Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: Ein Handbuch zur Sprachpolitik des Europarats 9783110240849, 9783110240832

The Council of Europe’s “European Charter for Regional or Minority Languages” is in effect in 25 nations today. This gui

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German Pages 453 [456] Year 2012

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Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: Ein Handbuch zur Sprachpolitik des Europarats
 9783110240849, 9783110240832

Table of contents :
Einleitung: Zur Konzeption und Benutzung des Handbuchs
Armenien (Hayastan)
Dänemark (Kongeriget Danmark)
Deutschland (Bundesrepublik Deutschland)
Finnland (Suomen tasavalta/Republiken Finland)
Großbritannien (Vereinigtes Königreich/United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland)
Kroatien (Republika Hrvatska)
Liechtenstein (Fürstentum Liechtenstein)
Luxemburg (Grand-Duché de Luxembourg)
Montenegro (Republika Crna Gora)
Niederlande (Koninkrijk der Nederlanden)
Norwegen (Kongeriket Norge/Noreg)
Österreich (Republik Österreich)
Polen (Rzeczpospolita Polska)
Rumänien (România)
Schweden (Konungariket Sverige)
Schweiz (Schweizerische Eidgenossenschaft)
Serbien (Република Срблја)
Slowakei (Slovenská republika)
Slowenien (Republika Slovenija)
Spanien (Reino de España)
Tschechische Republik (Česká republika)
Ukraine (Україна)
Ungarn (Magyarország)
Zypern (Κυπριακή Δημοκρατία)
Sprachenregister

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Franz Lebsanft/Monika Wingender (Hrsg.) Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen

Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen Ein Handbuch zur Sprachpolitik des Europarats

Herausgegeben von Franz Lebsanft und Monika Wingender

ISBN 978-3-11-024083-2 e-ISBN 978-3-11-024084-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Ausgangspunkt des Handbuchs zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen war ein Forschungsseminar im Wintersemester 2007/2008 am Romanischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum. Dort wurden auch erste Proben von Handbuchartikeln erstellt. Im Anschluss wurde die Konzeption des Handbuchs zunächst in Bochum, dann in Bonn am Institut VII/Romanistik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Zusammenarbeit mit dem Gießener Zentrum Östliches Europa der Justus-Liebig-Universität von den beiden Herausgebern gemeinsam weiterentwickelt. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zu dem Handbuch stellte die ebenfalls gemeinsam in Bonn veranstaltete, von der Fritz Thyssen Stiftung (Köln) geförderte Tagung zur Charta im Oktober 2010 dar, deren Akten im Januar 2012 veröffentlicht wurden. Wir danken Tanja Anstatt (Bochum) und Tilman Berger (Tübingen) dafür, dass sie die Zusammenarbeit der Bochumer, dann Bonner Romanistik mit der Slavistik im Gießener Zentrum Östliches Europa personell angestoßen haben. Wir danken den vielen Autorinnen und Autoren für das große Engagement, mit dem sie das Konzept des Handbuchs in die Tat umgesetzt haben. Ein besonderer Dank geht an Felix Tacke (Bonn), der die Entstehung und Entwicklung des Handbuchs in allen Phasen konstruktiv begleitet und immer wieder wertvolle Anstöße zu seiner Verbesserung gegeben hat. Ebenfalls danken wir Natallia Savitskaya (Gießen) und Anne Real (Bonn) für ihre unermüdliche Unterstützung bei der Bearbeitung der Manuskripte. Gedankt sei zudem Susanne Mang (de Gruyter) für ihre zuverlässige Hilfe bei der Einrichtung der Manuskripte für den Druck. Last but not least sei Walter de Gruyter für die verlegerische Betreuung des Handbuchs gedankt. Bonn und Gießen, im April 2012

Franz Lebsanft und Monika Wingender

Inhalt Franz Lebsanft (Bonn) / Monika Wingender (Gießen) Einleitung: Zur Konzeption und Benutzung des Handbuchs 

 1

Natallia Savitskaya (Gießen) Armenien (Hayastan)   9 Janet Duke (Freiburg) Dänemark (Kongeriget Danmark) 

 25

Claudia Wich-Reif (Bonn) Deutschland (Bundesrepublik Deutschland) 

 39

Pirkko Nuolijärvi (Helsinki) Finnland (Suomen tasavalta/Republiken Finland) 

 77

Roswitha Fischer (Regensburg) Großbritannien (Vereinigtes Königreich/United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland)    93 Désirée Cremer (Bonn) Kroatien (Republika Hrvatska) 

 115

Felix Tacke (Bonn) Liechtenstein (Fürstentum Liechtenstein)  Felix Tacke (Bonn) Luxemburg (Grand-Duché de Luxembourg)  Ivana Barkijević (Gießen/Tübingen) Montenegro (Republika Crna Gora) 

 137

 141

Heinz Eickmans (Duisburg-Essen) Niederlande (Koninkrijk der Nederlanden)  Roger Reidinger (Wien) Norwegen (Kongeriket Norge/Noreg) 

 133

 173

 153

VIII 

 Inhalt

Ursula Doleschal (Klagenfurt) Österreich (Republik Österreich) 

 191

Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner (Gießen) Polen (Rzeczpospolita Polska)   211 Wolfgang Dahmen (Jena) Rumänien (România)   227 Roger Reidinger (Wien) Schweden (Konungariket Sverige) 

 243

Felix Tacke (Bonn) Schweiz (Schweizerische Eidgenossenschaft)  Monika Wingender (Gießen) Serbien (Република Србија) 

 283

Tilman Berger (Tübingen) Slowakei (Slovenská republika) 

 299

Felix Tacke / Franz Lebsanft (Bonn) Slowenien (Republika Slovenija)   319 Felix Tacke (Bonn) Spanien (Reino de España) 

 335

Tilman Berger (Tübingen) Tschechische Republik (Česká republika)  Daniel Müller (Gießen) Ukraine (Україна)   397 Zsuzsanna Gerner (Pécs) Ungarn (Magyarország) 

 413

Maria Petrou (Gießen) Zypern (Κυπριακή Δημοκρατία)  Sprachenregister 

 443

 433

 383

 265

Franz Lebsanft (Bonn) / Monika Wingender (Gießen)

Einleitung: Zur Konzeption und Benutzung des Handbuchs Nach äußerst langwierigen Vorbereitungen, welche die Parlamentarische Versammlung des Europarats bereits mit der Empfehlung 928/1981 initiierte,¹ wurde die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (ECRM) am Sitz des Europarats in Straßburg am 5. November 1992 zur Unterzeichnung aufgelegt. Wie in ihrem Artikel 19,1 festgelegt, sollte die Charta zu dem Zeitpunkt in Kraft treten, an dem mindestens fünf Mitgliedsstaaten des Europarats durch Ratifikation, Annahme oder Genehmigung – so die Formulierung in Artikel 18 – ihre Zustimmung zu dem Vertragswerk ausgedrückt hätten.² Dies war am 1. März 1998 der Fall, nachdem Norwegen (Ratifizierung: 10.11.1993), Finnland (9.11.1994), Ungarn (26.4.1995), die Niederlande (2.5.1996) und Kroatien (5.11.1997) sowie fast zeitgleich Liechtenstein (18.11.1997) die entsprechenden Urkunden in Straßburg hinterlegt hatten.³ Bis zum Stichtag 1.4.2012 haben weitere 19 Staaten – die Schweiz (23.12.1997), Deutschland (16.9.1998), Schweden (9.2.2000), Dänemark (8.9.2000), Slowenien (4.10.2000), das Vereinigte Königreich (27.3.2001), Spanien (9.4.2001), Österreich (28.6.2001), die Slowakei (5.9.2001), Armenien (25.1.2002), Zypern (26.8.2002), Luxemburg (22.6.2005), die Ukraine (19.9.2005), Montenegro (15.2.2006), Serbien (15.2.2006), die Tschechische Republik (15.11.2006), Rumänien (29.1.2008), Polen (12.2.2009) und Bosnien und Herzegowina (21.9.2010) – die Charta ratifiziert. Insgesamt acht Staaten haben die ECRM nur unterzeichnet, nämlich Malta (5.11.1992), Mazedonien (25.7.1996), Frankreich (7.5.1999), Island (7.5.1999), Italien (27.6.2000), Aserbaidschan (21.12.2001), Russland (10.5.2001) und Moldawien (11.7.2002). Weitere 14 Staaten (Albanien, Andorra, Belgien, Bulgarien, Estland, Georgien, Griechenland, Irland, Lettland, Litauen, Monaco, Portugal, San Marino, Türkei) haben auch das nicht getan.⁴ Somit stehen zum gewählten Stichtag den insgesamt 25 Ratifizierungsstaaten 24 Nicht-Ratifizierungsländer gegenüber.

1 Parliamentary Assembly 1981. 2 Der Text der ECRM in den Vertragssprachen Englisch und Französisch sowie in deutscher Übersetzung ist synoptisch abgedruckt in: Bundesgesetzblatt (BGBl.) 1998 II Nr. 25, 1315–1333. 3 Die Angabe zum Inkrafttreten der ECRM bei Hofmann (2012, 11) – 1.5.1998 – ist zu korrigieren. 4 Lebsanft / Wingender (2012, 2f.).

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 Franz Lebsanft/Monika Wingender

Eine umfassende Analyse der ECRM muss die drei prinzipiell möglichen vertraglichen Situationen der bisher vollständigen Verweigerung, der bloßen Unterzeichnung (durch die ein Mitgliedsstaat zumindest die Verpflichtung eingeht, „Ziel und Zweck der Charta nicht zu vereiteln“⁵) und der Ratifizierung in den Blick nehmen. Dieser breit angelegte Ansatz war Gegenstand exemplarischer Analysen einer Bonner Tagung, deren Akten inzwischen vorliegen.⁶ Ein wesentlicher in Bonn herausgearbeiteter Befund ist die Tatsache, dass der weitgehend vor dem Zerfall der Blöcke konzipierten ECRM keineswegs mehr Erfolg im ehemals „westlichen“ als im damaligen „östlichen“ Europa beschieden war und ist. Seit der Ratifizierung durch Luxemburg haben ausschließlich „östliche“ Staaten der Charta zugestimmt, so dass zum gewählten Stichtag zwölf Länder der ehemals westlichen und 13 der früheren östlichen Hemisphäre das Vertragswerk umsetzen wollen. Probleme der Zustimmung ergeben sich heute gleichermaßen im Westen wie im Osten: So hat die Virulenz der Sprachkonflikte in einem der Gründerstaaten der heutigen Europäischen Union, Belgien, die Unterzeichnung und Ratifizierung der Charta bisher nicht weniger verhindert⁷ als in einem wesentlich jüngeren, aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangenen Staat, Georgien.⁸ In beiden Fällen enthalten Sprachenfragen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ganz erhebliche Sprengkraft für den Zusammenhalt der jeweiligen Nationen, so dass dem ausdrücklichen Bekenntnis zur Staatensouveränität und territorialen Integrität, das sich im sechsten Erwägungsgrund der Präambel der ECRM findet,⁹ kein ausreichendes Gewicht beigemessen wird. Wenn in einem neuen Handkommentar zur ECRM betont wird, der „Einwand einer angeblichen Kollision seiner [d.h. des Minderheitenschutzes] Ziele und Instrumente mit den Grundsätzen der Staatensouveränität und der territorialen Integrität“ stehe „nicht auf dem Boden des geltenden Völkerrechts“¹⁰, dann verkennt diese ausschließlich juristische Bewertung die Tatsache, dass die Auslegung und die Umsetzung rechtlicher Bestimmungen sich politischer und praktischer Instrumentalisierung nicht nur – wie die Formulierung insinuiert – durch Mehrheits-, sondern auch durch Min-

5 Hofmann (2012, 11). 6 Lebsanft / Wingender (Hrsg.) 2012. Der Vortrag von Mihaela Secrieru zur Situation in Moldawien wurde an einem anderen Ort publiziert (Secrieru 2010). 7 Tacke (2012). 8 Wicherkiewicz (2012). Georgien erklärte sich erstmals am 26.5.1918 für unabhängig, erneut am 9.5.1991. 9 Der Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen beruhe, heißt es dort, „auf den Grundsätzen der Demokratie und der kulturellen Vielfalt im Rahmen der nationalen Souveränität und der territorialen Unversehrtheit“. 10 Boysen u.a. (2011, 54f. = Rn. 28).

Einleitung: Zur Konzeption und Benutzung des Handbuchs 

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derheitsgesellschaften keineswegs entziehen. Diese Beispiele lassen sich leicht vermehren, wenn man etwa an die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen denkt, die sich sehr schwer mit dem möglichen Schutz des Russischen als neuer Minderheitensprache tun.¹¹ Diskussionswürdig ist dabei die Frage, ob das Russische im Baltikum im Sinne des zweiten Erwägungsgrunds der Präambel „geschichtlich gewachsen“ bzw. im Einklang mit Artikel 1a (i) der ECRM eine „herkömmlich“ gesprochene Sprache ist.¹² In der Türkei wiederum sind es vor allem der türkische Nationalismus und der darauf gründende Umgang der Staatsmacht mit der kurdischen Minderheit, die eine Unterzeichnung und Ratifizierung der ECRM verhindern.¹³ Im Vergleich zu den weiter gespannten Fragestellungen der Bonner Tagung ist der Fokus des Handbuchs enger, zugleich jedoch bezüglich des in den Blick genommenen Gegenstandsbereichs auf Exhaustivität angelegt. Es bietet erstmals eine systematische und faktographische Darstellung der Anwendung des Vertragswerks in allen Ratifizierungsländern mit Ausnahme von Bosnien und Herzegowina. Die Ausnahme ist dadurch begründet, dass zum Stichtag 1.4.2012 noch keine entsprechenden Informationen zu diesem jüngsten Ratifizierungsland vorliegen.¹⁴ Ausgehend von Teil IV, „Anwendung der Charta“ (Artikel 15–17), wird eine Analyse der sprachpolitischen Interaktion zwischen dem Europarat – d.h. dem Sachverständigenausschuss, dem Ministerkomitee, dem Generalsekretär und der Parlamentarischen Versammlung –, den Ratifizierungsstaaten und den Nichtregierungsorganisationen als Repräsentanten der Minderheitensprachen vorgelegt.¹⁵ Im Mittelpunkt des Handbuchs stehen also die sprachpolitischen

11 Wingender (2012). Litauen erklärte sich nach der Oktoberrevolution am 16.2.1918 für unabhängig und stellte die Souveränität am 11.3.1990 wieder her. Lettland erlangte am 18.11.1918 die Unabhängigkeit, die am 4.5.1990 wiederhergestellt und am 21.8.1991 wirksam wurde. Estland erlangte die Unabhängigkeit am 24.2.1918; sie wurde im August 1991 wiederhergestellt und von der UdSSR am 6.9. 1991 anerkannt. Die Auflösung der UdSSR wurde am 31.12.1991 wirksam. 12 Zum Problem der Autochthonie in der ECRM Lebsanft (2012, 27–29). Dass die Bestimmung der Charta sehr unterschiedlich ausdeutbar ist, anerkennen auch Boysen u.a. (2011, 62 = Rn. 13–14). 13 Bartholomä (2012). 14 Bosnien und Herzegowina hätten den ersten Staatenbericht zum 1.1.2012 vorlegen müssen. 15 Im Redaktionsprozess des vorliegenden Handbuchs erschien die russischsprachige Monographie von Mustafina / Kalganova (2012). Vor dem Hintergrund des seit 2009 in der Russischen Föderation laufenden Pilotprojektes zur Vorbereitung der Charta-Ratifizierung fassen die Autoren Daten zu den bisherigen Ratifizierungsstaaten in alphabetischer Reihenfolge zusammen; dabei steht anders als im hier vorgelegten Handbuch nicht die explizite Analyse des Interaktionsprozesses zwischen Europarat und Ratifizierungsstaaten im Vordergrund.

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 Franz Lebsanft/Monika Wingender

Akteure und ihre Interaktion.¹⁶ Besondere Aufmerksamkeit gilt daher dem Monitoringprozess, d.h. den Berichtszyklen, in denen die in Szene gesetzte Selbstdarstellung der Staaten (Art. 15, „Regelmäßige Berichte“) mit den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ansprüchen von Minderheiten konfrontiert werden, und dies unter den Augen europäischer Experten und Entscheidungsträger (Art. 17, „Sachverständigenausschuss“), die auf diese Weise zu Schiedsrichtern sprachnationaler Kontroversen avancieren (Art. 16, „Prüfung der Berichte“). Im Ergebnis liefern die Autoren des Handbuchs einen Beitrag zum sprachpolitischen Verständnis, aber auch zur Bewertung der gegenwärtigen europäischen Sprachkonflikte und deren politischer Lösungsmöglichkeiten. Die Beiträge, deren Begrifflichkeit möglichst einheitlich nach der deutschen Übersetzung der ECRM gestaltet ist, sind aus den genannten Gründen nicht nach den geschützten Sprachen, sondern alphabetisch nach den (deutschen) Namen der Mitgliedsstaaten geordnet und in ihrer Binnenstruktur nach einem möglichst einheitlichen Konzept gegliedert. Eine individuelle Lektüre „gegen den Strich“ ermöglicht das beigegebene Sprachenregister, mit dem Synopsen zu bestimmten Sprachen in unterschiedlichen Ländern erstellt werden können. Der Umfang der einzelnen Beiträge richtet sich im Wesentlichen nach der Komplexität der – nicht in jedem Fall vollständig erfassten – Sprachensituation und der Anzahl der vorliegenden Berichtszyklen. Aus redaktionellen Gründen konnte nicht immer der am Stichtag 1.4.2012 erreichte Berichtsstand, der auf der Internetseite des Europarats aktuell einsehbar ist, berücksichtigt werden.¹⁷ Im Hinblick auf einen Vergleich der Komplexität der Sprachsituationen im westlichen und östlichen Europa zeigt sich im vorliegenden Handbuch, dass die Ratifikationsstaaten des westlichen Europa durch Teil III (Art. 8–14) der Charta (mit dem eine Auswahl von 35 Schutzverpflichtungen verbunden ist) Minderheitensprachen im einstelligen Bereich schützen, während gleich mehrere Ratifikationsstaaten des östlichen Europa hier Minderheitensprachen im zweistelligen Bereich schützen, wodurch die jeweiligen Staaten vor große Herausforderungen gestellt werden (vgl. z.B. die durch Teil III geschützten Sprachen im Fall von: Polen [15], der Ukraine [13], Serbien [10], Rumänien [10]). Die Diskussion zwischen den Staaten und dem Europarat um die Aufnahme bzw. Nicht-Aufnahme von Minderheitensprachen in das jeweilige Ratifikationsinstrument wird in den einzelnen Artikeln des Handbuchs gegebenenfalls detailliert dargestellt.

16 Zu den theoretischen Grundlagen dieses Ansatzes im Rahmen der Sprachplanungstheorie s. z.B. Lebsanft (2012, 35f.). 17 S. dort „Reports and recommendations“, (1.4.2012).

Einleitung: Zur Konzeption und Benutzung des Handbuchs 

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Die Binnenstruktur der Beiträge gliedert sich einheitlich in vier Abschnitte, wobei deren Ausgestaltung nach den Schwerpunktsetzungen der Autorinnen und Autoren flexibel gehandhabt ist. Abschnitt 1 stellt als „Vorgeschichte“ die jüngere staatliche und politische Situation des jeweiligen Landes vor der Befassung mit der ECRM dar. Dabei wird auch die Stellung des Landes im europäischen Integrationsprozess sowie u.U. das Verhältnis zu Nachbarländern berücksichtigt. Besonderes Augenmerk ruht, soweit vorhanden, auf Aussagen zu Mehrheits- und Minderheitensprachen in der jeweiligen Verfassung bzw. in Sprachgesetzen. Der zentrale Abschnitt 2 behandelt in mehreren Unterabschnitten die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“. Zunächst werden als „Implementierung“ die Ratifizierung und Prüfung der Anwendung der ECRM in ihrem zeitlichen Verlauf dargestellt und die staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen und Organisationen benannt, die an der Erstellung der Staatenberichte von der Vertragspartei (d.h. dem jeweiligen Staat) beteiligt worden sind (2.1.). Es folgt eine Überblicksskizze der „Sprachen und Sprachensituation“, wie sie sich in den Berichtszyklen aus dem z.T. durchaus kritischen Dialog zwischen Vertragspartei und Europarat, d.h. vor allem dem Sachverständigenausschuss und den von diesem einbezogenen Nichtregierungsorganisationen, ergibt (2.2.). Auf derselben Basis behandelt in der Regel jeweils ein Abschnitt die nach Teil II (Art. 7) und nach Teil III der ECRM (2.3.) bzw. die nur nach Teil II „geschützten Sprachen“ (2.4.). In Bezug auf die nach Teil III berücksichtigten Sprachen folgt die Darstellung den einzelnen Sprachdomänen, in denen die ECRM Fördermaßnahmen vorsieht, also Bildung (Art. 8), Justizbehörden (Art. 9), Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe (Art. 10), Medien (Art. 11), kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen (Art. 12), wirtschaftliches und soziales Leben (Art. 13) sowie grenzüberschreitender Austausch (Art. 14). Stets wird darauf geachtet, die Darstellung zu perspektivieren, d.h. zu verdeutlichen, in welchem Licht die Vertragspartei bzw. der Europarat, seine Experten und seine Gewährsleute, die Situation der Regional- oder Minderheitensprachen erscheinen lassen. Es soll also deutlich werden, dass die Berichtszyklen sprachpolitische Interaktionen sind, bei denen die beteiligten Instanzen ihre jeweils eigenen Interessen und Zwecke verfolgen. Abschnitt 3, „Bewertung“, enthält eine knappe Beurteilung des Verlaufs und des Erfolgs der Implementierung der ECRM aus der Sicht des Autors oder der Autorin des Beitrags. Abschnitt 4, „Bibliographie“, listet die dokumentarischen Quellen, d.h. einerseits die Berichte der Staaten, des Sachverständigenausschusses, gegebenenfalls auch der Nichtregierungsorganisationen sowie die Empfehlungen des Ministerkomitees, darüber hinaus weitere einschlägige rechtliche Dokumente (Gesetze und Verordnungen) der Vertragsparteien; andererseits eine Auswahl der wissenschaftlichen Literatur. Schließlich wird auch der von dem jeweiligen Staat gewählte Maßnahmenkatalog nach Artikel 2,2 der ECRM angegeben.

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 Franz Lebsanft/Monika Wingender

Der prozedurale Charakter der Anwendung der ECRM impliziert, dass das Handbuch notwendigerweise unabgeschlossen ist. Vertragsparteien werden auch in Zukunft in regelmäßigen Abständen dem Europarat Berichte vorlegen müssen, die wiederum vom Sachverständigenausschuss geprüft werden und dessen Einschätzungen in Empfehlungen des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten münden. Zugleich ist damit zu rechnen, dass noch weitere Staaten – gewiss nicht alle¹⁸ – der ECRM zustimmen. Insofern liefert das Handbuch knapp 15 Jahre nach dem allgemeinen Inkrafttreten des Vertragswerkes eine erste umfassende Bestandsaufnahme, die in der Zukunft gegebenenfalls fortgeschrieben werden muss.

18 Z.B. könnte der Signatarstaat Frankreich nur durch eine höchst unwahrscheinliche, tiefgreifende Verfassungsänderung die Voraussetzungen für eine Ratifizierung schaffen. Stattdessen hat Frankreich im Juli 2008 den Weg einer kleinen Ergänzung der Verfassung gewählt, um den sogenannten langues de France einen Schutz zukommen zu lassen, welcher demjenigen der ECRM vergleichbar sein soll (Art. 75,1: „Les langues de France appartiennent au patrimoine de la France.“; s. Lebsanft 2009, 243). Auf diese Weise entgeht Frankreich der Peinlichkeit, als Mitglied des Europarats an Empfehlungen zur Umsetzung der ECRM mitzuwirken, ohne dass das Land seinen eigenen Sprachen einen umfassenderen rechtlichen Schutz zubilligen würde. Zur Situation im Signatarstaat Italien vgl. Pirazzini (2012).

Einleitung: Zur Konzeption und Benutzung des Handbuchs 

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Bibliographie Quellen Bundesrepublik Deutschland: „Gesetz zu der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 1992“. In: Bundesgesetzblatt 1998, Teil II N3. 25: 1314–1337. Parliamentary Assembly of the Council of Europe: „Recommendation 928 (1981) on the educational and cultural problems of minority languages and dialects in Europe“, 7.10.1981. (1.4.2012).

Literatur Bartholomä, Ruth: „Türkei. Die ECRM und die Minderheitenfrage“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 119–132. Boysen, Sigfrid u.a.: Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar. Zürich/St. Gallen: Dike 2011. Hofmann, Mahulena: „Die ECRM aus rechtswissenschaftlicher Sicht. Begriffe und Maßnahmen auf dem Prüfstand“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 9–21. Lebsanft, Franz: „Rez. zu Willwer 2006“. In: Romanische Forschungen 121, 2009: 241–244. Lebsanft, Franz: „Die ECRM aus soziolinguistischer Sicht. Begriffe und Maßnahmen“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 23–40. Lebsanft, Franz / Wingender, Monika: „Einleitung“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 1–6. Lebsanft, Franz / Wingender, Monika (Hrsg.): Die Sprachpolitik des Europarats. Die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ aus linguistischer und juristischer Sicht, Berlin/Boston: de Gruyter 2012. Mustafina, Džamilja / Kalganova, Gul’nara: Evropejskaja Chartija regional’nych jazykov ili jazykov men’šinstv: rezul’taty ratifikacii v Evrope i perspektivy. Kazan’: Tatarskoe knižnoe izdatel’stvo 2012. Pirazzini, Daniela: „Italien. Die ECRM im Lichte der Debatte um die Norme in materia di tutela delle minoranze linguistiche storiche“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 73–85. Secrieru, Mihaela: „Republic of Moldavia – an Intermezzo on the Signing and the Ratification of the European Charter for Regional and Minority Languages“. In: Philologica Jassyensia 6, 2010: 231–244. Tacke, Felix: „Belgien. Territorialitätsprinzip und Minderheitenproblematik vor dem Hintergrund der ECRM“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 87–104. Wicherkiewicz, Tomasz: „A Non-EU State Awaiting the Ratification of the ECRML“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 105–117. Willwer, Jochen: Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen in der Sprachpolitik Frankreichs und der Schweiz. Stuttgart: ibidem 2006. Wingender, Monika: „Russisch als neue Minderheitensprache im östlichen Europa. Die ECRM und die Diskussion um das Russische in Nachfolgestaaten der UdSSR“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.), 2012: 165–189.

Natallia Savitskaya (Gießen)

Armenien (Hayastan) 1 Vorgeschichte In seiner neueren Geschichte erlangte Armenien, das mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches ab etwa 1800 immer mehr unter den Einfluss des Russischen Reiches geriet, seine Unabhängigkeit am 28.5.1918 mit der Gründung der Demokratischen Republik Armenien wieder. Die erste Republik existierte bis zum 29.11.1920, als armenische Bolschewiki die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik (ArSSR) ausriefen. Am 6.12.1920 wurde die ArSSR auch von russischer Seite ausgerufen. Die formale Unabhängigkeit des Staates wurde am 30.9.1921 durch einen Bündnisvertrag mit der Russischen Sowjetischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) eingeschränkt. Am 12.5.1922 wurde die ArSSR neben der Georgischen und Aserbaidschanischen SSR ein Teil der neu gegründeten Transkaukasischen SFSR, die ein halbes Jahr später zusammen mit der RSFSR, der Ukrainischen und Belarussischen SSR die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) bildete. Mit der Gründung der UdSSR am 30.12.1922 endete die Souveränität Armeniens. Erst nach dem Zerfall der UdSSR erlangte die Republik Armenien am 21.9.1991 ihre Unabhängigkeit wieder. Die drei wichtigsten außenpolitischen Ziele – Gewährleistung nationaler Sicherheit, Ausbau internationaler Wirtschaftsbeziehungen und Anerkennung des Völkermordes an Armeniern – verfolgt der Staat im Rahmen einer Politik der Komplementarität, die im Falle Armeniens gute Beziehungen zur Russischen Föderation, den USA und auch zur Europäischen Union (EU) vorsieht. Am 25.1.2001 trat Armenien dem Europarat bei, am 7.9.2009 der Östlichen Partnerschaft, einem Projekt im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP). Armenien ist seit 1992 Mitglied der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der Sprachenstatus wird im Gesetz der Republik Armenien „Über die Sprache“ (17.4.1993) und in der Verfassung der Republik Armenien (5.7.1995) geregelt. In Artikel 12 der Änderungsfassung der Konstitution vom 27.11.2005 wird Armenisch als Amtssprache und in Artikel 1 des Sprachgesetzes als Staats- und offizielle Sprache Armeniens festgelegt. In beiden Dokumenten werden nicht die Ausdrücke ‚regionale‘ bzw. ‚Minderheitensprachen‘ verwendet, sondern der Ausdruck ‚Sprachen nationaler Minderheiten‘; es werden keine bestimmten Sprachen gesetzlich als Minderheitensprachen im Sinne des Artikels 1a der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen statuiert. Artikel 41 der

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 Natallia Savitskaya

Verfassung garantiert jedem das Recht, seine nationale und ethnische Identität zu bewahren, und den Personen, die nationalen Minderheiten angehören, das Recht, ihre Traditionen, Religion, Sprache und Kultur zu bewahren und zu entwickeln. Artikel 1 des Sprachgesetzes sichert eine freie Verwendung der Sprachen nationaler Minderheiten auf dem Territorium Armeniens zu. In Artikel 2 wird nationalen Minderheiten in ihren Gemeinden Schulunterricht in eigener Sprache neben dem obligatorischen Armenischunterricht zugebilligt. Darüber hinaus dürfen öffentliche Organisationen nationaler Minderheiten laut Artikel 4 ihre Dokumentation parallel zum Armenischen in ihrer Sprache führen. Dennoch sind Beamte und Mitarbeiter bestimmter Dienstleistungsbereiche durch Artikel 3 dazu verpflichtet, Armenisch zu beherrschen. Die Sprachenverwendung wird in vielen anderen Gesetzen der Republik Armeniens zusätzlich geregelt. So besagte das Pressegesetz vom 8.10.1991 in Artikel 5, nationale Minderheiten hätten das Recht, Informationen in ihrer Sprache zu erhalten und zu verbreiten (im neuen Gesetz über Massenmedien vom 13.12.2003 wird auf die Sprachverwendung nicht explizit eingegangen). Laut dem Gesetz über Fernsehen und Radio (9.10.2000) können TV- und Radiosendungen für nationale Minderheiten in deren Sprache ausgestrahlt werden. Die Zivilprozessordnung sichert einem involvierten Nicht-Armenischsprechenden das Recht auf einen Übersetzer zu. Generell besteht für Exekutivorgane seitens der armenischen Gesetzgebung kein Verbot, sich an nationale Minderheiten in deren Sprache (auch schriftlich) zu wenden.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Armenien unterzeichnete die Charta am 11.5.2001 und ratifizierte sie am 25.1.2002, am 1.5.2002 trat sie in Kraft. Der Ratifizierungsprozess setzte also kurz nach Armeniens Beitritt zum Europarat und noch vor der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (26.4.2002) ein und wurde innerhalb eines knappen Jahres abgeschlossen. Den ersten Staatenbericht reichte Armenien am 3.9.2003 ein. Nach einem Jahr – im September 2004 – besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das

Armenien 

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Land und legte am 25.11.2005 seinen Evaluationsbericht vor, auf dessen Grundlage das Ministerkomitee am 14.7.2006 seine ersten Empfehlungen aussprach. Der zweite Staatenbericht wurde am 15.2.2008 erstattet. Nach seinem zweiten Vor-Ort-Besuch im September 2008 verabschiedete der Sachverständigenausschuss am 22.4.2009 den entsprechenden Bericht, und das Ministerkomitee sprach seine Empfehlungen am 23.9.2009 aus.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von der Staatlichen Sprachkommission beim Bildungs- und Wissenschaftsministerium in Kooperation mit folgenden staatlichen Institutionen der nationalen Minderheiten erstellt: – Koordinationsrat nationaler Minderheiten beim Präsidenten – Ständiger Ausschuss der Nationalversammlung für Angelegenheiten der Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur – Verband der Assyrer Armeniens Atur, NGO – Armenischer Rat kurdischer Intellektueller, NGO – Gesellschaftliche Organisation der Griechen Armeniens Patrida, NGO – Nationale Union der Jesiden der Welt, NGO – Assyrisches Jugendzentrum Ashur, NGO – Gesellschaftliche Organisation der Republik Armenien Rossija. Es wurden Vertreter des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums, des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport, des Justizministeriums, der Abteilung für soziale Angelegenheiten der Regierung Armeniens, des Nationalkomitees für Fernsehen und Radio und des öffentlichen Rundfunks der Republik Armenien zurate gezogen. Informationen zur Verfügung stellten darüber hinaus das Außenund Innenministerium, das Nationale Statistikamt, der Rat für öffentliches Fernsehen und Radio Eriwan sowie der Regionalrat. Der zweite Staatenbericht wurde von der armenischen Regierungsstelle für Angelegenheiten nationaler Minderheiten und der Religion auf der Grundlage von Materialien verfasst, die relevante Ministerien und Agenturen, Bildungsinstitutionen und Repräsentanten nationaler Minderheiten vorgelegt hatten.

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2.2 Sprachen und Sprachensituation Eine Besonderheit der sprachlichen Situation in Armenien besteht darin, dass der Anteil der nationalen Minderheiten an der Gesamtbevölkerung des Landes mit 2,19 % (laut Zensus 2001) deutlich niedriger ist als der Minderheitenanteil in anderen postsowjetischen Ländern. Im Ratifikationsinstrument benennt Armenien fünf Minderheitensprachen: Assyrisch, Jesidisch, Kurdisch, Griechisch und Russisch, die laut dem ersten Staatenbericht faktisch keine Minderheitensprachen im Sinne des Artikels 1a der Charta seien, sondern Sprachen der Minderheiten bzw. Immigranten, die weder autochthon noch traditionsmäßig und historisch an armenische Territorien gebunden seien und separat in kleinen Gemeinden lebten. Eine Ausnahme bilde mit seiner großen Sprecherzahl das Russische, das, national-, sprach-, kultur- und wirtschaftspolitisch bedingt, in Zeiten des Russischen Imperiums und der UdSSR zur zweiten Sprache in Armenien geworden sei und dennoch nicht als eine ‚nicht-territoriale Sprache‘ gelten könne, da es nicht traditionell im Hoheitsgebiet Armeniens verwendet worden sei. Dennoch erkläre sich die Republik Armenien als Ausdruck des guten Willens bereit, den genannten fünf Sprachen Schutz zu gewähren, v.a., weil drei davon (Assyrisch, Jesidisch und Kurdisch) keine Staatssprachen in einem anderen Land seien. Diese drei Sprachen werden auch in keinem anderen Land außer Armenien durch die Charta geschützt. Laut dem ersten Staatenbericht sollen auf alle fünf geschützten Sprachen die Teile II (Art. 7) und III (Art. 8–14) der Charta angewendet werden. Der Sachverständigenausschuss erkannte die gute rechtliche Lage der Minderheitensprachen in Armenien an, wies aber auf die fehlende Spezifizierung einzelner Minderheitensprachen in allen offiziellen Texten und auf eine unzureichende Umsetzung des staatlichen Programms der Sprachenpolitik im Bereich der Minderheitensprachen hin, die außer der Lehrerausbildung keine weiteren vorgesehenen Bereiche beträfe. Das Ministerkomitee reagierte daraufhin mit den konkreten Empfehlungen, das Bildungsangebot in Assyrisch, Jesidisch und Kurdisch auf allen Ebenen und die rechtliche Basis für die Verwendung der Minderheitensprachen vor Gericht zu verbessern sowie die Präsenz des Assyrischen, Griechischen, Jesidischen und Kurdischen im Fernsehen und des Assyrischen und Griechischen im Radio zu optimieren. Auf Anregung des Sachverständigenausschusses empfahl das Ministerkomitee darüber hinaus, den Status der anderen in Armenien gesprochenen Sprachen (Belarussisch, Deutsch, Georgisch, Hebräisch, Jiddisch, Polnisch, Ukrainisch) zu klären. Im zweiten Staatenbericht reagierte Armenien auf alle Anmerkungen und gab zu, einige bei der Implementierung entstandene und im ersten Bericht nicht berücksichtigte objektive Probleme sozialer und wirtschaftlicher Natur

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hätten – vor dem Hintergrund vieler anderer ungelöster Probleme des Staates – die Durchführung geeigneter Maßnahmen erschwert, und ihre Lösung brauche gewisse Zeit. Das Land verwies auf eine Reihe teilweise neu verabschiedeter gesetzlicher Akte, die u.a. die Verwendung von Minderheitensprachen regeln, und berichtete über offizielle Vereinbarungen und Verordnungen über Minderheitensprachen in den Bereichen Bildung und Massenmedien. Der Sachverständigenausschuss schätzte die institutionellen und rechtlichen Entwicklungen in Armenien, v.a. die Gründung der Regierungsstelle für Angelegenheiten nationaler Minderheiten und der Religion im Jahr 2004 und eine präzisere Definition von Sprachrechten nationaler Minderheiten in der Verfassungsänderung von 2005, als sehr positiv ein. Im Einklang mit dem ersten Monitoringzyklus empfahl das Ministerkomitee, politische Strukturen zur Gewährleistung der Lehre in Assyrisch, Kurdisch und Jesidisch zu schaffen, die Verwendung der Minderheitensprachen vor Gericht zu sichern, Gericht und Öffentlichkeit über die Rechte und Pflichten laut Artikel 9 der Charta zu informieren und das Fernseh- (für Assyrisch, Jesidisch und Kurdisch) und Radioangebot (für Assyrisch und Griechisch) zu verbessern. Die Nichtaufnahme weiterer Sprachen in die Liste der durch die Charta geschützten Sprachen begründete Armenien im zweiten Staatenbericht mit der äußerst geringen Anzahl der Sprecher, die zudem verstreut und mit wenig Kontakt untereinander lebten und ihre ethnischen Sprachen kaum benutzten bzw. beherrschten. Diese Sprachen könnten bei Bedarf in Sonntagsschulen, als Fremdsprachen in Schulen (Deutsch) oder als Fächer an Universitäten (Belarussisch, Deutsch, Georgisch, Hebräisch, Polnisch, Ukrainisch), z.B. in Eriwan, studiert werden, wo die meisten dieser Minderheiten ohnehin lebten. Der Sachverständigenausschuss stellte jedoch bei seinem Vor-Ort-Besuch den Wunsch entsprechender ethnischer Gruppen fest, ihre Sprachen zu entwickeln, woraufhin das Ministerkomitee Armenien wiederholt um Überprüfung der sprachlichen Situation im Land hinsichtlich weiterer Regional- oder Minderheitensprachen bat, die möglicherweise durch Teil II der Charta geschützt werden könnten. Der zweite Staatenbericht präsentiert Daten der ethnischen Zusammensetzung der Republik Armenien nach dem Zensus von 2001: Bevölkerung nach Ethnizität Ethnie Σ Armenisch Jesidisch Russisch

Zahl

(%)

3.213.011 3.145.354 40.620 14.660

100 97,89 1,26 0,46

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Bevölkerung nach Ethnizität Ethnie Assyrisch Ukrainisch Kurdisch Griechisch Andere

Zahl

(%)

3.409 1.633 1.519 1.176 4.640

0,11 0,05 0,05 0,04 0,14

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen Die Kommunikation zwischen Armenien und dem Europarat bezüglich der Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens und des grenzüberschreitenden Austausches lässt sich am plausibelsten in einer Zusammenfassung für alle Minderheitensprachen darstellen. Wirtschaftliches und soziales Leben: Die Einführung von den Gebrauch der Minderheitensprachen einschränkenden Bestimmungen sei in Armenien laut dem ersten Staatenbericht verboten, Unternehmen sei freie Sprachenwahl gewährt, und in sozialen Einrichtungen werden alle Sprachen akzeptiert. Der Sachverständigenausschuss stellte in dieser Hinsicht keine Diskriminierung fest, aber auch keine Angaben darüber, mit welchen Maßnahmen der Staat eventuellen Diskriminierungen entgegenzuwirken gedenke. Armenien sah es aber als schwierig an, Lösungen nicht existierender Probleme zu liefern, und der Sachverständigenausschuss nahm diese Antwort an, nachdem er auch beim zweiten Länderbesuch keine Verstöße gegen die o.g. Regelungen konstatierte. Vor dem Hintergrund der starken Dominanz des Russischen im sozial-wirtschaftlichen Bereich vermisste er bereits in seinem ersten Bericht Informationen über die gezielte Förderung der anderen Minderheitensprachen und zeichnete mögliche Förderungswege auf. Armenien sah den Mangel an entsprechenden Maßnahmen ein, äußerte Verbesserungsabsichten und merkte dabei an, Russisch werde von den Minderheiten selbst bevorzugt, da andere Sprachen terminologisch weniger ausgebaut und die Russischkenntnisse bei fast allen Einwohnern Armeniens vorhanden seien. Auch diese Argumentation sah der Sachverständigenausschuss als einleuchtend an, schlug jedoch trotzdem vor, strukturierte Förderungsmechanismen auszuarbeiten. Die Verpflichtungen gelten für Russisch als vollständig erfüllt, für andere Minderheitensprachen – als nur partiell. Grenzüberschreitender Austausch: Laut dem ersten Staatenbericht haben die assyrischen Organisationen Atur und Ashur einen engen Kontakt mit der Weltunion der Assyrer im Nordirak, Iran, in Schweden sowie mit assyrischen Verbän-

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den in den GUS-Ländern; jesidische und kurdische Minderheiten unterhielten Beziehungen mit Gemeinden im Irak und Iran, Kontakte mit einigen Nachbarländern werden wegen Grenzblockaden nicht gepflegt; russländische Hochschulen seien berechtigt, Filialen in Armenien zu eröffnen, akademische Titel werden gegenseitig anerkannt. Auf konkrete Beispiele für das Griechische wurde nicht eingegangen. Der Bericht akzentuierte die von Armenien abgeschlossenen biund multilateralen Abkommen zur Herstellung und Unterstützung von Verbindungen zwischen Sprechern gleicher Sprachen in verschiedenen Ländern. Der Sachverständigenausschuss monierte jedoch, solche Abkommen nur mit der Russischen Föderation und Griechenland vorgefunden zu haben, nicht aber mit den für andere Minderheitensprachen relevanten Ländern. Nachdem der Staat daraufhin eine generelle Austauschmöglichkeit für nationale Minderheiten als ausdrücklich gewährt darlegte, sich dabei erneut allgemein auf bilaterale Vereinbarungen bezog und entsprechende Kontaktbeispiele nannte, erklärte der Sachverständigenausschuss nach dem zweiten Länderbesuch die Verpflichtungen als erfüllt.

2.3.1 Assyrisch, Jesidisch und Kurdisch Da die sprachpolitischen Situationen dieser drei Sprachen weitreichende Parallelitäten aufweisen, werden sie in einem Kapitel behandelt. Die Evaluationsberichte heben hervor, Armenien schütze im Rahmen der Charta Jesidisch und Kurdisch als zwei separate Sprachen, obwohl sie eine und dieselbe Varietät des Kurmanji seien, dessen Sprecher sich aufgrund ethnischer Kontroversen nicht auf eine gemeinsame Bezeichnung einigen wollten. Das Kurdische werde gerade auf die lateinische Schrift umgestellt, während das Jesidische bei der Kyrilliza bleibe. Laut dem ersten Staatenbericht wird Assyrisch von ethnischen Assyrern neben dem Armenischen und Russischen in den Städten Abovyan, Artashat und Eriwan und in den Dörfern Arzni, Dimitrov, Nor Artagers und Verin Dvin gesprochen. Die Dörfer, in denen parallel zum Armenischen Jesidisch verwendet wird, sind: Alagiaz, Amre-Taza, Avtona, Avshen, Baisez, Barozh, Derek, Dian, Ghabaghtapa, Giatlo, Hakko, Jamshlu, Mirak, Ortachia, Ria-Taza, Sangiar, Shamiram, Shenkani, Sipan, Sorik, Tlik und Zovuni. Kurdisch wird neben dem Armenischen hauptsächlich in den Dörfern Alagiaz, Amre-Taza, Avshen, Derek, Jamshlu, Ortacha, Mirak, Ria-Taza, Sangiar, Shenkan und einigen anderen gesprochen. Bildung: Armenien unterstütze den minderheitssprachlichen Schulunterricht auf Nachfrage der Gemeinden, deren Mitgliederzahl als ausreichend angesehen wird. Laut dem ersten Staatenbericht ist ein solcher Wunsch seitens der assyrischen, jesidischen und kurdischen Minderheiten noch nicht geäußert

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worden. Assyrisch werde folglich als Fach in einer Vorschulklasse in Verin Dvin, in der Grund- und Sekundarstufe II in den Dörfern und in der Puschkin-Schule Nr. 8 in Eriwan für insgesamt ca. 800 Schüler unterrichtet. Im Dorf Arzni werden Sonntagskurse des Assyrischen für Erwachsene veranstaltet, die Union Atur organisiere regelmäßig Weiterbildungskurse für Assyrischlehrer. Aufgrund einer zu niedrigen Anzahl an Kindern sei eine vorschulische Bildung in den Sprachen Jesidisch und Kurdisch institutionell nicht umsetzbar. Diese Sprachen werden als Fach mit zwei bis vier Wochenstunden in der Grund- und Sekundarstufe II in den Dörfern Kotayk und Zovuni unterrichtet. Einzelne Jesidisch-Kurse werden in weiteren 16 Dörfern angeboten. Aufgrund des Mangels an Lehrpersonal finde in vier Dörfern der Jesidisch- und in 20 Dörfern der Kurdischunterricht nicht regelmäßig statt. An der Eriwaner Pädagogischen Hochschule seien Abteilungen für jesidische und kurdische Sprachen eröffnet, angesichts fehlender Bewerber jedoch wieder geschlossen worden; sie könnten aber bei Interesse jederzeit wieder ins Leben gerufen werden. Mehrere Universitäten bieten auf Nachfrage spezielle Assyrisch-, Jesidisch- und Kurdischkurse an. Die Eriwaner Humanitäre Davit-Anhaght-Universität führe die Studiengänge „Assyriologie“ und „Kurdologie“, die Eriwaner Universität für Management den Studiengang „Jesidische Studien“. Auf Empfehlung des Ministerkomitees bemühe sich Armenien laut dem zweiten Staatenbericht um die Behebung des Mangels an Lehr- und Lernmaterial für die drei Minderheitensprachen. Aus der Sicht des Sachverständigenausschusses seien die Verpflichtungen Armeniens für alle drei Sprachen im vorschulischen Sektor nicht erfüllt, im Bereich der Grundschul- und der Sekundarstufenausbildung partiell erfüllt. Für Urteile über die Erwachsenenbildung in allen drei Sprachen sowie über die technische und berufliche Ausbildung auf Jesidisch und Kurdisch und die universitäre Ausbildung auf Assyrisch und Jesidisch seien noch weitere Informationen erforderlich. Die Verpflichtungen für das Kurdische im Hochschulbereich seien erfüllt, für das Assyrische im Bereich der technischen und beruflichen Ausbildung dagegen nicht. Justizbehörden: Laut dem ersten Staatenbericht bestehe für jede Person das Recht, diejenige Sprache vor Gericht zu verwenden, die sie beherrscht, sowie das Recht auf Übersetzung von Gerichtsunterlagen in die eigene Sprache und auf einen Übersetzer. Der Evaluationsbericht hob hervor, bei der Sprachenwahl vor Gericht müsse es sich laut Formulierung um eine freie Wahl unabhängig von tatsächlichen Kenntnissen der Staatssprache handeln. Die wichtigsten Gesetzestexte seien neben dem Armenischen und Russischen nur teilweise auf Assyrisch, Jesidisch und Kurdisch vorhanden. Dem zweiten Staatenbericht nach sei eine volle Übersetzung aus finanziellen und sprachenimmanenten Gründen noch nicht möglich. Außerdem wäre für Vertreter der assyrischen, jesidischen und kurdischen Minderheiten der Sinn der Gesetze auf Armenisch oder Russisch

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besser nachvollziehbar als in den Nationalsprachen, die für die Verwendung im legislativen Bereich terminologisch nicht geeignet wären, was ein Versuch der Verfassungsübersetzung ins Jesidische zeigte. Der Sachverständigenausschuss sah diese Schwierigkeiten ein, ermutigte jedoch das Land, weiter nach Wegen zu suchen, um die Übersetzungen zu ermöglichen. Er wies auf die Notwendigkeit hin, nationale Minderheiten über ihr Recht der Sprachenwahl vor Gericht ausdrücklich zu informieren, und erklärte die Verpflichtungen als nur partiell erfüllt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Im öffentlichen Schriftverkehr sei schriftliche und mündliche Kommunikation in Minderheitensprachen zulässig. In administrativen Einheiten mit signifikantem Minderheitenanteil können offizielle Anliegen in Minderheitensprachen geäußert werden. Es bestehe auch die freie Sprachenwahl bei Topo- und Anthroponymen. Der Sachverständigenausschuss stellte fehlende Kompetenzen in der Schriftsprache bei der assyrischen Minderheit fest, die sich bei schriftlicher Kommunikation nur des Russischen bzw. Armenischen bediene. Er bemängelte auch die Tatsache, dass es keine Übersetzungen der gängigsten administrativen Texte ins Assyrische, Jesidische und Kurdische gäbe. Armenien erwiderte darauf im zweiten Staatenbericht, die Texte seien aufgrund finanzieller und sprachlicher Schwierigkeiten noch nicht übersetzt worden, was allerdings das Verständnis der Texte seitens der Minderheiten nicht behindere. Die Verpflichtungen betrachtete der Sachverständigenausschuss als nur partiell erfüllt. Medien: Der erste Staatenbericht informierte über die Möglichkeit für nationale Minderheiten, internationale Sendungen zu empfangen und Sendezeit im staatlichen Fernsehen und Radio für Programme in eigenen Sprachen zu haben. Dabei beschränke sich die Sendezeit im Radio auf eine Stunde pro Tag und im Fernsehen auf eine Stunde pro Woche. Laut dem nächsten Bericht seien diese Limits im Jahre 2007 aufgehoben worden, was der Sachverständigenausschuss ausdrücklich begrüßte. Das tägliche Angebot von halbstündigen Radiosendungen fand er befriedigend, beanstandete aber im ersten Evaluationsbericht das Fehlen der Fernsehprogramme und konstatierte auch im zweiten Bericht keine Weiterentwicklungen in diesem Bereich. Er ermutigte den Staat zur Entwicklung eines Systems, das u.a. privaten Sendern eine reguläre Übertragung von Radiound Fernsehprogrammen in Minderheitensprachen erleichtern würde. Armenien gab darauf bekannt, es gäbe für ausgeschriebene Lizenzen keine Bewerber seitens der assyrischen, jesidischen und kurdischen Minderheiten, was auf die geringe Größe der Gemeinden, einen niedrigen Lebensstandard und den fehlenden Zugang zu elektronischen Medien zurückzuführen sei. Unter Printmedien führte das Land die jesidischen, in Armenisch erscheinenden Zeitungen Lalsh und Ezdikhana, die kurdischen Ria Taza, Zagros und die zweisprachige Zeitung Mijagetk mit 14 Seiten auf Armenisch und zwei auf Kurdisch auf. Eine assyrisch-

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sprachige Zeitung gäbe es nicht, da laut zweitem Staatenbericht keine entsprechende Initiative seitens der assyrischen Minderheit geäußert worden sei. Die Mittel für die Herausgabe seien vorhanden und könnten jederzeit zur Verfügung gestellt werden. Der zweite Evaluationsbericht merkte dagegen an, die Vertreter der assyrischen Minderheit erklärten ihre Passivität mit einem Mittelmangel, was wiederum auf ein Kommunikationsdefizit zwischen den Seiten schließen lässt. Im ersten Monitoringzyklus stellte der Sachverständigenausschuss kein ausgearbeitetes Fördersystem für minderheitensprachliche Zeitungen fest. Das Land riet daraufhin dem Kultusministerium, die finanziellen Bedingungen für jesidische Zeitungen zu verschärfen, die nur auf Armenisch publizieren, damit diese auch Seiten auf Jesidisch herausgeben. Der Sachverständigenausschuss fand die Verpflichtungen partiell erfüllt und ermutigte zur Berücksichtigung der Interessen von Sprechern der Minderheitensprachen in der Nationalen Kommission für Fernsehen und Radio. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht präsentierte eine Vielfalt kultureller Aktivitäten, die sich in Auftritten von Volksliedund -tanzgruppen, Festivals nationaler Minderheiten, Sportveranstaltungen, dem Feiern nationaler, religiöser und kultureller Feiertage, der Durchführung von Gottesdiensten, der Erweiterung von Bücherbeständen in Bibliotheken, dem Denkmalschutz, Kulturkonferenzen u.a. äußere. Diese würden vom Staat unterstützt. Die wichtigsten Institutionen wie z.B. die Assyrische Union Atur, die jesidische NGO Ezdikhana, das von Gemeinden gebildete Kurdistan-Komitee, aber auch Kulturzentren in Dörfern bekämen staatliche Subventionen, die jedoch von Vertretern nationaler Minderheiten laut dem ersten Evaluationsbericht mit ca. 16.000 Euro für alle Gemeinden als nicht ausreichend eingeschätzt werden. Auf die Frage nach dem Verteilungsprinzip erklärte das Land im zweiten Bericht, die Mittel würden beim Koordinationsrat für NGOs aufbewahrt und für einzelne Projekte der NGOs je nach Bedarf vergeben. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtungen als größtenteils erfüllt an, bat aber um Beispiele für den bidirektionalen Kulturtransfer zwischen Armenien und den Ländern mit relevanten Sprachen. Armenien nahm sich daraufhin vor, den Kulturtransfer zu optimieren.

2.3.2 Griechisch Die im ersten Staatenbericht genannten Orte, an denen Griechisch von ethnischen Griechen neben dem Armenischen und Russischen gesprochen wird, sind die Städte Akhtala, Alaverdi, Shamlough, Stepanavan u.a. und die Dörfer Hankavan, Koghes, Madan und Yaghdan.

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Bildung: Griechischunterricht in der Vorschulstufe finde im Eriwaner Kindergarten Nr. 52 und in der Grund- bis Sekundarstufe II in den Eriwaner Schulen Nr. 12 und 74 und einer Schule in Vanadzor statt. Technische und berufliche Bildung in griechischer Sprache werde aufgrund der fehlenden Nachfrage nicht angeboten. Mehrere Universitäten, wie die Linguistische und die Staatsuniversität Eriwan oder die Atcharjan-Universität, veranstalten Griechischkurse. Die Eriwaner Universität der Kulturen bilde an der Fakultät für griechische Philologie 22 Studierende aus. Der Studiengang „Hellenistik“ sei an der Monte-Melkonjan-Universität Eriwan und an der Universität für Management studierbar. Es ist laut dem ersten Staatenbericht darüber hinaus möglich, eine Hochschulbildung für Griechen und andere Interessierte auf Griechisch zu organisieren. Die Erwachsenenbildung werde in Form von Sonntagsschulen in zehn Siedlungen realisiert. Die Finanzierung der Griechischlehrer und die Bereitstellung des Lehrmaterials werden laut Evaluationsberichten von der griechischen Regierung über die Botschaft in Armenien übernommen. Die Verpflichtungen Armeniens sah der Sachverständigenausschuss im Grundschul-, Sekundarstufen- und im universitären Sektor als erfüllt, im Bereich der Vorschul-, Berufs- und der technischen Bildung als nicht erfüllt an. Bezüglich der Erwachsenenbildung würden noch weitere Informationen benötigt. Justizbehörden, Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: In den rechtlichen und öffentlich-administrativen Bereichen wird das Griechische analog zu den anderen Minderheitensprachen behandelt. Der Sachverständigenausschuss konstatierte eine starke Variierung des Sprachkompetenzniveaus innerhalb der griechischen Gemeinde, die den Einsatz des Russischen bzw. Armenischen in der öffentlich-administrativen Kommunikation vorzöge. Er deutete auf das Fehlen staatlicher Maßnahmen zur Forcierung der Verwendung des Griechischen hin, worauf Armenien im zweiten Bericht mit der fehlenden Berechtigung des Staates antwortete, seine Bürger zum Gebrauch einer bestimmten Sprache zu zwingen; aufgrund des sehr niedrigen Anteils an der Gesamtbevölkerung, des großenteils fortgeschrittenen Alters und des fehlenden Interesses am Lernen des Griechischen bei der griechischen Minderheit sei es unmöglich, bestimmte Vorschriften der Charta in Bezug auf das Griechische anzuwenden. Der Sachverständigenausschuss bestand weiterhin auf der Entwicklung einer Politik zur Förderung von schriftlicher und mündlicher Verwendung der Minderheitensprachen, da beim Vor-Ort-Besuch ein entsprechender Wunsch seitens der Bevölkerung festgestellt worden sei, und schätzte die Verpflichtungen als nur formell erfüllt ein. Medien: Aus dem ersten Staatenbericht geht hervor, die griechische Minderheit mache von ihrem medialen Recht keinen Gebrauch, denn es gäbe in Armenien keine Radio- und Fernsehsendungen auf Griechisch, und selbst bei dem von

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der griechischen NGO Patrida herausgegeben Monats-Magazin Byzantine inheritance entschieden sich die Vertreter der griechischen Minderheit für das Russische. Das Land erklärte dies mit mangelnden Lesekompetenzen der griechischen Bevölkerung, deren signifikanter Anteil Personen über 60 Jahre ausmachten. Der Sachverständigenausschuss nahm die Pläne in Bezug auf Übersetzungen von Abschnitten der Kulturmagazine ins Griechische wahr, definierte die Verpflichtungen jedoch vorerst als nicht erfüllt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Unter kulturellen Tätigkeiten der Organisationen Patrida in Eriwan, Patriotis in Gjumnri, Elpida in Vanadzor, Pontos in Alaverdi sowie der Kulturzentren in einzelnen Dörfern führte Armenien im ersten Bericht die Auftritte der Jugend-Tanzgruppe Pontos und des Ensembles Elas, Konzerte griechischer Musik im Radio, das Feiern nationaler und religiöser Feste usw. auf. In der Nationalbibliothek Armeniens seien über 450 griechische Lehr- und Handbücher sowie Werke der schönen Literatur vorhanden; griechische Denkmäler stehen unter staatlichem Schutz. In allen Punkten, außer dem gegenseitigen kulturellen Transfer mit Griechenland, fand der Sachverständigenausschuss die Verpflichtungen erfüllt.

2.3.3 Russisch Russischsprachige Gemeinden leben laut dem ersten Staatenbericht in den Städten Dilijan, Eriwan, Gyumri, Stepanavan und Tchambarak und in den Dörfern Blagodarnoye, Bovadzor, Chkalovka, Fioletovo, Kruglaya, Lermontovo, Medovka, Mikhailovka, Novoseltsovo, Petrovka, Privolnoye, Pushkino, Saratovka, Semyonovka, Shishka und Urasar. Bildung: Im beidseitigen Vertrag mit Russland über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung (29.8.1997) verpflichtete sich Armenien, in seinem Bildungssystem Bedingungen für die Vertiefung der Russischkenntnisse zu schaffen. Die russischsprachige Bildung sei von der Vorschule bis zur Sekundarstufe II an allen Orten mit signifikantem Anteil der russischen Minderheit möglich. An 47 Schulen Armeniens gäbe es Abteilungen für russische Sprache. Es existierten darüber hinaus drei Schulen der russländischen Armeegarnison und eine Schule der russischen Botschaft. Russisch als Fremdsprache sei mit vier bis sechs Wochenstunden an allen Schulen sowie an technischen und Berufsschulen Pflichtfach. Am Eriwaner Humanitären Staatskolleg sei ein Institut für Russistik eingerichtet. In allen Großstädten Armeniens (Eriwan, Gyumri, Vanadzor, Gavar) werde Russistik an den Universitäten angeboten, außerdem enthielten alle Hochschulen einen zweijährigen Russischkurs in ihrem Curriculum. Russisch wird an vielen Weiterbildungseinrichtungen für Erwachsene unterrichtet. Für

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Russischlehrer werden Weiterbildungsmöglichkeiten in Russland organisiert. Vor diesem Hintergrund beurteilte der Sachverständigenausschuss die Verpflichtungen als erfüllt. Justizbehörden: Die gesetzliche Basis für das Russische unterscheidet sich nicht von der für die anderen Minderheitensprachen, mit der Ausnahme, dass – in der Tradition der Sowjetzeit, als rechtliche Dokumente oft nur in Russisch vorhanden waren, – internationale Rechtsinstrumente in Armenien heutzutage häufiger in Russisch als in Armenisch verfasst werden. Die Übersetzungen der wichtigsten armenischen Gesetze werden laut dem ersten Staatenbericht in der russischsprachigen Presse veröffentlicht; jedoch wies der nachkommende Evaluationsbericht auf das Fehlen von Übersetzungen einiger Gesetze hin. Im zweiten Zyklus berichtete das Land über die Fortschritte bei der Behebung dieses Mangels, und der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtungen in den Bereichen der Gesetzestexte und des Kriminalrechtes als erfüllt an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Aus dem ersten Staatenbericht geht hervor, dass – anders als bei den anderen Minderheitensprachen – die Verwendung des Russischen als einziger Verwaltungssprache in einigen Ortschaften zugelassen ist. Nachdem der Sachverständigenausschuss im ersten Evaluationsbericht eine unzureichende Übersetzung der Verwaltungstexte ins Russische beanstandet hatte, seien mittlerweise viele entsprechende Übersetzungen vorgenommen worden, die Verpflichtungen gelten seitdem als erfüllt. Medien: In einer Übersicht über die Medienlandschaft nannte der erste Staatenbericht mehrere Programme des staatlichen Rundfunks (Haik, Haitnutyun, Antsats shabatum, Mir, Nachrichten) und Fernsehens (Spielfilme, Nachrichten) in russischer Sprache. Die Rundfunk-Gesellschaft Van sende meistens auf Russisch. Die privaten TV-Anbieter wie ALM, Prometheus und Kentron strahlten regelmäßig russischsprachige Programme aus. Spielfilme auf Russisch werden von fast allen privaten Sendern angeboten. Es sei der Empfang von russländischen Radiostationen wie TVT, MTV, der russischen Version von Euronews sowie von TV-Kanälen wie RTR, ORT, NTV u.a. möglich. Auf Russisch erschienen mehrere Zeitungen (Respublika Armenija, Urartu, Novoje Vremja u.a.), das Magazin Literaturnaja Armenija und über zehn wissenschaftliche Magazine. Es gäbe darüber hinaus viele armenisch-russische Printperiodika. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtungen als erfüllt an und ging in seinen Berichten auf das Russische nicht mehr detailliert ein. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht betonte eine starke kulturelle Aktivität in den russischen Gemeinden und führte als Beispiel die Aufführungen des Russischen Staatlichen Dramentheaters, des vokalen Kammerensembles Orfej und des Tanzensembles Solnyško, des Volkschors Sudaruška und des Reiseorchesters Rus’, das Feiern von politischen, religiösen, natio-

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nalen Feiertagen und Volksfesten, die Durchführung von Tagen der russischen Literatur und Kultur, Festivals des russischen Films, Konferenzen und Seminaren zur russischen Philologie usw. an. Diese Aktivitäten seien in erster Linie von der NGO Rossija und der Vertretung des Russischen Zentrums für internationale Kooperation in Kultur und Wissenschaft in Eriwan unterstützt. Es werde jährlich eine große Anzahl russischer Bücher herausgegeben; russische Denkmäler auf dem armenischen Territorium genießen staatlichen Schutz. Damit gelten laut Evaluationsbericht die Verpflichtungen als erfüllt.

3 Bewertung Die Ratifizierung und Implementierung der Charta verläuft in der Republik Armenien im Zeichen der Öffnung nach Europa. Davon zeugen der schnelle Ablauf der Ratifizierung und eine konfliktfreie Kommunikation zwischen den beiden Seiten während des Implementierungsprozesses: Armenien ging auf alle Anmerkungen des Sachverständigenausschusses ein, der seinerseits keinen Druck ausübte und seine Kommentare in Form von Ratschlägen bzw. Informationsanfragen formulierte. Er konstatierte eine positive und tolerante Haltung der Regierung und der Bevölkerung zu nationalen Minderheiten in Armenien, das trotz komplizierter wirtschaftlicher Bedingungen als erste der ehemaligen UdSSR-Republiken die Charta ratifizierte. Armenien betonte seinerseits seinen guten Willen beim Schutz derjenigen Sprachen, die es eigentlich nicht als Minderheitensprachen im Sinne der Charta definiere. Zwar ist der formelle Schutzrahmen für alle Sprachen gleich, die Stellung des Russischen in der alltäglichen Praxis ist im Vergleich zu den anderen Sprachen jedoch vorteilhafter, was mit seiner Funktion als lingua franca in der Sowjetunion erklärbar ist. Die Situation im Medienbereich ist z.B. nur in Bezug auf das Russische befriedigend. Der Sachverständigenausschuss begrüßte die Entwicklung im Bereich der Bildung in den nationalen Sprachen, besonders in der Grundschule, und die gute rechtliche Lage der Sprachen im administrativen Bereich. Im gerichtlichen Sektor seien dagegen noch Verbesserungen notwendig. Dem Staatenbericht Armeniens folgend, betrachtete auch er Kurdisch und Jesidisch als zwei getrennte Sprachen. Für eine Entscheidung, ob noch andere in Armenien gesprochene Sprachen den Status der Minderheitensprachen bekommen sollen, wurden beim Staat weitere Informationen angefragt.

Armenien 

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Armenia, 3.9.2003. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Armenia, 15.2.2008. [= 2. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 25.11.2005. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 22.4.2009. [= 2. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 14.6.2006. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 23.9.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Republik Armenien: „Zakon Respubliki Armenija o pečati i drugih sredstvah massovoj informacii“ [Gesetz der Republik Armenien über Presse und andere Massenmedien], 8.10.1991.

(28.3.2012). Republik Armenien: „əɸʌɸʔʖɸʍʂ əɸʍʗɸʑɼʖʏʙʀʌɸʍ ɮʗɼʍʛɿ „ɕɼɽʕʂ ɝɸʔʂʍ“ [Gesetz der Republik Armenien „Über Sprache“]“, 17.4.1993.

(28.3.2012). Republik Armenien: „əɸʌɸʔʖɸʍʂ əɸʍʗɸʑɼʖʏʙʀʌɸʍ ɭɸʉɸʛɸʘʂɸʆɸʍ ɍɸʖɸʕɸʗʏʙʀʌɸʍ ɮʗɼʍʔɺʂʗʛ [Zivilprozessordnung der Republik Armenien]“, 7.8.1998.

(28.3.2012). Republik Armenien: „əɸʌɸʔʖɸʍʂ əɸʍʗɸʑɼʖʏʙʀʌɸʍ ɮʗɼʍʛɿ əɼʓʏʙʔʖɸʖɼʔʏʙʀʌɸʍ ɼʕ ɥɸɻʂʏʌʂ ɝɸʔʂʍ“ [Gesetz der Republik Armenien über Fernsehen und Radio]“, 9.10.2000.

(28.3.2012). Republik Armenien: „əɸʌɸʔʖɸʍʂ əɸʍʗɸʑɼʖʏʙʀʌɸʍ ɮʗɼʍʛɿ ɏɸʍɺʕɸʅɸʌʂʍ ɕʗɸʖʕʏʙʀʌɸʍ ɝɸʔʂʍ [Gesetz der Republik Armenien über Massenmedien]“, 13.12.2003.

(28.3.2012). Republik Armenien: „əɸʌɸʔʖɸʍʂ əɸʍʗɸʑɼʖʏʙʀʌɸʍ ɦɸʇʋɸʍɸɻʗʏʙʀʌʏʙʍ (ɬʏʚʏʄʏʙʀʌʏʙʍʍɼʗʏʕ) [Verfassung der Republik Armenien (mit Änderungen)]“, 27.11.2005.

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(28.3.2012). Republik Armenien/Russische Föderation: Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung, 29.8.1997.

4.2 Literatur Karapetyan, Rouben: „Language policy in the Republic of Armenia in the Transition Period“. In: Farimah Daftary / Francois Grin (Hrsg.): Nation-Building, Ethnicity and Language Politics in Transition Countries, Budapest: Open Society Institute 2003: 139–161. Hofmann, Tessa: „Armenien. Analysen und Hintergründe“. Bern: Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH 2002. (19.1.2012).

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iv), b (iv), c (iv), d (iv), e (iii), f (iii)

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii–iv), b (ii), c (ii, iii), d; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iv, v), b; 2b, f–g; 3c; 4c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), e; 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, c, f; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1b–d; 2b, c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Janet Duke (Freiburg)

Dänemark (Kongeriget Danmark) 1 Vorgeschichte Das Königreich Dänemark ist seit 1973 EU-Mitglied und zählt derzeit ca. 5,5 Mio. Einwohner. Obwohl die Amtssprache Dänemarks nicht gesetzlich festgelegt ist, ist das Dänische de facto Amts- und Verkehrssprache des Landes. Hinter diesem oberflächlich homogenen Bild verbirgt sich aber eine beträchtliche sprachliche Vielfalt, die sich auf verschiedene Ebenen aufteilt. Anders als in den skandinavischen Nachbarländern Norwegen, Schweden und Finnland gibt es keine samische Bevölkerung. Jedoch verfügt Dänemark weiterhin über zwei autonome Provinzen, die Färöer und Grönland, in denen die Sprachen Färöisch und Grönländisch offiziellen Status haben. Darüber hinaus wird im Süden Jütlands, dem Grenzgebiet zu Deutschland, Deutsch gesprochen. Die dort lebende deutschsprachige Bevölkerung wird offiziell als Minderheit vom dänischen Staat anerkannt. Zudem gibt es eine Vielzahl von Sprachen, die derzeit in Dänemark von Migranten gesprochen werden. Die Frage, ob diese Sprachen eine längere Geschichte in Dänemark haben und dadurch für eine Anerkennung als Minderheitensprache in Frage kommen, ist im Falle des Romanes strittig. Bei dieser Vielfalt ist es überraschend, dass nur das Deutsche im Rahmen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen von Dänemark anerkannt wird.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Dänemark unterzeichnete die Charta bereits am 5.11.1992. Sie wurde aber erst am 8.9.2000 ratifiziert und trat am 1.1.2001 in Kraft. Dänemark erstattete den ersten Staatenbericht am 3.12.2002. Am 21.11.2003 wurde der erste Bericht des Sachverständigenausschusses zu Dänemarks Umsetzung der Charta eingereicht. Die entsprechenden Empfehlungen des Ministerkomitees wurden am 19.5.2004 verabschiedet. Dänemarks zweiter Bericht wurde am

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26.4.2006 erstattet. Auf der Grundlage des Evaluationsberichtes vom 28.3.2007 sprach das Ministerkomitee am 26.9.2007 seine Empfehlungen aus. Der dritte Staatenbericht wurde am 14.4.2010 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss den entsprechenden Bericht am 28.9.2010 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 2.3.2011.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von den entsprechenden Regierungsstellen unter Berücksichtigung der staatlichen Institutionen der nationalen Minderheiten erstellt (vgl. Lubowitz 2005): – Indenrigs- og helseministeriet („Innen- und Gesundheitsministerium“) – Regierungsstelle Sønderjylland – Deutsches Sekretariat in Kopenhagen – Institut for Grænseregionsforskning („Institut für Grenzregionsforschung“) Der dritte Staatenbericht nannte zusätzlich: – Justitsministeriet („Justizministerium“) – Beskæftigelsesministeriet („Arbeitsministerium“) – Kulturministeriet („Kulturministerium“) – Ministeriet for flygtninge, indvandrere og integration („Ministerium für Flüchtlinge, Einwanderer und Integration“) – Socialministeriet („Sozialministerium“) – Transportministeriet („Transportministerium“) – Undervisningsministeriet („Bildungsministerium“) – Udenrigsministeriet („Außenministerium“) – Økonomi- og Erhvervsministeriet („Wirtschafts- und Handelsministerium“) – Regionale Verwaltung für Süddänemark – Behörden in Haderslev, Sønderborg, Tønder und Aabenraa Als Institutionen oder Organisationen, die zum Schutz und zur Förderung der deutschen Sprache in Dänemark agieren, nannten alle drei Berichte folgende Einrichtungen: – Europäisches Büro für Sprachminderheiten (EBLUL) – Verein für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (VDA)

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2.2 Sprachen und Sprachensituation Zuverlässige Statistiken zur Anzahl der in Dänemark gesprochenen Sprachen sowie zur Anzahl ihrer Sprecher sind nicht zugänglich. In allen drei Staatenberichten verwies Dänemark darauf, dass das zentrale Einwohnermeldeamt (Det Centrale Personregister oder CPR) weder Angaben zur ethnischen Zugehörigkeit noch zur Muttersprache aufnehme und dass die große Mehrzahl der Dänen oder in Dänemark lebender Mitbürger Dänisch sprächen. Die geschätzten Sprecherzahlen in den Staatenberichten basierten deshalb auf Angaben von Vertretern der betroffenen Minderheiten. Jedoch führt das zentrale Einwohnermeldeamt Statistiken zu den Herkunftsländern dänischer Einwohner. Nach diesen sind derzeit 198 verschiedene Herkunftsländer vertreten. Die meisten Einwohner stellen die Türkei, Deutschland und Polen, gefolgt von zahlreichen weiteren europäischen und nordischen Staaten. Seit einigen Jahren sind auch geographisch entferntere Staaten und somit auch Sprachen in Dänemark stärker vertreten, u.a. Farsi, Somali und Vietnamesisch (Danmarks Statistik 2011, 24). Da aber die allermeisten dieser Sprachen migrationsbedingt erst seit dem Zweiten Weltkrieg in Dänemark präsent sind, kommen sie für eine Anerkennung durch die Charta nicht in Frage. Im Ratifizierungsinstrument und auch in allen bisherigen drei Berichten benannte Dänemark lediglich das Deutsche als Minderheitensprache im Sinne der Charta. In allen drei Staatenberichten wurde die Sprecherzahl in der betroffenen Region auf zwischen 12.000 und 15.000 beziffert.

2.3 Nicht geschützte Sprachen Da im Falle Dänemarks der Ausschluss des Färöischen, Grönländischen und der Sprache der Roma vom Schutz der Charta besonderen Anlass zur Diskussion bietet, soll die Diskussion um diese Sprachen im Folgenden separat behandelt werden.

2.3.1 Färöisch und Grönländisch Bei der Ratifizierung der Charta verabschiedete Dänemark eine offizielle Erklärung zum Färöischen und Grönländischen. Es wurde beschlossen, diese Sprachen nicht im Rahmen der Charta anzuerkennen, da Schutz und Förderung der Sprachen durch die Selbstverwaltungsgesetze von 1948 (Färöer) und 1978 (Grönland) sowohl von der dänischen Regierung als auch von den selbstverwalteten Gebieten für ausreichend gehalten wurden. Der Grad des Schutzes durch die Selbstver-

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waltungsgesetze wird mit dem Umfang des Schutzes der Charta verglichen. Diese Sicht wurde von Dänemark auch im ersten Staatenbericht weitergeführt. In den Selbstverwaltungsgesetzen der beiden autonomen Provinzen ist der sprachpolitische Tenor zwar vergleichbar aber nicht identisch: Im Lov om Færøernes Hjemmestyre („Gesetz zur Selbstverwaltung der Färöer“) von 1948 steht die ausdrückliche Forderung nach einer gesellschaftlichen Zweisprachigkeit, in der das Färöische als Hauptsprache gilt, das Dänische aber „godt og omhyggeligt“ („gut und sorgfältig“) gelernt werden soll. Dieser Forderung hat die Sprachenpolitik der Färöer seitdem durchaus Rechnung getragen. Färöisch ist die dominierende Sprache der Inselgruppe und im Bildungsbereich ist das Färöische bis zum Abschluss der Schule fest etabliert. Trotzdem wird großer Wert auf den Erwerb von Dänisch- und Englischkenntnissen gelegt. Auf Nachfrage des Sachverständigenausschusses bezifferte Dänemark die Anzahl der in Dänemark lebenden Färöischsprecher mit 17.000. Die Sprachenpolitik auf Grönland befindet sich derzeit in einer Umbruchphase. Im Lov om Grønlands Hjemmestyre („Gesetz zur Selbstverwaltung Grönlands“) von 1978 wurde das Grönländische als „hovedsproget“ („Hauptsprache“) Grönlands angegeben, wobei das Dänische „grundigt“ („gründlich“) gelernt werden sollte. Dabei könnten beide Sprachen im öffentlichen Leben verwendet werden. Nachdem das Ergebnis einer Volksabstimmung aus dem Jahr 2008 eine Ausweitung der Selbstverwaltung deutlich befürwortete, war der Weg zur offiziellen Einsprachigkeit Grönlands geebnet. Entsprechend ist nach dem neuen Gesetz zur Selbstverwaltung (Lov om Grønlands Selvstyre) vom Juni 2009 das Grönländische die einzige offizielle Sprache Grönlands. Zudem gibt es nach Angaben des zweiten Evaluationsberichtes ca. 10.000 in Dänemark lebende Grönländer. Auch aus diesem Grund wäre eine Anerkennung des Grönländischen als Minderheitensprache in Dänemark möglich. Obwohl der gewährleistete Grad des Schutzes im ersten Evaluationsbericht nicht in Frage gestellt wurde, gab der Sachverständigenausschuss zu verstehen, dass er die Aufnahme des Färöischen und Grönländischen begrüßen würde: Gleichzeitig forderte es Dänemark in Form einer Empfehlung dazu auf, entsprechende Gespräche mit den Färöern und Grönland einzuleiten. Im zweiten Staatenbericht legte Dänemark dar, dass Vertreter Grönlands und der Färöer kein Interesse an einer Anerkennung der Sprachen im Rahmen der Charta äußerten, machten jedoch gleichzeitig keine Angaben zur Situation dieser Sprachen in Dänemark. Nach Auskunft des dritten Staatenberichts änderten die Grönländer und Färinger ihre Position in dieser Sache nicht; Dänemark gab zudem an, dass sie keine weiteren Informationen über die Situation von Färöisch und Grönländisch in Dänemark hätten. Im dritten Evaluationsbericht wurde angegeben, dass der Sachverständigenausschuss während eines Vor-Ort-Besuches in Dänemark

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von den grönländischen und färöischen Vertretern erfuhr, dass eine dauerhafte Präsenz der Sprachen in Dänemark durch Migration erst seit den 1960er Jahren zu verzeichnen sei. Somit seien sie nicht als „traditionelle Sprachen“ im Sinne von Artikel 1 der Charta zu betrachten. Damit scheint die Diskussion zur möglichen Anerkennung dieser beiden Sprachen in Dänemark derzeit abgeschlossen zu sein.

2.3.2 Romanes Im ersten Staatenbericht bezifferte Dänemark die Zahl der Sprecher des Romanes auf etwa 1.500. Es wurde behauptet, dass die Präsenz dieser Sprache in Dänemark auf Zuwanderung der späten 1960er und 1990er Jahre zurückgehe und somit traditionell in Dänemark nicht gesprochen werde. Dadurch käme das Romanes aus der Perspektive Dänemarks für die Anerkennung durch Teil II (Art. 7) der Charta nicht in Frage. Es folgte eine Empfehlung des Ministerkomitees, die Geschichte und heutige Situation der Roma in Dänemark näher zu erforschen und darzulegen, bzw. auf Behauptungen einzugehen, die Roma lebten seit etwa 1500 in Dänemark. Die von Dänemark im dritten Staatenbericht vorgelegten Daten unterstützten nicht die These einer traditionellen Präsenz der Roma in Dänemark. Daher lehnt Dänemark weiterhin die Anerkennung der Sprache ab. Im dritten Evaluationsbericht wurde Dänemark dennoch dazu aufgefordert, in dieser Sache noch intensiver und wissenschaftlicher nachzuforschen. Demnach scheint die Stellung des Romanes, im Gegensatz zur Frage der Anerkennung von Färöisch und Grönländisch, nicht gänzlich vom Tisch zu sein. Die Klärung dieser Situation bildete eine von drei Empfehlungen des Ministerkomitees von 2011.

2.4 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.4.1 Deutsch Im ersten Staatenbericht gab Dänemark Auskunft über die Geschichte und sprachliche Situation der in Südjütland beheimateten deutschen Minderheit. Die Größe der Minderheit wurde mit 15.000–20.000 Mitgliedern beziffert, wobei Angaben zu den Kriterien für die Zugehörigkeit zur Minderheit sowie zu den Sprachkenntnissen bzw. zur Sprachpraxis ihrer Mitglieder fehlten. Die deutsche Minderheit sowie die dänische Minderheit in Deutschland entstanden durch Volksabstimmungen im Jahre 1920 in Nord- und Zentralschleswig. Obwohl es lange unsicher schien, ob die Grenze in der Form Bestand haben würde, blieb sie

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auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unverändert und wurde als solche von Dänemark und Deutschland sowie von den betroffenen Minderheiten anerkannt. Die friedliche Lösung eines für beide Länder potenziell sehr unangenehmen Grenzkonflikts wurde im Jahr 1955 durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen zementiert. Die Erklärungen bestehen aus zwei unilateralen, inhaltlich fast identischen Dokumenten, die für den Fortbestand der Minderheiten und ihrer Sprachen an den jeweiligen Grenzen von entscheidender Bedeutung sind. Durch die Erklärungen wird ihnen beispielsweise das Recht gewährt, Loyalität mit dem jeweilig anderen Land zu verkünden und sich als Minderheit politisch repräsentieren zu lassen. Mitglieder der Minderheiten dürfen nicht daran gehindert werden, die Sprache ihrer Wahl in Wort und Schrift zu verwenden. Ihnen wird das Recht gewährt, ihre eigenen Schulen zu etablieren, was den Weg zu einer Verfestigung der Position der Minderheitensprachen im Bildungswesen ebnete. Konkreter gesehen, war eine der entscheidenden Änderungen der Verträge die Anerkennung von Abschlüssen von Schulen der Minderheit. Besonders interessant sind die Erklärungen in Bezug auf die konstituierenden Kriterien für die Zugehörigkeit zur Minderheit. Den Erklärungen zufolge kann die Loyalität zum Nachbarland weder angefochten noch einer Prüfung unterzogen werden. Auf das Individuum bezogen bedeutet dies, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu den Minderheiten in seiner Stärke stark variieren kann: Manche identifizieren sich in jeder Hinsicht mit der deutschen Kultur und Sprache, für andere besteht die Verbindung zur Minderheit lediglich aus der Mitgliedschaft in einem Sportverein oder dem Besuch einer deutschen Schule. Eine Selbstidentifizierung mit der deutschen Minderheit kann ein Leben lang bestehen oder sich als vorübergehend herausstellen (vgl. Kühl 1998, 2005). Diese fließende Vorstellung von ethnischer Identität kombiniert mit der Tatsache, dass dänische Behörden weder Statistiken zu Sprachkenntnissen noch zur ethnischen Zugehörigkeit ihrer Bürger führen, macht es beinahe unmöglich, zuverlässige Angaben zur Anzahl der Deutschsprecher unter Minderheitsmitgliedern zu bekommen. Insgesamt ist das Management der Minderheiten in der Grenzregion im internationalen Vergleich auf ganzer Linie eine Erfolgsgeschichte. Die Minderheit ist sprachlich, kulturell und wirtschaftlich vorbildlich integriert. Es bestehen keine wesentlichen sozioökomischen Unterschiede zwischen Minderheit und Mehrheit. Politisch wird die Minderheit durch die Schleswigsche Partei vertreten. Die Grenzsituation ist stabil und friedlich und ist dementsprechend oft, insbesondere im europäischen Kontext, als potenzielle Modelllösung in anderen ethnischen und sprachlichen Konflikten ins Gespräch gebracht worden. Wie Kühl (1998, 2005) betont, ist der Erfolg nicht nur den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen zu verdanken, sondern auch sehr glücklichen historischen Umständen. Zu diesen gehören u.a. das Fehlen einer Geschichte mit ethnisch-motivierter Gewalt und der große

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Wohlstand beider Länder. Letzterer ermöglichte die konsequente Umsetzung einer umfassenden Minderheitenpolitik in beiden Ländern. Dies ist von entscheidender Bedeutung, denn die Erklärungen sind nicht rechtlich bindend. Durch einen detaillierten Vergleich mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates aus dem Jahr 1995 beweist Harck (2005), dass die Erklärungen insofern ihrer Zeit voraus waren, als das Rahmenübereinkommen nur in zwei Punkten weitergehe. Den Minderheiten wurde das Recht zugesprochen, ihre eigene Sprache zu lernen; Angeklagten wie Häftlingen wurde das Recht zugesprochen, über den Grund der Verhaftung bzw. Anklage in ihrer jeweiligen Sprache informiert zu werden. Harck sieht aber den bedeutendsten Unterschied in der Tatsache, dass das Rahmenübereinkommen ein völkerrechtlich bindender Vertrag ist. Der Schutz von Minderheiten durch zwei unverbindliche Absichtserklärungen sei in diesem Fall geglückt, allerdings als „juristisches Fundament“ (ebd., 338) unzureichend und keineswegs als Modell zu empfehlen. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht verfügt die deutsche Minderheit über Einrichtungen, in denen auf Deutsch unterrichtet wird, wobei es keine Angaben zur Anzahl der Schüler gibt. Nach Angaben des Deutschen Schul- und Sprachverein für Nordschleswig (DSSV) gebe es ab dem Schuljahr 2011/12 noch 14 deutsche Schulen. In diesen Einrichtungen werden die Schüler bis zur 10. Klasse betreut. Zusätzlich gebe es ein Gymnasium in Abenrade/Aabenraa und eine sog. efterkole, „Nachschule“, ein Internat für die 10. und 11. Klasse. In all diesen Schulen sei die Unterrichtssprache Deutsch, Dänisch bleibe aber Pflichtfach. Ein entscheidender Punkt ist, dass diese Einrichtungen auch für Kinder geöffnet sind, die aus nicht-deutschsprachigen Familien stammen. Eine Umfrage von elf deutschen Schulen aus dem Jahr 2003 ergab sogar, dass 65,5 % der Schüler entweder Standarddänisch oder sønderjysk, die regionale Mundart, als ihre bevorzugte Sprache angaben. Deutsch nannten nur 28,5 %. Die restlichen 6 % nannten andere Sprachen (DSSV 2004). Die Aufnahme von Kindern mit anderen Muttersprachen ist zulässig, aber die deutschen Schulen empfehlen eine Aufnahme nur dann, wenn ein Kind bereits Deutsch- oder Dänischkenntnisse bei der Einschulung vorweisen kann. Nach Angaben des DSSV (2010) gab es im Jahr 2010 1.212 Schüler in den 15 Schulen und weitere 140 im deutschen Gymnasium. Die Kindergartenangebote seien sehr beliebt, dennoch würden viele dieser Kinder in dänischen Schulen eingeschult. Im tertiären Bereich ist Deutsch z.B. Unterrichtsfach an den Universitäten Kopenhagen, Roskilde, Odense, Aalborg und Aarhus. Bereits nach dem ersten Staatenbericht hielt der Sachverständigenausschuss bis auf eine Ausnahme die Verpflichtungen für erfüllt. Lediglich bei Punkt 1g, demzufolge die dänische Regierung dafür zu sorgen hat, dass Geschichte und Kultur der Minderheit im Unterricht Platz finden, gab es Diskussionsbedarf. Im zweiten Staatenbericht verwies Dänemark auf die lange Tradition des Unterrichts

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der „deutschen Kultur und Geschichte“ im dänischen Schulsystem, betonte aber gleichzeitig, dass die curricularen Ziele für ganz Dänemark festgelegt werden. Obwohl Minderheiten in Dänemark sehr wohl zu thematisieren seien (z.B. im Geschichtsunterricht), gebe es keine festen Bestimmungen, dass eine bestimmte ethnische oder religiöse Minderheit erwähnt werden müsse. Im dritten Staatenbericht wurde diese Stellungnahme erweitert. Danach seien nach einer Überarbeitung der curricularen Ziele im Jahr 2009 die „Kultur, Geschichte und Sprache“ der Grenzregion feste Bestandteile des Geschichtsunterrichts. Im ihrem dritten Bericht von 2011 ging der Sachverständigenausschuss so weit, die Bildungsmaßnahmen für die deutsche Minderheit als „exemplary“ zu bezeichnen. Es gebe in diesem Bereich derzeit wenige Einwände, dennoch bereiteten die geplanten Kürzungen in der dänischen und deutschen Finanzierung für Privatschulen und Transport große Sorgen und könnten die aufgebauten Strukturen gefährden. Die Sicherung der Finanzierung in diesem Bereich habe aus der Sicht des Ministerkomitees insofern Priorität, als sie eine von nur drei Empfehlungen des dritten Evaluationsberichts darstellte. Justizbehörden: Im ersten Staatenbericht wurde angegeben, dass Dokumente und Beweismaterial in der Minderheitensprache zulässig seien. Bei Bedarf könnten Dolmetscher und Übersetzer herangezogen werden. Nach dem ersten Staatenbericht forderte der Sachverständigenausschuss mehr Information zum tatsächlichen Gebrauch der Minderheitensprache in der Justiz und berichtete von Fällen, in denen Mitgliedern der Minderheit mit der Begründung, sie beherrschten das Dänische ausreichend, die Möglichkeit zur Nutzung des Deutschen verwehrt wurde. In Anbetracht der anscheinend relativ seltenen Inanspruchnahme dieser Möglichkeit forderte der Sachverständigenausschuss Dänemark dazu auf, verstärkt „praktische und organisatorische“ Maßnahmen zu ergreifen, um den Gebrauch des Deutschen vor Gericht zu erhöhen. Diese Aufforderung wurde sinngemäß im dritten Bericht wiederholt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Laut erstem Staatenbericht gibt es zahlreiche Staatsangestellte in Südjütland, die über ausreichende Kenntnisse des Deutschen verfügten, so dass der Einsatz von Übersetzern oder Dolmetschern selten notwendig sei. Zudem seien viele Behörden in der Lage, mündliche und schriftliche Anträge oder Anfragen in deutscher Sprache zu bearbeiten bzw. zu beantworten. Dänemark verwies auf ein bereits bestehendes Gesetz (Administrative Powers Act 1985/1991, Section 7), nach dem jeder, der die dänische Sprache nicht ausreichend beherrscht und in einer Sache, die eine Entscheidung verlangt, mit einer Behörde in Kontakt steht, das Recht auf eine Übersetzung oder einen Dolmetscher hat. Die Kosten dafür trägt der Staat. Der Sachverständigenausschuss war der Meinung, dass ausgerechnet diese Dienste der deutschen Minderheit verwehrt bleiben könnten, weil ihre Mitglieder meis-

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tens über sehr gute Dänischkenntnisse verfügten. Es wurde von Fällen berichtet, in denen der Wunsch nach Dienstleistungen auf Deutsch mit dieser Begründung abgelehnt worden sei. Fernerhin monierte der Sachverständigenausschuss, es seien keine Maßnahmen unternommen worden, um den Gebrauch von Deutsch in diesem Bereich zu fördern. Im zweiten Staatenbericht reagierte Dänemark darauf mit der Ankündigung, in Zusammenarbeit mit der deutschen Minderheit die betroffenen Kommunen besser für die spezifische Situation der deutschen Minderheit zu sensibilisieren. Der dritte Staatenbericht brachte keine neuen Erkenntnisse auf diesem Gebiet. Medien: Viel Diskussion gibt es zwischen dem Sachverständigenausschuss und Dänemark in Bezug auf die Umsetzung der gewählten Maßnahmen im medialen Bereich. Die einzige Maßnahme, zu der der Sachverständigenausschuss kaum Kritik äußerte, ist die Finanzierung der deutschsprachigen Zeitung Der Nordschleswiger seitens Dänemarks. Besonders problematisch seien die Verpflichtungen Dänemarks, entweder die Einführung eines neuen Fernseh- und Radiosenders in deutscher Sprache voranzutreiben und/oder die Produktion und Ausstrahlung von Radio- und Fernsehprogrammen in deutscher Sprache zu ermöglichen. Im ersten Staatenbericht verwies Dänemark auf Fernseh- und Radioprogramme, die über TV Syd und Radio Syd ausgestrahlt werden. Der Sachverständigenausschuss kritisierte die Bemühungen im ersten Bericht scharf. Es wurde u.a. bemängelt, dass die wenigen Sendeminuten mit deutschsprachigen Inhalten lediglich in Kooperation mit dem deutschen Norddeutschen Rundfunk entstanden seien; eigenständige deutschsprachige Programme in Südjütland seien nicht vorhanden. Im dritten Staatenbericht wurde ausgeführt, dass Dänemark inzwischen Gelder an die Zeitung Der Nordschleswiger bezahlte, um Radioinhalte zu produzieren und um Ausstrahlungszeitblöcke bei einem lokalen Radiosender zu kaufen. Die Resonanz der Minderheit auf die Programme sei sehr positiv, und es sei erwünscht, das Projekt auszuweiten. Um das mangelnde Engagement für mehr deutschsprachige Programme im öffentlichen Rundfunk zu begründen, verwies Dänemark in jedem Bericht auf die Unabhängigkeit der öffentlichen Rundfunkanstalt; die Regierung habe keinen Einfluss auf Inhalte und Sprache der Beiträge. Vom Sachverständigenausschuss wurde ferner das Fehlen eines journalistischen Ausbildungsprogramms, das sich speziell an Mitglieder der Minderheit richtet, kritisch betrachtet. Im dritten Staatenbericht wurde ausgeführt, dass der Empfang von deutschen Sendern im Grenzland durch den fortschreitenden Prozess der Digitalisierung zunehmend erschwert werde. Es wird deutlich, dass der Europarat v.a. im Bereich der Medien noch Handlungsbedarf seitens Dänemarks sieht. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Aus dem ersten Staatenbericht ging hervor, dass Dänemark im Rahmen der Bonn-Kopenhagener-Erklärungen

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von 1955 eine Reihe von Bibliotheken in der Region finanziell unterstützte. Dem dritten Staatenbericht zufolge betrug der Zuschuss im Jahr 2009 3,7 Mio. DKK. Seit 1997 bilde die Grenzregion in beiden Ländern die sog. Euroregion Schleswig/Sønderjylland, welche Kooperationen zwischen den Behörden der beiden Regionen u.a. in kulturellen Angelegenheiten vorsehe. Bis 2011 laufe zudem ein Abkommen mit dem dänischen Kultusministerium, das die Grenzregion als Kulturregion stärker profilieren solle. Dabei werde großer Wert auf binationale Projekte mit der dänischen Minderheit in Deutschland gelegt und es werde angestrebt, das Projekt über die Grenze zu expandieren und bestimmte Landkreise in Schleswig-Holstein zu integrieren. In seinem dritten Bericht verwies der Sachverständigenausschuss auf gravierende Finanzierungsprobleme für das Deutsche Museum in Sønderborg. Wirtschaftliches und soziales Leben: In sämtlichen Berichten liegt der Schwerpunkt auf der Möglichkeit zur Nutzung der deutschen Sprache in wichtigen sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen wie Seniorenheimen und Krankenhäusern. Im dritten Staatenbericht gab es zu der Situation in den Seniorenheimen keine kritischen Anmerkungen. Im Bereich der Krankenhäuser werde hingegen erhebliches sprachliches Potenzial vergeudet: Im zweiten Evaluationsbericht wurden verwirrende Bestimmungen zur Sprachwahl in den Krankenhäusern angemahnt. Die in vielen Fällen deutschsprachigen Ärzte und sonstigen Fachkräfte zögerten, mit Patienten Deutsch zu reden, weil es eine allgemeine Empfehlung gebe, in den Krankenhäusern mit den Patienten möglichst Dänisch zu sprechen. Bei seinem dritten Besuch brachte der Sachverständigenausschuss in Erfahrung, dass die Internet-Startseiten der Krankenhäuser Informationen auf Deutsch enthielten und Patienten auf die Möglichkeit aufmerksam machten, Deutsch in der Kommunikation mit Krankenhauspersonal zu verwenden. Der Sachverständigenausschuss begrüßte diese verbesserte Informationspolitik und ermunterte Dänemark dazu, weitere Maßnahmen einzuleiten, um die durchaus vorhandenen Deutschkenntnisse des Personals besser zu verwerten. Dazu gehöre ebenfalls eine systematischere Personalpolitik, damit Leistungen immer auf Deutsch angeboten werden könnten. Grenzüberschreitender Austausch: Im ersten Staatenbericht nannte Dänemark lange bestehende Stipendienprogramme zur Förderung des grenzüberschreitenden Austausches, die im Rahmen der Bonn-Kopenhagener-Erklärungen von 1955 und eines bilateralen kulturellen Abkommens aus dem Jahr 1974 ausgeführt werden. Auch wichtig in dieser Hinsicht ist das Bestehen der bereits erwähnten Euroregion Schleswig/Sønderjylland. Zu diesem Bereich gab es in keinem der drei Evaluationsberichte nennenswerte Kritikpunkte.

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3 Bewertung Der von Dänemark gewährleistete Schutz des Deutschen in Südjütland stellt den Europarat weitgehend zufrieden. Nach dem Inkrafttreten der Charta im Jahr 2000 konnte Dänemark auf bereits bestehende Institutionen und Strukturen zurückgreifen, die in den 45 Jahren seit den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen erfolgreich etabliert worden waren. Besonders positiv und enorm wichtig für das Weiterbestehen des gesellschaftlichen Bilingualismus in der Grenzregion sind die Strukturen im Bildungsbereich. Verbesserungsfähig ist dagegen die Situation bei den Behörden und in sozialen Einrichtungen. Die gesammelten Staaten- und Evaluationsberichte hinterlassen den Eindruck, dass es erhebliches, nicht ausgeschöpftes sprachliches Potenzial gibt, das durch eine geschicktere Personal- und Informationspolitik deutlich besser genutzt werden könnte. Dienstleistungsgebern und -nehmern soll verdeutlicht werden, dass der Einsatz des Deutschen in Einrichtungen der Region nicht nur toleriert wird, sondern auch erwünscht ist. Als sehr problematisch hat sich bislang lediglich der Medienbereich herausgestellt. Ein Entstehen eigener Radio- oder Fernsehsender ist nach wie vor nicht in Sicht und die Förderung von regionalen Produktionen kommt kaum voran. Immerhin hat ein Projekt mit der deutschsprachigen Zeitung zur Produktion von Radioprogrammen gefruchtet, aber dadurch, dass der Empfang von deutschen Programmen in Dänemark durch den Digitalisierungsprozess deutlich schwieriger geworden ist, hat sich in der Region die mediale Situation für die Minderheit unter dem Strich offenbar nicht verbessert. Trotz lauter Ermunterungen des Europarats, der sprachlichen Vielfalt Dänemarks durch die Aufnahme weiterer Sprachen gerecht zu werden, wird in Dänemark bis heute nur das Deutsche als Minderheitensprache im Rahmen der Charta anerkannt. Die Frage nach der möglichen Anerkennung des Grönländischen und Färöischen scheint vorerst gelöst zu sein, aber die Frage nach dem Status des Romanes in Dänemark ist nach Ansicht des Europarats nicht endgültig geklärt.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Denmark, 3.12.2003. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Denmark, 26.4.2006. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Denmark, 14.4.2010. [= 3. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 21.11.2003. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 28.3.2007. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts’ Evaluation Report, 28.9.2010. [= 3. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 19.5.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 26.9.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Third Committee of Ministers’ Recommendation, 2.3.2011. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Bundesrepublik Deutschland/Königreich Dänemark: Bonn-Kopenhagener Erklärungen, 29.3.1955. Bundesrepublik Deutschland/Königreich Dänemark: „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über kulturelle Zusammenarbeit“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) II, 18.6.1974: 139–143. Königreich Dänemark/Danske Statsministeriet: „LOV nr 137: Lov om Færøernes Hjemmestyre“. In: Lovtidende A: Rigsdagstidenden for 1947–48, Folket. Tid. Sp. 3020, 3087, 3313, 3343, Nr. 137, Christiansborg, 23.3.1948. Königreich Dänemark/Danske Statsministeriet: „LOV nr 577: Lov om Grønlands Hjemmestyre“. In: Lovtidende A, Nr. 577, Status: Historisk, Christiansborg, 29.11.1978. Königreich Dänemark/Danske Statsministeriet: „Forvaltningslov/Lov om ændring af lov om offentlighed i forvaltningen og forvaltningsloven [Act No. 571/Act No. 347: Administrative Powers Act]“. In: Lovtidende A: Justitsmin. L. A. 1983-542-1/Justitsmin. j. nr. LA 1990-543-85, Christiansborg, 19.12.1985/6.12.1991. Königreich Dänemark/Danske Statsministeriet: „LOV nr 473: Lov om Grønlands Selvstyre“. In: Lovtidende A: Statsmin., j.nr. 7010–2, Nr. 473, Christiansborg, 12.6.2009.

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4.2 Literatur Danmarks Statistik (Hrsg.): Statistisk Årbog 2011. Deutscher Schul- und Sprachverein für Nordschleswig (DSSV): Sprachförderung in den Institutionen des Deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig, 2004. Deutscher Schul- und Sprachverein für Nordschlweswig (DSSV): Präsentation zur Informationsveranstaltung des Deutschen Tags am 6.11.2010. Harck, Sten: „Von Bonn nach Straßburg. Die Minderheiten der Dänen, Deutschen und Friesen“. In: Jørgen Kühl / Robert Bohn (Hrsg.) Ein europäisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland 1945–2005, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005: 324–340. Kühl, Jørgen: The Schleswig Experience. The National Minorities in the Danish-German Border Area, Institut for Grænseregionsforskning 1998. Kühl, Jørgen: „Ein europäisches Modell? Die Schleswiger Erfahrung und die nationalen Minderheiten“. In: Jørgen Kühl / Robert Bohn (Hrsg.): Ein europäisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-dänischen Greanzland 1945–2005, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005: 401–507. Lubowitz, Frank: „Organisationen, Vereine und Institutionen der deutschen Minderheit in Nordschleswig“. In: Jørgen Kühl / Robert Bohn (Hrsg.): Ein europäisches Modell? Nationale Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland 1945–2005, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005: 378–387.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii); 1b (iv); 1c (iii–iv); 1d (iii); 1e (ii); 1f (ii); 1g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1b (iii), c (iii); 2a–c

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (v); 4c; 5

Artikel 11 (Medien)

1b (i, ii), c (i, ii), d, e (i), f (ii), g; 2

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, b, d–g; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a, c, d; 2c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

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Claudia Wich-Reif (Bonn)

Deutschland (Bundesrepublik Deutschland) 1 Vorgeschichte Mit dem Sieg der Alliierten endete am 8.5.1945 der Zweite Weltkrieg und damit die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur unter Adolf Hitler. Nach der Abtrennung der Gebiete östlich von Oder und Neiße wurde das verbleibende Gebiet in drei westliche und eine östliche Besatzungszone aufgeteilt; jeder der vier Besatzungsmächte war ein Sektor von Berlin zugeordnet. Die drei westlichen Zonen bildeten ab 1949 die Bundesrepublik Deutschland (BRD), die östliche die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Die zehn Bundesländer der BRD wurden in einem föderalen, freiheitlich-demokratischen, sozialen Rechtsstaat organisiert, auf der Grundlage der Verfassung vom 23.5.1949, des Grundgesetzes der BRD (bis zur Wiedervereinigung am 3.10.1990 mit provisorischem Charakter). Am 13.7.1950 erlangte die BRD die Mitgliedschaft im Europarat; als eines von sechs Ländern gehörte sie den Europäischen Gemeinschaften (EG) an, sie ist Gründungsmitglied der Europäischen Union (EU). Mit der deutschen Wiedervereinigung wurden auch die fünf Länder der ehemaligen DDR einschließlich des Ostteils Berlins aufgenommen und Westberlin wurde eingegliedert, so dass sich Deutschland seither aus 16 Ländern mit eigenen Verfassungen zusammensetzt. Gemäß den zugeschriebenen Verantwortlichkeiten in den Bereichen Kultur und Bildung enthalten diese Verfassungen Bestimmungen zum Schutz von Regional- bzw. Minderheitensprachen, für einige der Minderheitensprachen gibt es zusätzliche Bestimmungen: Artikel 25 der Verfassung des Landes Brandenburg vom 20.8.1992, zuletzt geändert am 16.6.2004, umschreibt die Rechte der Sorben (Wenden) in Bezug auf Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität sowie des angestammten Siedlungsgebietes, kulturelle Eigenständigkeit und Autonomie, öffentliche Beschriftungen und die wirksame politische Mitgestaltung. Neben den durch das Grundgesetz garantierten Freiheiten hat das Land Brandenburg den Gebrauch der sorbischen Sprache in Artikel 8 des Gesetzes zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Sorben[Wenden]-Gesetz – SWG) vom 7.7.1994 ausdrücklich für frei erklärt. Die Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27.5.1992 nennt in Artikel 5,2 die Gewährleistung und den Schutz des Rechts nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung. Artikel 6 behandelt spezifisch sorbische Belange,

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die Gleichberechtigung in Bezug auf Landeswappen, Recht auf Heimat, ergänzend zu Artikel 5,2 die Entwicklung und Pflege der Sprache in Schulen, in vorschulischen und kulturellen Einrichtungen, die Berücksichtigung der Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes bei der Landes- und Kommunalplanung, einschließlich der Wahrung seiner Interessen bei der landesübergreifenden Zusammenarbeit der Sorben. Das Sorbische war auch Gegenstand des Einigungsvertrages vom 31.8.1990. In einer Protokollnotiz zu Artikel 35 ist festgehalten, dass BRD und DDR sich zur Freiheit des sorbischen Volkstums und zur sorbischen Kultur bekennen, zur Bewahrung und Fortentwicklung derselben, zur Pflege und Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben. Gemäß der Sächsischen Verfassung und Artikel 8 des Sächsischen Sorbengesetzes haben die Sorben im Freistaat Sachsen das Recht, in ihrer Sprache zu kommunizieren. In der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, in der Fassung vom 13.6.1990, geändert durch Gesetz vom 20.7.2007, wird in Artikel 5 auf die allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten, auf den Anspruch auf Schutz und Förderung der nationalen dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe hingewiesen, Artikel 8 behandelt das Schulwesen in Bezug auf nationale Minderheiten. Artikel 9,2 geht auf Schutz und Förderung der Pflege der niederdeutschen Sprache ein. In Bezug auf die Gleichberechtigung des Dänischen gelten zudem die Kieler Erklärung der schleswig-holsteinischen Landesregierung vom 26.9.1949 sowie die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen vom 29.3.1955. Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern bezieht sich in Artikel 16,2 auf den Schutz und die Förderung der Pflege der niederdeutschen Sprache, in Artikel 18 auf den Schutz der kulturellen Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen von Bürgern deutscher Staatsangehörigkeit. In der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ist in Artikel 37,1 eine vergleichbare Passage enthalten.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Deutschland gehört mit der Zeichnung der Charta am 5.11.1992 zu den Erstunterzeichnerstaaten. Ratifiziert wurde sie knapp sechs Jahre später, am 16.9.1998; erst da wurde die notwendige Anzahl von fünf Ratifikationen erreicht. Eingeschlossen sind Erklärungen der BRD zur Vorbereitung der Ratifizierung vom 23.1.1998 und zur Umsetzung der Verpflichtungen der Charta hinsichtlich Teil II (Art. 7) der Charta vom 26.1.1998. Am 1.1.1999 trat sie dann in Kraft. Den ersten, nach Artikel 15,1 der Charta geforderten, am 1.1.2000 fälligen Staatenbericht legte Deutschland am 20.11.2000 vor. Nach dem ersten Vor-Ort-Besuch des Sachverständigenausschusses im Oktober 2001 verfasste dieser am 5.7.2002 seinen ersten Bericht über die Anwendung der Charta, am 14.8.2002 wurde das Schreiben zugestellt, im Oktober übermittelte Deutschland dem Europarat eine Stellungnahme dazu, am 19.9.2002 wurde die Charta durch das Zweite Gesetz zur Charta novelliert. Das Ministerkomitee sprach am 4.12.2002 seine ersten Empfehlungen aus. Der zweite Staatenbericht wurde am 7.4.2004 vorgelegt, der zugehörige Bericht des Sachverständigenausschusses erfolgte nach dem zweiten Vor-Ort-Besuch im September 2004 am 16.6.2005, die Empfehlungen lagen am 1.3.2006 vor. Der dritte Staatenbericht datiert auf den 27.2.2007. Der Sachverständigenausschuss legte seinen Bericht nach einem Vor-Ort-Besuch im November 2007 am 3.4.2008 vor, die Empfehlungen des Ministerkomitees folgten am 9.7.2008. Der vierte Staatenbericht datiert auf den 7.6.2010. Die Veröffentlichung des Sachverständigenausschusses erfolgte nach dem dritten Vor-Ort-Besuch im September 2010 am 2.12.2010, die des Ministerkomitees am 25.5.2011.

2.1.2 Institutionen Die staatliche Beteiligung von Bundesverbänden der Sprachgruppen erfolgt durch die Exekutive in Implementierungskonferenzen für das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten und für die Charta, zudem in Beratenden Ausschüssen beim Bundesministerium des Innern. Bei Bedarf lädt der Deutsche Bundestag zu einem „Gesprächskreis nationale Minderheiten“ ein. Die Staatenberichte werden von den entsprechenden Regierungsstellen des Bundes-

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ministeriums des Innern unter Beteiligung der Bundesverbände der Sprecher der durch die Charta geschützten Sprachen erstellt. Als Sprachgruppenorganisationen sind die folgenden zu nennen: – Bundesraat för Nedderdüütsch („Bundesrat für Niederdeutsch“) – Sydslesvigsk Forening („Südschleswigscher Verein“) – Sydslesvigsk Vælgerforening („Südschleswigscher Wählerverband“) – Domowina – Zwjazk Łužiskich Serbow („Bund Lausitzer Sorben“) – Frasche Rädj („Friesenrat Sektion Nord e.V.“) – Freeske Raad („Friesenrat Sektion Ost e.V.“) – Seelter Buund („Heimatverein Saterland“) Für die deutschen Sinti und Roma ist kein vergleichbares Gremium vorgesehen, da die beiden Dachverbände, der Zentralrat deutscher Sinti und Roma und die Sinti Allianz Deutschland e.V., wenig zur Zusammenarbeit bereit sind. Unbeschadet davon haben beide Verbände die Möglichkeit, Gespräche mit dem Bundesratspräsidenten und Vertretern der Landesregierungen zu führen. Die schriftlichen Stellungnahmen der Sprachgruppen gehören seit dem zweiten Staatenbericht zum festen Bestandteil (in Anlage E). Ihr Engagement, das die Durchsetzung der Verpflichtungen erleichtert, wird bereits im ersten Bericht des Sachverständigenausschusses positiv hervorgehoben. Auf Bundesebene gibt es seit 2002 einen Regierungsbeauftragten für die nationalen Minderheiten in Deutschland als Ansprechpartner und Vertreter in Kontaktgremien, was im zweiten Bericht des Sachverständigenausschusses erfreut zur Kenntnis genommen wurde. Beim Deutschen Bundestag wurde ein „Gesprächskreis nationale Minderheiten“ für Abgeordnete und Vertreter der Dachorganisationen der nationalen Minderheiten errichtet. 2003 wurde eine überfraktionelle Initiative zur Pflege der durch die Charta geschützten Sprachgruppen gegründet. Seit 2006 gibt es einen Beratenden Ausschuss für Regional- und Minderheitensprachen beim Bundesministerium des Innern. Auf Länderebene gibt es vergleichbare Organisationen.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument benennt die BRD Niederdeutsch, Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta und auch das Romanes der deutschen Sinti und Roma, welches nicht auf ein bestimmtes Territorium beschränkt ist. Die Ratifizierung der Charta erfolgte mit Zustimmung des Bundesrates und des Bundestages. Sie gilt als Bundesgesetz, das innerstaatliche Gesetzgebung bricht, soweit

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die betreffenden Regelungen der Charta selbst bereits unmittelbar anwendbar sind. Aufgrund des föderativen Staatsaufbaus von Deutschland sind in erster Linie die Länder für die Umsetzung der übernommenen Pflichten aus der Charta verantwortlich. Das Recht der Angehörigen nationaler Minderheiten, sich ihrer Sprache im alltäglichen Leben zu bedienen, ist durch Artikel 2,1 des Grundgesetzes geschützt, der das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert. Dieses Recht gilt auch im Rahmen der durch Artikel 5,1 geschützten Meinungs-, Presseund Rundfunkfreiheit. Dementsprechend existieren in der BRD keinerlei Restriktionen für den Gebrauch der Minderheitensprache in der Privatsphäre oder in der Öffentlichkeit. Die Rundfunk- und Pressefreiheit in der BRD hat einen sehr hohen Stellenwert. Der schriftliche Appell der Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein vom 29.9.1999 an die Rundfunk- und Fernsehintendanten der maßgeblichen Sendeanstalten, weiterhin und in verstärktem Maße Beiträge in Minderheitensprachen und in Niederdeutsch ins Programm aufzunehmen, sowie die Unterrichtung über den Bericht der Sachverständigenkommission 2003 sind außergewöhnliche Akte, mit denen die politische Relevanz der Charta für das Land zum Ausdruck gebracht ist. Die Schulaufsicht obliegt den Schulämtern der Kreise oder kreisfreien Städte bzw. dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Für den Bereich der Verwaltung bestimmt Artikel 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes Deutsch zur Amtssprache. Gemäß den Verwaltungsverfahrensgesetzen bzw. Verwaltungsgesetzen der Länder ist dies die Amts- und auch die Gerichtssprache. Mit dem ersten Staatenbericht notifizierte die BRD dem Europarat für das Dänische und das Nordfriesische in Schleswig-Holstein, für das Obersorbische in Sachsen, für das Niedersorbische in Brandenburg, für das Saterfriesische in Niedersachsen sowie für das Niederdeutsche in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein und für das Romanes in Hessen ab dem zweiten Berichtszyklus die Bestimmungen gemäß Teil III (Art. 8–14) der Charta zu erfüllen. Verpflichtungen gemäß Teil II der Charta gelten für das Niederdeutsche in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt und das Romanes im gesamten bundesdeutschen Sprachgebiet, ausgenommen Hessen. Für das Romanes und für das Niederdeutsche ließen sich in mehreren Bundesländern zu einzelnen Bereichen Verpflichtungen nach Teil III der Charta als erfüllt identifizieren. Der Sachverständigenausschuss berücksichtigte diese für die Empfehlungen an das Ministerkomitee. Grundsätzlich besorgt äußerte er sich darüber, dass die Länder in Bezug auf den Schutz der Regional- und Minderheitensprachen nicht genügend kooperieren könnten. Als Reaktion auf die Empfehlungen zum ersten Staatenbericht, für die Erfüllung der Verpflichtungen der Charta spezifische Rechtsvorschriften und Verwal-

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tungsmaßnahmen einzuführen, wurde bereits in der Stellungnahme der BRD angekündigt, dass einige Bundesländer weitere Verpflichtungen eingingen. Im zweiten Staatenbericht wurde noch einmal betont, dass Bundesrecht Länderrecht bricht, ferner, dass weitere rechtliche Regelungen keine Vorteile bei der Umsetzung der Vorschriften böten, sondern häufig lediglich redundante Rechtsnormen schüfen. Der Sachverständigenausschuss wiederum hob in seinem zweiten Bericht hervor, dass er eine andere Auffassung vertrete. Mit dem Gesetzesentwurf des Landes Schleswig-Holstein zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum sah sich der Sachverständigenausschuss in seiner Argumentation bestätigt, dass Instanzen nötig seien, die gesetzliche Unsicherheiten vermieden und Gesetzeslücken schlössen. Bedingt durch die allgemeinen Haushaltskürzungen sah der Sachverständigenausschuss, dokumentiert in den Berichten, gerade in der Hochschulbildung eine kontinuierliche Verschlechterung im Angebot an Studien- und Forschungsmöglichkeiten. In den Bereichen Justiz, Verwaltung und öffentliche Dienstleistungen reagierte die BRD auf die Kritik des Sachverständigenausschusses und erklärte, sich insbesondere um eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit zu bemühen. Kontrovers wird auch die Verpflichtung beurteilt, im wirtschaftlichen und sozialen Bereich Praktiken entgegenzutreten, die den Gebrauch von Regional- oder Minderheitensprachen behindern. Die Hinweise darauf, dass in Deutschland keine Praktiken existieren, werden vom Sachverständigenausschuss mit dem zweiten Bericht als Erfüllung der Verpflichtung anerkannt. In Bezug auf die Präsenz der Regional- und Minderheitensprachen in den Medien wies der Sachverständigenausschuss darauf hin, dass die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit keinesfalls durch die Förderung bzw. Erleichterung des Gebrauchs von Regional- und Minderheitensprachen in Frage gestellt würde. Auch bezüglich dieser Verpflichtungen beharrten beide Parteien bisher auf ihrem jeweiligen Standpunkt. Ein weiteres grundsätzliches Problem, das durch die Kompetenzenverteilung auf Bund und Länder besteht, ist die Unklarheit darüber, wer für die Bearbeitung von Anträgen auf finanzielle Förderung durch den Bund oder die Länder zuständig ist. Als vergleichsweise unproblematisch erweist sich das Aufstellen von mehrsprachigen Ortsschildern sowie das Führen des Namens in der Regional- oder Minderheitensprache. Im ersten Evaluationsbericht ist völlig zutreffend festgehalten, dass die Regional- und Minderheitensprachen (ausgenommen Dänisch und Romanes) insbesondere dadurch gefährdet sind, dass in einer mittleren Generation die Pflege und Weitergabe mehr oder weniger ausgesetzt wurde, aus Sorge, der folgenden Generation könnten Nachteile daraus erwachsen, wenn das Standarddeutsche/ Hochdeutsche nicht ihre erste bzw. einzige Sprache im Sinne einer Varietät sei. Die Sorge um kompetente Sprecher, die als Lehrende fungieren können, ist mehr als berechtigt.

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Eine systematische Erfassung zu den Angehörigen regionaler Minderheiten steht noch aus. Die Angaben in der folgenden Tabelle sind zum Teil vage, zum Teil sind es Schätzwerte, zum Teil sind sie seit längerer Zeit nicht bzw. nicht für den gesamtdeutschen Sprachraum erhoben worden:

Niederdeutsch Dänisch Obersorbisch Niedersorbisch Saterfriesisch Nordfriesisch Romanes (Sinti) Romanes (Dt. Roma)

Zugehörigkeit

Verstehen

Sprechen und Schreiben

ca. 8.000.000 ca. 50.000 ca. 40.000 ca. 20.000 12.888 50.000–60.000 60.000 10.000

ca. 7.120.000 ca. 50.000

ca. 4.480.000 die meisten v. ca. 50.000 ca. 13.000 ca. 6.600 1.000–2.000 10.000

2.000–4.000 20.000

Insbesondere in Bezug auf das Niederdeutsche und das Sorbische bestärkte der Sachverständigenausschuss die nördlichen Bundesländer darin, verlässlichere und aktuellere Daten zu gewinnen.

2.3 Durch Teil II und III/nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.3.1 Niederdeutsch Das Niederdeutsche ist eine geschützte Regionalsprache im norddeutschen Raum; als Oberbegriff werden darunter alle niederdeutschen (Platt-)Varietäten gefasst. Verbreitet ist es nördlich einer Linie von Krefeld über Wuppertal, Gummersbach, Kassel, Wernigerode, Calbe, Dessau, Herzberg bis Frankfurt an der Oder in den Bundesländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie in Teilen Brandenburgs, Nordrhein-Westfalens und Sachsen-Anhalts. Problematisch ist die Abgrenzung nach Süden gegenüber dem Mitteldeutschen, nach Westen gegenüber dem Niederländischen, wobei sich an der deutsch-niederländischen Staatsgrenze eine Sprachgrenze herausbildet. Insbesondere im küstennahen Bereich wird Niederdeutsch von einer großen Sprechergruppe gebraucht, zumeist nur als Nähesprache, die vertrauten Kommunikationssituationen vorbehalten ist. Im Laufe der Zeit hat das Niederdeutsche seinen Status als Einzelsprache eingebüßt. Kernlandschaften, in denen das Niederdeutsche noch heute eine große Rolle spielt, sind Ostfriesland, das Elbe-Weser-Dreieck und Dithmarschen.

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Während es zu den Minderheitensprachen wenigstens Schätzwerte gibt, liegt in Bezug auf das Niederdeutsche nur eine die alten Bundesländer umfassende Umfrage von 1984 vor, die laut Staatenberichten auf den gesamtdeutschen Raum hochgerechnet werden kann. Die Ergebnisse der im Jahr 2007 mit Bundeszuwendungen geförderten, repräsentativen Umfrage „Wer spricht Plattdeutsch“ des Instituts für niederdeutsche Sprache stehen noch aus. Ganz grob ist für die gesamte Bundesrepublik von einer Gesamtanzahl von acht Mio. auszugehen. Ein Ergebnis der Forderung des Sachverständigenausschuss im ersten Evaluationsbericht, die Kooperation zwischen den acht Bundesländern, in denen Niederdeutsch gesprochen wird, zu verbessern, war die Einrichtung der Dachorganisation Bundesraat för Nedderdüütsch („Bundesrat für Niederdeutsch“) im Jahr 2002. Nichtsdestotrotz blieben die Maßnahmen und Informationen der einzelnen Bundesländer recht heterogen. Als besonders engagiert ist MecklenburgVorpommern hervorzuheben. Bildung: Alle Bundesländer im niederdeutschen Sprachraum setzen sich für den Gebrauch des Niederdeutschen im vorschulischen Unterricht ein. Mit dem dritten Evaluationsbericht sah der Sachverständigenausschuss aufgrund neuer, verbindlicher Richtlinien für den Vorschulbereich die Verpflichtung als teilweise erfüllt an. Niederdeutschunterricht für Vorschul- und Hortkinder in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichte die Einrichtung einer ABM-Stelle beim Volkskulturinstitut in Rostock. Schon damit galt die Verpflichtung als teilweise erfüllt. Für Niedersachsen wurde die Erfüllung entsprechend bewertet, weil der von 1997 bis 2000 in 36 Kindergärten durchgeführte Modellversuch „Zweisprachigkeit im Kindergarten“ nur Ostfriesland betraf. Sachsen-Anhalt verpflichtete sich mit dem Landtagsbeschluss vom 19.11.1991 zur Pflege der niederdeutschen Kultur und Sprache im vor- und außerschulischen Bereich. Statistische Daten, die der Sachverständigenausschuss einforderte, wurden im zweiten Staatenbericht gegeben. In Schleswig-Holstein werden im Vorschulbereich Erzieherinnen und Erzieher mit niederdeutscher Sprachkompetenz eingesetzt. Mit Änderung des Kindertagesstättengesetzes 2005 wurde der Bereich „Sprache(n), Zeichen/ Schrift und Kommunikation“ zu einem verbindlichen Bestandteil des Bildungsauftrags erklärt, und auch in weitere novellierte Kindertagesstättengesetze ging das Niederdeutsche mit ein. In den Lehrplänen der nördlichen Bundesländer ist das Niederdeutsche im Deutschunterricht und in anderen Fächern als Unterrichtsgegenstand vorgesehen, wobei es in keinem Bundesland als reguläres Unterrichtsfach angeboten wird. Im Rahmenplan Deutsch für die Grundschule ist Niederdeutsch verbindlicher Inhalt, im Gymnasium erscheint es im Arbeitsbereich „Sprachverwendung“. Niederdeutsch wird im Neigungs- und im Wahlpflichtunterricht sowie außerunterrichtlich angeboten. Vom ersten bis zum vierten Evaluationsbericht wurden eine Erhöhung der Stundenzahl und auch die

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Institutionalisierung als reguläres Unterrichtsfach gefordert. Laut dem vierten Staatenbericht bietet nun die Freie und Hansestadt Hamburg als erstes Bundesland in den ländlichen Regionen Niederdeutsch als eigenes Unterrichtsfach an, für den Sekundarbereich gilt die Verpflichtung vorerst noch als teilweise erfüllt. Für Bremen konnte der Sachverständigenausschuss einzig eine teilweise Erfüllung für den Sekundarbereich identifizieren, Schleswig-Holstein erfüllt laut zweitem Evaluationsbericht die Verpflichtungen im Grund- und Sekundarbereich teilweise. Großes Interesse zeigte sich in der Vergangenheit an der Durchführung regelmäßig stattfindender Vorlese- und Vortragswettbewerbe in Platt mit breiter öffentlicher Wirkung und finanzieller Unterstützung großer Geldinstitute, so in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Möglichkeiten für das Studium des Niederdeutschen sind an den Universitäten in Bielefeld, Bochum, Flensburg, Greifswald, Hamburg, Kiel, Magdeburg, Paderborn, Oldenburg und Rostock gegeben, mit Professuren (Germanistik mit einem Schwerpunkt Niederdeutsch) an den Universitäten Kiel, Hamburg, Oldenburg und Rostock. Auch für Bremen galt dies mit dem ersten Evaluationsbericht, wurde aber im zweiten Bericht revidiert, da das Niederdeutsche Haushaltskürzungen zum Opfer fiel, im dritten Berichtszyklus wurden die Kürzungen aber wieder rückgängig gemacht. Problematisch ist seit dem zweiten Berichtszeitraum die Forschung und Lehre in Göttingen und Greifswald, da die Niederdeutschprofessuren nicht wiederbesetzt wurden. An der Universität Rostock wurde das Angebot reduziert. In der Erwachsenen- und Weiterbildung werden in fünf der acht Bundesländer von Volkshochschulen oder Vereinen Niederdeutschkurse angeboten. Die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften ist in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gegeben. 2007 unterstützte der Bund das Projekt „Niederdeutsche Lehrwerke sowie Kinder- und Jugendliteratur“. Gerade seit den letzten Jahren findet auch eine verstärkte Erforschung des Niederdeutschen statt: Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt „Sprachvariation im niederdeutschen Raum (SiN)“ ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Universitäten Bielefeld, Frankfurt an der Oder, Hamburg, Kiel, Münster und Potsdam. Die Universitäten Bielefeld und Münster erstellen mit staatlicher Finanzierung ein digitales Textarchiv mit Sprachzeugnissen vom 9. bis zum 19. Jahrhundert. Traditionsgemäß besteht eine Kooperation zwischen den Universitäten in Oldenburg, Bremen und Groningen. Der Verpflichtung, Aufsichtsorgane im Sinne der Charta einzusetzen, kommt laut Sachverständigenausschuss keines der Länder nach. Justizbehörden: Urkunden und Beweismittel können in allen Ländern in Niederdeutsch vorgelegt werden, gegebenenfalls mit Übersetzung. Vom Sachverständigenausschuss geforderte Informationen zur praktischen Umsetzung

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wurden bisher nicht gegeben, so dass die Verpflichtungen nur als formal erfüllt gelten. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: In Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind Urkunden in Niederdeutsch rechtsgültig, die Verwaltungsbehörden können Schriftstücke in der Regionalsprache abfassen. In Mecklenburg-Vorpommern war die Verpflichtung Anlass, Niederdeutsch verstärkt zum Einsatz zu bringen, so in kommunalen und regionalen Behörden, was den Sachverständigenausschuss im zweiten Evaluationsbericht veranlasste, die Verpflichtung als erfüllt zu betrachten. Auch für Teile Niedersachsens trifft Letzteres zu, so dass hier die Verpflichtung als teilweise erfüllt eingeschätzt wird. Bei regionalen und örtlichen Behörden ist Niederdeutsch in allen betroffenen Bundesländern als Amtssprache möglich, wobei die in den Behörden Beschäftigten häufig nur bedingt kompetent sind. Anträge in Niederdeutsch können in den genannten Ländern sowie in Brandenburg gestellt werden. Zur Veröffentlichung der amtlichen Schriftstücke der regionalen und örtlichen Behörden und zum Gebrauch in Ratsversammlungen verpflichten sich nur Bremen und Niedersachsen mit Einschränkungen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit und Nutzung. Der Gebrauch des Niederdeutschen durch regionale Behörden, insbesondere in ländlichen Gemeinden, ist in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein dokumentiert. Die Verpflichtung, auf Umsetzungsanträge von des Niederdeutschen mächtigen Verwaltungsangestellten einzugehen, erfüllen Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Medien: Insbesondere durch das Angebot des Norddeutschen Rundfunks (NDR) sowie die Programmstruktur der Offenen Kanäle sah die BRD die Verpflichtungen im Bereich Rundfunk und Fernsehen bereits im ersten Zyklus als erfüllt an. Tatsächlich sind gemäß dem zweiten Evaluationsbericht Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein die einzigen Länder, die eine Verpflichtung zumindest teilweise erfüllen, so Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der regelmäßigen Ausstrahlung der 45-minütigen Fernsehendung „Klönsnack im alten Hafenhaus“, die vom Rostocker Offenen Kanal (ROK-TV) übertragen wird. Die Bewertung verbesserte sich ab dem dritten Evaluationsbericht durch veränderte Ausstrahlungsmöglichkeiten und geänderte Kriterien des Sachverständigenausschusses. So galt nun etwa die Verpflichtung für den Hörfunkbereich von Bremen durch eine täglich ausgestrahlte Nachrichtensendung auf Radio Bremen als erfüllt, ähnlich für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Auch die Verbreitung und Förderung von audio- und audiovisuellen Werken in Niederdeutsch schien bereits im ersten Berichtszeitraum von allen Ländern gewährleistet: Für Niedersachsen und Schleswig-Holstein kam der Sachverständigenausschuss durch den ersten Staatenbericht zu einer positiven Einschätzung, musste diese

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aber aufgrund fehlender Evidenz im zweiten Berichtszeitraum revidieren; andere Länder konnten den Bewertungskriterien des Sachverständigenausschusses von Anfang an nicht standhalten. In allen Ländern werden Artikel in Niederdeutsch publiziert, regelmäßig aber nur in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg. Obwohl der freie direkte Empfang von Hörfunk- und Fernsehprogrammen aus Nachbarländern bereits durch das Grundgesetz bundesweit garantiert ist, übernahmen alle im norddeutschen Raum gelegenen Bundesländer die entsprechende Verpflichtung noch einmal ausdrücklich. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Als herausragende kulturelle Einrichtung für die Pflege des Niederdeutschen gilt das länderübergreifend-überregional tätige Institut für niederdeutsche Sprache (INS) mit Sitz in Bremen. Eine Förderung erfolgt im Rahmen eines Abkommens zwischen Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein unterstützt seit 1999 kontinuierlich Plattdeutsch-Konferenzen im In- und Ausland. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe ist Herausgeber der Zeitschrift Niederdeutsches Wort und zweier niederdeutscher Schriftenreihen. Kulturelle Tätigkeiten liegen vor allem in der Verantwortlichkeit zahlreicher Vereine. Herauszustellen ist der 1874 gegründete Verein für niederdeutsche Sprachforschung (VndS), eine wissenschaftliche Gesellschaft mit derzeit ca. 400 Mitgliedern mit dem Ziel, die niederdeutsche Sprache und Literatur in ihrer sprachkulturellen Erscheinungsvielfalt in Geschichte und Gegenwart zu erforschen. Auch gibt es mehrere Dichtergesellschaften und weitere kulturelle Einrichtungen wie das Literaturhaus in Hamburg, die Niederdeutsches im Programm haben, dazu mehrere niederdeutsche Bühnen. Als Bibliotheken mit Niederdeutsch-Sammlungen führen die Staatenberichte insbesondere die Universitätsbibliotheken in Rostock, Greifswald und Magdeburg an, es gibt aber auch Regionalbibliotheken mit z.T. reichen Beständen. Der Sachverständigenausschuss forderte in den Evaluationsberichten bei mehreren Ländern (so Nordrhein-Westfalen) detailliertere Informationen ein. Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erklärten, hochdeutsche Übersetzungen niederdeutscher Werke (Synchronisation, Untertitel, Übersetzungen) finanziell zu fördern. Zu diesen Ländern verpflichteten sich auch Hamburg und Nordrhein-Westfalen zur angemessenen Unterstützung von mit niederdeutschen Belangen betrauten Gremien. Alle Länder versicherten, dass die Mitwirkung von Vertretern des Niederdeutschen an kulturellen Tätigkeiten gegeben sei, für die wenigsten Länder genügten dem Sachverständigenausschuss jedoch die vorliegenden Informationen für die Erfüllung der Verpflichtung. Die Förderung von Publikationen sowie deren Archivierung gehört zum Programm aller Länder. Zur finanziellen Förderung von Übersetzungs- und Terminologieforschungsdiensten gaben Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen sowie Sachsen-Anhalt eine Erklärung ab, wobei diese bei

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weiteren Ländern aufgrund anderer Verpflichtungen z.T. impliziert ist. Beispielhaft für die Verfolgung niederdeutscher Kultur und Kulturpolitik im Ausland sind Initiativen der Goethe-Institute in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt. ‒ Im Bereich Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen haben die Bundesländer (die Städte Bremen und Hamburg ausgenommen) ihre Stärken. Wirtschaftliches und soziales Leben: Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gaben an, dass in sozialen Einrichtungen problemlos mit Niederdeutschsprechern kommuniziert werden könne. Auf die Bitte des Sachverständigenausschusses nannten die Länder im zweiten Staatenbericht Maßnahmen oder sie erklärten, bei Bedarf umgehend geeignete Maßnahmen zu treffen. Für die meisten Länder galt diese Verpflichtung damit als teilweise erfüllt. Mecklenburg-Vorpommern kam als einziges Bundesland bereits mit dem zweiten Evaluationsbericht allen Verpflichtungen dieses Bereichs teilweise bzw. voll nach. Die von Arbeitgebern, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden der Region durchgeführte Aktion „Plattdütsk bi d’ Arbeid“ galt dem Sachverständigenausschuss im zweiten Evaluationsbericht als maßgeblich für die Erfüllung der Verpflichtung. Grenzüberschreitender Austausch: Nur Niedersachsen verpflichtete sich mit der 1991 gegründeten Neue Hanse Interregio (NHI), ein Übereinkommen zwischen Niedersachsen, Bremen und vier niederländischen Provinzen, ausdrücklich zu staatenübergreifenden Bemühungen. Der Sachverständigenausschuss erkannte die Verpflichtung auch für Schleswig-Holstein an.

2.3.2 Dänisch Die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland wurde 1920, basierend auf den Ergebnissen zweier Volksabstimmungen, im Versailler Vertrag festgelegt. Dänisch wird von der dänischen Minderheit im angestammten Siedlungsgebiet in den drei Varietäten Reichsdänisch, Sydslesvigdansk und Sønderjysk im Land Schleswig-Holstein südlich der deutsch-dänischen Grenze gesprochen, überwiegend in den Kreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg, im nördlichen Teil des Kreises Rendsburg-Eckernförde sowie in der Stadt Flensburg. Laut erstem Staatenbericht werden die Angehörigen der dänischen Volksgruppe auf etwa 50.000 Personen geschätzt, wobei der prozentuale Anteil der Angehörigen der dänischen Minderheit von Gemeinden mit nur einzelnen Familien bis zu etwa 20 % in einigen kleineren Orten und der Stadt Flensburg reicht. Bildung: Gemäß einer Regierungserklärung der BRD vom 29.3.1955 hat die dänische Minderheit im gesamten Land Schleswig-Holstein das Recht auf Ausbildung in dänischer Sprache. Der Hauptträger der Kindergarten- und Schular-

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beit, Dansk Skoleforening for Sydslesvig („Dänischer Schulverein für Südschleswig“), betrieb im Jahr 2009 55 Kindertagesstätten und 47 Schulen (mit insg. 2.096 Kindern). Daneben gibt es auch deutsche Kindergärten, die Dänisch anbieten. In den alle Schulformen bedienenden dänischen Schulen findet der Unterricht außer im Pflichthauptfach Deutsch in dänischer Sprache statt. Die Schulen sind gemäß Artikel 7 des Grundgesetzes sowie den Artikeln 5 und 6 der Verfassung Schleswig-Holsteins von 1978 staatlich anerkannte Schulen in freier Trägerschaft, seit 2004 mit vollständiger Kostenübernahme durch das Land Schleswig-Holstein (Art. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes von 2002). Im Jahr 2008 wurde eine zweite Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe für 625 Schüler eröffnet. Die Abschlussprüfungen werden sowohl in Deutschland als auch in Dänemark anerkannt. An mehreren öffentlichen Schulen wird, zum Teil schon im Grundschulbereich, Dänisch als Fremdsprache angeboten, auch über das Gebiet der dänischen Minderheit hinaus. In Berufsschulen und Fachgymnasien ist Dänisch Wahlfach; außerdem gehört die Sprache als fester Bestandteil zur Ausbildung der Flensburger Feuerwehr. Im Schuljahr 2002/03 nahmen am Dänischunterricht in den öffentlichen Schulen insgesamt etwa 4.200 Schüler teil. Finanzierungsprobleme, die im ersten Evaluationsbericht kritisiert worden waren, konnten mithilfe einer 2002 gegründeten Arbeitsgruppe zwischen der Landesregierung, der Minderheitenbeauftragten der Ministerpräsidentin und dem Dänischen Schulverein für Südschleswig geklärt werden. Der Forderung nach einer Aufsichtsbehörde mit Berichtspflicht mit Bewertung und Angaben zum Fortschritt hingegen war Schleswig-Holstein auch nach dem vierten Staatenbericht nicht gewillt nachzukommen. Dänisch wird als Bestandteil des Nordistik-Studiums an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und an der Universität Flensburg angeboten, wo die Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig („Dänische Zentralbibliothek für Südschleswig“) und eine Forschungsstelle angesiedelt sind. Die Volkshochschulen des Landes sowie die dänische Heimvolkshochschule Jarplund Højskole bieten Sprachkurse an. Für den deutsch-dänischen Austausch sind die dänischen Universitäten und das Institut für Grenzregionsforschung in Apenrade/Aabenraa Partner. Justizbehörden: Urkunden und Beweismittel können in Dänisch vorgelegt werden, bei Bedarf mit Übersetzung bzw. Dolmetscher. Laut den Staatenberichten sprechen die meisten Angehörigen der Minderheit auch Deutsch bzw. besser Deutsch als Dänisch, so dass von dem Recht kaum Gebrauch gemacht wird. Der Sachverständigenausschuss forderte als Reaktion auf die Staatenberichte stets ein, die Minderheitensprecher zur Benutzung ihrer Volkssprache zu ermuntern und sicherzustellen, dass keine Nachteile durch eventuell anfallende Kosten entstünden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holsteins ermöglicht es, Dokumente in Dänisch vor-

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zulegen, wobei auch die praktische Umsetzung nachgewiesen werden konnte. Da den Minderheitensprechern keine Kostenneutralität zugesichert wurde, revidierte der Sachverständigenausschuss in seinem zweiten Bericht seine frühere Schlussfolgerung und sah die Verpflichtung als nicht erfüllt an. Die im ersten Evaluationsbericht geforderten Informationen zu einer zweisprachigen Personalpolitik in Pflege- und Betreuungseinrichtungen wurden im zweiten Staatenbericht u.a. mit dem Hinweis auf die Tätigkeiten des Dansk Sundhedstjeneste for Sydslexvis e.V. („Dänischer Gesundheitsdienst für Südschleswig“) gegeben, was als hinreichend für die Erfüllung der Verpflichtung galt. Dass nach Möglichkeit den Wünschen von dänischsprechenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes nach dem Einsatz im dänischsprachigen Gebiet nachgekommen würde, machte bereits die Personalreferentenkonferenz vom 24.6.1999 bekannt. Da Südschleswig offiziell als einsprachiges, deutsches Gebiet gilt, gibt es keine zweisprachigen Orts- und Straßenschilder. Medien: Durch die unmittelbar an Dänemark angrenzende Lage des Siedlungsgebietes ist es den Angehörigen der Minderheit möglich, das gesamte Fernseh- und Rundfunkprogramm des Königreichs Dänemark zu empfangen. Auf deutscher Seite überträgt beispielsweise der Privatsender Radio Schleswig-Holstein subregional in Schleswig wochentags jeweils um 17.55 Uhr Nachrichten in Dänisch. Die Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen (ULR), jetzt Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, bietet über den Offenen Kanal Flensburg durch Programmtausch mit TV Aabenraa eine wöchentliche dänische TV-Sendung an. Vom ersten Evaluationsbericht an werden Maßnahmen gefordert, die die regelmäßige Ausstrahlung von Radio- und Fernsehsendungen insbesondere durch finanzielle Anreize fördern bzw. erleichtern. Die BRD lehnte das in ihren Berichten stets ab, wobei die ULR seit 2002 ein Projekt für Dänischsprecher, die eigene Fernsehsendungen produzieren wollen, unterstützt, so dass der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung im zweiten Bericht als erfüllt ansah. Wie aus den Berichten der BRD hervorgeht, wurde die Produktion und Verbreitung von audio- und audiovisuellen Werken aufgrund von Haushaltskürzungen zunehmend weniger unterstützt, was in den Evaluationsberichten besorgt zur Kenntnis genommen wurde. Für den fünften Staatenbericht bat der Sachverständigenausschuss um die Nennung der von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein unterstützten Projekte. Als dänisches Presseerzeugnis wird im Landesteil Schleswig seit 1869 die dänische Tageszeitung Flensborg Avis (rd. 6.600 Expl., ca. 15.000 Leser) herausgegeben, von 1948 bis 1974 erschien zudem als dänische Zeitung in deutscher Sprache die Südschleswigsche Heimatzeitung, die seit 1974 Beilage der Flensborg Avis ist. Dem Sydslesvigsk Forening („Südschleswigscher Verein“, SSF) angegliedert ist ein Pressedienst, der Medien in Deutschland und Dänemark mit Informationen über die dänische Minderheit versorgt. In

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enger Zusammenarbeit mit den dänischen Behörden konnten die Landesbehörden erreichen, dass der freie direkte Empfang von Hörfunk- und Fernsehsendungen aus Nachbarländern auch nach der Digitalisierung, die zwischen dem dritten und vierten Staatenbericht stattfand, gewährleistet war und somit die Verpflichtung weiterhin als erfüllt galt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Für Übersetzungen stellt das Land Schleswig-Holstein Fördermittel bereit, so für den SSF und die Dansk Centralbibliotek. Die Einrichtungen der dänischen Minderheit bzw. von ihnen bestellte Gremien der kulturellen Selbstverwaltung gewährleisten, dass Kenntnis und Gebrauch der dänischen Sprache und Kultur angemessen berücksichtigt werden. Die hauptamtlich Beschäftigen der dänischen Kulturarbeit sprechen laut erstem Staatenbericht Dänisch und Deutsch, manchmal auch Niederdeutsch. Das Land Schleswig-Holstein veranstaltet als zentrales kulturelles Ereignis alle zwei Jahre den Schleswig-Holstein-Tag, an dessen Gestaltung auch die dänische Minderheit beteiligt ist. Die Aufführung dänischer Werke wird vom SSF und den ihm angeschlossenen Einrichtungen und Initiativen anderer Verbände organisiert. Während in den Staatenberichten die Verbreitung der dänischen Kultur im Ausland als gegeben angesehen wurde, vertrat der Sachverständigenausschuss in seinen Berichten stets die Meinung, dass bei der kulturpolitischen Arbeit im Ausland das Dänische auf Bundesebene nicht hinreichend berücksichtigt würde, während die Verpflichtung auf Länderebene mit Aktivitäten wie dem „Tag der dänischen Sprache“ am 9.2.2006 in Flensburg, Husum, Leck und Schleswig als erfüllt gilt. Der Sachverständigenausschuss teilte die im dritten Staatenbericht vertretene Position, dass eine Erfüllung auf Länderebene aufgrund der föderalen Struktur der BRD gleichermaßen eine Verpflichtung auf Bundesebene sei, nicht. Wirtschaftliches und soziales Leben: Die ständige Nutzung und Förderung der dänischen Sprache wird als Grundlage der gesamten Minderheitenarbeit gesehen. Für die sozialen, gesundheitlichen und karitativen Belange der dänischen Minderheit zeigt sich nach Hinweisen im zweiten Staatenbericht der Dansk Sundhedstjeneste for Sydslesvig zuständig, womit die Verpflichtungen in diesem Bereich seitdem als erfüllt bewertet werden. Grenzüberschreitender Austausch: Der Forderung zum grenzüberschreitenden Austausch wird mit der Umsetzung der Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 und mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten nachgekommen. Die Zusammenarbeit ist u.a. mit der 1997 gegründeten deutsch-dänischen Grenzregion Schleswig/Sønderjylland dokumentiert.

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2.3.3 Sorbisch (Obersorbisch und Niedersorbisch) Das zur westslawischen Sprachfamilie gehörende Sorbisch wird in der Oberlausitz im Nordosten des Freistaates Sachsen (Obersorbisch) und in der Niederlausitz im Südosten des Landes Brandenburg (Niedersorbisch) gesprochen. Schätzungen zufolge gibt es um 60.000 Volksgruppenangehörige, von denen zwei Drittel in Sachsen und ein Drittel in Brandenburg leben. In einigen Gemeinden im Landkreis Bautzen beträgt der Anteil der Volksgruppe bis zu 90 %. Im Siedlungsgebiet stellen sie insgesamt etwa 10 % der Bevölkerung, in den Städten hingegen weniger als 2 %. Etwa ein Drittel der Sorben beherrscht die Minderheitensprache in Wort und Schrift. Im Einigungsvertrag von 1990 bekannten sich die BRD und die DDR zur Freiheit des sorbischen Volkstums, zur Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und Sprache auch im öffentlichen Leben. Sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg wählt der Landtag einen Rat für die Angelegenheiten der Minderheit. Ein besonderes Problem ergibt sich dadurch, dass das angestammte Siedlungsgebiet Braunkohleabbaugebiet ist. So wurde das Dorf Horno im Landkreis Spree-Neiße in der Niederlausitz nach einem bereits aus dem Jahr 1977 stammenden Beschluss des Bezirkstags Cottbus aufgegeben. Die sorbischen Bewohner wurden trotz erheblicher Proteste Anfang dieses Jahrhunderts umgesiedelt, so dass das angestammte Gebiet der niedersorbischen Volksgruppe nicht mehr mit dem heutigen Sprachgebiet übereinstimmt. Der Sachverständigenausschuss mahnte an, die angestammten Territorien von Minderheiten zu respektieren, für den zweiten Bericht forderte er Informationen zur Wiederansiedlung. Tief besorgt äußerte er sich über weitere Umsiedlungsplanungen. Die gemeinsame, im zweiten Evaluationsbericht lobend erwähnte Förderpolitik Sachsens, Brandenburgs und des Bundes, verkörpert in der Załožba za serbski lud („Stiftung für das sorbische Volk“), lief am 31.12.2007 aus. Bildung: Die Staatenberichte dokumentieren eine stetig steigende Anzahl obersorbischer Kinder (im vierten Berichtszeitraum 1.150), die sorbische oder deutsch-sorbische Kindertagesstätten besuchen. In der Niederlausitz sind dies etwa 200 Kinder. Bereits 2001 wurde das WITAJ-Sprachzentrum als eine eigenständige Abteilung des Dachverbands sorbischer Vereine und Vereinigungen Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V. gegründet, das die Aufgabe hat, Aktivitäten zum Erhalt und zur Verbreitung der sorbischen Sprache zu entwickeln. Den rechtlichen Rahmen bildet das Sächsische Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (SächsKitaG) bzw. das brandenburgische Kindertagesstättengesetz. Als zunehmendes Problem wurde die auf strukturelle Veränderungen zurückführbare, nicht mehr ausreichende Ausbildung von Erziehern erkannt. Während die Verpflichtung für das Obersorbische als voll erfüllt gilt, wurde sie für das Niedersorbische insbesondere wegen der fehlenden Strukturpolitik und

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der unsicheren Finanzierung von Anfang an als nur teilweise erfüllt eingeschätzt, was u.a. daran liegt, dass das Land Brandenburg kaum Handlungsbedarf sieht. Das Schulgesetz für den Freistaat Sachsen von 1991 und das Schulgesetz des Landes Brandenburg von 1996 sichern das Lernen der sorbischen Sprache zu. Die Verpflichtung in Bezug auf die Grundschule gilt seit dem ersten Evaluationsbericht für das Obersorbische als nur teilweise erfüllt, weil die Möglichkeit eines zweisprachigen Unterrichts im Anschluss an die Vorschule nicht gegeben und die Ausbildung außerhalb des Kernbereichs auch noch für den vierten Berichtzeitraum als lückenhaft beurteilt wird. Auch für das Niedersorbische gilt die Verpflichtung als nur teilweise erfüllt. Aufgrund der Umstrukturierung des Lehrplans wollte der Sachverständigenausschuss den vierten Staatenbericht abwarten, um gegebenenfalls seine Einschätzung zu revidieren. Die Auswertung dieser Daten ergab eine Verbesserung im Lehrangebot; gleichwohl äußerten sich insbesondere Vertreter der Sprachgruppe besorgt. Das Obersorbische im Grundschulbereich wurde laut zweitem Staatenbericht als Zweit- und Fremdsprache in 20 sächsischen Grundschulen unterrichtet, Niedersorbisch an 23 Brandenburger Grundschulen (ca. 1.000 Schüler); im Rahmen des sogenannten WITAJ-Projekts nahmen im vierten Berichtszeitraum 232 Schüler an zweisprachigem Unterricht teil. Im Mittelschulbereich wurden wegen mangelnder Nachfrage die sorbische Mittelschule in Crostwitz, und später, im Jahr 2007, eine weitere sorbische Mittelschule geschlossen, so dass es laut viertem Staatenbericht nur noch vier sorbische Mittelschulen gibt. In Reaktion auf den Sachverständigenausschuss wurde zugesichert, dass es auch bei sinkenden Schülerzahlen bis 2020 keine weiteren Schulschließungen mehr geben werde. Drei Gymnasien (in Bautzen und Hoyerswerda) unterrichten Sorbisch als Zweitsprache. Im Schuljahr 2002/03 wurde in Sachsen an 33 Schulen Sorbischunterricht (ca. 2.500 Schüler, davon ca. 850 mit Sorbisch als Muttersprache) erteilt. Die Zahl der Absolventen der sorbischen Mittelschulen und des sorbischen Gymnasiums betrug im Schuljahr 2001/02 251 Schüler bei 5.895 Schüler im gesamten deutsch-sorbischen Siedlungsgebiet. Im niedersorbischen Gymnasium in Cottbus ist Sorbisch Pflichtfach und auch Unterrichtssprache (im zweiten Berichtszeitraum nur für 89 Schüler), ansonsten gilt es im Sekundarbereich als Fremdsprache. Durch das WITAJ-Projekt zeigte sich im dritten Berichtszeitraum eine gesteigerte Nachfrage des Unterrichts im Sekundarbereich, allerdings bei gleichzeitigem Mangel an kompetenten Lehrkräften, wobei laut viertem Staatenbericht Weiterbildungsmaßnahmen zu greifen beginnen. Aufgrund der hohen Mindestzahl für die Eröffnung einer Klasse in der Sekundarstufe wurde die entsprechende Verpflichtung seit dem zweiten Evaluationsbericht nur noch als teilweise erfüllt bewertet. Mit der sorbischen Fachschule für Sozialpädagogik als weiterführender Einrichtung galt diese Verpflichtung bis zum zweiten Evaluationsbericht als teilweise erfüllt. Ein seit 2005

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laufendes Projekt der sächsischen Behörden mit der Domowina in Bezug auf eine Sorbisch-Schulung für die Anwendung der Sprache in Betrieben veranlasste den Sachverständigenausschuss die Verpflichtung im dritten Evaluationsbericht als voll erfüllt zu sehen. Da das Projekt laut viertem Staatenbericht aber nicht durchgeführt wurde, gilt die Verpflichtung seitdem wieder nur als teilweise erfüllt. Aufgrund der geringen Nachfrage wird das Fach Sorabistik auf universitärer Ebene nur in Leipzig angeboten, wobei laut erstem Staatenbericht auch das Niedersorbische angemessene Berücksichtigung findet. Dem Sorbischen Institut der Universität sind die Sorbische Zentralbibliothek mit ca. 80.000 Bänden und das Sorbische Kulturarchiv mit ca. 300 laufenden Metern Aktenbestand zugeordnet. Auf die Kritik des Sachverständigenausschusses hin wurde im zweiten Staatenbericht auf Intensivsprachkurse für angehende Lehrer hingewiesen, im dritten Staatenbericht wurde darüber informiert, dass der Numerus clausus bei der Kombination mit Sorbisch gesenkt bzw. ausgesetzt würde und Weiterbildungsangebote bestünden. Mit dem zweiten Evaluationsbericht gilt die Verpflichtung für das Obersorbische als voll erfüllt, nach dem dritten Bericht dann auch für das Niedersorbische. Im vierten Berichtszyklus wurde der Sachverständigenausschuss von den Vertretern der obersorbischen Sprachgruppe auf Probleme in der praktischen Ausbildungsphase hingewiesen. Der Sachverständigenausschuss wollte für eine Stellungnahme den fünften Staatenbericht abwarten. Im Bereich der Erwachsenenbildung wird Sorbisch sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg bei steigender Nachfrage angeboten. Die Weiterbildungsmaßnahmen, die die beiden Länder anbieten, können laut Sachverständigenausschuss für die Erfüllung der Verpflichtung nur teilweise geltend gemacht werden, was im niedersorbischen Raum mit dem akuten Lehrermangel begründet ist. Kenntnisse über die Geschichte und Kultur der Sorben sind in den Lehrplänen verankert. Als Aufsichtsorgane fungieren in Sachsen das Sächsische Staatsministerium für Kultus und ein vom Regionalschulamt Bautzen beauftragter Schulrat, in Brandenburg sind dafür das Referat für Internationale Angelegenheiten und Angelegenheiten der Sorben sowie Schulaufsichtsbeamte zuständig. Beides bewertete der Sachverständigenausschuss als nicht ausreichend für die Erfüllung der Verpflichtung. Die Pflege des Unterrichts in der sorbischen Sprache außerhalb des angestammten Siedlungsgebietes in der Oberlausitz im Nordosten des Freistaats Sachsen macht sich das Sorbische Kultur- und Informationszentrum in Berlin zu eigen. Die Verpflichtung wird damit als erfüllt angesehen, allerdings kam im dritten Evaluationsbericht die Forderung nach Öffentlichkeitsarbeit auf. Da ihr nicht nachgekommen wurde, galt die Verpflichtung in Folge des vierten Berichts als nicht (mehr) erfüllt. Justizbehörden: Nach dem Einigungsvertrag vom 31.8.1990 haben die Sorben das Recht, in ihren Heimatkreisen vor Gericht in Sorbisch zu kommunizieren. Da

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die Möglichkeit nicht genutzt und nicht proaktiv vorgegangen wurde, galt die Verpflichtung bis zum vierten Staatenbericht, in dem ausgeführt wurde, dass es im Berichtszeitraum sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg wenige Verfahren gab, in denen Sorbisch gebraucht wurde, nur als formal erfüllt. Mit der Forderung, die Umsetzung in die Praxis zu verbessern, erkannte der Sachverständigenausschuss nun eine teilweise Erfüllung an. Für zivilrechtliche Verfahren gelten die Verpflichtungen mit dem zweiten Evaluationsbericht als erfüllt, mit dem dritten aber wegen der fehlenden Informationen zur praktischen Umsetzung für das Obersorbische nur wieder als bloß formal erfüllt. Die Verpflichtung, im Inland verfasste Rechtsurkunden in Sorbisch anzuerkennen, gilt aufgrund fehlender gegenteiliger Indizien bereits nach dem ersten Berichtszeitraum als erfüllt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Gemäß dem Sächsischen Sorbengesetz für den Freistaat Sachsen sowie dem Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg ist die sorbische Sprache zugelassen, in der Praxis fehlen jedoch u.a. sorbisch sprechende Beamte. Bis zum vierten Berichtszeitraum bestand ein reger Austausch zwischen dem Sachverständigenausschuss, den Ministerien und den Behörden, die Einschätzung des Sachverständigenausschusses ging dennoch nie über eine formale Erfüllung hinaus. Die Möglichkeit des behördeninternen Gebrauchs gilt mit dem ersten Bericht als erfüllt, Anträge in der Minderheitensprache zu stellen erscheint dem Sachverständigenausschuss nur im Kerngebiet des obersorbischen Sprachraums als voll, ansonsten als nur formal erfüllt. Nach dem zweiten Staatenbericht sind Anfragen in Obersorbisch bei deutschen Antworten möglich, so dass die Verpflichtung als zum Teil erfüllt angesehen wurde, ebenso für das Niedersorbische, wo Übersetzungen möglich sind. Im Umgang mit öffentlichen Diensten kann das Obersorbische grundsätzlich verwendet werden, was die Einschätzung als teilweise erfüllt zulässt; für das Niedersorbische stehen Übersetzer ohne finanziellen Aufwand der Betroffenen bereit, so dass die Verpflichtung als voll erfüllt gilt. Für Angehörige des öffentlichen Dienstes mit Sorbischkenntnissen, die in den angestammten Gebieten der Gemeinschaft tätig sein wollen, gab es laut erstem Staatenbericht keine gesetzlichen Regelungen. Damit sah sich der Sachverständigenausschuss nicht in der Lage zu urteilen. Aufgrund fehlender bzw. ungenügender Angaben in den folgenden Staatenberichten gilt die Verpflichtung als nicht erfüllt. Medien: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), seit 2002 die gemeinsame Rundfunkanstalt für die Länder Berlin und Brandenburg, und der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) sind qua Gesetz zur kulturellen Vielfalt verpflichtet. Die Ausstrahlung und der Empfang von Hörfunk- und Fernsehsendungen in Niedersorbisch sind auf der Grundlage der Weiterverbreitungsregelungen des Staatsvertrages über die Zusammenarbeit zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks (MStV) in seiner Fassung von 1998 ausdrücklich gere-

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gelt. Die öffentlich-rechtlichen Programme wurden als gut bewertet, der Sachverständigenausschuss bezog die Verpflichtung aber auf private Sender und sah sie somit bis zum zweiten Evaluationsbericht als nicht erfüllt an, danach aber aufgrund des geänderten Ansatzes, nicht mehr zwischen öffentlich-rechtlich und privat zu differenzieren, als erfüllt. Der RBB bietet hinreichend TV-Programme an, vom MDR liegen keine Informationen vor. Da die dem Sachverständigenausschuss bekannten Sendungen von nicht-privaten Sendern ausgestrahlt werden, gilt auch diese Verpflichtung bis zum dritten Evaluationsbericht sowohl für das Ober- als auch das Niedersorbische als nicht erfüllt, danach für das Obersorbische als zum Teil, für das Niedersorbische aus dem genannten Grund als weiterhin nicht erfüllt. Im audio- und audiovisuellen Bereich wird insbesondere sorbische Musik und ihre Erforschung gepflegt. Pro Jahr werden mehrere Videos hergestellt, zumeist in der obersorbischen Varietät, insbesondere Übertragungen tschechischer Kinderfilme. Im Internet stellen das Sorbische Institut Bautzen und die Domowina Sorben betreffende Informationen in mehreren Sprachen bereit. Obersorbische audiovisuelle Produktionen werden größtenteils über die Stiftung für das sorbische Volk, die Domowina-Verlag GmbH und das WITAJ-Sprachzentrum mit staatlichen Mitteln finanziell gefördert. Aufgrund der Forderung nach weiteren Informationen, denen bis zum vierten Bericht nicht nachgekommen wurde, sah der Sachverständigenausschuss die Bedingung als nicht erfüllt an. Als Presseorgane in Sorbisch oder mit sorbischsprachigem Anteil gibt es eine Tages- und eine Wochenzeitung, eine Monatszeitschrift, eine pädagogische Fachzeitschrift, eine monatlich erscheinende Kinderzeitschrift sowie eine katholische Wochen- und eine evangelische Monatszeitschrift. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Ausdruck der zum 1.1.2008 ausgelaufenen gemeinsamen Förderpolitik des Bundes und der Länder Sachsen und Brandenburg war die Załožba za serbski lud. Neben dem deutsch-sorbischen Volkstheater Bautzen wurden Film- und Tonträgerproduktionen, Vorhaben der Kultur-, Traditions- und Brauchtumspflege und Wettbewerbe gefördert sowie von sorbischen Vereinen durchgeführte traditionelle Veranstaltungen. Die dokumentierte grenzüberschreitende kulturelle Zusammenarbeit zwischen Brandenburg, Sachsen und Polen führte im zweiten Evaluationsbericht zu der Einschätzung, dass die Verpflichtung auf Bundesebene zum Teil, auf Landesebene voll erfüllt ist. Wirtschaftliches und soziales Leben: Im Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg (Sorben[Wenden]-Gesetz) erklärt Brandenburg den Gebrauch der sorbischen Sprache ausdrücklich für frei. Der Gebrauch des Sorbischen in der Öffentlichkeit ist dadurch erschwert, dass im deutsch-sorbischen Siedlungsgebiet keine allgemeine Zweisprachigkeit herrscht, sondern in der Regel nur die Sorben beider Sprachen mächtig sind. Im zweiten Staatenbericht werden insbesondere Fördermaßnahmen zur Stärkung des dörfli-

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chen Gemeinschaftslebens genannt. In sozialen Einrichtungen im zweisprachigen Gebiet sind Arbeitskräfte tätig, die mit Pflegebedürftigen Sorbisch sprechen können, wobei im zweiten Staatenbericht als Reaktion auf den ersten Evaluationsbericht festgehalten wurde, dass eine gezielte Einstellung zweisprachigen Personals für Sachsen weder für sinnvoll noch durchsetzbar erachtet würde. Aufgrund (fehlender) weiterer Informationen wird die teilweise Erfüllung mit dem dritten Evaluationsbericht aberkannt, mit dem vierten Bericht wieder zugewiesen. Für das Niedersorbische gilt die Verpflichtung durch den dritten Staatenbericht mit dem Hinweis auf die Unterstützung von Gottesdiensten in Niedersorbisch als teilweise, aufgrund der fehlenden Kontinuität solcher Maßnahmen im vierten Bericht dann aber (wieder) als nicht erfüllt. Grenzüberschreitender Austausch: Wie im zweiten Staatenbericht ausführlich dargelegt, kümmert sich der Krabat e.V. u.a. um die Bekanntmachung sorbischen Kulturgutes und die Förderung der Kontakte zu slawischen Völkern, was auf eine Erfüllung der Verpflichtung auf Länderebene schließen lässt.

2.3.4 Friesisch (Nordfriesisch und Saterfriesisch) Das zur westgermanischen Sprachfamilie gehörende Friesisch gibt es heute noch in den Varietäten Nord- und Saterfriesisch.

Nordfriesisch Die Sprecher des Nordfriesischen leben im Kreis Nordfriesland an der Westküste Schleswig-Holsteins. Das Nordfriesische untergliedert sich in Festland- und Inselnordfriesisch mit insgesamt neun Dialekten: Sechs werden auf dem Festland an der schleswig-holsteinischen Westküste einschließlich der Halligen gesprochen (Wiedingharder Friesisch, Bökingharder Friesisch, Karrharder Friesisch, Nordergoesharder Friesisch, Mittelgoesharder Friesisch, Halligfriesisch), drei auf den Inseln Sylt, Föhr, Amrum und Helgoland. Drei der festlandnordfriesischen Dialekte (Karrharder Friesisch, Mittelgoesharder Friesisch, Halligfriesisch) werden heute von weniger als 150 Menschen gesprochen und sind akut vom Aussterben bedroht. Alle noch nicht vom Aussterben bedrohten Dialekte sind auch Schriftsprachen. Etwa 50.000 bis 60.000 Personen sehen sich als Nordfriesen, etwa ein Drittel der Bevölkerung im Kreis Nordfriesland. Davon benutzen etwa 10.000 die Sprache aktiv. Bildung: Nach einer Erprobungsphase (1993–1996) an zwei Standorten wurde die friesische Sprache in weiteren Kindergärten im Kreis Nordfriesland eingeführt. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung als zum Teil erfüllt

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an. Er monierte, dass den Regional- und Minderheitensprachen im 2005 geänderten Kindertagesstättengesetz keine besondere Bedeutung zukam, ferner stellte er einen Personalmangel fest. Laut Angabe der Sprecher der Minderheit ist das Angebot nicht ernst zu nehmen. An vielen öffentlichen Schulen im nordfriesischen Sprachgebiet und an einzelnen Schulen der dänischen Minderheit wird Friesisch mit einem Schwerpunkt im Grundschulbereich außerhalb des Lehrplans angeboten. Mit dem zweiten Evaluationsbericht wird die Verpflichtung als zum Teil erfüllt bewertet. Im Schuljahr 2002/03 unterrichteten 29 Lehrkräfte an 25 Schulen 1.473 Schüler (bei sinkender Schülerzahl), dazu kam Friesischunterricht an drei weiteren Schulstandorten des dänischen Schulvereins. Die fehlende Umsetzung der Empfehlungen und die Ergebnisse des dritten Evaluationsberichts veranlassten den Sachverständigenausschuss, die Verpflichtung als nicht erfüllt einzustufen. An der Grund- und Hauptschule Lindholm wird Friesisch von der ersten bis zur neunten Klasse angeboten, zudem an mehreren weiteren Hauptschulen. Im Bereich der weiterführenden Schulen wird Friesischunterricht an vier kombinierten Realschulen und zwei Gymnasien gelehrt, auch hier außerhalb des Lehrplans. Mit dem zweiten Evaluationsbericht wurde die Verpflichtung als teilweise erfüllt bewertet, aufgrund fehlender weiterer Maßnahmen sowie Lehrermangel wurde diese Einschätzung im dritten Bericht revidiert. Die Universitäten in Kiel und Flensburg boten Friesisch im Lehramt an. An der CAU gibt es das Fach weiter im Bachelor- und Masterstudiengang. Das Profil ermöglicht eine bevorzugte Behandlung bei der Vergabe von Referendariatsplätzen. Die Verpflichtung galt mit dem ersten Evaluationsbericht als erfüllt, die Einführung der neuen Studiengänge gab dem Sachverständigenausschuss Grund zur Sorge und er bewertete die Verpflichtung nur noch als teilweise erfüllt, da das Friesische nur als drittes, zusätzliches Fach gewählt werden kann. Seit 2003 wird Friesisch als Wahlpflichtfach an der Fachschule für Sozialpädagogik in Niebüll unterrichtet. Die an der CAU angesiedelte Nordfriesische Wörterbuchstelle unterhält regelmäßige Kontakte mit der friesischen Akademie in Leeuwarden, mit dem Mertens-Institut der königlich-niederländischen Wissenschaftsakademie und mit den Lehrstühlen für Friesisch in Groningen und den beiden Amsterdamer Universitäten sowie mit dem Nordfriisk Instituut („Nordfriesisches Institut“, NFI). Volkshochschulen, das NFI und andere friesische Organisationen im Kreis Nordfriesland bieten Sprachkurse für Erwachsene an. Die Lehrpläne geben Raum, die nordfriesische Kultur und Geschichte im Unterricht zu behandeln. Die Aufsichtspflicht liegt bei den für alle schulischen Belange Verantwortlichen. Friesisch wird auch außerhalb des angestammten Siedlungsgebietes angeboten. Laut drittem Evaluationsbericht gilt die Verpflichtung, Nordfriesisch auch außerhalb des angestammten Gebietes anzubieten, als erfüllt, da es auch an einer Hauptschule in Husum angeboten wird.

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Justizbehörden: Urkunden- und Beweismittel in Nordfriesisch, gegebenenfalls mit Übersetzung, sind in zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch die geltende Rechtslage in der BRD zugelassen. Die Verpflichtung gilt formal als erfüllt, im vierten Evaluationsbericht wurde um Informationen zur praktischen Umsetzung gebeten. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Von der Möglichkeit, Dokumente in Nordfriesisch vorzulegen, wird, wenn auch wenig, Gebrauch gemacht, wobei die Kostenübernahme ungeklärt ist. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung damit als teilweise erfüllt an. Die Verwendung von Friesisch in regionalen und örtlichen Behörden ist möglich, auf den nordfriesischen Inseln und Halligen finden Gemeindevertretersitzungen in Friesisch statt, des Friesischen kundigen Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ist es nach Bekanntmachung auf der Personalreferentenkonferenz Schleswig-Holsteins am 24.6.1999 möglich, im angestammten Raum eingesetzt zu werden. Die Zahl zweisprachiger Ortsschilder nahm mit Förderung der Landesbehörden im zweiten Berichtszeitraum zu, so dass die Verpflichtung als erfüllt angesehen wurde. Seit 2006 wurden laut drittem Bericht weitere, mit Bundesmitteln finanzierte Schilder, auch an den Bahnhöfen zwischen Husum und Sylt, aufgestellt. Der Sachverständigenausschuss begrüßte diese Entwicklung nachdrücklich. Medien: Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts können öffentlich-rechtliche Radioprogramme mit friesischen Anteilen nachgewiesen werden. Da der Sachverständigenausschuss nur regelmäßige Programme von privaten Sendern für die Erfüllung der Verpflichtung geltend machte, galt diese bis zum dritten Evaluationsbericht als nicht erfüllt. Durch eine von der Medienanstalt Hamburg/ Schleswig-Holstein (MA HSH) im Dezember 2009 organisierte Ausschreibung für Anbieter von Nordfriesisch-Programmen gelang es dem Offenen Kanal Schleswig-Holstein auf der Insel Föhr auf zehn Jahre eine vom Friesenrat und dem Bund finanzierte Frequenz für tägliche Programme zu bekommen. Damit galt die Verpflichtung als teilweise erfüllt. Eine mit dem Radio vergleichbare Entwicklung gab es für das Fernsehen, wobei der Status der bloß formalen Erfüllung in diesem Bereich aufgrund fehlender Maßnahmen unverändert blieb. Während auf der Grundlage des ersten Staatenberichts nicht beurteilt werden konnte, inwiefern regelmäßig Zeitungs- und Zeitschriftenartikel in Nordfriesisch produziert wurden, wurde die Verpflichtung mit dem zweiten Bericht aufgrund des unregelmäßigen oder monatlichen Erscheinens als nicht erfüllt bewertet. Im zweiten Staatenbericht wurden mehrere Projektförderungen von audio- und audiovisuellen Werken genannt, und die diesbezügliche Verpflichtung galt als erfüllt. Die Schlussfolgerung wurde aber aufgrund fehlender Informationen zur Qualifikation für eine Förderung im dritten Evaluationsbericht revidiert, der Sachverständigenausschuss forderte für den fünften Staatenbericht weitere Informationen ein.

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Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Eine allgemeine Förderung kultureller Belange der friesischen Volksgruppe ist seit 2000 im Rahmen von Projektfördermaßnahmen der BRD vorgesehen. Die kulturelle Arbeit liegt in Schleswig-Holstein in den Händen örtlicher Vereine. Als zentraler wissenschaftlicher Einrichtung kommt dem NFI eine wichtige Rolle zu, mit Brückenfunktion zwischen Wissenschaftlern und Laien. Es unterhält eine Fachbibliothek und ein Archiv und bietet Veranstaltungen für viele unterschiedliche Interessentengruppen an. Mittel für Übersetzungen stehen zur Verfügung. Die Einrichtungen der friesischen Volksgruppe bzw. von ihnen bestellte Gremien stellen sicher, dass bei kulturellen Tätigkeiten der Gebrauch der nordfriesischen Sprache und Kultur angemessen berücksichtigt wird, die Fördergremien stellen zudem sicher, dass in der Minderheitensprache kundige Personen vor Ort sind. Diese Verpflichtung gilt aufgrund nicht hinreichender Informationen als nur teilweise erfüllt. Das Land Schleswig-Holstein veranstaltet als zentrales kulturelles Ereignis alle zwei Jahre den Schleswig-Holstein-Tag, an dem auch die friesische Volksgruppe teilnimmt. Für die Sammlung und Archivierung von nordfriesischsprachigen Werken stehen die Fachbibliothek und das Archiv des NFI zur Verfügung. Die Förderung und Darstellung der friesischen Kultur sowie die Herstellung, Erhaltung und Pflege von Verbindungen zu Friesen außerhalb der Frieslande gehört zu den Zielen des 1999 gegründeten, als Dachorganisation fungierenden Interfriesischen Rats, zu dem Mitglieder aller drei Frieslande gehören. Der Sachverständigenausschuss beurteilt die Verpflichtung auf Bundesebene nicht, auf Landesebene aber als erfüllt. Die Verpflichtung zum grenzüberschreitenden Austausch galt durch ein Kulturabkommen Schleswig-Holsteins mit den Niederlanden als erfüllt, in Folge des Abbruchs der Verhandlungen 2004 und fehlenden weiteren Informationen mit dem vierten Evaluationsbericht als nicht erfüllt. Wirtschaftliches und soziales Leben: Dokumente in Nordfriesisch werden ohne Einschränkung nach dem geltenden Recht der BRD akzeptiert. Schleswig-Holstein verpflichtet sich hierzu noch explizit; zudem zur Förderung von Friesisch als Familiensprache, so dass der Sachverständigenausschuss die Verpflichtungen in diesem Bereich als erfüllt interpretierte. Grenzüberschreitender Austausch: Mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, das für die BRD und das Königreich der Niederlande in Kraft getreten ist, sah die BRD die Verpflichtungen der Charta als erfüllt an, der Sachverständigenausschuss bemängelt fehlende bi- oder multilaterale Abkommen.

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Saterfriesisch Die Ostfriesen gaben das Friesische zugunsten des Niederdeutschen bis 1800 überwiegend auf. Heute wird das zum ostfriesischen Sprachzweig gehörende Saterfriesisch nur noch im oldenburgischen Saterland in den Dörfern Ramsloh, Scharrel, Strücklingen und Sedelsberg von etwa 2.000 Personen gesprochen. Eine saterfriesische Schriftsprache ist nicht überliefert, die Festlegung von Rechtschreibregeln begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Schutz und die Förderung sind im Gegensatz zu anderen Regionalsprachen, u.a. zum Nordfriesischen, beim Saterfriesischen nicht in der Landesverfassung von Niedersachsen geregelt. Bildung: Im Jahr 2000 nahmen 130 Eltern im saterfriesischen Sprachgebiet das Angebot in Anspruch, dass im Kindergarten wöchentlich eine Stunde mit den Kindern Saterfriesisch gesprochen wird. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung aufgrund fehlender Ressourcen und des geringen Umfangs für die extrem gefährdete Sprache als nicht erfüllt an. Ab 2011 soll Saterfriesisch laut viertem Staatenbericht in der Vorschule zweisprachig unterrichtet werden. Der Sachverständigenausschuss bat für den fünften Staatenbericht um weitere Informationen. Drei von vier Grundschulen bieten Saterfriesisch als Wahlpflichtfach an, die vierte wie auch das Schulzentrum Saterland für die Klassen 5 und 6 als AG-Angebot. Insgesamt nahmen im Berichtszeitraum des ersten Staatenberichts bei einer Gesamtzahl von 1.113 in den ersten bis sechsten Klassen 246 Schüler am Saterfriesischunterricht teil. Im zweiten Evaluationsbericht wurden die deutschen Behörden nachdrücklich angehalten, für eine angemessene Vermittlung der Minderheitensprache zu sorgen und eine Ausweitung des Anwendungsbereichs zu prüfen. Für den Unterricht stehen nach dem vierten Staatenbericht vier hauptamtliche Lehrkräfte zur Verfügung. Seit Ende 2007 findet regelmäßig und kontinuierlich Lehre und Forschung zum Saterfriesischen an der Universität Oldenburg statt, so dass mit dem vierten Evaluationsbericht die Verpflichtung als erfüllt gilt. Mit finanzieller Unterstützung des Landes Niedersachsen wurden Unterrichtsmaterialien entwickelt; die seit 2006 gültigen Lehrpläne Niedersachsens schreiben für das Fach Deutsch im Primär- und Sekundarbereich I die Sprachbegegnung mit dem Saterfriesischen verbindlich vor. Aufgrund der fehlenden Regelmäßigkeit gilt die Verpflichtung als teilweise erfüllt. Einmal pro Jahr wird laut erstem Staatenbericht ein Saterfriesischkurs im Rahmen der Erwachsenenbildung angeboten. Da dieser im zweiten Berichtszeitraum nicht stattfand, revidierte der Sachverständigenausschuss seine Interpretation und sah die Verpflichtung als nicht erfüllt an. Aufsichtspflichtig ist eine Fachberaterin, mit der Zielvereinbarungen getroffen wurden. Dies genügt dem Sachverständigenausschuss nicht. Justizbehörden: Urkunden- und Beweismittel können in Saterfriesisch vorgelegt werden, gegebenenfalls mit Übersetzung (bei Kostenneutralität), Schriftstü-

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cke können von der Verwaltung in Saterfriesisch verfasst werden. Während der Sachverständigenausschuss im ersten Evaluationsbericht die Verpflichtung als formal erfüllt sah, drängte er ab dem zweiten Bericht darauf, Informationen über die Gemeinde Saterland hinaus zu bekommen Da dies nicht erfolgte, gelten die Verpflichtungen mit dem dritten Bericht des Sachverständigenausschusses als nicht erfüllt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Dokumente können in Saterfriesisch vorgelegt werden. Da Informationen über die praktische Umsetzung fehlen, gilt die Verpflichtung nur als formal erfüllt. Saterfriesisch ist für amtliche Schriftstücke und Ratsversammlungen zugelassen. Aufgrund ungenügender Informationen im ersten und fehlenden Zusatzinformationen im zweiten Bericht beurteilte der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung als nicht erfüllt. Nachdem im vierten Staatenbericht nachgewiesen wurde, dass gelegentlich Anträge in Saterfriesisch gestellt wurden, bewertete der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung als teilweise erfüllt. In Ratssitzungen wird Deutsch gesprochen, weil nur 20  % der Ratsmitglieder Saterfriesisch beherrschen; somit ist die Verpflichtung nur formal erfüllt. Saterfriesischsprechende Angehörige des öffentlichen Dienstes werden nach Interpretation des Sachverständigenausschusses nicht ermuntert, sich ins angestammte Siedlungsgebiet versetzen zu lassen. Die Vorbereitung einer zweisprachigen Beschilderung im zweiten Staatenbericht ergab die teilweise, die Information über die Umsetzung schließlich die volle Erfüllung der Verpflichtung. Medien: Mit einem Projekt, das die regelmäßige Ausstrahlung saterfriesischer Radioprogramme bei dem privaten Sender Ems-Vechte-Welle durch finanzielle Unterstützung der Landesmedienanstalt ermöglicht, sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung mit dem zweiten Evaluationsbericht erfüllt, forderte aber weitere Informationen ein. Erst durch den dritten Staatenbericht erfuhr der Sachverständigenausschuss, dass der General-Anzeiger Rhauderfehn (ca. 10.830 Ex.) wöchentlich saterfriesische Artikel veröffentlicht. Somit galt die entsprechende Verpflichtung erst ab diesem Zeitpunkt als erfüllt, obwohl sie de facto schon im ersten Berichtszeitraum erfüllt war. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: In der Gemeinde Saterland ist vorwiegend der Seelter Buund e.V. (‚Heimatverein Saterland‘) mit Aktivitäten zur Pflege von Sprache und Kultur des Saterlandes befasst, u.a. konnte durch seinen Einsatz mit Unterstützung des Bundes der ehemalige Bahnhof der Gemeinde Scharrel gekauft werden, der zu einem saterfriesischen Kulturzentrum ausgebaut werden soll. Nachdem im zweiten Staatenbericht fehlende Informationen nachgereicht waren, galt die Verpflichtung als erfüllt. Das Land Niedersachsen stellt für Übersetzungen literarischer Werke im Rahmen der Literaturförderung Mittel zur Verfügung. An der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg ist die Arbeits-

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stelle Niederdeutsch und Saterfriesisch angesiedelt. Eine Beteiligung der Saterfriesen am jährlich vom Land Niedersachsen organisierten Landesfest, dem „Tag der Niedersachsen“, wurde angeregt. Die Universitätsbibliothek Oldenburg und die Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen verfügen über einen repräsentativen Bestand von rund 20 bis 30 Bänden saterfriesischer Literatur. Nachdem die Informationen über den Umfang im zweiten Staatenbericht nachgereicht waren, galt die Verpflichtung als erfüllt. Wirtschaftliches und soziales Leben: Dokumente in Saterfriesisch werden ohne Einschränkung nach dem geltenden Recht der BRD akzeptiert. Niedersachsen verpflichtet sich explizit dazu, zudem zur Förderung der friesischen Varietät als Familiensprache. Insbesondere durch die Aktivitäten des Seelter Bundes sieht der Sachverständigenausschuss die Verpflichtungen mit den Informationen im zweiten Staatenbericht als erfüllt an. Grenzüberschreitender Austausch: Mit der Durchführung einer Veranstaltung für das Niederdeutsche und Saterfriesische in Brüssel sah der Sachverständigenausschuss im vierten Evaluationsbericht die Verpflichtung auf Länderebene als zum Teil erfüllt, auf Bundesebene hingegen nicht.

2.3.5 Romanes Es ist davon auszugehen, dass die traditionell im deutschen Sprachraum siedelnde Volksgruppe der Sinti und Roma hier schon um 1.000 n.Chr. heimisch war. Das Nebeneinander zwischen Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft wird bis zum Zweiten Weltkrieg eher unproblematisch bewertet. In der NS-Zeit wurden die Sinti und Roma als ‚Zigeuner‘ verfolgt, deportiert und ermordet; über 500.000 Menschen (aus elf Ländern Europas) wurden zu Opfern des Holocaust. Die historischen Strukturen waren damit zu einem großen Teil zerstört. Das zur indoarischen Sprachfamilie gehörende, als Minderheitensprache geschützte Romanes wird von etwa 60.000 deutschsprachigen Sinti und von an die 10.000 deutschen Roma gesprochen. Die Mehrzahl der Volksgemeinschaft lebt heute in den Landeshauptstädten der alten Bundesländer, einschließlich Berlin und Umgebung, sowie in den dortigen Ballungsgebieten. Teilweise leben die deutschen Sinti und Roma auch in größerer Zahl in Regionen räumlich nicht weit voneinander entfernter kleinerer Städte. Besondere staatliche Gremien und Institutionen zum Schutz und zur Förderung des Romanes gibt es dem Wunsch der Volksgruppe entsprechend nicht. Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma mit neun angeschlossenen Landesverbänden sowie die 1999/2000 von Stammesvertretern gegründete Sinti Allianz Deutschland e.V. sprachen sich für einen Schutz nach Teil III aus, vonseiten der

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BRD war nur eine Anmeldung nach Teil II möglich. Begründet wurde dies mit der Streuung der deutschen Sinti und Roma und mit der Beschränkung der Sprachkenntnisse auf die Angehörigen der traditionellen Minderheit, damit verbunden mit der Ablehnung des Studiums der Sprache durch Außenstehende. Als einziges Bundesland bisher hat Hessen die Übernahme so vieler Verpflichtungen erklärt, dass mit dem zweiten Staatenbericht die Anmeldung nach Teil III möglich war, was der Sachverständigenausschuss als bedeutende politische Geste wertete. Gleichwohl zeigte sich, dass aufgrund des Wunsches der Minderheitensprecher, die Sprache nicht außerhalb der Gemeinschaft zu verbreiten, keine Anstrengungen hinsichtlich der grundlegenden Forderung nach Standardisierung und Kodifizierung unternommen werden konnten. Nach einer Gemeinsamen Erklärung der Bayerischen Staatsregierung und des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bayern vom 16.5.2007 strebt auch Bayern eine Anerkennung nach Teil III an. Bildung: Die Verwendung von Romanes im öffentlichen Schulsystem beschränkte sich bisher auf einzelne Projekte für deutsche und ausländische Roma-Kinder, die in größerer Zahl in räumlicher Nähe zusammenleben. Grundsätzlich problematisch ist die Uneinigkeit zwischen dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und anderen Vereinigungen darüber, ob das Romanes von Außenstehenden im staatlichen Bildungssystem gelehrt werden sollte, wobei die Anzahl der Lehrkräfte aus der Volksgemeinschaft den Bedarf nicht deckt. Ferner wird die Frage der Verschriftlichung kontrovers zwischen Sinti (contra) und Roma (pro) diskutiert. Nur wenige Bundesländer übernahmen Verpflichtungen im Bereich der Bildung, wobei nur Hessen nach Teil III gemeldet hat: Das Land Berlin übernahm schon im ersten Staatenbericht Pflichten nach Teil III der Charta von der vorschulischen bis zur beruflichen Ausbildung, die Umsetzung wird auf Wunsch des Landesverbandes der Deutschen Sinti und Roma Berlin-Brandenburg bis heute nicht betrieben. Hessen verpflichtete sich bei entsprechendem Bedarf auf das vorschulische und schulische Angebot; der neue Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von null bis zehn Jahren sollte auch auf das Romanes angewandt werden. Hamburg beschäftigt seit 1992 Sinti und Roma. Laut viertem Bericht stehen im Grund-, Haupt- und Realschulbereich sieben Roma und ein Sinti als Lehrer (ohne pädagogisches Staatsexamen) bzw. Sozialarbeiter zur Verfügung, die im Unterricht mitarbeiten, ein Angebot, das durchweg positiv wahrgenommen wird. Die Sinti Union Rheinland-Pfalz e.V. führt eine Hausaufgaben- und Ferienbetreuung durch, ein vergleichbares Angebot gibt es seit dem Schuljahr 2004/05 auch in Bayern. Seit 2001 bewilligt die Bundesregierung dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg finanzielle Mittel zur Einrichtung des „Referats Bildung“ in Kooperation mit dem Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma zur länderübergreifenden Aufgabe der

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Erarbeitung von Materialien für den ergänzenden Hausaufgaben- und Sprachenunterricht. In den Evaluations- und Staatenberichten wird kontrovers diskutiert, ob die Erklärung, bei Bedarf Angebote vorzuhalten, ausreichend für die Erfüllung der Verpflichtungen ist. Deutschland wies wiederholt darauf hin, dass die Charta nur im Einvernehmen mit den Betroffenen umgesetzt werden könne. Für die Erwachsenen- und Weiterbildung finanzierte der Bund mit 10 % Beteiligung des Standorts Baden-Württemberg das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Mit der Information über das Angebot eines Romanes-Kurses an der Volkshochschule Marburg im vierten Staatenbericht sieht der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung im Bereich Erwachsenenbildung teilweise erfüllt. Der Unterricht in Geschichte und Kultur der Volksgruppe sowie die Aus- und Weiterbildung von Lehrern gilt als Verpflichtung der BRD, umgesetzt ist sie in allen Ländern in unterschiedlicher Ausprägung in den Fächern Gesellschaftslehre, Geschichte und Sozialkunde. Bereits seit 1993 fördert die Freie und Hansestadt Hamburg mit Unterstützung des Instituts für Lehrerfortbildung die Ausbildung von Sinti und Roma, in Hessen ist das „Pädagogische Büro Nationale Minderheiten: Sinti und Roma“ in vergleichbarer Weise tätig. Lehrmaterialien und regelmäßige Präsentationen zur Sensibilisierung der Gesellschaft sind in den Staatenberichten dokumentiert. In Bezug auf die Aufsichtspflicht übernahmen nur Berlin und Hessen die Verpflichtung, wobei der Zentralrat nur eine Aufsicht in technischer und organisatorischer Hinsicht wünschte. Im zweiten Evaluationsbericht wurde für das Land Hessen festgestellt, dass keine der Verpflichtungen auch nur teilweise erfüllt war. Dem Land stehen zwar laut Evaluationsberichten einige grundsätzliche Hindernisse entgegen, in Bezug auf Umsetzungsmöglichkeiten wird Hessen aber auch als sehr wenig eigenaktiv eingeschätzt. Justizbehörden: Bei Gericht kann das Romanes gebraucht werden, wobei die Sinti und Roma aufgrund ihrer Geschichte im Gegensatz zu den Angehörigen anderer Minderheitensprachen nicht daran interessiert sind, öffentlich in Romanes zu kommunizieren. Der Sachverständigenausschuss respektiert diese Haltung. Für Hessen musste er im zweiten Evaluationsbericht konstatieren, dass keine der Verpflichtungen erfüllt war. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Urkunden können in Romanes vorgelegt, mündliche oder schriftliche Anträge bei örtlichen und regionalen Behörden gestellt werden, gegebenenfalls mit Übersetzung oder Dolmetscher. In Hessen wurde laut viertem Staatenbericht gelegentlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, was den Sachverständigenausschuss aber nicht überzeugen konnte, die Interpretation der rein formalen Erfüllung zu revidieren. In Ratsversammlungen ist Romanes in Hessen mit Beschluss der Landesregierung vom 14.7.1998 möglich, auf regionaler Ebene werden die kommunalen

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Spitzenverbände zum Gebrauch der Minderheitensprache ermutigt. Im Rahmen öffentlicher Dienstleistungen können Anträge in Romanes gestellt werden. Dem Wunsch von Angehörigen der Volksgruppe, die im öffentlichen Dienst tätig sind, in Gebieten, in denen Romanes praktiziert wird, eingesetzt zu werden, wird in Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein entsprochen. Medien: Entsprechend der Regelung im Landesmediengesetz des Landes Rheinland-Pfalz hat ein Mitglied des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. einen Sitz in der Versammlung der Landeszentrale für Medien und Kommunikation. Der Landesverband Niedersachsen der Sinti Allianz Deutschland betreibt seit 2000 eigenfinanziert im Hörfunk das Musik- und Kulturmagazin Latscho Dibes, das jeden dritten Sonntag im Monat subregional in Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg ausgestrahlt wird, wobei der Sachverständigenausschuss auch im vierten Evaluationsbericht für Hessen bei seiner Einschätzung bleibt, dass die Verpflichtung nicht erfüllt sei. Der RBB-Sender MultiKulti überträgt sonntags in Romanes südosteuropäischer Roma. Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen ist in Hessen und Rheinland-Pfalz subregional im Offenen Kanal möglich, von dieser Möglichkeit wird aber kein Gebrauch gemacht. Die Verpflichtung der Produktion und Verbreitung von audio- und audiovisuellen Werken außerhalb des Rundfunks wird durch die BRD mit der staatlichen Förderung des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma übernommen. Auf Deutsch publizieren der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und auch andere Roma-Organisationen regelmäßig Artikel und Stellungnahmen an die Presse und andere Adressaten, innerhalb von Organisationen der Minderheit auch in Romanes. Im Land Berlin wird durch die Romani Union Berlin/Brandenburg e.V. die mit Mitteln der Europäischen Kommission geförderte Zeitschrift Romano Lil mit Artikeln in Romanes und Deutsch herausgegeben. Finanzielle Hilfen für audiovisuelle Produkte in Romanes liegen in der Verantwortlichkeit des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma. Ebenso obliegt es dem Dokumentationszentrum, die Ausbildung von Personal zu unterstützen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma unterstützt kulturelle Veranstaltungen. 2003 veranstaltete der Romani Rat e.V. im Haus der Kulturen in Berlin ein Europäisches Festival der Musik der Roma und Sinti mit großem internationalen Ansehen. Seit 1990 gibt es in Berlin, finanziert durch den Senat, eine sozialpädagogische Beratungsstelle mit Mitarbeitern der Volksgruppe der Sinti. Die Hauptaufgaben gelten der Beratung und Betreuung bei Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen für NS-Opfer der nationalen Minderheit und Veranstaltungen über Sinti und Roma zur Information und zum Abbau von Vorurteilen. Seit 1993 wird das Kulturzentrum Werkstatt der Kulturen (WdK) gefördert, in dem auch die beiden Sinti und

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Roma-Vereinigungen des Landes engagiert sind. Hamburg gewährt durch die Kulturbehörde Kulturinitiativen, Künstlerinnen und Künstlern von Minderheiten eine Förderung für Sinti und Roma, bisher gab es allerdings nur wenige Nachfragen. Ähnlich äußern sich Hessen und Niedersachsen; für Hessen gilt mit dem zweiten Evaluationsbericht die Verpflichtung als teilweise erfüllt. Im Jahr 2002 wurde in Frankfurt am Main das erste Roma- und Sinti-Symphonie-Orchester gegründet, das außerordentlich erfolgreich im In- und Ausland ist. Das Land Nordrhein-Westfalen fördert das in Romanes spielende Theater Pralipe in Mühlheim an der Ruhr mit internationalem Renommee. Rheinland-Pfalz unterstützt das regelmäßig in Landau stattfindende Sinti und Roma-Festival Aven. Die Landesförderung der Geschäfts- und Beratungsstelle des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma e.V. in Kiel organisiert Fachtagungen nationaler Minderheiten und Volksgruppen des Landes. Dieser beteiligt sich auch an dem alle zwei Jahre stattfindenden Schleswig-Holstein-Tag; er ist seit 1995 Mitglied im Landeskuratorium Schleswig-Holstein-Tag. Mit der Förderung des Kultur- und Dokumentationszentrums deutscher Sinti und Roma kommen der Bund, das Land Baden-Württemberg, aber auch Hessen der entsprechenden Verpflichtung nach, ebenso wie der Verpflichtung zur Schaffung von Archivierungsmöglichkeiten. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen der Sinti und Roma bedürfen im Rahmen der bestehenden Gesetze keiner Genehmigungspflicht. 2009 organisierte die Sinti Union Rheinland-Pfalz e.V. in Mendig eine grenzüberschreitende Kulturveranstaltung. Das Auswärtige Amt förderte die Ausstellung „The Holocaust against the Sinti and Roma and present day racism in Europe“ in New York. ‒ Vergleichbar mit dem Befund für das Niederdeutsche liegen die Stärken der Länder, wohlgemerkt aus anderen Gründen, in diesem Bereich. Wirtschaftliches und soziales Leben: Die das wirtschaftliche und soziale Leben betreffenden Verpflichtungen gelten nach Rechtslage der BRD als erfüllt. Mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 galt für Hessen die Verpflichtung, Praktiken entgegenzutreten, die den Gebrauch des Romanes behindern sollten, als erfüllt. Laut viertem Staatenbericht konnte intensive Aufklärungsarbeit gegenüber einem bundesweit ausstrahlenden Privatsender wegen stigmatisierender Sendungen über Sinti und Roma geführt werden. Grenzüberschreitender Austausch: Den Bestimmungen zum grenzüberschreitendem Austausch wird insbesondere durch die Zusammenarbeit des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma mit Roma-Organisationen mehrerer europäischer Staaten nachgekommen. Für das Land Hessen sieht der Sachverständigenausschuss mit dem dritten Evaluationsbericht die Verpflichtung allerdings als nicht erfüllt an.

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3 Bewertung Die Implementierung der Charta zeigt insbesondere in den nördlichen Bundesländern Wirkung. Ein Fortschritt ist unverkennbar, wenn auch nicht für alle Sprachen in allen Bereichen. Die Kommunikation zwischen den Gremien der Bundesländer und dem Sachverständigenausschuss ist rege und erweist sich grundsätzlich als fruchtbar. Auch die Sprachverbände der Regional- und Minderheitensprachen bewerten die Folgen der Charta grundsätzlich als positiv, gleichzeitig wird aber ein größeres Engagement auf allen Ebenen gefordert. Die Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf die Regional- und Minderheitensprachen wurde kontinuierlich ausgebaut. Das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit spiegelt sich in der Annahme informierender und Hilfe stellender Handreichungen wider, wie der Broschüre des Bundesministeriums des Innern „Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland“ (1. Aufl. 2008, 3. Aufl. 2010) und der Nutzung mehrerer, unterschiedlich gut aufbereiteter Web-Seiten. Lobend hervorzuheben ist das Engagement im Bereich der Kultur. Kritik ist eng mit den Sparzwängen des Bundes und der Länder verbunden zu sehen: Begrenzte Haushaltmittel koinzidieren oft mit Sprechern in strukturschwachen Gebieten, niedrigen Geburtenzahlen und negativen Wanderungsbilanzen, was wiederum zu einer rückläufigen Nachfrage führt. Leider sind die Informationen der Länder in den Staatenberichten häufig sehr heterogen. Seit der Implementierung zeigen sich die folgenden vier Problembereiche: 1. Da die Verpflichtungen gemäß der Charta den Ländern und nicht dem Bund unterliegen, bleibt es nicht aus, dass sie unterschiedlich interpretiert und gewichtet werden. 2. Das Ministerkomitee fordert wiederholt für mehrere Verpflichtungen einen gesetzlichen Rahmen. Diese Forderung wird von Deutschland in vielen Fällen für die Erfüllung der Verpflichtung als redundant erachtet und zurückgewiesen; ein Konsens ist nicht in Sicht. 3. Gerade in den Bereichen Justiz- und Verwaltungsbehörden sieht der Sachverständigenausschuss Verpflichtungen öfters als nur formal erfüllt. In den Staatenberichten wird diesbezüglich wiederholt auf die Problematik von Angebot und Nachfrage hingewiesen. 4. Auch im Bereich Medien zeigt sich eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen dem Ministerkomitee, das die Produktion und Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehsendungen, audio- und audiovisuellem Material sowie Printmedien aktiv gefördert sehen möchte, und der BRD, die die Meinungs-, Rundfunk- und Pressefreiheit als zentralen Bestandteil im Grundgesetz verankert hat. Knapp zusammenfassend lässt sich sagen: Das Dänische funktioniert als Minderheitensprache. Für das Niederdeutsche ist zwischen den einzelnen Bundesländern zu differenzieren. Der Bundesraat för Nedderdüütsch mahnt 2009 zur zehnjährigen Existenz der Charta zu Recht an, dass sie in Brandenburg, Nord-

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rhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt bisher nahezu ohne Wirkung geblieben sei. Allerdings erfährt das Niederdeutsche gerade, trotz fehlender Verankerung in den Lehrplänen, einen Auftrieb, sei es in Bezug auf die Wahrnehmung, den Gebrauch und auch die Erforschung. Als extrem gefährdet gelten die Sprachen Niedersorbisch und Nordfriesisch und insbesondere Saterfriesisch, für das auch Regelungen zur Förderung und zum Schutz in der Verfassung des Landes Niedersachsen fehlen. Hier ist eigentlich sofortiger Handlungsbedarf gefordert. Allerdings ist die Relation von Angebot und Nachfrage problematisch. Auch das Obersorbische gilt seit dem dritten Berichtszeitraum durch massive Auswanderungen und eine rückgängige Geburtenrate als gefährdet. Das Romanes erweist sich insofern als besonderes Problem, als hier die unterschiedlichen Interessen der Charta, Deutschlands und einzelner Gruppen der Angehörigen der Minderheitensprache aufeinander stoßen.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique de l’Allemagne, 20.11.2000. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique de l’Allemagne, 2.4.2004. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique de l’Allemagne (avec Addendum 1 et 2), 27.2.2007 [= 3. Staatenbericht] Rapport périodique de l’Allemagne, 7.6.2010. [= 4. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 5.7.2002. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 16.6.2005. [= 2. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 3.4.2008. [= 3. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 2.12.2011. [= 4. Evaluationsbericht] Recommandation du Comité des Ministres, 4.12.2002. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 1.3.2006.[= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 9.7.2008.[= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 25.5.2011. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 4. Evaluationsberichtes] „Zweites Gesetz zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates vom 5. November 1992“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) II, Nr. 36: 2450.

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4.1.2 Weitere Quellen Bayrische Staatsregierung/Verband Deutscher Sinti und Roma: Gemeinsame Erklärung der Bayerischen Staatsregierung und des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bayern, 16.5.2007. Bezirkstag Cottbus: „Beschluss Nr 15/77“. In: Mitteilungsblatt des Bezirkstages Cottbus, 5.1.1977. Bundesrepublik Deutschland: „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) I/1949, 23.5.1949: 1–19. Bundesrepublik Deutschland/Königreich Dänemark: Bonn-Kopenhagener Erklärungen, 29.3.1955. Bundesrepublik Deutschland/Deutsche Demokratische Republik: „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag)“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) II/1990, 31.8.1990: 885ff. Deutscher Bundestag: „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, 14.8.2006: 1897ff. Deutschland/Alliierte und Assoziierte Mächte: „Friedensvertrag von Versaille“. In: Reichsgesetzblatt 1919, 10.1.1920: 701ff. Landtag Baden-Württemberg: „Verfassung des Landes Baden-Württemberg“. In: Gesetzblatt (GBl.), 11.11.1953: 173ff. Landtag Baden-Württemberg: „Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg (LVwVfG)“. In: Gesetzblatt (GBl.) 2005: 350. Landtag Bayern: „Verfassung des Freistaates Bayern“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.), 2.12.1946: 333. Landtag Bayern: „Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG)“. In: Bayrische Rechtssammlung (BayRS) II: 213. Landtag Berlin: „Verfassung von Berlin“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.), 29.11.1995 (Neufassung): 779. Landtag Berlin: „Gesetz über das Verfahren der Berliner Verwaltung (BlnVwVfG)“. In: Gesetzund Verordnungsblatt (GVBl.) 1976: 2735, 2898. Landtag Brandenburg: „Verfassung des Landes Brandenburg“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/1992, Nr. 18, 20.8.1992: 298ff. Landtag Brandenburg: „Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg (Sorben[Wenden]-Gesetz – SWG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/1994, Nr. 21, 7.7.1994: 294ff. Landtag Brandenburg: „Brandenburgisches Schulgesetz (BgBSchulG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/1996, Nr. 9, 12.4.1996: 102ff. Landtag Brandenburg: „Zweites Gesetz zur Ausführung des Achten Buches des Sozialgesetzbuches – Kinder- und Jugendhilfe – (Kindertagesstättengesetz Brandenburg – KitaG, i. d. F. d. Bek. vom 27.7.2004)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/2004, Nr. 16, 27.6.2004 (mehrfach geändert): 384. Landtag Brandenburg: „Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg (VwVfGBbg)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/2004: 78. Landtag Bremen: „Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen.“ In: Bremer Gesetzblatt (BremGBl.), 21.10.1947: 251.

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Landtag Bremen: „Bremisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BremVwVfG)“. In: Bremer Gesetzblatt (Brem.GBl.) 2003: 219. Landtag Hamburg: „Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg“. In: Hamburger Gesetzund Verordnungsblatt (HmbGVBl.), 6.6.1952 (Neufassung): 117. Landtag Hamburg: „Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HmbVwVfG)“. In: Hamburger Gesetz- und Verordnungsblatt (HmbGVBl.) 1977: 333. Landtag Hessen: „Verfassung des Landes Hessen“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) II/10-1, 1.12.1946: 229. Landtag Hessen: Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren, März/2004. Landtag Hessen: „Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/2005: 591. Landtag Mecklenburg-Vorpommern: „Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern“. In Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Mecklenburg-Vorpommern (GVBl. M-V) 1993, vorläufig in Kraft getreten am 23.5.1993, endgültig in Kraft getreten am 15.11.1994: 372ff. Landtag Mecklenburg-Vorpommern: „Verwaltungsverfahrens-, Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landesverwaltungsverfahrensgesetz, VwVfG M-V)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt Mecklenburg-Vorpommern (GVBl. M-V) 2004: 106. Landtag Niedersachsen: „Niedersächsische Verfassung“. In: Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (Nds. GVBl.) 1993,19.5.1993: 107. Landtag Niedersachsen: „Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG)“. In: Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (Nds. GVBl.) 1976: 311. Landtag Nordrhein-Westfalen: „Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen (GV NRW), 28.6.1950: 127. Landtag Nordrhein-Westfalen: „Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen (GV. NRW) 1999: 602. Landtag Nordrhein-Westfalen: Gesetz zur Änderung und Aufhebung haushaltswirksamer Landesgesetze (Haushaltsbegleitgesetz 2002), 13/25, 1.1.2002. Landtag Rheinland-Pfalz: „Verfassung für Rheinland-Pfalz“. In: Verordnungsblatt (VOBl.), 18.5.1947: 209. Landtag Rheinland-Pfalz: „Landesverwaltungsverfahrensgesetz (LVwVfG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 1976: 308. Landtag Rheinland-Pfalz: „Landesmediengesetz (LMG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.), 4.2.2005: 23ff. Landtag Saarland: „Verfassung des Saarlandes“. In: Amtsblatt, 15.12.1947: 1077. Landtag Saarland: „Saarländisches Verwaltungsverfahrensgesetz (SVwVfG)“. In: Amtsblatt 1976: 1151. Landtag Sachsen: „Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG)“. In: Sächsisches Gesetzund Verordnungsblatt (SächsGVBl.), 3.7.1991: 213ff. Landtag Sachsen: „Verfassung des Freistaates Sachsen“. In: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (SächsGVBl.) 1992, 27.5.1992: 243ff. Landtag Sachsen: „Verwaltungsverfahrensgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsVwVfG)“. In: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (SächsGVBl.) 2003: 614. Landtag Sachsen: „Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sorbengesetz – SächsSorbG)“. In: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (SächsGVBl.), 31.3.1999 (rechtsbereinigt mit Stand vom 1.8.2008): 161.

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Landtag Sachsen: „Sächsisches Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (Gesetz über Kindertageseinrichtungen – SächsKitaG; i.d.F. d. Bek. vom 15.05.2009)“. In: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt (SächsGVBl.) 2009, Nr. 6: 225. Landtag Sachsen-Anhalt: „Gesetz zu dem Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 19. November 1991“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 1991, Nr. 29, 19.11.1991: 635. Landtag Sachsen-Anhalt: „Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt“. In Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Sachsen-Anhalt (GVBl. LSA), 16.7.1992: 600ff. Landtag Sachsen-Anhalt: „Verwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt (VwVfG LSA)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Sachsen-Anhalt (GVBl. LSA) 2005: 698–699. Landtag Schleswig-Holstein: „Erklärung der Landesregierung Schleswig-Holsteins über die Stellung der dänischen Minderheit (Kieler Erklärung)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.), 26.9.1949: 183ff. Landtag Schleswig-Holstein: „Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Juni 1990“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 2008, Nr. 9, 13.6.1990: 223–231. Landtag Schleswig-Holstein: „Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflegestellen (Kindertagesstättengesetz, KiTaG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 1991, Nr 25, 12.12.1991 (mehrfach geändert): 651. Landtag Schleswig-Holstein: „Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz, LVwG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 1992: 243, 534. Landtag Schleswig-Holstein: „Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz – LVwG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 1992, Nr. 12, 2.6.1992: 243ff. Landtag Schleswig-Holstein: „Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum (Friesisch-Gesetz – FriesischG)“. In: Sammlung des Schleswig-Holsteinischen Landesrechts (GS Schl.-H.) II, Gl.NR. 188–1, 13.12.2004. Landtag Thüringen: „Verfassung des Freistaates Thüringen“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.), 25.10.1993: 625. Landtag Thüringen: „Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz (ThürVwVfG)“. In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) 2005: 32.

4.2 Literatur Hinderling, Robert / Eichinger, Ludwig M. (Hrsg.): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, Tübingen: Narr 1996. Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Wirrer, Jan (Hrsg.): Minderheiten- und Regionalsprachen in Europa, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000. Goebl, Hans / Nelde, Peter H. / Stary, Zdenek / Wölck, Wolfgang (Hrsg.): Kontaktlinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Berlin/NewYork: de Gruyter 1996–1997. [= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 12, 1–2]

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4.3 Maßnahmenkatalog Da die BRD von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, einen eigenen Maßnahmenkatalog für jede der geschützten Sprachen in jedem Bundesland zu wählen, kann dieser hier aus Platzgründen nicht angegeben werden. Der vollständige Maßnahmenkatalog kann jedoch auf den Seiten des Europarats zur Charta (http://www.coe.int/t/dg4/education/minlang/) im Bereich „Declarations and reservations“ eingesehen werden.

Pirkko Nuolijärvi (Helsinki)

Finnland (Suomen tasavalta/ Republiken Finland) 1 Vorgeschichte Das Gebiet des heutigen Finnland war seit etwa dem 12. Jahrhundert bis 1809 ein organischer Teil Schwedens. Als Verwaltungssprache diente im Wesentlichen die schwedische Sprache, doch blieb das Finnische die Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung. 1809 wurde Finnland an Russland abgetreten, unter dessen Herrschaft sich im Land eine eigene nationale Identität entwickelte. Nach der Bildung des Großfürstentums Finnland unter der russischen Krone bewahrte sich das Schwedische seine Position als Amts- und Verwaltungssprache, daneben wurde aber auch die finnische Sprache schrittweise zur zweiten Amtssprache (Beijar u.a. 2000, 11–27). Im Jahr 1917 erlangte Finnland die staatliche Unabhängigkeit. Die Verfassung von 1919, die bis 2000 gültig war, verfügte die Gleichrangigkeit der beiden Landessprachen, Finnisch und Schwedisch. Auch die neue Verfassung, die am 1.3.2000 in Kraft trat, schreibt den Status von Finnisch und Schwedisch als die beiden Landessprachen Finnlands fort. Die öffentliche Gewalt hat, ausgehend vom Grundsatz der Gleichbehandlung, für die kulturellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der finnisch- und der schwedischsprachigen Bevölkerung Sorge zu tragen (Suomen perustuslaki/Finlands grundlag 731/1999). Die schwedischsprachige Bevölkerung wird somit nicht als eine nationale Minderheit betrachtet, obwohl die Bevölkerung de facto eine Minderheit ist. Das 1922 erstmals verabschiedete Sprachgesetz ist in der Folge verschiedentlich reformiert worden, zuletzt 2003 (Kielilaki/Språklag 423/2003). Die heutige Situation ist das Ergebnis einer Entwicklung, die vor mehr als 150 Jahren ihren Ausgang nahm und untrennbar mit der politischen Entwicklung des Landes verbunden ist. Die Kernregelungen des Gesetzes betreffen einerseits die Rechte des einzelnen Individuums, andererseits den Sprachstatus der Kommunen als Verwaltungseinheiten (vgl. McRae 1999). Landesweit geben 90,7 % der Bevölkerung Finnisch und 5,4 % Schwedisch als ihre Muttersprache an (Statistical Yearbook of Finland 2010). Die schwedischsprachige Bevölkerung konzentriert sich v.a. auf die Küstenregionen im Süden und in Westfinnland in Ostbottnien sowie auf die Provinz Åland. Nach dem Sprachgesetz ist jede Kommune entweder finnischsprachig, schwedischsprachig oder zweisprachig. Eine Kommune gilt als zweisprachig, wenn die sprachliche

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 Pirkko Nuolijärvi

Minderheit einen Bevölkerungsanteil von mindestens 8  % hat oder alternativ von mindestens 3.000 Einwohnern repräsentiert wird. Nach der derzeitigen kommunalen Einteilung (2011) sind in Finnland 19 Kommunen schwedischsprachig (davon 16 in der Provinz Åland) und 30 Kommunen zweisprachig. Die übrigen 287 Kommunen sind finnischsprachig. Das samische Sprachgesetz (Saamen kielilaki 1086/2003) garantiert die Rechte der samischen Volksgruppe in Finnland. Die Samen haben ihr Siedlungsgebiet in den nördlichen Regionen der finnischen Provinz Lappland. Die samischen Sprachen, zu denen die eigenständigen Sprachen Nord-Sami, Inari-Sami und Skolt-Sami zählen, werden heute noch von etwa 1832 finnischen Samen als Muttersprache gesprochen und haben offiziellen Status in den Kommunen Enontekiö, Inari und Utsjoki sowie im Nordteil der Kommune Sodankylä. Zur Überwachung der Stellung der samischen Sprachen und zur Verwirklichung einer sprachlichen und kulturellen Selbstverwaltung wurde 1996 eine eigene parlamentarische Vertretung der Samen (Sámediggi) gegründet. Seit etwa 500 Jahren sind kleinere Gruppen von Roma in Finnland ansässig, deren Sprache heute als finnisches Romanes bezeichnet wird. Auch die karelische Sprache, eine dem Finnischen nah verwandte Sprache, gehört zu den alten Sprachen Finnlands. Darüber hinaus leben heute etwa 800 Tataren im Land, deren Sprache Tatarisch ist und deren Vorfahren zwischen 1870 und 1920 aus Russland nach Finnland kamen. Durch Zuwanderung aus dem Ausland sind heute auch zahlreiche andere Ethnien in Finnland vertreten, ohne allerdings einen besonderen Status zu genießen. Die am meisten gebrauchten Sprachen (außer Finnisch und Schwedisch) sind Russisch, Estnisch, Somalisch, Englisch und Arabisch (Statistical Yearbook of Finland 2010). Die Russen in Finnland stellen mit fast 54.000 Sprechern die größte sprachliche Minderheit des Landes. Zu ihnen gehören auch zahlreiche finnischstämmige Zuwanderer aus Karelien und dem Ingermanland, denen seit den 1990er Jahren das Recht auf „Rückkehr“ nach Finnland zugestanden wird. Finnland trat am 5.5.1989 dem Europarat bei und nahm 1993 Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) auf. Nur zwei Jahre später, 1995, wurde Finnland in die Europäische Union (EU) aufgenommen.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Finnland unterzeichnete die Charta am 5.11.1992 und ratifizierte sie am 9.11.1994, woraufhin sie am 1.3.1998 in Kraft trat. Finnland reichte den ersten Staatenbericht am 10.3.1999 ein. Im Februar 2000 besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das Land. Auf der Grundlage des Evaluationsberichts vom 9.2.2001 erstellte das Ministerkomitee am 19.9.2001 seine ersten Empfehlungen. Der zweite Staatenbericht wurde am 31.12.2002 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss Finnland ein zweites Mal besuchte und den entsprechenden Bericht am 24.3.2004 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 20.10.2004. Der dritte Staatenbericht wurde am 13.3.2006 vorgelegt. Der Sachverständigenausschuss besuchte Finnland ein drittes Mal und übergab seinen Bericht am 30.3.2007, das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 21.11.2007. Am 30.9.2010 erstattete Finnland den vierten Staatenbericht, und im Dezember 2010 besuchte der Sachverständigenausschuss das Land. Die Veröffentlichung des Berichts des Sachverständigenausschusses und der Empfehlungen des Ministerkomitees stehen noch aus (Stand: Dezember 2011).

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von den entsprechenden Regierungsstellen unter Berücksichtigung folgender staatlicher Institutionen und Minderheitenorgane erstellt: – Kotimaisten kielten tutkimuskeskus/Forskningscentralen för de inhemska språken („Forschungsinstitut für die Landessprachen Finnlands“) – Sámediggi („Samisches Parlament“) – Svenska Finlands folkting („Schwedisches Parlament in Finnland“) – Romaniasiain neuvottelukunta („Beraterkommission für Roma-Angelegenheiten“) – Suomen Islam-seurakunta/Finlandiya Islam Cemaati („Finnische Islamische Gemeinde“)

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Venäläinen kulttuuridemokraattinen liitto („Russischer kulturdemokratischer Bund“) Finnish Bureau for Lesser Used Languages („Finnisches Büro für Sprachminderheiten“, FIBLUL)

Der zweite Staatenbericht nennt zusätzlich: – Suomen Venäjänkielisten Yhdistysten Liitto („Finnischer Bund russischsprachiger Vereine“) – Helsingin juutalainen seurakunta („Jüdische Gemeinde Helsinki“) Der dritte Staatenbericht nennt zusätzlich: – Karjalan kielen seura („Karelische Gesellschaft“) Der vierte Staatenbericht nennt zusätzlich: – Svenska kulturfonden („Schwedische Kulturstiftung in Finnland“)

2.2 Sprachen und Sprachensituation Die finnische Sprachgesetzgebung folgt im Wesentlichen drei Prinzipien: Dem Individualprinzip, dem Territorialprinzip und dem Prinzip kollektiver Rechte. Gemäß dem ersten Prinzip kann und muss jeder Bürger selbst seine sprachliche Identität wählen. Auf staatlicher Ebene bedeutet dies, dass jeder das Recht hat, vor Gericht und im Umgang mit Behörden die eigene Sprache zu benutzen und in ihr angesprochen zu werden. Das zweite Prinzip, das Territorialprinzip, wird auf den Åland-Inseln angewandt. Die Åland-Inseln sind dem Status nach und unabhängig von der Anzahl registrierter Finnischsprecher schwedischsprachig. Das Prinzip der kollektiven Rechte gilt in Bezug auf die Samen. Sie genießen als Urbevölkerung Lapplands das Recht, sich in den nördlichsten Kommunen im Umgang mit den Behörden des Samischen zu bedienen (Saari 2000). Mit der Ratifizierung der Charta hat die Republik Finnland zwei Minderheitensprachen anerkannt: Das Schwedische und das Samische. Die schwedische Sprache gilt dabei als weniger gebrauchte Amtssprache. Die drei samischen Sprachen sind regionale Minderheitensprachen im Norden der Provinz Lappland. Finnland hat sich in Teil III (Art. 8–14) zur Einhaltung von 65 Klauseln für die schwedische Sprache und von 59 Klauseln für die samischen Sprachen verpflichtet. Dem Schutz durch Teil II (Art. 7) sollen dem Ratifikationsinstrument von 1994 zufolge die Sprache der Gemeinschaft der Roma, das Romanes, sowie mutatis mutandis die weiteren nicht-territorialen Sprachen Finnlands unterstellt werden. 2009 modifizierte Finnland die Erklärung und ergänzte das Karelische.

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Im ersten Staatenbericht berücksichtigte Finnland unter Teil III das Schwedische und die samischen Sprachen und machte unter Teil II Angaben zum Romanes sowie zum Russischen. Erst in den folgenden Staatenberichten wurden auch das Karelische und das Jiddische mit einbezogen.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Schwedisch Im ersten Staatenbericht gibt Finnland genaue Auskunft über die Sprachgesetzgebung und die Situation der schwedischsprachigen Bevölkerung. Laut den Angaben der folgenden Berichte gingen die Sprecherzahlen nur leicht zurück: So gaben landesweit 5,4 % (290.392 Personen) der Bevölkerung Schwedisch als Muttersprache an (Statistical Yearbook of Finland 2010). Geographisch konzentriert sich die Minderheit vor allem auf die Küstenregionen im Süden und im westfinnischen Ostbottnien (Pohjanmaa/Österbotten) sowie auf die Provinz Åland, die offiziell schwedischsprachig ist. Bildung: Beginnend mit dem ersten Staatenbericht gibt Finnland an, dass die schwedischsprachige Volksgruppe von der vorschulischen Erziehung bis zur Universität über ein eigenes Bildungssystem verfügt. So habe es 2007 insgesamt 286 schwedischsprachige Schulen (Klassen 1–9) mit 32.000 Schülern und 32 gymnasiale Oberstufen (2004 waren es 36) mit 6.300 Schülern gegeben. Das Schwedische sei Pflichtfach für finnischsprachige Schüler, seit 2004 allerdings nicht mehr im Abitur. Es gebe ferner zwei schwedischsprachige Universitäten, Åbo Akademi und Svenska handelshögskolan Hanken. Die Universität Helsinki, die Aalto Universität und Kunstakademien wie z.B. die Sibelius-Akatemia sind zweisprachig, und an allen finnischen Universitäten gebe es die Möglichkeit, das Schwedische zu studieren. Auch einige Berufsschulen und Fachhochschulen seien schwedischsprachig. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich mit dem geltenden Bildungssystem bereits in seinem ersten Bericht insgesamt zufrieden, empfahl jedoch, regelmäßig Bericht über die konkrete Anwendung abzulegen. Diese Empfehlung wurde auch im zweiten Evaluationsbericht wiederholt. Justizbehörden: Bereits im ersten Staatenbericht räumte Finnland ein, dass die Justizbehörden nicht über die erforderlichen Ressourcen zur praktischen Umsetzung der Verpflichtungen verfügten. Daraufhin empfahl der Sachverständigenausschuss in seinen Berichten seither nachdrücklich, die Schwedischkompetenz des Personals zu verbessern und insbesondere die Anzahl von entsprechend ausgebildeten Richtern zu erhöhen.

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Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Im ersten Staatenbericht gab Finnland an, dass die Verwaltungsbehörden in den zweisprachigen Gebieten sich in allen Belangen mündlich und schriftlich der beiden offiziellen Sprachen bedienten. Wie auch hinsichtlich der Justizbehörden räumten die Berichte jedoch ein, dass eine Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und praktischer Umsetzung bestehe, weshalb der Sachverständigenausschuss auch hier konkrete Maßnahmen zur sprachlichen Aus- und Weiterbildung des Personals forderte. Wiederholt schloss sich auch das Ministerkomitee mit der Empfehlung an, die rechtlich zugesicherte Zweisprachigkeit durchzusetzen und den Gebrauch des Schwedischen zu ermöglichen. Zuletzt machte Finnland eine Vielzahl an Angaben zur Analyse und Verbesserung der Situation: So lege die finnische Regierung dem Parlament in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die praktische Umsetzung der Gesetzgebung (zuletzt: Report of the Government on the application of language legislation 2009) vor; ferner werde die Entwicklung in den zweisprachigen Kommunen durch einen Sprachbarometer verfolgt. Konkret seien Verbesserungen der Sprachkenntnisse bei der Staatsanwaltschaft, der Polizei und anderer Behörden gemäß den Empfehlungen des Ministerkomitees erzielt worden. Medien: In allen Staatenberichten beschreibt Finnland ausführlich die Situation der schwedischsprachigen Massenmedien. So gebe es zehn schwedischsprachige Tageszeitungen, außerdem erscheine eine ganze Reihe schwedischsprachiger Zeitschriften und Publikationen. Der Finnische Rundfunk (YLE/FST) sei von Beginn an zweisprachig gewesen, wobei der Anteil schwedischsprachiger Sendungen zuletzt noch erhöht worden sei. Seit 2007 sei der schwedischsprachige Fernsehsender FST5 im ganzen Land empfangbar. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich zufrieden mit der Umsetzung der Bestimmungen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Finnland gibt seit dem ersten Staatenbericht an, dass das Angebot schwedischsprachiger kultureller Tätigkeiten und Einrichtungen stabil und vielseitig sei. Finnischsprachige und schwedischsprachige Kultur würden in Finnland gleichberechtigt behandelt und finanziert. Dies gelte für Theater, Musik, Kunst, Literatur, Kulturorgane, Vereine usw. Der Sachverständigenausschuss bezeichnete die Situation in seinen Berichten daraufhin als zufriedenstellend. Wirtschaftliches und soziales Leben: Finnland räumte in seinen Berichten Mängel in der praktischen Umsetzung der Verpflichtungen ein, wobei sich die Situation je nach Kommune unterschiedlich gestalte. Aus den Berichten des Sachverständigenausschusses über zahlreiche Fälle, in denen Dienstleistungen nur auf Finnisch erbracht werden könnten, leitete das Ministerkomitee die Empfehlung ab, Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Situation zu ergreifen.

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Grenzüberschreitender Austausch: Finnland listete in seinen Staatenberichten zahlreiche Vereinbarungen, Konventionen und Deklarationen über Kooperationen zwischen den skandinavischen Ländern, insbesondere im Bereich der Bildung, der Sprachpflege und der Forschung, auf. Der Sachverständigenausschuss sieht die Verpflichtungen daher als erfüllt an.

2.3.2 Samische Sprachen Die Samen haben ihr Siedlungsgebiet in den nördlichen Regionen Lapplands. Die in Finnland gebrauchten samischen Sprachen, Nord-Sami, Inari-Sami und Skolt-Sami, werden heute noch von etwa 1.832 finnischen Samen als Muttersprache gesprochen und haben einen offiziellen Status in den Kommunen Enontekiö, Inari und Utsjoki sowie im Nordteil der Kommune Sodankylä. Es leben aber auch Samen in manchen anderen Gegenden, so wohnen etwa 1.000 Samen in Helsinki. Die samischen Sprachen werden in Finnland durch ein eigenes Sprachgesetz geschützt (Samisches Sprachgesetz 1086/2003). Aus den Staatenberichten geht hervor, dass v.a. Inari-Sami und Skolt-Sami als kleine Sprachgemeinschaften ernsthaft gefährdete Sprachen sind. Das Ministerkomitee empfahl daher in sämtlichen Berichtszyklen, Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Situation der Samen zu ergreifen. Bildung: In seiner Stellungnahme zum ersten Staatenbericht Finnlands empfahl der Sachverständigenausschuss, den Status der samischen Sprachen im Bildungsbereich sicherzustellen und hob besonders die Rolle von Vor- und Grundschulen hervor. Der Sachverständigenausschuss empfahl ferner, in der gymnasialen Oberstufe Sprachunterricht in Skolt-Sami anzubieten und den samischsprachigen Unterricht auf die Berufsausbildung auszuweiten. Von Seiten der finnischen Regierung sei die Ausbildung von Lehrpersonal stärker zu fördern. Das Ministerkomitee empfahl Finnland daraufhin unmittelbare Maßnahmen zur Verstärkung des Unterrichts in Inari-Sami und Skolt-Sami, spezielle Maßnahmen zur Stärkung der vorschulischen Erziehung und des Schulunterrichts sowie die Ausbildung von Lehrpersonal und die Bereitstellung von Lehrmaterial. In seinem zweiten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss den finnischen Behörden, konkrete Maßnahmen zur Sicherstellung des Vorschulunterrichtes in den drei samischen Sprachen zu ergreifen. Das Ministerkomitee schloss sich der Empfehlung an. Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee wiederholten ihre Empfehlungen auch im dritten Bericht und forderten darüber hinaus dazu auf, entsprechende Mittel im Finanzetat bereitzustellen und die Sprachnester für Inari- und Skolt-Sami auf Dauer zu etablieren. Finnland kündigte daraufhin an, bis 2011 ein umfassendes Revitalisierungsprogramm für die samischen Sprachen vorzulegen.

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Justizbehörden: Wie die Staatenberichte darstellen und die Sprachgesetzgebung zeigt, haben die Samen in Finnland– hauptsächlich im samischen Siedlungsgebiet – das Recht, vor Gericht und im Umgang mit anderen Behörden die eigene Sprache zu benutzen und in ihr angesprochen zu werden. Die Situation wurde bislang nicht systematisch beobachtet. Zwar existieren die erforderlichen Formulare heute in allen samischen Sprachen, doch ist der mündliche Gebrauch des Samischen im Umgang mit den Justizbehörden nicht immer möglich. Dennoch regte der Sachverständigenausschuss dazu an, zum Gebrauch der samischen Sprachen zu motivieren. Das Ministerkomitee schloss sich dieser Empfehlung an und stellte bereits in seinen ersten Empfehlungen 2001 fest, dass für behördliches Personal Samischunterricht nötig sei. Laut den letzten Staatenberichten organisieren die Behörden in Lappland seit einigen Jahren Sprachkurse für ihre Mitarbeiter. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: In seinen Staatenberichten stellte Finnland dar, dass sich die öffentliche Verwaltung im samischen Gebiet und in einigen staatlichen Verwaltungsbehörden mündlich und schriftlich auch des Samischen bedienen müsste. Es komme aber vor, dass amtliche Schriftstücke nur auf Finnisch vorhanden sind. Der Sachverständigenausschuss stellte seinerseits fest, dass bei staatlichen Dienstleistungen zwar Samisch gedolmetscht werde, nicht aber in der kommunalen Verwaltung. Das Ministerkomitee empfahl im zweiten und dritten Berichtszyklus, Finnland solle den Gebrauch der samischen Sprachen auf die gesamte öffentliche Verwaltung im samischen Siedlungsgebiet ausweiten, die rechtlich zugesicherte Mehrsprachigkeit im Siedlungsgebiet durchsetzen sowie soziale Dienstleistungen und Gesundheitspflege auf Samisch anbieten. Finnland verwies auch auf den Bericht über die Anwendung der Sprachgesetzgebung (s.o.), der auch die samischen Sprachen betreffe. Ferner würde die Situation in öffentlichen Dienstleistungsbetrieben aktiv vom samischen Parlament (Report of the Government on the application of language legislation 2009) beobachtet. Medien: Nach Angaben der letzten Staatenberichte sendet YLE Sami Radio jährlich ca. 2.000 Stunden samischsprachige Programme, davon 1.800 Stunden auf Nord-Sami, 100 Stunden auf Inari-Sami und 100 Stunden auf Skolt-Sami. Im Fernsehen werden samische Nachrichten, Oddasat, und das Kinderprogramm Unna Junná gesendet. Die Sprache der Programme ist hauptsächlich Nord-Sami, es werden aber mitunter auch Untertitel auf Inari- und Skolt-Sami verwendet. Samische Zeitungen, wie die Inari-samische Anarâs, erscheinen einige Male im Jahr. Der Sachverständigenausschuss empfahl Finnland, samische Fernseh- und Rundfunkprogramme und mindestens eine samische Zeitung zu fördern. Weiterhin empfahl der Ausschuss den finnischen Behörden, nord-samische Fernsehprogramme mit den nötigen Mitteln zu unterstützen. In seinen dritten Emp-

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fehlungen forderte auch das Ministerkomitee Finnland auf, den Gebrauch des Samischen in Presse und Rundfunk stärker zu begünstigen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die Staatenberichte legen dar, dass der finnische Staat jährlich Mittel für samischsprachige Kultur und samische Organisationen anweist. 2009 handelte es sich um einen Betrag von 205.000 Euro, wobei das Bildungs- und Kultusministerium zusätzlich weitere Mittel, z.B. für die samische Jugendarbeit, zur Verfügung stellte. Ein wichtiges Ziel werde erreicht, wenn 2012 das neue Kulturinstitut in Inaris eine Arbeit beginne. Der dritte Staatenbericht betonte auch die Wichtigkeit, die Mehrheitsbevölkerung über die samische Kultur und das gegenwärtige samische Leben zu informieren. Der Sachverständigenausschuss empfahl Finnland, finanzielle Mittel für die Samenkultur als Teil des Budgets des samischen Parlaments bereitzustellen. Wirtschaftliches und soziales Leben: In seinen Staatenberichten räumt Finnland ein, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen den rechtlichen Garantien und ihrer konkreten Umsetzung gebe. Die Staatenberichte beschreiben Fälle, in denen die Möglichkeit zur Verwendung der samischen Sprachen in der Gesundheitspflege nicht immer möglich ist. Es gebe jedoch Bestrebungen, die Dienstleistungen zu verbessern. So gebe es diverse Organisationen, die konkrete Sprachprogramme entwickelt hätten und die Verwendung des Samischen im Arbeitsalltag förderten. Ferner stelle Finnland jährlich rund 600.000 Euro für samischsprachige soziale Dienstleistungen und Gesundheitspflege bereit. Die Behörden in Lappland böten Sprachkurse für ihr Personal an. Der Sachverständigenausschuss empfahl daraufhin, das samischsprachige Personal bei sozialen Dienstleistungen und in der samischen Gesundheitspflege zum Gebrauch der Sprache zu ermutigen. Grenzüberschreitender Austausch: Beginnend mit dem ersten Staatenbericht stellte Finnland fest, dass die finnischen Samen seit jeher mit den samischen Minderheiten in Schweden und Norwegen kooperieren. Darüber hinaus gebe es auch Pläne über einen Kooperationsvertrag zwischen den Nachbarn. Der Sachverständigenausschuss gab sich daraufhin zufrieden mit der Erfüllung der Verpflichtungen.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Romanes Die Gemeinschaft der Roma in Finnland umfasst heute etwa 10.000 Personen und erstreckt sich über alle Teile des Landes, hauptsächlich jedoch auf den dichter bevölkerten Süden. Nur ein nicht genau bezifferter Teil der Gemeinschaft spricht

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Romanes, der übrige Teil spricht Finnisch, möglicherweise auch Schwedisch. Wie aus dem vierten Staatenbericht Finnlands hervorgeht, haben sich der Status und die Sichtbarkeit des Romanes in der Öffentlichkeit in letzter Zeit verbessert. Es gibt viele staatliche Organisationen und Roma-Vereine, die die Situation des Romanes zu verbessern versuchen. Bildung: Beginnend mit seinem ersten Staatenbericht erkennt Finnland die Wichtigkeit des Romanesunterrichtes für Roma-Kinder an und machte in den folgenden Staatenberichten detaillierte Angaben. Trotz aller Anstrengungen, guter Projekte und Ergebnisse konnte die Situation der Roma-Kinder in den Kindertagesstätten und in der vorschulischen Erziehung bislang jedoch nicht als gut bezeichnet werden. Es gibt weiterhin zu viele Kinder, die von den Erziehungsmaßnahmen ausgeschlossen bleiben. Die Anstrengungen der Behörden sind bislang nicht ausreichend gewesen. Das Ministerkomitee empfahl in seinem dritten Bericht innovative Strategien, die in Finnland allerdings nicht neu sind. Behörden und Roma arbeiten jetzt wieder konkret miteinander, wobei es nötig ist, die Aufmerksamkeit aller Teilnehmer auf die kleinsten Roma-Kinder zu richten. Im ersten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss, den Romanesunterricht und die Lehrerausbildung stärker zu fördern. Im zweiten Bericht empfahl der Ausschuss weiter, dass die Behörden in Kommunen mit größerem Roma-Anteil daraufhin einwirken, dass sie Programme zugunsten des Romanes entwickeln. Ferner empfahl der Sachverständigenausschuss, Romanesunterricht auf universitärer Ebene einzuführen. Im dritten Bericht unterstrich der Sachverständigenausschuss die Notwendigkeit, einen Aktionsplan gemeinsam mit den Sprechern auszuarbeiten. Den Empfehlungen schloss sich das Ministerkomitee sowohl im zweiten als auch im dritten Berichtszyklus an. Trotz andauernder großer Schwierigkeiten im Bildungsbereich nahm Finnland die Empfehlungen ernst. So gibt es seit 2009 drei Sprachnester für Roma-Kinder. Das Zentralamt für Unterrichtswesen weist jährlich Mittel für die vorschulische Erziehung und den Schulunterricht (inklusive der gymnasialen Oberstufe) in Romanes an. Romanes kann mittlerweile an der Universität Helsinki studiert werden. Über Projektmittel stellte das Bildungs- und Kultusministerium den Kommunen 2007 und 2008 finanzielle Mittel zur Entwicklung der Romaneskultur und des Romanes zur Verfügung, wovon 2009 bereits 700 Kinder profitierten. Sehr populär sind die Sommerschulen: 2009 nahmen ca. 100 Kinder an einer Sommerschule teil. Neben der Organisation der Weiterbildung des Lehrpersonals wurden auch Prinzipien für die Ausbildung und Prüfung von sog. Beratern in Romaneskultur vorgelegt. Zu den weiteren Maßnahmen zählt ein 2009 veröffentlichtes sprachpolitisches Programm für Romanes (Romanikielen kielipoliittinen ohjelma), das der Romanes-Ausschuss des Forschungsinstituts für die Landessprachen Finnlands ausgearbeitet hatte. Zudem wurden vom Zentralamt für

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Unterrichtswesen (Opetushallitus/Utbildningsstyrelsen) und der Beraterkommission für Roma-Angelegenheiten (Romaniasiain neuvottelukunta) im Ministerium für Soziales und Gesundheit Lehr- und Wörterbücher veröffentlicht. Medien: In seinem zweiten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss den finnischen Behörden, für mehr Sendezeit und bessere Möglichkeiten für die Roma in Fernseh- und Rundfunkprogrammen Sorge zu tragen. Diese Empfehlung übernahm auch das Ministerkomitee. Im vierten Staatenbericht wies Finnland auf seine Bemühungen hin, in den Medien Aufklärung über die Roma und ihre Situation zu betreiben. Konkrete Maßnahmen seien nötig, um Kultur und Sprache der Roma besser als Bestandteil des kulturellen Reichtums Finnlands bekannt zu machen und vor allem um das Bild der Roma in den Medien zu verbessern.

2.4.2 Russisch Ende 2010 lebten 54.000 russischsprachige Personen in Finnland, womit die Gruppe die größte sprachliche Minderheit des Landes bildet. Bildung: Im dritten Staatenbericht legte Finnland detaillierte Informationen über die russischsprachigen Schüler im finnischen Schulwesen vor. Das Russische sei von der vorschulischen Erziehung bis zur Universität präsent. Es gebe zehn russischsprachige Kindergärten, die meisten von ihnen in Helsinki. 2004 nahmen 3.000 Schüler in 57 Kommunen am muttersprachlichen Russischunterricht in der Schule teil, heißt es in dem Bericht. Muttersprachlicher Russischunterricht sei in Helsinki, in Lappeenranta in Ostfinnland und weiteren Orten angeboten worden. Bis 2010 habe sich die Anzahl von Schülern und Schulen weiter erhöht. Russisch werde ferner auch als Fremdsprache auf jedem Ausbildungsniveau angeboten und an allen Universitäten Finnlands gelehrt. Im ersten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss den Behörden darüber hinaus, die vorschulische Erziehung sicherzustellen und in Gebieten mit größerer russischsprachiger Bevölkerung für die Entwicklung von Programmen für den Unterricht in russischer Sprache zu sorgen. Im zweiten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss den Behörden wiederum, den Zugang zum Unterricht zu erleichtern. Im dritten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss die Entwicklung von Strategien zur Förderung der russischen Sprache in Zusammenarbeit zwischen Behörden und Sprechern der Sprache. In seinem vierten Staatenbericht machte Finnland Angaben zur weiteren Verbesserung der Situation: So habe man v.a. über finanzielle Unterstützungen die Arbeit von russischsprachigen Instituten, Organisationen und Vereinen gefördert. Finnland hob ferner die sprachliche Bedeutung der orthodoxen Kirche für die russische Minderheit hervor.

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Medien: Das Bildungs- und Kultusministerium stellte für Bibliotheken und Zeitungen (wie Spektr, Russkij Svet) und für andere russischsprachige Tätigkeiten Mittel zur Verfügung. Der finnische Rundfunk YLE sendet jeden Tag russischsprachige Programme. Daneben gibt es auch private Radiosender, die russischsprachige Sendungen anbieten.

2.4.3 Karelisch In seinem vierten Staatenbericht weist Finnland auf die Veränderung der Stellung der karelischen Sprache hin: Laut einer Verordnung der Präsidentin Finnlands erhält das Karelische den Status einer Minderheitensprache, wodurch es unter den Schutz von Teil II der Charta fällt. Sprecher des Karelischen finden sich in ganz Finnland, konzentrieren sich aber v.a. auf den östlichen Teil Nord-Kareliens, insbesondere in der Umgebung der Städte Joensuu und Nurmes. Ferner lebt eine größere Gruppe im westlichen Teil Finnlands, in der Umgebung der Stadt Oulu, Nord-Ostbottnien. Insgesamt umfasst die karelischsprachige Minderheit rund 5.000 Sprecher in Finnland. Die mit dem Finnischen verwandte Sprache wird darüber hinaus auch im russischen Karelien gesprochen, von wo aus zu Beginn der 1990er Jahre weitere Karelischsprecher nach Finnland auswanderten. Erst 2009 wurde das erste karelische Sprachnest in Nurmes in Nord-Karelien eröffnet. In der weiteren Schulbildung besteht bislang nur die Möglichkeit, Karelisch als Fach zu wählen. An der Universität Joensuu kann die karelische Sprache und Kultur studiert werden. Der vierte Staatenbericht Finnlands weist darauf hin, dass im kulturellen Bereich zuletzt insbesondere Vereine und Gesellschaften aktiv für die Sprache werben und diverse Bücher und auch Lehrmaterialien publizieren. Auf staatlicher Seite hat das Forschungsinstitut für die Landessprachen Finnlands ein karelisches Wörterbuch in sechs Bänden (1968–2005) publiziert, das seit 2010 auch im Internet frei zur Verfügung steht.

2.4.4 Jiddisch In seinem ersten Staatenbericht erwähnt Finnland auch das Jiddische. Jiddischsprachige Personen leben in Finnland seit ca. 180 Jahren. Sie wohnen hauptsächlich in Helsinki und in Südfinnland. Jiddisch wurde in Finnland von anderen Sprachen – Finnisch, Schwedisch, Hebräisch und Englisch – verdrängt, und heute verstehen und sprechen es nur noch rund 50 Personen. In der jüdischen

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Schule in Helsinki wird Hebräisch unterrichtet. Jiddisch gehört zwar auch zum Kulturkreis der Schule, ist aber kein Lehrfach. Die jüdische Gemeinde unterhält dagegen einen jiddischen Klub. Jährlich unterstützt das Bildungs- und Kultusministerium ein jiddisches Projekt in der jüdischen Schule. In seinem zweiten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss den finnischen Behörden, Jiddischunterricht stärker zu fördern. Allgemein empfiehlt der Sachverständigenausschuss in seinen drei Berichten, dass die finnischen Behörden den Unterricht in Regional- und Minderheitensprachen im Auge behalten und darauf hinwirken, dass die Toleranz gegenüber Regional- und Minderheitensprachen und ihren Sprechern zunimmt.

3 Bewertung Ratifizierung und Implementierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sind wesentliche Elemente der heutigen Sprachenpolitik Finnlands, obwohl Finnland schon seit langem eine eigene Sprachgesetzgebung hat. Die Staatenberichte eignen sich gut dafür, die aktuelle Situation der Minderheitensprachen im Land darzustellen. Außerdem sind die Diskussionen mit dem Sachverständigenausschuss und die Empfehlungen des Ministerkomitees nützlich und notwendig für die Identifizierung von Problemen und das Finden besserer Lösungen in der Zukunft. Aber wenngleich innerhalb dieses Prozesses bislang nur wenige größere Fortschritte festzustellen sind, profitiert Finnland von der Evaluation durch eine außenstehende Institution und von den durch sie aufgeworfenen Fragen. Die Empfehlungen des Europarats und die Reaktion der Behörden machen den Implementierungsprozess überdies nachvollziehbar. Der Schutz des Schwedischen und des Samischen in Finnland stellt den Europarat weitgehend zufrieden. Allerdings machen die Empfehlungen des Ministerkomitees deutlich, dass die Minderheiten ihre Rechte in verschiedenen Kommunikationsdomänen in der Praxis nicht geltend machen können. Trotz der ganz unterschiedlichen soziolinguistischen Ausgangssituationen der Nationalsprache Schwedisch und der samischen Regionalsprachen gleichen sie sich in dieser Hinsicht. Da die samischen Gruppen sehr klein sind, stellt es sich jedoch als besonderes Problem dar, sprachlich kompetentes Personal für Behörden und Dienstleistungsbetriebe zu finden. Insbesondere Inari- und Skolt-Sami brauchen hier spezielle Unterstützung. Dies lässt sich auch an den wiederholten Empfehlungen sowohl des Sachverständigenausschusses als auch des Ministerkomitees ablesen. Noch prekärer stellt sich aus Sicht des Europarats die Situation der Roma dar. Zwar wurden von Finnland in den letzten Jahrzehnten Anstrengungen unter-

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nommen, das finnische Romanes zu fördern, doch steht weiterhin die allgemeine Situation der Roma-Gemeinschaft im Vordergrund. Seit einiger Zeit arbeiten die finnischen Behörden wieder stärker mit der Minderheit zusammen. Nötig ist v.a. die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Minderheit sowie spezielle Aufmerksamkeit für die Kinder der Gemeinschaft. Im dritten Bericht über die Anwendung der Charta empfahl das Ministerkomitee des Europarates der finnischen Regierung, ihre Aufmerksamkeit besonders der samischen Gemeinschaft in Finnland zu widmen und das finnische Romanes als Minderheitensprache besser zu fördern. Erste Ergebnisse der daraufhin ergriffenen Maßnahmen sind bereits feststellbar. So konnte Finnland in seinem vierten Staatenbericht über diverse Maßnahmen zugunsten der genannten Regionalund Minderheitensprachen informieren und konstatierte überdies auch für das Karelische eine klare Verbesserung der Situation. Für den bisherigen Implementierungsprozess lässt sich festhalten, dass sich die Kooperation mit den Vertretern des Europarats als konstruktiv und fruchtbar erwiesen hat. Dabei wird die Grundrichtung der sprachpolitischen Maßnahmen von den Empfehlungen des Ministerkomitees angegeben. Zwölf Jahre nach Vorlage des ersten Staatenberichts Finnlands lassen sich eine Vielzahl an Maßnahmen auf den Einfluss der Charta zurückführen. Da Finnland bereits vor dem Beitritt zur Charta eine aktive und minderheitenfreundliche Sprachpolitik verfolgte, sind dabei Verbesserungen, jedoch nicht prinzipielle Veränderungen erwartbar gewesen.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Finland, 10.3.1999. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Finland, 31.12.2002. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Finland, 13.3.2006. [= 3. Staatenbericht] Fourth Periodical Report of Finland, 30.9.2010. [= 4. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 9.2.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 24.3.2004. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts’ Evaluation Report, 30.3.2007. [= 3. Evaluationsbericht] First Committee of Ministers’ Recommendation RecChl(2001)3, 19.9.2001. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation RecChl(2004)6, 20.10.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

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Third Committee of Ministers‘ Recommendation CM/RecChl(2007)7, 21.11.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Republik Finnland/Suomen Oikeusministeriö (Finnisches Justizministerium): „Tasavallan presidentin asetus alueellisia kieliä tai vähemmistökieliä koskevan eurooppalaisen peruskirjan voimaansaattamisesta annetun asetuksen 2 §:n muuttamisesta [Decree no. 68 of the President of the Republic to amend Section 2 of the Decree on the Implementation of the European Charter for Regional or Minority Languages]“. In: Säädökset alkuperäisinä 956/2009, 27.9.2009/4.12.2009. (10.2.12). Republik Finnland/Suomen Oikeusministeriö (Finnisches Justizministerium): „Suomen perustuslaki [Finnische Verfassung]“. In: Säädökset alkuperäisinä 94/1919, 17.7.1919. (10.2.12). Republik Finnland/Suomen Oikeusministeriö (Finnisches Justizministerium): „Suomen perustuslaki/Finlands grundlag [Grundgesetz Finnlands]“. In: Säädökset alkuperäisinä 731/1999, 11.6.1999/1.3.2000. (10.2.12). Republik Finnland/Suomen Oikeusministeriö (Finnisches Justizministerium): „Kielilaki/ Språklag [Sprachgesetz]“. In: Ajantasainen lainsäädäntö 423/2003, 6.6.2003. (10.2.12). Republik Finnland/Suomen Oikeusministeriö (Finnisches Justizministerium): „Saamen kielilaki [Samisches Sprachgesetz]“. In: Säädökset alkuperäisinä 1086/2003, 5.12.2003. (10.2.12). Republik Finnland/Suomen Oikeusministeriö (Finnisches Justizministerium): Report of the Government on the application of language legislation, 2009. (10.2.12).

4.2 Literatur Beijar, Kristina / Ekberg, Henrik / Eriksson, Susanne / Tandefelt, Marika: Zwei Sprachen, ein Land – das finnische Modell, Espoo: Schildts 2000. McRae, Kenneth Douglas: Conflict and Compromise in Multilingual Societies. Finland. Suomalaisen tiedeakatemian toimituksia, Annales Academiæ Scientiarum Fennicæ, Humaniora 306, Waterloo & Ontario: The Finnish Academy of Science and Letters & Wilfrid Laurier University Press 1999. Romanikielen kielipoliittinen ohjelma. Kotimaisten kielten tutkimuskeskuksen verkkojulkaisuja 10. Helsinki:Kotimaisten kielten tutkimuskeskus 2010, bzw. (10.2.12). Saari, Mirja: „Schwedisch als die zweite Nationalsprache Finnlands: Soziolinguistische Aspekte“. In: Linguistik online 7, 2000. (10.2.12). Statistical Yearbook of Finland 2010, Helsinki: Statistics Finland 2010.

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4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (i), b (i), c (i), d (i, ii), e (i, ii), f (i, ii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a–d; 2a; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (i, iii), b, c; 2; 3a, b; 4; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (i), c (ii), d, e (i), f (ii); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1–3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a, c, d; 2

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

1; 2

Roswitha Fischer (Regensburg)

Vereinigtes Königreich (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland) 1 Vorgeschichte Die englische Sprache stammt von den Sprachen der germanischen Stämme der Angeln, Sachsen, Jüten und (möglicherweise) Friesen ab, die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. England besiedelten. Zu dieser Zeit lebten auf den britischen Inseln vorwiegend Kelten, deren Sprachen in die beiden Gruppen Goidelisch (Goidelic) bzw. Q-Keltisch und Britannisch (Brythonic) bzw. P-Keltisch unterteilt werden, wobei von Goidelisch das moderne Irisch, Schottisch-Gälisch und ManxGälisch und von Britannisch das moderne Walisisch, Kornisch und Bretonisch abstammen. Die germanischen Siedler verdrängten die Kelten an den Rand, so dass bereits im Mittelalter die keltischen Sprachen nur noch in Wales, Cornwall, Schottland, Irland und Nordwestengland verbreitet waren. Mehrere Acts of Union („Vereinigungsgesetze“) besiegelten die Zugehörigkeit der keltischen Gebiete zum englischen Königshaus. Wales wurde 1536 annektiert, das Königreich Schottland 1707 und das Königreich Irland 1800. Aus dem Zusammenschluss Englands und Schottlands entstand das Königreich Großbritannien, und aus dem Zusammenschluss Großbritanniens und Irlands das Vereinigte Königreich. Die Acts of Union beinhalteten auch wichtige Sprachregelungen, die für Verwaltung und Gerichtsbarkeit den Gebrauch des Englischen vorschrieben. 1921 spaltete sich nach Kriegshandlungen der größte Teil der irischen Insel als freie Republik Irland (Ireland/Éire) ab, und nur der Norden blieb als Nordirland (Northern Ireland/Tuaisceart Éireann) beim Mutterland. In den 1990er Jahren betrieb das Vereinigte Königreich unter Tony Blair eine Politik der Dezentralisierung (devolution), mit dem Ergebnis, dass Schottland, Wales und Nordirland 1998 regionale Teilautonomien erhielten. Mit 83,6 % stellen heute die Engländer den Großteil der Bevölkerung, gefolgt von Schotten mit 8,6 %, Walisern mit 4,9 % und Nordiren mit 2,9 % (UK National Statistics 2005). Außerdem gibt es im Vereinigten Königreich – u.a. begründet durch dessen frühere Position als Kolonialmacht – eine erhebliche Anzahl von Migrantengemeinschaften. Etwa 5,5 % der britischen Bevölkerung sind Angehörige ethnischer Minderheiten; die Hälfte davon kommt aus Indien, Pakistan oder Bangladesch. Die Sprachen der Migranten finden als nicht autochthone Sprachen in der Charta keine Berücksichtigung.

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Der Staatenbericht des Vereinigten Königreichs zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (s.u.) benennt als ethnische Gruppen (racial groups) außer den Schotten, Iren und Walisern auch die Gypsies (Roma) und die nordirischen Travellers („Fahrenden“). Die Sprachen oder Dialekte der beiden letztgenannten Gruppen werden in der Charta ebenfalls nicht einbezogen (United Kingdom Report 1999, 3; nach Pan 22006, 608). Das Vereinigte Königreich hat weder eine schriftliche Verfassung noch eine Amtssprache. Allerdings ist Englisch faktisch offizielle Sprache; sie wird von 95 % der Bevölkerung als einzige Sprache gesprochen. In Wales ist außer Englisch auch Walisisch offizielle Sprache, und in Schottland ist – neben Englisch – Schottisch-Gälisch seit 2005 offizielle Amtssprache. Auf der Insel Man ist die Sprache Manx-Gälisch ebenfalls seit 1985 Amtssprache. In Nordirland sind Irisch und Ulster-Scots offiziell anerkannte Minderheitensprachen. Das Vereinigte Königreich besitzt ferner eine eigene Gebärdensprache für Gehörlose, nämlich die British Sign Language, die von ca. 70.000 Gehörlosen als Muttersprache oder bevorzugte Sprache verwendet wird. Die British Sign Language wurde von der britischen Regierung am 18.3.2003 als eigene Sprache anerkannt; und es wurden Mittel für die Ausbildung von Gehörlosenlehrern und für die Unterstützung von Gehörlosen in der Arbeitswelt zur Verfügung gestellt. Das Vereinigte Königreich und auch die freie Republik Irland wurden 1973 bei der ersten Norderweiterung Mitglieder der EU. Im Gegensatz zum Vereinigten Königreich hat Irland die Charta bisher nicht unterschrieben.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Der Zustimmung Großbritanniens zur Europäischen Charta ging die Einwilligung in das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten voraus: Das Rahmenübereinkommen wurde vom Vereinigten Königreich am 1.2.1995 unterzeichnet und am 15.1.1998 ratifiziert, und es trat am 1.5.1998 in Kraft (Vom freien Irland wurde es übrigens auch am 1.2.1995 unterzeichnet und am 7.5.1999 ratifiziert; in Kraft trat es am 1.9.1999). In den Artikeln 5, 9–11 und 14 wurde in dem Übereinkommen u.a. festgehalten, dass Personen einer nationalen Minderheit dabei unterstützt werden sollten, ihre Sprache privat und öffentlich – einschließ-

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lich der Kommunikation mit Verwaltungsbehörden – zu verwenden. Die Kenntnis der Sprache sollte gefördert werden; das Recht, die Minderheitensprache zu erlernen bzw. in dieser Sprache unterrichtet zu werden, wurde ebenfalls festgeschrieben. Obzwar mit John Hume, einem nordirischen Politiker und Vertreter des Europäischen Parlaments in Brüssel, eine Charta für Minderheitensprachen seit 1979 maßgeblich vorangetrieben worden war (Guskow 2009, 47), zeigte das Vereinigte Königreich – Gründungsmitglied des Europarates 1949 – anfänglich eine eher ablehnende Haltung gegenüber der Charta. Es enthielt sich am 25.6.1992 bei der Abstimmung, der Charta die völkerrechtlich verbindliche Form einer Konvention (statt nur einer Empfehlung) zu geben; und es gehörte auch nicht zu den ersten elf Mitgliedstaaten des Europäischen Rates, die die Charta am 5.11.1992 unterzeichneten (Guskow 2009, 236). Die relativ spät erfolgende Unterzeichnung hängt wahrscheinlich auch mit der Politik des Staates in den 1990er Jahren zusammen, die Dezentralisierung von Schottland, Wales und Nordirland voranzutreiben. Diese Bestrebungen führten zur Einrichtung teilautonomer Regierungen der Landesteile, die seitdem auch für die Förderung ihrer Minderheitensprachen zuständig sind (auf Nordirland trifft dies allerdings wegen mehrmaliger Aufhebungen der nordirischen Nationalversammlung durch das Vereinigte Königreich nur für bestimmte Zeitabschnitte zu). Am 2.3.2000 unterzeichnete das Vereinigte Königreich schließlich die europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, am 27.3.2001 wurde sie ratifiziert; und am 1.7.2001 trat sie in Kraft. Am 11.3.2002 reichte das Vereinte Königreich eine Erklärung nach, nach der Kornisch ebenfalls den Status einer Regional- bzw. Minderheitensprache im Sinne der Charta habe; und am 22.4.2002 erkannte es Manx-Gälisch als Regional- oder Minderheitensprache an. Das Vereinigte Königreich legte seinen ersten Staatenbericht am 1.7.2002 vor. Im Januar 2003 besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals Schottland, Wales, Nordirland und England (London). Währenddessen gab es auch Treffen mit Nichtregierungsorganisationen, die für das Kornische eintreten, ferner mit einem Kenner der Situation der Sprache Romanes. Der erste Evaluationsbericht wurde am 29.8.2003 veröffentlicht; die darauf aufbauenden Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats über die Anwendung der Charta wurden am 24.3.2004 verabschiedet. Der zweite Staatenbericht wurde am 1.7.2005 vorgelegt; darin werden alle sieben Sprachen behandelt. Nach einem weiteren Vor-Ort-Besuch legte der Sachverständigenausschuss am 14.9.2006 seinen zweiten Bericht vor, und das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 14.3.2007. Ein dritter Staatenbericht folgte am 26.5.2009; der entsprechende Bericht des Sachverständigenausschusses wurde am 19.11.2009 vorgelegt, und die Empfeh-

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lungen des Ministerkomitees folgten am 21.4.2010. Somit hat es bis heute drei Berichtszyklen gegeben; Abgabetermin für den vierten Staatenbericht ist Mai 2012.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von den entsprechenden Regierungsstellen der britischen Regierung und den walisischen, schottischen und irischen Regionalregierungen unter Berücksichtigung folgender staatlicher Institutionen erstellt: – Bwrdd Yr Iaith Gymraeg/Welsh Language Board („Walisische Sprachbehörde“) – Alle nordirischen Ministerien und weitere assoziierte Organisationen (namentlich nicht aufgeführt). Nach Robert Dunbar war von der schottischen Exekutive auch die gälische Sprachgesellschaft Comunn na Gàidhlig (CNAG)/The Gaelic Language Society konsultiert worden, deren Beobachtungen im Abschlussbericht jedoch keine Berücksichtigung fanden (Dunbar 2003, 33). Der zweite Staatenbericht nennt zusätzlich: – Örtliche Behörden (local authorities), öffentliche Einrichtungen (public bodies) und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) innerhalb Schottlands – Cornwall County Council („Landesverwaltung Cornwall“) – Foras Na Gaeilge („Irische Sprachbehörde“) – Tha Boord u Ulster Scotch („Ulster-Scots Sprachbehörde“). Im dritten Staatenbericht werden angegeben: – Cornish Language Partnership („Kornische Sprachpartnerschaft“) – Sprachenorganisationen des Manx-Gälischen – Bòrd na Gàidhligh („Schottisch-Gälische Sprachbehörde“, 2005 eingerichtet).

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument benennt das Vereinigte Königreich Walisisch, Schottisch-Gälisch, Irisch, Scots und Ulster-Scots als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta; am 11.3.2002 fügte es in einer Erklärung erst Kornisch (Cornish) und am 22.4.2002 in einer Erklärung noch Manx-Gälisch (Manx Gaelic) hinzu. Insgesamt gibt es somit sieben geschützte Sprachen im

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Vereinigten Königreich; diese sind allerdings unterschiedlich schützenswert: Während für Walisisch, Schottisch-Gälisch, und Irisch Teil II (Art. 7) und Teil III (Art. 8–14) der Charta gelten, trifft für Scots, Ulster-Scots, Kornisch und ManxGälisch ausschließlich Teil II zu, d.h., für letztere Sprachengruppe hat sich das Vereinigte Königreich zu keinen Maßnahmen zur Förderung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen verpflichtet. Auch bei den Sprachen, auf die Teil III zutrifft, gibt es Unterschiede in Art und Anzahl der Verpflichtungen: Während das Vereinige Königreich für Walisisch 52 Paragraphen anerkannt hat, sind es für Schottisch-Gälisch 39 und für Irisch 36 Paragraphen, was den bestehenden Status Quo der Förderung dieser Sprachen widerspiegelt (McLeod 2008, 206). Am 1.7.2002 legte das Vereinigte Königreich seinen ersten Staatenbericht unter der Charta vor. Darin sind Kornisch und Manx-Gälisch noch nicht enthalten. Allerdings reichte das Vereinigte Königreich am 17.12.2002 als Nachtrag (Addendum) zum ersten Staatenbericht einen informellen Bericht zu Kornisch (Informal UK Report on Cornish) nach, der vom Sachverständigenausschuss in den ersten Überprüfungs-Zyklus miteinbezogen wurde. Manx-Gälisch wurde in Ermangelung eines Nachtrags und aufgrund der späten Meldung noch nicht berücksichtigt. Die Sachverständigen erfuhren im Land, dass im Vereinigten Königreich Roma-Sprachen existierten, und sie wünschten sich im nächsten Staatenbericht mehr Informationen darüber. In seinem ersten Bericht legte der Sachverständigenausschuss dar, dass die Sprachensituation im Vereinigten Königreich sehr divers sei. Der Ausschuss honorierte die flexible Anwendung der Regeln in der Charta auf die verschiedenen Sprachen, was von den Verfassern der Charta gewünscht und beabsichtigt worden war. Außerdem liegt insofern eine besondere Situation vor, als im ersten Staatenbericht die autonomen Regierungen von Wales, Schottland und Nordirland für die Umsetzung der Richtlinien der Charta verantwortlich gemacht werden, was durchaus positiv zu beurteilen sei. Der Sachverständigenausschuss stellte aber auch fest, dass nach internationalem Recht das Vereinigte Königreich für die Umsetzung aller Verträge, die es unterschreibt, Sorge zu tragen habe – einschließlich der Charta. Bei der Überprüfung durch die Sachverständigen wurde deutlich, dass sich die autonomen Regierungen der drei Landesteile hinsichtlich Einstellungen, Engagement und Arbeitsmethoden voneinander unterscheiden. Es wurde bemängelt, dass in Schottland die eigenen Zuständigkeiten nicht genau geklärt sind und dass keine Koordination zwischen den autonomen Regierungen und der Zentralregierung in London zu erkennen ist. Ferner wurde festgestellt, dass in Teil III von den 52 Paragraphen für Wales erst 39, von den 39 Paragraphen für Schottisch-Gälisch erst 14 und von den 36 Paragraphen für Irisch erst 23 als erfüllt gelten können (McLeod 2008, 207).

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Das Ministerkomitee sprach auf der Grundlage des Evaluationsberichts eine Reihe von Empfehlungen für zukünftige Fördermaßnahmen für die einzelnen Sprachen aus (s.u.). Der zweite Berichtszyklus konzentrierte sich auf die Schwerpunkte der Empfehlungen. Diesmal wurde die Situation aller sieben Sprachen ausführlich behandelt. Der zweite Staatenbericht präsentierte in seinen Anhängen einige Sprachendaten in Tabellenform. Die unten aufgeführten Zahlen wurden hier mit Angaben ergänzt, die im ersten und im dritten Staatenbericht in den Textstellen zu den jeweiligen Sprachen zu finden sind. Allerdings sind die Werte nur annähernd miteinander vergleichbar, da sie auf verschiedenen Umfragen und Studien unterschiedlichen Datums (1998–2008) beruhen, denn mit den Volkszählungen von 2001 (getrennt: England mit Wales; Nordirland; Schottland; Insel Man) wurden nicht alle Sprachen erfasst – was im neuen Zensus von 2011 nachgeholt werden soll. Außerdem wurde der Terminus „Sprachkenntnisse“ für unterschiedliche Grade von Sprachkompetenz verwendet; und 2001 wurden zum ersten Mal Zahlen für eine neue Kategorie „(nur) verstehen“ erhoben, die ab diesem Zeitpunkt in die Daten mit einfließen. Die in den Staatenberichten angegebenen Zahlen beziehen sich auf den Anteil der Personen ab drei Jahren mit Kenntnissen in einer Minderheitensprache in der betreffenden Region, d.h. nicht bezogen auf das gesamte Vereinigte Königreich. Minderheiten- oder Regionalsprache

Zahl

In % bezogen auf den jeweiligen Landesteil

Walisisch Irisch (Nordirland) Schottisch-Gälisch Scots Ulster-Scots Kornisch Manx-Gälisch

582.368 167.490 92.396 nicht genannt ca. 35.000 699 1.689

20,8  10,4  1,9  ca. 30  2  nicht genannt 2,2 

Laut Zensus 2001 sind im gesamten Vereinigten Königreich 98  % (57.905.894) Sprecher des Englischen, 1,5 % des Walisischen, 0,2 % des Irischen, 0,1 % des Schottisch-Gälischen und 0,2  % (90.000) der Sprache Romanes; zusammengenommen sind dies 1,5  % Sprecher von Minderheitensprachen im Vereinigten Königreich (nach Pan 22006, 621). In seinem zweiten Evaluationsbericht benannte der Sachverständigenausschuss verschiedene Stärken und Schwächen bei der Anwendung der Charta im Vereinigten Königreich; entsprechend gemischt waren die darauf aufbauenden

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Empfehlungen des Ministerkomitees. Begrüßt wurde u.a., dass regionale und zentrale Behörden gut miteinander kooperierten und dass vieles von den Empfehlungen des ersten Berichtszyklus umgesetzt worden war. Bei den Teil-II-Sprachen der Charta (Scots, Ulster-Scots, Kornisch und Manx-Gälisch) würden aber noch genauere Sprecherzahlen und durchgängige Sprachenstrategien fehlen, und es werde noch zu wenig für die Bewusstseinsbildung getan. Bei den Sprachen, auf die Teil II und Teil III der Charta zutreffen (Walisisch, Schottisch-Gälisch und Irisch), gebe es v.a. im Bereich der Schulbildung noch Defizite beim Übertritt von der Primar- zur Sekundarstufe. Bemängelt wurde außerdem, dass es im Mutterland wenig Wissen über die eigenen Regional- oder Minderheitensprachen gebe. Der auf 199 Seiten angewachsene dritte Staatenbericht (erster Staatenbericht: 60 S., zweiter Staatenbericht: 85 S. [ohne Anhänge]) behandelte ausführlich die Empfehlungen des Ministerkomitees vom zweiten Berichtszyklus für die einzelnen Sprachen. Der folgende Bericht der Sachverständigen honorierte die bisherigen Bestrebungen des Vereinigten Königreichs und zeigte weitere durchzuführende Maßnahmen für Schottisch-Gälisch, Irisch, Walisisch und Ulster-Scots auf, die vom Ministerkomitee in seinen Empfehlungen aufgegriffen wurden.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Walisisch Bis ins 19. Jahrhundert hinein war Walisisch (endogene Bezeichnung: Cymraeg) noch unter Bauern, Handwerkern und dem niederen Klerus im ländlichen Wales verbreitet. Danach stieg die absolute Zahl der Walisischsprechenden wieder etwas an, nämlich von ca. 470.000 Walisern (1801) zu ca. 800.000 Walisern (1851). Doch aufgrund des Zuzugs von Nicht-Walisern wegen des Kohleabbaus und der Schwerindustrie in Südwales sank der Anteil der Walisischsprechenden von 80 % auf etwa 67 %; hinzu kam der weitere Ausbau der Vormachtstellung des Englischen durch den Education Act von 1870 und den Government Act von 1889. Bei der ersten britischen Volkszählung im Jahre 1891 erklärten 910.289 Befragte bzw. 54,4  % der walisischen Bevölkerung, dass sie Walisisch sprächen; davon waren 508.036 einsprachig. Zehn Jahre später war die Anzahl der einsprachigen Waliser schon fast um die Hälfte geschrumpft (280.905 Sprecher), und nach weiteren zehn Jahren hatte sich deren Anzahl fast noch einmal halbiert (190.300 Sprecher). Dieser rückläufige Trend scheint aber aufgehalten: Heute stellt Walisisch die größte autochthone Sprache des Vereinigten Königreichs dar. V.a. unter jungen Leuten in den urbanen Zentren nimmt der Gebrauch des Walisischen zu. Seit etwa

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1980 hat sich in Wales die Auffassung verbreitet, dass die walisische Sprache und Kultur bewahrt und gefördert werden müssen, was v.a. in den Bereichen Bildung und Medien geschieht. Darüber hinaus wurde im Zuge des Welsh Language Act von 1993 die walisische Sprachorganisation (Bwrdd Yr Iaith Gymraeg/Welsh Language Body) gegründet, mit der Aufgabe, Walisisch in jedweder Beziehung zu fördern und Sprachprogramme zu entwickeln. Der erste Staatenbericht gab an, dass Walisisch v.a. in Gwynedd (the Isle of Anglesey and Ceredigion) gesprochen wird, mit bis zu 75  % der Sprecher. In Gegenden mit den wenigsten Sprechern von Walisisch liegt die Rate unter 7,5 %. Laut der Volkszählungen von 1991 und 2001 ist die Zahl der Walisischsprecher sogar angestiegen, und zwar v.a. im Südosten des Landes und in der Hauptstadt Cardiff. Es heißt weiter, dass am 1.7.1999 das Vereinte Königreich bestimmte Aufgaben und Befugnisse an die Nationalversammlung von Wales abgegeben habe. Hierunter fällt auch die Verantwortlichkeit für Walisisch, so dass die Umsetzung der Charta in den Aufgabenbereich der walisischen Regionalregierung gehört. Als gesetzliche Grundlagen für die Umsetzung wurden der Welsh Language Act von 1967, der Welsh Language Act von 1993 und der Government of Wales Act von 1998 genannt. In diesen Vereinbarungen wurde die Förderung der Minderheitensprachen angekündigt und die Gleichstellung von Englisch und den Minderheitensprachen im öffentlichen Leben, in der Wirtschaft und in Rechtsbelangen festgestellt. Der zweite Staatenbericht stellte heraus, dass die walisische Nationalversammlung 2002 den nationalen Handlungsplan Iaith Pawb/Everyone’s Language auf den Weg brachte, mit dem Ziel eines zweisprachigen Wales. Im dritten Staatenbericht wurde festgehalten, dass am 1.4.2008 im Department for Children, Education, Lifelong Learning and Skills (DCELLS) der Walisischen Nationalversammlung die Walisische Abteilung für Sprachentwicklung (Welsh Language Development Unit) eingerichtet wurde. Bildung: Laut erstem Staatenbericht sind alle Schüler im Alter von 4–16 in Wales dazu verpflichtet, Walisisch als Erst- oder Zweitsprache zu lernen. Außerdem werde in Kindergärten, Vorschulen und Schulen in Wales das Walisische gefördert und teilweise auch als Unterrichtssprache verwendet. An den Universitäten von Wales würden akademische Studien zur walisischen Sprache unterstützt. Außerdem werde ein walisisches Sprachprogramm in der argentinischen Provinz Chubut gefördert. Das Ministerkomitee empfahl, die verschiedenen Bildungsmaßnahmen des Vereinigten Königreichs besser zu dokumentieren und zu vereinheitlichen. Insbesondere sollte der Übergang von der Primar- auf die Sekundarstufe reibungslos erfolgen können. Der dritte Staatenbericht zeigt die einzelnen Maßnahmen und Projekte auf, die diese Mängel beheben sollen.

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Justizbehörden: Laut dem ersten Staatenbericht dürfen in Gerichtsverfahren die beteiligten Personen Walisisch verwenden; walisische Dokumente würden zugelassen, und es würden, falls nötig, Übersetzer hinzugezogen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Im ersten Staatenbericht heißt es, dass wichtige Texte und Dokumente in zweisprachiger Form vorliegen und dass die Bürger sich des Walisischen bedienen können. Walisische Orts- und Familiennamen seien erlaubt. Medien: Der erste Staatenbericht führte aus, dass der walisische Fernsehsender S4C (Sianel Pedwar Cymru) und umfangreiche BBC Radio- und Internetprogramme in walisischer Sprache maßgeblich zur Verbreitung des Walisischen beitragen. Außerdem gebe es eine Reihe wöchentlicher und monatlicher Zeitungen auf Walisisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Im ersten Staatenbericht heißt es, dass der Welsh Arts Council und der Welsh Book Council Gelder für vielfältige kulturelle Projekte und Aktivitäten zur Verfügung stellen. Im Rahmen von EU geförderten Mercator-Projekten wird Literatur in das Walisische übersetzt. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht räumte ein, dass in diesem Bereich Verbesserungen nötig wären, insbesondere in sozialen Einrichtungen und Krankenhäusern. Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee empfahlen in allen drei Berichtszyklen, entsprechende Mängel zu beheben. Laut drittem Staatenbericht wurde die Situation durch die Einrichtung einer Task Force im Jahre 2007 verbessert, außerdem sei im nationalen Gesundheitswesen die Einrichtung von National Language Units vorangetrieben worden.

2.3.2 Schottisch-Gälisch Wie in den Staatenberichten beschrieben wird, ist Schottisch-Gälisch (endogene Bezeichnung: Gàidhlig) eng mit dem Irischen verwandt, denn im 4. Jahrhundert n.Chr. kamen Skoten von Irland nach Schottland. Bis in das 17. Jahrhundert hinein diente das Irische sogar als Schriftsprache für Schottisch-Gälisch. Nach dem Sieg der Briten über die Schotten 1745 und nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1872 mit ausschließlicher Verwendung des Englischen wurde Schottisch-Gälisch mehr und mehr zuerst aus dem Süden und Osten Schottlands und später auch aus den Highlands verdrängt. Ein Vergleich der Volkszählungen von 1991 und 2001 zeigt, dass sich diese Entwicklung weiter fortgesetzt hat (69.510 Sprecher 1991 gegenüber 65.674 Sprechern 2001). Heute ist Schottisch-Gälisch v.a. auf den Äußeren Hebriden, den Highlands und in Argyll im Westen Schottlands verbreitet; es ist aber auch häufig in den Städten Glasgow, Edinburgh, Aberdeen und Inverness anzutreffen.

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Im Zuge der Wahl eines eigenen schottischen Parlaments am 6.5.1999 hat am 1.7.1999 das britische Parlament die Entscheidungsgewalt in bestimmten Bereichen an das schottische Parlament abgegeben. Hierunter fällt auch die Verantwortlichkeit für die Minderheitensprachen Schottisch-Gälisch und Scots, so dass für die Umsetzung der Charta die schottische Regionalregierung zuständig ist. Als gesetzliche Grundlage für die Umsetzung der Charta wurden im ersten Staatenbericht eine Reihe von Gesetzen (Acts) aus der Zeit von 1911–2000 genannt, in denen v.a. die Möglichkeit der schottisch-gälischen Schulbildung und die finanzielle Unterstützung von schottisch-gälischem Funk und Fernsehen festgeschrieben wurden. 2005 wurde Schottisch-Gälisch durch den Gaelic Language (Scotland) Act offizielle Sprache Schottlands. Im Zuge dessen wurde die Sprachbehörde Bòrd na Gàidhligh eingerichtet, die für die Förderung und Verbreitung des Schottisch-Gälischen zuständig ist. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht wird Schottisch-Gälisch als Schulfach in allen Schulstufen angeboten, und es wird auch in einigen Schulen in dieser Sprache unterrichtet. Die zugrunde liegenden Vereinbarungen sind der Education (Scotland) Act von 1980 und der Standards in Scotland’s Schools etc Act von 2000. Im zweiten Staatenbericht wurden weitere Anstrengungen beschrieben, Schottisch-Gälisch im Erziehungswesen zu verankern. Der Sachverständigenausschuss begrüßte in seinem zweiten Bericht die Einrichtung einer schottisch-gälischen Sprachbehörde, mahnte aber noch weiter reichende Maßnahmen an. Der dritte Staatenbericht beschrieb, dass die Schottisch-Gälische Sprachbehörde 2007 eine Kommission (National Gaelic Education Steering Group) eingesetzt hat, die ein Konzept für weitere Bildungsmaßnahmen entwickeln soll. Der dritte Evaluationsbericht einschließlich der Empfehlungen des Ministerkomitees verwies auf weitere Fördermaßnahmen in den Bereichen Lehrerausbildung und Lehrmaterialien. Justizbehörden: Die Staatenberichte stellten in unterschiedlicher Ausführlichkeit dar, dass in zivilen Gerichtsverfahren Dokumente und Beweismaterial auf Schottisch-Gälisch verfasst werden können; ferner würden, falls nötig, Übersetzer hinzugezogen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Nach den beiden Staatenberichten dürfen Verwaltungsbehörden Dokumente auf Schottisch-Gälisch verfassen. Der Sachverständigenausschuss empfahl in seinem zweiten Bericht noch weiter reichende konkrete Maßnahmen, einschließlich einer einheitlichen Sprachpolitik. Medien: Im ersten Staatenbericht wurde festgehalten, dass das gälische Radioprogramm Radio na Gaidheal von der BBC betrieben wird, und es gibt auch gälische Fernsehsendungen, um die sich der Gälische Fernsehausschuss Comataidh Croalaidh Gaidhlig bemüht. Der Sachverständigenausschuss be -

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mängelte im ersten Berichtszyklus das Fehlen eines Schottisch-Gälischen Fernsehsenders bzw. -programms, was zur Finanzierung und Einrichtung eines entsprechenden Schottisch-Gälischen Kanals geführt habe, wie im zweiten Staatenbericht dargelegt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht nannte verschiedene Einrichtungen, die sich um kulturelle Aktivitäten und Angebote auf Schottisch-Gälisch kümmern. Wirtschaftliches und soziales Leben: Laut erstem Staatenbericht steht dem Verfassen von Verträgen und ähnlichen Schriftstücken auf Schottisch-Gälisch nichts im Wege. Grenzüberschreitender Austausch: Im ersten Staatenbericht wurde angegeben, dass 1997 die Initiative Iomairt Cholm Cille/Columbia Initiative (ICC) zur Förderung der gälischen Sprache gegründet wurde; diese pflege auch die Kontakte zwischen Nordirland, Südirland und Schottland.

2.3.3 Irisch Bis ins 19. Jahrhundert hinein war Irisch (endogene Bezeichnung: Gaeilge) auf der ganzen irischen Insel weit verbreitet. Erst mit der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts reduzierte sich die Zahl der Iren wegen Hungertods oder Emigration um 1,5 Mio. (ein Drittel der Bevölkerung); von da ab wurde die Sprache zunehmend vom Englischen verdrängt. Um die Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts kam es zu einer Renaissance des Irischen, getragen durch einflussreiche sportliche und literarisch-kulturelle Organisationen, wie die Gaelic Athletic Organisation/Cumann Lúthchleas Gael, die Gaelic League/Conradh na Gaeilge und das irische Nationaltheater in Dublin. Nach der Unabhängigkeit Irlands flaute die Bewegung wieder ab. Ähnlich wie in Wales haben seit den 1970er Jahren Wiederbelebungsversuche der Sprache einige Früchte getragen, v.a. vorangetrieben durch Bildung und Medien; und die Zahl der Sprecher des Irischen in Nordirland hat sich von 1991 bis 2001 von 142.000 auf 167.490 erhöht. Heute wird Irisch noch in kleinen Sprengeln an der Nordwest-, West- und Südküste Irlands, den Gaeltachtaí, und vereinzelt in den Städten gesprochen. In Nordirland lebt die größte irische Sprachgemeinschaft heute in der Umgebung von Belfast. Wie auch in Wales und Schottland wurde in Nordirland eine autonome Regierung eingesetzt, die seit dem 2.11.1999 u.a. für Kunst und Kultur einschließlich Sprache zuständig ist und damit auch für die Umsetzung der Charta. Im zweiten Berichtszyklus bemängelte der Sachverständigenausschuss das Fehlen einer umfassenden Sprachenpolitik für Irisch. Der darauf folgende dritte Staatenbe-

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richt beschrieb, dass das am 13.10.2006 veröffentlichte Abkommen St. Andrews Agreement die Regierung des Vereinigten Königreichs dazu verpflichtet hat, eine Vereinbarung zur irischen Sprache (Irish Language Act) zu entwickeln. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass noch ein ergänzender Bericht der autonomen Regierung Nordirlands folgen würde. Das Ausstehen des Berichts wurde im dritten Evaluationsbericht thematisiert. Bildung: In der Erziehungsrichtlinie (Education Order) von 1989 war Irisch als Unterrichtsfach etabliert worden; und in dem Belfast-Abkommen (Belfast Act bzw. Good Friday Act) hatte sich das Vereinigte Königreich am 10.4.1998 dazu verpflichtet, die sprachliche Vielfalt Nordirlands zu unterstützen. Im Zuge der neu geschaffenen nordirischen Nationalversammlung (Northern Ireland Assembly) wurde mit einer Richtlinie vom 2.12.1999 der Nord/Süd-Rat geschaffen, mit den Teilbehörden Nord bzw. Tha Boord o Ulstèr Scotch und Süd bzw. Foras na Gaeilge, welche die Förderung von jeweils Ulster-Scots und Irisch zum Ziel haben. Der erste Staatenbericht nahm auf die Tätigkeiten und Bildungs-Programme dieser Behörden Bezug. Der dritte Evaluationsbericht mahnte die noch fehlende rechtliche Grundlage einer allgemeinen Sprachpolitik an. Justizbehörden: Im ersten Staatenbericht heißt es, dass die wichtigsten nationalen Gesetzestexte übersetzt sind. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der erste Staatenbericht legte dar, dass Irisch-Sprecher mündlich oder schriftlich auf Irisch mit den Behörden kommunizieren können und dass in Besprechungen auf einen Übersetzerdienst zurückgegriffen werden kann. Medien: Wie im ersten Staatenbericht angegeben, sendet BBC Nordirland täglich Radioprogramme auf Radio Ulster und gelegentlich Fernsehprogramme in Irisch. Die irischsprachige Zeitung Lá wird von Foras na Gaeilge finanziert. Der Sachverständigenausschuss bemängelte in seinem ersten Bericht die geringe Fernsehpräsenz des Irischen; laut zweitem Staatenbericht können durch das Bereitstellen von Geldmitteln inzwischen mehr Fernsehsendungen in irischer Sprache gezeigt werden. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht ging auf die kulturellen Angebote verschiedener irischer Erziehungs- und Bibliotheksdienste ein, inklusive der Dienste der Irischen Republik, mit denen zusammengearbeitet wird. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht gab darüber Auskunft, dass im gesamten Vereinigten Königreich die Verwendung der irischen Sprache in diesen Bereichen unterstützt wird. Grenzüberschreitender Austausch: Im ersten Staatenbericht werden diverse EU-Programme als Beispiele für Kooperationen zwischen Nordirland und Irland angeführt.

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2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Scots Der Begriff Scots wird für eine Sammlung englischer Dialekte verwendet, die sich mehr oder weniger vom (Schottischen) Englisch unterscheiden. Für manche stellt Scots auch eine eigene Sprache dar. Wie im ersten Staatenbericht beschrieben, können Scots und Schottisch (Schottisches Englisch) in der sprachlichen Kommunikation gemischt auftreten: Viele Schotten verwenden Wörter des Scots, wenn sie Schottisch sprechen. Außerdem heißt es darin, dass Scots in ganz Schottland verbreitet ist. Die Volkszählungen von 1991 und 2001 enthalten zwar keine Zahlen zu Scots, aber Umfragen haben gezeigt, dass 30  % der befragten Sprecher mehr oder weniger Scots können. Im ersten Staatenbericht wurde kaum auf Scots eingegangen, und wenn, dann meistens in Verbindung mit SchottischGälisch. Es wurde darin festgehalten, dass Literatur in der Sprache Scots Teil des Lehrplans an schottischen Schulen ist. Im ersten Evaluationsbericht wurde angegeben, dass das Bewusstsein für Scots als Sprache wenig ausgeprägt ist und dass die Situation des Scots verbessert werden sollte. Außerdem wurden darin fehlende Angaben über Sprecherzahlen bemängelt. Im dritten Staatenbericht wurde dargelegt, dass 2007 ein Regierungswechsel in Schottland stattgefunden hat und die neue Regierung Pläne zur Förderung des Scots entwickeln werde.

2.4.2 Ulster-Scots Ähnlich wie Scots wird Ulster-Scots in der Regel als Dialekt, manchmal aber auch als Sprache wahrgenommen. Wie in den Staatenberichten angegeben, ist Ulster-Scots in den nördlichsten Gebieten Nordirlands beheimatet. Die Sprachform stammt vom Schottischen ab und wurde von schottischen Siedlern eingeführt, die im 17. Jahrhundert nach Nordirland und Donegal kamen. Ulster-Scots ist in unterschiedlichen Teilen Nordirlands lebendig und wird von einer Generation an die andere weitergegeben. Über genaue Sprecherzahlen ist nichts bekannt. Im ersten Bericht des Sachverständigenausschuss wird auf neuere Forschungen Bezug genommen, nach denen Scots von ca. 100.000 Sprechern in Nordirland und im Staat Irland gesprochen wird. Der zweite Staatenbericht führte die Studie „Northern Ireland Life and Time Survey“ von 1999 an, nach der sich 2 % der Informanten als Sprecher des Ulster-Scots bezeichnen, was etwa 35.000 Personen entspricht. Der erste Staatenbericht dokumentiert, dass am 10.4.1998 die Regierungen des Vereinigten Königreichs und Nordirland das Belfast Abkommen (Belfast

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Agreement, auch Good Friday Agreement) unterzeichnet haben, in dem u.a. festgehalten wird, dass Ulster-Scots Teil des kulturellen Reichtums der irischen Insel ist – allerdings wird darin Ulster-Scots nicht als eine eigene Sprache bezeichnet. Wie ebenfalls im ersten Staatenbericht erläutert, wurde im Rahmen des Abkommens ein Nord/Süd-Sprachausschuss mit den Sprachbehörden Foras na Gaeilge (für Irisch, s.o.) und Tha Boord O Ulster-Scots/Ulster-Scots Agency (für Ulster-Scots) gegründet, die seit 1998 für die Förderung der Minderheitensprachen zuständig sind. Ähnlich wie im Fall Scots wurde in den Staatenberichten Ulster-Scots meist in einem Zug mit Irisch genannt. In den Berichten des Sachverständigenausschusses werden weiter reichende Maßnahmen zur Förderung der Sprache angemahnt, einschließlich einer einheitlichen Sprachpolitik auf rechtlicher Grundlage. Der dritte Staatenbericht legte dar, dass die Regierung der Vereinigten Königreichs im St. Andrews Agreement (s. unter Irisch) den Erhalt und die Förderung des UlsterScots ausdrücklich unterstützt. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass noch ein ergänzender Bericht der autonomen Regierung Nordirlands folgen werde. Der noch ausstehende Bericht wurde im dritten Überprüfungs-Zyklus von den Sachverständigen und dem Ministerkomitee angemahnt. Auf Ulster-Scots trifft Teil III der Charta nicht zu; allerdings können zu den Rubriken des Maßnahmenkatalogs von Teil III einige spezifische Informationen auf der Grundlage von Teil I und II der Staatenberichte gegeben werden. Bildung: In den Staatenberichten wurden diverse Bildungsmaßnahmen der Ulster-Scots Sprachbehörde und weiterer Bildungseinrichtungen angeführt (ebd., 41). Justizbehörden: Wichtige Dokumente wurden von der Regierung ins UlsterScots übersetzt. Medien: Im zweiten Staatenbericht wird angegeben, dass BBC Northern Ireland regelmäßig Radiosendungen in Ulster-Scots und gelegentlich Fernsehsendungen produziert und dass die Ulster-Scots Sprachbehörde die Zeitung Ulster-Scot herausgibt. Grenzüberschreitender Austausch: Es gibt Kontakte mit dem gälischen Schottland und Südirland.

2.4.3 Kornisch Das ursprünglich in Cornwall verbreitete Kornisch (endogene Bezeichnung: Kernewek) starb im 18. Jahrhundert aus, wurde aber im ausgehenden 19. Jahrhundert mittels mündlicher Überlieferungen und Schriftstücken rekonstruiert und wiederbelebt. Im Nachtrag zum ersten Staatenbericht, dem informellen Bericht

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zu Kornisch, heißt es, dass Kornisch v.a. in Cornwall verbreitet ist und es derzeit ca. 300 Personen gibt, die Kornisch fließend sprechen. Im dritten Staatenbericht wurde von einer Studie der Cornwall Language Partnership von 2008 berichtet, die auf der Grundlage einer Umfrage mit kornischen Sprechern zu neuen Zahlen kommt: Nach dieser Studie gibt es heute 699 Sprecher des Kornischen, von denen 377 Kornisch fließend sprechen bzw. einer Konversation folgen können. Da im Gegensatz zu Wales, Schottland und Nordirland Cornwall keine eigene autonome Regierung besitzt, ist das Vereinigte Königreich selbst für die Umsetzung der in der Charta genannten Ziele zuständig. Direkter Ansprechpartner ist die Verwaltungsgrafschaft Cornwall (Cornwall Council). Am 1.4.2009 wurden durch eine Verwaltungsreform die einzelnen Distrikte Cornwalls abgeschafft; an ihre Stelle trat die Gebietskörperschaft (Unitary Authority). Im Nachtrag zum ersten Staatenbericht steht, dass es über 40 Organisationen gibt, die sich um die Förderung des Kornischen bemühen. Außerdem heißt es darin, dass das Regierungsbüro Süd-West bzw. die Grafschaft Cornwall sich Gedanken mache, wie diese in ein Forum zusammengebunden werden könnten. Der zweite Staatenbericht führte aus, dass 2003 ein Forum für die Umsetzung der in der Charta formulierten Ziele gegründet wurde und im Anschluss daran 2004 eine Sprachenstrategie für Kornisch entwickelt wurde. Laut dem dritten Staatenbericht erkannte der Minister für die Kommunalverwaltung (Minster for Local Government) am 14.6.2005 in einer nationalen Pressenachricht die kornische Sprachenstrategie an und sicherte dafür offiziell die Unterstützung der Regierung des Vereinigten Königreichs zu. 2006 wurde die Cornish Language Partnership gegründet, die die Umsetzung der Sprachenstrategie leiten und beaufsichtigen soll. Auf Kornisch trifft Teil III der Charta nicht zu; allerdings können zu den Rubriken des Maßnahmenkatalogs von Teil III einige spezifische Informationen auf der Grundlage vom Nachtrag zum ersten Staatenbericht und von Teil I und II des zweiten und dritten Staatenberichts gegeben werden. Bildung: Laut dem Nachtrag zum ersten Staatenbericht bieten einige Schulen kornischen Unterricht an. Außerdem gibt es ein breites Netzwerk an Abendschulen mit dem Angebot Kornisch für Nicht-Sprecher des Kornischen. Der Sachverständigenausschuss wurde bei seinem ersten Besuch darauf hingewiesen, dass es keinen offiziellen Sprachenplan gebe und dringend Lehrer und Lehrmaterial für Kornisch benötigt würden. Der zweite Staatenbericht dokumentiert, dass die Grafschaft Cornwall als regionale Bildungshoheit 2003 das Projekt „Sense of Placement“ ins Leben rief, mit dem Ziel, kornischen Kindern in der Schule Sprache und Kultur Cornwalls näher zu bringen. Der Sachverständigenausschuss begrüßte in seinem anschließenden zweiten Bericht die bestehende Sprachenstrategie, wies aber auch auf die Problematik der unterschiedlichen Schreibwei-

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sen im Kornischen hin; außerdem empfahl er eine Ausweitung des Unterrichts auf Kornisch, die Ausbildung von mehr Kornisch-Lehrenden und das Erstellen von kornischen Lehrbüchern. Laut drittem Staatenbericht richtete die Cornish Language Partnership daraufhin eine Kommission internationaler Sprachenexperten ein, die 2008 eine standardisierte Schrift des Kornischen vorstellte. Außerdem wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, die zur Verbreitung des Unterrichts in Kornisch führen sollen, einschließlich der Ausbildung von Lehrern des Kornischen und der Entwicklung von kornischem Unterrichtsmaterial. Medien: Im Zusatz zum ersten Staatenbericht wurde erläutert, dass es von BBC Radio Cornwall wöchentlich ausgestrahlte Radioprogramme gibt, außerdem hin und wieder kornische Kolumnen in Zeitungen, ferner kirchliche Messen und Hochzeiten auf Kornisch. Der zweite Staatenbericht erwähnte ferner, dass die Grafschaft Cornwall kornische Filmprojekte finanziell unterstütze. Grenzüberschreitender Austausch: Im dritten Staatenbericht wurde festgehalten, dass die Cornish Language Partnership vielfältige Kontakte zur Bretagne hergestellt hat und diese pflegt.

2.4.4 Manx-Gälisch Die Isle of Man ist zwar nicht Teil des Vereinigten Königreichs, untersteht aber als autonomer Kronbesitz der britischen Krone. Wie im zweiten und dritten Staatenbericht angegeben, war ihre ursprüngliche Sprache Manx-Gälisch (endogene Bezeichnung: Gaelg Vanninagh), die von irischen Einwanderern vermutlich im frühen 6. Jahrhundert eingeführt worden war. Sie verlor ab Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr an Boden, und im 20. Jahrhundert waren nur noch vereinzelt Sprecher übrig. Seit dem 20. Jahrhundert gibt es jedoch erfolgreiche Wiederbelebungsversuche, die die Anzahl der Sprecher wieder anwachsen lässt. Von 1961 bis 2001 wuchs die Zahl der Sprachkundigen von 165 auf 1.689 Personen an – viele davon unter 16 Jahre alt. Die sprachliche Förderung erfolgt v.a. an Bildungseinrichtungen und durch die Medien. Im Zuge der Schaffung einer ManxGälischen Beratungsbehörde (Coonceil ny Gaelgey/Manx Gaelic Advisory Council) 1985 wurde Manx-Gälisch als offizielle Sprache anerkannt. In einem Brief an den Generalsekretär des Europarats erklärte das Vereinigte Königreich am 22.4.2003, dass Manx-Gälisch ebenfalls als schützenswerte Sprache zu gelten habe. Die Erklärung wurde im ersten Berichtszyklus nicht berücksichtigt. Der zweite Staatenbericht gab an, dass der Regierungsplan Man Isle Government Plan 2005–2008 unter den Zielvorgaben Positive National Identity und Culture and Heritage Schutz, Darstellung und Förderung des kulturellen Erbes

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einschließlich der Sprache vorsieht. Im zweiten Bericht des Sachverständigenausschusses wurde die Aufnahme der Sprache Kornisch in die Reihe der Regional- oder Minderheitensprachen des Vereinigten Königreichs begrüßt. Das Ministerkomitee sprach im zweiten Berichtszyklus keine spezifischen Empfehlungen für Manx-Gälisch aus. Der dritte Staatenbericht informierte über die Veröffentlichung des Strategischen Plans der Regierung der Insel Man (Isle of Man Government Strategic Plan) 2007–2011, der im Rahmen des politischen Grundsatzes Quality of Life dieselben Ziele verfolgt. Auf Manx-Gälisch trifft Teil III der Charta nicht zu; allerdings können zu den Rubriken des Maßnahmenkatalogs von Teil III einige spezifische Informationen auf der Grundlage von Teil I und II des zweiten und dritten Staatenberichts gegeben werden. Bildung: Im zweiten und dritten Staatenbericht steht, dass 1992 als Teil der Regierungspolitik in den Schulen der Insel Man Wahlunterricht in Manx-Gälisch eingeführt wurde. Ferner wurde auf die Regierungspläne verwiesen (s.o.), die sich zum Ziel gesetzt haben, den manx-gälischen Unterricht in den Schulen mehr und mehr auszuweiten. Rechtliche Grundlage für den Unterricht der manx-gälischen Kultur und Sprache sind die Vereinbarungen des Education Act von 2001 und der Education Order von 2004. Justizbehörden: Laut den Staatenberichten sind neue Gesetze auf Englisch und auf Manx-Gälisch veröffentlicht worden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: In den Staatenberichten wurde angemerkt, dass Behörden und auch Privatunternehmen den Gebrauch des Manx-Gälischen in Wort und Schrift unterstützen. Häufig seien zweisprachige Schilder anzutreffen. Medien: In den Staatenberichten heißt es, dass die Regierung die Arbeit der Gaelic Broadcasting Commission (Bing Ymskeaylley Gaelgagh) unterstützt, die sich um manx-gälische Sendungen des Radiosenders Manx Radio kümmert. Außerdem veröffentlichen die Zeitungen der Insel Man gelegentlich zweisprachige Nachrichtenberichte. Rechtliche Grundlage für manx-gälische Medien ist das Gesetz des Broadcasting Act von 1993. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: In den Staatenberichten wurde auf die Regierungspläne verwiesen, die das kulturelle Erbe der Insel bewahren und fördern wollen.

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3 Bewertung Die Ratifizierung der Charta durch das Vereinigte Königreich muss vor dem Hintergrund der Sprachenpolitik dieses Staates gesehen werden, die je nach betroffenem Gebiet unterschiedlich ausfällt und im Zusammenhang mit der Dezentralisierung (devolution) von Schottland, Wales und Nordirland zu bewerten ist. Ebenso spielt eine Rolle, dass mangels der Grundlage einer Verfassung Entscheidungen eher pragmatisch getroffen werden. Da außerdem das Ethos der Einsprachigkeit vorherrscht – Englisch ist allgegenwärtig – ist das Interesse der Regierung an den Minderheitensprachen nicht übermäßig groß, zumal die Gebiete, in denen die Sprachen gesprochen werden, nicht im englischen Teil des Vereinigten Königreichs liegen. Hinzu kommt außerdem die vorherrschende Rolle des Englischen als Weltsprache. Das Vereinigte Königreich hat durch seine unterschiedliche Behandlung der Sprachen in der Charta eine Hierarchie von Sprachen geschaffen, von denen einige mehr und andere weniger Unterstützung erhalten. Den drei relativ etablierten Minderheitensprachen Walisisch, Schottisch-Gälisch und Irisch, auf die Teil II und III der Charta zutreffen, stehen die vier Sprachen gegenüber, auf die lediglich Teil II zutrifft. Diese Ungleichbehandlung ist insofern nachvollziehbar, als zwei der Sprachen vorwiegend als Dialekte des Englischen wahrgenommen werden (Scots und Ulster-Scots) und die anderen beiden Sprachen der Gruppe bereits ganz bzw. fast ausgestorben waren (Kornisch und Manx-Gälisch). Die Aufteilung in zwei Sprachgruppen spiegelt den Status Quo der Sprachsituation wider – allerdings muss hinterfragt werden, ob diese Aufteilung den tatsächlichen Bedürfnissen der betroffenen Sprachgemeinschaften entspricht. Außerdem können in den Staatenberichten in den Teilen I und II viele Informationen zu den Rubriken des Maßnahmenkatalogs für Walisisch, Schottisch-Gälisch und Irisch gefunden werden, so dass es als ein gangbarer Weg erscheint, in der Zukunft Teil III auch auf Scots, Ulster-Scots, Kornisch und Manx-Gälisch anzuwenden. Ferner wäre zu überlegen, Walisisch, Schottisch-Gälisch und Irisch hinsichtlich der Anzahl der Paragraphen in Teil III der Charta gleichzustellen.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of the United Kingdom, 1.7.2002. [= 1. Staatenbericht] Addendum to the Initial Periodical Report presented to the Secretary General of the Council of Europe in accordance with Article 15 of the Charter, United Kingdom, Informal UK report on Cornish, 17.12.2002. [= Addendum zum 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of the United Kingdom, 1.7.2005. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of the United Kingdom, 25.5.2009. [= 3. Staatenbericht] Initial Committee of Experts‘ Evaluation Report, 24.3.2004. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts‘ Evaluation Report, 14.3.2007. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts‘ Evaluation Report, 21.4.2010. [= 3. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers‘ Recommendation, 19.9.2001. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers‘ Recommendation, 15.12.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Third Committee of Ministers‘ Recommendation, 9.7.2008. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, Straßburg 1.2.1995. .

4.1.2 Weitere Quellen Vereinigtes Königreich/English Crown: „Act of Union 1536“. In: Statute book chapter 27 Henry VIII c. 26. Vereinigtes Königreich/English Crown: „Act of Union 1707. Act ratifying and approving treaty of the two Kingdoms of Scotland and England“. In: 1707 c. 17, 1.5.1707. Vereinigtes Königreich/Irish Parliament: „The Education Reform (Northern Ireland) Order 1989“. In: 1989 No. 2406 (N.I. 20). Vereinigtes Königreich/Isle of Man Government: „Broadcasting Authority (Amendment) Act“. In: 1993 c. 15, 8.7.1993. Vereinigtes Königreich/Isle of Man Government: „Education Act 2001“. In: 2001 c. 33. Vereinigtes Königreich/Isle of Man Government: „Education Order 2004“. In: S.D. 426/04. Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Act of Union 1800. An Act for the Union of Great Britain and Ireland“. In: 40 Geo 3 (1800) c. 38, 1.1.1801. Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Welsh Language Act 1967. An Act to make further provision with respect to the Welsh language and references in Acts of Parliament to Wales“. In: 1967 c. 66, 27.7.1967. Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Elementary Education Act“. In: 1870 vol. 199 cc. 438–981, 7.2.1870.

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 Roswitha Fischer

Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Local Government (Scotland) Act. An Act to amend the Laws relating to Local Government in Scotland“. In: 52 & 53 Vict. c. 50, 26.8.1889. Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Welsh Language Act 1993“. In: 1993 c. 38, 21.12.1993. Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Government of Wales Act 1998. An Act to establish and make provision about the National Assembly for Wales and the offices of Auditor General for Wales and Welsh Administration Ombudsman; to reform certain Welsh public bodies and abolish certain other Welsh public bodies; and for connected purposes“. In: 1998 c.38, 31.7.1998. Vereinigtes Königreich/Parliament of the United Kingdom: „Northern Ireland (St. Andrews Agreement) Act 2006“. In: 2006 c. 53, 13.6.2006. Vereinigtes Königreich/Republik Irland: Belfast Agreement/Good Friday Agreement, 10.4.1998. Vereinigtes Königreich/Scottish Parliament: „Education (Scotland) Act 1872“. In: 1873 vol. 216 c. 1412. Vereinigtes Königreich/Scottish Parliament: „Education (Scotland) Act 1980“. In: 1980 c. 44, 1.8.1980. Vereinigtes Königreich/Scottish Parliament: „Scottish Executive Circular No 3/2002 Standards“. In: Standards in Scotland’s Schools etc. Act 2000. Guidance On Presumption Of Mainstream Education, 2000. Vereinigtes Königreich/Scottish Parliament: „Gaelic Language (Scotland) Act“. In: 2005 asp 7, 1.6.2005.

4.2 Literatur Dunbar, Robert: The ratification by the United Kingdom of the European Charter for Regional or Minority Languages, Mercator-Legislation Working Paper 10, 2003. (4.7.11). Guskow, Meike: Entstehung und Geschichte der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, Frankfurt: Lang 2009. Hogan-Brun, Gabrielle / Wolff, Stefan (Hrsg.): Minority Languages in Europe, Houndmills: Palgrave Macmillan 2003. Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. McLeod, William: „An opportunity avoided? The European Charter for Regional or Minority Languages“. In: Robert Dunbar / Gwynedd Parry (Hrsg.): The European Charter for Regional or Minority Languages: Legal challenges and opportunities, Strasbourg: Council of Europe Publishing 2008: 201–218. Pan, Christoph: „Die Minderheitenrechte im Vereinigten Königreich“. In: Christoph Pan / Beate Sibylle Pfeil (Hrsg.): Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006: 608–622. Ulster-Scots Academy: (4.7.11). Ulster-Scots Language Society: (4.7.11).

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4.3 Maßnahmen Artikel 8 (Bildung)

1a (i, iii), b (i, iv), c (i, iv), d (iv), e (iii), f (ii, iii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2b, 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (i, iv), b, c; 2a–g; 3a, c; 4a, b; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (i–iii), b (ii), c (ii), d, e (i, ii), f (ii), g; 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–h; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a, c, d; 2b, c, e

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Désirée Cremer (Bonn)

Kroatien (Republika Hrvatska) 1 Vorgeschichte Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Kroatien 1945 Teilrepublik der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Infolge eines Referendums am 19.5.1991, in dem sich ca. 94 % der Bewohner Kroatiens für die Unabhängigkeit aussprachen, wurde diese durch die am 25.6.1991 vom Parlament verabschiedete Souveränitäts- und Unabhängigkeitserklärung der Republik Kroatien (Deklaracija o proglašenju suverene i samostalne Republike Hrvatske) besiegelt. Um die sich anschließenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen Serbien und Kroatien zu beenden, berief die Europäische Gemeinschaft (EG) im August 1991 eine Friedenskonferenz in Den Haag ein. Nachdem die Friedensgespräche scheiterten, erlangte Kroatien am 15.1.1992 die diplomatische Anerkennung durch die EG und ihre Mitgliedstaaten. Vier Monate später, am 22.5.1992, erfolgte die Aufnahme in die Vereinten Nationen. Am 6.11.1996 trat Kroatien als 40. Staat dem Europarat bei. Nach sechsjährigen Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) (3.10.2005–30.6.2011), um deren Mitgliedschaft sich Kroatien am 21.2.2003 bewarb, ist der EU-Beitritt auf den 1.7.2013 angesetzt.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Kroatien unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 6.11.1996. Sie wurde am 5.11.1997 ratifiziert und trat am 1.3.1998 in Kraft. Der erste Berichtszyklus begann am 19.3.1999 mit einem Staatenbericht Kroatiens. Der Sachverständigenausschuss besuchte das Land erstmals im Oktober 1999 und verabschiedete den Evaluationsbericht am 2.12.2000, auf dessen Grundlage das Ministerkomitee am 19.9.2001 seine Empfehlungen formulierte. Kroatien erstattete den zweiten Bericht am 14.1.2003. Im März 2004 erfolgte der Staatenbesuch des Sachverständigenausschusses. Der entsprechende Bericht

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 Désirée Cremer

wurde am 26.11.2004 vorgelegt, woraufhin das Ministerkomitee am 7.9.2005 Empfehlungen aussprach. Am 12.10.2006 setzte mit dem nächsten Staatenbericht der dritte Zyklus ein. Der Sachverständigenausschuss unternahm im Mai 2007 einen weiteren Besuch vor Ort, um am 21.9.2007 seinen Bericht einzureichen. Darauf basierend, verabschiedete das Ministerkomitee am 12.3.2008 seine neuen Empfehlungen. Den vierten Staatenbericht legte Kroatien am 18.1.2010 vor. Der Sachverständigenausschuss besuchte das Land im April desselben Jahres und verabschiedete am 2.6.2010 den Evaluationsbericht, welcher die Grundlage für weitere, am 8.12.2010 getroffene Empfehlungen bildete.

2.1.2 Institutionen Während die an den ersten beiden Staatenberichten beteiligten Minderheitenvertreter nicht präzisiert werden, nennt der dritte Bericht neben den entsprechenden Regierungsstellen sieben Minderheitenverbände, die zur Redaktionsmitarbeit eingeladen worden seien. Nur zwei davon hätten auf das Angebot reagiert: – Demokratski savez Mađara Hrvatske („Demokratischer Verband der Ungarn von Kroatien“) – Savez Slovaka („Verband der Slowaken“). Laut viertem Staatenbericht haben folgende der zur Kooperation eingeladenen Verbände Repliken formuliert, die im Anhang des Berichts aufgeführt sind: – Srpsko kulturno društvo „Prosvjeta“ („Serbischer Kulturverband ‚Prosvjeta‘“) – Savez slovenskih društava („Vereinigung slowenischer Verbände“).

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument erklärt Kroatien gemäß Artikeln 2,2 und 3,1, die Charta auf die Sprachen Italienisch, Serbisch, Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch, Ruthenisch und Ukrainisch anzuwenden. Gemäß Artikel 21 lehnt Kroatien die Bestimmungen von Artikel 7,5 der Charta ab, so dass Teil II (Art. 7) der Charta für keine weiteren, nicht-territorialen Sprachen gilt. Dieser Vorbehalt betrifft v.a. Slowenisch und Romanes, deren Sprecher die kroatische Regierung zwar als nationale Minderheiten mit traditioneller Verankerung anerkennt, deren konzentrierte territoriale Präsenz sie jedoch verneint. In allen bisherigen Berichtszyklen versuchte der Sachverständigenausschuss, Kroatien zu einer Aufnahme insbesondere des Slowenischen in Teil II zu bewegen. Trotz des konsequent verfolgten Ausschlusses ergriff Kroatien wichtige Initia-

Kroatien 

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tiven in den Bereichen Bildung (z.B. slowenischer Ergänzungsunterricht an einer Grundschule), Medien (Zeitschriften, Radio und TV-Programme) und Kultur zur Unterstützung dieser Minderheiten und zum Schutz ihrer Sprachen. Für die Roma wurde außerdem ein zehnjähriger (2005–2015) Integrationsplan erstellt. Im dritten Evaluationsbericht verlangte der Sachverständigenausschuss Angaben zu einer möglicherweise traditionellen Präsenz von Sprechern des Istrorumänischen. Die kroatische Regierung erläuterte, das Kultusministerium habe diese Sprache in das Register der geschützten Kulturgüter aufgenommen. In Anbetracht der prekären Lage dieser Sprache begrüßte der Sachverständigenausschuss im vierten Bericht die forschungsorientierten und bildungspolitischen Maßnahmen Kroatiens, die zur Sensibilisierung und Dokumentation des Istrorumänischen beitrügen. Die Unabhängigkeitserklärung von 1991 garantiert allen Minderheiten in Kroatien die Menschen- und Bürgerrechte, die Redefreiheit sowie das Recht, ihre Sprachen und Kulturen zu pflegen. Die vor der Erlangung der Unabhängigkeit geschlossenen Abkommen mit Italien und Ungarn sowie die dadurch gesicherten Rechte der Minderheiten behalten nach dem Zerfall Jugoslawiens ihre Gültigkeit. Doch sind im Laufe der Berichtszyklen auch grundlegende und notwendige Veränderungen der Gesetzeslage zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen eingetreten. Im Januar 1998 wurde der Rat nationaler Minderheiten eingerichtet, um den direkten Dialog zwischen Vertretern von Minderheiten und der kroatischen Regierung zu gewährleisten. Als gesetzliche Basis der Charta dienten während des ersten Berichtszyklus die Verfassung der Republik Kroatien von 1990 (Ustav Republike Hrvatske) und Artikel 5 bis 17 des 1991 verabschiedeten Verfassungsgesetzes über die Menschenrechte und Freiheiten sowie über die Rechte der ethnischen und nationalen Gemeinschaften und Minderheiten in der Republik Kroatien (Ustavni zakon o ljudskim pravima i slobodama, kao i pravima etničkih i nacionalnih zajednica i manjina u Republici Hrvatskoj). Aus Artikel 5 des Ratifikationsinstruments geht hervor, dass die Charta in den Gebieten angewendet werde, die den Amtsgebrauch der jeweiligen Sprache gemäß Artikel 12 der Verfassung und Artikeln 7 und 8 des Verfassungsgesetzes eingeführt haben. So sei der offizielle Gebrauch einer Minderheitensprache entweder durch den Fall, dass die Minderheit mehr als 50 % der dortigen Bevölkerung ausmacht, automatisch gewährleistet – der Sachverständigenausschuss betrachtet diese Schwelle als zu hoch – oder durch den Erlass der jeweiligen Selbstverwaltungseinheit (insgesamt 547) verordnet. Spezielle Gesetze, die die Bildung in Minderheitensprachen und ihren offiziellen Gebrauch regeln, existierten während des ersten Berichtszyklus noch nicht. Wie der zweite Staatenbericht zeigt, wurden neben der 2001 erfolgten Verfassungsreform im Mai 2000 ein Gesetz über den Gebrauch der Sprachen und Alphabete

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 Désirée Cremer

nationaler Minderheiten (Zakon o uporabi jezika i pisma nacionalnih manjina u Republici Hrvatskoj) und im Dezember 2002 das neue Verfassungsgesetz über die Rechte nationaler Minderheiten (Ustavni zakon o pravima nacionalnih manjina, bei Pan „Nationalitätenverfassungsgesetz“), welches das alte ersetzt und zahlreiche im Sinne der Charta unerlässliche Bestimmungen trifft, verabschiedet. Die vom Sachverständigenausschuss positiv hervorgehobene Veränderung der Gesetzeslage bewirkt den Amtsstatus einer Regional- oder Minderheitensprache, wenn deren Sprecher ein Drittel der Bevölkerung präsentieren oder ein entsprechendes internationales Abkommen, eine Verordnung der Gemeinde oder des Komitats besteht. Trotz gesetzlicher Verbesserungen monierten Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee im zweiten und dritten Zyklus, dass kein Gesamtüberblick über die Territorien vorliege, in denen Teil III (Art. 8–14) der Charta in Kraft tritt. Erst im vierten Bericht lieferte Kroatien eine entsprechende Liste: In 27 Städten und Gemeinden besäßen Minderheitensprachen neben dem Kroatischen Amtsstatus, da sie von mindestens einem Drittel der dortigen Bevölkerung gesprochen würden. In 30 weiteren sei der kooffizielle Gebrauch durch Statuten geregelt. Die folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Sprachendaten Kroatiens nach den Zensus von 1991 und 2001 (vgl. zweiter Staatenbericht): Bevölkerung nach Muttersprache Muttersprache   Σ Kroatisch Serbokroatisch Kroatoserbisch Serbisch Italienisch Ungarisch Slowenisch Albanisch Tschechisch Romanes Mazedonisch Slowakisch Ruthenisch Ukrainisch Bosnisch Deutsch

Zahl

(%)

1991

2001

1991

2001

4.784.265 3.922.725

– 4.265.081 4.961 2.054 44.629 20.521 12.650 11.872 14.621 7.178 1.205 3.534 3.993 1.828 1.027 9.197 3.013

100,00 81,99

100,00 96,12 0,11 0,05 1,01 – 0,29 0,27 0,33 0,16 0,03 0,08 0,09 0,04 – 0,21 0,07

466.968 207.300 26.580 19.684 19.341 12.735 10.378 7.657 5.462 5.265 2.845 1.430 – –

9,76 4,33 0,56 0,41 0,40 0,27 0,22 0,16 0,11 0,11 0,06 0,03 – –

Kroatien 

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Die Auswirkungen des Jugoslawienkriegs auf Migrationsbewegungen und demographische Entwicklungen spiegeln sich in Kroatiens Minderheitenbild wider. Der drastische Bevölkerungsrückgang der Minderheitensprecher wurde vom Sachverständigenausschuss warnend hervorgehoben. Im April 2011 fand ein weiterer Zensus statt, dessen Minderheitendaten noch nicht verfügbar sind, sicherlich aber in den fünften Berichtszyklus integriert werden.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen Bevor die Maßnahmen für die gleichzeitig durch Teil II und III der Charta geschützten Sprachen im Einzelnen aufgeführt werden, seien einige sprachübergreifende Aspekte erläutert. Im Mai 2000 wurde das Gesetz über den Unterricht in Minderheitensprachen (Zakon o odgoju i obrazovanju na jeziku i pismu nacionalnih manjina) verabschiedet, welches Angehörigen nationaler Minderheiten – gemäß ihrem Wunsch und den Umsetzungsmöglichkeiten – eine Ausbildung in ihrer Muttersprache nach folgenden Modellen garantiert: – A: Die Minderheitensprache mit ihrem Alphabet ist Unterrichtssprache. Kroatisch stellt ein Pflichtfach dar. – B: Die Naturwissenschaften werden in Kroatisch, die anderen Fächer in der Minderheitensprache gelehrt. – C: Die Minderheitensprache wird in einem wöchentlich fünfstündigen Zusatzunterricht angeboten, in dem Sprache, Literatur, Geschichte, Geographie, Musik und Kunst der jeweiligen nationalen Minderheit vermittelt werden. Laut Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee ist Modell C stärker in das normale Lehrprogramm zu integrieren. Bis zum vierten Berichtszyklus seien zwar eine Reihe bildungspolitischer Gesetze verabschiedet worden, die Bedingungen von Modell C blieben jedoch meist ungünstig. Im Medienbereich versucht Kroatien seit 1999, durch gesetzliche Maßnahmen Besserungen sowie größere Zufriedenheit der Minderheitensprecher zu erzielen. Diese hielten nämlich das Nachrichtenjournal Prizma – die zunächst einzige Fernsehsendung, die alle Minderheitensprachen (quantitativ ungleich) verwendet – für inadäquat, da es ein folkloristisches Bild der Minderheiten vermittle, anstatt die Autonomie ihrer Sprachen ernsthaft zu fördern. Nach dem letzten Staatenbesuch sei Manjinski mozaik („Mosaik der Minderheiten“) im öffentlichen Fernsehen Kroatiens (HRT) angelaufen. Ob die sonntäglich 15-minütige Sendung in Minderheitensprachen den Beschwerden Rechnung trägt, bleibt abzuwarten.

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Immerhin seien im vierten Zyklus alle durch die Charta zu schützenden Minderheitensprachen im regionalen Hörfunk vertreten. Einen sehr wichtigen Beschluss stellt der am 25.6.2008 verabschiedete Aktionsplan zur Durchsetzung des Verfassungsgesetzes über die Rechte nationaler Minderheiten (Akcijski plan za provedbu Ustavnog zakona o pravima nacionalnih manjina) dar, welcher insbesondere Maßnahmen im Bildungs- und Medienbereich sowie im Justiz- und Verwaltungswesen zur Förderung gegenseitiger Verständigung vorsieht. Bei dessen Weiterentwicklung und Umsetzung seien jedoch – so der Sachverständigenausschuss in seiner vierten Evaluation – mehr Transparenz und Kooperation mit den Verbänden der nationalen Minderheiten gefordert. Da für den Bereich Wirtschaftliches und soziales Leben nur sehr wenige und v.a. kaum sprachenspezifische Informationen vorliegen, wird er in den folgenden Unterkapiteln nicht berücksichtigt. Eine kurze Zusammenfassung mag genügen: Während die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Minderheitensprachen im wirtschaftlichen und sozialen Sektor gemäß Artikel 13a–b der Charta durch die Verfassung abgedeckt sind, erlauben die Angaben Kroatiens bezüglich Unterparagraph c laut Sachverständigenausschuss in allen vier Zyklen kein endgültiges Urteil. Es würden keine konkreten Maßnahmen gegen Versuche, Minderheitensprecher vom Gebrauch ihrer Sprache abzubringen, genannt. Im vierten Evaluationsbericht verlangte der Sachverständigenausschuss diesbezüglich Informationen über den für 2008–2013 angesetzten Nationalplan und ein erwartetes Antidiskriminierungsgesetz. Der Bereich Grenzüberschreitender Austausch gilt seit dem ersten Berichtszyklus hinsichtlich aller ausgewählten Minderheitensprachen dank zahlreicher Kooperationsabkommen, Städtepartnerschaften etc. als erfüllt. Im Folgenden werden daher nur – falls vorhanden – bedeutende minderheitenspezifische Maßnahmen genannt.

2.3.1 Italienisch Laut viertem Staatenbericht tritt Teil III der Charta für Italienisch in folgenden Gebieten in Kraft: Brtonigla/Verteneglio, Grožnjan/Grisignana, Buje, Cres, Novigrad, Poreč, Pula, Rijeka, Rovinj, Umag, Vodnjan, Bale, Fažana, Funtana, Kaštelir-Labinci, Ližnjan, Motovun, Oprtalj, Tar-Vabriga, Višnjan (mit den Siedlungen Višnjan, Markovac, Deklevi, Benčani, Štuti, Bucalovići, Legovići, Strpačići, Barat, Farini), Vrsar. Bildung: Aus den Staatenberichten geht hervor, dass zahlreiche Kinder von der Vorschule bis zur Sekundarstufe Unterricht auf Italienisch (Modell A) in

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eigenen Einrichtungen erhielten. Außerdem seien eine entsprechende berufliche Ausbildung sowie ein Italienischstudium an der Universität möglich. Für die Aus- und Weiterbildung von Italienischlehrern existiere eine spezielle Schule in Pula. Eine Kritik des Sachverständigenausschusses bezog sich auf während des zweiten Staatenbesuchs geäußerte Klagen über Probleme der Anerkennung in Italien erworbener Diplome. Der dritte Berichtszyklus informierte diesbezüglich über das 2003 erlassene Gesetz über die Anerkennung ausländischer Diplome (Zakon o priznavanju inozemnih obrazovnih kvalifikacija) und die Einrichtung eines entsprechenden Amtes. Im vierten Berichtszyklus wurden keine weiteren Probleme benannt. Der Sachverständigenausschuss erachtete die Schutzmaßnahmen in der Bildung insgesamt als gewährleistet. Justizbehörden: Das Italienische ist im Justizbereich weitgehend durch den Vertrag von Osimo (10.11.1975) geschützt und nimmt so eine den anderen Minderheitensprachen überlegene Stellung ein. Die Staatenberichte belegen die konkrete Verwendung des Italienischen bei Gericht. Bis zum vierten Berichtszyklus äußerte der Sachverständigenausschuss keine gravierende Kritik, und die Maßnahmen gelten als erfüllt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Im ersten Zyklus erachtete der Sachverständigenausschuss den Schutz durch den Vertrag von Osimo als ausreichend gesichert, so sei in den betreffenden Zonen Istriens der Verlauf öffentlicher Verwaltungs- und Dienstleistungsangelegenheiten auf Kroatisch sowie Italienisch möglich. Während des zweiten Staatenbesuchs habe der Sachverständigenausschuss jedoch Beschwerden über die Situation in Rijeka, Sitz der meisten Institutionen der italienischen Minderheit, vernommen, so dass er zur Verbesserung der Lage aufrief. Die Italienischsprecher beklagten außerdem, dass der italienische Name Rijekas (Fiume) nicht hinreichend anerkannt sei. Während des vierten Berichtszyklus betrachtete der Sachverständigenausschuss die Bedingungen in der Regional- und Ortsverwaltung als erfüllt. In der Staatsverwaltung und insbesondere im öffentlichen Dienst seien jedoch weitere Maßnahmen erforderlich, um den umfassenden Schutz von Teil III der Charta zu gewährleisten. Medien: Neben der Nachrichtensendung Prizma, deren Inhalt und Dauer – wie bereits erläutert – von den Minderheitensprechern bemängelt wird, gibt es dem zweiten Staatenbericht zufolge wöchentlich eine 45-minütige dreisprachige (Kroatisch, Italienisch, Slowenisch) Fernsehsendung auf dem Kanal Nezavisna Istarska televizija d.d. in Pazin und mehrmals täglich regional ausgestrahlte, kurze Radioberichte für die italienische Minderheit. Der Sachverständigenausschuss monierte in seinem zweiten Bericht die gescheiterte Kooperation mit Slowenien: Während der italienischsprachige Fernsehkanal in Koper/Capodistria (Slowenien) vor dem Zerfall Jugoslawiens für die italienischen Minderheiten in Slowenien und Kroatien ausgestrahlt und so die Beibehaltung ihres historisch

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homogenen Charakters gefördert habe, dürfe er seit der Unabhängigkeit beider Staaten nur noch auf Mittelwelle senden, was den Empfang in Istrien und Rijeka beeinträchtige und indirekt die Verbindung zwischen den in Slowenien und Kroatien lebenden Italienischsprechern schwäche. Der Sachverständigenausschuss forderte Kroatien auf, in Zusammenarbeit mit Slowenien Maßnahmen zur Problembehebung zu ergreifen. Laut drittem Evaluationsbericht ist der Empfang der entsprechenden Stationen in Kroatien dank finanzieller Unterstützung der italienischen Regierung wieder möglich. Im vierten Berichtszyklus gelten die Bedingungen im Hörfunk als erfüllt, die Maßnahmen im Bereich TV jedoch als nicht ausreichend. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Während der erste Staatenbericht lediglich auf die Existenz des italienischen Verlags Edit in Rijeka, der vom kroatischen Staat sowie regionalen Geldern unterstützt werde, hinwies, legte Kroatien im zweiten Bericht dar, dass es für die italienische Minderheit eine Gemeindebibliothek und einen Lesesaal in Pula gebe, die in den Jahren 2000 und 2001 Subventionen erhielten. Laut drittem Staatenbericht bekam die italienische Minderheit 2006 Kredite in Höhe von 4.300.000 Kuna zur Förderung der Tageszeitung La voce del popolo sowie der Zeitschriften Panorama und Arcobaleno. Eine noch im vierten Bericht alle Minderheitensprachen einschließende Kritik des Sachverständigenausschusses betrifft den Mangel an Informationen zur Förderung audiovisueller Werke in Minderheitensprachen gemäß Artikel 12,1g. Grenzüberschreitender Austausch: Hinzuweisen ist auf den Vertrag von Osimo, zahlreiche Städtepartnerschaften und kulturelle Kooperationen.

2.3.2 Serbisch Im vierten Staatenbericht sind die Gebiete aufgelistet, in denen Teil III der Charta zum Einsatz kommt: Vrbovsko, Vukovar, Biskupija, Borovo, Civljane, Dvor, Erdut, Ervenik, Gračac, Gvozd, Jagodnjak, Kistanje, Kneževi Vinogradi, Krnjak, Markušica, Negoslavci, Plaški, Šodolovci, Trpinja, Udbina, Vojnić, Vrhovine, Donji Lapac, Nijemci (mit den Siedlungen Banovci, Vinkovački Banovci). In allen Berichtszyklen betonte der Sachverständigenausschuss im Hinblick auf den kurz zurückliegenden Konflikt zwischen Serben und Kroaten sowie auf Beschwerden der serbischen Minderheit, dass die Toleranz gegenüber deren Sprache und Alphabet zu vergrößern sei. Besonders in Bildung und Medien müssten Maßnahmen getroffen werden, um die kroatische Bevölkerung für Probleme der serbischen Minderheit zu sensibilisieren. Bildung: Die Staatenberichte führen aus, dass Serbisch von der Vorschule – hier in eigenen Einrichtungen – bis zur Sekundarstufe unterrichtet werde.

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Während der Sachverständigenausschuss in seiner ersten Evaluation die Möglichkeiten in der Berufs-, Hochschul- und Lehrerausbildung nicht als ausreichend erachtete, würdigte er in der zweiten Bewertung die erfolgten Verbesserungen, z.B. das 1999 errichtete Ausbildungsinstitut für Lehrer in Zagreb, das jedoch auf Grund von Studentenmangel bereits eine Schließung in Erwägung ziehe. Im vierten Zyklus explizierte der Sachverständigenausschuss einige von Prosvjeta vorgebrachte Kritiken bezüglich der Bereitstellung adäquater Schulbücher und der Einführung von Modell C, erachtete den Schutz aber insgesamt bis auf den Bereich der Lehrerausbildung – hier seien weitere Informationen erforderlich – als gewährleistet. Justizbehörden: Die Umsetzung der gesetzlichen Veränderungen ist laut Sachverständigenausschuss bis zum vierten Berichtszyklus nicht eingetreten, so dass der Schutz nur theoretisch, nicht aber praktisch bestehe. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Aus den Evaluationsberichten geht hervor, dass das Serbische zwar in einigen Gebieten als Amtssprache fungiere, die damit verbundenen Rechte in der Praxis jedoch nicht bestünden. Außerdem sei kooffizieller Status und Anwendung von Teil III auch in Gebieten wünschenswert, in denen sie nicht automatisch durch Überschreitung der Ein-Drittel-Grenze gewährleistet seien (z.B. Beli Manastir: 22  %, Daruvar: 14 %). Weitere Kritikpunkte gelten der fehlenden Toponymie im kyrillischen Alphabet und dem Umstand, dass Serbischsprecher die Verwendung ihrer Schrift mieden, um auf kroatische Behörden nicht provokativ zu wirken. Noch im vierten Zyklus bemängelte der Sachverständigenausschuss, dass die Bedingungen in der Staats-, Regional- und Ortsverwaltung nur partiell erfüllt seien und der erforderliche Schutz im öffentlichen Dienst nicht existiere. Medien: Dem zweiten Staatenbericht zufolge senden einige private, lokale Radiostationen täglich oder wöchentlich ein mehrstündiges Programm auf Serbisch (Banska kosa d.o.o. in Beli Manastir, Stereo d.o.o. in Vinkovci, Rapsodija d.o.o. in Borovo). Die Bedingungen im Hörfunk werden jedoch erst seit dem vierten Zyklus als erfüllt angesehen. Der Schutz im TV-Bereich, der nur durch Prizma abgedeckt ist, wird weiterhin als defizitär eingestuft. Die Maßnahmen in der Presse – die serbischsprachige Wochenzeitschrift Novosti habe 2005 finanzielle Unterstützung erhalten – bewertete der Sachverständigenausschuss schon in seinem dritten Bericht als ausreichend. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Aus den Staatenberichten geht hervor, dass finanzielle Mittel v.a. für Restaurationsarbeiten serbisch-orthodoxer Einrichtungen sowie zu Gunsten der serbischen kulturellen Gesellschaft Prosvjeta in Zagreb eingesetzt würden. Der dritte Staatenbericht informierte außerdem über Kredite in Höhe von 3.505.000 Kuna für serbischsprachige Veröffentlichungen im Jahr 2006.

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Grenzüberschreitender Austausch: Erwähnenswert ist das im November 2004 mit Serbien-Montenegro geschlossene Abkommen zum Schutz der Minderheitenrechte (Sporazum između Republike Hrvatske i Srbije i Crne Gore o zaštiti prava hrvatske manjine u Srbiji i Crnoj Gori i srpske i crnogorske manjine u Republici Hrvatskoj), welches im dritten Berichtszyklus expliziert wurde.

2.3.3 Ungarisch Laut viertem Staatenbericht gilt Teil III der Charta für Ungarisch in folgenden Gebieten: Bilje, Kneževi Vinogradi, Ernestínovo (mit der Siedlung Laslovo), Petlovac (mit der Siedlung Novi Bezdan), Tompojevci (mit der Siedlung Čakovci), Tordinci (mit der Siedlung Korod). Bildung: Die Staatenberichte legen dar, dass Ungarisch von der Vorschule bis zur Sekundarstufe in eigenen Einrichtungen unterrichtet werde. In seiner ersten Evaluation forderte der Sachverständigenausschuss Verbesserungen im Hochschulbereich – es sei nur ein Studium ungarischer Geschichte als Nebenfach möglich – und Fortschritte in der Lehrerausbildung, die lediglich in Form eines Lehreraustauschprogramms mit Ungarn existiere. Im zweiten Bericht machte er v.a. auf Probleme der Schulbuchbeschaffung aufmerksam. Im dritten appellierte er – ausgehend von während des Staatenbesuchs vernommenen Klagen – an die kroatische Regierung, den Bau eines Internats in Osijek zu fördern, um den Schulbesuch für Kinder aus entfernten Gebieten zu ermöglichen. Positiv wurde hervorgehoben, dass Ungarisch nun an der philosophischen Fakultät der Universität in Osijek gelehrt werde und an der Universität Zagreb ein Lehrstuhl für ungarische Studien existiere. Im vierten Zyklus betrachtete der Sachverständigenausschuss den Schutz als umfassend gewährleistet, wünschte aber weitere Auskünfte über die Lehrerausbildung. Zudem hob er mahnend hervor, dass im Gegensatz zu den anderen Minderheitensprachen die Teilnehmeranzahl des ungarischen Vorschulunterrichts von 2006 auf 2008 einen Rückgang erfahren habe, was zusätzliche Informationen erfordere. Justizbehörden: Die im Laufe der Berichtszyklen erfolgten Verbesserungen der Gesetzeslage müssen laut Sachverständigenausschuss in die Realität umgesetzt werden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der Sachverständigenausschuss kritisierte, dass lokale Behörden den kooffiziellen Status des Ungarischen in der Praxis oft nicht berücksichtigten und Minderheitensprecher ihre Unzufriedenheit mit dem jeweiligen Verwaltungswesen geäußert hätten. Während des vierten Staatenbesuchs sei der Sachverständigenausschuss über Besserungen informiert worden. Trotzdem erachtete er im anschließenden

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Bericht den Schutz im öffentlichen Dienst als nicht, in der Staatsverwaltung als formell und in der Regional- und Ortsverwaltung als nur teilweise gewährleistet. Medien: Zwar bemängelte der Sachverständigenausschuss im zweiten Bericht, dass die Medienpräsenz des Ungarischen seit dem Jugoslawienkrieg abgenommen habe, insgesamt kristallisiert sich aber die positive Sonderrolle dieser Minderheitensprache heraus. Da, wie aus dem dritten Berichtszyklus hervorgeht, neben Prizma der öffentliche Kanal TV Osijek wöchentlich eine 30-minütige Sendung auf Ungarisch ausstrahle, sei Ungarisch die einzige Minderheitensprache, für die im TV-Bereich ein ausreichender Schutz im Sinne der Charta vorliege. Im Hörfunk strahlten Radio Osijek und Radio Daruvar d.o.o. täglich Sendungen auf Ungarisch aus. Der Sachverständigenausschuss betrachtete den Bereich der Presse seit dem zweiten Zyklus als erfüllt, da regelmäßige ungarische Veröffentlichungen von der Regierung subventioniert würden. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Aus den ersten beiden Staatenberichten geht hervor, dass zeitweise finanzielle Mittel zur Unterstützung der Gesellschaft der ungarischen Gelehrten und Künstler in Zagreb und der Bibliothek der ungarischen Minderheit an der Universität in Beli Manastir eingesetzt worden seien. Dem dritten Staatenbericht zufolge wurden 2006 Kredite in Höhe von 1.360.000 Kuna für ungarischsprachige Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt. Grenzüberschreitender Austausch: Seit 2002 dehne sich die gute Kooperation mit Ungarn, die bereits zuvor durch Abkommen sichergestellt war, auf den Kultur- und Bildungsbereich aus.

2.3.4 Tschechisch Teil III der Charta ist laut viertem Staatenbericht für Tschechisch in folgenden Gebieten rechtskräftig: Končanica, Daruvar (mit den Siedlungen Ljudevit Selo, Daruvar, Donji Daruvar, Gornji Daruvar, Doljani). Bildung: Wie der zweite Staatenbericht zeigt, folgten Kinder der Vor- und Grundschule ihrem Unterricht auf Tschechisch in eigenen Einrichtungen. Entgegen dem ersten Berichtszyklus würden nun auch die Verpflichtungen im Sekundarbereich eingehalten. Während des zweiten Staatenbesuchs habe der Sachverständigenausschuss allerdings Kritik an der Lehrerausbildung vernommen. Noch im vierten Evaluationsbericht äußerte er den Wunsch, diesbezüglich Informationen zu erhalten. Insgesamt seien im vierten Zyklus aber alle Bedingungen – die Berufsausbildung ausgenommen – erfüllt. Justizbehörden: Der Sachverständigenausschuss bezeichnete die Situation des Tschechischen in allen Berichten als äußerst prekär. Noch im vierten Zyklus sei der Schutz nur formal, nicht aber praktisch vorhanden.

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Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Ein im zweiten Evaluationsbericht fokussierter Kritikpunkt betrifft die Benachteiligung des Tschechischen in Daruvar. Dort habe die Gemeinde nicht dem Amtsgebrauch zugestimmt, obwohl die Tschechischsprecher fast 18 % der Bevölkerung darstellten. Im vierten Zyklus begrüßte der Sachverständigenausschuss das am 1.9.2009 in Daruvar bewilligte Statut, welches die kooffizielle Verwendung des Tschechischen in den entsprechenden Stadtgebieten ermögliche. Insgesamt sei der Schutz jedoch noch sehr ausbaufähig; in der Staatsverwaltung bestehe er nur gesetzlich, die Maßnahmen in der Regional- und Ortsverwaltung sowie v.a. im öffentlichen Dienst erwiesen sich als unzureichend. Medien: Während die kroatische Regierung im ersten Staatenbericht lediglich die Nachrichtensendung Prizma erwähnte, informierte sie im zweiten zusätzlich über Radiostationen, die anteilig auf Tschechisch senden (Radio postaja Novska d.o.o.: eine Stunde pro Monat; Radio Daruvar d.o.o.: 30–60 Minuten pro Tag). Erst im dritten Zyklus stellte sie Auskünfte über Maßnahmen im Pressebereich bereit – finanzielle Unterstützung der Wochenzeitschrift Jednota –, den der Sachverständigenausschuss seitdem als zufriedenstellend einschätzt. Im vierten Berichtszyklus gelten auch die Bedingungen im Hörfunk, nicht jedoch die im TV-Bereich als erfüllt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Dem ersten Staatenbericht zufolge erhielt der Verband der Tschechen in Zagreb finanzielle Unterstützung zur Durchsetzung seines kulturellen Programms. Außerdem sei – so der zweite Bericht – die zentrale Bibliothek der tschechischen Minderheit namens Petar Preradović in Bjelovar 2000 und 2001 vom Kultusministerium subventioniert worden. Der dritte Staatenbericht informierte über Kredite in Höhe von 1.546.000 Kuna für tschechische Publikationen im Jahr 2006.

2.3.5 Slowakisch Der vierte Staatenbericht benennt die Gebiete, in denen Teil III der Charta für das Slowakische Anwendung findet: Punitovci, Našice (mit der Siedlung Jelisavac). Bildung: Laut den ersten beiden Staatenberichten wird Slowakisch in der Primarstufe gemäß Modell A und C an kroatischen Institutionen unterrichtet. Entgegen der Information im zweiten Evaluationsbericht finden sich in den Staatenberichten keine Daten über entsprechenden Unterricht in der Vorschule. In Anlehnung an die vom Sachverständigenausschuss formulierte Kritik empfahl das Ministerkomitee im zweiten Zyklus, Slowakischunterricht in den betreffenden Regionen in Primar- und Sekundarstufe in Form regulären Unterrichts durchzusetzen. Im vierten Berichtszyklus wurde deutlich, dass das Fehlen von

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Unterricht in der Vorschule und Sekundarstufe auf mangelnden Bedarf zurückgeführt werden kann. Allerdings seien auch die Bedingungen in der Primarstufe nur teilweise erfüllt. Positiv wurde seit dem ersten Evaluationsbericht hervorgehoben, dass ein Universitätsstudium des Slowakischen möglich sei und Austauschprogramme mit der Slowakei zur Aus- und Weiterbildung von Lehrern existierten. Während des zweiten Staatenbesuchs seien jedoch Beschwerden von Minderheitensprechern über den Mangel an qualifizierten Slowenischlehrern geäußert worden. Noch im vierten Bericht verlangte der Sachverständigenausschuss Informationen zur Lehrerausbildung, monierte fehlende Maßnahmen in der Berufsausbildung, erachtete aber den Schutz im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung als gewährleistet. Justizbehörden: Die Verpflichtungen – so der Sachverständigenausschuss – seien zwar formell erfüllt, jedoch entspreche die reale Umsetzung während aller Berichtszyklen in keiner Weise der gesetzlichen Lage. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: In allen Berichtszyklen monierte der Sachverständigenausschuss, dass Slowakisch in den Selbstverwaltungseinheiten fast gar nicht verwendet werde. Obwohl die Slowakischsprecher in Punitovci (Osječko-baranjska) laut drittem Staatenbericht mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, habe sich der Gemeinderat gegen den kooffiziellen Gebrauch der Minderheitensprache entschieden. Noch im vierten Berichtszyklus werde dem Slowakischen in der Staats-, Regional- und Ortsverwaltung sowie im öffentlichen Dienst nicht der im Sinne der Charta erforderliche Schutz zuteil. Medien: Neben Prizma sorgt den Staatenberichten zufolge wöchentliches Radioprogramm (Radio Našice d.o.o.: 15–30 Minuten pro Woche, Radio Osijek: 15 Minuten pro Woche) für die Medienpräsenz des Slowakischen. Während der Sachverständigenausschuss im vierten Bericht die Bedingungen im Hörfunk als erfüllt betrachtete, sah er den notwendigen Schutz in TV und Presse nicht als gewährleistet an. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die kroatische Regierung berichtete über Subventionen für einen Lesesaal in Našice, der als Zentralbibliothek der slowakischen Minderheit diene, sowie über Kredite in Höhe von 178.500 Kuna für slowakischsprachige Veröffentlichungen im Jahr 2006.

2.3.6 Ruthenisch Teil III der Charta werde – so der vierte Staatenbericht – für das Ruthenische in folgenden Gebieten angewendet: Bogdanovci (mit der Siedlung Petrovci), Tompojevci (mit der Siedlung Mikluševci).

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Bildung: Der Sachverständigenausschuss erachtete die Maßnahmen in der Schulausbildung in den ersten beiden Zyklen als ungenügend, da Ruthenisch nur in der Primarstufe gemäß Modell C unterrichtet werde. Daraufhin formulierte das Ministerkomitee die Forderung, Vorschul-, Primar- und Sekundarunterricht im Ruthenischen einzuführen und in den regulären Lehrplan zu integrieren. Durchaus positiv evaluierte der Sachverständigenausschuss im dritten Zyklus die jährlich zehntägigen Sommerkurse für Kinder der Primar- und Sekundarstufe mit täglich zweistündigem Sprachunterricht. Noch im vierten Bericht appellierte der Sachverständigenausschuss an Kroatien, Ruthenischunterricht in der Schule mit qualifizierten Lehrern zu gewährleisten. Außerdem handle es sich um die einzige Minderheitensprache, für die kein ausreichender Schutz in der Hochschulbildung bestehe, was laut Kroatien im Personalmangel begründet liegt. Der Sachverständigenausschuss ermutigte Kroatien, über Unterstützungsmöglichkeiten potentieller Ruthenischstudenten nachzudenken. Auch die Bedingungen in der Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und Lehrerausbildung seien nicht erfüllt. Justizbehörden: Zwar hat sich die gesetzliche Lage im Laufe der letzten Jahre zum Positiven verändert, der reale Schutz dieser Sprache ist laut Sachverständigenausschuss bisher jedoch nicht eingetreten. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Gemäß drittem Staatenbericht besitzt Ruthenisch in Mikluševci und Petrovci Amtsstatus, da es von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen werde. Der Sachverständigenausschuss kritisierte kontinuierlich den mangelnden Gebrauch des Ruthenischen im öffentlichen Leben. So würden auch während des vierten Berichtszyklus die Verpflichtungen in der Staats-, Regional- und Ortsverwaltung sowie im öffentlichen Dienst nicht eingehalten. Medien: In den Staatenberichten liegen nur Informationen über den geringen Sendeanteil bei Prizma sowie zwei bis drei ruthenischsprachige Sendungen pro Jahr von Radio postaja Novska d.o.o. in Novska vor. Der Sachverständigenausschuss bemängelte in allen vier Berichtszyklen, dass die Maßnahmen in Hörfunk, Fernsehen und Presse unzulänglich seien. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Laut zweitem Staatenbericht wurde die Gemeindebibliothek in Zagreb 2000 und 2001 finanziell unterstützt, was insbesondere Programmen für die ruthenische Minderheit zu Gute kam. Dem dritten Staatenbericht zufolge standen 2006 Kredite in Höhe von 285.700 Kuna ruthenischen und ukrainischen Veröffentlichungen der Presse zur Verfügung. Grenzüberschreitender Austausch: Da das Ruthenische nicht Amtssprache eines Staates ist, fehlten finanzielle Mittel, was v.a. Bildungsmaßnahmen erschwere. Der Sachverständigenausschuss ermutigte in seinem zweiten Bericht zu einer engen Zusammenarbeit aller Länder, in denen Ruthenisch gesprochen wird.

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2.3.7 Ukrainisch Laut Staatenberichten ist die ukrainische Minderheit hauptsächlich in Osječkobaranjska und Vukovarsko-srijemska vertreten. Es wurden bisher allerdings keine Gebiete genannt, in denen Teil III der Charta für das Ukrainische Anwendung findet. Bildung: Dem zweiten Staatenbericht zufolge kommt Ukrainisch in der Region Sisačko-moslavačka in Form des Modells C zum Einsatz. Die Maßnahmen seien jedoch unzureichend. Auch das Ministerkomitee empfahl, adäquaten Unterricht in Vorschule, Primar- und Sekundarstufe einzuführen. Im dritten Berichtszyklus lobte der Sachverständigenausschuss die jährlich zehntägigen Sommerkurse für Kinder der Primar- und Sekundarstufe mit zweistündigem Sprachunterricht pro Tag. Ein weiterer Fortschritt sei, dass die Universität Zagreb nun über eine Abteilung für ukrainische Sprache und Literatur verfüge. Im vierten Evaluationsbericht erachtete der Sachverständigenausschuss schließlich die Bedingungen im universitären Bereich als erfüllt, die anderen Maßnahmen jedoch als mangelhaft. Justizbehörden: Die Verpflichtungen wurden laut Sachverständigenausschuss, zumindest in der realen Anwendung, während der vier Berichtszyklen nicht eingehalten. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Ukrainisch fungiert in keinem Gebiet Kroatiens als Amtssprache. So sei kein entsprechender Schutz in der Verwaltung und im öffentlichen Dienst gewährleistet. Medien: Außer der Nachrichtensendung Prizma, die sich mit geringem Anteil an die ukrainische Minderheit richtet, seien keine Maßnahmen zur Medienpräsenz bekannt und die Bedingungen daher ungenügend. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Laut dem zweiten Staatenbericht habe die Gemeindebibliothek in Zagreb zu Gunsten der ukrainischen Minderheit in den Jahren 2000 und 2001 Subventionen erhalten. Im dritten Zyklus informierte Kroatien über Kredite in Höhe von 285.700 Kuna zur Förderung ruthenischer und ukrainischer Veröffentlichungen im Jahre 2006.

3 Bewertung Kroatiens intensive Bemühungen zur Umsetzung der Charta sind in Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen zu betrachten. So betraf eine explizite Kritik der EU den Umgang Kroatiens mit Minderheiten. Die Auswahl von sieben durch Teil III der Charta zu schützenden Sprachen zeigt, dass Kroatien die kulturelle und sprachliche Vielfalt seines Territoriums

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anerkennt und zu pflegen bemüht ist. Auffällig erscheint, dass die Regierung sich vehement gegen eine territoriale Präsenz des Slowenischen wehrt und keine nicht-territorialen Sprachen in Teil II berücksichtigt. Trotz dieses Ausschlusses gibt es diverse Schutzmaßnahmen für die Slowenisch- und Romanessprecher sowie für die jüdische und deutsche Minderheit. Laut Zensus stellt Serbisch die meistgesprochene Minderheitensprache in Kroatien dar. Gleichzeitig handelt es sich aufgrund des nah zurückliegenden Kriegs um einen sehr problematischen Fall; so ist laut Sachverständigenausschuss noch Intoleranz zu beobachten. Die Charta kann hier als Kontrollinstanz fungieren und den Weg zu einer besseren Verständigung ebnen. Das Italienische genießt in Kroatien hohes Prestige und umfassenden Schutz, was nicht nur in dessen historischer Dominanz in Istrien, in der kulturellen Größe und finanziellen Unterstützung Italiens, sondern auch der politischen Rolle des Landes im Hinblick auf den EU-Beitritt begründet liegt. Die bejahende Haltung vieler Kroaten wird dadurch bestätigt, dass sie Italienisch als ihre Zweitsprache akzeptieren (majority bilingualism) und ihre Kinder auf italienische Schulen schicken, um deren nationale und internationale Berufschancen zu erhöhen. Dank guter Kooperation mit Ungarn und dessen finanzieller Unterstützung ist ebenso der Schutz des Ungarischen – die Sprechergruppe ist eine der stärksten Kroatiens – äußerst vorteilhaft zu bewerten, auch wenn einzelne Bereiche infolge der jugoslawischen Konflikte Verschlechterungen erlitten haben. Das Tschechische befindet sich hinsichtlich seiner Sprecherzahlen und des ihm gewährleisteten Schutzes im Mittelfeld der Minderheitensprachen. Slowakisch, Ruthenisch und Ukrainisch, Minderheiten mit sehr niedrigen Sprecherzahlen, sind auf kroatischem Gebiet bedroht, wenn sich Bildung und Medien nicht stärker für ihre Präsenz einsetzen. In der realen Umsetzung der durch Teil III eingegangenen Verpflichtungen herrscht folglich noch viel Ungleichheit, die Entwicklung insgesamt ist jedoch positiv. Auch bezüglich des Implementierungsverfahrens sind stetige Fortschritte sichtbar. Während Kroatien seinen ersten Staatenbericht erst nach Ermahnung durch Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee veröffentlichte, wurden die folgenden Berichte sofort publik gemacht und den betreffenden Stellen übermittelt. So verbesserte sich im Laufe der Berichtszyklen die Kooperation zwischen den einzelnen Akteuren kontinuierlich. Wenn sich diese Tendenz aufrechterhält, kann man zukünftig eine sehr konstruktive Zusammenarbeit zwischen der kroatischen Regierung, den Vertretern und Institutionen der Minderheiten und dem Sachverständigenausschuss erwarten, von der die einzelnen Sprachen profitieren.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique de la Croatie, 19.3.1999. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique de la Croatie, 14.1.2003. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique de la Croatie, 12.10.2006. [= 3. Staatenbericht] Fourth State Periodical Report of Croatia, 18.1.2010. [= 4. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’Experts, 2.12.2000. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’Experts, 26.11.2004. [= 2. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’Experts, 21.9.2007. [= 3. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’Experts, 2.6.2010. [= 4. Evaluationsbericht] Recommandation du Comité des Ministres, 19.9.2001. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 7.9.2005. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 12.3.2008. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 8.12.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 4. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Republik Kroatien: „Ustavni zakon o ljudskim pravima i slobodama, kao i pravima etničkih i nacionalnih zajednica i manjina u Republici Hrvatskoj [Verfassungsgesetz über die Menschenrechte und Freiheiten sowie über die Rechte der ethnischen und nationalen Gemeinschaften und Minderheiten in der Republik Kroatien]“. In: Narodne Novine, 65/1991, 4.12.1991. Republik Kroatien/Hrvatski Sabor: „Ustav Republike Hrvatske [Verfassung der Republik Kroatien]“. In: Narodne Novine, 56/1990, 22.12.1990. Republik Kroatien/Hrvatski Sabor: „Deklaracija o proglašenju suverene i samostalne Republike Hrvatske [Souveränitäts- und Unabhängigkeitserklärung der Republik Kroatien]“, 25.6.1991. Republik Kroatien/Hrvatski Sabor: „Zakon o odgoju i obrazovanju na jeziku i pismu nacionalnih manjina [Gesetz über den Unterricht in Minderheitensprachen]“. In: Narodne novine, 51/2000, 56/2000, 11.5.2000. Republik Kroatien/Hrvatski Sabor: „Zakon o uporabi jezika i pisma nacionalnih manjina u Republici Hrvatskoj [Gesetz über den Gebrauch der Sprachen und Alphabete nationaler Minderheiten in der Republik Kroatien]“. In: Narodne novine, 51/2000, 19.5.2000. Republik Kroatien/Hrvatski Sabor: „Ustavni zakon o pravima nacionalnih manjina [Verfassungsgesetz über die Rechte nationaler Minderheiten]“. In: Narodne Novine, 155/2002, 23.12.2002.

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Republik Kroatien/Hrvatski Sabor: „Zakon o priznavanju inozemnih obrazovnih kvalifikacija [Gesetz über die Anerkennung ausländischer Diplome]“. In: Narodne Novine, 158/2003, 1.10.2003. Republik Kroatien/Republik Montenegro/Republik Serbien: Sporazum između Republike Hrvatske i Srbije i Crne Gore o zaštiti prava hrvatske manjine u Srbiji i Crnoj Gori i srpske i crnogorske manjine u Republici Hrvatskoj [Abkommen zwischen den Republiken Kroatien, Serbien und Montenegro über den Schutz der kroatischen Minderheit in Serbien und Montenegro und der serbischen und montenegrinischen Minderheiten in der Republik Kroatien], 15.11.2004. Republik Kroatien/Vlada Republike Hrvatske: Akcijski plan za provedbu Ustavnog zakona o pravima nacionalnih manjina [Aktionsplan zur Durchsetzung des Verfassungsgesetzes über die Rechte nationaler Minderheiten], 25.6.2008. Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien/Italienische Republik: „Trattato tra la Repubblica Italiana e la Repubblica Socialista Federativa di Jugoslavia – Osimo [Vertrag von Osimo]“, 10.11.1975.

4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Petricusic, Antonija / Žagar, Mitja: Country specific report: conflict settlement agreement Croatia, MIRICO: Human and Minority Rights in the Life Cycle of Ethnic Conflicts, Bozen: Eur. Ac. research 2007. (1.2.2012). European Commission: Croatia – Country profile. (1.2.2012).

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii), b (iv), c (iv), d (iv), e (ii), f (ii), g, h

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii), a (iv), b (ii), b (iii), c (ii), c (iii), d

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iii), a (iv), b, c; 2a–d, g; 3a–c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), d, e (ii); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, f, g

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a–c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

1; 2

Felix Tacke (Bonn)

Liechtenstein (Fürstentum Liechtenstein) 1 Vorgeschichte Das zwischen der Schweiz und Österreich gelegene, kaum mehr als 35.000 Einwohner umfassende Fürstentum Liechtenstein erhielt seine staatliche Souveränität, als es 1806 auf Initiative Napoleons Mitglied des Rheinbundes wurde. Laut Artikel 2 der liechtensteinischen Verfassung von 1921 konstituiert sich das Fürstentum als „eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage“. In seiner Außenpolitik betont der Kleinstaat die Pflege bilateraler und multilateraler Beziehungen zu anderen Staaten sowie internationalen Organisationen. Als Leitlinien gibt Liechtenstein u.a. die Solidarität mit der internationalen Staatengemeinschaft sowie das Engagement in der Menschenrechtspolitik und der Weiterentwicklung des Völkerrechts an. Seine Integration in die internationalen Institutionen begann Liechtenstein 1975 mit der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Darauf folgten 1978 der Beitritt zum Europarat, 1990 die Aufnahme in die Vereinten Nationen (UNO) sowie 1995 der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und zur Welthandelsorganisation (WTO). Einen EU-Beitritt schließt Liechtenstein bislang aus und bezeichnet seine Mitgliedschaft im EWR auf seinem Internetportal (www.liechtenstein.li) in diesem Zusammenhang „als bestmögliche und grössenverträglichste Lösung“. Neben zahlreichen internationalen Wirtschaftsabkommen und Verträgen zu Menschen- und Bürgerrechten ist besonders der Beitritt zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten bemerkenswert, da auf dem Territorium Liechtensteins keine nationalen Minderheiten im Sinne des Rahmenübereinkommens existieren. Im Ratifikationsinstrument hieß es als Begründung: „Das Fürstentum Liechtenstein erachtet die Ratifikation des Rahmenübereinkommens als einen Akt seiner Solidarität mit den Zielsetzungen des Übereinkommens“. Artikel 6 der liechtensteinischen Verfassung statuiert das Deutsche als „Staats- und Amtssprache“. Während das Hochdeutsche v.a. als Schriftsprache fungiert, werden in der mündlichen Alltagskommunikation – wie auch in den Nachbarländern – alemannische Dialekte gesprochen. Traditionell werden auf dem Hoheitsgebiet des Fürstentums keine Regional- oder Minderheitensprachen gesprochen.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Liechtenstein gehörte zu den elf Staaten, die die Charta bereits am 5.11.1992 unterzeichneten. Gemeinsam mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten wurde die Charta am 18.11.1997 ratifiziert. Das Fürstentum ermöglichte dadurch zusammen mit Finnland, Kroatien, Norwegen, den Niederlanden und Ungarn, dass die Charta am 1.3.1998 gemäß Artikel 19,1 allgemein in Kraft treten konnte. Am selben Tag wurde sie auch in Liechtenstein rechtlich wirksam. In seinem Ratifikationsinstrument gab Liechtenstein – analog zu seinem Vorgehen beim genannten Rahmenübereinkommen – an, dass es „zum Zeitpunkt der Ratifikation keine Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta gibt“. Der erste Staatenbericht wurde gemäß Artikel 15,1 der Charta innerhalb der Jahresfrist am 1.3.1999 vorgelegt. In seiner Ratifizierungsurkunde gab Liechtenstein an, die Bedeutung hervorheben zu wollen, welche der Charta als Schutzinstrument zukomme; die Bewahrung der kulturellen Diversität Europas zähle zu den Prioritäten Liechtensteins. Der Sachverständigenausschuss veröffentlichte seinen ersten Evaluationsbericht am 9.2.2001. Der Ausschuss lobte Liechtenstein darin für das durch die Ratifizierung gezeigte Engagement und die Solidarität mit Europa. Da es keine zu schützenden Sprachen gebe, solle der gewöhnliche Aufwand bei der Evaluation eines Staates im Falle Liechtensteins reduziert werden; außerdem, so heißt es in dem Bericht weiter, sehe der Sachverständigenausschuss davon ab, dem Ministerkomitee des Europarats Empfehlungen für das Fürstentum zu übermitteln. In identischer Weise wurden seitdem noch vier weitere Berichtszyklen vollständig abgeschlossen, die in den Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses vom 5.5.2011 mündeten.

Liechtenstein 

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3 Bewertung In Anbetracht der Tatsache, dass das Fürstentum Liechtenstein auf seinem Hoheitsgebiet keine Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta aufweist, kann an dieser Stelle keine Bewertung der Anwendung der Charta im Bereich des Sprachenschutzes gegeben werden. Die Implementierung in formaler Hinsicht, dies betrifft die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Textes und der durch ihn propagierten Werte, darf hingegen als vorbildlich bezeichnet werden. Zentral ist vielmehr die Frage nach dem Warum des Beitritts zur Charta wie auch zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, die zusammen in einem Kontext gesehen werden sollten. Neben den offiziellen Solidaritätsverlautbarungen ist die Antwort wohl vor allem im Rahmen der allgemeinen außenpolitischen Prioritäten Liechtensteins zu suchen. So gibt eine von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein herausgegebene Schrift mit dem Titel Ziele und Prioritäten der liechtensteinischen Aussenpolitik an, man wolle durch Engagement und diverse Tätigkeiten „zum Erhalt der allgemeinen politischen und völkerrechtlichen Ordnung beitragen und dadurch auch die Existenz Liechtensteins sichern“ (28). Liechtenstein wird diesem Anspruch im Fall der Charta durchaus gerecht, ermöglichte es durch seine Ratifizierung des Vertrages doch sein allgemeines Inkrafttreten. Die Integration Liechtensteins in die verschiedenen internationalen Organisationen und die Unterzeichnung diverser transnationaler Verträge und Übereinkommen sollte daher – über die z.T. im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Interessen hinaus – immer auch im Lichte dieser definierten Zielsetzung gesehen werden.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique du Liechtenstein, 1.3.1999. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 9.3.2002. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 1.5.2005. [= 3. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 5.2.2008. [= 4. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 7.4.2011. [= 5. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 9.2.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 24.3.2004. [= 2. Evaluationsbericht]

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Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 8.4.2005. [= 3. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 12.9.2008. [= 4. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 5.5.2011. [= 5. Evaluationsbericht]

4.1.2 Weitere Quellen Fürstentum Liechtenstein: „Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921“. In: Liechtensteinisches Landesgesetzblatt (LGBl.) 15, 24.10.1921. Fürstentum Liechtenstein: „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“. In: Liechtensteinisches Landesgesetzblatt (LGBl.) 9, 16.1.1998. Regierung des Fürstentums Liechtenstein (Hrsg.): Ziele und Prioritäten der liechtensteinischen Aussenpolitik, Vaduz: Gassner 2007.

4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006.

Felix Tacke (Bonn)

Luxemburg (Grand-Duché de Luxembourg) 1 Vorgeschichte Das Großherzogtum Luxemburg ging 1867 aus der zweiten Londoner Konferenz als souveräner Staat hervor und ist heute eine parlamentarische Demokratie in Form einer konstitutionellen Monarchie. Luxemburg gehört zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen (UNO) sowie des Europarats und hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges maßgeblich am Europäischen Einigungsprozess beteiligt. So war Luxemburg Gründungsmitglied des 1952 in Kraft getretenen Vertrages der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EKGS) sowie der 1957 gebildeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Im Jahr 1968 wurde „das luxemburgische Volk“ überdies für seinen Beitrag zur Europäischen Einigung mit dem Karlspreis der Stadt Aachen ausgezeichnet. Luxemburg unterzeichnete das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats am 20.7.1995, ohne der Unterzeichnung jedoch unmittelbar eine Ratifizierung folgen zu lassen. In der zwei Tage zuvor beim Europarat hinterlegten Erklärung heißt es, auf dem Territorium des Großherzogtum existierten keine nationalen Minderheiten im Sinne des Rahmenübereinkommens. Seine Unterzeichnung kann daher als rein ideeller Akt interpretiert werden. Die sprachliche Situation Luxemburgs erscheint komplex (vgl. etwa Schmitt 1990a, 1990b). Sie wird nicht durch die Verfassung, sondern innerhalb eines Gesetzes, der Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues, geregelt. Dieses statuiert das Luxemburgische (Lëtzebuergesch) als Nationalsprache (Art. 1), das Französische als Amtssprache im Bereich der Gesetzgebung (Art. 2) und das Französische, Deutsche sowie das Luxemburgische gleichermaßen als Arbeitssprachen im Bereich der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit (Art. 3). Das von der Mehrheit der Bevölkerung als Muttersprache erlernte Luxemburgische, ursprünglich ein Dialekt des Mitteldeutschen, dient v.a. der mündlichen Alltagskommunikation. Spätestens die Erfahrungen der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges festigten das Lëtzebuergesch als nationales Symbol der Luxemburger.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Luxemburg unterzeichnete die Charta bereits bei der Auflegung des Vertrags am 5.11.1992, ratifizierte sie jedoch erst am 22.6.2005, infolgedessen sie am 1.10.2005 in Kraft trat. Etwas mehr als ein Jahr später, am 19.3.2007, reichte Luxemburg seinen ersten Staatenbericht beim Europarat ein. Wie Liechtenstein gab auch Luxemburg an, dass keine der Sprachen des Landes als Regional- oder Minderheitensprache im Sinne der Charta definiert werden könne. Dass Luxemburg die Charta dennoch ratifizierte, erklärte der Bericht mit dem Wunsch, die Förderung des sprachlichen und kulturellen Reichtums zu unterstützen. Bereits vor der Ratifizierung hatte es in einem Bericht zum entsprechenden Gesetzesentwurf (Projet de loi portant approbation de la Charte européenne des langues régionales ou minoritaires, faite à Strasbourg, le 5 novembre 1992) geheißen, Luxemburg wolle der Charta ausschließlich aus Gründen der Solidarität beitreten („C’est [sic] n’est que par pure solidarité, que le Luxembourg souscrit aux objectifs de la Charte“). Der Sachverständigenausschuss nahm dies in seinem ersten, am 4.4.2008 veröffentlichten Evaluationsbericht zur Kenntnis und lobte Luxemburg darin für das durch die Ratifizierung der Charta gezeigte Engagement und die Solidarität mit Europa. Da es keine zu schützenden Sprachen gebe, habe man auf einen VorOrt-Besuch verzichtet und wolle davon absehen, dem Ministerkomitee des Europarats Empfehlungen bezüglich der Anwendung der Charta in Luxemburg zu übermitteln. In identischer Weise vollzog sich auch der in den Bericht des Sachverständigenausschusses vom 3.6.2010 mündende zweite Berichtszyklus.

2.1.2 Sprachen und Sprachensituation Wenngleich in Luxemburg keine Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta existieren, werden in Luxemburg mehrere Sprachen – das Luxemburgische, das Deutsche und das Französische – traditionell gebraucht. Luxemburg begründet die Tatsache, dass keine der drei Sprachen der Definition des Europarats entspricht, damit, dass sie aufgrund ihrer Erklärung zu National- und Amtssprachen im genannten Sprachgesetz von 1984 nicht als in einer benachteiligten

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Situation angesehen werden könnten („aucune des trois langues du pays ne peut être considérée comme étant en position défavorable par rapport aux autres“). Auch das weitgehend auf den mündlichen Sprachgebrauch beschränkte Luxemburgische könne weder als Minderheitensprache im Sinne von Artikel 1 der Charta, noch als weniger verbreitete Amtssprache „in seinem gesamten Hoheitsgebiet oder einem Teil desselben“ (Art. 3,1) bezeichnet werden, da es die Muttersprache der großen Mehrheit der Bevölkerung darstelle. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem ersten Bericht fest, dass zwei weitere Sprachen, das Jenische und das Romanes, nicht bzw. nicht mehr in Luxemburg gesprochen würden. Das Jenische sei zu Beginn des 20. Jahrhunderts von etwa vierzig Großfamilien „fahrender Händler“ in Weimerskirch gesprochen, jedoch bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht mehr dokumentiert worden. Zum Romanes hieß es, dass nichts auf die Existenz von Roma und Sinti in Luxemburg hindeute.

3 Bewertung Da Luxemburg sich seit Beginn der Nachkriegszeit stets aktiv für den Europäischen Einigungsprozess eingesetzt hat, vermag es kaum zu überraschen, dass es neben dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten auch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats unterzeichnete. Berücksichtigt man die komplexe Sprachensituation, die überdies im luxemburgischen Recht zwischen National- und Amtssprachen differenziert, erscheint die ebenfalls im ersten Staatenbericht verlautbarte Motivation durchaus glaubwürdig, der zufolge das Land sich zur Förderung der Prinzipien der Charta und anderer Konventionen berufen fühle („une vocation naturelle“), weil der luxemburgische Alltag selbst durch Mehrsprachigkeit und kulturelle Diversität geprägt sei.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique du Luxembourg, 19.3.2007. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique du Luxembourg, 6.5.2010. [= 2. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 4.4.2008. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 3.6.2008. [= 2. Evaluationsbericht]

4.1.2 Weitere Quellen Großherzogtum Luxemburg: „Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues“. In: Mémorial 16, 27.2.1984: 196–197. Großherzogtum Luxemburg: „Charte européenne des langues régionales ou minoritaires, faite à Strasbourg, le 5 novembre 1992. Ratification et entrée en vigueur pour le Luxembourg; liste des Etats liés“. In: Mémorial 176, 31.10.2005: 2912. Großherzogtum Luxemburg/Ministère des Affaires étrangères et du Commerce extérieur: „5042 – Projet de loi portant approbation de la Charte européenne des langues régionales ou minoritaires, faite à Strasbourg, le 5 novembre 1992“. In: Chambre des Députés du Grand-Duché de Luxembourg. (25.1.2012).

4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Schmitt, Christian: „Luxemburg“. In: Günter Holtus / Michael Metzeltin / Christian Schmitt (Hrsg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik. Bd. V,1: Französisch, Tübingen: Niemeyer 1990: 723–726. [= 1990a] – „Frankophonie“. In: Günter Holtus / Michael Metzeltin / Christian Schmitt (Hrsg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik. Bd. V,1: Französisch, Tübingen: Niemeyer 1990: 379–391. [= 1990b]

Ivana Barkijević (Gießen/Tübingen)

Montenegro (Republika Crna Gora) 1 Vorgeschichte Den Beginn einer montenegrinischen Staatlichkeit kann man für das Jahr 1077 ansetzen. Die Selbständigkeit konnte Montenegro in den folgenden Jahrhunderten immer nur phasenweise behaupten. Mit den Beschlüssen des Berliner Kongresses 1878 wurde Montenegro international zunächst als unabhängiges Fürstentum anerkannt; im Jahre 1910 wurde es Königreich. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 wurde König Nikola allerdings gestürzt, und Montenegro wurde von Serbien annektiert. Ab 1918 wurde es Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca). Im Königreich Jugoslawien (Kraljevina Jugoslavija, ab 1929) wurde es verwaltungsmäßig zur Banschaft Zeta erklärt. Nach der Niederlage Jugoslawiens im April 1941 wurde es zu einem italienischen Marionettenstaat, bevor es 1946 verwaltungsmäßig und territorial selbstständige Republik in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien wurde. Nach dem Zerfall des sog. zweiten Jugoslawien blieb Montenegro in der Staatenunion Serbien und Montenegro, bis es sich nach einem Referendum am 3.6.2006 für souverän erklärte. Bereits in der Staatenunion Serbien und Montenegro bemühte sich Montenegro um eine schnelle Aufnahme in die Institutionen der Europäischen Union (EU). Am 6.6.2006 erklärte sich Montenegro bereit, alle in der Staatenunion Serbien und Montenegro dem Europarat gegenüber eingegangenen Verpflichtungen auch weiterhin zu achten und umzusetzen. Seit dem 11.5.2007 ist die selbstständige Republik Montenegro vollständiges Mitglied des Europarats. Zugleich ist sie offizieller Beitrittskandidat der EU und der NATO. Was den Status von Sprachen angeht, so bestimmt Artikel 13 der Verfassung vom 22.10.2007, das Montenegrinische sei die offizielle Sprache der Republik Montenegro. Paragraph 3 nennt Serbisch, Bosnisch (in Staatenberichten werden als Bezeichnungen sowohl ‚Bosnisch‘ als auch ‚Bosniakisch‘ verwendet), Albanisch und Kroatisch als Sprachen, die als Amtssprachen verwendet werden. Die Verfassung erkennt nationale Minderheiten an, deren Rechte im Artikel 5 der Verfassung garantiert sind.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Montenegro unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 22.3.2005 und ratifizierte sie am 15.2.2006, so dass sie am 6.6.2006 in Kraft trat. Die Unabhängigkeitserklärung der Republik Montenegro vom 3.6.2006 änderte nichts an den von der Staatenunion Serbien und Montenegro als Mitgliedsland des Europarates vertraglich angenommenen Verpflichtungen. Den ersten Staatenbericht erstattete Montenegro am 16.7.2007. Im Juni 2009 besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das Land und übergab am 10.9.2009 einen entsprechenden Bericht. Das Ministerkomitee sprach am 20.1.2010 auf der Grundlage des Evaluationsberichts seine ersten Empfehlungen aus. Der zweite Staatenbericht wurde am 4.4.2011 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss noch keinen Bericht abgegeben hat.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde vom Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte erstellt. In dem Bericht wird ausdrücklich gesagt, dass es in Montenegro keine eigene Institution gibt, die sich um die Implementierung der Charta kümmert. Diese Aufgabe obliegt vielmehr verschiedenen Ministerien, in denen es Abteilungen gibt, die sich um die Beachtung und Förderung der Minderheitenrechte kümmern. Im Einzelnen sind das folgende Ministerien und Institutionen: – Ministarstvo prosvjete i nauke („Ministerium für Bildung und Wissenschaft“) – Ministarstvo zdravlja, rada i socijalnoga staranja („Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsministerium“) – Ministarstvo inostranih poslova („Außenministerium“) – Ministarstvo kulture, sporta i medija („Ministerium für Kultur, Sport und Medien“) – Nacionalni koordinator za implementaciju Akcionog plana za Dekadu inkluzije Roma („Nationaler Koordinator für die Implementierung des Aktionsplans für das Jahrzehnt der Eingliederung der Roma“).

Montenegro 

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Der zweite Staatenbericht nennt zusätzlich: – Nacionalni Romski savjet („Nationaler Romarat“) – Koalicijski Romski krug („Romakreis Koalition“) – Fond za manjine („Fond für Minderheiten“) – Centar za očuvanje i razvoj kulture i manjina („Zentrum für den Erhalt und die Entwicklung der Kultur und die Minderheiten“). Im zweiten Staatenbericht ist der Prozess der Gründung des Kroatenrats, des Romarats, des Albanerats wie auch des Serbenrats beschrieben. Diese neugegründeten Räte sollen als Abteilungen des Ministeriums für Menschen- und Minderheitenrechte funktionieren und die Rechte der jeweiligen Minderheit vertreten.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im entsprechenden Ratifikationsinstrument benennt Montenegro das Albanische und das Romanes als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen. Das Ministerkomitee machte sich die Auffassung des Sachverständigenausschusses zu eigen, dass Montenegro neben dem Albanischen und dem Romanes weitere traditionelle Sprachen berücksichtigen könne, und zwar das Kroatische, das Bosnische und das Serbische. Darüber hinaus wurde empfohlen, den Status dieser Sprachen zu klären. In der Verfassung vom 22.10.2007 wurde Montenegrinisch zur Amtssprache erklärt, zugleich wurden Serbisch, Bosnisch, Albanisch und Kroatisch auch als Sprachen anerkannt, die offiziell in Verwendung sind. Die Regierung hat in ihrem ersten Bericht die Option genannt, das Bosnische und das Kroatische als weitere Minderheitensprachen unter Schutz nehmen zu können. Das Ministerkomitee wies darauf hin, dass sich der Artikel 3,2 der Charta auf die ‚Amtssprachen‘ bezieht und nicht auf die Sprachen, die ‚offizielle Verwendung‘ genießen. Andererseits sind nach dem Artikel 2,1 der Charta alle Regional- und Minderheitensprachen, die der Definition im Artikel 1 entsprechen, automatisch durch Teil II (Art. 7) der Charta geschützt. Das Ministerkomitee warf die Frage auf, ob sich nach der neuen Verfassung das Bosnische, das Kroatische, und auch das Serbische als Minderheitensprachen definieren ließen. Der Sachverständigenausschuss versuchte beim ersten Besuch, ein Treffen mit den Vertretern der kroatischen, serbischen und bosniakischen Minderheit zu vereinbaren. Zum Treffen kamen aber nur Vertreter der bosniakischen Minderheit. Wegen der Ähnlichkeit der Sprachen sahen sie keine Notwendigkeit, das Bosniakische in Montenegro als Minderheitensprache im Sinne der Charta anerkennen zu lassen. Der zweite Staatenbericht erklärte, dass die nationale Gesetzgebung keine Definition der

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Regional- und Minderheitensprachen enthält, und verwies auf die Definition der Regional- oder Minderheitensprache in der Charta. Das Ministerkomitee mahnte an, dass in der neuen Verfassung das Romanes nicht als eine der ‚Sprachen in offizieller Verwendung‘ genannt ist. Schwierigkeiten bereitete auch die Definition der Minderheit als eines „wesentlichen Teils der Bevölkerung“, denn ‚wesentlich‘ sei keine eindeutige Formulierung. Das Ministerium legte den Prozentanteil der Bevölkerung auf 5 % fest, das Ministerkomitee erhielt aber die Information, es wären 15 %. Der zweite Staatenbericht lieferte hierzu keine Erklärung, und die Problematik bleibt bestehen. Der erste Staatenbericht präsentiert in Auswahl die Sprachendaten des Landes, die auf dem montenegrinischen Zensus von 2003 basieren. Sie beruhen auf Selbstangaben der Sprecher: Bevölkerung nach Muttersprache 2003   Σ Serbisch Montenegrinisch Albanisch Bosniakisch Bosnisch Kroatisch Romanes Makedonisch Ungarisch Slowenisch Deutsch Andere Unbekannt

Zahl

(%)

620.145 393.740 136.208 32.603 19.906 14.172 2.791 2.602 507 255 232 126 3.101 13.902

63,49 21,96 5,26 3,21 2,28 0,45 0,42 0,08 0,04 0,04 0,02 0,50 2,24

Der Sachverständigenausschuss wurde beim Vor-Ort-Besuch über die neue, im Jahr 2009 durchgeführte Umfrage informiert, laut der sich 11.000 Personen als Roma erklärt haben, was der zweite Staatenbericht bestätigte und ergänzte. 9.943 Roma haben ihren Wohnsitz in Montenegro. 65 % davon haben als Muttersprache Romanes, 5 % – Albanisch, 2 % – Serbisch und 1 % – andere Sprachen.

Montenegro 

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2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Albanisch Im ersten Staatenbericht gab Montenegro Auskunft über ethnisch gemischte Zonen, in denen das Albanische kooffiziell ist. Es handelte sich um die Gemeinden Ulcinj und Tuzi. Einen wesentlichen Teil der Einwohnerzahl bildeten die Albaner auch in den Gemeinden Bar, Plav und Rožaje. Der Sachverständigenausschuss bemängelte die Informationen aus dem ersten Staatenbericht als unpräzise, weil nicht geklärt sei, welchen Prozentanteil (fünf oder 15) eine Sprache haben müsse, um als Minderheitensprache anerkannt werden zu können. Der zweite Staatenbericht präzisierte, das Albanische sei in offizieller Verwendung in Podgorica und in den Gemeinden Plav, Ulcinj und Tuzi. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht werde das Albanische in allen Bildungsstufen angeboten. Acht ausgebildete Lehrergruppen sorgten in der vorschulischen Erziehung für ein Albanischangebot. In zwölf Grundschulen werde auf Albanisch unterrichtet, ebenso auch in einigen Zweigschulen (Filialschulen). Der Artikel 22 des Allgemeinbildungsgesetzes vom 22.11.2002 biete Lehrern und Eltern die Möglichkeit, 20 % des Unterrichts selbst zu gestalten. Die gleiche Regelung gelte für den Unterricht im Sekundarbereich, an dem vier Institutionen beteiligt seien. Die Lehrbücher werden ins Albanische übersetzt. An der Philosophischen Fakultät der Universität Nikšić sei ein Lehrstuhl für albanische Sprache und Literatur aktiv, zu dessen Aufgabe u.a. die Aus- und Weiterbildung von Lehrern gehöre. Je nach Interesse könne auch die berufliche Bildung oder die Erwachsenen- und Weiterbildung angeboten werden. Im Allgemeinen montenegrinischen Lehrplan seien auch die Geschichte und Kultur Albaniens vorgesehen. Das Ministerkomitee empfahl einen stärkeren Ausbau der Lehrerschaft, insbesondere für die Grundschule und für den Sekundarbereich. Der zweite Staatenbericht fügte hinzu, dass der Unterricht auf der Stufe der vorschulischen Erziehung im akademischen Jahr 2009/10 für sieben Gruppen in Ulcinj (230 Kinder) und eine Gruppe in Tuzi (33 Kinder) organisiert wurde. Im Jahre 2010 wurden weitere Bemühungen um die Verbesserung der Qualität der Unterrichtsmaterialien für die Primarschule unternommen. Insgesamt besuchten laut dem Staatenbericht 1.347 Schüler eine Sekundarschule, davon 973 das Gymnasium und 374 eine berufliche Schule. Der zweite Staatenbericht korrigierte die Angaben des ersten. An der Universität Nikšić sei kein Lehrstuhl für die albanische Sprache und Literatur aktiv, es werde ein Studiengang zur Ausbildung für Lehrer des Albanischen eingerichtet. Bisher schlossen 35 Studenten das Studium erfolgreich ab.

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Justizbehörden: Nach dem ersten Staatenbericht seien zweisprachige Gerichtsverhandlungen unter Zuhilfenahme professioneller Übersetzer durchzuführen. Die Übersetzung der wichtigsten Gesetzestexte in Regional- oder Minderheitensprachen sei im ‚bestehenden‘ Zeitraum geplant. Im zweiten Staatenbericht präzisierte Montenegro, dass in Ulcinj drei von vier Richtern das Albanische beherrschten, denen zusätzlich sechs Dolmetscher zur Verfügung standen. Das Justizministerium habe 30 Dolmetscher für das Albanische berufen. 2010 seien drei Verfahren auf Albanisch durchgeführt worden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Laut erstem Staatenbericht bediente sich die öffentliche Verwaltung in den gemischten Gebieten in allen Belangen der beiden offiziellen Sprachen. Im Widerspruch dazu erwähnte der Sachverständigenausschuss den Umstand, dass es keinen albanischen Muttersprachler gäbe, der als Beamter tätig wäre. Der Sachverständigenausschuss beklagte ebenso einen erheblichen Mangel an Informationen zu diesem Bereich. Der zweite Staatenbericht führte neue Gesetze an, ohne über ihre praktische Umsetzung zu berichten. Medien: Der erste Staatenbericht stellte dar, dass Radio Montenegro im Jahr 2006 folgende Sendungen ausstrahlte: Lajmet insgesamt 312 Sendungen mit einer Dauer von je drei Minuten, Ditari insgesamt 240 halbstündige Sendungen und Ne fund te javes insgesamt 48 halbstündige Sendungen. Die Radiostation Radio Bar strahle fünfmal pro Woche eine 45-minütige Sendung aus. Radio Ulcinj, ebenfalls ein lokaler Sender, strahle zweisprachig aus: 70 % auf Albanisch und 30 % auf Montenegrinisch. Die TV-Ausstrahlungen werden vom staatlichen Fernsehen durchgeführt: Lajmet mit insgesamt 260 15-minütigen Sendungen und Mozaiku 60 mit 52 einstündigen Dokumentar-Sendungen. In den Jahren 2006 und 2007 wurde auch ein Silvesternacht-Programm auf Albanisch ausgestrahlt. Das Wochenblatt Koha Javore werde seit 2003 in einer Auflage von 500 Exemplaren und das Blatt Pobjeda in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt und sei zudem im Internet verfügbar. Zufrieden gab sich der Sachverständigenausschuss, was das Radio, Fernsehen und gedruckte Medien angeht, bemängelte aber die Informationen über elektronische Medien. Der zweite Staatenbericht wies auf das neue Gesetz über elektronische Medien vom 30.7.2010 hin. Es wurde auch auf die staatliche Kofinanzierung des Rundfunks und des Wochenblattes Koha Javore hingewiesen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht ging auf die Finanzierung der Bücher ein, die vom Art klub Ulcinj herausgegeben wurden. Im Bericht wurden mehrere Institutionen ohne klare Unterscheidung genannt, um welche Minderheitengruppe es sich dabei handelt. Der Sachverständigenausschuss forderte mehr eindeutige Informationen für den zweiten Bericht. Der zweite Staatenbericht stellte dar, dass vom Kulturministerium Folgendes kofinan-

Montenegro 

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ziert wird: Die Zeitschrift Lemba in Ulcinj, der Druck von Büchern, die Übersetzung ins Albanische und aus dem Albanischen von Publikationen, die vom Art klub Ulcinj, dem Montenegrinischen Zentrum Pen und dem Verlagshaus Plima in Ulcinj herausgegeben wurden. Darüber hinaus wurde kofinanziert: Die Gesellschaft Albanischer Maler aus Ulcinj, das Festival Sommerszene Ulcinj, der Kulturverein Ramadan Šarkić in Tuzi und die Folklorevereine Besa in Zatrijebče und Koha in Dinoša. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht legte dar, die Republik Montenegro habe in diesem Bereich nicht viel unternommen, mit Ausnahme von kleinen Schritten im Bereich der Firmennamen, die in Albanisch angeführt wurden. Der Sachverständigenausschuss wurde beim Vor-Ort-Besuch über das neue Gesetz gegen Diskriminierung informiert und verlangte von den montenegrinischen Behörden mehr Informationen dazu. Der zweite Staatenbericht stellte entsprechend das neue Antidiskriminierungsgesetz vom 27.7.2010 ausführlich dar.

2.3.2 Romanes In seinem ersten Staatenbericht nannte Montenegro, analog zum Albanischen, die Gemeinden, in denen Roma die Mehrheit bildeten. Die Mehrzahl der Roma bewohnte Podgorica, und einen wesentlichen Teil der Einwohner bildeten sie in den Gemeinden Berane, Nikšić und Bijelo Polje. Obwohl das Ministerkomitee die Präzisierung jener Territorien verlangte, in denen Roma die Mehrheit bildeten, enthielt der zweite Staatenbericht diesbezüglich keine genaueren Angaben. Der Sachverständigenausschuss wies auch darauf hin, dass das Romanes in keiner Gemeinde als offizielle Sprache fungiert. Weiter wurde über die Sprache in der Sammelbezeichnung ‚RAE‘ (Roma, Ashkali und Ägypter) gesprochen. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht sprechen 2.602 Personen in Montenegro Romanes, wobei der Analphabetismus in der RAE-Population 50  % betrage. Die Mehrzahl der Roma befinde sich allgemein unterhalb des Lebensstandards Montenegros. Die ohnehin schwierige Situation habe sich durch die Kriegszeit im Kosovo 1999 weiter verschlimmert. 1999 kamen 18.047 Flüchtlinge nach Montenegro. Laut Angaben des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2006 seien 49  % der Gesamtzahl der RAE-Schüler Flüchtlingskinder. Die schwierige soziale Situation sowie die hohe Arbeitslosigkeit erschwere die Integration der RAE-Bevölkerung in das Bildungssystem. Zusätzliche Probleme waren mit Zwistigkeiten zwischen der heimischen Bevölkerung der RAE und den RAE-Flüchtlingen verbunden. Der Bericht listete die Hauptziele zur Verbesserung der Situation auf. Für die Situation des Romanes komme erschwerend hinzu, dass die Sprache

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noch nicht standardisiert sei. Es mangele an Unterrichtsmaterialien und an Lehrpersonal. In Montenegro standen keine Ausbildungskräfte für Romanes zur Verfügung. Der Sachverständigenausschuss stellte es als notwendig dar, Romanes zu kodifizieren, um eine bessere Integration der RAE-Bevölkerung zu ermöglichen. Dem schloss sich das Ministerkomitee mit der Empfehlung an, aus dem Romanes eine Schriftsprache zu schaffen und den Unterricht in dieser Sprache zumindest in Vor-, Grund- und Sekundarschulbereich zu verstärken. Laut dem zweiten Staatenbericht besuchten im Schuljahr 2008/09 252 Kinder die Vorschule und 1.461 die Grundschule. Die Zahl der RAE-Kinder im Bildungssystem steige von Jahr zu Jahr. Der Bericht nannte weitere Programme zur besseren Integration der RAE-Bevölkerung ins Bildungssystem: „Ausbildungsinitiative der Roma in Montenegro“ (2006–2008); „Unterstützung der RAE-Bevölkerung in Konikcamps“, organisiert vom Roten Kreuz Montenegros; das Projekt „Integration der RAE-Bevölkerung in Stadtschulen“. Es wurde auch ein Dokument „Strategie für die Verbesserung der Lage der RAE-Bevölkerung in Montenegro“ (2008–2012) für eine bessere Einbindung der Roma in das Bildungssystem ausgearbeitet, das eine Reihe von Integrationsmaßnamen beinhaltet. Justizbehörden: Nach dem ersten Staatenbericht sind zweisprachige Gerichtsverhandlungen auf Antrag einer Partei unter Zuhilfenahme professioneller Übersetzer durchzuführen. Der Sachverständigenausschuss nannte in seinem Bericht zwei tätige Dolmetscher des Romanes. Diese Angaben stehen im Widerspruch zum Bericht von UNO LIBERTASK, der behauptet, es gebe keine Dolmetscher für das Romanes, weshalb die übernommenen Verpflichtungen auch nicht erfüllt werden können. Der Sachverständigenausschuss sah in seinem Bericht Probleme in der Definition des Romanes, das nicht als kooffizielle Sprache in der Verfassung Montenegros aufgenommen wurde. Der zweite Staatenbericht führte aus, dass nach dem Gesetz über das Recht auf den Gebrauch der eigenen Sprache die Roma in Gerichtsverfahren ihre eigene Sprache verwenden können. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der erste Staatenbericht machte zu diesem Aspekt keine substantiellen Aussagen, weshalb der Sachverständigenausschuss einen erheblichen Mangel an Informationen beklagte und kein Urteil über die Anwendung der Maßnahmen abgeben konnte. Im zweiten Staatenbericht ging Montenegro kaum auf die entsprechenden Fragen ein. Medien: Laut dem ersten Staatenbericht hat die NGO „Demokratisches Roma Zentrum“ aus Podgorica mit dem privaten Rundfunksender Antena M 48 Sendungen von insgesamt 36 Stunden ausgestrahlt. Die TV-Ausstrahlungen sind auf die Sendung Glas Roma begrenzt. Es wurden insgesamt 14 halbstündige Sendungen ausgestrahlt. Der Sachverständigenausschuss berichtete über die mangelnde Anzahl ausgebildeter Roma (nur drei), die das Programm durchführen können.

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Wie beim Albanischen besteht auch hier das Problem fehlender Untertitel. Der zweite Staatenbericht bot diesbezüglich keine weiteren Informationen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht machte zu diesem Aspekt keine substantiellen Aussagen. Der Sachverständigenausschuss beklagte allerdings einen erheblichen Mangel an Informationen, der beim Vor-Ort-Besuch nur zum Teil behoben werden konnte. Laut dem zweiten Staatenbericht finanzierte das montenegrinische Kulturministerium die Organisation von verschiedenen Theaterstücken und anderen Aktivitäten auf Romanes. Wirtschaftliches und soziales Leben: Was diesen Aspekt angeht, unterscheiden sich die Situation des Romanes und der Kommunikationsverlauf zwischen dem Land und dem Europarat nicht von dem, was oben zum Albanischen berichtet wurde.

3 Bewertung Nach der Unabhängigkeitserklärung bemühte sich Montenegro um eine schnelle Umsetzung der Charta. Gemessen an den großen gesellschaftlichen Veränderungen (Unabhängigkeitserklärung und neue Verfassung), die in Montenegro vor sich gegangen sind und die zugleich den Status der Regional- oder Minderheitensprachen wesentlich bestimmten, haben die montenegrinischen Behörden insgesamt nur wenig Informationen geliefert, insbesondere zum Romanes. Der Schutz des Albanischen stellt den Europarat weitgehend zufrieden, während hinsichtlich des Romanes bemängelt wird, dass es im öffentlichen Leben Montenegros kaum präsent ist. Deshalb seien konkrete Maßnahmen erforderlich, um die Kultur und Sprache der Roma in Montenegro zu bewahren und als Bestandteil des kulturellen Reichtums dieses Landes bekannt zu machen. Ebenso müsse intensiver an der Abnahme der Diskrepanz zwischen den rechtlichen Garantien einerseits und der täglichen Praxis andererseits gearbeitet werden. Die Diskussion über die Aufnahme weiterer Minderheitensprachen (Serbisch, Kroatisch, Bosnisch) ist zurzeit abgeschlossen, jederzeit besteht aber die Möglichkeit, diese Entscheidung zu hinterfragen und die Statusänderung des Bosnischen, Kroatischen und Serbischen vorzunehmen.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Prvi izvještaj Republike Crne Gore o sprovođenju Evropske povelje o regionalnim i manjinskim jezicima, 16.7.2007. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Montenegro, 4.4.2011. [= 2. Staatenbericht] Prvi izvještaj komiteta eksperata o Povelji, 10.9.2009. [= 1. Evaluationsbericht] Preporuka Komiteta ministara, 20.1.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Republik Montenegro: „Opšti zakon o obrazovanju i vaspitanju [Allgemeinbildungsgesetz]“. In: Službeni list Republike Crne Gore, 64/2010, 28.11.2002. Republik Montenegro: Strategija za poboljšanje RAE populacije u Crnoj Gori 2008–2012 [Strategie zur Verbesserung der Lage der RAE-Population in Montenegro], 2007. Republik Montenegro: „Ustav Crne Gore [Verfassung der Republik Montenegro]“. In: Službeni list Republike Crne Gore, 1/2007, 25.10.2007. Republik Montenegro: „Zakon o elektronskim medijima [Gesetz über elektronische Medien]“. In: Službeni list Republike Crne Gore, 46/2010, 6.8.2010. Republik Montenegro: „Zakon o zabrani diskriminacije [Antidiskriminierungsgesetz]“. In: Službeni list Republike Crne Gore, 46/2010, 6.8.2010. Swedish Helsinki Committee for Human Rights: Izvještaj: Manjine u Crnoj Gori: Zakonodavstvo i praksa [Bericht: Minderheiten in Montenegro: Gesetzgebung und Praxis], 20.2.2007. (19.3.2012). U.N.O. LIBERTASK: Alternative Report on the Application of the European Charter for regional or minority languages in Montenegro, 2007. (19.3.2012).

4.2 Literatur Fondacija instituta za otvoreno društvo: Mladi i društvena integracija REA u Crnoj Gori, 2010. (9.2.2012). Lukan, Walter / Trgovčević, Ljubinka / Vukčević, Dragan (Hrsg.): Serbien und Montenegro. Raum und Bevölkerung – Geschichte – Sprache und Literatur – Kultur – Politik – Gesellschaft – Wirtschaft – Recht, Wien/Zürich: LIT Verlag 2006. Wolff, Stefan u.a.: Minority rights in the Western Balkans, 2008.

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(9.2.2012). Zeković, Aleksandar Saša: Ljudska i manjinska prava u praksi, 2006. (9.2.2012). – Pregled manjinske politike u Crnoj Gori, o.J.

(9.2.2012).

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii, iv), b (ii, iv), c (iii, iv), d (iv), e (ii), f (iii), g, h

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii, iv), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2a–c; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iii, iv, v), c; 2b, d, g; 3a; 4a, c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), f (ii); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–c, f; 2

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

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Heinz Eickmans (Duisburg-Essen)

Niederlande (Koninkrijk der Nederlanden) 1 Vorgeschichte Um die sprachpolitische Entwicklung in den Niederlanden in einen größeren historischen Rahmen einpassen zu können, ist ein kurzer Blick zurück ins 19. Jahrhundert notwendig. Die staatliche Neuordnung Europas nach dem Ende der napoleonischen Kriege führte 1815 zur Gründung des „Vereinigten Königreichs der Niederlande“ unter König Wilhelm I., das nach dem Willen des Wiener Kongresses auch die im 80-jährigen Krieg (1568–1648) gegen Spanien verlorenen südlichen niederländischen Provinzen – das heutige Belgien – mit umfasste. Damit waren die nördlichen und die südlichen Niederlande zwar erstmals in einem souveränen Staat vereinigt, die innere Stabilität des neuen Staates aber war von Anfang an durch konfessionelle und v.a. auch sprachliche Gegensätze bedroht. Es gehörte zu den Grundüberzeugungen Wilhelms I., dass auf Dauer nur eine sprachliche Einheit auch die politische Einheit seines Königreiches würde gewährleisten können. Dies veranlasste ihn zu einer rigorosen Sprachpolitik, durch die das Französische, das sich in den mehr als drei Jahrhunderten getrennter Staatlichkeit in den südlichen Niederlanden als dominierende Schriftsprache etabliert hatte, verdrängt werden sollte zugunsten des Niederländischen, das in den nördlichen Niederlanden seit ihrer Unabhängigkeit stets alleinige Amtssprache gewesen war. Die Verdrängung des Französischen sollte dabei nicht nur für die flämischen Provinzen gelten, auch die frankophonen wallonischen Provinzen sollten sprachlich niederlandisiert werden. Neben dem konfessionellen Gegensatz war es v.a. der Widerstand gegen diese Sprachpolitik Wilhelms I., die bereits 1830 zum Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs und zur Gründung Belgiens führte, eines bis heute durch die Sprachenfrage tief gespaltenen Staates. Auch die Nichtunterzeichnung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen durch Belgien ist ein Indiz für die enorme Sprengkraft, die das Politikum Sprache in diesem Land weiterhin besitzt. Bezogen auf das Gebiet des heutigen Königreichs der Niederlande gilt indes, dass das Niederländische bis nach dem Zweiten Weltkrieg im ganzen Land als alleinige Amtssprache fungierte. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts werden dem Friesischen bedingte, regional begrenzte Rechte eingeräumt.

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Das Fehlen jeglicher Bemerkung zur Sprache in der niederländischen Verfassung belegt die Selbstverständlichkeit, mit der die ausschließliche Geltung des Niederländischen als Amtssprache bis vor kurzem betrachtet wurde. Erst seit Beginn der 1990er Jahre gab es angesichts des stetig wachsenden Einflusses des Englischen in vielen gesellschaftlichen Bereichen und mit Blick auf die steigende Zahl von Migranten nennenswerte Bestrebungen, das Niederländische als Amtssprache in der Verfassung zu verankern. Ein entsprechender Gesetzentwurf scheiterte jedoch zuletzt 1997 im Parlament. Allerdings gibt es seit 1995 im niederländischen Verwaltungsrecht ein Gesetz zum Sprachgebrauch im amtlichen Verkehr. Dies legt fest, dass das Niederländische in allen Verwaltungseinrichtungen zu gebrauchen ist, es sei denn, dass eine gesetzliche Vorschrift anderes bestimmt oder dass der Gebrauch einer anderen Sprache zweckmäßiger ist, ohne dass Dritten dadurch ein Nachteil entsteht. Als konkrete Ausnahme nennt das Gesetz allein das Friesische, dessen Gebrauch jedem Bürger im amtlichen Verkehr innerhalb der Provinz Friesland gestattet ist (vgl. hierzu 2.3.1.). Von besonderer Bedeutung für alle Aspekte der niederländischen Sprachpolitik der letzten drei Jahrzehnte ist die Existenz der 1980 von den Niederlanden und Belgien eingerichteten Nederlandse Taalunie („Niederländischen Sprachunion“), der heute die Niederlande, der belgische Teilstaat Flandern und Suriname angehören. Diese Länder haben einen Teil ihrer sprachpolitischen Befugnisse der Nederlandse Taalunie übertragen, die eigentlich auch in Sachen Charta vorab von der niederländischen Regierung hätte konsultiert werden müssen. Dass dies nicht geschah, hat zu einer bis heute nicht beigelegten Auseinandersetzung um die Frage geführt, ob die von der Regierung zu Teil II (Art.  7) der Charta angemeldeten Sprachen wirklich alle als eigenständige Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta gelten können oder ob es sich nicht teilweise um Dialekte des Niederländischen handelt, die als solche nicht für eine Aufnahme in die Charta in Frage gekommen wären (vgl. im Folgenden 2.3.3.).

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Die Niederlande haben die Charta am 5.11.1992 unterzeichnet, die Ratifizierung erfolgte am 2.5.1996, Datum des Inkrafttretens ist der 1.3.1998. Da das Königreich der Niederlande auch außereuropäische Gebiete umfasst, ist der territoriale Geltungsbereich der Charta ausdrücklich auf den europäischen Teil des Königreichs beschränkt. Den ersten Staatenbericht erstatteten die Niederlande am 5.3.1999, der erste Evaluationsbericht datiert vom 9.2.2001, die darauf basierenden Empfehlungen des Ministerkomitees wurden am 19.9.2001 veröffentlicht. Der zweite Zyklus begann mit dem Staatenbericht vom 26.5.2003, auf der Basis des zugehörigen Evaluationsberichts vom 17.6.2004 erschienen die Empfehlungen des Ministerkomitees am 15.12.2004. Die Daten des dritten Zyklus sind für die Vorlage des Staatenberichts der 4.9.2007, für die Stellungnahme des Sachverständigenausschusses der 27.11.2007 und für die Empfehlungen des Ministerkomitees der 9.7.2008.

2.1.2 Institutionen Die Staatenberichte sind unter der Federführung des niederländischen Innenministeriums zustande gekommen, das sich dabei auf die Zuarbeit einschlägiger Institutionen und Vereinigungen stützt. Als jeweils wichtigste seien hier genannt: – für das Friesische die 1938 gegründete Fryske Academy in Leeuwarden, seit 1990 eine Abteilung der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen; – für das Nedersaksische das Nedersaksisch Instituut der Universität Groningen und die in Kampen residierende Stiftung SONT (Abk. für Stichting Streektaal-Organisatie in het Nedersaksisch Taalgebied); – für das Limburgische der Road veur ’t Limburgs („Rat für das Limburgische“) mit Sitz in Roermond, ein im Zuge der Implementierung der Charta neu geschaffenes Gremium, dem Wissenschaftler und regionale Kulturfunktionäre angehören;

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für das Jiddische eine Reihe von Organisationen und Stiftungen, alle mit Sitz in Amsterdam, darunter die orthodox-jüdische Schule Het Cheider, das Menasseh ben Israel Institute for Jewish social and cultural studies, die Stiftungsprofessur für Jiddische Sprache und Kultur an der Universität Amsterdam (UvA) sowie die Stichting Jiddisj („Jiddische Stiftung“); für das Romanes die (seit 2006 nicht mehr bestehende) nationale Organisation der Sinti und Roma in den Niederlanden (Stiching Landelijke Sinti/ Roma Organisatie), die nationale Stiftung Roma Emancipatie, die Stiftung „Wiederherstellung der Rechte der Sinti und Roma“ (Stichting Rechtsherstel Sinti en Roma) und weitere Institutionen aus dem Sozial- und Bildungsbereich.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Die Niederlande haben Friesisch, Nedersaksisch (um die niederländische Regionalsprache begrifflich eindeutig von den benachbarten Dialekten des Niedersächsischen in Deutschland zu unterscheiden, wird in diesem Beitrag durchgehend die niederländische Form Nedersaksisch gebraucht) und Limburgisch als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen, Jiddisch und Romanes als nicht-territoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta benannt. Bei der Ratifizierung der Charta fehlte das Limburgische noch; es wurde 1997 nachgemeldet, so dass es bei Inkrafttreten der Charta in den Niederlanden am 1.3.1998 dazu gehörte. Von den genannten Sprachen wurde nur das Friesische auch für Teil III (Art. 8–14) der Charta gemeldet, die übrigen Sprachen für Teil II. Die besondere Stellung, die das Friesische unter den niederländischen Charta-Sprachen von Anfang an eingenommen hat, geht auch aus der Tatsache hervor, dass der erste Staatenbericht, der bereits am 5.3.1999, d.h. vor der Veröffentlichung der allgemeinen Vorlage des Europarats erschien, den Titel Report on the measures taken by the Netherlands with regard to the Frisian language and culture trug. Er war vollständig von der Fryske Akademy verfasst und widmete sich ausschließlich dem Friesischen. Erst auf Drängen des Sachverständigenausschusses wurden die Daten für die übrigen Sprachen im ersten Zyklus später nachgeliefert. Auch im zweiten und dritten Staatenbericht nimmt das Friesische mit 181 von 218 bzw. 272 von 336 Seiten jeweils über 80 % des Gesamtberichts ein, während sich die übrigen vier Sprachen mit weniger als 20 % begnügen müssen. Die Angaben zur Zahl der Sprecher – d.h. zur Zahl der Menschen, die angeben, die betreffende Sprache sprechen zu können – beruhen auf unterschiedlich zuverlässigen Daten, die teilweise durch jüngere empirische Erhebun-

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gen ermittelt wurden, teilweise auf eher vagen Schätzungen beruhen. Im Einzelnen ergeben sich nach den Angaben des letzten Staatenberichts die folgenden Zahlen: Sprache Friesisch Nedersaksisch Limburgisch Romanes Jiddisch

Sprecher ca. 475.000 ca. 1.800.000 ca. 770.000 ca. 7.000 „einige hundert“

Wie in der Einleitung erwähnt, ist es über die Anmeldung der Sprachen zu einer bis heute nicht beigelegten Auseinandersetzung zwischen der niederländischen Regierung und der supranationalen Niederländischen Sprachunion gekommen. Während es hinsichtlich der Nennung von Friesisch, Jiddisch und Romanes keine Meinungsverschiedenheiten gab, hat sich um das Limburgische und das Nedersaksische eine heftige Diskussion entwickelt. Dabei geht es um die Frage, inwieweit es sich hierbei um eigenständige Sprachen im Sinne der Charta handelt oder doch ‚nur’ um Dialekte des Niederländischen, die nicht für die Charta hätten gemeldet werden dürfen. Durch die Anerkennung von Nedersaksisch und Limburgisch ermutigt, beantragte die Regierung der Provinz Seeland auch die Anerkennung des Seeländischen als eigenständige Regionalsprache im Sinne der Charta. Dieser Antrag wurde von der Regierung jedoch unter Bezugnahme auf ein entsprechendes Gutachten der diesmal beteiligten Nederlandse Taalunie abgelehnt. Auch der Forderung der nordöstlichen Provinzen, das Nedersaksische aufzuwerten und es künftig unter die Bestimmungen des III. Teils der Charta fallen zu lassen, stieß auf die Ablehnung der Regierung in Den Haag.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Friesisch Die friesische Sprache (Frysk), die in der niederländischen Provinz Friesland (Fryslân) den offiziellen Status einer zweiten Amtssprache neben dem Niederländischen besitzt, wird im Deutschen häufig auch als ‚Westfriesisch’, im Niederländischen als ‚Westerlauwers Fries’ bezeichnet, um sie von den nordfriesischen und saterfriesischen Dialekten in Deutschland zu unterscheiden. Die Provinz

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Friesland zählte 2006 642.000 Einwohner, von denen nach einer jüngeren Untersuchung der Fryske Akademy ca. 475.000 (74 %) das Friesische aktiv beherrschen. Mehr als die Hälfte der Friesen gibt an, zuhause normalerweise Friesisch zu sprechen, 55 % nennen Friesisch ihre Muttersprache, für 19 % ist es die Zweitsprache. 94 % der Einwohner Frieslands nehmen für sich in Anspruch, das Friesische zu verstehen. Die Tatsache, dass Erhebungen in den 60er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu ähnlichen Werten kamen, belegt die insgesamt stabile Position des Friesischen. Die politische und rechtliche Verankerung des Friesischen in der Provinz Friesland beginnt erst nach dem Zweiten Weltkrieg und betrifft bis in die 1980er Jahre vornehmlich den schulischen Bereich, wo dem Friesischen nach und nach als Unterrichtssprache in Primar- und Sekundarstufe mehr Möglichkeiten eingeräumt werden. Aber auch im Rechtswesen wird den Friesen bereits seit 1956 zugestanden, sich ihrer Sprache vor Gericht zu bedienen. Im kulturellen Sektor installierte die Provinz-Regierung 1972 Förderungsmaßnahmen zugunsten der friesischen Sprache und Kultur. Zwischen 1984 und der Ratifizierung der Charta im Jahr 1996 kam es noch zu einer Reihe von Regelungen zugunsten des Friesischen in der öffentlichen Verwaltung und in den Medien sowie zur weiteren Förderung des Friesischen in der Bildung und im Rechtswesen. Zwischen der niederländischen Regierung und der Provinz Friesland wurden 1989, 1993 und 2001 drei offizielle „Übereinkünfte in Sachen Friesische Sprache und Kultur“ getroffen, wobei die letzte in ihrer Gliederung der Charta folgt und alle relevanten Paragrafen des Maßnahmenkatalogs Friesisch (vgl. 3.3.) einbezieht. Die folgenden Abschnitte fassen die wichtigsten Aspekte der drei Charta-Zyklen zusammen, wobei den in den Evaluationen des Sachverständigenausschusses angesprochenen Punkten besondere Aufmerksamkeit gilt. Bildung: Der Bildungsbereich nimmt in den Staatenberichten mit Abstand den meisten Raum ein. Das Friesische hat mittlerweile eine feste Position als Unterrichtssprache in allen Bereichen von der Vorschule bis zur Universität. Dabei zeigt sich deutlich der positive Einfluss der Evaluationszyklen, da für viele der in den beiden ersten Berichten gerügten Mängel in der Umsetzung der Charta im letzten Bericht Verbesserungen und Fortschritte konstatiert werden können. Dennoch blieb der Sachverständigenausschuss bei der Forderung nach einem deutlich höheren Anteil des Friesischen als Unterrichtssprache im Vorschulbereich und in der Primar- und Sekundarstufe. Auch drängte er auf eine Verstärkung des Unterrichts der Geschichte und Kultur des Friesischen, wobei er die beschlossene Entwicklung eines eigenen friesischen Unterrichtskanons ausdrücklich begrüßte. Im Bereich des akademischen Studienangebots Friesisch an den Universitäten Groningen und Amsterdam betrachtete der Ausschuss die Forderung der Charta als erfüllt. Allgemein forderte der Ausschuss

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von den niederländischen und friesischen Behörden geeignete Informationsmaßnahmen, um das Bewusstsein der Vorteile von Zweisprachigkeit unter den Eltern zu erhöhen. Justizbehörden: Die für das Friesische übernommenen Teile des Artikels 9 der Charta sehen die Verwendung der Sprache im Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht vor. Voraussetzung hierfür ist die Beherrschung des Friesischen bei den beteiligten Juristen. Am Gericht der Provinzhauptstadt Leeuwaarden beherrschen etwa 53 % der Juristen die Sprache aktiv, weitere 46 % passiv. Tatsächlich finden monatlich in allen Gerichtsbereichen zusammen ca. 30 Prozesse statt, bei denen Friesisch gesprochen wird. In allen bisherigen Berichten hat der Sachverständigenausschuss die Erfüllung aller übernommenen Verpflichtungen im Bereich des Rechtswesens positiv konstatiert. Der dritte Evaluationsbericht lobte darüber hinaus besonders die Anstrengungen, mit denen die Beherrschung des Friesischen an den Gerichten der Provinz verbessert werden soll. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Das seit dem 1.7.1995 gültige niederländische Verwaltungsrecht erlaubt es jedem Bürger, sich im schriftlichen und mündlichen Verkehr mit den provinzialen Behörden des Friesischen zu bedienen. Dieses Recht gilt auch für den Verkehr mit zentralen niederländischen Staatsbehörden, sofern diese ihren Sitz in der Provinz Friesland haben. Der Sachverständigenausschuss sah in den bisherigen Evaluationen Defizite in der Umsetzung des Charta-Artikels 10,1c. Insbesondere monierte die Kommission, dass es den in Friesland ansässigen Abteilungen zentraler Staatsbehörden bisher nicht erlaubt sei, im ausgehenden Schriftverkehr das Friesische zu gebrauchen. Medien: Die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehorganisation Omrop Fryslân („Rundfunk Friesland“) sendet einen Großteil seines Rundfunkprogramms in friesischer Sprache und strebt eine Erweiterung des friesischsprachigen Fernsehprogramms von zwei auf vier Stunden täglich an. In Zeitungen und Zeitschriften beschränkt sich der Gebrauch des Friesischen auf einzelne Artikel, die sich inhaltlich zumeist mit Aspekten der regionalen friesischen Kultur und Politik beschäftigen. Während der Sachverständigenausschuss im öffentlich-rechtlichen Bereich die Verpflichtungen der Charta als erfüllt ansah, forderte er die Regierung auf, sich auch für den Gebrauch des Friesischen in den kommerziellen Sendern einzusetzen, die dieser Sprache bisher überhaupt keinen Raum geben. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Aus der Reihe der im Rahmen der Charta geförderten friesischen Kultureinrichtungen seien hier nur die bedeutendsten genannt: Das Friesische Literaturmuseum und Dokumentationszentrum (Frysk Letterkundich Museum en Dokumintaasjesintrum), die Provinziale Bibliothek (Provinsjale en Buma Biblioteek), die Friesische Akademie (Fryske

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Akademy) und das professionelle friesischsprachige Theater Tryater, woneben es mehr als 175 Amateurtheatergruppen gibt. Friesische Autoren und Filmemacher werden über die nationalen niederländischen Fördereinrichtungen mit gefördert. Die Evaluationen bewerteten die Aktivitäten im kulturellen Bereich insgesamt sehr positiv, nicht erfüllt sah der Sachverständigenausschuss dagegen die Forderungen aus Artikel 12,1e–f, die die Anwesenheit von zweisprachigem Personal in Bibliotheken und anderen kulturellen Einrichtungen sowie die Vertretung der Friesischsprecher in den zentralen kulturellen Fördereinrichtungen der Niederlande fordern. Ebenso kritisierte die Kommission die mangelnde Präsenz des Friesischen in der auswärtigen Kulturpolitik der Niederlande. Wirtschaftliches und soziales Leben: Die allgemeine Politik der nationalen und provinzialen Regierungen richtet sich im privatwirtschaftlichen Bereich auf die Stimulierung und den Abbau juristischer Behinderungen des FriesischGebrauchs. Im Rahmen der Umsetzung der Charta-Bestimmungen wurden einige vom Sachverständigenausschuss in seinem ersten Bericht monierte Behinderungen oder Diskriminierungen des Friesischen beseitigt. So akzeptiert die Post mittlerweile den Gebrauch friesischer Ortsnamen im Briefverkehr, auch in den Fahrplänen der Bahn finden die friesischen Formen der Ortsnamen inzwischen Verwendung. Kritik übte der Sachverständigenausschuss an der Umsetzung der Charta-Bestimmungen im Rahmen der der Regierung unterstehenden behördlichen Wirtschafts- und Sozialbereiche, wo keinerlei staatliche Initiativen entwickelt wurden, und im Bereich der Alten- und Krankenpflege, für den von Seiten der Provinz inzwischen die Arbeitsgruppe Fries in de zorg („Friesisch im Pflegesektor“) eingerichtet wurde. Grenzüberschreitender Austausch: Eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Sprechern des Friesischen in den Niederlanden und den nordfriesischen und saterfriesischen Dialektsprechern in Deutschland besteht auf der Ebene verschiedener Organisationen wie etwa dem Fryske Rie („Friesischer Rat“), einer Stiftung zur Förderung der Kontakte unter den friesischsprachigen Regionen. Mit der Förderung solcher Aktivitäten sieht der Sachverständigenausschuss die Charta in diesem Punkt als erfüllt an, spornt die niederländischen und friesischen Behörden aber an, diesen Kontakten eine stärkere strukturelle Basis zu geben.

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2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Nedersaksisch Die mit dem Begriff Nedersaksisch bezeichnete Regionalsprache im Nordosten der Niederlande kennt keine Standardvarietät, sie besteht vielmehr in Form mehrerer dialektaler Varianten, die in den Provinzen Groningen, Drenthe und Overijssel, im Südosten der Provinz Friesland (Gemeinden Oost- und Weststellingwerf) und in Teilen der Provinz Gelderland (Regionen Achterhoek und Veluwe) gesprochen werden. Der bei der einheimischen Bevölkerung und den Sprechern der Sprache bisher kaum eingebürgerte Name Nedersaksisch ist eine sprachpolitische Setzung, mit der zum einen bewusst die früher vielfach gebrauchte Bezeichnung Oostnederlands vermieden wird, da diese die unerwünschte Schlussfolgerung nahe legen könnte, dass es sich um eine Form des Niederländischen handelte. Zum anderen bringt der Name Nedersaksisch die Zusammengehörigkeit mit dem benachbarten Niedersächsischen auf deutscher Seite zum Ausdruck, wodurch man die Position gegenüber dem im eigenen Land übermächtigen Niederländischen gestärkt sieht. Dem Hinweis auf die grenzübergreifende Spracheinheit steht im Innern eine dialektale und verwaltungsmäßige Zersplitterung des nedersaksischen Sprachgebiets gegenüber. Eine 2002 durchgeführte Sprachzählung weist für das Gesamtgebiet ca. 3 Mio. Einwohner aus, von denen insgesamt 2,1 Mio. angeben, Nedersaksisch sprechen zu können, aber nur 1,6 Mio. davon im Alltag (neben dem Niederländischen) Gebrauch machen (Bloemhoff 2005, 94). Die Verteilung der Sprecher des Nedersaksischen über fünf Provinzen erweist sich einer einheitlichen Sprachpolitik bisher als hinderlich, zumal sich die Regierung in Den Haag mit Hinweis auf die Zuständigkeit der provinzialen und lokalen Autoritäten fast jeglicher Initiative enthält. Als Spiegel dieser verwaltungsmäßigen Zersplitterung präsentieren sich auch die Berichte über die bisherigen Aktivitäten zugunsten des Nedersaksisch, die jeweils getrennt nach den einzelnen Provinzen aufgelistet werden. Dabei wird deutlich, dass das Engagement für das Nedersaksisch deutliche Unterschiede zwischen den beteiligten Provinzen erkennen lässt. So musste sich die Provinz Gelderland, die nur in Teilen zum nedersaksischen Gebiet zählt, vom Sachverständigenausschuss mehrfach den Vorwurf gefallen lassen, dass sie deutlich weniger für die Förderung dieser Sprache tue als die anderen Provinzen. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die wichtigsten konkreten Maßnahmen v.a. im Bereich der Stimulierung des Gebrauchs im öffentlichen wie im privaten Rahmen (Art. 7,1d), der Entwicklung von Lehrmaterialien und dem Gebrauch der Sprache im Schulunterricht (Art. 7,1f) und der linguistischen Forschung (Art. 7,1h) anzusiedeln sind.

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Exemplarische Initiativen in den genannten Bereichen sind etwa – die Einrichtung eines Huus van de Toal („Haus der Sprache“) in der Provinz Drenthe, das als zentrale Anlaufstelle für Information, Beratung und Unterstützung in Sachen Regionalsprachgebrauch fungiert. Auch andere Provinzen unterhalten vergleichbare Einrichtungen; – die Erweiterung des Angebots an Beiträgen in Nedersaksisch in den regionalen Printmedien ebenso wie im Rundfunk und Fernsehen und im Internet; – die Stimulierung und Unterstützung der regionalsprachlichen Kultur etwa in den Bereichen der populären Musik und des Theaters; – der Gebrauch der Regionalsprache als Unterrichtssprache und die Entwicklung entsprechender Lehrmaterialien. In der Primarstufe ist der Gebrauch bzw. die Beschäftigung mit dem Nedersaksisch in den zur Provinz Friesland gehörenden Gemeinden Oost- und Weststellingwerf verbindlich verankert. In den übrigen Provinzen geschieht dies bisher eher inzidentell. Auch in der Sekundarstufe ist Nedersaksisch in zunehmendem Maß Gegenstand des Unterrichts in Form von Projekten und Workshops, auch hierfür wurden in den letzten Jahren vermehrt Unterrichtsmaterialien entwickelt; – die Berücksichtigung des Nedersaksisch in der akademischen Lehre und Forschung. Hier ist v.a. die Universität Groningen zu nennen, wo allerdings das 1953 eingerichtete Nedersaksisch Instituut inzwischen in die übergreifende Fachgruppe Nederlands-Fries-Nedersaksisch aufgegangen ist. Die seit 2001 an derselben Universität bestehende Stiftungsprofessur für Groninger Sprache und Kultur wurde 2007 zu einer ordentlichen Professur aufgewertet, die zum größten Teil von der Provinz Groningen finanziert wird. Weitere akademische Einrichtungen, die sich speziellen Aspekten des Nedersaksisch widmen sind die Hogeschool Drenthe in Emmen (Lehrerausbildung), die Radboud Universiteit Nijmegen (Dialektlexikografie) und das Meertens-Instituut in Amsterdam (Dialektologie und Soziolinguistik); – die Publikation des Handboek Nedersaksische Taal- en Letterkunde (Handbuch der „nedersaksischen“ Sprach- und Literaturwissenschaft). Dieses 2008 erschienene Handbuch liefert einen Überblick über die Geschichte und eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der nedersaksischen Sprache und Literatur in all ihren Teilterritorien. Um zu einer koordinierten gemeinsamen Sprachpolitik zu kommen, haben die beteiligten Provinzen und Gemeinden 2002 als übergreifende Einrichtung die Stiftung SONT (Streektaal-Organisatie in het Nedersaksisch Taalgebied; Dialekt-Organisation im nedersaksischen Sprachgebiet) mit der expliziten Zielsetzung ins Leben gerufen, die Anerkennung des Nedersaksischen im Rahmen von Teil III der Charta zu erreichen. Ein Wunsch, dem die Regierung in Den Haag bisher ableh-

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nend gegenübersteht; hierin findet sie die Unterstützung des Sachverständigenausschusses, der im dritten Evaluationsbericht die Voraussetzungen für Teil III noch nicht erfüllt sah. In den bisherigen Evaluationsberichten kam der Sachverständigenausschuss bezüglich der Förderung des Nedersaksischen zu einer Reihe von kritischen Bemerkungen an die Adresse der niederländischen Regierung. Grundsätzlich konstatierte der Ausschuss in allen bisherigen Berichten das Fehlen einer nationalen Sprachpolitik für das Nedersaksische. Des Weiteren ist die Kommission der Ansicht, dass der Gebrauch des Nedersaksischen in den Medien erweitert werden müsse, und sieht deutliche Defizite in der Provinz übergreifenden Koordination des Nedersaksischunterrichts an den Schulen.

2.4.2 Limburgisch Das als Regionalsprache der Niederlande anerkannte Limburgische kennt wie das Nedersaksische keine Standardvarietät, es verteilt sich nach Angaben seiner Interessenvertreter auf sechs dialektale Varianten, die insgesamt von geschätzten 770.000 Sprechern gesprochen werden. Die Vertreter des Limburgischen verstehen sich als Teil einer zusammengehörigen Sprachgemeinschaft, zu der sie auch die Sprecher des Limburgischen in der gleichnamigen belgischen Provinz und die Sprecher des Ripuarischen im Rheinland zählen. Das Limburgische zählte zunächst nicht zu den von den Niederlanden für die Charta benannten Sprachen. Mit Hinweis auf die Anerkennung des Nedersaksischen ließ die Provinz Limburg jedoch prüfen, ob nicht auch das Limburgische die Voraussetzung für eine Aufnahme in die Charta erfülle. Auf der Basis linguistischer Gutachten, die die gewünschte Bescheinigung lieferten, dass das Limburgische nicht als Dialekt des Niederländischen zu betrachten sei, erfolgte dann die nachträgliche Aufnahme. Die Meldung des Limburgischen für Teil II der Charta stieß, wie oben angedeutet, auf den expliziten Widerspruch der Experten der Niederländischen Sprachunion, die von der Regierung zuvor aber nicht konsultiert worden waren. Der Konflikt wurde offensichtlich, als die flämische Regierung im Jahr 1999 eine offizielle Anfrage an die Nederlandse Taalunie richtete, ob das Limburgische in Belgien ggf. für eine Anerkennung als Regional- oder Minderheitensprache im Sinne der Charta in Frage komme. Die Antwort der Taalunie war rundheraus negativ. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass es sich beim Limburgischen um einen Dialekt des Niederländischen handele und nicht um eine eigenständige Sprache. Die Anerkennung des Limburgischen durch die Niederlande sei missbräuchlich erfolgt und verstoße gegen die Definition des Begriffs „Regional- oder

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Minderheitssprache“ in Artikel 1 der Charta. Zwischen den Zeilen lässt die Taalunie keinen Zweifel daran, dass dies ihrer Ansicht nach auch für die Anerkennung des Nedersaksischen gilt. Der Sachverständigenausschuss ging nur in seinem ersten Evaluationsbericht auf diese innerniederländische Kontroverse ein und bat die Regierung um eine Klärung der Angelegenheit, sah aber davon ansonsten die Pflichten der niederländischen Regierung gegenüber dem Limburgischen in keiner Weise berührt. In den späteren Berichten kam der Ausschuss auf diese Frage nicht mehr zurück. Auch im Fall des Limburgischen weist die Regierung in den Staatenberichten regelmäßig auf die primäre Zuständigkeit regionaler und lokaler Autoritäten für alle sprachpolitischen Förderungsmaßnahmen hin. Dementsprechend gehen auch alle bisherigen Initiativen auf das Konto der Provinz Limburg oder regionaler Interessenverbände, sie erfolgten v.a. im Bereich der Professionalisierung und Koordination der sprachpolitischen Maßnahmen (Art. 7,1c), der Stimulierung des Gebrauchs im öffentlichen wie im privaten Rahmen (Art. 7,1d) und der Entwicklung von Lehrmaterialien und dem Gebrauch der Sprache im Schulunterricht (Art. 7,1f). Exemplarische Initiativen in den genannten Bereichen sind: – die Einrichtung des Raod veur ‘t Limburgs („Rat für das Limburgische“) durch die Provinz Limburg im Jahr 2000, der die Provinzregierung in allen Charta-Fragen berät, und die Anstellung von zwei Sprachbeauftragten (regional language officers), denen die Umsetzung und Koordination der sprachpolitischen Maßnahmen obliegt; – die Ausweitung der Präsenz des Limburgischen in den Medien, v.a. im regionalen Rundfunk und Fernsehen; – die Erstellung einer Liste von Ortsnamen in Limburgisch, die viele Gemeinden inzwischen zur Aufstellung zweisprachiger Ortsschilder veranlasst hat; – die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien für den Sprachunterricht der Primar- und Sekundarstufe, die aus Lehrer- und Schülerbüchern in Niederländisch und Übungsbüchern in den örtlichen Dialekten des Limburgischen bestehen. Der Primarstufenkurs „Dien eige taal“ wird mittlerweile in 75 Schulen gebraucht, der später entstandene Fortsetzungskurs für die Sekundarstufe „Wiejer in dien taal“ wurde während des letzten Berichtszeitraums in einem Pilotprojekt erprobt; – im Bereich der universitären Forschung zum Limburgischen kann auf das 2008 fertiggestellte Woordenboek van de Limburgse Dialecten (WLD) hingewiesen werden, das in 39 onomasiologisch gegliederten Teilbänden den Wortschatz der Dialekte der belgischen und niederländischen Provinzen Limburg beschreibt. Bearbeitet wurde es zwischen 1960 und 2008 an den

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Universitäten in Nijmegen (NL) und Leuven (B). Des Weiteren sind an der Radboud Universiteit Nijmegen und am Amsterdammer Meertens-Instituut eine Reihe von soziolinguistischen und dialektologischen Studien zum Limburgischen entstanden. In seinen Stellungnahmen bescheinigte der Sachverständigenausschuss dem Limburgischen insgesamt eine positive Entwicklung. Im dritten Bericht hieß es explizit, „dass das Limburgische sich in einer relativ guten Situation befindet (große Sprecherzahl, territoriale Basis) und dass der Gebrauch dieser Sprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens möglich ist und/oder gefördert werden kann“. Dies gelte sogar vor Gericht, auch wenn sich die Richter selber zumeist des Niederländischen bedienten. Kritische Bemerkungen bzw. Verbesserungsvorschläge betrafen das Fehlen von Informationen über den Gebrauch des Limburgischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben, den Gebrauch des Limburgischen im amtlichen Schriftverkehr und insbesondere die Intensivierung des Limburgisch-Unterrichts in den Schulen und im Vorschulbereich, wo es bisher keine ausreichenden Initiativen gebe.

2.4.3 Jiddisch In allen bisherigen Staatenberichten findet sich hinsichtlich der Zahl der JiddischSprecher in den Niederlanden lediglich die vage, auf Schätzungen jüdischer Einrichtungen beruhende Angabe „einige hundert“. Die meisten davon leben in den Großstädten Amsterdam und Den Haag. Amsterdam ist auch der Sitz aller niederländischen Organisationen zur Pflege und Entwicklung des Jiddischen, die in den Staatenberichten genannt sind. Die Aufnahme des Jiddischen in die Gruppe der für die Charta benannten Sprachen implizierte nicht nur die Anerkennung dieser Sprache als Ausdruck des kulturellen Reichtums der Niederlande nach Artikel 7,1a der Charta, sondern auch die Notwendigkeit, für das Jiddische sprachpolitisch aktiv zu werden. Dies geschah und geschieht im Fall des Jiddischen vornehmlich durch die Ermutigung und finanzielle Unterstützung entsprechender Aktivitäten, die von gemeinnützigen privaten Organisationen und Stiftungen entwickelt werden. Die Aktivitäten zur Förderung des Jiddischen konzentrierten sich bislang im Wesentlichen auf die Bereiche Unterricht, Bildung und Forschung. Im Einzelnen führten der zweite und dritte Staatenbericht eine ganze Reihe von Aktivitäten an. Hierzu zählen u.a.

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die Forschungen zur Geschichte der Juden und des Jiddischen in den Niederlanden im Rahmen des gemeinsam vom Jüdisch Historischen Museum und der Universität Amsterdam (UvA) getragene Menasseh ben Israel Institute for Jewish social and cultural studies; die Einrichtung einer Stiftungsprofessur für Jiddische Sprache und Kultur (Chair of Yiddish Language and Culture) an der UvA, die neben dem akademischen Lehrangebot auch öffentliche Abende zur jiddischen Sprache und Kultur anbietet; die Entwicklung von schulischen Unterrichtsmaterialien für Jiddisch und die Förderung des Jiddischunterrichts an der orthodox-jüdischen Schule Het Cheider in Amsterdam, die ihre Oberstufenschüler damit u.a. auf Jiddisch-sprachige Talmudschulen im Ausland vorbereiten möchte; die Herausgabe der vierteljährlich in Jiddisch und Niederländisch erscheinenden Kultur- und Literaturzeitschrift Grine Medine durch die Amsterdamer Stiftung Jiddisch; sprachwissenschaftliche Forschung, insbesondere sprachhistorische, lexikologische und lexikografische Arbeiten. Letztere haben zu mehreren Publikationen geführt, die die wechselseitige Beeinflussung zwischen dem Jiddischen und dem Niederländischen im Bereich des Wortschatzes dokumentieren und inventarisieren.

Der Sachverständigenausschuss hob diese Aktivitäten in seinen Evaluationsberichten positiv hervor, wies aber auf das grundsätzliche Problem hin, dass die Finanzierung in vielen Fällen nur inzidentell über Projektgelder erfolge. Die Kommission regte daher etwa im Fall der genannten Zeitschrift Grine Medine eine strukturelle finanzielle Absicherung an. Auch andere konkrete Wünsche der beteiligten Organisationen gegenüber der Regierung fanden die Unterstützung des Ausschusses. Diese Wünsche betrafen etwa die Ausbreitung des Jiddischunterrichts an Het Cheider auf die unteren Klassen, die Einführung von Jiddisch als Wahlfach auch an allgemeinen Schulen oder die Einbeziehung der Sprache in den Bereich „Klassische kulturelle Bildung“. Insgesamt kann man sagen, dass sich das Jiddische bei der Evaluation der offiziellen Fördermaßnahmen seitens des niederländischen Staates als die am wenigsten problematische Sprache erweist.

2.4.4 Romanes Anders als im Fall des Jiddischen, das sich bei seinen sprachpolitischen Bemühungen auf eine gut ausgestattete Infrastruktur im Bildungsbereich

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stützen kann, gestaltete sich die politische Förderung des Romanes, der zweiten nicht-territorialen Minderheitensprache in den Niederlanden, von Anfang an schwierig, da einerseits vergleichbare institutionelle Ansprechpartner fehlten und andererseits von Seiten der betroffenen Roma und Sinti zunächst offensichtlich wenig Interesse und Kooperationsbereitschaft in Sachen Charta bestand. So schlugen die Sinti und Roma die Einladung zum Gespräch mit dem Sachverständigenausschuss bei dessen erstem Besuch in den Niederlanden im Februar 2000 aus, erst bei der zweiten Evaluation im Februar 2004 kam es zu einem ersten Zusammentreffen mit einem Vertreter der Sinti-Gemeinschaft. Weitgehende Unklarheit bzw. stark voneinander abweichende Zahlen gibt es bezüglich der Zahl der Romanessprecher bzw. der in den Niederlanden lebenden Sinti und Roma, was auch mit der politischen Brisanz dieser Frage zusammenhängen mag. Der zweite Staatenbericht nannte die Zahl von 4.500 Sinti, die hauptsächlich in den beiden südlichen Provinzen Nord-Brabant und Limburg lebten, und 750 Roma, die über das ganze Land verstreut wohnten. Nicht näher genannte „research sources“ führten im dritten Zyklus zu der in der Tabelle unter 2.2. genannten offiziellen Schätzung von insgesamt 7.000 Romanessprechern, die ihrerseits ca. 90 % der in den Niederlanden lebenden Sinti und Roma repräsentieren sollen. Demgegenüber nannten die Vertreter der betroffenen Gruppen dem Sachverständigenausschuss bei ihrem Besuch im September 2007 die Zahl von 16.000 bis 20.000 niederländischen Sinti und Roma. Abgesehen von der erheblichen Diskrepanz zwischen diesen Zahlen monierte der Ausschuss die weiterhin bestehende Unklarheit, wie viele der Roma wirklich Romanes sprechen, und fordert die Regierung zur Klärung dieser Frage auf. Auch für das Romanes gibt es keine aktive zentrale Sprachpolitik von Seiten der Regierung. Wieder sollen die Organisationen der Betroffenen selber artikulieren, wo ihre Wünsche und Bedürfnisse in Sachen Sprachförderung liegen. Dies hat zur Folge, dass die Regierung von sich aus bisher keinerlei Initiative entwickelt hat und nur in solchen Punkten unterstützend aktiv wurde, in denen die betroffenen Organisationen konkrete Wünsche artikulierten. Der zweite Staatenbericht nannte die finanzielle Förderung eines teilweise in Romanes gedrehten Videofilms für Schulen, den die niederländische Organisation der Sinti und Roma in Kooperation mit dem Hamburger Institut für Lehrerbildung produziert hatte. Eine Amsterdamer Grundschule bekam ferner einen Romasprecher als Berater zugewiesen. Ansonsten erfolgte in allen Punkten eine freimütige Fehlanzeige, was amtliche niederländische Maßnahmen betraf. So wurde explizit darauf hingewiesen, dass es an keiner niederländischen Schule Romanesunterricht gebe. Auch besteht nach Angaben des Berichts von Seiten der Betroffenen kein Wunsch nach der Einrichtung eines solchen Sprachunterrichts. Die Sprache ist auch nicht Gegenstand linguistischer Forschung an niederländi-

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schen Universitäten. Schließlich gibt es von Seiten der Regierung keinerlei Maßnahmen zur Förderung des Kontakts mit Romanessprechern in anderen europäischen Ländern im Sinne von Artikel 7,1i. Der Sachverständigenausschuss merkte in seinem zweiten Evaluationsbericht kritisch an, dass das genannte Video bereits im (Nachtrag zum) ersten Staatenbericht erwähnt worden sei, so dass es im Berichtszeitraum für den zweiten Zyklus eigentlich überhaupt keine neuen Aktivitäten zugunsten des Romanes gegeben habe. Insbesondere wurde auch die fehlende Förderung des grenzüberschreitenden Austausches mit anderen Romanessprechern kritisch vermerkt. Der dritte Staatenbericht vom September 2007 vermeldete einige neue Initiativen und Entwicklungen: An drei Grundschulen in der Provinz Nord-Brabant, in Asten, Nuenen und Veldhoven, wurden romanessprachige Lehrassistenten eingestellt. Dabei galt das Projekt „Alfabetisering ROMA jongeren Veldhoven“ als Pilotprojekt zur sprachlichen und sozialen Integration von Sinti- und Roma-Kindern, dessen Ergebnisse auch anderen Gemeinden und Schulen zugänglich gemacht werden sollen. Der Kontakt der einzelnen Sinti- und Romagruppen in den Niederlanden untereinander wurde verstärkt, neben dem Niederländischen spielte in der internen Kommunikation auch das Romanes eine zunehmend stärkere Rolle, wie der Bericht betonte. Ausführlicher widmete sich der Bericht den Bemühungen um die Verstärkung des transnationalen Austausches unter den Sinti und Roma. So seien die internationalen Konsultationen zwischen Organisationen, die sich mit Sinti- und Roma-Fragen beschäftigen, intensiviert und effektiver strukturiert worden. Mit Blick auf diese Ausführungen kommt der Sachverständigenausschuss zu der kritischen Einschätzung, dass es de facto keine einzige echte Initiative zu einem direkten Kontakt unter Romanessprechern gegeben habe, er forderte die Niederlande auf, auf diesem Gebiet Aktivitäten zu entwickeln, die „für diese Charta relevant“ sind. Darüber hinaus wies der Evaluationsbericht auf die unterschiedliche Haltung der Sinti und Roma in Bezug auf die Vermittlung ihrer Sprache an andere. Während die Sinti solchen Bemühungen weiterhin ablehnend gegenüberstanden, äußerten die Vertreter der Roma den Wunsch nach schulischem Unterricht in ihrer Sprache und nach Maßnahmen zur weiteren Verbreitung des Romanes etwa in den Medien über Radio und Fernsehen, aber auch in Form von Büchern und Übersetzungen. Insgesamt stellte der Ausschuss auf Seiten der Vertreter der Romanessprecher im Vergleich zum vorhergehenden Zyklus erfreut ein zunehmendes Interesse für die Fragen der Charta fest.

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3 Bewertung Die Ratifizierung der Charta war für die niederländische Regierung bisher kein Anlass, Grundsätze einer aktiven zentralen Sprachpolitik zu entwickeln. Aus den ersten drei Berichtszyklen wird deutlich, dass es eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit zwischen den Niederlanden und den Sachverständigen des Europarates hinsichtlich des Charakters und der Aufgaben staatlicher Sprachpolitik gibt. Die Regierung wiederholt in allen Staatenberichten und bezüglich aller Sprachen stets ihr Credo von der dezentralen Übertragung ihrer Verantwortlichkeiten – hier in der Formulierung für das Nedersaksische: „The Netherlands Government’s policy consists of making local and regional authorities in the Low Saxon linguistic region primarily responsible for developing policy on Low Saxon“ (3. Staatenbericht). Demgegenüber konstatiert der Sachverständigenausschuss in allen bisherigen Evaluationen ebenso nachdrücklich, dass die Regierung hiermit insbesondere in Bezug auf die Regionalsprachen nicht ihren vertraglichen Pflichten nachkommt, und fordert die niederländischen Autoritäten dringend auf, „to develop, in co-operation with the speakers and the provincial authorities, a national language policy for Limburgisch and Low Saxon“ (3. Evaluationsbericht). Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass bei der niederländischen Regierung eine gewisse Unwilligkeit darüber herrscht, dass man die Umsetzung der Charta nicht den betroffenen Provinzen bzw. Interessengruppen überlassen kann. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Charta auch die nationale Regierung zu einer aktiven inhaltlichen Politik zur Unterstützung der für die Charta benannten Sprachen verpflichtet. Dennoch kann man allgemein festhalten, dass alle niederländischen ChartaSprachen von den Bestimmungen der Charta und den Evaluationen der Sachverständigen des Europarats profitiert haben. Besonders deutlich ist dies beim Friesischen, das seine Position als zweite offizielle Sprache der Provinz Friesland in den letzten anderthalb Jahrzehnten deutlich ausbauen konnte. Aber auch das Nedersaksische und das Limburgische konnten nicht zuletzt durch die Unterstützung der beteiligten Provinzen und die tatkräftige Arbeit regionaler Interessenverbände deutliche Fortschritte in ihrer regionalen Etablierung verzeichnen. Als weiterhin ungelöst muss dagegen die grundlegende Meinungsverschiedenheit zwischen der Regierung und der Niederländischen Sprachunion bezüglich des Status des Limburgischen und des Nedersaksischen gelten. Die Nederlandse Taalunie als oberste Autorität in Sachen niederländische Sprache hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie Limburgisch und Nedersaksisch als Dialekte des Niederländischen betrachtet, die somit für die Charta nicht in Frage

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kämen. Hätte die Regierung die NTU vorab konsultiert, wären beide Sprachen vermutlich nicht in die Charta aufgenommen worden.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of the Netherlands, 5.3.1999. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of the Netherlands, 26.5.2003. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of the Netherlands, 4.9.2007. [= 3. Staatenbericht] Initial Committee of Experts‘ Evaluation Report, 9.2.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts‘ Evaluation Report, 17.6.2004. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts‘ Evaluation Report, 27.11.2007. [= 3. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers‘ Recommendation, 24.3.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers‘ Recommendation, 14.3.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Third Committee of Ministers‘ Recommendation, 21.4.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Königreich der Niederlande: „Grondwet vor het Koninkrijk der Nederlanden [Die Verfassung des Königreichs der Niederlande]“. In: Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden (Stb.) 1815, 45/1983, 70, Neubekanntmachung, 24.8.1815/17.2.1983. Königreich der Niederlande: „Algemene Wet Bestuursrecht [Allgemeines Gesetz zum Verwaltungsrecht]“. In: Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden (Stb.) 1994/1, 1.7.1995. Königreich der Niederlande/Ministerie van Binnenlandse Zaken en Koninkrijksrelaties: Bestuursafspraak Friese taal en cultuur [Verwaltungsübereinkunft zur friesischen Sprache und Kultur], (1989/1993) 5.6.2001. (17.9.11).

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4.2 Literatur Bloemhoff, Henk u.a. (Hrsg.): Handboek Nedersaksische taal- en letterkunde, Assen: Van Gorcum 2008. Bloemhoff, Henk: Taaltelling Nedersaksisch. Een enquête naar het gebruik en de beheersing van het Nedersaksisch in Nederland, Groningen: Sasland 2005. Herweijer, M. / Jans, J.H.: Nedersaksisch waar het kan. Een pragmatische uitwerking van deel III Europees Handvest voor regionale talen of talen van minderheden ten aanzien van het Gronings, Drents, Stellingwerfs, Twents, Sallands, IJssellands, Veluws en Achterhoeks, Groningen: Vakgroep Bestuursrecht & Bestuurskunde 2009. Munske, Horst Haider (Hrsg.): Handbuch des Friesischen/Handbook of Frisian studies, Tübingen: Niemeyer 2001. Provincie Fryslân (Hrsg.): De Fryske taalatlas. Friese taal in beeld 2011, Leeuwarden 2011, vgl. (17.9.11). Provincie Fryslân (Hrsg.): Beleidsplan Friese taal 2008–2010, Leeuwarden o.J. (17.9.11). Werkgroep Erkenning Limburgs als Streektaal (Hrsg.): Advies inzake de erkenning van het Limburgs als streektaal, 1996. (17.9.11).

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (ii), b (ii), c (iii), e (ii), f (i), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii), b (iii), c (ii, iii); 2b

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (v), c; 2, a–g; 4a, c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), f (ii); 2

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, b, d–h; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a, c, d; 2b, c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Roger Reidinger (Wien)

Norwegen (Kongeriket Norge/Noreg) 1 Vorgeschichte Nach Jahrhunderten der Existenz als selbständiges Königreich und einem nur kurz währenden Zusammenschluss mit Schweden geriet Norwegen 1380 in eine Personalunion mit Dänemark und trat 1397 der von Dänemark dominierten Kalmarer Union bei, die ganz Skandinavien unter einer Krone vereinte. Diese zerbrach zwar mit dem Ausscheiden Schwedens 1523, Norwegen blieb jedoch noch bis 1814 dänisch. Die am 17.5.1814 verabschiedete Verfassung von Eidsvoll ist im Wesentlichen bis heute gültig, allerdings verblieb Norwegen zunächst noch bis 1905 in einer Union mit Schweden. Seit dem 13.8.1905 ist Norwegen unabhängig. Norwegen ist Gründungsmitglied des Europarates (1949), der NATO (1949) und der EFTA (1960). Somit gehört es auch zum EWR und genießt daher in vieler Hinsicht die Rechte eines Mitgliedes der Europäischen Union (EU). Norwegen ist wie die anderen skandinavischen Länder auch ein Schengen-Staat, hat aber die EU-Mitgliedschaft in bisher zwei Referenden (1972 und 1994) abgelehnt. Die Verfassung Norwegens schreibt in Artikel 92 indirekt das Norwegische als Amtssprache fest, indem sie nur der Landessprache Mächtige als Beamte zulässt. Der Terminus ‚Norwegisch‘ bezieht sich dabei auf zwei Varietäten des Norwegischen: Auf das aus der dänischen Kolonialsprache durch Norwegisierung und eine sorgfältige Sprachplanung gebildete Bokmål („Buchsprache“) und auf das aus norwegischen Dialekten Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffene Nynorsk („Neunorwegisch“). So gibt es auch zwei Varianten der Landesbezeichnung: Norge (Bokmål) und Noreg (Nynorsk). Die große Mehrheit der Norweger verwendet als Schriftsprache das Bokmål (fast 90 %), das Nynorsk wäre demzufolge eine Minderheitensprache (ca. 10  %), wird aber vom offiziellen Norwegen nicht als solche verstanden. In Artikel 110a werden die Sicherung und die Entwicklung der Sprache der Samen, nicht aber der Sprache anderer Minderheiten, gewährleistet. Die Gesetzgebung zur Sprache der Samen beginnt mit dem Samengesetz (Sameloven, 12.6.1987) und dessen näheren Durchführungsbestimmungen (30.1.1992 bzw. 31.3.1992). Neben der Gründung eines Samenparlamentes (Sameting) wird hierin die Gleichwertigkeit der Sprache der Samen mit dem Norwegischen festgeschrieben. Es wird in Nordnorwegen ein Verwaltungsgebiet für die Sprache der Samen eingerichtet (fünf Gemeinden in Finnmark und eine im Gebiet Troms), in dem das Recht auf Gebrauch der Sprache der Samen in öffentlichen Ämtern und vor Gericht garantiert wird. Ein neues Schulgesetz (17.7.1998)

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sichert den Samen die Verwendung ihrer Sprache als Unterrichtssprache in den Schulen zu, generell in ganz Norwegen, außerhalb des samischen Gebietes allerdings nur bei entsprechender Nachfrage. Analoge Bestimmungen für die anderen Minderheitensprachen gab es vor dem Ratifizierungsprozess der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nicht.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Norwegen unterzeichnete die Charta am 5.11.1992 und ratifizierte sie am 10.11.1993. Sie trat am 1.3.1998 in Kraft. Der Ratifizierungsprozess setzte also nach der Verabschiedung des Samengesetzes und seiner Durchführungsbestimmungen und vor dem bislang letzten (negativen) EU-Beitrittsreferendum ein. Norwegen brachte den Ratifizierungsprozess auch als Nicht-EU-Mitglied zum Abschluss. Norwegen legte den ersten Staatenbericht am 27.5.1999 vor. Ein gutes Jahr später – im Juli 2000 – besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das Land. Auf der Grundlage des Evaluationsberichts vom 1.6.2001 traf das Ministerkomitee am 21.11.2001 seine ersten Empfehlungen. Der zweite Staatenbericht wurde am 14.3.2002 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss bereits im November 2002 Norwegen ein zweites Mal besuchte und den entsprechenden Bericht am 29.8.2003 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 3.9.2003. Der dritte Staatenbericht wurde am 2.5.2005 vorgelegt. Der Sachverständigenausschuss stattete daraufhin Norwegen im Juni 2006 einen weiteren Besuch ab und übergab den entsprechenden Bericht am 1.12.2006. Die Empfehlungen des Ministerkomitees wurden am 16.5.2007 verabschiedet. Am 1.7.2008 erstattete Norwegen den vierten Staatenbericht. Nach einem Besuch des Sachverständigenausschusses im Februar 2009 und dessen Übergabe des entsprechenden Berichtes am 8.9.2009 verabschiedete das Ministerkomitee am 10.3.2010 seine Empfehlungen. Schließlich folgte am 2.1.2012 der fünfte und bislang letzte Staatenbericht Norwegens.

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2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht nennt an Organisationen, die Minderheitensprachen und regionale Sprachen schützen und fördern, lediglich: – Sámediggi/Sametinget („Samenparlament“), Abteilung für Sprache Der zweite Staatenbericht nennt zusätzlich: – Ruijan Kveeniliitto („Norwegische Vereinigung der Kvenen“) – Romanifolkets Landsforening („Landesvereinigung des Romani-Volkes“) – Landsorganisasjonen for Romanifolket („Landesorganisation für das Romani-Volk“) – Stiftelsen Roma („Stiftung Roma“) – Romani Interesseorganisasjon („Interessensorganisation der Romani“) – Stiftelsen romanifolket/taterne („Stiftung Romani-Volk/Tater“). Der dritte Staatenbericht nennt darüber hinaus: – Den Norske Rom Forening („Norwegische Vereinigung der Roma“) – Norsk Rom-befolkning („Norwegische Roma-Bevölkerung“) – Foreningen Roma („Vereinigung Roma“) – Nordisk Romanesråd avdeling Norge („Nordischer Romanes-Rat, Abteilung Norwegen“). Der vierte Staatenbericht nennt noch: – Taternes Landsforening („Landesvereinigung der Tater“).

2.2 Sprachen und Sprachensituation Norwegen benennt im Ratifikationsinstrument lediglich das Samische als Sprache, auf die neben Teil II (Art. 7) auch Teil III (Art. 8–14) der Charta angewendet würde. Außerdem wird das Samische von Norwegen meist als einheitliche Sprache betrachtet, obwohl die drei Varietäten Nordsamisch, Lulesamisch und Südsamisch separat verschriftlicht sind und aus linguistischer Sicht durchaus als drei unterschiedliche Sprachen gesehen werden müssen. Im ersten Staatenbericht benannte Norwegen neben dem Samischen auch das Kvenische/Finnische als territoriale Regional- oder Minderheitensprache, während Romanes und Romani (Mischsprache aus Norwegisch und Romanes) als nicht-territoriale Regional- oder Minderheitensprachen geführt wurden. Auf diese zusätzlichen Sprachen wird aber nur Teil II der Charta angewendet. Der Sachverständigenausschuss erkannte zwar die sehr gute rechtliche Stellung und

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Situation des Samischen insgesamt an, wies aber darauf hin, dass die Bestimmungen aus Teil III der Charta nur in Gebieten implementiert worden wären, in denen traditionell Nordsamisch gesprochen wird, so dass für das Lulesamische und das Südsamische lediglich Teil II der Charta gelten würde. Außerdem meinte der Sachverständigenausschuss, die Stellung des Kvenischen (als eigene Sprache oder Varietät des Finnischen) solle geklärt werden, was auch das Ministerkomitee in seine Empfehlungen aufnahm. Interessanterweise griff der Sachverständigenausschuss auch die Situation des Nynorsk auf und wies auf Mängel in der Durchsetzung der gesetzlichen Quotenregelungen hin. Die Nichtberücksichtigung des Jiddischen durch Norwegen wurde durch die extrem geringe Sprecherzahl erklärt. Im zweiten Staatenbericht führte Norwegen das Kvenische weiterhin als Kvenisch/Finnisch, da es auch unter den Sprechern selbst keine Einigkeit in der Frage gebe, ob es sich um eine eigene Sprache handele oder nicht, was wiederum vom Sachverständigenausschuss und vom Ministerkomitee bemängelt wurde. Als weitere Varietät des Samischen wurde das Ostsamische aufgenommen. Sowohl Sachverständigenausschuss als auch Ministerkomitee drückten ihre Besorgnis über die Situation der weniger gebrauchten samischen Sprachen aus. Erst im dritten Staatenbericht wurde darauf verwiesen, dass mittlerweile das Kvenische offiziell anerkannt worden ist, obwohl es im Bericht selbst noch immer als Kvenisch/Finnisch geführt wurde. Erst im vierten Staatenbericht wurde die Sprache eindeutig als Kvenisch bezeichnet. Der vierte Bericht des Sachverständigenausschusses schlug vor zu überlegen, ob man nicht auch auf das Lulesamische und das Südsamische Teil III der Charta anwenden könnte, zumal mittlerweile auch je eine lulesamische (im Januar 2006) und eine südsamische Gemeinde (im Januar 2008) in das Verwaltungsgebiet für die samische(n) Sprache(n) aufgenommen worden seien. Auch wurde um Informationen zu einer zusätzlichen Varietät des Samischen, nämlich des Pitesamischen, gebeten. Die anschließende Stellungnahme des Ministerkomitees empfahl die Klärung der Stellung des Lulesamischen und Südsamischen bezüglich Teils III der Charta. Im vierten Staatenbericht Norwegens werden die aktuellsten ungefähren Sprecherzahlen für die Charta-relevanten Sprachen angegeben. Samisch würden demzufolge etwa 25.000 Menschen in Norwegen sprechen (fast nur Nordsamisch, gemäß dem vierten Bericht des Sachverständigenausschusses würde Lulesamisch von ca. 500 Personen gesprochen werden, Südsamisch von deutlich weniger, und Ostsamisch und Pitesamisch wären fast ausgestorben). Das Kvenische wird mit 2.000 bis 8.000 Sprechern angegeben (der Sachverständigenausschuss verweist jedoch auf neuere Erhebungen, die eine Zahl jenseits von 10.000 nahelegen). Die Sprecherzahl für Romanes wird mit ca. 400 angegeben, jene für Romani mit einigen 100 oder einigen 1.000 (vom Sachverständigenausschuss wird Romani als fast ausgestorben bezeichnet). Leider führt Norwegen keine offizielle Statistik

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über Größe und Verbreitung seiner Regional- und Minderheitensprachen, so dass der Sachverständigenausschuss (mit Ausnahme des nordsamischen Gebietes, wo es zumindest Erhebungen durch das Samenparlament gibt) auf Schätzungen angewiesen ist. An dieser Stelle soll auch summarisch und stellvertretend für die folgenden Kapitel auf den fünften Staatenbericht, der erst kurz vor Redaktionsschluss erschienen ist, eingegangen werden. Hier reagierte Norwegen auf die Empfehlungen des Ministerrates und berichtete von Fortschritten im samischsprachigen Sozial- und Gesundheitswesen (Berücksichtigung des Samischen in Kursen für das medizinische Personal an der Hochschule in Kautokeino, Ähnliches würde für die Krankenpflegeausbildung gelten) und in der Verwendung des Lule- bzw. Südsamischen im Schulunterricht (geplante Maßnahmen zur Entwicklung von Unterrichtsmaterialien in diesen Sprachen bzw. zur Verbesserung der Sprachausbildung von Lehrern dieser Sprachen). Allerdings musste Norwegen einräumen, bei der Förderung des Kvenischen im Bildungsbereich und in den Medien (wobei eine Unterscheidung zwischen Kvenisch und Finnisch noch immer nicht konsequent durchgeführt wurde) sowie bei der Entwicklung des Unterrichts in Romanes und Romani (wofür das Interesse der Sprecher allerdings nur gering wäre) kaum Fortschritte erzielt zu haben. Erstmals lieferte Norwegen nun aber offizielle Zahlen hinsichtlich der Verwendung der einzelnen samischen Sprachen, zumindest im Schulbereich. Dem Staatenbericht zu Folge würden in den Grundschulen und in den Unterstufen der Sekundarschulen 928 Schüler in Nordsamisch als erster Sprache unterrichtet, 29 Schüler in Lulesamisch und 18 Schüler in Südsamisch, was obige Schätzungen zu den Sprecherzahlen der kleineren samischen Sprachen wohl bestätigen würde. Was den Status des Lule- und Südsamischen betrifft, so kam es noch zu keinen endgültigen Entscheidungen, bezüglich des Ostsamischen wurde darauf verwiesen, dass es auf norwegischem Territorium als ausgestorben gelte.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprache 2.3.1 Samisch (Nordsamisch) Samisch wird von den norwegischen Behörden im Ratifizierungsinstrument als eine Sprache aufgefasst, für die Teil III der Charta gelten würde. Allerdings werden mittlerweile allgemein die einzelnen samischen Varietäten (in Norwegen v.a. Nordsamisch, Lulesamisch und Südsamisch) als eigenständige Sprachen gesehen. Da die norwegischen Regelungen bezüglich des Samischen im Wesentlichen im samischen Verwaltungsgebiet gelten, das zunächst aus den

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Gemeinden Guovdageaidnu-Kautokeino, Kárášjohka-Karasjok, Unjárga-Nesseby, Deatnu-Tana, Porsáŋgu-Porsanki-Porsanger (alle in Finnmark, nordsamisch Finnmárku, gelegen) und Gáivuotna-Kåfjord (in Troms, nordsamisch Romsa, gelegen) besteht, in denen überall Nordsamisch gesprochen wird, sieht der Sachverständigenausschuss lediglich das Nordsamische als Teil-III-Sprache, während die anderen samischen Sprachen nur unter Teil II der Charta fallen und somit unvergleichlich weniger Schutz genießen würden. Das ändert sich auch nicht, als 2006 die lulesamische Gemeinde Tysfjord (Nordland) und 2008 die südsamische Gemeinde Snåsa (Nord-Trøndelag) in das samische Verwaltungsgebiet aufgenommen werden, während die nordsamische Gemeinde Lavangen (Troms) mit ihrer Aufnahme im Jahre 2009 in das samische Verwaltungsgebiet unter Teil III der Charta fällt. Ein für die Jahre 2009–2014 geltender Aktionsplan soll alle samischen Sprachen stärken und ihren Gebrauch fördern, worauf der Kommentar Norwegens zum vierten Bericht des Sachverständigenausschusses hinweist. Der vierte Bericht des Sachverständigenausschusses nannte als die Gemeinden mit den höchsten Anteilen an Samisch-Sprechenden Guovdageaidnu-Kautokeino (ca. 95 %), Kárášjohka-Karasjok (ca. 90 %), Unjárga-Nesseby (ca. 75 %), Deatnu-Tana (ca. 50 %) und Gáivuotna-Kåfjord (ca. 46 %). Finnmark wäre dann die Region mit dem höchsten Samisch-Anteil in Norwegen (knapp 20 %). Die folgenden Ausführungen zum Samischen bezüglich Teils III der Charta gelten prinzipiell nur für das Nordsamische. Die anderen samischen Sprachen werden anschließend separat behandelt. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht haben die Samen im samischen Verwaltungsgebiet in der Vor-, Grund- und Sekundarschule (Unterstufe) das Recht auf Samisch als Unterrichtssprache, der zweite Staatenbericht verwies auf eine Gesetzesänderung, die dies auch für die Oberstufe der Sekundarschule vorsieht. Außerhalb des samischen Verwaltungsgebietes gebe es dieses Recht nur, wenn mindestens zehn Schüler in einer Gemeinde dies wünschten (und davon sechs in der Gruppe blieben). Norwegisch sei dabei Pflichtfach. Falls an einer Grund- oder Sekundarschule kein Samisch-Unterricht gewährleistet werden könne, habe ein samischsprachiger Schüler – so führte der dritte Staatenbericht aus – das Recht auf Fernunterricht in Samisch. Nach dem statistischen Jahrbuch Norwegens (Statistisk årbok 2010, Tab. 164) hatten mit dem 1.10.2009 von den 9.745 Grundschülern Finnmarks 798 Samisch als Unterrichtssprache, also ca. 8 % (in Troms dagegen nur 68 von 20.063, also ca. 0,3 %). Samisch als Fach wurde nach dem vierten Staatenbericht an allen Oberstufen der Sekundarschulen in Finnmark und einigen Schulen in Troms und Nordland (fallweise sogar weiter im Süden) angeboten. Die samische Hochschule in Kautokeino diene demnach der Lehrerausbildung (und der Ausbildung von Journalisten) und habe Samisch als Unterrichtssprache. Sie kooperiere mit der Universität Tromsø, die Samisch-Kurse und

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Kurse in samischer Literatur und Kultur bis zum Doktorat anbiete, und habe 2005 das Nordische Samische Institut (NSI, finanziert vom Nordischen Ministerrat) mit sich vereinigt, wodurch die Forschungskomponente an dieser Hochschule deutlich verstärkt worden sei. Im Bereich der Erwachsenenbildung verwies der vierte Staatenbericht auf Samisch-Kurse bzw. Handwerkskurse auf Samisch für Erwachsene in Finnmark. Er erwähnte auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zweier Schulen in Norwegen und Finnland. Schließlich lenkte er die Aufmerksamkeit auch auf neue Curricula für samische Kinder, die die samisch-spezifischen Kenntnisse erweitern sollen, bzw. darauf, dass von nun an samische Elemente in allen norwegischen Schullehrplänen enthalten sein müssen. Auch der erfolgreiche Abschluss der Arbeit an Rechtschreibprogrammen für das Nordsamische wurde erwähnt. Alle Berichte des Sachverständigenausschusses zum Nordsamischen im Bildungswesen fielen positiv aus. Der zweite Bericht bemängelte lediglich, dass auf Samisch unterrichtende Oberstufen nur in den Sekundarschulen in Kautokeino und Karasjok existieren würden, der vierte Bericht verwies auf Beschwerden, wonach die nordsamischen Lehrbücher noch nicht an die neuen Lehrpläne angepasst worden wären, bzw. auf Unklarheiten in Bezug auf den Samisch-Unterricht außerhalb der samischsprachigen Gebiete (v.a. in Oslo). Justizbehörden: Der erste Staatenbericht stellte fest, dass innerhalb des samischen Verwaltungsgebietes jeder das Recht habe, in Prozessen Samisch zu sprechen und Anträge auf Samisch zu stellen. Prozesse könnten hier auf Wunsch einer Partei auf Samisch geführt werden. Der Sachverständigenausschuss sah die diesbezüglichen Verpflichtungen Norwegens zwar formal als erfüllt an, wies aber auf Schwierigkeiten bei der Implementierung hin. In der Praxis würde Samisch selten vor Gericht verwendet. Darauf ging auch das Ministerkomitee ein und empfahl, die Bedingungen für die Verwendung des Samischen vor Gericht zu verbessern. Im zweiten Staatenbericht reagierte Norwegen darauf mit der Feststellung, dass ein Gericht in Binnenfinnmark (wo die samischsprachige Bevölkerung konzentriert ist) errichtet werden wird, das für jene fünf Gemeinden des samischen Verwaltungsbezirkes zuständig sein wird, die in Finnmark liegen. Außerdem zählte Norwegen hierin alle Gesetze auf, die bereits ins Samische übersetzt worden sind. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich zufrieden, mahnte aber noch einmal – wie auch das Ministerkomitee – die entsprechenden Verbesserungen an. Im dritten Staatenbericht wurde die Etablierung des Gerichtshofes für Binnenfinnmark in Tana mit Januar 2004 erwähnt. Auch wurde ein Projekt des Justizministeriums und der Gemeinde Tana vorgestellt, das die samische rechtswissenschaftliche Terminologie entwickeln soll. Der Sachverständigenausschuss

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sah die Errichtung des Gerichtes in Binnenfinnmark als wichtigen Schritt, um das Samische vor Gericht aufzuwerten. Auch das Ministerkomitee zeigte sich zufrieden. Der vierte Staatenbericht verwies auf Fortschritte in der Ausarbeitung einer rechtswissenschaftlichen Terminologie für das Samische und auf weitere Übersetzungen von Gesetzen ins Samische. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtungen Norwegens in Bezug auf die Justizbehörden für Binnenfinnmark als erfüllt an, forderte jedoch Informationen über die Situation in der verbleibenden nordsamischen Gemeinde (Kåfjord) für den nächsten Staatenbericht an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der erste Staatenbericht verwies diesbezüglich auf das Samengesetz, dem zufolge innerhalb des samischen Verwaltungsgebietes neben Norwegisch in allen Belangen der öffentlichen Verwaltung auch Samisch zugelassen sei (und auch in staatlichen Institutionen außerhalb dieses Gebietes, falls samische Belange betroffen seien). Auch im Gesundheits- und Sozialwesen gebe es ein Recht auf samischsprachige Bedienung innerhalb des samischen Gebietes. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtungen Norwegens im Wesentlichen als erfüllt an, wies aber auf die nicht ganz zufriedenstellende Verfügbarkeit administrativer Texte auf Samisch sowie auf die zu niedrige Anzahl professioneller Übersetzer hin. Als nicht erfüllt betrachtete er die Verpflichtung der Behörden, samische Namen in ihrer Originalform mit den üblichen diakritischen Zeichen zu führen. Im zweiten Staatenbericht lieferte Norwegen statistisches Material zu den Samisch-Kenntnissen von Beamten. So würden in der Gemeinde Kautokeino 86 % der Beamten Samisch sprechen, in der Gemeinde Kåfjord hingegen nur 20  %. Im gesamten samischen Verwaltungsbezirk würden 40  % der Beamten schriftlich auf Samisch antworten können. Im Samenparlament würden alle Sitzungen zweisprachig abgehalten. Der Sachverständigenausschuss empfahl wieder eine Verbesserung der Verfügbarkeit von Übersetzungen und sah die Verpflichtung hinsichtlich der Verwendung der samischen Namen weiterhin als nicht erfüllt an. Beide Kritikpunkte blieben im dritten Bericht des Sachverständigenausschusses aufrecht, obwohl Norwegen im entsprechenden Staatenbericht auf eine Gesetzesänderung hinwies, der zufolge das Recht auf Führung samischer Namen in samischer Form besteht, falls diese auf die Ururgroßeltern zurückgeführt werden können. Das Problem wäre nur noch ein rein praktisches bzw. computertechnisches. Auch das Ministerkomitee nahm das Namenproblem in seine Empfehlungen auf. Im vierten Staatenbericht wurde auf die Verabschiedung einer Norm für samische Buchstaben in der Computertechnologie (2007) hingewiesen, deren Ziel es sei, bis Ende 2009 alle samischen Namen in korrekter Form in die öffentlichen Register aufnehmen zu können. Der Sachverständigenausschuss drängte

Norwegen 

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noch einmal auf die Lösung des Namenproblems (während er einen Bericht über neue Maßnahmen im Bereich der Übersetzerausbildung erwartete). Norwegen reagierte mit der Feststellung, die meisten samischen Personennamen würden nun bereits in die öffentlichen Register aufgenommen werden können, so dass das Ministerkomitee die entsprechende Empfehlung nicht mehr aufnahm. Medien: Alle vier Staatenberichte erwähnten, dass der staatliche norwegische Rundfunk Radio- und Fernsehprogramme in den samischen Sprachen sende (1997: 1359 Stunden, 2000: 1684 Stunden, 2003: 1727 Stunden, 2007: 1679 Stunden Radiosendungen bzw. 2000: 48 Stunden, 2003: 65 Stunden, 2007: 131 Stunden Fernsehen). Auch einige private und regionale Stationen sendeten demzufolge auf Samisch. Unter den staatlich geförderten samischen Zeitungen wurden die samischsprachigen Min Áigi (Fortsetzung der früheren Sámi Áigi) und Ássu sowie die norwegischsprachige Zeitung Ságat genannt. Seit dem Jahr 2000 gebe es an der samischen Hochschule in Kautokeino eine zweijährige Ausbildung für Journalisten. Im Internet seien die Samen durch das Saami Web repräsentiert. Auch werde im Durchschnitt ein samischer Film pro Jahr produziert. Alle Berichte des Sachverständigenausschusses bestätigten, dass Norwegen seine Verpflichtungen im Bereich der Medien vollständig erfüllt habe. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der Sachverständigenausschuss zeigte sich in allen vier Berichten zufrieden mit den kulturellen Rechten und der kulturellen Situation der Samen in Norwegen. In den Staatenberichten wurden insbesondere die staatlichen Unterstützungen für das Beivvás Sámi Teáhter (samischsprachiges Theater; Vollfinanzierung durch den Staat), für das samische Musikfestival, die samische Bibliothek mit mobilem Service (Vollfinanzierung), das samische Archiv, samische Museen sowie Stipendien für samische Künstler genannt. Daneben gab es gemäß den Staatenberichten Förderungen für die Sprache („Gollegiella-Preis“ für Verdienste um das Samische) und die Literatur der Samen, für die Untertitelung/Synchronisierung von Filmen sowie für das Filmfestival in Kautokeino und das Kulturfestival Riddu Riððu. Wirtschaftliches und soziales Leben: Für das Sozial- und Gesundheitswesen führte der erste Staatenbericht das Recht an, im samischen Verwaltungsgebiet Samisch zu verwenden. Auch die wichtigsten Teile der Konsumentengesetzgebung wären bereits ins Samische übersetzt worden. Auf die Kritik des Sachverständigenausschusses hin, es gäbe zu wenig samischsprachiges Personal in diesen Bereichen, antwortete der zweite Staatenbericht mit dem Plan, für den Sozial- und Gesundheitsbereich eine Dolmetscherausbildung einzuführen, was aber den Sachverständigenausschuss noch immer nicht zufriedenstellte. Auch der dritte Bericht des Sachverständigenausschusses sah Norwegens Verpflichtungen nur teilweise erfüllt, so dass nun auch das Ministerkomitee eine bessere Bedienung auf Samisch im Sozial- und Gesundheitswesen anmahnte. Der vierte

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Bericht des Sachverständigenausschusses sah diese Probleme noch immer nicht als gelöst an, so dass das Ministerkomitee seine Empfehlung wiederholte. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht hob die Zusammenarbeit zwischen Norwegen, Schweden und Finnland hervor, die sichern würde, dass die Staatsgrenzen kein Hindernis für den Schutz und die weitere Entwicklung der samischen Kultur darstellen. Als Beispiel wurde das Beivvás Sámi Teáhter (s.o.) angeführt, das durch Norwegen, Schweden und Finnland tourt. In den weiteren Staatenberichten wurde nichts Substantielles dazu erwähnt, zumal der Sachverständigenausschuss immer Norwegens diesbezügliche Verpflichtungen als erfüllt ansah.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Kvenisch Das Hauptverbreitungsgebiet des Kvenischen, für das nur Teil II der Charta gilt, besteht gemäß zweitem Bericht des Sachverständigenausschusses aus Teilen der nordnorwegischen Gebiete Finnmark (hier v.a. der Gemeinde Porsanger) und Troms. In seinem ersten Staatenbericht ging Norwegen kaum auf das Kvenische ein. Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee forderten Norwegen auf, zunächst einmal den Status des Kvenischen – als eigene Sprache oder finnischer Dialekt – zu klären und sodann die Situation des Kvenischen in Hinblick auf Teil II der Charta zu verbessern. Wie bereits in Kapitel 2.2 erwähnt, ist die Statusfrage mittlerweile dahingehend geklärt, dass das Kvenische als eigene Sprache anerkannt wird. Der zweite Staatenbericht lieferte bereits detailliertere Informationen über das Kvenische (staatliche Förderungen, Museen, Bibliotheken, Kunst, Medien, Bildung). Insbesondere wurde über das Zentrum für kvenische Sprache und Kultur in Porsanger (Kvæntunet), die kvenische Zeitung Ruijan Kaiku und das Recht, in den Gebieten Finnmark und Troms Finnisch als Zweitsprache in den Grundschulen und Unterstufen der Sekundarschulen zu wählen, falls dies mindestens drei Schüler wünschen, berichtet. Auf Hochschulniveau würde das Kvenische an der Universität Tromsø im Rahmen der Kvenisch/Finnisch-Lehrerausbildung vertreten sein. Der Sachverständigenausschuss meinte jedoch, die diesbezüglichen Anstrengungen Norwegens (v.a. in der Kultur- und Medienförderung) wären zurzeit noch schwer zu bewerten. Im dritten Staatenbericht folgten noch weitere Informationen über die Verwendung des Kvenischen, z.B. über kvenische Literatur (als Basis für die Normie-

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rung der Sprache) bzw. über Radionachrichten (zwölf Minuten wöchentlich über den regionalen norwegischen Rundfunk in Troms). Der Sachverständigenausschuss erkannte zwar die Bemühungen Norwegens um das Kvenische an, regte aber verstärkte Anstrengungen im Bereich Standardisierung, Erforschung und Förderung der Sprache an. Insbesondere drängte er auf eine stärkere Präsenz des Kvenischen im Rundfunk sowie auf die Erstellung eines eigenen Schullehrplanes für das Kvenische, wie überhaupt auf eine Verbesserung der Stellung des Kvenischen im Schul- und Universitätsbereich (inklusive Forschung über die Sprache). Insgesamt sah er eine starke Gefährdung des Kvenischen. Das Ministerkomitee war ähnlicher Meinung und empfahl einen stärkeren Schutz und eine stärkere Förderung des Kvenischen, insbesondere im Bildungswesen. Der vierte Staatenbericht erwähnte weitere kvenische Organisationen, die sich mit der kvenischen Sprache befassen, z.B.: Kainun institutti – Kvensk institutt (für kvenische Kultur und Sprache) bzw. Kainun kieliraati – Kvensk språkråd („Kvenischer Sprachrat“). Der Sachverständigenausschuss hielt die Maßnahmen zur Förderung des Kvenischen, das sich noch immer in einer gefährlichen Situation befände, für noch nicht ausreichend. Anerkennung und Standardisierung allein wären zu wenig. Zwar fänden sich z.B. in den neuen Lehrplänen für Finnisch als Zweitsprache kvenische kulturelle Elemente, aber eine generelle Verbesserung im Schulbereich erkannte er nicht, zumal sich die Maßnahmen der Regierung v.a. auf das Finnische, nicht auf das Kvenische, bezögen. Der Sachverständigenausschuss drängte deshalb weiterhin auf die Entwicklung eigener kvenischer Lehrpläne und die Stärkung des Kvenischen im gesamten Bildungsbereich (mit einem permanenten Angebot an Kvenisch-Kursen an Universitäten). Auch für den Rundfunk mahnte der Sachverständigenausschuss weiterhin eine stärkere Präsenz des Kvenischen an. Diesen Forderungen schloss sich auch das Ministerkomitee an. Zudem forderte der Sachverständigenausschuss Norwegen auf, im nächsten Staatenbericht auf Beschwerden von Repräsentanten der Kvenen über die mangelhafte Zusammenarbeit der Behörden in Sprachenfragen einzugehen.

2.4.2 Samisch (Lulesamisch, Südsamisch) Auf das Problem der Anerkennung des Lule- bzw. Südsamischen (beide Schriftsprachen) als Sprachen, für die Teil III der Charta gelten würde, wurde bereits in Kapitel 2.3.1 hingewiesen. Nach wie vor gilt für alle samischen Sprachen mit Ausnahme des Nordsamischen nur Teil II. Der erste Staatenbericht ging nicht auf die einzelnen samischen Sprachen ein, woraufhin der Sachverständigenausschuss Norwegen darum bat, die Situation des Lule- und Südsamischen zu schildern, was dann auch im zweiten Staaten-

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bericht geschah. Hier wurde das Verbreitungsgebiet des Lulesamischen mit den Gemeinden Tysfjord (heute Teil des samischen Verwaltungsgebietes), Hamarøy und Sørfold, jenes des Südsamischen mit dem Gebiet zwischen der Gemeinde Engerdal (Gebiet Hedmark) im Süden und dem Saltfjell-Gebirge im Norden angegeben. Aus dem Bericht geht auch hervor, dass die samischen Sprachen in diesen Gebieten wesentlich schlechter gestellt und auch vertreten sind als das Nordsamische in Finnmark. Daraufhin empfahl der Sachverständigenausschuss, sofort Maßnahmen zur Förderung auch dieser samischen Sprachen zu ergreifen. Insbesondere wies er auf die im Vergleich zum Nordsamischen sehr geringe Einbindung des Lule- und Südsamischen im Bildungswesen hin. Auch das Ministerkomitee schloss sich der Empfehlung des Sachverständigenausschusses an, nachdem Norwegen die Gefährdung dieser beiden samischen Sprachen bestätigte. Der dritte Staatenbericht verwies auf die Eingliederung der lulesamischen Gemeinde Tysfjord (hier lebt die Mehrheit der Lulesamen) in das samische Verwaltungsgebiet, was die Situation des Lulesamischen in Zukunft deutlich stärken würde. Außerdem lieferte er genauere Informationen über das lule- bzw. südsamische Bildungswesen, wobei das Lulesamische etwas besser vertreten zu sein scheint als das Südsamische (76 auf Lulesamisch unterrichtete Grundschüler im Schuljahr 2003/04, kaum auf Südsamisch unterrichtete Schüler). Dabei soll die Möglichkeit des Fernstudiums dieser Sprachen ausgebaut werden (gerade die südsamische Sprachgemeinde lebt weit verstreut). Auch auf das im Aufbau befindliche Árran – Lule Sámi Centre wurde hingewiesen. Der Sachverständigenausschuss lobte die Eingliederung eines großen Teils des lulesamischen Sprachareals in das samische Verwaltungsgebiet und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dies würde den öffentlichen Gebrauch des Lulesamischen (das in letzter Zeit viel an Boden verloren hätte und kaum in der Öffentlichkeit verwendet würde) fördern, zeigte sich jedoch sehr um die Situation des Südsamischen besorgt. Dagegen wurden die guten Kontakte zwischen Lule- und Südsamen auf beiden Seiten der norwegisch-schwedischen Grenze erwähnt. Insgesamt forderte der Sachverständigenausschuss Norwegen auf, die Situation des Lulesamischen und des Südsamischen im Bildungsbereich zu verbessern, was auch das Ministerkomitee in seine Empfehlungen aufnahm. Im vierten Staatenbericht ging Norwegen insbesondere auf die Repräsentation des Lule- und Südsamischen an den Hochschulen ein. Zumindest für den Bereich der Lehrerausbildung böten die Hochschulen in Bodø (Lulesamisch) und in Nord-Trøndelag (Südsamisch) demzufolge Programme in der jeweiligen samischen Sprache an. Daneben wurde auf die Rolle der samischen Hochschule in Kautokeino als Vermittlerin zwischen den samischen Bevölkerungsgruppen aller nordischen Länder hingewiesen. Der Sachverständigenausschuss registrierte die Erweiterung des samischen Verwaltungsgebietes um die südsamische

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Gemeinde Snåsa, bemängelte aber nach wie vor die unbefriedigende Situation an den Schulen und forderte Norwegen auf, das Lulesamische und das Südsamische (insbesondere im Bildungsbereich und in der Lehrerausbildung) besser zu schützen und zu fördern. Dem schloss sich auch das Ministerkomitee in seinen Empfehlungen an. An den Hochschulen wären das Lulesamische und das Südsamische zumindest ab dem Masterniveau kaum vertreten. Der Sachverständigenausschuss hofft, dass die Einbindung der beiden Gemeinden Tysfjord und Snåsa in das samische Verwaltungsgebiet in Zukunft positive Effekte auf die Vitalität dieser beiden samischen Sprachen hat, da v.a. das Südsamische in seinem Bestand gefährdet sei. Die in Norwegen fast ausgestorbenen Sprachen Ostsamisch und Pitesamisch wurden in den Staatenberichten kaum behandelt. Auch der Sachverständigenausschuss bat lediglich um Informationen bzw. schlug im Falle des Ostsamischen eine Kooperation mit Finnland (wo es noch weiter verbreitet ist) vor.

2.4.3 Romanes Nachdem der erste Staatenbericht keine relevanten Informationen zu dieser nur durch Teil II der Charta geschützten nicht-territorialen und stark gefährdeten Minderheitensprache (hauptsächlich Großraum Oslo) bot, beschäftigte sich der Sachverständigenausschuss zunächst einmal mit der Frage, ob diese Sprachgruppe überhaupt einen staatlichen Schutz anstrebt, und forderte Norwegen auf, diese Frage zu klären. Bereits im darauffolgenden Kommentar wies Norwegen darauf hin, dass die Romanes-Sprecher keine entsprechende offizielle Sprachpolitik wünschen würden. Auch der zweite Staatenbericht brachte keine wesentlichen neuen Informationen, und der Sachverständigenausschuss rief Norwegen dazu auf, die Zusammenarbeit der Behörden mit den Vertretern des Romanes zu verbessern, und stellte fest, dass es für das Romanes weder im Bildungs- und Forschungswesen noch in anderen gesellschaftlichen Bereichen konsequente staatliche Unterstützung gäbe. Im dritten Staatenbericht wurde auf das mangelnde Interesse der Romanes sprechenden Gemeinde an Büchern in ihrer Sprache und auf das Fehlen von Gelehrten, die dieser Sprache mächtig sind, hingewiesen. Der Sachverständigenausschuss bemängelte das Fehlen jeglicher Gesetzgebung zur Förderung des Romanes und regte – in Kooperation mit den Sprechern – Verbesserungen an, v.a. im Bildungsbereich. Förderungen würden sich bisher nur auf allgemein-kulturelle Angelegenheiten beziehen. Nun empfahl auch das Ministerkomitee Verbesserungen im Bildungsbereich.

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Der vierte Staatenbericht konnte wiederum mit keinen wesentlichen Fortschritten aufwarten, und der Sachverständigenausschuss bemängelte das jegliche Fehlen von Unterrichtsmaterialien und Möglichkeiten zur Lehrerausbildung für das Romanes und regte Maßnahmen zur Verbesserung der Präsenz des Romanes im öffentlichen Leben an. Nach wie vor würde es keinen Unterricht dieser und in dieser Sprache geben. Auch das Ministerkomitee empfahl die Etablierung eines Romanes-Unterrichts.

2.4.4 Romani Der erste Staatenbericht gab keine relevanten Informationen zur Situation dieser nur durch Teil II der Charta geschützten stark gefährdeten nicht-territorialen Minderheitensprache, die von den sogenannten ‚Reisenden‘ im Westen, Süden und Osten des Landes (inklusive Oslo-Gebiet) gesprochen wird. Der Sachverständigenausschuss beschäftigte sich wie im Falle des Romanes mit der Frage, ob diese Sprachgruppe überhaupt einen staatlichen Schutz anstrebt (sieht hier aber eine größere Offenheit der Sprechergemeinde), und forderte Norwegen auf, diese Frage zu klären. Bereits im darauffolgenden Kommentar wies Norwegen darauf hin, dass die Romani-Sprecher zwar besorgt um die Zukunft ihrer Sprache wären, jedoch keine Einmischung von außen wünschen würden. Im zweiten Staatenbericht folgten Angaben über staatliche Förderungen für Kinderbücher und Lehrmaterial in Romani, über Ausstellungen zur Romani-Kultur und eine Unterstützung für ein Norwegisch-Romani-Wörterbuch. Der Sachverständigenausschuss rief Norwegen dazu auf, die Zusammenarbeit der Behörden mit den Vertretern des Romani zu verbessern, und stellte fest, dass es für das Romani zumindest im Bildungs- und Forschungswesen noch keine konsequente staatliche Unterstützung gebe. Der dritte Staatenbericht sprach das mangelnde Interesse der Romani-Sprecher an Büchern in ihrer Sprache und das Fehlen von Gelehrten, die ihrer Sprache mächtig wären, an. Insgesamt hätte sich die Situation des Romani allgemein jedoch besser entwickelt als jene des Romanes. Der Sachverständigenausschuss wies auf das Fehlen jeglicher Gesetzgebung zur Förderung des Romani hin und regte hier – in Zusammenarbeit mit den Sprechern – Veränderungen an, v.a. im Bildungsbereich, wo nun auch das Ministerkomitee Verbesserungen empfahl. Im vierten Staatenbericht wurden keine wesentlichen Fortschritte erwähnt, mit Ausnahme eines Projektes, das zum Ziel hat, Romani-Kinder besser in das Schulwesen zu integrieren, und der Sachverständigenausschuss bemängelte das jegliche Fehlen von Unterrichtsmaterialien und Möglichkeiten zur Lehrerausbildung für das Romani und regte Maßnahmen zur Verbesserung der Präsenz des

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Romani im öffentlichen Leben an. Nach wie vor würde es keinen Unterricht dieser und in dieser Sprache geben. Das Ministerkomitee teilte diese Ansicht.

3 Bewertung Obwohl Norwegen kein EU-Mitglied ist, ist die Politik Norwegens generell westorientiert. Davon zeugen die Zugehörigkeit Norwegens zu NATO, EWR und Schengen-Raum, seine Mitgliedschaft im Europarat sowie die Ratifizierung und Implementierung der Charta. Der Abschluss von vier Berichtszyklen innerhalb eines Jahrzehnts zeigt, dass die Kooperation zwischen Norwegen und dem Europarat sehr zügig verläuft. Differenzen gibt es wenige, das Kvenische wird von Norwegen als eigene Sprache anerkannt, die Anwendung von Teil III der Charta auch auf das Lulesamische und das Südsamische wird zwar vom Europarat in den Raum gestellt, diesbezüglich wird jedoch kein Druck auf Norwegen ausgeübt, zumal sich Norwegen auch hier kooperativ zeigt. Der Schutz des Nordsamischen stellt den Europarat letztlich fast völlig zufrieden. Die Empfehlung, die Situation des Nordsamischen vor Gericht zu verbessern, wird von Norwegen umgesetzt. Auch mit der bevorstehenden Lösung des Problems der Schreibung samischer Namen ist der Europarat einverstanden. Nur im Sozial- und Gesundheitswesen und im Übersetzungsdienst werden noch Verbesserungen erwartet. Für das Lule- und Südsamische fordert der Europarat einen stärkeren Schutz, v.a. im Bildungswesen. Dem kommt Norwegen mit der teilweisen Eingliederung dieser Sprachareale in das samische Verwaltungsgebiet entgegen, was den Europarat auf Verbesserungen hoffen lässt. Im Falle des Kvenischen sieht der Europarat bis heute Defizite im Bildungswesen und im Rundfunk. Besonders schwierig ist für ihn, die Situation des Romanes und des Romani einzuschätzen, da hier das Interesse bei den (sehr wenigen) Sprechern relativ gering sei. Zumindest die Etablierung eines Unterrichtes in diesen Sprachen hält der Europarat aber für notwendig.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Norway, 27.5.1999. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Norway, 14.3.2002. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Norway, 2.5.2005. [= 3. Staatenbericht] Fourth Periodical Report of Norway, 1.7.2008. [= 4. Staatenbericht] Fifth Periodical Report of Norway, 2.1.2012. [= 5. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 1.6.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 29.8.2003. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts’ Evaluation Report, 1.12.2006. [= 3. Evaluationsbericht] Fourth Committee of Experts’ Evaluation Report, 8.9.2009. [= 4. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 21.11.2001. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 3.9.2003. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Third Committee of Ministers’ Recommendation, 16.5.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Fourth Committee of Ministers’ Recommendation, 10.3.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 4. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Königreich Norwegen: Constitution for Kongeriget Norge [Verfassung des Königreichs Norwegen (Verfassung von Eidsvoll)], 17.5.1814. (19.3.2012). Königreich Norwegen: „Lov om Sametinget og andre samiske rettsforhold (sameloven) [Gesetz zum Sameting und anderen samischen Rechtsverhältnissen (Samengesetz)]“. In: Norsk Lovtidend, LOV 1987-06-12, 56/1987, 12.6.1987. (19.3.2012). Königreich Norwegen: „Lov om grunnskolen og den vidaregåande opplæringa (opplæringslova) [Gesetz für die Grundschule und die weiterführende Bildung (Bildungsgesetz)]“. In: Norsk Lovtidend, LOV 1998-07-17, 61/1998, 17.7.1998. (19.3.2012).

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4.2 Literatur Lund, Jann T.: Samenes kultur og historie – samepolitikk i Norge og Sverige, Kautokeino: Nordisk samisk institutt 2000. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Simonsen, Dag Finn: Nordens språk i EUs Europa: språkplanlegging og språkpolitikk mot år 2000, Oslo: Nordisk språksekretariat 1996. Statistisk sentralbyrå (Hrsg.): Statistisk årbok 2010, Oslo: Statistisk sentralbyrå 2010.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii), b (iv), c (iv), d (iv), e (ii), f (ii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (i–iv), b (i–iii), d; 2a; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iii), b, c; 2a–g; 3b; 4a; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (i), c (ii), e (i), f (ii), g; 2

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, d–h; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

2c, e

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

b

Ursula Doleschal (Klagenfurt)

Österreich (Republik Österreich) 1 Vorgeschichte Die Republik Österreich entstand in ihren heutigen Grenzen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges (Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10.9.1919 und Volksabstimmungen über den Verbleib Kärntens vom 10.10.1920 und des Burgenlandes von 14. und 16.12.1921) und ist seitdem – mit der Unterbrechung durch den Anschluss an das Deutsche Reich zwischen 1938–1945 und die nachfolgende Besatzungszeit bis 1955 (Staatsvertrag von Wien vom 15.5.1955) – ein souveräner Staat. Österreich ist seit 1956 Mitglied des Europarates, war Gründungsmitglied der EFTA und stellte 1989 den Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union (EU), der es 1995 beitrat. Die österreichische Bundesverfassung enthält mehrere historisch bedingte allgemeine Bestimmungen über Sprachenrechte (Art. 19 des Staatsgrundgesetzes, Art. 66–68 des Staatsvertrags von St. Germain, Art. 8 des Bundesverfassungsgesetzes (B-VG), Art. 7 des Staatsvertrags von Wien), die zum einen die Sprachenrechte der in Österreich ansässigen autochthonen Minderheiten garantieren und zum anderen das Deutsche als Staatssprache festlegen. Genauere Regelungen über den Gebrauch der gesetzlich anerkannten Minderheitensprachen enthalten das Volksgruppengesetz (7.7.1976), die Minderheiten-Schulgesetze für Kärnten (19.3.1959) und für das Burgenland (1.9.1994), das Kinderbetreuungsgesetz für das Burgenland (1.1.2009), mittelbare Relevanz hat auch das Kärntner Kindergartenfondsgesetz (12.7.2001). Teile dieser Gesetze stehen in Verfassungsrang. Bis 2011 galten die Topographieverordnungen für Kärnten (1.7.2006) und das Burgenland (22.6.2000). Relevant ist weiter die Verordnung über die Volksgruppenbeiräte (18.1.1977). Die Geschichte der gesetzlich verbürgten Sprachenrechte lässt sich bis in das Jahr 1849 zurückverfolgen, aus heutiger Sicht bedeutsam sind jedoch die durch den Staatsvertrag von St. Germain und den Staatsvertrag von Wien entstandenen Formulierungen sowie die aus dem Jahr 1930 stammende Bestimmung über das Deutsche als Staatssprache (Art. 8 B-VG). Artikel 8,2 enthält seit 2000 die Staatszielbestimmung, mit der sich Österreich zur „gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt“ und zur Förderung von Sprache und Kultur derselben bekennt. Die Bestimmungen des Staatsvertrags von St. Germain garantieren in sehr allgemeiner Form die Gleichheit österreichischer Staatsbürger vor dem Gesetz

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„ohne Unterschied der Rasse, der Sprache oder Religion“ (Art. 66) und ihre Rechte hinsichtlich des Gebrauchs von anderen Sprachen als Deutsch in öffentlichen Versammlungen, vor Gericht und als Unterrichtssprache. Der Staatsvertrag von Wien nennt in Artikel 7 explizit die „slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, Burgenland und Steiermark“ und garantiert diesen „das Recht auf ihre eigenen Organisationen, Versammlungen und Presse in ihrer eigenen Sprache“, auf „Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache und auf eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen“ sowie die Zulassung des Slowenischen und Kroatischen als Amtssprache und vor Gericht in „Bezirken mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung“. „In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfasst“. Zur Durchführung dieser Bestimmungen wurde 1976 das Bundesgesetz über die Rechtsstellung der Volksgruppen in Österreich (Volksgruppengesetz) beschlossen, worin u.a. Volksgruppenbeiräte als beratende Organe der Bundesregierung festgelegt sind. Dieses Gesetz bezog sich zunächst nur auf die kroatische, slowenische, tschechische und ungarische Volksgruppe, durch die Einrichtung von Volksgruppenbeiräten 1992 und 1993 erstreckte sich seine Gültigkeit auch auf die slowakische Volksgruppe und die Volksgruppe der Roma. Das Gesetz wurde 2011 zuletzt novelliert und enthält nun (als Ersatz für die Topographieverordnungen) im Anhang eine Liste der Gemeinden und Bezirke, wo spezielle Sprachenregelungen vorgesehen sind.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Österreich unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 5.11.1992, ratifizierte sie jedoch erst am 10.5.2001, so dass sie am 1.10.2001 in Kraft trat. Der erste Staatenbericht wurde am 14.2.2003 erstattet (datiert mit 23.1.2003). Auf diesen Bericht reagierte der Sachverständigenausschuss am 10.9.2003 mit einem Fragenkatalog als Grundlage für den Besuch vor Ort. Letzterer fand im Dezember 2003 statt. Die Antworten der österreichischen Bundesregierung auf

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den Fragenkatalog sind mit 5.3.2004 datiert. Diese Verspätung wurde vom Sachverständigenausschuss bedauert, da dadurch die Durchführung des Vor-Ort-Besuchs beeinträchtigt gewesen sei. Der Evaluationsbericht wurde am 16.6.2004 vorgelegt, am 19.1.2005 traf das Ministerkomitee auf dieser Grundlage seine ersten Empfehlungen. Der zweite Staatenbericht wurde am 12.12.2007 (22 Monate verspätet, wie vom Sachverständigenausschuss angemerkt) vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss im April 2008 Österreich ein zweites Mal besuchte und den entsprechenden Bericht am 10.9.2008 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 11.3.2009. Der dritte Staatenbericht wurde am 28.7.2011 vorgelegt und befand sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels in der Begutachtungsphase.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von der entsprechenden Regierungsstelle erstellt und enthält keine Hinweise auf eine Einbindung der Volksgruppenbeiräte oder anderer Volksgruppenorganisationen. Auf Nachfrage des Sachverständigenausschusses antwortete die österreichische Bundesregierung, dass wegen des kurzen Zeitintervalls zwischen dem Ratifizierungsprozess (in den alle Organisationen der Volksgruppen und die Volksgruppenbeiräte einbezogen gewesen seien) und der ersten Berichtlegung vieles aus den für die Ratifizierung erhobenen Informationen verwendet werden konnte. Nach Möglichkeit sei der Bericht den Volksgruppenbeiräten vorgelegt worden. Der Sachverständigenausschuss bewertete die Einbindung der Volksgruppenbeiräte in den Ratifikationsprozess und v.a. in die Erstellung des Staatenberichts hingegen als zu gering. Auch der zweite und dritte Staatenbericht nannten keine Institutionen explizit, im Anhang zum zweiten Staatenbericht finden sich jedoch Berichte verschiedener Volksgruppenorganisationen über ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten sowie Stellungnahmen der Volksgruppenbeiräte.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument benennt Österreich Burgenlandkroatisch, Romanes, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch und Ungarisch als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta. Autochthone nichtterritoriale Sprachen gibt es nach Auffassung Österreichs auf seinem Staatsgebiet nicht.

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Von den genannten sechs Sprachen werden drei im Sinne von Artikel 2,2, d.h. durch mindestens 35 Bestimmungen aus Teil III (Art. 8–14) der Charta, geschützt, und zwar Burgenlandkroatisch im Burgendland, Slowenisch in Kärnten und Ungarisch im Burgenland. Für Romanes im Burgenland, Slowenisch in der Steiermark, Slowakisch und Tschechisch sowie Ungarisch in Wien wurden ebenfalls jeweils mehrere Bestimmungen aus Teil III der Charta ausgewählt und im Ratifikationsinstrument verankert, jedoch in bedeutend geringerem Umfang. In seinen beiden ersten Berichten ersuchte der Sachverständigenausschuss Österreich zu prüfen, ob Polnisch nach Artikel 1a als traditionell in Österreich gebrauchte Sprache angesehen werden könnte. Der dritte Staatenbericht erläuterte, dass dies nicht der Fall sei, da die polnischsprachige Bevölkerung größtenteils erst jüngeren Datums eingewandert sei. Ebenso war der Sachverständigenausschuss – im Gegensatz zur österreichischen Bundesregierung – in beiden Berichten der Meinung, dass es sich bei Romanes um eine nicht territorial gebundene Sprache handle. Auf die Sprecherzahlen wird in den jeweiligen Abschnitten eingegangen.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Burgenlandkroatisch Die beiden ersten Staatenberichte und der erste Bericht des Sachverständigenausschusses gehen detailliert auf die Geschichte der Kroaten in Österreich ein, die bis zum 16. Jahrhundert nach Westungarn einwanderten. Im 19. Jahrhundert (nach Sachverständigenbericht) bzw. zwischen den beiden Weltkriegen (nach Staatenberichten) begannen größere Mengen nach Wien zu migrieren oder zu pendeln. Während das Burgenlandkroatische im Burgenland nach Teil III der Charta geschützt ist, gilt es in Wien offiziell nicht als autochthon. Heute leben die meisten Burgenlandkroaten in rund 50 Orten im Burgenland verstreut. Laut erstem Staatenbericht gaben bei der Volkszählung von 2001 19.374 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft Burgenlandkroatisch als Umgangssprache an, davon 17.241 im Burgenland (hier wurde auch die Angabe ‚Kroatisch‘ berücksichtigt) und 2.456 in Wien. Hingegen schätzten kroatische Organisationen die Stärke der Volksgruppe im Burgenland auf 30.000–50.000 und in Wien auf 12.000–15.000. Kroatisch ist als Gerichts- bzw. zusätzliche Amtssprache zugelassen vor den Bezirksgerichten (bzw. Bezirkshauptmannschaften) Eisenstadt (bzw. Eisenstadt-Umgebung), Güssing, Mattersburg, Neusiedl am See, Oberpullendorf und Oberwart sowie vor dem Landesgericht in Eisenstadt und dem unabhängigen Ver-

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waltungssenat für das Burgenland und weiteren Behörden und Dienststellen des Bundes oder Landes, deren Sprengel ganz oder teilweise mit jenen der genannten Bezirkshauptmannschaften oder Gerichtsbezirken zusammenfällt, sowie den dort gelegenen Gemeinden und Polizeidienststellen. Die Gemeinden und Bezirke sind in der Amtssprachenverordnung-Kroatisch bzw. seit 2011 im Anhang zum Volksgruppengesetz aufgeführt. Der Sachverständigenausschuss bemerkte in seinem ersten Bericht, dass das Ratifikationsinstrument der Charta offensichtlich das erste Dokument sei, das die Bezeichnung ‚Burgenlandkroatisch‘ gebraucht. In den meisten Gesetzen würden die Ausdrücke ‚Kroatisch‘ und ‚Kroaten‘ verwendet. Der zweite Staatenbericht merkte an, dass in der Schule bis zum Ende der Sekundarstufe I Burgenlandkroatisch unterrichtet werde, ab der Sekundarstufe II hingegen Kroatisch, wie es in Kroatien kodifiziert ist. Bildung: Die entsprechenden Gesetze für das Burgenland garantieren allen Angehörigen der kroatischen Volksgruppe eine Bildung in oder das Erlernen der (burgenland-)kroatischen Sprache von der vorschulischen Erziehung bis zur Hochschulreife. In der Praxis wird ein zweisprachiges Modell (mit Burgenlandkroatisch und Deutsch als Unterrichtssprachen) angewendet, oder Kroatisch wird als Unterrichtsgegenstand angeboten. Laut Staatenberichten besuchten im Schuljahr 2001/02 1.424 Kinder eine zweisprachige Primarschule (2007/08: 1.257, 2010/11: 1.253), weitere 125 hätten Kroatisch als Unterrichtsfach (2007/08: 142, 2010/11: 163). In der Hauptschule (Sekundarstufe I) nahmen 105 Schüler den zweisprachigen Unterricht in Anspruch (2007/08: 99, 2010/11: 139) und weitere 121 wählten Kroatisch als Wahlpflichtfach oder unverbindliche Übung (2007/08: 143, 2010/11: 190). In Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen (Sekundarstufen I und II) besuchten insgesamt 430 Schüler den Kroatischunterricht (2007/08: 400, 2010/11: 448). Laut Sachverständigenausschuss besuchten alle Kinder in zweisprachigen Schulen automatisch den zweisprachigen Unterricht, falls die Eltern das nicht wünschten, könnten sie die Kinder davon abmelden. Nur etwa ein Drittel der Schüler und Schülerinnen in zweisprachigen Primarschulen entstamme burgenlandkroatischen Familien. Ein Studium des Kroatischen sei an mehreren österreichischen Universitäten möglich, im zweisprachigen Gebiet gebe es keine Universität, allerdings in den Fachhochschulstudiengängen in Eisenstadt und Pinkafeld Kroatisch als Wirtschaftssprache, Lehrerausbildung für den Pflichtschulbereich an der Pädagogischen Akademie Burgenland in Eisenstadt (seit 2007 Hochschule), Kindergärtnerausbildung mit Zusatzausbildung in Kroatisch, sowohl in Oberwart als auch in Eisenstadt. Die Möglichkeit von Auslandssemestern und Weiterbildung in Kroatien bestehe ebenso wie die Möglichkeit, Gastlehrer aus Kroatien einzuladen. Es

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gebe eine Reihe von Kursen in Burgenlandkroatisch und Kroatisch im Rahmen der Erwachsenenbildung. Der Sachverständigenausschuss und das Ministerkomitee urgieren in beiden Berichtszyklen Informationen über das Ausmaß des Unterrichts in kroatischer Sprache, da dieses im Gesetz nicht geregelt sei. Das Niveau vieler Schüler sei nach vier Jahren zweisprachiger Schule nicht sehr hoch. Im dritten Staatenbericht ist zu dieser Frage zu lesen, dass laut Lehrplan „der Unterricht […] den Vorkenntnissen der Kinder entsprechend nach Möglichkeit in annähernd gleichem Ausmaß in kroatischer und deutscher Sprache zu erteilen ist“ (III.1.1 Art. 8,1b (ii)) und dass die Lehrkräfte auf diese Forderung hingewiesen würden. Justizbehörden: Laut Staatenberichten können vor den o.g. Gerichten auf Antrag einer Partei Verfahren auf Kroatisch durchgeführt werden. Kosten für Übersetzungen würden ex officio getragen. Es gebe auch Personal, das die kroatische Sprache beherrsche. Der Sachverständigenausschuss merkte in beiden Berichten an, dass es keine Daten über die tatsächliche Verwendung des Kroatischen vor Gericht gebe und die Betroffenen zumeist aus Angst vor Verzögerungen oder Benachteiligungen darauf verzichten würden, und forderte die österreichische Regierung auf, die Lücke zwischen rechtlichen Garantien und praktischer Umsetzung zu schließen. Diese Aufforderung wird beide Male in die Empfehlungen des Ministerkomitees aufgenommen. Der dritte Staatenbericht bringt dazu keine neuen Erkenntnisse. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Laut erstem und zweitem Staatenbericht ist Kroatisch als zusätzliche Amtssprache vor den o.g. Behörden zugelassen, die per Antrag oder durch mündliche oder schriftliche Eingaben in Kroatisch in Anspruch genommen werden kann. In diesem Fall habe die Behörde sich ebenfalls der kroatischen Sprache zu bedienen. Übersetzungen werden von Amts wegen vorgenommen. Die mündliche Kommunikation auf Kroatisch sei in vielen Gemeinden Praxis, der schriftliche Verkehr würde jedoch selten auf Kroatisch geführt, es gebe kroatische Übersetzungen für offizielle Dokumente und Formulare, und die Veröffentlichung offizieller Kundmachungen der Behörden im zweisprachigen Gebiet auf Kroatisch sei rechtlich abgesichert. Der Sachverständigenausschuss monierte Informationen, inwieweit die Behörden tatsächlich die Möglichkeit von Eingaben in kroatischer Sprache sicherstellen. Das Ministerkomitee empfahl in beiden Berichtszyklen, dass die österreichische Regierung die Verwendung des Burgenlandkroatischen vor den relevanten Behörden auch in der Praxis sicherstellen möge. Der dritte Staatenbericht brachte zu diesen Anfragen und Empfehlungen keine wesentlichen neuen Informationen, sondern stellte die geltende Rechtslage ausführlicher dar. Medien: Die Staatenberichte zeigen eine Entwicklung im Bereich der Programme des ORF von täglichen lokalen Radiosendungen hin zur digitalen Zur-

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Verfügung-Stellung von Programmen. Seit 2009 produziert und sendet das ORFLandesstudio Burgenland als Kompetenzzentrum Programme für alle im Osten Österreichs lebenden Volksgruppen, die sowohl digital als auch free to air oder als Livestream im Internet empfangen werden könnten, darunter auch eine wöchentliche Fernsehsendung. Darüber hinaus gebe es zwei Wochenzeitungen u.a. Publikationsorgane, die finanziell unterstützt würden, jedoch keine Tageszeitung. Aus den Mitteln der Volksgruppenförderung würden zahlreiche audiovisuelle Produktionen gefördert. Radio- und Fernsehsendungen aus Kroatien könnten im Burgenland uneingeschränkt empfangen werden. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht wies darauf hin, dass zahlreiche kulturelle, wissenschaftliche und Bildungsaktivitäten der Volksgruppen finanziell gefördert würden und dies nicht an das autochthone Siedlungsgebiet gebunden sei. Die eingereichten Projekte werden dem Volksgruppenbeirat vorgelegt. Der Zusatz zum Bericht führt die Förderquoten pro Volksgruppe an. Der zweite Staatenbericht ging detailliert auf die finanzierten Projekte und Organisationen ein. Der Sachverständigenausschuss monierte, dass die Fördersumme der Volksgruppenförderung seit 1995 gleich geblieben sei, und ersuchte, dies und den Vergabeprozess zu überdenken. Der dritte Staatenbericht wies auf eine Gesetzesänderung 2009 hin, die auch die Förderung interkultureller Projekte ermögliche, wofür weitere 100.000 Euro jährlich vorgesehen seien. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht konstatierte, dass das österreichische Recht eine Diskriminierung von Sprechern von Minderheitensprachen untersage und das Recht auf freien Gebrauch jeglicher Sprache im Privatleben und im Wirtschaftsleben verbürge. Auf die Notwendigkeit, Sprachen zu lernen, werde immer wieder hingewiesen. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses sah die rein rechtlichen Maßnahmen und die allgemeinen Fördermaßnahmen als nicht ausreichend an und schlug verschiedene Formen von positiver Aktion vor. Der zweite Staatenbericht führte einige Projekte an, die aus den allgemeinen Fördermitteln finanziert wurden. Der dritte Staatenbericht ergänzte, dass im Rahmen des Reformprozesses des Volksgruppengesetzes eine Arbeitsgruppe „Regional- und Wirtschaftspolitik“ eingesetzt worden sei, die die österreichischen Volksgruppen als regional- und wirtschaftspolitisches Potenzial in sprachlicher Hinsicht analysieren solle. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht verwies auf die Tätigkeit der ARGE Alpen-Adria und des österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts. Der Sachverständigenausschuss konnte auf dieser Grundlage zu keinem Schluss kommen. Im zweiten Staatenbericht wurde von diversen Projekten zwischen Kulturvereinen und Schulen mit Partnern in Kroatien, Ungarn und der Slowakei berichtet. Beigefügt ist eine Aufstellung der grenzüberschreiten-

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den Kooperationen der verschiedensten Volksgruppenorganisationen. Der dritte Bericht brachte keine wesentlichen neuen Informationen.

2.3.2 Slowenisch Die beiden ersten Staatenberichte und der erste Bericht des Sachverständigenausschusses gingen detailliert auf die Geschichte der Slowenen in Österreich ein, die mit der Besiedelung durch die Alpenslaven im 6. Jahrhundert begann. Das autochthone Siedlungsgebiet liegt in Kärnten und in der Steiermark. Während das Slowenische in Kärnten nach Teil III der Charta geschützt ist, fällt dieselbe Sprache in der Steiermark nur unter den Schutz von Teil II (Art. 7). Österreich hat sich jedoch zur Einhaltung einiger Punkte aus Teil III der Charta verpflichtet und geht im zweiten und dritten Staatenbericht genau auf diese Punkte ein. Laut erstem Staatenbericht gaben bei der Volkszählung von 2001 17.953 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft Slowenisch als Umgangssprache an, davon 12.544 in Kärnten, 1.412 in Wien und 2.192 in der Steiermark. Hingegen schätzten slowenische Organisationen die Stärke der Volksgruppe auf 50.000. Der Sachverständigenausschuss vermerkte, dass die Zahl der Sprecher des Slowenischen im Laufe des 20. Jahrhunderts ständig zurückging. Slowenisch sei als Gerichtssprache vor den Bezirksgerichten Ferlach, Eisenkappel und Bleiburg sowie vor dem Landesgericht in Klagenfurt und dem unabhängigen Verwaltungssenat zugelassen sowie als zusätzliche Amtssprache vor jenen Behörden, in deren Bezirk bzw. Sprengel die in der Amtssprachenverordnung-Slowenisch (bzw. seit 2011 im Anhang zum Volksgruppengesetz) angeführten Gemeinden fallen, sofern der Sitz dieser Behörde in Kärnten ist. Der Sachverständigenausschuss merkte zum Slowenischen in der Steiermark an, dass es einen Dialog mit der Landesregierung gebe, aber keine Sprachenpolitik seitens des Landes und dass Fördermaßnahmen von der Initiative der Volksgruppe abhingen. Bildung: Die entsprechenden Gesetze für Kärnten garantieren allen Angehörigen der slowenischen Volksgruppe Grundschulbildung in slowenischer Sprache im offiziellen zweisprachigen Gebiet (und bei nachhaltigem Bedarf auch außerhalb) sowie eine verhältnismäßige Anzahl an höheren Sekundarschulen, also eine Ausbildung in slowenischer Sprache bis zur Hochschulreife. In der Praxis wird in der Primarstufe und zwei berufsbildenden höheren Schulen (Sekundarstufe II) ein zweisprachiges Modell (mit Slowenisch und Deutsch als Unterrichtssprachen) angewendet, in einem Gymnasium ist Slowenisch Unterrichtssprache, an den Hauptschulen wird Slowenisch als Unterrichtsgegenstand im Ausmaß von vier Wochenstunden angeboten. Darüber hinaus werde Slowenisch an allen

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staatlichen höheren Schulen in Kärnten als Unterrichtsfach angeboten. Im Unterschied zum Burgenland müssen die Kinder zum zweisprachigen Unterricht in der Primarstufe von den Eltern angemeldet werden. Die vorschulische Bildung in slowenischer Sprache ist nicht garantiert, wird jedoch gefördert. Laut Staatenberichten besuchten im Schuljahr 2001/02 1.836 Kinder in Kärnten eine zweisprachige Primarschule (2007/08: 1.892, 2010/11: 1.928). In der Hauptschule (Sekundarstufe I) wählten 246 Schüler Slowenisch als Pflichtfach, Wahlpflichtfach oder unverbindliche Übung (2007/08: 345, 2010/11: 364). 477 (543; 503) Schüler besuchten das Bundesgymnasium für Slowenen, 251 (270; 268) die beiden zweisprachigen berufsbildenden höheren Schulen. In Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen (Sekundarstufen I und II) besuchten außerdem insgesamt 305 Schüler den Slowenischunterricht (2007/08: 594, 2010/11: 733). In der Steiermark gebe es Slowenischunterricht an einzelnen Schulen. Der Sachverständigenausschuss war besorgt wegen des geringen sprachlichen Niveaus des zweisprachigen Bildungswesens. Er monierte auch die Einhaltung der Bestimmung, dass Slowenisch und Deutsch zu gleichen Teilen Unterrichtssprache sein sollen. Weiterhin bleibe unklar, inwieweit auf die Geschichte und Kultur der Slowenen in deutschsprachigen Schulen in (Süd-)Kärnten eingegangen wird. Der dritte Staatenbericht schrieb von Projekten an einigen Schulen und drei Broschüren der Kärntner Landesregierung anlässlich des 10.-OktoberFeiertags 2010. Im tertiären Bereich werde Slowenisch als Fach und als Studium an den Universitäten Wien, Klagenfurt, Graz, Innsbruck (laut 1. Bericht) angeboten, wobei die Universität Klagenfurt im traditionellen Siedlungsgebiet der Kärntner Slowenen liege und verschiedene Angebote im Rahmen von Studien, kostenpflichtigen Sprachkursen und Sommerschulen mache. Die Lehrerausbildung für den Pflichtschulbereich erfolge an der Pädagogischen Akademie Kärnten (seit 2007 Hochschule) in Klagenfurt. Eine Kooperation mit slowenischen Bildungseinrichtungen bestehe. Studienaufenthalte in Slowenien würden organisiert. Die Kindergärtnerausbildung in Klagenfurt sehe Slowenisch als Freifach vor, weiters gebe es die Möglichkeit eines Blockpraktikums in Ljubljana. Weiterhin wird eine Reihe von Kursen in Slowenisch im Rahmen der Erwachsenenbildung angeführt. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht (mit Ergänzungen) führte aus, dass vor den o.g. Bezirksgerichten Verfahren auf Antrag einer Partei mit österreichischer oder einer anderen EU-Staatsbürgerschaft auf Slowenisch durchgeführt werden können. Übersetzungen würden unverzüglich gemacht, und es käme zu keinen Verzögerungen. Slowenisch als Gerichtssprache würde aber nur sehr selten in Anspruch genommen. Kosten für Übersetzungen würden ex officio getragen. Es gebe auch Personal, das die slowenische Sprache beherrsche. Die

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Zahl der Verfahren unter Verwendung der slowenischen Sprache sei seit 2000 jedoch rückläufig. Der Sachverständigenausschuss merkte in seinem ersten Bericht an, dass es keine Daten über die tatsächliche Verwendung des Slowenischen vor Gericht gebe. In beiden Berichten wurde die österreichische Regierung aufgefordert, die Lücke zwischen rechtlichen Garantien und praktischer Umsetzung zu schließen. Dem schloss sich das Ministerkomitee beide Male an. Der dritte Staatenbericht führte aus, dass durch die Novelle zum Volksgruppengesetz vom Juli 2011 die Verwendung des Slowenischen auch vor anderen Behörden und Dienststellen gestattet sei, wenn dies den Verkehr mit Personen erleichtere, und zudem nun auch juristische Personen die entsprechenden Rechte in Anspruch nehmen könnten. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Laut erstem und zweitem Staatenbericht ist Slowenisch als zusätzliche Amtssprache vor den o.g. Behörden zugelassen. Im Bezirk Völkermarkt hätten die Behörden im Gefolge eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes selbst zu prüfen, ob Slowenisch Amtssprache ist. Das Recht auf die Verwendung der slowenischen Sprache könne per Antrag oder durch mündliche oder schriftliche Eingaben in Slowenisch in Anspruch genommen werden. In diesem Fall hätte die Behörde sich ebenfalls der slowenischen Sprache zu bedienen. Übersetzungen werden von Amts wegen vorgenommen. Weiterhin sei die Veröffentlichung offizieller Kundmachungen der Behörden im zweisprachigen Gebiet auf Slowenisch rechtlich abgesichert. Es gebe slowenische Übersetzungen für offizielle Dokumente und Formulare, die auf der Webseite des Volksgruppenbüros der Kärntner Landesregierung zu finden seien, das auch Übersetzungsdienste leiste. Die Bemühungen des Büros werden auch vom Sachverständigenausschuss positiv vermerkt. Der Sachverständigenausschuss sah das Vorhaben des Gebrauchs der slowenischen Amtssprache auf lokaler Ebene aus rechtlichen und praxisbezogenen Gründen nur teilweise erfüllt, und das Ministerkomitee empfahl in beiden Berichtszyklen, dass die österreichische Regierung die Verwendung des Slowenischen vor den relevanten Behörden auch in der Praxis sicherstellen solle. Der dritte Staatenbericht wies darauf hin, dass durch die Novellierung des Volksgruppengesetzes Slowenisch in drei weiteren Gemeinden als Amtssprache zugelassen sei, dass es aber den einzelnen Gemeinden überlassen bleibe, ob sie ihre Kundmachungen auch auf Slowenisch veröffentlichen wollten. Medien: Die Staatenberichte zeigen eine Entwicklung im Bereich der Programme des ORF von täglichen lokalen Radiosendungen hin zu einer Kooperation mit privaten Radios und einer 24-stündigen (mehrsprachigen) Sendezeit. Eine halbstündige Fernsehsendung werde Sonntagnachmittag gesendet, die Montag und Mittwoch von RTV Slovenija wiederholt werde. Alle Sendungen stünden im Internet als Downloads zur Verfügung. Darüber hinaus wurden drei,

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später wegen Fusionierung zwei Wochenzeitungen finanziell unterstützt. Es gebe keine Tageszeitung. Aus den Mitteln der Volksgruppenförderung würden zahlreiche audiovisuelle Produktionen gefördert. Der Sachverständigenausschuss ersuchte in beiden Berichten um Auskunft über die Anwendung allgemeiner Förderungsschemata auf Volksgruppenproduktionen im audiovisuellen Bereich. Der dritte Staatenbericht gibt detailliert über die Rechtslage in diesem Bereich Auskunft. Außerdem sei seit 2009 auch die Förderung nichtkommerzieller privater Radios gesetzlich möglich. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht wies darauf hin, dass zahlreiche kulturelle, wissenschaftliche und Bildungsaktivitäten der Volksgruppen finanziell gefördert würden, auch Projekte außerhalb des autochthonen Siedlungsgebiets, etwa in Wien, seien gefördert worden. Als besonders positives Beispiel wurde die Kulturwoche der Kärntner Slowenen, die vom Volksgruppenbüro des Landes Kärnten organisiert wird, hervorgehoben. Der Zusatz zum Bericht führt die Förderung slowenischer Kulturprojekte durch das Land Steiermark und die Förderquoten für die einzelnen Volksgruppen an. Der zweite Staatenbericht ging detailliert auf die finanzierten Projekte und Organisationen ein. Der Sachverständigenausschuss monierte in seinem zweiten Bericht, dass die Fördersumme der Volksgruppenförderung seit 1995 gleich geblieben sei und ersuchte, dies und den Vergabeprozess zu überdenken. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht konstatierte, dass nach österreichischem Recht eine Diskriminierung von Sprechern von Minderheitensprachen untersagt und das Recht auf freien Gebrauch jeglicher Sprache im Privatleben und im Wirtschaftsleben verfassungsrechtlich verbürgt sei. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses sieht die rein rechtlichen Maßnahmen und die allgemeinen Fördermaßnahmen als nicht ausreichend an und schlägt verschiedene Formen von positiver Aktion vor. Der zweite Staatenbericht führte einige Projekte an, die aus den allgemeinen Fördermitteln finanziert wurden, wie Workshops des slowenischen Wirtschaftsverbandes, bei denen die neuen EU-Förderprogramme vorgestellt wurden. Der dritte Staatenbericht ergänzte, dass im Rahmen des Reformprozesses des Volksgruppengesetzes eine Arbeitsgruppe „Regional- und Wirtschaftspolitik“ unter Einbindung des slowenischen Wirtschaftsverbandes eingesetzt worden sei, die die österreichischen Volksgruppen als regional- und wirtschaftspolitisches Potenzial in sprachlicher Hinsicht analysieren solle. Außerdem seien 50.000 Euro aus einer Sonderförderung für 2011–2015 für Projekte zur grenzüberschreitenden Kooperation gewidmet. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht verwies auf die Tätigkeit der ARGE Alpen-Adria und des österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts. Der Sachverständigenausschuss konnte auf dieser Grundlage zu

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keinem Schluss kommen. Im zweiten Staatenbericht wurde von diversen Projekten zwischen Kulturvereinen und Schulen mit Partnern in Slowenien berichtet sowie von einem Abkommen der gemischten Kommission auf den Gebieten Kultur, Bildung, Wissenschaft (1.5.2002). Beigefügt ist eine Aufstellung der grenzüberschreitenden Kooperationen verschiedenster Volksgruppenorganisationen. Der dritte Bericht ging ausführlich auf ausgewählte Projekte im Bereich Mehrsprachigkeit in Schule und Kindergarten u.a. ein.

2.3.3 Ungarisch Die beiden ersten Staatenberichte und der erste Bericht des Sachverständigenausschusses gingen detailliert auf die Geschichte der Ungarn in Österreich ein, die mit der Besiedelung der damaligen ungarischen Westgrenze im 11. Jahrhundert begann, was auch das Gebiet des heutigen Burgenlandes bedeutete. Das derzeitige Siedlungsgebiet umfasst die Gemeinden Oberwart, Unterwart, Siget in der Wart und Oberpullendorf. Ungarn leben auch seit Jahrhunderten in Wien und Graz. Während das Ungarische im Burgenland nach Teil III der Charta geschützt ist, fällt es in Wien nur unter den Schutz von Teil II. Österreich hat sich jedoch zur Einhaltung einiger Punkte aus Teil III der Charta verpflichtet und geht im zweiten und dritten Staatenbericht genau auf diese Punkte ein. Laut erstem Staatenbericht gaben bei der Volkszählung von 2001 25.884 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft Ungarisch als Umgangssprache an, davon 4.704 im Burgenland und 10.686 in Wien. Hingegen schätzten ungarische Organisationen die Stärke der Volksgruppe auf 20.000–30.000. Ungarisch sei als Gerichtssprache bzw. als zusätzliche Amtssprache vor den Bezirksgerichten Oberpullendorf und Oberwart sowie vor dem Landesgericht in Eisenstadt und dem unabhängigen Verwaltungssenat für das Burgenland bzw. den Bezirkshauptmannschaften Oberpullendorf und Oberwart und allen sonstigen Behörden und Dienststellen des Bundes oder Landes, deren Sprengel ganz oder teilweise mit jenen der genannten Bezirkshauptmannschaften zusammenfällt, sowie den dort gelegenen (vier) Gemeinden und Polizeidienststellen zugelassen. Bildung: Die entsprechenden Gesetze für das Burgenland garantieren allen Angehörigen der ungarischen Volksgruppe eine Bildung in oder das Erlernen der ungarischen Sprache von der vorschulischen Erziehung bis zur Hochschulreife. Dabei wird in der Praxis entweder ein zweisprachiges Modell (mit Ungarisch und Deutsch als Unterrichtssprachen, zumeist in der Primarstufe und im Gymnasium) angewendet, oder Ungarisch wird als Unterrichtsgegenstand angeboten. In seinem zweiten Bericht machte der Sachverständigenausschuss darauf aufmerk-

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sam, dass die Praxis des zweisprachigen ungarisch-deutschen Unterrichts nur etwa vier Wochenstunden auf Ungarisch bedeute, und hielt diesen Punkt daher für nicht erfüllt. Laut Staatenberichten besuchten im Schuljahr 2001/02 118 Kinder eine zweisprachige Primarschule (2007/08: 161, 2010/11: 288), weitere 246 hatten Ungarisch als Unterrichtsfach (2007/08: 1.220, 2010/11: 1.486). In der Hauptschule (Sekundarstufe I) wählten 82 Ungarisch als Wahlpflichtfach oder unverbindliche Übung (2007/08: 636, 2010/11: 810). In Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen (Sekundarstufen I und II) besuchten insgesamt 199 Schüler den Ungarischunterricht (2007/08: 521, 2010/11: 453). Laut erstem Staatenbericht gab es in Wien vier Primarschulen mit Ungarisch als Freifach. Der Sachverständigenausschuss forderte die Bundesregierung in seinem ersten Bericht auf, Maßnahmen für einen ungarisch-deutschen zweisprachigen Unterricht in anderen österreichischen Regionen zu treffen, insbesondere gebe es in Wien keinen Ungarischunterricht auf der Vorschul- und Sekundarstufe. Im tertiären Bereich werde Ungarisch an der Universität Wien und der Wirtschaftsuniversität Wien unterrichtet, ein Studium des Ungarischen könne in Wien betrieben werden. Im zweisprachigen Gebiet selbst gebe es keine Universität, allerdings an den Fachhochschulen in Eisenstadt und Pinkafeld Ungarisch als Wahlpflichtfach bzw. zweite lebende Fremdsprache. Im zweiten Staatenbericht wurde darauf hingewiesen, dass 2008 ein Ausbildungslehrgang an der pädagogischen Hochschule in Eisenstadt begonnen habe. Die Kindergärtnerausbildung in Ungarisch könne in Oberwart absolviert werden. Eine Kooperation mit ungarischen Bildungseinrichtungen bestehe. Studienaufenthalte in und Schulpartnerschaften mit Ungarn würden organisiert. Weiterhin wurde auf eine Reihe von Kursen in Ungarisch in und außerhalb des Burgenlandes im Rahmen der Erwachsenenbildung hingewiesen. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht (mit Ergänzungen) führte aus, dass Verfahren vor den o.g. Gerichten auf Antrag einer Partei auf Ungarisch durchgeführt werden können. Kosten für Übersetzungen würden ex officio getragen. Der Sachverständigenausschuss merkte in beiden Berichten an, dass Österreich keine Daten über die tatsächliche Verwendung des Ungarischen vor Gericht vorgelegt habe, jedoch laut Justizministerium im Jahr 2007 Ungarisch in keinem Verfahren gebraucht worden sei. Er hielt daher die Bestimmung nur für formal erfüllt und forderte die österreichische Regierung auf, Maßnahmen zur praktischen Umsetzung zu treffen. Diese Aufforderung wurde beide Male in die Empfehlungen des Ministerkomitees aufgenommen. Der dritte Staatenbericht enthielt dazu die Information, dass die in Zivil- und Strafprozessen zu verwendenden Formulare laufend auch auf Ungarisch aufgelegt würden, die ungarische Sprache jedoch bisher in keinem Gerichtsverfahren verlangt worden sei.

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Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Das Recht auf die Verwendung des Ungarischen vor den o.g. Behörden kann per Antrag oder per mündlicher oder schriftlicher Eingabe in Ungarisch in Anspruch genommen werden. In diesem Fall hat die Behörde sich ebenfalls der ungarischen Sprache zu bedienen. Übersetzungen werden von Amts wegen vorgenommen. In den Ergänzungen zum ersten Staatenbericht wird ausgeführt, dass die mündliche Kommunikation mit den Behörden in Unterwart in etwa 50  % ungarisch sei, in Oberwart in etwa 5  %, jedoch noch nie schriftliche Eingaben auf Ungarisch gemacht worden seien. Es gebe ungarische Übersetzungen für offizielle Dokumente und Formulare, und die Veröffentlichung offizieller Kundmachungen der Behörden im zweisprachigen Gebiet auf Ungarisch sei rechtlich abgesichert. Der Sachverständigenausschuss kam zum gegenteiligen Schluss und ersuchte um mehr Informationen über die Implementierung der Amtssprachenverordnung. Da diese Informationen auch im zweiten Staatenbericht fehlten, sah der Sachverständigenausschuss die Vorhaben nur teilweise erfüllt und ersuchte um weitere Auskünfte im nächsten Bericht. Das Ministerkomitee empfahl daher in beiden Berichtszyklen, dass die österreichische Regierung die Verwendung des Ungarischen vor den relevanten Behörden auch in der Praxis sicherstellen möge. Der dritte Staatenbericht ergänzte Informationen über Bedienstete mit Ungarischkenntnissen an verschiedenen Bundesdienststellen und über Sprachkursangebote für diese. Medien: Der erste Staatenbericht erklärte, dass der regionale Sender des ORF täglich fünf Minuten auf Ungarisch ausstrahle sowie eine 90-minütige Sendung sonntags. Das Radioprogramm könne auf Mittelwelle in ganz Österreich empfangen werden. Eine Fernsehsendung würde sechsmal pro Jahr ausgestrahlt, ein gemeinsames Programm der Volksgruppen würde an vier Sonntagen pro Jahr gesendet. Alle Sendungen seien im Internet verfügbar. Das periodische Magazin Örség würde finanziell unterstützt, ebenso zwei Jugendzeitungen, Tageszeitungen gebe es keine. Aus den Mitteln der Volksgruppenförderung würden zahlreiche audiovisuelle Produktionen gefördert. Radio- und Fernsehprogramme aus Ungarn könnten unbeschränkt im Burgenland empfangen werden. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem ersten Bericht, dass es keine Wochenzeitungen auf Ungarisch gebe und auch keine Maßnahmen zu ihrer Gründung, und rief in seinem zweiten Bericht zur Ermöglichung und Förderung wenigstens einer Zeitung in Ungarisch auf. Weiters kritisierte der Ausschuss das Ausmaß der Förderung audiovisueller Produktionen. Der dritte Staatenbericht gab Auskunft über die Möglichkeit der Förderung ungarischsprachiger Filme durch das österreichische Filminstitut, wonach für den Berichtszeitraum drei Filme in ungarischer Sprache gedreht wurden. Im dritten Staatenbericht wurde ein etwas verändertes (gegenüber dem ersten

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Bericht um 40 Minuten verkürztes) Radioprogramm auf Ungarisch vorgestellt, das auch in Wien auf UKW empfangen werden könne. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht wies darauf hin, dass zahlreiche kulturelle, wissenschaftliche und Bildungsaktivitäten der Volksgruppen finanziell gefördert würden. Das Kriterium sei dabei die Förderung der Minderheitensprache. Förderung von Aktivitäten oder Einrichtungen sei nicht an das autochthone Siedlungsgebiet gebunden, auch Projekte in Tirol, Oberösterreich und der Steiermark seien gefördert worden. Der Zusatz zum Bericht führte die Förderquoten für die einzelnen Volksgruppen an. Der zweite Staatenbericht ging detailliert auf die finanzierten Projekte und Organisationen ein. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht konstatierte, dass nach österreichischem Recht eine Diskriminierung von Sprechern von Minderheitensprachen untersagt und das Recht auf freien Gebrauch jeglicher Sprache im Privatleben und im Wirtschaftsleben verfassungsrechtlich verbürgt sei. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses sah die rein rechtlichen Maßnahmen und die allgemeinen Fördermaßnahmen als nicht ausreichend an und schlug verschiedene Formen von positiver Aktion vor. Der zweite Staatenbericht wiederholte die Position des ersten und führte die Herausgabe eines ungarischen religiösen Liederbuchs an, die aus den allgemeinen Fördermitteln finanziert wurde. Der dritte Staatenbericht ergänzte, dass durch die nunmehr stärkere grenzüberschreitende wirtschaftliche Zusammenarbeit Ungarisch im Burgenland eine wichtige Sprache geworden sei, Kulturführungen auf Ungarisch seien etwa an der Tagesordnung. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht verwies auf die Tätigkeit der ARGE Alpen-Adria und des österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts. Der Sachverständigenausschuss konnte auf dieser Grundlage zu keinem Schluss kommen. Im zweiten Staatenbericht wurde von diversen Projekten zwischen Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen mit Partnern in Ungarn berichtet. Beigefügt war eine Aufstellung der grenzüberschreitenden Kooperationen der verschiedensten Volksgruppenorganisationen. Der dritte Bericht berichtete ausführlich von ausgewählten Projekten im Bereich Schule u.a. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in beiden Berichten, dass der Schutz des Ungarischen in Wien nicht ausreichend sei.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen Österreich hat sich bezüglich der Teil-II-Sprachen zu einigen Maßnahmen in den Bereichen Bildung, kulturelle Tätigkeiten, Medien und grenzüberschreitender Austausch verpflichtet, die im Ratifikationsinstrument angeführt sind, und fördert

206 

 Ursula Doleschal

die tschechische, slowakische und Roma-Volksgruppe entsprechend. Die Staatenberichte geben detailliert Rechenschaft über Fördersummen und Projekte. Es gebe für die drei Sprachen ein Kindergarten- und Schulunterrichtsangebot, Radio- und (wenige) Fernsehsendungen, die Unterstützung kultureller Tätigkeiten und grenzüberschreitender Projekte. Laut Sachverständigenausschuss sei die Situation der Sprachen dennoch unbefriedigend. Es werden eine strukturierte Politik für den Schutz und die Förderung aller Teil-II-Sprachen, v.a. in Wien, und günstige Bedingungen für deren Gebrauch in der Öffentlichkeit empfohlen. Diese Empfehlung wurde beide Male vom Ministerkomitee aufgegriffen. Die österreichische Regierung verwies in ihrer Antwort jeweils darauf, dass es für die Förderung der Volksgruppensprachen außerhalb der definierten zweisprachigen Gebiete genügend Instrumente und Geldmittel gebe, die von den Volksgruppen auch genutzt würden. Auf die Problematik der Förderung des öffentlichen Sprachgebrauchs wurde nicht eingegangen.

2.4.1 Romanes Die älteste Gruppe, die Burgenland-Roma, sind seit dem 15. Jahrhundert im heutigen Burgenland vertreten, andere Gruppen kamen erst in der zweiten Hälfte oder Ende des 19. Jahrhunderts, eine weitere Zuwanderung war ab den 1960er Jahren zu verzeichnen. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Volksgruppe stark dezimiert, was bis heute Auswirkungen auf die Weitergabe der Sprache hat. Auch in der Zweiten Republik wurden die Roma diskriminiert, erfuhren aber durch ihre Selbstorganisation seit Ende der 1980er Jahre eine Aufwertung im öffentlichen Bewusstsein. Romanes fällt unter den Schutz von Teil II der Charta. Bei der Volkszählung 2001 gaben 4.348 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Österreich Romanes als Umgangssprache an, davon 263 im Burgenland und 1268 in Wien. Nach Schätzungen von Volksgruppenangehörigen betrug die Stärke der Volksgruppe 20.000–25.000 Personen. Im Hinblick auf die räumliche Verteilung der Roma in Österreich befand der Sachverständigenausschuss in seinem ersten Bericht, dass es sich bei Romanes um eine nicht-territoriale Sprache handle. Der zweite Staatenbericht beharrte darauf, dass die Bestimmung für Österreich „nur wenig praktische Bedeutung“ (II.11 Art. 7,5) habe. Der Sachverständigenausschuss verwies auf die Darstellung der Geschichte der Roma in Österreich und ihre traditionellen Siedlungsgebiete und verlangte die Überprüfung des Status des Romanes, das in ganz Österreich gesprochen würde, als nichtterritoriale Sprache und die Zuerkennung von Sprachenrechten im ganzen Land.

Österreich 

 207

2.4.2 Slowakisch Die östlichen Gebiete Niederösterreichs hatten vom 5. bis 9. Jahrhundert dem urslowakischen Staatsgebilde angehört, etwa ein Viertel der heutigen Volksgruppe lebe auch heute in Niederösterreich, zwei Drittel in Wien. Slowakisch fällt unter den Schutz von Teil II der Charta. Bei der Volkszählung 2001 gaben 1.775 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Wien Slowakisch als Umgangssprache an. Nach Schätzungen beträgt die Stärke der Volksgruppe 5.000–10.000 Personen.

2.4.3 Tschechisch Tschechen leben in Wien seit dem 13. Jahrhundert, die Zuwanderung verstärkte sich jedoch im 19. Jahrhundert. Tschechisch fällt unter den Schutz von Teil II der Charta. Der erste Staatenbericht führte aus, dass nach der Volkszählung von 2001 11.035 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Wien Tschechisch als Umgangssprache angaben. Nach Schätzungen beträgt die Stärke der Volksgruppe 15.000–20.000 Personen.

3 Bewertung Die Ratifizierung und Implementierung der Charta sind eine konsequente Weiterführung der österreichischen Minderheiten- und Sprachenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Ratifizierungsinstrument wurde im Wesentlichen der Status quo der bereits vor der Ratifizierung bestehenden Gesetzeslage abgebildet. Laut Sachverständigenausschuss waren die für Teil III ausgewählten Sprachen bereits zuvor durch ein umfangreiches gesetzliches Regelwerk geschützt, die nur unter Teil II fallenden Sprachen verfügten hingegen über keine speziellen gesetzlichen Regelungen und könnten daher nicht überall effektiv geschützt und gefördert werden. Diesen Standpunkt machte sich auch das Ministerkomitee zu eigen: Der Schutz des Burgenlandkroatischen, Slowenischen und Ungarischen nach Teil III stellte den Europarat im Großen und Ganzen zufrieden. Aus den Empfehlungen ging jedoch hervor, dass es gewisse rechtliche Probleme gebe und dass in verschiedenen Kommunikationsdomänen die Minderheitensprecher ihre Rechte in der Praxis nicht geltend machen könnten. Für die Teil-II-Sprachen empfahl der Europarat eine strukturierte Politik zu deren Schutz und Förderung und günstige

208 

 Ursula Doleschal

Bedingungen für ihren Gebrauch in der Öffentlichkeit. Die österreichische Regierung bestand in ihren Berichten und Repliken hingegen stets auf dem Rechtsstandpunkt und sah keine Notwendigkeit politischer Maßnahmen, die über die Gesetzgebung und finanzielle Unterstützung hinaus reichen.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Austria, 14.2.2003. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Austria, 12.12.2007. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Austria, 28.7.2011. [= 3. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 16.6.2004. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 10.9.2008. [= 2. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 19.1.2005. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 11.3.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Bundesland Kärnten: „Kärntner Kindergartenfondsgesetz“. In: Landesgesetzblatt (LGBl.), 74/2001, 12.7.2001. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn/Kaiser Franz Joseph I.: „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“. In: Reichsgesetzblatt (RGBl.) 142/1867, 23.12.1867. Landtag Burgenland: „Burgenländisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz [Kinderbetreuungsgesetz für das Burgenland]“. In: Landesgesetzblatt (LGBl.), 67/2009, 1.1.2009. Republik Österreich: „Bundesverfassungsgesetz über die Stellung des Burgenlandes als selbständiges und gleichberechtigtes Land im Bund und über seine vorläufige Einrichtung“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.), 85/1921, 25.1.1921. Republik Österreich: „Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich [Staatsvertrag von Wien]“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.), 152/1955, 15.5.1955. Republik Österreich: „Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.), 101/1959, 19.3.1959. Republik Österreich: „Bundesgesetz über die Rechtsstellung der Volksgruppen in Österreich [Volksgruppengesetz]“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.), 396/1976, 7.7.1976. Republik Österreich: „Verordnung der Bundesregierung über die Volksgruppenbeiräte“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) 38/1977, 18.1.1977.

Österreich 

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Republik Österreich: „Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.), 641/1994, 1.9.1994. Republik Österreich: „Topographieverordnung-Burgenland“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) II, 170/2000, 22.6.2000. Republik Österreich: „Topographieverordnung-Kärnten“. In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) II, 245/2006 bzw. 263/2006, 1.7.2006. Republik Österreich/Alliierte und assoziierte Mächte: Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye. In: Staatsgesetzblatt (St.GBl.), 303/1920, 10.9.1919. Republik Österreich/Republik Slowenien: „Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Slowenien über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft.“ In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) III, 90/2002, 1.5.2002.

4.2 Literatur Kletzander, Helmut: „Europarat kritisiert Volksgruppenpolitik. Sachverständige bescheinigen Österreich mangelhafte Vertragserfüllung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“. In: Kärntner Jahrbuch für Politik, 2005: 197–220. Novak, Anton: Der Rechtsschutz der slowenischen Minderheit in Österreich vor dem Hintergrund des neuen völkerrechtlichen Minderheitenschutzes. [Pravno varstvo slovenske manjšine v Avstriji v luči novejšega mednarodnopravnega manjšinskega varstva], Klagenfurt/Celovec: Mohorjeva 2005. Tichy, Heinz: Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und das österreichische Recht, Klagenfurt/Celovec: Mohorjeva/Hermagoras 2000.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (ii), b (ii), c (iii), d (iv), e (iii), f (iii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2a

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iii), c; 2b, d; 4a; 5

Artikel 11 (Medien)

1b (ii), c (ii), d, e (i), f (ii); 2

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, d; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1d

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

b

Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner (Gießen)

Polen (Rzeczpospolita Polska) 1 Vorgeschichte Seit dem politisch-ökonomischen Umbruch von 1989 bemühte sich Polen intensiv um die Integration in die institutionellen Strukturen der Europäischen Union (EU). Am 26.11.1991 – bereits zwei Jahre nach der politischen Wende – trat Polen dem Europarat bei. Am 8.4.1994 beantragte Polen gemäß seiner außenpolitischen Integrationsabsicht die EU-Mitgliedschaft, der am 9./10.12.1994 in Essen entsprochen wurde. Nach der Unterzeichnung des in Verhandlungen mit der EU erarbeiteten Beitrittstraktates am 16.4.2003 und dem zum Beitritt abgehaltenen Referendum vom 7./8.6.2003 wurde Polen am 1.5.2004 in die EU aufgenommen. Der integrative Wandel in der Minderheiten- und Minderheitensprachenpolitik wird durch Artikel 35 der polnischen Verfassung vom 2.4.1997 eingeleitet, in dem die Freiheit auf Wahrung und Entwicklung der eigenen Sprache sowie das Recht auf Gründung eigener Bildungsinstitutionen garantiert werden. 2005 verabschiedet Polen ein spezielles Minderheitengesetz – das Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten und über die Regionalsprache (GüneMR). Im genannten Gesetz wird im Artikel 2 das Spektrum der geschützten Minderheiten auf 13 festgelegt: Neun nationale Minderheiten (Armenier, Belarussen, Deutsche, Juden, Litauer, Russen, Slowaken, Tschechen und Ukrainer) und vier ethnische Minderheiten (Karäer, Russinen, Roma, Tataren). Darüber hinaus wurde im selben Gesetz dem Kaschubischen der Status einer Regionalsprache zuerkannt. Im Artikel 8 des GüneMR werden die Rechte in Bezug auf den Gebrauch der Minderheitensprachen und der Regionalsprache geregelt: Mitglieder der genannten Minderheiten-Gemeinschaften verfügen über das Recht auf freie Verwendung der Minderheitensprachen und der Regionalsprache im privaten und öffentlichen Leben, über das Recht auf den Austausch und die Verbreitung von Informationen in den Minderheitensprachen und in der Regionalsprache, über das Recht, Informationen privaten oder öffentlichen Charakters in der jeweiligen Minderheitensprache oder der Regionalsprache zu veröffentlichen, und das Recht auf das Erlernen der oder das Lernen in den Minderheitensprachen oder der Regionalsprache. Das Gesetz verpflichtet die zuständigen Organe zu einer alle zwei Jahre stattfindenden Berichterstattung über die Realisierung der Gesetzesbeschlüsse. Im Rahmen zahlreicher bilateraler Abkommen unterschiedlicher Art (über Kooperationen in Kultur, Bildung und Wirtschaft, über gute Nachbarschaft u.a.) zwischen Polen und Deutschland, Belarus, der Ukraine, Russland sowie Litauen

212 

 Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner

wird in den Vertragsländern ein gegenseitiger weitverstandener Schutz der Minderheitensprachen im privaten und öffentlichen Bereich zugesichert.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Polen unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 12.5.2003 und ratifizierte sie am 12.2.2009, so dass sie am 1.6.2009 in Kraft trat. Der gesamte Ratifizierungsprozess dauerte sechs Jahre. Er setzte nach der Unterzeichnung des EU-Beitrittstraktats durch Polen am 16.4.2003 ein und wurde fünf Jahre nach dem Beitritt (1.5.2004) nach mehrmaligen Mahnungen des Europarates zum Abschluss gebracht. Polen reichte den ersten Staatenbericht am 30.9.2010 ein. Fünf Monate später  – im Februar 2011 – stattete der Sachverständigenausschuss dem Land einen Besuch ab. Der Sachverständigenbericht wurde dem Ministerkomitee am 5.5.2011 vorgelegt. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen sieben Monate später, am 7.12.2011.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde vom polnischen Innenministerium in Kooperation mit weiteren zuständigen Regierungsorganen erstellt. Sein Inhalt wurde mit der „Gemeinsamen Kommission der Regierung und der Nationalen und Ethnischen Minderheiten“ (Komisja Wspólna Rządu i Mniejszości Narodowych i Etnicznych) besprochen. Die Kommission wird von Vertretern aller Minderheitengruppen sowie von Vertretern der Regionalsprache gebildet.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument benannte Polen Deutsch, Kaschubisch, Belarussisch, Ukrainisch, Russisch, Litauisch, Russinisch, Tschechisch, Slowakisch und Tata-

Polen 

 213

risch als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta und Romanes, Armenisch, Jiddisch, Hebräisch und Karäisch als nichtterritoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta. Für alle genannten Sprachen wurden unabhängig von ihrem faktischen Zustand oder ihrer Gebrauchsmöglichkeit dieselben Artikel und Bestimmungen des Teils III (Art. 8–14) ratifiziert. Gleichermaßen also für die Sprachen, die über viele Sprecher verfügen – wie z.B. das Deutsche – und Sprachen, die nachweislich keine oder nur wenige Sprecher (s. Tabelle) haben. Das Ratifizierungsvorhaben wurde vom Sachverständigenausschuss als sehr ambitioniert und als eine große Verpflichtung charakterisiert. Für die geschützten Sprachen Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Romanes, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch wurde daher in enger Kooperation mit ihren Vertretern das Schaffen einer einheitlichen Politik sowie das Unternehmen flexibler Schritte empfohlen, die die Implementierung der Charta-Beschlüsse fördern würden. Die polnische Seite verwies in dem Zusammenhang auf die konstitutionell gesicherte Gleichberechtigung aller polnischen Bürger und somit auf die Unmöglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Sprachträger. Das Ministerkomitee schloss sich der Meinung des Sachverständigenausschusses in der Aussprache seiner Empfehlungen an. Klärungsbedarf wurde vom Sachverständigenausschuss in dem Evaluationsbericht für das Schlesische festgestellt. Der Sachverständigenausschuss erbat von den polnischen Behörden eine fachlich gestützte Stellungnahme zum Status des schlesischen Idioms – eines Idioms, das im südlichen Teil Polens gesprochen wird und dessen Gebrauch von über 56.643 Respondenten im Zensus von 2002 deklariert wurde. Mit der Klärung der Frage nach dem Status des Schlesischen (Dialekt des Polnischen oder eine separate Sprache) wurde vom polnischen Innenminister der linguistische Fachausschuss an der Polnischen Wissenschaftsakademie Rada Języka Polskiego („Rat für Polnische Sprache“) beauftragt. Laut offizieller Expertenmeinung vom 20.11.2011 sei das Schlesische ein Dialekt des Polnischen und erfülle folglich nicht die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen (vgl. GüneMR und Art. 1 der Charta) für den Schutz. Darüber hinaus wurde seitens der polnischen Behörden das Ersetzen der im Evaluationsbericht gebrauchten Wendung ‚schlesische Sprache‘ durch die Wendungen ‚schlesischer Dialekt‘ oder ‚schlesischer Ethnolekt‘ vorgeschlagen. Laut Angaben des ersten Staatenberichts stellte sich die zahlenmäßige Verteilung der Minderheitensprachensprecher und Sprecher der Regionalsprache wie folgt dar:

214 

 Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner

Bevölkerung nach Angaben über Sprache im häuslichen Gebrauch (2002) Nationale und ethnische Minderheit, Sprecher der Regionalsprache

Zahl

(%)

Σ Deutsche

196.841

0,5

Belarussen

40.226

0,1

Ukrainer

21.055

0,05

Roma

15.657

0,04

Russen

12.125

0,03

Litauer

5.696

0,01

Russinen

5.605

0,01

Tschechen

1.226

0,003

Slowaken

794

0,002

Armenier

321

0,0008

Juden

243

0,0006

9

0,00002

---

0,0

52.665

0,1

Tataren Karäer Kaschuben

Der Sachverständigenausschuss stellte nach den Vor-Ort-Gesprächen mit Minderheiten- und Regionalsprachenvertretern in seinem Bericht die Glaubwürdigkeit der von der polnischen Seite gelieferten und auf dem Zensus von 2002 beruhenden Angaben über die Anzahl und geographische Verteilung der Minderheiten in Frage und erbat eine Nachprüfung und Ergänzung der Daten. Die polnische Seite sah es nicht ein, der Aufforderung zu folgen und verwies als Begründung auf die im Zensus vom Statistischen Hauptamt angewandten wissenschaftlichen Forschungsmethoden, denen der Sachverständigenausschuss mit seinem Vorgehen die Glaubwürdigkeit der Aussagen einzelner Minderheiten- und Regionalsprachenvertreter gegenüberstellte.

2.3 Geschützte Sprachen Aufgrund der großen Anzahl der in Polen im Rahmen der Charta geschützten Sprachen und der Anwendung derselben Charta-Maßnahmen gleichermaßen auf alle diese Sprachen sowie aus Platzgründen wird im Folgenden auf zwei der fünfzehn geschützten Sprachen exemplarisch eingegangen: Auf das Deutsche als eine territoriale Sprache im Sinne der Charta mit der größten Sprecherzahl und

Polen 

 215

auf das Romanes als eine nichtterritoriale Sprache in der Charta-Nomenklatur und als eine Sprache, die stellvertretend für geschützte Sprachen mit kleineren Sprecherzahlen (Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch, Jiddisch) behandelt wird. Da das Kaschubische zwar den rechtlich gesonderten Status einer Regionalsprache genießt, im Evaluationsbericht und in den Empfehlungen des Ministerkomitees jedoch nicht explizit als solche besondere Behandlung erfährt, erfolgt seine Berücksichtigung partiell in dem die territorialen Sprachen mit großen Sprecherzahlen betreffenden Teil des Beitrags (Kap. 2.3.1.).

2.3.1 Deutsch Im ersten Staatenbericht gab Polen genaue Auskunft über die zahlenmäßige Verteilung der deutschsprachigen polnischen Bürger auf dem polnischen Staatsgebiet. Die Sprecher des Deutschen bildeten die zahlreichste minoritäre Gruppe in Polen (196.841). Deutsch wurde laut Bericht in allen 16 Woiwodschaften von Vertretern der deutschen nationalen Minderheit gesprochen. Ein besonders gehäuftes Auftreten deutschsprachiger Bevölkerung war, laut Bericht, für vier Woiwodschaften zu verzeichnen: Oppeln/Województwo Opolskie (86.311), Schlesien/Województwo Śląskie (46.277), Pommern/Województwo Pomorskie (11.594), Niederschlesien/Województwo Dolnośląskie (10.381). Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht wurden in Polen im Schuljahr 2008/09 in 526 schulischen Einrichtungen (Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, interschulische Gruppe) insgesamt 38.296 Kinder in Deutsch als Muttersprache unterrichtet. Die Anzahl der schulischen Einrichtungen ist im Schuljahr 2009/10 auf 553 angestiegen und hat sich um den Bereich der Berufsschule erweitert. Die Anzahl der unterrichteten Schüler ist, laut Bericht, im Schuljahr 2009/10, im Verglich zum Vorjahr, auf 37.679 gesunken. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung, Bildung in Deutsch als Unterrichtssprache auf der Ebene der Kindergarten-, Grundschul- und Gymnasialbildung aufgrund der wenigen Einrichtungen, die Unterricht in Deutsch anbieten, als nicht erfüllt an. Als teilweise erfüllt wurde vom Sachverständigenausschuss die Integration des Deutschunterrichts in die Curricula der berufsbildenden Einrichtungen angesehen. Die polnische Seite verwies in dem Zusammenhang auf die rechtliche Grundlage des integralen Charakters des Deutschunterrichts in der Berufsausbildung. Der Sachverständigenausschuss empfahl das Zugänglichmachen der Bildung in deutscher Sprache auf allen genannten Ebenen sowie die Sicherung ihrer Kontinuität. Das Ministerkomitee schloss sich der Empfehlung an.

216 

 Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner

Der Bericht informierte über die Erarbeitung (2006) und Verabschiedung (2007) der Bildungsentwicklungsstrategie für die deutsche Minderheit in Polen, die unter Mitwirkung der kommunalen Selbstverwaltungseinheiten, der Leiter der Schulaufsichtsbehörden sowie der deutschen Minderheitenorganisation entstanden ist. Zu den Zielen des Strategiepapiers gehörten laut Bericht: Einrichtung zweisprachiger Schulen mit Polnisch und Deutsch als Unterrichtssprache, Steigerung der Schülerzahlen im Fach Deutsch als Muttersprache in der Sekundarstufe, Erarbeitung von Lehrmaterialien und Curricula sowie die Einrichtung einer Spezialisierung „Didaktik des Deutschen als Minderheitensprache“ an der Universität in Oppeln/Uniwersytet Opolski. Im Bereich der Lehrerbildung sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung zur Aus- und Weiterbildung der Minderheiten- und Regionalsprachenlehrer als nicht erfüllt an. Verwiesen wurde auf fehlende oder unzutreffende Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Die polnische Seite berief sich in ihrer Antwort auf existierende Weiterbildungsprogramme für Deutschlehrer und schlug vor, die Verpflichtung als teilweise erfüllt anzuerkennen. Das Ministerkomitee schloss sich der Meinung des Sachverständigenausschusses an und empfahl die Einrichtung entsprechender Schulungsangebote für Deutschlehrer. Laut Bericht wurde das Deutsche als Studiengang und Studienfach an öffentlichen polnischen Universitäten, polytechnischen Hochschulen, Agrarhochschulen, pädagogischen Hochschulen, Berufshochschulen und nicht öffentlichen Hochschulen studiert. 2008 wurde Deutsch als Studiengang oder Studienfach von insgesamt 13.452 Personen studiert, 3.935 Personen haben das Studium erfolgreich abgeschlossen. Die Verpflichtung sah der Sachverständigenausschuss als erfüllt an. Die im Bereich Bildung genannten Empfehlungen wurden vom Ministerkomitee auch für Belarussisch, Kaschubisch, Russinisch und Ukrainisch ausgesprochen. Justizbehörden: Im ersten Staatenbericht wurde auf die Möglichkeit der Anerkennung der in den Minderheitensprachen und in der Regionalsprache angefertigten Rechtsdokumente hingewiesen. Das „Gesetz über die polnische Sprache“ (Ustawa o języku polskim, Art. 2,2) beeinträchtige nicht die Verwendung des Deutschen sowie es die Gültigkeit der in deutscher Sprache angefertigten Dokumente nicht negativ berühre. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung als erfüllt an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Das Deutsche war laut Bericht in 22 polnischen Gemeinden der Woiwodschaft Oppeln/Województwo Opolskie als Hilfssprache auf Ämtern zugelassen. Die erste Gemeinde, die das Deutsche als Amtshilfssprache 2006 beantragte, war die Gemeinde Radlau/Radłów. In 16 der 22 Gemeinden wurden, laut Bericht, an die Gemein-

Polen 

 217

deämter schriftliche und mündliche Gesuche in deutscher Sprache gerichtet. Diese wurden auch in der entsprechenden Form auf Deutsch beantwortet. Die eingereichten Gesuche betrafen, laut Bericht, verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens: Versicherungen, Steuerwesen, Arbeitsrecht, Umweltschutz u.a. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung zur Einführung des Deutschen auf Ämtern als nicht erfüllt an. Hingewiesen wurde auf die Hürde, die die notwendige Erfüllung der 20-Prozent-Grenze in der Ortsbevölkerung darstellt, was Gemeinden mit 19,9  % deutscher Bevölkerung ausschließen würde. Als weiterer Grund der Nichterfüllung der Verpflichtung wurde die Beschränkung der Einführung des Deutschen als Amtshilfssprache nur auf der Gemeindeebene und nicht, wie vorgenommen, auf der Kreis- und Woiwodschaftsebene angeführt. Das Ministerkomitee schloss sich der Empfehlung nicht nur für das Deutsche an, sondern für alle Minderheitensprachen und die Regionalsprache. Laut dem ersten Staatenbericht wurde das Aufstellen zweisprachiger polnisch-deutscher Namensschilder in 24 polnischen Gemeinden zugelassen: In 22 Gemeinden der Woiwodschaft Oppeln/Województwo Opolskie und in zwei Gemeinden in der Woiwodschaft Schlesien/Województwo Śląskie. Der Sachverständigenausschuss sah nach dem Vor-Ort-Besuch die Verpflichtung zur Aufstellung zweisprachiger deutsch-polnischer Ortsnamensschilder als teilweise erfüllt an und kritisierte die bestehende 20-Prozent-Grenze als Voraussetzung für ihre Aufstellung, die das Anbringen der Schilder in den Gebieten unmöglich mache, in denen die Deutschen keine 20 % der örtlichen Bevölkerung bilden. Der polnischen Seite wurde das Überdenken der Regelung empfohlen. Das Ministerkomitee schloss sich der Empfehlung an. Medien: Der erste Staatenbericht gab genaue Auskunft über die Art der im Fernsehen und im Rundfunk ausgestrahlten Sendungen in deutscher Sprache. Sendungen in deutscher Sprache und zweisprachige deutsch-polnische Sendungen wurden von der Regionalabteilung des Polnischen Fernsehfunks/Telewizja Polska (TVP) in Kattowitz/Katowice und Oppeln/Opole (wöchentliches Magazin Schlesien Journal) ausgestrahlt sowie vom Rundfunk in Kattowitz/Katowice (zweisprachiges polnisch-deutsches, wöchentliches Magazin Pojednanie i Przyszłość („Vereinigung und Zukunft“)) und in Allenstein/Olsztyn (wöchentlich Audycja dla mniejszości niemieckiej [„Hörfunk für die deutsche Minderheit“]). 2009 betrug die Sendezeit auf Deutsch im Polnischen Fernsehen (TVP) insgesamt 37,1 Stunden; Sendungen, die an die deutsche Minderheit gerichtet waren, nahmen im öffentlichen Radio 156,3 Stunden Sendezeit in Anspruch. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung zur Schaffung wenigstens eines Radio- oder Fernsehsenders als nicht erfüllt an. Die bisher in den polnischen Medien ausgestrahlten Programme auf Deutsch seien nicht ausreichend. Der Sachverständigenausschuss empfahl, die Gründung eines öffentlichen Radio- oder Fernseh-

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 Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner

senders in deutscher Sprache für die Gebiete, die von der deutschsprachigen Bevölkerung bewohnt werden. Die polnische Seite verwies in dem Zusammenhang darauf, dass Vertreter der öffentlichen Medien bisher keine Frequenzzuteilung für deutschsprachige Sender beantragt hätten. Über den staatlich-öffentlichen Sektor hinaus seien 2009 zwei deutsche Sendungen vom privaten Radiosender Vanessa ausgestrahlt worden: „Die deutsche Stimme aus Ratibor“ und „Mittendrin“. Die Produktion beider Radiosendungen wurde, laut Bericht, vom polnischen Staat dotiert. Vom Privatsender Park  FM würde wöchentlich die Sendung „Kaffeeklatsch“ ausgestrahlt. Die Produktionskosten dieser Sendung würden seit 2009 ebenfalls vom polnischen Staat mitfinanziert. Als teilweise erfüllt erachtete der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung zur Verbreitung privater deutschsprachiger Radioprogramme. Als nicht erfüllt betrachtete der Sachverständigenausschuss dagegen die Verbreitung privater Fernsehprogramme. Das Ministerkomitee empfahl die Verbesserung des Programmangebotes für das Deutsche und alle anderen Minderheitensprachen sowie die Regionalsprache. Im Bereich der Printmedien wurde im Bericht für den Berichtszeitraum 2009 auf das Erscheinen der vom polnischen Staat dotierten Wochenzeitung Schlesisches Wochenblatt, der Monatszeitschriften Mitteilungsblatt und Masurische Storchenpost sowie der Vierteljahreszeitschrift Zeszyty Edukacji Kulturalnej („Heft für Kultur und Bildung“) hingewiesen. Aufgrund der Zweisprachigkeit des Schlesischen Wochenblatts sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung als teilweise erfüllt an und regte zur Gründung einer Tageszeitung in deutscher Sprache an. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht beschränkte sich für das Deutsche auf die Angaben über die Höhe der staatlichen Subventionen aller Art für die Jahre 2009 und 2010, die die Implementierung des Artikels ermöglichten. Im allgemeinen Berichtsteil wurden zahlreiche kulturelle Organisationen wie z.B. Niemieckie Towarzystwo Kulturalno-Społeczne w woj[ewództwie]. Łódzkim („Deutsche Kulturell-Soziale Gesellschaft in der Woiwodschaft Lodz“) oder Niemieckie Towarzystwo Oświatowe („Deutsche Bildungsgesellschaft“) genannt, die sich die Wahrung und Entwicklung der deutschen Sprache zur Aufgabe gemacht hätten. Insgesamt wurden im Bericht 64 solcher Organisationen genannt. Der Sachverständigenausschuss erachtete die im Bericht gelieferten Informationen als unzureichend und bat um Ergänzungen in der nächsten Berichtsperiode. Wirtschaftliches und soziales Leben: Im ersten Staatenbericht wurde zwar auf die rechtskräftige Möglichkeit der Verwendung der Minderheitensprachen und der Regionalsprache im wirtschaftlichen und sozialen Leben hingewiesen, konkrete Verwendungsfälle für den Berichtszeitraum für das Deutsche wurden jedoch

Polen 

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nicht genannt. Der Sachverständigenausschuss verwies auf die fehlende rechtliche Grundlage zur Realisierung der Verpflichtung zum Schutz vor dem Verbot der Verwendung der Minderheitensprachen und der Regionalsprache in internen Firmenregelungen und privaten Dokumenten. Die polnische Seite verwies in dem Zusammenhang auf die Menschenrechte sowie auf das Urteil des Verfassungsgerichtes vom 13.9.2005, in dem die Kommunikationssprache zwischen den Seiten im weitverstandenen privaten Verkehr im Prinzip beliebig sein könne. Darüber hinaus sichere Artikel 8,1 des GüneMR das Recht auf Informationsvermittlung und -austausch in der jeweiligen Minderheitensprache und der Regionalsprache. Die polnische Seite schlug dem Sachverständigenausschuss vor, die Verpflichtung als erfüllt anzusehen. Grenzüberschreitender Austausch: Der Bericht gab genaue Auskunft darüber, im Rahmen welcher bilateralen Abkommen zwischen Polen und Deutschland der grenzüberschreitende Austausch stattfinde. Genannt wurden vier Abkommen: Abkommen über Kooperation im Bereich Kultur (1999), Abkommen über Anerkennung der Äquivalenz in der Hochschulbildung (1997), Abkommen über Einrichtung des Collegium Polonicum in Słubice (2002) und der Vertrag über gute Nachbarschaft (1992). Die Verpflichtung zu grenzüberschreitendem Austausch sah der Sachverständigenausschuss als erfüllt an.

2.3.2 Romanes Romanes wurde laut Bericht nach den Daten des Zensus von 2002 im häuslichen Bereich von 15.657 Personen gesprochen. Roma gelten laut GüneMR als eine ethnische Minderheit. Romanes würde nicht nur von Angehörigen dieser Minderheit gesprochen, sondern auch Personen, die diese Zugehörigkeit nicht deklarierten, umfassen. Im Bericht wurde die detaillierte geographisch-administrative Verteilung des Auftretens dieser Sprache aufgeführt. Romanes wurde demnach in allen 16 polnischen Woiwodschaften in unterschiedlicher quantitativer Ausprägung gesprochen. Im Bericht wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Roma-Kultur eine von oraler Tradition geprägte Kultur sei und dass keine einheitlich kodifizierte Roma-Schriftsprache existiere. Das 1990 im Rahmen eines in Polen stattgefundenen Kongresses International Romani Union erarbeitete Standardisierungsprojekt des Romanes konnte, laut Bericht, nicht wirklich umgesetzt werden. Als Ursache für das Defizit im Bereich der Sprachunifizierung des Romanes wurde die Einstellung der Roma selbst genannt, die auf die distinktive Funktion der jeweiligen dialektalen Varianten nicht verzichten möchten. Eine weitere für die Roma selbst unerwünschte Standardisierungsfolge wäre die Erwerbsmöglichkeit

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des Romanes für Menschen, die der ethnischen Gruppe nicht angehören, was die Hermetik der Gruppe bedrohen würde. Zugleich wurde im Bericht festgestellt, dass eine sich abzeichnende Polonisierungstendenz des Romanes seine Kreolisierung verursachen könne. Um der Kreolisierung entgegenzuwirken, wurde im Bericht auf die Notwendigkeit der schriftlichen Kodifikation des Romanes und seine schulische Verbreitung unter den Roma-Kindern hingewiesen. Bildung: Nach Angaben des Berichtes fand im Jahr 2009 in den Schulen in Polen aufgrund der mangelnden Kodifizierung kein Romanesunterricht statt. Die Einführung des Romanes in den öffentlichen Schulen als Unterrichtsfach befände sich in Vorbereitung. In Kooperation mit Vertretern der Roma-Minderheit werde, laut Bericht, am didaktischen Material gearbeitet. 2008 sei eine Expertengruppe für die Angelegenheiten des Romanes einberufen worden. Der Bericht nannte als Ergebnis der Expertengruppenarbeit einen Standardisierungsvorschlag des Romanes, der die dialektalen Unterschiede des Idioms berücksichtige, die Veröffentlichung einer Fibel im Dialekt Polska Roma und einer im Dialekt Bergitka Roma („Karpaten Roma“) sowie die Entwicklung einer multimedialen Version der Fibel und eines allgemeinen Internetinformationsportals. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung, Bildung in Romanes als Unterrichtssprache auf der Ebene der Kindergarten-, Grundschul- und Gymnasialbildung anzubieten, als nicht erfüllt an. Als nicht erfüllt galt diese Verpflichtung, der Meinung des Sachverständigenausschusses nach, auch für Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch. Ebenfalls als nicht erfüllt wurde vom Sachverständigenausschuss die Integration des Romanesunterrichts in die Curricula der berufsbildenden Einrichtungen angesehen. Der Sachverständigenausschuss regte zu einer solchen Integration von Romanes sowie Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch an. Die Verpflichtung zur Schaffung der Studiermöglichkeit von Romanes wurde von dem Sachverständigenausschuss als nicht erfüllt klassifiziert. Ebenfalls nicht erfüllt wurde die Verpflichtung, der Meinung der Experten nach, für Karäisch, Tatarisch und Jiddisch, erfüllt dagegen im Falle folgender Sprachen mit kleineren Sprecherzahlen: Armenisch, Tschechisch, Russisch, Slowakisch. Im Bereich der Lehrerbildung sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung zur Aus- und Weiterbildung der Romaneslehrer als nicht erfüllt an und regte zu Entwicklung und Ausbau der Weiterbildung an. Dieselbe Anregung bezog sich im Evaluationsbericht auf Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch. Justizbehörden: Im ersten Staatenbericht wurde auf die Möglichkeit der Anerkennung der in den Minderheitensprachen und in der Regionalsprache angefertigten Rechtsdokumente hingewiesen. Das Gesetz über die polnische

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Sprache (Art. 2,2) beeinträchtige nicht die Verwendung des Romanes sowie es die Gültigkeit der in Romanes angefertigter Dokumente nicht negativ berühre. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung als erfüllt an. Die positive Konstatierung galt gleichermaßen für Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der Staatenbericht nannte keine Gemeinden, in denen Romanes als Hilfssprache auf Ämtern eingeführt wurde sowie er keine Realisierungsfälle für die Aufstellung zweisprachiger Schilder anführte. Von der Möglichkeit, die Eigennamen in Romanes umzuschreiben, hätten bisher zwei Personen Gebrauch gemacht. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung zur Einführung des Romanes auf Ämtern als nicht erfüllt an. Er verwies auf die Hürde, die die notwendige Erfüllung der 20-Prozent-Grenze in der Ortsbevölkerung darstelle, und regte zu einer gemeinsamen (mit Vertretern des Romanes) Neubestimmung der Gebiete an, in denen die Anzahl seiner Sprecher seine Verwendung auf Ämtern rechtfertigen würde. Die Auswirkungen der 20-Prozent-Grenze wurden vom Sachverständigenausschuss als Charta-konträr gesehen. Als weiterer Grund der Nichterfüllung der Verpflichtung wurde die Beschränkung der Einführung des Romanes als Amtshilfssprache nur auf der Gemeindeebene und nicht, wie ratifiziert, auf der Kreisund Woiwodschaftsebene genannt. Ebenfalls als nicht erfüllt galt die Verpflichtung für Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung zur Aufstellung zweisprachiger Ortsnamensschilder als nicht erfüllt an und kritisierte die bestehende 20-Prozent-Grenze als Voraussetzung für ihre Aufstellung, die das Anbringen der Schilder in den Gebieten unmöglich mache, in denen die Vertreter der Roma-Minderheit keine 20 % der örtlichen Bevölkerung bilden. Der polnischen Seite wurde das Überdenken der Regelung in Bezug auf alle Minderheitensprachen und die Regionalsprache empfohlen. Das Ministerkomitee schloss sich der Empfehlung an. Ebenfalls als nicht erfüllt galt die Verpflichtung für Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch. Die Verpflichtung zur Ermöglichung der Eigennamenumschreibung sah der Sachverständigenausschuss für Romanes als faktisch erfüllt an. Ebenfalls als faktisch erfüllt wurde sie für Armenisch und Russisch konstatiert. Als formal erfüllt galt sie, der Meinung der Experten nach, für Tschechisch, Karäisch, Slowakaisch, Tatarisch und Jiddisch, wo es noch nicht zu Umschreibungen kam. Medien: Laut dem ersten Staatenbericht wurden im Berichtszeitraum 2009 Fernsehsendungen in Romanes von der Regionalabteilung des Polnischen Fernsehens TVP in Krakau/Kraków und vom Radio Köslin/Koszalin ausgestrahlt. Im Fernsehen werde monatlich die Informationssendung Informator Romski aus-

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gestrahlt und im Radio Koszalin zweimal pro Woche die zehnminütige Sendung Magazyn Romski („Roma-Magazin“). Insgesamt hätte 2009 die Sendezeit in der Roma-Sprache im Polnischen Fernsehen TVP 2,8 Stunden betragen, Sendungen, die an die Roma-Minderheit gerichtet waren, nähmen im öffentlichen Radio 17,4 Stunden Sendezeit in Anspruch. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung zur Schaffung eines Programmangebotes in Romanes als teilweise erfüllt für das Radio und als nicht erfüllt für das Fernsehen an. Analog galt die Entscheidung über die Erfüllung der Verpflichtung für das Russische. Als nicht erfüllt galt sie für Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch. Der Sachverständigenausschuss regte die Verbesserung des Programmangebotes in Romanes und für andere weniger gesprochene Sprachen an. Das Ministerkomitee schloss sich der Anregung in der Aussprache einer analogen Empfehlung für alle Minderheitensprachen und die Regionalsprache an. Die polnische Seite verwies in dem Zusammenhang auf das Faktum, dass Vertreter der Roma-Minderheit sowie Vertreter der genannten Minderheitensprachen bisher keinen Konzessionsantrag auf Verbreitung der Fernseh- oder Radiosendungen in ihren Sprachen gestellt hätten. Von der polnischen Seite wurde auch auf die bereitgestellten rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten hingewiesen, deren Nutzung von dem Engagement der Minderheiten- und Regionalsprachenvertreter abhänge. Im Bereich der Printmedien wurde im Bericht für den Berichtszeitraum 2009 auf das Erscheinen der vom polnischen Staat dotierten Monatszeitschrift Dialog – Pheniben und auf zwei Periodika, die alle zwei Monate erscheinen, Rom pro Drom und Romano Atmo, hingewiesen. Der Meinung des Sachverständigenausschusses nach war die Verpflichtung aufgrund des seltenen Erscheinens der genannten Periodika und aufgrund des geringen minderheitensprachlichen Anteils als nicht erfüllt zu konstatieren. Als nicht erfüllt aus denselben Gründen wurde die Verpflichtung auch für Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch angesehen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht beschränkt sich für Romanes in dem Punkt nur auf die Angaben über die Höhe der staatlichen Subventionen aller Art für die Jahre 2009 und 2010, die die Implementierung des Artikels ermöglichen. Im allgemeinen Berichtsteil wurden zahlreiche kulturelle Organisationen wie z.B. Stowarzyszenie Społeczno-Kulturalne Romów („Sozial-Kulturelle Vereinigung der Roma“) genannt, die sich die Wahrung und Entwicklung der Roma-Sprache zur Aufgabe gemacht haben. Insgesamt wurden im Bericht 75 solcher Organisationen genannt. Der Sachverständigenausschuss erachtete die im Bericht gelieferten Informationen als unzureichend, wodurch die Einschätzung der Verpflichtungserfüllung für Romanes als nicht möglich konstatiert wurde, und bat um

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Ergänzungen in der nächsten Berichtsperiode. Analog wurde die Realisierungssituation für Artikel 12,1b–g der Charta auch für das Armenische, Tschechische, Karäische, Russische, Slowakische, Tatarische und Jiddische bewertet. Die Verpflichtung laut Artikel 12,1a wurde für Tatarisch als nicht erfüllt und für Jiddisch als erfüllt bewertet. Während des Vor-Ort-Besuches hätten Tatarischsprecher über das Fehlen von Tatarischlehrkräften geklagt, die das vorbereitete Gesangsbuch popularisieren könnten. Das Jiddische und die jüdische Kultur konnten dagegen erfolgreich im Rahmen einer Kindertheatergruppe und im Rahmen von Kunstworkshops verbreitet werden. Über die Verpflichtung zur Verbreitung des Minderheiten- und Regionalsprachenwissens im Inland konnte aufgrund fehlender Daten noch keine Einschätzung vom Sachverständigenausschuss erfolgen, wohingegen die Verpflichtung zur Verbreitung des Wissens über Minderheitenund Regionalsprachen im Ausland für Romanes und andere weniger gesprochene Sprachen als nicht erfüllt konstatiert wurde. Wirtschaftliches und soziales Leben: Im ersten Staatenbericht wurde zwar auf die rechtskräftige Möglichkeit der Verwendung der Minderheitensprachen und der Regionalsprache hingewiesen, konkrete Verwendungsfälle für den Berichtszeitraum für die Roma-Sprache wurden jedoch nicht genannt. Der Sachverständigenausschuss verwies auf die fehlende rechtliche Grundlage zur Realisierung der Verpflichtung zum Schutz vor dem Verbot der Verwendung der Minderheitensprachen und der Regionalsprache in internen Firmenregelungen und privaten Dokumenten. Die polnische Seite verwies in dem Zusammenhang auf die internationalen Menschenrechte sowie auf das Urteil des polnischen Verfassungsgerichtes vom 13.9.2005, in dem die Kommunikationssprache zwischen den Seiten im weitverstandenen privaten Verkehr im Prinzip beliebig sein könne. Darüber hinaus sichere Artikel 8,1 des GüneMR das Recht auf Informationsvermittlung und -austausch in der jeweiligen Minderheitensprache und der Regionalsprache. Die polnische Seite schlug dem Sachverständigenausschuss vor, die Verpflichtung als erfüllt anzusehen. Grenzüberschreitender Austausch: Der Staatenbericht lieferte keine Informationen über Tätigkeiten in Bezug auf Romanes im Rahmen des Artikels. Der Sachverständigenausschuss sah die von Polen ratifizierte Verpflichtung als unzureichend dokumentiert an, wodurch eine Aussage über ihre Erfüllung nicht möglich sei. Analoges gilt, der Meinung des Sachverständigenausschusses nach, für Armenisch, Karäisch, Tatarisch und Jiddisch. In Bezug auf das Tschechische, Russische und Slowakische wurde die Verpflichtung zur Anwendung und Schaffung bilateraler und multilateraler Abkommen aufgrund bestehender Dokumente als erfüllt anerkannt. Die Verpflichtung zur Unterstützung der Kooperation zwischen den Sprachverbreitungsgebieten auf lokaler und regionaler Ebene sah der Sachverständigenausschuss für Romanes als nicht erfüllt an. Diese Einschätzung galt

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 Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner

auch für das Armenische, Karäische, Tatarische und Jiddische. Die bestehenden bilateralen Abkommen zwischen Polen, Tschechien, der Slowakei und Russland trugen zur Anerkennung der Verpflichtung als erfüllt bei.

3 Bewertung Die Ratifizierung der Charta hat Polens Minderheitensprachenpolitik nicht wesentlich verändert, sie jedoch in den europäischen Rechtsrahmen eingebettet. Die wesentlichsten Veränderungen wurden durch das erwähnte GüneMR eingeleitet, dessen Sprachenspektrum und Regelungen sich in den von Polen ratifizierten Charta-Maßnahmen widerspiegeln. Der erste abgeschlossene Charta-Berichtszyklus verlief, womöglich aufgrund seines Neuerungscharakters für Polen, eher verzögert. Von der Einreichung des ersten Staatenberichtes bis zur Veröffentlichung der Empfehlungen des Ministerkomitees vergingen fast 15 Monate. Konfliktpotenzial zwischen Polen und dem Europarat lieferte die kritische Einstellung des Sachverständigenausschusses zur Gültigkeit und Wissenschaftlichkeit der Volkszählung von 2002, die die Grundlage der Minderheiten-und Regionalsprachenpolitik in Polen bildet. Der Sachverständigenausschuss brachte mehrmals zum Ausdruck, dass das von Polen gewählte Sprachenspektrum und die ratifizierten Charta-Maßnahmen im Falle der weniger gesprochenen Sprachen (Armenisch, Tschechisch, Karäisch, Romanes, Russisch, Slowakisch, Tatarisch und Jiddisch) ein sehr ambitioniertes Vorhaben und eine große Verpflichtung darstelle. Dies scheint die vorsichtige Rücksichtnahme des Sachverständigenausschusses und des Ministerkomitees in dem Zusammenhang motiviert zu haben. Die Rücksichtnahme findet ihren Ausdruck in der kumulativen Behandlung dieser Sprachen im Evaluationsbericht und in dem Verzicht auf die explizite Aussprache der Empfehlungen hinsichtlich der einzelnen genannten Sprachen. Im entsprechenden Berichtsteil wird zu Tätigkeiten zugunsten der genannten Sprachen unter ständigem Hinweis auf sprachsituationsgerechte, flexible Handlungen angeregt und ermutigt. Die Situation der Sprachen mit kleineren Sprecherzahlen ist noch sehr ausbaubedürftig und erfordert eine separate, flexible Unterstützung seitens der polnischen Regierung in Absprache mit ihren jeweiligen Vertretern, damit die Charta-Beschlüsse realisiert werden können. Positive Folgen haben die Ausbauanstrengungen (Kodifizierung, Schaffung von Lehrmaterialien) schon im Falle des Romanes gezeigt. Auch im Falle der Sprachen mit großen Sprecherzahlen (Deutsch, Belarussisch, Litauisch, Kaschubisch, Russinisch und Ukrainisch) weicht der aktuelle

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Implementierungsgrad der gewählten Schutzmaßnahmen von der vorgenommenen Schutzabsicht ab. Trotzdem ist, wie den Berichten und Expertenmeinungen zu entnehmen, die Schutzsituation dieser Sprachen besser.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Poland, 30.9.2010. [= 1. Staatenbericht] Realizacja postanowień Karty w Polsce. Początkowy cykl monitorowania. Raport Komitetu Ekspertów ds Karty, 7.12.2011. [= 1. Evaluationsbericht] Zalecenia Komitetu Ministrów Rady Europy w sprawie stosowania Karty przez Polskę, 7.12.2011. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Republik Polen: „Konstytucja Rzeczpospolitej Polskiej [Verfassung der Republik Polen]“. In: Dziennik Ustaw, 78/1997, poz. 483, 2.4.1997. Republik Polen: „Ustawa o języku polskim z późn. zm. [Gesetz über die polnische Sprache mit spät. Änd.]“. In: Kancelaria Sejmu, 90/1999, poz. 999, 7.10.1999. Republik Polen/Bundesrepublik Deutschland: „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit.“ In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 68, 18.6.1991: 541–546, 17.6.1991. Republik Polen/Bundesrepublik Deutschland: „Äquivalenzabkommen über die gegenseitige Anerkennung der Hochschulabschlüsse zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen.“ In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) II/1997, Nr. 20, 23.6.1997. Republik Polen/Bundesrepublik Deutschland: Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über kulturelle Zusammenarbeit, 4.1.1999. Republik Polen/Land Brandenburg: „Abkommen zwischen dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und dem Minister für Nationale Bildung und Sport der Republik Polen über das Collegium Polonicum in Słubice.“ In: Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) I/2003, Nr. 4, 24.3.2003: 47, 2.10.2002. Republik Polen/Ministerstvo Spraw Wewnętrzych: „Ustawa o mniejszościach narodowych i etnicznych oraz o języku regionalnym [Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten und über die Regionalsprache]“. In: Dziennik Ustaw, 62/2005, poz. 550, 6.1.2005.

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 Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner

4.2 Literatur Wingender, Monika / Wiśniewiecka-Brückner, Katarzyna: „Konjunktur für Minderheitensprachen. Polens Sprachpolitik und das Kaschubische“. In: Osteuropa 57/11, 2007: 211–224. Wiśniewiecka-Brückner, Katarzyna: „Kleine Sprachen und kleine Kulturen in Polen: Kaschubisch und Schlesisch: Die Rolle der Sprache in der Darstellung und Konstruktion der Identität“. In: Christian Prunitsch (Hrsg.): Konzeptualisierung und Status kleiner Kulturen. Beiträge zur gleichnamigen Konferenz in Dresden vom 3. bis 6. März 2008, München/Berlin: Verlag Otto Sagner 2009: 255–276. – „Die ECRM in einem Ratifizierungsland des ‚neuen‘ Europa – Polen. Neuer Rahmen – alte Regelungen“. In: Franz Lebsanft / Monika Wingender (Hrsg.): Die Sprachpolitik des Europarats. Die ‚Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen‘ aus linguistischer und juristischer Sicht, Berlin/Boston: de Gruyter 2012: 133–150.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (i), b (i), c (i), d (iii), e (ii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

2a

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

2b, g; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), f (ii), g; 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–g; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1b–d; 2b

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Wolfgang Dahmen (Jena)

Rumänien (România)

1 Vorgeschichte Rumänien ist eines der südosteuropäischen Länder, das seine Entstehung dem Zusammenbruch der großen multiethnischen Staatsgebilde verdankt, die über Jahrhunderte hinweg das Antlitz dieser Region prägten. Obwohl als Nationalstaat konzipiert und aus den letztlich erfolgreichen Kämpfen der jeweiligen Nationalbewegung heraus entstanden, bietet keines der Länder Südosteuropas ein ethnisch homogenes Bild. Trotzdem ist Rumänien insofern noch einmal ein Sonderfall, als das Land so viele (auch gesetzlich anerkannte) Minderheiten hat wie kein anderes Land in Europa, wenn man von Russland absieht. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass aufgrund der historischen Entwicklung im 20. Jahrhundert, also in historisch nicht weit zurückliegender Zeit, territoriale Veränderungen starken Ausmaßes stattfanden, die dazu geführt haben, dass in einigen Gebieten Rumäniens die Angehörigen der früheren Titularnation zur Minderheit wurden und umgekehrt – ein Prozess, dessen Folgen auch heute noch Auswirkungen im Zusammenhang mit den durch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen geforderten Maßnahmen haben, so dass hier ein kurzer Blick auf die historischen Voraussetzungen seit der Gründung eines ersten rumänischen Staates geworfen werden muss, wenn man die Bedeutung sprachpolitischer und -planerischer Maßnahmen in der heutigen Zeit sowie die auf verschiedenen Seiten durchaus noch vorhandenen Animositäten verstehen will. Rumänien besteht im Wesentlichen aus drei großen historischen Einheiten, der Walachei mit Bukarest (Bucureşti) als Hauptstadt, der Moldau mit Jassy (Iaşi) als Zentrum sowie Siebenbürgen mit Klausenburg (Cluj-Napoca, ungar. Kolozsvár) als bedeutendster Stadt. Die Walachei und die Moldau waren lange Zeit vom Osmanischen Reich abhängig und diesem tributpflichtig, besaßen aber eine größere Autonomie als die Länder des westlichen Balkans. Mit der Wahl Alexandru Ioan Cuzas zum Fürsten der Moldau und anschließend zum Fürsten der Walachei im Jahre 1859 und der damit verbundenen Realunion der Donaufürstentümer wurden die europäischen Großmächte vor vollendete Fakten gestellt, doch dauerte es bis zum Berliner Kongress im Jahre 1878, bis Rumänien (das nunmehr auch so hieß) die volle Souveränität erlangte. In den Donaufürstentümern lebten und leben noch heute verschiedene Minderheiten (v.a. in der Dobrudscha), die aber zahlenmäßig eher gering sind.

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 Wolfgang Dahmen

Anders sah die Situation in Siebenbürgen aus, das zunächst Kronland des Habsburger Reiches war. Hier waren die Rumänen – im Gegensatz zu Deutschen, Szeklern und Magyaren – nicht als „natio“ anerkannt, was spätestens mit dem Aufkommen eines rumänischen Nationalbewusstseins im Zusammenhang mit der Siebenbürgischen Schule am Ende des 18. Jahrhunderts zu Konflikten führte. Nach kurzfristigen Verbesserungen wurden mit dem österreichisch-ungarischen „Ausgleich“ und dem ungarischen Nationalitätengesetz von 1868 den Rumänen zuvor gewährte Rechte genommen, was unter anderem eine Magyarisierung von Eigennamen sowie den verstärkten Ausbau des ungarischen Schulsystems zur Folge hatte und zu anti-magyarischen Stimmungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert führte; hier liegen Gründe für manche in der heutigen Zeit vertretene nationalistische Positionen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges änderte sich die Situation komplett. Rumänien blieb bis 1916 neutral, trat dann auf Seiten der Ententemächte in den Krieg ein und wurde nach dessen Ende im Vertrag von Trianon mit weitgehenden territorialen Zugewinnen belohnt, darunter v.a. Siebenbürgen, dazu Bessarabien, die Bukowina sowie die südliche Dobrudscha, was sowohl das Staatsterritorium als auch die Bevölkerungszahl mehr als verdoppelte („Großrumänien“), zugleich aber den Staat vor das Problem der Integration zahlreicher ethnischer Minderheiten stellte. In Siebenbürgen betrieb Rumänien in der Folgezeit eine Sprachpolitik, die in manchem der ungarischen im halben Jahrhundert zuvor mit umgekehrten Vorzeichen entsprach, so dass sich nunmehr ungarische Bewohner Siebenbürgens heftig beklagten. Ein bezeichnendes Beispiel sind etwa die Sprachprüfungen, denen sich jetzt ungarische und deutsche Lehrer in ähnlicher Form unterziehen mussten, wie wenige Jahre zuvor rumänische Lehrer sich einer Ungarischprüfung hatten stellen müssen (was etwa Liviu Rebreanu, einer der bedeutendsten rumänischen Romanciers, sehr ausführlich beschreibt). Im Wiener Schiedsspruch von 1940 (in Rumänien sicherlich nicht unberechtigt als „Wiener Diktat“ bezeichnet) verfügte Hitler dann die Abtretung Nordsiebenbürgens einschließlich der Stadt Klausenburg an Ungarn, was kurzfristig wiederum dazu führte, dass sich die Verhältnisse um 180 Grad drehten. Mit dem Wechsel auf die Seite der Alliierten im Sommer 1944 änderte sich dann erneut die Situation, und bereits 1945 gewann Rumänien Nordsiebenbürgen zurück. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Rumänien ein von der Kommunistischen Partei Rumäniens (die mehrfach ihren Namen änderte) kontrollierter Staat, in dem das traditionelle Minderheitenproblem in Siebenbürgen immer wieder auftauchte. Die zunächst zwei bedeutendsten nationalen Minderheiten, Ungarn und Deutsche, erfuhren dabei eine unterschiedliche Behandlung: Die Ungarn, deren Zahl Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts fast 1,6 Mio. (= mehr als 9 % der Gesamtbevölkerung Rumäniens) betrug (Illyés

Rumänien 

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1981, 54), wurden zunächst als Angehörige eines sozialistischen „Brudervolkes“ begünstigt. In der Verfassung von 1952 wurde den Ungarn im traditionellen Szeklergebiet Autonomie gewährt sowie der freie Gebrauch des Ungarischen in der Schule garantiert. Nach dem Ungarnaufstand 1956 wurden dann jedoch manche Zugeständnisse wieder zurückgenommen, territorial-administrative Veränderungen zu Ungunsten der ungarischen Minderheit vorgenommen und verstärkt rumänische Verwaltungsbeamte aus der Walachei und der Moldau eingesetzt. Als Beispiel für diese Form der zunehmenden Assimilationspolitik möge die Verschmelzung der rumänischen (Babeş-) und der ungarischen (Bolyai-)Universität in Klausenburg zur Babeş-Bolyai-Universität dienen. Neben den durch den Ungarnaufstand ausgelösten Bedenken war ein Grund für diese Ausrichtung die zunehmende Tendenz zur Betonung der nationalen Ein- und Eigenheit in Rumänien. Auch hier aber haben wir es mit einer Politik zu tun, die durch häufigen Richtungswechsel gekennzeichnet ist: Schon Ende der 1960er Jahre im Zuge der kurzfristigen „Öffnung“ Rumäniens zum westlichen Ausland wurden den nationalen Minderheiten wieder mehr Rechte eingeräumt, u.a. durften die Minoritäten eigene nationale Räte bilden (Huber 1973, 154). Doch auch diese Phase währte nicht lange, vielmehr führte sie bereits im Laufe der 1970er Jahre in eine Periode, die man als „Repressionsphase“ (Tontsch 2004, 15) bezeichnen kann. Die deutsche Minderheit, die 1930 immerhin noch eine Zahl von 633.000 (=  4,4  % der Gesamtbevölkerung) erreichte, sank im Zuge der Ereignisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg auf 385.000 im Jahre 1956. Zwar wurden die Deutschen nicht systematisch vertrieben wie in anderen Gebieten Osteuropas, doch gab es Deportationen als Arbeitskräfte in die Sowjetunion, was viele nicht überlebten; in den Jahren 1950/51 wurden zudem viele Banater Schwaben in die Steppe des Bărăgan zwangsweise umgesiedelt. Insgesamt war die Minderheitenpolitik des kommunistischen Rumänien durch viele Kehrtwendungen gekennzeichnet, und häufig waren vermeintliche Zugeständnisse auch nur Lippenbekenntnisse. Zumeist wurde eine Politik verfolgt, die man mit Tontsch (2004, 23) wohl als „Nadelstichpolitik“ bezeichnen kann. In den Wirren nach dem Sturz Nicolae Ceauşescus wurden von Vertretern verschiedener Minderheiten Forderungen nach Verbesserungen erhoben. Gerade im Bereich des Ausbaus der Minderheitenrechte aber verlief der Prozess der Gesetzgebung ausgesprochen schleppend. Eine Beschleunigung war erhofft worden durch den Beitritt Rumäniens zum Europarat im Jahre 1993, der ausdrücklich die Erwartung vorsah, dass Rumänien ein Minderheitenschutzgesetz erlassen und die Charta unterzeichnen würde. Eine Verbesserung der Lage trat aber erst im Jahre 1996 ein, als die bürgerliche Regierung unter dem früheren Bukarester Universitätsrektor Emil Constantinescu mehrere Maßnahmen zum Schutz der

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 Wolfgang Dahmen

Minderheiten erließ und ein Minderheitenministerium einführte. Zudem wurden die politischen Vertreter der ungarischen Minderheit in die Regierung eingebunden, obwohl es auch ohne die Stimmen der ungarischen Abgeordneten eine Regierungsmehrheit für die damalige Koalition gegeben hätte. In einem seit 1993 bestehenden Minderheitenrat sind die Vertreter der verschiedenen Minderheiten zusammengefasst, außerdem ist jeder Minderheit unabhängig von den Wahlergebnissen ihrer politischen Vertretung mindestens ein Abgeordnetensitz garantiert: Zur Zeit sind 20 Minderheiten anerkannt, 19 von ihnen stellen einen oder mehrere Abgeordnete. Durch verschiedene Zusätze in der Verfassung wurden Bereiche wie Schulunterricht und Religionsausübung nach und nach minderheitenfreundlicher gestaltet. Der Versuch, ein Minderheitengesetz in Rumänien zu erlassen, geriet hingegen zu einer „unendlichen Geschichte“ (Fábián 2001). Nach den ersten Überlegungen zu Beginn der 1990er Jahre legten verschiedene Organisationen und Institutionen Entwürfe vor, im Vorschlag der Vertreter der ungarischen Minderheit von 1993 wurde sogar expressis verbis auf die ECRM Bezug genommen. In der Verfassung von 2003 ist ein entsprechendes Gesetz anvisiert, zustande gekommen ist es jedoch bis heute nicht: Ein Entwurf der Partei der Ungarn (UMDR) wurde 2007 vom Senat, der zweiten Kammer, abgelehnt, der Gesetzentwurf im Parlament steckt in Ausschüssen fest und wird hier blockiert. Zwar haben hochrangige Regierungsvertreter bis hin zum Ministerpräsidenten Emil Boc mehrfach bekundet, ein solches Gesetz noch bis zur parlamentarischen Sommerpause 2011 verabschieden zu wollen, doch ist bislang nichts geschehen. Aus dem Bereich der internationalen Vertragspolitik ist zu erwähnen, dass Rumänien als eines der ersten Länder im Jahre 1995 das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten unterzeichnete und 1998 in Kraft setzte. Ein erster Staatenbericht erschien 1999, der aber vom Europarat u.a. deshalb kritisiert wurde, weil die Minderheitenvertretungen nicht beteiligt worden waren. In einem zweiten Staatenbericht 2005 wurde dies dann korrigiert (Pan 2006, 400). Nicht zuletzt auf Druck der EU- und NATO-Staaten schloss Rumänien, das frühzeitig Ambitionen auf die Mitgliedschaft in diesen Organisationen äußerte, seit 1992 Grundlagenverträge mit verschiedenen Staaten ab, in denen der Minderheitenschutz in unterschiedlicher Form eingeschlossen war, grundsätzlich waren jedoch immer die Standards von KSZE und OSZE vorgesehen (Tontsch 2004, 60–64). Der schwierigste und umstrittenste dieser Verträge war der mit Ungarn, der 1996 fertig war. Die Verhandlungen gestalteten sich nicht zuletzt deshalb kompliziert, weil auf beiden Seiten nationalistische Kräfte Einfluss zu nehmen versuchten. Zentrale Forderungen der ungarischen Seite wie gruppenrechtliche und territorial-administrative Garantien wurden nicht festgeschrieben. Hingegen wurde eine ganze Reihe von Einzelheiten im Bereich des

Rumänien 

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Minderheitenschutzes gewährleistet, die u.a. die jeweilige ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität würdigten, aber auch ganz pragmatische Regelungen wie etwa zweisprachige Ortsnamensschilder vorsahen. Zur Überprüfung der Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen wurde die Bildung eines aus Experten bestehenden Gemeinsamen Regierungsausschusses vereinbart.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Rumänien unterzeichnete die ECRM zwar bereits 1995, doch dauerte es sehr lange, bis sie auch ratifiziert wurde. Unter den 25 Staaten, die bislang die Charta unterschrieben und ratifiziert haben, ist der zeitliche Abstand zwischen diesen beiden Akten in Rumänien am größten. Begründet wird diese Verzögerung im ersten (und bislang einzigen) Staatenbericht mit der Vielzahl von ethnischen Minderheiten und deren unterschiedlichem Status (was objektiv sicherlich zutreffend ist). Erst im Jahre 2002 begann man mit ernsthaften Versuchen zur Ratifizierung der Charta, die dann schließlich durch die Veröffentlichung im Monitor Oficial nr. 752 vom 6.11.2007 erfolgte (das entsprechende Gesetz 282 war am 24.10.2007 verabschiedet worden, es trat zum 1.5.2008 in Kraft). Den ersten Staatenbericht legte Rumänien rund drei Jahre später, am 26.10.2010, vor (über das Monitoring zu den Bereichen Bildung, Verwaltung und Medien informiert Căluşer 2009). Der danach obligatorische Besuch des Sachverständigenausschusses hat vom 14.–17.3.2011 mit Visiten in Neumarkt (Târgu Mureş, ungar. Marosvásárhely), dem wichtigsten Zentrum der ungarischen Minderheit, Hermannstadt (Sibiu) als kulturellem Mittelpunkt der deutschen Bevölkerungsgruppe, sowie Bukarest stattgefunden, ein Bericht ist aber noch nicht erfolgt (Stand: August 2011).

2.1.2 Institutionen Im ersten Staatenbericht wurde eine Reihe von Institutionen genannt, die an der Ausarbeitung beteiligt worden waren. Neben den staatlichen Stellen (Ministerien, Minderheitenrat usw.) sowie Massenmedien (v.a. Rundfunk, Fernsehen)

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und lokalen NGOs waren dies auch der rumänische Ombudsmann sowie das Institut für Linguistik „Iorgu Iordan“ der rumänischen Akademie der Wissenschaften. Während die bedeutendste Partei der ungarischen Minderheit (Uniunea Maghiară Democrată din România – UMDR, „Demokratische Ungarische Union Rumäniens“, ungar. Romániai Magyar Demokrata Szövetség) im Text ausdrücklich hervorgehoben wurde, wurden die Organisationen der übrigen Minderheiten, die sich mit entsprechenden Berichten beteiligt hatten, zunächst nur pauschal erwähnt und erst im Anhang aufgelistet. Es waren (jeweils in ihrer rumänischen Form): – Asociaţia Albanezilor din România („Vereinigung der Albaner Rumäniens“) – Uniunea Armenilor din România („Union der Armenier Rumäniens“) – Uniunea Elenă din România („Griechische Union Rumäniens“) – Asociaţia Italienilor din România RO.AS.IT („Vereinigung der Italiener Rumäniens“) – Federaţia Comunităţilor Evreieşti din România („Vereinigung der jüdischen Gemeinden Rumäniens“) – Asociaţia Macedonenilor din România („Vereinigung der Mazedonen Rumäniens“) – Uniunea Polonezilor din România („Union der Polen Rumäniens“) – Partida Romilor „Pro Europa“ („Partei der Roma Pro Europa“) – Uniunea Democrată a Tătarilor Turco-Musulmani din România („Demokratische Union der türkisch-muslimischen Tataren Rumäniens“) – Uniunea Bulgară din Banat – România („Bulgarische Union des rumänischen Banat“) – Uniunea Democrată a Slovacilor şi Cehilor din România („Demokratische Union der Slowaken und Tschechen Rumäniens“) – Uniunea Croaţilor din România („Union der Kroaten Rumäniens“) – Uniunea Sârbilor din România („Union der Serben Rumäniens“) – Uniunea Democrată Turcă din România („Türkische demokratische Union Rumäniens“) – Uniunea Ucrainenilor din România („Union der Ukrainer Rumäniens“)

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifizierungsgesetz 282/2007 sowie im ersten Staatenbericht Rumäniens wurde zwischen zwei Gruppen von Minderheitensprachen unterschieden gemäß der Unterscheidung der Charta nach den Teilen II (Art. 7 „Ziele und Grundsätze“) bzw. III (Art. 8–14 „Maßnahmen zur Förderung des Gebrauchs von Regionalund Minderheitensprachen im öffentlichen Leben“). Das Unterscheidungskrite-

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rium zwischen diesen beiden Teilen lag darin, dass sich der Teil II auf Artikel 2,1 der Charta (eher allgemein formulierte Prinzipien der Förderung der Regional- und Minderheitensprachen), Teil III hingegen auf Absatz 2 des gleichen Artikels bezieht, in dem sehr konkrete Maßnahmen aus den Bereichen Bildung, Justiz, Verwaltung, Medien, Kultur, Wirtschaft, grenzüberschreitender Austausch genannt werden, von denen mindestens 35 zu erfüllen sind. Zur ersten Gruppe werden – ohne dass dies weiter begründet wird – die Sprachen gerechnet, die aufgrund ihrer Sprecherzahl sowie ihrer traditionellen Bedeutung offensichtlich als weniger stark als die andere Gruppe der Minderheiten eingeschätzt werden. Beide Gruppen umfassen je zehn Minderheitensprachen. Zur ersten, also als weniger bedeutend eingeschätzten, gehören: Albanisch, Armenisch, Griechisch, Italienisch, Jiddisch, Mazedonisch, Polnisch, Romanes, Ruthenisch und Tatarisch, zur zweiten Gruppe Bulgarisch, Tschechisch, Kroatisch, Deutsch, Ungarisch, Russisch, Serbisch, Slowakisch, Türkisch, Ukrainisch. Überraschend erscheint bei dieser Einteilung natürlich v.a. die Einordnung des Romanes in die erste Gruppe. Selbst wenn man von den bei den Volkszählungen ermittelten Sprecherzahlen ausgeht, die die Zahl der Roma zweifellos deutlich zu niedrig ansetzen, wäre eine solche Einteilung inadäquat, würde aber eindeutig zu manchen politischen Aktivitäten passen. Man darf sicherlich gespannt darauf sein, zu welchem Urteil der Sachverständigenausschuss hier kommen wird. Interessant erscheint auch die Teilung zwischen Ruthenisch und Ukrainisch, die zwar von den Vertretern der Ruthenen verfochten wird (die Ruthenen der Slowakei haben 1995 die Existenz einer neuen slavischen Sprache proklamiert), nicht aber unbedingt von den slavistischen Sprachwissenschaftlern. Hier hat man den Eindruck, dass von rumänischer offizieller Seite bereitwillig Zugeständnisse an Vertretungen kleinerer Minderheiten gemacht werden, die letztendlich als unerheblich eingeschätzt werden können. Das aus insgesamt elf Artikeln bestehende Ratifizierungsgesetz nennt in Artikel 5 die zu ergreifenden Maßnahmen für jede Minderheitensprache der zweiten Gruppe einzeln, wobei es Unterschiede zwischen den einzelnen Idiomen gibt. In den weiteren Artikeln (6–11) wird dann auf die Konkordanz zur rumänischen Verfassung und zu entsprechenden Gesetzen verwiesen. Von Bedeutung sind hierbei v.a. die Artikel 6, wo es um die Mindestzahl von Schülern geht, die zur Errichtung einer Schule benötigt werden, und 7, wo festgelegt wird, dass unter einem Gebiet, in dem eine Regional- oder Minderheitensprache gebraucht wird, eine territorial-administrative Einheit zu verstehen sei, in der mindestens 20 % der Bewohner zu einer solchen Minderheit gehören. Die Tatsache, dass verschiedene Minderheiten unter den Schutz der ECRM gestellt werden, obwohl sie letztere Voraussetzung nicht erfüllen, wird im Staatenbericht besonders herausgestellt.

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Der Bericht bietet eine Liste mit Informationen zu Zahl und Wohngebieten der Angehörigen bzw. Sprecher der Minderheitensprachen. Die Angaben beruhen auf den Ergebnissen der letzten Volkszählung 2002, wobei als Kriterium gilt, ob sich die Befragten selbst als Sprecher der jeweiligen Muttersprache bezeichnet haben. Die Liste (mit den absoluten Zahlen) sei hier wiedergegeben:

Albanisch* Armenisch Bulgarisch Tschechisch Kroatisch Deutsch Griechisch Jiddisch** Italienisch Mazedonisch* Ungarisch Polnisch Romanes Russisch Ruthenisch* Serbisch Slowakisch Tatarisch Türkisch Ukrainisch

ca. 500 694 6.527 3.306 6.304 42.014 4.004 861 2.420 100–200 1.397.906 2.604 235.346 28.334 100–200 19.948 15.706 21.171 27.668 56.116

* = Die approximativen Angaben bei Albanisch, Mazedonisch und Ruthenisch erklären sich daher, dass diese Sprachen bei der Volkszählung als „andere Sprachen“ zusammengefasst worden waren. ** = Bei der Volkszählung mit Hebräisch zusammengefasst.

Diese Tabelle ist natürlich insofern wenig aussagekräftig, als keine Angaben zur Zahl der Sprecher des Rumänischen gemacht werden und somit keine Relation hergestellt werden kann. Überhaupt wäre die Auflistung prozentualer Werte außerordentlich wünschenswert gewesen. Der strittigste Punkt ist aber folgender: Bei der zu Grunde liegenden Volkszählung wurde nicht nur nach der Muttersprache gefragt, sondern auch nach der Nationalität, der sich jemand zugehörig fühlt (Ergebnisse zu finden etwa bei Tontsch 2004, 33). Die Unterschiede sind hier meistens nicht besonders groß. Lediglich an einer Stelle sind sie markant: Während nur rund 235.000 Personen Romanes als Muttersprache angeben, erklären sich mehr als doppelt so viele, nämlich 535.250 bei dieser Volkszählung als Roma, was in diesem Selbstbericht nicht zu finden ist. Dass auch diese Zahl mit

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Sicherheit deutlich zu niedrig ist, liegt wohl weniger daran, dass hier von staatlichen Stellen manipuliert worden wäre, als daran, dass sich viele Roma selbst als Rumänen, Ungarn oder Deutsche ausgeben.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen Im Rahmen dieses Beitrages ist es aus Platzgründen leider nicht möglich, die genaue Situation der zehn im Ratifizierungsgesetz und dann auch im ersten Staatenbericht besonders herausgehobenen Minderheitensprachen zu analysieren, geschweige denn alle 20 genannten Idiome zu betrachten. Stellvertretend sollen hier deshalb das Ungarische als die zahlenmäßig größte und wichtigste Minderheitensprache sowie das Tschechische als die kleinste der besonders geschützten Sprachen vorgestellt werden. Für die mit den Garantien für die Förderung des Ungarischen verbundenen Implikationen sei ausdrücklich auf das oben in den Vorbemerkungen (1) Gesagte verwiesen.

2.3.1 Ungarisch Im Staatenbericht von 2010 wurde in dem Teil, der dem Ungarischen gewidmet ist, zunächst auf die Bedeutung dieser Minderheit hingewiesen. Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 2002 bezeichneten sich rund 1,4 Mio. Menschen als Ungarn, das entsprach 6,6  % der Bevölkerung Rumäniens. Allerdings stellten Ungarn nur in zwei von 42 Kreisen (judeţe) Rumäniens die Mehrheit (Kreise Harghita, Covasna). Bildung: Hier hatte sich Rumänien im Ratifizierungsgesetz v.a. verpflichtet, den Unterricht auf allen Stufen vom Kindergarten bis zur Universität auf Ungarisch sowie die Ausbildung entsprechender Lehrkräfte zu gewährleisten. Der bislang erste Staatenbericht listete – differenziert nach den einzelnen Ausbildungsstufen – die Zahlen der Schüler und Studenten auf, die im Schuljahr 2007/08 (mit Vergleich zu den Zahlen des Schuljahres 2005/06) in ungarischsprachigen Schulen und Institutionen gelernt haben. Besonders hervorgehoben wurde die Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg, wo in 17 der 21 Fakultäten der akademische Unterricht nicht nur in Rumänisch, sondern auch in Ungarisch abgehalten werde (in elf Fakultäten übrigens zudem in Deutsch). Dies war vor gut zehn Jahren die Reaktion auf Versuche von ungarischer Seite, die Hochschule wieder in die beiden ursprünglich getrennten Universitäten zu zerlegen. In zwei Fakultäten (Protestantische und Römisch-katholische Theologie) ist der Unterricht aus leicht nachzuvollziehenden Gründen ausschließlich auf Ungarisch.

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Justizbehörden: In diesem Bereich hatte sich Rumänien verpflichtet, dass Ungarischsprachige in den entsprechenden Gegenden das Recht haben, vor Gericht ihre Muttersprache gebrauchen zu dürfen und dass entsprechende Dokumente auf Ungarisch verfasst würden. Hier führte der erste Staatenbericht aus, dass für diesen Bereich keine statistischen Angaben vorlägen, es jedoch allgemein bekannt sei, dass in den Gegenden, in denen viele Ungarn lebten, die entsprechenden Vorgaben praktiziert würden, was sicherlich weitgehend zutrifft. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Aus dem Maßnahmenkatalog der Charta hatte sich Rumänien v.a. die Verpflichtungen herausgesucht, die sich auf den Verkehr mit den Behörden beziehen. Im ersten Staatenbericht wurden die Kreise aufgezählt, in denen amtliche Mitteilungen in ungarischer Sprache erfolgten, es wurden ferner Zahlen genannt, die belegen sollten, dass gerade in wichtigen Bereichen wie Polizei, Grenzpersonal etc. eine ausreichende Zahl von ungarischsprachigen Beamten vorhanden sei. Medien: Der erste Staatenbericht gab hier umfangreiche Statistiken zu Radiound Fernsehsendungen in ungarischer Sprache (getrennt nach den verschiedenen Sendern mit Nennung von Sendetiteln, Uhrzeiten etc.). Keine Stellung nahm er allerdings zum Pressewesen, obwohl Rumänien im Ratifizierungsvertrag die Verpflichtung eingegangen war, das Erscheinen mindestens einer Zeitung zu gewährleisten (und tatsächlich gibt es natürlich entsprechende Presseerzeugnisse). Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: In diesem Bereich wurde eine Fülle von Einzelheiten angeführt, die die Unterstützung kultureller Veranstaltungen (Filmfeste, Theater, Konzerte, Folklore etc.) belegen sollten. Aufgelistet wurden ferner die finanziellen Aufwendungen für diverse Buch- und Zeitschriftenpublikationen in ungarischer Sprache, zur Unterstützung von Museen etc. Besonders hingewiesen wurde auf ein bilaterales Abkommen, das vorsehe, dass rumänische Filmwochen in Ungarn sowie ungarische in Rumänien abgehalten werden und die Arbeit der jeweiligen Kulturinstitute und der Bibliotheksaustausch unterstützt werden. Wirtschaftliches und soziales Leben: Hier räumte der erste Staatenbericht ein, dass es keine Statistiken gebe (was sicherlich nachvollziehbar ist), ging aber davon aus, dass das Ungarische in den Gebieten, in denen viele Ungarn lebten, entsprechend vertreten sei. Dies wurde ausdrücklich auf Sozialeinrichtungen wie Krankenhäuser bezogen, wo der Gebrauch des Ungarischen unproblematisch sei. Man könnte es auch so ausdrücken: Es gibt sicherlich Gegenden in Rumänien, wo es im Krankenhaus, im Zug oder im Supermarkt problematischer ist, sich auf Rumänisch als auf Ungarisch verständigen zu wollen. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht listete hier einige Aktivitäten auf, die von Regierungstreffen in Budapest und Bukarest bis zu grenz-

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überschreitenden kulturellen Veranstaltungen reichten. Zudem wurden die Treffen der im Grundlagenvertrag zwischen Rumänien und Ungarn vereinbarten gemeinsamen Kommission in rosigem Licht geschildert. Wenn auch verbal bekundet wurde, dass diese Aktivitäten immer intensiver würden, hat man den Eindruck, dass hier durchaus noch Nachholbedarf besteht. Über die politischen Verstimmungen, die zwischen Ungarn und Rumänien u.a. deswegen auftauchten, weil Ungarn bereit war, in Rumänien lebenden, sich aber als Ungarn definierenden Personen ungarische Pässe zu geben, wurde nicht berichtet.

2.3.2 Tschechisch Im Staatenbericht wurden zunächst noch einmal die Daten der Volkszählung von 2002 aufgeführt, nach denen es 3.941 Personen gab, die sich als Tschechen deklarierten, 3.306 Personen gaben an, Tschechisch als Muttersprache zu haben. Es wurden ferner die Siedlungsgebiete in den Kreisen Caraş Severin und Mehedinţi (beide im Banat gelegen) angeführt sowie die Tatsache, dass es eine gemeinsame Interessengemeinschaft von Tschechen und Slowaken gebe, die auch einen Abgeordneten im rumänischen Parlament stelle. Während bei mehreren anderen kleinen Minderheitengruppen Angaben über deren Geschichte präsentiert werden, findet man hier keine weiteren Informationen dazu. Eine Erklärung, warum gerade das Tschechische trotz der extrem kleinen Zahl von Sprechern in den Genuss der Förderung nach Teil III der ECRM kommt, wird nicht gegeben, wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass es eine gemeinsame politische Interessenvertretung von Tschechen und Slowaken gibt, was u.a. dazu führte, dass es gemeinsame Publikationen etc. gab (s.u.). Bildung: Der erste Staatenbericht zeigte deutlich, dass das Tschechische nur eine unbedeutende Rolle im Schulunterricht spielte. Insgesamt gebe es 177 Schüler (im Bericht steht fälschlicherweise die Zahl 186) auf den verschiedenen Ebenen, v.a. aber im Kindergarten und im Grundschulbereich. Zwölf Lehrkräfte, von denen drei aus der Tschechischen Republik stammten, unterrichten an acht Schulen auf Tschechisch. Die kleinsten Schulen hätten insgesamt gerade sechs tschechische Schüler, keine Schulklasse habe mehr als acht. Besonders hervorgehoben wurden die Aktivitäten der Demokratischen Union der Slowaken und Tschechen Rumäniens, die sich um den Unterricht sehr bemühte. Auch die Tatsache, dass von tschechischen Institutionen Hilfen, etwa im Bereich der Schulbücher, zur Verfügung gestellt würden, wurde gewürdigt. Justizbehörden: Hier begnügte sich der erste Staatenbericht mit dem lapidaren Satz, dass keine Daten über den Gebrauch des Tschechischen im Justizbereich zur Verfügung ständen.

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Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Hier erscheint der erste Staatenbericht eher merkwürdig. Über anderthalb Seiten wurden noch einmal alle Verpflichtungen zitiert, die Rumänien mit dem Ratifizierungsgesetz eingegangen ist, bevor ein einziger Satz von weniger als fünf Zeilen folgte, in dem gesagt wurde, dass es opportun erscheine, bei der Polizei im Kreis Caraş Severin Beamte einzustellen, die auch Tschechisch können. Medien: Zu diesem Punkt wurden im ersten Staatenbericht v.a. Sendungen von Radio Reşiţa und Radio Timişoara genannt, die jeweils 30 Minuten pro Woche berichteten. Eine Ausweitung auf den Bereich des Fernsehens erscheine möglich durch den Aufbau eines dritten Kanals des staatlichen Fernsehens TVR. Außerdem gibt es offensichtlich Bemühungen, die Kooperation mit tschechischen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu intensivieren. Zu der eingegangenen Verpflichtung, zur Schaffung bzw. zum Erhalt wenigstens einer Zeitung in der Minderheitensprache beizutragen, wird kein Wort verloren. Eine entsprechende Zeitung gab es offensichtlich nicht, was ja auch nicht weiter verwunderlich ist. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Hier wurde im ersten Staatenbericht auf die zahlreichen Aktivitäten der Demokratischen Union der Slowaken und Tschechen Rumäniens verwiesen, die wiederum finanziell vom rumänischen Staat unterstützt werde. Besonders hervorgehoben wurde das einmal monatlich erscheinende Magazin Našesnahy („Unsere Bestrebungen“, zweisprachig tschechisch-slowakisch mit einer rumänischen Zusammenfassung), Bücher auf Tschechisch sowie ein jährlich stattfindendes Folklorefestival. Wirtschaftliches und soziales Leben: Zu diesem Punkt begnügte sich der Staatenbericht mit dem Hinweis, dass keine entsprechenden Daten vorlägen. Grenzüberschreitender Austausch: Die hierzu gemachten Äußerungen im Staatenbericht wirken geradezu rührend. Wenn internationale Gäste aus den „Heimatländern“ der Minderheiten in den Kreis Mehedinţi kämen, spreche man Englisch. Einmal sei der tschechische Botschafter gekommen und habe sich mit dem Kreispräsidenten getroffen. Das Gespräch sei auf Tschechisch gewesen, wobei der Kreisvorsitzende der Demokratischen Union der Slowaken und Tschechen Rumäniens als Dolmetscher fungiert habe.

3 Bewertung Die Details im Zusammenhang mit Unterzeichnung, Ratifizierung und Befolgung der Charta offenbaren zentrale Probleme, mit denen die rumänische Minderheitenpolitik seit längerem konfrontiert ist. Unproblematisch sind die Beziehungen zu den kleinen Minderheiten, die zumeist nicht Angehörige von unmittelbar

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benachbarten Nationen sind. So ist es nicht schwierig, sich gegenüber Polen, Tschechen, Slowaken, Armeniern, Albanern usw. generös zu zeigen und deren Vertretungen zu unterstützen und auch Kontakte zu entsprechenden Institutionen in den betreffenden Ländern zu fördern. Problematisch ist das Verhältnis zu Roma und Ungarn. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Rumänien seit dem Umsturz 1989 den klaren Wunsch hatte, möglichst rasch in die europäisch-nordatlantischen politisch-wirtschaftlichen Strukturen integriert zu werden. Andererseits war es in Mitteleuropa aber natürlich nicht verborgen geblieben, dass es seit langem zwischen Rumänien und Ungarn besonders wegen der ungarischen Minderheit in Rumänien Spannungen gab, wozu Nationalisten auf beiden Seiten durch gezielte Provokationen beitrugen. So erklärt sich, dass die Beitritte Rumäniens zum Europarat, zur NATO und zur EU an – nicht unbedingt schriftlich formulierte, aber doch deutlich ausgedrückte – Bedingungen im Bereich der Minderheitenpolitik geknüpft waren. Die rumänische Reaktion darauf war, dass man sich nicht übermäßig zügig daran setzte, diesen Erwartungen Rechnung zu tragen, was etwa die lange Spanne zwischen Unterschreiben und Ratifizierung der ECRM erklärt. So vermittelt die Lektüre des ersten Staatenberichts zuweilen den Eindruck, dass es sich um ein nicht sonderlich geliebtes „Pflichtprogramm“ handelt, das man halt absolvieren muss. Hierfür sprechen viele Indizien; man denke nur daran, dass im Frühsommer 2011 von einflussreichen Politikern der Vorschlag gemacht wurde, die traditionelle Einteilung in judeţe, die man schon in den 1950er Jahren so geändert hatte, dass Ungarn nur noch in zwei von 42 Kreisen die Mehrheit hatten (s.o.), aufzugeben zugunsten von sechs größeren Einheiten, die so geschnitten waren, dass in ihnen dann die ungarische Minderheit mehr oder weniger unbedeutend gewesen wäre. Mit den Roma haben die rumänischen Autoritäten eher das Problem, dass diese nicht so gut territorial zu erfassen sind wie etwa Ungarn (geschweige denn kleinere Minderheiten). Immerhin listet der Staatenbericht eine Reihe von – im Einzelnen sicherlich nicht unbedingt zutreffenden – Zahlen über die Größe der Romagruppen in den jeweiligen Regionen auf und gibt auch einzelne Informationen v.a. aus dem Bereich der Bildung, obwohl das Romanes ja nicht unter den nach Teil III der Charta zu behandelnden Minderheitensprachen rangiert. Hier darf man gespannt sein, zu welchem Ergebnis der Sachverständigenausschuss kommt. Diskussionswürdig erscheint die rumänische Auslegung des Ausdrucks „Regional- oder Minderheitensprachen“. Im Ratifizierungsgesetz und im ersten Staatenbericht wird dieser so verstanden, dass die Sprachen von Minderheiten, die seit langem auf dem heutigen rumänischen Staatsterritorium leben, betrachtet werden. In diesem Zusammenhang muss dann sicherlich nach dem Aromunischen gefragt werden: Zwischen den beiden Weltkriegen haben sich mehrere

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10.000 aus dem südlichen Balkan kommende Aromunen in der Dobrudscha niedergelassen; heute gibt es ein reiches kulturelles Leben mit Zeitschriften, Radiound Fernsehsendungen etc. Unabhängig von allen sprachwissenschaftlichen Fragen kann man feststellen, dass die Vertreter der Aromunen in Rumänien eine reiche kulturelle Aktivität – durchaus auch mit staatlicher Unterstützung –entwickeln. Anders ausgedrückt: Wenn man Ruthenisch und Ukrainisch als zwei verschiedene Sprachen betrachtet, ist es schwer verständlich, dass Aromunisch und (Dako-)Rumänisch eine Einheit bilden.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Romania, 26.10.2010. [= 1. Staatenbericht] Framework Convention for the Protection of National Minorities, 1.2.1995. .

4.1.2 Weitere Quellen Deutsches Reich/Königreich Italien: „Zweiter Wiener Schiedsspruch“. In: Dokumente der Deutschen Politik, Bd. 8/1, Berlin 1943: 383–389, 30.8.1940. Republik Ungarn: „Ungarisches Nationalitätengesetz“. In: Goldthammers Archiv für Strafrecht (GA) XLIV/1868, 2.11.1868. Republik Ungarn/Alliierte und assoziierte Mächte: Friedensvertrag von Trianon. Friedensvertrag zwischen Ungarn und den alliierten und assoziierten Mächten, 4.6.1920. Rumänien/Republik Ungarn: „Vertrag zwischen Ungarn und Rumänien über Verständigung, Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft vom 16.9.1996“. In: Magyar Közlöny 1997, 16.9.1996: 3490. Rumänien: „Constituţia Republicii Populare Române“. In: Monitorul Oficial I/1952, 24.9.1952. Rumänien: „Constitution of Romania“. In: Official Gazette of Romania I, No. 758, 29.10.2003. Rumänien: „Lege Nr. 282 din 24 Octombrie 2007 pentru ratificarea Cartei europene a limbilor regionale sau minoritare”. In: Monitorul Oficial 752 din 6 noiembrie 2007 (M. Of. 752/2007), 6.11.2007.

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4.2 Literatur Căluşer, Monica (Hrsg.): Carta europeană a limbilor regionale sau minoritare în România. Între norme şi practici, Cluj-Napoca: Fundaţia CRDE 2009. Fábián, Gyula: „Die rumänische Minderheitengesetzgebung im Lichte der europäischen Menschenrechtskonvention und der europäischen Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten“. In: Europa Ethnica 58, 2001: 128–171. Huber, Manfred: Grundzüge der Geschichte Rumäniens, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973. Illyés, Elemér: Nationale Minderheiten in Rumänien. Siebenbürgen im Wandel, Wien: Braumüller 1981. Pan, Christoph: „Die Minderheitenrechte in Rumänien“. In Christoph Pan / Beate Sibylle Pfeil (Hrsg.): Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006: 400–419. Tontsch, Günter H.: Minderheitenschutz im östlichen Europa. Rumänien, 2004. (3.9.11).

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

Ungarisch: 1a (i), b (i), c (i), d (i), e (i), f (i), g–i; 2 Tschechisch: 1a (ii), b (ii), c (iii), d (iv), g, i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

Ungarisch: 1a (ii, iii), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2; 3 Tschechisch: 1a (ii, iii), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2a; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

Ungarisch: 1a (ii–v), b, c; 2b–g; 3; 4b, c; 5 Tschechisch: 1a (ii–v); 2b–g; 3a–c; 4b, c; 5

Artikel 11 (Medien)

Ungarisch: 1a (ii), b (i), c (i), d, e (i), f (i), g; 2; 3 Tschechisch: 1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), g; 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

Ungarisch: 1; 2c–e Tschechisch: 1a, b

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Roger Reidinger (Wien)

Schweden (Konungariket Sverige) 1 Vorgeschichte Nachdem Schweden Jahrhunderte lang als eigenes Königreich existiert hatte, trat es 1397 der von Dänemark dominierten Kalmarer Union bei, die ganz Skandinavien unter einer Krone vereinte. Im Gegensatz zu Norwegen, das bis 1814 in der Union mit Dänemark verblieb, brach Schweden zeitweise bereits im 15. Jahrhundert, endgültig 1523 aus dieser Union aus und wurde wieder ein unabhängiges Königreich. In der Folge, v.a. im 17. Jahrhundert, stieg Schweden (zu dem damals auch Finnland gehörte) zur Großmacht in Skandinavien auf und erwarb (bis auf die Insel Bornholm) alle ostdänischen (heute südschwedischen) Gebiete. Nach den Napoleonischen Kriegen ging zwar Finnland für immer verloren, von 1814 bis 1905 stand allerdings Norwegen in einer Personalunion mit Schweden. Schweden ist Gründungsmitglied des Europarates (1949) sowie der EFTA (1960) und wurde 1995 Mitglied der Europäischen Union (EU). Einen NATO-Beitritt sah Schweden allerdings von Anfang an als unvereinbar mit seiner Neutralitätspolitik an. Die schwedische Verfassung kennt keine Staatssprachenregelung. Lediglich die in Artikel 2 der Verfassung verankerte Förderung ethnischer, sprachlicher und religiöser Minderheiten lässt indirekt auf eine dominierende Hauptsprache im Lande schließen. Die relevante Sprachengesetzgebung fällt erst in die Zeit der Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (1999: Gesetze über den Gebrauch des Samischen, Finnischen und Meänkieli bei Ämtern und Gerichten, die am 1.4.2000 in Kraft traten) bzw. in die Zeit danach (2009: Sprachgesetz, das das Schwedische zur Hauptsprache des Landes erklärte und den Schutz und die Förderung der offiziellen Minderheitensprachen Finnisch, Jiddisch, Meänkieli, Romani Chib und Samisch festschrieb – in Kraft seit 1.7.2009 – sowie das Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen – in Kraft seit 1.1.2010). Nach dem Vorbild Norwegens wurden in Nordschweden Verwaltungsbezirke für das Samische, aber auch für das Finnische und das Meänkieli („Tornedalfinnische“) eingerichtet, in denen die jeweilige Minderheitensprache besondere Rechte und besonderen Schutz genießt.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Schweden unterzeichnete und ratifizierte die Charta am 9.2.2000, so dass sie am 1.6.2000 in Kraft trat. Es begann den Ratifizierungsprozess also bereits als EU-Mitgliedsstaat und brachte ihn umgehend zum Abschluss. Den ersten Staatenbericht legte Schweden am 18.6.2001 vor. Ein knappes Jahr später – im April 2002 – besuchte der Sachverständigenausschuss das Land. Auf der Grundlage des Evaluationsberichts vom 6.12.2002 traf das Ministerkomitee am 19.6.2003 seine ersten Empfehlungen. Der zweite Staatenbericht wurde am 30.6.2004 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss im September 2005 Schweden ein zweites Mal besuchte und den entsprechenden Bericht am 23.3.2006 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 27.9.2006. Der dritte Staatenbericht wurde am 18.10.2007 vorgelegt. Nach einem Besuch Schwedens im Mai 2008 übergab der Sachverständigenausschuss am 26.11.2008 seinen Bericht, woraufhin das Ministerkomitee am 6.5.2009 seine Empfehlungen abgab. Am 14.10.2010 erstattete Schweden seinen vierten und bislang letzten Staatenbericht. Die Stellungnahme des Sachverständigenausschusses wurde nach einem Schweden-Aufenthalt im März 2011 am 2.5.2011 beschlossen, das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 12.10.2011.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von den entsprechenden Regierungsstellen unter Berücksichtigung der folgenden Institutionen der nationalen Minderheiten erstellt: – Sametinget („Samenparlament“) – Sverigefinländarnas Delegation („Delegation der Schwedenfinnen“) – Svenska Tornedalingars Riksförbund – Tornionlaaksolaiset („Nationale Vereinigung der schwedischen Tornedaler“) – Romernas Riksförbund („Nationale Vereinigung der Roma“) – Judiska Centralförbundet („Zentralverband der Juden“) – SWEBLUL („Schwedisches Büro für Sprachminderheiten“).

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Der zweite Staatenbericht nennt zusätzlich: – Riksförbundet Roma International („Nationale Vereinigung der Roma International“) – Romsk Kulturförening Riksorganisation („Roma-Kulturvereinigung, nationale Organisation“) – Riksorganisationen Resandefolket Romanoa („Nationale Organisation der Reisenden Romani“) – Föreningen Resandefolkets Riksorganisation („Nationale Organisation der Vereinigung der Reisenden“) – Judiska Centralrådet („Zentralrat der Juden“; Nachfolgeorganisation von „Judiska Centralförbundet“). Der dritte Staatenbericht nennt darüber hinaus: – Riksförbundet Roma i Europa („Nationale Vereinigung der Roma in Europa“) – Resandefolkets Romanoa Riksförbund („Nationale Romani-Vereinigung der Reisenden“).

2.2 Sprachen und Sprachensituation Schweden benennt im Ratifikationsinstrument das Samische, das Finnische und das Meänkieli als Regional- und Minderheitensprachen. Auf diese Sprachen wird neben Teil II (Art. 7) auch Teil III (Art. 8–14) der Charta angewendet, wobei das Samische (trotz der linguistischen Praxis, Nordsamisch, Lulesamisch und Südsamisch als unterschiedliche Sprachen zu behandeln) konsequent als eine einzige Sprache aufgefasst wird. Als nicht-territoriale Sprachen, auf die nur Teil II der Charta angewendet würde, gibt Schweden Romani Chib und Jiddisch an. Auch Romani Chib stellt eine Gruppe unterschiedlicher Varietäten dar (jener der schwedischen Roma, der finnischen Roma, der in letzter Zeit von außerhalb Skandinaviens eingewanderten Roma sowie der Romani – eine Mischsprache aus Schwedisch und Romanes – sprechenden ‚Reisenden‘). Im ersten Staatenbericht benannte Schweden jene Gemeinden, die zu den Verwaltungsbezirken des Samischen (Arjeplog, Gällivare, Jokkmokk, Kiruna) bzw. des Finnischen und des Meänkieli (jeweils Gällivare, Haparanda, Kiruna, Pajala, Övertorneå) gehören. Alle diese Gemeinden befinden sich in Norrbotten, im Norden des Landes. Dass die Verwaltungsbezirke des Finnischen und des Meänkieli identisch sind, liegt daran, dass sich in diesem Gebiet das aus dem Finnischen entstandene Meänkieli gerade als eigene Sprache vom Finnischen emanzipiert und somit sich ein Teil der Bevölkerung sprachlich dem Finnischen, ein anderer dem Meänkieli zuordnet. Während im Falle des Meänkieli der entspre-

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chende Verwaltungsbezirk fast genau mit dem Verbreitungsgebiet dieser Sprache zusammenfällt, leben im Falle des Finnischen nur etwa 5 % der Sprecher in den für diese Sprache angegebenen Gemeinden (in denen die Finnen als autochthon eingestuft werden), während die restlichen 95 % in den urbanen Ballungsgebieten Mittel- und Südschwedens siedeln. Im Falle des Samischen liegt eine eigene samische Sprache (das Südsamische) außerhalb des entsprechenden Verwaltungsbezirkes. Auf diese Problematik wies auch der Sachverständigenausschuss bereits in seinem ersten Bericht hin, und das Ministerkomitee nahm in seine ersten Empfehlungen die Verbesserung der Situation der finnischen Sprache außerhalb des finnischen Verwaltungsbezirkes auf. Schweden wurde sodann im zweiten Bericht des Sachverständigenausschusses nahegelegt, den Geltungsbereich der Charta in ganz Schweden zu sichern, was sich natürlich auf das Südsamische und das außerhalb Norrbottens gesprochene Finnische bezieht. Die geringer werdende Unterstützung für finnische Organisationen in Schweden wurde kritisiert. Auch das Ministerkomitee empfahl, die Verwaltungsbezirke für das Samische und das Finnische zu erweitern und eine Agentur zur Überwachung der Implementierung zu gründen. Außerdem wurde angeregt, Maßnahmen zum Erhalt des stark gefährdeten Südsamischen zu ergreifen. Der dritte Staatenbericht stellte die Ergebnisse einer Untersuchung zur Erweiterung des finnischen und des samischen Verwaltungsbezirkes vor. Darin würde die Aufnahme von Gemeinden des Stockholmer Gebietes und der Mälardal-Region in den finnischen sowie von südsamischen Gemeinden in den samischen Verwaltungsbezirk empfohlen. In einer anderen Untersuchung würden Alternativen zum derzeitigen territorialen System der Minderheitensprachenförderung diskutiert, die jedoch nicht im Sinne der Charta wären. Der dritte Staatenbericht wies auch auf staatliche Förderungen von Unterrichtsmaterialien und Wörterbüchern des Südsamischen hin – eine Voraussetzung für die erfolgreiche Eingliederung südsamischer Gebiete in den samischen Verwaltungsbezirk. Im Addendum zum dritten Staatenbericht wurde ein neuerer Bericht zur Frage der Erweiterung der Verwaltungsbezirke vorgestellt, gemäß welchem der finnische Verwaltungsbezirk nicht erweitert und der samische um zwei südsamische Gemeinden erweitert werden sollte. Der daran anschließende Bericht des Sachverständigenausschusses rief Schweden dazu auf, die Gebiete, in denen Samisch, Finnisch bzw. Meänkieli traditionell gesprochen werden, zu definieren und die Charta ebendort auch anzuwenden (d.h. diese Gebiete in die entsprechenden sprachlichen Verwaltungsbezirke aufzunehmen). Schweden wurde auch aufgefordert, am territorialen Prinzip der Minderheitensprachenförderung festzuhalten. Der Sachverständigenausschuss brachte sodann eine weitere mögliche Minderheitensprache ins Spiel: Das Älvdalische (in Dalarna), dessen Status (schwedischer Dialekt oder

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eigene Sprache) Schweden klären möge. Auch zur Situation des Umesamischen, einer weiteren (fast ausgestorbenen) samischen Sprache, wurden Informationen gewünscht. Schließlich begrüßte der Sachverständigenausschuss die Vorbereitungen zu einem seit 2007 geplanten Sprachgesetz, in dem Samisch, Finnisch, Meänkieli, Romani Chib und Jiddisch als offizielle Minderheitensprachen festgeschrieben werden sollen. Schweden wies in einer offiziellen Reaktion darauf hin, dass auch ein Minderheiten- und Minderheitensprachengesetz geplant sei, das u.a. eine deutliche Erweiterung des samischen (um 13) und des finnischen Verwaltungsbezirkes (um 18 Gemeinden) beinhalten würde. Die anschließenden Empfehlungen des Ministerkomitees griffen noch einmal die Frage des Umfanges der sprachlichen Verwaltungsbezirke sowie den dringend nötigen Schutz des Südsamischen auf. Im vierten Staatenbericht erwähnte Schweden die Verabschiedung des Sprachgesetzes und des Gesetzes zu den nationalen Minderheiten und den nationalen Minderheitensprachen. Letzterem zufolge enthält der samische Verwaltungsbezirk nun 17 Gemeinden (erweitert u.a. um südsamische Gebiete), der finnische 23 (erweitert v.a. um Gebiete im Großraum Stockholm-Uppsala). Der Verwaltungsbezirk für das Meänkieli bleibt unverändert. Weitere Gemeinden könnten sich freiwillig einem oder mehreren Verwaltungsbezirken anschließen. Als Schutzmaßnahmen für das Südsamische nannte Schweden die beiden Sprachzentren für das Samische in Östersund und Tärnaby (beide im südsamischen Gebiet) sowie die Förderung der Herstellung von Unterrichtsmaterialien. Der Sachverständigenausschuss wies auf die Probleme des Kalé (einer seit dem 16. Jahrhundert präsenten Romani-Chib-Varietät mit ca. 7.000 Sprechern), des Älvdalischen (ca. 3.000 Sprecher) und des kaum noch gesprochenen Umesamischen hin und drängte auf eine konsequente Unterscheidung mindestens dreier samischer Sprachen (Nord-, Lule- und Südsamisch). Das Ministerkomitee äußerte sich nicht zu diesen Fragen, sondern forderte nur allgemein Verbesserungen im Bildungsbereich. Zur Sprecherzahl der Minderheitensprachen in Schweden gibt es nur Schätzungen, da keine offiziellen einschlägigen Statistiken geführt werden. Im dritten Staatenbericht lieferte Schweden diesbezüglich folgende Angaben: Samisch würden ca. 9.000 (von 15.000–20.000) Samen sprechen (der Großteil Nordsamisch, nach dem zweiten Bericht des Sachverständigenausschusses ca. 600–800 Lulesamisch und ca. 400–500 Südsamisch), Finnisch würden demnach 200.000– 250.000 (von ca. 450.000) Finnen sprechen (nach dem zweiten Bericht des Sachverständigenausschusses könnte die Zahl auch wesentlich höher liegen) und Meänkieli ca. 40.000 (von ca. 50.000) Tornedaler. Für Romani Chib gibt es überhaupt keine zuverlässigen Schätzungen darüber, wie viele der ca. 40.000–50.000 (oder auch viel mehr) Roma (davon ca. 20.000 ‚Reisende‘) eine der Varietäten des

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Romani Chib sprechen. Jiddisch dürften hingegen ca. 3.000 (von 20.000–-25.000) Juden sprechen.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Finnisch Für das Finnische gilt Teil III der Charta, allerdings im Wesentlichen auf den finnischen Verwaltungsbezirk beschränkt, der zunächst nur aus den fünf nordschwedischen Gemeinden Gällivare, Haparanda, Kiruna, Pajala und Övertorneå besteht, in denen nur ca. 5 % der Finnisch sprechenden Bewohner Schwedens (nämlich die allgemein als autochthon eingestuften) leben. Per 1.1.2010 wurde der finnische Verwaltungsbezirk mit dem Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen um 18 Gemeinden erweitert (nämlich um die Gemeinden Botkyrka, Eskilstuna, Hallstahammar, Haninge, Huddinge, Håbo, Köping, Sigtuna, Solna, Stockholm, Södertälje, Tierp, Upplands Väsby, Upplands-Bro, Uppsala, Älvkarleby, Österåker und Östhammar), die v.a. im Großraum Stockholm-Uppsala liegen. Per 1.5.2010 kamen auch noch die Gemeinden Borås, Surahammar und Västerås hinzu (und weitere werden ständig aufgenommen, bis Juni 2011: Göteborg, Hofors, Kalix, Skinnskatteberg, Sundbyberg und Umeå). Nun dürfte der Großteil der finnischsprachigen Bevölkerung Schwedens im finnischen Verwaltungsbezirk siedeln. Bildung: Der erste Staatenbericht erwähnte das Recht der Eltern im finnischen Verwaltungsbezirk, ihre Kinder in Vorschulen zu schicken, in denen zumindest ein Teil des Unterrichts in finnischer Sprache erfolge. Demnach könnten finnischsprachige Kinder auch in den Grund- und Sekundarschulen den muttersprachlichen Unterricht (der allerdings allen Kindern mit nichtschwedischer Muttersprache zusteht, falls sich mindestens fünf Kinder dafür melden) belegen, der für das Finnische in 111 der 289 Gemeinden Schwedens auch tatsächlich angeboten würde. Ähnliches gelte für die Berufsschulen. Für die Lehrerausbildung sei die Technische Universität Luleå zuständig. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte den Mangel an Vorschulen mit (teilweiser) finnischer Unterrichtssprache. Für die Grundschulen gab er die Anzahl der Schüler mit finnischem muttersprachlichem Unterricht mit 5865 (42 % aller Berechtigten; Schuljahr 1999/2000) an. Die Situation habe sich allerdings im Laufe der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts deutlich verschlechtert, am besten wäre sie noch in den Gemeinden nahe der finnischen Grenze (v.a. in Haparanda). Insgesamt sah der Sachverständigenausschuss Verbesserungsbedarf, auch an den Sekundarschulen und Berufsschulen, während die Situation an den Universitäten als zufrieden-

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stellend eingestuft wurde. Als Problem wurde noch die Tatsache erwähnt, dass (zu diesem Zeitpunkt) fast alle Finnischsprachigen außerhalb des finnischen Verwaltungsbezirkes lebten und somit keinen ausreichenden Zugang zu finnischem Unterricht hätten, was auch das Ministerkomitee (neben der allgemeinen nicht befriedigenden Situation im Bildungswesen) bemängelte. Im zweiten Staatenbericht wurde darauf hingewiesen, dass es im Schuljahr 2002/03 acht private Schulen mit bilingualem schwedisch-finnischem Unterricht gebe und an der Mälardalen-Universität 2002 ein finnisches Sprach- und Kulturzentrum eingerichtet worden sei. Der anschließende Bericht des Sachverständigenausschusses wiederholte seine Kritik am finnischen Vorschulwesen und forderte für den Grund- und Sekundarschulbereich eine Stärkung des Unterrichts in Finnisch bzw. des Finnischen, die Streichung des Finnischen als Familiensprache als Voraussetzung für den finnischen muttersprachlichen Unterricht und die Entwicklung bilingualer Unterrichtsmodelle als Alternative. Das Ministerkomitee empfahl wiederum den Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts in den Schulen (besonders in den Sekundarschulen), eine bessere Verfügbarkeit von entsprechenden Lehrern sowie eine verstärkte Förderung bilingualer Unterrichtsmodelle. Der dritte Staatenbericht gab kaum wesentliche zusätzliche Informationen (abgesehen von der Nennung weiterer Universitäten, an denen Finnisch studiert werden kann: Universitäten Uppsala, Lund, Umeå und Stockholm). Die Anzahl der Schüler mit muttersprachlichem Unterricht in Finnisch sei demnach im Schuljahr 2004/05 in den Grundschulen auf ca. 4100 zurückgegangen. Der nachfolgende Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte wiederum das finnische Vorschulwesen und forderte mehr bilingualen Unterricht (als Alternative zum muttersprachlichen Unterricht). Das Ministerkomitee blieb im Wesentlichen bei seinen Empfehlungen, erwartete nun aber auch eine Verbesserung der Situation an den Universitäten. Im vierten Staatenbericht lieferte Schweden noch zusätzliche Informationen: Für den muttersprachlichen Unterricht an gewöhnlichen Schulen sei die Forderung nach mindestens fünf Anmeldungen als Voraussetzung gefallen (trotzdem sank die Anzahl der Teilnehmer an diesem Unterricht bis zum Schuljahr 2008/09 weiter auf 3576), und bilingualer schwedisch-finnischer Unterricht werde demnach nun in sieben privaten und fünf kommunalen Schulen angeboten. Der Sachverständigenausschuss blieb bei seiner Kritik (v.a. aufgrund der Schließung der einzigen bilingualen Sekundarschule), das Ministerkomitee bei seinen Empfehlungen. Justizbehörden: Nach dem ersten Staatenbericht hat jede Partei in einem gerichtlichen Prozess, der eine Verbindung zum finnischen Verwaltungsbezirk hat, das Recht, die finnische Sprache zu gebrauchen. Außerdem müssten finnischsprachige Rechtsdokumente zugelassen werden, und das Gesetz zum offi-

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ziellen Gebrauch des Finnischen gebe es auch in finnischer Übersetzung. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses war im Wesentlichen mit dem Gebrauch des Finnischen vor Gericht zufrieden, forderte aber mehr schriftliche Übersetzungen von Gerichtsdokumenten bzw. von wichtigen Gesetzestexten. Auch das Ministerkomitee empfahl eine Stärkung des Finnischen in diesem Bereich und zusätzlich eine Verbesserung der Situation des Finnischen vor Gerichten außerhalb des finnischen Verwaltungsbezirkes. Der zweite Staatenbericht und der folgende Bericht des Sachverständigenausschusses brachten nichts Neues. Auch das Ministerkomitee empfahl nochmals eine intensivere Verwendung des Finnischen vor Gericht. Im dritten Staatenbericht fand sich wiederum nichts wesentlich Neues, lediglich auf die relativ gute Situation des Finnischen in den Gerichten im Bezirk Haparanda (an der finnischen Grenze) wurde hingewiesen (dort sei mehr als die Hälfte der Richter und des Gerichtspersonals finnischsprachig). Der dritte Bericht des Sachverständigenausschusses wiederholte seine vormalige Kritik, das Ministerkomitee seine vorherige Empfehlung. Der vierte Staatenbericht informierte – analog zum Samischen – über mögliche Verbesserungen durch die neue Gesetzeslage und neue ins Finnische übersetzte Gesetze. Der Sachverständigenausschuss sah Schwedens diesbezügliche Verpflichtungen nun als teilweise erfüllt an, das Ministerkomitee verzichtete daraufhin auf eine Empfehlung. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Gemäß erstem Staatenbericht haben Finnischsprechende das Recht, bei lokalen und regionalen staatlichen Ämtern ihre Sprache sowohl schriftlich als auch mündlich zu verwenden. Ebenso sollen Orts- und Personennamen in der originalen finnischen Form verwendet werden. Der folgende Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte allerdings die Durchsetzung des Rechts auf Gebrauch des Finnischen in Ämtern und den Mangel an ins Finnische übersetzten offiziellen Dokumenten. Auch das Ministerkomitee empfahl eine Verbesserung der Situation (auch außerhalb des finnischen Verwaltungsbezirkes). Zweiter und dritter Staatenbericht brachten keine neuen diesbezüglichen Informationen, die entsprechenden Berichte des Sachverständigenausschusses wiederholten ihre Kritik, bezeichneten die Situation des Finnischen im Amtsgebrauch jedoch als deutlich besser als jene der anderen Minderheitensprachen in Schweden (z.B.: 73,4  % der Ämter im finnischen Verwaltungsbezirk hätten finnischsprachiges Personal, wenn auch nur 22,9 % von ihnen eine schriftliche Antwort auf Finnisch geben könnten). Das Ministerkomitee empfahl wiederum eine Stärkung des Finnischen im amtlichen Gebrauch. Im vierten Staatenbericht wurde – analog zum Samischen– auf positive Effekte durch die neue Gesetzeslage gehofft. Der Sachverständigenausschuss war

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nun mit der Situation teilweise zufrieden, das Ministerkomitee sprach keine einschlägige Empfehlung mehr aus. Medien: Der erste Staatenbericht wies auf die Pflicht des öffentlichen Fernsehens und Radios hin, das Finnische in seinen Programmen zu berücksichtigen (1999 wurden hier 107 Stunden Fernsehen und 4487 Stunden Radio in finnischer Sprache gesendet). Auch die finnischsprachige Zeitung Ruotsin Suomalainen wurde erwähnt. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses zeigte sich zwar zufrieden, war aber wegen der Berichte über geplante budgetäre Einsparungen beim finnischsprachigen Rundfunk beunruhigt. Das Ministerkomitee lieferte keinen Kommentar. Im zweiten und dritten Staatenbericht wurden neue Zahlen genannt (2006: 131 Stunden Fernsehen und 7225 Stunden Radio auf Finnisch). Auch wurde auf einen eigenen finnischen Kabel-TV-Kanal (Stockholm und Umgebung, seit 2007) sowie auf eine weitere finnischsprachige Zeitung Ruotsin Sanomat hingewiesen. Sowohl Sachverständigenausschuss als auch Ministerkomitee sahen keinen Anlass zu Kritik. Der vierte Berichtszyklus lieferte diesbezüglich nichts wesentlich Neues. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die Staatenberichte lieferten Informationen über Förderungen kultureller Einrichtungen (z.B.: Finnisches Theater, Finnischer Sprachrat). Sowohl Sachverständigenausschuss als auch Ministerkomitee sind mit der Situation zufrieden. Wirtschaftliches und soziales Leben: Da Schweden den Gebrauch des Finnischen im Wirtschaftsbereich nicht behindert und sich nur dazu verpflichtet hat, sehen Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee keinen Anlass zu Kritik. Grenzüberschreitender Austausch: Aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit zwischen Schweden und Finnland in allen Bereichen (z.B.: Sprachräte, Finnisch-Schwedischer Bildungsrat) sind Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee von Anfang an mit der Situation zufrieden.

2.3.2 Meänkieli Auch für das Meänkieli, das sich gerade erst von den finnischen Varietäten im Tornedal im Norden Schwedens emanzipiert, gilt Teil III der Charta. Der diesbezüglich relevante Verwaltungsbezirk für das Meänkieli besteht zunächst aus den fünf nordschwedischen Gemeinden Gällivare, Haparanda, Kiruna, Pajala und Övertorneå und stimmt somit mit dem finnischen Verwaltungsbezirk in seiner ursprünglichen Ausdehnung überein. Nach dem Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen können ständig weitere

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Gemeinden aufgenommen werden (bis Juni 2011 kam die Gemeinde Kalix, die auch zum finnischen Verwaltungsbezirk gehört, hinzu). Bildung: Nach dem ersten Staatenbericht haben Eltern im Verwaltungsbezirk für das Meänkieli das Recht, ihre Kinder in Vorschulen zu schicken, in denen zumindest ein Teil des Unterrichts auf Meänkieli erfolgt. In den Grund- und Sekundarschulen böten demnach drei der fünf Gemeinden im Meänkieli-Verwaltungsbezirk (Haparanda, Pajala und Övertorneå) muttersprachlichen Unterricht auf Meänkieli an, der in den Grundschulen der beiden letzteren Gemeinden von etwa gleich vielen Schülern belegt werde wie der finnische. In den Oberstufen der Sekundarschulen hätte allerdings im Schuljahr 2000/01 kein einziger Schüler am muttersprachlichen Meänkieli-Unterricht teilgenommen (obwohl er in zwei Gemeinden angeboten worden wäre). Ähnlich schlecht sehe es in den Berufsschulen aus. An den Universitäten gehe Meänkieli manchmal in die gewöhnliche Finnisch-Ausbildung ein. Für die Lehrerausbildung sei die Technische Universität Luleå zuständig. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte den Mangel an Vorschulen mit Meänkieli als (zumindest teilweiser) Unterrichtssprache. Auch für die Grund-, Sekundar- und Berufsschulen wurde ein verbesserter Zugang zu einer Ausbildung in Meänkieli gefordert. Die Situation habe sich im Laufe der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sogar deutlich verschlechtert, in den Sekundarschulen (wie auch in den Berufsschulen) fehle der Meänkieli-Unterricht völlig. Für den Bereich der Universitäten wurde eingeräumt, dass man sich erst in der Anfangsphase der Entwicklung befinde (Meänkieli-Kurse würden allerdings bereits in Luleå und Stockholm angeboten). Als Problem wurde auch das Fehlen einer Meänkieli-Lehrerausbildung gesehen, die eigentlich dafür zuständige Technische Universität Luleå biete nur hin und wieder Meänkieli-Kurse für Lehrer an. Das Ministerkomitee schloss sich diesen Kritikpunkten an und empfahl einen besseren Zugang zum Unterricht in Meänkieli, die Entwicklung von entsprechendem Lehrmaterial und die Schaffung einer Ausbildung für Meänkieli-Lehrer. Der zweite Staatenbericht brachte keine wesentlichen neuen Informationen (abgesehen von der Ankündigung, dass mit dem Schuljahr 2004/05 nun auch zwei Schüler an Sekundarschul-Oberstufen den muttersprachlichen Unterricht in Meänkieli belegen würden). Der anschließende Bericht des Sachverständigenausschusses wiederholte seine Kritik am Meänkieli-Vorschulwesen und forderte für den Grund- und Sekundarschulbereich eine Stärkung des Unterrichts in bzw. des Meänkieli und die Entwicklung bilingualer Unterrichtsmodelle als Alternative zum muttersprachlichen Unterricht. Auch die Schaffung einer Meänkieli-Lehrerausbildung wurde urgiert. Das Ministerkomitee empfahl wiederum den Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts in den Schulen (besonders in den Sekundarschulen), eine bessere Verfügbarkeit von entsprechenden Lehrern sowie eine verstärkte Förderung bilingualer Unterrichtsmodelle.

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Der dritte Staatenbericht gab kaum wesentliche zusätzliche Informationen (abgesehen davon, dass nun die Universität Umeå einen Fernkurs in Meänkieli anbietet). Der folgende Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte wiederum das Meänkieli-Vorschulwesen und forderte mehr muttersprachlichen und (als Alternative) bilingualen Unterricht (insbesondere in den Sekundarschulen) sowie eine Verbesserung der Lehrerausbildung (nachdem sich die ersten Studenten für ein entsprechendes Programm gemeldet hatten). Das Ministerkomitee blieb im Wesentlichen bei seinen Empfehlungen, erwartete aber nun auch eine Verbesserung der Situation an den Universitäten. Der vierte Staatenbericht lieferte noch einige zusätzliche Informationen: Für den muttersprachlichen Unterricht in Meänkieli würden die Bedingungen gelockert (trotzdem wäre die Anzahl der Teilnehmer an diesem Unterricht von 153 im Schuljahr 2007/08 auf 71 im Schuljahr 2008/09 gesunken; eine Erklärung dafür wurde nicht gegeben), und die Entwicklung von Meänkieli-Lehrmaterialien werde in Auftrag gegeben. Der Sachverständigenausschuss kritisierte wiederum das Meänkieli-Bildungswesen auf allen Ebenen und in allen Bereichen, das Ministerkomitee blieb bei seinen Empfehlungen (v.a. hinsichtlich der Etablierung eines bilingualen Unterrichts). Justizbehörden: Gemäß erstem Staatenbericht hat jede Partei in einem gerichtlichen Prozess, der eine Verbindung zum Verwaltungsbezirk des Meänkieli hat, das Recht, Meänkieli zu verwenden. Rechtsdokumente in dieser Sprache müssten zugelassen werden, und das Gesetz zum offiziellen Gebrauch des Meänkieli gebe es auch auf Meänkieli. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte, dass das Recht auf Meänkieli vor Gericht noch nie in Anspruch genommen worden sei und forderte schriftliche Übersetzungen von Gerichtsdokumenten bzw. von wichtigen weiteren Gesetzestexten. Auch das Ministerkomitee empfahl eine Stärkung des Meänkieli in diesem Bereich. Im zweiten Staatenbericht und im folgenden Bericht des Sachverständigenausschusses fand sich nichts Neues, und das Ministerkomitee wiederholte seine Empfehlung vom letzten Mal. Auch der dritte Staatenbericht brachte nichts wesentlich Neues, lediglich auf die Existenz einiger Beamter im Justizbereich, die des Meänkieli mächtig seien, wurde hingewiesen. Der dritte Bericht des Sachverständigenausschusses wiederholte seine vormalige Kritik, das Ministerkomitee seine vorherige Empfehlung. Der vierte Staatenbericht wies – analog zum Samischen– auf mögliche Verbesserungen durch die neue Gesetzeslage und neue ins Meänkieli übersetzte Gesetze hin. Der Sachverständigenausschuss blieb dennoch sehr kritisch, wenn auch das Ministerkomitee dieses Mal von einer einschlägigen Empfehlung absah. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Nach dem ersten Staatenbericht haben Sprecher des Meänkieli das Recht, bei lokalen und

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regionalen staatlichen Ämtern ihre Sprache sowohl schriftlich als auch mündlich zu gebrauchen. Auch Orts- und Personennamen sollen in der originalen Form verwendet werden. Im nachfolgenden Bericht des Sachverständigenausschusses wurden allerdings die Durchsetzung des Rechts auf Verwendung des Meänkieli in Ämtern und der Mangel an ins Meänkieli übersetzten offiziellen Dokumenten kritisiert. Auch das Ministerkomitee empfahl eine Verbesserung der Situation. Zweiter und dritter Staatenbericht brachten keine neuen Informationen, die nachfolgenden Berichte des Sachverständigenausschusses wiederholten ihre Kritik, zeigten aber ein gewisses Verständnis dafür, dass es für Meänkieli-Sprecher noch äußerst ungewohnt sei, ihre Sprache schriftlich zu verwenden. Das Ministerkomitee empfahl wiederum eine Stärkung des Meänkieli im amtlichen Gebrauch. Der vierte Staatenbericht hoffte – analog zum Samischen – auf positive Effekte durch die neuen Gesetze. Der Sachverständigenausschuss sah nach wie vor große Defizite, das Ministerkomitee verzichtete nun dennoch auf eine Empfehlung. Medien: Der erste Staatenbericht wies auf die Pflicht des öffentlichen Fernsehens und Radios hin, Programme in Meänkieli zu senden, über die Umsetzung wurde allerdings nichts berichtet. Außerdem hätten die Meänkieli-Sprecher großes Interesse an finnischsprachigen Medien. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses war mit der Situation nicht zufrieden (so würden im schwedischen Fernsehen nur wenige Stunden jährlich in Meänkieli gesendet) und forderte zumindest ein Nachrichtenprogramm in dieser Sprache. Auch das Fehlen einer Zeitung in Meänkieli wurde kritisiert (in der geförderten dreisprachigen Zeitung Haparandabladet sei der Meänkieli-Anteil im Gegensatz zum schwedischen und finnischen nur sehr klein). Das Ministerkomitee empfahl deshalb die Schaffung einer Zeitung in Meänkieli. Der zweite Staatenbericht brachte nichts Neues, im dritten Staatenbericht wurden Zahlen genannt (2006: 10 Stunden Fernsehen und 834 Stunden Radio in Meänkieli). Sowohl Sachverständigenausschuss als auch Ministerkomitee forderten die Etablierung einer Meänkieli-sprachigen Zeitung. Der vierte Berichtszyklus lieferte diesbezüglich nichts Neues. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die Staatenberichte informierten über Förderungen kultureller Einrichtungen, z.B.: Tornedal-Theater, Meän Akateemi (Academia Tornedaliensis, zuständig für Kultur, Sprache und Publikationen). Sowohl Sachverständigenausschuss als auch Ministerkomitee sind mit der Situation im Wesentlichen zufrieden. Wirtschaftliches und soziales Leben: Da Schweden das Meänkieli in diesem Bereich nicht behindert und sich nur dazu verpflichtet hat, sehen Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee keinen Anlass zu Kritik. Grenzüberschreitender Austausch: Aufgrund der regen Zusammenarbeit zwischen schwedischem und finnischem Teil des Tornedals (Tornedal-Rat, Koopera-

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tion zwischen den Grenzstädten Haparanda und Tornio, Vertrag über die Verwaltung des Tornedals) sind Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee von Anfang an mit der Situation zufrieden.

2.3.3 Samisch Samisch wird von Schweden im Ratifizierungsinstrument und auch danach immer als einheitliche Sprache angesehen, für die Teil III der Charta gelten würde. Allerdings werden mittlerweile allgemein – z.B. auch in Norwegen – die verschiedenen samischen Varietäten (in Schweden v.a. Nordsamisch, Lulesamisch und Südsamisch) als eigene Sprachen betrachtet. Da die schwedischen Regelungen bezüglich des Samischen großteils auf den samischen Verwaltungsbezirk beschränkt sind, der zunächst aus den Gemeinden Arjeplog, Gällivare, Jokkmokk und Kiruna besteht, gilt Teil III der Charta vorerst nur für das dort gesprochene Nord- und Lulesamische, nicht aber für das Südsamische, für das nur Teil II der Charta Anwendung findet. Allerdings wurde der samische Verwaltungsbezirk mit dem Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen per 1.1.2010 um 13 Gemeinden (Arvidsjaur, Berg, Härjedalen, Lycksele, Malå, Sorsele, Storuman, Strömsund, Umeå, Vilhelmina, Åre, Älvdalen und Östersund) erweitert, per 1.5.2010 kam auch noch die Gemeinde Krokom hinzu. Jetzt befinden sich auch südsamische Gemeinden im samischen Verwaltungsbezirk, so dass das Südsamische nun den Schutz gemäß Teil III der Charta genießen sollte. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht haben Eltern im samischen Verwaltungsbezirk das Recht, ihre Kinder in samische Vorschulen zu schicken, in denen zumindest ein Teil des Unterrichts in samischer Sprache erfolgt. Außerdem gebe es samische Grundschulen für die erste bis sechste Klasse, deren Absolventen Samisch sprechen, lesen und schreiben können müssen. Danach gingen die samischen Schüler in gewöhnliche schwedische Sekundarschulen, in denen sie Samisch als Muttersprache weiterlernen können. Nur eine einzige Sekundarschule (Bokenskolan in Jokkmokk) biete auf Oberstufenniveau und als Berufsschule eine samische Spezialisierung an. An den Universitäten Umeå und Uppsala könne man Samisch studieren, eine samische Lehrerausbildung gebe es an der Technischen Universität Luleå. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses wies darauf hin, dass in allen schwedischen Schulen der Anteil des Unterrichts in der Minderheitensprache nicht mehr als 50 % betragen darf und mit steigendem Alter der Schüler ständig sinken soll, was von Minderheitenangehörigen immer wieder kritisiert wird. Der Bericht beschrieb auch die Situation in den verschiedenen Schultypen. Die samischen Vorschulen würden demnach

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im Schuljahr 2000/01 von 51 samischen Kindern besucht, die samischen Grundschulen von 164 (dazu kämen 181 Schüler mit integriertem Samischunterricht in gewöhnlichen Grundschulen). Der Sachverständigenausschuss forderte dabei eine stärkere Berücksichtigung des Rechts auf muttersprachlichen Unterricht. In Bezug auf die sechs samischen Grundschulen in Karesuando, Kiruna, Lannavaara (alle Nordsamisch), Gällivare, Jokkmokk (beide Nord- und Lulesamisch) und Tärnaby (Nord-, Lule- und Südsamisch) wurde auch das weitgehende Fehlen von Lehrmaterialien (v.a. des Lule- und Südsamischen) beanstandet. Auch der Samischunterricht auf Sekundarstufenniveau (30 Schüler im Schuljahr 2000/01 in Jokkmokk) war dem Sachverständigenausschuss zu wenig. Schließlich wurde noch die nicht ausreichende Lehrerausbildung im Bereich des samischen Bildungswesens kritisiert. Auch die Empfehlungen des Ministerkomitees gingen in diese Richtung: Den Zugang zum Unterricht auf Samisch stärken, die Herstellung von Lehrmaterial intensivieren und die Lehrerausbildung verbessern. Der zweite Staatenbericht brachte an neuen Informationen lediglich die Einführung einer Dolmetscherausbildung für Samisch. Der zweite Bericht des Sachverständigenausschusses wiederholte die bereits zuvor geäußerten Forderungen (mehr muttersprachlicher Unterricht, mehr Samischunterricht in den Sekundarschulen, mehr Lehrmaterial, mehr und bessere Lehrerausbildung), drängte aber auch auf eine stärkere Förderung speziell des Südsamischen im Bildungsbereich, das erhalten werden soll, bzw. auf einen Ausbau des samischen Vorschulwesens. Defizite sah man zudem im Bereich der Berufsschulen. Das Ministerkomitee empfahl daraufhin eine Verbesserung des Zugangs zu muttersprachlichem Unterricht (insbesondere an den Sekundarschulen), eine Erhöhung der Anzahl der Lehrer und eine Förderung des samischen Muttersprachenunterrichts in gewöhnlichen Schulen sowie von bilingualen Schulmodellen. Außerdem solle die Situation des Südsamischen verbessert werden. Im dritten Staatenbericht wurde auf eine Erhöhung der Anzahl der Schüler in samischen Vorschulen hingewiesen (2006/07: 107), während der entsprechende Wert für die samischen Grundschulen in etwa konstant geblieben (2006/07: 163) und jener für den integrierten Samischunterricht gefallen sei (2006/07: 154). In den normalen Grundschulen nähmen demnach ca. 400 Schüler (63  % aller Berechtigten) am generellen Muttersprachenunterricht (der allen Kindern mit nichtschwedischer Muttersprache zusteht) teil, wobei auch bilinguale Modelle eingeführt würden. Für erwachsene Samen, die nie ihre Sprache lesen oder schreiben gelernt haben (aber sie sprechen können), würden Beihilfen für die Teilnahme an entsprechenden Kursen geschaffen. Im dritten Bericht des Sachverständigenausschusses wurde nochmals gefordert, im Bereich der Bildung Schritte zu setzen, um das Südsamische zu erhalten. Ansonsten wurde zuvor geäußerte Kritik wiederholt (Mängel im samischen Vorschulsystem, in den Sekundarschu-

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len, den Berufsschulen, der Lehrerausbildung). Auch die für Samisch zuständigen Universitäten wurden wegen negativer Trends ins Visier genommen (v.a. in Bezug auf das Angebot in Lule- und Südsamisch). Das Ministerkomitee wiederholte im Wesentlichen seine Empfehlungen vom letzten Mal, drängte aber jetzt auch auf eine Verbesserung der Situation an den Universitäten. Im vierten Staatenbericht lieferte Schweden noch einige weitere Informationen: Die Bedingungen für muttersprachlichen Unterricht in Samisch in gewöhnlichen Schulen würden gelockert (trotzdem fiel die Anzahl der Teilnehmer an diesem Muttersprachenunterricht im Schuljahr 2008/09 auf 301), und der Samischunterricht an Sekundarschulen werde mehr gefördert (integrierter Samischunterricht, Fernunterricht). Der Sachverständigenausschuss sah jedoch keine wesentlichen Fortschritte und wiederholte seine Forderungen vom letzten Mal, das Ministerkomitee seine Empfehlungen. Justizbehörden: Gemäß erstem Staatenbericht hat jede Partei in einem gerichtlichen Prozess, der eine Verbindung zum samischen Verwaltungsbezirk hat, das Recht, Samisch zu verwenden. Außerdem dürften Rechtsdokumente nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie in Samisch abgefasst sind. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass das Gesetz zum offiziellen Gebrauch des Samischen in das Nord-, Lule- und Südsamische übersetzt worden sei. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses bemängelte allerdings die Umsetzung des Rechts auf den Gebrauch des Samischen vor Gericht und forderte mehr Übersetzungen von Gerichtsdokumenten, falls gewünscht. Schweden wurde auch angehalten, die wichtigsten Gesetze, insbesondere all jene, die die Samen betreffen, in das Samische zu übersetzen. Eine bessere Umsetzung des Rechts auf die Verwendung des Samischen vor Gericht empfahl auch das Ministerkomitee. Der zweite Staatenbericht lieferte keine wesentlichen neuen Informationen, so dass der folgende Bericht des Sachverständigenausschusses keine Verbesserung der Situation erkannte und seine Kritikpunkte wiederholte. Das Ministerkomitee nahm deshalb Maßnahmen zur verstärkten Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben wiederum in seine Empfehlungen auf. Auch der dritte Staatenbericht brachte diesbezüglich nichts wirklich Neues (wenn man von der Übersetzung einiger weniger weiterer rechtlicher Informationen ins Nord-, Lule- und Südsamische absieht). Der Sachverständigenausschuss zitierte in seinem folgenden Bericht eine Untersuchung aus dem Jahr 2008, der zu Folge nur 4 % der Samischsprechenden ihre Sprache vor Gericht und bei Ämtern verwenden würden, und forderte deshalb noch vehementer eine Verbesserung der Situation sowie die Übersetzung wichtiger Gesetzestexte. Auch das Ministerkomitee wiederholte seine diesbezügliche Empfehlung vom letzten Mal. Der vierte Staatenbericht wies auf das neue Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen hin, das die Verwendung

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des Samischen vor Gericht erleichtern soll. Allerdings konnte er keine Daten über den tatsächlichen Gebrauch des Samischen liefern. An weiteren Gesetzestexten, die ins Samische übersetzt worden sind, nannte er v.a. das neue Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen sowie das neue Sprachgesetz. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich teilweise zufrieden, das Ministerkomitee äußerte sich in seinen Empfehlungen nicht mehr dazu. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Laut erstem Staatenbericht haben Samischsprechende das Recht, bei lokalen und regionalen staatlichen Ämtern ihre Sprache sowohl schriftlich als auch mündlich zu verwenden. Auch Orts- und Personennamen sollen in der originalen samischen Form gebraucht werden. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte allerdings die fehlende Durchsetzung des Gebrauchs des Samischen bei Ämtern und den Mangel an ins Samische übersetzten offiziellen Dokumenten. Eine Verbesserung der Situation regten auch die Empfehlungen des Ministerkomitees an. Nachdem sowohl der zweite als auch der dritte Staatenbericht keine neuen Informationen lieferten, wiederholte der Sachverständigenausschuss seine Kritik und forderte u.a. eine Erhöhung des Anteiles des samischsprachigen Personals bei Ämtern sowie mehr Übersetzer. Das Ministerkomitee erneuerte seine Empfehlung, den offiziellen Gebrauch des Samischen zu stärken. Der vierte Staatenbericht sah im neuen Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen eine Verbesserung der Situation. Belegt konnte dies jedoch vorerst nicht werden, sodass der Sachverständigenausschuss bei seinem Standpunkt blieb. Das Ministerkomitee verzichtete nun jedoch auf die entsprechende Empfehlung. Medien: Gemäß erstem Staatenbericht haben öffentliches Fernsehen und Radio die Pflicht, Programme in den Minderheitensprachen zu senden (1999 sendete das schwedische Fernsehen 21 Stunden auf Samisch bzw. das Sámi Radio 204). Der Bericht des Sachverständigenausschusses bemängelte v.a. das Fehlen einer samischsprachigen Zeitung, deren Schaffung das Ministerkomitee in seine Empfehlungen aufnahm. Der zweite und der dritte Staatenbericht lieferten neue Zahlen (2006: 59 Stunden auf Samisch im schwedischen Fernsehen, 666 Stunden auf Samisch im schwedischen Radio), aber keine neuen Informationen zur Frage einer samischsprachigen Zeitung, so dass der Sachverständigenausschuss seine Forderung nach Etablierung einer solchen wiederholte und das Ministerkomitee diese Angelegenheit wiederum aufgriff. Auch der vierte Berichtszyklus führte diesbezüglich zu keinen Fortschritten. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die Staatenberichte lieferten Informationen über Förderungen kultureller Aktivitäten (z.B.: Samisches Theater, samische Bibliothek, samische Kunsthandwerkervereinigung, schwedischspra-

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chige Zeitung Tidningen Samefolket). Sowohl Sachverständigenausschuss als auch Ministerkomitee sahen keinen Anlass zu Kritik in diesem Bereich. Wirtschaftliches und soziales Leben: Da sich Schweden nur verpflichtet hat, das Samische im wirtschaftlichen Bereich nicht zu behindern, und dem auch nachkommt, sind Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee mit der Situation zufrieden. Grenzüberschreitender Austausch: Aufgrund der vorbildhaften Zusammenarbeit der nordischen Länder, die in Bezug auf die Samen besonders intensiv ist (Kooperation der Samenparlamente bzw. der zugehörigen Sprachräte, Nordisches Samisches Institut und vieles andere) sehen Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee von vornherein keinen Anlass zu Kritik.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Jiddisch Jiddisch genießt als nicht-territoriale Minderheitensprache in Schweden Schutz gemäß Teil II der Charta. Die etwa 3.000 Sprecher sind in den urbanen Zentren des Landes konzentriert. Der erste Staatenbericht wies auf das Recht auf muttersprachlichen Unterricht in Jiddisch hin. Auch wurde erwähnt, dass der staatliche Rundfunk das Jiddische in seiner Programmgestaltung zu berücksichtigen hat. Allerdings wurde auch eingeräumt, dass an keiner Universität des Landes Jiddisch angeboten wird. Der nachfolgende Bericht des Sachverständigenausschusses bemängelte das fast vollständige Fehlen von Informationen zur Situation des Jiddischen in Schweden. In den Schulen des Landes werde diese Sprache derzeit nicht unterrichtet, auch die Abwesenheit des Jiddischen an den Universitäten des Landes wurde kritisiert. Das Ministerkomitee empfahl die Förderung des Jiddischen im Bildungsbereich (inklusive der Schaffung von Lehrmaterialien und der Einführung einer Lehrerausbildung). Im zweiten Staatenbericht fand sich nichts Neues zur Situation des Jiddischen, sodass der Sachverständigenausschuss wiederum die mangelnde Präsenz dieser Minderheitensprache im öffentlichen Leben (und auch in den Medien) kritisierte. In den drei privaten Schulen für jüdische Kinder (zwei in Göteborg, eine in Stockholm) werde kaum Jiddisch unterrichtet. Insgesamt würden nur acht Schüler (alle in Göteborg) am jiddischen Muttersprachenunterricht teilnehmen (Schuljahr 2004/05), und nur an der Universität Uppsala würden seit 2002 Jiddisch-Kurse angeboten. Das Ministerkomitee wiederholte seine vorherigen Empfehlungen.

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Der dritte Staatenbericht bestätigte die fast völlige Abwesenheit des Jiddischen im Bildungswesen und in den Medien (in letzteren habe das Jiddische im Gegensatz zu den anderen Regional- und Minderheitensprachen wegen der geringen Sprecherzahl auch keine spezielle Stellung). Allerdings sei die Etablierung des Jiddischen auf Universitätsebene geplant (zuständig dafür sei die Universität Lund). Der Sachverständigenausschuss forderte daraufhin von Schweden eine stärkere Berücksichtigung des Jiddischen an den Schulen (v.a. in Göteborg, Malmö und Stockholm) und in den Medien. Das Ministerkomitee blieb wiederum bei seinem bisherigen Standpunkt. Der vierte Staatenbericht wies auf den Wegfall der Mindestanzahl an Anmeldungen für den muttersprachlichen Unterricht hin, der aber die Anzahl der daran teilnehmenden Schüler kaum erhöhte (2008/09: 10). Die drei jüdischen Schulen in Schweden (nunmehr eine in Göteborg und zwei in Stockholm) würden fast nur Hebräisch lehren. An der Universität Lund werde jedoch bereits Jiddisch unterrichtet. Der Sachverständigenausschuss kritisierte wiederum v.a. die mangelhafte Situation im Bildungswesen (trotz positiver Signale im Hochschulbereich) sowie in den Medien, das Ministerkomitee empfahl erneut Verbesserungen im Minderheitenschulwesen.

2.4.2 »Romani Chib« Das Romani Chib (Sammelbezeichnung aller Roma-Sprachen in Schweden einschließlich des Romani, der Sprache der ‚Reisenden‘) gilt in Schweden als nicht-territoriale Minderheitensprache, die unter dem Schutz von Teil II der Charta steht. Über die Anzahl der Sprecher werden keine Angaben gemacht. Im ersten Staatenbericht wurden das Recht auf muttersprachlichen Unterricht in Romani Chib (bei dem es wie im Falle des Samischen und des Meänkieli keiner Mindestanzahl an Anmeldungen bedarf) und die Pflicht des staatlichen Rundfunks, auch in Romani Chib zu senden, erwähnt. Allerdings wurde auch eingeräumt, dass das Romani Chib im höheren Bildungsbereich nicht berücksichtigt werde. Der erste Bericht des Sachverständigenausschusses kritisierte v.a. die fast vollständige Abwesenheit des Romani Chib im öffentlichen Leben (fast keine Lehrer und Lehrmaterialien, keine Präsenz an den Universitäten, kaum Übersetzer bzw. Dolmetscher in den Gerichten), obwohl auf positive Tendenzen (Beginn der Herstellung von Lehrmaterialien bzw. Einrichtung einer Lehrerausbildung) hingewiesen wurde. Eine Verbesserung des Unterrichts in Romani Chib empfahl auch das Ministerkomitee. Der zweite Staatenbericht brachte nicht viel Neues an Informationen, lediglich die Gewährung eines speziellen Status für das Romani Chib im Rundfunk (wie

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ihn das Samische, Finnische und das Meänkieli haben), der zu einer bescheidenen Präsenz des Romani Chib im Radio geführt habe, wurde erwähnt. Der nachfolgende Bericht des Sachverständigenausschusses wiederholte die Kritik an der mangelnden Präsenz des Romani Chib im öffentlichen Leben, 2004 seien jedoch in dieser Sprache immerhin elf Stunden im Fernsehen und 130 Stunden im Radio gesendet worden, und in Stockholm sei ein Roma-Kulturzentrum (das sich v.a. mit der eigenen Sprache beschäftige) errichtet worden. Bemängelt wurde nach wie vor die Situation im Schulwesen (zu wenig muttersprachlicher Unterricht, zu wenige Lehrer, zu wenige Unterrichtsmaterialien). Auch das Ministerkomitee wiederholte seine Kritik. Im dritten Staatenbericht wurde u.a. erwähnt, dass nun zwei Vorschulen für Roma-Kinder existieren würden (in Göteborg und in Malmö), insgesamt nur etwa 300 Roma-Schüler am muttersprachlichen Unterricht teilnehmen würden (25 % aller Berechtigten), im schwedischen Radio nunmehr 165 Stunden auf Romani Chib gesendet würden (2006) und dass im schwedischen Fernsehen keine einzige Sendung in dieser Sprache auf dem Programm stand. Auch die geplante Etablierung des Romani Chib auf Universitätsebene (verantwortlich wäre hier die Universität Linköping) wurde angesprochen. Der Sachverständigenausschuss kritisierte v.a. das gleichbleibend schlechte Angebot an Romani-Chib-Lehrern, das Ministerkomitee empfahl den Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts (und die Berücksichtigung bilingualer Lehrmodelle). Der vierte Staatenbericht wies auf die Etablierung eines Romani-Chib-Sprachkurses an der Universität Linköping und eine Untersuchung über die Varietäten des Romani Chib in Schweden (unter Einbindung von Roma-Vertretern) hin, die u.a. zu neuen Lehrmaterialien und einer Schulgrammatik des Romani Chib führen soll. Der Sachverständigenausschuss blieb bei seiner Kritik v.a. des Bildungsbereiches (und hier insbesondere hinsichtlich des Fehlens von Lehrkräften), das Ministerkomitee empfahl wiederum eine Verbesserung im Minderheitenschulwesen.

3 Bewertung Schweden hat als EU-Mitglied und auch sonst westlich orientiertes Land die Charta unterzeichnet, ratifiziert und implementiert. Der Abschluss von vier Berichtszyklen innerhalb von zehn Jahren zeugt von einer intensiven und zügigen Zusammenarbeit zwischen der schwedischen Regierung und dem Europarat. Allerdings kommt Schweden in vielen Fällen den Empfehlungen des Sachverständigenausschusses bzw. des Ministerkomitees

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nicht oder nur teilweise nach, sodass die Forderungen seitens des Europarates häufig wiederholt werden müssen. Was die Erweiterung des Territoriums, in dem Teil III der Charta gelten soll, betrifft, so befolgt Schweden allerdings die Empfehlungen und nimmt weitere Gemeinden in den samischen und in den finnischen Verwaltungsbezirk auf. Wie für alle Minderheitensprachen fordert der Europarat auch für das Samische (besonders das Lule- und Südsamische) eine stärkere Berücksichtigung des Rechts auf muttersprachlichen Unterricht und weist auf das mangelhafte Angebot an Lehrmaterialien und Lehrpersonal hin. Auch die unzureichende Umsetzung des Rechts auf Samisch im Amtsgebrauch und als Sprache vor Gericht wird kritisiert, ebenso wie das Fehlen einer samischsprachigen Zeitung. In all diesen Bereichen stellen die erreichten Fortschritte den Europarat nicht zufrieden, obwohl die Ausweitung der samischen Sendezeiten im Fernsehen und im Radio registriert wird. Zufrieden zeigt sich der Europarat mit der Situation in den Bereichen Kultur, Wirtschaft und grenzüberschreitender Austausch. Die Situation des Finnischen stellt sich für den Europarat insgesamt besser dar, nur im Bildungsbereich und vor Ämtern sieht er gröbere Mängel. Ein Teil der Kritik wird durch die Erweiterung des finnischen Verwaltungsbezirkes entkräftet. Im Falle des Meänkieli zeigt sich der Europarat am wenigsten zufrieden. Die weitgehende Abwesenheit des Meänkieli in der Öffentlichkeit (kaum Unterricht in dieser Sprache, fast keine Lehrerausbildung, so gut wie keine Verwendung als Amts- und Justizsprache, keine Zeitung) wird bis zuletzt kritisiert, eine deutliche Verbesserung der Lage lässt auf sich warten. Allerdings befindet sich das Meänkieli gerade in der Phase der Emanzipation vom Finnischen, sodass seine Sprecher dessen schriftliche Verwendung noch gar nicht gewohnt sind. Für das Romani Chib und das kaum gesprochene Jiddische konstatiert der Europarat das fast völlige Fehlen im öffentlichen Leben. V.a. im Bildungsbereich werden Verbesserungen urgiert. Bescheidene Fortschritte (v.a. für das Romani Chib, aber auch für das Jiddische) werden allerdings erzielt und registriert.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Sweden, 18.6.2001. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Sweden, 30.6.2004. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Sweden, 18.10.2007. [= 3. Staatenbericht] Fourth Periodical Report of Sweden, 14.10.2010. [= 4. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 6.12.2002. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 23.3.2006. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts’ Evaluation Report, 26.11.2008. [= 3. Evaluationsbericht] Fourth Committee of Experts’ Evaluation Report, 2.5.2011. [= 4. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 19.6.2003. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 27.9.2006. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Third Committee of Ministers’ Recommendation, 6.5.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Fourth Committee of Ministers’ Recommendation, 12.10.2011. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 4. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Königreich Schweden: „Kungörelse om beslutad ny regeringsform [Verlautbarung des Beschlusses über eine neue Verfassung]“. In: Svensk författningssamling, 1974: 152, 28.2.1974. (19.3.2012). Königreich Schweden: „Lag om rätt att använda samiska hos förvaltningsmyndigheter och domstolar [Gesetz über den Gebrauch des Samischen in Ämtern und Gerichten]“. In: Svensk författningssamling, 1999: 1175, 9.12.1999. Königreich Schweden: „Lag om rätt att använda finska och meänkieli hos förvaltningsmyndigheter och domstolar [Gesetz über den Gebrauch des Finnischen und Meänkieli in Ämtern und Gerichten]“. In: Svensk författningssamling, 1999: 1176, 9.12.1999. Königreich Schweden: „Lag om nationella minoriteter och minoritetsspråk [Gesetz über die nationalen Minderheiten und die nationalen Minderheitensprachen]“. In: Svensk författningssamling, 2009: 724, 11.6.2009. Königreich Schweden: „Språklag [Sprachgesetz]“. In: Svensk författningssamling, 2009: 600, 28.5.2009.

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4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Lund, Jann T.: Samenes kultur och historie – samepolitikk i Norge og Sverige, Kautokeino: Nordisk samisk institutt 2000. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Simonsen, Dag Finn: Nordens språk i EUs Europa: språkplanlegging og språkpolitikk mot år 2000, Oslo: Nordisk språksekretariat 1996.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii), b (iv), c (iv), d (iv), e (iii), f (iii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii, iv), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iii, v), c; 2b–d, g; 4a; 5

Artikel 11 (Medien)

Finnisch: 1a (iii), 1c (i), d, e (i), f (ii); 2 Meänkieli: 1a (iii), d, e (i), f (ii); 2 Samisch: 1a (iii), d, e (i), f (ii); 2

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

Finnisch: 1a–d, f–h; 2 Meänkieli: 1a, b, d, f, g; 2 Samisch: 1a–h; 2

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Felix Tacke (Bonn)

Schweiz (Schweizerische Eidgenossenschaft) 1 Vorgeschichte Die sich in 26 teilsouveräne Kantone gliedernde Schweiz ist seit der Bundesverfassung von 1848 ein demokratischer, föderalistisch organisierter Bundesstaat, dessen amtliche Bezeichnung als ‚Schweizerische Eidgenossenschaft‘ noch heute auf den historischen Ursprung eines losen Staatenbundes verweist. Zwar ist die Schweiz weder Mitglied der EU noch des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), sie unterhält jedoch vertraglich zahlreiche bilaterale Beziehungen mit der EU. Seit 1963 ist die Eidgenossenschaft Mitglied des Europarats, seit 1973 der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den Vereinten Nationen (UNO) trat sie jedoch erst 2002 bei. Dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats schloss sich die Schweiz bereits bei der Auflegung zur Unterzeichnung am 1.2.1995 an, ratifizierte es am 21.10.1998, woraufhin es am 1.2.1999 in Kraft trat. Die auf der Verfassung von 1848 basierende Bundesverfassung vom 18.4.1999 statuiert in Artikel 4 das Deutsche, Französische, Italienische und das Rätoromanische in der deutschen Fassung als Landessprachen, in der französischen Fassung als langues nationales (zu Status, Situation und Geschichte des Französischen in der Schweiz vgl. Schmitt 1990). In Artikel 70 werden das Deutsche, Französische und Italienische zu Amtssprachen des Bundes erklärt, das Rätoromanische als Amtssprache „[im] Verkehr mit Personen rätoromanischer Sprache“ (Abs. 1) festgelegt. Nach Absatz 2 bestimmen die Kantone ihre Amtssprachen selbst, wobei – so heißt es explizit – „auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete“ und „auf die angestammten sprachlichen Minderheiten“ Rücksicht zu nehmen sei. Grundsätzlich bietet die Bundesverfassung auch ein Diskriminierungsverbot aus sprachlichen Gründen (Art. 8) sowie das Recht auf „Sprachenfreiheit“ (Art. 18).

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Die Schweiz unterzeichnete die Charta am 8.10.1993. Nachdem der Bundesrat den Vertrag bereits am 31.10.1997 ratifiziert hatte, bestätigte die Bundesversammlung diese Ratifizierung formell am 23.12.1997 und überführte die Charta dadurch in nationales Recht. Am 1.4.1998 trat sie daraufhin in Kraft. Der erste Staatenbericht wurde, etwas verspätet, am 3.11.1999 dem Europarat vorgelegt. Der Sachverständigenausschuss besuchte das Land erstmals im September 2000 und veröffentlichte seinen ersten Evaluationsbericht gemeinsam mit den vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedeten Empfehlungen am 23.11.2001. Seither wurden drei weitere Berichtszyklen abgeschlossen: Die Staatenberichte wurden am 23.12.2002, 24.5.2006 bzw. 15.12.2009 vorgelegt, die Evaluationsberichte wurden mit den jeweiligen Empfehlungen des Ministerkomitees am 22.9.2004, 12.3.2008 bzw. 8.12.2010 veröffentlicht. Der fünfte Staatenbericht der Schweiz wird für Dezember 2012 erwartet. 2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht der Schweiz nennt neben den Bundesbehörden als beteiligte Institutionen die Kantone Graubünden und Tessin, deren eigenverantwortliche Berichtsteile sich auf den Schutz des Italienischen und des Rätoromanischen beziehen. Ferner seien die vom Bund sowie dem Kanton finanzierten Organisationen Lia Rumantscha für das Rätoromanische und Pro Grigioni Italiano für das Italienische sowie die unabhängige rätoromanische Nachrichtenagentur Agentura da novitads rumantscha (ANR) konsultiert worden. Der zweite, dritte und vierte Staatenbericht geben überdies die folgenden vom Kanton Graubünden bei der Erstellung seines Berichtsteils konsultierten Institutionen an, die sämtlich zur Dachorganisation Lia Rumantscha gehören: – Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (rätoromanische Rundfunkanstalt, die zur Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft gehört) – Union Pro Svizra Rumantscha (rätoromanische Kulturorganisation) – Union de las Rumantschas e dals Rumantschs da la Bassa (Organisation zur Förderung des Rätoromanischen außerhalb Graubündens) – Quarta Lingua (Vereinigung zur Förderung des Rätoromanischen)

Schweiz 

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Das Tessin konsultierte in Bezug auf die deutschsprachige Minderheit in der Gemeinde Bosco Gurin: – Walservereinigung Graubünden – Internationale Vereinigung für Walsertum

2.2 Sprachen und Sprachensituation In seinem Ratifikationsinstrument benannte die Schweiz das Rätoromanische und das Italienische gemäß Artikel 3,1 der Charta als „weniger verbreitete Amtssprachen“ und machte von der Möglichkeit Gebrauch, für diese Sprachen unterschiedliche Bestimmungen aus Teil III (Art. 8–14) der Charta auszuwählen. Konkret werden das Rätoromanische (in der Schweiz synonym als Romanisch, frz. romanche oder endogen als rumantsch bezeichnet) und das Italienische im Kanton Graubünden sowie das Italienische im Kanton Tessin geschützt. Als nur durch Teil II (Art. 7) der Charta zu schützende Sprachen benannte die Schweiz in ihrem ersten Staatenbericht alle vier in der Verfassung genannten Landessprachen, also auch das Deutsche und Französische, insofern sich diese in einem Kanton, einem Distrikt oder einer Gemeinde in einer Minderheitensituation befinden können. Auf die Nachfragen des Sachverständigenausschusses geht der Schutz des in der Tessiner Gemeinde Bosco Gurin gesprochenen sog. „Walserdeutschen“ (Gurindeutsch/Ggurijnartitsch) zurück, bei dem es sich um eine Walser Mundart des Deutschen handelt. Das Jiddische und das von den Schweizer „Fahrenden“ gesprochene Jenische benennt der erste Staatenbericht als „nicht territorial gebundene Sprachen“ im Sinne von Artikel 1c der Charta, wobei man die Jenischen als kulturelle, nicht als sprachliche Minderheit betrachte. Keine der beiden Gemeinschaften habe jedoch auf nationaler Ebene Forderungen gestellt, weshalb man sie sprachpolitisch nicht berücksichtige. Da der Sachverständigenausschuss in seinen Berichten die Schweiz dennoch aufforderte, die Sprache zu schützen, wird das Jenische seit dem zweiten Staatenbericht durch Teil II geschützt. Das Jiddische zu schützen, lehnte die jüdische Gemeinschaft der Schweiz, repräsentiert durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) jedoch mit der Begründung, das Jiddische habe nie die Rolle einer Minderheitensprache in der Schweiz gespielt, explizit ab. Parallel zu den ersten vier Berichtszyklen entwickelte die Schweiz ein nationales Sprachengesetz (SR 441.1 – Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften), das nach finanzpolitischen Bedenken des Bundesrates schließlich 2007 angenommen wurde und 2010 in Kraft trat. Darin werden erstmals die Bestimmungen von Artikel 70 der

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Bundesverfassung genauer geregelt und konkretisiert, womit die Schweiz auf die vom Sachverständigenausschuss und vom Ministerkomitee seit dem ersten Berichtszyklus ausgesprochenen Empfehlungen reagierte. Die von der Schweiz angegebenen Sprachendaten basieren auf den eidgenössischen Volkszählungen von 1990 und 2000 und fragen nach der „Hauptsprache (bestbeherrschte Sprache)“. Genauere Daten zu dem unter die Kategorie „Andere“ fallenden Jenischen werden durch den Zensus nicht erfragt. Das Walserdeutsche fällt unter die Kategorie „Deutsch“. Die folgende Tabelle zeigt die Daten der Schweiz in Auswahl: Bevölkerung nach „Hauptsprache“ Sprache   Σ Deutsch Französisch Italienisch Rätoromanisch Andere

Zahl

(%)

1990

2000

1990

2000

6.873.687 4.374.694 1.321.695 524.116 39.632 552.764

7.288.010 4.640.359 1.485.056 470.961 35.095 583.114

63,64 19,23 7,62 0,58 8,04

63,67 20,38 6,46 0,48 8,00

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Rätoromanisch Die rätoromanische Sprache der Schweiz, das Bündnerromanische (rumantsch), wird innerhalb des Kantons Graubünden in verschiedenen Regionen gesprochen. Der zweite Staatenbericht der Schweiz macht folgende Angaben: – Münstertal/Val Müstair – Unterengadin (zwischen Zernez und Martina) – Oberengadin (zwischen Maloja und Zernez) – Surselva (das Vorderrhein-Tal von Flims aufwärts bis zu den Kantonsgrenzen) – Sutselva (Domleschg/Heinzenberg, Schams) – Sursés (zwischen Bivio und Tiefencastel) – Albulatal Als „Sprachinseln“ des rumantsch werden die Ortschaften Trin, Rhäzüns und Domat/Ems im Westen von Chur bezeichnet.

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Das in Graubünden gesprochene Rätoromanische gliedert sich in zahlreiche lokal gesprochene Dialekte, die fünf unterschiedliche Schriftsprachen (Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran, Puter, Vallader) entwickelt haben. Als Kompromisslösung wurde 1982 eine standardisierte Schriftsprache, das Bündner Romanisch bzw. Rumantsch Grischun (rumantsch grischun) entwickelt. Diese wird seit 1986 von den Bundesbehörden im Schriftkontakt mit den Rätoromanen verwendet und wurde zwischen 1996 und 2001 auch als Amtssprache des Kantons eingeführt. Seit 2005 wird das Rumantsch Grischun schrittweise auch als Schriftsprache in das Bildungssystem eingeführt (s.u., Bildung). Den Daten der Staatenberichte zufolge nehmen die Sprecherzahlen in den letzten Jahrzehnten stetig ab. Auf Bundesebene verringerte sich der Anteil der Einwohner mit Rätoromanisch als Hauptsprache von 1 % (1950) um mehr als die Hälfte auf 0,48  % (2000). Auf kantonaler Ebene liegt der Anteil der Rätoromanischsprecher heute bei 14,5  %. Der vierte Staatenbericht präzisierte überdies, dass nur 51,6 % der Sprecher innerhalb des traditionellen Sprachgebietes leben; 25,5 % wohnten in anderen Gebieten des Kantons, 23 % außerhalb des Kantons. Das Rätoromanische befindet sich folglich nicht nur auf nationaler und kantonaler Ebene in einer Minderheitensituation, auch innerhalb seines traditionellen Gebietes geben nur 32,8 % der Bewohner die Sprache als ihre Hauptsprache an. Die 2004 in Kraft getretene neue Verfassung Graubündens erklärt das Deutsche, Rätoromanische und Italienische in Artikel 3 zu „gleichwertigen Landesund Amtssprachen“. Erhaltung und Förderung des Rätoromanischen und Italienischen werden in Absatz 2 festgelegt. Absatz 3 ermöglicht den Kreisen und Gemeinden, ihre Amtssprache selbst zu bestimmen, wobei – analog zu den Bestimmungen der Bundesverfassung – die „herkömmliche sprachliche Zusammensetzung“ sowie „die angestammten sprachlichen Minderheiten“ zu berücksichtigen seien. Die Umsetzung der Bestimmungen regelt das am 1.1.2008 in Kraft getretene kantonale Sprachengesetz (BR 492.100 – Sprachengesetz des Kantons Graubünden). Der Sachverständigenausschuss, der die Situation des Rätoromanischen noch in seinem zweiten Bericht als prekär bezeichnet hatte, lobte die neuen Bestimmungen, welche neue Möglichkeiten zum Schutz der Sprache schafften. Die im Folgenden dargelegte Anwendung der Charta bezieht sich auf das Rätoromanische innerhalb des als traditionell bezeichneten Gebiets. Bildung: Der erste Staatenbericht gab an, das Rätoromanische sei die dominante Sprache in den Kindergärten und sei Schulsprache der rätoromanischen Gemeinden. In der Sekundarstufe sei es möglich, einen deutsch-rätoromanischen Abschluss zu machen. Außerhalb des traditionellen Gebiets könne das Rätoromanische als Fremdsprache gewählt werden. An der Universität Freiburg gebe es einen Lehrstuhl für rätoromanische Sprache und Kultur, an der Univer-

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sität Zürich für Literatur. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich in seinem ersten Bericht zufrieden mit der Anwendung der Charta und stellte nur Nachfragen zur Berufsausbildung, woraufhin Graubünden im zweiten Staatenbericht auf die Berufsschulen in Ilanz und Chur verwies, die seit 2001/02 auch Kurse auf Rätoromanisch anböten. Seit dem zweiten Evaluationsbericht wird der Monitoringprozess im Bereich der Bildung stark von der Einführung des Rumantsch Grischun als Schriftsprache geprägt: Der Sachverständigenausschuss verwies auf Akzeptanzprobleme, woraufhin Graubünden im dritten Staatenbericht einen Stufenplan vorstellte. Anhaltende Proteste und die Weigerung diverser Gemeinden und Schulen, die Standardform zu etablieren, führten auch das Ministerkomitee zu der wiederholten Empfehlung, die Einführung besonders durch politische Sensibilisierungsarbeit zu fördern. Daneben gab Graubünden im vierten Staatenbericht an, der seit 2004 bereits ab der Primarstufe gegebene Englischunterricht ginge nicht – wie vom Sachverständigenausschuss befürchtet – zulasten des Rätoromanischen. Für die Integration von Einwanderern habe man überdies spezielle Einschulungsklassen und Förderunterricht eingerichtet. Justizbehörden: Graubünden gab im ersten Staatenbericht an, das Rätoromanische sei als Landessprache des Kantons automatisch auch Gerichtssprache, womit auch alle weiteren Bestimmungen von Artikel 9 der Charta als erfüllt zu betrachten seien. Der Sachverständigenausschuss stellte seinerseits jedoch fest, dass das Rätoromanische vor Gericht praktisch nicht verwendet werde; da es sowohl an kompetentem Personal als auch der entsprechenden Rechtsterminologie fehle, sei das Recht auf Gebrauch des Rätoromanischen in der Praxis nicht garantiert. Im ersten und zweiten Berichtszyklus schloss sich daher auch das Ministerkomitee der Empfehlung an, diese Hindernisse durch konkrete Maßnahmen zu beseitigen. Graubünden versprach jedoch erst im dritten Staatenbericht, durch eine Justizreform für Abhilfe zu sorgen. Im vierten Berichtszyklus verwies Graubünden auf die gute Qualität der administrativ-juristischen Terminologie, räumte jedoch ein, die Mehrheit der Rätoromanen bevorzuge vor Gericht weiterhin das Deutsche. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Bereits im ersten Staatenbericht räumte Graubünden ein, dass der Gebrauch des Rätoromanischen auf kantonaler Ebene in der Praxis nur durch Übersetzungen gewährleistet werden könne und auch Formulare und Musterbriefe nur teilweise in der Minderheitensprache vorlägen. Überdies bereite das Rumantsch Grischun als Standardsprache Probleme, da es nicht von allen Bürgern akzeptiert werde. Die Wahl der Amtssprachen auf regionaler und kommunaler Ebene sei Angelegenheit der Gemeinden, wobei diese durch den kantonalen Übersetzungsdienst unterstützt würden. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem ersten Bericht, die Verpflichtungen seitens der staatlichen Behörden mit Zuständigkei-

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ten in Graubünden würden nicht eingehalten und empfahl, – gemeinsam mit dem Ministerkomitee – den Gebrauch der Minderheitensprache zu fördern. Auf lokaler Ebene könne eine Gemeinde, die das Rätoromanische nicht zur Amtssprache erklärt, das Recht auf Gebrauch der Minderheitensprache vereiteln. Im zweiten Staatenbericht gaben die Bundesbehörden an, das Rätoromanische könne nicht die Funktion einer Arbeitssprache erfüllen; die Zahl der Beamten mit entsprechenden Sprachkenntnisse nehme ab und angebotene Sprachkurse könnten aus Mangel an Interesse nicht stattfinden. In seinem zweiten Evaluationsbericht empfahl der Sachverständigenausschuss daher strukturelle Verbesserungen auf kantonaler Ebene, um den Gebrauch des Rätoromanischen zu fördern sowie die Terminologie des Rumantsch Grischun weiter auszubauen. Ferner müssten die zweisprachigen Gemeinden, in denen das Rätoromanische neben dem Deutschen nur eine Minderheitensprache ist, dazu bewegt werden, dieses auf den Status einer Amtssprache zu erheben. Das Ministerkomitee schloss sich in allen Punkten den Empfehlungen an. Trotz eines im dritten Berichtszyklus von Graubünden vorgestellten Programms zur Förderung der Sprache verwies der Sachverständigenausschuss weiterhin auf Probleme in den mehrheitlich deutschsprachigen Gemeinden mit rätoromanischer Minderheit und kritisierte ferner, dass die kantonalen Übersetzungsdienste vollkommen unzureichend seien. Im vierten Berichtszyklus verwies Graubünden auf den seit 2009 dreisprachig angebotenen Internetauftritt des Kantons sowie auf die verstärkte Bereitstellung von Modelltexten und Vorlagen auf Rätoromanisch; eine Erweiterung des Übersetzungsdienstes werde geprüft. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich mit dem gesetzlichen Rahmens infolge des Inkrafttretens des kantonalen Sprachgesetzes (s.o.) zufrieden, empfahl jedoch, gemeinsam mit dem Ministerkomitee, die Sprachkenntnisse des Verwaltungspersonals zu fördern. Medien: Im ersten Staatenbericht gab Graubünden einen Überblick über die rätoromanische Medienlandschaft: So gebe es seit 1946 eine rätoromanische Rundfunkanstalt (Cuminanza rumantscha da radio e televisiun), die Teil der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft sei und 13 Stunden täglich rätoromanisches Radio sende. Die Lizenzvergabe im privaten Sektor sei Bundessache, doch bestehe man auf die Berücksichtigung der beiden Minderheitensprachen des Kantons bei lokalen und regionalen Sendern, was etwa bei Radio Grischa und Radio Piz der Fall sei. Seit 1996 gebe es eine rätoromanische Presseagentur, seit 1997 erscheine täglich die Zeitung La Quotidiana. Defizite sah der Sachverständigenausschuss in seinem ersten Bericht bei rätoromanischen Fernsehprogrammen, da täglich nur acht Minuten im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt würden. Ferner bereite die sprachliche Ausbildung von Journalisten Sorge. Graubünden verwies daraufhin im dritten Staatenbericht auf spezielle Ausbildungsstätten in Zürich und Chur. Im zweiten Berichtszyklus kritisierte der Sachverständigenaus-

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schuss, dass das Rätoromanische im Fernsehen noch immer kaum präsent sei und monierte ferner, dass die Schaffung privater Radiosender nicht begünstigt werde. Auch das Ministerkomitee empfahl die Förderung des privaten Rundfunks. Graubünden betonte daraufhin im dritten Staatenbericht, dass privaten Sendern keine weiteren Auflagen zuzumuten seien, was der Sachverständigenausschuss kritisierte. Auch der vierte Berichtszyklus brachte diesbezüglich keine Änderungen mit sich. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Aus dem ersten Staatenbericht geht hervor, dass der Kanton Graubünden die meisten Bestimmungen dieses Bereichs durch die Tätigkeiten der Organisation Lia Rumantscha, die vom Bund und vom Kanton finanziert wird, abgedeckt sieht, wofür das Kulturförderungsgesetz von 1998 (BR 494.300 – Gesetz über die Förderung der Kultur) den rechtlichen Rahmen schaffe. Der Sachverständigenausschuss betrachtete daraufhin alle Bestimmungen als erfüllt. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht der Schweiz nannte auch in diesem Bereich die Organisation Lia Rumantscha als zuständige Instanz. Darüber hinaus finanziere der Bund regionale Sprachdienste, die für Banken, Touristikunternehmen und Krankenkassen Übersetzungen bereitstellten. Der Sachverständigenausschuss äußerte in seinem ersten Bericht keine Kritik und betrachtet seitdem alle Bestimmungen als erfüllt. Grenzüberschreitender Austausch: Im ersten Staatenbericht gab Graubünden an, Mitglied der Communauté de Travail des Régions Alpines (ARGE ALP) zu sein. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem ersten Bericht, dass es keinen Vertrag mit Italien gebe, der einen Austausch mit den dortigen Sprechern des Rätoromanischen fördere. Erst im dritten Staatenbericht informierte Graubünden über Treffen mit Ladinern aus Südtirol und Friaul sowie über diverse Kulturaustausche und gab im vierten Bericht an, dass 2008 die gemeinsame Informationsplattform „Fil Cultural“ (www.filcultural.info) geschaffen worden sei. Der Sachverständigenausschuss sieht die Verpflichtungen daher seit dem dritten Berichtszyklus als erfüllt an.

2.3.2 Italienisch Das als traditionell italienischsprachig bezeichnete Gebiet erstreckt sich über den gesamten offiziell einsprachigen Kanton Tessin sowie über die vier Südtäler des benachbarten Kantons Graubünden Mesolcina, Val Calanca, Val Bregaglia sowie Valposchiavo, die zusammen auch als Grigioni Italiano, Valli oder auch Italienischbünden bezeichnet werden. Neben der Hochsprache werden auch tessiner- und bündneritalienische Dialekte gesprochen. Einen großen Teil der

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Italienischsprecher bilden überdies Einwanderer aus Italien, die außerhalb des traditionellen Sprachgebiets leben. Auf Bundesebene wird das Italienische gemessen an der Sprecherzahl als Minderheitensprache bewertet. Der starke Rückgang des Anteils an der Gesamtbevölkerung von 7,62  % (524.116 Sprecher) im Jahr 1990 auf 6,46  % (470.961 Sprecher) zum Zeitpunkt des Zensus von 2000 geht jedoch vor allem auf in ihr Heimatland rückgewanderte italienische Migranten zurück und betrifft damit besonders die deutsche, französische und rätoromanische Schweiz, während die Zahlen der traditionell im Tessin und in den Südtälern Graubündens lebenden Italienischsprecher leicht zugenommen haben. Der Anteil derjenigen, die das Italienische als ihre Hauptsprache angaben, umfasste im Tessin im Jahr 2000 83,1 % (254.997) und in Graubünden 10,2 %, was jedoch bezogen auf das traditionell italophone Sprachgebiet Graubündens einem Anteil von 87,6  % (11.733 Sprecher) entspricht. Das Italienische wird zwar wie das Rätoromanische auf gesamtschweizerischer Ebene als Minderheitensprache betrachtet, doch hat es nicht nur den Status einer Landessprache, sondern wird neben dem Deutschen und dem Französischen von der Verfassung auch als Amtssprache des Bundes statuiert (Art. 70). Während die Sprache weiterhin auch Amtssprache der Kantone Tessin und Graubünden ist, unterscheidet sich die Situation auf lokaler Ebene. Da die Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung des Italienischen und damit auch der Anwendung der Charta der jeweiligen Sprachpolitik der Kantone unterliegen, werden diese im Folgenden getrennt dargestellt.

Graubünden Die bereits in Abschnitt 2.3.1. beschriebene kantonale Gesetzgebung Graubündens gilt in gleicher Weise auch für das Italienische, das somit durch die Kantonsverfassung den Status einer Landes- und Amtssprache des Kantons einnimmt, dessen traditionelles Verbreitungsgebiet zu berücksichtigen ist. Die im Folgenden dargelegte Anwendung der Charta bezieht sich auf das Italienische innerhalb des als traditionell italophon bezeichneten Gebiets. Bildung: Nach dem ersten Staatenbericht der Schweiz gelten in Graubünden für das Italienische die gleichen rechtlichen Bestimmungen wie für das Rätoromanische (s.o.). Die Berufsausbildung werde in Poschiavo und teilweise auch in Samedan in italienischer Sprache ermöglicht, ferner könnten Berufsschulen im Tessin besucht werden. Sprache und Literatur des Italienischen würden an diversen Universitäten der Schweiz untersucht und gelehrt. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich daraufhin zufrieden mit der Implementierung des Italienischen im Bildungssystem und lobte, dass das Italienische auch in den meisten

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deutschsprachigen Gemeinden seit 1999/2000 als erste Fremdsprache angeboten wird. Justizbehörden: Graubünden gab im ersten Staatenbericht an, das Italienische sei als Landes- und Amtssprache des Kantons auch Gerichtssprache im italophonen Gebiet. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem ersten Bericht jedoch, dass im Distrikt Maloja/Malogia, das auch eine italophone Gemeinde enthalte, üblicherweise auf Deutsch prozessiert würde und dass es ferner rechtliche und praktische Hindernisse bei der Verwendung des Italienischen vor Verwaltungsgerichten gebe, woraufhin Graubünden im zweiten Staatenbericht über eine geplante Gesetzesänderung informierte. Bei seinem dritten Vor-Ort-Besuch stellte der Sachverständigenausschuss fest, dass in Maloja/Malogia ein italophoner Richter ernannt wurde und fortan alle Verpflichtungen als erfüllt angesehen werden können. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Aus dem ersten Staatenbericht geht hervor, dass der Gebrauch des Italienischen auf kantonaler Ebene v.a. mittels Übersetzungen gewährleistet wird. Graubünden räumte jedoch ein, dass nicht alle Formulare und Musterbriefe in der Minderheitensprache vorlägen. Auf lokaler Ebene obliege den Gemeinden die Wahl ihrer Amtssprache(n). Ein kantonaler Übersetzungsdienst leiste Unterstützung. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich mit den Angaben zufrieden, kritisierte jedoch, dass die Bundesbehörden mit Zuständigkeiten in Graubünden das Italienische kaum benutzten, was auch im folgenden Evaluationsbericht moniert wurde. In seinem dritten Bericht forderte der Sachverständigenausschuss die kantonalen Behörden dazu auf, das Italienische im Kontakt mit den lokalen Behörden und italophonen Bürgern stärker zu verwenden, woraufhin Graubünden im vierten Staatenbericht über das neue, dreisprachige Bürgerportal (www.gr.ch) informierte. Medien: Graubünden gab im ersten Staatenbericht einen Überblick über italienischsprachige Medien des Kantons: So gebe es drei regionale Wochenblätter: La voce delle valli, Il San Bernardino und Il Grigioni Italiano; zudem sei die im Tessin verlegte Presse in Graubünden erhältlich. Ebenso seien die Tessiner Radiound Fernsehsender empfangbar, zu denen auch die italophone Rundfunkanstalt (Radiotelevisione svizzera di lingua italiana) gehöre, die Teil der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft ist. Der Sachverständigenausschuss betrachtete damit bereits in seinem ersten Bericht alle Verpflichtungen als erfüllt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Aus dem ersten Staatenbericht geht hervor, dass der Kanton Graubünden die meisten Bestimmungen dieses Bereichs durch die Tätigkeiten der vom Bund und vom Kanton finanzierten Organisation Pro Grigioni Italiano abgedeckt sieht, wofür das Kulturförderungsgesetz von 1998 (BR 494.300 - Gesetz über die Förderung der Kultur) den rechtlichen Rahmen

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schaffe. Der Sachverständigenausschuss sah in seinem ersten Bericht zwar alle Verpflichtungen als erfüllt an, wies aber auf Handlungsbedarf im Bereich der Buchpublikationen hin. Ferner würden im Ausland v.a. das Tessin, nicht jedoch die Südtäler Graubündens als italophone Schweiz repräsentiert. Wirtschaftliches und soziales Leben: Graubünden verwies im ersten Staatenbericht auf die Tätigkeiten der Organisation Pro Grigioni Italiano, wofür diese finanziell unterstützt werde, womit der Sachverständigenausschuss alle Verpflichtungen als erfüllt betrachtete. Grenzüberschreitender Austausch: Im ersten Staatenbericht gab Graubünden an, Mitglied der Communauté de Travail des Régions Alpines (ARGE ALP) zu sein und informierte über Kooperationen mit Italien. Der Sachverständigenausschuss sah daraufhin bereits in seinem ersten Bericht alle Verpflichtungen als erfüllt an.

Tessin Der Kanton Tessin bezeichnet sich in seiner Verfassung selbst als „demokratische Republik italienischer Kultur und Sprache“ (Art. 1,1). Das Italienische, das im Tessin keine Minderheitensprache, sondern die Sprache der Mehrheit darstellt, ist nicht nur Amtssprache des Kantons, sondern auch aller Gemeinden einschließlich der Gemeinde Bosco Gurin. Das Italienische profitiert sprachlich und kulturell von der direkten Nachbarschaft des Kantons mit Italien. Bildung: Das Tessin gab im ersten Staatenbericht an, sämtliche Bestimmungen der Charta würden bereits durch das kantonale Bildungsgesetz von 1990 abgedeckt. Darüber hinaus biete man seit 1994 Integrationskurse für zugezogene Kinder an. Zudem verwies das Tessin auf die Gründung einer eigenen italophonen Universität, der Università Svizzera italiana; auch die Weiterbildung von Italienischlehrern aus anderen Kantonen finde im Tessin statt. Der Sachverständigenausschuss sieht seit dem ersten Staatenbericht sämtliche Verpflichtungen als erfüllt an. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht beschränkte sich auf die Angabe, die kantonale Gesetzgebung stimme mit den Bestimmungen der Charta überein. Der Sachverständigenausschuss stimmte dieser Einschätzung zu, beurteilte jedoch als problematisch, dass die Schweizer Universitäten das Studium der Rechtswissenschaften nicht in italienischer Sprache und Terminologie anböten. Im zweiten Evaluationsbericht konstatierte er jedoch, dass nun Kurse für juristisches Italienisch angeboten würden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Der erste Berichtszyklus ergab, dass das Italienische nur von den Bundesbehörden mit Zuständigkeiten im Tessin nicht ausreichend verwendet wird, auf kantonaler, regionaler und kommunaler Ebene hingegen alle Verpflichtungen erfüllt werden.

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Der Kritik des Sachverständigenausschusses schloss sich auch der Kanton Tessin an. Erst im dritten Evaluationsbericht betrachtete der Sachverständigenausschuss aufgrund von Verbesserungen hinsichtlich des Gebrauchs des Italienischen am Bundesgericht in Bellinoza die Verpflichtungen auch auf staatlicher Ebene als erfüllt. Medien: Das Tessin informierte im ersten Staatenbericht über die Rundfunkanstalt der italienischen Schweiz (Radiotelevisione svizzera di lingua italiana) und verwies auf drei italienischsprachige Tageszeitungen sowie zahlreiche Wochenund Monatsblätter. Die Ausbildung von Journalisten würde durch die Tessiner Universität gewährleistet. Der Sachverständigenausschuss sieht alle Verpflichtungen seit dem ersten Berichtszyklus als erfüllt an. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Das Tessin verwies im ersten Staatenbericht auf die vom kantonalen Bildungs- und Kultusministerium (Dipartimento dell’educazione e della cultura) verfassten Berichte über die kulturelle Förderung des Italienischen, die jährlich beim Bund eingereicht würden. Darüber hinaus hob der Kanton im dritten Staatenbericht das große öffentliche Interesse an Forschungsarbeiten zum Italienischen im Tessin hervor. Der Sachverständigenausschuss, der alle Verpflichtungen seit dem ersten Berichtszyklus als erfüllt betrachtet, lobte seinerseits die Sprachinstitution des Kantons, das Osservatorio linguistico de la Svizzera italiana, sowie die enge Zusammenarbeit mit Italien über ein eigens geschaffenes Organ, die Commissione culturale consultiva italo-svizzera. Wirtschaftliches und soziales Leben: Die Einschätzung des ersten Staatenberichts, die geltende Gesetzeslage decke die Bestimmungen der Charta ab, teilte auch der Sachverständigenausschuss. Grenzüberschreitender Austausch: Das Tessin verwies im ersten Staatenbericht auf zahlreiche Kooperationen mit Italien, insbesondere mit den angrenzenden Provinzen, mit denen man auch im Rahmen einer zwischenstaatlichen Arbeitsgemeinschaft (Comunità di lavoro Regio Insubrica) verbunden sei. Der Sachverständigenausschuss bezeichnete die traditionell starke Kooperation mit Italien als lobenswert.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Deutsch und Französisch Die Schweiz machte in ihrem ersten Staatenbericht deutlich, dass sich nach ihrer Interpretation neben dem Rätoromanischen und dem Italienischen auch das Deutsche und das Französische außerhalb der jeweils offiziell deutsch- und/

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oder französischsprachigen Kantone, wo diese Sprachen Amtssprachen seien, in Minderheitensituationen befinden können und entsprechend dem Schutz durch Teil II unterlägen. Zu der Frage, wo traditionell deutsch- bzw. französischsprachige Minderheiten leben, machte die Schweiz jedoch nur unpräzise Angaben in ihren Staatenberichten. Genauere Angaben machte dagegen der Sachverständigenausschuss in seinem dritten Bericht: So gebe es deutsche Minderheiten in 27 Gemeinden des Berner Jura sowie in 17 offiziell französischsprachigen Gemeinden des Kantons Freiburg. Ferner wurde die bereits von der Schweiz genannte Gemeinde Ederswiler im Kanton Jura angegeben. Französische Minderheiten gebe es in zwei Gemeinden der deutschsprachigen Distrikte Erlach und Nidau sowie in einer offiziell deutschsprachigen Gemeinde des Kantons Freiburg. Konkret berücksichtigte der Sachverständigenausschuss in seinem Bericht jedoch nur das Deutsche in Ederswiler. Nachdem die Schweiz in ihrem vierten Staatenbericht genauere Angaben zu Fördermaßnahmen in den Kantonen Bern, Freiburg sowie Wallis machte, berücksichtigte der Sachverständigenausschuss unter Teil II der Charta konkret das Französische im Kanton Bern und das Deutsche in den Kantonen Freiburg, Wallis, Tessin (Gemeinde Bosco Gurin) und Bern (Gemeinde Ederwiler im Berner Jura). Probleme stellte der Ausschuss im Kanton Bern beim Gebrauch des Französischen im Kontakt mit den kantonalen Behörden und mit den Sozialdiensten fest. Beschwerden lägen zudem hinsichtlich des Gebrauchs des Französischen im Kontakt mit den lokalen Behörden im Kanton Freiburg vor.

2.4.2 Walserdeutsch Das Walserdeutsche ist ein höchstalemannischer Dialekt der Volksgruppe der Walser, die seit dem Mittelalter im Alpenraum siedelt. Es wird traditionell in der Tessiner Gemeinde Bosco Gurin gesprochen, wo es nach dem Ortsnamen auch als Gurindeutsch/Ggurijnartitsch bezeichnet wird. Von den 54 Einwohnern der Gemeinde (Stand 2009) sprechen nur noch rund 23 das Walserdeutsche, von denen 2009 nur drei unter 20-jährig waren (vgl. auch Stähli 2011). Da mit dem Walserdeutschen gerade nicht das Deutsche als Hochsprache, sondern eine spezielle Varietät des Deutschen dem Schutz durch Teil II unterliegt, wird es in diesem Abschnitt getrennt betrachtet. Die Schweiz nannte das Walserdeutsche in ihrem ersten Staatenbericht nicht. Erst der Sachverständigenausschuss wies auf die Existenz der Sprechergruppe hin und stellte fest, dass die Sprache durch Teil II der Charta zu schützen sei, da sie nicht Amtssprache des Kantons oder der Gemeinde sei. Im zweiten Staatenbericht gab die Schweiz daher genauere Informationen über die Gemeinde: So gebe

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es noch drei Schüler, die nach der Schließung der Dorfschule ab 2002/03 in die italienische Schule in Cevio gingen, wo für sie auch Deutschunterricht angeboten werden solle. Das Dorf verfüge über ein Heimatmuseum, das Walserhaus. Der sich in den folgenden Berichtszyklen entwickelnde Dialog zwischen dem Tessin und dem Sachverständigenausschuss machte deutlich, dass die geographische Isolierung und die geringe Anzahl an Sprechern kaum Handlungsmöglichkeiten bieten. Die Forderung des Sachverständigenausschusses nach einer rechtlichen Anerkennung des Deutschen wird nach Auffassung der Tessiner Behörden der Tatsache nicht gerecht, dass sich die Sprecher des Walserdeutschen nicht mit dem Hochdeutschen identifizieren und als Schriftsprache das Italienische bevorzugen. Im vierten Staatenbericht hieß es zwar, das finanziell unterstützte Walserhaus bemühe sich um den Erhalt der Mundart durch Sprachkurse und Erzählabende sowie um Kontakte zu anderen Walsersiedlungen über das internationale Projekt „Walser Alpen“ im Rahmen des „Interreg III B“-Projekts der EU; der (Hoch-)Deutschunterricht in Cevio musste jedoch unterdessen gestrichen werden, da nur noch ein Kind der Guriner Walsergemeinschaft schulpflichtig war. Der Sachverständigenausschuss forderte das Tessin in seinem vierten Bericht auf, die neueren Projekte des Walserhauses, die u.a. die Eröffnung einer zweisprachigen walserdeutsch-italienischen Schule sowie die Wiederansiedlung weggezogener Einwohner beinhaltet, zu unterstützen.

2.4.3 Jenisch Das von der Schweiz als „nicht territorial gebundene Sprache“ benannte Jenische ist eine Varietät des Deutschen, die ausschließlich von sog. „fahrenden“ Volksgruppen oder von deren sesshaften Nachfahren gesprochen wird. In der Schweiz ist das Jenische auch durch den Kontakt mit dem Jiddischen und dem Romanes geprägt. Die Schweiz bezeichnet diese Volksgruppe als die „Fahrenden“ oder auch als Jenische, die auch den Status einer nationalen Minderheit in der Schweiz inne hat. Laut den Staatenberichten sind von den heute 30.000 bis 35.000 Jenischen nur noch etwa 3.000 nicht sesshaft. Die Schweiz unterstützt die Vereinigung der Jenischen, die Radgenossenschaft der Landstrasse, seit 1985 durch Subventionen. Der Sachverständigenausschuss forderte die Schweiz in seinem ersten Bericht dazu auf, die Sprache der Jenischen und die Notwendigkeit ihres Erhalts in den Vordergrund zu stellen und empfahl – gemeinsam mit dem Ministerkomitee – in seinem zweiten Bericht, das Jenische offiziell als traditionelle Minderheitensprache anzuerkennen. In seinem dritten Bericht ergänzte der Ausschuss, dass eine Anerkennung als nationale Minderheit mit eigener Sprache nicht ausreiche.

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Zum Erhalt der Sprache empfahl der Sachverständigenausschuss bereits im ersten Berichtszyklus, den Dialog mit den Sprechern zu suchen, die Sprache zu standardisieren und in Schulprogramme zu integrieren. In den weiteren Berichtszyklen zeigte sich jedoch, dass die Jenischen den Unterricht ihrer Sprache in öffentlichen Schulen ablehnen. Standardisierungsbemühungen und andere Fördermaßnahmen zum Erhalt der Sprache scheiterten trotz der Kooperationsbereitschaft der Radgenossenschaft am Widerstand der nicht sesshaften Gruppen, die jede Einmischung durch den Staat zurückwiesen. Die Schweiz gab daraufhin in ihrem vierten Bericht an, keine Maßnahmen gegen den Willen der Gemeinschaft ergreifen zu wollen; vielmehr plane man ehemalige Militärgelände zu sog. „Standund Durchgangsplätzen“ für die Jenischen umzugestalten, da die Sprache nach Auffassung der nicht sesshaften Sprecher am besten zu fördern sei, indem man ihnen eine traditionelle Lebensweise ermögliche. Ferner sei ein Förderprojekt „von Jenischen für Jenische“ entwickelt worden, dass ein Wörterbuch sowie eine DVD mit Interviews und deren Transkriptionen beinhalte; Wörterbuch wie DVD seien auch als innerhalb der Gruppe benutzbare Unterrichtsmaterialien geeignet und würden den Jenischen 2010 kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Sachverständigenausschuss lobte die Bemühungen, monierte in seinem vierten Bericht jedoch, dass offenbar nicht alle Kantone „Durchgangsplätze“ einrichteten.

2.5 Bewertung Im Unterschied zu vielen anderen mehr- und vielsprachigen Staaten Europas ist die Viersprachigkeit der Schweiz – aus den bekannten historischen Gründen – nicht nur ein landesweit akzeptiertes Charakteristikum der Eidgenossenschaft, sondern auch Teil des schweizerischen Selbstverständnisses und der ‚nationalen Identität‘. Dass die Schweiz im heutigen Europa nicht selten als Beispiel für eine erfolgreiche (Viel-)Sprachenpolitik genannt wird, scheint nicht zuletzt der flexiblen Handhabung des Territorialitätsprinzips geschuldet, das es durch seine hierarchische Gliederung jeder (Verwaltungs-)Ebene von der Bundes- über die Kantonal- bis hin zur Gemeindeebene ermöglicht, entsprechend der sprachlichen Zusammensetzungen des jeweiligen geographischen Zuständigkeitsgebiets die Amtssprache selbst zu bestimmen. Explizit gab die Schweiz in ihrem ersten Bericht an, die Charta aus der Erwägung und mit dem Willen ratifiziert zu haben, einerseits die Viersprachigkeit der Schweiz erhalten und andererseits internationales Engagement für den kulturellen Pluralismus und den Minderheitenschutz demonstrieren zu wollen. Die Anwendung der Charta, die sich nunmehr über vier vollständige Berichtszyklen erstreckt, verdeutlicht nicht nur, dass die Schweiz bereits vor der Ratifizie-

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rung über einen hervorragenden Schutz- und Förderapparat zugunsten des Rätoromanischen und des Italienischen verfügte, sondern demonstriert auch, dass die Schweiz sowie die beteiligten Kantone und Organisationen in vorbildlicher Weise mit dem Europarat kooperieren. Dass die Empfehlungen des Europarats in der Schweiz wesentliche Verbesserungen zur Folge gehabt haben, zeigt sich bereits am Beispiel der mittlerweile in Kraft getretenen nationalen und kantonalen Sprachengesetze. Unter den auch durch Teil III der Charta geschützten Sprachen befindet sich das Italienische, insbesondere im Tessin, wo es die Mehrheitssprache ist, durch die direkte Nachbarschaft zum ‚Stammland‘ Italien in einer privilegierten Situation. Die Abnahme der Sprecherzahlen auf Bundesebene täuscht darüber hinweg, dass die Sprecherzahlen im traditionellen Sprachgebiet mittlerweile konstant sind. Für das Rätoromanische sind die Bedingungen dagegen ungleich schlechter, da einerseits die Sprecherzahlen sinken und die nach dem Zensus nur noch 35.095 Sprecher umfassende Gemeinschaft auch innerhalb des traditionellen Sprachgebiets eine Minderheit darstellt. Es ist fraglich und bislang noch nicht einschätzbar, ob die im Rahmen der Charta ergriffenen zusätzlichen Maßnahmen die notwendigen sprachökologischen Bedingungen schaffen können, die den fortwährenden Sprachenwechsel hin zum Deutschen aufzuhalten vermögen. Die v.a. wirtschaftlich motivierte und im Unterschied zu früheren Jahrhunderten stark erhöhte Sprechermobilität, der das Territorialitätsprinzip nicht genügen kann, sprechen dagegen. Zwar steht der Schutz der Landessprachen Rätoromanisch und Italienisch klar im Vordergrund, doch wird deutlich, dass unter dem Blick des Europarats auch lange vernachlässigte Randgruppen der Gesellschaft wie die Schweizer „Fahrenden“ bzw. Jenischen deutlich aktiver gefördert werden. Die im Dialog mit den Sprechern mit Blick auf den Sprachenschutz erwogenen Maßnahmen wie die Einrichtung von „Stand- und Durchgangsplätzen“ könnten dabei nicht nur zur Erhaltung der Sprache und der traditionellen Lebensweise, sondern auch zu einer besseren Akzeptanz und Integration der Volksgruppe beitragen. Im Gegensatz dazu muss der Schutz des Walserdeutschen trotz oder vielleicht gerade wegen der Insistenz des Sachverständigenausschusses vor dem Hintergrund von weniger als 30 Sprechern geradezu als anekdotisch bezeichnet werden.

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3 Bibliographie 3.1 Quellen 3.1.1 Europarat Rapport périodique de la Suisse, 3.11.1999. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique de la Suisse, 23.12.2002. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique de la Suisse, 24.5.2006. [= 3. Staatenbericht] Rapport périodique de la Suisse, 15.12.2009. [= 4. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 1.6.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 24.3.2004. [= 2. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 19.9.2007. [= 3. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 4.6.2010. [= 4. Evaluationsbericht] Recommandation du Comité des Ministres, 21.11.2001. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 22.9.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 12.3.2008. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 8.12.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 4. Evaluationsberichtes]

3.1.2 Weitere Quellen Kanton Graubünden: „Gesetz über die Förderung der Kultur (Kulturför-derungsgesetz, KFG) [BR 494.300]“. In: Amtsblatt des Kantons Graubünden, in Kraft seit 1.1.1998/1.1.2008. Kanton Graubünden: „Sprachengesetz des Kantons Graubünden (SpG) vom 19. Oktober 2006 [BR 492.100]“. In: Amtsblatt des Kantons Graubünden, in Kraft seit 1.1.2008. Republik und Kanton Tessin: „Costituzione della Repubblica e Cantone Ticinodel 14 dicembre 1997 [SR 131.229]“. In: Bollettino Ufficiale delle leggi e degli atti esecutivi del Cantone Ticino (BU) 1997: 575. Schweizerische Eidgenossenschaft: „Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [SR 101]“. In: Amtliche Sammlung des Bundesrechts (AS) 42, 26.10.1999: 2556–2611. Schweizerische Eidgenossenschaft: „Charte européennedes langues régionales ou minoritaires [= Instrument de ratification déposé par la Suisse le 23 décembre 1997, SR 0.441.2]“. In: Amtliche Sammlung des Bundesrechts (AS) 31, 12.8.2003: 2507–2525. Schweizerische Eidgenossenschaft: „Verfassung des Kantons Graubünden vom 18. Mai 2003/14. September 2003 [SR 131.226]“. In: Bundesblatt (BBl.) 11, 23.3.2004: 1121–1141. Schweizerische Eidgenossenschaft: „Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften [= Sprachengesetz, SpG; SR 441.1]“. In: Bundesblatt (BBl.) 42, 16.10.2007: 6605–6614.

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3.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Schmitt, Christian: „Schweiz“. In: Günter Holtus / Michael Metzeltin / Christian Schmitt (Hrsg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik. Bd. V,1: Französisch, Tübingen: Niemeyer 1990: 726–732. Stähli, Adrian: „Aspetti di vitalità, mantenimento e perdita di una lingua. Riflessioni per un inquadramento sociolinguistico di Bosco Gurin, comune walser in Ticino“. In: Bruno Moretti / Elena Maria Pandolfi / Matteo Casoni (Hrsg.): Vitalità di una lingua minoritaria. Aspetti e proposte metodologiche. Vitality of a Minority Lanuage. Aspects and Methodological Issues. Atti del convegno di Bellinzona, 15–16 ottobre 2010, Bellinzona: Osservatorio linguistico della Svizzera italiana 2011: 211–226. Willwer, Jochen: Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen in der Sprachpolitik Frankreichs und der Schweiz, Stuttgart: Ibidem 2006.

3.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

Rätoromanisch: 1a (iv), b (i), c (iii), d (iii), e (ii), f (iii), g–i Italienisch: 1a (i, iv), b (i), c (i, ii), d (i, iii), e (ii), f (i, iii), g–i

Artikel 9 (Justizbehörden)

Rätoromanisch: 1a (ii, iii), b (ii, iii), c (ii); 2a; 3 Italienisch: 1a (i–iii), b (i–iii), c (i, ii), d; 2a; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

Rätoromanisch: 1a (i), b, c; 2a–g; 3b; 4a, c; 5 Italienisch: 1a (i), b, c; 2a–g; 3a, b; 4a–c; 5

Artikel 11 (Medien)

Rätoromanisch: 1a (iii), b (i), c (ii), e (i), f (i); 3 Italienisch: 1a (i), e (i), g; 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

Rätoromanisch: 1a–c, e–h; 2; 3 Italienisch: 1a–h; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1d; 2b

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Monika Wingender (Gießen)

Serbien (Република Србија) 1 Vorgeschichte Die Staatengründung Serbiens geht auf das Mittelalter zurück. 1217 wurde es Königreich. Seine größte Machtentfaltung erreichte das mittelalterliche Reich unter Stefan Dušan, der sich 1346 zum Zaren krönen ließ. Durch die Ausbreitung der Osmanen auf dem Balkan verlor Serbien seine Unabhängigkeit und fiel 1459 endgültig unter osmanische Herrschaft. Bis ins 19. Jahrhundert blieb Serbien Teil des Osmanischen Reiches. Nach serbischen Aufständen (1804 und 1815) wurde es autonomes Fürstentum innerhalb des Osmanischen Reiches. Nach den serbisch-osmanischen Kriegen von 1876 bis 1878 erlangte Serbien die Unabhängigkeit; seine Souveränität wurde 1878 auf dem Berliner Kongress anerkannt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründet (1918), das ab 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde. Das sogenannte erste Jugoslawien wurde 1941 aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Serbien als Volksrepublik und später Sozialistische Republik zur Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, die 1963 in die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien umbenannt wurde. Nach dem Zerfall des sogenannten zweiten Jugoslawien bildeten die Republik Serbien und die Republik Montenegro 1992 die Bundesrepublik Jugoslawien, das sogenannte dritte Jugoslawien (ab 2003 Staatenunion Serbien und Montenegro). Nach einem Referendum im Jahr 2006 wurde Montenegro unabhängiger Staat. Die Republik Serbien erklärte sich zum Nachfolgestaat der aufgelösten Staatenunion. Die Bundesrepublik Jugoslawien wurde 2003 Mitglied des Europarates. Erste Gespräche zur Integration in die Europäische Union (EU) fanden seit 2000 statt. Am 22.12.2009 reichte Serbien seine Kandidatur für die Mitgliedschaft in der EU ein; der Status des Beitrittskandidaten wurde ihm am 1.3.2012 verliehen. Der Status der Sprachen wird in Artikel 10 der Verfassung von 2006 (Устав Републике Србије) geregelt. Danach haben das Serbische und das kyrillische Alphabet offiziellen Status. Der offizielle Gebrauch anderer Sprachen und Alphabete ist jeweils per Gesetz geregelt. Artikel 21 umfasst das Diskriminierungsverbot, das explizit auch die Sprache einschließt. Weitere Regelungen finden sich z.B. in Artikel 199 (Recht auf Gebrauch der eigenen Sprache vor Gericht und anderen staatlichen Organen) und Artikel 32 (Recht auf kostenlosen Übersetzer vor Gericht). Rechte der nationalen Minderheiten werden in Artikel 79 geregelt.

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Hier wird u.a. festgelegt, dass Angehörige nationaler Minderheiten das Recht auf Gebrauch ihrer Sprache und Schrift haben und dass an Orten mit bedeutsamem Minderheitenbevölkerungsanteil Abläufe bei staatlichen Institutionen usw. auch in der Minderheitensprache geführt werden; Weiteres betrifft die Bildung, den Gebrauch der Namen, auch Straßen- und Ortsnamen usw. (weitere Verfassungsgrundlagen in Bezug auf den Minderheitenschutz sind im ersten Staatenbericht dargelegt). Am 27.2.2002 trat ein mit internationaler Unterstützung erarbeitetes Minderheitengesetz in Kraft (vgl. Pan / Pfeil 2006) – Закон о заштити права и слобода националних мањина („Gesetz zum Schutz der Rechte und Freiheiten nationaler Minderheiten“). Die Verfassung Serbiens von 2006 verzeichnet zwei autonome Provinzen: Die Vojvodina sowie Kosovo und Metochien, das nach dem Kosovokrieg unter die Verwaltungshoheit der UN gestellt wurde. Die Verteilung der Befugnisse (zwischen Verfassung und Statuten Autonomer Provinzen) in Bezug auf die Regulierung des Gebrauchs und des Schutzes von Minderheitensprachen ist per Verfassung geregelt. Die Republik Kosovo hat 2008 ihre Selbständigkeit erklärt.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Serbien unterzeichnete die Charta am 22.3.2005 (zu der Zeit noch als Staatenunion Serbien und Montenegro) und ratifizierte sie am 15.2.2006. Als Nachfolgestaat der Staatenunion Serbien und Montenegro trat für Serbien die Charta am 1.6.2006 in Kraft. Serbien reichte den ersten Staatenbericht am 11.7.2007 ein. Vor seinem Besuch im Land erbat der Sachverständigenausschuss über den Staatenbericht hinausgehende Informationen. Die Antworten auf den Fragenkatalog legte Serbien am 8.1.2008 (Addendum 2) vor; des Weiteren sind die Kommentare der serbischen Behörden zum Evaluationsbericht als Appendix 2 dem Evaluationsbericht beigefügt. Vom 5.2 bis 8.2.2008 besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das Land. Er erhielt u.a. mehrere Stellungnahmen von nationalen Minderheitenräten

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(Appendix 1). Auf der Grundlage des Evaluationsberichts vom 12.9.2008 sprach das Ministerkomitee am 6.5.2009 seine ersten Empfehlungen aus. Der zweite Staatenbericht wurde am 23.9.2010 vorgelegt. Am 17.11.2010 übersandte der Sachverständigenausschuss einen Fragebogen an Serbien mit der Bitte um weitere Informationen zum zweiten Staatenbericht (Addendum 1). Seine Antworten übersandte Serbien am 10.3.2011 (Addendum 2). Der Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses wurde am 4.5.2011 verabschiedet, war jedoch bis zum Redaktionsende noch nicht öffentlich zugänglich. Da die Evaluation nicht vorliegt und der zweite Berichtszyklus damit noch nicht abgeschlossen ist, wird der zweite Staatenbericht hier nur punktuell, also v.a. in Bezug auf diejenigen Aspekte berücksichtigt, bei denen im ersten Berichtszyklus Fragen offen geblieben waren bzw. Empfehlungen gegeben wurden.

2.1.2 Institutionen Im ersten Staatenbericht legte Serbien dar, dass der Bericht über die Implementierung der Charta nicht die unter Verwaltungshoheit der UN stehende autonome Provinz Kosovo und Metochien umfasse. Nach der Ratifizierung der Charta führte Serbien eine Reihe von Charta-Seminaren durch, deren Teilnehmern angeboten wurde, den ersten Staatenbericht mit vorzubereiten. In diesem nennt Serbien verschiedene Institutionen, die an der Vorbereitung des Staatenberichts beteiligt waren: Verschiedene Ministerien (Министарство културе и медиja [„Ministerium für Kultur und Medien“], Министарство просвете и спорта [„Ministerium für Bildung und Sport“], Министарство правде [„Justizministerium“] u.a.) und Institutionen (Завод за статистику Републике Србиje [„Statistikamt der Republik Serbien“] u.a.); des Weiteren nennt der Bericht eine ganze Reihe von nationalen Räten verschiedener Minderheiten, örtlichen Selbstverwaltungen, NGOs, Medien und Verlagen, Kulturinstitutionen, Archiven und Museen. Den zweiten Staatenbericht bereitete das 2008 eingerichtete Министарства за људска и мањинска права („Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte“) vor. Wie auch beim ersten Staatenbericht waren darüber hinaus zahlreiche Ministerien, öffentliche und kulturelle Institutionen usw. beteiligt.

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2.2 Sprachen und Sprachensituation Im ersten Staatenbericht nennt Serbien folgende durch Teil II (Art. 7) zu schützende Minderheitensprachen (nach Art. 1a der Charta): Albanisch, Bosnisch, Bulgarisch, Wlachisch, Ungarisch, Makedonisch, Deutsch, Romani, Rumänisch, Ruthenisch, Slowakisch, Ukrainisch, Kroatisch und Tschechisch. Teil III (Art. 8–14) nach Artikel 2,2 der Charta wird gemäß Ratifikationsinstrument nicht auf alle genannten Sprachen angewendet, sondern auf folgende: Albanisch, Bosnisch, Bulgarisch, Ungarisch, Romani, Rumänisch, Ruthenisch, Slowakisch, Ukrainisch und Kroatisch. Für alle Sprachen wurden dieselben Maßnahmen aus Teil III ausgewählt. Da sich die zehn Sprachen in ihrer Sprecherzahl und ihrem bisherigen Schutzgrad deutlich unterscheiden, unterstrich der Sachverständigenausschuss in der Zusammenfassung seines Evaluationsberichts, dass dies für einige Minderheitensprachen eine Verbesserung bedeute, während andere bisher schon besser geschützt seien als durch die Verpflichtungen in der Charta. Dieser zuvor höhere Schutzgrad dürfe durch die Charta-Ratifizierung nicht abgesenkt werden. Laut erstem Staatenbericht macht Serbien keine Unterscheidung zwischen territorialen und nicht territorialen Sprachen. Zu Artikel 1b der Charta erklärte Serbien, dass der Ausdruck „Gebiet, in dem die Minderheitssprache gebraucht wird“ für Gebiete gelten soll, in denen die Minderheitssprachen gemäß nationaler Gesetzgebung im offiziellen Gebrauch sind. Der Evaluationsbericht regte an, die dazu nötige 15-Prozent-Schwelle an Minderheitsbevölkerung in einer Gemeinde (in der Vojvodina 25 % der Ortschaft einer Gemeinde) weniger strikt zu handhaben. Eine rigide Anwendung dieser Schwellenwerte sei gegen den Geist der Charta, weil so z.B. nicht alle der in Teil II geschützten Sprachen auch in Teil III geschützt werden können, da sie aufgrund der Schwellenwerte nicht den Status „im offiziellen Gebrauch“ haben. Der Sachverständigenausschuss bewertete es positiv, dass sich einige örtliche Verwaltungseinheiten über diese Schwellenwerte hinweggesetzt und bei weniger als 15  % Minderheitsbevölkerung eine Minderheitensprache in den offiziellen Gebrauch eingeführt haben. In seinen Kommentaren zum Evaluationsbericht zeigte sich Serbien bereit, die 15-Prozent-Schwelle abzusenken. Im zweiten Staatenbericht informierte der Staat darüber, dass weitere örtliche Selbstverwaltungseinheiten den neuen offiziellen Gebrauch von Minderheitensprachen festgelegt hätten. In dem vor seinem Vor-Ort-Besuch an Serbien übergebenen Fragenkatalog erbat der Sachverständigenausschuss zusätzliche Informationen zum Staatenbericht in Bezug auf weitere Sprachen, so zum Jiddischen und zum Türkischen v.a. im Sandžak. In seinen Antworten auf den Fragenkatalog legte Serbien dar, dass laut Zensus von 2002 1.158 Personen zur jüdischen Minderheit gehörten. 83,68 % sprächen Serbisch als Muttersprache, 10,62 % Ungarisch. Jiddisch werde als Mut-

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tersprache nicht von Angehörigen anderer Ethnien gesprochen. Des Weiteren antwortete der Staat, dass laut Zensus von 2002 522 Personen zur türkischen Minderheit zählten. Von ihnen sprächen 25,67 % Serbisch als Muttersprache, 68,58 % Türkisch. Die Bevölkerungszahlen zu Minderheiten und der Gebrauch der Minderheitensprachen als Muttersprache stellen sich laut erstem Staatenbericht auf der Grundlage des Zensus von 2002 folgendermaßen dar: Bevölkerung nach Ethnizität Ethnie

Σ Ungarn Bosniaken Roma Kroaten Albaner Slowaken Wlachen Rumänen Makedonier Bulgaren Ruthenen Ukrainer Deutsche Tschechen

Zahl

davon sprechen die jeweilige Minderheitensprache als Muttersprache, %

877.194 293.299 136.087 108.193 70.602 61.647 59.021 40.054 34.576 25.847 20.497 15.905 5.354 3.901 2.211

– 94 97 73 34 99 94 92 92 48 74 82 48 44 54

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen Aus Platzgründen können hier leider nicht alle zehn durch Teil III der Charta geschützten Sprachen beschrieben werden. Im Folgenden werden stellvertretend zwei Minderheitensprachen behandelt, deren Situation der Sachverständigenausschuss unterschiedlich einschätzte: Albanisch, für das der Sachverständigenausschuss eine hohe Zahl an Verpflichtungen als erfüllt ansah, und Ukrainisch, dem er die schwächste Situation unter den zehn geschützten Sprachen bescheinigte. Bevor diese beiden Minderheitensprachen stellvertretend beschrieben werden, seien hier in aller Kürze die Einschätzungen des Sachverständigenausschusses zu denjenigen Sprachen angeführt, die hier nicht im Einzelnen behandelt werden können:

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– – – –

– – –

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Bosnisch (Sprachenbezeichnung gemäß Ratifikationsinstrument, serbischen Fassungen der Staatenberichte, Evaluationsbericht und der dem zweiten Staatenbericht beigefügten Stellungnahme des nationalen Rates der Bosniakischen Minderheit; die englischen Fassungen der Staatenberichte verwenden sowohl ‚Bosnisch‘ als auch ‚Bosniakisch‘): Es wird eine Stärkung v.a. im Sekundarschulwesen sowie bei Fernsehprogrammen und Printmedien empfohlen; Bulgarisch: Die Situation insbesondere in den ersten Stufen des Bildungssystems sei gut, während andere Bereiche gestärkt werden könnten; Kroatisch: Es sei im Bereich der Bildung in Anbetracht der Zahl an Sprechern schwach vertreten, während der Medienbereich nicht kritisiert wird; Ungarisch: Hier seien alle Verpflichtungen erfüllt oder zum Teil erfüllt; Romani: Artikel 9 und 10 können nicht angewendet werden, da dieser Sprache der offizielle Status auf örtlicher Ebene fehle (s. ebenso Ukrainisch unter 2.3.2.). Ansonsten lobte der Sachverständigenausschuss die Bemühungen zur Förderung des Romani; Rumänisch: die Zahl der Schüler sei in Anbetracht der Größe der Sprechergruppe zu niedrig; Ruthenisch: der Schutzgrad sei hoch, was durch seinen offiziellen Status in der Autonomen Provinz Vojvodina widergespiegelt wird; Slowakisch: die Situation sei gut.

Unter allgemeinen Aspekten regte der Sachverständigenausschuss zum Bereich Bildung in seinem Evaluationsbericht an, dass Serbien eine kohärente Strategie im Bereich der Lehrerausbildung entwickelt und adäquate Lehrmaterialien bereit stellt; das Ministerkomitee formulierte dies als Empfehlung an Serbien. Im zweiten Staatenbericht informierte Serbien kurz über allgemeine Maßnahmen dazu. Da weitere allgemeine Empfehlungen des Sachverständigenausschusses zu Justizbehörden u.a. nicht in den Empfehlungen des Ministerkomitees aufgegriffen wurden, soll hier aus Platzgründen nicht weiter darauf eingegangen werden.

2.3.1 Albanisch Die geographische Verbreitung der Sprecher dieser Minderheitensprache ist im Einzelnen im Appendix 2 zum Staatenbericht aufgelistet. Bildung: Laut erstem Staatenbericht besuchten insgesamt 984 Schüler Vorschulgruppen in Albanisch. Im Bereich der Vorschulerziehung sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung als erfüllt an. Im Bereich der Primarschule liegt die Gesamtschülerzahl laut Staatenbericht bei 9.173, während der

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Sekundarschulbereich 1.041 Schüler verzeichnet. Für beide Bereiche sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung als erfüllt an. Laut Staatenbericht liegen die Schülerzahlen in der technischen und beruflichen Bildung bei 1.831. In der Universitätsbildung nannte der Staatenbericht die Fakultät für Philologie in Belgrad mit einer Abteilung für Albanologie. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung als erfüllt an. Zum Bereich der Erwachsenenbildung hatte der Sachverständigenausschuss keine Informationen zum Albanischen und regte für den nächsten Staatenbericht Informationen dazu an. Der zweite Staatenbericht enthält diesbezüglich keine Informationen zum Albanischen. Im Hinblick auf den Unterricht der Geschichte und der Kultur der Minderheitensprache merkte der Sachverständigenausschuss an, dass es dazu keine Informationen in Bezug auf Schüler gebe, die die Mehrheitssprache sprechen. Die Verpflichtung wird als teilweise erfüllt angesehen. Der Sachverständigenausschuss regte an, den Unterricht der Geschichte und der Kultur von Minderheitensprachen für alle Schüler in den entsprechenden Gebieten sicherzustellen. Justizbehörden: Allgemein stellte der Sachverständigenausschuss im Hinblick auf die Verwendung von Minderheitensprachen in Justizbehörden einen Rückgang fest, und er regte an, die Bürger zu ermutigen, Minderheitensprachen vor Gericht zu verwenden. In seinen Kommentaren zum Evaluationsbericht widersprach Serbien den Beobachtungen des Sachverständigenausschusses und führte weitere Daten an. Der erste Staatenbericht informierte im Hinblick auf Strafverfahren, dass Verfahren in Albanisch in den Jahren 2002 bis 2006 an zwei Stadtgerichten durchgeführt worden seien. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung als weitgehend erfüllt an und regte Informationen darüber an, wie praktische Hindernisse in der Ausübung des Rechts auf Gebrauch von Minderheitensprachen überwunden werden. Der zweite Staatenbericht fügte hinzu, dass in Leskovac Albanisch in vier Fällen verwendet worden sei. In Bezug auf Anträge und Beweismittel in Albanisch sah der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung als erfüllt an. In Bezug auf zivilrechtliche Verfahren und den Gebrauch des Albanischen beim persönlichen Erscheinen einer Prozesspartei vor Gericht liegen dem Sachverständigenausschuss keine Informationen zum Albanischen vor. Der zweite Staatenbericht berichtete in Bezug auf zivilrechtliche Verfahren von zwei Fällen, in denen Albanisch gebraucht worden sei. Was Gerichte für Verwaltungssachen betrifft, so sah sich der Sachverständigenausschuss zu keiner abschließenden Einschätzung in der Lage und bat um Informationen über den mündlichen Gebrauch der Minderheitensprachen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der erste Staatenbericht informierte in Bezug auf Verwaltungsbezirke des Staates über das Recht, mündliche oder schriftliche Anträge in Minderheitensprachen einzurei-

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chen. Da die betreffende Minderheit mindestens 2 % der Bevölkerung Serbiens ausmachen muss (dies trifft nur auf die ungarische Minderheit zu), sah der Sachverständigenausschuss keine allgemeine rechtliche Basis für die Implementierung dieser Verpflichtung und empfahl entsprechende Maßnahmen. Im zweiten Staatenbericht antwortete Serbien mit der Darlegung der allgemeinen rechtlichen Grundlagen. In Bezug auf örtliche und regionale Behörden hätten Sprecher des Albanischen, so der erste Staatenbericht, zwischen 2002 und 2006 Dokumente in Albanisch eingereicht; weitere nannte der zweite Staatenbericht. Der Sachverständigenausschuss stellte generell für die Minderheitensprachen fest, dass die praktische Implementierung dieser Verpflichtung durch einen Mangel an sprachlich qualifizierten Angestellten behindert wäre; für Albanisch sah er die Verpflichtung als teilweise erfüllt an. Zur Veröffentlichung offizieller Dokumente der örtlichen Behörden in Minderheitensprachen machte Serbien im zweiten Staatenbericht Angaben u.a. zum Albanischen – im ersten Berichtszyklus hatte der Sachverständigenausschuss diese Verpflichtung als teilweise erfüllt betrachtet. Zum Gebrauch von Ortsnamen in Minderheitensprachen informierte der erste Staatenbericht, dass vier Ortsnamen in Albanisch festgelegt seien. Bei seinem Vor-Ort-Besuch wurde der Sachverständigenausschuss informiert, dass sie in der Praxis gebraucht werden. Die Verpflichtung wurde als teilweise erfüllt betrachtet. Weitere Ortsnamen nannte der zweite Staatenbericht. Aufgrund fehlender sprachspezifischer Informationen zur Situation in den öffentlichen Dienstleistungen konnte der Sachverständigenausschuss keine Bewertung abgeben; er bat um entsprechende Information im nächsten Staatenbericht, in dem Serbien allgemeine Informationen anführte. Hinsichtlich des Gebrauchs von Personennamen in Minderheitensprachen wurde der Sachverständigenausschuss bei seinem Vor-Ort-Besuch über Schreibfehler bei Namen in Albanisch informiert. Insgesamt sah er die Verpflichtung als formal erfüllt an und erbat weitere Informationen in Bezug auf die praktische Umsetzung. Medien: Der erste Staatenbericht informierte über öffentliche Fernseh- und Radioprogramme in Albanisch. Des Weiteren sendeten drei private Radiostationen Programme in Albanisch. Der Sachverständigenausschuss bewertete das Angebot an Radio- und Fernsehsendungen in Minderheitensprachen als beeindruckend. Zu audio- und audiovisuellen Werken in Albanisch war dem Sachverständigenausschuss aufgrund mangelnder Informationen zum Albanischen keine Einschätzung möglich; der zweite Staatenbericht nannte zwei Maßnahmen. Der erste Staatenbericht informierte über Zeitungen, die Serbien unterstützt. Der Sachverständigenausschuss betrachtete die Verpflichtung als erfüllt. Wie die Interessen der Minderheiten in den Gremien der Medien vertreten sind, konnte der Sachverständigenausschuss aufgrund mangelnder Informationen nicht einschätzen.

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Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Serbien unterstütze drei Bibliotheken, ein Amateurtheater und kulturelle Ereignisse. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung für alle Minderheitensprachen als erfüllt an. In Bezug auf Übersetzungen aus dem Albanischen und in das Albanische und die Mitwirkung von Sprechern der Minderheit bei der Planung kultureller Tätigkeiten erbat der Sachverständigenausschuss Informationen. Auch der zweite Staatenbericht enthält in Bezug auf das Albanische keine Informationen zu Übersetzungen. In Bezug auf die Mitwirkung bei der Planung kultureller Aktivitäten legte der zweite Staatenbericht die Rolle der nationalen Minderheitenräte dar. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Sachverständigenausschuss sah diese Verpflichtung als erfüllt an. Grenzüberschreitender Austausch: Eine Bewertung war dem Sachverständigenausschuss nach dem ersten Staatenbericht nicht möglich. Der zweite Staatenbericht führte hierzu allgemeine Informationen auf.

2.3.2 Ukrainisch Die geographische Verbreitung der Sprecher dieser Minderheitensprache ist im Einzelnen im Appendix 2 zum Staatenbericht aufgelistet. Bildung: Laut erstem Staatenbericht gibt es im Bereich der Vorschulerziehung kein Angebot in Ukrainisch. Der Sachverständigenausschuss sah diese Maßnahme für Ukrainisch als nicht erfüllt an. Der zweite Staatenbericht informierte, dass keine Nachfrage bestünde. Der erste Staatenbericht informierte zum Primarschulbereich, dass insgesamt 118 Schüler das Angebot in Ukrainisch mit Elementen der nationalen Kultur wahrnähmen. Diese Verpflichtung sah der Sachverständigenausschuss als erfüllt an. In Bezug auf die Sekundarschule, Erwachsenenbildung sowie technische und berufliche Bildung hat der Sachverständigenausschuss keine Informationen in Bezug auf die Implementierung der Maßnahmen für das Ukrainische und erbat für den nächsten Staatenbericht hierzu Informationen. Dieser berichtete in Bezug auf Sekundarschulen, dass seitens der Schüler keine Nachfrage bestünde. Zum Bereich der Universitätsbildung informierte der Staatenbericht, dass es ein Angebot für Ukrainisch an der Fakultät für Philosophie in Novi Sad und an der für Philologie in Belgrad gebe. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung als erfüllt an. Zum Unterricht der Geschichte und der Kultur der Minderheitensprache merkte der Sachverständigenausschuss an, dass es dazu keine Informationen in Bezug auf Schüler gibt, die die Mehrheitssprache sprechen. Die Verpflichtung wird als teilweise erfüllt angesehen. Der Sachverständigenausschuss regte an,

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den Unterricht der Geschichte und der Kultur von Minderheitensprachen für alle Schüler in den entsprechenden Gebieten sicherzustellen. Justizbehörden: Die Verwendung von Minderheitensprachen ist daran gebunden, dass sie in einem Zuständigkeitsbereich in mindestens einer Gemeinde oder an einem Stadtgericht im offiziellen Gebrauch sind. Der Sachverständigenausschuss stellte fest, dass Artikel 9 der Charta somit nicht auf das Ukrainische angewendet werden kann, da Ukrainisch in keiner Gemeinde im offiziellen Gebrauch ist (dies trifft auch auf Romani zu). Der Sachverständigenausschuss empfahl die Sicherstellung der Anwendung von Artikel 9 auf das Ukrainische und auf Romani; das Ministerkomitee schloss sich dem mit einer entsprechenden Empfehlung an. Im zweiten Staatenbericht antwortete Serbien, die rechtlichen Regelungen der Republik stellten die Implementierung ausgewählter Paragraphen von Artikel 9 sicher; dies beträfe z.B. das Recht auf Gebrauch der Sprache mittels Übersetzer. Es werden einzelne Maßnahmen zur Verbesserung der Situation (Gewinnung von Übersetzern und ehrenamtlichen Richtern aus den Minderheiten) geschildert. Im Hinblick auf die Verwendung des Ukrainischen in Strafverfahren bemerkte der Sachverständigenausschuss, dass er keine Informationen über den Gebrauch des Ukrainischen erhalten habe. Er erbat Informationen im nächsten Staatenbericht darüber, welche Schritte unternommen werden, um Angeklagten das Recht auf Gebrauch der Minderheitensprache in der Praxis zu garantieren. Der zweite Staatenbericht informierte über allgemeine gesetzliche Grundlagen; speziell auf das Ukrainische ging er nicht ein. Ebenfalls keine Informationen hatte der Sachverständigenausschuss in Bezug auf Anträge und Beweismittel in Ukrainisch sowie in Bezug auf zivilrechtliche Verfahren und den Gebrauch des Ukrainischen beim persönlichen Erscheinen einer Prozesspartei vor Gericht. Speziell zum Ukrainischen enthält auch der zweite Staatenbericht keine Informationen; dies betrifft auch die Situation bezüglich der Gerichte für Verwaltungssachen, in Bezug auf die sich der Sachverständigenausschuss zu keiner abschließenden Einschätzung in der Lage sah. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Ebenso wie zu Artikel 9 stellte der Sachverständigenausschuss auch hier fest, dass Artikel 10 der Charta nicht auf das Ukrainische angewendet werden kann, da Ukrainisch auf örtlicher Ebene nicht im offiziellen Gebrauch ist (dies trifft auch auf Romani zu). Der Sachverständigenausschuss empfahl die Sicherstellung der Anwendung von Artikel 10 auf das Ukrainische und auf Romani; das Ministerkomitee schloss sich dem an. Die Antwort auf diese Empfehlung im zweiten Staatenbericht bezog sich auf Artikel 9 (vgl. oben unter Justizbehörden). In Bezug auf Verwaltungsbezirke des Staates und das Recht, mündliche oder schriftliche Anträge in der Minderheitensprache einzureichen, gelten dieselben Ausführungen wie oben für das Albanische. Dem Sachverständigenausschuss

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lagen keine Informationen zur Situation in Bezug auf örtliche und regionale Behörden vor, so dass er die Maßnahme als nicht erfüllt betrachtete. In Bezug auf den Gebrauch von Ortsnamen in Ukrainisch sind laut zweitem Staatenbericht keine Ortsnamen in Ukrainisch im Gebrauch. Aufgrund fehlender sprachspezifischer Informationen zur Situation in den öffentlichen Dienstleistungen konnte der Sachverständigenausschuss keine Bewertung abgeben; er bat um entsprechende Information im nächsten Staatenbericht, in dem Serbien allgemeine Informationen anführte. Zur Bewertung des Gebrauchs von Personennamen in Ukrainisch fehlten dem Sachverständigenausschuss Informationen. Auch der zweite Staatenbericht enthält keine Informationen speziell zum Ukrainischen. Medien: Der erste Staatenbericht informierte, dass Programme in Ukrainisch von dem öffentlichen Fernsehkanal TV Novi Sad (30 Minuten zweiwöchentlich) und von Radio Novi Sad (sechs Stunden pro Woche) gesendet werden. Laut Staatenbericht gibt es keine privaten Radio- und Fernsehkanäle in Ukrainisch. In Bezug auf Zeitungen, die Serbien unterstützt, nannte der Staatenbericht eine monatliche Zeitung, und der nationale Rat der ukrainischen Minderheit fügte noch eine vierteljährlich erscheinende Zeitschrift hinzu. Der Sachverständigenausschuss betrachtete die Verpflichtung als erfüllt ebenso wie auch die zum Empfang von Hörfunk- und Fernsehsendungen aus Nachbarländern. Zu audiound audiovisuellen Werken war dem Sachverständigenausschuss keine Einschätzung möglich. Auch der zweite Staatenbericht enthält keine Angaben zum Ukrainischen. Wie die Interessen der Minderheiten in den Gremien der Medien vertreten sind, konnte der Sachverständigenausschuss aufgrund mangelnder Informationen nicht einschätzen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der Staatenbericht nannte ein Amateurtheater und verschiedene kulturelle Aktivitäten der Minderheit. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtung für alle Minderheitensprachen als erfüllt an. In Bezug auf Übersetzungen aus dem Ukrainischen und in das Ukrainische und die Mitwirkung von Sprechern der Minderheit bei der Planung kultureller Tätigkeiten erbat der Sachverständigenausschuss Informationen im zweiten Staatenbericht. Auch der zweite Staatenbericht enthält in Bezug auf das Ukrainische keine Informationen zu Übersetzungen. In Bezug auf die Mitwirkung bei kulturellen Aktivitäten legte der zweite Staatenbericht die Rolle der nationalen Minderheitenräte dar. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Sachverständigenausschuss sah diese Verpflichtung als erfüllt an. Grenzüberschreitender Austausch: Eine Bewertung war dem Sachverständigenausschuss nach dem ersten Staatenbericht nicht möglich; er erbat hierzu Informationen im nächsten Staatenbericht. Der zweite Staatenbericht führte hierzu allgemeine Informationen auf.

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2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen Laut erstem Staatenbericht kann Serbien keine weiteren Minderheitensprachen in Teil III benennen, da dann die Umsetzung von mindestens 35 Maßnahmen nicht möglich wäre. Der Staat betonte hier aber seine Auffassung von der Implementierung als Prozess, so dass nach Artikel 3,2 der Charta in diesem Prozess weitere Sprachen angegeben werden könnten; diesen „dynamic approach“ begrüßte der Sachverständigenausschuss. Im ersten Staatenbericht wurde insbesondere das Makedonische als möglicher Kandidat für Teil III erwähnt. Des Weiteren ging der Staatenbericht auf Bunjewakisch (im Zensus von 2002 nicht erfasst) ein, das noch nicht standardisiert sei; der Staat beabsichtige Maßnahmen im Hinblick auf die Implementierung nach Teil II. Der Sachverständigenausschuss sah bei seinem Vor-Ort-Besuch eine ausreichende Präsenz des Bunjewakischen in verschiedenen Bereichen und regte für den nächsten Berichtszyklus die Klärung des Status des Bunjewakischen an; dieser Empfehlung schloss sich das Ministerkomitee an. In seinem zweiten Staatenbericht legte Serbien dar, dass der Staat nach Beratung mit den Sprechern des Bunjewakischen entschieden habe, Bunjewakisch nach Teil II der Charta zu schützen. Die zu Beginn des Kapitels 2.2. aufgeführte Zahl der durch Teil II geschützten Minderheitensprachen erhöht sich damit um das Bunjewakische. Der zweite Staatenbericht informierte, dass erste Maßnahmen im Standardisierungsprozess auf den Weg gebracht worden seien. Während die anderen durch Teil II geschützten Minderheitensprachen im Staatenbericht jeweils als jeзик (‚Sprache‘) aufgeführt werden, wird das Bunjewakische als Буњевачки говор (‚Dialekt‘) bezeichnet. Die Situation der in Teil II der Charta, nicht aber in Teil III berücksichtigten Minderheitensprachen wird im ersten Staatenbericht kurz beschrieben. Generell empfahlen Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee, Unterricht von und in Teil-II-Sprachen in Primar- und Sekundarschulen einzuführen. Der zweite Staatenbericht bekundete hierzu seine Bereitschaft und lieferte einige Informationen; z.T. bestehe keine Nachfrage seitens der Schüler. Da das Bunjewakische oben bereits behandelt wurde, beschränkt sich der folgende Überblick auf die weiteren vier Minderheitensprachen nach Teil II, die nicht in Teil III geschützt werden. Nach dem ersten Staatenbericht wird Tschechisch in den Gemeinden Bela Crkva (dort im offiziellen Gebrauch), Vršac und Kovin gebraucht; die rechtliche Basis zum Unterricht in Tschechisch sei vorhanden, aber aufgrund der kleinen Zahl von Schülern tschechischer Nationalität in unteren Klassen gebe es in der Praxis keinen Unterricht in Tschechisch, und es sei auch nicht Teil des Curriculums. Der Sachverständigenausschuss ermunterte Serbien zur Ergreifung von Maßnahmen zur Förderung des Gebrauchs des Tschechischen durch admi-

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nistrative Behörden und das Gericht von Bela Crkva sowie zur Untersuchung der Lage des Tschechisch-Unterrichts. Der zweite Staatenbericht informierte, dass keine Gerichtsverfahren in Tschechisch abgehalten worden wären und niemand Gebrauch von seinem Recht auf Verwendung dieser Minderheitensprache gemacht habe, obwohl diese Möglichkeit am Gericht in Bela Crkva bestehe. Laut erstem Staatenbericht ist Deutsch in keiner örtlichen Selbstverwaltungseinheit Serbiens im offiziellen Gebrauch. Es gebe keinen Unterricht in Deutsch, es könne aber als Fremdsprache gelernt werden. Der Sachverständigenausschuss begrüßte die Präsenz des Deutschen im Radio. Makedonisch ist laut erstem Staatenbericht ebenfalls in keiner örtlichen Selbstverwaltungseinheit Serbiens im offiziellen Gebrauch, da die Schwelle von 15  % an makedonischer Minderheit in einer Gemeinde nicht erreicht sei. Der nationale Rat der makedonischen Minderheit kritisierte dies in einer Stellungnahme (Appendix 1) und setzte sich für einen vollständigen Schutz durch die Charta ein. Der zweite Staatenbericht berichtete darüber, dass Makedonisch nun in mehreren örtlichen Selbstverwaltungseinheiten einen offiziellen Status habe. Laut Staatenberichten gebe es in Schulen keinen Unterricht in Makedonisch. Der Sachverständigenausschuss bescheinigte dem Makedonischen eine gute Situation in den Medien der Vojvodina und erbat Informationen zum Makedonischen in Zentralserbien. Wlachisch sei nicht standardisiert, und es gebe unter seinen Sprechern auch keine Übereinkunft zur Standardisierung. Der Sachverständigenausschuss griff die Frage auf, ob Wlachisch eine eigene Sprache oder eine Varietät des Rumänischen sei. Der nationale Rat der wlachischen Minderheit sah während des VorOrt-Besuches des Sachverständigenausschusses das Wlachische als Varietät des Rumänischen an. Da Rumänisch durch die Teile II und III der Charta geschützt wird, stellte der Sachverständigenausschuss die Frage nach dem Umgang mit dem Wlachischen in Bezug auf die Charta. Er regte die Klärung des Status des Wlachischen in Kooperation mit den Sprechern an; dies ging in die Empfehlungen des Ministerkomitees ein. In seinen Kommentaren zum Evaluationsbericht antwortete Serbien mit der Meinungsvielfalt in dieser Frage unter der wlachischen Minderheit selbst sowie mit den Zensusdaten, die sowohl Rumänen als auch Wlachen unterscheiden. Im zweiten Staatenbericht legte Serbien dar, dass es in Anwendung von Teil II der Charta auf das Wlachische dieses als Minderheitensprache betrachte. Der Sachverständigenausschuss ermutigte Serbien des Weiteren, sich eine strukturierte Politik zur Förderung des Wlachischen im öffentlichen Leben zu eigen zu machen. Im zweiten Staatenbericht verwies Serbien darauf, dass das Fehlen der Standardisierung das Hindernis zur Einführung dieser Minderheitensprache in das öffentliche Leben sei.

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Im Evaluationsbericht zu Teil II der Charta empfahl der Sachverständigenausschuss Serbien, seine Bemühungen zur Förderung von Achtung und Toleranz gegenüber Minderheitensprachen und ihren Kulturen fortzuführen, dies sowohl in verschiedenen Stufen des Bildungssystems als auch in den Medien – das Ministerkomitee schloss sich dem mit einer entsprechenden Empfehlung an. Der zweite Staatenbericht informierte über verschiedene Maßnahmen in diesem Bereich. Des Weiteren monierte der Sachverständigenausschuss, dass die albanische und die tschechische Minderheit nicht durch einen nationalen Minderheitenrat vertreten seien. Der zweite Staatenbericht berichtete über die Wahlen zu den nationalen Räten im Jahr 2010.

3 Bewertung Die Anwendung der Charta in Bezug auf zehn Minderheitensprachen in Teil III und noch weitere fünf in Teil II ist eine umfangreiche Aufgabe. Der Sachverständigenausschuss bescheinigte Serbien insgesamt eine reiche Sprachenvielfalt mit den unter Teil II und Teil III geschützten Sprachen. Der Schutz mehrerer Minderheitensprachen (z.B. Ungarisch, Ruthenisch, Albanisch, Slowakisch, Bulgarisch) stellt den Europarat zufrieden, bei einigen anderen sieht er mehrere Verpflichtungen als noch nicht erfüllt an (z.B. Ukrainisch, Bosnisch). Insgesamt wird Serbien bescheinigt, dass der Schutz der Minderheitensprachen einen hohen Grad an gesetzlicher Anerkennung hat; besonders hervorgehoben wird das System der nationalen Minderheitenräte. Allerdings sah der Sachverständigenausschuss in seiner zusammenfassenden Bewertung des ersten Berichtszyklus Schwächen in der Umsetzung: Zum einen werden finanzielle Aspekte genannt, zum anderen sei der unter den Behörden und in der serbischen Gesellschaft variierende Grad an Wahrnehmung des Werts von Multilingualismus dafür verantwortlich, so dass der Sachverständigenausschuss insgesamt eine stärkere Bewusstmachung in Bezug auf Minderheitensprachen unter der Mehrheitsbevölkerung als von hoher Bedeutung ansieht; das Ministerkomitee formulierte dies als allgemeine Empfehlung. In seinem zweiten Staatenbericht führte Serbien auf diese allgemeine Empfehlung hin verschiedene Maßnahmen in diesem Bereich an. Insgesamt lobt der Sachverständigenausschuss die Zusammenarbeit. Auch der große Umfang des pünktlich eingereichten ersten Staatenberichts wird hervorgehoben. Gelobt werden auch die Vertreter der Sprecher von Minderheitensprachen: Die Kooperation mit ihnen während des Vor-Ort-Besuchs sei vorbildlich gewesen. Von dem regen Austausch im Evaluationsprozess zeugen auch die zahlreichen Stellungnahmen in Anlagen und Beifügungen.

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Serbia, 11.7.2007. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Serbia, 23.9.2010. [= 2. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 12.9.2008. [= 1. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 6.5.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Republik Serbien: „Закон о заштити права и слобода националних мањина [Gesetz zum Schutz der Rechte und Freiheiten nationaler Minderheiten]“. In: Службени лист СРЈ, 11/2002, 27.2.2002. (20.3.2012). Republik Serbien: „Устав Републике Србије [Verfassung der Republik Serbien]“. In: Службени гласник Републике Српске, 98/2006, 8.11.2006. (20.3.2012).

4.2 Literatur Boeckh, Katrin: Serbien, Montenegro: Geschichte und Gegenwart, Regensburg: Pustet 2009. Lukan, Walter / Trgovčević, Ljubinka / Vukčević, Dragan (Hrsg.): Serbien und Montenegro. Raum und Bevölkerung – Geschichte – Sprache und Literatur – Kultur – Politik – Gesellschaft – Wirtschaft – Recht, Wien/Zürich: LIT Verlag 2006. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006.

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4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii), a (iv), b (iv), c (iv), d (iv), e (ii), f (iii), g

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii), b (ii), c (ii), d; 2a–c; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iv, v), c; 2b–d, g; 3c; 4c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), f (ii); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–c, f; 2

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Tilman Berger (Tübingen)

Slowakei (Slovenská republika) 1 Vorgeschichte Die Slowakische Republik blickt auf eine eher kurze staatliche Tradition zurück. Zwar ist auf dem Gebiet der heutigen Slowakei bereits seit dem 9. Jahrhundert slavische Bevölkerung nachweisbar, doch gehörten die betreffenden Gebiete seit der Entstehung des Königreichs Ungarn im Jahr 1000 zu diesem und teilten dessen wechselhafte Geschichte. Trotz gelegentlicher Versuche, die Selbstbestimmung zu erreichen (etwa im Zusammenhang mit der Revolution von 1848), beginnt die Geschichte der Slowakei als Staat erst mit der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918. Auch wenn der Gründung der Tschechoslowakei ein am 31.5.1918 in Pittsburgh zwischen tschechischen und slowakischen Exilgruppen abgeschlossenes Abkommen vorausging, war die erste Tschechoslowakische Republik ein Zentralstaat, in dem die Slowaken keine Selbstverwaltung genossen. Die von dem katholischen Priester Anton Hlinka geführte Slowakische Volkspartei (Hlinkova slovenská ľudová strana) radikalisierte sich seit Beginn der 1930er Jahre und erreichte nach dem Münchner Abkommen vom 30.9.1938 im Zusammenspiel mit dem Deutschen Reich die Einrichtung der föderal organisierten zweiten Tschechoslowakischen Republik (Česko-Slovenská republika). Am 14.3.1939 erklärte sich der slowakische Landesteil unter der Bezeichnung Slowakischer Staat (Slovenský štát) für unabhängig und gehörte dann bis 1945 zu den Verbündeten des Deutschen Reiches. In der 1945 erneuerten Tschechoslowakei wurde den Slowaken begrenzte Selbstverwaltung eingeräumt, bis die Tschechoslowakische Sozialistische Republik schließlich zum 1.1.1969 in einen Föderalstaat umgewandelt wurde, der aus zwei Teilgebilden, der Tschechischen und der Slowakischen Republik (Česká bzw. Slovenská republika), bestand. Dieser Staat, der ab dem 23.4.1990 Tschechische und Slowakische Föderative Republik (Česká a Slovenská federativní republika) hieß, wurde zum 31.12.1992 in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst. Die heutige Slowakische Republik (Slovenská republika) existiert seit dem 1.1.1993 unter diesem Namen. Die Slowakische Republik trat am 30.6.1993 erneut dem Europarat bei und beantragte am 27.6.1995 die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU). Nach den erfolgreich verlaufenen Beitrittsverhandlungen und einem Referendum vom 16./17.5.2003 wurde die Slowakische Republik schließlich zum 1.5.2004 in die EU aufgenommen.

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Die in Ungarn lebenden Slaven bedienten sich zunächst der tschechischen Schriftsprache. Ab dem 16. Jahrhundert bildeten sich dann auch unterschiedliche regionale Schrifttraditionen heraus, die Elemente der örtlichen Dialekte aufnahmen. 1787 schlug der katholische Priester Anton Bernolák eine slowakische Schriftsprache auf westslowakischer Grundlage vor, die aber nur unter den Katholiken Anklang fand, während sich die Protestanten weiterhin des Tschechischen bedienten. Ein weiteres Projekt, das eine Gruppe um den Protestanten Ľudovít Štúr in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts vorlegte, war erfolgreicher und fand auch die Unterstützung des katholischen Priesters Martin Hattala. Diese Schriftsprache, die sich auf den mittelslowakischen Dialekt von Martin stützte, hat dann schnell die anderen Schriftvarianten verdrängt und ist die Grundlage der heutigen Standardsprache. Bis 1918 blieb ihr aber jeglicher politischer Status versagt. In der Tschechoslowakei übernahmen Tschechen und Slowaken die Rolle des Staatsvolks, alle übrigen Bevölkerungsgruppen galten als Minderheiten, auch die Deutschen, die nach der Volkszählung von 1921 mit 3,12 Mio. an zweiter Stelle standen (noch vor den Slowaken), und die 0,74 Mio. Ungarn. Nach der Verfassung und dem Sprachengesetz von 1920 gab es ein tschechoslowakisches Staatsvolk, dessen Sprache in einer tschechischen und einer slowakischen Variante existiere. Dieser Zustand ermöglichte zunächst einen Ausbau der slowakischen Standardsprache, wurde aber ab Beginn der 1930er Jahre von slowakischen Intellektuellen immer kritischer gesehen, was zeitweise auch zur Konkurrenz zweier Orthographien führte, der offiziellen, die sich stärker am Tschechischen orientierte, und derjenigen, die der Kulturverein Matica Slovenská propagierte. Letztere Variante setzte sich dann im Slowakischen Staat durch und wurde bis auf kleinere Veränderungen auch nach 1945 weiterverwendet. In der Nachkriegs-Tschechoslowakei wurde die Fiktion einer tschechoslowakischen Sprache nicht wiederbelebt, das Slowakische konnte sich im slowakischen Landesteil relativ frei entwickeln. Anders als im tschechischen Landesteil kam es auch nicht zu einer systematischen Vertreibung der Deutschen (von denen aber viele mit den abrückenden deutschen Truppen das Land verlassen hatten) und der Ungarn. Deren Anteil wurde jedoch durch einen Bevölkerungsaustausch mit der Republik Ungarn deutlich reduziert. Zur Situation der Minderheiten bis zur Teilung der Tschechoslowakei im Jahr 1992 sei auf den Artikel zur Tschechischen Republik verwiesen. Die am 1.9.1992 verabschiedete Verfassung der Slowakischen Republik unterscheidet sich von den tschechoslowakischen Verfassungen, aber auch der Verfassung der Tschechischen Republik dadurch, dass sie in Artikel 6,1 explizit eine Staatssprache festschreibt. Nach Artikel 6,2 soll die Verwendung anderer Sprachen als des Slowakischen im amtlichen Verkehr durch ein spezielles Gesetz geregelt werden. Ein solches Gesetz wurde aber zunächst nicht vorgelegt,

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lediglich die Verwendung von nichtslowakischen Familiennamen und die Aufstellung zweisprachiger Ortsschilder in Gemeinden, in denen mindestens 20 % der Bewohner einer Minderheit angehören, wurden 1994 gesetzlich geregelt. Dagegen verabschiedeten die nationalistischen Regierungsparteien am 15.11.1995 das Gesetz über die Staatssprache der Slowakischen Republik, das nicht nur den Vorrang des Slowakischen gegenüber den Minderheitensprachen festlegte, sondern auch die obligatorische Verwendung der Staatssprache in den meisten Bereichen des öffentlichen Lebens regelte. Dies geht so weit, dass beispielsweise in Artikel 8 vorgeschrieben wird, dass im Gesundheitswesen Personal und Patienten auf Slowakisch kommunizieren müssen. Ausnahmen sind nur da gestattet, wo die Slowakei durch internationale Bestimmungen gebunden ist (z.B. im Falle des Schulunterrichts). Das Gesetz führte zu Protesten im In- und Ausland, die aber zunächst ohne Wirkung blieben. Das Slowakische Verfassungsgericht setzte am 9.9.1997 lediglich die Regelung außer Kraft, dass Eingaben an staatliche Organe stets in slowakischer Sprache abzufassen sind. Erst nach dem Wahlsieg der Opposition wurde am 11.7.1999 das Gesetz über die Verwendung von Minderheitensprachen verabschiedet, das u.a. zulässt, dass Bewohner von Gemeinden, in denen eine Minderheit mehr als 20 % der Bevölkerung ausmacht, im amtlichen Verkehr die Minderheitensprache verwenden dürfen. 2009 wurde dieser Prozentsatz auf 15 % gesenkt.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Die Slowakei unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 20.2.2001 und ratifizierte sie am 5.9.2001, sie trat am 1.1.2002 in Kraft. Die Ratifikation ist also sehr schnell vollzogen worden, was man wohl aus den innenpolitischen Verhältnissen in der Slowakei zu Anfang des dritten Jahrtausends erklären kann. In dieser Zeit bemühte sich nämlich die Regierung unter Mikuláš Dzurinda um eine schnelle Integration des Landes in europäische Strukturen, nachdem die Vorgängerregierung unter Vladimír Mečiar das Land außenpolitisch eher isoliert hatte.

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Die Slowakei hat bisher schon zwei Berichtszyklen durchlaufen. Der erste Staatenbericht wurde am 5.12.2003 eingereicht und am 23.5.2005 vom Sachverständigenausschuss kommentiert. Die ersten Empfehlungen des Ministerkomitees wurden am 21.7.2007 verabschiedet. Der zweite Staatenbericht wurde am 30.7.2008 eingereicht, am 24.4.2009 kommentiert, und die Empfehlungen wurden am 18.11.2009 verabschiedet. Der dritte Staatenbericht sollte im Juli 2011 eingereicht werden, lag aber zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels noch nicht vor.

2.1.2 Institutionen In der Slowakischen Republik gibt es keine Institutionen, die speziell für Angelegenheiten der Minderheiten zuständig sind. Die Staatenberichte wurden daher vom Amt der Regierung der Slowakischen Republik und von den Ministerien für Äußeres, Inneres, Justiz, Schulwesen, Kultur, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft erarbeitet.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Die Slowakei hat im Ratifikationsverfahren insgesamt neun Minderheitensprachen benannt, auf die die Bestimmungen der Charta angewandt werden sollen, nämlich das Bulgarische, das Deutsche, das Kroatische, das Polnische, das Romanes, das Russinische, das Tschechische, das Ukrainische und das Ungarische. Dabei unterscheidet sie nicht zwischen Regionalsprachen und anderen Minderheitensprachen, sondern verweist auf die Bestimmungen des slowakischen Rechts, nach denen Bewohner von Gemeinden, in denen die Minderheit mindestens 20 % der Bevölkerung ausmacht, das Recht auf Verwendung der Minderheitensprache haben. Die Regelung, nach der die Wahrnehmung von Minderheitsrechten davon abhängig gemacht wird, dass die Minderheit in einer Gemeinde mindestens 20 % ausmacht, ist bereits im ersten Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses kritisiert worden. Die slowakischen Behörden hätten auf eine entsprechende Anfrage in der Form reagiert, dass die Regelung nur die Verwendung der Minderheitensprachen im Umgang mit den Behörden betreffe und dass andere Bereiche nicht tangiert seien. Dies sei jedoch deshalb problematisch, weil Artikel 10 der Charta von Verwaltungsbezirken spricht, „in denen die Zahl der Einwohner, die Regional- oder Minderheitensprachen gebrauchen, die nachstehenden Maßnahmen rechtfertigt“ – die Schwelle von 20 % sei in diesem Kontext deutlich

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zu hoch. Auch wird darauf verwiesen, dass vier Minderheiten, nämlich die tschechische, die polnische, die kroatische und die bulgarische, in keiner Gemeinde die Schwelle überspringen und daher nirgends von dem Recht auf Kommunikation in ihrer Sprache Gebrauch machen können. Die Forderung des Sachverständigenausschusses, diese Schwelle zu überdenken, wurde auch vom Ministerkomitee übernommen. Im zweiten Staatenbericht wurde die bestehende Regelung verteidigt, u.a. mit dem Hinweis, die Schwelle habe v.a. den Zweck, die Interessen der Minderheiten in ihren Siedlungsgebieten zu schützen. Im Übrigen gebe es keine Regelungen, die die Verwendung von Minderheitensprachen im Verkehr mit Behörden ausschließen, wesentlich sei nur, dass der Staat und seine Behörden sich im Verkehr mit den Bürgern einheitlich der Staatssprache bedienten. Im zweiten Evaluationsbericht wurde die Forderung nach Senkung der Schwelle wiederholt, und zwar mit Verweis darauf, dass der deutschen und der kroatischen Minderheit Rechte nach Artikel 10 auch in Gemeinden gewährt worden seien, in denen ihr Anteil unter 20  % lag – insofern sollten der polnischen und bulgarischen Minderheit unter ähnlichen Bedingungen dieselben Rechte gewährt werden. Die Forderung nach Änderung dieser Bestimmungen fand sich dann auch unter den zweiten Empfehlungen des Ministerkomitees. Wie bereits erwähnt, wurde der Prozentsatz schließlich im Jahr 2009 auf 15 % gesenkt. Der erste Staatenbericht enthält Daten zur Nationalität, die auf den auf Selbstangaben der Sprecher basierenden Volkszählungen von 1991 und 2001 beruhen: Bevölkerung nach Ethnizität Ethnie   Σ Slowakisch Ungarisch Roma Tschechisch Russinisch Ukrainisch Mährisch Deutsch Polnisch Bulgarisch Kroatisch Jüdisch Andere Unbekannt

Zahl

(%)

1991

2002

1991

2002

5.274.335 4.519.328 567.296 75.802 52.884 17.197 13.281 6.442 5.414 2.659 1.400 – 134 3.476 8.782

5.379.455 4.614.854 520.528 89.920 44.620 24.201 10.814 2.348 5.405 2.602 1.179 890 218 5.350 56.526

85,7 10,8 1,4 1,0 0.3 0.3 0,1 0,1 0,05 0,02 – 0,002 0,06 0,16

85,8 9,7 1,7 0,8 0,4 0,2 0,1 0,1 0,04 0,02 0,02 0,004 0,1 1,1

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2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Ungarisch Die ungarische Minderheit in der Slowakei ist im Süden des Landes ansässig, entlang der Grenze zu Ungarn. Sie bildet dort in vielen kleineren Städten und Dörfern die Mehrheit. In zwei Landkreisen stellte sie bei der Volkszählung von 2001 mehr als die Hälfte der Bevölkerung (83,3 % im Landkreis Dunajská Sreda und 69,1 % im Landkreis Komárno). Die größte Stadt mit ungarischer Mehrheit ist heute Komárno (60,1 %), in anderen Städten, in denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung Ungarn waren (z. B. Košice und Nitra), macht die ungarische Minderheit heute weniger als 10 % der Bevölkerung aus. Bildung: Die ungarische Minderheit verfügte bereits in der Tschechoslowakei über ein ausgebautes Schulsystem auf allen Ebenen. Der erste Staatenbericht erwähnte 287 ungarische Kindergärten (davon 277 staatliche und zehn kirchliche) und 103 zweisprachig ungarisch-slowakische Kindergärten (101 staatliche und zwei kirchliche), die im Schuljahr 2001/02 von 12.087 Kindern besucht wurden. Es gab ferner 271 ungarische und 29 zweisprachige Primarschulen, 16 ungarische und acht zweisprachige Gymnasien sowie sieben ungarische und 16 zweisprachige Berufsschulen. Das Studium des Ungarischen ist an der Universität Bratislava sowie an der pädagogischen Fakultät der Universität Nitra möglich. Der erste Evaluationsbericht würdigte, dass die Forderung nach Bildung in der Minderheitensprache erfüllt sei, monierte aber die eher geringe Anzahl der weiterführenden Schulen. In den Empfehlungen des Ministerkomitees wurde gefordert, den Unterricht in den Minderheitensprachen auszubauen, ohne dass das Ungarische hier explizit erwähnt wurde. Im zweiten Staatenbericht wurden geringfügig höhere Zahlen von Schulen mit Ungarisch als Unterrichtssprache genannt, wobei allerdings die kirchlichen Schulen nicht mehr erwähnt wurden. Die Anzahl der ungarischen Gymnasien war im Schuljahr 2005/06 von 16 auf 19 gestiegen, die der zweisprachigen ungarisch-slowakischen von acht auf sieben zurückgegangen. Deutlicher ausgebaut wurde der Unterricht an Universitäten, wo zu den bisherigen zwei weitere hinzugekommen sind, die Universität Banská Bystrica und die 2003 gegründete ungarischsprachige Universität in Komárno. Der zweite Evaluationsbericht erkannte diese Fortschritte an, fragte aber hinsichtlich der im Staatenbericht nicht erwähnten Erwachsenenbildung nach. In den Empfehlungen des Ministerkomitees wurde das Ungarische nicht explizit erwähnt. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht verwies darauf, dass das slowakische Recht sowohl in Straf- wie auch in Zivilverfahren den Gebrauch der Mut-

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tersprache gestattet und auch das Recht auf einen Dolmetscher gewährleistet ist, wenn ein Prozessbeteiligter das Slowakische nicht in ausreichendem Maß beherrscht, und belegte dies mit zahlreichen Zitaten aus den betreffenden Gesetzen. Der erste Evaluationsbericht mahnte dagegen, dass das Recht auf einen Dolmetscher unabhängig von den Sprachkenntnissen gewährleistet sein müsse. Im Falle des Ungarischen sei das in den Siedlungsgebieten der Minderheit unproblematisch, außerhalb von ihnen aber nicht immer. In den Empfehlungen des Ministerkomitees wurde der Punkt nicht explizit angesprochen. Im zweiten Staatenbericht wurde darauf hingewiesen, dass in vielen Prozessen Dolmetscher gestellt wurden, obwohl die Beteiligten des Slowakischen mächtig waren. Der zweite Evaluationsbericht sah die Forderungen als teilweise erfüllt an, regte aber eine weitere Anpassung der Bestimmungen an die Charta an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Der erste Staatenbericht legte dar, dass die Kommunikation mit Behörden in den Gebieten, in denen eine Minderheit mehr als 20  % ausmacht, in der Minderheitensprache stattfinden kann und verwies für das Ungarische darauf, dass auch in Gebieten, in denen die Schwelle nicht erreicht wird, Sorge getragen werde, dass Mitarbeiter zur Verfügung stehen, die des Ungarischen mächtig sind. Der erste Evaluationsbericht führte aus, dass der Staatenbericht nicht genügend Angaben über die Realisierung dieser Anforderung mache, und forderte genauere Angaben und eine Verbesserung der Regeln. Der Bericht forderte auch eine konsequentere Umsetzung der Bestimmungen zur Verwendung von Ortsnamen in der Minderheitensprache. In den Empfehlungen des Ministerkomitees wurde auch hier wieder das Ungarische nicht explizit erwähnt. Auch der zweite Staatenbericht beschränkte sich im Wesentlichen auf die Anführung von gesetzlichen Bestimmungen, ging aber beispielsweise auch auf das Recht von Frauen ein, ihren ungarischen Nachnamen ohne das Suffix -ová zu tragen (das im Slowakischen zur Bildung weiblicher Nachnamen verwendet wird). Der zweite Evaluationsbericht konstatierte hier kurz, dass die Angaben immer noch nicht ausreichten, und forderte weitere Klärung. Medien: Der erste Staatenbericht stellte dar, dass das staatliche slowakische Radio auch ein ungarisches Programm mit 56 Stunden und zehn Minuten Sendung pro Woche unterhält. Darüber hinaus gebe es auch ungarische Fernsehsendungen, allerdings in viel geringerem Umfang (62,21 Stunden jährlich). Der erste Evaluationsbericht erkannte dies an, verwies aber darauf, dass nach dem slowakischen Sprachengesetz alle Fernsehsendungen mit Untertiteln in der Staatssprache versehen sein müssen – was bedeutet, dass Live-Fernsehsendungen faktisch nur auf Slowakisch gesendet werden können. Der zweite Staatenbericht ging auf dieses Problem nicht ein, sondern stellte noch einmal sehr ausführlich alle Sendungen dar, die seit 2007 auch noch auf einem weiteren Radiokanal

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(Patria) gesendet werden. Es verwundert nicht, dass der zweite Evaluationsbericht noch einmal auf die Problematik der Live-Fernsehsendungen verwies und eine Lösung einforderte. Er forderte auch bessere Bedingungen für Privatsender, die in Minderheitensprachen senden wollen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht verwies auf die finanzielle Unterstützung einer Reihe von Theatern, Museen und Verlagen durch das Kulturministerium, die im Jahr 2002 die Höhe von 39.142.300 Slowakischen Kronen erreicht habe. Der Evaluationsbericht begrüßte diese Unterstützung, verwies aber darauf, dass sie freiwillig erfolge und nicht gesetzlich geregelt sei. Der zweite Staatenbericht ist deutlich ausführlicher und stellte alle entsprechenden Programme dar, dementsprechend wurde im zweiten Evaluationsbericht konstatiert, dass die Anforderungen der Charta im Wesentlichen erfüllt seien. Es gibt hier nur eine Nachfrage zur Finanzierung einer speziellen Institution. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht fasste sich zu diesem Punkt sehr kurz und verwies darauf, dass es keine Bestimmungen gebe, die die Verwendung von Minderheitensprachen einschränkten. Demgegenüber verwies der erste Evaluationsbericht auf einige Bestimmungen des Sprachengesetzes, die beispielsweise vorschreiben, dass rechtliche Dokumente des Arbeitslebens auf Slowakisch abgefasst sein müssen. Er forderte eine Änderung der betreffenden Bestimmungen. Im zweiten Staatenbericht wurde hierzu erklärt, dass die Ausstellung von Verträgen in anderen Sprachen nicht verboten sei – dies bestätigte der zweite Evaluationsbericht auf der Grundlage von Nachforschungen vor Ort. Insgesamt wurde nun festgestellt, dass die meisten Anforderungen der Charta erfüllt seien, er verlangte aber weiter Regelungen, die es Firmen verbieten, durch interne Klauseln Minderheitensprachen zu benachteiligen. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht verwies auf den Freundschaftsvertrag, den die Slowakei und Ungarn 1996 geschlossen haben, und auf seine Umsetzung. Der erste Evaluationsbericht sah die Anforderungen als erfüllt an, erbat aber Informationen zu Berichten, dass das slowakische Kulturministerium sich teilweise nicht an der Förderung gemeinsamer Aktivitäten beteiligt habe. Diese Forderung wurde im zweiten Evaluationsbericht wiederholt, da der zweite Staatenbericht hierzu nichts weiter ausgeführt hat.

2.3.2 Romanes Anders als die ungarische Minderheit hat die Roma-Minderheit kein spezielles Siedlungsgebiet, sondern lebt über die ganze Slowakei verteilt. Auch wenn bei der Volkszählung von 2001 nur 89.920 Personen Romanes als Muttersprache angaben, ist offenkundig, dass wesentlich mehr Bürger der Slowakei zu dieser

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Minderheit zählen. Der erste Evaluationsbericht führte hierzu aus, dass die Anzahl der Roma auf 320.000 geschätzt würde. Diese Zahl nannte dann auch der zweite Staatenbericht, der ferner erwähnte, dass der höchste Anteil von Roma in den Bezirken Košice (3,9 %) und Prešov (4,0 %) lebe. In einem Anhang zum ersten Staatenbericht wurden ferner 55 Gemeinden aufgezählt, in denen die Roma mehr als 20 % ausmachen. Bildung: Der erste Staatenbericht erwähnte, dass das Romanes in Kindergärten, Primarschulen und einem Gymnasium verwendet werde, sagte aber ausdrücklich dazu, dass es als zusätzliche Unterrichtssprache diene. Noch deutlicher wird dies, wenn von Vorbereitungsstufen für Primar- und Sonderschulen mit einem hohen Anteil von Roma-Schülern die Rede ist. In der Statistik der Minderheitenschulen kommt das Romanes dann auch gar nicht weiter vor. Der erste Evaluationsbericht kritisierte diesen Zustand vehement und wies auch das bei einem Besuch der Slowakei vorgetragene Argument, die Roma hätten selbst gar kein Interesse an Schulunterricht in Romanes, entschieden zurück. Der Bericht forderte, dass Unterricht in Romanes angeboten wird und die Eltern über diese Möglichkeit informiert werden, er drängte ferner auf die Erstellung von Curricula für alle Schulformen, auf die Einrichtung des Fachs Romanes an Universitäten und auf Einstellung der Praxis, Roma-Kinder in Sonderschulen abzuschieben. Eine Konsequenz dieser Kritik war, dass das Romanes eine der beiden Minderheitensprachen ist, die in den Empfehlungen des Ministerkomitees explizit genannt wird. Der zweite Staatenbericht reagierte auf einen Teil dieser Kritikpunkte. Die Anzahl der Sekundarschulen, an denen Romanes unterrichtet wird, sei auf vier gestiegen, außerdem wird über einige Initiativen zur Erstellung von Lehrplänen und zur Berücksichtigung der Roma-Kultur im Unterricht verwiesen. Der Einschulung von Roma-Kindern in Sonderschulen sollen psychologische Projekte entgegenwirken, es wurde aber auch behauptet, dass die Anzahl von geistig behinderten Kindern durch den abgeschlossenen Charakter der Siedlungen erklärt werden könne. Zur Universitätsausbildung wurde darauf verwiesen, dass an der Universität Nitra das Fach „Romologie“ eingeführt werden soll. Der zweite Evaluationsbericht erkannte die Bemühungen auf dem Gebiet der Primar- und Sekundarschulen an, kritisierte aber weiterhin die Mängel in den Kindergärten und die fehlende Universitätsausbildung. Die Problematik der Sonderschulen wurde weiterhin als aktuell bezeichnet und hat auch in die zweiten Empfehlungen des Ministerkomitees Eingang gefunden. Justizbehörden: Die Bestimmungen, von denen bereits bei der Besprechung des Ungarischen die Rede war, gelten auch für das Romanes. Der erste Staatenbericht erwähnte sie, ohne überhaupt auf einzelne Sprachen einzugehen. Demgegenüber verwies der erste Evaluationsbericht darauf, dass nur sehr selten Dolmetscher für Romanes angeboten werden, und drängte auf eine deutliche

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Verbesserung dieser Praxis. Der zweite Staatenbericht berichtete, dass eine Reihe von Dolmetschern eingestellt wurde, was der zweite Evaluationsbericht auch als Fortschritt würdigte. Er forderte die slowakische Regierung aber auf, klarer zu formulieren, unter welchen Bedingungen ein Dolmetscher in Anspruch genommen werden kann. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Zu diesem Thema äußerte sich der erste Staatenbericht nur ganz allgemein und erwähnte u.a., dass in keiner der Gemeinden, in denen die Roma mehr als 20 % ausmachen, Verwaltungsbehörden ansässig seien. Der erste Evaluationsbericht kritisierte diesen Zustand und forderte die Behörden auf, dafür Sorge zu tragen, dass Angehörige der Roma-Minderheit Eingaben in ihrer Muttersprache machen können. Diese Forderung wurde im zweiten Evaluationsbericht wiederholt, weil der zweite Staatenbericht auf das Thema überhaupt nicht eingegangen ist. Medien: Der erste Staatenbericht teilte mit, dass das slowakische Radio jährlich 26 Stunden auf Romanes sende und dass es Fernsehsendungen im Umfang von 12,2 Stunden pro Jahr gebe. Der erste Evaluationsbericht bezeichnete dies als unzureichend und drängte auf mehr Sendezeit. Er erwähnte auch die Förderung einer Zeitung in Romanes. Nach dem zweiten Staatenbericht hat die Anzahl der Sendungen deutlich zugenommen, auf 66 Stunden Radiosendungen und 48,6 Stunden Fernsehen. Dies wurde vom zweiten Evaluationsbericht anerkannt, der aber trotzdem weitere Maßnahmen forderte. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht erwähnte die Förderung von mehreren Museen, die eine Abteilung für die Roma-Kultur haben, und des Theaters Romathan in Košice. Der erste Evaluationsbericht sah die Anforderungen der Charta als erfüllt an, erbat aber genauere Informationen zu manchen Punkten. Der zweite Staatenbericht ist etwas ausführlicher, was dann im Evaluationsbericht auch anerkannt wurde, dennoch wurden weitere Nachfragen gestellt, beispielsweise zum Angebot von Veranstaltungen zur Roma-Kultur in Regionen, in denen wenige Roma leben. Wirtschaftliches und soziales Leben: Auch hierzu machte der erste Staatenbericht sehr wenige Angaben, was im Evaluationsbericht entsprechend kritisch gesehen wurde. Der zweite Staatenbericht ist etwas ausführlicher und ging auch auf die Diskussionen über die Zwangssterilisierung von Roma-Frauen ein. Ähnlich wie beim Ungarischen wurde darauf verwiesen, dass Verträge in der Minderheitensprache möglich sind. Außerdem wurde ein Forschungsauftrag des Gesundheitsministeriums zur Diskriminierung von Roma erwähnt. Der zweite Evaluationsbericht würdigte diese Bemühungen, verlangte aber weitere Verbesserungen, v.a. im Gesundheitswesen. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht erwähnte bei der Besprechung dieses Themas die Roma überhaupt nicht. Obwohl der erste Evalua-

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tionsbericht Angaben zum Austausch mit Roma-Minderheiten in Nachbarländern einforderte, ging auch der zweite Staatenbericht nicht auf die Thematik ein.

2.3.3 Ukrainisch und Russinisch Die ukrainische und die russinische Minderheit siedeln im Osten der Slowakei, insbesondere in der Region von Prešov. Während es bei der Volkszählung von 1991 noch 13.281 Ukrainer und 17.197 Russinen gab, hatte sich das Verhältnis zehn Jahre später deutlich zugunsten der Russinen verschoben, die nun 24.201 Sprecher aufwiesen gegenüber 10.814 Sprechern des Ukrainischen. Diese Zahlen sind nur so zu erklären, dass eine größere Anzahl von Sprechern vom Ukrainischen zum Russinischen übergegangen ist. Historisch handelt es sich hier um eine Bevölkerungsgruppe, die traditionell als ‚Russinen‘ (bzw. ‚Ruthenen‘) bezeichnet, dann aber nach 1945 den Ukrainern zugerechnet wurde. Bis 1989 verwendeten sie ausschließlich die auch in der UdSSR gebrauchte ukrainische Standardsprache, danach gab es Bemühungen um die Einführung eines eigenen russinischen Standards, der 1995 in der Slowakei als Minderheitensprache akzeptiert wurde. Bildung: Nach Angaben des ersten Staatenberichts gab es 22 ukrainische Kindergärten (sowie drei zweisprachige slowakisch-ukrainische Kindergärten), sieben ukrainische Primarschulen (und eine zweisprachige) und ein ukrainisches Gymnasium. Ferner wurde an vier Primarschulen Russinisch unterrichtet. Der erste Evaluationsbericht forderte daraufhin einen Ausbau des Unterrichts in russinischer Sprache auf allen Ebenen. Nach dem zweiten Staatenbericht hat sich an der Situation aber fast gar nichts geändert, weshalb die Forderungen im zweiten Evaluationsbericht wiederholt wurden. Das Bildungsangebot in ukrainischer Sprache wird hingegen als hinreichend angesehen. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht machte zu diesem Thema keine spezifischen Angaben, was im ersten Evaluationsbericht kritisiert wurde. Nachdem der zweite Staatenbericht auf die Benennung von Dolmetschern eingegangen ist, sah der zweite Evaluationsbericht die Anforderungen der Charta als zumindest teilweise erfüllt an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Auch in diesem Bereich gilt ähnliches wie im Falle des Romanes. Die Staatenberichte äußerten sich nur in sehr allgemeiner Form, während beide Evaluationsberichte einforderten, dass der ukrainischen und der russinischen Minderheit das Recht eingeräumt werden muss, Eingaben in ihrer Sprache zu machen. Nach dem zweiten Staatenbericht gibt es 68 Gemeinden, in denen das Russinische, und 18 Gemeinden, in denen das Ukrainische von mehr als 20 % der Bevölkerung gesprochen wird.

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Medien: Nach Angaben des ersten Staatenberichts wird 13,5 Stunden pro Woche auf Ukrainisch und Russinisch gesendet. Dabei seien 80 % der Sendungen auf Russinisch. Bei den Fernsehsendungen sieht das Verhältnis etwas anders aus, hier werden 5,5 Stunden auf Ukrainisch und 3,7 Stunden auf Russinisch gesendet. Der erste Evaluationsbericht forderte eine Ausdehnung der Sendungen, die dann auch erfolgt ist. Nach dem zweiten Staatenbericht wurde im Jahr 2006 vom slowakischen Rundfunk 376 Stunden auf Russinisch und 394 Stunden auf Ukrainisch gesendet, auch die Anzahl der Radiosendungen wurde erhöht. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Ähnlich wie bei den anderen Minderheiten zählten die Staatenberichte eine Reihe von Institutionen auf, die das slowakische Kulturministerium fördert. Während der erste Evaluationsbericht die Angaben nicht für ausreichend erachtete, wurde im zweiten Evaluationsbericht bestätigt, dass die Anforderungen der Charta im Wesentlichen erfüllt seien. Wirtschaftliches und soziales Leben: Analog zu den anderen Minderheitensprachen konstatierte hier der erste Evaluationsbericht Mängel, die nach den im zweiten Staatenbericht enthaltenen Erklärungen der slowakischen Seite im zweiten Evaluationsbericht als weitgehend behoben anerkannt werden. Grenzüberschreitender Austausch: Weder der erste noch der zweite Staatenbericht lieferten die Angaben, die nach dem Evaluationsbericht verlangt wurden.

2.3.4 Tschechisch Die tschechische Minderheit ist zwar mit 44.620 Sprechern relativ zahlreich, aber in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent. Nach dem ersten Staatenbericht siedeln die Tschechen v.a. im Westen des Landes, sie erreichen aber in keiner Gemeinde die Grenze von 20 %. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass Tschechisch und Slowakisch gegenseitig verständlich sind, dies führt in der Praxis dazu, dass Minderheitenrechte nur wenig in Anspruch genommen werden. Bildung: Der erste Staatenbericht gab zwar an, wie viele tschechische Schüler Bildungseinrichtungen besuchen, es gibt aber keine Kindergärten oder Schulen, in denen auf Tschechisch unterrichtet wird. Der erste Evaluationsbericht konstatierte, dass offenbar kein Bedarf geäußert wurde, forderte die Behörden aber auf, die Situation zu beobachten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Ähnlich äußerte sich auch der zweite Evaluationsbericht. Justizbehörden: Sowohl die Staatenberichte wie auch die Evaluationsberichte verwiesen darauf, dass wegen der Ähnlichkeit von Tschechisch und Slowakisch keine besonderen Regelungen getroffen werden müssen. Ähnliches gilt für Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe, die im zweiten Evaluationsbericht nicht einmal mehr erwähnt werden.

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Medien: Das slowakische Radio sendet alle vier Wochen 30 Minuten auf Tschechisch, außerdem gibt es einmal im Monat eine Fernsehsendung. Da von den Vertretern der Minderheit keine Kritik geäußert wurde, halten die Evaluationsberichte diesen Zustand für ausreichend. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der slowakische Staat betreibt in Bratislava ein Museum der Tschechen in der Slowakei und finanziert gelegentlich Publikationen der Minderheit. Während der erste Evaluationsbericht noch Nachfragen hatte, sieht der zweite die Anforderungen als im Wesentlichen erfüllt. Wirtschaftliches und soziales Leben: Hier ist eine ähnliche Situation wie bei den größeren Minderheiten zu beobachten. Die im ersten Evaluationsbericht erwähnten Mängel wurden im Wesentlichen behoben. Grenzüberschreitender Austausch: Angesichts der engen Zusammenarbeit zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei auf dem Gebiet der Kultur und der Erziehung sah bereits der erste Evaluationsbericht die Anforderungen als erfüllt an.

2.3.5 Deutsch Die deutsche Minderheit, zu der sich bei der Volkszählung von 2001 nur 5.405 Sprecher bekannten, konzentriert sich auf die Gebiete in der Mittel- und Ostslowakei, in denen es zu früheren Zeiten deutsche Sprachinseln gab. Diese Sprachinseln hatten sich schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Assimilation und Auswanderung verkleinert. Sie blieben aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil bestehen, da es nicht zu einer systematischen Vertreibung der Karpatendeutschen kam. Heute sind Zentren der deutschen Minderheit Blaufuß/Krahule (mit 24,3 % der einzige Ort, in dem die Minderheit über 20 % liegt) und Kuneschau/Kunešov in der Mittelslowakei, Hopgarten/Chmeľnica in der Oberzips und einige Orte in der Unterzips. Hier sprechen deutlich mehr Personen den örtlichen Dialekt, als sich bei Volkszählungen als Angehörige der deutschen Minderheit zu erkennen geben. Bildung: Der erste Staatenbericht gab an, dass ein zweisprachiger slowakisch-deutscher Kindergarten, eine deutsche und fünf slowakische Schulen mit Klassen, in denen auf Deutsch unterrichtet wird, existierten. Ferner sei an zwei Universitäten (Bratislava, Nitra) das Studium der Germanistik möglich. Der erste Evaluationsbericht kritisierte diese Lage und verwies darauf, dass an verschiedenen Orten, wo Bedarf für Unterricht in deutscher Sprache besteht, keiner oder zu wenig angeboten werde. Da der zweite Staatenbericht von keinen wesentlichen Veränderungen berichtete, blieb die Kritik auch im zweiten Evaluationsbericht aufrechterhalten.

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Für die Justizbehörden gilt ähnliches wie bereits über die anderen Minderheitensprachen berichtet. Die Angehörigen der Minderheit haben zwar das Recht, vor Gericht ihre eigene Sprache zu verwenden. Es stehen aber nur wenige Dolmetscher zur Verfügung, und nach Angaben der Behörden wird das Recht nicht eingefordert. Ähnliches gilt für die Verwaltungsbehörden und öffentlichen Dienstleistungsbetriebe, noch verschärft durch die 20-Prozent-Regel. Beide Evaluationsberichte kritisierten die Situation, wenn auch im zweiten gewisse Verbesserungen anerkannt wurden. Medien: Nach dem ersten Staatenbericht gibt es deutsche Radiosendungen im Umfang von 30 Minuten wöchentlich, aber nur viermal im Jahr Fernsehsendungen (im Umfang von 1,9 Stunden). Nachdem der erste Evaluationsbericht dies kritisiert hatte, meldete der zweite Staatenbericht mehr Fernsehsendungen (6,5 Stunden im Jahr), aber weniger Radiosendungen. Der zweite Evaluationsbericht forderte deshalb noch einmal sehr nachdrücklich eine bessere Vertretung des Deutschen in den Medien. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Ähnlich wie bei den anderen Minderheiten werden Museen und Publikationen gefördert. Beide Evaluationsberichte äußerten sich hierzu positiv, hatten aber auch Nachfragen. Wirtschaftliches und soziales Leben: Hier wird ähnliches wie bei den anderen Minderheiten ausgeführt. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht machte Angaben zur Zusammenarbeit mit Österreich, aber nicht zu anderen deutschsprachigen Ländern. Dies wurde im ersten Evaluationsbericht moniert, der zweite Evaluationsbericht verzeichnete aber keine Verbesserung auf diesem Gebiet.

2.3.6 Kroatisch, Polnisch und Bulgarisch Alle drei Minderheiten weisen nur eine geringe Anzahl von Sprechern auf (Polnisch 2.602, Bulgarisch 1.179 und Kroatisch 890). Die polnische Minderheit lebt im Norden des Landes an der Grenze zu Polen, die bulgarische und kroatische Minderheit v.a. in der Region von Bratislava. In keiner Gemeinde wird die kritische Grenze von 20 % erreicht. Die Anerkennung aller drei Gruppen als Minderheiten mit allen entsprechenden Rechten erscheint daher gewagt. Der erste Evaluationsbericht sprach von einem „very ambitious step“ und wies darauf hin, dass die Bemühungen in diesem Bereich an den Regelungen der Charta gemessen werden müssen. Insbesondere wurde vor Beginn der Kommentare auf die Auswirkungen der 20-Prozent-Schwelle hingewiesen, und die slowakischen Behörden wurden aufgefordert mitzuteilen, in welchen Regionen überhaupt Angehörige der drei Minderheiten ihre Rechte in Anspruch nehmen können. Der zweite Evaluations-

Slowakei 

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bericht wiederholte diese Forderung im allgemeinen Teil bei der Diskussion der 20-Prozent-Schwelle. Bildung: Der erste Staatenbericht erwähnte eine bulgarische Schule in Bratislava, die von der Republik Bulgarien finanziert wird. Zum Polnischen wurde ausgeführt, dass in Kindergärten und Primarschulen Polnisch angeboten würde, wenn die Eltern dies verlangen würden, zum Kroatischen wurden keine Angaben gemacht. Der erste Evaluationsbericht forderte dazu auf, ein Lehrangebot in polnischer Sprache sicherzustellen, und erbat mehr Angaben zum Kroatischen. Da der zweite Staatenbericht nur im Bereich des Hochschulstudiums weitere Angaben machte (Polnisch und Kroatisch können an der Universität Bratislava studiert werden, Kroatisch auch in Banská Bystrica), wurden die Forderungen nach Unterricht in allen drei Sprachen im zweiten Evaluationsbericht wiederholt. Im Bereich der Justizbehörden und der Verwaltungsbehörden und öffentlichen Dienstleistungsbetriebe gilt Ähnliches wie bei allen anderen Sprachen. Die Minderheiten haben zwar das Recht, sich ihrer Sprache zu bedienen, dieses Recht ist aber angesichts fehlender Dolmetscher und der 20-Prozent-Schwelle nur in der Theorie vorhanden. Wie bei den anderen Sprachen verzeichnete der zweite Staatenbericht eine gewisse Verbesserung. Medien: Nach dem ersten Staatenbericht gibt es alle vier Wochen eine 30-minütige Radiosendung auf Polnisch, ferner fünfmal im Jahr eine Fernsehsendung. Auf Bulgarisch sendet keine Radiostation, es gibt aber zweimal im Jahr eine Fernsehsendung. Für das Kroatische werden überhaupt keine Angaben gemacht. Der erste Evaluationsbericht stufte dieses Angebot als ungenügend ein und forderte eine Verbesserung. Nach dem zweiten Staatenbericht wurde das Angebot an Fernsehsendungen etwas erhöht und auf das Kroatische ausgedehnt, im Bereich des Rundfunks kam es aber zu keinerlei Verbesserungen. Der zweite Evaluationsbericht erhielt seine Forderungen daher aufrecht. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht erwähnte eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung der polnischen Kultur und auch ein Dokumentationszentrum über die kroatische Minderheit im Rahmen des Historischen Museums in Bratislava. Zum Bulgarischen wurde nur die Unterstützung einer Zeitung der Minderheit erwähnt. Der erste Evaluationsbericht sah die Anforderungen der Charta im Falle des Polnischen als erfüllt an, forderte aber mehr Informationen zum Bulgarischen und Kroatischen. Der zweite Staatenbericht machte genauere Angaben zur Förderung bulgarischer Publikationen und erwähnte das 2006 gegründete staatliche Museum für die Kultur der kroatischen Minderheit in Bratislava. Der zweite Evaluationsbericht sah die Anforderungen der Charta in diesem Bereich als erfüllt an, stellte aber zu weiteren Bereichen (etwa der wissenschaftlichen Erforschung der Minderheiten) Nachfragen.

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 Tilman Berger

Wirtschaftliches und soziales Leben: Hier wird ähnliches wie bereits bei den anderen Minderheiten ausgeführt. Grenzüberschreitender Austausch: In beiden Staatenberichten wurde über die Zusammenarbeit mit der Republik Polen berichtet. Ähnliche Verträge mit Bulgarien und Kroatien gibt es offenbar nicht, was folglich in beiden Evaluationsberichten moniert wurde.

3 Bewertung Für die Konstituierung der slowakischen Nation, die – vom kurzen Zwischenspiel von 1938–45 abgesehen – erst 1993 einen eigenen Staat erhalten hat, war die slowakische Sprache von Anfang an von zentraler Bedeutung, erst in Abgrenzung zum Ungarischen und ab 1918 in Abgrenzung vom Tschechischen. Daher wird der Staatssprache in der slowakischen Verfassung von 1992 ein besonderer Status eingeräumt, und das Gesetz über die Staatssprache der Slowakischen Republik von 1996 schränkte die Anwendung der Minderheitensprachen im öffentlichen Leben stark ein. In der Folge wurde die slowakische Sprachenpolitik auch im Ausland aufmerksam beobachtet, und der Charta kam auf dem Weg der Slowakei ins vereinigte Europa eine besondere Bedeutung zu. Diese Situation mag bis zu einem gewissen Grade erklären, warum die Slowakei bei der Unterzeichnung und Ratifizierung der Charta einen maximalistischen Ansatz verfolgt und insgesamt neun Minderheitensprachen anerkannt hat, von denen freilich nur zwei mehr als 1 % der Bevölkerung ausmachen. Wie oben in Abschnitt 2.3.6. ausgeführt, ist der slowakische Staat aber nicht in der Lage, den kleinsten Minderheiten die ihnen formal zugestandenen Rechte zu garantieren. Als sehr problematisch hat sich der Ansatz der Slowakei erwiesen, die Ausübung mancher (und faktisch der meisten) Rechte daran zu knüpfen, dass die Minderheit in einer Gemeinde mindestens 20 % der Bevölkerung ausmacht. Wie von den Evaluationsberichten mehrfach moniert, bedeutet dies eine Einschränkung der individuellen Minderheitenrechte, die nicht im Einklang mit dem Geist der Charta steht. Weiter kompliziert wird die Lage dadurch, dass nicht völlig klar ist, welche Rechte an diese Schwelle gebunden sind. Von den neun Minderheitensprachen genießt das Ungarische bei weitem die größte Förderung. Die große Zahl von Sprechern des Ungarischen, die teilweise ja auch in Gebieten siedeln, in denen sie die Mehrheit stellen, bringt freilich auch mit sich, dass viele Probleme, die mit der unklaren Formulierung von Gesetzen verbunden sind, hier besonders manifest werden.

Slowakei 

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Die zweitgrößte Minderheitensprache, das Romanes, wird bislang nur unzureichend gefördert. Dabei bestehen die größten Mängel im Bereich der Bildung, ein Schulwesen in der Minderheitensprache muss faktisch erst aufgebaut werden. Bemerkenswert ist hier, dass die slowakischen Behörden (anders als die tschechischen) nicht damit argumentieren, dass es noch keine Standardvarietät des Romanes gebe. Im Falle des Ukrainischen und des Russinischen wurden zwar schon zur Zeit der Tschechoslowakei Minderheitenrechte gewährt, deren Realisierung stößt aber angesichts der Aufspaltung der örtlichen Bevölkerung auf zwei Standardsprachen auf große Schwierigkeiten. Offenbar bekennen sich immer mehr Personen zur russinischen Minderheit, während gleichzeitig das Schulwesen noch in Händen der ukrainischen Minderheit ist. Das Tschechische weist zwar nach der Volkszählung eine relativ hohe Zahl von Sprechern auf, die aber offenbar nicht versuchen, ihre Minderheitenrechte einzufordern. Insofern ist es nur schwer greifbar, und man kann wohl davon ausgehen, dass die meisten Sprecher des Tschechischen dabei sind, sich an die slowakische Mehrheitsbevölkerung zu assimilieren. Die Position des Deutschen ist relativ schwach, auch wenn es auf einige traditionelle Siedlungsgebiete beschränkt ist, in denen es noch stark vertreten ist. Vermutlich liegt dies an der mangelnden Förderung des Deutschen vor 1989, die durch eine bewusste Politik ausgeglichen werden müsste. Die drei kleinsten Minderheiten, die polnische, die bulgarische und die kroatische, genießen zwar minimale Rechte, spielen aber im öffentlichen Leben keine erkennbare Rolle. Insofern ist nicht einmal klar, wie stark sie der Assimilation an die Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt sind.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Slovakia, 5.12.2003. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Slovakia, 30.7.2008. [= 2. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 21.2.2007. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 18.11.2009. [= 2. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 21.2.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes]

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 Tilman Berger

Second Committee of Ministers’ Recommendation, 18.1.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Deutsches Reich/Vereinigtes Königreich/Republik Frankreich/Königreich Italien: „Abkommen zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien, getroffen in München, am 29. September 1938 [Münchner Abkommen].“ In: Akten zur deutschen auswärtigen Politik, Serie D, Bd. 2, 665, 812–813, 30.9.1938. (21.3.2012). Slowakische Republik: „Ústava Slovenskej republiky [Verfassung der Slowakischen Republik]“. In: Zbierka zákonov Slovenskej republiky, 460/1992, 1.9.1992. (22.3.2012). Slowakische Republik: „Zákon o štátnom jazyku Slovenskej republiky [Gesetz über die Staatssprache der Slowakischen Republik]“. In: Zbierka zákonov Slovenskej republiky, 270/1995, 1.1.1996. (22.3.2012). Slowakische Republik/Národná rada: „Zákon o používaní jazykov národnostných menšín [Gesetz über die Verwendung von Minderheitensprachen]“. In: Zbierka zákonov Slovenskej republiky, 184/1999, 10.7.1999. Tschechoslowakische Republik: Pittsburská dohoda [Pittsburgher Abkommen], 31.5.1918. Tschechoslowakische Republik: „Ústavní listina Československé republiky [Verfassungsurkunde der tschechoslowakischen Republik]“. In: Sbírka zákonů, 121/1920, 29.2.1920. (21.3.2012). Tschechoslowakische Republik: „Zákon ze dne 29. února 1920 podle § 129 ústavní listiny, jímž se stanoví zásady jazykového práva v republice Československé (Jazykový zákon) [Gesetz vom 29. Februar 1920 auf Grund des § 129 der Verfassungsurkunde, betreffend die Festsetzung der Grundsätze des Sprachenrechtes in der Tschechoslowakischen Republik (Sprachengesetz)]. In: Sbírka zákonů, 122/1920, 19.2.1920. (21.3.2012).

4.2 Literatur Berger, Tilman: „Nation und Sprache: das Tschechische und das Slovakische“. In: Andreas Gardt (Hrsg.): Nation und Sprache: die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin/New York: de Gruyter 2000: 825–864. Burger, Hannelore: Sprachenrecht und Sprachgerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1995. Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002.

Slowakei 

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4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (i–iii), b (i–iii), c (i–iii), d (i–iii), e (i, ii), f (i, ii), g–i

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii, iii), b (ii, iii), c (ii, iii), d, 2a, 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (ii–iv); 2a–g; 3b, c; 4a, c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), f (i, ii); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–g; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a–c; 2c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Felix Tacke / Franz Lebsanft (Bonn)

Slowenien (Republika Slovenija) 1 Vorgeschichte Seit dem 29.11.1945 war Slowenien eine verwaltungsmäßig und territorial selbstständige Republik in der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien. Nach deren Zerfall erlangte Slowenien am 25.6.1991 die Souveränität. Seitdem bemühte sich Slowenien um eine rasche Integration in die europäischen Institutionen. So wurde Slowenien bereits am 14.5.1993 Mitglied des Europarats. Konsequent verfolgtes außenpolitisches Ziel war fortan die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU). Nach den von 1998 bis 2002 dauernden Verhandlungen und dem in Slowenien über den Beitritt abgehaltenen Referendum vom 23.5.2003 wurde der Staat schließlich am 1.5.2004 in die EU aufgenommen. Der Status der Sprachen wird durch Artikel 11 der slowenischen Verfassung vom 23.12.1991 geregelt. Demnach wird das Slowenische als Amtssprache Sloweniens, das Italienische und Ungarische als zusätzliche Amtssprachen in den von der italienischen bzw. ungarischen Volksgruppe bewohnten Gemeinden statuiert. Die den beiden Volksgruppen in Artikel 5 zugebilligten Sonderrechte werden ausführlich in Artikel 64 geregelt, der frühere Vereinbarungen integriert: So greift der Artikel hinsichtlich des Status des Italienischen Bestimmungen auf, die im Londoner Memorandum vom 5.10.1954 im Zusammenhang mit der Teilung des freien Territoriums von Triest getroffen und in Artikel 8 des Vertrags von Osimo vom 10.11.1975 aufrecht erhalten wurden. Demzufolge wurde der italienischen Volksgruppe in der Jugoslawien zugesprochenen Zone B des Territoriums das Recht auf italienischsprachige Presse, italienischen Schulunterricht und italienischsprachige Lehrer und der Gebrauch des Italienischen bei Behörden und vor Gericht sowie bei topographischen Bezeichnungen garantiert. Analoge Garantien wurden für das Slowenische in der Italien zugesprochenen Zone A zugebilligt. Hinsichtlich der ungarischen Volksgruppe wird ein zwischen Slowenien und Ungarn am 6.11.1992 getroffenes Abkommen über den Schutz der slowenischen bzw. ungarischen Minderheit in den beiden Ländern aufgegriffen. Ferner stellt Artikel 65 in Aussicht, Status und Rechte der Gemeinschaft der Roma durch Gesetz zu regeln. In Bezug auf das Deutsche schloss Slowenien am 30.4.2001 ein Abkommen mit Österreich über Zusammenarbeit in Kultur, Bildung und Wissenschaft, wobei in Artikel 15 die Förderung der Anliegen der deutschsprachigen Volksgruppe, z.B. im Bereich des Sprachunterrichts, angestrebt wird.

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 Felix Tacke / Franz Lebsanft

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Slowenien unterzeichnete die Charta am 3.7.1997 und ratifizierte sie am 4.10.2000, so dass sie am 1.1.2001 in Kraft trat. Der gesamte Ratifizierungsprozess setzte also vor Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU ein und wurde vor deren Ende zum Abschluss gebracht. Slowenien reichte den ersten Staatenbericht am 14.3.2002 ein. Ein knappes Jahr später – im Februar 2003 – besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das Land. Auf der Grundlage des Evaluationsberichts vom 21.11.2003 traf das Ministerkomitee am 9.6.2004 seine ersten Empfehlungen. Der erste Berichtszyklus verlief also parallel zum Entscheidungsprozess über den Beitritt Sloweniens zur EU. Der zweite Staatenbericht wurde am 13.6.2005 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss bereits im Dezember 2005 Slowenien ein zweites Mal besuchte und den entsprechenden Bericht am 15.9.2006 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 20.6.2007. Slowenien reichte seinen dritten Staatenbericht am 2.6.2009 ein, worauf der Besuch des Sachverständigenausschusses im Oktober 2009 folgte. Der Bericht vom 26.11.2009 bildete die Grundlage für die am 26.5.2010 verabschiedeten Empfehlungen des Ministerkomitees. Nach drei abgeschlossenen Berichtszyklen wird der vierte Staatenbericht Sloweniens für Juni 2012 erwartet.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von den entsprechenden Regierungsstellen unter Berücksichtigung der staatlichen Institutionen der nationalen Minderheiten erstellt: – Urad za narodnosti („Amt für nationale Minderheiten“) – Comunità autogestita costiera della nazionalità italiana („Selbstregierte italienische Nationalgemeinschaft“) – Pomurska madžarska narodna samoupravna skupnost („Selbstregierte ungarische Nationalgemeinschaft“) – Zveza Romov Slovenije („Vereinigung der Roma Sloweniens“).

Slowenien 

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Der zweite und dritte Staatenbericht nennen zusätzlich: – Inštitut za narodnostna vprašanja („Institut für ethnische Studien“) – EDIT Rijeka (Verlagshaus) – Magyar Nemzetiségi Művelődési Intézet („Kulturinstitut für die ungarische Gemeinschaft“) – Magyar Nemzetiségi Tájékoztatási Intézet („Institut der Informationsdienste der ungarischen Nationalgemeinschaft“).

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument benennt Slowenien Italienisch und Ungarisch als territoriale Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta. Analog dazu sollen die Bestimmungen des Artikels 7 auf die Sprache der Gemeinschaft der Roma angewandt werden. Autochthone nicht-territoriale Sprachen gibt es nach Angaben Sloweniens auf seinem Staatsgebiet nicht. Im ersten Staatenbericht verwies Slowenien nicht nur auf den Vertrag von Osimo, sondern auch auf die neueren bilateralen Abkommen mit Ungarn und Österreich. Das Ministerkomitee machte sich die Auffassung des Sachverständigenausschusses zu eigen, dass Slowenien nach Teil II (Art. 7) der Charta neben Italienisch, Ungarisch und Romanes weitere traditionell in Slowenien gebrauchte Sprachen berücksichtigen müsse. Konkret empfahl das Ministerkomitee, im Dialog mit den Sprechern die Gebiete zu ermitteln, wo traditionell das Deutsche und das Kroatische gebraucht werden, und es empfahl zudem, auch die Frage einer traditionellen Präsenz des Serbischen und des Bosnischen zu beantworten. Slowenien gab in einer Stellungnahme zunächst an, den Status von Staatsangehörigen des früheren Jugoslawien, von Juden und Deutschen in bilateralen Abkommen klären zu wollen, urteilte im zweiten Staatenbericht jedoch, der Schutz weiterer Sprachen sei nur mittels einer durch ein Plebiszit zu sanktionierenden Verfassungsänderung denkbar. Infolge der Insistenz des Europarats benannte Slowenien vier Dörfer, in denen das Serbische seit dem 16. Jahrhundert von einer heute noch 300 Sprecher umfassenden Gemeinschaft gesprochen werde. Zum Deutschen, Kroatischen und Bosnischen wurden jedoch keine substantiellen Angaben gemacht, weshalb der Sachverständigenausschuss diesem Thema seinen dritten Vor-Ort-Besuch widmete und die Orte lokalisierte, wo traditionell das Deutsche und Kroatische gebraucht werden. Nach der Interpretation des Europarats unterstehen diese drei Sprachen daher dem Schutz durch Teil II der Charta, weshalb das Ministerkomitee dazu aufforderte, Teil II der Charta auf diese Sprachen anzuwenden und den Status des Bosnischen zu klären. Da in den Staatenberichten Sloweniens bislang keine Informationen zur Anwendung der

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 Felix Tacke / Franz Lebsanft

Charta in Bezug auf das Deutsche, Kroatische, Serbische und Bosnische gegeben wurden, werden diese im folgenden Abschnitt nicht berücksichtigt. Der zweite Bericht des Sachverständigenausschusses präsentiert nach dem auf Selbstangaben der Sprecher beruhenden slowenischen Zensus die Sprachendaten des Landes in Auswahl: Bevölkerung nach Muttersprache Muttersprache   Σ Slowenisch Serbo-Kroatisch Kroatisch Serbisch Ungarisch Italienisch Kroatisch-Serbisch Romanes Deutsch Bosnisch

Zahl

(%)

1991

2002

1991

2002

1.913.355 1.690.388 80.325 50.699 18.123 8.720 3.882 3.208 2.752 1.093 –

1.964.036 1.723.434 36.265 54.079 31.329 7.713 3.762 126 3.834 1.628 31.499

88,3 4,2 2,6 0,9 0,5 0,2 0,2 0,1 0,1 –

87,7 1,8 2,8 1,6 0,4 0,2 0,0 0,2 0,1 1,6

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Italienisch Im ersten Staatenbericht gab Slowenien genaue Auskunft über die ethnisch gemischte Zone, in der das Italienische kooffiziell ist. Es handelt sich um die drei am Golf von Triest in der ehemaligen Zone B des freien Territoriums bzw. im sogenannten ‚slowenischen Küstenland‘ (Primorska) gelegenen Gemeinden: – Koper/Capodistria mit den Siedlungen Ankaran/Ancarano, Barizoni/Barisoni, Bertoki/Bertocchi, Bošamarin/Bossamarino, Cerej/Cerei, Hrvatini/Crevatini, Kampel/Campel, Kolomban/Colombano, Koper/Capodistria, Prade/ Prade, Premančan/Premanzano, ein Teil der Siedlung Spodnje Škofije/ Val-marin, Šalara/Salaraand, Škocjan/San Canziano, – Izola/Isola mit den Siedlungen Izola/Isola, Dobravapri Izoli, Jagodje, Livada und Poljepri Izoli, – Piran/Pirano mit den Siedlungen Piran/Pirano, Portorož/Portorose, Lucija/ Lucia, Strunjan/Strugnano, Seča/Sezza, Sečovlje/Sicciole, Parecag/Parezzago und Dragonja.

Slowenien 

 323

Der zweite Staatenbericht führt aus, dass nach dem Zensus von 2002 sich 2.258 Personen zur italienischen Volksgruppe bekannten und 3.762 Personen Italienisch als ihre Muttersprache angaben, geringfügig weniger als 1991 (2.959 bzw. 3.882 Personen). Die Differenz beruhe v.a. auf unterschiedlichen Erhebungsmethoden. Nach Berechnungen aus dem Jahr 2004 habe unter Einschluss der außerhalb der gemischten Zone lebenden Personen die Zahl der ethnischen Italiener sogar zugenommen (3.388 Personen). Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht verfügt die italienische Volksgruppe von der vorschulischen Erziehung bis zur Sekundarstufe II über eigene Einrichtungen, in denen auf Italienisch unterrichtet wird; Slowenisch sei dabei Pflichtfach. Insgesamt besuchten laut Staatenberichten 2000/01 (und 2003/04) 264 Kinder eine vorschulische Einrichtung, 435 Kinder die Primarschule (2003/04: 389), 278 die Sekundarschule (2003/04: 291). Ferner bestünden Kooperationen mit italienischen Bildungseinrichtungen. In den ethnisch gemischten Gebieten sei das Italienische zudem Pflichtfach für alle Angehörigen der slowenischen Mehrheit. Das Italienische sei auch Unterrichtsfach an der Universität Ljubljana, deren Pädagogische Fakultät einen Sitz in Koper/Capodistria unterhalte. Dazu komme – wie der zweite Staatenbericht ausführte – die 2003 gegründete Università del Litorale/Univerze na Primorskem in Koper/Capodistria. Der Sachverständigenausschuss sieht seit dem zweiten Berichtszyklus die Verpflichtungen als erfüllt an. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht führte aus, dass in den ethnisch gemischten Gebieten Gerichtsverfahren auf Antrag einer Partei auf Italienisch durchgeführt werden können. Der zweite Staatenbericht präzisierte, dass in Koper/Capodistria bis November 2002 20 Verfahren auf Italienisch durchgeführt wurden, auch wenn dort kein Richter Angehöriger der entsprechenden Volksgruppe sei. Eine entsprechende Sprachausbildung der Richter sei erforderlich. Der Sachverständigenausschuss betrachtet die Verpflichtung seitdem als erfüllt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Laut erstem Staatenbericht bedient sich die öffentliche Verwaltung mündlich und schriftlich in den ethnisch gemischten Gebieten in allen Belangen der beiden offiziellen Sprachen. Im Widerspruch dazu berichtete der Sachverständigenausschuss von einzelnen Konflikten zwischen italophonen Bürgern und slowenischsprachigen Beamten. Auch seien zahlreiche amtliche Schriftstücke nur auf Slowenisch vorhanden. Diese Kritik machte sich das Ministerkomitee zu eigen und forderte in seinen ersten Empfehlungen Slowenien auf, den Gebrauch des Italienischen in der öffentlichen Verwaltung auszuweiten. Der zweite Staatenbericht ging auf die Monita des ersten Berichtszyklus kaum ein. Daher insistierte der Sachverständigenausschuss auf der bereits vorgebrachten Kritik und empfahl nachdrücklich, in Verwaltungsbehörden und öffentlichen Dienstleistungsbetrieben den recht-

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lich zugesicherten Bilingualismus durchzusetzen, und auch das Ministerkomitee empfahl, die Lücke zwischen rechtlichen Garantien und praktischer Umsetzung zu schließen. Slowenien beschränkte sich auch im dritten Staatenbericht darauf, den gesetzlichen Rahmen zu erläutern. Der Sachverständigenausschuss stellte bei seinem erneuten Vor-Ort-Besuch fest, dass die angesprochenen Probleme weiter Bestand hätten, und wiederholte daher seine Empfehlungen, denen sich erneut das Ministerkomitee anschloss. Medien: Der erste Staatenbericht stellte dar, dass bereits im früheren Jugoslawien italienischsprachige Massenmedien zur Verfügung standen, seit 1949 ein Radiosender, seit 1952 Zeitungen und Zeitschriften des Verlags EDIT in Rijeka sowie seit 1971 ein Fernsehsender. Auch im unabhängigen Slowenien biete die staatliche RTV Slovenija durch ihre lokalen Sender in Koper/Capodistria (Radio-Capodistria bzw. Tele-Capodistria) ein italienischsprachiges Programm an. Die nunmehr aus dem kroatischen Ausland bezogenen Druckmedien werden von Slowenien subventioniert. Die Tageszeitung La voce del popolo erziele eine Auflage von 3.750 Exemplaren. Der Sachverständigenausschuss, der die massenmediale Versorgung als gut bezeichnete, sah diese jedoch durch wirtschaftliche Schwierigkeiten bedroht. In dieser Hinsicht liefert der zweite Berichtszyklus keine neuen Erkenntnisse. Da die wirtschaftlich prekäre Lage der italienischsprachigen Medien auch im dritten Berichtszyklus anhielt, wiederholte der Sachverständigenausschuss in seinem dritten Bericht die Aufforderung, strukturelle Maßnahmen zu ergreifen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht ging auf die Finanzierung der entsprechenden Infrastruktur ein, mit Hinweisen zur Biblioteca centrale Strecko Vilhar in Koper/Capodistria und zu verschiedenen kulturellen Vereinen. Allerdings seien wichtige Institutionen wie das Centro di ricerche storiche in Rovinj/Rovigno und das italienische Theater in Rijeka/Fiume in Kroatien beheimatet. Der zweite Bericht stellte die Bedeutung des Palazzo Manzioli in Izola/Isola für kulturelle Aktivitäten heraus. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich in seinen Berichten mit den Maßnahmen in der interethnischen Zone zufrieden, monierte jedoch, dass keine Informationen zu kulturellen Aktivitäten außerhalb der Küstenregion gegeben worden seien. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht räumte ein, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen den rechtlichen Garantien und der täglichen Praxis gebe. Der Sachverständigenausschuss berichtete von Fällen – z.B. im Krankenhausalltag –, in denen die Möglichkeit zur Verwendung des Italienischen nicht gewährleistet sei. Der zweite Staatenbericht berief sich auf eine Untersuchung des staatlichen Amts für nationale Minderheiten (Urad za narodnosti), die diesen Befund bestätigte. Der Sachverständigenausschuss berichtete erneut von zahlreichen Fällen, wonach Dienstleistungen im wirtschaftlichen und

Slowenien 

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sozialen Leben nur auf Slowenisch erbracht würden. Daraus leitete das Ministerkomitee die Empfehlung zur nachhaltigen Verbesserung dieser Situation ab. Auch im dritten Berichtszyklus beschränkte sich Slowenien auf die Angabe neuer gesetzgeberischer Maßnahmen. Der Sachverständigenausschuss kritisierte daher erneut die Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und Umsetzung und wiederholte seine Empfehlungen, denen sich erneut das Ministerkomitee anschloss. Grenzüberschreitender Austausch: Während der erste Staatenbericht zu diesem Aspekt keine substantiellen Aussagen machte, hob der Sachverständigenausschuss lobend die gegenseitige Anerkennung von Diplomen in Italien und Slowenien hervor. Beachtenswert seien auch Projekte zur Kooperation zwischen den Fernsehsendern in Koper/Capodistria und Triest. Der zweite Staatenbericht nahm diese Gesichtspunkte auf. Eine Kooperation zwischen RTV Slovenija und RAI Trieste bestehe seit 1999. Der Sachverständigenausschuss sieht die Verpflichtung seither als erfüllt an.

2.3.2 Ungarisch Laut den Staatenberichten wird das Ungarische in den ethnisch gemischten Zonen geschützt, in denen es neben dem Slowenischen den Status einer Amtssprache hat. Die Zonen liegen in der Region Prekmurje, im Osten Sloweniens, entlang der ungarischen Grenze und bestehen aus den fünf Gemeinden: – Hodoš/Hodos mit den Siedlungen Hodoš/Hodos, Krplivnik/Kapornak, – Šalovci mit der Siedlung Domanjševci/Domonkosfa, – Moravske Toplice mit den Siedlungen Cikeckavas/Csekefa, Motvarjevci/ Szentlászló, Pordašinci/Kisfalu, Prosenjakovci/Pártosfalva und Središce/ Szerdahely, – Dobrovnik/Dobronak mit den Siedlungen Dobrovnik/Dobronak und Žitkovci/ Zsitkóc, – Lendava/Lendva mit den Siedlungen Banuta/Bánuta, Centiba/Csente, Dolgavas/Hosszúfalu, Dolgovaškegorice/Hosszúfaluhegy, Dolinapri Lendavi/ Völgyfalu, Dolnji Lakoš/Alsólakos, Gaberje/Gyertyános, Genterovci/Göntérhaza, Gornji Lakoš/Felsölakos, Kamovci/Kámaháza, Kapca/Kapca, Kot/Kót, Lendava/Lendva, Lendavskegorice/Lendvahegy, Mostje/Hidvég, Petišovci/ Petesháza, Pince/Pince, Pincemarof/Pincemajor, Radmožanci/Radamos, Trimlini-Hármasmalom und einem Teil der Siedlung Brezovec. Der zweite Staatenbericht führte aus, dass nach dem Zensus von 2002 6.243 Personen sich der ungarischen Volksgruppe zugehörig bekannten und 7.713 Personen Ungarisch als ihre Muttersprache angaben, deutlich weniger als 1991 (8.000

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bzw. 9.240 Personen). Gründe für diesen Rückgang seien neue Methoden bei der jüngsten Zählung, die vermehrte Verweigerung der Auskunft, die nicht obligatorisch sei, und die Tatsache, dass Personen, die außerhalb der interethnischen Zonen wohnen, nicht mehr mitgezählt würden. Laut dem zweiten Staatenbericht müssten nach Berechnungen aus dem Jahr 2004 etwa 1.031 Personen, die außerhalb der Zonen leben, hinzugezählt werden, womit die Volksgruppe nun insgesamt sogar 8.328 Personen zähle. Bildung: Laut dem ersten Staatenbericht gilt für alle Bewohner der interethnischen Zonen ein zweisprachiges Bildungsmodell. Der Sachverständigenausschuss monierte in seinem ersten Bericht jedoch, dieses Modell entspreche nicht der eingegangenen Verpflichtung und wies ferner auf Probleme bei der Anerkennung von ungarischen Diplomen hin. Slowenien legte im zweiten Staatenbericht detaillierte Daten zum Bildungswesen vor: So sei der Unterricht in Grundschulen entweder zweisprachig oder allein auf Ungarisch. Eine zweisprachige Sekundarschule gebe es in Lendava/Lendva. Insgesamt besuchten laut den Staatenberichten 2000/2001 (und 2003/04) 316 Kinder (2003/04: 249) eine vorschulische Einrichtung, 986 Kinder die Primarschule (2003/04: 997), 287 Schüler die Sekundarschule (2003/04: 280). Zudem bestehe die Möglichkeit, Ungarisch auch an rein slowenischsprachigen Schulen außerhalb der interethnischen Zonen zu erlernen, und Kooperationen bestünden überdies mit ungarischen Bildungseinrichtungen. Der Sachverständigenausschuss hielt an seiner Kritik am Bildungsmodell fest, lobte jedoch Fortschritte bei der Anerkennung von Diplomen. Mit dem dritten Berichtszyklus änderte Slowenien in Absprache mit dem Europarat das Ratifizierungsinstrument, so dass für das Ungarische in der Folge die schwächere Verpflichtung des Artikels 8b (ii) gilt, woraufhin der Sachverständigenausschuss auch diese Verpflichtung in seinem dritten Bericht als erfüllt beurteilte. Justizbehörden: Nach dem ersten Staatenbericht sind Verfahren auf Ungarisch auf Antrag einer Partei möglich. Im zweiten Staatenbericht präzisierte Slowenien, dass von 1991 bis 1998 651 Verfahren auf Ungarisch durchgeführt wurden, von 1999 bis 2002 insgesamt 294. Beim Lokalgericht von Lendava/ Lendvaseien seien bis 1991 zwei der ungarischen Volksgruppe zugehörige Richter tätig gewesen, bis 1999 noch einer. Seitdem gebe es keinen Richter aus dieser Volksgruppe. Laut dem Sachverständigenausschuss wurde Ungarisch seitdem nicht vor Gericht verwendet, was er auf das Fehlen von Richtern mit entsprechender Kompetenz und den Mangel an ungarischsprachigen Anwälten zurückführte. Er empfahl, den Gebrauch des Ungarischen vor Gericht zu erleichtern. Diese Empfehlung übernahm auch das Ministerkomitee. Slowenien informierte im zweiten Staatenbericht über die 2005 eingeführte Möglichkeit, zweisprachige Gerichtsverhandlungen unter Zuhilfenahme professioneller Übersetzer durchzuführen. Laut dem dritten Staatenbericht gebe es überdies seit 2007 am Ortsgericht

Slowenien 

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in Lendava/Lendva zwei Richter mit Ungarischkenntnissen sowie einen Dolmetscher. Der Sachverständigenausschuss sah die Verpflichtungen damit in seinem dritten Bericht als erfüllt an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Nach dem ersten Staatenbericht bedient man sich in allen Belangen in den ethnisch gemischten Gebieten der slowenischen und der ungarischen Sprache. Der Sachverständigenausschuss beklagte allerdings einen erheblichen Mangel an Informationen, der beim Vor-Ort-Besuch nur zum Teil behoben werden konnte. In seinem zweiten Staatenbericht geht Slowenien kaum auf die entsprechenden Nachfragen ein, weshalb ein Urteil über die Anwendung der Maßnahmen zum Teil noch immer nicht möglich gewesen sei, wie der Sachverständigenausschuss in seinem zweiten Bericht feststellte. Im dritten Staatenbericht informierte Slowenien über ein neues Gesetz, nach dem Sprachkenntnisse durch finanzielle Vorteile honoriert würden, außerdem gebe es ausreichend Personal. Der Sachverständigenausschuss sah in seinem dritten Bericht die Verpflichtungen als erfüllt an, wiederholte jedoch seine Aufforderung, konkretere Daten zur Umsetzung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu geben. Medien: Der erste Staatenbericht gab einen Überblick über die Medienlandschaft: So erscheine seit 1958 das Wochenblatt Népújság mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren sowie seit 1960 jährlich der Almanach Naptár. Radio Murska Sobota strahle wöchentlich eine zehnminütige Sendung aus. Das Angebot an Fernsehsendungen qualifizierte Slowenien selbst als bescheiden. Hier setzte auch die Kritik des Sachverständigenausschusses an, die er in seinem zweiten Bericht wiederholte, wobei er die Schaffung eines neuen Rundfunkstudios in Lendava/Lendva begrüßte. Im dritten Staatenbericht gab Slowenien ausführlich Auskunft über slowenischsprachige Fernsehsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender. Der Sachverständigenausschuss kritisierte die Sendungen jedoch abermals als unzureichend, da sie einem eigenen Fernsehsender nicht entsprechen könnten. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht legte dar, dass die ungarische Minderheit über ein Kulturinstitut verfügt, welches die Arbeit von 22 Kulturvereinen koordiniert. Die kulturellen Produktionen würden auch oft in Ungarn vorgeführt. Der Zugang zu Literatur werde durch die Bibliotheken von Murska Sobota und Lendava/Lendva gesichert. Weiter wurden fünf lokale Bibliotheken in Dolina, Dobrovnik, Gaberje, Genterovci und Petišovci genannt. Der Staatenbericht räumte ein, dass der Mangel an finanziellen Mitteln für kulturelle Aktivitäten eine Ausweitung dieser über die Grenzen der jeweiligen Minderheiten hinaus nicht zulassen würde. Der zweite Berichtszyklus zeigt hier Fortschritte auf, da Slowenien die Initiative „Monat der ungarischen Kultur in Slowenien“ ins Leben gerufen habe, um diesen Missstand zu beheben. Der dritte Berichtszyklus

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lieferte keine neuen Erkenntnisse, der Sachverständigenausschuss zeigte sich mit der Umsetzung der Verpflichtungen zufrieden. Wirtschaftliches und soziales Leben: Ähnlich wie im Fall der italienischen Minderheit zeigten sich auch hier zum Teil große Diskrepanzen zwischen den rechtlichen Vorgaben und der täglichen Praxis. Der erste Vor-Ort-Besuch des Sachverständigenausschusses ergab, dass in der Region Prekmurje, die unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, mitunter bewusst auf die Durchsetzung der Vorgaben verzichtet werde, um mögliche Investoren nicht abzuschrecken. Dennoch regte der Sachverständigenausschuss dazu an, den Gebrauch des Ungarischen zu fördern. Das Ministerkomitee schloss sich dieser Empfehlung an. Der zweite und der dritte Berichtszyklus brachten hier keine Erkenntnisse zur praktischen Umsetzung der Verpflichtung, weshalb die Empfehlungen von Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee wiederholt wurden. Grenzüberschreitender Austausch: Laut erstem Staatenbericht besteht eine Kooperation zwischen den Bildungsinstitutionen der Minderheiten und deren Ursprungsländern. Der Sachverständigenausschuss lobte die bilateralen Abkommen mit Ungarn, darunter eines von 1992 über die Kooperation im Bereich der Kultur, der Bildung und der Wissenschaften sowie das 1999 geschlossene Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Diplomen in Slowenien und Ungarn. Mangels weiterer Informationen von Seiten Sloweniens brachte der zweite Berichtszyklus hier keine weiteren Erkenntnisse. Im dritten Staatenbericht gab Slowenien an, die grenzüberschreitenden Kooperationen der ungarischsprachigen Gemeinden mit Ungarn finanziell zu unterstützen, womit sich der Sachverständigenausschuss zufrieden zeigte.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Romanes In seinem ersten Staatenbericht erklärte Slowenien, analog zum Ungarischen und Italienischen, auch das Romanes, die Sprache der slowenischen Roma, schützen zu wollen, allerdings nur im Rahmen des Teils II. Die Mehrzahl der Roma lebt im nord-östlichen Teil Sloweniens, in Prekmurje, Dolenjska und in Maribor sowie in den südlichen, an Kroatien grenzenden Gebieten. Die aus Ex-Jugoslawien eingewanderten Roma bewohnen meist die großen Städte. Slowenien gab im ersten Staatenbericht an, über die Zahl der Roma keine genauen Daten zu haben. Nach dem Zensus von 1991 erklärten sich zwar 2.259 Personen der Volksgruppe zugehörig (2002: 3.246), und 2.752 Personen (2002:

Slowenien 

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3.834) gaben das Romanes als ihre Muttersprache an, doch lebten nach Angaben von Sozialhilfebüros, der Föderation der Roma in Slowenien und weiteren Quellen zwischen 6.500 und 10.000 Roma in Slowenien. Ausführlich wird in den Staatenberichten über die Situation der Roma in Slowenien Auskunft gegeben. Aus historischen Gründen bestünden große Unterschiede in den Bereichen der Lebensweise, Tradition und des Sozialisierungsniveaus zwischen den Roma-Gemeinschaften des Landes. Die Bedingungen im Nord-Osten seien besser als im Süden. Die Mehrzahl der Roma lebe am Rande der Siedlungsgebiete und befinde sich allgemein unterhalb des Lebensstandards Sloweniens. Die wirtschaftliche Situation wird als prekär bezeichnet. Nach den Analysen Peter Winklers (1999), auf welche sich der erste Staatenbericht in weiten Teilen beruft, seien zunächst Fortschritte im sozialen Bereich zu erzielen, bevor man sich kulturellen und identitären Fragen widmen könne. Zentral seien die Sensibilisierung und die aktive Beteiligung der Roma selbst. Entsprechend gab Slowenien an, zunächst Maßnahmen zur Sicherung der Lebensgrundlage, zur Sozialisierung und Integration der Roma in den Vordergrund gestellt zu haben. Dem widersprach der Sachverständigenausschuss: Er vertritt die Auffassung, eine bessere Integration der Roma müsse v.a. über den Schutz der Sprache und damit der Stärkung des Selbstbilds der Roma geschehen, was auch das Ministerkomitee empfahl. Infolge der Ankündigung Sloweniens im zweiten Staatenbericht, auf der Grundlage von Artikel 65 der Verfassung ein spezielles Gesetz zu erarbeiten, trat am 28.4.2007 das Gesetz über die Gemeinschaft der Roma (Zakon o romski skupnosti v Republiki Sloveniji) in Kraft. Laut dem ersten Staatenbericht soll die Charta auf die Bereiche der Bildung und der Kultur angewendet werden. Bildung: Slowenien machte im ersten Staatenbericht zwar präzise Angaben zu den Zahlen von Roma-Kindern, die slowenische Schulen besuchten, gab jedoch keine Auskunft zum Unterricht der Sprache. Der Sachverständigenausschuss stellte fest, dass keinerlei Unterricht des Romanes erteilt werde. Vor Ort habe sich gar herausgestellt, dass Schüler wegen des Gebrauchs der Sprache diskriminiert würden. In manchen Gegenden könne das Romanes schon in Kürze verschwinden, da es weder Lehrpersonal noch Unterrichtsmaterialien gebe. Während es langfristig notwendig sei, die Sprache auf europäischer Ebene, in Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu kodifizieren, müsse im Bildungsbereich kurzfristig gehandelt werden. Das Ministerkomitee schloss sich den Empfehlungen des Sachverständigenausschusses an. Slowenien gab im zweiten Staatenbericht an, man habe mit der Ausarbeitung einer Grammatik und eines Wörterbuchs begonnen. Ein Plan für die Schulbildung der Roma (Strategija vzgoje in izobraževanja Romov v Republiki Sloveniji), der eine Reihe von Integrationsmaßnahmen beinhalte, sei 2004 verabschiedet worden. Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee begrüßten die

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 Felix Tacke / Franz Lebsanft

Fortschritte und empfahlen die Umsetzung der erarbeiteten Bildungsstrategie. Slowenien machte daraufhin im zweiten Staatenbericht ausführliche Angaben: So sei der Unterricht der Sprache in mehreren Vorschulen eingeführt worden und werde als optionales Fach in einigen Grundschulen unterrichtet. Ferner würden Sommersprachkurse organisiert. Slowenien trage überdies zur Finanzierung eines Forschungsprojekts zur Standardisierung des Romanes bei. Der Sachverständigenausschuss begrüßte in seinem dritten Bericht die Fortschritte. Der Empfehlung, ein Ausbildungsprogramm für Lehrer zu schaffen und die Kodifizierung stärker voranzutreiben, schloss sich auch das Ministerkomitee an. Kultur: Laut den Angaben des ersten Staatenberichts gibt es unter dem Dach der vom slowenischen Kultusministerium subventionierten Vereinigung der Roma (Zveza Romov Slovenije) acht Kulturvereine. Die Vereinigung gebe das Magazin Romano Them („Die Welt der Roma“) und unregelmäßig die Zeitung Romano nevijpe („Roma Erzählungen“) und die Sammlung Romano kedijpe heraus. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem ersten Bericht fest, dass von Murska Sobota und Novo mesto regelmäßig Fernseh- und Radiosendungen für die Gemeinschaft der Roma, teilweise auch in deren Sprache, gesendet würden. Im zweiten Berichtszyklus machte Slowenien auf die Bemühungen aufmerksam, über die Roma und deren Situation in den Medien aufzuklären und verwies dabei besonders auf ein Radioprogramm, das seit 1997 wöchentlich eine Stunde lang ausgestrahlt werde und sowohl bei Roma als auch bei Slowenen für positive Resonanz gesorgt habe. Um die Finanzierung zu gewährleisten, gebe es Pläne, die Sendungen der Roma ebenso wie die der italienischen und ungarischen Gemeinschaft in der Einrichtung Radiotelevizija Slovenija zusammenzufassen. Im dritten Staatenbericht informierte Slowenien über das wöchentliche Programm Našepoti – Amaredroma, das seit 2007 zunächst im nationalen Radio, seit 2008 auch im Staatsfernsehen ausgestrahlt werde. Ein neues Lokalradio in Murska Sobota sensibilisiere überdies die Bevölkerung. Der Sachverständigenausschuss begrüßte zwar die Fortschritte, empfahl jedoch angesichts anhaltender Diskriminierungen intensivere Maßnahmen.

3 Bewertung Die Mitgliedschaft im Europarat sowie die Ratifizierung und Implementierung der Charta sind wesentliche Bestandteile der westlich orientierten Politik Sloweniens, die durch die Aufnahme in die EU von Erfolg gekrönt wurde. Wie der Abschluss dreier Berichtszyklen in relativ kurzer Zeit zeigt, verläuft die Kooperation zwischen Slowenien und dem Europarat zügig. Sie ist jedoch

Slowenien 

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nicht konfliktfrei, wie die Differenzen in Bezug auf die nach Teil II der Charta zu berücksichtigenden Regional- oder Minderheitensprachen deutlich machen. Dabei ist zu beachten, dass alle territorialen Minderheiten- oder Regionalsprachen Sloweniens Mehrheitssprachen der Nachbarländer sind. Bei der Zurückhaltung Sloweniens gegenüber dem Deutschen dürfte der Zweite Weltkrieg eine Rolle spielen, bei den Vorbehalten gegenüber dem Bosnischen, Kroatischen und Serbischen wirken die durch den Zerfall Jugoslawiens ausgelösten Kriege bis heute nach. Slowenien macht geltend, dass besonders die Berücksichtigung der slavischen Nachbarsprachen innenpolitisch nicht durchsetzbar sei. Der Schutz des Italienischen und des Ungarischen stellt den Europarat weitgehend zufrieden. Doch machen die Empfehlungen deutlich, dass in verschiedenen Kommunikationsdomänen die Minderheitensprecher ihre Rechte in der Praxis nicht geltend machen können. Beim Italienischen knüpft Slowenien an vertragliche Verpflichtungen an, die bereits Jugoslawien gegenüber Italien eingegangen war und die Slowenien in Bezug auf das Ungarische mit dem nordöstlichen Nachbarstaat noch vor Aufnahme in den Europarat analog gestaltete. In Italien wie Ungarn wird reziprok das Slowenische als Minderheitensprache geschützt. Im Gegensatz zu den beiden territorialen Minderheitensprachen stellt sich die Situation des Romanes aus der Sicht des Europarats als wesentlich schwieriger dar. Trotz gewisser Anstrengungen zur Unterstützung der Roma ist Slowenien nicht gewillt, die Bestimmungen von Teil III (Art. 8–14) der Charta auf die Sprache dieser Minderheit anzuwenden.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique de la Slovénie, 14.3.2002. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique de la Slovénie, 13.6.2005. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique de la Slovénie, 2.6.2009. [= 3. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 21.11.2003. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 15.9.2006. [= 2. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 20.11.2009. [= 3. Evaluationsbericht] Recommandation du Comité des Ministres, 6.9.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 20.6.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

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 Felix Tacke / Franz Lebsanft

Recommandation du Comité des Ministres, 26.5.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Föderative Volksrepublik Jugoslawien/Vereinigte Staaten von Amerika/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Italienische Republik: Londoner Memorandum, 5.10.1954.. Republik Slowenien: „Ustava Republike Slovenije [Verfassung der Republik Slowenien]“. In: Uradni list Republike Slovenije, 33/1991, 23.12.1991: 1373ff. Republik Slowenien: „Zakon o romski skupnosti v Republiki Sloveniji [Gesetz über die Gemeinschaft der Roma]“. In: Uradni list Republike Slovenije, 33/2007, 30.3.2007: 4602ff. Republik Slowenien/Republik Österreich: „Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Slowenien über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft.“ In: Bundesgesetzblatt (BGBl.) III, 90/2002, 30.4.2001. Republik Slowenien/Republik Ungarn: Abkommen zur Gewährleistung der besonderen Rechte der slowenischen nationalen Minderheit in der Republik Ungarn und der ungarischen Volksgruppe in der Republik Slowenien, 6.11.1992. Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien/Italienische Republik: „Vertrag von Osimo.“ In: Supplemento ordinario alla Gazzetta Ufficiale, 77, 23.3.1977, 10.11.1975.

4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Petricusic, Antonija: „Slovenian Legislative System for Minority Protection“. In: Noves SL. Revista de Sociolingüística, Tardor 2004. (19.12.2011). Tollefson, James W.: „Language Policy in Independent Slovenia“. In: International Journal of the Sociology of Language, 124, 1997: 29–50. Winkler, Peter: „Roma Ethnic Group in Slovenia“. In: Miran Komac (Hrsg.): The Protection of Ethnic Communities in the Republic of Slovenia. Vademecum, Ljubljana: Institute for Ethnic Studies 1999: 71–75.

Slowenien 

 333

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

Italienisch: 1a (i), b (i), c (i), d (i), e (iii), f (iii), g–i; 2 Ungarisch: 1a (ii), b (ii), c (ii), d (ii), e (iii), f (iii), g– i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a–d; 2a–c

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1–5

Artikel 11 (Medien)

1a (i), e (i); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, d–f; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1; 2

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Felix Tacke (Bonn)

Spanien (Reino de España) 1 Vorgeschichte Der Tod Francos am 20.11.1975 beendete die seit dem Bürgerkrieg (1936–1939) währende Diktatur in Spanien und leitete die als Transición bezeichnete Übergangsepoche ein, die dem Land ein demokratisches System in Form einer konstitutionellen Monarchie gab und sich durch die am 31.12.1978 in Kraft getretene Verfassung konstituierte. Die Verfassung bereitete den Boden für die Bildung der Autonomen Gemeinschaften, die der Jahrhunderte langen Geschichte des Antagonismus zwischen dem Zentralstaat und den historischen Nationalitäten (Galicien, Baskenland, Katalonien, Valencia, Balearen) Rechnung trug. Auf der Grundlage von Titel VIII, Kapitel 3 der Verfassung bildeten sich die heutigen 17 Autonomen Gemeinschaften und erließen zwischen 1979 und 1983 entsprechende Autonomiestatute. Die erste, auf die Unterstützung regionalistischer Parteien angewiesene Regierung Zapatero (2004–2008) bot den Autonomen Gemeinschaften eine konsensuelle Reform dieses Statuts an. Der seitdem in Gang gekommene Prozess, den die zweite Regierung Zapatero (2008–2011) fortführte, hat zu reformierten Statuten in zahlreichen Regionen geführt, die teilweise auch die sprachenrechtlichen Bestimmungen betreffen (Katalonien, Valencia, Kastilien-León). Parallel zur inneren Demokratisierung trieb Spanien seine Integration in die europäischen Institutionen und Bündnisse voran. So trat das Land am 24.11.1979 dem Europarat bei, wurde 1982 Mitglied der Nato und ist seit 1986 Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, heute Europäische Union). Etwa drei Viertel der über 46 Mio. Einwohner zählenden Bevölkerung Spaniens ist einsprachig, rund ein Viertel spricht neben dem Spanischen jedoch noch eine weitere der ebenfalls von der Verfassung als „spanisch“ bezeichneten Sprachen. Die verfassungsrechtlich hierarchisch angelegte Regelung der Sprachenfrage ist ein wesentliches Element des Ausgleichs zwischen Zentrum und Peripherie. In Artikel 3,1 wird das Kastilische als „offizielle spanische Staatssprache“ statuiert. Ihm wird eine Sonderstellung zugebilligt, da alle Spanier nicht nur „berechtigt sind, es zu verwenden“, sondern auch „verpflichtet“, die Sprache zu „beherrschen“. Absatz 2 regelt den Status der Regionalsprachen, die als die „übrigen spanischen Sprachen“ („las demás lenguas españolas“) bezeichnet werden. Diese können in den jeweiligen – zum damaligen Zeitpunkt erst zu schaffenden – Autonomen Gemeinschaften gemäß ihrer Statuten ebenfalls den Status von Amtssprachen erhalten. Absatz 3 bezeichnet schließlich weitere „unter-

336 

 Felix Tacke

schiedliche sprachliche Gegebenheiten“ („las distintas modalidades lingüísticas“) als ein zu achtendes und zu schützendes Kulturerbe. Mit Absicht werden in der Verfassung die „weiteren spanischen Sprachen“ nicht benannt, um in den politischen Prozess der Schaffung der Autonomen Gemeinschaften nicht weiter einzugreifen. Auf der Ebene der Autonomen Gemeinschaften mit Regionalsprache(n) wird der Status in den jeweiligen Autonomiestatuten geregelt. Das Galicische, das Katalanische und das Baskische werden in ihren Regionen (ausgenommen Navarra) als „eigene Sprachen“ bezeichnet und genießen in der Folge ebenfalls den Status einer Amtssprache. Der Begriff der ‚eigenen Sprache‘ (sp. lengua propia < kat. llengua pròpia) bezeichnet dabei ein juristisches Konzept, das als politischer Kompromiss aus der Diskussion um den Nationenbegriff in Spanien hervorgegangen ist (vgl. Viaut 2004). Die in den einzelnen Autonomen Gemeinschaften geführte Sprachpolitik wird unterhalb des Statuts in Sprachgesetzen, Dekreten und Verordnungen weiter ausgeführt. Diese Sprachpolitik steht dabei nicht selten unter dem Stichwort der ‚Normalisierung‘ (sp. normalización < kat. normalització), ein ursprünglich soziolinguistisches Konzept, das heute jedoch v.a. eine Politik bezeichnet, die eine Gleichstellung der jeweiligen Regionalsprache mit dem Kastilischen in allen gesellschaftlichen Kommunikationsdomänen zum Ziel hat. Die spanische Sprachpolitik beruht somit auf dem Territorialitätsprinzip, nach welchem die Rechte der Sprecher von Regionalsprachen sich ausschließlich auf das Territorium der jeweiligen Autonomen Gemeinschaft beziehen, außerhalb welcher sie keine Gültigkeit haben.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Spanien unterzeichnete die Charta als einer der ersten Staaten am 5.11.1992. Erst über acht Jahre später, am 9.4.2001, wurde die Charta ratifiziert und trat am 1. August desselben Jahres in Kraft. Der erste Staatenbericht wurde am 23.9.2002 von der konservativen Regierung Aznar vorgelegt. Im Mai 2004 besuchte der Sachverständigenausschuss erstmals das Land. Als das Ministerkomitee am 21.9.2005 seine Empfehlungen

Spanien 

 337

an Spanien verabschiedete, wurden diese gemeinsam mit dem ihnen zugrundeliegenden Bericht des Sachverständigenausschusses über die Anwendung der Charta in Spanien veröffentlicht. Mit der Vorlage seines zweiten Staatenberichtes durch die sozialistische Regierung Zapatero am 30.4.2007 leitete Spanien den zweiten Berichtszyklus ein. Kaum fünf Monate später – im September desselben Jahres – besuchte der Sachverständigenausschuss das Land erneut, woraufhin die Regierung des Baskenlandes ihre Informationen durch ein beim Europarat am 26.9.2007 eingereichtes Addendum ergänzte. Der zweite Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses wurde am 4.4.2008 angenommen und im Dezember 2008, gemeinsam mit den Empfehlungen des Ministerkomitees, veröffentlicht. Ein weiterer Berichtszyklus wurde von Spanien mit der Vorlage des dritten Staatenberichtes im Juli 2010 eingeleitet.

2.1.2 Institutionen Ein wichtiger Unterschied bei der Erstellung der bisher vorgelegten Staatenberichte Spaniens ist die Art ihrer Entstehung. Hatte sich Spanien im ersten Bericht darauf beschränkt, die gültige Rechtslage aus der Perspektive des Gesamtstaates darzustellen, welcher die Implementierung der Charta ausschließlich als Aufgabe der Autonomen Gemeinschaften ansah, so zeichnete seither das Ministerium für Territorialpolitik und öffentliche Verwaltung (Ministerio de Política Territorial y Administración Pública) verantwortlich und koordinierte durch seine Abteilung für interregionale Zusammenarbeit (Dirección General de Cooperación Autonómica) die Erstellung der einzelnen Berichtsteile durch die Autonomen Gemeinschaften, um diese schließlich durch die Angaben der staatlichen Behörden zu ergänzen. Erst der zweite und dritte Staatenbericht geben Auskunft über die an seiner Ausarbeitung beteiligten Institutionen. Demnach wurden ab dem dritten Bericht auch private und öffentliche Organisationen konsultiert. Da jede einzelne der Autonomen Gemeinschaften mit Regionalsprache(n) über eine eigene Regierung und diverse Ministerien sowie untergeordnete Abteilungen verfügt, kann eine exhaustive, nach den Regionen geordnete Liste aller beteiligten Institutionen an dieser Stelle aus Platzgründen nicht aufgeführt werden. Zusammenfassend kann jedoch festgehalten werden, dass bei allen Autonomen Gemeinschaften neben den jeweiligen Regionalregierungen eigene Ministerien für Sprachpolitik bzw. den Kultusministerien zugeordnete Abteilungen für Sprachpolitik als Hauptverantwortliche für die Berichte fungieren und zudem meist auch die jeweiligen Bildungs- und Justizministerien genannt werden. Als parastaatliche Organi-

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sationen sind neben Universitäten überdies die jeweiligen Sprachinstitute und -akademien zu nennen: für das Baskenland und Navarra die Real Academia de la Lengua Vasca (baskisch: Euskaltzaindia), für Galicien die Real Academia Galega, für Katalonien das Institut d’Estudis Catalans und das neu geschaffene Institut d’Estudis Aranesi, für Valencia die Acadèmia Valenciana de la Llengua und für die Balearen das Institut d’Estudis Baleàrics. Galicien, Valencia und die Balearen nennen zusätzlich auch ihre jeweiligen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Eine institutionenübergreifende Beteiligung an der Erstellung der Berichte ermöglichte Katalonien mittels eines bereits 1991 gegründeten Sozialrats der katalanischen Sprache (Consell Social de la Llengua Catalana). Analoge Institutionen schufen jüngst auch Galicien und die Balearen.

2.2 Sprachen und Sprachensituation In seinem Ratifikationsinstrument benannte Spanien als zu schützende Regional- oder Minderheitensprachen die Sprachen, die in den Statuten der Autonomen Gemeinschaften des Baskenlandes, Kataloniens, der Balearischen Inseln, Galiciens, Valencias und Navarras als zweite Amtssprachen neben dem Spanischen anerkannt werden (durch Teil II, Art. 7, und III, Art. 8–14) und solche, denen durch die Statute Schutz zugesichert wird (nur durch Teil II). Daraus leitet sich ab, dass der Schutz einer Sprache, deren Gebiet sich über mehrere Regionen erstreckt, durch unterschiedliche Sprachpolitiken reguliert wird. Spanien verzichtete, wie schon in der Verfassung von 1978, auf die konkrete Nennung der Sprachen und ermöglichte auf diese Weise ein gewissermaßen offenes Inventar, welches sich nach den in den Autonomiestatuten genannten Sprachen richtet. Als einzige Sprache ohne Territorium benannte Spanien im ersten Staatenbericht das Romanes bzw. caló, das jedoch erst im dritten Staatenbericht wieder berücksichtigt wurde. Da Spanien in seinem Ratifikationsinstrument keine explizite Benennung der geschützten Sprachen bot und auch im ersten Staatenbericht wenig präzise Angaben machte, widmete der Sachverständigenausschuss diesem Thema ein eigenes Kapitel in seinen Evaluationsberichten. Demnach sollen dem Schutz durch Teil II der Charta die in der spanischen Verfassung (Art. 3,3) als die unterschiedlichen sprachlichen Gegebenheiten (modalidades lingüísticas) bezeichneten Regionalsprachen unterliegen: Das Asturische (auch bable genannt), das Aragonesische (auch fabla genannt) und das Aranesische. Unter den auch auf Teil III ausgedehnten Schutz der Charta fallen das Baskische im Baskenland und in Navarra, das Katalanische in Katalonien und auf den Balearen, das Valencianische in Valencia und das Galicische in Galicien. Das Valencianische stelle dabei

Spanien 

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eine Varietät der katalanischen Sprache dar, die auf Wunsch Valencias separat behandelt werde, um der eigenen regionalen Identität Rechnung zu tragen. Der zweite Staatenbericht Spaniens klärte über eine Änderung des Status des Aranesischen auf, das im reformierten Autonomiestatut Kataloniens von 2006 nun ebenfalls zur Amtssprache der gesamten Region erklärt wird. Der Sachverständigenausschuss sah damit, entsprechend dem spanischen Ratifikationsinstrument, die Voraussetzungen für die Ausweitung des Schutzes durch Teil III auch auf das Aranesische als gegeben an und erbat darüber im folgenden Berichtszyklus weitere Informationen; dem kam Spanien im dritten Staatenbericht nach. Der Sachverständigenausschuss stellte überdies in seinen ersten beiden Evaluationsberichten die Frage nach weiteren, in den Staatenberichten nicht benannten Sprachen. Konkret bat er um Informationen zum Galicischen in Kastilien-León, dem Portugiesischen in Extremadura, dem Katalanischen in Aragón, dem Galicisch-Asturischen in Asturien, dem Berberischen und dem Arabischen in den Autonomen Städten Melilla und Ceuta sowie zum Romanes, da diese Sprachen – auch ohne eine explizite Nennung des Vertragsstaates – automatisch dem Schutz durch Teil II der Charta unterlägen, sofern sie den Voraussetzungen entsprechen. Erst im dritten Staatenbericht lieferte Spanien Informationen zu den genannten sowie weiteren Sprachen (vgl. Abschnitt 2.5.). Da den in Spanien geführten Studien zu Sprachkenntnissen ein differenzierteres Sprachkompetenzmodell zugrunde liegt als dies in den meisten anderen Staaten der Fall ist, gibt die folgende, auf dem Zensus von 2001 basierende Tabelle keine absoluten Sprecherzahlen wieder, sondern unterscheidet in die vier Grundfertigkeiten Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben. Mangels einheitlicher Daten werden hier nur die Angaben zu den durch Teil III geschützten Sprachen aufgeführt (das Aranesische wurde 2001 noch nicht berücksichtigt): Bevölkerung nach Sprachkenntnissen, basierend auf dem Zensus 2001 Region Sprache (Einwohner)

ohne

nur Verstehen u. Lesen

nur Verstehen u. Sprechen

nur Verstehen, Sprechen u. Lesen

Verstehen, Sprechen, Lesen, u. Schreiben

Balearen Katalanisch (837.094)

14 %

22,4 %

8,8 %

12,7 %

42,1 %

Baskenland Baskisch (2.065.476)

43,4 %

4,7 %

4,6 %

1,4 %

45,8 %

340 

 Felix Tacke

Bevölkerung nach Sprachkenntnissen, basierend auf dem Zensus 2001 Region Sprache (Einwohner)

ohne

nur Verstehen u. Lesen

nur Verstehen u. Sprechen

nur Verstehen, Sprechen u. Lesen

Verstehen, Sprechen, Lesen, u. Schreiben

Galicien Galicisch (2.681.025)

1,3 %

8,9 %

23,9 %

9,9 %

56 %

Katalonien Katalanisch (6.304.366)

6,4 %

24,5 %

3,6 %

16,7 %

48,9 %

Navarra* Baskisch (548.166)

69 %

3,2 %

3,2 %

1,5 %

23,1 %

15,3 %

37,1 %

9,9 %

14,4 %

23,4 %

Valencia Valencianisch (4.145.087)

* Die Daten beziehen sich nur auf die zona mixta und die zona vascófona.

2.3 Maßnahmen der staatlichen Behörden Die Anwendung der Charta in Spanien betrifft neben den Autonomen Gemeinschaften, die für ihre jeweiligen Regionalsprachen verantwortlich sind, auch die staatlichen Behörden, insofern sie Zuständigkeiten innerhalb der Regionen ausüben, in denen neben der Staatssprache auch eine oder mehrere weitere Amtssprachen gelten. Grundsätzlich trägt Spanien in seiner Eigenschaft als Vertragspartei die Verantwortung vor dem Europarat. Nachdem die konservative Regierung Aznar im ersten Staatenbericht noch die Auffassung vertreten hatte, die Zuständigkeit liege gänzlich bei den Autonomen Gemeinschaften, kam die sozialistische Regierung Zapatero dem Europarat im zweiten Staatenbericht zumindest formal entgegen und räumte ein, dass es sich bei der Implementierung der Charta um eine gesamtstaatliche Aufgabe handele. Erst der dritte Staatenbericht führt jedoch in systematischer und differenzierter Weise Gesetze und Maßnahmen der staatlichen Behörden im Zusammenhang mit den Regionalsprachen auf. In besonderer Weise ist der Staat bei der Anwendung der Artikel 9 (Justizbehörden) und 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden) involviert, bezüglich derer der Sachverständigenausschuss in seinen ersten beiden Evaluationsberichten feststellte, dass gerade die staatlichen Ver-

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waltungsbehörden sich negativ auf die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen auswirkten. Darüber hinaus bot Spanien in seinem dritten Staatenbericht auch Informationen bezüglich des Artikels 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen). In den folgenden Abschnitten sollen daher die im zweiten und dritten Staatenbericht genannten allgemeinen Maßnahmen des Gesamtstaates für die genannten Bereiche dargestellt werden. Justizbehörden: Als Hauptproblem für die Anwendung der Charta im Justizsystem benannte der Sachverständigenausschuss in seinen ersten beiden Berichten das System der überregionalen Verwaltungs- und Justizlaufbahn, das einerseits dazu führe, dass in keiner der staatlichen Behörden innerhalb der Autonomen Gemeinschaften genügend Personal mit Sprachkenntnissen der jeweiligen Region vorhanden sei; andererseits vermindere das Rotationsprinzip die Bereitschaft von Richtern, die jeweilige Sprache zu erlernen. Der Sachverständigenausschuss empfahl daher, die aktuelle Laufbahn- und Ausbildungsstruktur zu überdenken und für ausreichend Personal mit entsprechenden Sprachkenntnissen Sorge zu tragen. Dieser letzten Empfehlung schloss sich auch das Ministerkomitee an. Spanien ging im zweiten Staatenbericht zwar auf die Kritik des Europarats ein und räumte auch die generelle Notwendigkeit einer Justizreform ein; der vom Sachverständigenausschuss angesprochenen Problematik könne man sich indessen nur nachrangig widmen, hieß es weiter. Das von Spanien als erster Schritt angeführte Gesetz (Ley Orgánica 19/2003) bemängelte der Sachverständigenausschuss in seinem zweiten Bericht als unzureichend, da die enthaltene Klausel zu Sprachkenntnissen die Gruppe der höheren Justizbeamten und Richter nicht betreffe und das Problem damit im Kern weiter Bestand habe. Die Empfehlungen des Europarats seien – so erfuhr der Sachverständigenausschuss – von den zuständigen Justizbehörden (Consejo General del Poder Judicial) nicht beachtet worden, weshalb das Ministerkomitee diese erneut aussprach. Im dritten Staatenbericht gaben die spanischen Justizbehörden zwar detaillierte Informationen zu zweisprachigen Dokumenten und Beschilderungen, gingen jedoch weiterhin nicht auf das Problem der höheren Laufbahn ein. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Analog zu den Justizbehörden verhindert das überregionale Laufbahnsystem auch die Anwendung der Charta bei den Verwaltungsbehörden, weshalb Sachverständigenausschuss und Ministerkomitee die gleichen Empfehlungen formulierten. In seiner Reaktion verwies Spanien im zweiten Staatenbericht auf die Ergebnisse einer eigens eingerichteten Expertenkommission: Diese habe festgestellt, der gesetzliche Rahmen sei adäquat und bedürfe keiner Reform. Die Kommission räume indessen ein, dass in der Praxis den Beamten oft der Wille fehle, sich in einer Regionalsprache auszudrücken und daher die Aus- und Fortbildung des Verwaltungspersonals intensiviert werden müsse. Der Sachverständigenausschuss kriti-

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sierte in seinem zweiten Bericht, dass Spanien von einer Reform der Gesetzeslage absehen wolle. Zusammen mit dem Ministerkomitee wiederholte er daher seine Empfehlungen aus dem ersten Berichtszyklus. Der dritte Staatenbericht gab Auskunft über tiefgreifendere Maßnahmen: So wurde zur Analyse und Förderung des Gebrauchs der regionalen Amtssprachen in den staatlichen Behörden mit dem Rat der Amtssprachen (Consejo de las Lenguas Oficiales en la Administración General del Estado) eigens eine Institution geschaffen. Darüber hinaus wurde ein Gesetz (Ley 7/2007, de 12 de abril, del Estatuto Básico del Empleado Púlico) erlassen, das Sprachkenntnisse als Zugangsvoraussetzung und Vorteil für den öffentlichen Dienst in den Regionen mit Regionalsprache macht, womit man konkret auf die Empfehlungen des Europarats einging. In Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regionen organisiere das INAP (Instituto Nacional de Administraciones Públicas) Sprachkurse für das dort eingesetzte Personal. Weiterhin wurde gesetzlich festgelegt, dass alle staatlichen Behörden, deren Tätigkeitsbereich auch die Regionen betrifft, ihre Internetpräsenzen auch in den Regionalsprachen zugänglich machen müssen, was teilweise bereits umgesetzt wurde. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Im dritten Staatenbericht Spaniens wurden erstmals systematische Informationen zu Maßnahmen des Kultusministeriums aufgelistet. Darunter fallen v.a. Subventionszahlungen für Kinoproduktionen, Synchronisierungen, Untertitelungen sowie Übersetzungen in die und aus den spanischen Regionalsprachen. Die dem Ministerium unterstehenden Museen Museo Nacional del Prado und Reina Sofía hätten alle Materialien und Broschüren auch in die Regionalsprachen übersetzt. Ferner archiviere man seit jeher sämtliche in Spanien veröffentlichten Bücher in der Nationalbibliothek (Biblioteca Nacional). Im In- und Ausland würden die spanischen Regionalsprachen v.a. über das Instituto Cervantes gefördert; seit dem Studienjahr 1994/95 biete man in Kooperation mit dem Institut Ramon Llull, der Real Academia de la Lengua Vasca, dem Instituto Navarro del Vascuence, der Real Academia Galega sowie dem Ministerium für Sprachpolitik Galiciens (Secretaría de Política Lingüística de la Xunta de Galicia) Sprachkurse an.

2.4 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.4.1 Aranesisch Beim Aranesischen handelt es sich um eine Varietät des in Teilen Südfrankreichs gesprochenen Okzitanischen, die im Val d’Aran (auch Arantal genannt), in der katalanischen Provinz Lérida/Lleida gesprochen wird. Die Gesamtbevölkerung des neun Gemeinden umfassenden Tals beträgt nach dem Zensus von 2001 nur

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7.938 Personen, von denen 88,9 % zumindest eine passive Sprachkompetenz (Verstehen), 62,2 % eine aktive Sprech- und 26,7 % überdies eine Schreibkompetenz hatten. Nach einer Erhebung von 2008 verstehen noch 78,2 % das Aranesische, 56,8 % können es sprechen, 34,8 % es auch schreiben. Aus dem Status als geschützte Sprache durch das Autonomiestatut Kataloniens von 1979 (Art. 3,4) ergab sich, dass das Aranesische im Zeitraum der ersten beiden Berichtszyklen nur durch Teil II der Charta geschützt wurde. Der Status als Amtssprache des Val d’Aran wurde jedoch durch das reformierte Autonomiestatut Kataloniens von 2006 (Ley Orgánica 6/2006 de reforma del Estatuto de Autonomía de Cataluña, Art. 6,5) auf das gesamte Territorium Kataloniens ausgeweitet, wenngleich die ‚Offizialität‘ des Aranesischen in Katalonien nicht mit derjenigen des Katalanischen gleichzusetzen und die „territoriale Tragweite“ („dimensión territorial“) der daraus abgeleiteten sprachlichen Rechte per Gesetz noch näher zu bestimmen sei, wie es im dritten Staatenbericht Spaniens bzw. im reformierten Autonomiestatut (Art. 36,3) heißt. Dem spanischen Ratifikationsinstrument entsprechend untersteht das Aranesische somit ab dem dritten Berichtszyklus dem umfassenderen Schutz durch Teil III der Charta. Bereits in seinen ersten beiden Evaluationsberichten, d.h. die Anwendung der Charta nach Teil II (Art. 7) betreffend, lobte der Sachverständigenausschuss das von Katalonien für das Val d’Aran etablierte administrative und juristische System und urteilte, dass dieses dem einer Amtssprache faktisch entspreche. Eigene Institutionen wie der aranesische Generalrat (Conselh Generau d’Aran) sowie das geplante Sprachinstitut (Institut d’Estudis Aranesi) und das Büro der okzitanischen Sprache in Katalonien (Oficina Occitan en Catalunya) trügen beispielhaft zur Förderung der Sprache bei. Die folgenden Angaben beziehen sich auf die Anwendung nach Teil III der Charta, welche erstmals im dritten Staatenbericht Spaniens dargestellt wurde, wobei zu den Bestimmungen unter Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen) und 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben) der Charta keine Angaben gemacht wurden. Bildung: Im dritten Staatenbericht wurde die relevante, jedoch noch vorläufige Gesetzgebung angegeben, die dem katalanischen Bildungsministerium in Abstimmung mit dem aranesischen Generalrat unterliegt. Gegenwärtig sei das Aranesische eine der Unterrichtssprachen im Primarbereich und werde im Sekundarbereich als Fach unterrichtet. An der Universität von Lérida/Lleida sei es möglich, aranesische Sprache und Literatur im Rahmen des Studiengangs „Estudios Catalanes y Occitanos“ zu studieren. Kurse für Erwachsene würden sowohl im Arantal als auch in Barcelona angeboten. Justizbehörden: Der dritte Staatenbericht verwies auf eine 2001 zwischen Katalonien, dem Arantal sowie dem Justizministerium geschlossene Vereinba-

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rung, den Gebrauch des Aranesischen im Justizwesen durch geschultes Personal sowie die Bereitstellung von Beratungsmöglichkeiten in sprachlichen Fragen zu ermöglichen. Ferner wurde angegeben, dass Dokumente in aranesischer Sprache in Katalonien uneingeschränkte Gültigkeit besäßen. Gesetze würden bereits seit 1987 gleichzeitig auf Kastilisch, Katalanisch und Aranesisch veröffentlicht, sofern sie das Arantal betreffen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Der dritte Staatenbericht gab an, dass seit 2007 Aranesischkurse im Rahmen der Ausbildung für den öffentlichen Dienst in Katalonien angeboten würden. Übersetzungsund Korrekturdienstleistungen biete der aranesische Generalrat an. Medien: Im dritten Staatenbericht führte Katalonien die regionale Gesetzgebung im Mediensektor auf, in der das Aranesische den gleichen Schutz erhalte wie das Katalanische. Öffentliche Radiosender sendeten zweieinhalb Stunden täglich, Televisió de Catalunya 15 Minuten wöchentlich. Mit der Einführung des Digitalfernsehens erhalte das Arantal überdies einen eigenen lokalen Fernsehsender. Mit Unterstützung der Generalitat werde seit einigen Jahren die Zeitschrift Aran ath dia in ganz Katalonien herausgegeben. Die Präsenz des Aranesischen in den Medien werde seit dem reformierten Autonomiestatut noch stärker gefördert. Grenzüberschreitender Austausch: Laut dem dritten Staatenbericht werden jährliche Schüleraustausche mit Katalonien gefördert; Austausche mit Schulen in Südfrankreich würden durch ein Abkommen ermöglicht.

2.4.2 Baskisch Aufgrund der historischen Entwicklungen wurde das Baskische auf der iberischen Halbinsel zwar immer weiter zurückgedrängt; durch die Sprachpolitik der letzten Jahrzehnte gilt das Fortbestehen der Sprache aber nicht als bedroht. Das baskische Sprachgebiet erstreckt sich (in Spanien) über die zwei Autonomen Gemeinschaften Baskenland und Navarra, wobei sich das Sprachgebiet in Navarra – wie im Folgenden gezeigt werden wird – hauptsächlich auf den nördlichen und den zentralen Teil beschränkt. Die soziolinguistische Situation der Sprache in den beiden Regionen ist eine vollkommen unterschiedliche: Im Baskenland (gemeint ist im Folgenden stets die Comunidad Autónoma Vasca) verfügt über die Hälfte der Bevölkerung zumindest über minimale Kenntnisse der Sprache, während in Navarra gerade einmal 20  % Kenntnisse aufweisen. Somit ist das Baskische in Navarra eine auf den Norden beschränkte Minderheitensprache, wohingegen die Sprache zwar auch nicht im gesamten Baskenland gesprochen wird – mitunter wird auch hier von einer Minderheit gesprochen –, jedoch stärker mit der Identität der Region insgesamt assoziiert wird. Die Unabhängigkeit sowie die aus der

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skizzierten soziolinguistischen Situation resultierende Unterschiedlichkeit der Sprachpolitiken der beiden Autonomen Gemeinschaften, macht eine gesonderte Betrachtung nötig. Dies zeigt sich auch an der Tatsache, dass im zweiten Staatenbericht zwei voneinander unabhängige Berichtsteile erschienen sind.

Baskenland Bereits im 1979 verabschiedeten Autonomiestatut des Baskenlandes (Estatuto de Autonomía del País Vasco) wird das Baskische (endogene Bezeichnung: euskara) in Artikel 6 als „eigene Sprache“ mit offiziellem Status festgelegt. Drei Jahre später, 1982, wurde das Sprachgesetz des Baskenlandes verabschiedet. Zur Förderung des Gebrauchs und der Kenntnis des Baskischen wurden seitdem zahlreiche Dekrete und Beschlüsse erlassen. Die Bemühungen zugunsten des Baskischen seit der Transición haben zu einer deutlichen Ausdehnung der Baskischkenntnisse geführt; nach den Daten von 2001 sprechen oder verstehen etwa 50 % der ca. 1,8 Mio. Basken die Sprache, ein Drittel der Bevölkerung gilt gar als zweisprachig (gegenüber 20 % 1981). Geographisch ist das Baskische innerhalb des spanischen Baskenlandes am weitesten im Norden und im Osten (in den Provinzen Gipuzkoa und Bizkaia) verbreitet, am wenigsten in Álava/Araba und dem westlichen Teil Bizkaias. Anders als in der Autonomen Gemeinschaft Navarra gilt der Schutz durch Teil III der Charta für das gesamte Territorium des spanischen Baskenlandes. Bildung: Als Ziel der Bildungspolitik des Baskenlandes gibt der erste Staatenbericht Spaniens das Erreichen eines allgemeinen Bilinguismus an. Das baskische Normalisierungsgesetz (Ley de Normalización del Uso del Euskera) statuiert daher für jeden Schüler das Recht auf Unterricht in baskischer wie in kastilischer Sprache. Das darauf aufbauende Bildungsmodell ermögliche die Wahl zwischen vier Modellen, in welchen die Sprachen unterschiedlich stark im Vordergrund stehen, wobei der Sachverständigenausschuss nur das Modell D (ausschließlich Baskisch als Unterrichtssprache) als den eingegangenen Verpflichtungen entsprechend beurteilte und zugleich monierte, dass dieses nicht überall verfügbar sei. Das Ministerkomitee formulierte daraufhin die Empfehlung, das Unterrichtsangebot des Baskischen auszuweiten. Das Baskenland legte seinerseits im zweiten Staatenbericht und in einem Addendum Statistiken vor, nach denen baskischsprachige Angebote zunehmend gewählt würden. Der Sachverständigenausschuss gab sich damit zufrieden. Dass weiterhin Defizite im Bereich der Berufsausbildung bestanden, räumte das Baskenland im dritten Staatenbericht ein. Justizbehörden: Nachdem der erste Staatenbericht neben der Aufzählung der geltenden Rechtsbestimmungen keine substantiellen Informationen zu den

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Justizbehörden lieferte, stellte der Sachverständigenausschuss in seinem ersten Bericht fest, dass das Recht auf Prozessführung in baskischer Sprache nicht gewährleistet sei. Der Übersetzungsdienst sowie die Sprachkenntnisse des Personals qualifizierte er überdies als unzureichend. Das Baskenland räumte Unzulänglichkeiten beim Übersetzungsdienst ein, verwies aber vor allem auf die mangelnde Unterstützung durch die Zentralregierung in Madrid. In seinem zweiten Bericht stellte der Sachverständigenausschuss die fehlende Verpflichtung für Richter und Justizbeamte, Baskischkenntnisse zu erwerben, als das Hauptproblem einer Umsetzung der Verpflichtungen heraus. Der dritte Staatenbericht zeigte diesbezüglich keine Fortschritte an. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Die im ersten Staatenbericht aufgelistete Gesetzgebung werde – so der Sachverständigenausschuss – insbesondere auf lokaler Ebene nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt; gerade dort könnten sich Bürger in vielen Fällen nicht auf Baskisch an die Behörden wenden. Positiv wurde indessen hervorgehoben, dass zweisprachige Ortsbezeichnungen bereits überall fest implementiert seien. Das Baskenland verwies im zweiten Staatenbericht auf eine Erweiterung des Kursangebots für das Verwaltungspersonal, räumte aber ein, dass es bislang noch nicht möglich sei, die gesetzlichen Vorgaben überall in die Tat umzusetzen. Der zweite Evaluationsbericht wies überdies auf mangelnde Sprachkenntnisse bei den Polizeieinheiten der Autonomen Gemeinschaft (Ertzaintza) und beim Personal im Gesundheitswesen (Osakidetza) hin. Im dritten Staatenbericht gab das Baskenland an, dass seit 2006 Baskischkenntnisse für 20 % der Stellen im Gesundheitswesen Voraussetzung seien. Medien: Spanien gab in seinem ersten Staatenbericht einen knappen Überblick über die Medienlandschaft im Baskenland und verwies darin auf die öffentliche Radio- und Fernsehanstalt EITB, die ausschließlich auf Baskisch sende (tatsächlich sendet Kanal 2 seit jeher auf Spanisch) sowie auf die in baskischer Sprache publizierte – jedoch 2003 geschlossene – Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem ersten Evaluationsbericht dennoch mangelnde Unterstützung bei der Förderung des Baskischen: So würden der 2003 gegründeten Tageszeitung Berria Werbeeinkünfte von öffentlichen Behörden verwehrt; ferner gebe es weder einen privaten Radio- noch einen privaten Fernsehsender. Das Baskenland gab daraufhin im zweiten Staatenbericht an, die geltenden Gesetze zugunsten der Präsenz des Baskischen zu überarbeiten und Minimalquoten einführen zu wollen. Zudem verwies man auf diverse Subventionszahlungen für audiovisuelle Produktionen sowie eine 2005 genehmigte Zusatzsubvention für die Tageszeitung Berria. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich mit den Fortschritten zufrieden, monierte jedoch die unzureichend geförderte sprachliche Ausbildung von Journalisten. Im dritten

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Staatenbericht gab das Baskenland ausführliche Informationen: Man habe mit der Einführung des digitalen Fernsehens Mindestquoten sowohl für öffentlich-rechtliche, als auch für private Sender festgelegt. Durch erhöhte Subventionen unterstütze man die Presse und auch für die Ausbildung von Journalisten seien Finanzhilfen vorgesehen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die sich auf Subventionszahlungen beschränkenden Informationen des ersten Staatenberichtes konnte der Sachverständigenausschuss auf der Grundlage seines Vor-Ort-Besuches nur unwesentlich ergänzen. Die Feststellung, für die terminologische Wortschatzarbeit sei die baskische Sprachakademie (Euskaltzaindia/Real Academia de la Lengua Vasca) zuständig, wurde im zweiten Staatenbericht korrigiert: Bereits seit 2001 sei EUSKALTERM (Banco Terminológico Público Vasco) für die Erstellung der Fachterminologie verantwortlich. Zudem hob der Bericht die Rolle des baskischen Bibliotheksnetzwerkes sowie die finanzielle Unterstützung von Synchronisierungen und Untertitelungen von audiovisuellen Medien hervor, welche der Sachverständigenausschuss in seinem zweiten Bericht ausdrücklich lobte. Als besonders beispielhaft benannte er überdies die Kooperation zwischen den baskischen Behörden und dem Instituto Labayru im Bereich der Forschung und Normalisierung sowie den Ausbau des baskischen Fachwortschatzes. Das Baskenland informierte im dritten Staatenbericht über weitere Wörterbücher sowie die seit 2006 laufende Aktualisierung von EUSKALTERM. Zudem sei 2007 das Instituto Vasco Etxepare Euskal Institutua analog zum spanischen Instituto Cervantes gegründet worden. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht Spaniens lieferte in diesem Bereich keine substantiellen Informationen. Der Sachverständigenausschuss stellte seinerseits fest, dass besonders im sozialen Sektor zu wenig Personal über Baskischkenntnisse verfüge; mangels Informationen zum privaten Wirtschaftssektor konnte kein Urteil gefällt werden; insgesamt kritisierte er die Bemühungen der Regionalregierung als unzureichend. Das Baskenland erläuterte darauf im zweiten Staatenbericht speziell angebotene Sprachimplementierungspläne für den privaten Wirtschaftssektor, deren Umsetzung auch subventioniert werde. Der Sachverständigenausschuss konstatierte in seinem zweiten Bericht dennoch, dass die Regionalsprache im sozioökonomischen Sektor, v.a. im Gesundheitswesen, kaum präsent sei. Laut dem dritten Staatenbericht führte das Baskenland daraufhin 2008 ein Zertifikat ein, das die Qualität der Implementierung des Baskischen in Firmen und Organisationen garantiert. Im gleichen Jahr sei überdies ein neues Verbraucherschutzgesetz (Decreto 123/2008) in Kraft getreten, das Bestimmungen zum Baskischen enthalte. Grenzüberschreitender Austausch: Nachdem Spanien keine wesentlichen Informationen zum grenzüberschreitenden Austausch geliefert hatte, bat der Sachverständigenausschuss in seinem ersten Bericht um Informationen über

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einen möglichen bilateralen Vertrag zwischen Frankreich und Spanien und wies auf Beschwerden hin, der bestehende Austausch zwischen beiden Staaten sei rein wirtschaftlicher Natur. Das Baskenland gab daraufhin im zweiten Staatenbericht einen ausführlichen Überblick über seine Kooperationen: So sei 2004 ein öffentliches Büro der baskischen Sprache (Oficina Pública de la Lengua Vasca) gegründet worden, das die Koordination der Sprachpolitik auf französischer Seite zum Ziel habe; für kulturelle Aktivitäten außerhalb der Autonomen Gemeinschaft würden überdies jährliche Subventionen ausgeschrieben. Hinsichtlich möglicher Kooperationen mit Navarra gab das Baskenland in einem Addendum an, dass Navarra jede Zusammenarbeit trotz diverser Angebote abgelehnt habe. Der Sachverständigenausschuss lobte in seinem zweiten Bericht die Bemühungen des Baskenlandes und schloss sich der Kritik an der spanischen Regierung an. Im dritten Staatenbericht informierte das Baskenland über den Abschluss eines Kooperationsvertrages mit Frankreich, der bis 2010 gelte. Ferner sei 2009 eine Kooperation mit Navarra vereinbart worden.

Navarra Das Baskische gilt auch als „eigene Sprache“ der Autonomen Gemeinschaft Navarra (hier jedoch meist als vascuence bezeichnet). Hier wird das Baskische jedoch nicht im Autonomiestatut Navarras (Ley Orgánica 13/1982, de Reintegración y Amejoramiento del Régimen Foral de Navarra), sondern erst im Sprachgesetz vom 15.12.1986 (Ley Foral del Vascuence) als solche statuiert. Der Grund dafür dürfte sein, dass das Baskische zwar als allgemeines Kulturerbe der Region gilt, es aber – anders als im Baskenland – in Navarra nur von einer Minderheit gesprochen wird; bei einer Bevölkerung von 593.472 Einwohnern haben nur etwa 20 % Kenntnisse der Sprache. Die meisten Sprecher bewohnen zudem den nördlichen Teil der Autonomen Gemeinschaft. Dieser Tatsache ist die Unterteilung in verschiedene Sprachzonen geschuldet, gestuft in die im Norden gelegene baskischsprachige Zone (zona vascófona), die zentrale, Pamplona einschließende gemischte Zone (zona mixta) und die im Süden gelegene, nicht baskischsprachige Zone (zona no vascófona). Entsprechend nehmen von Nord nach Süd die Sprachrechte ab. Das Autonomiestatut legt das Baskische nur in der baskischsprachigen Zone als Amtssprache neben dem Kastilischen fest, weshalb sich der Schutz von Teil III der Charta nur auf diesen Teil Navarras bezieht. Die vom Sachverständigenausschuss und vom Ministerkomitee ausgesprochene Empfehlung, den Schutz durch Teil III auch auf die gemischte Zone zu erweitern, begründet sich vor allem darin, dass sich aufgrund sozioökonomischer Veränderungen immer mehr Baskischsprecher aus dem Norden in Pamplona niederlassen. Bisher zeigten sich die Behörden Navarras jedoch weder zu einer Änderung der Zoneneinteilung, noch

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zu einer Modifizierung der internen Zonengrenzen bereit, wobei man aber für die gemischte Zone, insbesondere im Bereich der Bildung, nach „flexiblen Lösungen“ suche. Die folgenden Ausführungen beziehen sich gemäß der Zoneneinteilung – soweit nicht anders angegeben – nur auf die nördliche, baskischsprachige Zone. Bildung: Der erste Staatenbericht Spaniens erläuterte das – wie auch im Baskenland – in vier Modelle gegliederte Bildungssystem Navarras und gab an, dass das Modell D (identisch demjenigen des Baskenlandes) das meist gewählte der nördlichen Zone sei, weshalb das Baskische als in der Bildung normalisiert gelte. Der Sachverständigenausschuss lobte zwar die gute Implementierung des Baskischen, erbat aber weitere Informationen zum Angebot in der Sekundarstufe und der beruflichen Bildung. Anlass zu Kritik bot die Situation der im Süden Navarras ansässigen privaten Ikastolas (Schulen, deren Hauptunterrichtssprache das Baskische ist): Trotz der großen Nachfrage verwehre die Regionalregierung diesen die rechtliche Anerkennung und unterstütze sie nur unzureichend mit öffentlichen Geldern. Die Regionalregierung Navarras reagierte auf die Kritik mit der Legalisierung der Ikastolas im Juli 2006 und stellte dies im zweiten Staatenbericht als besondere Leistung heraus. Der Bericht gab zudem ausführlich Auskunft zur vorschulischen, zur primären und zur sekundären Bildung, in denen das Modell D jeweils von 89,9 %, 85,76 % bzw. 81,22 % gewählt worden sei. Für die Berufsausbildung stünden drei Zentren zur Verfügung; die Universitäten seien indessen privat und entzögen sich der Verfügungsgewalt der Behörden. Der Sachverständigenausschuss lobte in seinem zweiten Bericht die Legalisierung der Ikastolas, zeigte sich jedoch besorgt hinsichtlich einer Reihe von Aspekten: So stelle sich die Frage nach den Auswirkungen eines neu eingeführten Bildungsmodells, welches das Englische als Unterrichtssprache von 30–40 % der erteilten Stunden vorsieht und damit offensichtlich mit der Präsenz der Regionalsprache in Konflikt tritt. Zudem sei ein Rückgang von Subventionen in mehreren Bereichen der baskischsprachigen Bildung festzustellen. Navarra legte im dritten Staatenbericht dar, dass das neue Bildungsmodell nicht zu Ungunsten des Baskischen gehe, wenn man sich für Modell D entscheide, es stelle vielmehr ein alternatives Modell dar, bei dem – sofern man das Baskische als Hauptsprache wähle – eine ähnliche Sprachkompetenz wie im Modell D gewährleistet würde. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht Spaniens bot keinerlei Daten zu Navarra. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem ersten Bericht jedoch fest, dass der gesetzliche Rahmen den von Spanien eingegangenen Verpflichtungen nicht entspreche, denn weder sei das Recht auf Verfahrensführung in baskischer Sprache garantiert, noch sei ein ausreichender Anteil an baskischsprachigem Personal in der Justizverwaltung durch die Gesetzgebung sichergestellt. Navarra ging erst im dritten Staatenbericht konkret auf die Monita des Europa-

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rats ein und verwies auf einen Übersetzungsdienst, der Verfahren auf Baskisch ermögliche. Ferner habe man 2009 gesetzgeberische Schritte eingeleitet, um Baskischkenntnisse als Vorteil in der regionalen Justizverwaltung berücksichtigen zu können. Ein breites Kursangebot biete das Instituto Navarro de Administración Pública. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Spanien beschränkte sich im ersten Staatenbericht auf eine Auflistung eines Teils der Gesetzgebung. Der Sachverständigenausschuss kritisierte, dass wichtige Texte und Formulare nicht zweisprachig verfügbar seien und empfahl, den Anteil des baskischsprachigen Personals zu erhöhen, worauf Navarra jedoch auch im zweiten Staatenbericht – wie auch hinsichtlich der Justizbehörden – nicht einging. In seinem zweiten Bericht machte der Sachverständigenausschuss auf das Problem aufmerksam, dass die meisten für ganz Navarra zuständigen Behörden ihren Sitz in der gemischten Zone, d.h. in Pamplona, haben und sich nicht in der Verpflichtung sehen, zweisprachige Dokumente zu erstellen. Der Gebrauch des Baskischen sei daher nur in lokalen, nicht aber den regionalen Behörden garantiert. Defizite wurden auch bei der zweisprachigen Ortsbeschilderung festgestellt, die in einigen Fällen wieder abgeschafft worden sei. Größere Probleme bestünden im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen, da v.a. bei der Besetzung von Stellen Sprachkenntnisse nicht berücksichtigt würden. Insgesamt seien die bisher getroffenen Maßnahmen der Regionalregierung – so der Sachverständigenausschuss – als unzureichend zu bezeichnen. Dem dritten Staatenbericht zufolge wurde die gesetzliche Bestimmung, nach der die regionale Verwaltung mit Sitz in der gemischten Zone nicht verpflichtet war, das Baskische im Kontakt mit Bürgern der baskischsprachigen Zone zu verwenden, trotz des Widerstands der Regionalregierung 2009 endgültig vom obersten spanischen Gericht (Tribunal Supremo) gekippt. Das Parlament plane zudem, Sprachkenntnisse bei der Stellenbesetzung besonders zu gewichten. Medien: Spanien gab keine substantiellen Informationen zur baskischsprachigen Medienlandschaft in Navarra. Der Sachverständigenausschuss konstatierte in seinem ersten Bericht, dass es weder einen öffentlichen auf Baskisch sendenden Fernseh- noch einen Radiosender gebe, dagegen werde dem privaten Radiosender Euskalerria Irratia seit Jahren eine für ganz Navarra geltende Sendelizenz verweigert. Der Empfehlung, diese zu bewilligen, schloss sich auch das Ministerkomitee an. Moniert wurde ferner, dass auch die baskischsprachige Tageszeitung Nabarra Aldizkaria mangelhaft unterstützt werde. Navarra ging auf die Empfehlung des Ministerkomitees bezüglich der Sendelizenz nicht ein; von der Schaffung eines Radio- und Fernsehsenders habe man aufgrund der hohen Kosten abgesehen. Navarra verwies indessen auf die jährliche Ausschreibung von Subventionszahlungen, wenngleich diese nicht speziell für baskischsprachige

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Medien vorgesehen seien. In seinem zweiten Evaluationsbericht kritisierte der Sachverständigenausschuss, dass es zu keinen Verbesserungen gekommen sei. Zum einen ermögliche bzw. erleichtere man auch weiterhin nicht den Empfang von Sendern aus dem Baskenland, zum anderen verweigere man Euskalerria Irratia nach wie vor die Sendelizenz und man benachteilige baskischsprachige Medien zudem bei Subventionszahlungen und der Schaltung von Werbung. Im dritten Staatenbericht verwies Navarra auf eine 2009 geschlossene Vereinbarung mit dem Baskenland, die den Empfang baskischer Sender in Navarra ermöglichen soll. Ferner unterstütze man diverse lokale Radiosender (genannt wurden die privaten Sender Xorroxin Irratia, Esan-Erran Iratia, Aralar Irratia, Beleixe Irratia und Karrape Irratia). Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Spanien nannte im ersten Staatenbericht für Navarra einige Bibliotheken und verwies auf Subventionszahlungen für Literatur und Übersetzungen. Der Sachverständigenausschuss empfahl, dafür zu sorgen, dass der Anteil des zweisprachigen Personals zunimmt; das Dekret 372 habe jedoch die Notwendigkeit von Baskischkenntnissen selbst für die baskischsprachige Zone gestrichen. Navarra verwies dagegen nur auf eine Ausstellung zur baskischen Sprache und die Präsenz der Region auf der Expolingua in Berlin und der Expolangues in Paris. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem zweiten Bericht die Tatsache, dass Navarra Kulturaktivitäten allenfalls finanziell und meist unzureichend unterstütze. Auch zur Kooperation mit dem benachbarten Baskenland sei Navarra kaum bereit. Navarra verwies daraufhin im dritten Staatenbericht auf die Bereitstellung von 120.000 Euro für die Unterstützung kultureller Aktivitäten allein 2008 und zählte zahlreiche Kampagnen und Programme auf. Wirtschaftliches und soziales Leben: In den ersten beiden Staatenberichten verwiesen die staatlichen und regionalen Behörden lediglich darauf, dass es keine den Gebrauch des Baskischen diskriminierenden Bestimmungen gebe. Der Sachverständigenausschuss kritisierte daher in beiden Evaluationsberichten die passive Haltung Navarras und bemängelte, dass es keine Gesetze gebe, die explizit die Einführung diskriminierender Sprachklauseln im sozioökonomischen Sektor untersagten. Aus dem dritten Staatenbericht ging hervor, dass die Behörden Navarras sich weder für zuständig hielten, noch einen konkreten Handlungsbedarf sahen. Dennoch führte der Bericht Bemühungen im Gesundheitswesen und der Altenpflege sowie baskischsprachige Sicherheitsvorschriften auf. Grenzüberschreitender Austausch: Im zweiten Staatenbericht gab Navarra an, dass die Kooperation mit Frankreich nicht, wie vom Sachverständigenausschuss vermutet, rein wirtschaftlicher Natur sei, sondern auch im Bereich der Kultur und der Sprache bestehe, und verwies auf ein Abkommen (Convenio de Cooperación Transfronteriza) mit dem Regionalrat der Aquitaine, über das jedes Jahr

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Subventionen ausgeschrieben würden. Der Sachverständigenausschuss ergänzte die Informationen Navarras in seinem zweiten Bericht und führte eine Arbeitsgemeinschaft im Pyrenäenraum auf (Comunidad de Trabajo de los Pirineos), welche die Kooperation aller aneinandergrenzenden französischen und spanischen Regionen koordiniere. Im dritten Staatenbericht verwies Navarra auf die Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Büro der baskischen Sprache (Euskararen Erakunde Publikoa/Office Public de la Langue Basque).

2.4.3 Galicisch Als „eigene Sprache“ Galiciens wird das Galicische auf der Gesamtheit des Gebietes der Autonomen Gemeinschaft gesprochen. Ferner wird die Sprache in den angrenzenden Gebieten der Autonomen Gemeinschaften Asturien, Kastilien und León sowie in drei kleinen Siedlungen Extremaduras gesprochen (vgl. 2.5.). Der Schutz durch Teil III der Charta bezieht sich jedoch ausschließlich auf das Galicische in Galicien. Nach dem Zensus von 2001 (s. Tabelle unter 2.2.) verstehen über 90 % der 2.681.025 Personen zählenden Bevölkerung das Galicische bei unterschiedlicher Lese- und Schreibkompetenz. Was den alltäglichen Gebrauch des Galicischen angeht, so gaben 56,84  % an, das Galicische immer zu sprechen, 30,29  % es manchmal und nur 12,86 % es nie zu sprechen. Das Autonomiestatut Galiciens (Estatuto de Autonomía de Galicia) aus dem Jahre 1981 legt in Artikel 5 das Galicische als die „eigene Sprache“ Galiciens fest (Abs. 1) und regelt seinen Status als gemeinsame Amtssprache mit dem Kastilischen (Abs. 2). Die sich daraus ableitenden sprachlichen Rechte der Bürger, insbesondere in den Bereichen der Verwaltung, Bildung und Medien, werden durch das galicische Sprachgesetz vom 15.6.1983 (Ley de Normalización Lingüística) garantiert. Die galicische Sprachgesetzgebung wird seitdem durch das Erlassen von Verordnungen und Dekreten weiter aktualisiert. Besonders nennenswert ist eine 2004 verabschiedete sprachpolitische Agenda (Plan General de Normalización de la Lengua Gallega), die einen Zehnjahresplan festlegt, der Ziele und konkrete Maßnahmen zur Förderung des Galicischen enthält. Bildung: Der erste Staatenbericht Spaniens gab an, das Galicische sei die offizielle Sprache auf allen Ebenen des Bildungssystems; man garantiere allen Kindern das Recht, am Ende der Schulbildung das Galicische gleichermaßen in Wort und Schrift zu beherrschen. Der Sachverständigenausschuss stellte nach seinem Vor-Ort-Besuch jedoch fest, dass die Richtlinien nicht immer eingehalten würden und die Regionalsprache überdies nur die Unterrichtssprache einiger ausgewählter Fächer sei und kam für die Primar- und Sekundarstufe zu

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dem Urteil, dass die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt seien. Galicien gab daraufhin im zweiten Staatenbericht Auskunft über ein für 2007 geplantes neues Bildungsmodell, nach dem im vorschulischen Bereich ein Drittel, in der Primar- und Sekundarstufe mindestens die Hälfte des Unterrichts auf Galicisch erteilt werden sollten. Ferner verwies Galicien auf den auf 10 bis 26 % bezifferten Gebrauch der Regionalsprache in den Universitäten und die Existenz von sog. Centros de Estudios Gallegos an 40 Universitäten weltweit. Der Sachverständigenausschuss begrüßte in seinem zweiten Bericht die getroffenen Maßnahmen und den erkennbaren politischen Willen, wies jedoch erneut auf die Diskrepanz zwischen gesetzgeberischen Bestimmungen und der Anwendung in der Praxis hin. Im dritten Staatenbericht listete Galicien erneut die geltende Gesetzgebung auf, erläuterte aber auch ein neues Zertifizierungssystem, mit dem die Umsetzung der Bestimmungen überprüft werden soll. Ein Abkommen mit Kastilien-León diene der Förderung des Galicischunterrichts außerhalb der Region. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht lieferte keine substantiellen Informationen. Die Kritik des Sachverständigenausschusses ähnelte derjenigen an Navarra: Der gesetzliche Rahmen sei unzureichend, um das Recht, Galicisch vor Gericht zu verwenden, zu garantieren; Galicischkenntnisse seien nicht Einstellungsvoraussetzung, weshalb der Anteil des Personals mit Sprachkenntnissen zu gering sei. Der Empfehlung, eine angemessene gesetzliche Grundlage zu schaffen, schloss sich auch das Ministerkomitee an. Galicien wies im zweiten Staatenbericht darauf hin, entsprechende Gesetze erarbeitet zu haben und erläuterte einen 2004 verabschiedeten Plan zur Förderung der Regionalsprache in den Justizbehörden. So seien u.a. Kenntnisse der Sprache künftig Einstellungsvoraussetzung. Dennoch räumte Galicien ein, dass zahlreiche Richter vor Gericht auf dem Gebrauch des Kastilischen bestünden. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem zweiten Bericht fest, dass es nicht genügend ausgebildete Übersetzer gebe und es daher zu großen Verzögerungen bei Verfahren auf Galicisch käme. Die negative Einstellung vieler Richter gegenüber der Regionalsprache bestätigte sich beim Vor-Ort-Besuch. Der Ausschuss lobte jedoch, dass Galicien sich auch dort um Fortbildungsmaßnahmen für das Personal bemühte, wo die Beamten nicht der Verantwortung der Autonomen Gemeinschaft unterstünden. Galicien ergänzte im dritten Staatenbericht, dass Maßnahmen ergriffen worden seien, die über die Möglichkeit, das Galicische vor Gericht zu gebrauchen, informieren sollen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Spaniens erster Staatenbericht bot lediglich einen Hinweis auf die rechtlichen Bestimmungen im Autonomiestatut Galiciens. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich zwar zufrieden mit dem gesetzlichen Rahmen, monierte jedoch auch hier Mängel in der praktischen Umsetzung. Zweifel blieben v.a. hinsichtlich der

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lokalen Behörden. Defizite stellte der Sachverständigenausschuss auch bei Ortsbeschilderungen fest. Galicien lieferte im zweiten Staatenbericht ausführliche Informationen zu Fortbildungsmaßnahmen für Beamte auf lokaler Ebene; die Regionalregierung räumte ferner ein, dass die Gesetzgebung zur Regelung von Ortsbezeichnungen teilweise nicht respektiert würde, verwies aber auf ein Projekt zur Wiederherstellung der traditionellen Bezeichnungen. Der Sachverständigenausschuss begrüßte in seinem zweiten Bericht die Bemühungen Galiciens und lobte insbesondere Pläne der Regierung, eigens ein Ministerium für Sprachpolitik (Secretaría Xeral de Política Lingüística) einrichten zu wollen. Galicien gab im dritten Staatenbericht an, dass auch eine Kommission (Comisión Interdepartamental de la Xunta de Galicia para la normalización lingüística) gegründet worden sei, welche die Implementierung des Galicischen in den verschiedenen Behörden überwachen soll. Zudem lege ein neues Gesetz (Ley 13/2007) Sprachtests für bestimmte Stellen im öffentlichen Dienst fest. Medien: Spanien beschränkte sich im ersten Staatenbericht auf den Hinweis auf die öffentliche Rundfunkanstalt, die Compañía de Radiotelevisión de Galicia (RTVG). Der Sachverständigenausschuss erbat daher Auskünfte über private Radio- und Fernsehsender. Bezüglich der Tageszeitung O Correo Galego und der Zeitschrift A nosa Terra erbat der Ausschuss Informationen über Finanzierungsbeteiligungen. Galicien vervollständigte im zweiten Staatenbericht den Überblick über die Medienlandschaft: So gebe es ferner die Tageszeitung Galicia Hoxe und die zweiwöchentlich erscheinende El Sil, A Peneira sowie eine Vielzahl an Fachzeitschriften und Onlinemedien. Zur Förderung audiovisueller Produktionen sei der Consorcio Audiovisual de Galicia gegründet worden. Die Regionalregierung habe überdies Sprachklauseln in die zu vergebenen Sendelizenzen für das digitale Fernsehen etabliert, die die Präsenz des Galicischen stärken sollen. Durch das Laboratorio de Lingua Galega und den Diccionario de Televisión würden sämtliche Medien auch linguistisch unterstützt. Außerdem biete RTVG permanente Sprachfortbildungen für Journalisten an. Der Sachverständigenausschuss lobte explizit die Maßnahmen der RTVG, wies jedoch auf Tendenzen der öffentlichen Rundfunkanstalten des Staates hin, galicischsprachige Sendungen aus dem Programm zu nehmen. Galicien erläuterte daraufhin im dritten Staatenbericht, dass die Programme der staatlichen Sender TVE und Radio Nacional de España täglich für lokale Sendungen in galicischer Sprache unterbrochen würden. Ferner garantiere die quotenabhängige Lizenzvergabe bei der Einführung des digitalen Fernsehens die Präsenz des Galicischen in den Programmen aller privaten Lokalsender. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Spanien informierte im ersten Staatenbericht über finanzielle Mittel, die für Bücher, Musik, Bibliotheken und Lesekampagnen in galicischer Sprache, ferner für gemeinnützige Vereine und die

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weltweit präsenten Casas de Galicia und Centros Gallegos bereitgestellt würden. Die Kulturförderung sei in Form eines Ministeriums (Dirección Xeral de Promoción e Difusión da Cultura) sogar eigens institutionalisiert. Galicien ergänzte im zweiten Staatenbericht Informationen zum galicischen Sprachinstitut (Instituto da Lingua Galega), zu einem geisteswissenschaftlichen Forschungszentrum (Centro Ramón Piñero para a Investigación en Humanidades) und zur Vergabe von Literaturpreisen. Wortschatzarbeit werde durch das Organ TERMIGAL der Real Academia Galega geleistet. Der Sachverständigenausschuss sah in seinem zweiten Bericht die meisten Verpflichtungen als erfüllt an, bat jedoch um Informationen zur Archivierung von Büchern und audiovisuellen Werken der Region. Aus dem dritten Staatenbericht geht hervor, dass Galicien in Anlehnung an Katalonien einen Sozialrat der galicischen Sprache (Consello Social da Lingua Galega) sowie einen Kulturrat (Consello da Cultura Galega) gegründet hat. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht Spaniens lieferte keine substantiellen Informationen. Der Sachverständigenausschuss kritisierte auf der Grundlage seines Vor-Ort-Besuches, dass das Personal von Sozialdiensten und Hospitälern kaum über Galicischkenntnisse verfüge und bat um Informationen zu internen Firmenregelungen. Galicien gab im zweiten Staatenbericht an, 38 % der galicischen Arbeiter seien in ihren Sprachrechten durch entsprechende Arbeitsverträge geschützt. Sprachkenntnisse seien Voraussetzung für medizinisches Personal und Pflegekräfte. Der Sachverständigenausschuss monierte, dass im Gesundheitswesen trotz der Vorgaben meist keine Betreuung in der Regionalsprache geleistet würde und es überdies an Reglementierung im Banken- und Finanzsektor mangele. Er empfahl daher die Ausarbeitung eines Aktionsplanes, um Diskriminierungen aus sprachlichen Gründen zu vermindern. Entsprechend erläuterte Galicien im dritten Staatenbericht einen Pakt, der 2006 zwischen dem neu gegründeten Ministerium für Sprachpolitik (Secretaría General de Política Lingüística) und dem galicischen Arbeitgeberverband (Confederación de Empresarios de Galicia) geschlossen worden sei und zu einer besseren Implementierung der Regionalsprache verpflichte. Im Gesundheitswesen werde das Galicische zunehmend gebraucht, wozu auch ein neues Gesetz (Ley 13/2007) beitrage, dass Sprachtests für Einstellungsverfahren von medizinischem Personal und in der Altenpflege festlege. Grenzüberschreitender Austausch: Da Spanien im ersten Staatenbericht keine Informationen zu bilateralen Vereinbarungen mit Portugal gab, riet der Sachverständigenausschuss zum Abschluss eines solchen Abkommens. Galicien gab im zweiten Staatenbericht daraufhin ausführlich Auskunft über eine Vielzahl an Kooperationen mit Portugal: So sei 2002 ein Vertrag zwischen Spanien und Portugal geschlossen worden (Tratado Hispano-Portugés), es existierten mehrere Austauschprogramme für Schüler, Lehrer und Privatpersonen (Encontro de Culturas,

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LaLO, Eixo Atlántico do Noroeste Peninsular), man organisiere Treffen zwischen Schriftstellern beider Länder und arbeite an einer gemeinsamen Kandidatur bei der UNESCO unter dem Namen Patrimonio Inmaterial Galaico-Portugués. Der Sachverständigenausschuss begrüßte die ausgedehnte Kooperation zwischen Galicien und Portugal in seinem zweiten Bericht. Im dritten Staatenbericht fügte Galicien dem nichts hinzu.

2.4.4 Katalanisch/Valencianisch Das Sprachgebiet des von über elf Mio. Menschen gesprochenen Katalanischen erstreckt sich über mehrere europäische Staaten: So wird es außer in Spanien auch in Andorra und Teilen Südfrankreichs (Département Pyrénées Orientales) sowie traditionell in Alghero auf Sardinien gesprochen. Innerhalb Spaniens wird das Katalanische heute hauptsächlich in den drei Autonomen Gemeinschaften Katalonien, Valencia und den Balearischen Inseln gesprochen, kleinere Sprechergemeinschaften befinden sich zudem in den östlichen Teilen der Region Aragón sowie in Murcia. In Katalonien und auf den Balearen nimmt das Sprachgebiet des Katalanischen das gesamte Territorium der Autonomen Gemeinschaften ein und es herrscht eine Situation der Zweisprachigkeit, wobei das Kastilische zumindest auf den Balearen die dominantere Sprache ist. Die soziolinguistische Situation in Valencia ist eine andere: Das Katalanische wird aufgrund der historischen Entwicklung hauptsächlich im östlichen Teil der Region, d.h. in den Küstenregionen, gesprochen. Mit etwa zehn Mio. aktiven Sprechern gilt die Sprache weder mittel- noch langfristig als bedroht. Die Sprachpolitiken der drei Autonomen Gemeinschaften sind voneinander unabhängig und erfordern daher – wie schon beim Baskischen – eine gesonderte Betrachtung. Zwar existieren verschiedene Mundarten und regionale Varietäten des Katalanischen, doch werden die verschiedenen Ausprägungen der einzelnen Regionen linguistisch als eine Sprache bezeichnet. Trotz dieser Tatsache besteht man in der Region Valencia auf der Sprachbezeichnung valencià („Valencianisch“); laut Angaben der Valencianischen Sprachakademie (Acadèmia Valenciana de la Llengua) repräsentiert die Eigenbezeichnung ein Element der eigenen Identität. Da das Valencianische von Spanien als eigenständige Sprache geschützt wird, behandelt der Europarat sie ebenfalls als solche. Unabhängig von der linguistischen Beurteilung als regionale Varietät des Katalanischen wird das Katalanische Valencias daher im Folgenden ebenfalls als ‚Valencianisch‘ bezeichnet.

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Katalonien Das erste Autonomiestatut Kataloniens (Estatuto de Autonomía de Cataluña) wurde 1979 verabschiedet und bezeichnete das Katalanische in Artikel 3,1 als „eigene Sprache“ mit offiziellem Status. Im Jahr 2006 wurde ein reformiertes Statut verabschiedet (Ley Orgánica 6/2006 de reforma del Estatuto de Autonomía de Cataluña), das den Artikel zu den Sprachen entscheidend modifiziert: Als Amtssprache Kataloniens sei das Katalanische die Sprache der öffentlichen Verwaltungen, der Kommunikationsmedien sowie die Unterrichtssprache im Bildungswesen; hervorzuheben ist auch Absatz 2, da hier die Kenntnis des Spanischen und auch des Katalanischen für die Bürger Kataloniens als Recht und zugleich als Pflicht statuiert wird. Zumindest die Pflicht, das Katalanische zu kennen, kann in der Rechtsgeschichte der Regionalsprachen Spaniens als Neuheit betrachtet werden. Zudem wird in Absatz 6 das Aranesische als „eigene Sprache“ des Val d’Aran bezeichnet; erstmals wird das Aranesische ebenfalls als Amtssprache Kataloniens statuiert, wenngleich die rechtliche und praktische Tragweite dieses Status noch nicht genau festgelegt wird. Wesentliche Bestimmungen des katalanischen Sprachgesetzes von 1998 (Ley de Política Lingüística) wurden nun in das Statut integriert. Das Katalanische wird in Katalonien von einer Mehrheit gesprochen. Als Sprecher wird jede Person bezeichnet, die das Katalanische versteht und die Sprache sprechen kann. Nach den Daten der katalanischen Sprachstatistik von 2003 (Estadística de Usos Lingüísticos en Cataluña) kommen auf eine Bevölkerung von 5.471.200 ca. 84,7 % Sprecher des Katalanischen; rechnet man die Schreibund Lesekompetenz hinein, sind es immerhin 62,3 %. Für 50,1 % der Bevölkerung ist das Katalanische zudem die im Alltag gebräuchliche Sprache. Bildung: Der erste Staatenbericht Spaniens gab an, dass das Katalanische in allen Bereichen des Bildungssystems implementiert sei und jeder Schüler die Pflicht habe, die Regionalsprache am Ende der Schulpflicht korrekt zu beherrschen. Der Sachverständigenausschuss bezeichnete das katalanische Bildungssystem als außergewöhnlich in der Geschichte Europas, da die Regionalsprache sogar die erste Sprache des Unterrichts sei, was die Zahlen des Schuljahres 1999/2000 auch bezeugen: 88,9 % des Unterrichts in der Primarstufe und immerhin 51,2 % in der Sekundarstufe wurden auf Katalanisch erteilt. Angaben fehlten lediglich zur vorschulischen Bildung, wurden von Katalonien jedoch im zweiten Staatenbericht neben Informationen zum 2001 gegründeten Institut Ramon Llull, dessen Netzwerk 98 Lektorate in Universitäten außerhalb Spaniens unterhält, nachgereicht. Der Sachverständigenausschuss sah daraufhin sämtliche Verpflichtungen als erfüllt an und lobte das Bildungswesen erneut als beispielhaft. Katalonien stellte darüber hinaus im dritten Staatenbericht einen Plan für sozialen Zusammenhalt (Plan para la lengua y la cohesión social) vor, der die Integra-

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tion zugewanderter Schüler ins katalanischsprachige Bildungswesen durch speziellen Unterricht (mittels sog. aulas de acogida) zum Ziel habe. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht lieferte keine wesentlichen Informationen zur Implementierung der Charta im Bereich der Justizbehörden. Der Sachverständigenausschuss lobte ein von Katalonien 2000 initiiertes Pilotprojekt, das erfolgreich zu einer Erhöhung der auf Katalanisch geführten Prozesse führe. Außerdem sei die Anerkennung von katalanischsprachigen Dokumenten problemlos und es gebe ausreichend Übersetzungsdienste. Katalonien gab im zweiten Staatenbericht an, durch die Bestimmungen des reformierten Autonomiestatuts sowie Ausbildungsmaßnahmen den Anteil des Personals mit Sprachkenntnissen erhöhen zu wollen; 2005 hätten bereits 77 % des Personals Katalanischkenntnisse. Die Regionalregierung kritisierte in diesem Zusammenhang das nationale Rotationssystem für Richter. Der Sachverständigenausschuss schloss sich in seinem zweiten Bericht der Kritik an und machte deutlich, dass Reformen auf staatlicher Ebene nötig seien, um die Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und praktischer Umsetzung zu vermindern und richtete seine Empfehlungen daher an die staatlichen Behörden. Katalonien kritisierte im dritten Staatenbericht erneut, dass das staatliche Justizministerium keine Reformen beabsichtige. Immerhin seien im Jahr 2008 jedoch bereits 25,2  % der Gerichtsverfahren auf Katalanisch durchgeführt worden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Spanien gab im ersten Staatenbericht an, dass 54,07 % des Personals der staatlichen Behörden über Katalanischkenntnisse verfügten; auf regionaler Ebene sei die Sprache der Behörden ohnehin das Katalanische. Ortsbezeichnungen seien sogar ausschließlich in der Regionalsprache vorgesehen. Der Sachverständigenausschuss lobte in seinem ersten Bericht die Implementierung des Katalanischen auf regionaler Ebene als beispielhaft in allen Aspekten. Hingegen lägen Beschwerden im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen vor. Katalonien räumte im zweiten Staatenbericht Probleme in diesem Bereich ein: So hielten sich staatliche Unternehmen wie die Post (Correos) oder die Bahngesellschaft (Renfe) sowie private Firmen wie die Telefongesellschaft Telefónica nicht an die Bestimmungen. Der Sachverständigenausschuss nahm dies in seinem zweiten Bericht zur Kenntnis. Die Implementierung auf regionaler und lokaler Ebene lobte er erneut. Im dritten Staatenbericht führte Katalonien Daten über den Gebrauch des Katalanischen in den Verwaltungsbehörden auf: Im Jahr 2007 sei das Katalanische in 50,7 % der mündlichen Kommunikationen der staatlichen Behörden, bei 90,6 % der regionalen und 78,5 % der lokalen Behörden gebraucht worden. In der Schriftkommunikation hätten die Werte bei 30,8 % (staatlich), 98,5 % (regional, lokal) gelegen. Medien: Der erste Staatenbericht Spaniens gab einen Überblick über die katalanischsprachige Medienlandschaft und verwies insbesondere auf die 1983

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gegründete öffentliche Radio- und Fernsehanstalt (Corporació Catalana de Ràdio i Televisió), welche auf Katalanisch sende und auch das Aranesische berücksichtige. Die gesetzlichen Bestimmungen sähen überdies für alle Sender Mindestquoten (mind. 50 %) vor und auch die katalanischsprachige Präsenz müsse adäquat repräsentiert sein. Die katalanischsprachige Tagespresse habe 2001 einen Anteil von 23,61  % ausgemacht. Der Sachverständigenausschuss zeigte sich mit dem medialen Angebot im privaten wie öffentlichen Sektor zufrieden und begrüßte die Regelung durch Mindestquoten. Katalonien verwies im zweiten Staatenbericht überdies auf den 1996 gegründeten Medienrat (Consell de l’Audiovisual de Catalunya). Der Sachverständigenausschuss sah daraufhin die meisten Verpflichtungen als erfüllt an und bat lediglich um Informationen zur sprachlichen Ausund Fortbildung von Journalisten. Im dritten Staatenbericht listete Katalonien v.a. statistische Daten zum Medienkonsum auf: Demnach haben 2008 27,1 % der Katalanen Presseerzeugnisse auf Katalanisch gekauft und 52 % katalanischsprachiges Fernsehen konsumiert. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Nachdem der erste Staatenbericht Spaniens keinerlei substantielle Informationen geliefert hatte, zeigte sich der Sachverständigenausschuss auf der Grundlage seines Vor-Ort-Besuchs zufrieden mit der Kulturförderung Kataloniens, die er als beispielhaft qualifizierte. Als zuständiges Organ für die Sprachpflege und terminologische Arbeit benannte er das Institut d’Estudis Catalans, wobei Katalonien im zweiten Staatenbericht präzisierte, dass das 1985 geschaffene Institut TERMCAT mit der Wortschatzarbeit betraut sei. Ferner präsentierte Katalonien ein neues Kulturkonzept, das eine Stärkung des katalanischsprachigen Verlagsmarktes sowie die Förderung von Literatur und Autoren vorsehe. Der Sachverständigenausschuss lobte die Maßnahmen als beispielhaft. Dazu ergänzte Katalonien im dritten Staatenbericht Daten über die Entwicklung des Verlagsmarktes, nach denen die Zahl der auf Katalanisch herausgegebenen Bücher konstant ca. 15 % der kastilischsprachigen Bücher entspreche. Ferner wurden weitere Informationen zu den Aktivitäten des dem Institut d’Estudis Catalans unterstehenden Institut Ramon Llull im Bereich der auswärtigen Kulturförderung aufgelistet. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht gab nur unzureichend Auskunft über die gesetzlichen Rahmenbedingungen, weshalb der Sachverständigenausschuss um weitere Informationen bat. Katalonien reichte diese im zweiten Staatenbericht nach: Demnach seien Unternehmen, die öffentliche Dienstleistungen im Bereich Transport, Versorgung und Kommunikation leisten, verpflichtet, sich auf Katalanisch an die Bürger zu wenden. Um die Umsetzung sicherzustellen, gebe es einen Sanktionskatalog. Katalonien hob hervor, dass als Folge der bisherigen Maßnahmen 2005 bereits 48,6 % der Tarifverträge in der Regionalsprache verfasst würden, kritisierte aber zugleich, dass

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es die staatlichen Normen seien, welche die Anwendung der Charta in vielen Bereichen behinderten. Der Sachverständigenausschuss monierte in seinem zweiten Bericht, dass sich die katalanischsprachige Etikettierung von Produkten kaum verbessert habe. Katalonien legte im dritten Staatenbericht Daten zum Gebrauch des Katalanischen im Wirtschaftssektor dar, nach denen die Sprache – je nach Sektor – bei 50 bis 65 % der mündlichen Kommunikationen und zwischen 40 und 68 % der Schriftkommunikationen gebraucht wurde. Der Bericht räumte ein, dass sich das Katalanische nur auf den Etiketten weniger Produktkategorien wiederfinde. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht Spaniens bot keine Informationen zu diesem Bereich. Der Sachverständigenausschuss bat daher um Informationen zu Abkommen mit Frankreich, Italien, Andorra und den Austausch mit den anderen katalanischsprachigen Regionen Spaniens. Katalonien machte daraufhin im zweiten Staatenbericht ausführliche Angaben zu einer Vielzahl von Kooperationen und Projekten mit den genannten Staaten und Regionen. Besonders erwähnenswert scheint die Eröffnung einer Repräsentation der katalanischen Regionalregierung (Generalitat) im französischen Département Pyrénées-Orientales (Casa de la Generalitat de Catalunya en Perpiñán) am 5.9.2003, welche mangels Rückhalt der französischen Behörden Vereine und Kulturaktivitäten finanziell fördere. Kritik übte Katalonien an den bilateralen Verträgen zwischen Spanien und Frankreich am Beispiel des Rahmenabkommens über Bildungs-, Sprach- und Kulturprogramme von 2005, da dieses nur das Spanische und Französische, nicht aber die beiden Ländern gemeinsamen Regionalsprachen beinhalte. Der Sachverständigenausschuss nahm in seinem zweiten Bericht die Beschwerden Kataloniens zur Kenntnis und qualifizierte die regionalen Kooperationen mit Frankreich, Italien und Andorra als beispielhaft. Im dritten Staatenbericht verwies Katalonien auf Artikel 6,4 des reformierten Autonomiestatuts, mit dem sich die Region zur Kooperation mit anderen katalanischsprachigen Gebieten verpflichte. Zudem sei 2005 eine Abteilung zur Verbreitung der Sprache (Servei de Difusió de la Llengua Catalana) im Rahmen der katalanischen Vertretung in Perpignan gegründet worden.

Valencia Anders als in Katalonien ist das in Valencia valencià genannte Katalanische nicht die „eigene Sprache“ aller Einwohner der Region. Dies hat historische Gründe: Valencia wurde im 13. Jahrhundert der kastilischen Krone einverleibt, wodurch auch das Kastilische sich in der Region teilweise durchgesetzt hat. Dennoch ist das Valencianische noch heute die Muttersprache sowie die Sprache des Alltags eines großen Teils der Bevölkerung, der sich vor allem auf die stärker bevöl-

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kerte Küstenregion konzentriert. Nach den Daten der spanischen Regierung von 1998 sprechen und verstehen mindestens 56  % der Valencianer die Regionalsprache. Das erste Autonomiestatut Valencias (Estatuto de Autonomía de la Comunidad Valenciana) wurde 1982 verabschiedet; Artikel 7 statuierte sowohl das Kastilische als auch das Valencianische als Amtssprachen der Region. Das valencianische Sprachgesetz von 1983 (Ley de Uso y Enseñanza del Valenciano), welches das Valencianische erstmals als „eigene Sprache“ bezeichnet, nimmt auf der Grundlage des Autonomiestatuts eine räumliche Gliederung bestehend aus dominant valencianischsprachigen und dominant kastilischsprachigen Gemeinden (municipales de predominio lingüístico valenciano/castellano) vor. Das dominant valencianischsprachige Gebiet umfasst demnach 293 Gemeinden, in denen nach dem Zensus von 2001 88,6  % der Bevölkerung der Autonomen Gemeinschaft leben. Das mehrheitlich kastilischsprachige Gebiet umfasst 143 Gemeinden und repräsentiert 11,4 % der Bevölkerung. Beide Gebiete erstrecken sich über die Provinzen Alicante, Castellón und Valencia. Das zweite, 2006 reformierte Autonomiestatut (Ley Orgánica 1/2006, de 10 de abril, de Reforma de la Ley Orgánica 5/1982) deklariert das Valencianische nun ebenfalls explizit als „eigene Sprache“. Absatz 2 statuiert zudem das Recht auf Unterricht des Valencianischen und auf Valencianisch. Bildung: Laut erstem Staatenbericht Spaniens basiert das valencianische Bildungssystem auf Zweisprachigkeit mit dem Ziel, dass jeder Schüler bis zum Ende der Schulpflicht äquivalente Kenntnisse sowohl des Kastilischen als auch des Valencianischen vorweisen kann. Der Unterricht beider Sprachen sei daher obligatorisch. Der Sachverständigenausschuss kam in seinem ersten Bericht jedoch zu dem Urteil, dass das bestehende Bildungssystem nicht den eingegangenen Verpflichtungen entspreche. Von den drei verschiedenen Bildungsmodellen bewertete er nur das zweite, bei welchem die Unterrichtssprache Valencianisch ist und das Kastilische progressiv eingeführt wird (inmersión lingüística), als ausreichend; dieses müsse auf dem gesamten Gebiet zur Verfügung stehen. Es mangele auch an qualifizierten Lehrern, kritisierte der Ausschuss weiter. Valencia betonte im zweiten Staatenbericht, dass im valencianischsprachigen Teil der Region überwiegend zweisprachige Modelle gewählt würden; im Schuljahr 2002/03 seien 23,3 % aller Schüler Valencias in der Regionalsprache unterrichtet worden. Zur Lehrerausbildung stünden zwei Dienste zur Verfügung, der Servicio de Formación del Profesorado und der Servicio de Enseñanza en Valenciano. Der Sachverständigenausschuss wiederholte indessen in seinem zweiten Bericht die Aufforderung, Bildungsmodelle einzurichten, die hauptsächlich das Valencianische als Unterrichtssprache vorsehen und diese überall zur Verfügung zu stellen. Valencia ging darauf im dritten Staatenbericht nicht ein, führte dagegen Daten auf, nach denen das Valencianische zunehmend gewählt wird.

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Justizbehörden: Spanien machte im ersten Staatenbericht keine substantiellen Angaben zur Implementierung der Charta in den valencianischen Justizbehörden. Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinem ersten Bericht den gesetzlichen Rahmen wie auch die praktische Umsetzung als unzureichend und empfahl, entsprechende Gesetze zu erlassen sowie für Aus- und Fortbildungsprogramme zu sorgen, um den Anteil des valencianischsprachigen Personals zu erhöhen. Valencia gab im zweiten Staatenbericht kaum präzise Informationen und beschränkte sich darauf, Angaben zu jährlich stattfindenden Sprachkursen für nach Valencia versetztes Personal zu machen. Der Sachverständigenausschuss monierte den Mangel an Informationen und verwies auf die im ersten Berichtszyklus ausgesprochenen Empfehlungen, da die genannten Probleme weiterhin Bestand hätten. Valencia gab im dritten Staatenbericht an, man verbessere die Präsenz des Valencianischen durch die Ausbildung des Personals, wofür ein spezieller Dienst (Servicio de Formación y Justicia Gratuita) eingerichtet worden sei. Bei Einstellungsverfahren würden Sprachkenntnisse positiv berücksichtigt. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Spanien gab im ersten Staatenbericht an, dass in Valencia sämtliche Verwaltungsbestimmungen auch in der Regionalsprache veröffentlicht würden; im Parlament würden beide Amtssprachen verwendet und für das Verwaltungspersonal seien Kenntnisse des Valencianischen vorgeschrieben. Die Regionalregierung zeichne für entsprechende Fortbildungen verantwortlich. Der Sachverständigenausschuss bat in seinem ersten Bericht um genauere Daten und fragte, ob und inwiefern die geltende sprachliche Zoneneinteilung sich auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Charta auswirke. Hinsichtlich der öffentlichen Dienstleistungen stellte der Sachverständigenausschuss bei seinem Vor-Ort-Besuch fest, dass es den Übersetzungsdiensten an Personal fehle. In den Fortbildungsprogrammen der Behörden mangele es überdies an Sprachkursen. Valencia beschränkte sich im zweiten Staatenbericht auf den Verweis auf seit 1995 jährlich gemeinsam mit den staatlichen Behörden organisierte Sprachkurse. Der Sachverständigenausschuss lobte diese Maßnahmen in seinem zweiten Bericht zwar, monierte jedoch den generellen Mangel an Informationen zu einer Vielzahl von Bestimmungen der Charta, weshalb es nicht möglich sei, ein Urteil zu fällen. Im dritten Staatenbericht gab Valencia an, für alle Angestellten im öffentlichen Dienst würden Kurse angeboten; Übersetzungen und sprachliche Beratungen würden überdies durch interne Einrichtungen, teilweise auch von externen Firmen bereitgestellt. Medien: Der erste Staatenbericht gab eine knappe Übersicht über die valencianische Medienlandschaft: So gebe es seit 1984 die öffentliche Fernseh- und Radioanstalt Radiotelevisión Valencia (RTVV), man fördere kulturelle Sendungen und subventioniere Verlage, die ganz oder zum Teil auf Katalanisch publizieren. Zugleich wies der Bericht darauf hin, dass die Printmedien in valencianischer

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Sprache nur eine geringe Rolle spielten. Der Sachverständigenausschuss bat in seinem ersten Bericht um Angaben zu den Fernsehkanälen Canal 9 und Punt 2 sowie zur Förderung privater Kanäle. Überdies empfahl er, die Schaffung einer auf Valencianisch erscheinenden Tageszeitung zu begünstigen. Valencia gab im zweiten Staatenbericht an, Canal 9 sende hauptsächlich auf Katalanisch (2005: 56,6  %), Punt 2 sogar ausschließlich. Ebenso die Radiosender Ràdio 9 und Sí Ràdio. Bei der Lizenzvergabe werde das Valencianische berücksichtigt. Zur sprachlichen Fortbildung von Journalisten biete RTVV spezielle Kurse an. Der Sachverständigenausschuss lobte die Bemühungen um Fortbildungsmaßnahmen und zeigte sich auch zufrieden mit dem öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioangebot, dennoch monierte er weiterhin das Fehlen einer valencianischsprachigen Tagespresse. Daraufhin gab Valencia im dritten Staatenbericht an, dass die valencianische Tagespresse dazu verpflichtet sei, die Online-Versionen ihrer Ausgaben auch auf Valencianisch anzubieten. Die Umstellung auf das Digitalfernsehen gehe mit der Einführung einer Valencianisch-Quote einher und man verhandele mit Katalonien über den gegenseitigen Rundfunkempfang. Ferner sei die Schaffung eines Rundfunkrates (Consell Audiovisual de la Comunitat Valenciana) geplant. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Im ersten Staatenbericht beschränkte sich Spanien auf die Nennung einiger Subventionen für Sprachförderungsmaßnahmen. Dem Sachverständigenausschuss fehlten dennoch Daten und Beispiele bezüglich der Vergabe von Subventionen. Für die Sprachpflege und Normierung sei die valencianische Sprachakademie (Acadèmia Valenciana de la Llengua) zuständig, stellte er fest. Valencia machte im zweiten Staatenbericht vielfältige Angaben über Subventionszahlungen und die Präsenz des Valencianischen bei kulturellen Tätigkeiten. Der Sachverständigenausschuss erbat in seinem zweiten Bericht Informationen zu kulturellen Aktivitäten außerhalb der Region, worauf Valencia im dritten Staatenbericht auf die Förderung valencianischer Kulturzentren in Brüssel, Argentinien und Uruguay verwies. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Sachverständigenausschuss kritisierte in seinen Berichten das Fehlen substantieller Informationen über die Anwendung der Charta sowohl im ersten als auch im zweiten Staatenbericht. Er stellte seinerseits fest, dass es zwar in der Gesetzgebung Valencias keine Sprachdiskriminierung gebe, jedoch sei unklar, ob Bestimmungen existierten, die diskriminierende Verordnungen auch explizit untersagen. Valencia ging darauf im dritten Staatenbericht nicht konkret ein, verwies indessen auf Kampagnen, die den Gebrauch des Valencianischen im sozioökonomischen Sektor fördern sollen. Grenzüberschreitender Austausch: Da der erste Staatenbericht keinerlei Informationen zu dieser Verpflichtung gab, wandte sich der Sachverständigenausschuss in Bezug auf das Katalanische bzw. Valencianische gleichermaßen an

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Katalonien, Valencia und die Balearischen Inseln. Aus dem zweiten Staatenbericht ging hervor, dass Valencia die Verpflichtung nur in Bezug auf das valencianische Katalanisch interpretiert und daher entsprechend nur angab, in der innerhalb der Nachbarregion Murcia liegenden Gemeinde Yecla Valencianischkurse anzubieten, da dort traditionell Sprecher der valencianischen Varietät des Katalanischen leben (vgl. 2.5.5.). Der Sachverständigenausschuss merkte in seinem zweiten Bericht jedoch an, dass die Förderung des Unterrichts in Murcia nicht den Verpflichtungen entspreche und bat um relevante Informationen über Kooperationen.

Balearen Im Zuge der Reformen der Autonomiestatute wurde das im Jahr 1983 erlassene Statut der Balearischen Inseln 2007 reformiert (Ley Orgánica 1/2007, de 28 de febrero, de reforma del Estatuto de Autonomía de las Illes Balears). Der die Sprachen betreffende Artikel 4 (vormals 3) wurde dabei nicht modifiziert. Er bezeichnet das Katalanische als „eigene Sprache“ („llengua pròpia“) und legt das Katalanische neben dem Kastilischen als Amtssprache der Balearen fest. Die Behörden werden in Absatz 3 damit beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, eine rechtliche Gleichheit beider Amtssprachen zu erreichen. Ergänzt wird das Autonomiestatut durch das 1986 verabschiedete Sprachgesetz der Balearen (Ley 3/1986 de normalización lingüística en las Islas Baleares). Nach einer Erhebung der Generaldirektion für Sprachpolitik (Direcció General de Política Lingüística) von 2003 verstehen 93,1 % der 804.800 zählenden Bevölkerung der Balearen das Katalanische, immerhin 46,9 % verfügen auch über eine Schreib- und Lesekompetenz. Bildung: Der erste Staatenbericht gab an, dass das Katalanische auf allen Ebenen des Bildungssystems implementiert sei und dabei auch die sprachlichen Eigenheiten der Inselregion berücksichtigt würden. Ziel sei es, dass jeder Schüler am Ende seiner Schulzeit beide Amtssprachen beherrscht. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem ersten Bericht präzisierend fest, dass das Schulsystem jeweils die Hälfte des Unterrichts in den beiden Amtssprachen vorsehe, womit die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt würden, da diese verlangten, den Unterricht hauptsächlich in der Regionalsprache zu halten. Auf die Empfehlung, das Bildungssystem entsprechend zu modifizieren, gingen die Balearen nicht ein, sondern erläuterten erneut das etablierte Modell. Der Sachverständigenausschuss wiederholte daher in seinem zweiten Bericht seine Empfehlung und äußerte sich zugleich besorgt über ein neues Dekret von 2006 (Decreto 52/2006, de 16 de junio, sobre medidas para fomentar la competencia lingüística en lenguas extranjeras […]), welches den Fremdsprachenunterricht zulasten des

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Unterrichts in katalanischer Sprache ausdehne. Positiv beurteilte er die Kooperationen der Balearen mit anderen katalanischsprachigen Regionen Spaniens und Frankreichs. Die Balearen fügten im dritten Staatenbericht hinzu, dass man seit 2008 Mitglied des katalanischen Institut Ramon Llull sei und sich darüber an der auswärtigen Förderung des Katalanischunterrichts beteilige. Ferner habe man – ähnlich wie Katalonien – einen Integrationsplan für die Kinder von Einwanderern geschaffen (Plan de Acogida, Integración y Refuerzo Educativa), der seit dem Schuljahr 2008/09 angewendet werde. Justizbehörden: Aus dem ersten Staatenbericht ging lediglich hervor, dass Sprachkenntnisse für das Personal der Justizbehörden von Vorteil bei der Einstellung seien. Dennoch kritisierte der Sachverständigenausschuss den Mangel an katalanischsprachigen Beamten und empfahl, die Situation insbesondere durch Fortbildungsmaßnahmen zu verbessern. Ferner monierte er, dass wichtige Gesetzestexte nur mit Verzögerung in Übersetzung erschienen. Die Balearen äußerten sich im zweiten Staatenbericht lediglich zur Übersetzung des spanischen Staatsanzeigers (Boletín Oficial del Estado) durch Katalonien, an der man sich finanziell beteilige. Der Sachverständigenausschuss monierte in seinem zweiten Bericht das Fehlen von Informationen zu den anderen Bestimmungen und wiederholte daher seine Empfehlungen aus dem ersten Berichtszyklus, wozu die Balearen jedoch auch im dritten Staatenbericht keine substantiellen Informationen boten. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbehörden: Der erste Staatenbericht gab an, dass Gesetzestexte in beiden Amtssprachen im regionalen Gesetz- und Verordnungsblatt (Butlletí Oficial de la Comunitat Autonoma de les Illes Balears) veröffentlicht würden. Für die Einstellung von Verwaltungspersonal seien Sprachkenntnisse ein Bewertungskriterium und Ortsbezeichnungen würden einzig auf Katalanisch angebracht, hieß es weiter. Der Sachverständigenausschuss gab sich zufrieden mit der Anwendung der Charta auf regionaler Ebene, bat aber um mehr Informationen zur lokalen und Provinzebene. Als beispielhaft bezeichnete er den Umgang mit Ortsbezeichnungen. Die Balearen gaben im zweiten Staatenbericht keine weiteren substantiellen Informationen, weshalb der Sachverständigenausschuss in seinem zweiten Bericht zu keinem Urteil kommen konnte. Im dritten Staatenbericht beschränkten sich die Balearen erneut auf die Angabe der einschlägigen Gesetzestexte. Medien: Der erste Staatenbericht Spaniens gab an, dass die Balearen die sprachliche Normalisierung des Katalanischen durch Subventionen fördere, indem sie die Produktion, Synchronisierung und Untertitelung von audiovisuellen Medien, von Theateraufführungen und anderen kulturellen Erzeugnissen sowie von Büchern unterstütze und dabei mit anderen Regionen kooperiere. Als einzige katalanischsprachige Tageszeitung nannte der Bericht den Diario de Balears. Der Sachverständigenausschuss monierte in seinem Bericht das Fehlen

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von Informationen zu öffentlichen und privaten Radio- und Fernsehsendern sowie zu sprachlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen von Journalisten. Die Balearen lieferten daraufhin im zweiten Staatenbericht ein ausführliches Bild ihrer Maßnahmen: Als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt fördere die Ens Públic de Radiotelevisió de les Illes Balears (IB3) das Katalanische; 80 % der eigenen Sendungen würden in katalanischer Sprache produziert und bei Fremdproduktionen synchronisiere man immerhin die Kinderprogramme. Der Fernsehsender von IB3 sende 60 %, der Radiosender gar 95 % seines Programms auf Katalanisch. Ferner seien seit 2004 die Sender Valencias und Kataloniens frei empfangbar. Journalisten würden regelmäßig Sprachtests unterzogen und fortgebildet. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem zweiten Bericht fest, dass der TV-Sender IB3 seine katalanischsprachigen Ausstrahlungen auf wenige Programme beschränkt habe und ein öffentlicher Radiosender, Som Radio, gar geschlossen worden sei. Allgemein monierte er, dass zu vielen Punkten keine oder nur mangelhafte Informationen geliefert worden seien. Im dritten Staatenbericht aktualisierten die Balearen ihre Angaben zum Rundfunkbereich: So sende IB3 ausschließlich auf Katalanisch. Zudem habe man mit dem Digitalfernsehen eine Katalanisch-Quote von mindestens 51 % für alle Sender eingeführt und 2009 den gegenseitigen Empfang von Fernsehsendern mit Katalonien vereinbart. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Erst der zweite Staatenbericht Spaniens benannte einige Aktivitäten des regionalen Kultusministeriums (Direcció General de Cultura), wie die Förderung von Veröffentlichungen, Ausstellungen und Theateraufführungen, doch genügten die Angaben dem Sachverständigenausschuss nicht, um zu einem Urteil gelangen zu können, wie er im zweiten Evaluationsbericht angab. Die Balearen beschränkten sich auch im dritten Staatenbericht auf die Auflistung einiger Förderprogramme. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der erste Staatenbericht informierte über Subventionszahlungen sowie über Maßnahmen, den Gebrauch des Katalanischen in der Werbung zu fördern. Strenge Richtlinien gebe es im Verbraucherschutz, der eine Betreuung von Kunden auf Katalanisch für Unternehmen mit mehr als drei Angestellten vorschreibt. Der Sachverständigenausschuss lobte diese Bestimmungen, monierte aber insgesamt den Mangel an Informationen. In seinem zweiten Bericht kritisierte er die Balearen scharf und wiederholte die Verpflichtung der Charta, über die Anwendung der Bestimmungen zu informieren, da die Regierung der Balearen im zweiten Staatenbericht überhaupt keine Informationen zu diesem Bereich geliefert hatte. Die Balearen verwiesen daraufhin im dritten Staatenbericht auf einen 2009 verabschiedeten allgemeinen Plan zur Implementierung des Katalanischen (Plan General de Normalización Lingüística), in dem auch die Förderung im sozioökonomischen Bereich vorgesehen sei.

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Grenzüberschreitender Austausch: Der Sachverständigenausschuss wandte sich wie schon hinsichtlich seines Berichts zu Valencia in seinem ersten Bericht gleichermaßen an Katalonien, Valencia und die Balearen, da der erste Staatenbericht über Kooperationen nicht informiert hatte. Im zweiten Staatenbericht gestand die Regierung der Balearen offen ein, dass die Förderung des Katalanischen außerhalb der Region wenig Raum innerhalb ihrer Politik einnehme, verwies aber auf die jährliche Teilnahme auf den Sprachmessen von Paris, Berlin und Lissabon, die Unterstützung eines Lehrstuhls „Illes Balears“ an der Universität Sheffield (Groß-Britannien) sowie Subventionen für Schüleraustausche mit Frankreich und der Stadt Alghero (Sardinien). Der Sachverständigenausschuss fragte in seinem zweiten Bericht nach geplanten Kooperationsverträgen mit Italien. Dazu machten die Balearen im dritten Staatenbericht jedoch keine Angaben, sondern informierten über die Mitgliedschaft in der Eurorégion Pyrénées-Méditerranée, die 2004 als Kooperation zwischen Aragón, Katalonien, den Balearen und den französischen Regionen Languedoc-Roussillon und MidiPyrénées entstanden ist, ebenso wie in deren Erweiterung im Rahmen des Europäischen Verbunds für territoriale Zusammenarbeit (Groupement européen de coopération territoriale) von 2009.

2.5 Nur durch Teil II geschützte Sprachen Wie bereits in Abschnitt 2.2. erläutert, benannte Spanien die zu schützenden Sprachen in seinem Ratifikationsinstrument nicht explizit, sondern verwies auf die Autonomiestatute. Da jedoch auch in den ersten beiden Staatenberichten wenig präzise Angaben gemacht wurden, war zunächst nicht ersichtlich, welche Sprachen vom Schutz durch Teil II der Charta profitieren sollten. Lediglich zum Asturischen in Asturien sowie zum Aragonesischen und zum Katalanischen in Aragón wurden einige Daten aufgelistet, die jedoch nicht auf konkrete Maßnahmen schließen ließen. Erst mit dem dritten Staatenbericht änderte sich die Sachlage grundlegend, da zu sämtlichen – auch den vom Europarat genannten – Sprachen in systematischer Weise Informationen aufgelistet wurden. So wurden im dritten Staatenbericht Spaniens die Situationen des in der Autonomen Stadt Ceuta gesprochenen arabischen Dialekts (dariya) und des in Melilla gesprochenen berberischen Dialekt (tamazight) beschrieben; man gab an, dass beide weder zum europäischen Kulturgut gehörten, noch traditionell in den beiden Städten gesprochen würden, sondern als Migrantensprachen nicht unter den Schutz der Charta fielen. Bezüglich des Judenspanischen (judeoespañol) stellte Spanien fest, dass dieses außer in folkloristischen Kontexten nicht mehr

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gesprochen werde und das Jiddische nur innerhalb einiger weniger Familien argentinischer Herkunft verwendet werde. Unter den Schutz durch Teil II der Charta fallen nach der Interpretation Spaniens die folgenden Sprachen: Aragonesisch und Katalanisch in Aragón; Asturisch und Galicisch in Asturien; Galicisch und Portugiesisch in Extremadura; Leonesisch, Galicisch und Portugiesisch in Kastilien-León; Valencianisch in Murcia sowie, als einzige „territorial nicht gebundene Sprache“, Romanes in Spanien. Bei der hier gebotenen Liste ist anzumerken, dass der Schutz des Portugiesischen nicht mehr als die Förderung des Unterrichts als (zweite) Fremdsprache darstellt; die Sprache der Roma war im ersten Staatenbericht noch vom Schutz ausgeschlossen worden, da es nur noch von weniger als 100 Personen in Spanien gesprochen werde; das Aranesische unterliegt seit dem dritten Berichtszyklus dem Schutz durch Teil III und wird daher in Abschnitt 2.4. behandelt.

2.5.1 Aragonesisch und Katalanisch in Aragón Das Aragonesische ist eine seit dem Frühmittelalter bezeugte romanische Sprache. Zwar wurde sie im Mittelalter auch als Verwaltungssprache des Königreichs Aragón verwendet, doch verlor sie ihren Status ab dem 16. Jahrhundert zugunsten des Kastilischen und ist heute eine v.a. auf die mündliche Kommunikation beschränkte Sprache, die in den ländlicheren Regionen Aragóns, v.a. in den Gemeinden Jacetania, Alto Gállego, Sobrarbe und Ribagorza, gesprochen wird. Das Katalanische wird im Osten der Autonomen Gemeinschaft, im Grenzgebiet zu Katalonien, von etwa 30.000 Sprechern gebraucht (vgl. Abschnitt 2.4.4.). Das reformierte Autonomiestatut der Autonomen Gemeinschaft Aragón von 2007 (Ley Orgánica 5/2007, de 20 de abril, de reforma del Estatuto de Autonomía de Aragón) verzichtet, wie schon das Autonomiestatut von 1982, auf eine explizite Nennung der Regionalsprachen und verweist in Artikel 7,1 an die Formulierung der spanischen Verfassung anknüpfend auf „die eigenen Sprachen und sprachlichen Eigenheiten“ („lenguas y modalidades lingüísticas“) Aragóns. Ebenfalls analog zum Statut von 1982 wird in Absatz 2 auf ein zu verabschiedendes Sprachgesetz verwiesen. Ein solches Sprachgesetz (Ley 10/2009, de 22 de diciembre, de uso, protección y promoción de las lenguas propias de Aragón) wurde nun erstmals 2009 vom Regionalparlament verabschiedet und trat 2010 in Kraft. Darin werden das Aragonesische und das Katalanische explizit genannt und in Artikel 2 als die „historischen, ursprünglichen und eigenen Sprachen“ („lenguas propias originales e históricas“) der Region apostrophiert. Das Gesetz sieht neben sprachlichen Rechten die Festlegung von Sprachzonen, die Einsetzung eines Sprachenrates (Consejo Superior de las Lenguas de Aragón) und von je einer Sprachakademie für

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das Aragonesische (Academia de la Lengua Aragonesa) und Katalanische (Academia aragonesa del Catalán) vor. Aragón informierte über die Verabschiedung des Sprachgesetztes im dritten Staatenbericht und kam damit erstmals den wiederholt ausgesprochenen Empfehlungen des Europarats nach. In Bezug auf das Aragonesische nannte der Bericht zudem diverse Forschungs- und Kulturprojekte, von denen zwei auch das Katalanische betreffen. Ferner hieß es, dass Abkommen oder Kooperationen hinsichtlich des Katalanischen mit Katalonien nicht getroffen worden seien, dass Katalonien jedoch seinerseits in Aragón abgelegte Katalanischprüfungen anerkenne.

2.5.2 Asturisch und Galicisch-Asturisch in Asturien Das Asturische ist eine romanische Sprache, die erstmals in Dokumenten des 12. Jahrhunderts bezeugt ist. Im 13. Jahrhundert war die Sprache auch in Rechtstexten und in der Literatur präsent, verlor ihren Status jedoch im 14. Jahrhundert an das Kastilische. Gemäß den Daten der asturischen Sprachakademie (Academia de la Llingua Asturiana) aus dem Jahr 2002 wird die Sprache heute noch von etwa 250.000 Sprechern, etwa einem Viertel der Bevölkerung der Region, verwendet. Des Weiteren wird in dem an Galicien grenzenden Westen Asturiens in einem landwirtschaftlich geprägten Gebiet zwischen den Flüssen Navia und Eo eine Varietät des Galicischen von etwa 40.000 Sprechern gebraucht. Die Zuordnung der dialektalen Varietät ist umstritten, was sich am sinnfälligsten in den verschiedenen Bezeichnungen manifestiert: Während die asturischen Behörden die Varietät als Galicisch-Asturisch (gallego-asturiano) bezeichnen, spricht man in Galicien vom ‚Galicischen in Asturien‘ (gallego en Asturias). Das zuletzt 1999 modifizierte Autonomiestatut des Prinzipats Asturien von 1981 (Ley Orgánica 7/1981, Estatuto de Autonomía para Asturias) gewährt dem Asturischen (auch hier als bable bezeichnet) in Artikel 4 Schutz und verweist auf ein 1998 erlassenes Sprachgesetz (Ley 1/1998, de 23 de marzo, de uso y promoción del bable/asturiano). Das Galicisch-Asturische wird im Statut nicht explizit genannt, doch statuiert Artikel 2 des Sprachgesetzes von 1998, dass dieses sich auch auf das Galicisch-Asturische, „dort, wo es den Charakter einer eigenen sprachlichen Eigenheit“ („en las zonas en las que tiene carácter de modalidad lingüística propia“) habe, erstreckt. Hinsichtlich des Asturischen stellte der Sachverständigenausschuss bei seinem ersten Vor-Ort-Besuch fest, dass die spanische Regierung es offenbar ablehnte, dem Asturischen den Status einer Amtssprache zu verleihen, obwohl die Sprache mittlerweile kodifiziert war. In beiden Berichten lobte er hingegen

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die Maßnahmen der asturischen Behörden zur Förderung der Sprache, welche über die Verpflichtungen durch Teil II weit hinausgingen. Der Empfehlung, auch auf Gesetzesebene das Schutzniveau anzuheben, schloss sich auch das Ministerkomitee an. Im dritten Staatenbericht gab Asturien weitere Informationen zur Implementierung der Sprache in den Bereichen Bildung, Verwaltung und Medien. So würde das Asturische an allen Schulen angeboten, bliebe jedoch ein freiwilliges Wahlfach. Für die Koordinierung der Sprachpolitik habe man eine Abteilung für Sprachpolitik (Dirección General de Política Lingüística) geschaffen, die auch einen Übersetzungsdienst (Unidad de Traducción) integriere. Auf lokaler Ebene würden Filialstellen (Servicios u Oficinas de Normalización) errichtet. In den Medien sei die Präsenz der Sprache durch die 2003 gegründete öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt (Ente Público de Comunicación del Principado de Asturias) gewährleistet. Private Sender und Presseorgane würden finanziell gefördert. Der Sachverständigenausschuss lobte in seinem ersten Bericht die gesetzliche Anerkennung des Galicisch-Asturischen und empfahl, angesichts der Kontroverse um die Sprachzugehörigkeit, die Identität des Galicisch-Asturischen stärker herauszustellen und für eine erhöhte Präsenz und Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu sorgen. In seinem zweiten Bericht stellte der Sachverständigenausschuss fest, dass sich die Situation der Sprache nicht verbessert habe, vielmehr Kooperationsangebote seitens galicischer Behörden von Asturien ignoriert würden. Im dritten Staatenbericht verwies Asturien auf die von der Academia de la Llingua Asturiana 2007 publizierte Orthographie des Galicisch-Asturischen (Normas ortográficas del gallego-asturiano). Da das Galicisch-Asturische derselben Gesetzgebung wie das Asturische unterliege, müsse es – innerhalb seines Verbreitungsgebietes – an allen Schulen angeboten werden, sei jedoch ein freiwilliges Fach. Zwei der Filialen der Abteilung für Sprachpolitik seien auch im Gebiet des Galicisch-Asturischen eröffnet worden. In den Medien werde die Sprache über Subventionen gefördert. Im Staatenbericht wurde in diesem Zusammenhang auch auf die Kritik galicischer Behörden hingewiesen, denen zufolge die Sprache in den Kommunikationsmedien des Gebietes völlig inexistent sei und überdies seit 2010 der Empfang galicischer Sender infolge des neu eingeführten digitalen Fernsehens nicht mehr ermöglicht werde. Ein anderes Bild zeichneten die asturischen Behörden, wenn sie angaben, im kulturellen Bereich etwa habe sich der Gebrauch der Sprache konsolidiert. Zum grenzüberschreitenden Austausch gab Asturien auch im dritten Staatenbericht lapidar an, keine Abkommen geschlossen zu haben.

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2.5.3 Galicisch und Portugiesisch in Extremadura Das mit dem Galicischen verwandte Portugiesische wird in einigen an Portugal grenzenden Gemeinden Extremaduras gesprochen, namentlich im Valle del Jálama, Herrera de Alcántara, Cedillo, Valencia de Alcántara sowie in La Codosera und Olivenza, wobei die Sprache teilweise zu verschwinden drohe, wie es im dritten Staatenbericht Spaniens hieß. Der Bericht gab ferner an, es handele sich bei den Sprechern v.a. um die Nachkommen von im 18. Jahrhundert eingewanderten Portugiesen. Die für das Portugiesische aufgeführten Maßnahmen beschränkten sich auf die Förderung der Sprache als Fremdsprache. In der Gesetzgebung findet das Portugiesische keinerlei Erwähnung. Des Weiteren wird in den drei Gemeinden Valverde del Fresno/Valverde do Fresno, Elijas/As Ellas und San Martín de Trevejo/San Martín de Trebello von etwa 5.000 Sprechern eine dialektale Varietät gesprochen, deren Zugehörigkeit zum Galicischen, zum Astur-Leonesischen oder auch zum Portugiesischen diskutiert wird. Während Galicien die Varietät als ‚Galicisch in Extremadura‘ bezeichnet, heben die Behörden Extremaduras ihre Eigenständigkeit hervor und bevorzugen in Anlehnung an die Sprecher selbst die Bezeichnung a fala (‚die Mundart‘). Das 2011 reformierte Autonomiestatut Extremaduras (Ley Orgánica 1/2011, de 28 de enero, de reforma del Estatuto de Autonomía de la Comunidad Autónoma de Extremadura) nennt die Minderheitensprache nicht. Explizit wurde die Sprache im Jahr 2001 per Gesetz (Decreto 45/2001, de 20 de marzo, por el que se declara Bien de Interés Cultural la A Fala) zum Kulturgut („bien de interés cultural“) erklärt. Der dritte Staatenbericht Spaniens bot erstmals Informationen zum Galicischen in Extremadura bzw. zu a fala. So hätten sich Interesse und Bewusstsein bei den Sprechern erst infolge eines Kongresses zu der Sprache im Jahr 1999 entwickelt. Im Rahmen des Programmes „A fala na escuela“ („A fala in der Schule“) sei die Integration der Sprache in das Schulwesen der drei Gemeinden geplant. Extremadura fördere die Veröffentlichung von Büchern zu a fala sowie die Inszenierung von Theaterstücken, ferner sei ein Museum zu der Sprache in San Martín de Trebello geplant. Die Real Academia Galega kritisierte in dem Bericht ihrerseits, dass a fala weder in den Medien noch in der lokalen Verwaltung präsent sei.

2.5.4 Leonesisch, Galicisch und Portugiesisch in Kastilien-León Das Leonesische ist eine mit dem Asturischen eng verwandte romanische Sprache, die Schätzungen zufolge von 25.000 bis 50.000 Sprechern in den Provinzen León und Zamora der Autonomen Gemeinschaft Kastilien-León gesprochen wird. Das Galicische wird im nordwestlichen, an Galicien grenzenden Teil der Provinz León

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in den ländlichen Zonen des Distrikts El Bierzo von etwa 22.000 Sprechern sowie von rund 1.500 Sprechern in der Provinz Zamora gebraucht. Ferner gibt es in den an Portugal grenzenden Gemeinden A Bouza und Alamedilla Sprecher des Portugiesischen. Das 2007 reformierte Autonomiestatut Kastilien-Leóns (Ley Orgánica 14/2007, de 30 de noviembre, de reforma del Estatuto de Autonomía de Castilla y León) enthält erstmals einen Artikel zu den Sprachen bzw. dem sprachlichen Kulturerbe der Gemeinschaft. So definiert Artikel 5,1 zunächst das Kastilische als wertvollstes Kulturgut („acervo histórico y cultural más valioso“) der Region, dem das Leonesische, ebenfalls als ein sprachliches Kulturgut der Region, in Absatz 2 untergeordnet wird. Absatz 3 ergänzt, dass das Galicische dort zu schützen sei, wo es „gewöhnlich gebraucht“ werde („en los lugares en que habitualmente se utilice“). Nachdem der Sachverständigenausschuss im zweiten Berichtszyklus um Informationen über das seit der Reform des Autonomiestatuts erstmals rechtlich anerkannte Leonesische gebeten hatte, benannte Kastilien-León im dritten Staatenbericht das Instituto Castellano y Leonés de la Lengua als die für den Schutz und die wissenschaftliche Erforschung des Leonesischen zuständige Institution, wenngleich sich die aufgeführten Maßnahmen ausschließlich auf die Ausrichtung von wissenschaftlichen Kongressen beschränkte. Im Kontakt mit den Behörden, so räumte der Bericht ein, werde die Sprache nicht verwendet. Nachdem im ersten Berichtszyklus noch nicht genügend Informationen über Status und Situation des Galicischen in Kastilien-León vorgelegen hatten, erbaten sowohl der Sachverständigenausschuss in seinem zweiten Evaluationsbericht als auch das Ministerkomitee genauere Informationen zum Status der Sprache. Der Sachverständigenausschuss lobte ferner eine bestehende Kooperation mit Galicien, im Rahmen derer das Galicische seit 2002 in einigen Grundschulen von El Bierzo unterrichtet werde. Er empfahl daraufhin, auch für eine Implementierung im Sekundarbereich zu sorgen. Der dritte Staatenbericht Spaniens ergänzte, dass das Galicische als freiwilliges Fach angeboten werde und die Kooperation mit Galicien in den Jahren 2006 und 2009 erneuert und erweitert worden sei. Im Schuljahr 2009/10 seien 1.096 Schüler in Galicischkurse eingeschrieben gewesen. Galicien merkte ferner an, dass mit der Umstellung auf das digitale Fernsehen der Empfang des galicischen Rundfunks nicht ermöglicht werde. Das Portugiesische, das im Autonomiestatut (s.o.) nicht erwähnt wird, fand erstmals im dritten Staatenbericht Spaniens Erwähnung, ohne dass konkrete Maßnahmen zum Schutz der traditionell gebrauchten Sprache aufgeführt werden. So heißt es, zum Gebrauch lägen nur wenige Daten vor. Die aufgelisteten Informationen beziehen sich auf den Unterricht als (zweite) Fremdsprache.

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2.5.5 Valencianisch in Murcia Das Valencianische wird außerhalb Valencias auch in den landwirtschaftlich geprägten Gemeinden Yecla, Jumilla und Abanilla gebraucht (vgl. Abschnitt 2.4.4.). Sprecherzahlen wurden bislang nicht erhoben, die Anzahl der Einwohner der drei Gemeinden beträgt insgesamt 647. Das Valencianische verfügt über keinerlei rechtliche Anerkennung in der Autonomen Gemeinschaft Murcia. Aus dem dritten Staatenbericht Spaniens ging hervor, dass sich Fördermaßnahmen auf Sprachkurse beschränken, die auf Anfrage der Gemeinde Yecla durch die valencianische Sprachakademie (Academia Valenciana de la Lengua) seit 2005 organisiert werden.

2.5.6 Romanes Traditionell wird in Spanien eine dialektale Varietät des Romanes gesprochen, die man als caló, teilweise auch als romanó oder romanó-caló bezeichnet und die sich wiederum in diverse dialektale Formen gliedert, die jeweils durch den Sprachkontakt mit dem Spanischen und den übrigen Regionalsprachen geprägt sind: So gibt es etwa ein katalanisch geprägtes caló und ein baskisch geprägtes, das man als erromintxela bezeichnet. Nachdem Spanien in seinem ersten Staatenbericht angegeben hatte, caló werde praktisch nicht mehr gesprochen, alle Roma seien kastilischsprachig, geht erst der dritte Staatenbericht auf Bitten des Europarats wieder auf die Sprachen der Roma ein. Demnach lebten etwa 650.000 Roma in Spanien, die alle das Kastilische und teilweise auch die jeweiligen Regionalsprachen beherrschten. Zwar gebe es keine genauen Sprecherzahlen, doch schätze man die Zahl der calóSprecher auf etwa 1.000 in ganz Spanien. Hinzu kämen rund 30.000 Sprecher des Romanes, die in jüngerer Zeit eingewandert seien. Folglich fallen nur das in Spanien als caló bezeichnete Romanes und seine dialektalen Varietäten unter den Schutz durch Teil II der Charta. Insgesamt problematisch und nicht immer klar unterscheidbar sind die Förderung und der Schutz der Kultur der Roma von Maßnahmen, die die Sprache betreffen. Im Folgenden wird versucht, v.a. die für die Sprache relevanten Maßnahmen darzustellen. Im dritten Staatenbericht Spaniens heißt es, Spanien erkenne die Kultur der Roma – auch als Teil der spanischen Kultur – an und fördere diese. Konkret seien 2005 ein Rat des Volkes der Roma (Consejo Estatal del Pueblo Gitano) und ein Kulturinstitut (Instituto de Cultura Gitana) geschaffen worden. Ferner finden sich in dem Bericht Angaben zu analogen Institutionen und Projekten auf regionaler Ebene, v.a. in Katalonien, Madrid, Extremadura und im Baskenland. Maßnahmen

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auf staatlicher Ebene betrafen die Herausgabe diverser Schriften, darunter auch Übersetzungen der wichtigsten Rechtstexte auf romanó-caló, einige NGOs hätten Sprachkurse organisiert und durch Konferenzen und Artikel versuche man, die Sprache zu verbreiten; hervorzuheben sei darunter das Projekt „Sar san?“ („Wie geht’s?“) des Kulturinstituts. Das Bildungsministerium fördere überdies die Herausgabe von zwei Zeitschriften, von denen eine (O Tchatchipen) teilweise auf Romanes verfasst würde. Auf regionaler Ebene führte Katalonien konkrete Maßnahmen zur Förderung der Sprache auf, die im Rahmen von Integrationsplänen für die Roma vorgesehen sind: Man versuche v.a. über Sprachkurse und didaktische Materialien das beinahe verschwundene Romanes in Katalonien wiederzubeleben und neu zu verbreiten.

3 Bewertung Die Tatsache, dass das Vielsprachenland Spanien die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats unterzeichnete und ratifizierte, vermag kaum zu überraschen. Bedenkt man, dass die junge Demokratie seit ihrer Konstituierung 1978 den wichtigsten internationalen und europäischen Institutionen beitrat, so ist es nur nahe liegend, dass sich das Land auch über den kulturellen Schutz von Regional- und Minderheitensprachen im Sinne der Charta auf europäischer Ebene profilieren will. Der Verzicht auf eine explizite Nennung der zu schützenden Sprachen im Ratifikationsinstrument erklärt sich durch die kluge Einbeziehung der Autonomen Gemeinschaften: Insbesondere die sog. „historischen“ Gemeinschaften, d.h. Galicien, das Baskenland und Katalonien, deren Identität sich nicht zuletzt durch die jeweils „eigene Sprache“ definiert, sollen über ihre Autonomiestatute und die Entwicklung eigener Sprachpolitiken selbst über die Auswahl der Sprachen bestimmen; demgegenüber verhält sich der Gesamtstaat abwartend tolerant. Die sich in dieser Haltung artikulierende Passivität der gesamtstaatlichen, die Regionalsprachen betreffenden Sprachpolitik kann auch begründen, weshalb die für die Erstellung des ersten Staatenberichts verantwortliche konservative Regierung Aznar aus dem Maßnahmenkatalog der Charta beinahe ausnahmslos die dem höchsten Standard entsprechenden Verpflichtungen übernahm und selbstbewusst erklärte, der Schutz und die Förderung der spanischen Regional- und Minderheitensprachen übersteige bereits bei Weitem den vom Europarat geforderten Schutzstandard. Mit dem Regierungswechsel 2004 erlebte die Sprachpolitik und vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Autonomen Gemeinschaften und dem Gesamt-

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staat einerseits und zwischen dem Gesamtstaat und dem Europarat andererseits eine entscheidende Richtungsänderung und führte zu einer aufgeschlosseneren Haltung Spaniens gegenüber seinen Regionalsprachen (vgl. Lebsanft 2008): Die sozialistische, weniger nationalistisch-zentralistisch orientierte Regierung unter der Führung José Luis Rodríguez Zapateros war in hohem Maße auf den Rückhalt regional(istisch)er Parteien angewiesen. Die sprachpolitische Richtungsänderung Zapateros manifestierte sich bereits in den ausführlichen Erörterungen des zweiten, stärker noch in dem knapp 1.000 Seiten umfassenden dritten Staatenbericht; beide Berichte setzten sich aus den Angaben der Autonomen Gemeinschaften, ergänzt durch Informationen staatlicher Behörden zusammen. Nach dem Regierungswechsel in der Folge der Wahlen vom 20.11.2011 bleibt abzuwarten, in welcher Form sich der bisherige Dialog zwischen dem Europarat und Spanien nun unter der konservativen Regierung Mariano Rajoys weiterentwickeln wird. Allgemein lässt sich zur Situation der Regionalsprachen in Spanien konstatieren, dass besonders solche, die in den jeweiligen Autonomen Gemeinschaften Mehrheitssprachen darstellen, von einer besonders guten Förderung profitieren. Dies trifft v.a. auf die „eigenen Sprachen“ Kataloniens und des Baskenlandes, aber auch Galiciens und der Balearen sowie Asturiens zu. Benachteiligt sind hingegen all die Sprachen und Varietäten, die in ihren Regionen nur durch eine (politisch unbedeutende) Minderheit repräsentiert werden, wie etwa das Baskische in Navarra, das Galicisch(-Asturische) in Asturien, das Katalanische in Aragón sowie – eingeschränkt – auch in Valencia. Eine Ausnahme stellt das Aranesische dar, das durch das reformierte Autonomiestatut Kataloniens von 2006 sogar zur Amtssprache der gesamten Autonomen Gemeinschaft erklärt wurde und einen exzellenten Schutz genießt, wenngleich es nur etwa 8.000 Sprecher zählt und sein Gebiet auf ein kleines Tal begrenzt ist. Zu erklären ist diese Sonderstellung zweifellos mit den sprachpolitischen Interessen Kataloniens auf nationaler und nicht zuletzt auch auf europäischer Ebene. Ob und inwieweit die Anwendung der Charta bislang zu konkreten, tatsächlich auf den Einfluss des Europarats zurückgehende Verbesserungen im Schutz und bei der Förderung der Regionalsprachen führen konnte, zeichnet sich im Falle Spaniens erst mit dem Beginn des dritten Berichtszyklus (2010) ab. Mit dem Staatenbericht wird ersichtlich, dass gegenüber dem zweiten Bericht nicht nur die regionalen Behörden, sondern zunehmend auch die staatlichen Behörden konstruktiv zur Implementierung der Charta beitragen. Beispielhaft kann dazu die Schaffung zahlloser neuer Institutionen und Abteilungen zur Förderung der Regionalsprachen genannt werden. So zeugt auch der auf staatlicher Ebene gegründete Rat der Amtssprachen vom Einfluss der Charta, verweist dessen Gründungsdekret (Real Decreto 905/2007, de 6 de julio, por el que se crean el Consejo de las Lenguas Oficiales en la Administración General del Estado y la Oficina para las

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Lenguas Oficiales) doch explizit auf die Empfehlungen des Europarats. Das spanische Beispiel verdeutlicht insofern, dass der Wert der Charta sich anhand der Berichtszyklen bemisst, die es erlauben, Verbesserungen in der Sprachförderung in regelmäßigen Abständen nachzuvollziehen und zu evaluieren. Abgesehen von allgemeinen Tendenzen ist es indessen nicht möglich, ein globales Urteil über den Fortschritt der Anwendung zu fällen, insbesondere weil die Zuständigkeiten sich in Spanien über eine Vielzahl von Regionen und Behörden verteilen. So zeigt sich anhand des bisherigen Berichtszeitraumes (2001–2010), dass die Passivität des Gesamtstaates zwar im Bereich der Verwaltungsbehörden nachlässt, jedoch im staatlichen Justizwesen in Form von mangelnder Kooperationsbereitschaft weiter anhält. Der weiterhin fehlende Anreiz für Richter und höhere Beamte, im Rahmen des Rotationssystems die Regionalsprachen zu erlernen, steht der Erfüllung aller Bestimmungen von Artikel 9 der Charta damit nach wie vor entgegen. Als vorhersehbar kann die weitgehende Wirkungslosigkeit der Charta im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Lebens (Art. 13) gelten, da dieser nicht oder nur bedingt von Seiten der Politik beeinflussbar ist. Weitgehend positiv sind indessen die Fortschritte im Bereich des Sprachausbaus zu bewerten, welcher in fast allen Autonomen Gemeinschaften mit Regional- oder Minderheitensprachen zum Teil sogar durch eigene Institutionen (z.B. TERMIGAL, TERMCAT) oder auch innerhalb des Aufgabenbereichs der jeweiligen Sprachakademien (z.B. die Real Academia de la Lengua Vasca oder die Academia de la Llingua Asturiana) im Bereich des (Fach-) Wortschatzes vorangetrieben wird. Für die auch durch Teil III geschützten Sprachen ist es wichtig, die Bevölkerungszusammensetzung in den einzelnen Regionen zu betrachten. Generell kann gelten, dass eine Sprache, die von einer Mehrheit gesprochen wird, sich in einer privilegierteren Situation befindet als solche, mit denen sich nur ein kleinerer Teil der Bevölkerung identifiziert. Größere Fortschritte sind daher für Katalonien, das Baskenland und Galicien sowie eingeschränkt auch die Balearen festzustellen; in Navarra und Valencia werden Fortschritte mitunter durch den Widerstand der jeweils regierenden Parteien verlangsamt, wie die restriktive Politik Navarras hinsichtlich der baskischsprachigen Privatschulen (ikastolas), die erst infolge des anhaltenden Drucks des Europarats anerkannt wurden, beispielhaft verdeutlicht. Im Bereich der Medien ist die Umstellung auf das digitale Fernsehen und die damit einhergehende Einführung von Mindestquoten für den Gebrauch der Regionalsprachen in allen Regionen gleichsam interessant zu beobachten. Erwartungsgemäß kann Katalonien in beinahe allen Punkten eine vorbildhafte Förderung vorweisen, die zum Teil tatsächlich über die Verpflichtungen der Charta hinausgeht; besonders auffällig sind die Bemühungen auch über die Grenzen der Region hinaus, wie die Arbeit des Institut Ramon Llull oder

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auch die Etablierung einer katalanischen Repräsentation in Frankreich für eine grenzüberschreitende Koordination der Sprachpolitik verdeutlichen. Das in Katalonien seit dem dritten Berichtszyklus ebenfalls durch Teil III geschützte Aranesische profitiert, trotz seiner geringen Sprecherzahl, ganz offenkundig von den Ambitionen der katalanischen Generalitat. Valencia und die Balearen fallen besonders im Bereich der Schulbildung auf, da ihre Bildungsmodelle nicht den Verpflichtungen der Charta entsprechen. Die nur durch Teil II der Charta geschützten Sprachen wurden infolge der wiederholten Nachfragen des Sachverständigenausschusses von Spanien erstmals im dritten Staatenbericht systematisch berücksichtigt. Dass dieser Bereich vom Europarat nicht vernachlässigt wird, verdeutlichen die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats (drei von sechs Empfehlungen betreffen nur durch Teil II geschützte Sprachen). Will man die Qualität der Förderung der einzelnen Sprachen bewerten, so zeigt sich ein noch breiteres Spektrum als für die oben genannten Sprachen. Während etwa das Asturische in Asturien einen sehr hohen gesellschaftlichen und rechtlichen Status genießt, wird dieser dem Galicischen (/Galicisch-Asturischen) nur symbolisch zuteil. Äußerst fragwürdig erscheint überdies die Forderung des Sachverständigenausschusses, die Identität des Galicischen in Asturien herauszustellen, denn die in der Folge von der Academia de la Llingua Asturiana 2007 publizierte Orthographie des GalicischAsturischen (Normas ortográficas del gallego-asturiano) schafft eine Kluft zum Galicischen, die kaum im Interesse der Sprecher liegen kann. Hier zeichnen sich überdies Interessenkonflikte zwischen den sich verantwortlich fühlenden galicischen Behörden und Asturien ab, die sich im dritten Staatenbericht deutlich manifestieren. Die Förderung des Valencianischen in Murcia sowie des Galicischen in Kastilien-León beschränkt sich auf Bildungsangebote in einigen Schulen; in Extremadura, wo das Galicische als a fala bezeichnet wird, hat der Sprachenschutz hingegen rein folkloristische Züge angenommen, wie etwa das geplante Museum in der Gemeinde San Martín de Trevejo demonstriert. Weniger folkloristisch als vielmehr wissenschaftlich erscheint in den Staatenberichten das Interesse Kastilien-Leóns am Schutz des Leonesischen. Das Portugiesische wird in Kastilien-León und Extremadura offenbar nur als Fremdsprache in den Schulen gefördert, nicht jedoch als Regionalsprache. Eine Sonderstellung nimmt das von Spanien erst im dritten Staatenbericht wirklich berücksichtigte Romanes bzw. caló ein: Als einzige nicht territorial gebundene Sprache wird es sowohl durch staatliche als auch durch einige regionale Institutionen geschützt, wobei Sprachenschutz und allgemeiner Minderheitenschutz nicht klar von einander differenzierbar sind. Darüber hinaus zielen die Bemühungen weniger auf den Erhalt als auf die ‚Wiederbelebung‘ der Sprache, die nur noch von rund 1.000 Roma gesprochen wird.

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Will man die Zukunftsperspektiven der geschützten Sprachen beurteilen, so lässt sich keine globale Aussage treffen. Schon die Ausgangssituation der verschiedenen Sprachen stellt sich äußerst heterogen dar. Sprachen wie das Katalanische und teilweise auch das Galicische und Baskische blicken auf eine Literaturtradition zurück und können als Ausbausprachen betrachtet werden. Andere, wie das Asturische oder das Aragonesische, wurden fast ausschließlich mündlich tradiert und können die Anforderungen einer Schriftsprache bislang kaum erfüllen, wobei gerade das Asturische mittlerweile über eine Kodifizierung von Wortschatz und Grammatik verfügt und sich die Schriftlichkeit der Sprache in den letzten Jahren ausgedehnt hat. Nach den Sprecherzahlen sind – auf ganz Spanien bezogen – nur zwei Sprachen von einem Verschwinden bedroht: Zum einen gilt das Aragonesische aufgrund seiner gesellschaftlich marginalisierten Rolle als gefährdet, zum anderen stellt sich die Situation für das Aranesische als kritisch dar, da dessen Sprecherzahl äußerst gering ist und ein langfristiges Überleben daher in Zweifel gezogen werden kann. Schwierig stellt sich bezogen auf die Regionen aber auch die Situation der kleinen Sprechergruppen größerer Sprachen dar, wie das Galicische in Extremadura und in Kastilien-León oder das Valencianische in Murcia.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique de l’Espagne, 23.9.2002. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique de l’Espagne, 30.4.2007. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique de l’Espagne, 30.7.2010. [= 3. Staatenbericht] Addendum 1 (The Basque Language in the Basque Autonomous Community. Additional information for the Expert Committee), 26.9.2007. [= Addendum des Baskenlandes zum 2. Staatenbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 8.4.2005. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d’évaluation du Comité d’experts, 4.4.2008. [= 2. Evaluationsbericht] Recommandation du Comité des Ministres, 21.9.2005. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Recommandation du Comité des Ministres, 10.12.2008. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

Spanien 

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4.1.2 Weitere Quellen Autonome Gemeinschaft Aragón: „Ley 10/2009, de 22 de diciembre, de uso, protección y promoción de las lenguas propias de Aragón“. In: Boletín Oficial de Aragón (BOA) 252, 30.12.2009. Autonome Gemeinschaft Balearische Inseln: „Ley 3/1986, de 29 de abril, de normalización lingüística en las Islas Baleares“. In: Boletín Oficial de las Islas Baleares (BOIB) 15, 20.5.1986. Autonome Gemeinschaft Balearische Inseln: „Decreto 52/2006, de 16 de junio, sobre medidas para fomentar la competencia lingüística en lenguas extranjeras de los alumnos de los centros no universitarios de las Illes Balears sostenidos con fondos públicos“. In: Boletín Oficial de las Islas Baleares (BOIB) 87, 20.6.2006: 79–82. Autonome Gemeinschaft Baskenland: „Decreto 123/2008, de 1 de julio, sobre los derechos lingüísticos de las personas consumidoras y usuarias“. In: Boletín Oficial del País Vasco (BOPV) 135, 16.7.2008: 18653–18669. Autonome Gemeinschaft Extremadura: „Decreto 45/2001, de 20 de marzo, por el que se declara Bien de Interés Cultural la ‚A Fala‘“. In: Diario Oficial de Extremadura (DOE) 36: 2859–2860. Autonome Gemeinschaft Galicien: „Ley 3/1983, de 15 de junio, de normalización lingüística“. In: Diario Oficial de Galicia (DOG) 84, 14.7.1983. Autonome Gemeinschaft Galicien: „Ley 13/2007, de 27 de julio, de modificación de la Ley 4/1988, de 26 de mayo, de la función pública de Galicia“. In: Diario Oficial de Galicia (DOG) 165, 27.7.2007. Autonome Gemeinschaft Katalonien: „Ley 1/1998, de 7 de enero, de Política Lingüística“. In: Diario Oficial de la Generalitat de Catalunya (DOGC) 2553, 9.1.1998. Foralgemeinschaft Navarra: „Ley Foral 18/1986, de 15 de diciembre del vascuence“. In: Boletín Oficial de Navarra (BON) 154, 17.12.1986. Foralgemeinschaft Navarra: „Decreto Foral 372/2000, de 11 de diciembre, por el que se regula el uso del vascuence en las Administraciones Públicas de Navarra“. In: Boletín Oficial de Navarra (BON) 3, 5.1.2001. Fürstentum Asturien: „Ley 1/1998, de 23 de marzo, de uso y promoción del bable/asturiano“. In: Boletín Oficial del Principado de Asturias (BOPA) 73, 28.3.1998. Königreich Spanien: „Constitución Española“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 311, 29.12.1978: 29313–29424. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 3/1979, de 18 de diciembre (Jefatura del Estado), de Estatuto de Autonomía para el País Vasco“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 306, 22.12.1979: 29357–29363. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 4/1979, de 18 de diciembre, de Estatuto de Autonomía de Cataluña“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 306, 22.12.1979: 29363–29370. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 1/1981, de 6 de abril, Estatuto de Autonomía de Galicia“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 101, 28.4.1981: 8997–9003. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 7/1981, de 30 de diciembre, de Estatuto de Autonomía para Asturias“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 9, 11.1.1982: 524–530. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 5/1982, de 1 de julio, de Estatuto de Autonomía de la Comunidad Valenciana“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 164, 10.7.1982: 18813–18820. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 8/1982, de 10 de agosto, de Estatuto de Autonomía de Aragón“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 195, 16.8.1982: 22033–22040.

380 

 Felix Tacke

Königreich Spanien: „Ley Orgánica 2/1983, de 25 de febrero, de Estatuto de Autonomía para las Illes Balears“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 51, 1.3.1983: 5776–5783. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 1/2001, de 26 de marzo, por la que se modifica la Ley Orgánica 13/1982, de 10 de agosto, de Reintegración y Amejoramiento del Régimen Foral de Navarra“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 75, 28.3.2001: 11508–11509. Königreich Spanien: „Instrumento de ratificación de la Carta Europea de las Lenguas Regionales o Minoritarias, hecha en Estrasburgo el 5 de noviembre de 1992“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 222, 15.9.2001: 34733–34749. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 19/2003, de 23 de diciembre, de modificación de la Ley Orgánica 6/1985, de 1 de julio, del Poder Judicial“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 309, 26.12.2003: 46025–46095. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 1/2006, de 10 de abril, de Reforma de la Ley Orgánica 5/1982, de 1 de julio, de Estatuto de Autonomía de la Comunidad Valenciana“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 86, 11.4.2006: 13934–13954. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 6/2006, de 19 de julio, de reforma del Estatuto de Autonomía de Cataluña“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 172, 20.7.2006: 27269–27310. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 1/2007, de 28 de febrero, de reforma del Estatuto de Autonomía de las Illes Balears“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 52, 1.3.2007: 8703–8728. Königreich Spanien: „Ley 7/2007, de 12 de abril, del Estatuto Básico del Empleado Público“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 89, 13.4.2007: 16270–16299. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 5/2007, de 20 de abril, de reforma del Estatuto de Autonomía de Aragón“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 97, 23.4.2007: 17822–17841. Königreich Spanien: „Real Decreto 905/2007, de 6 de julio, por el que se crean el Consejo de las Lenguas Oficiales en la Administración General del Estado y la Oficina para las Lenguas Oficiales“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 172, 19.7.2007: 31373–31375. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 14/2007, de 30 de noviembre, de reforma del Estatuto de Autonomía de Castilla y León“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 288, 1.12.2007: 49486–49505. Königreich Spanien: „Ley Orgánica 1/2011, de 28 de enero, de reforma del Estatuto de Autonomía de la Comunidad Autónoma de Extremadura“. In: Boletín Oficial del Estado (BOE) 25, 29.1.2011: 9466–9503. Valencianische Gemeinschaft: „Ley 4/1983, de 23 de noviembre, de Uso y Enseñanza del Valenciano“. In: Diari Oficial de la Comunitat Valenciana (DOCV) 133, 1.12.1983.

4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Lebsanft, Franz: „¿Europeización de los conflictos lingüísticos españoles? Las Españas central y periférica ante la Carta europea de las lenguas regionales o minoritarias“. In: Kirsten Süselbeck / Ulrike Mühlschlegel / Peter Masson (Hrsg.): Lengua, Nación e Identidad. La regulación del plurilingüismo en España y América Latina, Madrid/Frankfurt: Vervuert 2008: 111–130.

Spanien 

 381

Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 22006. Viaut, Alain: „Pertinence sociolinguistique de la notion de langue propre à l’extérieur de l’Espagne?“. In: Quo vadis Romania 23, 2004: 92–103.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (i), b (i), c (i), d (i), e (iii), f (i), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (i–iv), b (i–iii), c (i–iii), d; 2a; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (i), b, c; 2a–g; 3a, b; 4a–c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (i), b (i), c (i), d, e (i); 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–h; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a–d; 2a–e

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Tilman Berger (Tübingen)

Tschechische Republik (Česká republika) 1 Vorgeschichte Die Tschechische Republik hat eine lange staatliche Tradition. Ab dem 9. Jahrhundert bildete sich auf dem heutigen Territorium das Herzogtum Böhmen heraus, das Teil des Römischen Reiches und seit 1198 erbliches Königreich war. Ab 1526 waren die Habsburger Könige von Böhmen, wobei diese Herrschaft zunächst als Personalunion gedacht war, im Laufe der Zeit aber zu einer immer stärkeren Integration der böhmischen Länder führte, insbesondere nach der Gründung des Kaisertums Österreich. Im Gefolge des Ersten Weltkriegs wurde dann am 28.10.1918 die erste Tschechoslowakische Republik (Československá republika) ausgerufen, ein Zentralstaat, auf den nach dem Münchner Abkommen ab dem 1.10.1938 die föderal organisierte kurzlebige zweite Tschechoslowakische Republik folgte. Nachdem sich am 14.3.1939 der Slowakische Staat unabhängig erklärt hatte, wurde das restliche Staatsgebiet vom Deutschen Reich besetzt und zum Protektorat Böhmen und Mähren deklariert. Nach der Befreiung wurde die Tschechoslowakei als Staat erneuert, zunächst als (dritte) Tschechoslowakische Republik, ab dem 11.7.1960 als Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR). Diese wurde zum 1.1.1969 in einen Föderalstaat umgewandelt, der aus zwei Teilgebilden, der Tschechischen und der Slowakischen Republik, bestand und nach der Samtenen Revolution ab dem 29.3.1990 den Namen Tschechoslowakische Föderative Republik erhielt. Ab dem 23.4.1990 hieß dieser Staat dann Tschechische und Slowakische Föderative Republik. Er wurde zum 31.12.1992 in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst, die heutige Tschechische Republik existiert seit dem 1.1.1993 unter diesem Namen. Die Tschechische und Slowakische Föderative Republik trat am 21.2.1991 dem Europarat bei und ratifizierte eine große Anzahl internationaler Abkommen. Die Mitgliedschaft wurde aber nicht automatisch auf die beiden Nachfolgestaaten übertragen. So wurde die Tschechische Republik am 30.6.1993, gleichzeitig mit der Slowakischen Republik, erneut als Mitglied aufgenommen. Die Tschechische Republik stellte ferner am 17.1.1996 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU). Nach den erfolgreich verlaufenen Beitrittsverhandlungen und einem Referendum vom 13./14.6.2003 wurde die Tschechische Republik schließlich zum 1.5.2004 in die EU aufgenommen.

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 Tilman Berger

Auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik haben seit Beginn der historischen Überlieferung immer auch andere Völker gesiedelt. Die Ansiedlung von Juden ist schon seit dem 9.  Jahrhundert belegt, die deutsche Ostsiedlung begann im 13. Jahrhundert und hatte zur Folge, dass der Anteil der deutschen Bevölkerung zeitweise bis ca. 30 % betrug. Schließlich ist auch die Minderheit der Roma in Böhmen ab dem frühen 15. Jahrhundert belegt. Dementsprechend hat sich in den Böhmischen Ländern auch schon früh die Frage nach Sprachenrechten gestellt. Das Tschechische wurde ab dem letzten Drittel des 13.  Jahrhunderts als Schriftsprache verwendet und erfuhr zunächst während der Regierungszeit Kaiser Karls IV. (1347–1378) und dann nach Beginn des Aufstands der Hussiten (ab 1420) einen großen Aufschwung. Nachdem das Tschechische und das Deutsche im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts in Konkurrenz gestanden hatten, beschloss der Böhmische Landtag 1615 eine spezielle Förderung des Tschechischen und knüpfte auch das Erbrecht an Kenntnisse dieser Sprache. Nach der Niederlage des Aufstands der böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 wurde diese Bestimmung wieder aufgehoben, und die ‚Verneuerte Landesordnung‘ von 1627 legte explizit fest, dass das Deutsche als zweite Landessprache anzusehen sei. Faktisch trat das Deutsche aber immer mehr in den Vordergrund und begann, das Tschechische aus immer mehr Sphären des öffentlichen Lebens zu verdrängen. Im Zuge der josephinischen Reformen setzte sich das Deutsche vollständig als Verwaltungssprache durch. Gleichzeitig begann in dieser Zeit (etwa ab 1780) ein verstärktes Interesse an der tschechischen Sprache, verbunden mit diversen Aktivitäten zu ihrer Wiederbelebung. Obwohl die Tschechen in der Revolution von 1848 keine Verbesserung ihrer Lage erreichen konnten, konnten sie ab den fünfziger Jahren immer mehr kulturelle Rechte durchsetzen, bis hin zur Teilung der Prager Universität im Jahr 1882. 1880 wurde durch die sogenannten ‚Taaffe’schen Sprachverordnungen‘ festgelegt, dass Eingaben an Behörden jeweils in derselben Sprache beantwortet werden müssen – dies stärkte die Position des Tschechischen auch dort, wo die Tschechen in der Minderheit waren. Versuche zur Festlegung weitergehender Sprachenrechte scheiterten, nur in Mähren gelang 1905 der sogenannte ‚Mährische Ausgleich‘, der die Rechte beider Bevölkerungsgruppen genau regelte. Hier wurde festgelegt, dass die zweite Landessprache da, wo sie in der Minderheit war, gewisse Rechte genoss, sobald sie von mehr als 20 % der Bevölkerung einer Gemeinde gesprochen wurde. Diese Regelung wurde auch in spätere Gesetzeswerke übernommen. Nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik am 28.10.1918 übernahmen Tschechen und Slowaken die Rolle des Staatsvolks, alle übrigen Bevölkerungsgruppen galten als Minderheiten. Die Verfassung vom 29.2.1920

Tschechische Republik 

 385

ging sogar von einem tschechoslowakischen Staatsvolk aus. Das Sprachengesetz von 1920 regelte, dass die tschechoslowakische Sprache in einer tschechischen und einer slowakischen Variante existiere. Es räumte ferner den nichtslawischen Minderheiten in den Gerichtsbezirken, wo sie mindestens 20 % der Bevölkerung stellten, Minderheitenrechte ein. Die erste Verfassung der Nachkriegs-Tschechoslowakei vom 9.5.1948 enthielt keine Regelungen über Minderheitenrechte, die sogenannte sozialistische Verfassung vom 11.7.1960 sah solche Rechte nur für Bürger der ungarischen, ukrainischen und polnischen Nationalität vor, denen laut Artikel 25 „alle Möglichkeiten und Mittel zur Erziehung in der Muttersprache und zur kulturellen Entwicklung“ gegeben werden sollten. Diese Minderheitenrechte funktionierten in bescheidenem Rahmen bis zum Zerfall des Staates im Jahr 1992. Die neue Verfassung der Tschechischen Republik vom 16.12.1992 enthält keine Aussagen über die Staatssprache oder über mögliche Minderheiten. Auch die Präambel spricht neutral von den „Bürgern der Tschechischen Republik in Böhmen, Mähren und Schlesien“. Nach Artikel 3 der Verfassung bildet die Charta der Grundrechte und Freiheiten einen integralen Bestandteil der Verfassung. In ihr werden in Artikel 24 und 25 die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten geregelt, ohne dass die Minderheiten namentlich genannt würden. Im „Regierungsrat für nationale Minderheiten“ sind zwölf Minderheiten vertreten, die bulgarische, deutsche, griechische, kroatische, polnische, russinische, russische, serbische, slowakische, ukrainische, ungarische sowie die Roma-Minderheit. Ein spezielles Gesetz über die Sprachenrechte der Minderheiten wurde bisher nicht verabschiedet. Durch das Gesetz über die Rechte der Angehörigen nationaler Minderheiten vom 10.7.2001 wurde aber eine Reihe von Gesetzen geändert und um Bestimmungen zu Sprachenrechten ergänzt.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Die Tschechische Republik unterzeichnete die Europäische Charta der Regionaloder Minderheitensprachen am 9.11.2000 und ratifizierte sie am 15.11.2006, sie trat am 1.1.2007 in Kraft. Der lange zeitliche Abstand zwischen Unterzeichnung

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 Tilman Berger

und Ratifikation ist auffällig. Er lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Bevölkerung der Tschechischen Republik Minderheitssprachen spricht und daher dem Thema in der tschechischen Innenpolitik nur eine geringe Rolle zukommt. Die Tschechische Republik erstattete deshalb bisher auch nur zwei Staatenberichte. Der erste Staatenbericht wurde am 25.2.2008 von der Regierung beschlossen und am 30.4.2008 eingereicht. Nach einem Besuch des Sachverständigenausschusses im Dezember 2008 wurde am 23.4.2009 ein Evaluationsbericht vorgelegt. Die ersten Empfehlungen des Ministerkomitees wurden am 9.12.2009 verabschiedet. Der zweite Staatenbericht wurde am 8.6.2011 von der Regierung beschlossen und am 19.7.2011 eingereicht.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde vom Sekretariat des „Regierungsrats für die nationalen Minderheiten“ (Rada vlády pro národnostní menšiny) erarbeitet, auf der Grundlage von Unterlagen, die verschiedene Ministerien, Selbstverwaltungsorgane von Gemeinden und Regionen sowie Organisationen der nationalen Minderheiten vorgelegt hatten. Dieselben Gremien erarbeiteten auch den zweiten Staatenbericht.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsverfahren benannte die Tschechische Republik mit ausdrücklichem Hinweis darauf, dass es keine rechtliche Regelung hinsichtlich der offiziellen Sprache des Landes gebe, Slowakisch, Polnisch, Deutsch und Romanes als Minderheitensprachen, die auf ihrem Territorium gesprochen werden und auf welche die Bestimmungen von Teil II (Art. 7) der Charta angewandt werden sollen. Ausgewählte Bestimmungen von Teil III (Art. 8–14) der Charta würden ferner auf das Slowakische (auf dem ganzen Gebiet der Tschechischen Republik) und das Polnische (in zwei Kreisen der Region Mähren-Schlesien) angewandt. In der Reaktion des Sachverständigenausschusses auf den ersten Staatenbericht wurde darauf verwiesen, dass auch das Kroatische zu den traditionellen Minderheitensprachen zähle und dass sich bei der Volkszählung von 2001 1.585 Personen als Kroaten deklariert hätten. Der Ausschuss geht nicht auf die Argumentation der tschechischen Regierung ein, die in der Vorlage zur Ratifikation der Charta darauf verwiesen hatte, dass diese Gruppe sehr klein sei und ihr eine

Tschechische Republik 

 387

Infrastruktur fehle. Die Regierung hat ihrerseits auch im zweiten Staatenbericht nicht zur Frage der kroatischen Minderheit Stellung genommen. Die Regierungsvorlage zur Ratifikation der Charta enthält Daten zur Muttersprache und zur Nationalität, die auf den auf Selbstangaben der Sprecher basierenden Volkszählungen von 1991 und 2001 beruhen: Bevölkerung nach Nationalität

nach Muttersprache

Zahl   Σ Tschechisch Mährisch Slowakisch Polnisch Deutsch Schlesisch Romanes Ungarisch Ukrainisch Russisch Bulgarisch Griechisch Russinisch Rumänisch Vietnamesisch Albanisch Kroatisch Serbisch Jüdisch Sonstige  und doppelte unklar

(%)

Zahl

1991

2001

1991

2001

10.302.215 8.363.768 1.362.313 314.877 59.383 48.556 44.446 32.903 19.932 8.220 5.062 3.487 3.379 1.926 1.034 421 – – – 218 9.860

10.230.060 9.249.777 380.474 193.190 51.968 39.106 10.878 11.746 14.672 22.112 12.369 4.363 3.219 1.106 1.238 17.462 690 1.585 1.801 – 39.477

100,0 81,2 13,2 3,1 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 – – – – – – – – – – 0,1

100,0 90,4 3,7 1,9 0,5 0,4 0,1 0,1 0,1 0,2 0,1 – – – – 0,2 – – – – 0,4

22.017

172.827

0,2

1,7

1991

2001

10.302.215 10.226.269 9.871.518 9.707.397 – – 239.355 208.723 52.362 50.738 40.907 41.328 – – 24.294 23.211 20.260 – 4.882 – – 18.746 – – – – 2.307 – – – – – – – – – – – – – 16.664 99.258 29.666

76.868

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen 2.3.1 Slowakisch Wie bereits bei der Ratifikation angegeben, leben die Sprecher des Slowakischen über die gesamte Tschechische Republik verstreut. Im ersten Staatenbericht wurde diese Feststellung wiederholt und mit dem Hinweis ergänzt, dass die slo-

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 Tilman Berger

wakische Bevölkerung großenteils erst nach dem Zweiten Weltkrieg zugewandert sei. Konzentriert lebten Sprecher des Slowakischen in den Regionen MährenSchlesien, Ústí nad Labem, Plzeň und Südböhmen. In vielen Gebieten sei die slowakische Bevölkerung einer starken sprachlichen Assimilation ausgesetzt. Bildung: Die slowakische Volksgruppe verfügt über keine eigenen Bildungseinrichtungen. Die einzige Primarschule wurde 2001 wegen mangelnden Interesses geschlossen. Bemühungen zur Gründung eines slowakischen Gymnasiums in Prag scheiterten aus ähnlichen Gründen. Zur vorschulischen Erziehung führte der erste Staatenbericht aus, dass die Behörden Bestrebungen zur Gründung slowakischer Kindergärten nicht behindern, sondern förderten, sofern sich genügend interessierte Familien fänden. Zu den Primarschulen heißt es, dass sich derzeit keine Veränderung der Haltung der slowakischen Minderheit zu diesem Thema abzeichne. Es wird aber auf ein Programm der Regierung verwiesen, dessen Ziel es ist, Vielsprachigkeit zu fördern. 2007 wurde aus diesem Programm eine Primarschule unterstützt, die slowakischen Sprachunterricht im Umfang von zwei Wochenstunden anbot. Im tertiären Bereich böten laut dem Bericht alle höheren Bildungseinrichtungen der Tschechischen Republik die Möglichkeit eines Slowakischstudiums an. Es gebe auch Angebote im Bereich der Erwachsenenbildung. Der erste Evaluationsbericht erkannte an, dass offenbar zur Zeit kein Bedarf für Unterricht in slowakischer Sprache besteht, forderte die Behörden aber auf, nach Wegen zu suchen, wie Slowakischunterricht angeboten werden kann. Der zweite Staatenbericht enthält ähnliche Angaben wie der erste, geht aber ausführlicher auf (gescheiterte) Bemühungen zur Gründung von slowakischen Gymnasien in Prag ein. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht wies darauf hin, dass nach der Strafund der Zivilprozessordnung jeder, der angibt, nicht Tschechisch zu sprechen und zu verstehen, das Recht auf einen Dolmetscher habe. Der Bericht machte keine Angaben darüber, wie oft diese Rechte in Anspruch genommen werden. Der Evaluationsbericht kritisierte die Bestimmung, dass nur Personen, die kein Tschechisch sprechen, einen Dolmetscher beanspruchen können, und forderte auf, dies zu ändern. Der zweite Staatenbericht nahm dieses Anliegen aber nicht auf. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Nach dem ersten Staatenbericht sind Angehörige einer nationalen Minderheit berechtigt, mit Behörden in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Wenn kein Mitarbeiter der Behörde die betreffende Minderheitensprache beherrscht, muss der Bürger einen Dolmetscher beauftragen, der von der Verwaltungsbehörde bezahlt wird. Hervorzuheben ist die Bestimmung, nach der slowakische Dokumente ohne Übersetzung eingereicht werden können. Hinsichtlich der Verwendung des Slowakischen im öffentlichen Dienst merkte der erste Staatenbericht an, dass Slo-

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wakisch und Tschechisch gegenseitig verständlich seien, weshalb Slowaken ohne Problem ihre Muttersprache verwenden könnten. Slowaken reichten auch in der Regel slowakische Dokumente ein, die akzeptiert würden. Der Evaluationsbericht sah die Anforderungen der Charta als erfüllt an, v.a. wegen der großen Ähnlichkeit zwischen Tschechisch und Slowakisch. Medien: Der erste Staatenbericht erwähnte, dass das erste Programm des Tschechischen Rundfunks eine Abteilung habe, die Sendungen in slowakischer Sprache produziere. Ferner wurden vier slowakische Monatszeitschriften erwähnt, die im Jahr 2007 unterstützt wurden. Der zweite Staatenbericht ging nicht über diese Angaben hinaus. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht äußerte sich nur in sehr allgemeiner Form über die Förderung kultureller Aktivitäten und erwähnte hier auch die slowakische Minderheit. Der zweite Staatenbericht ging etwas genauer auf Aktivitäten aus den Jahren 2008–2010 ein. Wirtschaftliches und soziales Leben: Hierzu äußerte sich der erste Staatenbericht nur sehr kurz. Er wies auf die Antidiskriminierungsbestimmungen im tschechischen Arbeitsrecht hin und erwähnte als Beispiel ein Verbraucherzentrum, das auch Informationen in slowakischer Sprache zur Verfügung stelle. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht wies darauf hin, dass der Kulturaustausch zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei nicht in grenzüberschreitender Form stattfinde, da die slowakische Minderheit über das ganze Staatsgebiet verstreut lebe. Der Kulturaustausch basiere auf Abkommen zwischen den Kultusministerien beider Länder und werde von beiden finanziell unterstützt. In diesem Rahmen fänden Gastspiele slowakischer Künstler in der Tschechischen Republik statt. Der zweite Staatenbericht führte diese Angaben detaillierter aus.

2.3.2 Polnisch Anders als die Angehörigen der slowakischen Minderheit konzentrieren sich die in der Tschechischen Republik lebenden Polen auf eine Region, nämlich die Landkreise Karviná und Frýdek-Místek. Sie bedienen sich im täglichen Leben des Teschener Dialekts und verwenden als Schriftsprache das Standardpolnische. Bildung: Nach dem ersten Staatenbericht gab es 2007/08 insgesamt 33 polnischsprachige Kindergärten in der Region Mähren-Schlesien. Im gleichen Zeitraum gab es 25 Primarschulen mit polnischer Unterrichtssprache. Ferner gab es fünf Sekundarschulen mit polnischer Unterrichtssprache. Da die Schülerzahl in diesen Einrichtungen rückläufig sei, könnten die zuständigen Behörden die Mindestzahl von Kindern pro Klasse senken, wenn dies den Interessen der Min-

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derheit diene, sie müssten allerdings auch die Mehrkosten übernehmen. Im tertiären Bereich bieten laut dem Bericht alle höheren Bildungseinrichtungen der Tschechischen Republik die Möglichkeit eines Polnischstudiums an. Außerdem existiere in Český Těšín seit 1995 ein spezielles Pädagogisches Zentrum für das polnische Minderheitenschulwesen. Angebote in der Erwachsenenbildung seien möglich, doch habe die polnische Minderheit noch kein Interesse daran geäußert. Der erste Evaluationsbericht sah die Anforderungen der Charta im Wesentlichen als erfüllt an. Der zweite Staatenbericht enthält ähnliche Angaben, erwähnte aber auch, dass die Anzahl der polnischen Schulen zurückgegangen sei. Justizbehörden: Angehörige der polnischen Minderheit haben dieselben Rechte, wie sie bereits für das Slowakische erwähnt wurden. Die beiden Staatenberichte machten keine Angaben darüber, wie oft diese Rechte in Anspruch genommen wurden. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Auch hier gelten ähnliche Bestimmungen wie im Falle der slowakischen Minderheit, freilich mit dem Unterschied, dass polnische Dokumente nicht ohne Übersetzung eingereicht werden können. In Gemeinden, in denen die Minderheit nach der letzten Volkszählung mindestens 10 % der Bevölkerung umfasst, hat sie Anspruch auf zweisprachige Orts- und Straßenschilder. Dies betrifft 31 Orte in den Kreisen Karviná und Frýdek-Místek. Medien: Nach Angaben des ersten Staatenberichts gibt es seit 2004 ein wöchentliches Radioprogramm in polnischer Sprache, das von Radio Ostrava produziert werde. Ferner würden drei Zeitungen in polnischer Sprache vom Staat unterstützt, darunter die polnische Tageszeitung Głos Ludu. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Der erste Staatenbericht ging nur kurz auf die Förderung kultureller Aktivitäten der polnischen Minderheit ein. Besonders erwähnt wurde das Schlesische Museum in Opava, das den Auftrag habe, die Geschichte und Kultur der polnischen Minderheit zu dokumentieren, und das besonders gefördert werde. Wirtschaftliches und soziales Leben: Die Angaben unterscheiden sich nicht von denjenigen zur slowakischen Minderheit. Grenzüberschreitender Austausch: Der erste Staatenbericht erwähnte nur kurz die Tschechisch-Polnische Zwischenregierungskommission für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Sie fördere auch den Kulturaustausch im Grenzgebiet.

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2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.4.1 Deutsch Das Deutsche genießt nur die Minderheitenrechte nach Teil II der Charta. Traditionell siedelte die deutsche Minderheit in den nördlichen, südlichen und westlichen Grenzgebieten, in einigen Sprachinseln im Landesinneren und in Prag. Die nach der Vertreibung verbliebenen Deutschen wohnen zumeist in Nord- oder Westböhmen. Ihre Zahl ist seit Jahren rückläufig (1991: 48.556, 2001: 39.106). Bildung: Das Deutsche befindet sich in einer speziellen Situation. Einerseits ist die deutsche Bevölkerung so gering an Zahl und lebt so zersplittert, dass sie nirgends den Anspruch auf Minderheitenschulen erheben kann. Auf der anderen Seite gehört das Deutsche immer noch zum Kanon tschechischer Sekundarschulen und Gymnasien, wenn auch mit rückläufiger Tendenz. Im ersten Staatenbericht ist lediglich davon die Rede, dass in 20 Orten Deutschkurse stattgefunden hätten. Der erste Evaluationsbericht mahnte deshalb auch an, dass entschiedene Schritte unternommen werden müssten, um das Deutsche (und das Romanes) stärker zu fördern. Der zweite Staatenbericht erwähnte drei bilinguale tschechisch-deutsche Gymnasien, 2010 wurden diese Schulen und zwei weitere mit verstärktem Deutschunterricht von insgesamt 757 Schülern besucht. Weiterhin gebe es drei Projekte, die das Erlernen des Deutschen fördern sollen. Medien: In diesem Bereich erwähnte der zweite Staatenbericht die Förderung der deutschen Landeszeitung und des Eghaland Bladl, beide erscheinen monatlich. Andere Aktivitäten im Bereich der Förderung der deutschen Kultur betreffen Festivals und den seit 1994 verliehenen Max-Brod-Preis.

2.4.2 Romanes Auch das Romanes genießt nur die Minderheitenrechte nach Teil II der Charta. Da die Roma-Minderheit aber in der Öffentlichkeit sehr sichtbar und auch immer wieder Gegenstand politischer Debatten ist, wird ihre Situation in den Evaluationsberichten ausführlich diskutiert. Dem trägt dann auch die Darstellung im zweiten Staatenbericht Rechnung. Bei der Volkszählung von 2001 gaben 23.211 Personen an, Romanes als Muttersprache zu sprechen, 11.746 rechneten sich zur Roma-Nationalität. Nach den Angaben des ersten Staatenberichts konzentrieren sich die Roma in den großen Städten, insbesondere Prag und Ostrava. Sie sprechen unterschiedliche Dialekte, von denen das slowakische Romanes am verbreitetsten ist, außerdem gebe es eine Roma-Varietät des Tschechischen. Es fällt auf, dass hier nicht von einer Stan-

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dardsprache die Rede ist, vielmehr erklären die Verfasser des Berichts, dass sie unter dem Begriff ‚Romani‘ alle diese Varietäten zusammenfassten. An anderer Stelle wird auch noch erwähnt, dass die Philosophische Fakultät der Prager Karls-Universität eine breite Untersuchung zur Vitalität des Romanes und zu den sprachlichen Kompetenzen der Sprecher dieser Minderheitssprache durchführe. Die Ergebnisse dieser Untersuchung liegen inzwischen vor (vgl. Červenka 2008). Der erste Staatenbericht nahm explizit dazu Stellung, dass die Anzahl der Roma deutlich höher liegen dürfte – genannt wurden Schätzungen von 200.000 bis 250.000 Personen von Roma-Abstammung. Viele von ihnen dürften sich bei den Volkszählungen nicht als Roma, sondern als Tschechen oder Slowaken deklariert haben. Hierbei spielt eine wichtige Rolle, dass die meisten Roma aus der heutigen Slowakei zugewandert sind. Im ersten Staatenbericht wurde dann sogar eingestanden, dass das Romanes, da es im ganzen Land gesprochen wird, faktisch die Kriterien von Artikel 1c der Charta erfüllen würde, doch habe die Tschechische Republik von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht. Zur Bildung und zur Kultur äußerte sich der erste Staatenbericht nur sehr kurz. Es wurden einige Schulen aufgeführt, an denen Romanes unterrichtet wird, dabei fällt aber auf, dass es ausschließlich um Berufsschulen, Berufsakademien und eine Sekundarschule in Prag geht, an denen Sozialarbeiter ausgebildet werden. Dies legt den Verdacht nahe, dass hier kein Sprachunterricht für die Minderheit selbst erfolgt, sondern eher Sprachkenntnisse für den Umgang mit der Minderheit vermittelt werden. Was die Kultur angeht, so wird die Förderung der Zeitung Romano hangos sowie einer Reihe von Büchern erwähnt. Der erste Evaluationsbericht ging relativ ausführlich auf das Romanes ein und äußerte die Meinung, dass entschiedene Schritte unternommen werden müssten, um die Minderheitensprachen, insbesondere Romanes und Deutsch, zu fördern. Das Romanes sei im öffentlichen Leben, in staatlichen Erziehungssystem und in den Medien nicht wahrzunehmen und leide unter Vorurteilen und Feindlichkeit. Deshalb müssten die Behörden planmäßig und strukturiert vorgehen, um das Romanes in der Tschechischen Republik zu fördern und zu bewahren. Sie werden ermutigt, in Zusammenarbeit mit den Sprechern der Sprache ein Förderungsprogramm auszuarbeiten. Entsprechende Empfehlungen hat dann auch das Ministerkomitee abgegeben. Der zweite Staatenbericht ging deutlich ausführlicher auf die Lage des Romanes ein. So wurde für den Bereich der Kultur ausgeführt, dass das Kultusministerium jedes Jahr künstlerische und kulturelle Aktivitäten fördere, ebenso wie die wissenschaftliche Erforschung der Roma-Kultur und -Tradition. Speziell zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang das Museum der Roma-Kultur in Brünn, das seit 2005 Ausstellungen für die Öffentlichkeit zeigt.

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Aus dem Bereich der Erziehung wird ein Programm erwähnt, das Roma-Schüler fördert, die Sekundarschulen oder höhere Berufsschulen besuchen. Es soll verhindern, dass die Schüler den Schulbesuch aus finanziellen Schwierigkeiten abbrechen. Unterricht in Romanes findet hingegen bisher nur in geringem Umfang statt, von Vorschulerziehung abgesehen bisher nur an drei Sekundarschulen. Es wird jedoch darauf verwiesen, dass die Regierung am 21.12.2009 eine Strategie für die Integration der Roma im Zeitraum 2010–2013 beschlossen hat. Im Zusammenhang mit dieser Strategie wurden auch die Dokumente des Europarats über den Unterricht in Romanes ins Tschechische und in zwei Varianten des Romanes übersetzt und im Internet bekanntgemacht. Spezielle Materialien für den Unterricht werden vorbereitet, und es beteiligen sich auch tschechische Institutionen an einem Projekt der Universität Graz zur Erziehung von Roma-Kindern. Im Rahmen dieses Programms sollen auch Romaneslehrer ausgebildet werden. Ein Studium des Romanes ist an der Prager Karls-Universität möglich.

3 Bewertung Die Verfassung der Tschechischen Republik unterscheidet sich von den Verfassungen der meisten anderen mittel- oder osteuropäischen Länder darin, dass sie keine Regelungen zum Sprachenrecht enthält und insbesondere auch keine Staatssprache festlegt. Diese Tatsache dürfte mit der Geschichte zusammenhängen, die in der Vergangenheit durch viele Auseinandersetzungen über sprachenrechtliche Fragen gekennzeichnet war. Freilich weist die heutige Tschechische Republik eine sprachlich weitgehend homogene Bevölkerung auf. Von den vier bei Unterzeichnung der Charta genannten Minderheitensprachen genießt das Polnische die größte Förderung, was v.a. dadurch zu erklären ist, dass die polnische Minderheit auch schon in der ČSSR im heutigen Umfang anerkannt war und gefördert wurde. Im Falle des Slowakischen liegt ein Sonderfall vor, weil dieses bis 1992 gleichberechtigte zweite Staatssprache war und im tschechischen Landesteil problemlos gebraucht werden konnte, ohne gleichzeitig institutionell verankert zu sein. Dies erklärt, warum sich die tschechischen Behörden bei der Förderung des Slowakischen bislang eher schwer tun. Die schwächste Position unter den drei traditionellen Minderheitensprachen hat das Deutsche. Nach der Vertreibung der meisten Sprecher war seine rechtliche Stellung lange Zeit unsicher, doch hat sich auch die Demokratisierung nach 1989 kaum ausgewirkt. Die Anzahl der Sprecher sinkt kontinuierlich, und diese Ent-

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wicklung führt wiederum dazu, dass die Möglichkeiten der institutionellen Förderung weiter abnehmen. Hoch problematisch ist aber v.a. die Situation des Romanes, das erst nach 1989 den Status einer Minderheitensprache erhalten hat und vom tschechischen Staat nur unzureichend gefördert wird. Die Empfehlungen des Ministerkomitees in Reaktion auf den ersten Staatenbericht sprechen hier eine deutliche Sprache. Auch wenn der zweite Staatenbericht zeigt, dass der tschechischen Regierung klar geworden ist, dass sie ihre Anstrengungen zur Förderung des Romanes deutlich verstärken muss, sind die entscheidenden Schritte noch nicht erfolgt.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Czech Republic, 30.4.2008. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Czech Republic, 19.7.2011. [= 2. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 23.4.2009. [= 1. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 9.12.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Deutsches Reich/Vereinigtes Königreich/Französische Republik/Königreich Italien: „Abkommen zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien, getroffen in München, am 29. September 1938 (Münchner Abkommen)“. In: Akten zur deutschen auswärtigen Politik, Serie D, Bd. 2, 665, 812–813, 30.9.1938. (21.3.2012). Kaisertum Österreich-Ungarn: Taaffe-Stremayerovo jazykové nařízení [Taaffe’schen Sprachverordnungen], 19.4.1880. Königreich Böhmen/Kaiser Ferdinand II.: „Obnovené zřízení zemské [Verneuerte Landesordnung]“, 10.5.1627. Markgrafschaft Mähren: „Moravské vyrovnání [Mährischer Ausgleich]“. In: Landesgesetzblatt, 1/1906, 27.11.1905. Tschechische Republik: „Zákon o právech příslušníků národnostních menšin a o změně některých zákonů [Gesetz über die Rechte der Angehörigen nationaler Minderheiten und die Änderung einiger Gesetze]“. In: Sbírka zákonů, 273/2001, 10.7.2001.

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Tschechische und Slowakische Föderative Republik: „Ústava České republiky (Ústavní zákon, 2/1993) [Verfassung der Tschechischen Republik (Verfassungsgesetz, 2/1993)]“, 16.12.1992. (22.3.2012). Tschechoslowakische Republik: „Ústava Československé republiky (Ustavní zákon č. 150/1948) [Verfassung der Tschechoslowakischen Republik (Verfassungsgesetz Nr. 150/1948)]“, 9.5.1948. (22.3.2012). Tschechoslowakische Republik: „Ústavní listina Československé republiky [Verfassungsurkunde der tschechoslowakischen Republik]“. In: Sbírka zákonů, 121/1920, 29.2.1920. (21.3.2012). Tschechoslowakische Republik: „Zákon ze dne 29. února 1920 podle § 129 ústavní listiny, jímž se stanoví zásady jazykového práva v republice Československé (Jazykový zákon) [Gesetz vom 29. Februar 1920 auf Grund des § 129 der Verfassungsurkunde, betreffend die Festsetzung der Grundsätze des Sprachenrechtes in der Tschechoslowakischen Republik (Sprachengesetz)]. In: Sbírka zákonů, 122/1920, 19.2.1920. (21.3.2012). Tschechoslowakische Sozialistische Republik: „Ústavní zákon ze dne 11. července 1960 Ústava Československé socialistické republiky [Verfassungsgesetz betreffend die Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 11. Juli 1960]“. In: Ústavní zákon, 100/1960, 11.7.1960. (21.3.2012).

4.2 Literatur Berger, Tilman: „Nation und Sprache: das Tschechische und das Slovakische“. In: Andreas Gardt (Hrsg.): Nation und Sprache: die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin/New York: de Gruyter 2000: 825–864. Burger, Hannelore: Sprachenrecht und Sprachgerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1995. Červenka, Jan u.a.: „Sociolingvistický výzkum situace romštiny na území ČR“ [„Soziolinguistische Untersuchung der Situation des Romanes auf dem Gebiet der Tschechischen Republik“]. 2008. (22.2.2012). Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002.

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4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (i, ii), b (i, ii), c (i, ii), d (ii), e (iii), f (iii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (ii–iv), b (ii, iii), c (ii, iii), d; 2a

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (iv), 2b, e–g, 4a, 5;

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), 2

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a, f, g; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1c; 2e

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Daniel Müller (Gießen)

Ukraine (Україна) 1 Vorgeschichte Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion erklärte die Ukraine am 24.8.1991 ihre Unabhängigkeit. Seit dem 9.11.1995 ist die Ukraine Mitglied des Europarates. Eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union (EU) wurde durch die Aufnahme der Ukraine in deren Östliche Partnerschaft am 7.5.2009 bekräftigt. Die für Dezember 2011 geplante Unterzeichnung eines seit 2008 verhandelten Assoziierungsabkommens wurde seitens der EU aufgrund der Causa Timošenko vorerst vertagt. Eine unter Präsident Juščenko forcierte Beitrittsperspektive stieß auf Seiten der EU jedoch auf gewisse Vorbehalte und ist mit Präsident Janukovičs Amtsantritt 2010 wohl vorerst von der politischen Agenda gestrichen. Artikel 10,1 und 10,2 der Verfassung der Ukraine vom 28.6.1996 statuiert das Ukrainische als Staatssprache, dessen Funktionieren in allen Bereichen des sozialen Lebens auf dem gesamten Territorium der Ukraine staatlicherseits garantiert wird. Sprachlicher Minderheitenschutz ist verfassungsmäßig durch Artikel 10,3 etabliert, der die freie Entwicklung, den Gebrauch und den Schutz des Russischen und anderer Sprachen nationaler Minderheiten sicherstellt. Artikel 53,5 räumt den Angehörigen nationaler Minderheiten ferner das Recht ein, Schulunterricht in ihrer Muttersprache zu erhalten bzw. diese in staatlichen oder privaten Einrichtungen zu erlernen. Garantien zum sprachlichen Minderheitenschutz finden sich darüber hinaus in den allerdings veralteten und zum Teil widersprüchlichen Gesetzen „Über die Sprachen in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ (28.10.1989) sowie „Über nationale Minderheiten in der Ukraine“ (25.6.1992), auf deren notwendige Novellierung der Europarat wiederholt, aber bisher erfolglos hingewiesen hat. Artikel 10,2 der Verfassung der Autonomen Republik Krim vom 21.10.1998 garantiert zudem den Gebrauch des Russischen als Sprache der Mehrheit der Bevölkerung der Krim in allen Bereichen des öffentlichen Leben. Internationale Garantien zum sprachlichen Minderheitenschutz ist die Ukraine durch die Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats am 15.09.1995 eingegangen, das aufgrund schleppender Ratifizierung erst am 1.5.1998 in Kraft getreten ist.

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2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Die Ukraine unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 2.5.1996. Aufgrund anhaltender gesellschaftlicher und parlamentarischer Debatten sollte es jedoch noch fast zehn Jahre dauern, ehe die Charta in Kraft trat. Ein erster Ratifizierungsversuch vom 24.12.1999 scheiterte an einem Beschluss des Verfassungsgerichts vom 12.6.2000, der die ergangene Ratifizierung aufgrund von Formfehlern aufhob. Die endgültige Ratifizierung erfolgte dann am 15.5.2003. Das Ratifikationsinstrument wurde allerdings erst am 15.9.2005 beim Europarat hinterlegt, so dass die Charta am 1.1.2006 in Kraft treten konnte. Dieser lange Ratifizierungsprozess erklärt sich in erster Linie dadurch, dass durch das Inkrafttreten der Charta eine Statusaufwertung des Russischen befürchtet wurde. Die Ukraine erstattete ihren ersten Staatenbericht am 1.8.2007. Im Mai 2008 besuchte der Sachverständigenausschuss das Land und verabschiedete am 27.11.2008 einen Evaluationsbericht, aufgrund dessen das Ministerkomitee am 7.7.2010 seine Empfehlungen aussprach. Die ukrainischen Behörden gingen ihrerseits in einem Kommentar zum Evaluationsbericht auf Kritikpunkte des Sachverständigenausschusses ein. Am 10.1.2012 legte die Ukraine ihren zweiten Staatenbericht vor.

2.1.2 Institutionen Die Staatenberichte wurden vom ukrainischen Justizministerium unter Beteiligung aller einschlägigen Regierungsstellen erstellt und greifen Anregungen von Nichtregierungsorganisationen und Journalisten auf. Bei der Ausarbeitung des ersten Staatenberichtes seien insbesondere die regierungskritischen Anmerkungen des Parlamentsabgeordneten Kolesničenko sowie des Vorsitzenden der Menschenrechts-NGO Spil’na meta („Gemeinsames Ziel“) Bortnyk berücksichtigt worden.

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2.2 Sprachen und Sprachensituation Im Ratifikationsinstrument benennt die Ukraine 13 Sprachen als ‚Regionalsprachen‘ im Sinne der Charta, für die die ausgewählten Bestimmungen des Teils III (Art. 8–14) der Charta gelten sollen: Belarussisch, Bulgarisch, Deutsch, Gagausisch, Griechisch, Krimtatarisch, Moldawisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Slowakisch, Ungarisch sowie die ‚Sprache der jüdischen Minderheit‘ (im ersten Staatenbericht „language of Jewish minority“). Auf Betreiben des Sachverständigenausschusses wurden in obiger Liste die entsprechenden Linguonyme in ‚Neugriechisch‘ und ‚Jiddisch‘ abgeändert, obwohl sich die im ersten Staatenbericht angeführten Daten überwiegend auf den Gebrauch des Hebräischen beziehen. Der Sachverständigenausschuss erbat sich für nachfolgende Staatenberichte detaillierte Angaben zum Schutz des vom Aussterben bedrohten Jiddischen. Der Evaluationsbericht wies darauf hin, dass die allgemeinen Schutzbestimmungen aus Teil II (Art. 7) der Charta auch für folgende Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta Geltung beanspruchen könnten: Armenisch, Karaimisch, Krimtschakisch, Romanes, Russinisch, Tatarisch sowie Tschechisch. Das Ministerkomitee empfahl der Ukraine, insbesondere Maßnahmen zum Schutz des vom Aussterben bedrohten Karaimischen und Krimtschakischen zu treffen. Dem ukrainischen Kommentar zum ersten Evaluationsbericht ist zu entnehmen, dass die Liste der durch Teil III der Charta zu schützenden Sprachen um das Armenische und Romanes erweitert werden soll. Der zweite Staatenbericht enthält jedoch keine Angaben über eine diesbezügliche Erweiterung und berichtet im entsprechenden Teil III deshalb auch nicht über den Schutz des Armenischen und Romanes. Im Teil II des zweiten Staatenberichts werden jedoch Angaben über die Anwendung der allgemeinen Schutzbestimmungen aus Artikel 7 bezüglich der folgenden Sprachen gemacht: Armenisch, Azeri, Baschkirisch, Estnisch, Georgisch, Karaimisch, Koreanisch, Krimtschakisch, Litauisch, Romanes, Syrisch, Tatarisch, Tschechisch, Türkisch. Die russinische Bevölkerungsgruppe in der Region Transkarpatien wird staatlicherseits jedoch nicht als nationale Minderheit, sondern lediglich als ethnographische Untergruppe des ukrainischen Ethnos betrachtet, wodurch dem Russinischen der Status einer eigenständigen Sprache abgesprochen wird. Aufgrund der im ersten Staatenbericht angeführten Zensusdaten aus dem Jahr 2001 sowie weiterer Informationen aus dem Evaluationsbericht ergibt sich folgende Bevölkerungszusammensetzung:

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Bevölkerung nach Ethnizität Ethnie Σ Ukrainisch Russisch Belarussisch Moldawisch Krimtatarisch Bulgarisch Ungarisch Rumänisch Polnisch Jüdisch Armenisch Griechisch Tatarisch Roma Aserbaidschanisch Georgisch Deutsch Gagausisch Karaimisch Russinisch Slowakisch Krimtschakisch

Zahl

(%)

48.000.000 37.344.000 8.300.000 275.800 258.600 248.200 204.600 156.600 151.000 144.100 103.600 99.900 91.500 73.000 47.600 45.200 34.200 33.300 31.900 12.000 10.200 6.400 einige Tausend

100 77,8 17,3 0,6 0,5 0,5 0,4 0,3 0,3 0,3 0,2 0,2 0,2 0,2 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,02 0,02 0,01 0,01

Die tatsächlichen Sprecherzahlen weichen jedoch zum Teil von obiger Tabelle ab. Gemäß den Zensusdaten aus dem Jahr 2001 gaben so 5,6 Mio. ethnischer Ukrainer (14,8 %) Russisch als ihre Muttersprache an, so dass der tatsächliche Anteil der Russischsprachigen an der Gesamtbevölkerung fast 30 % beträgt. Der Evaluationsbericht führt ferner die auf Auskünften von Roma-Vertretern beruhende Zahl von 400.000 Romanes-Sprechern an. Andererseits bekennen sich nach Angaben des ersten Staatenberichts nur 6 % der Griechen, 13 % der Polen, 20 % der Belarussen, 41 % der Slowaken, 62 % der Bulgaren sowie 70 % der Deutschen, Gagausen und Moldawier zu ihrer Muttersprache. Gestützt auf Angaben von Minderheitenorganisationen, schätzt der Evaluationsbericht die Zahl der Hebräisch-Sprecher auf 800, die der Jiddisch-Sprecher auf 700 und die der Karaimisch-Sprecher auf 600.

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2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen Die folgenden Angaben entstammen den beiden Staatenberichten und beziehen sich – soweit nicht anders angegeben – auf das Jahr 2010. Die Empfehlungen des Ministerkomitees beziehen sich nicht ausdrücklich auf einzelne Sprachen, sondern schließen sich allgemein den Kritikpunkten des Evaluationsberichtes an.

2.3.1 Belarussisch Die Sprecher des Belarussischen siedeln verstreut in allen Regionen der Ukraine, Siedlungsschwerpunkte liegen in den Regionen Donec’k (16 % aller Belarussischsprecher), Dnipropetrovs’k (10 %), Krym (10 %) und Luhans’k (6 %). Bildung: Belarussisch wird weder in staatlichen Vorschul- noch in Schuleinrichtungen unterrichtet. Allerdings existieren vier private Sonntagsschulen. Ab 2010 kann Belarussisch an der Taras-Ševčenko-Universität (Kyjiv) studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Belarussischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Belarussisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In Sewastopol wird staatlicherseits eine Radiosendung auf Belarussisch ausgestrahlt. In mehreren Regionen des Landes erscheinen Zeitungen auf Belarussisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Insgesamt existieren zehn belarussische Kulturvereine und mehrere Kulturzentren. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Belarussischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Republik Belarus.

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2.3.2 Bulgarisch Die Sprecher des Bulgarischen siedeln hauptsächlich in der Region Odesa (70 % aller Bulgarischsprecher), daneben in den Regionen Zaporižžja (14 %), Mykolajiv, Kirovohrad und Cherson. Bildung: Bulgarisch ist Unterrichtssprache an einer Grundschule mit 65 Schülern. Bulgarisch wird als Unterrichtsfach von 2.794 Grundschülern und 10.933 Schülern der Sekundarstufe gelernt. An zwölf Universitäten des Landes kann zudem Bulgarisch studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Bulgarischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Bulgarisch wird lediglich im mündlichen Amtsverkehr verwendet. Medien: Die staatlichen Radio- und Fernsehprogramme strahlen im wöchentlichen oder monatlichen Turnus mehrere kürzere Sendungen auf Bulgarisch aus. Es erscheinen zwei Regionalzeitungen auf Bulgarisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existieren mehrere bulgarische Kulturzentren, die Kulturveranstaltungen und -festivals organisieren. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Bulgarischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Republik Bulgarien.

2.3.3 Deutsch Die Sprecher des Deutschen siedeln verstreut in vielen Regionen der Ukraine, hauptsächlich in den Regionen Donec’k (14  % aller Sprecher des Deutschen), Dnipropetrovs’k (11  %), Zakarpattja (11  %), Odesa (9  %), Zaporižžja (7  %) und Krym (7 %). Bildung: In Mukačevo gibt es eine deutsche Kindergartengruppe mit 22 Kindern. An Grund- und weiterführenden Schulen wird Deutsch zwar von 88.091 bzw. 614.729 Schülern als Fremdsprache gelernt, der Sachverständigenausschuss forderte jedoch spezielle Maßnahmen zur Förderung der deutschsprachigen Minderheit, die laut dem zweiten Staatenbericht aber keine Anträge auf die Verwendung des Deutschen als Unterrichtssprache gestellt habe. Deutsch kann an mehr als 40 Universitäten des Landes studiert werden.

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Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Deutschen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Deutsch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In der Region Transkarpatien senden die staatlichen Rundfunk- und Fernsehprogramme jährlich 40 Stunden auf Deutsch. Es erscheinen eine überregionale und eine regionale Zeitung auf Deutsch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existieren mehrere regionale deutsche Kulturvereine, die Kulturfestivals und -veranstaltungen organisieren. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht kritisierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Deutschen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Bundesrepublik Deutschland.

2.3.4 Gagausisch Die Sprecher des Gagausischen siedeln hauptsächlich in der Region Odesa (86 % aller Sprecher des Gagausischen). Bildung: Gagausisch wird von 482 Grundschülern und 1.418 Schülern weiterführender Schulen gelernt, was dem Sachverständigenausschuss als unzureichend erschien. Ab 2013 soll laut dem zweiten Staatenbericht an der TarasŠevčenko-Universität (Kyjiv) Gagausisch studiert werden können. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Gagausischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Gagausisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: Staatlicherseits wird in der Region Odesa wöchentlich eine halbstündige Radio- sowie zweiwöchentlich eine halbstündige Fernsehsendung auf Gagausisch ausgestrahlt. Die einzige gagausische Zeitung wird staatlicherseits nicht unterstützt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existiert ein gagausisches Kulturzentrum in Odesa. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Gagausischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen.

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Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht kein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der autonomen Provinz Gagausien der Republik Moldova.

2.3.5 Griechisch Die Sprecher des Griechischen siedeln hauptsächlich in der Region Donec’k (85 % aller Griechischsprecher), daneben in den Regionen Krym (3 %), Zaporižžja (2 %) und Odesa (2 %). Bildung: Griechisch wird von 618 Grundschülern und 3.989 Schülern weiterführender Schulen gelernt. Zudem kann Griechisch an zehn Hochschulen des Landes studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht kritisierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Griechischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Griechisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: Verschiedene regionale staatliche Rundfunk- und Fernsehprogramme strahlen mehrere kürzere Sendungen auf Griechisch aus. Es erscheinen drei Zeitungen auf Griechisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existieren insgesamt 33 griechischsprachige Amateurgruppen, mehrere Kulturzentren sowie zwei Museen und zwei Theater. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Griechischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Griechenland.

2.3.6 Jiddisch/Hebräisch Die jüdische Bevölkerung siedelt verstreut in vielen Regionen der Ukraine, Siedlungsschwerpunkte liegen in den Regionen Kyjiv (17 % der gesamten jüdischen Bevölkerung), Dnipropetrovs’k (13 %), Odesa (13 %), Charkiv (11 %) und Donec’k (8 %). Bildung: Jiddisch wird von 497 Grundschülern gelernt. Hebräisch wird an staatlichen (1.928 Schüler) und privaten (1.159 Schüler) weiterführenden Schulen unterrichtet. Zudem lernen 200 Personen Jiddisch sowie 2.398 Personen Hebrä-

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isch in privaten Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Im Unterschied zum Jiddischen kann Hebräisch zudem an zwei Hochschulen studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Jiddischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Es liegen keine Informationen zum Gebrauch des Jiddischen vor. Medien: Die Staatenberichte enthalten keine Informationen zur Verwendung des Jiddischen in den Medien. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Mehrere Verbände, Kulturzentren und Museen widmen sich der Pflege der jüdischen Kultur. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Jiddischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Israel.

2.3.7 Krimtatarisch Die Sprecher des Krimtatarischen siedeln ganz überwiegend in der Region Krym (95 %), daneben in der angrenzenden Region Cherson. Bildung: Auf der Krim gibt es 22 krimtatarische Kindergärten (545 Kinder). Krimtatarisch ist Unterrichtssprache an 15 krimtatarischen sowie 23 krimtatarisch-russisch und 39 krimtatarisch-ukrainisch bilingualen Schulen. Zudem wird Krimtatarisch als Unterrichtsfach von 2.126 Grundschülern und 14.642 Schülern der Sekundarstufe belegt. Außerdem studieren 496 Studenten Krimtatarisch an zwei Universitäten auf der Krim. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Krimtatarischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Krimtatarisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: Staatliche wie private Radio- und Fernsehprogramme strahlen zahlreiche Sendungen auf Krimtatarisch aus. Es erscheinen mehrere Zeitungen auf Krimtatarisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Auf der Krim existieren über 40 krimtatarische Amateurgruppen sowie ein professionelles Theater und Museum. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Krimtatarischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen.

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Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht kein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit, da Krimtatarisch nirgendwo außerhalb der Krim Amtssprache ist.

2.3.8 Moldawisch Die Sprecher des Moldawischen siedeln hauptsächlich in den Regionen Odesa (48 %) und Černivci (26 %), daneben verstreut in den Regionen Mykolajiv, Kirovohrad, Donec’k, Dnipropetrovs’k, Cherson, Krym, Vinnycja, Poltava, Charkiv und Kyjiv. Bildung: Moldawisch ist Unterrichtssprache in 16 Kindergärten (mit 1.065 Kindern) sowie 13 allgemeinbildenden Schulen (davon sechs moldawisch-ukrainisch sowie eine moldawisch-russisch bilingual) mit insgesamt 3.877 Schülern. Zudem wird Moldawisch als Unterrichtsfach von 1.177 Grundschülern und 2.313 Schülern der Sekundarstufe belegt. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Moldawischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Moldawisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In der Region Odessa wird im staatlichen Fernsehen wöchentlich eine halbstündige Sendung auf Moldawisch ausgestrahlt. Die einzige moldawische Zeitung wird staatlicherseits unterstützt. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existieren sechs moldawische Amateurensembles und mehrere Kulturverbände. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Moldawischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Republik Moldova.

2.3.9 Polnisch Die Sprecher des Polnischen siedeln hauptsächlich in den Regionen Žytomyr (34 % aller Sprecher des Polnischen), Chmel’nyc’kyj (16 %), L’viv (13 %) und Kyjiv (7 %), daneben in den Regionen Ternopil’, Vinnycja, Krym und Rivne.

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Bildung: Polnisch ist Unterrichtssprache in sechs Kindergärten und sieben allgemeinbildenden Schulen (davon jeweils eine polnisch-ukrainisch sowie polnisch-russisch bilingual) mit 525 Grundschülern und 1.357 Schülern der Sekundarstufe. Als Unterrichtsfach wird Polnisch von 806 Grundschülern und 11.854 Schülern der Sekundarstufe belegt. Darüber hinaus kann Polnisch an 21 Universitäten des Landes studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht kritisierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Polnischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Polnisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In der Region Žytomyr werden staatlicherseits zwei wöchentliche Radiosendungen (je 20 bzw. 40 Minuten) sowie dreimal pro Woche eine halbstündige Fernsehsendung auf Polnisch ausgestrahlt. Es erscheinen mehrere Zeitungen und Zeitschriften auf Polnisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existieren verschiedene Kulturvereine und Kulturfestivals in mehreren Regionen des Landes. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Polnischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Republik Polen.

2.3.10 Rumänisch Die Sprecher des Rumänischen siedeln ganz überwiegend in den Regionen Černivci (76 % aller Rumänischsprecher) und Zakarpattja (21 %), daneben verstreut in den Regionen Krym, Donec’k, Odesa, Mykolajiv, Cherson, Kirovohrad und Kyjiv. Bildung: Rumänisch ist Unterrichtssprache in 45 Kindergärten (2.444 Kinder), 82 allgemeinbildenden Schulen sowie 14 rumänisch-ukrainisch und einer rumänisch-russisch bilingualen Schule (insgesamt 6.207 Schüler der Primarstufe, 18.866 Schüler der Sekundarstufe). Zudem wird Rumänisch als Unterrichtsfach von 277 Grundschülern und 867 Schülern der Sekundarstufe belegt. 85 Studenten studieren auf Rumänisch, Rumänisch kann an mehreren Universitäten studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Rumänischen vor Gericht vorliegen.

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Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Rumänisch wird im mündlichen wie schriftlichen Amtsverkehr sowie in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In der Region Transkarpatien sendet das staatliche Fernsehen bzw. Radio jährlich 95 bzw. 112 Stunden auf Rumänisch. Zudem erscheinen mehrere Zeitungen auf Rumänisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: In den Regionen Transkarpatien und Černivci sollen mehr als 1.000 rumänischsprachige Kulturvereine existieren. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht merkte an, dass keine Informationen zum Gebrauch des Rumänischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Republik Rumänien.

2.3.11 Russisch Die Sprecher des Russischen siedeln hauptsächlich in den süd-östlichen Regionen der Ukraine, insbesondere in den Regionen Donec’k (22  % aller Sprecher des Russischen), Krym (18 %), Luhans’k (12 %), Charkiv (9 %), Dnipropetrovs’k (7,5 %), Odesa (6 %), Zaporižžja (6 %) und Kyjiv (5 %), daneben verstreut in allen anderen Regionen der Ukraine. Bildung: Russisch ist Unterrichtssprache in 1.012 Kindergärten (171.713 Kinder), an 1.149 allgemeinbildenden Schulen und 1.373 russisch-ukrainisch bilingualen Schulen (insgesamt 257.443 Schüler der Primarstufe, 685.806 Schüler der Sekundarstufe) sowie an 135 Berufsschulen (davon 100 russisch-ukrainisch bilingual) mit insgesamt 53.622 Schülern. Als Unterrichtsfach wird Russisch von 367.427 Grundschülern sowie von 1.242.184 Schülern der Sekundarstufe belegt. 251.104 Studenten absolvieren ihr Studium auf Russisch. Der Evaluationsbericht äußerte seine Besorgnis über den Beschluss Nr. 1171 des Bildungsministeriums vom Dezember 2007, der ab 2010 Abitur- sowie Hochschulaufnahmeprüfungen nur noch auf Ukrainisch vorsieht. Ebenso besorgt zeigte sich der Sachverständigenausschuss über Maßnahmen zur Reduzierung des Russischen als Unterrichtssprache an Hochschulen. Justizbehörden: Der Sachverständigenausschuss hat sich während seines Besuches davon überzeugt, dass Russisch in der Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit in großem Umfange verwendet wird. Sämtliche Gesetze werden auch auf Russisch veröffentlicht.

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Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Russisch wird in großem Umfang im mündlichen wie schriftlichen Amtsverkehr sowie in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: Zahlreiche staatliche Rundfunk- und Fernsehprogramme werden auf Russisch ausgestrahlt. Private Unternehmungen im russischsprachigen Rundfunk- und Fernsehgeschäft werden durch die gesetzliche Regelung behindert, die einen ukrainischsprachigen Sendeanteil von 75 % vorschreibt. Im Jahre 2010 erschienen 901 russischsprachige Zeitungs- und Zeitschriftentitel (38 % der Gesamtzahl) mit einer durchschnittlichen Auflage von 32.376 Stück (60  % der Gesamtauflage). Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Es existieren zahlreiche Kulturverbände und Kulturfestivals in zahlreichen Regionen des Landes. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Russischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation.

2.3.12 Slowakisch Die Sprecher des Slowakischen siedeln ganz überwiegend in der Region Zakarpattja (89 % aller Slowakischsprecher), daneben verstreut in den Regionen Kyjiv, L’viv, Rivne, Volyn’, Dnipropetrovs’k, Donec’k und Odesa. Bildung: In Užhorod existiert eine slowakisch-ukrainisch bilinguale Schule. 226 Schüler werden auf Slowakisch unterrichtet. Zudem wird Slowakisch als Unterrichtsfach von 35 Grundschülern und 460 Schülern der Sekundarstufe belegt. Slowakisch kann an fünf Universitäten des Landes studiert werden. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Slowakischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Slowakisch wird weder im Amtsverkehr, noch in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In der Region Transkarpatien sendet das staatliche Fernsehen bzw. Radio jährlich jeweils 48 Stunden auf Slowakisch. Es erscheint eine Zeitung auf Slowakisch. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: In der Region Transkarpatien existieren elf slowakische Kulturvereine und 22 Amateurgruppen.

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Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Slowakischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Slowakischen Republik.

2.3.13 Ungarisch Die Sprecher des Ungarischen siedeln ganz überwiegend in der Region Zakarpattja (97 % aller Ungarischsprecher), insbesondere in den Distrikten Berehove (35 %) und Vynohradiv (20 %). Bildung: Ungarisch ist Unterrichtssprache in 70 Kindergärten (3.451 Kinder), an 70 allgemeinbildenden und 32 ungarisch-ukrainisch bilingualen Schulen (insgesamt 5.604 Schüler der Primarstufe, 15.126 Schüler der Sekundarstufe). Darüber hinaus wird Ungarisch als Unterrichtsfach von 600 Grundschülern und 1.091 Schülern der Sekundarstufe belegt. An mehreren Universitäten der Region Transkarpatien studieren 882 Studenten auf Ungarisch. Justizbehörden: Der Evaluationsbericht monierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Ungarischen vor Gericht vorliegen. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Ungarisch wird im mündlichen wie schriftlichen Amtsverkehr sowie in der kommunalen Selbstverwaltung verwendet. Medien: In der Region Transkarpatien sendet das staatliche Fernsehen bzw. Radio jährlich 92 bzw. 104 Stunden auf Ungarisch. Zehn Zeitungen erscheinen vollständig auf Ungarisch, acht – teilweise. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: In der Region Transkarpatien existieren zwölf Kulturvereine, 395 Amateurgruppen und das ungarische Theater in Berehove. Wirtschaftliches und soziales Leben: Der Evaluationsbericht kritisierte, dass keine Informationen zum Gebrauch des Ungarischen im wirtschaftlichen und sozialen Leben vorliegen. Grenzüberschreitender Austausch: Es besteht ein Abkommen über kulturelle und administrative Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Ungarn.

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3 Bewertung Der Informationsstand muss insbesondere hinsichtlich der Bereiche Justizwesen, Verwaltung sowie wirtschaftliches und soziales Leben als nicht zufriedenstellend bezeichnet werden. Obwohl der Evaluationsbericht dieses Informationsdefizit wiederholt moniert, liefert auch der zweite Staatenbericht keine substantiellen Informationen. Auch wenn Maßnahmen zum Minderheitensprachenschutz in den Bereichen Bildung, Verwaltung, Medien und Kultur zu verzeichnen sind, mahnt das Ministerkomitee eine Revision der folgenden dem Minderheitensprachenschutz abträglichen Regelungen an: – Zulassung der Minderheitensprache im Amtsverkehr nur in den Kommunen, in denen der Anteil der Sprecher der Minderheitensprache über 50 % der Einwohnerzahl beträgt. – Verpflichtender Sendeanteil in ukrainischer Sprache von 75 % für alle Radiound Fernsehkanäle sowie die Pflicht, alle ausländischen Filme mit ukrainischen Untertiteln zu versehen oder ukrainisch zu synchronisieren. Auf beide Kritikpunkte geht der zweite Staatenbericht nicht ein. Neben der unzureichenden Finanzierung des Minderheitensprachenschutzes verwies der Evaluationsbericht mehrmals darauf, dass die statthafte Förderung des Ukrainischen als Staatssprache nicht auf Kosten der Minderheitensprachen betrieben werden müsse und dürfe. Als großer Erfolg des Monitoringprozesses kann gelten, dass die ukrainische Regierung von ihren ursprünglichen Plänen Abstand genommen hat und Hochschulaufnahmeprüfungen weiterhin auch in Minderheitensprachen möglich sind.

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Ukraine, 2.8.2007. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Ukraine, 10.1.2011. [= 2. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 27.11.2008. [= 1. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 7.7.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes]

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4.1.2 Weitere Quellen Autonome Republik Krim: „Конституция Автономной Республики Крым [Verfassung der Autonomen Republik Krim]“, 21.10.1998. (28.3.2012). Ukraine: „Закон „Про національні меншини в Україні“ [Gesetz „Über nationale Minderheiten in der Ukraine“]. In: Відомості Верховної Ради України (ВВР), 36/1992, ст. 529, 25.6.1992. Ukraine: „Конституція України [Verfassung der Ukraine]“. In: Відомості Верховної Ради України (ВВР), 30/1996, ст. 141, 28.6.1996. Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik: „Закон „Про мови в Українській Радянській Соціалістичній Республіці“ [Gesetz „Über die Sprachen in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik“]“. In: Відомості Верховної Ради УРСР (ВВР), 45/1989 (Дод.), ст. 631, 28.10.1989. Ukraine: „Наказ Nº 1171 Міністерствa освіти і науки України [Beschluss Nr. 1171 des Bildungsund Wissenschaftsministeriums]“, 25.12.2007. (28.3.2012).

4.2 Literatur Besters-Dilger, Juliane (Hrsg.): Language policy and language situation in Ukraine: Analysis and recommendation, Frankfurt am Main: Lang 2009. Bowring, Bill / Antonovych, Myroslava: „Ukraine’s long and winding road to the European Charter for Regional or Minority Languages“. In: Robert Dunbar / Gwynedd Parry (Hrsg.): The European Charter for Regional or Minority Languages: Legal Challenges and Opportunities, Strasbourg: Council of Europe Publishing 2008: 157–182.

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1a (iii), b (iv), c (iv), d (iv), e (iii), f (iii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1a (iii), b (iii), c (iii); 2c; 3

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

2a, c–g; 4c

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), d, e (i), g; 2; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–g; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1b, c

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Zsuzsanna Gerner (Pécs)

Ungarn (Magyarország) 1 Vorgeschichte Auf dem Territorium Ungarns leben ab der Staatsgründung im Jahr 1000 mehrere ethnische Gruppen zusammen. Das gegenwärtige sprachlich-kulturelle Profil des Landes wurde nach der Vertreibung der Türken teils durch organisierte Neubesiedlungen, teils durch spontane Migration geprägt. Planmäßig angesiedelt wurden v.a. durch das Haus Habsburg relativ viele Deutsche, Juden und Roma in den Städten Ungarns bzw. in geschlossenen ländlichen Siedlungsräumen, spontan wanderten zahlenmäßig größere Gruppen von Serben, katholischen Bosniern, Kroaten, Rumänen und Slowaken ins Land sowie viel kleinere Migranten-Gruppen von Armeniern, Griechen und Bulgaren. Bis auf die slowenischen und deutschen Bevölkerungsteile, die schon vor der Türkenherrschaft an der Westgrenze Ungarns lebten, siedelten sich also die meisten Nicht-Ungarn im 17.–18. Jahrhundert im Karpaten-Becken an. Im 19. Jahrhundert wuchs dann durch die größten Ansiedlungswellen in der Geschichte des Landes die Anzahl der Juden und der Zigeuner (Bezeichnung nach der englischen Version des Staatenberichtes ‚gypsies‘). Das Zusammenleben der Ethnien war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts friedlich; zum ersten Konflikt kam es durch einen Beschluss des Parlamentszyklus 1843–44, der Ungarisch zur offiziellen Sprache des Amtsverkehrs und der Rechtsprechung erklärte (vgl. Törvénycikk a magyar nyelv és nemzetiségről, 1844/II). Da der Anteil der Ungarn um diese Zeit nur knappe 40 % erreichte, lehnte sich ein Großteil der Landesbevölkerung dagegen auf. Als Lösungsvorschlag wurde am 29.11.1868 das erste Minderheitengesetz (Törvénycikk a nemzetiségi egyenjogúság tárgyában) des Landes verabschiedet, welches den Gebrauch der Minderheitensprachen im Amts- und Unterrichtswesen in den von Minderheiten relativ stark besiedelten Bezirken des Landes sicherstellte. Am Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte sich die freiwillige Assimilation der Minderheiten v.a. in jenen Landesteilen, in denen die Ungarn die Mehrheit waren. In anderen Gebieten unterwarfen sich nur die städtischen Deutschen und Juden dem Assimilationszwang. Laut Angaben der Volkszählung im Jahre 1900 beherrschten bereits 60  % der Bevölkerung Ungarisch. Am 2.6.1907 wurde ein neues Schulgesetz (Lex Apponyi) eingeführt, welches die perfekte Beherrschung des Ungarischen in Wort und Schrift von allen Schulkindern, die nicht Ungarisch als Muttersprache sprachen, verlangte.

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 Zsuzsanna Gerner

Laut Volkszählungsdaten lebten 1910 im Königreich Ungarn 18,2 Mio. Menschen: Ungarn (48,1  %), Rumänen (16,34  %), Slowaken (11,24  %), Deutsche (10,21 %), Juden (8,1 %), Russinen (2,5 %), Serben (2,5 %), Kroaten (1,5 %), Zigeuner (0,6  %) und sonstige Ethnien (0,2  %).Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich diese ethnische Zusammensetzung: Durch den Friedensvertrag von Trianon (4.6.1920) verlor Ungarn mehr als zwei Drittel seines bisherigen Territoriums, die Bevölkerungszahl sank auf 7,6 Mio.. 33 % der Ungarn (3,3 Mio.) fanden sich außerhalb der neuen Staatsgrenzen wieder (vgl. DOKSI 2010). In dieser Situation war Ungarn nicht mehr bereit, seinen Minderheiten gegenüber Zugeständnisse zu machen: 1920 begann eine starke Zwangsassimilierung. Durch den Ersten Wiener Schiedsspruch wurden Ungarn 1938 Gebiete mit ungarischer Bevölkerungsmehrheit in der Südslowakei und in der Karpatenukraine wieder zugesprochen, durch den Zweiten Wiener Schiedsspruch 1940 auch ein Teil des nördlichen Siebenbürgen, doch 1947 musste es diese Gebiete endgültig abtreten; gegenwärtig lebt in fast allen Nachbarländern eine zahlenmäßig große ungarische Minderheit. Neben der teils erzwungenen, teils freiwilligen Assimilation der Minderheiten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg Fälle des objektiven Bevölkerungsrückgangs unter den Minderheiten Ungarns: 1944–45 fielen 70  % des ungarischen Judentums (ca. 500.000 Menschen) dem Holocaust zum Opfer, etwa 70.000 Zigeuner dem Porajmos. Etwa 200.000 Deutsche wurden ab 1946 nach Deutschland vertrieben, weitere 60.000 in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit verschleppt. Nach einem der sogenannten Beneš-Dekrete gab es einen Bevölkerungsaustausch zwischen Ungarn und der Tschechoslowakei, wonach ab 1947 die freiwillige Umsiedlung von 60–70.000 Slowaken aus Ungarn in die Slowakei und die Zwangsumsiedlung von ca. 100.000 Ungarn aus der Slowakei nach Ungarn erfolgte (vgl. Szarka 2007). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Gleichberechtigung der in Ungarn lebenden Nicht-Ungarn durch die Verfassung der Volksrepublik Ungarn vom 20.8.1949 auf der höchsten Ebene der Gesetzgebung garantiert. Im Grundgesetz wurde u.a. deklariert, dass die Volksrepublik Ungarn die Möglichkeit des Unterrichts in der Muttersprache und die Pflege der Kultur aller hier lebenden Nationalitäten garantiert. Der Muttersprachunterricht beschränkte sich bis 1951 auf Slowakisch, Rumänisch und ‚Südslavisch‘ (worunter Serbisch, Kroatisch, Slowenisch verstanden wurde), danach wurde auch Deutsch als Minderheitensprache im Unterricht erlaubt (vgl. Verordnung des Präsidialrates der Volksrepublik Ungarn, 1951/15). Unter ‚Nationalitäten‘ verstand die Verfassung lediglich diese sechs Minderheiten. Artikel 68 der geänderten Verfassung von 1989 stellt die nationalen und ethnischen Minderheiten unter den Schutz der Republik Ungarn. Sie sind berech-

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tigt, lokale und Landesselbstverwaltungen zu wählen, ihre Kultur zu pflegen, ihre Muttersprache zu sprechen, Bildung in ihrer Muttersprache zu erhalten und Personennamen in ihrer Muttersprache zu verwenden. Mit Artikel 32/B,2 der Verfassung von 1989 wurde der Posten eines parlamentarischen Beauftragten für die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten geschaffen. Dieser Beauftragte, oft auch Ombudsmann für Minderheiten genannt, untersucht jegliche ihm zugetragenen Verstöße und leitet Maßnahmen dagegen ein. Mit dem Regierungsdekret Nr. 34 von 1990 richtete die ungarische Regierung das Amt für Nationale und Ethnische Minderheiten ein. Als unabhängiges Regierungsorgan unter Leitung des Justizministers war es Aufgabe des Minderheitenamts, die Minderheitenpolitik der Regierung vorzubereiten und ein Maßnahmenprogramm für Minderheiten zu entwickeln. Das Gesetz Nr. LXXVII über die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten, kurz auch ‚Minderheitengesetz‘ genannt, wurde am 7.7.1993 vom ungarischen Parlament verabschiedet. Im Sinne der sogenannten Capotorti-Definition wurden als Kriterien für die Anerkennung einer Bevölkerungsgruppe als Minderheit von außen und somit auch für die Selbstbestimmung von innen, erstens, die historische Kontinuität, zweitens, eine gemeinsame Sprache und Kultur und, drittens, das Selbstbekenntnis der Minderheit, d.h. das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit genannt. Die gemäß dem Minderheitengesetz als nationale Minderheiten anerkannten zwölf Gruppen sind: Armenier, Bulgaren, Kroaten, Deutsche, Griechen, Polen, Rumänen, Russinen, Serben, Slowaken, Slowenen und Ukrainer. Roma und Zigeuner (Bezeichnung nach dem Gesetz) werden als ethnische Minderheit betrachtet, da sie über kein Mutterland verfügen. Bilaterale Abkommen mit direkter Bedeutung für die in Ungarn lebenden Minderheiten wurden zwischen Ungarn und seinen Nachbarländern mit ungarischen Minderheiten abgeschlossen: – Erklärung über die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik bei der Gewährleistung der Rechte nationaler Minderheiten (31.5.1991) – Vertrag über gute nachbarschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Ukraine (6.12.1991) – Übereinkommen über die Gewährung von Sonderrechten für die slowenische Minderheit in Ungarn und der ungarischen Minderheit in Slowenien (6.11.1992) – Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Republik Slowenien (1.12.1992) – Vertrag zwischen der Republik Ungarn und der Republik Kroatien über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit (16.12.1992)

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bilaterales Abkommen zwischen der Republik Ungarn und der Republik Kroatien über den Schutz der ungarischen Minderheit in Kroatien und der kroatischen Minderheit in Ungarn (5.4.1995) Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Slowakischen Republik (19.3.1995) Vertrag zwischen der Republik Ungarn und Rumänien über die Verständigung, Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft (16.9.1996).

Über die bilateralen Abkommen mit Nachbarländern hinaus kann noch die Erklärung über die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Russischen Föderation bezüglich der Gewährleistung der Rechte nationaler oder ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten (11.11.1992) erwähnt werden sowie der Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und europäische Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Republik (6.2.1992), in dem sich Ungarn verpflichtet, durch entsprechende Maßnahmen zur Wahrung und Stärkung der Identität der in Ungarn lebenden Deutschen beizutragen.

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Ungarn unterzeichnete die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen als eines der ersten sechs Länder am 5.11.1992, ihre Ratifizierung folgte am 26.4.1995. Die Charta trat am 1.3.1998 in Kraft, offiziell bekannt gegeben wurde sie in Ungarn am 23.4.1999. Den ersten Staatenbericht erstattete Ungarn am 7.9.1999, der Sachverständigenausschuss besuchte im April 2000 erstmals das Land. Der erste Evaluationsbericht lag am 7.2.2001 vor, so dass das Ministerkomitee des Europarates am 4.10.2001 seine ersten Empfehlungen traf. Der zweite Staatenbericht wurde am 11.9.2002 vorgelegt, im Anschluss daran hielt sich der Sachverständigenausschuss vom 31.3. bis zum 2.4.2003 in Ungarn auf: Der zweite Evaluationsbericht wurde am 23.8.2003 angenommen, das Minis-

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terkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 30.6.2004, also erst nach dem EU-Beitritt Ungarns am 1.5.2004. Den dritten Staatenbericht reichte Ungarn am 21.11.2005 ein, Ergänzungen zum Bericht wurden in einem an die ungarischen Behörden gerichteten Fragenkatalog vom 15.2.2006 verlangt. Aufgrund dieser Berichterstattungen sowie der im Mai 2006 vor Ort geführten Interviews schloss der Sachverständigenausschuss seinen dritten Evaluierungsbericht am 1.12.2006 ab. Die Empfehlungen des Ministerkomitees wurden auf dessen Sitzung am 20.6.2007 angenommen. Den vierten Bericht gemäß Artikel 15,1 der Charta hätte Ungarn bereits 2008 einreichen müssen, der Staatenbericht wurde jedoch erst am 22.1.2009 an den Generalsekretär des Europarates abgeschickt. Der Aufenthalt des Sachverständigenausschusses folgte im Juni 2009, sein Bericht wurde am 1.9.2009 angenommen. Im Anschluss an den vierten Monitoringzyklus gab das Ministerkomitee seine Empfehlungen am 10.3.2010 bekannt.

2.1.2 Institutionen Im ersten Staatenbericht wurden staatliche Institutionen aufgezählt, deren Tätigkeit für den Schutz der Minderheiten und ihrer Sprachen Relevanz hat: – Az Országgyűlés Emberi jogi, Kisebbségi és Vallásügyi Bizottsága („Parlamentsausschuss für Menschenrechte, Minderheiten und Religionsangelegenheiten des Parlaments“) – A kisebbségi jogok országgyűlési biztosának intézménye („Amt des parlamentarischen Beauftragten für die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten“) – A Nemzeti és Etnikai Kisebbségi Hivatal („Amt für Nationale und Ethnische Minderheiten“) – Kisebbségek országos önkormányzatai („Landesselbstverwaltungen der Minderheiten“). In die erste Berichterstattung wurden – das Amt für Nationale und Ethnische Minderheiten, – Landesselbstverwaltungen der in Ungarn lebenden Kroaten, Deutschen, Rumänen, Serben, Slowenen und Slowaken sowie zuständige Hauptabteilungen des Innen- und Außenministeriums, des Bildungsministeriums und des Ministeriums für das Nationale Kulturerbe einbezogen; der Berichtsentwurf wurde allen Ministerien, dem Zentralen Statistischen Amt und dem Obersten Gerichtshof zur Begutachtung vorgelegt.

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Im zweiten Bericht wurden in der Schilderung des institutionellen Hintergrundes alle Landesselbstverwaltungen samt ihrer Vorsitzenden und Erreichbarkeiten genannt. In die Berichterstattung wurden weitere Gremien einbezogen: – zuständige Hauptabteilung des Finanzministeriums – Verwaltungsbüros der Komitate (Bezirke in Ungarn) – Gerichtshöfe der Komitate – Országos Rádió és Televízió Testület („Nationale Rundfunk- und Fernsehkommission“). Es wurde ein Gutachten vom Minderheitenbeauftragten des Parlaments und von den Vorsitzenden aller Landesselbstverwaltungen der in Ungarn lebenden Minderheiten eingeholt. Zivile Organisationen der Minderheiten, der Ungarische Rundfunk und das Ungarische Fernsehen wurden zusätzlich als an der Berichterstattung aktiv teilnehmende Institutionen aufgezählt. Im Bericht stand ein Hinweis darauf, dass sich aus dem EU-Beitritt Ungarns am 1.5.2004 die Beteiligung an der Arbeit von European Bureau for Lesser-Used Languages (EBLUL) und die Gründung einer Landesorganisation unter dem Namen HUBLUL ergaben. Im vierten Monitoringzyklus wurde über einen veränderten staatlich- institutionellen Hintergrund berichtet, wonach am Schutz der Minderheiten und ihrer Sprachen in Ungarn folgende Gremien beteiligt sind: – Az Országgyűlés Emberi jogi, Kisebbségi, Civil- és Vallásügyi Bizottsága („Parlamentsausschuss für Menschenrechte, Minderheiten, Zivilgesellschaft und Religionsangelegenheiten des Parlaments“) – A kisebbségi jogok országgyűlési biztosának intézménye („Amt des parlamentarischen Beauftragten für die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten“) – Miniszterelnöki Hivatal Kisebbség- és Nemzetpolizikai Szakállamtitkársága („Staatssekretariat für Minderheiten- und Nationalpolitik des Ministerpräsidialamts“) – Országos Kisebbségi Bizottság („Nationaler Minderheitenausschuss“) – Nemzetiségi Informatikai Bizottság („Informatikausschuss der Minderheiten“) – Magyarországi nemzeti és Etnikai Kisebbségekért Közalapítvány („Gemeinnützige Stiftung für Nationale und Ethnische Minderheiten in Ungarn“) – Kisebbségek országos, megyei települési önkormányzatai („Landes-, regionale und lokale Selbstverwaltungen der Minderheiten“).

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2.2 Sprachen und Sprachensituation Das Gesetz Nr. LXXVII über die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten in Ungarn zählt 13 nationale und ethnische Minderheiten auf, die über 14 offiziell anerkannte Minderheitensprachen verfügen. Roma und Zigeuner werden nämlich zu einer ethnischen Minderheit gezählt, sie gebrauchen jedoch zwei verschiedene Sprachen: Die in Ungarn lebenden Roma sprechen verschiedene Dialekte des Romani. Die Zigeuner, die u.a. wegen der sprachlichen Differenz nicht als Roma bezeichnet werden wollen, sprechen eine archaische Varietät des Rumänischen, die sie ‚Beas‘ (laut Evaluationsbericht, ung. beás) nennen. Ein Großteil (etwa 70 %) der in Ungarn lebenden Roma spricht nur noch Ungarisch, sie nennen sich ‚Romungro‘ und sind überwiegend Nachkommen großer Musiker-Dynastien. Die anderen offiziell anerkannten Minderheitensprachen sind Armenisch, Bulgarisch, Deutsch, Griechisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Russinisch, Serbisch, Slowakisch, Slowenisch und Ukrainisch. Aus dem Ratifikationsinstrument geht hervor, dass Ungarn den Anwendungsbereich des Teils III (Art. 8–14) der Charta zunächst auf sechs Minderheitensprachen begrenzte: Auf Deutsch, Kroatisch, Rumänisch, Serbisch, Slowakisch und Slowenisch. Im vierten Staatenbericht über den Zyklus 2005–2008 wurde darauf hingewiesen, dass ab 2008 Verpflichtungen auch auf die Sprachen der Roma und Zigeuner (auf Romanes und Beas) angewandt werden (vgl. Art. 42 des Gesetzes Nr. LXXVII). Im ersten Staatenbericht verwies Ungarn darauf, dass die Mehrheit der 14 im Minderheitengesetz genannten Minderheitensprachen nicht als Regionalsprache zu betrachten sei. Als Ausnahmen wurden Slowenisch und Rumänisch erwähnt, die über geschlossene Siedlungsräume verfügen. Die anderen Minderheiten leben eher verstreut im ganzen Land, deshalb könne man ihre Sprachen nicht als Regionalsprachen betrachten. Im Zusammenhang damit wies der Sachverständigenausschuss in seinem ersten Evaluationsbericht darauf hin, dass auch Russinisch und Polnisch über identifizierbare territoriale Basen verfügen und empfahl in seinem zweiten und dritten Evaluationsbericht, eine Strukturpolitik für die Unterstützung dieser Sprachen zu erarbeiten. Ungarn versuchte daraufhin durch Statistiken nachzuweisen, dass die nicht unter Teil III fallenden Minderheitensprachen in keiner Region des Landes in einer höheren Konzentration vorkommen und daher der Ausbau einer breiteren institutionellen Basis für ihre Anwendung überflüssig sei. Deutsche, Kroaten, Serben und Slowaken leben zwar auch verstreut in Ungarn, sie verfügten jedoch zur Zeit der Ratifizierung über langjährige Traditionen und ausgebaute Strukturen im Unterrichtswesen bzw. im kulturellen Leben, so dass Ungarn bezüglich der sechs im Ratifikationsinstrument genannten Min-

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derheitensprachen die gleichen Verpflichtungen nach Teil III der Charta übernehmen konnte. Die Staatenberichte beziehen sich auf die Volkzählungsdaten von 1980, 1990 bzw. 2001: Minderheit

Σ Deutsche Zigeuner/ Roma Kroaten Slowaken Rumänen Serben Slowenen Polen Griechen Bulgaren Ukrainer Armenier Russinen

Muttersprache

Ethnizität

1980

1990

2001

1980

1990

2001

112.393 31.231 27.915

137.724 37.511 48.072

135.788 33.792 48.685

70.489 11.310 6.404

232.751 30.824 142.683

314.060 62.233 190.046

20.484 16.054 10.141 3.426 3.142 – – – – – –

17.577 12.745 8.370 2.953 2.627 3.788 1.640 1.370 674 37 –

14.345 11.816 8.482 3.388 3.187 2.580 1.921 1.299 4.885 294 1.113

13.895 9.101 8.874 2.805 1.731 – – – – – –

13.570 10.459 10.740 2.905 1.930 – – – – – –

15.620 17.692 7.995 3.816 3.040 2.962 2.509 1.358 5.070 620 1.098

Laut Staatenberichten zeichne sich seit der politischen Wende eine positive Tendenz ab: Die früher wegen Stigmatisierung v.a. für Deutsche bzw. Roma und Zigeuner typische Verleugnung der Muttersprache und der ethnischen Identität werde abgebaut. Wohl nicht ganz, denn die Anzahl der in Ungarn lebenden Minderheitenangehörigen wurde von den Landesselbstverwaltungen wesentlich höher geschätzt: Armenier 3.500–10.000; Bulgaren 3.000–3.500; Deutsche 200.000–220.000; Griechen 4.000–4.500; Kroaten 80.000–90.000; Polen 10.000; Rumänen 25.000; Russinen 6.000; Serben 5.000–10.000; Slowaken 100.000– 110.000; Slowenen 5.000; Ukrainer 2.000–5.000; Zigeuner und Roma 400.000– 600.000. Insgesamt sollen also 835.000 bis 1.083.955 Menschen in Ungarn einer der 13 Minderheiten angehören. Die Gesamtzahl aller ungarischen Staatsbürger, die bei der letzten Volkszählung 2001 nicht Ungarisch als ihre Muttersprache angegeben haben, betrug 651.941 und machte 6,4% der Bevölkerung des Landes aus. Eine der 14 offiziell anerkannten Minderheitensprachen wurde von insgesamt 135.788 Personen, 1,3 % der Gesamtbevölkerung als Muttersprache genannt, zu den 13 offiziell anerkannten nationalen und ethnischen Minderheiten bekannten sich 314.060 Personen, etwa 3 % der Gesamtbevölkerung Ungarns. Für den Zensus 2001 enthielt

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das Formular gegenüber den Vorjahren – über Muttersprache und Ethnizität hinaus – zwei weitere Fragen zur Pflege der kulturellen Werte und Traditionen der Minderheit und zum Gebrauch der Minderheitensprache in zwei privaten Domänen (Familie und Freundeskreis), um über kulturelle Identität bzw. Sprachkompetenz und -gebrauch ein genaueres Bild erhalten zu können.

2.3 Durch Teil II und III geschützte Sprachen Die unter Teil III fallenden Minderheitensprachen Deutsch, Kroatisch, Rumänisch, Serbisch, Slowakisch und Slowenisch werden in den Staatenberichten nicht separat behandelt, die Informationen zu Artikel 8 bis 12 werden auf alle sechs Minderheitensprachen parallel bezogen, zumal die Verpflichtungen gleich sind. Bildung: In der Vorschulbildung seien für die geschützten Minderheiten zwei Kategorien festgelegt: Eine muttersprachliche Vorschule, wo der gesamte Vorschulalltag in der Minderheitensprache verläuft, wobei die Kinder auch die Möglichkeit erhalten, sich mit der ungarischen Sprache, Kultur und Musiktradition vertraut zu machen; und eine zweisprachige Vorschule, in der bei den verschiedenen Aktivitäten sowohl die Minderheitensprache als auch Ungarisch verwendet werden. Folgende auf der Grundlage von vier Staatenberichten erstellte Übersicht zeigt die Veränderung der Vorschulkinderzahl in Einrichtungen der sechs nach Teil III geschützten Minderheitensprachen während der ersten vier Monitoringzyklen: Minderheit

Anzahl der Vorschulkinder (Typ 1)

Anzahl der Vorschulkinder (Typ 2)

1997/98 1999/00 2003/04 2005/06 1997/98 1999/00 2003/04 2005/06 Deutsche Kroaten Rumänen Serben Slowaken Slowenen

942 335 137 83 96 –

1.488 253 130 87 103 –

178 137 107 102 188 –

455 144 96 57 192 –

13.802 1.250 480 81 2.893 88

12.653 1.135 417 94 2.947 112

14.339 1.187 378 7 2.946 78

14.302 912 440 102 2.444 86

In allen regelmäßigen Berichten wurden drei Modalitäten des Minderheitenunterrichts im Grundschulbereich erwähnt: Ein muttersprachlicher Unterricht in allen Fächern, bis auf ungarische Sprache und Literatur; ein zweisprachiger Unterricht, wobei 50 % der Schulfächer in der Minderheitensprache und 50 % auf Ungarisch gelehrt werden; ein erweiterter Sprachunterricht, wobei den Schülern wöchentlich vier bis fünf Unterrichtsstunden in der Minderheitensprache erteilt

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werden, u.a. Volkskunde. Minderheitenunterricht wird in einer Schule/Klasse dann eingeführt, wenn dies von mindestens acht Schülern bzw. ihren Eltern gewünscht wird. Die Evaluationsberichte weisen darauf hin, dass die drei Modalitäten bei den einzelnen Minderheiten stark streuen. Das Bild der Schülerzahlen ist ziemlich disparat: Die meisten Schüler nehmen am erweiterten Deutschunterricht teil, was sich einerseits aus der zahlenmäßigen Stärke dieser Minderheit und andererseits aus der international überdachenden Funktion dieser Sprache erklärt, aber auch Slowakisch und Kroatisch werden am häufigsten in dieser Unterrichtsform angeboten und gewählt. Über zweisprachige Schulen verfügen alle sechs Minderheiten, wobei Serben und Slowenen nur je eine solche Einrichtung haben. Obwohl die Bedingungen des zweisprachigen Unterrichts nur begrenzt erfüllt sind, weil es keine entsprechende Fachlehrerausbildung gibt, zeichnet sich ein wachsendes Interesse für diese Unterrichtsform ab. Dieser Zuwachs erklärt sich aus der Tatsache, dass nach dem zweiten Monitoringzyklus der Muttersprachunterricht zunehmend von dieser Unterrichtform abgelöst wurde: Laut viertem Staatenbericht haben nur noch Deutsche, Serben und Slowaken muttersprachlichen Unterricht in allen Fächern, früher hatten auch Kroaten und Rumänen einsprachige Schulen. Der Sachverständigenausschuss ermutigte nach seinem zweiten Besuch die ungarischen Behörden, Minderheitensprachen als Zweitsprachen auch an ungarischen Einrichtungen einzuführen und den zweisprachigen Minderheitenunterricht systematisch zu fördern. Auf eine weitere Modalität des Minderheitenunterrichts wurde in den Staatenberichten nicht hingewiesen: Auf einen kompensatorischen Unterricht für Roma und Zigeuner, der neben der Verbesserung der Schulleistungen die kulturellen Werte sowie Geschichte, Literatur, Kunst, Musik, Tanzkultur und Traditionen der Minderheit vermitteln soll, wobei Sprachunterricht ein fakultatives Element dieses Programms ist. Der kompensatorische Unterricht wurde in den Evaluationsberichten erwähnt und dort äußerst negativ bewertet. Verpflichtungen betreffs des Unterrichts in der Sekundarstufe II (Klassen 9–12), in der Hochschulausbildung, in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung wurden im ersten Evaluationsbericht als teilweise erfüllt bewertet. Dementsprechend schlug das Ministerkomitee Ungarn nach dem ersten Monitoringzyklus vor, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Verbesserung der Infrastruktur des Muttersprachunterrichts und des zweisprachigen Unterrichts in der Sekundarstufe II in allen sechs geschützten Sprachen sichern, und die Ausbildung von Lehrern zu fördern. Der zweite Evaluationsbericht bemängelte erneut die geringe Anzahl der Schulen und Internate, woraufhin der dritte Staatenbericht entgegnete, dass die

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Teilnahme am Minderheitenunterricht freiwillig sei und die vorhandene institutionelle Basis den Bedarf der Schüler und Eltern völlig abdecke. Dennoch sei Ungarn bestrebt, den zweisprachigen Unterricht durch zusätzliche staatliche Subventionen zu fördern. Im vierten Staatenbericht stand, dass die staatliche Unterstützung für Minderheitenschulen 2006 auf das Dreifache erhöht wurde (von 340 Mio. auf 1.100 Mio. Forint). Gemäß der Empfehlung des Ministerkomitees wurden Schulen mit Muttersprachunterricht und zweisprachigem Unterricht durch höhere Kopfquoten gefördert als Schulen mit erweitertem Sprachunterricht. Aus dem dritten Staatenbericht geht hervor, dass in der Sekundarstufe II nur Serben und Slowaken über Einrichtungen mit Muttersprachunterricht verfügen. Unter den 19 Einrichtungen mit Deutsch als Minderheitensprache seien zehn mit erweitertem Sprachunterricht und neun mit zweisprachigem Unterricht. Das einzige slowenische Gymnasium biete seinen 18 Schülern auch nur erweiterten Sprachunterricht an. Unter den 31 Mittelschulen seien 25 Gymnasien, über berufsausbildende Einrichtungen mit Minderheitensprachen verfügen nur Deutsche, Kroaten und Slowaken. In der Berufsausbildung gibt es im letzten Monitoringzyklus einen Zuwachs der deutschen Einrichtungen mit erweitertem Sprachunterricht zu verzeichnen. Laut drittem Staatenbericht habe die Modifizierung des Artikels 43 des Minderheitengesetzes die Übernahme der Trägerschaft von Institutionen durch die Landeselbstverwaltungen der Minderheiten ermöglicht: 2003 seien erstmalig Gelder zu diesem Zweck im Budget Ungarns abgesondert worden. Im vierten Monitoringzyklus gingen sechs Bildungseinrichtungen in die Trägerschaft der deutschen (zwei), der slowakischen (drei) und der kroatischen Landesselbstverwaltung über. Die Ausbildung von Minderheitensprachlehrern sollte nach dem zweiten Evaluationsbericht quantitativ und qualitativ erhöht werden. Nach dem dritten Staatenbericht gebe es Hochschuleinrichtungen für die Pädagogen-Ausbildung, die Anzahl der Studierenden zeigt jedoch eine stark fallende Tendenz bei allen sechs Minderheiten. Laut viertem Staatenbericht gab es im Studienjahr 2006/2007 eine einzige Studierende in der slowenischen Pädagogen-Ausbildung; die Zahl der Slowaken fiel von 363 im ersten Monitoringzyklus auf 47 im vierten zurück. Nach den am 10.3.2010 angenommenen Empfehlungen des Ministerkomitees sind gemäß Artikel 8,1(i) der Charta Aufsichtsorgane einzusetzen, welche die zur Einführung oder zum Ausbau des Unterrichts der Regional- oder Minderheitensprachen getroffenen Maßnahmen und die dabei erzielten Fortschritte überwachen und darüber regelmäßig Berichte verfassen, die veröffentlicht werden. Darüber hinaus sollen die finanzielle Lage des Minderheitensprachunterrichts stabilisiert, die Anzahl der zweisprachigen Schulen und die der Lehrer,

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die Fachunterricht in einer der geschützten Sprachen erteilen können, erhöht werden. Justizbehörden: Der Sachverständigenausschuss empfahl den ungarischen Behördenmehrfach, den Gebrauch von Minderheitensprachen vor Gericht praktisch zu ermöglichen. In den Evaluationsberichten wird bemängelt, dass diese Verpflichtungen nur formal erfüllt seien und ihre Umsetzung in die Praxis fehle. Laut Staatenberichten sehen die ungarischen Behörden keine Notwendigkeit für proaktive Maßnahmen, denn es gebe keine entsprechenden Anfragen seitens der Minderheiten. Dennoch beruft sich das modifizierte Gesetz über Strafprozesse (2002/I) im Abschnitt 9 direkt auf die Charta und erlaubt jedem, seine Muttersprache bei Strafprozessen schriftlich und mündlich zu verwenden. Bei Zivilprozessen kann das Gericht die Verwendung einer Minderheitensprache zulassen, die Verfahrenssprache ist jedoch Ungarisch. Unter den Empfehlungen des Ministerkomitees zum letzten Berichtszyklus steht, dass weitere Schritte nötig sind, damit die Behörden allen im Artikel 9 der Charta stehenden Verpflichtungen gerecht werden können. Hervorgehoben wird die Informierung der Betroffenen über die durch die Charta zugesicherten Rechte. Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe: Den Staatenberichten nach bedienen sich die Minderheitenangehörigen in Ungarn problemlos der Landessprache, traditionsgemäß werde diese grundsätzlich in öffentlichen Domänen verwendet. Der Grund dafür sei laut Sachverständigenausschuss im Mangel an Informationen zu sehen, man solle Minderheitenangehörige durch aktive Maßnahmen zur Verwendung der Sprache im Verkehr mit regionalen und kommunalen Behörden ermutigen. Es genüge nicht, Dokumente in Minderheitensprachen zuzulassen, ihre praktische Umsetzung müsse gefördert und popularisiert werden. Der Sachverständigenausschuss empfahl daher den ungarischen Behörden, entschlossene Maßnahmen zur Einführung einer Strukturpolitik zu ergreifen, um den Gebrauch von Regional- und Minderheitensprachen im Verkehr mit der Verwaltung zu ermöglichen. Möglichkeiten für die Verbesserung des praktischen Umsatzes wurden vom Ministerkomitee in lokalen Selbstverwaltungen der Minderheiten gesehen, die laut Empfehlungen der Sachverständigen dahingehend auch gefördert werden sollen. Ein Problem bestehe laut Staatenberichten in der Vermittlung fachsprachlicher Ausdrücke an Beamte und Elektoren, die oft eine dialektale Varietät der jeweiligen Minderheitensprache beherrschen. Deshalb unterstütze die Regierung die Veröffentlichung derartiger Glossare. Die ersten Minderheitenselbstverwaltungen sind im Kommunalwahlverfahren 1994 gewählt worden, über ihre Anzahl wird nicht berichtet. Der dritte Staatenbericht gibt Auskunft über die Wahlergebnisse der Legislaturperiode 2002–2006: Es sind 340 deutsche, 108 kroatische, 44 rumänische, 44 serbische,

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115 slowakische und 13 slowenische Minderheitenselbstverwaltungen auf kommunaler Ebene gewählt worden. Im vierten Staatenbericht wird auf die Modifizierung des Wahlgesetzes 2005 hingewiesen, wonach die Beteiligung an den Minderheitenwahlen eine vorherige Registration in einer Wählerliste voraussetzt. Ergebnisse der Wahlen 2006 werden hier nicht genannt, es wird aber auf eine Tendenz hingewiesen, wonach die Zahl dieser Interessenvertretungen seit 1994 permanent steige. Das Ministerkomitee empfiehlt nach dem letzten Monitoringzyklus, die Angehörigen der Minderheiten über ihre Rechte gemäß Artikel 10 der Charta zu informieren und konkrete Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe zu bestimmen, wo Änderungen einzuführen sind. Medien: Das ungarische Recht gewährleistet den in Ungarn lebenden Minderheiten den Zugang zu muttersprachlichen Medien. Laut Staatenberichten gebe es seit 1953 im Rundfunk und seit 1978 im Fernsehen Sendungen in Minderheitensprachen. Das Minderheitengesetz verpflichte öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender dazu, regelmäßig Programme nationaler und ethnischer Minderheiten zu produzieren und auszustrahlen. Das Gesetz Nr. I/1996 über Radio- und Fernsehen (21.12.1995) mache die Produktion von Programmen über Kultur und Leben von Minderheiten zur bindenden Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Medien. Den ersten drei Staatenberichten nach gebe es täglich Radiosendungen für die Slowaken (865 Minuten wöchentlich), für die Deutschen, Kroaten und Rumänen (840 Minuten wöchentlich) und für die Serben (780 Minuten wöchentlich), die teils regional, teils landesweit ausgestrahlt werden. Dem vierten Staatenbericht nach sende seit Februar 2007 der vierte Kanal des ungarischen Rundfunks täglich zwölf Stunden in allen 14 Minderheitensprachen nach folgender Verteilung: Deutsche, Kroaten, Rumänen und Serben haben täglich zwei Stunden in der Minderheitensprache. Das im dritten Staatenbericht geschilderte Vorhaben, im Autonomie-Kanal des Satelliten-Fernsehsenders Duna („Donau TV“) in allen 14 Minderheitensprachen Sendungen auszustrahlen, wurde nicht verwirklicht. Private Radiosender werden dagegen gefördert: Horvátország Internet Rádió („Kroatien Internet Radio“) sendet auf Kroatisch, Radio Triplex auf Rumänisch und Serbisch, Radio Monošter auf Slowenisch. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sende wöchentlich landesweite Programme für die kroatischen, deutschen, rumänischen, slowakischen und serbischen Minderheiten sowie für die slowenische Minderheit alle zwei Wochen. Im Anschluss an den vierten Monitoringzyklus schlägt das Ministerkomitee vor, Fonds für die Aus- und Weiterbildung von Journalisten im Minderheitenbereich zu sichern.

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Neben Radio und Fernsehen finanzieren das Amt für Nationale und Ethnische Minderheiten und die Gemeinnützige Stiftung für Nationale und Ethnische Minderheiten auch einige Printmedien der Minderheiten: Mindestens eine Zeitschrift jeder Minderheit Ungarns werde mit öffentlichen Geldern unterstützt. Die Zeitungen sind Wochenblätter, nur Porabje erscheint zweiwöchentlich. Das Ministerkomitee schlägt in seinen letzten Empfehlungen vor, das Repertoire der Minderheiten-Fernsehsendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu erweitern und Mittel für die Ausbildung von Journalisten bereit zu stellen. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Die deutsche Minderheit in Ungarn verfüge über zwei professionelle Theater („Deutsche Bühne“ in Szekszárd, Budapester Deutsches Theater), das erste ist in der Trägerschaft der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Professionelle Theater haben auch die Kroaten (in Pécs), die Serben (in Lórév) und die Slowaken (in Szarvas). Slowenen und Rumänen haben nur Laientheatergruppen. Im vierten Monitoringzyklus wurde jährlich ein Treffen der Minderheiten-Theatergruppen mit Unterstützung der Stiftung für Nationale und Ethnische Minderheitenorganisiert. Eigene Verlage haben Rumänen (Noi), Serben (Izdan) und Kroaten (Croatica) in Ungarn. Die kulturelle Tätigkeit vieler Vereine wird im Falle der Deutschen vom Ungarndeutschen Kulturzentrum (Magyarországi Német Közművelődési Központ) koordiniert. Über ähnliche, von den Landesselbstverwaltungen getragene Dachorganisation verfügen auch die Slowaken (Szlovák Közművelődési Központ) und die Serben (Szerb Kulturális és Dokumentációs Központ). Die Ungarndeutschen haben ca. 60, die Slowaken ca. 50 Heimatmuseen. Alle sechs geschützten Minderheiten verfügen über verschiedene Sammlungen von Gegenständen und Dokumenten, die aufgehoben und bearbeitet werden. Im vierten Evaluationsbericht wurde darauf hingewiesen, dass es notwendig sei, die Förderung und finanzielle Unterstützung der kulturellen Einrichtungen und ihrer Tätigkeit mittelfristig zu planen. Wirtschaftliches und soziales Leben: Ausführungen zu dieser Verpflichtung beschränken sich in den Staatenberichten auf Hinweise bezüglich der Rechtsbestimmungen über den Sprachgebrauch in Ungarn, die keine Sonderregelungen in Bezug auf die Minderheitensprachen enthalten. Im ersten Monitoringzyklus seien keine Einschränkungen des Gebrauchs von Minderheitensprachen vorgefunden worden, die Verpflichtung wurde von den Sachverständigen als erfüllt bewertet. In den anderen Evaluierungsberichten bleibt Artikel 13 dementsprechend gänzlich weg. Grenzüberschreitender Austausch: Ungarn habe mit fünf von insgesamt sechs Ländern bilaterale Abkommen abgeschlossen, wo eine der sechs geschützten Sprachen offizielle Sprache ist. Nach dem ersten Monitoringzyklus stand das

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Abkommen mit Jugoslawien noch aus, seine Ausarbeitung begann im zweiten Zyklus. Das Abkommen wurde laut drittem Staatenbericht im Jahre 2003 zwischen Serbien-Montenegro und Ungarn abgeschlossen.

2.4 Nur durch Teil II geschützte Sprachen Der erste Evaluierungsbericht des Sachverständigenausschusses bewertete die meisten der von Ungarn nach der Charta übernommenen Verpflichtungen als erfüllt. Gesetzliche Garantien wurden v.a. in der Verfassung sowie im Minderheitengesetz gesehen, die durch spezifizierende Gesetze ergänzt wurden. Bereits nach dem ersten Monitoringzyklus empfahl jedoch das Ministerkomitee, hinsichtlich der Sprachen der Roma und Zigeuner eine Strukturpolitik zu verabschieden, damit diese im öffentlichen Leben und im Unterricht verwendet werden können. Im zweiten Evaluationsbericht wurde Ungarn explizit aufgefordert, für den Abbau der Intoleranz gegenüber Sprachen und Kultur der Roma und Zigeuner dringend Maßnahmen zu ergreifen sowie die allgemeine Praxis, wonach Roma- und Zigeunerkinder automatisch in Aushilfeklassen eingeschult werden, sofort zu ändern. Erst im vierten Evaluationsbericht werden die entgegenwirkenden Maßnahmen der ungarischen Behörden ausdrücklich gelobt. Im dritten Monitoringzyklus sei immer noch die Segregation das vorherrschende Prinzip gewesen. Die Unzulänglichkeit des Unterrichts der Roma und Zigeuner sei zum Teil durch Mangel an Unterrichtsmaterialien bedingt, deshalb bestehe nach Ansicht der Vertragsparteien eine der dringendsten Aufgaben in der Kodifizierung, Normierung und Standardisierung der Sprachen dieser ethnischen Minderheit. Im vierten Monitoringzyklus wurde laut Staatenbericht Romani in zwei Vorschulen, 14 Grundschulen und vier Mittelschulen in den regulären Unterricht integriert angeboten. Beas war in dieser Form an sieben Grundschulen und an einem Gymnasium zugänglich. Lehrerausbildung für die Sprachen gab es nur an der Universität Pécs, Weiterbildungslehrgänge wurden jedoch auch an anderen Hochschuleinrichtungen organisiert. Die ungarischen Behörden wurden auch im vierten Evaluierungsbericht ermutigt, die Lehrerausbildung zu fördern. Andere Minderheitensprachen, die unter Teil II (Art. 7) der Charta fallen, wurden in den ersten zwei Monitoringzyklen nur vereinzelt, meist in Sonntagsschulen unterrichtet. Im zweiten Evaluierungsbericht legte der Sachverständigenausschuss den Behörden nahe, Maßnahmen zum Schutz der Minderheitensprachen Russinisch und Polnisch zu ergreifen, die den Unterricht dieser Sprachen als integralen Teil des Lehrplans vorsehen. Im dritten Monitoringzyklus wurden Russinisch und Polnisch z.T. auch in den regulären Unterricht integriert. Ukrainisch werde weiterhin in Sonntagsschulen unterrichtet, weil die Landesselbst-

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verwaltung keine Veränderung dieser Tradition unterstützt habe. Laut viertem Staatenbericht wurde Armenisch nur noch in einer privaten Sprachschule unterrichtet. Laut zweitem Staatenbericht sei es dank der Modifizierung des Bildungsgesetzes im Jahre 1999 möglich, dass Minderheitenselbstverwaltungen durch Verwendung staatlicher Mittel den sog. ergänzenden Minderheitenunterricht im Eigenmanagement einführen, der gegenüber anderen Formen des Minderheitenunterrichts nicht an eine Mindestschülerzahl gebunden ist und den Unterricht von Minderheitensprache und Volkskultur vorsieht. Im Schuljahr 2004/05 wurden durch die Landesselbstverwaltungen der Bulgaren, Griechen und Polen solche Schulen errichtet, die auch von den Mutterländern unterstützt wurden. Laut Staatenberichten werden Verpflichtungen nach Teil III der Charta teilweise auf Sprachen, die unter Teil II der Charta fallen, angewendet. Die armenischen, bulgarischen, griechischen, polnischen, russinischen und ukrainischen Minderheiten verfügen demnach über Medien: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen teilen sie sich die Sendezeit des zweiwöchentlichen Magazins Rondo. Das „Roma-Magazin“ werde einmal in der Woche ausgestrahlt, leider zu äußerst ungünstigen Zeitpunkten, was nach der Empfehlung der Sachverständigen geändert werden müsste. 2006 habe das öffentlich-rechtliche ungarische Fernsehen ein Programm für Roma-Praktikanten gestartet, die Absolventen seien Mitwirkende an verschiedenen (nicht nur Minderheiten-)Sendungen. Dem vierten Staatenbericht nach sendet der vierte Kanal des ungarischen Rundfunks seit Februar 2007 Programme in allen 14 Minderheitensprachen. Bulgaren, Griechen, Polen, Russinen, Slowenen und Ukrainer hätten wöchentlich einmal 30 Minuten Sendezeit in der Minderheitensprache. Die Sendung der Armenier (30 Minuten) ist zweisprachig. Für Roma und Zigeuner gebe es eine 30-minütige Sendung fünfmal von Montag bis Freitag in ungarischer Sprache. Laut Evaluationsbericht seien diese Programme in manchen Regionen schlecht zu empfangen. Seit 2007 sei eine Arbeitsgruppe für Minderheitenmedien im Staatssekretariat für Minderheiten- und Nationalpolitik des Ministerpräsidialamtes tätig.

3 Bewertung Die Minderheitenpolitik Ungarns rühmte sich vor der politischen Wende 1989 einer vorbildlichen Liberalität nicht nur im Ausland und vor der ungarischen Bevölkerung des Landes, sondern auch in den Augen vieler Angehöriger der in Ungarn lebenden Minderheiten. Diese liberale, Förderung vortäuschende

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Behandlung der Minderheiten bewirkte jedoch eine bedeutende sprachlich-kulturelle Assimilation: Die Monolingualität in der Minderheitensprache wurde zunächst durch additiven, später durch subtraktiven Bilingualismus abgelöst; heute verfügen viele Mitglieder der ethnischen Gruppen Ungarns über mangelnde oder gar keine Kompetenzen in der Minderheitensprache. Aus der Darstellung der vier bisher abgeschlossenen Berichtszyklen geht hervor, dass Ungarn den Anwendungsbereich der Charta zunächst auf sechs Minderheitensprachen, auf das Deutsche, Kroatische, Rumänische, Serbische, Slowakische und Slowenische begrenzt hat, einen Teil der Verpflichtungen gemäß Artikel 8 bis 13 jedoch auch im Fall von anderen Minderheitensprachen erfüllt. Im zweiten Staatenbericht wird die Absicht beteuert, alle im Land lebenden Minderheiten dahingehend zu fördern, dass die Verpflichtungen im Teil III der Charta mittelfristig auch auf ihre Sprachen ausgedehnt werden können. Zur Verwirklichung dieser Absicht haben die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats, soweit sie konkrete Maßnahmen ausgelöst haben, sicherlich beigetragen. Ein wichtiges Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und Ungarn könnte in der Aufnahme von Romanes und Beas ab 2008 in die Reihe der unter Teil III fallenden geschützten Sprachen Ungarns gesehen werden. Neben der Anerkennung vieler Maßnahmen, die seitens der ungarischen Regierung im Anschluss an die einzelnen Monitoringzyklen eingeführt wurden, blieben jedoch laut den Evaluationsberichten einige Probleme ungelöst: Es mangelt v.a. an einer langfristigen Strukturpolitik für die Förderung und Erhaltung der Minderheitensprachen (aller 14), an Stabilität der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel und an einem effektiven Überprüfungsverfahren v.a. im Bildungsbereich für Minderheitensprachen, die unter Teil III fallen. Ungarns Minderheitenpolitik wird von den Sachverständigen teils als reaktiv bewertet, sie fordern mehr proaktive Maßnahmen, damit die Sprecher der Minderheitensprachen ihre Rechte auch in die Praxis umsetzen können. Es stehen noch immer Maßnahmen aus, die den Gebrauch der Minderheitensprachen in den Domänen des öffentlichen Verkehrs und im Justizwesen ermöglichen würden. Es fehlen Maßnahmen, damit die Minderheitensprachen im Rundfunk und Fernsehen angemessen vertreten sind. Doch auch diese Münze hat zwei Seiten, denn die in der Verfassung und im Minderheitengesetz gesicherten Rechte und Möglichkeiten müssen von den Akteuren selbst in die Tat umgesetzt werden, sonst bleiben sie – wie schon gehabt – eine (selbst-)täuschende Bevormundung.

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 Zsuzsanna Gerner

4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Hungary, 2.9.1999. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Hungary, 11.9.2002. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Hungary, 21.11.2005. [= 3. Staatenbericht] Fourth Periodical Report of Hungary, 22.1.2009. [= 4. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 1.2.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 9.8.2003. [= 2. Evaluationsbericht] Third Committee of Experts’ Evaluation Report, 1.12.2006. [= 3. Evaluationsbericht] Fourth Committee of Experts’ Evaluation Report, 11.9.2009. [= 4. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 4.10.2001. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 30.6.2004. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes] Third Committee of Ministers’ Recommendation, 20.6.2007. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 3. Evaluationsberichtes] Fourth Committee of Ministers’ Recommendation, 10.3.2010. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 4. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Deutsches Reich/Königreich Italien: „Erster Wiener Schiedsspruch“. In: Dokumente der Deutschen Politik, Bd. 8/1, Berlin 1943: 352–360, 2.11.1938. (22.3.2012). Deutsches Reich/Königreich Italien: „Zweiter Wiener Schiedsspruch“. In: Dokumente der Deutschen Politik, Bd. 8/1, Berlin 1943: 383–389, 30.8.1940. (22.3.2012). Königreich Ungarn: „Lex Apponyi [Apponyisches Schulgesetz]“, 2.6.1907. Königreich Ungarn: „Törvénycikk a magyar nyelv és nemzetiségről [Gesetz über die Einführung der ungarischen Sprache als Amtssprache]“, 1844. (22.3.2012). Königreich Ungarn: „Törvénycikk a nemzetiségi egyenjogúság tárgyában [Nationalitätengesetz]“. In: Goldthammers Archiv für Strafrecht (GA), XLIV/1868, 29.11.1868. (22.3.2012). Königreich Ungarn/Alliierte und assoziierte Mächte: Friedensvertrag von Trianon. Friedensvertrag zwischen Ungarn und den alliierten und assoziierten Mächten, 4.6.1920. (22.3.2012).

Ungarn 

 431

Republik Ungarn: „A Magyar Köztársaság alkotmánya [Verfassung der Republik Ungarn]“. In: Magyar Közlöny,XXXI/1989, 1244, 23.10.1989. (22.3.2012). Republik Ungarn: „34/1990. sz. Kormányrendelet [Regierungsdekret Nr. 34]“, 30.8.1990. (22.3.2012). Republik Ungarn: „1993. évi LXXVII. törvény a nemzeti és etnikai kisebbségek jogairól [Gesetz über die Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten]“. In: Magyar Közlöny, LXXVII/1993, 5273, 7.7.1993. Republik Ungarn: „1996. évi I. törvény a rádiózásról és televíziózásról [Gesetz über das Radiound Fernsehwesen]“, 21.12.1995. (22.3.2012). Republik Ungarn: „Új Bűntetőeljárási törvény [Neues Gesetz über Strafprozesse]“, 1.7.2003. (22.3.2012) Republik Ungarn/Bundesrepublik Deutschland: Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und europäische Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Republik, 6.2.1992. Republik Ungarn/Republik Kroatien: Vertrag zwischen der Republik Ungarn und der Republik Kroatien über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit, 16.12.1992. Republik Ungarn/Republik Kroatien: Übereinkommen zwischen der Republik Ungarn und der Republik Kroatien über den Schutz der Rechte der in der Republik Ungarn lebenden kroatischen Minderheit und der in der Republik Kroatien lebenden ungarischen Minderheit, 5.4.1995. Republik Ungarn/Republik Slowenien: Übereinkommen über die Gewährung von Sonderrechten für die slowenische Minderheit in Ungarn und der ungarischen Minderheit in Slowenien, 6.11.1992. Republik Ungarn/Republik Slowenien: Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Republik Slowenien, 1.12.1992. Republik Ungarn/Rumänien: Vertrag zwischen der Republik Ungarn und Rumänien über die Verständigung, Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft, 16.9.1996. Republik Ungarn/Russische Föderation: Erklärung über die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Russischen Föderation bezüglich der Gewährleistung der Rechte nationaler oder ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten, 11.11.1992. Republik Ungarn/Slowakische Republik: Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Slowakischen Republik, 19.3.1995. Republik Ungarn/Ukraine: Vertrag über gute nachbarschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Ukraine, 6.12.1991. Republik Ungarn/Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik: Erklärung über die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen der Republik Ungarn und der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik bei der Gewährleistung der Rechte nationaler Minderheiten, 31.5.1991. Volksrepublik Ungarn: „A Magyar Népköztársaság alkotmánya [Verfassung der Volksrepublik Ungarn]“. In: Magyar Közlöny, XX/1949, 1355, 20.8.1949. Volksrepublik Ungarn: „Magyar Népköztársaság Minisztertanácsának 63/1951. MT sz. rendelete [Nr. 63/1951 Verordnung des Präsidialrates der Volksrepublik Ungarn]“, 27.5.1951. (22.2.2012).

432 

 Zsuzsanna Gerner

4.2 Literatur DOKSI: „Friedensvertrag von Trianon“. 2010. (2.2.2012). Gerner, Zsuzsa: „Schlaf, Kindlein schlaf … Über die vorbildliche Minderheitenpolitik und ihre Folgen für die deutsche Sprache in Ungarn.” In: Germanistische Mitteilungen, 34, 1991: 43–69. Gyulavári Tamás / Kállai, Ernő (Hrsg.): A jövevényektől az államalapító tényezőkig. A nemzetiségi közösségek múltja és jelene Magyarországon. [Von den Ankömmlingen bis hin zu den staatsgründenden Elementen. Vergangenheit und Gegenwart der Minderheitengemeinschaften in Ungarn], Budapest: Országgyűlési Biztos Hivatala 2010. Janich, Nina / Tim-Mabrey, Christiane (Hrsg.): Sprachidentität – Identität durch Sprache, Tübingen: Narr 2003. Kremnitz, Georg: Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit. Institutionelle, gesellschaftliche und individuelle Aspekte, Wien: Braumüller 1994. Metzing, Dieter (Hrsg.): Sprachen in Europa. Sprachpolitik, Sprachkontakt, Sprachkultur, Sprachentwicklung, Sprachtypologie, Bielefeld: Aisthesis Verlag 2003. Szarka, Laszlo: „A csehszlovák-magyar lakosságcsere helye a magyar kisebbség tervezett felszámolásában 1945–1948 között“. 2007. (2.2.2012).

4.3 Maßnahmenkatalog Artikel 8 (Bildung)

1 (iv), b (iv), c (iv), d (iv), e (iii), f (iii), g–i; 2

Artikel 9 (Justizbehörden)

1 (ii), a (iii), (iv) , b (ii), (iii), c (ii), (iii);2a, b, c

Artikel 10 (Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe)

1a (v), c; 2b, e–g; 3c; 4a, c; 5

Artikel 11 (Medien)

1a (iii), b (ii), c (ii), e (i), f (i), g; 3

Artikel 12 (Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen)

1a–c, f; 2; 3

Artikel 13 (Wirtschaftliches und soziales Leben)

1a

Artikel 14 (Grenzüberschreitender Austausch)

a, b

Maria Petrou (Gießen)

Zypern (Κυπριακή Δημοκρατία) 1 Vorgeschichte Infolge der Abkommen von Zürich und London (1959) erhielt Zypern seine Unabhängigkeit und wurde im Jahre 1960 zu einer konstitutionellen Republik. Gewisse Bestimmungen in den Abkommen und in der Verfassung von 1960 lösten interne Konflikte zwischen griechischen und türkischen Zyprern aus, wobei letztere 18 % der Bevölkerung ausmachten. Die in Griechenland herrschende Militärjunta verübte am 15.7.1974 einen Putsch auf der Insel gegen die zyprische Regierung. Am 20.7.1974 fiel die Türkei in Zypern ein, vorgeblich um für Sicherheit zu sorgen. Stattdessen besetzte sie 36,2 % des Hoheitsgebietes Zyperns. Dies führte de facto zu einer Teilung der Insel, die auch mit der Trennung der Bevölkerung durch Zwangsumsiedlungen einherging: Griechische Zyprer mussten in den Süden umsiedeln und türkische Zyprer in den besetzten Norden. Beeinflusst wurden auch die Armenier und Maroniten Zyperns, die meist in die nicht besetzten Gebiete zwangsumgesiedelt wurden. Seit 1974 hat der Staat Zypern nur über die nicht besetzten Gebiete effektive Kontrolle. Am 13.12.2002 beschloss der Europäische Rat in Kopenhagen die Aufnahme Zyperns in die EU zum 1.5.2004. Am 16.4.2003 unterzeichnete die Republik Zypern in Athen den EU-Beitrittsvertrag und am 1.5.2004 wurde sie Vollmitglied der EU. Die Verfassung der Republik Zypern teilt die zyprische Bevölkerung in zwei Gemeinschaften, die griechische (Art. 2,1) und die türkische (Art. 2,2), denen bestimmte Rechte zuerkannt werden. Alle nicht darunter fallenden Individuen und Gruppierungen müssen sich gemäß den Absätzen 3–7 einer der beiden Gemeinschaften zuordnen. Als eigene Gruppierungen sind in der Verfassung religiöse Gruppen vorgesehen. Tatsächlich haben sich die religiösen Gruppen der Armenier, Maroniten und Lateiner für die Zugehörigkeit zur griechischen Gemeinschaft entschieden und genießen so die entsprechenden Rechte. Artikel 3 der Verfassung erklärt das Griechische und das Türkische zu den zwei Amtssprachen der Republik Zypern.

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 Maria Petrou

2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Zypern unterzeichnete die Charta am 12.11.1992 und ratifizierte sie am 26.8.2002, woraufhin sie am 1.12.2002 in Kraft trat. Zypern erstattete den ersten Staatenbericht am 17.1.2005. Der Sachverständigenausschuss besuchte die Insel erstmals im Oktober 2005. Auf der Grundlage des Evaluationsberichtes vom 24.3.2006 verabschiedete das Ministerkomitee am 27.9.2006 seine ersten Empfehlungen. Der zweite Staatenbericht wurde am 17.1.2008 vorgelegt, worauf der Sachverständigenausschuss bereits im September 2008 Zypern ein zweites Mal besuchte und den entsprechenden Bericht am 23.4.2009 übergab. Das Ministerkomitee verabschiedete seine Empfehlungen am 23.9.2009. Der dritte Staatenbericht wurde am 18.1.2011 vorgelegt. Der Evaluationsbericht und die Empfehlungen des Ministerkomitees liegen noch nicht vor.

2.1.2 Institutionen Der erste Staatenbericht wurde von den entsprechenden Regierungsstellen (Kommissar für Justiz, nach einem entsprechenden Beschluss des Ministerrats, Ministerium für Bildung und Kultur, Außenministerium, Innenministerium, Statistischen Amt des Finanzministeriums, Obersten Gericht, Staatsanwaltschaft der Republik) unter Berücksichtigung des Repräsentanten der Armenier Zyperns erstellt. Der zweite und der dritte Staatenbericht nennen zusätzlich die Repräsentanten der Armenier und Maroniten, ihre jeweiligen Büros sowie nicht staatliche Organisationen.

2.2 Sprachen und Sprachensituation Die Republik Zypern verpflichtet sich, gemäß ihrer Erklärung vom 3.8.2005, Teil II (Art. 7) der Charta auf das Armenische als nicht-territoriale Sprache anzuwenden. In einer Zusatzerklärung und als Reaktion auf die Empfehlungen des Ministerko-

Zypern 

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mitees vom 27.9.2006 ergänzte Zypern diese am 5.11.2008 um eine weitere Erklärung, der zufolge nun auch das Zyprisch-Maronitisch-Arabische (ZMA) als Minderheitensprache im Sinne der Charta unter den Schutz durch Teil II fallen soll. Eine Diskussion zwischen Zypern und dem Europarat dreht sich um die Möglichkeit, auch das Romanes der Roma-Gemeinschaft und das Türkische unter den Schutz der Charta zu stellen. Der Sachverständigenausschuss bat bezüglich des Gebrauchs der Sprache der Roma um nähere Informationen, laut drittem Staatenbericht werden erste Daten jedoch nicht vor Abschluss der Volkszählung 2011 verfügbar sein. Als delikat hat sich die Frage des Türkischen herausgestellt. Nach der Interpretation des Sachverständigenausschusses hat das Türkische zwar den Status einer offiziellen Staatssprache, doch seien die rund 1.000 türkischen Zyprer, die heute innerhalb des nicht besetzten Gebiets wohnten, de facto in einer Minderheitensituation. Sprachliche Rechte seien in der Praxis nicht immer gewährleistet. Zypern reagierte darauf im zweiten Staatenbericht mit dem Verweis auf seine Bemühungen im türkischsprachigen Bildungssektor. In den dem Ministerkomitee vorgelegten Kommentaren bekräftigte Zypern, dass nach seiner Einschätzung das Türkische nicht als Minderheitensprache gelten könne und berief sich auf den weiterhin geltenden offiziellen Status der Sprache, der sowohl legislativ als auch in der Praxis gewahrt bleibe. Der Sachverständigenausschuss erbat in der Folge erneut genauere Informationen zum Gebrauch des Türkischen und empfahl, die Präsenz der Sprache im Rundfunk zu stärken. Zypern lehnte es jedoch auch weiterhin aufgrund des offiziellen Status der Sprache ab, das Türkische als Minderheitensprache zu fördern.

2.3 Nur durch Teil II geschützte Sprachen 2.3.1 Armenisch Armenisch ist eine indoeuropäische Sprache. Auf Zypern wird eine Varietät des Westlich-Armenischen gesprochen, die von den meisten Armeniern der Diaspora verwendet wird. Mit Ausnahme der in jüngerer Zeit zugewanderten Armenischsprecher sprechen die zyprischen Armenier, die laut Angaben des ersten Staatenberichtes seit dem 6. Jahrhundert auf der Insel leben, neben dem Armenischen auch Griechisch. Nach dem Zensus von 2003 waren 0,4 % der griechisch-zyprischen Gemeinschaft und 0,3 % der ganzen Bevölkerung Zyperns Armenier, d.h. rund 2.600 Personen. Im zweiten Staatenbericht präzisierte Zypern, dass es auf der Insel 3.000 Armenier gebe. 400 davon seien zugewandert. Die meisten seien den Angaben zufolge in der Gegend von Nikosia wohnhaft, im besetzten Norden lebten dagegen keine Armenier.

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Bildung: Laut erstem Staatenbericht verfügen die Armenier über Grundschulen (Nareg-Schule) in Nikosia, Limassol und Larnaka; Unterrichtssprache sei das Armenische. Die Nareg-Schulen, die von 90 % der armenischen Kinder besucht werden, seien zwar vom Staat finanziert, würden jedoch autonom geleitet. Unterrichtsmaterialien stelle das Ministerium für Bildung und Kultur zur Verfügung, wobei armenische Lehrbücher auch aus dem Libanon und den USA importiert würden. Armenisch, Griechisch und Englisch würden von der ersten bis zur letzten, d.h. siebten Klasse, unterrichtet. Die Mittel- und Oberstufenausbildung werde durch das 1926 gegründete und von einer amerikanischen Gesellschaft (Armenian General Benelovent Union of New York) geführte Melkonian Educational Institute angeboten. Dieses ziehe auch Armenier aus anderen Ländern an, solle jedoch 2005 aus finanziellen Gründen geschlossen werden, was Zypern – so der Staatenbericht – durch eigene finanzielle Zuwendungen zu verhindern suche. Aus dem ersten Evaluationsbericht geht hervor, dass die Schule trotz der Bemühungen Zyperns geschlossen wurde. Der Sachverständigenausschuss forderte daher, Maßnahmen zu ergreifen, um Unterricht im sekundären Bereich zu gewährleisten. Ferner seien Bemühungen zugunsten technischer Ausbildungsmöglichkeiten, der Erwachsenen- und Hochschulbildung sowie der Lehrerausbildung nötig. Der zweite Staatenbericht zeugt von den Bemühungen Zyperns zugunsten des Armenischen: So hat der zyprische Ministerrat zwar die Einrichtung einer Sekundarschule beschlossen, doch bevorzugten die Schüler mehrheitlich die private American Academy in Nikosia, deren Lehrplan den Bedürfnissen der Schülergruppe angepasst worden sei. Überdies prüfe das Ministerium für Bildung und Kultur die Möglichkeit, eine Lehrerausbildung auf und in Armenisch anzubieten. Die Universität Zypern wolle überdies Veranstaltungen zur armenischen Sprache und Kultur als Wahlfächer in der Abteilung für Turkologie und Studien des Mittleren Ostens einführen. Repräsentanten der Armenier baten an, eigene Lehrbücher über ihre Kultur und Geschichte zu konzipieren. Ferner werde die Möglichkeit zur Einrichtung von Armenischkursen in den Zentren für Erwachsenenbildung geprüft. Der Sachverständigenausschuss lobte Zypern für seine Bemühungen, zeigte sich jedoch weiterhin besorgt über die zukünftige Gewährleistung des Unterrichts in und auf Armenisch. Dazu bemerkte er, dass es noch keine Möglichkeit gebe, Armenischlehrer für die sekundäre Bildung auszubilden. Im dritten Staatenbericht erläuterte Zypern ein Reformprogramm zur Modernisierung des zyprischen Schulbildungssystems. So werde die Lehrerausbildung derzeit vom Pädagogischen Institut Zyperns vorbereitet. Unter Beteiligung qualifizierter Personen (einschließlich Armenier der Diaspora) solle die Durchführung von Schulungen sichergestellt werden. An der Universität Zypern sei neben

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einem armenischen Sprachkurs auch die Schaffung eines Lehrstuhls für armenische Geschichte und Zivilisation Zyperns geplant. Justizbehörden: Der erste Staatenbericht führte aus, dass im Gericht verfassungsgemäß (Art. 3,4) die offiziellen Sprachen (Griechisch und Türkisch) verwendet werden müssen. Gerichtsverfahren können auf Armenisch mit Hilfe eines Dolmetschers durchgeführt werden. Beweisdokumente auf Armenisch werden akzeptiert. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Laut erstem Staatenbericht verfügen die Armenier Zyperns über eine großzügige finanzielle Unterstützung vom Staat. Der Bericht listete zahlreiche Kulturvereine auf. Der Sachverständigenausschuss bemerkte jedoch, dass es weder eine strukturierte Politik noch eine dauerhafte Finanzierung gebe. Einzige Ausnahme bilde die langfristig finanzierte Cyprus-Armenian Friendship Society. Zypern gab im zweiten Staatenbericht an, Subventionen für die Aktivitäten von Minderheiten im jährlichen Budget bereitzustellen. Ferner seien 16 % der Sendezeit im Fernsehen (RIK1, RIK2) und 39 % der Radio-Sendezeit (Kanal 1, 2 und 3) der Kultur gewidmet. Der Sachverständigenausschuss forderte Zypern auf, die Zuteilung von Finanzmitteln transparenter zu gestalten und die Sprechergruppen in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Zypern erläuterte daraufhin im dritten Staatenbericht die zugrundegelegten Kriterien. Medien: Laut erstem Staatenbericht biete der zyprische Rundfunk RIK2 täglich ein einstündiges multikulturelles Programm auf Armenisch an, das auch von armenischen Minderheiten in anderen Ländern empfangbar sei. Was das Fernsehen betrifft, gebe es nur ein armenischsprachiges Programm am armenischen Weihnachtstag vom RIK. Im Bereich der gedruckten Presse gebe es die zweimonatlich erscheinenden Artsangang und Azad Tzayn. Erwähnt wurden auch das monatliche Bulletin Keghart und das multikulturelle Magazin Hayatsk. Es gebe ferner eine Anzahl von Webseiten, die armenische Angelegenheiten thematisieren. Der Sachverständigenausschuss ergänzte dazu, dass es seit 1960 einen armenischen Rundfunk gebe. Laut zweitem Staatenbericht werden die religiösen Gruppen finanziell unterstützt, um den printmedialen Bereich sowie dessen Präsenz im Internet zu fördern. Der Sachverständigenausschuss vermerkte in seinem zweiten Bericht, dass der Umfang der Fernsehsendungen zurückgegangen sei und riet Zypern, Rundfunksendungen auf Armenisch zu fördern. Laut drittem Staatenbericht prüfe der Sender RIK die Durchführbarkeit. Grenzüberschreitender Austausch: Laut erstem Staatenbericht bestehe eine Kooperation mit der Republik Armenien im Bereich Kultur, Bildung und Wissenschaft, ratifiziert durch das Gesetz 19(iii)/1998. Im Oktober 2004 sei zwischen der Republik Armenien und Republik Zypern ein Protokoll über eine zukünftige kulturelle Kooperation unterzeichnet worden und im gleichen Jahr ein Memorandum

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über die Ergebnisse des Treffens zwischen den Präsidenten der jeweiligen Abgeordnetenhäuser im Rahmen des Staatsbesuches in Armenien durch die zyprische Parlamentarierdelegation. Auf die wiederholt vom Sachverständigenausschuss formulierte Bitte um Informationen zu bilateralen Ausbildungs- und Kulturprogrammen ging Zypern weder im zweiten noch im dritten Staatenbericht ein.

2.3.2 Zyprisch-Maronitisch-Arabisch Das Zyprisch-Maronitisch-Arabische (ZMA, von den Sprechern als sanna ‚unsere Sprache‘ bezeichnet) ist ein semitischer Dialekt, der weder über eine Standardvarietät noch eine einheitliche Schriftsprache verfügt. Laut erstem Staatenbericht geht die Immigration der aus dem Libanon stammenden Maroniten Zyperns auf das 8. Jahrhundert zurück. Die Verwendung des ZMA sei auf die Familie und religiöse Zwecke begrenzt. Vor 1974 sei es im nordwestlichen Teil Zyperns gesprochen worden (in den Dörfern Kormakitis, Karpasha, Assomatos und Agia Marina); ganz vereinzelt nur in anderen Gegenden Zyperns. Die Maroniten werden in den griechischen Schulen ausgebildet und sprechen Griechisch. Im zweiten Staatenbericht ergänzte Zypern, dass es keine offiziellen Daten über die Zahl der Maroniten auf der Insel gebe, aber offiziellen Einschätzungen zufolge liege ihre Zahl bei unter 1.300. Der Sachverständigenausschuss stellte seinerseits fest, dass die Sprecher sich auf rund 2.500 Personen schätzten. Im ersten Evaluationsbericht wurde ausgeführt, dass ZMA eine vom Aussterben bedrohte Sprache sei und dass sie als Minderheitensprache anerkannt werden solle. Zypern teilte diese Einschätzung und erklärte, dass es den Definitionen der Charta entspreche. Dazu empfahl der Sachverständigenausschuss Zypern, das ZMA in Zusammenarbeit mit den Sprechern zu kodifizieren, da dies entscheidend für seine Erhaltung sei. Als Ergebnis dieser Empfehlung fand, laut zweitem Staatenbericht, ein Symposium für die Kodifizierung des ZMA statt. Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem zweiten Bericht fest, dass die Sprache inzwischen kodifiziert sei und bereits einige Presseartikel in der Sprache erschienen seien. Laut drittem Staatenbericht sei zudem ein Projekt zur weiteren Kodifizierung und Revitalisierung der Sprache in Planung. Bildung: Laut erstem Evaluationsbericht wurde 2001 die öffentliche maronitische Schule St. Maronas eingerichtet. Von den 110 Schülern seien 100 Maroniten, 41 davon sprechen ZMA, 20–30 haben passive Kenntnisse. Die Unterrichtssprache sei Griechisch. Einmal pro Woche am Nachmittag werde extracurricularer Unterricht in ZMA angeboten, woran 15 Schüler teilnähmen. Der Sachverständigenausschuss empfahl, Möglichkeiten zur Lehrerbildung zu schaffen und Lehrmaterialien vorzubereiten. Im zweiten Staatenbericht gab Zypern hingegen an,

Zypern 

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dass nur wenig Interesse bestehe, das ZMA zu erlernen, man bemühe sich aber dennoch um eine entsprechende Lehrerausbildung und um Lehrmaterialien. In seinem zweiten Bericht empfahl der Sachverständigenausschuss, die Sprache auch an anderen Schulen anzubieten und die Zahl der Unterrichtsstunden zu erhöhen. Positiv nahm der Ausschuss zur Kenntnis, dass vom zyprischen Forschungszentrum offenbar ein ZMA-Archiv zur Sammlung von Daten zur gesprochenen Sprache eingerichtet wurde. Als weiteren wichtigen Schritt zur Wiederbelebung der Sprache (sic!) legte er die Ausarbeitung einer „offiziellen deskriptiven Grammatik“ nahe. Zypern erläuterte im dritten Staatenbericht seine Fortschritte bezüglich Lehrerausbildung, Lehrmaterial im Rahmen seines Projekts zur Kodifizierung und Revitalisierung. Die Integration des ZMA in den Lehrplan werde gemeinsam mit Repräsentanten der Maroniten geplant. Ferner sollen in Zukunft Sprachkurse im Rahmen der Erwachsenenbildung angeboten werden und das Ministerium für Bildung und Kultur leiste seit 2008 finanzielle Unterstützung zu einem „Sommer-Sprachcamping“ in der Sprache. Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen: Im ersten Berichtszyklus verwies der Sachverständigenausschuss auf den Wunsch der Maroniten, ein Kultur- und Jugendzentrum einzurichten. Der zweite Staatenbericht führte aus, dass 1996 beschlossen worden sei, zu diesem Zweck ein Grundstück von 4.973 m² in Nikosia bei geschätzten Kosten von rund 2,5 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen. Unterdessen solle eine Mehrzweckhalle der St. Maronas-Schule als Zwischenlösung dienen. Darüber hinaus unterstütze Zypern finanziell u.a. den Maronitischen Verein für kulturelle Tätigkeiten, den Verein Elias The Prophet sowie die maronitische Social Welfare of the Maronites. Medien: Erst im zweiten Staatenbericht informierte Zypern über Rundfunkausstrahlungen für seine religiösen Gruppen. Der Sachverständigenausschuss stellte seinerseits fest, dass die für die Maroniten vorgesehene Ausstrahlungszeit auf 55 Minuten erhöht wurde, wobei davon zehn Minuten auf ZMA gesendet würden. Die darüber hinaus empfohlene Schaffung von Fernsehausstrahlungen in der Minderheitensprache werde, so heißt es im dritten Staatenbericht, geprüft. Grenzüberschreitender Austausch: Der Sachverständigenausschuss stellte in seinem ersten Bericht fest, dass die zyprischen Maroniten enge Beziehungen zum Libanon unterhielten und empfahl diese Beziehungen auch auf Bildungs- und Kulturkooperationen auszudehnen. Zypern verwies daraufhin im zweiten Staatenbericht auf ein bilaterales Abkommen über Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftskooperationen von 2003. Wenngleich es auch zum Austausch von Publikationen zwischen beiden Ländern käme, sei jedoch zu berücksichtigen, dass die gesprochene Sprache im Libanon und das ZMA nicht identisch seien. Der Sachverständigenausschuss bat in seinem zweiten Bericht um präzisere Infor-

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mationen zu konkret sprachbezogenen Kooperationen, worauf Zypern im dritten Staatenbericht jedoch nicht einging.

3 Bewertung Wenngleich die völkerrechtlich anerkannte Regierung Zyperns ihre Souveränität nicht über das gesamte Hoheitsgebiet ausüben kann, ist sie bemüht, die mit der Ratifizierung der Charta einhergehenden Verpflichtungen zu erfüllen und sie in dem von ihr kontrollierten Teil der Insel entsprechend anzuwenden. Wie die drei Berichtzyklen zeigen, verläuft die Kooperation zwischen Zypern und dem Europarat sehr gut. Die zyprischen Behörden zeigen ein hohes Maß an Bewusstsein und Sensibilität für die armenischen und maronitischen Gemeinschaften und gewähren Unterstützung über die finanzielle Förderung hinaus. Die zuständigen Ministerien arbeiten mit den Minderheiten bzw. deren Repräsentanten zusammen und berücksichtigen ihre Bedürfnisse und Wünsche nach Projekten und Maßnahmen. Die Minderheiten auf Zypern sind gut in die Gesellschaft integriert und im Allgemeinen zufrieden mit dem Grad des Schutzes und der Unterstützung seitens der Regierung. Allerdings scheint das Bewusstsein für Regional- oder Minderheitensprachen ziemlich neu zu sein; der Schwerpunkt lag bisher bei den religiösen Gruppen. Es gibt keine Gesetzgebung oder Politik als solche mit dem Ziel, die Regional- oder Minderheitensprachen direkt zu schützen und zu fördern. Die Infrastruktur zur Förderung und zum Schutz der beiden Sprachen (Armenisch und ZMA) ist bereits vorhanden, was es zusammen mit den Empfehlungen des Sachverständigenausschusses und des Ministerkomitees einfacher für die zyprischen Behörden machen sollte, eine strukturierte Politik zum Schutz und zur Förderung dieser Sprachen zu entwickeln. Im Laufe der Berichtszyklen sind positive Schritte und Fortschritte erkennbar. Jedoch, sowohl in Bezug auf das ZMA als auch in Bezug auf das Armenische, sollten insgesamt mehr Anstrengungen unternommen werden; auf der einen Seite, um noch mehr Fortschritt zu erreichen und auf der anderen Seite, um einen langfristigen Erfolg für das bereits Erreichte zu gewährleisten. Trotz der bisherigen Bemühungen, ein Bewusstsein für die traditionelle Präsenz des Armenischen und des ZMA in Zypern zu schaffen, scheinen weitergehende Maßnahmen notwendig, damit die Sprachen auch als Teil der zyprischen Kultur wahrgenommen werden.

Zypern 

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4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Initial Periodical Report of Cyprus, 17.1.2005. [= 1. Staatenbericht] Second Periodical Report of Cyprus, 18.1.2008. [= 2. Staatenbericht] Third Periodical Report of Cyprus, 18.1.2011. [= 3. Staatenbericht] Second Periodical Report of Cyprus – Appendix 1, 18.1.2008. [= Appendix zum 2. Staatenbericht] Initial Committee of Experts’ Evaluation Report, 24.3.2006. [= 1. Evaluationsbericht] Second Committee of Experts’ Evaluation Report, 23.4.2009. [= 2. Evaluationsbericht] Initial Committee of Ministers’ Recommendation, 27.9.2006. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 1. Evaluationsberichtes] Second Committee of Ministers’ Recommendation, 23.9.2009. [= Empfehlungen des Ministerkomitees auf Grundlage des 2. Evaluationsberichtes]

4.1.2 Weitere Quellen Libanesische Republik/Republik Zypern: „Agreement on Cultural, Educational and Scientific Cooperation between the Government of the Republic of Cyprus and the Government of the Lebanese Republic“. In: Cyprus Government Gazette 27 (iii)/2003. Republik Armenien/Republik Zypern: „Agreement on Co-operation in the Fields of Culture, Education and Science between the Government of the Republic of Armenia and the Government of the Republic of Cyprus“. In: Cyprus Government Gazette 19(iii)/1998, 10.8.1999. Republik Armenien/Republik Zypern: „Protocol of Co-operation between the National Assembly of the Republic of Armenia and the House of Representatives of the Republic of Cyprus“. In: Cyprus Government Gazette, 2004. Republik Zypern: „Constitution of the Republic of Cyprus“. In: Cyprus Government Gazette, 6.4.1960. Republik Zypern: „Official Languages of the Republic Law“. In: Cyprus Government Gazette 67/1988. Republik Zypern: „Declaration contained in a letter from the Chargé d’Affaires a.i. of the Permanent Representation of Cyprus, dated 3 August 2005, registered at the Secretariat General on 4 August 2005 [= Notification – JJ6109C Tr./148–45]“. In: Council of Europe, Secretariat General, Strasbourg: 15.9.2005. Republik Zypern: „Declaration contained in a Note verbale from the Permanent Representation of Cyprus, dated 5 November 2008, registered at the Secretariat General on 12 November 2008 [= Notification – JJ6758C Tr./148–53]“. In: Council of Europe, Secretariat General, Strasbourg: 21.9.2008.

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4.2 Literatur About Cyprus, Press and Information Office, Republic Cyprus, 315/2009. Mallinson, William: Zypern. Ein historischer Abriss, Presse- und Informationsamt, Republik Zypern, 21/2010.

4.3 Maßnahmen Zypern hat keinen Maßnahmenkatalog gewählt.

Sprachenregister Albanisch 118, 141, 143–147, 149, 233, 234, 286–292, 296, 387. Älvdalisch (vgl. auch Schwedisch) 246, 247. Arabisch (vgl. auch Zyprisch-Maronitisch-Arabisch) 78, 339, 367, 435, 438–440. Aragonesisch 338, 367–369, 378. Aranesisch 338, 339, 342–344, 357, 359, 368, 375, 377, 378. Armenisch 9, 10, 13, 15–19, 21, 213, 215, 220–224, 233, 234, 399, 400, 419, 428, 434, 435–437, 440. Aromunisch 239, 240. Assyrisch 12–18. Asturisch 338, 339, 367–371, 375, 377, 378. Azeri 399. Baschkirisch 399. Baskisch 336, 338–340, 344–351, 356, 375, 376, 378. Beas (vgl. auch Rumänisch) 419, 427, 429. Belarussisch  9, 12, 13, 212, 214, 216, 224, 399–401. Berberisch 339, 367. Bosniakisch, s. Bosnisch  Bosnisch, Bosniakisch 118, 141, 143, 144, 149, 286, 288, 296, 321, 322, 331. Bretonisch 93. Bulgarisch 233, 234, 286, 288, 296, 302, 303, 312, 313, 387, 399, 400, 402, 419. Bündnerromanisch, s. Rätoromanisch  Bunjewakisch 294. Burgenlandkroatisch (vgl. auch Kroatisch) 193–196, 207. Caló, s. Romanes  Dänisch 25, 27, 28, 31–34, 40, 42–45, 50–53, 60, 69, 173. Deutsch (vgl. auch Walserdeutsch) 12, 13, 25–27, 29–37, 43, 44, 46, 51–53, 63, 64, 68, 118, 130, 133, 138, 144, 146, 191, 192, 195, 198, 19, 202, 203, 211–218, 224, 225, 228, 229, 231, 233–235, 265, 267–271, 273, 274, 276–278, 280, 286, 287, 295, 300, 302, 303, 311, 312, 315,

319, 321, 322, 331, 384–387, 391–393, 399, 400, 402, 403, 413–417, 419–426, 429. Englisch 28, 78, 88, 93, 94, 99–101, 103, 105, 109, 110, 154, 238, 270, 349, 436. Estnisch 78, 399. Faröisch 26, 27, 29, 35. Finnisch (vgl. auch Meänkieli, Kvenisch) 77, 78, 80–82, 84, 86, 88, 175–177, 182, 183, 243, 245–252, 254, 261, 262, 264. Französisch 1, 137, 138, 153, 264, 267, 268, 273, 276, 277, 360. Friaulisch (vgl. auch Rätoromanisch) 272. Friesisch (vgl. auch Nord-, Saterfriesisch) 42–45, 59–65, 71, 153–160, 169. Gagausisch 399, 400, 403. Galicisch (vgl. auch Galicisch-Asturisch) 336, 338–340, 352–355, 368–372, 375, 377, 378. Galicisch-Asturisch (vgl. auch Galicisch) 339, 369, 370, 377. Georgisch 12, 13, 399, 400. Griechisch 12–15, 18–20, 233, 385, 387, 399, 400, 404, 419, 428, 433–439. Grönländisch 25, 27–29, 35. Gurindeutsch, s. Walserdeutsch  Hebräisch 12, 13, 88, 89, 213, 234, 260, 399, 400, 404, 405. Irisch 93, 94, 96–99, 101, 103–106, 110. Istrorumänisch 117. Italienisch 116 118, 120–122, 130, 233, 234, 265–269, 272–276, 278, 280, 282, 319, 321–324, 328, 330, 331, 333. Jenisch 139, 267, 268, 278–280. Jesidisch 12, 13, 15–18. Jiddisch 12, 81, 88, 89, 156, 157, 165, 166, 176, 213, 215, 220–224, 233, 234, 243, 245, 247, 248, 259, 260, 262, 267, 278, 286, 368, 399, 400, 404. Judenspanisch 367. Kalé, s. Romanes  Karaimisch 399, 400.

444 

 Sprachenregister

Karäisch 213, 215, 220–224. Karelisch 78, 80, 81, 88, 90. Kaschubisch 211, 212, 215, 216, 224. Katalanisch (vgl. auch Valencianisch) 336, 338–340, 342–344, 356–369, 373, 375, 377, 378. Koreanisch 399. Kornisch 93, 95–99, 106–110. Krimtatarisch 399, 400, 405, 406. Krimtschakisch 399, 400. Kroatisch (vgl. auch Burgenlandkroatisch) 118, 119, 121, 141, 143, 144, 149, 192, 194–196, 233, 234, 286, 288, 302, 303, 312, 313, 321, 322, 331, 386, 387, 414, 419, 421–425, 429. Kurdisch 12–17, 22. Kvenisch (vgl. auch Finnisch) 175–177, 182, 183, 187. Ladinisch (vgl. auch Rätoromanisch) 272. Leonesisch 368, 371, 377. Lëtzebuergesch, s. Luxemburgisch  Limburgisch 155–157, 163–165, 169. Litauisch 212, 224, 399. Lulesamisch (vgl. auch Samisch) 175–177, 183–185, 187, 245, 247, 255, 256. Luxemburgisch 137. Manx-Gälisch 93–99, 108–110. Mazedonisch 118, 233, 234. Meänkieli (vgl. auch Finnisch) 243, 245–247, 251–254, 260–262, 264. Moldauisch, s. Moldawisch  Moldawisch (vgl. auch Rumänisch) 399, 400, 406. Montenegrinisch 141, 143, 144, 146. Nedersaksisch 155–157, 161–164, 169. Neugriechisch, s. Griechisch  Niederdeutsch 40, 42, 43, 45–50, 53, 63, 65, 69–71. Niederländisch 45, 154, 156, 161, 163–166, 168, 169. Niedersorbisch (vgl. auch Sorbisch) 42, 43, 45, 54–59, 71. Nordfriesisch (vgl. auch Friesisch) 43, 45, 59–63, 71, 157, 160. Nordsamisch (vgl. auch Samisch) 175–179, 183, 184, 187, 245, 247, 255, 256. Norwegisch 173, 175, 178, 180, 182.

Obersorbisch (vgl. auch Sorbisch) 43, 45, 54–58, 71. Ostsamisch (vgl. auch Samisch) 176, 177, 185. Pitesamisch (vgl. auch Samisch) 176, 185. Polnisch (vgl. auch Schlesisch) 12, 13, 194, 213, 216, 217, 220, 233, 234, 302, 303, 312, 313, 386, 387, 389, 390, 393, 399, 400, 406, 407, 419, 427. Portugiesisch 339, 368, 371, 372, 377. Rätoromanisch (vgl. auch Friaulisch, Ladinisch) 265–273, 276, 280, 282. Romanes 25, 29, 35, 42–45, 65–69, 71, 78, 80, 85, 86, 90, 95, 98, 16, 118, 130, 139, 143, 144, 147–149, 156, 157, 166–168, 175–177, 185–187, 193, 194, 206, 207, 213, 215, 219–224, 233, 234, 239, 243, 245, 247, 248, 260–262, 278, 286, 288, 292, 302, 306–309, 315, 321, 322, 328–331, 338, 339, 368, 373, 374, 377, 386, 387, 391–395, 399, 400, 419, 429, 435. Romani (als Kontakt-/Mischsprache) 175–177, 186, 187, 245. Romani, s. Romanes  Romani Chib, s. Romanes  Rumänisch (vgl. auch Beas, Moldawisch) 234–236, 240, 286, 288, 295, 387, 399, 400, 407, 408, 414, 419, 421, 425, 429. Russinisch 212, 216, 224, 302, 303, 309, 310, 315, 387, 399, 400, 419, 427. Russisch 3, 7, 12–22, 78, 81, 87, 212, 213, 215, 220–224, 233, 234, 387, 397–400, 408, 409. Ruthenisch 116, 118, 127, 128, 130, 233, 234, 240, 286, 288, 296. Samisch (vgl. auch Lule-, Nord-, Ost-, Pite-, Süd-, Umesamisch) 78, 80, 81, 83–85, 89, 175–181, 183–185, 187, 243, 245–247, 250, 253–264. Saterfriesisch (vgl. auch Friesisch) 42, 43, 45, 59, 63–65, 71, 157, 160. Schlesisch (vgl. auch Polnisch) 213, 226, 387. Schottisch-Gälisch 93, 94, 96–99, 101–103, 105, 110.

Sprachenregister 

Schwedisch (vgl. auch Älvdalisch) 77, 78, 80–82, 86, 88, 89, 91, 243, 245–247. Scots 94, 96–99, 102, 105, 106, 118. Serbisch 116, 118, 122, 123, 130, 141, 143, 144, 149, 233, 234, 283, 286, 287, 321, 322, 331, 387, 414, 419, 421, 425, 429. Slowakisch 116, 118, 126, 127, 130, 193, 194, 207, 212, 213, 215, 220–224, 233, 234, 286, 288, 296, 300, 301, 303, 305, 306, 310, 314, 385–390, 393, 399, 400, 409, 410, 414, 419, 421, 422, 429. Slowenisch 116, 118, 121, 130, 144, 192–194, 198–200, 207, 319, 322, 323, 325, 327, 331, 414, 419, 421, 425, 429. Somali, s. Somalisch  Somalisch 27, 78. Sorbisch (vgl. auch Nieder-, Obersorbisch) 39, 40, 42, 43, 45, 54–59, 71. Spanisch 335, 338, 346, 357, 360, 373. Südsamisch (vgl. auch Samisch) 175–177, 183–185, 187, 245–247, 255–257, 262. Syrisch 399. Tatarisch 78, 213, 215, 220–224, 233, 234, 399, 400. Tschechisch 116, 118, 125, 126, 130, 193, 194, 207, 212, 213, 215, 220–224,

 445

233–235, 237, 238, 241, 286, 294, 295, 300, 302, 303, 310, 311, 314–316, 384, 385, 387–389, 391, 393, 395, 399. Türkisch 233, 234, 286, 287, 399, 433, 435, 437. Ukrainisch 12–14, 116, 118, 129, 130, 212, 216, 224, 233, 234, 240, 286–288, 291–293, 296, 302, 303, 309, 310, 315, 387, 397, 400, 408, 411, 419, 427. Ulster-Scots 94, 96–99, 104–106, 110. Umesamisch (vgl. auch Samisch) 247. Ungarisch 116, 118, 124, 125, 130, 144, 193, 194, 202–205, 207, 228, 229, 233–236, 241, 286, 288, 296, 302–305, 307, 308, 314, 319, 321, 322, 325–328, 331, 333, 387, 399, 400, 410, 414, 419–421, 424, 428, 430. Valencianisch (vgl. auch Katalanisch) 338, 340, 356, 360–364, 368, 373, 377, 378. Walisisch 93, 94, 96–101, 110. Walserdeutsch (vgl. auch Deutsch) 267, 268, 277, 278, 280. Wlachisch 286, 295. Zyprisch-Maronitisch-Arabisch (vgl. auch Arabisch) 435, 438–440.