Ripa, Cesare 118 Riva, Giuseppe 299௅301 Rjurik (Fürst von Novgorod) 554௅558, 571 Rjurikiden (Familie) 554, 556 Robine de Callemont, Bertrand 114 Rom, Römer 1, 14௅16, 47, 107, 111, 112, 118, 124, 129, 131, 133, 134, 141, 147, 158, 164, 174, 176, 187௅189, 215, 216, 218, 220, 222, 225௅237, 240, 241, 243, 244, 246, 248, 249, 251௅266, 268, 275, 276, 281, 282, 286, 288, 289, 291, 296, 298, 299, 321, 322, 334, 335, 341, 347, 351, 358, 359, 364, 366, 367, 386, 388, 389, 394, 397, 398, 399, 401, 403௅405, 422, 472, 475, 513, 516, 517, 530௅533, 537, 538, 540, 542, 547, 549, 552, 556, 567, 583, 589 Romanov (Familie) 559, 574 Ros, Francesc 262 Rosa, Mario 272 Rosen, Klaus 527 Rosini, Pietro 482 Rossi, Bonaventura de’ 275, 277, 282 Rossi, Gerolamo 277 Rosweyde, Heribert 431 Rottmayr, Johann Michael 170, 171, 174, 176, 180 Roumoules 366, 367, 368 Rousseau, Jean-Jacques 547 Rubens, Peter Paul 109, 110, 121, 124 Rück, Peter 452, 455 Rudbeck, Olof 422 Rudolf I. (Kaiser) 543 Ruffo, Tommaso 254 Rufus, Quintus Curtius 5 Ruinart, Thierry 447௅451, 471, 473, 475௅479 Rule, Paul 239

614 Register Rupert, Hl. 35, 76, 81, 82, 84, 155 Rüsen, Jörn 12, 44, 45, 47, 450, 484 Russland 18, 553௅571, 573௅581 Rustici, Cencio de’ 429

S Sá, Jerônimo de 264, 266, 267 Sabbatini, Giuliano 300, 301 Saccarelli, Gaspare 222, 227 Sachsen 24, 115, 283, 284, 302, 348 Sachsen-Lauenburg 493 Sadalberga, Hl. 436 Sadeler, Raphael der Ältere 31 Sadeler, Raphael der Jüngere 31 Saenz d’Aguirre, José 207 Saint-Cyran, Jean Duvergier de Hauranne, abbé de 336, 341 Saint-Denis 462, 465, 472, 474 Saintes 366 Saint-Ferme 367 Sainthe-Marthe (Brüder) 27 Saint-Jean-d’Angely 366௅368 Saint-Menoux 312, 321 Salisbury 510 Sallapulka 97 Salomon 132 Salvini, Antonio Maria 289 Salzburg 13, 15, 25, 51, 75–81, 83௅88, 90௅95, 97, 98, 103, 104, 108, 110, 115, 140, 151, 152, 155, 160, 176, 303, 585 Salzkammergut 284 Sampaio, Manuel Pereira de 251, 252 Sanderus, Antoine 63 St. Blasien 135, 144, 145, 166, 202 St. Florian 173 St. Gallen 145, 354, 355, 429 St. Georgen am Längsee 88 St. Petersburg 18, 553, 555௅558, 560௅563, 565, 568, 572, 577௅579, 581 Santagata, Borso 282 Santeuil, Jean-Baptiste 322 Saragossa 386 Sardinien 248, 495 Sarpi, Paolo 245, 246

Sarzana 275, 277௅283, 285, 297 Sassi, Giuseppe Antonio 301 Saumaise, Claude 516, 517 Savigny, Friedrich Carl von 550 Savonnières 331, 332, 343, 345, 346, 357 Sawilla, Jan Marco 9, 17, 48, 361, 585, 587, 588 Scaliger, Joseph Justus 415, 528 Schäffer, Klemens 100 Schapp, Wilhelm 70 Schaten, Nikolaus 163 Scheel, Günter 487 Scheyern 128 Schiara, Antonio Tommaso 393 Schiller, Friedrich 67 Schlehdorf 128, 153, 158 Schleißheim 128, 129, 133 Schlesien 62, 63, 302 Schleswig-Holstein-Gottorf 18 Schlözer, August Ludwig (von) 561 Schmid, Alois 12, 149 Schmidt, Bernward 14, 15 Schnabel, Michael 100, 105 Scholastika, Hl. 177, 322 Scholz, Birgit 558, 568, 571 Schönborn, Johann Philipp von 60 Schönborn, Lothar Franz, Graf 110, 281, 283 Schönborn, Friedrich Karl, Graf 293, 296 Schoppe, Kaspar 74 Schottland 437 Schramb, Anselm 100, 178 Schubart von Ehrenberg, Petrus 179 Schuhmacher, Johann Daniel 563, 564, 566, 577 Schurmann, Anna Maria von 515 Schwab, Johann 469, 482, 483 Schwab, Marian 207 Schwaben 23, 26, 52, 53, 59, 61, 64, 65, 115, 146 Schwabing 107 Schwartz, Eduard 589 Schwarzes Meer 556, 567 Schweden 18, 539, 557, 558, 568, 571, 574, 577, 578 Schweiz 33, 52, 53, 59, 248, 315, 467, 515

Register 615 Sébastien de Saint-Paul 385 Sedlmayr, Roman 84 Seeauer, Beda 103, 104, 207 Seekirchen 93 Seifert, Arno 235 Seignobos, Charles 377 Seitz, Placidus 128 Selden, John 19 Selhamer, Christoph 36, 37 Selleri, Gregorio 275, 286 Senckenberg, Heinrich Christian 544, 549, 552 Sendling 107 Seneca, Lucius Annaeus 520 Serarius, Nikolaus 60, 350 Sergius III. (Papst) 387 Severin, Hl. 81, 431 Seyfried, Johann 61 Siam 246 Sibirien 562, 563 Sickel, Theodor von 452 Sidonius Apollinaris 336, 337 Siena 289 Sigebert von Gembloux 329, 330, 332 Sigibert III., Hl. (fränkischer König) 436, 437 Sigismund Hl. (burgundischer König) 122 Sigonio, Carlo 295, 416, 417, 420 Simiand, François 377 Simon, Pierre 313, 322 Simon, Richard 529 Siraisi, Nancy G. 4 Sirmond, Jacques 16, 331, 335௅338, 340௅348, 350௅352, 355௅359, 436 Sixtus III. (Papst) 256 Sizilien 294, 295, 495, 568 Skandinavien 555௅557, 567௅570, 574, 580 Skarga, Piotr 30 Sloane, Hans 517 Smischek, Christoph 189 Solms (Familie) 544 Sophie (Prinzessin von der Pfalz, Kurfürstin von Hannover) 510, 519௅521 Sourdis, François d’Escoubleau de, comte de La Chapelle 365, 366, 369

Souvigny 307, 312, 314, 317, 325 Sowjetunion 557, 558, 561, 569 Spada, Fabrizio 390 Spanheim, Ezechiel 17, 18, 513௅525, 527–531 Spanheim, Friedrich 515, 516, 519 Spanien 34, 54, 117, 145, 240, 262, 271, 272, 280, 281, 287, 308, 315, 386, 388, 389, 461, 494௅497, 499௅501, 507, 511 Spannagel, Alexander 283 Spannagel, Gottfried Philipp 15, 197, 271௅304, 586 Spannagel, Johann David 283 Spannagel, Stanislaus Jakob 276 Spiegel, Wilhelm von 210 Spinola, Giovanni Battista 281 Spinoza, Baruch de 520, 529 Spoerhase, Carlos 199 Spon, Jacob 372, 373 Sponheim 83 Srbik, Heinrich 21 Stainhauser, Johann 30, 80, 82, 85, 88 Stanislaus II. (König von Polen, Großfürst von Litauen) 574 Stegeman, Saskia 9 Steiermark 91 Steiner, Benjamin 9 Stengel, Karl 23 Stephan IV. (V.) (Papst) 181 Stephan, Hl. 34 Stilting, Jean 349 Stixa, Hyazinth 55 Stockinger, Thomas 13, 14 Stollberg-Rilinger, Barbara 4 Stolleis, Michael 195 Stollhofen 97 Strada, Jacopo 421 Strassburg 436 Straubing 36 Strauch, Johann 539 Strauss, Richard 43 Struve, Burkhard Gotthelf 292 Studt, Birgit 9 Suarez, Francisco 333 Sueton 225 Suidas 414

616 Register Suleiman I. (osmanischer Sultan) 507 Sulger, Arsenius 62 Surius, Laurentius 35, 71, 87, 331

T Tacitus, Publius Cornelius 257, 538 Tamburini, Fortunato 254 Tamil Nadu 242, 243, 246, 252 Tapper, Ruard 328 Tarisse, Grégoire 368, 370௅372, 376 Tarragona 420 Tartarotti, Girolamo 226, 284, 302 Tassilo III. (Herzog von Bayern) 32 Tassin, René-Prosper 479 Tegernsee 11, 128, 131, 152 Telesko, Werner 14 Teplov, Grigorij 563, 569 Teroni, Giovanni Michele 401 Tertullian 224, 341, 517 Tessier de Quéralay, Jean-Jacques 241 Teufel, Michael 103 Textor, Sebastian 144 Theodo (Herzog von Bayern) 32, 108 Theresa von Avila, Hl. 57 Theudelinde (Herzogin von Bayern) 32 Theuderich III. (fränkischer König) 436 Thibault, Pierre 147௅149 Thiemo, Hl. (Erzbischof von Salzburg) 76 Thierry, Denys 513 Thomas von Aquin, Hl. 266 Thommen, Rudolf 453 Thou, Jacques-Auguste de 588 Thuillier, Vincent 147 Thukydides 47, 476 Thun, Guidobald, Graf 78, 79 Thun, Johann Ernst, Graf 110 Thüringen 405 Thyssen, Johannes 53 Timothée de La Flèche 260 Tiraboschi, Girolamo 225 Tirol 26, 52, 114, 115, 157, 161, 283, 284, 293 Tittmoning 93 Toledo 386 Tonarelli, Marc’Antonio 280 Toppo 264

Torgau 559 Toskana 248, 251, 278, 280, 283, 285, 290௅292, 294, 295 Toul 249, 343 Toulouse 368௅370 Toustain, Charles-François 479 Trajan (Kaiser) 427 Traunstein 93 Travancore 264 Trediakovskij, Vasilij 566 Trévoux 468 Trient 245, 284, 320, 321, 322, 329, 382, 404 Trier 24, 51, 351, 405, 438௅440, 442, 456, 458 Tripperet, Hilaire 312 Trithemius, Johannes 83, 155, 438, 589 Tropper, Peter G. 455 Troyes 327, 344, 349 Trumau 100 Tübingen 283 Turin 236 Türkei 578 Tusey 337, 345, 347, 357

U Ughelli, Ferdinando 27, 441 Ukraine 560, 579 Ulm 507 Ulrich, Hl. 156 Ungarn 34, 248 Urban VIII. (Papst) 73, 155, 364, 366, 367, 381, 393 Ussher, James 339, 340, 342, 346, 350, 353௅356, 358, 359 Utrecht 26, 248, 249 Utto (Bischof von Freising) 130

V Valence 328, 331, 332, 336, 343, 345௅347 Valentinian I. (Kaiser) 414 Valerian (Bischof von Cimiez) 338 Valignano, Alessandro 242

Register 617 Valla, Lorenzo 584 Valladolid 305, 386 Valois, Adrien 436, 438, 439 Valois, Henri 583, 590 Valvasor, Johann Weichard von 64 Van den Heuvel, Gerd 488 Van Leeuwen, Quirin 432 Van Ranst, Frans 220 Varro, Marcus Terentius 419 Vasari, Giorgio 588 Veit, Hl. 34 Venedig 220, 289, 301, 507 Ventimiglia 278, 282 Verdun 365, 367 Vergil 520 Versailles 18, 516, 531, 532 Verstockt, Kaspar 69 Vert, Claude de 307, 322, 323, 325 Vico, Enea 526 Vico, Giovanni Battista 197, 287, 575 Viehhausen 93 Vignier, Jérôme 16, 353 Vignola 288 Villasor, José de Silva y Meneses, marques de 285 Vio, Tommaso de (Cajetan) 234 Visdelou, Claude de 247, 260 Vitalis, Hl. 13, 75, 76, 79௅82, 85, 87௅90, 95, 96 Vitonus, Hl. 321 Vogel, Nikolaus von 65 Vogesen 315 Voigt, Leopold 70 Völkel, Markus 5, 234, 434 Voltaire (François-Marie Arouet) 531 Vorarlberg 52 Vorderösterreich 52 Vossius, Gerard Jan 338, 339, 350, 358, 359 Vossius, Isaac 524 Vulcanius, Bonavenutura 517

W Wagrien 556, 568 Walchensee 153, 158

Waldram, Hl. 157 Wallnig, Thomas 14, 22, 139, 297, 299, 585 Walther, Gerrit 40 Wandregisel, Hl. 156 Waquet, Françoise 217 Ward, Maria 58 Wattenbach, Wilhelm 136 Weber, Max 374 Wegele, Franz Xaver von 21, 136 Wehler, Hans-Ulrich 54 Weigl, Huberta 171 Weihenstephan 122, 128, 159 Weildorf 93 Weilheim 36 Weinberg, Joanna 362, 363 Weinberger, Albert 128 Weingarten 184 Weissenbach 93, 94 Weißer Berg (Bílá Hora) 110 Weißrussland 55 Welfen (Familie) 66, 486௅490, 492, 493, 511, 559 Welser, Anton 432 Welser, Marcus 431, 432 Weltenburg 120 Wendt von Wendtenthal, Joseph 65 Wening, Michael 28 Wenzel (römisch-deutscher König) 63 Wenzel, Hl. 34 Wertema, Joseph von 178௅180 Wessobrunn 114 Westenrieder, Lorenz 61 Westfalen 63, 541 Wetterau 544 Whitaker, William 19 Widerin, Peter 183 Widmanstetter (Familie) 64 Wien 15, 64, 65, 69, 92, 96, 110, 149, 178, 197, 201, 271௅273, 277, 279௅281, 284, 292, 296, 297௅304, 493, 496, 498, 499, 507, 510 Wiener Neustadt 494 Wieting 94 Wilder, Colin F. 18 Wilfried, Hl. (Bischof von York) 436 Wilhelm, Franz Xaver 298

618 Register William von Malmesbury 436 Willibrord, Hl. (Bischof von Utrecht) 438 Wiltheim, Alexander 351 Windelband, Wilhelm 74 Windsor 524 Wittelsbacher (Familie) 28, 32, 36, 107௅111, 118, 114, 127, 132 Witzel, Georg 87 Wolfenbüttel 501 Wolff, Christian 205, 560, 566, 575, 579 Worm, Ole 422 Wulfoald (fränkischer Hausmeier) 437 Wurmbrand, Johann Wilhelm, Graf 293 Würzburg 60, 61, 69

Y Yepes, Antonio de 308 Ypern 340, 343

Z Zarri, Gabriella 68 Zedelmaier, Helmut 8, 235 Zeno, Apostolo 300 Zentralasien 580 Zhàoqìng 260 Ziegelbauer, Magnoald 203, 204 Zilles, Nikolaus 441, 442,, 456, 458 Zimmermann, Harald 213௅215, 230 Zimmermann, Johann Baptist 114, 127 Zwiefalten 62

Abbildungen

Abb. 1: Matthäus RADER, Bavaria sancta, 1 (München 1615), Titelkupfer

620 Abbildungen

Abb. 2: Matthäus RADER, Bavaria sancta, 1 (München 1615), Titelblatt

Abbildungen 621

Abb. 3: Matthäus RADER, Bavaria sancta, 1 (München 1615) 217: Martyrium des Engilmar

622 Abbildungen

Abb. 4: Bruderschaftskirche St. Veit, Straubing: Figuren der Ecclesia und Bavaria

Abbildungen 623

Abb. 5: Emporenbemalung mit der Kolomansvita in der Filialkirche St. Koloman in Haslach (Marktgemeinde Glonn), 1646 (Ausschnitt)

624 Abbildungen

Abb. 6: Stiftsarchiv Heiligenkreuz, 7-IV-24: Klemens Schäffer, Notitia universalis, Titelblatt

Abbildungen 625

Abb. 7: Stiftsarchiv Heiligenkreuz, 7-IV-24: Klemens Schäffer, Notitia universalis, 194f.

Abb. 8: Stiftsarchiv St. Peter zu Salzburg, Register über das kloster Petersche haubtarchiv anno 1766

626 Abbildungen

Abb. 9: Erzabtei St. Peter zu Salzburg, Trompe-l’œil-Malerei im Durchgang zum ehemaligen Abteiarchiv, Gesamtansicht

Abbildungen 627

Abb. 10: Erzabtei St. Peter zu Salzburg, Trompe-l’œil-Malerei im Durchgang zum ehemaligen Abteiarchiv, Detail

628 Abbildungen

Abb. 11: Franz Joseph Lederer, Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck, 1699, Domkirchenstiftung Freising

Abbildungen 629

Abb. 12: Freisinger Dom, Kreuzgang

630 Abbildungen

Abb. 13: Karl MEICHELBECK, Historia Frisingensis, 1 (Augsburg 1724), Titelkupfer und Titelblatt

Abbildungen 631

Abb. 14: Karl MEICHELBECK, Kurtze chronica (Freising 1724), Titelkupfer

632 Abbildungen

Abb. 15: Freisinger Dom, Mittelschiff mit Blick nach Osten zum Hochaltar

Abbildungen 633

Abb. 16: Freisinger Dom, Mittelschiffhochwand und Emporen

634 Abbildungen

Abb. 17: Freisinger Dom, Korbiniansleben: Korbinian erweckt den Brunnen

Abbildungen 635

Abb. 18: Freisinger Dom, Tugenden des Hl. Korbinian

636 Abbildungen

Abb. 19: Freisinger Dom, Der Hl. Korbinian und die Freisinger Patrone

Abbildungen 637

Abb. 20: Freisinger Dom, Die drei göttlichen Tugenden

638 Abbildungen

Abb. 21: Freisinger Dom, Scheinkuppel mit der thronenden Gottesmutter

Abbildungen 639

Abb. 22: Freisinger Dom, Inschriftenkapitell

Abb. 23: Freisinger Dom, Puttenkapitell

640 Abbildungen

Abb. 24: Karl MEICHELBECK, Das danckbahre Freysing (Freising 1725), Titelkupfer

Abbildungen 641

Abb. 25: Cosmas Damian Asam, Einzug Fürstbischof Eckhers in den renovierten Dom, 1724, Kupferstich, Diözesanmuseum Freising

642 Abbildungen

Abb. 26: Melk, Stiftskirche, Langhaus, Gesamtansicht der Decke

Abbildungen 643

Abb. 27: Melk, Stiftskirche, Langhaus, Mitteljoch mit Benedikt als magister virtutum

644 Abbildungen

Abb. 28: Melk, Stiftskirche, Langhaus, Joch mit den beiden Sehern des Todes Benedikts

Abbildungen 645

Abb. 29: Melk, Stiftskirche, nördliche Apsiskonche, „Märtyrerkirche“

Abb. 30: Melk, Stiftskirche, südliche Apsisknoche, „Papstkirche“

646 Abbildungen

Abb. 31: Juan CARAMUEL Y LOBKOWITZ, Sanctus Benedictus Christiformis (Prag 1652, 1 1648, s. p.), Tod Benedikts und Kreuzigung Christi

Abbildungen 647

Abb. 32: Stiftsarchiv Melk, Karton 85 Varia 25, Fasz. 1, Nr. 6: Exzerpt von Bernhard Pez, De appetitu sanctorum

648 Abbildungen

Abb. 33: Archiepiscopatus et electoratus Trevirensis per refractarios monachos Maximinianos aliosque turbati (Trier 1633), Titelblatt

Abbildungen 649

Abb. 34: Nikolaus ZILLES, Defensio abbatiae imperialis Maximini (Trier 1638) 28f.

650 Abbildungen

Abb. 35: Hermann CONRING, Censura diplomatis, quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense (Helmstedt 1672) 368f.

Abb. 36: Christian KNAUT, Antiquitates pagorum et comitatuum principatus Anhaltini (Frankfurt am Main 1699) 36f.

Abbildungen 651

Abb. 37: Daniel PAPEBROCH, Ad tomum II Aprilis propylaeum antiquarium, in: AASS Aprilis 2 (Antwerpen 1675) I–XXXI, Falttafel

652 Abbildungen

Abb. 38: Daniel PAPEBROCH, Ad tomum II Aprilis propylaeum antiquarium, in: AASS Aprilis 2 (Antwerpen 1675) I–XXXI, hier XIV f.

Abbildungen 653

Abb. 39: Band der Acta sanctorum; Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709): Formatvergleich

654 Abbildungen

Abb. 40: Hermann CONRING, Censura diplomatis, quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense (Helmstedt 1672); Johann Reinhard WEGELIN, Sacri Romani imperii liberae civitatis Lindaviensis praerogativa antiquitatis (Jena 21713): Formatvergleich

Abbildungen 655

Abb. 41: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Tafel 26

Abb. 42: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), 640f.

656 Abbildungen

Abb. 43: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Tafel 36

Abbildungen 657

Abb. 44: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Tafel 5

658 Abbildungen

Abb. 45: Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), 498f.

Abbildungen 659

Abb. 46: Barthélémy GERMON, De veteribus regum Francorum diplomatibus disceptatio. (Paris 1703); Jean MABILLON, De re diplomatica (Paris 21709), Formatvergleich

660 Abbildungen

Abb. 47: Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (Pairs 1704), Tafeln

Abbildungen 661

Abb. 48: Jean MABILLON, Librorum de re diplomatica supplementum (Pairs 1704) 48